"Leidender Gerechter" und "Diener aller": Der Tod Jesu in Mk 8,27-10,52 im Gespräch mit Oscar Romero und Emmanuel Lévinas. Dissertationsschrift 9783631624159, 9783653018141, 3631624158

Auf der Suche nach der markinischen Deutung des Todes Jesu nimmt diese Untersuchung den Mittelteil des Evangeliums mit d

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"Leidender Gerechter" und "Diener aller": Der Tod Jesu in Mk 8,27-10,52 im Gespräch mit Oscar Romero und Emmanuel Lévinas. Dissertationsschrift
 9783631624159, 9783653018141, 3631624158

Table of contents :
Preface to the Series
Vorwort zur Reihe
Dank
Inhaltsverzeichnis
Hinführung
1. Vorbemerkungen
1.1 Thema und Vorgehensweise
1.2 Einige methodische Details
2. Verortung des Mittelteils im Evangelium
2.1 Historischer und literarischer Hintergrund des Markusevangeliums
2.2 Gliederung
2.3 Ein inhaltlicher Überblick
2.3.1 Der Prolog als „Ouvertüre“ des Evangeliums
2.3.2 Die gegenseitige Bezogenheit der einzelnen Teile
3. Eigenart, Thematik und Struktur des Mittelteils
4. Überlieferungsgeschichte und Vergleich der drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung
4.1 Der Kontext
4.2 Die Wortwahl
4.2.1 Gemeinsame Elemente
4.2.2 Mk 8,31
4.2.3 Mk 9,31
4.2.4 Mk 10,32-34
4.3 Ergebnis und Ausblick
Teil I: Motivgeschichtliche Analyse der drei Leidens- und Auferstehungsansagen
1. „Es muss“
1.1 Musste Jesus leiden? Erste Erklärungsversuche
1.2 Semantischer Hintergrund: apokalyptischer Gebrauch im Buch Daniel
1.3 dei im Markusevangelium
1.4 „Es ist geschrieben...“
1.5 Fazit
2. Jesus, der „Menschensohn“
2.1 Auf den ersten Blick
2.2 Der Ausgangspunkt: Die Vision vom Menschensohn in Daniel 7
2.2.1 Die Vier Reiche
2.2.2 Der Bezugspunkt: Die syrische Religionsverfolgung der Jahre 170-160 v. Chr.
2.2.3 Das Gegenprogramm zu den Weltreichen: Der Menschensohn
2.3 Die Weiterentwicklung der Menschensohn-Vorstellung in Äth Hen, 4 Esr, Apk Bar
2.4 Die Gestalt des „Menschensohnes“ im Neuen Testament
2.4.1 Die Logienquelle: Jesus als Richter
2.4.2 Das Markusevangelium: Jesus als leidender und auferstandener Menschensohn
2.5 Fazit
3. „Vieles leiden“
3.1 Der „Gerechte“
3.1.1 „Gerechtigkeit“ im alttestamentlich-jüdischen Verständnis
3.1.2 Das Schicksal der Gerechten
3.2 Das Motiv vom „leidenden Gerechten“
3.2.1 Die Anfänge
3.2.2 Die Herausbildung des Motivs in apokalyptischer Zeit
3.3 Die Aufnahme des Motivs im Neuen Testament
3.3.1 Jesus als „Gerechter“
3.3.2 Die Passionserzählung
3.3.3 Die erste Leidensankündigung
3.3.4 Das „Leiden der Gerechten“ in anderen neutestamentlichen Traditionen
3.4 Fazit
4. Verworfen werden
4.1 im klassischen Griechisch
4.1.1 Die Dokimasia
4.1.2 Ehre und Schande als „antike Denk- und Handlungsmaxime“
4.1.3 als Verlust von Ehre
4.2 im Neuen Testament
4.2.1 Ps 118
4.2.2 Der Anhang zum Winzergleichnis Mk 12,10 f.
4.2.3 Petrus vor dem Hohen Rat Apg 4,11
4.2.4 Ehre für eine bedrängte Minderheit: 1 Petr 2,1-10
4.2.5 Weiterführung: Die Gemeinde als „geistiges Haus“
4.2.6 Hebr 12,17
4.2.7 Zwischenbilanz: im Neuen Testament
4.3 Fazit: in Mk 8,31
5. Überliefert
5.1 im klassischen Griechisch, in den Septuaginta und in der zwischentestamentlichen Literatur
5.1.1 Klassisch-griechischer Sprachgebrauch im Kriegs- und Gerichtskontext
5.1.2 „Theologischer“ Sprachgebrauch in den LXX und der zwischentestamentlichen Literatur
5.1.3 in Bezug auf den Einsatz des Lebens
5.1.4 „Auslieferung“ und Selbsthingabe in den rabbinischen Schriften
5.2 im Neuen Testament
5.2.1 Im Markusevangelium
5.2.2 Hingabe- und Selbsthingabe-Aussagen im paulinischen und deuteropaulinischen Schrifttum
5.2.3 Hingabe- und Selbsthingabe-Aussagen im johanneischen Schrifttum
5.2.4 Zwischenbilanz: Die Bedeutung von im biblischen Sprachgebrauch
5.3 Fazit: in Mk 9,31 und 10,33
6. Älteste, Hohepriester und Schriftgelehrte
6.1 Das Synhedrium
6.2 Die Rolle des Hohen Rates im Prozess Jesu
6.3 Fazit
7. Getötet
7.1 Herkunft und Bedeutung der Vokabel
7.1.1 Bestandsaufnahme: imMarkusevangelium
7.1.2 im Topos vom Prophetengeschick
7.1.3 im Topos vom leidenden Gerechten
7.2 Historisches zum Tod Jesu
7.3 Fazit
8. Auferstehen
8.1 aviotnui und eyeipelv
8.1.1 In den Septuaginta und im profangriechischen Sprachgebrauch
8.1.2 Im Neuen Testament
8.2 aviotnui und eyeipelv im Zusammenhang derAuferstehung von den Toten
8.2.1 Das Aufkommen der Auferstehungshoffnung in frühjüdischer Zeit
8.2.2 Die Auferstehung der Toten im Neuen Testament
8.3 „Nach drei Tagen“
8.3.1 Der neutestamentliche Befund
8.3.2 Alttestamentliche Wurzeln
8.4 Fazit
9. Zwischenergebnis: Motivgeschichtlicher Hintergrund der Ankündigungen von Leiden und Auferstehung
Teil II: Die drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung in ihrem Kontext
1. Messiasbekenntnis und Satanswort(Mk 8,27-33)
1.1 Aufbau und Herkunft
1.2 Auslegung
1.2.1 Prolog: Das Messiasbekenntnis des Petrus (Mk 8,27-30)
1.2.2 Die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung (Mk 8,31.32a)
1.2.3 Epilog: Der Petrustadel (Mk 8,32b.33)
1.3 Fazit
2. Die Belehrung über die Lebenshingabe (Mk 8,34-9,1)
2.1 Stellung im Kontext, Herkunft und Aufbau
2.2 Auslegung
2.2.1 Propositio: Die Aufforderung zur Nachfolge (V.34)
2.2.2 Erste Begründung: Leben retten oder töten (V.35)
2.2.3 Zweite Begründung: Schlechter Tausch (VV.36 f.)
2.2.4 Dritte Begründung: Das kommende Gericht (V.38)
2.2.5 Abschluss: Hoffnungsvoller Ausblick (Mk 9,1)
2.3 Fazit
3. Leben und Tod von Monseñor Oscar Romero: Ein Beitrag zum Verständnis der Nachfolgeworte in unserer Zeit
3.1 Zur Hermeneutik der Nachfolgeworte
3.2 Leben und Schriften des Oscar A. Romero
3.2.1 Historische Vorbemerkung: El Salvador zur Zeit des Bürgerkriegs
3.2.2 Biographische Notizen
3.2.3 Kandidat der Reichen
3.2.4 Die Bekehrung
3.2.5 Stimme derer, die keine Stimme haben
3.2.6 Rückkehr zu den Wurzeln
3.2.7 Märtyrer ohne Todessehnsucht
3.2.8 Die Evangelisierung der Gesellschaft
3.2.9 Eine Zivilisation der Liebe
3.2.10 Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen
3.2.11 Vom Volk lernen
3.2.12 Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt...
3.2.13 Erfüllt von der Hoffnung
3.3 Fazit
4. Die Verklärungserzählung (Mk 9,2-13)
4.1 Kontext, Herkunft, Gattung und Struktur
4.2 Auslegung
4.2.1 Die Verklärung Jesu (Mk 9,2-8)
4.2.2 Der Abstieg vom Berg (Mk 9,9-13)
4.3 Fazit
5. Die Heilung eines epileptischen Jungen (Mk 9,14-29)
5.1 Kontext, Überlieferungsgeschichte und Struktur
5.2 Auslegung
5.2.1 Das Versagen der Jünger (VV.14-19b)
5.2.2 Die Heilung (VV.19c-27)
5.2.3 Die Jüngerbelehrung (VV.28 f.)
5.3 Fazit
6. Zwischenergebnis: „Wer sein Leben hingibt, wird es retten.“ Die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung in ihrem Kontext
7. Die Jüngerbelehrungen vom „Dienen“
8. Die ausführliche Belehrung vom „Dienen“ (Mk 10,35-45)
8.1 Stellung im Kontext, Form und Überlieferungsgeschichte
8.2 Auslegung
8.2.1 Die Frage der Zebedäussöhne (Mk 10,35-40)
8.2.2 Die Unterweisung an die Zwölf (Mk 10,41-44)
8.2.3 Das Beispiel des Menschensohnes (Mk 10,45)
8.3 Fazit
9. Die Bedeutung des/r „Anderen“ bei Emmanuel Lévinas: ein hermeneutisches Modell zum Verständnis des „Dienens“
9.1 „Ontologie“ und Seinsbegriff nach Lévinas
9.2 Das Antlitz des Nächsten als ethische Vorgabe
9.3 Das Antlitz der Anderen als „Spur“ Gottes
9.4 Sich selbst finden im Dienst am Anderen
9.5 Zusammenführung: Die Bedeutung des „Dienens“ vor dem Hintergrund der Philosophie Emmanuel Lévinas’
10. Vom Umgang mit den Kleinen (Mk 9,33-50)
10.1 Kontext und Thematik, Struktur und Herkunft
10.2 Auslegung
10.2.1 Der erste Rangstreit und die erste Belehrung vom Dienen (Mk 9,33-37)
10.2.2 Zum Umgang mit den „Kleinen“ (Mk 9,38-50)
10.3 Fazit
11. Die Frage nach der Ehescheidung (Mk 10,1-12)
11.1 Kontext und Form, Aufbau und Herkunft
11.2 Auslegung
11.2.1 Der Übergang (V.1)
11.2.2 Das Gespräch mit den Pharisäern (VV.2-9)
11.2.3 Die Jüngerbelehrung (VV.10-12)
11.3 Fazit: Eheliche Treue als Rücksichtnahme gegenüber den „Kleinen“
12. „Lasst die Kinder zu mir kommen“ (Mk 10,13-16)
12.1 Kontext, Aufbau und Herkunft
12.2 Auslegung
12.3 Fazit
13. Über den Besitz und das Eingehen in dasReich Gottes (Mk 10,17-31)
13.1 Kontext, Struktur, Gattung und Herkunft
13.2 Auslegung
13.2.1 Jesus und der reiche Mann (VV.17-22)
13.2.2 Die Reichen und das Reich Gottes (VV. 23-27)
13.2.3 Der Lohn des Lassen-Könnens (VV.28-31)
13.3 Fazit
14. Zwischenergebnis: „Der soll aller Diener sein.“ Der Kontext der zweiten und dritten Ankündigung
15. Blinde werden sehend. Heilung und Nachfolge des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52)
15.1 Stellung im Kontext, Herkunft, Form und Aufbau
15.2 Auslegung
15.3 Die Heilung des blinden Bartimäus als Abschluss des Mittelteils
15.4 Die beiden Blindenheilungen als Rahmen des Mittelteils
15.5 Fazit
Schlusswort
Literaturverzeichnis

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„Leidender Gerechter“ und „Diener aller“

New Testament Studies in Contextual Exegesis Neutestamentliche Studien zur kontextuellen Exegese Herausgegeben von Johannes Beutler, Thomas Schmeller und Werner Kahl

Vol./Bd. 7

PETER LANG

Frankfurt am Main · Berlin · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Wien

Birgit Opielka

„Leidender Gerechter“ und „Diener aller“ Der Tod Jesu in Mk 8,27-10,52 im Gespräch mit Oscar Romero und Emmanuel Lévinas

PETER LANG

Internationaler Verlag der Wissenschaften

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISSN 1616-816X ISBN 978-3-653-01814-1 (E-Book) DOI 10.3726/978-3-653-01814-1 ISBN 978-3-631-62415-9 (Print) © Peter Lang GmbH Internationaler Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2012 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. www.peterlang.de

Preface to the Series

The series New Testament Studies in Contextual Exegesis is dedicated to the publication of exegetical works which aim at enhancing a textually adequate understanding of the New Testament by taking into consideration the life-contexts, horizons of interpretation, and questions of the non-Western world. African, Latin-American, Oceanic, and Asian exegetes can, from their own perspect ives, make significant contributions in the field of New Testament studies with respect to content and methodology. They might motivate their Western colleagues to critically reflect on their own history of interpretation and methodology, by enabling them to acknowledge the fact that any exegetical approach is contextually coined. The contributions that appear in this series are works of critical exegesis. They are informed by methodological reflection. The authors consider the cultural embededness or contextuality of the New Testament writings as well as that of the exegetical perspective. Taking into account that non-Western voices are not represented adequately in the exegetical discourse, the editors of the series intend to facilitate cross-cultural networking of exegetical research in a world-wide perspective, especially with respect to the transfer of scientific knowledge from the South to the North.

The editors Prof. Dr. Johannes Beutler, Rome and Frankfurt PD Dr. Werner Kahl, Hamburg Prof. Dr. Thomas Schmeller, Frankfurt

Vorwort zur Reihe

Die Reihe Neutestamentliche Studien zur kontextuellen Exegese ist der Veröffentlichung solcher exegetischen Arbeiten gewidmet, die Lebenskontexte, Deutehorizonte und Fragestellungen der nichtwestlichen Welt für ein textangemessenes Verstehen des Neuen Testaments fruchtbar zu machen suchen. In ihrer je partikularen Perspektivität haben afrikanische, lateinamerikanische, ozeanische und asiatische Exegeten und Exegetinnen sowohl inhaltlich als auch methodisch einiges und zuweilen Entscheidendes im Bereich Neutestamentliche Wissenschaft beizutragen. Sie vermögen darüber hinaus, westliche Fachkollegen und -kolleginnen zur kritischen Reflexion ihrer Forschungsgeschichte und Methodik anzuregen, indem sie zur Anerkennung des Faktums der Kontextualität jeglichen exegetischen Zugangs nötigen. Bei den in dieser Reihe erscheinenden Untersuchungen handelt es sich um exegetisch-kritische Beiträge, die wissenschaftlich-methodisch verantwortet die kulturelle Einbettung bzw. Kontextualität sowohl der neutestamentlichen Schriften als auch der exegetischen Perspektive bedenken. Angesichts der Tatsache, dass nicht-westliche Forschungsbeiträge im exegetischen Diskurs unterrepräsentiert sind, liegt den Herausgebern der Reihe daran, die transkulturelle Vernetzung exegetischer Forschung in weltweiter Perspektive zu fördern, und zwar insbesondere in Hinblick auf den Süd-Nord-Transfer wissenschaftlicher Erkenntnis.

Die Herausgeber Prof. Dr. Johannes Beutler, Rom und Frankfurt PD Dr. Werner Kahl, Hamburg Prof. Dr. Thomas Schmeller, Frankfurt

La autoridad en la Iglesia no es mandato; es servicio. Y él que no se haga como niño en el cristianismo, sencillo, no puede entrar en el Reino de los Cielos. Qué verguenza para mí, pastor, y les pido perdón a mi comunidad, cuando no haya podido desempeñar como servidor de Uds. mi papel de obispo. No soy un jefe, no soy un mandamás, no soy una autoridad que se impone. Quiero ser el servidor de Dios y de Uds.

Die Autorität in der Kirche ist nicht Befehlsvollmacht; sie ist Dienst. Und wer im Christentum nicht einfach wird wie ein Kind, kann nicht in das Reich Gottes hineinkommen. Was für eine Schande für mich als Hirten, und ich bitte Euch, meine Gemeinde, um Verzeihung, wenn ich mein Bischofsamt nicht als Euer Diener ausüben konnte. Ich bin kein Chef, ich bin kein Befehlshaber, ich bin keine Autorität, die sich aufzwingt. Ich will Diener Gottes und Euer Diener sein.

(Msr. Oscar Romero, Predigt vom 10. September 1978)

Dank Mein Dank gilt allen, durch deren Hilfe dieses Buch ermöglicht wurde: an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. em. Dr. Hermann-Josef Venetz für seine kompetente und geduldige Begleitung und für manchen weiterführenden Gedankenanstoß. P. Dr. Johannes Beutler SJ, Professor Emeritus der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt und des Päpstlichen Bibelinstituts in Rom, danke ich für jahrelange freundschaftliche und kollegiale Verbundenheit, für seinen wissenschaftlichen Rat sowie für die Aufnahme in die vorliegende Reihe. Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig SJ verdanke ich den Hinweis auf die “Perseus Digital Library”. Dr. Carolin Letz hat mir geholfen, diese Arbeit in die richtige Form zu bringen. Danken möchte ich auch meinen Vorgesetzten im Ordinariat des Bistums Limburg, Herrn Domkapitular Helmut Wanka, Pfr. Willi Hübinger †, Herrn Weihbischof Dr. Thomas Löhr und vor allem Herrn Werner Heukäufer, ehemaliger Referent für die Gemeinden anderer Muttersprache im Bistum Limburg, für sein ausdauerndes und verständnisvolles Entgegenkommen. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen im kirchlichen Dienst, besonders Herrn Dr. Gerardo Vanegas, der mir in den letzten Monaten meiner Dissertation, wo immer er konnte, Arbeit abgenommen hat. “Last but not least” danke ich allen Freundinnen und Freunden, die mich in diesem Projekt immer wieder bestätigt und ermutigt haben, und meiner Familie, allen voran meinem Ehemann Matthias, meinen Eltern und Schwiegereltern für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Danken möchte ich auch unseren Kindern Elisabeth und Emmanuel, die auf ihre Art immer wieder für Motivation und für den nötigen Ausgleich gesorgt haben. Ihnen beiden sei dieses Buch gewidmet.

Inhaltsverzeichnis HINFÜHRUNG ........................................................................................................ 19 1. Vorbemerkungen............................................................................................ 19 1.1 Thema und Vorgehensweise .................................................................. 19 1.2 Einige methodische Details .................................................................... 21 2. Verortung des Mittelteils im Evangelium...................................................... 23 2.1 Historischer und literarischer Hintergrund des Markusevangeliums..... 23 2.2 Gliederung .............................................................................................. 26 2.3 Ein inhaltlicher Überblick ...................................................................... 29 2.3.1 Der Prolog als „Ouvertüre“ des Evangeliums ............................. 29 2.3.2 Die gegenseitige Bezogenheit der einzelnen Teile ...................... 34 3. Eigenart, Thematik und Struktur des Mittelteils............................................ 39 4. Überlieferungsgeschichte und Vergleich der drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung................................ 49 4.1 Der Kontext ............................................................................................ 50 4.2 Die Wortwahl ......................................................................................... 51 4.2.1 Gemeinsame Elemente................................................................. 53 4.2.2 Mk 8,31 ........................................................................................ 54 4.2.3 Mk 9,31 ........................................................................................ 56 4.2.4 Mk 10,32-34................................................................................. 58 4.3 Ergebnis und Ausblick ........................................................................... 60 TEIL I: MOTIVGESCHICHTLICHE ANALYSE DER DREI LEIDENS- UND AUFERSTEHUNGSANSAGEN ............................... 61 1. „Es muss“ ....................................................................................................... 61 1.1 Musste Jesus leiden? Erste Erklärungsversuche .................................... 61 1.2 Semantischer Hintergrund: apokalyptischer Gebrauch im Buch Daniel............................................ 62 1.3 FGK im Markusevangelium ...................................................................... 67 1.4 „Es ist geschrieben...“............................................................................. 68 1.5 Fazit ........................................................................................................ 70

12

Inhaltsverzeichnis

2. Jesus, der „Menschensohn“............................................................................ 73 2.1 Auf den ersten Blick............................................................................... 73 2.2 Der Ausgangspunkt: Die Vision vom Menschensohn in Daniel 7 ........ 73 2.2.1 Die Vier Reiche............................................................................ 73 2.2.2 Der Bezugspunkt: Die syrische Religionsverfolgung der Jahre 170-160 v. Chr.............................................................. 75 2.2.3 Das Gegenprogramm zu den Weltreichen: Der Menschensohn.. 77 2.3 Die Weiterentwicklung der Menschensohn-Vorstellung in Äth Hen, 4 Esr, Apk Bar .................................................................... 79 2.4 Die Gestalt des „Menschensohnes“ im Neuen Testament ..................... 80 2.4.1 Die Logienquelle: Jesus als Richter............................................. 80 2.4.2 Das Markusevangelium: Jesus als leidender und auferstandener Menschensohn ............... 81 2.5 Fazit ........................................................................................................ 85 3. „Vieles leiden“ ............................................................................................... 87 3.1 Der „Gerechte“ ....................................................................................... 87 3.1.1 „Gerechtigkeit“ im alttestamentlich-jüdischen Verständnis....... 87 3.1.2 Das Schicksal der Gerechten ....................................................... 88 3.2 Das Motiv vom „leidenden Gerechten“ ................................................. 89 3.2.1 Die Anfänge ................................................................................. 89 3.2.2 Die Herausbildung des Motivs in apokalyptischer Zeit ............. 90 3.3 Die Aufnahme des Motivs im Neuen Testament ................................... 93 3.3.1 Jesus als „Gerechter“ ................................................................... 93 3.3.2 Die Passionserzählung ................................................................. 93 3.3.3 Die erste Leidensankündigung..................................................... 94 3.3.4 Das „Leiden der Gerechten“ in anderen neutestamentlichen Traditionen ................................. 95 3.4 Fazit ........................................................................................................ 97 4. Verworfen werden.......................................................................................... 99 4.1 CXRQFQMKOC\Y im klassischen Griechisch................................................. 99

Inhaltsverzeichnis

13

4.1.1 Die Dokimasia.............................................................................. 99 4.1.2 Ehre (VKOJ) und Schande (CKXUEWPJ) als „antike Denk- und Handlungsmaxime“ ............................... 101 4.1.3 CXRQFQMKOC\Y als Verlust von Ehre ............................................. 103 4.2 CXRQFQMKOC\Y im Neuen Testament ....................................................... 104 4.2.1 Ps 118 ......................................................................................... 105 4.2.2 Der Anhang zum Winzergleichnis Mk 12,10 f.......................... 107 4.2.3 Petrus vor dem Hohen Rat Apg 4,11 ......................................... 108 4.2.4 Ehre für eine bedrängte Minderheit: 1 Petr 2,1-10 .................... 109 4.2.5 Weiterführung: Die Gemeinde als „geistiges Haus“ ................. 111 4.2.6 Hebr 12,17.................................................................................. 112 4.2.7 Zwischenbilanz: CXRQFQMKOC\Yim Neuen Testament ................ 113 4.3 Fazit: CXRQFQMKOC\Y in Mk 8,31............................................................. 114 5. Überliefert .................................................................................................... 115 5.1 RCTCFKFQPCK im klassischen Griechisch, in den Septuaginta und in der zwischentestamentlichen Literatur....... 115 5.1.1 Klassisch-griechischer Sprachgebrauch im Kriegs- und Gerichtskontext................................................. 115 5.1.2 „Theologischer“ Sprachgebrauch in den LXX und der zwischentestamentlichen Literatur ........... 116 5.1.3 RCTCFKFQPCK in Bezug auf den Einsatz des Lebens.................... 119 5.1.4 „Auslieferung“ und Selbsthingabe in den rabbinischen Schriften..................................................... 121 5.2 RCTCFKFQPCK im Neuen Testament........................................................ 121 5.2.1 Im Markusevangelium ............................................................... 121 5.2.1.1

Die „Übergabe“ durch Judas ...................................... 122

5.2.1.2

Die „Übergabe“ durch das Synhedrion und durch Pilatus .................... 123

5.2.1.3

Die „Übergabe“ des Täufers und die Verfolgung der Christen ................................ 124

5.2.1.4

Das Lösegeld-Wort..................................................... 126

Inhaltsverzeichnis

14

5.2.2 Hingabe- und Selbsthingabe-Aussagen im paulinischen und deuteropaulinischen Schrifttum................ 127 5.2.3 Hingabe- und Selbsthingabe-Aussagen im johanneischen Schrifttum ..................................................... 130 5.2.4 Zwischenbilanz: Die Bedeutung von RCTCFKFQPCK im biblischen Sprachgebrauch ................................................... 131 5.3 Fazit: RCTCFKFQPCK in Mk 9,31 und 10,33 ............................................ 133 6. Älteste, Hohepriester und Schriftgelehrte.................................................... 135 6.1 Das Synhedrium ................................................................................... 135 6.2 Die Rolle des Hohen Rates im Prozess Jesu ........................................ 138 6.3 Fazit ...................................................................................................... 139 7. Getötet .......................................................................................................... 141 7.1 Herkunft und Bedeutung der Vokabel ................................................. 141 7.1.1 Bestandsaufnahme: CXRQMVGKPY im Markusevangelium ............. 141 7.1.2 CXRQMVGKPY im Topos vom Prophetengeschick ........................... 142 7.1.3 CRQMVGKPY im Topos vom leidenden Gerechten......................... 144 7.2 Historisches zum Tod Jesu ................................................................... 146 7.3 Fazit ...................................................................................................... 150 8. Auferstehen .................................................................................................. 153 8.1 CXPKUVJOK und GXIGKTGKP........................................................................... 153 8.1.1 In den Septuaginta und im profangriechischen Sprachgebrauch.............................. 153 8.1.2 Im Neuen Testament .................................................................. 154 8.2 CXPKUVJOK und GXIGKTGKP im Zusammenhang der Auferstehung von den Toten .......................... 155 8.2.1 Das Aufkommen der Auferstehungshoffnung in frühjüdischer Zeit................................................................... 156 8.2.2 Die Auferstehung der Toten im Neuen Testament .................... 158 8.2.2.1

Die Aufnahme der frühjüdischen Vorstellungen ....... 158

8.2.2.2

Die Auferstehung eines einzelnen .............................. 159

8.2.2.3

Gebrauch von CXPKUVJOK und GXIGKTGKP ......................... 161

Inhaltsverzeichnis

15

8.3 „Nach drei Tagen“................................................................................ 164 8.3.1 Der neutestamentliche Befund................................................... 164 8.3.2 Alttestamentliche Wurzeln......................................................... 165 8.4 Fazit ...................................................................................................... 168 9. Zwischenergebnis: Motivgeschichtlicher Hintergrund der Ankündigungen von Leiden und Auferstehung..................................... 171

TEIL II: DIE DREI ANKÜNDIGUNGEN VON LEIDEN UND AUFERSTEHUNG IN IHREM KONTEXT ............................................................................... 175 1. Messiasbekenntnis und Satanswort (Mk 8,27-33) ....................................... 175 1.1 Aufbau und Herkunft............................................................................ 175 1.2 Auslegung............................................................................................. 176 1.2.1 Prolog: Das Messiasbekenntnis des Petrus (Mk 8,27-30) ......... 176 1.2.2 Die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung (Mk 8,31.32a)............................................................................. 177 1.2.3 Epilog: Der Petrustadel (Mk 8,32b.33)...................................... 179 1.3 Fazit ...................................................................................................... 181 2. Die Belehrung über die Lebenshingabe (Mk 8,34-9,1) ............................... 183 2.1 Stellung im Kontext, Herkunft und Aufbau......................................... 183 2.2 Auslegung............................................................................................. 185 2.2.1 Propositio: Die Aufforderung zur Nachfolge (V.34)................. 185 2.2.2 Erste Begründung: Leben retten oder töten (V.35) ................... 187 2.2.3 Zweite Begründung: Schlechter Tausch (VV.36 f.) .................. 191 2.2.4 Dritte Begründung: Das kommende Gericht (V.38).................. 192 2.2.5 Abschluss: Hoffnungsvoller Ausblick (Mk 9,1)........................ 195 2.3 Fazit ...................................................................................................... 198 3. Leben und Tod von Monseñor Oscar Romero: Ein Beitrag zum Verständnis der Nachfolgeworte in unserer Zeit.............. 199 3.1 Zur Hermeneutik der Nachfolgeworte ................................................. 199

16

Inhaltsverzeichnis

3.2 Leben und Schriften des Oscar A. Romero.......................................... 200 3.2.1 Historische Vorbemerkung: El Salvador zur Zeit des Bürgerkriegs...................................... 200 3.2.2 Biographische Notizen.............................................................. 200 3.2.3 Kandidat der Reichen................................................................ 201 3.2.4 Die Bekehrung .......................................................................... 202 3.2.5 Stimme derer, die keine Stimme haben .................................... 202 3.2.6 Rückkehr zu den Wurzeln......................................................... 203 3.2.7 Märtyrer ohne Todessehnsucht ................................................. 205 3.2.8 Die Evangelisierung der Gesellschaft....................................... 206 3.2.9 Eine Zivilisation der Liebe........................................................ 208 3.2.10 Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen .............................. 208 3.2.11 Vom Volk lernen....................................................................... 210 3.2.12 Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt........................... 212 3.2.13 Erfüllt von der Hoffnung .......................................................... 212 3.3 Fazit ...................................................................................................... 213 4. Die Verklärungserzählung (Mk 9,2-13)....................................................... 215 4.1 Kontext, Herkunft, Gattung und Struktur............................................. 215 4.2 Auslegung............................................................................................. 216 4.2.1 Die Verklärung Jesu (Mk 9,2-8) ................................................ 216 4.2.2 Der Abstieg vom Berg (Mk 9,9-13)........................................... 225 4.3 Fazit ...................................................................................................... 228 5. Die Heilung eines epileptischen Jungen (Mk 9,14-29)................................ 231 5.1 Kontext, Überlieferungsgeschichte und Struktur................................. 231 5.2 Auslegung............................................................................................. 233 5.2.1 Das Versagen der Jünger (VV.14-19b)...................................... 233 5.2.2 Die Heilung (VV.19c-27) .......................................................... 236 5.2.3 Die Jüngerbelehrung (VV.28 f.) ................................................ 242 5.3 Fazit ...................................................................................................... 245 6. Zwischenergebnis: „Wer sein Leben hingibt, wird es retten.“ Die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung in ihrem Kontext... 247

Inhaltsverzeichnis

17

7. Die Jüngerbelehrungen vom „Dienen“ ........................................................ 249 8. Die ausführliche Belehrung vom „Dienen“ (Mk 10,35-45) ........................ 253 8.1 Stellung im Kontext, Form und Überlieferungsgeschichte.................. 253 8.2 Auslegung............................................................................................. 254 8.2.1 Die Frage der Zebedäussöhne (Mk 10,35-40) ........................... 254 8.2.2 Die Unterweisung an die Zwölf (Mk 10,41-44) ........................ 258 8.2.3 Das Beispiel des Menschensohnes (Mk 10,45) ......................... 264 8.3 Fazit ...................................................................................................... 271 9. Die Bedeutung des/r „Anderen“ bei Emmanuel Lévinas: ein hermeneutisches Modell zum Verständnis des „Dienens“ .................... 273 9.1 „Ontologie“ und Seinsbegriff nach Lévinas ........................................ 274 9.2 Das Antlitz des Nächsten als ethische Vorgabe................................... 276 9.3 Das Antlitz der Anderen als „Spur“ Gottes.......................................... 279 9.4 Sich selbst finden im Dienst am Anderen ............................................ 281 9.5 Zusammenführung: Die Bedeutung des „Dienens“ vor dem Hintergrund der Philosophie Emmanuel Lévinas’................. 283 10.Vom Umgang mit den Kleinen (Mk 9,33-50).............................................. 285 10.1 Kontext und Thematik, Struktur und Herkunft .................................... 285 10.2 Auslegung............................................................................................. 287 10.2.1 Der erste Rangstreit und die erste Belehrung vom Dienen (Mk 9,33-37) ............................................................................. 287 10.2.2 Zum Umgang mit den „Kleinen“ (Mk 9,38-50) ....................... 293 10.3 Fazit ...................................................................................................... 298 11.Die Frage nach der Ehescheidung (Mk 10,1-12) ......................................... 299 11.1 Kontext und Form, Aufbau und Herkunft............................................ 299 11.2 Auslegung............................................................................................. 300 11.2.1 Der Übergang (V.1) .................................................................. 300 11.2.2 Das Gespräch mit den Pharisäern (VV.2-9) ............................. 301 11.2.3 Die Jüngerbelehrung (VV.10-12) ............................................. 305 11.3 Fazit: Eheliche Treue als Rücksichtnahme gegenüber den „Kleinen“ 307

18

Inhaltsverzeichnis

12.„Lasst die Kinder zu mir kommen“ (Mk 10,13-16)..................................... 309 12.1 Kontext, Aufbau und Herkunft............................................................. 309 12.2 Auslegung............................................................................................. 309 12.3 Fazit ...................................................................................................... 313 13.Über den Besitz und das Eingehen in das Reich Gottes (Mk 10,17-31) ..... 315 13.1 Kontext, Struktur, Gattung und Herkunft............................................. 315 13.2 Auslegung............................................................................................. 317 13.2.1 Jesus und der reiche Mann (VV.17-22) .................................... 317 13.2.2 Die Reichen und das Reich Gottes (VV. 23-27)....................... 320 13.2.3 Der Lohn des Lassen-Könnens (VV.28-31) ............................. 323 13.3 Fazit ...................................................................................................... 325 14.Zwischenergebnis: „Der soll aller Diener sein.“ Der Kontext der zweiten und dritten Ankündigung..................................... 327 15.Blinde werden sehend. Heilung und Nachfolge des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52)................... 329 15.1 Stellung im Kontext, Herkunft, Form und Aufbau .............................. 329 15.2 Auslegung............................................................................................. 331 15.3 Die Heilung des blinden Bartimäus als Abschluss des Mittelteils....... 336 15.4 Die beiden Blindenheilungen als Rahmen des Mittelteils ................... 337 15.5 Fazit ...................................................................................................... 339 SCHLUSSWORT ................................................................................................... 341 Literaturverzeichnis........................................................................................... 347

Hinführung 1.

Vorbemerkungen

1.1

Thema und Vorgehensweise

Bei der Beschäftigung mit Deutungen des Todes Jesu in den neutestamentlichen Schriften wird man bald feststellen, dass es nicht die Deutung gibt, sondern eine Vielzahl von Deutungsansätzen.1 Diese Todesdeutungen sind nicht als dogmatische Festschreibung, sondern poetisch-bildhafter zu denken: nämlich als Suche nach einem möglichen Umgang mit dem Schock und ungeheuren Skandalon des Kreuzestodes Jesu, der doch in der Auferstehung als „Sohn Gottes“ (Mk 1,1) bestätigt worden war. Verschiedene Bilder aus der Tradition werden dabei in der Art einer Metapher oder eines Vergleiches auf den Tod Jesu bezogen. In der vorliegenden Arbeit soll die Sichtweise des Markusevangeliums auf den Tod Jesu untersucht werden. Neben der Passionsgeschichte und dem größeren Block der in Jerusalem spielenden Handlung fällt hier der Blick auf die drei Ankündigungen von Tod und Auferstehung Jesu (Mk 8,31; 9,31; 10,32-34). Diese bieten sich für die Analyse auch deshalb an, weil der Mittelteil des Evangeliums (Mk 8,22/27-10,52), in dessen größeren Kontext die drei Ankündigungen eingebettet sind, vom Evangelisten sehr sorgfältig gestaltet worden ist. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass jede Ankündigung mit einem Jüngerunverständnis und einer Jüngerbelehrung verbunden ist. Darin geht es um die Reaktion der Jünger, die als Spiegelbild der markinischen Gemeinde gelten können, auf den Leidensweg Jesu, und um die Konsequenzen für die Nachfolge – insbesondere in Bezug auf Einsatz und Gewinn des eigenen Lebens (Mk 8,34-9,1) und auf die innergemeindlichen und gesellschaftlichen Beziehungen (Mk 9,33-37; 10,35-45). Die Verbindung der Ankündigungen von Leiden und Auferstehung mit den Jüngerbelehrungen vom „Kreuztragen“ und vom „Dienen“ ist keine zufällige. Von daher darf vermutet werden, dass sie etwas über das genuin markinische Verständnis vom Tod Jesu aussagt. Neben den Dissertationen von Ornelas (“Caminho de Morte, Destino de Vida”, 1998) und Weihs („Die Deutung des Todes Jesu im Markusevangelium“, 2003) gibt es bisher meines Wissens kaum ausführliche Monographien zur 1

Weihs spricht von einem „Netz“ (Deutung, 404; 519) oder einem „Chor“ (ebd., 496) todesdeutender Motive. Ähnlich „vielfältig und wenig systematisch“ sind auch die neutestamentlichen Vorstellungen von der Auferstehung; vgl. Fascher, Anastasis, 199.

20

Hinführung

Deutung des Todes Jesu bei Markus oder auch zum Mittelteil des Evangeliums. Ornelas analysiert den Mittelteil mit einem Akzent auf der Spannung zwischen Leidensweg und Auferstehung, fokussiert jedoch nicht auf die Deutung des Todes Jesu. Das tut wiederum Weihs; er analysiert jedoch die Ankündigungen von Leiden und Auferstehung, ohne deren Kontext und motivgeschichtlichen Hintergrund in angemessener Weise zu berücksichtigen. So greift er ohne weitere Begründung die Termini FGK (es muss) und RCTCFKFQPCK (überliefert werden) als „todesdeutende Zentralmotive“2 heraus und zieht Rückschlüsse auf eine sühnetheologische Deutung des Todes Jesu im Markusevangelium. So wurde der Mittelteil als Ganzes wohl noch nie unter dem Gesichtspunkt der Deutung des Todes Jesu untersucht. Auch gibt es keine detaillierte motivgeschichtliche Analyse der Ankündigungen von Leiden und Auferstehung. Beide Aspekte versuche ich in der vorliegenden Studie zu verbinden. Als weiteren Kontext beziehe ich, soweit es möglich ist und hilfreich erscheint, das sozialgeschichtliche Umfeld in die Interpretation der Evangelientexte ein. Der Evangelist schreibt ja für eine konkrete Gemeinde, der er aus der Überlieferung Lebenshilfen an die Hand geben will. Insbesondere das Wort vom „Gewinnen“ und „Verlieren“ des Lebens und die Aufforderungen zum „Dienen“ scheinen im heutigen gesellschaftlichen Kontext höchst aktuell. Um deutlich zu machen, was es heute bedeuten kann, zu dienen und dabei erfülltes Leben zu gewinnen, ziehe ich Lebenszeugnis und Texte des salvadorianischen Erzbischofs Oscar Romero und Texte des jüdischen Philosophen Emmanuel Lévinas bei. Diese Ausführungen platziere ich bewusst in der Auslegung der Evangelientexte, um die heutigen Gestalten möglichst direkt mit dem Evangelisten in Dialog treten zu lassen. Wir werden feststellen, dass wir uns als Gläubige und als Menschen bei allem historischen Abstand nicht so sehr von der Gemeinde des Markus unterscheiden, als dass seine „Frohe Botschaft“ nicht auch uns eine Lebenshilfe sein könnte. Unabhängig vom Kontext des Mittelteils enthalten die drei Ankündigungen selbst bereits eine Reihe von todesdeutenden Motiven. Diese sollen im motivgeschichtlichen ersten Teil der Arbeit untersucht werden. Im zweiten Teil wollen wir sodann der Frage nachgehen, was der Kontext über die Deutung des Todes Jesu, über das Verständnis von Nachfolge und Gemeinde aussagt. In einem kurzen Fazit sollen jeweils die Ergebnisse der einzelnen Abschnitte und ihr Beitrag zu unserer Fragestellung festgehalten werden. Unser methodischer Schwerpunkt liegt insgesamt auf der „synchronen“ Analyse der Texte; d. h., es geht uns weniger um die Benennung der einzelnen Traditionsstücke und ihrer Herkunft als vielmehr um die Art und Weise, wie der Verfasser sie in sein Evangelium eingebunden hat und welchen Sinn er ihnen im Gesamt seines 2

So eine Überschrift in Deutung, 453.

Hinführung

21

Werkes gibt. Lediglich der Überlieferungsgeschichte der drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung soll in der Hinführung ein kurzer Abschnitt gewidmet werden.

1.2

Einige methodische Details

Mk 8,31; 9,31; 10,32-34 kündigen sowohl Leiden und Tod als auch die Auferstehung Jesu an und sind deshalb korrekterweise als „Leidens- und Auferstehungsankündigungen“ zu benennen. Aus sprachpraktischen Gründen werde ich mir jedoch erlauben, von „Leidens-“ bzw. „Auferstehungsankündigungen“ zu sprechen, wo ich ausschließlich auf den jeweiligen Aspekt Bezug nehme. Bei der Angabe von Bezugsstellen aus dem Alten Testament folge ich grundsätzlich dem Masoretischen Text (M). Wo ich auf die Septuaginta (LXX) Bezug nehme, folge ich deren Zählung. Der Anwesenheit von Frauen und Männern unter der Leser- und Hörerinnenschaft des Markusevangeliums wie auch der Lesbarkeit der Arbeit soll dadurch Rechnung getragen werden, dass männliche und weibliche Formen nach Möglichkeit im Wechsel gebraucht werden. Ich bitte um Nachsicht, wo dies nicht zu aller Zufriedenheit gelingt. Eine letzte Anmerkung betrifft den griechischen Titel MWTKQL. Die deutsche Übersetzung „Herr“ wird von feministischen Theologinnen aufgrund der Gender-Problematik zu recht problematisiert. Allerdings hat der Titel im ursprünglichen kulturellen Kontext ebenso anstößige Konnotationen. So betrachtet sich ein Sklavenhalter als unumschränkter „Herr“ (MWTKQL) seiner Sklaven (vgl. Mt 10,24 f.; Lk 16,13; 17,7-10). Um die Entstehungszeit des Markusevangeliums beginnen römische Kaiser, sich als MWTKQL betiteln und wie ein Gott verehren zu lassen.3 In den Septuaginta übersetzt MWTKQL das Tetragramm KZK\, den Gottesnamen, der beim Lesen der hebräischen Bibel mit dem Wort adonai („mein Herr“) ersetzt wird. Bereits im Kontext der ptolemäischen Herrschaft in Ägypten, in deren Einflussbereich die Septuaginta entstanden,4 ist dieser Gottesname eine implizite Herrschaftskritik. Gott ist der eigentliche „Herr“. Ihm kommt genau die Macht zu, die sich weltliche Herrscher zu unrecht anmaßen. Für die Adressaten des Markusevangeliums ist der „Herr“ Jesus Christus, der selbst diente, anstatt sich dienen zu lassen (Mk 10,45) und einen Sklaventod starb, ein Gegenbild zu Kaisern und Sklavenhaltern. 3

4

So Caligula (37-41); später auch Domitian (81-96), der jüngere Sohn des Vespasian und Nachfolger seines Bruders Titus, der sich von seinem Umfeld als “Dominus et Deus” anreden ließ. Vgl. S.259. Zur Entstehung der Septuaginta vgl. S.24, A.5.

22

Hinführung

Um sowohl der Anstößigkeit des Titels wie auch seiner Geschichte als Gottesname in der griechischen Bibelübersetzung und seiner herrschaftskritischen Funktion Rechnung zu tragen, habe ich mich entschieden, in der vorliegenden Arbeit „Kyrios“ in deutscher Umschrift stehen zu lassen.

2.

Verortung des Mittelteils im Evangelium

2.1

Historischer und literarischer Hintergrund des Markusevangeliums

Das Markusevangelium ist das älteste der vier kanonischen „Evangelien“ und das erste Zeugnis dieser bis dahin unbekannten Gattung. Es versammelt zuvor mündlich oder auch schriftlich überlieferte Traditionen verschiedener Gattungen (Lehr- und Streitgespräche, Wundergeschichten, Apokalypse, Einzelworte) in einer biographischen Erzählung von „Jesus, dem Sohn Gottes“ (V.1). Zum Teil gibt es Überschneidungen mit dem Material der Logienquelle und des Johannesevangeliums.1 Der Text erhielt seine Endgestalt vermutlich in der zweiten Generation christlicher Gemeinden um die Zeit der Zerstörung des zweiten Tempels im Jüdischen Krieg 70 n. Chr. Der redaktionelle Rahmen der markinischen Apokalypse nimmt Bezug auf die drohende Tempelzerstörung (Mk 13,2). Je nachdem, ob man dies als Rückblick auf bereits vergangene Ereignisse („Vaticinium ex Eventu“) oder als „echte“ Weissagung deutet, kommt man zu einer Abfassungszeit kurz vor oder nach der Tempelzerstörung. In der neueren Literatur wird die Endredaktion des Markusevangeliums häufig in das sogenannte „Vier-Kaiser-Jahr“ 68/69 n. Chr. datiert.2 Nachdem die Ausrufung Galbas zum Kaiser Nero am 9.6.68 in den Selbstmord getrieben hatte, erhoben nacheinander dessen Generäle Galba (3.4.68-15.1.69), Otho (15.1.-14.4.69), Vitellius (2.1.-20.12.69) und Vespasian (Sommer 69) Anspruch auf den Kaiserthron. Vespasian, der seit dem Jahr 67 die römischen Truppen in Judäa befehligt hatte, konnte sich schließlich als Kaiser durchsetzen. Der Jüdische Krieg begann im Jahr 66 n. Chr. Als der römische Statthalter Gessius Florus, der sich durch Repression und stetig steigende Steuern beim Volk unbeliebt gemacht hatte, zuletzt gar einen Teil des Tempelschatzes für das Imperium forderte, brach in großen Teilen Judäas ein Guerillakrieg gegen die Besatzer aus. Die gemäßigten Stimmen verloren in der Bevölkerung an Rückhalt. Nach militärischen Erfolgen der Aufständischen, die das vom syrischen Statthalter entsandte Heer im Herbst 66 vernichtend geschlagen hatten, schickte Nero Vespasian mit 30.000 Legionären und etwa ebenso vielen Hilfstruppen 1

2

Überschneidungen mit der Logienquelle finden sich in dem von uns betrachteten Evangelienabschnitt in Mk 8,34 f.38 (vgl. S.183); 9,37.40-50 (vgl. S.286 f.); Überschneidungen mit dem Johannesevangelium in Mk 8,29.31-33 (vgl. Joh 6,62.68-71 sowie S.50); Mk 8,36 (vgl. Joh 12,25); Mk 9,37 (vgl. Joh 13,20). Vgl. van Iersel, Mark, 39-49; Söding, Evangelist, 16-19; Eckey, Markusevangelium, 7 f. sowie bereits Hengel, Entstehungszeit, 21-31.

24

Hinführung

nach Judäa. Dieser konnte vor allem in Galiläa schnelle Erfolge verbuchen. Die Erstürmung des von Aufständischen kontrollierten Jerusalem überließ Vespasian, der sich nach seiner Ausrufung zum Kaiser nach Rom begeben musste, seinem ältesten Sohn und späteren Nachfolger Titus. Nach langer Belagerung und Hungersnot wurde die Stadt im Jahr 70 erobert und völlig zerstört. Mit der Stadt wurde auch der Tempel dem Erdboden gleich gemacht, Tempelschatz und Kultgeräte geplündert und nach Rom gebracht. Juden aus Palästina flohen in alle Teile des Reiches. Die Zuschreibung des Evangeliums an Markus, den Übersetzer des Petrus,3 geht auf Papias (ca.70-140) zurück, der Bischof von Hierapolis nahe dem heutigen Pamukkale (Türkei) war. Dessen Schriften, fünf Bücher mit dem Titel NQIKYPMWTKCMYPGXZJIJUGKL, zu Deutsch „Auslegung der Worte des Herrn“, sind nur in Zitaten und Anspielungen bei anderen Kirchenvätern, nämlich Irenäus von Lyon (Adv haer V 33,4) und Eusebius von Caesarea (Hist eccl III 36,1-2; 39,1 ff.), erhalten. Papias beruft sich auf den Apostel Philippus, der seinen Lebensabend in Hierapolis verbracht und dessen Töchter er persönlich gekannt habe (Euseb Eccl hist III 39,9). Die Einschätzung der Glaubwürdigkeit des Papias unter späteren antiken Autoren geht auseinander. In der vorliegenden Arbeit gebrauchen wir den Autorennamen synonym mit „der Redaktor“ oder „der Evangelist“. Wenn wir von „Markus“ sprechen, meinen wir also denjenigen einzelnen oder diejenige Gruppe von Schriftstellern, die ältere Einzeltraditionen zu Leben und Wirken Jesu im Markusevangelium gesammelt, ausgewählt, in die vorliegende Reihenfolge gebracht und mit einem gemeinsamen Kontext versehen, überarbeitet und vermutlich auch einen Teil der Texte selbst geschaffen hat. Der Erzähler des Markusevangeliums ist „mit dem impliziten Verfasser identisch. Er tritt nirgends als erzählte Figur auf, sondern erzählt aus der dritten Person allgegenwärtig und allwissend, d. h. er kennt nicht geäußerte Gedanken und Gefühle und greift gelegentlich kommentierend in die Erzählung ein“ (vgl. Mk 9,6.32; 10,32).4 Der Verfasser schreibt in einem einfachen Griechisch. Er muss sich in jüdisch-hellenistischen Schriften und im Alten Testament ausgekannt haben, das er in der Übersetzung der Septuaginta zitiert.5 Manche seiner Quellen enthalten noch einzelne hebräische oder aramäische Worte, die er stehen lässt (vgl. Mk 3 4 5

Vgl. Euseb Hist eccl III 39,15; Apg 12,12.25; 13,5.13; 15,37-39. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 75. Diese griechische Übersetzung der hebräischen Heiligen Schrift entstand ab ca. 250 v. Chr. vermutlich in Alexandria. Bei der Abfassung der griechischen Übersetzung des Buches Jesus Sirach (nach 142 v. Chr.) scheint die komplette Übersetzung vorgelegen zu haben (vgl. das Vorwort des Übersetzers). Der Namen „Septuaginta“ (Siebzig) geht auf den Aristeasbrief (ca. 150-100 v. Chr.) zurück, der als Übersetzer eine Gruppe von 72 Ältesten nennt.

Hinführung

25

3,17-19; 5,41; 7,11; 8,33; 10,46.51; 11,9 f.;14,1.32.36.45; 15,22.34). Er übersetzt sie jedoch großenteils ins Griechische, was darauf schließen lässt, dass ein Teil seiner Leserschaft nicht Hebräisch oder Aramäisch sprach. Auch die jüdischen Sitten muss er erklären (vgl. Mk 7,1-4). Das Evangelium ist daher kaum in Palästina entstanden. Als Adressaten kann man sich eine jüdische Gemeinde mit einem Kreis „weder durch Geburt noch durch Konversion voll zugehöriger SympathisantInnen“ vorstellen.6 Als Abfassungsort wird häufig Rom vermutet.7 Für eine Abfassung im römischen Einflussbereich spricht z. B. die Tatsache, dass die Spende der armen Witwe von 2 griechischen Lepta in römische Währung umgerechnet wird (ein Quadrans; vgl. Mk 12,42).8 Eine redaktionelle Glosse in Mk 10,30 und der vermutlich ebenfalls redaktionell eingefügte Abschnitt Mk 13,9-13 erwähnen Verfolgungen der Gemeinde, die mit der auf Rom beschränkten Verfolgung der Christen unter Nero nach dem Brand der Stadt um 64 in Verbindung gebracht werden könnten.9 Die soziopolitischen und kulturellen Gegebenheiten, auf die das Markusevangelium implizit oder explizit Bezug nimmt, waren in den Grundzügen überall im Mittelmeerraum ähnlich; so die agrarische Wirtschaftsweise, die patriarchalen Familienstrukturen und das von Rom her gesteuerte politische System.10 Allerdings fehlen „von breiten Schichten historische Zeugnisse“, was auch belegt, dass diese zum großen Teil von der Gestaltung der Gesellschaft ausgeschlossen blieben.11 Bereits die Überschrift macht deutlich, dass das Evangelium kein einfacher Lebensbericht Jesu sein will. Der Autor bekennt Jesus als „Sohn Gottes“. Sein 6 7 8

9

10 11

Scherer, Diakonos-Sprüche, 9 mit Verweis auf Meeks, Urchristentum, 80 f.; Stegemann, Sozialgeschichte, 223 f. So u. a. Hengel, Entstehungszeit, 44 f.; van Iersel, Mark, 33-35; Eckey, Markus, 9. Der Quadrans ist seit der späten Republik die kleinste römische Münze im Wert von 1/64 Denar. Ab Mitte des 2. Jh. werden keine Quadranten mehr geprägt. 100 griechische Lepta entsprechen einer Drachme. So Hengel, Entstehungszeit; 36; vgl. auch Gnilka, Markus 2, 103. Schottroff, Apokalyptik, 715-721 denkt an eine Verfolgung im Osten des Imperiums unter Vespasian (6879); Theißen, Lokalkolorit, 175 an die Verfolgung der Jerusalemer Gemeinde durch Agrippa I. 42 n. Chr., bei der der Zebedaïde Jakobus enthauptet und auch Petrus gefangen genommen wurde (vgl. Apg 12,1-4). Weitere Verfolgungen der frühen Zeit sind die Verbannung der Juden als Anhänger des „Chrestus“ aus Rom im Jahr 49 unter Claudius (Suet Claud 25,4), die im Zusammenhang der Steinigung des Stephanus berichtete Verfolgung der hellenistischen Gemeinde im Jerusalem der 30er Jahre (vgl. Apg 6,1-8,3) sowie die Jos Ant 20,9,1 berichtete Steinigung des Herrenbruders Jakobus, eines der Leiter der Jerusalemer Gemeinde, im Jahr 62 auf Geheiß des Hohenpriesters Anan ben Anan. Zur redaktionellen Einfügung von Mk 9,9-13 vgl. Theißen, ebd., 139; 166 f. Vgl. Malina, Welt, 31-35; Stegemann, Sozialgeschichte, 19-57. Scherer, Diakonos-Sprüche, 10; vgl. Stegemann, Sozialgeschichte, 58.

Hinführung

26

Interesse an Jesus ist nicht das eines Historikers, sondern eines Menschen, der seinen Glauben mitteilen und auch andere für diesen Glauben gewinnen und ermutigen möchte. Dabei hat er eine konkrete Gemeinde und deren spezifische Problemstellungen im Blick.

2.2

Gliederung

Was die Struktur des Markusevangeliums betrifft, so kommen verschiedene Autoren zunächst aufgrund inhaltlicher Kriterien zu einer zwei- bzw. dreiteiligen Gliederung. Die zweiteilige Gliederung von de la Potterie stützt sich neben inhaltlichen Kriterien auf die verwendeten Hoheitstitel. Im ersten Teil (1,14-8,26) wird in Wundern und Lehre schrittweise Jesu Identität als „Sohn Gottes“ (1,1) offenbar, während der zweite Teil (8,27-16,8) den Weg des „Menschensohnes“ durch Leiden und Tod beschreibt. Titel und Vorspann mit der Taufe durch Johannes und dem 40tägigen Aufenthalt in der Wüste (1,1-13) werden als eigene Einheit aufgefasst. Die beiden Hauptteile werden nochmals in je drei Abschnitte untergliedert: Ein erster Abschnitt (1,14-3,6) umfasst das Wirken Jesu in Kapharnaum sowie diverse Heilungsgeschichten und Streitgespräche; der zweite Abschnitt (3,7-6,6a) die Gleichnisrede, die Stillung des Seesturms, zwei weitere ausführliche Heilungsgeschichten und einen Aufenthalt in der Heimatstadt Jesu. Der dritte Abschnitt (6,6b-8,26) wird durch die beiden Brotvermehrungen bestimmt. Der zweite Hauptteil gliedert sich in den Weg nach Jerusalem (8,2710,52), das Wirken daselbst (11,1-13,37) sowie Passion und Auferstehung (14,116,8).12 Gestützt auf die geographische Zuordnung der Handlung definieren die Vertreter einer dreiteiligen Gliederung den Abschnitt, der „auf dem Weg“ zwischen Galiläa und Jerusalem spielt, als eigenen Hauptteil neben den Teilen in Galiläa und Jerusalem.13 Eine Gliederung aufgrund des Zeitschemas schlägt Ludger Schenke vor. Ausgehend von der Beobachtung, dass das Wirken Jesu in Jerusalem sich genau über eine Woche, nämlich von Sonntag (11,1-11) zu Sonntag (16,1), erstreckt, und von Erwähnungen weiterer Sabbattage (1,21; 2,23; 6,1; 9,2) kommt er zu einer Unterteilung in sieben Erzähleinheiten, die „jeweils eine Woche abbilden“ (1,14-31; 2,1-3,6; 3,7-6,13; 6,30-8,26; 8,27-9,29; 9,30-10,52; 11,1-16,1) – 12

13

So De la Potterie, De Compositione, 138-141 und in der Folge Beutler, Weg, 10 f.; Stock, Cammino, 2. Dieselben Unterabschnitte legt Schweizer seinem Kommentar zugrunde. Das Messiasbekenntnis des Petrus Mk 8,27-30 bildet dann den Übergang zwischen den beiden Hauptteilen des Evangeliums; vgl. Beutler, ebd., 12. So u. a. Best, Mark, XXVII-XXVIII; Ernst, Markus, 17-19; Ornelas, Caminho, 36.

Hinführung

27

abgesehen von Titel, Prolog und der Retrospektive auf den Tod des Johannes in 6,14-29. Mit dem Gang der Frauen zum Grab beginnt die (unabgeschlossene) achte Woche.14 Aufgrund der Beobachtung, dass sich mit den Ortsangaben jeweils charakteristische Konnotationen verbinden,15 modifiziert van Iersel nochmals das dreiteilige Modell. Neben sogenannten „Scharnierstücken“, die er als Übergänge zwischen den jeweiligen Hauptteilen betrachtet, löst er den Abschnitt „am Grab“ aus dem dritten Hauptteil heraus. Das Ergebnis ist eine fünfgliedrige Struktur mit drei Hauptteilen, der ich mich anschließen möchte. Den ersten und fünften Teil betrachte ich jeweils als Prolog bzw. Epilog der Erzählung.16 Titel 1,1 Prolog: In der W üste 1,2-13 Scharnierstück 1,14 f. 1. Hauptteil: In Galil äa 1,16-8,21 Blind – sehend (1) 8,22-26 2. Hauptteil: Auf dem Weg 8,27 -10,45 Blind – sehend (2) 10,46-52 3. Hauptteil: In Jerusalem 11,1 -15,39 Scharnierstück 15,40 f. Epilog: Am Grab 15,42-16,8 17

Abbildung: Struktur des Markusevangeliums

Van Iersel legt für das Evangelium als Ganzes eine konzentrische Struktur zugrunde, wie sie auch in der Verknüpfung kleinerer Einheiten für Markus typisch ist („markinische Schachtel“, „Sandwichkonstruktion“).18 So ordnet er 14 15 16 17 18

Vgl. Markusevangelium, 13-15; Zitat: 15. Vgl. van Iersel, Geographie, 275 f. Vgl. S.29, A.20. In Anlehnung an van Iersel, Markus, 68. Vgl. etwa die Rahmung der Heilung der blutflüssigen Frau durch die Auferweckung der Tochter des Jaïrus (Mk 5,21-24.25-34.35-43) oder die Rahmung der Tempelreinigung durch die Verfluchung des Feigenbaums (Mk 11,12-14.15-19.20-21) sowie van Iersel, Markus, 67.

Hinführung

28

die fünf Teile des Evangeliums und die Scharnierstücke paarweise einander zu. Der zweite Hauptteil „Auf dem Weg“ bildet in dieser Struktur die arithmetische Mitte und zugleich den inhaltlichen Mittelpunkt der Gesamtkomposition. Markus muss demnach „als eine konzentrische geographische Komposition gelesen werden [...], wobei das Binnenstück ‚der Weg’ grundlegend ist für den Sinn seines ganzen Evangeliums.“19 Abweichend von van Iersel möchte ich die Struktur des Evangeliums nicht als Konzentrik im strengen Sinne verstehen. Vielmehr lege ich einen „Erzählbogen“ analog zum antiken Drama zugrunde: Im ersten Teil entwickelt sich in der zunehmenden Beliebtheit und Bekanntheit Jesu ein aufsteigender Erzählbogen. Zugleich lösen seine Wunderheilungen und Predigten einen Konflikt mit der herrschenden Oberschicht aus. Dieser gewinnt im dritten Teil die Oberhand und entlädt sich in der Verurteilung Jesu als Verbrecher mit Zustimmung des Mobs, der ihm zuvor noch zugejubelt hatte: der Erzählbogen fällt ab. Dem Mittelteil kommt auch in diesem Schema zentrale Bedeutung zu. Er ist die Peripetie, der Höhepunkt und zugleich Wendepunkt der Erzählung. Ein Nachteil der Gliederung von van Iersel ist auch die zu starke Zäsur zwischen Tod und Auferstehung Jesu. Beide sind, wie bereits an den Ankündigungen von Leiden und Auferstehung abzulesen ist und wie auch im Verlauf der vorliegenden Studie noch deutlich werden wird, unbedingt zusammen zu sehen. Eins kann ohne das andere nicht verstanden, geschweige denn verkündigt werden. Die Konnotationen und wechselseitigen Bezüge, die van Iersel für die einzelnen Teile herausarbeitet, bleiben jedoch bedenkenswert. Im folgenden sollen, ausgehend vom Prolog, zunächst die wichtigsten Themen und Motive des Markusevangeliums vorgestellt werden. Anschließend werden wir auf der Basis der Überlegungen von van Iersel die Bezüge der einzelnen Teile zueinander und zum Mittelteil darstellen. Wir konzentrieren uns dabei auf diejenigen Aspekte, die einer Hinführung zu unserer Themenstellung dienlich sind.

19

Van Iersel, Geographie, 296.

Hinführung

2.3

Ein inhaltlicher Überblick

2.3.1

Der Prolog als „Ouvertüre“ des Evangeliums

29

Der erste Teil „In der Wüste“ kann analog zum Johannesevangelium oder zum Aufbau antiker Reden als Prolog des gesamten Werkes verstanden werden.20 Hier klingen wie in einer Opernouvertüre21 bereits die wichtigsten Themen und Motive an, die im weiteren Verlauf des Buches entfaltet werden. Wichtige Informationen werden dem Leser vorweg gegeben; darunter die, die bereits im Titel enthalten ist und die Identität Jesu betrifft: Jesus ist „der Messias (Christus), der Sohn Gottes“ (Mk 1,1). Die herabsteigende Taube (1,10) sowie die Himmelsstimme in der Taufszene („Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ 1,11) sind nur für Jesus und für die Leserin sichtbar und hörbar.22 Damit hat der Leser einen gewaltigen Vorsprung vor den Figuren der Erzählung, die im gesamten ersten Hauptteil um die Frage der Identität Jesu kreist. Das zentrale Schlagwort des zweiten Teils, der „Weg“ (QBFQL), klingt in Mk 1,2 und 3 gleich zweimal an; dazu werden in 1,3 noch die „Pfade“ (VTKDQK) genannt. Beide Verse enthalten ein Mischzitat, in dem zentrale Ereignisse aus der Geschichte Israels in Erinnerung gerufen werden. Vers 2b greift auf eine Verheißung an das Volk Israel aus Ex 23,20 zurück: „Ich werde einen Engel schicken, der dir [ins Gelobte Land] vorausgeht“. Hier scheint die Erinnerung an den Exodus auf, Gottes Befreiungstat an den versklavten Israeliten, das UrEreignis, in dem die Geschichte Gottes mit seinem Volk beginnt. In frühjüdischer Zeit wurde die Rettung am Ende der Zeiten zuweilen wie ein neuer Exodus erwartet. In dieses Bild passt auch der Vers 5 mit der Erwähnung großer Volksscharen und des Jordan, was an die Überschreitung des Jordan und die Ankunft im Gelobten Land (Jos 3) erinnert.23 Ebenso kann der 40tägige Wüstenaufenthalt Jesu (V.13) als Anspielung auf den 40 Jahre dauernden Zug des

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Damit wird ein Begriff aus dem antiken Drama auf eine andere Gattung übertragen, wie dies bereits Aristoteles für das Gebiet der Rhetorik tut; vgl. Klauck, Vorspiel, 16 f.; Dormeyer, Prolog, 183; 199. Zu den Einwänden bei Dautzenberg, Zeit, 229-231 vgl. Klauck, ebd., 36-39. Vgl. Genette, Erzählung, 30. Dormeyer vergleicht Vision und Audition mit den Berufungsvisionen im Buch Jesaja (6,1-13; 40,1-11; 42,1-9) und im Henochbuch (1 Hen 65,4-5). Ähnlich wie in Jes 6,5-7 gehe es in der Taufe des Johannes „zur Vergebung der Sünden“ (Mk 1,4) zunächst um die Reinigung des Propheten von Schuld (vgl. Prolog, 193). Vgl. Klauck, Vorspiel, 62 mit Verweis auf Drury, Interpretation, 31. Als Beleg für die Erwartung eines neuen Exodus führt Klauck eine Stelle aus Jos Ant 20,97 an, wo ein zeitgenössischer Prophet behauptet, „er könne durch sein Machtwort die Fluten des Jordan teilen“, und dadurch viele Anhänger gewinnt.

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Volkes Israel durch die Wüste gelesen werden.24 Eine andere Endzeiterwartung ist im Zusammenleben Jesu „mit den wilden Tieren“ (OGVC VYPSJTKYP) angesprochen. Dieses Motiv erinnert an die Vision vom eschatologischen Tierfrieden in Jes 11,6-8; 65,25, wo die Endzeit als „Wiederkehr paradiesischer Zustände“ (vgl. Gen 2,19 f.) erwartet wird.25 Das Motiv des Wegbereiters (V.2c: „er soll dir den Weg bereiten“) ist aus Mal 3,1 genommen. Die Rede ist von einer Vorläufergestalt, die Gott den Weg zum endzeitlichen Gericht bahnen soll – zum Gericht über die Mächtigen in Politik und Religion, die Rechtsverdreher, die Ausbeuter der Witwen und Waisen, Tagelöhner und Fremden, die im Kontext (Mal 2,17-3,12) einer heftigen Sozialkritik unterzogen werden. In Mal 3,23 f., wo ebenfalls der „Tag des Herrn“ angesprochen ist, wird dieser Wegbereiter mit Elija identifiziert. Möglicherweise ist auch die Szene der „Versuchung Jesu“ (V.13) als Anklang an die Elija-Erzählung zu lesen, genauer gesagt, an dessen Aufenthalt am Horeb (1 Kön 19). Der 40tägige Wüstenaufenthalt Jesu verwiese dann auf die 40 Tagesmärsche Elijas in die Wüste hinein (1 Kön 19,8).26 Wie Elija (1 Kön 19,4-8) wird Jesus in der Wüste von Engeln „bedient“ (FKCMQPGY).27 Das Motiv des „Dienens“ gewinnt insbesondere im Mittelteil des Evangeliums noch an Bedeutung (vgl. 9,35; 10,43). Nachdem Elija solcherart eingeführt wurde, tritt er auch innerhalb des Evangelienkorpus mehrmals in Erscheinung, und das an zum Teil zentralen Stellen. Zunächst wird Jesus zweimal mit ihm verglichen (Mk 6,15, 8,28), bevor er selbst Johannes den Täufer mit Elija identifiziert (vgl. Mk 9,11-13). In der Verklärungsszene im Mittelteil erscheint der Prophet persönlich (Mk 9,4). Am Ende des Buches wird schließlich Jesu Schrei am Kreuz von einigen Zuschauern als Ruf nach Elija gedeutet (Mk 15,35). Mk 1,3 ist ein Zitat aus Jes 40,3 LXX, wo ursprünglich den Israeliten die Heimkehr aus dem babylonischen Exil verheißen wird: „Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg für den Herrn, macht gerade die Pfade für unseren Gott!“ In späteren jüdischen und christlichen Traditionen werden diese 24 25 26 27

Vgl. Klauck, Vorspiel, 56 f. Klauck, Vorspiel, 58; vgl. Scherer, Diakonos-Sprüche, 62; Dormeyer, Prolog, 195 mit Verweis auf Vit Ad 37-39. Vgl. Klauck, Vorspiel, 57. Dormeyer, Prolog, 195 sieht daneben eine Parallele zur „Erprobung“ des Mose in der Wüste (Num 20,7-12). Klauck, Vorspiel, 59 verweist auf die ursprüngliche Bedeutung von FKCMQPGY im Zusammenhang mit dem Tischdienst (vgl. Weiser, FKCMQPGY, 726 f.), womit ein Anklang an die Speisung Elijas durch den Engel gegeben wäre. Scherer sieht den Dienst der Engel „in der Nähe jüdischer Adamsspekulation“ (Diakonos-Sprüche, 62 mit Verweis auf b Sanh 59b); vgl. auch Klauck, ebd.; Dormeyer, Prolog, 195 mit Verweis auf Vit Ad 37-39.

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Worte auf das Kommen Gottes am Ende der Zeit gedeutet. Im selben Kontext ist bei Jesaja die Rede von Jerusalem als „Botin der Freude“ (GWXCIIGNK\QOGPQL Jes 40,9 LXX), ein Motiv, das die „Frohe Botschaft“ aus Mk 1,1 wieder anklingen lässt.28 Die Beschreibung des Wegbereiters und Vorläufers der Endzeit kann sowohl auf Johannes als auch auf Jesus zutreffen. Im folgenden Vers (Mk 1,4) wird die „Stimme eines Rufers in der Wüste“ jedoch offensichtlich auf das Auftreten des Täufers in der judäischen Wüste bezogen: „Es trat Johannes in der Wüste auf“. Die LXX-Fassung, auf die Markus zurückgreift, macht aus der „rufenden Stimme“ des hebräischen Textes die „Stimme eines Rufenden“, was die Assoziation mit dem Auftreten des Täufers erleichtert. Auch die äußere Erscheinung des Johannes mit Mantel und Hüftgürtel erinnert an das Bild von Elija.29 Dagegen wird Jesus im Evangelienkorpus zwar häufiger mit Elija verglichen, jedoch nur durch „unautorisierte“ Stimmen (vgl. Mk 6,15; 8,28). Jesus selbst identifiziert beim Abstieg vom Berg der Verklärung den Täufer als wiedergekommenen Elija (vgl. Mk 9,11-13). Jesus wäre demnach das in Mk 1,2 angeredete „Du“ (vgl. die Himmelsstimme bei der Taufe in V.11) und der „Kyrios“, dem der Weg bereitet wird. Damit ist ein weiterer Titel neben dem „Sohn Gottes“ aus V.1 genannt.30 Durch die christliche Erfahrung mit Johannes und Jesus wird die traditionelle Erwartung einer Vorläufergestalt vor dem Ende umgedeutet und neu konfiguriert: „Der Täufer in der Rolle des Elija als Vorläufer des Messias Jesus, das ist eine neue Konstellation, die sich erst der christlichen Interpretationsarbeit verdankt.“31 Das Auftreten Johannes’ und Jesu wird im Prolog weitgehend parallel geführt. Der Täufer wird dadurch zum Vorläufer Jesu nicht nur in zeitlichem, sondern auch in sachlichem Sinn.32 So weist auch seine Auslieferung, der Auf28 29

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Vgl. Klauck, Vorspiel, 50. 2 Kön 1,8 werden Mantel und Gürtel zum Erkennungszeichen des Propheten; 2 Kön 2,8.13 f. ist der Mantel des Elija Träger seiner prophetischen Geistbegabung, die auf Elischa übertragen wird. Sach 13,4 ist der härene Mantel allgemein Kennzeichen der Propheten. Vgl. Klauck, Vorspiel, 55; Heil, Transfiguration, 180. Vgl. Klauck, Vorspiel, 31; 46. Die Identifizierung Jesu mit dem „Kyrios“ ist insofern nicht ungewöhnlich, als dieser Titel in den christlichen Gemeinden sehr früh geläufig war; vgl. Röm 10,9; Phil 2,11; 1 Kor 7,10.12.25 u. ö. Klauck, Vorspiel, 55; vgl. Gnilka, Markus 2, 41 sowie Heil, Transfiguration, 177, A.9 mit Verweis auf Faierstein, Elijah; Allison, Elijah; Fitzmyer, Elijah; Marcus, Way, 110; Gundry, Mark, 483 f. Beider Auftreten wird zunächst mit GXIGPGVQ eingeleitet (VV.4.9). Sodann können die Verkündigungstätigkeit Jesu und des Täufers einander zugeordnet werden (MJTWUUYP V.4; GXMJTWUUGP NGIYP V.7 vgl. MJTWUUYP [...] MCK NGIYP VV.14 f.). Eine inhaltliche Entsprechung ist mit der Umkehrpredigt gegeben (DCRVKUOC OGVCPQKCL V.4 vgl.

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takt zum gewaltsamen Tod durch den Henker des Herodes (von dem uns Markus jedoch erst im 6. Kapitel berichtet), schon voraus auf das ähnliche Schicksal Jesu. Mit dem selben Verb wird an zahlreichen Stellen im Evangelienkorpus die Auslieferung Jesu zum Tod beschrieben (RCTCFKFYOK Mk 1,14a vgl. 3,19; 9,31; 10,33 (2x), 14,10.11.18.21.42.44; 15,1.10.15).33 Auch im Spruch der Himmelsstimme in der Taufszene (V.11) ist der Tod Jesu bereits versteckt angedeutet. Die erste Spruchhälfte, „Du bist mein Sohn“, ist zunächst gleichlautend mit Ps 2,7, wo die Einsetzung eines Königs als Adoption durch Gott gedeutet wird. Diese Vorstellung diente im alten Israel der Legitimation des Königtums. Das Attribut „geliebt“ (CICRJVQL) ist in diesem und ähnlichen Psalmen jedoch nicht zu finden. Möglicherweise klingt hier die Geschichte von der „Bindung Isaaks“ (Akedah Itzhak) aus Gen 22 an, wo ein einziger „geliebter“ Sohn (V.2) um ein Haar der Opferung durch den eigenen Vater entgeht. Im Gleichnis von den bösen Winzern (Mk12,6) ist der „geliebte Sohn“ ebenfalls ein einziger Sohn und Erbe, der auf einer Mission in Geschäftsdingen seines Vaters ermordet wird. Auf dem Berg der Verklärung wird Jesus wiederum durch eine Himmelsstimme als „geliebter Sohn“ bezeichnet, diesmal jedoch, um seine Autorität gegenüber den anwesenden Jüngern zu bestätigen: „Auf ihn sollt ihr hören“ (Mk 9,7). Die zweite Hälfte des Taufspruchs ist an Jes 42,1, das erste Lied vom Gottesknecht, angelehnt: „Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen.“34 Wer – wie wohl die meisten Leser oder Hörerinnen des Markus – auch die anderen Lieder vom Gottesknecht kennt, weiß, dass auch dieser Erwählte Gottes kein einfaches Schicksal zu erwarten hatte; vgl. das Dritte (Jes 50,4-9) und vor allem das Vierte Lied vom Gottesknecht (Jes 52,13-53,12), das in der Kirche schon in früher Zeit als Voraussage auf Jesus bezogen wird. Ausgerechnet in der Taufszene, in der Jesus zum ersten Mal als Sohn Gottes offenbar wird, ist gleichzeitig schon sein schmählicher Tod mit angesprochen. Schon hier zeigt sich eine „Spannung zwischen königlicher Vollmacht und Leiden“,35 die im Mittelteil von großer Bedeutung sein wird. Das Aufreißen der Himmel in der Taufszene findet eine Parallele im Zerreißen des Tempelvorhangs beim Tod Jesu (UEK\GKP Mk 1,10; 15,38). Wird Jesus

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OGVCPQGKVG V.15). Die Beschreibung des Johannes als „Wüstenheiliger“ (V.6) kann schließlich mit dem 40tägigen Aufenthalt Jesu in der Wüste (VV.12 f.) parallel gesetzt werden. Vgl. Klauck, Vorspiel, 21-27. Zur Parallelisierung von Johannes und Jesus vgl. auch 6,14; 8,28; 9,11-13; 11,27-33 sowie Giblin, Beginning, 984. Vgl. S.124. Vgl. Klauck, Vorspiel, 52 f. Dormeyer, Prolog, 194. Es passt in dieses Bild, dass „das Königtum Jesu gerade in der Passionsgeschichte eine bedeutende Rolle“ spielt (Venetz, Weg, 149, A.11).

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hier durch eine nur für ihn hörbare Stimme als Sohn Gottes proklamiert, so geschieht dasselbe angesichts seines Todes in aller Öffentlichkeit durch den römischen Hauptmann: „Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn“ (Mk 15,39). Die Erzählung des öffentlichen Auftretens Jesu bis zu seinem Tod wird so zu einer Geschichte vom Offenbarwerden Gottes, der bis anhin im Himmel bzw. im Inneren des Tempels verborgen blieb.36 Nach der Festnahme des Johannes, die das Ende seines öffentlichen Wirkens bezeichnet, tritt Jesus an seiner Stelle in die Öffentlichkeit (Mk 1,14). Er beginnt sein Wirken in Galiläa, an der Peripherie, von wo er zunächst aufgebrochen war, um Johannes zu sehen. Im Laufe seiner Tätigkeit bewegt er sich wieder auf Judäa zu, bis seinem irdischen Wirken mit seinem Tod in Jerusalem gewaltsam ein Ende gesetzt wird. Nach Jesu Tod setzt das Wirken der Jünger ein, bei dem ihnen der Auferstandene vorausgeht. Der Beginn dieser Missionstätigkeit ist bezeichnenderweise wieder in Galiläa (Mk 16,7). So sind Judäa bzw. Jerusalem und Galiläa, die beiden Pole, zwischen denen sich das Wirken Jesu und seiner Jünger abspielt, bereits im Prolog eingeführt, und das Motiv des Scheiterns in Judäa mit anschließendem Neuanfang in Galiläa ist hier bereits einmal durchgespielt. Die letzten zwei Verse des Prologs, die zugleich den Übergang zum eigentlichen Evangelienkorpus bilden, greifen viele Motive nochmals auf und fassen sie zusammen. Das Wort von der „erfüllten Zeit“ (V.14) ist ein „apokalyptischer Allgemeinplatz“.37 Hier werden die vielfältigen eschatologischen Anklänge aus dem Prolog noch einmal in Erinnerung gerufen: die Erwartung eines neuen Exodus und eines neuen Paradieses; das Auftreten Elijas als Vorläufer der Endzeit. Die Verkündigung der nahen Gottesherrschaft (V.15) erinnert wiederum an die Beschreibung des endzeitlichen Freudenboten (GWXCIIGNK\QOGPQL), der nach Jes 40,9 f.; 52,7 ebenfalls die Königsherrschaft Gottes ankündigt.38 Die „Frohe Botschaft“, die in V.14 und 15 je einmal erwähnt wird, greift zurück auf den Titel (Mk 1,1). So entsteht eine Inclusio zwischen Anfang und Ende des Prologs, die die Einheit thematisch und kompositorisch abrundet.

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Vgl. Giblin, Beginning, 980; Linnemann, Studien, 161-163. Ernst bezieht das Zerreißen des Tempelvorhangs dagegen symbolisch auf das „Ende der durch den Tempel repräsentierten alten jüdischen Heilsordnung“ (Passionserzählung, 176); ähnlich Strecker, Passionsgeschichte, 242; Schenke, Christus, 142. Klauck, Vorspiel, 64. Zum Vergleich sind hier Tob 14,5 LXX (Kombination von MCKTQL und RNJTQY); Dan 7,22 LXX (das Kommen des „Kairos“ verbunden mit dem Herrschaftsantritt der Heiligen) und Ez 7,12 („Die Zeit kommt; der Tag ist nahe“) angeführt. Vgl. S.30 zu Mk 1,3. Ernst, Markus, 7 versteht von hier ausgehend Jesus als endzeitlichen Freudenboten.

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2.3.2

Die gegenseitige Bezogenheit der einzelnen Teile

Liest man das Evangelium mit van Iersel als konzentrische Komposition, so sind Prolog und Epilog, erster und dritter Hauptteil sowie die beiden Blindenheilungen und die anderen zwei Scharnierstücke jeweils paarweise aufeinander bezogen. Zwischen den jeweiligen „Paaren“ erkennt van Iersel eine Reihe von Entsprechungen. Wie bereits gesagt, sollten diese jedoch nicht dazu verleiten, darüber den „linearen“ Fortgang der Erzählung zu übersehen. Zunächst bestehen semantische Verbindungslinien zwischen dem Prolog „in der Wüste“ und dem Epilog „am Grab“: beide Orte sind lebensfeindlich, in der Regel unbewohnt und (nahezu) unbewohnbar; es sind einsame Orte. Inhaltlich stimmen beide Teile darin überein, dass in ihnen ein Bote auftritt: Johannes, der das Kommen und Wirken Jesu ankündigt; und der Engel, der die Auferstehung verkündet und die Jünger wieder auf den Weg nach Galiläa schickt. Paradoxerweise bezeichnen im Markusevangelium gerade diese Orte des Todes den Beginn neuen Lebens: durch das erste Auftreten und den Anfang des Wirkens Jesu; und durch die Auferstehung und den Neubeginn in Galiläa, dem der Auferstandene vorausgeht.39 Die Verschränkung zwischen dem ersten und dem dritten Hauptteil beruht überwiegend auf semantischen Oppositionen: Galiläa liegt wirtschaftlich, politisch und religionspolitisch betrachtet an der Peripherie; Jerusalem ist dagegen nicht nur der politische, sondern auch der wirtschaftliche und religiöse Mittelpunkt des Landes. Entsprechend dem auf- bzw. absteigenden Erzählbogen tritt Jesus im ersten Hauptteil sehr aktiv auf: er „gewinnt eine Reihe von Nachfolgern, hilft [...] Kranken und Behinderten, treibt [...] Dämonen aus und widersteht seinen Gegnern“, während er im dritten Hauptteil zunehmend passiver wird und in der Passionsgeschichte (wie der Name schon sagt) wehrlos seinen Gegnern unterliegt.40 Inhaltlich greift der dritte Hauptteil den Erzählfaden des ersten Hauptteils wieder auf und führt ihn weiter: Der Konflikt zwischen Jesus und den religiösen und politischen Autoritäten, der in Galiäa begann (vgl. Mk 2,6 f.16.24; 3,2.6.22; 7,1-13; 8,1-13), spitzt sich zu (vgl. 11,27-33; 12,12.13.35.3840) und führt letztlich zum gewaltsamen Tod Jesu in Jerusalem. Gegenüber diesen beiden handlungsstarken Teilen ist der Mittelteil ein retardierendes Moment. Die Erzählgeschwindigkeit nimmt ab; d. h., äußerlich

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Vgl. van Iersel, Geographie, 288-290. Van Iersel hebt außerdem hervor, dass beide Orte „im damaligen jüdischen kulturellen Milieu“ als Aufenthaltsort von Dämonen gelten. Dies wird für den Bereich des Grabes am Besessenen von Gerasa (5,1-20) deutlich, der in Grabhöhlen haust. Im Prolog hält sich gar der Satan selbst in der Wüste auf (Mk 1,13). Vgl. van Iersel, Markus, 70.

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passiert in diesen drei Kapiteln nicht viel.41 Abgesehen von den rahmenden Blindenheilungen wird als einziges Wunder die Heilung eines epileptischen Jungen berichtet (Mk 9,14-29). Jesus führt nur ein Gespräch mit Pharisäern (Mk 10,2-12), das im Vergleich zu den Streitgesprächen im ersten Teil auffallend friedlich verläuft. Der Mittelteil trägt also nicht viel zum Fortgang der Handlung bei, wohl aber zu ihrem Verständnis und zu ihrer Deutung. Es handelt sich um einen reflexiven und explikativen Abschnitt, der bedingt durch diese Eigenart und Zielsetzung überwiegend Worte Jesu enthält.42 Zu recht steht dieser Teil im Zentrum des Evangeliums, denn er behandelt Fragen, die dem gesamten Werk zugrunde liegen: die Frage nach der Nachfolge und nach ihren Konsequenzen, nach dem Weg und Schicksal Jesu und – in seiner Nachfolge – der Jünger und der markinischen Gemeinde bis hin zum Lebensweg jedes Lesers und jeder Leserin. Inhaltlich gibt es Verbindungen sowohl zum ersten Hauptteil, dessen Grundfrage „Wer ist Jesus?“ in das Petrusbekenntnis Mk 8,29 mündet und von dort ausgehend über die Ankündigungen von Tod und Auferstehung erweitert und vertieft wird, als auch zum dritten Hauptteil, dessen Ereignisse (Leiden, Tod und Auferstehung) vorausgesagt und hermeneutisch vorbereitet werden. Über die Thematik des „Weges“ ist der zweite Hauptteil verbunden mit dem Prolog, in dem dieses Thema bereits anklingt (Mk 1,2 f.), und mit dem Epilog, in dem die Jünger wieder auf den Weg nach Galiläa geschickt werden (Mk 16,7).43 Sodann erscheint das Weg-Motiv in der Aussendung der Jünger (Mk 6,8), in der sie in die Nachfolge Jesu, d. h. konkret, seiner Predigt- und Heilungstätigkeit, geschickt werden. Eine weitere Verbindungslinie geht zu dem Streitgespräch über die Steuer im dritten Hauptteil, wo Jesus – wenn auch im Mund der Gegner – als jemand charakterisiert wird, der „wahrhaft den Weg Gottes lehrt“ (Mk 12,14).44 41

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Vgl. die Kapitel über „Dauer“ (61-80) bzw. „Geschwindigkeit“ (213-215) bei Genette, Erzählung. Genette definiert die Erzählgeschwindigkeit als „das Verhältnis der Länge der Erzählung zur Dauer der Geschichte“ (213). Der Mittelteil des Markusevangeliums würde nach Genette unter die Kategorie der Erzählpause fallen, „wo ein beliebig großes Segment des narrativen Diskurses einer diegetischen Dauer ‚Null’ entspricht“ (67). Vgl. van Iersel, Markus, 167 f. Nach Genette stehen reflexive Pausen gewissermaßen außerhalb der Erzählung, da sie „einer ganz anderen Art von Diskurs Platz [...] machen“, nämlich dem Kommentar oder der Reflexion (Erzählung, 67; vgl. 215). Vgl. van Iersel, Geographie, 297; ders., Markus, 71 f. sowie in der Folge auch Grilli, Schwachheit, 67. Mk 12,14 gehört damit wie Mk 14,65 („Prophet“); 15,9.12.16-20a.26 („König der Juden“); 15,31 f. („Messias“, „König von Israel“) in die Reihe der „unfreiwilligen Offenbarungen“, in denen Gegner Jesu seine verborgene Würde herausstellen (vgl. Weihs, Deutung, 482, A. 96, der die erste dieser „Offenbarungen“ jedoch in Mk 14,65 sieht). Alle übrigen Erwähnungen des „Weges“ (der Spazierweg der Jünger durch die Felder 2,23; die Saat auf dem Weg 4,14 f.; der weite Heimweg der Zuhörer Jesu 8,13; die Straße nach Jerusalem, auf die zu Jesu Begrüßung ein Teppich aus Kleidern und

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Die Scharnierstücke sind dadurch gekennzeichnet, dass sie jeweils sowohl auf den vorhergehenden Abschnitt zurückverweisen als auch auf den folgenden Abschnitt vorausweisen und somit keinem der beiden Teile, die sie verbinden, eindeutig zugeordnet werden können. So ist das erste Scharnierstück (Mk 1,14 f.) als Summarium der Botschaft Jesu seiner Tätigkeit in Galiläa vorangestellt. Gleichzeitig fasst es die Erfahrung des Prologs zusammen, in dem deutlich wurde, dass in Jesus die Gottesherrschaft angebrochen und „die Zeit erfüllt“ ist. „Kehrt um“ weist zurück auf die Taufe und die Umkehrbotschaft des Johannes (V.4). In VV.14 und 15 wird jeweils die „frohe Botschaft“ aus dem Titel wieder aufgenommen. Ähnlich verhält es sich mit den Blindenheilungen (Mk 8,22-26 und 10,4652), die den Mittelteil einrahmen. Mk 8,22-26 spielt noch in Betsaida in Galiläa und knüpft thematisch an die vorausgehenden Verse (speziell 8,15.18) an, die um das richtige „Sehen“ kreisen. Zugleich bildet diese Heilungserzählung den Auftakt zum Mittelteil, in dem es ebenfalls – in einem übertragenen Sinn – um das Sehen und Verstehen der Jünger im Hinblick auf die Person und den Weg Jesu gehen wird. Mk 10,46-52 greift in den Stichworten „Weg“ (VV.46.52) und „Nachfolge“ (V.52) die Thematik des vorausgegangenen zweiten Hauptteils auf. Geographisch ist diese Perikope in Jericho angesiedelt, einer Stadt unmittelbar vor Jerusalem, dem Ort des dritten Hauptteils und Zielpunkt des Weges Jesu (vgl. Mk 10,32). Im letzten Scharnierstück (Mk 15,40 f.) werden die Frauen eingeführt, die in den anschließenden Abschnitten vom Begräbnis und von der Auferstehung Jesu eine zentrale Rolle spielen. Gleichzeitig wird erwähnt, dass sie Jesus schon auf seinem Weg durch Galiläa und bis nach Jerusalem nachgefolgt sind und ihm gedient haben – ein Rückblick auf die gesamte Erzählung und ein Anklang an ein zentrales Thema des Mittelteils, die dienende Haltung der Nachfolge. Laut van Iersel sind auch die Scharnierstücke „paarweise und konzentrisch aufeinander bezogen“.45 Die Entsprechung zwischen den beiden Blindenheilungen, die den Mittelteil umrahmen, liegt auf der Hand. Auch die Scharnierstücke Mk 1,14 f. und 15,40 f. ähneln einander von ihrer Eigenart und Funktion her. Beide verweisen nicht nur auf die jeweils nächstliegenden Abschnitte, sondern überblicken die gesamte Geschichte vom Beginn des Wirkens Jesu in Galiläa bis

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Zweigen als Teppich gelegt wird 11,8) sind vermutlich traditionell, da für die jeweilige Erzählung unverzichtbar; vgl. Ornelas, Caminho, 189; Grilli, Schwachheit, 66 f. sowie Gnilka, Markus zu den jeweiligen Stellen. Im Gesamtkonzept des Evangeliums kann Mk 11,8 jedoch als Teil des Weges „nach Jerusalem zum Leiden“ betrachtet werden (Gnilka, Markus 2, 14). Auch Mk 6,8 dürfte der „Weg“ traditionell sein (vgl. die QParallele Lk 10,4), passt jedoch ins markinische Konzept der Nachfolge (gegen Grilli, ebd., der der Stelle „keine eigene theologische Relevanz“ beimisst). Van Iersel, Geographie, 291.

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zu seinem Tod in Jerusalem. Zusammen bilden sie eine Klammer um das gesamte Buch. Eine weitere Entsprechung kann darin gesehen werden, dass die in 15,40 f. angesprochenen Frauen der Botschaft aus 1,14 f. gefolgt sind: Sie haben den Ruf zur Umkehr ernst genommen; sie haben der frohen Botschaft geglaubt, dass die Zeit erfüllt und das Reich Gottes nahe ist, und haben sich mit Jesus auf den Weg gemacht.

3.

Eigenart, Thematik und Struktur des Mittelteils

Der 2. Hauptteil steht nicht nur im Zentrum des Evangeliums, er ist auch sein inhaltliches und theologisches „Herzstück“,1 das von allen Teilen vielleicht am deutlichsten die Gestaltung durch den Evangelisten erkennen lässt. Charakteristisch für den Mittelteil ist die auffällige Häufung von Ortsangaben in Zusammensetzung mit dem Wort QBFQL „Weg“ (Mk 8,27; 9,33.34; 10,17.32.46.52). Innerhalb dieses Abschnitts kommt das Wort fast genau so häufig vor (7x) wie in allen übrigen Abschnitten des Evangeliums zusammen (9x). Tatsächlich entsteht der Eindruck, als sei Jesus durchweg „auf Achse“, unterwegs. Nur dreimal ist davon die Rede, dass er „im Haus“ oder „zu Hause“ sei (Mk 9,28.33; 10,10). Diese redaktionellen Ortsangaben markieren jeweils die Jüngerbelehrung im geschlossenen Raum. Geographisch gesehen befindet sich Jesus auf dem Weg von bzw. durch Galiläa (Mk 9,30) hinauf nach Jerusalem (10,32). Stationen auf diesem Weg sind Cäsarea Philippi (8,27), die Residenzstadt des Tetrarchen Philippus nordöstlich der galiläischen Landesgrenze;2 Kapharnaum (9,33) am See Gennesaret, wo Jesus wiederholt im Haus des Petrus weilt (vgl. Mk 1,21.29; 2,1);3 das „Gebiet von Judäa jenseits des Jordan“ (10,1)4 und Jericho (10,46), die Winterresidenz Herodes’ des Großen im südlichen Jordantal. Der „Weg“ bzw. das Gehen auf einem Weg ist in der hebräischen Bibel häufig ein Bild für den „Lebenswandel“ eines Menschen (vgl. Ps 1,6; 119,1; Spr 10,9.17). Abgeleitet vom Verb OK „gehen“ bezeichnet die jüdische Theologie

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Söding, Evangelist, 47; vgl. van Iersel, Geographie, 300. Nach Gnilka ist „dieser entfernteste Punkt [...] gut gewählt“, zumal „die Wanderschaft Jesu im folgenden stetig näher an Jerusalem heranführt“ (Markus 2, 14). Nach Gnilka handelt es sich bei dem in Mk 2,1 (vgl. Markus 1, 98) und in Mk 9,33 (vgl. Markus 2, 56) erwähnten „Haus“ jeweils um das Haus des Simon Petrus. Die Übersetzung „zu Hause“ in der Einheitsübersetzung von Mk 2,1; 9,28; 10,10 legt nahe, dass es sich um das Haus Jesu handeln könnte. Dagegen spricht jedoch die Form der Ortsangabe GXP QKMY^, denn wenn es sich um das Haus einer bestimmten Person handelt, pflegt Markus mit dem Possessivpronomen zu formulieren (vgl. 2,11; 5,19; 7,30; 8,26; 11,17). In Mk 6,4 steht GXP VJ^ QKXMKC^ CWXVQW in Bezug auf Nazareth als Heimat Jesu. Derselbe Ausdruck in Mk 2,15 ist doppeldeutig und könnte grammatikalisch auch auf Jesus bezogen sein, wird jedoch vermutlich das Haus des Levi in Kapharnaum meinen. Die Angabe ist schwer zu deuten; vgl. S.300. Vermutlich ist das Gebiet auf der anderen Jordanseite gegenüber von Judäa gemeint; vgl. Gnilka, Markus 2, 71.

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die Unterweisung zum rechten Lebenswandel als „Halacha“ im Unterschied zur „Haggada“, der erzählenden Tradition.5 Ähnlich verweist in unserem Fall die äußere Lokalisierung „auf dem Weg“ auf die innere Thematik des Abschnitts.6 Dieser erzählt Jesu Weg nach Jerusalem, d. h., seinen Weg in den Tod und durch den Tod am Kreuz zur Auferstehung. Zugleich handelt der Abschnitt vom Unterwegs-Sein der Jünger mit Jesus, von der Nachfolge, in der sie letztlich das Schicksal des Meisters teilen werden, und von der Bereitschaft zu solch radikaler Nachfolge. Es geht um den Weg, den die Jünger mit Jesus gehen: den Weg nach Jerusalem hinauf, den Weg durch Leiden und Kreuz zur Auferstehung und schließlich zum Neuanfang mit dem Auferstandenen in Galiläa (Mk 16,7; vgl. 14,28). „Nachfolgen“ (CXMQNQWSGKP Mk 8,34; 9,38; 10,21.28.32.52) ist denn auch das zweite wichtige Schlagwort des Mittelteils. In Mk 10,32.52 erscheint es jeweils in Verbindung mit dem „Weg“ nach Jerusalem. Auf der Ebene der Kommunikation zwischen Autor und Adressatinnen sind die Jünger Identifikationsfiguren für die lesende und hörende Gemeinde. In der Figur der Jünger will der Autor „seinen Lesern auch vorhalten, dass sie diese Erzählung nur verstehen können, wenn sie selbst den Weg, von dem im Herzstück die Rede ist, tatsächlich gehen und sich dabei nicht von den Risiken und Gefahren, denen man auf diesem Weg begegnet, abschrecken lassen.“7 Letztlich kann nur die wirklich begreifen, wer Jesus ist, die ihm nachfolgt, die seinen Weg mitgeht. Mit dieser Botschaft verbindet sich ein tieferes Suchen nach der Identität Jesu, als das noch im vorherigen Teil der Fall war. Dort steht die einfache Frage nach der Vollmacht (GXZQWUKC) Jesu im Zentrum, die durch die Wunder aufgeworfen wird: „Wer ist dieser, dass ihm sogar der Wind und der See gehorchen?“(Mk 4,41); „Was hat das zu bedeuten? Eine neue Lehre mit Vollmacht“ (Mk 1,27); „So etwas haben wir noch nie gesehen“(Mk 2,12).8 Auf die Frage nach der 5

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7 8

Vgl. Scherer, Diakonos-Sprüche, 56 sowie den Kommentar von Gnilka, Markus 2, 151 zu Mk 12,14. Bedenbender, Komposition, 84 bezeichnet den Abschnitt Mk 8,31-10,52 als „’halachischen’ Teil des Mkev“. Dazu stimmt die Tatsache, dass die mit „Weg“ gebildeten Ortsangaben in Mk 8,2710,52 durchweg in redaktionell gestalteten Texten oder Rahmenbemerkungen stehen (so in der Einleitung zu 8,27-33; 10,17-31 und 10,32-34; in der Rahmung zu 10,46-52 sowie in der redaktionellen Dublette 9,33-37), während die meisten entsprechenden Angaben in den anderen Evangelienteilen mit der Tradition auf Markus gekommen oder zumindest nicht erkennbar durch sein Interesse an der Thematik des „Weges“ motiviert sind. Vgl. S.35, A.44; van Iersel, Markus, 71; 171 f. sowie Ornelas, Caminho, 189, der die „symbolische Bedeutung“ der zahlreichen mit „Weg“ gebildeten Ortsangaben gegen Gundry, Mark, 441 f. verteidigt. Van Iersel, Geographie, 299; vgl. Beutler, Weg, 15. Vgl. auch Mk 6,14-16 und 8,27 f.

Hinführung

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Identität Jesu antwortet Petrus als Sprecher der Jüngergruppe (und vermutlich auch als Sprecher der markinischen Gemeinde) in Mk 8,29 mit dem Bekenntnis: „Du bist der Messias.“ Für die im ersten Hauptteil aufgeworfenen Fragen ist damit in gewisser Weise ein Zielpunkt erreicht.9 Es zeigt sich aber schnell, dass die Frage mit dem Bekenntnis des Petrus noch nicht ausreichend beantwortet ist. Vielmehr ist „der ganze folgende Abschnitt, der ganze zweite Teil des Evangeliums [...] eine einzige große Auseinandersetzung um dieses Bekenntnis.“10 Jesus weist das Bekenntnis zwar nicht zurück; er gebietet Petrus und den Jüngern jedoch ausdrücklich, „mit niemandem über ihn zu sprechen“ (Mk 8,30). Anschließend belehrt er selbst die Jünger über seinen weiteren Weg, sein Leidensschicksal; „und er redete ganz offen darüber“(Mk 8,32). Diese Anmerkung des Erzählers steht in scharfem Gegensatz zu dem soeben erst an die Jünger ergangenen Schweigegebot. „Dass Jesus der Messias genannt wird, darf eindeutig nicht bekannt werden, dass er einen schmählichen Tod sterben, Gott ihn aber wieder aus dem Tod auferwecken wird, scheint dagegen jedermann wissen zu dürfen.“11 Erst durch die Verfolgung, das Leiden und den Tod am Kreuz hindurch wird die Herrlichkeit Jesu als „Messias“ sichtbar – darin besteht das „Messiasgeheimnis“, das den ganzen ersten Hauptteil des Evangeliums in Redeverboten an die ausgetriebenen Dämonen (vgl. Mk 1,25.34; 3,12) und an die Geheilten bzw. Zeugen der Heilungswunder (vgl. Mk 1,44; 5,43; 7,36; 8,26) durchzieht und in den Redeverboten an die Jünger im Mittelteil gipfelt (Mk 8,30; 9,9).12 Dabei scheint es insbesondere in den Schweigegeboten an die Dämonen darum zu gehen, dass Jesu Identität nicht bekannt werden soll: „Ich weiß, wer du bist: Der heilige Gottes“ (Mk 1,24); „Denn sie wussten, wer er war“ (Mk 1,34); „Er aber verbot ihnen streng, bekannt zu machen, wer er sei“(Mk 3,12). Das letzte Redeverbot in Mk 9,9 liefert in seiner zeitlichen Befristung zugleich die Erklärung für alle Redeverbote mit: „Bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei“, dürfen die drei Jünger niemandem von der Herrlichkeit Jesu erzählen, die sie auf dem Berg der Verklärung gesehen haben. Erst nach Tod und Auferstehung und durch sie hindurch können die Jünger begreifen, wie die Herrlichkeit des Messias Jesus zu verstehen ist. Sie ist nicht identisch mit den herkömmlichen Bildern von einem ewigen königlichen Herrscher, sondern sie widerspricht gerade diesem Bild. Jesus wird auf die gewaltsame Durchsetzung seiner Herrschaft verzichten. Stattdessen wird er sich darauf einlassen, selbst Wider9 10 11 12

Vgl. auch Ornelas, Caminho, 33 f. Venetz, Widerspruch, 113. Van Iersel, Markus, 173 f. Vgl. auch Beutler, Weg, 17; Ornelas, Caminho, 144 f. Zum „Messiasgeheimnis“ vgl. unter vielen weiteren Publikationen die einschlägigen Werke von Wrede und Minette de Tillesse, die Artikel von Schweizer und Luz sowie den Exkurs bei Gnilka, Markus 1, 167-170.

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stand und Gewalt zu erfahren. Jesus ist ein dienender (Mk 10,45) und deshalb ein leidender Messias.13 Übereinstimmend bekennt sich Jesus selbst erstmals während des Verhörs vor dem Hohen Rat, also „in Sichtweite des Kreuzes“, als Messias und Menschensohn (Mk 14,61 f.).14 Die Frage nach dem richtigen Verständnis der Identität Jesu mündet schließlich in das Bekenntnis des Hauptmanns in der Kreuzigungsszene: „Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn“ (15,39). „Hier liegt ein Bekenntnis vor, das keiner Ergänzung mehr bedarf.“15 Dies verstärkt den Eindruck, dass erst nach dem Leiden und Tod Jesu angemessen von seiner Gottessohnschaft geredet werden kann – wobei Markus dieses Bekenntnis nicht ohne Grund ausgerechnet in den Mund eines heidnischen Hauptmanns gelegt hat. Der Centurio steht für die gläubig gewordenen Heiden, für die Ausbreitung der Jesusbewegung in der ganzen damaligen Welt, die in Kreuz und Auferstehung ihren Ausgang nimmt.16 Es ist eine versteckte Ironie, dass das Bekenntnis Jesu als Sohn Gottes, der Gegenentwurf zur Anbetung der römischen Kaiser, ausgerechnet im Mund eines Staatsdieners erscheint.17 Es liegt auf der Hand, dass die Realität seines Leidens und Sterbens, die Jesus in Mk 8,31 zum ersten Mal ausspricht, für die Jünger (und im Hintergrund auch für die markinische Gemeinde bis hin zu uns) nicht ohne weiteres zu verstehen ist. Dass es schwer fällt, den Leidensweg Jesu zu akzeptieren, zeigt bereits die Reaktion des Petrus auf die erste Leidensankündigung: der Sprecher der Jünger nimmt Jesus beiseite und macht ihm Vorwürfe (Mk 8,32). Im weiteren Verlauf des Mittelteils kommt es regelmäßig zu Missverständnissen auf der Seite der Jünger. Das „Jüngerunverständnis“ durchzieht als Motiv den gesamten Abschnitt. So weiß Petrus angesichts der Verklärung vor Furcht nicht, was er sagen soll (Mk 9,6). Beim Abstieg wissen die drei Jünger mit dem Wort von der Auferstehung Jesu von den Toten nichts anzufangen (9,10). Unterdessen gelingt 13 14 15 16

17

Vgl. die Ausführungen zum markinischen Verständnis von der „Macht“ (FWPCOKL, GXZQWUKC) Jesu und Gottes bei Ornelas, Caminho, 354 f.; 282; 383-388. Bösen, Tag, 40. Venetz, Widerspruch, 118; vgl. Gnilka, Markus 2, 325. Zum korrekten Bekenntnis Jesu durch den Hauptmann stimmt das Zerreißen des Tempelvorhangs in 15,38, das – ähnlich wie das Zerreißen der Himmel bei der Taufe Jesu (Mk 1,10) – den Blick auf das Heiligste, auf Gott, für alle freigibt; vgl. S.32. Zugleich entspricht das Bekenntnis des heidnischen Hauptmanns dem Ende von Psalm 22, dessen Anfang Jesus in V.34 herausschreit: „Alle Enden der Erde [...] werden umkehren zum Herrn, vor ihm werfen sich alle Stämme der Völker nieder“ (Ps 22,28). Der Hauptmann gibt die richtige Antwort auf den Schrei Jesu. Sein Bekenntnis steht im Gegensatz zur Fehlinterpretation des Schreis Jesu durch andere „Dabeistehende“ (VKPGL VYP RCTGUVJMQVYP V.35 vgl. QB RCTGUVJMYL V.39). Vgl. Giblin, Beginning, 981; ähnlich Gnilka, Markus 2, 324. Vgl. Deschler, Verklärung, 101.

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es den übrigen Jüngern nicht, den Dämon aus einem epileptischen Jungen auszutreiben (9,18). Den Sinn der zweiten Ankündigung von Leiden und Auferstehung verstehen sie nicht (9,32), was sich u. a. in ihrem wiederholten Streit um die ersten Plätze ausdrückt (9,34; 10,37.41). Ihr elitäres Gehabe gegenüber einem fremden Wundertäter (9,38) ist ebenso wenig im Sinne Jesu wie ihr schroffes Auftreten gegenüber Müttern und Kindern (10,13). Auf Jesu Lehre über die Unvereinbarkeit von Reichtum und Nachfolge reagieren sie mit Bestürzung (10,24.26). Auf dem Weg nach Jerusalem hinauf zeigt sich schließlich nochmals ihre Angst vor der Konfrontation mit den Mächtigen, letztlich vor dem Leiden Jesu und dem eigenen Leiden (10,32).18 Darin spiegelt sich vermutlich die Situation der markinischen Gemeinde, die sich aufgrund ihres Bekenntnisses zu Jesus verfolgt und mit dem Tode bedroht weiß.19 Entsprechend großen Raum nimmt die Belehrung, und zwar vor allem die Sonderbelehrung für die Jünger, ein. Jesus ist überwiegend mit der Gruppe der Jünger allein (vgl. Mk 8,27; 9,2.28.30 f.33; 10,10.23.32b.35.41). Die Volksmenge (QENQL) ist im Gegensatz zum ersten Hauptteil selten präsent: sie wird zur Belehrung über das Kreuztragen dazugerufen (8,34); sie beobachtet die Heilung des epileptischen Jungen (9,14 f.) und erscheint formgemäß in dem Summarium Mk 10,1. Das Lehrgespräch über das Verhältnis von Mann und Frau wird von Pharisäern angestoßen (10,2); Leute (vermutlich Frauen) mit Kindern (10,13) bilden das Szenario des zweiten Wortes über die Kinder; ein junger Mann (10,17) gibt den Anlass für die Belehrung über das Verhältnis von Reichtum und Nachfolge. Im Vergleich zu den Jüngern nehmen die Außenstehenden jedoch keine zentrale Position ein; sie sind nur Zuhörer oder allenfalls der Anlass für eine den Jüngern zugedachte Belehrung. Erzähltechnisch gesehen ist der Mittelteil besonders kunstvoll aufgebaut. Ein wichtiges Gliederungselement sind die drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung (Mk 8,31; 9,31; 10,32-34). Markus behandelt von dort ausgehend die Thematik des Leidensweges Jesu in drei „Durchläufen“, die aufgrund der veränderten Situation und Leserperspektive – so die größere Nähe zu Jerusalem und die bereits erfolgten Belehrungen und Klärungen – jeweils neue Aspekte 18

19

Das Motiv des „Jüngerunverständnisses“ taucht bereits in der zweiten Hälfte des ersten Hauptteils auf, beginnend mit der Haltung der Jünger vor der ersten Brotvermehrung (6,35-37) über ihr Erschrecken bei der Stillung des Seesturms (6,51 f.), ihr Unverständnis beim Diskurs über Reinheit und Unreinheit mit den Pharisäern (7,17 f.) und die zweite Brotvermehrung, bei der die Haltung der Jünger trotz aller Sonderbelehrungen nahezu identisch bleibt wie bei der ersten Brotvermehrung (8,4), und gipfelt schließlich in der Perikope im Boot (8,14-21), in der die vorausgegangenen Situationen noch einmal zusammengefasst werden. Gegenstand des Jüngerunverständnisses im ersten Hauptteil ist jedoch noch die Identität Jesu, während es im zweiten Hauptteil um die nähere Definition, das tiefere Verständnis dieser Identität geht. Vgl. S.25; Schottroff, Frauen, 109.

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aufscheinen lassen. Die Worte der Leidens- und Auferstehungsansagen stimmen dabei im Kern überein; jedoch wird die Aussage durch den veränderten Kontext variiert und durch die Wiederholung gesteigert.20 Direkt auf jede Ankündigung folgt ein Abschnitt, aus dem das Unverständnis der Jünger deutlich wird (8,32b-33; 9,32-34; 10,35-37), und eine entsprechende Belehrung Jesu (8,34-9,1; 9,35-37; 10,38-45). Auffällig ist der parallele Beginn dieser Belehrungen, wo jeweils darauf hingewiesen wird, dass Jesus die Jünger zu sich ruft, dass es sich also um eine Unterweisung eigens für die Jünger handelt (Mk 8,34: RTQUMCNGUCOGPQL;21 10,42: RTQUMCNGUCOGPQL; 9,35: GXHYPJUGP). Ihr zentraler Satz beginnt ebenfalls parallel, nämlich mit einem konditionalen Nebensatz mit SGNGKP (8,34; 9,35 GKVKLSGNGK; 10,43 Q=LCPSGNJ^).22 Als Antwort auf die ängstliche Reaktion des Petrus ruft die erste Jüngerunterweisung zur Lebenshingabe in der Nachfolge Jesu auf. Sie schließt mit einem Ausblick auf die Ankunft des Menschensohnes „in Herrlichkeit“ (FQZC 8,38) und das Kommen des Reiches Gottes „in Macht“ (FWPCOKL 9,1). In der Verklärungserzählung (Mk 9,2-8) wird die FQZC Jesu zeichenhaft vorweggenommen. Eine kurze Überleitung (Mk 9,9-13) kommt auf die Thematik der ersten Ankündigung von Leiden und Auferstehung zurück. In der anschließenden Heilung eines epileptischen Jungen erweist Jesus seine lebensspendende Macht (vgl. insbesondere 9,26 f.) und ermutigt die Jünger zu Glauben und Gebet. So verbindet der Komplex in einzigartiger Weise Herrlichkeit und Erniedrigung. Jeweils veranlasst durch einen Rangstreit unter den Jüngern propagieren die zweite und dritte Belehrung gegenseitiges „Dienen“ als angemessenen Umgang in der Jüngergemeinde und darüber hinaus. Die Gemeinde ist der Ort, an dem 20

21

22

Zur Technik der Wiederholung vgl. die beiden Kapitel über die „Frequenz“ der Erzählung bei Genette (89-114; 217 f.). Die dreifache Wiederholung der Leidens- und Auferstehungsankündigungen bei Markus fällt unter die Kategorie der einfachen Wiederholtechnik, die „n-mal erzähl[...][t], was n-mal passiert ist“, damit „de facto singulativ“ bleibt und den Verlauf der Geschichte ‚„ikonisch’“ abbildet (Genette, Erzählung, 82). Vgl. auch Rhoads – Michie, Mark, 54 f. Als Beispiel aus der Dichtung wäre vielleicht die „Todesfuge“ von Paul Celan vergleichbar, wo verschiedene Motive bzw. Wortbausteine immer neu kombiniert und immer enger miteinander verwoben, wiederholt und so gesteigert werden, dass das Ganze ein Maximum an Bedeutung erhält. Diese Einleitung fällt insofern aus dem Rahmen, als neben den Jüngern auch das Volk herbeigerufen wird. Aufgrund der Vorzugsvokabel RTQUMCNGQOCK, die speziell Episoden mit den Jüngern (vgl. 3,13; 6,7; 8,1; 10,42; 12,43), aber auch Belehrungen an Außenstehende (vgl. 3,23; 7,14) einzuleiten pflegt, ist Mk 8,34a wie 9,35 und 10,42 dem markinischen Redaktor zuzuschreiben (vgl. Gnilka, Markus 2, 22). Vgl. Ornelas, Caminho, 151 sowie die Abbildung ebd., 74 zum Aufbau des Mittelteils. Zur parallelen Formulierung der Kernsätze vgl. Neyrinck, Tradition, 65; v. Wahlde, Mark 9:33-50, 53; Beutler, Weg, 46; 67.

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45

sich Nachfolge Jesu in einer Umwertung aller Werte (vgl. Mk 9,35) und in einer neuen Art des Zusammenlebens ausdrückt. Dazwischen stehen in zwei großen Blöcken (Mk 9,38-50; 10,1-31) weitere Unterweisungen, die die Maxime des Dienens auf den konkreten Lebensalltag der Jünger anwenden. Die letzte Jüngerbelehrung (10,28-31) ermutigt mit der Verheißung diesseitigen und jenseitigen Lohnes und mit der Wiederholung des Satzes von den Ersten und Letzten noch einmal zu konsequenter Nachfolge. Gerahmt wird der Mittelteil durch zwei Blindenheilungen (Mk 8,22-26: die Heilung eines Blinden in Betsaida; Mk 10,46-52: die Heilung des blinden Bartimäus), die jeweils als Übergang zwischen zwei Teilen des Evangeliums fungieren. Die Heilungen spiegeln hoffnungsvoll einen Fortgang des Verständnisses: während der erste Blinde erst beim zweiten Anlauf richtig sehen kann, gelingt die zweite Heilung auf Anhieb.23 Darüber hinaus ist diese Perikope zugleich eine Nachfolgegeschichte.24 Offensichtlich hat Bartimäus als Erster wirklich begriffen, worum es geht: nämlich um die Nachfolge Jesu, die der einzige Weg ist, sehend zu werden und Jesus zu verstehen. „Wer Jesus nicht sieht, kann ihm auch nicht folgen, und wer ihm nicht folgt, kann ihn auch nicht sehen“.25 Jesus auf dem Weg nachzufolgen, ist somit zugleich Ziel und Voraussetzung der neuen Sehfähigkeit. Die große Struktur des Mittelteils wird also gebildet durch die drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung mit der jeweiligen Einleitung, dem Jüngerunverständnis und der anschließenden Jüngerbelehrung. Zwischen erster und zweiter Ankündigung steht ein mit der Verklärung und der Heilung des epileptischen Jungen überwiegend erzählender Komplex, in dessen Mitte sich der reflexive Diskurs beim Abstieg vom Berg heraushebt. Zwischen zweiter und dritter Ankündigung überwiegt die Gattung des biographischen Apophthegmas. Auch hier steht in der Mitte mit den drei Skandalonsprüchen und den anschließenden Logien ein reflexiver Text. Unter besonderer Berücksichtigung der Textgattungen ließe sich die Struktur des Mittelteils damit in etwa wie folgt skizzieren:

23 24

25

Vgl. S.338. Van Iersel spricht von einer „Klimax“ zwischen den beiden Heilungsgeschichten (Markus, 293; vgl. 174). Der Ruf Jesu an den Blinden (HQPGY V.49) ist u. U. mit dem Ruf an die ersten Jünger (MCNGY Mk 1,20) vergleichbar, zumal dieser Zug für eine Heilungsgeschichte ungewöhnlich ist. Das Aufspringen und Wegwerfen des Mantels in V.50 erinnert an das sofortige Verlassen von Netzen, Boot und Vater durch die ersten Jünger; ebenso die Bemerkung „er folgte Jesus auf seinem Weg“ (V.52) an die entsprechenden Feststellungen in Mk 1,18.20. Van Iersel, Markus, 293; vgl. auch Kmiecik, Menschensohn, 298 f.; Bösen, Tag, 41; Ornelas, Caminho, 253 f.

Hinführung

46 8,22-26

Rahmen: Blindenheilung in Betsaida

8,27-30

Einleitung: Messiasbekenntnis in Cäsarea Philippi

8,31.32a

1. Ankündigung von Leiden und Auferstehung

8,32b-33 Jüngerunverständnis: Satanswort 8,34-9,1

Jüngerbelehrung: Lebenshingabe 9,2-8

Verklärungserzählung

9,9-13 Lehrgespräch 9,14-29 Heilungserzählung 9,30.31a

Einleitung: Zug durch Galiläa

9,31b

2. Ankündigung von Leiden und Auferstehung

9,32-34

Jüngerunverständnis: 1. Rangstreit

9,35-37

Jüngerbelehrung: Dienen 9,38-41 biographisches Apophthegma: Der fremde Exorzist 9,42-50 Lehrsprüche 10,1-31 biographische Apophthegmata: Ehe, Kinder, Besitz

10,32

Einleitung: Aufstieg nach Jerusalem

10,33-34 3. Ankündigung von Leiden und Auferstehung 10,35-37 Jüngerunverständnis: 2. Rangstreit 10,38-45 Jüngerbelehrung: Dienen 10,46-52 Rahmen: Blindenheilung in Jericho

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47

Der Gliederungsvorschlag, der neben den Ankündigungen von Leiden und Auferstehung und den anschließenden Jüngerbelehrungen zwei erzählende Teile („Haggada“ Mk 9,2-29; 10,46-52) und einen belehrenden Teil („Halacha“ Mk 10,1-31) unterscheidet,26 lässt sich m. E. so nicht aufrecht erhalten. Einerseits lassen sich „Haggada“ und „Halacha“ im Mittelteil des Markusevangeliums nicht strikt voneinander trennen. So wird der erste „haggadische“ Teil durch die „halachische“ Sequenz beim Abstieg vom Berg (9,9-13) unterbrochen, wie auch die Heilung des epileptischen Jungen durch belehrende Dialoge (9,21-24.28 f.) erweitert ist. Auch das biographische Apophthegma, das zwischen der zweiten und dritten Ankündigung überwiegt, ist keine rein belehrende Gattung, sondern eine Mischform aus Erzählung und Belehrung. Zum anderen bildet die Heilung des blinden Bartimäus bereits den Übergang zum dritten Evangelienteil.

26

So bereits de la Potterie; neuerdings beispielsweise Grilli, Schwachheit, 66.

4.

Überlieferungsgeschichte und Vergleich der drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung

Wie wir gesehen haben, trägt der Mittelteil deutlich redaktionelle Züge; darunter das Motiv des „Weges“ bzw. des Auf-dem-Wege-Seins, das Geheimhaltungsmotiv, das Unverständnis der Jünger und die Jüngerbelehrung. In dem kunstvoll komponierten Abschnitt werden die Ansagen Jesu über sein Leiden und seine Auferstehung gezielt als Gliederungselemente eingesetzt. Die Vermutung liegt nahe, dass ihre dreifache Wiederholung auf den Redaktor zurückgeht. Die Dreizahl kann als charakteristisch für Markus angesehen werden.1 Ursprünglich dürfte ihm eine einfache Fassung vorgelegen haben, der er die anderen beiden Ansagen nachgebildet hat.2 Diese vormarkinische Ankündigung vermuten wir in Mk 8,31.3 Zur Begründung werfen wir einen Blick auf Kontext und Wortwahl.

1

2

3

So erzählt Markus genau drei Gleichnisse Jesu (4,1-34). In 7,24-8,10 lässt er drei Wunder aufeinander folgen. Er berichtet drei Ereignisse mit drei privilegierten Jüngern (5,37-40; 9,2; 14,33), wie er auch drei Zeuginnen von Tod und Auferstehung kennt (vgl. 15,40; 16,1). Die Aufforderung zu wachen wird im letzten Abschnitt der Endzeitrede dreimal wiederholt (13,3.35.37). Auf dem Weg nach Getsemani (14,27-31) macht Jesus drei Voraussagen. Dreimal spricht er in Getsemani zu den Jüngern (14,34.38.42); dreimal wird er durch Petrus verleugnet (14,53 f.; 66-72). Vgl. Burkill, Light, 256. So auch Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 31; ders., Passionsgeschichte, 225; Hoffmann, Mk 8,31, 170; Horstmann, Studien, 22; Merklein, Jesusgeschichte, 144; Beutler, Weg, 18. Nach Lührmann, Markusevangelium, 149; Reinbold, Bericht, 294, A.17 sind dagegen alle drei Ansagen redaktionell gebildete Summarien des Passionsberichtes; ähnlich Schenke, Studien, 259 f. Die andere Extremposition nimmt Pesch ein, nach dem alle drei Ansagen bereits zum vormarkinischen Passionsbericht gehörten (vgl. Markusevangelium 1, 48-68; 2, 1-27; BZ 18, 29-31; Passion, 166). Andere Autoren rechnen von Beginn an mit einem Nebeneinander von Grundbeständen der ersten und zweiten Ankündigung (so Popkes, Christus, 160; 165; 242244; Delling, Kreuzestod, 60; Roloff, Anfänge, 39) oder gehen zumindest davon aus, dass Markus bei Abfassung des Evangeliums Grundformen beider Ankündigungen vorfand (so Hahn, Hoheitstitel, 52 f.; Gnilka, Mk 2, 12 f.; 53; Breytenbach, Nachfolge, 213; Bayer, Predictions, 213 f.; Hampel, Menschensohn, 301 f.; Vögtle, Menschensohnproblem, 167; Weihs, Deutung, 260; 272; 332 f.). Nach Kertelge, Markusevangelium, 93; Tödt, Menschensohn, 186 lagen dem Redaktor Grundformen aller drei Ankündigungen bereits vor. Für eine Zusammenfassung der verschiedenen Forschungspositionen, auch bezüglich der Ursprünglichkeit von Mk 8,31 oder 9,31, vgl. Weihs, Deutung, 200-207. So auch Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 29; 31; Hoffmann, Mk 8,31, 170; Horstmann, Studien, 22; Ernst, Markus, 241; Merklein, Jesusgeschichte, 144; Beutler, Weg, 18.

Hinführung

50

4.1

Der Kontext

Die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung ist eng mit dem Messiasbekenntnis des Petrus und der anschließenden Petrusschelte verknüpft. Sie dürfte vom Redaktor bereits in diesem Kontext vorgefunden worden sein. Ebenso wie bei Markus finden sich nämlich in der johanneischen Parallele Joh 6,68-71 ein Bekenntnis des Petrus und ein – hier allerdings auf Judas Iskariot bezogenes – Satanswort. Wenn man den Vers 62 über das „Aufsteigen“ des Menschensohnes (CXPCDCKPY vgl. 3,13; 20,17) als solche anerkennt, geht diesen sogar eine Art Leidensankündigung voraus.4 Das lässt vermuten, dass beide Perikopen auf eine gemeinsame Grundüberlieferung zurückgehen. Die erste Leidensansage mitsamt ihrem Kontext ist demnach älter als die Redaktion des Markusevangeliums. Dagegen ist der Kontext der zweiten Ankündigung klar redaktionell. Der Rangstreit der Jünger in Mk 9,33 f. ist der konkreteren Szene um die Zebedäussöhne (10,35 ff.) nachgebildet; die Szene um das Kind (Mk 9,36 f.) dupliziert Mk 10,13-16. Der Kernsatz der Jüngerbelehrung in Mk 9,35 vereint Elemente aus Mk 10,43 f. und Mk 10,31.5 Auch die Einleitung zur zweiten Ankündigung weist deutlich markinische Merkmale auf. MCXMGKSGPGXZGNSQPVGL in V.30 bezieht sich zurück auf die Ortsangabe in Mk 9,28 (GKXUGNSQPVQL CWXVQW GKXL QKMQP). RCTCRQTGWQOCK, ein Vorzugswort des Evangelisten Markus,6 verweist auf das Thema des Unterwegs-Seins. Die Erwähnung von Galiläa entspricht der geographischen Gliederung des Mittelteils mit dem Zug nach Jerusalem. Die Bemerkung „er wollte nicht, dass jemand davon erführe“ ähnelt in der Formulierung dem Geheimhaltungsgebot in Mk 5,43. Markinisch sind weiterhin das Motiv der Jüngerbelehrung sowie die redundante Redeeinleitung mit FKFCUMGKP7 und NGIGKP

4

5 6

7

Vgl. Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 33, A.43. Ornelas, Caminho, 174 verweist darüber hinaus auf die beiden Evangelien gemeinsame Situierung der Episode im Anschluss an eine Brotvermehrung (Mk 8,1-10; Joh 6,1-15). Weihs, Deutung, 262; 272 plädiert für einen vorgegebenen Zusammenhang von Leidensankündigung und Satanswort, betrachtet das Christusbekenntnis jedoch als vormarkinische Einzeltradition. Gnilka, Markus 2, 13; Lührmann, Markusevangelium, 144 f.; Beutler, Weg, 14; 17 gehen von einer redaktionellen Komposition auf der Basis älterer Einzelüberlieferungen aus. Vgl. S.250. Von fünf Belegen im Neuen Testament stehen vier bei Markus (2,23; 9,30; 11,20; 15,29). Einmal erscheint das Verb bei Mt 27,39 in Abhängigkeit von der MarkusVorlage (Mk 15,29). Das Verb erscheint Mk 1,21.22; 2,13; 4,1.2; 6,2.6.34; 8,31; 10,1; 11,17; 12,14.35; 14,49; die zugehörigen Substantive FKFCEJ in Mk 1,22.27; 4,2; 11,18; 12,38 und FKFCUMCNQL in Mk 4,38; 5,35; 9,17.38; 10,17.20.35; 12,14.19.32; 13,1; 14,14. Vgl. auch S.178 und S.234.

Hinführung

51

in V.31. Auch Furcht und Unverständnis der Jünger (V.32) sind typisch für die Markus-Redaktion.8 Wie der Kontext der zweiten ist auch die Einleitung zur dritten Ankündigung durch den Redaktor gestaltet. So erscheint gleich zu Beginn das Motiv des Unterwegs-Seins (GXP VJ^ QBFY^) und das thematisch eng damit verbundene Wortpaar „vorausgehen“ (RTQCIY vgl. 11,9; 14,28; 16,7) und „nachfolgen“ (CXMQNQWSGY vgl. 1,18; 2,14 f.; 5,24; 6,1; 8,34; 9,38; 10,21.28.52; 11,9; 14,54; 15,41). RCNKP, ein weiteres Vorzugswort, das der Evangelist häufig in Summarien und Einleitungsversen gebraucht (vgl. 2,1.13; 3,1.20; 4,1; 5,21; 7,14.31; 8,1.13; 10,1.10.14.32; 11,27), weist zurück auf die vorhergehenden Ankündigungen. Die Nennung der „Zwölf“ als Adressaten der Ansage kennzeichnet diese als Jüngerbelehrung (vgl. 4,10; 9,35), wie auch wiederum deren Furcht hervorgehoben wird (GXHQDQWPVQ). Ähnlich wie die Furcht ist auch das „Erschrekken“ (SCODGQOCK) aus dem ersten Hauptteil bekannt (1,27). Kurz vor der dritten Ankündigung beschreibt es in Mk 10,24 die Reaktion der Jünger auf dessen Worte über den Reichtum.9 Die doppelte Erwähnung von Jerusalem als Etappenziel, zu dem Jesus und seine Jünger „hinaufgehen“ (CXPCDCKPY GKXL ,BGTQUQNWOC VV.32.33), weist ebenfalls auf die Hand des Evangelisten, der die dritte Ankündigung von Leiden und Auferstehung ins Gesamt seiner Erzählung einbindet. Wir befinden uns kurz vor dem Ende des Mittelteils, dessen Thema „Auf dem Weg“ in V.32 denn auch nochmals aufgegriffen wird.

4.2

Die Wortwahl

Die folgende Übersicht zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Wortwahl der drei Leidens- und Auferstehungsansagen: Mk 8,31 -CKJTZCVQ Und er FKFCUMGKPCWXVQWL begann sie zu lehren:

8 9

Mk 9,31 GXFKFCUMGP ICTVQWL OCSJVCL CWXVQW MCKGNGIGP CWXVQKL

Er lehrte nämlich seine Jünger und sprach zu ihnen:

Mk 10,32b-34 MCKRCTCNCDYP Und er nahm RCNKPVQWL wiederum FYFGMC die Zwölf JTZCVQCWXVQKL beiseite und NGIGKPVC begann ihnen OGNNQPVCCWXVY zu sagen, UWODCKPGKP was mit ihm geschehen werde:

Dieselbe Verbform GXHQDQWPVQ erscheint Mk 10,32 in der Einleitung zur 3. Ankündigung. Zu HQDGQOCK vgl. auch Mk 4,41; 5,15.33.36; 6,50; 16,8 sowie S.222. Das Verb kommt im Neuen Testament nur diese drei Mal vor, das Kompositum GXMSCODGQOCK nur Mk 9,15; 14,33; 16,5 f. (vgl. zum letzteren S.233). Zu GXHQDQWPVQ vgl. A.8.

Hinführung

52 Mk 8,31 Q=VK FGK

 Es muss

VQPWKBQPVQW CXPSTYRQW

der Menschensohn RQNNCRCSGKP vieles leiden MCK und CXRQFQMKOCUSJPCK verworfen werden WBRQVYP von den RTGUDWVGTYPMCK Ältesten VYPCXTEKGTGYP und den MCKVYP HohenprieITCOOCVGYP stern und den Schriftgelehrten

MCK CXRQMVCPSJPCK

und getötet werden 

MCKOGVCVTGKL JBOGTCL CXPCUSJPCK

und nach drei Tagen auferstehen.

Mk 9,31 Q=VK

QBWKBQLVQW CXPSTYRQW RCTCFKFQVCK

GKXLEGKTCL VYP CXPSTYRYP





Der Menschensohn wird ausgeliefert

Mk 10,32b-34 Q=VK KXFQW CXPCDCKPQOGP GKXL,BGTQUQNWOC

 Seht, wir gehen nach Jerusalem hinauf, MCKQBWKBQLVQW und der CXPSTYRQW Menschensohn RCTCFQSJUGVCK wird ausgeliefert werden

in die Hände VQKL CXTEKGTGWUKP der MCKVQKL Menschen, ITCOOCVGWUKP

den Hohenpriestern und den Schriftgelehr ten,

MCK und sie MCVCMTKPQWUKP werden ihn CWVQPSCPCVY^ zum Tod verurteilen  MCK und sie RCTCFYUQWUKP werden ihn CWXVQPVQKL den Heiden GSPGUKP ausliefern,  MCK und sie GXORCKZQWUKP werden ihn CWXVY^ verspotten,  MCK und sie GXORVWUQWUKP werden ihn CWVY^ anspucken,  MCK und sie OCUVKIYUQWUKP werden ihn CWXVQP geißeln, MCK und sie töten MCK und sie töten CXRQMVGPQWUKP ihn, CXRQMVGPQWUKP ihn, CWXVQP MCK und nachdem CXRQMSCPSGKL er getötet ist, OGVCVTGKL nach drei MCKOGVCVTGKL und nach JBOGTCL JBOGTCL Tagen drei Tagen CXPCUVJUGVCK wird er CXPCUVJUGVCK wird er auferstehen. auferstehen. 

Hinführung

4.2.1

53

Gemeinsame Elemente

Alle drei Ansagen enthalten vier gleiche Bausteine: Jesus, der „Menschensohn“ (WBKQLVQW CXPSTYRQW), wird „getötet“ (CXRQMVGKPY), aber „nach drei Tagen“ (OGVC VTGKL JBOGTCL) „auferstehen“ (CXPCUSJPCK). Diese vier Elemente können – mindestens in dieser Kombination - als vormarkinisch gelten.10 Vom „Menschensohn“ ist bereits in der Logienquelle die Rede. Der Bezug des Titels auf Leiden und Auferstehung Jesu ist jedoch neu. Er dürfte von Markus oder aus dem markinischen Umfeld stammen.11 CXXRQMVGKPY entspricht markinischem Sprachgebrauch, der jedoch bereits von älteren Traditionen, namentlich der Vorstellung vom gewaltsamen Geschick der Propheten und vom Leiden der Gerechten, geprägt ist.12 Die Zeitangabe „nach drei Tagen“ ist in den drei Ankündigungen fest mit der Auferstehungsansage verbunden. Sie ist in dieser Form innerhalb der neutestamentlichen Auferstehungstraditionen wie auch bei Markus selbst ungewöhnlich und geht daher mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine ältere Tradition zurück.13 Derselben vormarkinischen Tradition ist vermutlich CXPKUVCPCK zuzurechnen.14 10

11 12

13

14

Markus kombiniert diese vier Elemente nur in den drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung, wenn er sie dort auch jeweils mit unterschiedlichen Formulierungen verbindet; vgl. Hoffmann, Mk 8,31, 176. Vgl. S.82. Vgl. S.142-145. In der Passions- und Auferstehungserzählung erscheint UVCWTQWP = kreuzigen (Mk 15,13,14.15.20.24.25; 16,6), weshalb Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 25 für einen „vormarkinischen Ursprung“ der Vokabel plädiert; ähnlich Ornelas, Caminho, 276 f. mit Verweis auf das abweichende Vokabular des paulinischen Kerygmas (CXRQSPJUMY Röm 5,6.8; 6,9 f.; 8,34; 14,9.15; 1 Kor 8,11; 15,3; 2 Kor 5,14 f.; Gal 2,19.21; 1 Thess 4,14; 5,10). CXRQMVGKPY kommt bei Markus in der Tat nur außerhalb der Passions- und Auferstehungserzählung vor, jedoch auch in Kontexten, die als redaktionell gelten können; so Mk 3,4; 6,19; 14,1. So auch Ornelas, Caminho, 278; Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 24. Im Tempelwort in der Passionserzählung ist die Zeitangabe Mk 14,58 mit FKC und Mk 15,29 mit GXP konstruiert. Matthäus und Lukas verwenden durchgehend VJ^ VTKVJ^ JBOGTC; 1, Kor 15,4 erscheint VJ^ JBOGTC^ VJ^ VTKVJ^. Schenke, Studien, 24 führt als Argument für eine redaktionelle Herkunft die mit OGVC gebildeten Zeitangaben in Mk 9,2 („nach sechs Tagen“) und 14,1 („nach zwei Tagen“) ins Feld. Diese beziehen sich jedoch nicht auf die Auferstehung Jesu. Darüber hinaus ist erstere vermutlich traditionell; vgl. S.216. Hoffmann weist gegen Schenke darauf hin, dass es sich an beiden Stellen ähnlich wie in 1,14 und 14,28 um „Rahmennotizen“ handle, „deren Situation die Wahl von OGVC nahe legte“ (Mk 8,31, 176, A.27). Vgl. Ornelas, Caminho, 278. Das Verb wird in neu- wie bereits in alttestamentlichen Texten vielerorts alternierend und in gleicher Bedeutung mit GXIGKTY gebraucht. In der markinischen Ostererzählung steht GXIGKTY (16,6). Von dort dürfte das Verb vom Redaktor in die Ankündigung der Auferstehung Mk 14,28 und vermutlich auch in die Spekulationen über die Auferstehung des Täufers Mk 6,14.16 übernommen worden sein. Analog ist zu vermuten, dass der Redaktor CXPKUVJOK in Mk 8,31 vorfand und das

Hinführung

54

4.2.2

Mk 8,31

Nur in der ersten Ankündigung erscheint das geheimnisvoll anmutende FGK „es muss“. Die Wendung ist vermutlich vormarkinisch, zumal der gesamte Satzbau der ersten Ankündigung (ein A. c. I.) von ihr abhängt. Innerhalb der Ankündigungen von Leiden und Auferstehung bleibt sie singulär; d. h., der Redaktor übernimmt sie nicht in die zwei anderen Ankündigungen. Andere neutestamentliche Traditionen gebrauchen in ähnlichem Kontext dieselbe Formulierung, so Johannes in bezug auf die „Erhöhung“ (Joh 3,14; 12,34) und Auferstehung (20,9) sowie Hebr 9,26 in bezug auf das „Leiden“ Christi.15 Die Aussage vom Leiden des Menschensohnes (RQNNC RCSGKP) dürfte trotz des bei Markus häufigen Gebrauchs von RQNNC traditionell sein. Beide Vokabeln kommen kombiniert außer in der Heilung der Blutflüssigen (5,26) nur noch in Mk 9,12b vor, einer vermutlich redaktionellen Dublette zur ersten Leidensankündigung.16 RQNNCRCSGKP steht hier zusammen mit GXZQWFGPGY, das wiederum gleichbedeutend ist mit dem in Mk 8,31 folgenden CXRQFQMKOC\Y.17 Die Begriffe „vieles leiden und verworfen werden“ scheinen also zusammenzugehören, zumal sie durch ein MCK verbunden sind.18 Getrennt durch die Urheberangabe „von den Ältesten, Hohepriestern und Schriftgelehrten“ folgt das zweite Begriffspaar „töten“ und „auferstehen“. Die Rede von der „Verwerfung“ Jesu (CXRQFQMKOC\Y) ist vermutlich ein Anklang an Ps 117,22 LXX. Ein ausführlicheres Zitat der Psalmstelle findet sich in

15

16

17 18

Verb in die zwei anderen Ankündigungen sowie die verwandte Stelle Mk 9,9.10 übernahm. Vgl. S.153-164. Vgl. Weihs, Deutung, 258. Für eine vormarkinische Herkunft plädieren auch Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 26; Hoffmann, Mk 8,31, 179; Popkes, FGK, 670; Roloff, Anfänge, 39; Vögtle, Menschensohnproblem, 167. Ernst, Markus, 237 hält den Ausdruck für jesuanisch. Der häufige Gebrauch der Wendung im Lukasevangelium und der Apostelgeschichte (40 Belege, davon 2 in Abhängigkeit von Markus) weist auf spezifisch lukanischen Sprachgebrauch. Vgl. S.226 f.; ebenso auch Hoffmann, Mk 8,31, 177, A.29. Roloff, Anfänge, 39; Gnilka, Markus 2, 12; 40; Breytenbach, Nachfolge, 213; Weihs, Deutung, 258 halten dagegen die analoge Formulierung in Mk 9,12 für traditionell. Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 26 f.; 29 stuft die Formulierung in Mk 8,31 aufgrund des bei Markus häufigen „adverbialen Gebrauchs“ von RQNNC als markinisch ein. RQNNC ist in Mk 8,31 und 9,12b jedoch nicht, wie in 1,45; 3,12; 5,10.23.38; 6,20; 9,26; 15,3, adverbial gebraucht, sondern ähnlich wie in 4,2; 6,34; 5,26; 7,4.13; 9,12; 12,41 direktes Objekt zu RCSGKP (vgl. Taylor, Mark, 377). Zu GXZQWFGPGY vgl. S.226 f. Nach Tödt, Menschensohn, 153 f. bestand die „feste Verbindung“ von RQNNC RCSGKP und CXRQFQMKOC\Y bzw. GXZQWFGPGY bereits vor der Aufnahme des Ausdrucks in die Leidensweissagungen; Michaelis, RCUEY, 913 sieht darin gar „eine Vorstufe der ausgeführten Leidensankündigung Mk 8,31 Par“. Auch Roloff, Anfänge, 39 zählt beide Ausdrücke zur „Urform“ von Mk 8,31.

Hinführung

55

einer dem Gleichnis von den bösen Winzern nachträglich angefügten Notiz (Mk 12,10 f.),19 die das Gleichnis auf die Ablehnung Jesu durch die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten (vgl. Mk 11,27) bezieht. Auch in der ersten Leidensankündigung steht das Wort im Zusammenhang mit den jüdischen Autoritäten, so dass man hier u. U. ein von der Markus-Redaktion geprägtes Motiv vermuten könnte. Das Zitat aus Ps 118,22 f. erscheint jedoch gerade im Zusammenhang mit der Verantwortung der jüdischen Autoritäten am Tod Jesu auch in Apg 4,11. Das spricht für eine vormarkinische Quelle, aus der auch der Autor der Apostelgeschichte geschöpft haben könnte – sofern man nicht annehmen möchte, dass er von der Markus-Vorlage beeinflusst war oder die Verknüpfung des Psalmzitats mit einem Schuldvorwurf an den Hohen Rat unabhängig von Markus selbst hergestellt hat.20 Als schwierig erweist sich die inhaltliche Zuordnung von RQNNCRCSGKP und CXRQFQMKOC\Y.21 Im vorliegenden Kontext scheint sich die „Verwerfung“ auf das Urteil des Hohen Rates zu beziehen.22 Das „Leiden“ wäre am Nächstliegenden auf die Verspottung, Geißelung und Kreuzigung zu deuten. Dieser Deutung widerspricht jedoch die Reihenfolge beider Ausdrücke in Mk 8,31. Der Wortsinn von GXZQWFGPGY, das in der Parallele Mk 9,12 erscheint, weist auf Ablehnung während des Lebens.23 Die Deutung des Begriffspaars auf Leiden und Anfeindung während des Lebens Jesu entspricht darüber hinaus dem alttestamentlichen Topos vom Leiden des Gerechten.24 In der vormarkinischen Leidensankündigung würde sich demnach allein CXRQMVGKPY auf die Passion beziehen. Durch Hinzufügung der „Ältesten, Hohenpriester und Schriftgelehrten“ als Subjekte der Verwerfung könnte der Redaktor RQNNC RCSGKP und CXRQFQMKOC\Y nachträglich auf Verurteilung und Todesleiden Jesu gedeutet haben. Die Erwähnung der jüdischen Behörden in Mk 8,31 und 10,33, die in der Passionserzählung durchweg als Drahtzieher der Verurteilung und Hinrichtung 19 20

21

22 23 24

Zur nachträglichen Anfügung von VV.10 f. vgl. S.107. Vgl. Tödt, Menschensohn, 152 f. Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 26; Horstmann, Studien, 22; 25; Gnilka, Markus 2, 12 betrachten die Vokabel ebenfalls als vormarkinisch. Nach Strecker habe die vormarkinische Anspielung auf Ps 118,22 Markus erst zu dem ausführlichen Zitat in 12,10 inspiriert. Hoffmann, Mk 8,31,177179; Weihs, Deutung, 264 f. führen dagegen sowohl CXRQFQMKOC\Y in Mk 8,31 als auch 12,10 f. auf Markus zurück. Dies ist für einige Autoren Grund genug, eine der beiden Aussagen aus dem ursprünglichen Text zu eliminieren. So streicht Hoffmann, Mk 8,31, 177-179 CXRQFQMKOC\Y; Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 27, hält dagegen RCSGKP für eine redaktionelle Einfügung. So Lührmann, Markusevangelium, 150; Weihs, Deutung, 265; 377. Zum Wortsinn von GXZQWFGPGY vgl. S.108-109. CXRQFQMKOC\Y wird dagegen im Profangriechischen auch in gerichtsähnlichen Situationen gebraucht; vgl. S. 99-100. Vgl. S.95. Übereinstimmend bezieht Gnilka RQNNC RCSGKP auf „die Drangsale während des gesamten Lebens“ (Markus 2, 12).

Hinführung

56

Jesu angegeben werden (vgl. 14,1.43.53; 15,1.3.10.31), ist mit großer Sicherheit auf die Redaktion des Evangelisten zurückzuführen. Durch die Wiederaufnahme dieser Personengruppe stellt er die Verbindung zwischen Mittelteil und 3. Hauptteil her.25 Die erste Leidens- und Auferstehungsankündigung ist demnach nicht frei von Überarbeitung. Jedoch sind die Spuren redaktioneller Tätigkeit in der zweiten und dritten Ankündigung deutlicher.

4.2.3

Mk 9,31

In der zweiten Leidensankündigung ist statt vom Leiden und der Verwerfung von der „Auslieferung“ des Menschensohnes die Rede. 2CTCFKFQPCK ist ein aus den LXX bekannter Begriff, was auf eine vorgegebene Tradition mit jüdischchristlichem Hintergrund schließen lassen könnte.26 Ebenso charakteristisch ist das Verb jedoch für den Passionsbericht, wo es im Zusammenhang mit der Auslieferung Jesu durch Judas und später durch die jüdischen Behörden an Pilatus zur feststehenden Wendung wird (Mk 14,10.11.18.21.42.44; vgl. 3,19). Bereits im Prolog (Mk 1,14) umschreibt es den Tod des Johannes und stellt so eine Parallele zum späteren Schicksal Jesu her.27 Daher ist es ebenso wahrscheinlich, dass es hier auf den Redaktor zurückgeht, der das Wort als Brücke zum Prolog und zum dritten Hauptteil einsetzt.28 Die Aufzählung der jüdischen Behörden ist durch die schlichte Erwähnung der „Menschen“ ersetzt, was zusammen mit der Wendung „in die Hände“, die in LXX häufig mit RCTCFKFQPCK steht, an jüdischen Sprachgebrauch erinnert.29 Jedoch hat auch Markus ein Interesse an der Gegenüberstellung von Gott und

25

26

27 28 29

Vgl. auch Horstmann, Studien, 25; Hoffmann, Mk 8,31, 177 f.; Gnilka, Markus 2, 12; Beutler, Weg, 18; Weihs, Deutung, 264. Tödt, Menschensohn, 153 betrachtet dagegen die gesamte Wendung „verworfen werden von den Ältesten und den Hohepriestern und den Schriftgelehrten“ ebenso wie die Parallelen in Mk 12,10 f. und Apg 4,11 als vormarkinisch. Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 26 führt als Argument für eine vormarkinische Herkunft die Erwähnung der „Juden“ in 1 Thess 2,14 f. sowie die „abgekürzte Form“ in den folgenden zwei Ankündigungen ins Feld. Gnilka, Markus 2, 53 plädiert mit Verweis auf 2 Kön 21,14 LXX und Ps 105,41 LXX für eine „Wurzel im hellenistischen Judenchristentum“. Eine semitische Vorlage vermuten Tödt, Menschensohn, 164; Popkes, Christus, 259. Weihs, Deutung, 259 verweist auf die Verwendung der Vokabel im Kontext des Todes Jesu bei Paulus (Röm 4,25; 8,32; 1 Kor 11,23; Gal 2,20; Eph 5,2.25); vgl. S.127-130. Vgl. S.31. Eine redaktionelle Herkunft vermuten auch Hoffmann, Mk 8,31, 185 f.; Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 30; Lührmann, Markusevangelium, 163. Vgl. S.116.

Hinführung

57

Menschen bzw. menschlicher und göttlicher Gesinnung.30 Das von einigen Autoren hinter dem Vers vermutete und für sein hohes Alter ins Feld geführte aramäische oder hebräische Wortspiel („Menschensohn“ – „Menschen“) existiert genau so im Griechischen.31 Beide Motive, das der Auslieferung und das des „menschlichen“ Denkens und Handelns, werden nochmals in Mk 14,21 verknüpft, wo der, „durch den der Menschensohn ausgeliefert wird“, als „jener Mensch“ bezeichnet wird. Das Vokabular der zweiten Leidensankündigung spricht also für eine Gestaltung durch Markus. Aufgrund der syntaktischen Spannungen zwischen dem ersten und zweiten Halbvers ist es jedoch unwahrscheinlich, dass der Redaktor den gesamten Spruch selbst formulierte. Näher liegt die Vermutung, dass er ein älteres Spruchfragment verarbeitet hat.32 Der Bruch verläuft zwischen CXRQMVGPQWUKP und dem wieder aufgenommenen Partizip CXRQMVCPSGKL: „sie werden ihn töten, und getötet wird er nach drei Tagen auferstehen.“ Folgerichtig müsste die verarbeitete Sequenz neben der Ansage der Auslieferung auch die Ankündigung der Tötung Jesu umfasst haben.33 Dahinter wäre dann eher ein frühes Passionssummarium als eine formelhafte Aussage über die gottgewirkte Auslieferung des Menschensohnes zu vermuten. In jedem Fall passte das Motiv der „Auslieferung“ an die „Menschen“ hervorragend in das redaktionelle Interesse des Evangelisten. Aufmerksamkeit verdient auch die Beobachtung, dass die erste Spruchhälfte von der Auslieferung des Menschensohnes im Passionsbericht fast wörtlich wieder begegnet (Mk 14,41) – vermutlich ein redaktioneller Rückgriff auf die zweite Leidensankündigung. Die Vorlage für beide Sprüche lieferte möglicherweise ein traditionelles Wort über die Auslieferung durch Judas (Mk 14,21).34 30

31

32

33

34

Vgl. 7,7.8; 8,33; 10,27; 11,30; den Hinweis auf die gottgemäße Lehre Jesu in 12,14 und auf den gottgemäßen Lebenswandel seiner AnhängerInnen in 3,35 sowie Hoffmann, Mk 8,31, 186. Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 30 verweist dazu auf Mt 9,6.8; in der Folge auch Hoffmann, Mk 8,31, 172. Vgl. auch Gnilka, Markus 2, 53; Beutler, Weg, 18. Für semitische Wurzeln plädiert v. a. Jeremias, Drei-Tage-Worte, 228; im Anschluss auch Popkes, Christus, 259; Tödt, Menschensohn, 164. Auch nach Hoffmann, Mk 8,31, 172 weisen „die syntaktischen Spannungen [...] auf eine sekundäre Verbindung hin“; die „Einzelelemente“ könnten jedoch „auch von Markus selbst gebildet worden sein.“ Allerdings ist schwer vorstellbar, dass der Verfasser, noch dazu aus selbst formulierten „Einzelelementen“, einen so inkonsistenten Satz formuliert haben sollte. So auch Hahn, Hoheitstitel, 48. Nach Gnilka, Markus 2, 53 f.; Hampel, Menschensohn, 288; Kertelge, Markusevangelium, 93; Weihs, Deutung, 269 f. wurden dagegen Tod und Auferstehung mit Blick auf Mk 8,31 redaktionell ergänzt. Die Perikope Mk 14,17-21 ist vermutlich vor der Abfassung des Markusevangeliums in eine ältere Tradition eingefügt worden; vgl. Popkes, Christus, 180 f.; Strecker, Passionsgeschichte, 230.

Hinführung

58

Die knappe Formulierung und das Fehlen einer Begründung oder Deutung der Auslieferung, etwa durch einen Schriftbezug, weist nicht per se auf ein besonderes Alter der zweiten Ankündigung hin.35 Sie lässt sich besser daraus erklären, dass der Evangelist die ursprüngliche Formel gekürzt und zusammengefasst hat, zumal er bei der Bildung des unmittelbaren Kontextes ganz ähnlich vorgegangen ist. Bedingt durch die knappe Formulierung erhält der Vers vielmehr seinen Sinn erst aus dem größeren Textzusammenhang, weswegen es sich kaum um eine isoliert überlieferte Formel handelt.36 Die Kürze der zweiten Ankündigung steht in wirkungsvollem Gegensatz zur Ausführlichkeit der dritten Ansage Mk 10,32-34. In den futurischen Verbformen CXRQMVGPQWUKP und CXPCUVJUGVCK nimmt sie zudem ein Element der dritten Ansage vorweg, während RCTCFKFQVCK wie alle Verben der ersten Ankündigung noch im Präsens gehalten ist.37

4.2.4

Mk 10,32-34

Die dritte und längste Ansage Mk 10,32-34 enthält eine detaillierte Aufzählung der bevorstehenden Leiden, wobei sie sich bis in die Wortwahl hinein eng an die Passionsgeschichte anlehnt. Hier zeigt sich die Hand des Evangelisten, der die Passionsgeschichte, die ihm zumindest in Grundzügen vorlag, mit seinen übrigen Stoffen zusammenbindet.38 Im einzelnen erscheint MCVCMTKPY in der Verurteilung durch den Hohen Rat (Mk 14,64); GXORCK\Y bezeichnet die Verspottung durch die römischen Soldaten (15,20) und später durch die Hohenpriester und Schriftgelehrten unter dem Kreuz (15,31). Das Anspucken (GXORVWY) ist Teil der Verspottungsszenen vor dem Hohen Rat (14,65) und im Prätorium (15,19). Die Abweichungen gegenüber der Passionserzählung sind geringfügig. Während dort die Verspottung auf die Verurteilung bzw. Kreuzigung folgt, steht 35

36 37

38

Gegen Kessler, Bedeutung, 248-252; Kleinknecht, Gerechtfertigte, 173, A.40; Jeremias, Drei-Tage-Worte, 228; Tödt, Menschensohn, 186; 197-202; Hahn, Hoheitstitel, 52 f.; Hampel, Menschensohn, 302. Ruppert, SBS, 71 vermutet gar jesuanische Wurzeln. Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 19-23 diskutiert ausführlich die viel beachtete These von Lohmeyer (vgl. Markus, 164 f.), nach der Mk 9,31 eine Erweiterung einer aus Lk 17,25 rekonstruierbaren Grundform „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden“ darstellt. Dieser These folgen u. a. Schweizer, Markus, 93; 108; Michaelis, RCUEY, 913 f. Vgl. auch die Diskussion der Argumente für die Ursprünglichkeit von Mk 9,31 bei Hoffmann, Mk 8,31, 170-175 (die o. g. Stelle bei Kessler ist hier versehentlich mit S.148-152 angegeben). Vgl. Hoffmann, Mk 8,31, 174. Vgl. Hoffmann, Mk 8,31, 185. Für eine redaktionelle Bildung der 2. Ankündigung plädieren außerdem Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 30; Horstmann, Studien, 22; Merklein, Jesusgeschichte, 144; Beutler, Weg, 18; 47. Vgl. Taylor, Mark, 438; Hoffmann, Mk 8,31, 187; Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 31; ders., Passionsgeschichte, 225; Gnilka, Markus 2, 95 f.; Lührmann, Markusevangelium, 178; Beutler, Weg, 18; Weihs, Deutung, 271.

Hinführung

59

GXORCK\GKP in Mk 10,34 am Beginn der Aufzählung.39 Der Wechsel von HTCIGNNQY „auspeitschen, geißeln“ (15,15) zum gleichbedeutenden Verb OCUVKIQY (10,34) fällt kaum ins Gewicht.40 Das Verb RCTCFKFQPCK, das in Mk 9,31 eingeführt wurde, wird in 10,33 gleich zweimal verwendet. In Anlehnung an die Passionsgeschichte beschreibt es die doppelte Auslieferung Jesu zunächst durch Judas an die jüdischen Autoritäten (vgl.14,10.11.44) und anschließend durch diese an die „Heiden“ (GSPQK), d. h. an die Römer (vgl. 15,1.10).41 Gegenüber Mk 8,31 fehlen in der Aufzählung der jüdischen Behörden die Ältesten, was aber auch an anderen Stellen der Fall ist (vgl. 11,18; 14,1; 15,3.10.31 gegenüber 11,27; 14,43.53; 15,1, wo die Ältesten mit erwähnt sind). Ein Bedeutungsunterschied, der an die zwei- bzw. dreigliedrige Bezeichnung der jüdischen Behörden geknüpft wäre, wird nicht erkennbar.42 Die Wendung VC OGNNQPVC (10,32) ist möglicherweise gleichbedeutend mit FGKin Mk 8,31.43 Die Ausführlichkeit der Ankündigung ist bedingt durch ihre Stellung unmittelbar vor dem Einzug in Jerusalem, wo sich die Weissagung bewahrheiten soll. Futurische Verbformen unterstreichen die Dynamik der Erzählung, die auf die Katastrophe in Jerusalem zuläuft.

39

40 41

42

43

Nach Busemann, Jüngergemeinde, 144 geben ‚Anspeien’ und ‚Geißeln’ den jeweiligen „Endpunkt“ der Verhöre vor dem Hohen Rat und vor Pilatus wieder; vgl. in der Folge auch Beutler, Weg, 68. Hoffmann, Mk 8,31, 187 f., A.65 vermutet, dass die Umstellung der „Steigerung“ diene; ähnlich Weihs, Deutung, 271, A.178. So auch Gnilka, Markus 2, 96, A.3. GSPQK übersetzt in den LXX das hebräische a\$*, das fremde „Völker“ sowohl in ihrer Eigenschaft als Ausländer als auch in ihrer Eigenschaft als Nichtjuden, d. h. Ungläubige bezeichnet; vgl. Jes 42,6 LXX; Mk 11,17; 13,10 sowie Langenscheidts Taschenwörterbuch zu a\$*. Nach Strecker könnte die vollständige Aufzählung vormarkinischer Herkunft sein, da neben Mk 8,31 auch 11,27 und 14,53 als vormarkinisch einzustufen seien; „eher der markinischen Redaktion zuzurechnen ist die Verbindung ‚Oberpriester und Schriftgelehrte’“ (Passionsgeschichte, 236, A.56). Ders. weist auf die ungewöhnliche Stellung der Ältesten als erstgenannter Gruppe in 8,31 hin, während in 11,27; 14,43.53; 15,1 jeweils die Hohenpriester das erste Glied der Aufzählung bilden (Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 26, A.24; ebenso bereits Taylor, Mark, 378). Vgl. Bauer, Wörterbuch, 991; Fascher, BZNW, 238-240. Mk 13,4 steht OGNNGKP c. inf. im Zusammenhang mit dem vorgesehenen Ablauf der Endzeitereignisse (vgl. dazu S.63-67).

60

4.3

Hinführung

Ergebnis und Ausblick

Es ist anzunehmen, dass dem Redaktor des Markusevangeliums eine Ankündigung von Leiden und Auferstehung vorlag, die er zwecks Gliederung des Mittelteils verdreifachte. Einiges spricht dafür, die erste Ankündigung als vormarkinisch anzusehen. Zunächst scheint ihr Kontext sehr alt zu sein, während insbesondere die auf die zweite Ankündigung folgende Belehrung aus redaktionellen Dubletten besteht. Was den Sprachgebrauch betrifft, so weisen die zweite und dritte Ankündigung deutlichere Spuren redaktioneller Bearbeitung auf. Insbesondere die letztere ist entsprechend ihrer Stellung im Kontext kurz vor der Ankunft in Jerusalem mit Verben aus dem Passionsbericht aufgefüllt. Die mittlere Ankündigung ist dem gegenüber bewusst kurz gehalten, wobei der Redaktor im ersten Teil möglicherweise ein älteres Spruchfragment verarbeitet. Alle drei Ankündigungen enthalten vier gleiche Wortbausteine: „Der Menschensohn wird getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“ Darüber hinaus erscheint in der ersten Ankündigung das satzregierende Element FGK „es muss“ und das Wortpaar „viel leiden und verworfen werden“ sowie die Urheberangabe „von den Hohenpriestern, Ältesten und Schriftgelehrten“, durch die der Redaktor den Bezug zur Passionsgeschichte herstellt. In der zweiten Ankündigung tritt RCTCFKFQPCK „ausgeliefert werden“ an die Stelle von Leiden und Verwerfung. Im folgenden soll der Herkunft der oben erhobenen Wortbausteine und ihrer Bedeutung im markinischen Kontext nachgegangen werden. Wir werden uns dabei im Wesentlichen an die Reihenfolge der Begriffe in der ersten Ankündigung halten, um so nach Möglichkeit den inhaltlichen Bogen der Ankündigungen im Blick zu behalten. Als Alternativbegriff zu RQNNC RCSGKP MCK CXRQFQMKOCUSJPCK wird RCTCFKFQPCK nach diesem Begriffspaar behandelt werden.

Teil I: Motivgeschichtliche Analyse der drei Leidens- und Auferstehungsansagen 1.

„Es muss“

Wie eine Überschrift oder Leseanweisung, wie ein Vorzeichen oder ein Notenschlüssel, der den Ton angibt zu allem, das folgt, steht FGK über der ersten Ankündigung von Leiden und Auferstehung: „Es muss geschehen“. Hier liegt der Schlüssel zu ihrem Verständnis. Zugleich funktioniert FGK wie ein „Marker“, ein vorangestelltes Ausrufezeichen, das die Aufmerksamkeit der Leser oder Hörerinnen für das Folgende gewinnt.

1.1

Musste Jesus leiden? Erste Erklärungsversuche

Unvoreingenommen betrachtet, ist das „Muss“ des Todes Jesu in Mk 8,31 ein sehr einfacher Erklärungsversuch und zugleich Ausdruck einer tiefen Gottergebenheit. Es gibt einen Grund für Jesu Leiden, es „muss“ einen geben; dieser liegt zur Zeit aber außerhalb menschlichen Verstehens.1 Es musste so kommen – Gott weiß warum. Bei näherem Hinsehen drängt sich jedoch auch ein anderer Eindruck auf. Es scheint, als sehe der Autor den Tod Jesu als eine Art „Notwendigkeit“; als sei es gewissermaßen Gottes Wille, dass Jesus, noch dazu auf so grausame Weise, sterben musste. Wie es van Iersel formuliert: „Wer erlegt dem Menschensohn auf, dass er leiden, hingerichtet werden und nach drei Tagen auferstehen muss? Das ist ohne Zweifel Gott, wie 8,33 klarstellt.“2 Was ist das für eine Art von Notwendigkeit, die die christliche Tradition hier beschwört? Was ist das für ein 1 2

Vgl. Bennett, Son, 113. Markus, 181.

62

Motivgeschichtliche Analyse

Gott, der, noch dazu von seinem eigenen Sohn, solche Leidensbereitschaft verlangt? Sollte Markus wirklich gemeint haben, dass es Gottes Wille war, dass Jesus so leiden musste? Folgen wir der Vermutung, dass die 1. Leidensankündigung die ursprünglichste sei, so hat der Evangelist den Ausdruck möglicherweise bereits mit einer älteren Tradition übernommen. Dagegen könnte die Wiederholung in Mk 9,1113 mit dem ergänzenden Hinweis auf die „Schrift“ von ihm selbst stammen.3

1.2

Semantischer Hintergrund: apokalyptischer Gebrauch im Buch Daniel

In den gesamten LXX steht die Vokabel FGK nur etwa 40mal (gegenüber ca. 100 Belegen im Neuen Testament).4 Bemerkenswerterweise gibt es zu dem Wort kein direktes Gegenstück im hebräischen oder aramäischen Urtext. Die Einfügung von FGK ist ausschließlich durch das Verständnis des betreffenden Verses beim Übersetzer motiviert.5 Es ist zu vermuten, dass dem Gebrauch der Vokabel in den LXX der griechische Sprachgebrauch zugrunde liegt. Die Übersetzer, die in der griechischen Sprache zu Hause sind, tragen zugleich mit der Vokabel griechische Denkkategorien in den Text hinein. Einige Male fügen die Septuaginta FGK ohne direkten Anhalt in der Vorlage ein, was nicht selten eine Neuinterpretation bedeutet.6 An den meisten Stellen steht FGK im Zusammenhang mit einem Gesetz oder Gebot, einer Erlaubnis oder einem Verbot oder mit einer als „gebührlich“ oder „notwendig“, „schicklich“ oder „unschicklich“ angesehenen Handlung; d. h., es bezeichnet in der Regel Dinge, die man tun oder auch nicht tun „muss“.7 Diese Verwendung der Vokabel entspricht dem profangriechischen Wortgebrauch im Bereich des Rechts- und Wirtschaftslebens: RCTC VQ FGQP = ordnungswidrig, zu Unrecht, pflichtwidrig; VC FGQPVC = die notwendigen Lebensbedürfnisse oder das, was zur Ordnung (Vorschrift) gehört; QKLFGQPGXUVKP = denen es zusteht; GXHX YPFGQPGXUVKP = vor den zuständigen Beamten; FGQPVYL = ordnungsgemäß; QWXM 3 4 5

6 7

Vgl. S.54; 226 f. Die genaue Zahl der Belege variiert in den verschiedenen Handschriften. Zur Wortstatistik in den neutestamentlichen Schriften vgl. Fascher, BZNW, A.13. Daraus erklären sich Abweichungen zwischen den Septuaginta und anderen griechischen Übersetzungen des Hebräischen Alten Testaments wie Theodotion sowie zwischen verschiedenen LXX-Handschriften untereinander; vgl. Fascher, ZNW, 244 f. mit Verweis auf Dan 2,45; 3,19; 6,16 LXX vs. Th; Tob 6,11; 12,1 BA vs. S. Vgl. Fascher, ZNW, 248 f. mit Verweis auf Jes 30,29; 50,4. Vgl. Fascher, ZNW, 244-246 mit Verweis auf Lev 5,17; Jos 18,4; Rut 4,5; 2 Kön 4,13; Tob 12,1; Est 1,15; Job 15,3; Dan 3,19; 1 Makk 12,11; 2 Makk 1,18; 6,20; 11,18; 3 Makk 1,12; 5,37; 4 Makk 7,8; 14,18.

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GFGK = es durfte nicht sein u. a.8 Auch in den neutestamentlichen Schriften ist FGK häufig in diesem Sinne verwendet; so auch in Mk 13,14: „wo [der Gräuel der Verwüstung] nicht stehen darf“.9 Über den juridisch-ökonomischen Wortgebrauch hinaus ist FGK im klassischen Griechisch Ausdruck eines vorherbestimmten, unabänderlichen Schicksals. In dieser Bedeutung erscheint das Wort häufig in den Werken des Historikers Herodot (5. Jh. v. Chr.). So begründet er die glückliche Rettung der Einwohner von Naxos aus der hellenischen Belagerung letztlich damit, dass sie nicht vernichtet werden „sollten“ (GFGG 5,33). Ebenso „sollte“ der Spartanerkönig Demaratos sein Königsamt verlieren (GFGG 6,64) und „sollte“ es dem Skythenkönig Skyles, der von seinen Landsleuten hingerichtet wird, „übel ergehen“ (GXRGKFGGFGGQKBMCMYLIGPGUSCK 4,79). Das Haus des Masistes geht unter, „weil es dem ganzen Hause übel ergehen sollte“ (VJ^ FG MCMYL ICT GFGG RCPQKMKJ IGPGUSCK 9,109).10 Dieser gewissermaßen „religiöse“ Gebrauch von FGK, der im klassischen Hellenismus ein besonders glückliches oder besonders grausames Einzelschicksal erklären hilft, begegnet im Judentum erstmals im Buch Daniel. Im zweiten Kapitel sagt Daniel in seiner Deutung des Traumes von der Zerstörung eines monumentalen Standbildes: „Es gibt im Himmel einen Gott, der Geheimnisse offenbart; er ließ den König Nebukadnezzar wissen, was am Ende der Tage geschehen wird“ (C? FGK IGPGUSCKGXRX GXUECVYPVYPJBOGTYP Dan 2,28 LXX; in der aramäischen Vorlage ein Futur). Der folgende Vers wiederholt im wesentlichen die Aussage: „Auf deinem Lager kamen dir, König, Gedanken darüber, was dereinst geschehen werde; da ließ er, der die Geheimnisse enthüllt, dich wissen, was geschehen wird (VK FGK IGPGUSCK).“11 Am Schluss der Traumdeutung (2,45) wird nochmals wiederholt: „Der große Gott hat den König wissen lassen, was demnächst/dereinst geschehen wird.“12 'GK bezieht sich hier 8 9

10

11

12

Vgl. Fascher, BZNW, 250, A.12 mit Verweis auf Preisigke, Wörterbuch I, 333 f. Vgl. Fascher, BZNW, 246; 249 f. mit Verweis auf Mt 18,33; QLk 11,42; Lk 13,14.16; 15,32; 22,7; Apg 5,29; 15,5; 19,36; 20,35; 25,10; Röm 12,3; 2 Thess 3,7; 1 Tim 3,2.7.15; 5,13; 2 Tim 2,24. Zu den Literaturbeispielen vgl. Fascher, BZNW, 234-237. Ähnlich wie bei Herodot kann auch in der frühjüdisch-apokalyptischen Literatur ein vorherbestimmtes Einzelschicksal mit „es muss“ formuliert werden; so äth Hen 65,12 (Noah); 39,9; vgl. Bennett, Son, 124. Dabei wiederholen LXX abweichend von der Vorlage die Zeitangabe von den „letzten Tagen“ (GXR X GXUECVYP VYP JBOGTYP) aus V.28, während Theodotion den aramäischen Text KQG \U[D DZKO \G korrekt wiedergibt: „was demnächst (OGVC VCWVC) geschehen muss“. Vgl. Fascher, ZNW, 250. LXX verwenden hier ein Futur und beziehen zugleich den Traum wiederum auf die „letzten Tage“. Theodotion schreibt dagegen C? FGK IGPGUSCK, womit er die aramäische Zeitangabe ebenso wie in 2,29 korrekt wiedergibt (vgl. Fascher, ZNW, 245). Die Übersetzung „demnächst“ entspricht in etwa der aramäischen Version; die Wiedergabe mit

64

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auf den vorherbestimmten Ablauf der Geschichte, den Gott offenbart, wem er will (vgl. auch 2,30). Der Gebrauch von FGK im Buch Daniel knüpft somit an den griechischen Sprachgebrauch an, der das Wort im Zusammenhang mit vorherbestimmten Einzelschicksalen oder einem festgelegten Ablauf der Geschichte verwendet. Dabei kommt die unpersönliche Ausdrucksweise der jüdischen Zurückhaltung entgegen, Gottes Namen direkt auszusprechen.13 Während der Hellene jedoch an ein unpersönliches „Schicksal“ denkt, bezieht Daniel den Ausdruck auf den Gott der Väter, den Herrn der Geschichte. Hinter FGK steht das Bild eines Gottes, der die Geschichte kennt und vorherbestimmt, der sie an Auserwählte offenbart, der ihren Fortgang gemäß seinen Plänen und seinem Ziel steuert.14 Gott hält die Geschichte – und in ihr die Gerechten – in seiner Hand. Eingeschlossen von der Vor- und Nachbemerkung (2,28 f.45), die Gott als Herrn der Geschichte herausstellt, steht der eigentliche Traum. Ähnlich wie das Nachtgesicht von Dan 7 thematisiert er den Aufstieg und Untergang vierer Weltreiche, bis „der Gott des Himmels ein Reich errichten wird, das in Ewigkeit nicht untergeht“ (V.44). Die Reiche erscheinen als gewaltige Statue, deren Glieder aus vier verschiedenen Metallen gefertigt sind. Sie wird auf wunderbare Weise von einem Stein, der sich „ohne Zutun von Menschenhand“ (V.34) von einem Berg löst, zerschlagen. „Der Stein aber, der das Standbild getroffen hatte, wurde zu einem großen Berg und erfüllte die ganze Erde.“ (V.35) In der Darstellung der Weltreiche greift das Buch Daniel auf „uralte, in vielen Ländern bekannte Schematisierungen der Weltgeschichte in jeweils vier Perioden“ zurück: „goldenes, silbernes, bronzenes, eisernes Zeitalter, Herrschaft von Sonne, Mond, Venus, Mars, Herrschaft der Reiche aus den vier Himmelsrichtungen.“15 An dem Standbild aus Dan 2 „war das Haupt aus reinem Gold; Brust und Arme waren aus Silber, der Körper und die Hüften aus Bronze. Die Beine waren aus Eisen, die Füße aber zum Teil aus Eisen, zum Teil aus Ton“ (VV.33 f.). Die Vierzahl ist im orientalischen Umfeld Sinnbild der Vollständigkeit und Vollkommenheit. In vier Reichen erschöpft sich die Geschichte der Weltherrschaft. Gewöhnlich zählte man die vier Reiche der Assyrer, Chaldäer, Perser und Griechen. Der Verfasser des Danielbuches modifiziert dieses Geschichtsbild. Er

13 14 15

„dereinst“ den LXX. Angesichts der Naherwartung des Danielbuches (vgl. S.65-66) ist der Bedeutungsunterschied jedoch gering: „Dereinst“ ist „demnächst“; „dereinst“ und „demnächst“ sind für den Autor des Danielbuches identisch. So ersetzt bereits die aramäische Vorlage das „Ende der Tage“ aus V.28 im folgenden, ansonsten weitgehend gleichlautenden Vers durch ein „demnächst“. So Bennett, Son, 125. Vgl. Grundmann, FGK, 22; Bennett, Son, 120 f.; Fascher, ZNW, 250. Kellner, Menschensohn, 60.

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65

lässt die Geschichte der Weltherrschaft mit dem Neubabylonischen Reich beginnen: König Nebukadnezzar ist das „goldene Haupt“ der Statue (Dan 2,38). Ihm folgt das „silberne“ Reich der Perser, das Brust und Arme der Statue bildet. Das bronzene Reich, „das die ganze Erde beherrschen wird“ (V.39), ist das Weltreich Alexanders des Großen, symbolisiert durch Körper und Hüften der Statue. Die Herrschaft der Seleukiden und der Ptolemäer, die Nachfolgereiche Alexanders des Großen, bilden die Beine des Standbildes. Das „eiserne“ Reich ist wie Dan 7 die Herrschaft der Seleukiden. Der tönerne Teil der Füße steht für die nach der Eroberung Phöniziens und Palästinas durch Seleukus den Großen (198 v. Chr.) und nach den erfolgreichen Ägyptenfeldzügen Antiochus’ IV. Epiphanes’ (169/168 v. Chr.) immer brüchiger werdende Dynastie der Ptolemäer. Beginnt die Weltgeschichte für den Verfasser des Danielbuches mit dem Neubabylonischen Reich, so steht am Anfang der Geschichte das jüdische Exil. Die Geschichte steht für das jüdische Volk im Zeichen des Ausgeliefertseins an die Weltimperien.16 Das Buch Daniel entsteht um 167 v. Chr., als es unter Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.) im Zuge der Einführung hellenistischer Bräuche und religiöser Praktiken im gesamten seleukidischen Imperium zur blutigen Verfolgung der jüdischen Religion und der praktizierenden Juden kommt.17 Die Rahmenerzählung des Buches wird in die Exilszeit zurückverlegt, ebenfalls eine Zeit der Bedrängnis für das jüdische Volk. Im Blick auf eine wechselvolle Geschichte, die verschiedene Großreiche erstehen und vergehen sah, wagt es der Verfasser, auch den Niedergang der herrschenden Dynastie anzusagen. Mit dem vierten Reich ist die Geschichte der Weltherrschaft am Ende. Ihm folgt etwas ganz Neues: das von Gott errichtete, ewige Reich. Es sind die Füße des Standbildes, die Reiche der Seleukiden und Ptolemäer, die von dem Stein getroffen werden (VV.40-43). „Zur Zeit jener Könige“ (V.44) soll Gottes ewiges Reich errichtet werden. Der Autor des Danielbuches begreift also die eigene Zeit als die „letzte Zeit“ kurz vor der von Gott gewirkten Wende. Die Leiden der Verfolgung werden folglich nur noch kurze Zeit andauern. Danach werden Gottes „Heilige“ (Dan 7,18.27) mit der ewigen Herrschaft belohnt werden. Der „apokalyptische“ Gebrauch von FGK wurzelt somit in einer geschichtlichen Situation des Leidens und der Verfolgung. Die Erzählungen von Daniel, den sein Gott aus dem Feuerofen (Kap. 3) und der Löwengrube (Kap. 6; 14) errettet und der es aufgrund seiner von Gott offenbarten Traumdeutungen im 16 17

Vgl. Müller, Vorliterarische Überlieferung. Vgl. Kellner, Menschensohn, 23. Die Endredaktion des Buches ist laut Kellner etwa ins Jahr 160 zu datieren. Dabei verwendet der Autor zum Teil wesentlich ältere Vorlagen, zu denen auch der Grundstock der Visionen vom Standbild (Kap. 2) und von den vier Tieren aus dem Meer (Kap. 7) zu rechnen ist (vgl. ebd., 20; 26). Zur syrischen Religionsverfolgung vgl. S.75 ff.

66

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Reich der Babylonier (Nebukadnezzar Kap. 1-4, Belschazzar Kap. 5; 7; 8) und der Perser (Darius Kap. 6; 9; Kyros Kap. 10-14) zu Ruhm und Ehren bringt, „sind für Zeiten der Bedrängnis ausgezeichnete Beispiele dafür, wie Gott seine Frommen schützt und selbst die Mächtigen der Welt zur Anerkennung seiner Überlegenheit bringt!“18 Literaturgeschichtlich gehört das Buch Daniel zur „frühjüdischen Apokalyptik“. Den Werken dieser literarischen Epoche, die etwa mit der Herrschaft der Seleukiden in Palästina beginnt und mit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 endet, ist die Beschäftigung mit dem in nächster Zeit erwarteten Weltende gemeinsam. In ihnen wird der Glaube an einen Gott, der die gesamte Geschichte plant und lenkt, bis an das in naher Zukunft erwartete Ende der Zeit ausgezogen. Die geheimen Abläufe bis zum Weltende werden Auserwählten in Visionen und Träumen offenbart. Ähnlich wie in Dan 2 umschreibt FGK auch in anderen Büchern dieser Epoche die vorherbestimmten Abläufe bis zum Ende. So werden Naftali in Test XII im Traum alle die Dinge offenbart, die „zu ihrer Zeit erfüllt werden müssen, während ganz Israel ausharrt“ ('GK VCWVC RNJTYSJPCK MCVC MCKTQWL CWXVYP RQNNC VQW  X,UTCJN WBRQOGKPCPVQL Test Naph 7,1). Dem äthiopischen Henochbuch ist an einigen Stellen die Mühe des Übersetzers anzumerken, das FGK aus der griechischen Vorlage in eine angemessene äthiopische Formulierung zu bringen.19 Äth Hen 83-91 berichtet über einen Traum des Henoch vom Weltende, dessen Inhalt er anschließend an seinen Großvater und seine Söhne weitergibt. „Die Erde muss im Abgrund versinken und mit einer großen Zerstörung zerstört werden (83,7) [...] Denn ich weiß, dass die Gewalt auf der Erde zunehmen und eine große Züchtigung ausgeführt werden muss“ (91,5).20 Überhaupt sind die Dinge, die „geschehen müssen“, meist katastrophale Ereignisse, Leiden und Verfolgungen.21 Hinter dem Gebrauch von FGK in den frühjüdisch-apokalyptischen Schriften verbirgt sich ein Ringen um das Problem des Leidens der Gerechten und Gottesfürchtigen, letztlich um das eigene Leiden. Man „erklärt“ es mit dem vorherbestimmten Ablauf der Geschichte, in dem auch die Übermacht der Gottlosen 18

19 20 21

Fascher, ZNW, 251. Die Vermutung Faschers, dass die Gestalt des Daniel eine „Neuauflage“ des Joseph aus dem Buch Exodus ist, hat viel für sich. Die Parallelen zwischen beiden Figuren liegen auf der Hand: „beide sind darin gleich, dass sie die Überlegenheit ihres Gottes offenbaren und [aufgrund von Traumdeutungen für den jeweiligen Herrscher] als Ausländer zu hohem Rang aufsteigen, dass alle Missgunst und Intrige sie nicht verderben kann, weil Gott es gut zu machen gedachte, rette er nun aus dem Gefängnis oder aus dem Feuerofen oder der Löwengrube.“ Vgl. Bennett, Son, 124. Zitat nach der englischen Übersetzung bei Bennett, Son, 123. Zu TestNaph 7,1 vgl. ebd., 121. So Bennett, Son, 129.

Motivgeschichtliche Analyse

67

ihren Platz hat. Das Leiden der Frommen ist demnach nicht gottgewollt. Es ist nicht auf Gott, sondern auf seine Widersacher zurückzuführen. Das heißt nicht, dass Gott etwa die Macht über die Geschichte entglitten wäre. Denn die vom Leid bestimmte Gegenwart mündet in die nahe, von Gott bestimmte Endzeit, in der die Gerechten gerettet und belohnt werden.22 Die bedrängten Gerechten der frühjüdischen Zeit vertrauen auch im schlimmsten Leiden auf Gott und wissen sich in seiner Hand geborgen. Damit kommt diese Interpretation unserem zuerst formulierten „naiven“ Verständnis von FGK sehr nahe.

1.3

FGK im Markusevangelium

Dem FGK in der ersten Leidensankündigung dürfte eben dieser apokalyptische Sprachgebrauch zugrunde liegen. Das Leiden Jesu und seine Hinrichtung durch gottlose Menschen sind wie das Leiden der Gerechten insgesamt Teil der vorherbestimmten Endzeitereignisse. Jedoch behalten sie nicht das letzte Wort; denn Gott hat bereits beschlossen, seinen Sohn von den Toten aufzuerwecken. Die Beteuerung des Petrus „Selbst wenn ich mit dir sterben müsste (FGJ), werde ich dich niemals verleugnen“ (Mk 14,31) lehnt sich in der Formulierung an die erste Leidensankündigung an. So parallelisiert der Evangelist vorwegnehmend bereits das Schicksal des ersten Apostels mit dem seines Herrn, wenn sich dieser im Verlauf der Passionsgeschichte den Anforderungen der Nachfolge auch zunächst nicht gewachsen erweist.23 An zwei Stellen in der Markinischen Apokalypse liegt der apokalyptische Gebrauch von FGK auf der Hand. Mk 13,7 verweist es auf den vorherbestimmten Ablauf der Endzeitereignisse: „Das muss geschehen.“ Die Ankündigung der endzeitlichen Wehen, vermutlich Ereignisse der Zeitgeschichte, die der Verfasser als „Vaticinium ex eventu“ Jesus in den Mund legt, ist ein „Mittel, die Gemeinde vor Erschütterung zu bewahren.“24 Kriege, Erdbeben, Hungersnöte und Verfolgung (vgl. VV.7-13) werden ihr im voraus verkündet, damit sie „nicht erschrickt“, sich nicht „beunruhigt“ (vgl. V.9). Der vermutlich markinische Einschub in Mk 13,10, nach dem „vor dem Ende allen Völkern das Evan-

22 23

24

Vgl. auch Bennett, Son, 124 f. Der Gebrauch von FGK in Bezug nicht nur auf das Schicksal Jesu, sondern auch der Apostel und der Gemeinde im ganzen ist im lukanischen Doppelwerk besonders ausgeweitet und vertieft (vgl. insbesondere Apg 9,6.16; 14,22 sowie Fascher, BZNW, 24548). Insgesamt finden sich dort 44 der rund 100 neutestamentlichen Belege für FGK, davon allein 16 im Sondergut des Evangeliums und 25 in der Apostelgeschichte; vgl. ebd., 253. Zitat: Fascher, BZNW, 238. Zum Vaticinium ex eventu vgl. Theißen, Lokalkolorit, 140; 146; 163-165.

68

Motivgeschichtliche Analyse

gelium verkündet werden muss“,25 bezieht die christliche Mission in den festgelegten Ablauf der Endzeitereignisse ein. So verstanden, erhält der Vers einerseits den tröstlichen Charakter einer Zusage: Die Welt wird nicht untergehen, bevor die Missionare bis an die Grenzen der Erde gelangt sind. Andererseits kann man auch eine Mahnung zur Eile heraushören, damit vor dem nahen Ende überall das Evangelium verkündet werden kann. Auch Mk 9,11 „Warum sagen die Schriftgelehrten, zuerst müsse Elija kommen?“ lässt sich hier einordnen. Die Frage der Jünger liegt auf der Linie frühjüdisch-apokalyptischer Endzeiterwartung, die vor dem Ende die Wiederkunft des einst entrückten Propheten Elija vorsieht (vgl. Mal 3,23 f.; Sir 48,10). Bis auf Mk 13,14, woFGK in juridisch-ethischer Bedeutung gebraucht ist, stimmen demnach fünf von sechs Belegen im Markusevangelium mit dem apokalyptischen Gebrauch des Wortes überein.

1.4

„Es ist geschrieben...“

Die Frage der Jünger nach dem Zuerst-Kommen des Elija steht wie Mk 8,31 im Mittelteil des Evangeliums. Inhaltlich geht es in der kurzen Perikope Mk 9,1113 um das Leiden des Menschensohnes und Elijas, der hier mit dem Täufer Johannes zu identifizieren ist.26 Die Antwort Jesu (VV.12 f.) verknüpft den Gedanken an das vorherbestimmte Leiden Elijas und des Menschensohnes mit einem Hinweis auf die Schrift (IGITCRVCK = „es steht geschrieben“), die für beide Gestalten Leiden und Verachtung voraussage. Einen ähnlichen Hinweis auf das „geschriebene“ Schicksal des Menschensohnes enthält auch Mk 14,21. Nach Mk 14,49 geschieht die Verhaftung Jesu in Gethsemani, „damit die Schrift in Erfüllung gehe“. Während man bei anderen Schrifthinweisen im Markusevangelium einen oder mehrere Quellenverse bestimmen kann,27 fällt es schwer, zu diesen Stellen, 25

26

27

GWXCIIGNKQP erscheint an anderen Stellen in klar redaktionellem Kontext; so Mk 1,1 in der Überschrift des Evangeliums; 1,14 f. in einem Summarium und 14,9 in einem redaktionellen Rahmenvers. Mk 8,35 wurde es vermutlich in einen älteren Spruch eingefügt; vgl. S.189 f. Die Technik, nach einem Einschub durch Wiederholung einzelner Worte oder ganzer Versteile wieder an den ursprünglichen Gedankengang anzuknüpfen, ist auch andernorts im Markusevangelium zu beobachten (vgl. Mk 13,9.11 mit 14,5659; 15,30-32 jeweils im Zusammenhang mit der Einfügung des Tempelwortes). Popkes, Christus, 145, A.400 verweist auf Lk 12,11 f. als möglichen Beleg dafür, „dass Auslieferung (Mk 13,9) und Trostwort (Mk 13,11) von Hause aus zusammengehörten“. Entsprechend wird der Täufer in den ersten Versen des Evangeliums mit den für Elija typischen Accessoires wie härener Mantel und Gürtel dargestellt (vgl. Mk 1,6; S.31; 227). Mk 1,2 vgl. Ex 23,20; Mal 3,1; Jes 49,3; Mk 7,6 vgl. Jes 29,13 LXX; Mk 11,17 vgl. Jes 56,7; Jer 7,11; Mk 12,10 f. vgl. Ps 118,22 f. LXX; Mk 14,27 vgl. Sach 13,7. Die

Motivgeschichtliche Analyse

69

die vom Leiden Jesu und des Täufers sprechen, einen konkreten Bezugsvers zu finden. Einige Autoren verweisen etwa auf das Vierte Lied vom Gottesknecht (Jes 52,13-53,12) und den Psalm 22.28 Diese Texte sind grundlegend für die Tradition vom Leiden des Gerechten, beziehen sich jedoch nicht konkret auf den Messias oder auf den wiedergekommenen Elija. In was für „Schriften“ steht also, dass der Menschensohn leiden und verworfen werden muss und dass man mit dem wiedergekommenen Elija tun wird, was man will? Wie Bennett herausarbeitet, wird in den Qumran-Rollen im Zusammenhang mit dem vorherbestimmten Ablauf der Geschichte unter anderem die hebräische Wurzel TT[ verwendet. Die Grundbedeutung dieses Wortstammes ist „festschreiben“, „einschreiben“, „befehlen“. Die zugehörigen Substantive T[ und KT[ bedeuten „Dekret“, „Anordnung“, „Vorschrift“.29 Spr 8,15 LXX; Jes 22,16 LXX übersetzen die Wurzel mit ITCHY.30 Die betreffenden Qumran-Texte sprechen von „eingeschriebenen“ (TZT[) Jahreszeiten und Jahreszyklen Gottes (1QH 1,23b-25a), die „zu ihrer Zeit kommen werden gemäß seiner Anordnung“ (TT[) (1QpHab 7,13 f.). 1QH 18,25b f. rühmt sich der Beter der Offenbarung Gottes, der die „ewigen Ereignisse“ in sein Herz „eingeschrieben“ habe (KWZT[).31 „Schreiben“ kann also in bestimmten Zusammenhängen die Bedeutung „vorherbestimmen“, „festlegen“ annehmen. Möglicherweise steht hinter diesem Wortgebrauch die Vorstellung von einem „Buch des Lebens“ oder von Gesetzestafeln, auf denen der Lauf der Geschichte im einzelnen verzeichnet ist. Zum Gericht über die Weltreiche in Dan 7 werden Bücher aufgeschlagen, die vermutlich alle historischen Einzelheiten über ihre Herrschaft enthalten (V.10). Nach Dan 12,1 sind diejenigen, die bei der Auferstehung gerettet werden, „im Buch verzeichnet“. Damit stimmt äth Hen 89,68 überein, wo Henoch in einer Vision sieht, wie die Zahl der im Rahmen der Endzeitereignisse an „wilde Tiere“ ausgelieferten „Schafe“ in einem Buch festgehalten wird. An anderer

28 29

30 31

Schriftverweise sind jeweils mit IGITCRVCK formuliert. Dass der Verweis auf das Alte Testament in dieser Epoche – gerade im Hinblick auf Leiden und Bedrängnis – auch außerhalb der christlichen Tradition beliebt war, zeigt der vom Ende des 1. Jh.s datierende Anhang zum 4. Makkabäerbuch (18,6b-19), in dem die Mutter bzgl. des Martyriums ihrer 7 Söhne auf Ps 34,20a LXX verweist (4 Makk 18,15). Vgl. auch die Hinweise zu 9,12 in der Einheitsübersetzung. Zum „geschriebenen“ Schicksal des Johannes vgl. S.228, A.74. Im Jubiläenbuch (3,10; 5,13; 6,35; 15,25; 16,3; 18,19; 24,33; 28,6) bezieht sich die Wurzel – ähnlich dem juridischen Gebrauch von FGK - auf Gesetze und moralische Vorschriften; vgl. Bennett, Son, 127. Vgl. Bennett, Son, 128, A.53. Zu den Stellenangaben vgl. Bennett, Son, 127.

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70

Stelle wird gesagt, dass Henoch über die Zahl der Auserwählten in einem „Buch“ liest bzw. sie aus „himmlischen Tafeln“ erfahren hat.32 Demnach muss sich hinter dem markinischen IGITCRVCK kein konkretes Schriftzitat verbergen. Der Ausdruck kann genau wie FGK eine Umschreibung des göttlichen Weltenplanes sein.33 Die Idee, das „Muss“ des Leidens Jesu durch einen Hinweis auf die „Schrift“ zu erklären, stammt demnach nicht erst von Markus, sondern bereits aus der frühjüdischen Apokalyptik. Es handelt sich auch nicht um einen „Schriftbeweis“ im strengen Sinne, der auf einen konkreten Bezugsvers zielt.34 „Es steht geschrieben“ ist vielmehr eine andere Umschreibung der Tatsache, dass das Leiden und Sterben Jesu wie so vieler Gerechter in Gottes Hand geborgen ist. Gott will nicht das Leiden seiner Gerechten; aber als Herr der Geschichte hält er es in seiner Hand und wird in Bälde ihr Schicksal wenden. Wie FGK ist auch das in diesem Sinne gebrauchte IGITCRVCK Ausdruck unerschütterlichen Gottvertrauens in einer Zeit des Leidens.

1.5

Fazit

Der Einleitung der ersten Ankündigung von Leiden und Auferstehung mit FGK „es muss“ liegt ein aus dem Griechischen inspirierter Sprachgebrauch im Buch Daniel (2,28 f.45) und in anderen Werken der sogenannten „frühjüdischen Apokalyptik“ zugrunde. Auf der Grundlage einer hellenistischen Vorstellung von der Vorherbestimmtheit des menschlichen Schicksals bezeichnet FGK hier den vorgezeichneten Ablauf der Geschichte. Die an sich anonyme hellenistische Vorstellung wird dabei auf Gott als den Herrn der Geschichte bezogen. Letztlich ist die Formulierung Ausdruck eines tiefen Vertrauens auf die Geschichtsmächtigkeit Gottes, in der auch das zuweilen schwere Schicksal seiner Frommen 32

33

34

Zu äth Hen vgl. Bennett, Son, 127. Leider fehlen genaue Angaben zur zweiten Belegstelle. Einen Zusammenhang zwischen dem Gebrauch der Wurzel TT[ in den QumranSchriften und der Vorstellung himmlischer Tafeln in frühjüdisch-apokalyptischen Werken sehen auch Dupont-Sommer, Qumran, 203 (nach Bennett, ebd., A.50). Vgl. Bennet, Son, 128; Fascher, BZNW, 241. Vor dem Hintergrund der Untersuchung von Bennett erscheint der von Tödt, Menschensohn, 177 aufgebaute Gegensatz zwischen „eschatologischem“ und „schriftbezogenem“ Gebrauch von FGK künstlich. Tödt interpretiert FGK in Mk 8,31 ausschließlich auf dem Hintergrund der Schrifterfüllung; in der Folge auch Colpe, `7KQL, 447; Fuller, Foundations, 152 ff.; Hahn, Hoheitstitel, 50; Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 26; Hoffmann, Mk 8,31, 179. Die Argumentation von Tödt ist bei Bennett (ebd., 113-119) ausführlich diskutiert. Sehr weit hergeholt erscheint auch die These von Stevens, „Must“, hinter FGK verberge sich ein kanaanäischer Mythos vom “göttlichen Krieger”, der Schwierigkeiten überwinden muss, um am Ende jedoch die Feinde zu besiegen. Damit stimmt die Beobachtung von Bennett, Son, 128 überein, dass Markus Schriftzitate gewöhnlich mit QBVKeinleitet. In 9,12 gebraucht er stattdessenKBPC, eine Konjunktion, die normalerweise einen Wunsch, einen Befehl oder eine Notwendigkeit anzeigt.

Motivgeschichtliche Analyse

71

geborgen ist. So verwundert es nicht, dass sie vorwiegend im Zusammenhang mit leidvollen Ereignissen wie Kriegen, Unterdrückung und Verfolgung, kurz mit der Leidensgeschichte der „Heiligen“ Gottes (Dan 7,18.27) begegnet. Ebenso charakteristisch für die frühjüdische Apokalyptik ist die Hoffnung auf ein nahes Ende der Zeiten, an dem Gott das Schicksal seiner Gerechten ebenso wie die gesamte bestehende Weltordnung von Grund auf wenden wird. Mit FGK praktisch gleichbedeutend ist der Hinweis auf das „geschriebene“ Schicksal des Menschensohnes in Mk 9,12; 14,21.49. Er knüpft vermutlich ebenfalls an frühjüdisch-apokalyptischen Sprachgebrauch im Zusammenhang mit der Vorstellung von einem „Buch des Lebens“ an, in dem der gesamte Ablauf der Geschichte im vorhinein bereits verzeichnet ist. Theologischer Inhalt und Ziel beider Ausdrücke dürften bei Markus die gleichen sein wie in der frühjüdisch-apokalyptischen Literatur: die Glaubenden in Zeiten des Leidens zu trösten und zu stärken. Der Evangelist ist weit davon entfernt, Leiden und Tod der „Heiligen“ als gottgewollt zu legitimieren. Nicht weil Gott es will, muss Jesus und müssen die Gerechten „viel leiden“ (8,31), sondern weil sie von den Menschen zurückgewiesen werden. Oder, wie es van Iersel ausdrückt: „Wenn Gott den Menschensohn dazu verpflichtet, diesen Weg zu gehen, so geschieht das, weil die Hohenpriester und die Schriftgelehrten fest entschlossen sind, Jesus umzubringen, wenn er auf dem eingeschlagenen Weg voranschreitet. Nur unter dieser Voraussetzung verlangt Gott vom Menschensohn, dass seine Treue so weit reicht, auch einen gewaltsamen Tod auf sich zu nehmen.“35

35

Markus, 181.

2.

Jesus, der „Menschensohn“

2.1

Auf den ersten Blick

Alle drei Ansagen von Tod und Auferstehung bezeichnen Jesus als „Menschensohn“. Analog zum semitischen Sprachgebrauch, wo etwa der Ausdruck „Sohn des Rindes“ schlicht ein einzelnes Rind bezeichnet, ist damit zunächst nichts anderes gesagt, als dass Jesus eben ein Mensch ist, einer aus der Gattung Mensch. In diesem Sinne spricht beispielsweise auch Mk 3,28 von den „Söhnen der Menschen“. Auch der Sprachgebrauch bei Ezechiel, den „Gott [...] auf fast jeder Seite so anredet“,1 und in Ps 8,52 liegt auf dieser Linie. In der Folgezeit wurde der Ausdruck jedoch zur Bezeichnung einer bestimmten Gestalt im Ablauf der Endzeitereignisse.

2.2

Der Ausgangspunkt: Die Vision vom Menschensohn in Daniel 7

Eine Gestalt namens „Menschensohn“ erscheint erstmals im Buch Daniel. Dort berichtet der Seher im 7. Kapitel einen Traum (V.1), in dem „vier große Tiere“ (V.3) aus dem aufgewühlten Meer heraufsteigen. Schon die Herkunft der Tiere verheißt nichts Gutes, galt doch das Meer den Zeitgenossen als unberechenbares, bedrohliches Element.3 Um so mehr ist das durch Stürme aufgepeitschte Meer ein Bild des Schreckens und des Ausgeliefertseins. Tatsächlich entsteigen ihm in der Danielvision Untiere: vier Raubtiere, von denen eines schrecklicher anzusehen ist als das andere. Sie sind Sinnbilder der vier Weltreiche, ebenso wie in Dan 2 die aus verschiedenen Metallen bestehenden Teile der monumentalen Statue.

2.2.1

Die Vier Reiche

Zuerst sieht Daniel einen Löwen mit Adlerflügeln aus den Fluten aufsteigen. Löwe („König der Tiere“) und Adler („König der Lüfte“), bis in unsere Zeit und Kultur hinein Symbole für Macht und Stärke und beliebte königliche Wappen1 2 3

Van Iersel, Markus, 181. Vermutlich als „Ergebnis selbständiger Exegese des Verfassers“ bezieht Hebr 2,6-8 Ps 8,5-7 auf Christus als „Menschensohn“. Vgl. Popkes, Christus, 226 f.; Zitat: 227. So schreibt Plutarch von Chaironeia (* nach 45; † nach 120): „Die im Meer leben und aus der Tiefe aufsteigen, sie alle sind abweisend, haben nichts übrig für Liebreiz, sind ohne Liebe und haben keinerlei Anteil an menschlicher Gesinnung. So sagt Homer sehr gut von einem rohen und abweisenden Menschen: ‚Dich gebar die finstere Meeresflut’ [Il 16,34], denn das Meer bringt nichts Wohlwollendes und Zahmes hervor“ (De sollertia animalium 14,1; nach: Kellner, Menschensohn, 201).

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tiere, stehen für das neubabylonische Reich. Im Bildwort Ez 17,1-15 ist der Adler ein babylonischer Großkönig. Der Löwe ist „ein Hauptmotiv der assyrisch-babylonischen Hofkunst.“4 Nachdem das erste Tier buchstäblich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden ist (V.4),5 erscheint ein zweites von der Gestalt eines Bären (V.5). Dieser hält drei Rippen eines Beutetieres im Maul und wird aufgefordert, „noch viel mehr Fleisch“ zu fressen. Das gefräßige, gierige Tier symbolisiert das Perserreich, dessen Machthunger und maßloser Herrschaftsanspruch in Eroberungsfeldzügen bis nach Ägypten, Europa und Innerasien seinen Ausdruck fand.6 Das dritte Tier ist ein Panther (V.6), „das Raubtier in vollendeter Ausbildung.“7 Er steht für Alexander den Großen, der in zwölf Jahren von Makedonien aus die gesamte damals bekannte Welt über Kleinasien und den Vorderen Orient bis nach Ägypten und Indien erobert und seinem Reich 332 v. Chr. auch Palästina eingegliedert hatte. Alexander wurde häufig mit dem von einem Panther begleiteten oder mit dessen Fell bekleideten Gott Dionysos verglichen. Auf Münzen ist er mit einem pantherfellbezogenen Helm dargestellt.8 Die vier Flügel auf dem Rücken des Panthers verweisen vermutlich ebenso wie seine vier Köpfe auf die vier Feldherren Alexanders, die späteren Gründer der Diadochenreiche. Sie hatten Wesentliches zum Fortgang des Eroberungsfeldzugs beigetragen, beanspruchten aber ebenso auch ihren Teil an der Macht. Dass dem Panther die Herrscherwürde „gegeben wird“, betont Gottes alleinige Macht, Herrschaft zu geben und zu nehmen. Den negativen Höhepunkt der Vision bildet das vierte Tier, das „völlig anders ist als die anderen Tiere“ (V.7) und alle anderen an Schrecklichkeit übertrifft. „Es fraß und zermalmte alles, und was übrig blieb, zertrat es mit den Füßen.“ Wie die eisernen Beine und Füße der Statue aus Dan 2 stellt das Tier mit den großen, eisernen Zähnen die Herrschaft der Seleukiden dar. Der Verfasser lenkt die Aufmerksamkeit auf das elfte Horn des Tieres, „vor dem drei andere ausgerissen werden“ (V.8; vgl. VV.20.24). Gemeint ist König Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v. Chr.), der elfte seleukidische Herrscher, der erst nach 4 5

6 7 8

Kellner, Menschensohn, 32 verweist auf die in Berlin ausgestellten Glasurziegel von der Außenfront des Thronsaals Nebukadnezzars. Zitat: ebd. Kellner, Menschensohn, 35 hebt hervor, dass dem Tier ein „menschliches Herz“ gegeben und es „wie ein Mensch“ auf zwei Beine gestellt wird. Das Bild will vermutlich sagen, dass die babylonische Herrschaft menschlicher wird, nachdem das Reich seine Vormachtstellung einbüßen musste. Vgl. Kellner, Menschensohn, 36 f. sowie 201 f. mit Verweis auf Hdt Hist VII,8. Kellner, Menschensohn, 37. Zum Bild des Panthers insgesamt vgl. ebd., 37-39. Nämlich auf nach Alexanders Tod in Susa geprägten Tetradrachmen; vgl. Kellner, Menschensohn, 38, A.13 mit Verweis auf A. Houghton, Notes on the Early Seleucid Victory Coinage of “Persepolis”, SNR 59, 1980, 5.

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dem Gifttod seines gleichnamigen ältesten Bruders und der Ermordung des zweiten Bruders, Seleukos’ IV., sowie dessen Sohnes, des damals etwa fünf Jahre alten Thronfolgers, an die Macht kam.9 Auf die Beschreibung des elften Horns wird besondere Sorgfalt verwendet. Eigens hervorgehoben werden die „Augen wie Menschenaugen“ und das „Maul, das anmaßend redete“ (V.8). Wie schon bei den Persern, wo „Augen des Königs“ eine Bezeichnung für Spitzel und Spione ist, meinen die Augen vermutlich auch hier die unter der Regierung dieses Königs allgegenwärtigen Spitzel.10 Auf die „anmaßenden Worte, die das Horn redete“, wird in der folgenden Gerichtsszene (V.11) nochmals Bezug genommen. Sie könnten eine Anspielung auf den Thronnamen sein, mit dem sich Antiochus IV. als „offenbar gewordener Gott“ (theos epiphanes) bezeichnete, oder auf seine Propaganda im allgemeinen. Im Nachtrag (VV.19-27), der die Vision aus einem späteren Blickwinkel heraus korrigiert und aktualisiert,11 heißt es konkreter: „Er lästert über den Höchsten und unterdrückt die Heiligen des Höchsten. Die Festzeiten und das Gesetz will er ändern“ (V.25).

2.2.2

Der Bezugspunkt: Die syrische Religionsverfolgung der Jahre 170-160 v. Chr.

Die detailgetreue Schilderung der Regierung des elften „Horns“ verweist auf die Entstehungszeit des Buches zur Zeit der Verfolgung der jüdischen Religion unter Antiochus IV. Epiphanes.12 Dieser hatte es sich zum Ziel gesetzt, den Kult in seinem gesamten Reich zu vereinheit-lichen, wie es im ersten Makkabäerbuch heißt: „Da erging ein Schreiben des Königs Antiochus an sein ganzes Reich: Alle sollen ein Volk sein. Jeder soll seine eigenen Sitten aufgeben“ (1,41 f.). So ließ er im Jahr 170 v. Chr. den Jerusalemer Tempel plündern und verbot von da an die Darbringung der täglichen Opfer. Stattdessen ordnete er die bei den Hellenen üblichen Opfer an (vgl. 1 Makk 1,45-48). Im Dezember 168 wurde auf seinen Befehl auf dem großen Brandopferaltar der „Gräuel der Verwüstung“ (1 9

10 11

12

Livius (35,15) verdächtigt den Vater Antiochus III. der Anstiftung zum Mord an seinem ältesten Sohn, der selbst vermutlich bereits Mitregent des Vaters war. Münzfunde aus den Jahren 175 bis 173 erwähnen einen “boy king Antiochos“, Sohn Seleukos’ IV. Es ist zu vermuten, dass dieser von Antiochus IV. Epiphanes zunächst adoptiert und später ermordet wurde. Vgl. Kellner, Menschensohn, 44 mit Verweis auf Mørkholm, Accession. Kellner, Menschensohn, 46 verweist für die Bedeutung der „Augen“ auf Hdt Hist I,100; 114; Xen Kyr 8,2,10. Die Vision endete ursprünglich nach dem Auftritt des Deuteengels mit der feierlichen Formel D\PO> aO> G>Z DPO>G> „bis in Ewigkeit und in die Ewigkeit der Ewigkeiten“. Vgl. Kellner, Menschensohn, 62-66. Dabei griff der Autor vermutlich auf eine bereits vorliegende Vier-Tiere-Vision zurück. Aufgrund der „urtümlichere[n], altorientalischere[n] Bildgewalt“ vermutet Kellner wesentlich ältere Quellen, die noch vor die Ptolemäerzeit zurückgehen (Menschensohn, 26; vgl. 20).

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Makk 1,54) errichtet, vermutlich ein Bild des Zeus Olympikos (vgl. 2 Makk 6,2) oder des Ba’al Schamaim, des syrischen „Himmelsherrn“.13 Gesetzesbücher wurden, wo man sie fand, zerrissen und verbrannt (1 Makk 1,56). Der Besitz von Gesetzesbüchern (1 Makk 1,57), die Verweigerung der Teilnahme an den angeordneten Opfern (2 Makk 6,18-31; 7,1-41), die Beschneidung von Kindern (1 Makk 1,48.60 f.; 2 Makk 6,10), die Feier des Sabbats (2 Makk 6,11) wurden mit Folter und Tod bestraft: „Wer aber des Königs Anordnung nicht befolge, müsse sterben“ (1 Makk 1,50).14 Die Durchsetzung der königlichen Anordnungen wurde durch ohnehin dem Hellenismus zugewandte Kollaborateure erheblich erleichtert. Spitzel aus dem eigenen Volk verrieten diejenigen, die noch am Gesetz festhielten (vgl. 2 Makk 6,11). 1 Makk 1,11 ff.; 2,18 und Dan 11,39 ist die Rede von jüdischen Beamten und Offizieren, die für ihre Ergebenheit vom König gut bezahlt und durch Überlassung von Ländereien belohnt wurden. Sie stammten vor allem aus der Oberschicht, so zum Beispiel aus der Familie und dem Umfeld des Hohenpriesters Jason (2 Makk 4,10), dessen Name bereits seine Sympathie mit dem Griechentum verrät. Der Autor des Danielbuches gehörte vermutlich zur Gruppe der „Frommen“ (1 Makk 7,17) oder Hasidäer (Chasidim) (1 Makk 7,13). Sie dürften mit den „Heiligen“ in Dan 7,18.27 und den „Verständigen, [...] die viele zum rechten Tun geführt haben“ (Dan 12,3), identisch sein. Ursprünglich als Gebets- und Lesekreise gegründet, unterstützten sie später den bewaffneten Aufstand (1 Makk 2,42; 2 Makk 14,6). Wie der Held des Danielbuches (vgl. Dan 1,3-21) könnte der Verfasser ein „Weiser“ sein, ein schriftkundiger Jude, der als Beamter in seleukidischen Diensten stand.15 Die Makkabäerbücher berichten von dem durch den Priester Mattatias aus Modeïn spontan entfachten Aufstand (1 Makk 2,15-28), dessen Führung sein Sohn Judas, der „Makkabäer“ (Hebr. makkabi = Hammer), übernimmt (1 Makk 2,66). Nach schweren Niederlagen wendet sich das Blatt zugunsten der Freiheitskämpfer. Der plötzliche Tod des Antiochus (1 Makk 6,1-16; 9,1-29) bringt seinen minderjährigen Sohn auf den Thron, dessen Vormund einen Versöhnungskurs mit dem jüdischen Volk einschlägt. Am 14. Dezember 164 konnte der Kult im Tempel wieder aufgenommen werden (1 Makk 4,36-61; 2 Makk 10,1-8). Unter Demetrius I. Soter, einem Sohn Seleukos’ IV., der sich bereits zwei Jahre später an der Stelle Antiochus’ V. Eupator und dessen Vormundes 13

14 15

Das griechische DFGNWIOC GXTJOYUGYL übersetzt das hebräische aPYP ZTY (Dan 9,27; 11,31; 12,11), eine „Verballhornung des Namens der höchsten heidnischen Himmelsgottheit“ (Theißen, Lokalkolorit, 167). Nach Hengel kam es auch zu Kreuzigungen; vgl. Mors, 171 mit Verweis auf Jos Ant 12,256; Ass Mos 8,1. Zum Umfeld des Verfassers und zu den „Frommen“ vgl. Kellner, Menschensohn, 207 f.

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Lysias an die Macht bringt (1 Makk 7,1-3; 2 Makk 14,1 f.), kommt es endlich zur entscheidenden Schlacht. In ihr fällt am 27.3.160 der griechische Feldherr Nikanor (1 Makk 7,43; 2 Makk 15,28). Nach dem Tod des Judas im Jahr 161 (1 Makk 9,1-21) übernehmen seine Brüder Jonatan (161-143 v. Chr.) und Simeon (143-135 v. Chr.) seine Nachfolge. In dieser Zeit entwickelt sich aus der Familie der „Makkabäer“ die Dynastie der Hasmonäer. Ab 153 beansprucht Jonatan das Amt des Hohenpriesters. Simeon wird schließlich 141 von Rom als unabhängiger Herrscher anerkannt. Unter Alexander Jannäus (103-76 v. Chr.), der als erster aus der Dynastie der Hasmonäer den Königstitel führt, kommt es endgültig zum Bruch mit den „Frommen“, den aus der Hasidäerbewegung hervorgegangenen Pharisäern. Um das Jahr 88 v. Chr. lässt der König 800 Pharisäer öffentlich kreuzigen (Jos Bell 1,4,6; Ant 13,380-383).16 Die Verfolgung gerade jener Gruppen, „die einst den Aufstand gegen die Seleukiden geistig getragen hatten“, ist ein Zeichen dafür, dass die Entwicklung von den Anführern der Revolution zum Herrscherhaus vollzogen ist.17

2.2.3

Das Gegenprogramm zu den Weltreichen: Der Menschensohn

Nach der ausführlichen Beschreibung des vierten Tieres findet in V.9 ein Szenenwechsel statt. Die Wiederholung der Rahmenbemerkung „Ich schaute“ (Hebr. W\ZK K][ VV.2.4.6.7; vgl. V.13) markiert einen Neueinsatz. Statt in die düsteren Tiefen des Meeres geht der Blick in die Höhe, zu den „Wolken des Himmels“ (vgl. V.13). Die Bilder werden hell: Von einem Gewand „weiß wie Schnee“, von Haar „wie reine Wolle“ ist die Rede, von Feuerflammen und loderndem Feuer (V.9). Mit dem „Alten an Tagen“ kommt ein neuer Akteur ins Spiel: vermutlich Gott oder doch wenigstens sein Vertreter.18 Er nimmt auf einem Thron Platz. „Tausendmal Tausende dienten ihm, zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm“ (V.10). Ein Thronrat (vgl. 1 Kön 22,19-22; Ps 103,19-21; Job 2,1) setzt sich und schlägt Bücher auf. Es wird Gericht gehalten 16

17 18

Stellenangaben nach Hengel, Mors, 177. Kellner, Menschensohn, 211 verweist darüber hinaus auf einen in Qumran gefundenen Kommentar des Buches Nahum, der einen Herrscher, der „Männer lebendig an den Pfahl gehängt hat“ (4QpNah 1,7), in Anspielung auf Nah 2,13 als „Löwe des Zorns“ bezeichnet. Gemeint ist ohne Zweifel Alexander Jannai, der neben seiner Grausamkeit der Besitzgier (4QpNah 1,11) angeklagt wird. Zitat: Kellner, Menschensohn, 211; vgl. 69. Nach Kellner, Menschensohn, 47 ist der „Hochbetagte“ nicht Gott selbst, sondern sein Stellvertreter, wobei die Gestalt als Neuschöpfung des Verfassers gelten müsse. Er argumentiert, dass „Alter an Tagen“ kein Name Gottes sei. Jedoch erinnert die Gestalt des „Hochbetagten“ vor allem in der Beschreibung der Helligkeit, des Lichtglanzes und Feuerscheins an die „Herrlichkeit Gottes“ bei Ezechiel (1,26-28), die übrigens „wie ein Mensch“ aussieht (aGDKDUPN Ez 1,26 vgl. YQDUENDan 7,13).

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über die seleukidische Dynastie, deren Untergang letztlich den „anmaßenden Worten“ des „Horns“, den Lästerungen Antiochus’ IV. Epiphanes’, zugeschrieben wird (V.11). Auch die anderen Reiche werden entmachtet (V.12).19 Inmitten der Verfolgung und der ungerechten, unterdrückerischen Fremdherrschaft gibt diese Vision die tröstliche Gewissheit: Alle Untaten sind verzeichnet; sie werden nicht vergessen. Es gibt jemanden, „der dafür sorgt, dass im Lauf der Geschichte Gerechtigkeit zum Zuge kommt.“20 Ein erneutes „Ich schaute“ markiert wiederum einen Neueinsatz. Die beiden folgenden Verse sind im Versmaß komponiert (13 f.). Hier erreicht die Vision ihren Mittelpunkt und positiven Höhepunkt. Das fünfte Wesen tritt auf: „Mit den Wolken des Himmels“ kommt „einer wie ein Menschensohn“ und tritt vor den Thron des Hochbetagten (V.13). Dem Wesen in Menschengestalt wird die Herrschaft verliehen. Es ist eine vollkommene Herrschaft über „Völker, Nationen und Sprachen“ wie die des Hochbetagten, dem Tausende und Abertausende dienen. Sie ist „ewig“ und „unvergänglich“ wie der Hochbetagte, dessen Alter ein Bild seiner Ewigkeit ist. (V.14) Die Bezeichnung „Menschensohn“ ist hier zu verstehen als „ein Mensch“, ein Exemplar der Gattung Mensch. Daher wäre V.13 zutreffender zu übersetzen: „einer wie ein Mensch“. Das menschliche Aussehen unterscheidet diese Gestalt von den vier grausamen Reichen in Raubtiergestalt, die ihm vorausgegangen sind.21 Im Gegensatz zur Grausamkeit dieser Reiche verkörpert der „Menschensohn“ eine menschliche, menschenfreundliche Herrschaft. Mit ihm kommt die Menschlichkeit an die Macht. Nach den ausbeuterischen, gierigen, grausamen Herrschern wird etwas Neues angekündigt, eine neue, menschliche Art der Politik und des Umgangs miteinander. „Die Verantwortung und Leitung auf der Welt soll [...] nun in der Weise ‚des Menschen’ übernommen werden“.22 Gemäß der Deutung, die sich wie üblich der Vision anschließt und in klassischer Manier durch einen Deuteengel erfolgt (VV.15-18), und dem Anhang (VV.19-27) repräsentiert der „Menschensohn“ die „Heiligen des Höchsten“, denen nach dem Ende des vierten Tieres und des „Horns“ die Herrschaft übergeben wird (VV.18.22.27). Auch hier zeigt sich wie bereits in der Vision von der Statue im Kapitel 2 die Naherwartung des Danielbuches, das direkt nach dem Ende des gegenwärtigen Herrschers mit der Erneuerung aller Herrschaftsverhältnisse rechnet. Das „Volk“ der Heiligen des Höchsten (V.27) meint wie 19

20 21 22

Nach Kellner, Menschensohn, 51 f. ist der Vers eingeschoben, da er in einem Zusammenhang, in dem ausschließlich vom vierten Tier die Rede war, nochmals auf die drei ersten Tiere zurückkommt. Kellner, Menschensohn, 49. Damit erinnert V.13 an V.4, wo dem ersten Tier ein aufrechter Gang und ein Herz „nach Menschenart“ gegeben werden. Kellner, Menschensohn, 57; vgl. 54 f.; 78.

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Dan 12,1 ein auserwähltes Volk innerhalb Israels, „jeden, der im Buch verzeichnet ist“. Die „Heiligen“ stehen für diejenigen, die durch die Bedrängnis der Religionsverfolgung hindurch am Gott Israels und an seinem Gesetz festgehalten haben; „jene Menschen, die den Herrn lieben und seine Weisungen befolgen“ (Dan 9,4). Entsprechend wird Israel bei der Auferstehung der Toten gerichtet: die einen erwachen „zum ewigen Leben“, die anderen „zur Schmach, zu ewigem Abscheu“ (Dan 12,2). Die Herrschaft wird den Gerechten gegeben. „Solche Menschen werden sich für eine menschliche Ordnung unter Menschen verantwortlich wissen“.23 Die Menschensohn-Vorstellung wurzelt demnach in derselben geschichtlichen Situation wie der apokalyptische Gebrauch von FGK. Wie dieser entspringt auch die Hoffnung, dass an die Stelle der Weltreiche und ihrer unmenschlichen Herrschaftsformen schon bald eine menschliche Form des Umgangs treten wird, einem unerschütterlichen Vertrauen auf Gottes Treue und auf seine Macht, die in der Geschichte das letzte Wort behalten wird, selbst angesichts der blutigen Verfolgung seiner Frommen.

2.3

Die Weiterentwicklung der MenschensohnVorstellung in Äth Hen, 4 Esr, Apk Bar

In der Vision vom Endgericht in Dan 7 tritt erstmals „einer wie ein Mensch“ vor den Thron Gottes. Dieser „Menschensohn“ ist nicht am Gericht und an der Vernichtung der Weltreiche beteiligt. Das Gericht liegt in Gottes Händen, aus denen der „Menschensohn“ auch die Herrschaft empfängt (vgl. V.14). In späteren Traditionen der frühjüdischen Apokalyptik wird „Menschensohn“ als feststehender Titel zum Namen einer endzeitlichen, von Gott beauftragten Richter- und Herrschergestalt. In den Bilderreden des Äthiopischen Henochbuches (Kap. 37-71) ist der „Menschensohn“ zunächst „eine gottnahe Einzelgestalt, die als Richter die Anerkennung Gottes auf dem ganzen Erdkreis durchsetzt und den Gerechten ihren Lohn verschafft.“24 In jüngeren Teilen der Bilderreden verschmilzt die Gestalt des „Menschensohnes“ zunehmend mit der des „Messias“ (hebr. [\YP = der Gesalbte), eines Königs aus davidischem Geschlecht, von dem für immer die Wiederkehr der Glanzzeit des Königreiches unter David und Salomo und u. a. auch eine gerechte, menschliche Herrschaft erwartet wird (vgl. 2 Sam 7,12-16; Jes 9,4.6; 11,1-5).25 Die Schlussredaktion der 23 24 25

Kellner, Menschensohn, 62. Vgl. äth Hen 47; 48,2-7; 67 sowie Müller , Menschensohn I, 163-167. Zitat: Zeller, Logienquelle, 75. So sitzt der Menschensohn in der 3. Bilderrede auf dem Thron wie der „Auserwählte“, eine in früheren Texten zunächst von ihm unterschiedene, messianische Gestalt; vgl. äth

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Bilderreden (nach 40 v. Chr.) identifiziert den „Menschensohn“ schließlich ganz mit dem „Gesalbten“.26 Ähnliche Tendenzen sind in späten Werken derselben Epoche zu beobachten. In der Endzeitvision im 13. Kapitel des 4. Esrabuches, das wie die Evangelien in das letzte Viertel des 1. Jahrhunderts zu datieren ist, trägt der Menschensohn ebenfalls messianische Züge.27 In der Wolkenvision der um 100 n. Chr. entstandenen Syrischen Baruchapokalypse (Kap. 53) nimmt der Messias seinerseits Züge des Menschensohnes an.28 Die Vermischung verschiedener Zukunftserwartungen ist ein Zeichen für die Vermischung verschiedener jüdischer Gruppierungen nach der Eroberung Jerusalems 63 v. Chr., namentlich von Pharisäern und Apokalyptikern. Erstere rechneten mit der Wiederkehr des davidischen Königtums in der Gestalt des Messias; letztere erwarteten im Gericht des Menschensohnes einen radikalen Bruch mit dem Vergangenen.29

2.4

Die Gestalt des „Menschensohnes“ im Neuen Testament

„Menschensohn“ erscheint als Titel Jesu in allen vier Evangelien und in der Apostelgeschichte.30 Entsprechend der Thematik der vorliegenden Untersuchung soll hier lediglich die Geschichte seines Gebrauchs in der Logienquelle und im Markusevangelium nachgezeichnet werden.

2.4.1

Die Logienquelle: Jesus als Richter

Unter den christlichen Traditionen hat die Logienquelle Q, die nach der allgemein anerkannten „Zwei-Quellen-Theorie“ den bei Matthäus und Lukas gemeinsam überlieferten Jesusworten zugrunde liegt,31 den Titel vermutlich als erste rezipiert. Die schriftliche Niederlegung der Spruchsammlung wird etwas

26 27

28 29 30 31

Hen 62,5; 69,27.29 mit 22,2.3; 45,3; 51,3; 55,4; 61,8 sowie Müller, Menschensohn I, 167-169. Vgl. äth Hen 48,10; 52,4 sowie Müller, Menschensohn I, 169-171. Vgl. insbesondere VV.1-13 mit dem messianischen Ps Sal 17,22-33.35a sowie VV.37 f. (der Messias hält Gericht); V.49 (andauernde Herrschaft des Messias) und Müller, Menschensohn I, 181-183. Vgl. Müller, Menschensohn II, 54. Vgl. Müller, Vorliterarische Überlieferung. Nämlich je 11x bei Markus und Johannes; 14x bei Matthäus; 6x bei Lukas und einmal in Apg 7,56. Johann Gottfried Eichhorn schloss in seinem 1794 erschienenen Buch „Über die drey ersten Evangelien“ erstmals auf die Existenz einer solchen Quelle. Voll ausformuliert findet sich die These in seiner „Einleitung in das Neue Testament“ von 1804.

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vor das Jahr 70 datiert, d. h., ungefähr in den selben Zeitraum wie das Markusevangelium. Wie dieses verarbeitet sie bereits länger mündlich umlaufendes Material, das teilweise sehr weit in die Jesusbewegung zurückreicht. Einzelne Doppelüberlieferungen (darunter die Versuchungsgeschichte Mk 1,12 f. par Lk 4,1-13; Mt 4,1-11 und die Täuferrede Mk 1,7 f. par Lk 3,7-9.16 f.; Mt 3,7-12)32 lassen darauf schließen, dass Q und Markus zum Teil aus derselben – mündlichen oder schriftlichen – Tradition geschöpft haben. In alten Traditionsstücken, wie sie in Q niedergelegt sind, wird Jesus erstmals als „Menschensohn“ bezeichnet. Der Weg von einer „unabhängigen“ Menschensohnvorstellung (QLk 11,30; 12,40; 17,24.26.30; QMt 19,28), wo „keinerlei Bezug zum Sprecher Jesus wahrnehmbar“ ist, über die Erwartung einer Richtergestalt, deren Richtspruch sich am Verhältnis des Gerichteten zu Jesus orientiert (QLk 12,8 f.; vgl. Mk 8,38), bis hin zum Glauben an den irdischen Jesus als bereits gekommenen Menschensohn (QLk 6,22; 7,34; 9,58) ist anhand der Q-Sprüche noch deutlich nachzuzeichnen.33 „Die Logienquelle freilich sieht in all diesen Fällen im Menschensohn den wiederkommenden Jesus“. Sie betont durch den Menschensohn-Titel Jesu Funktion als endzeitlicher Richter, in die er durch die Auferstehung eingesetzt ist. Als solcher verleiht Jesus der Predigt der Q-Missionare Autorität.34

2.4.2

Das Markusevangelium: Jesus als leidender und auferstandener Menschensohn

Wie die Logienquelle greift Markus bereits auf einige Menschensohn-Worte zurück, so in den Galiläischen Streitgesprächen Mk 2. Der irdische Jesus bezeichnet sich hier selbst als „Menschensohn“. Kraft seiner Autorität als zukünftiger Richter besitzt er Vollmacht zur Sündenvergebung (V.10) und ist „Herr über den Sabbat“ (V.28). Seine Vollmacht „begründet gegenüber den Schriftgelehrten und Pharisäern die neue Lebenspraxis und Gemeinschaft“.35 Ebenfalls vormarkinisch ist das 13. Kapitel des Markusevangeliums. Die sogenannte „Apokalypse“ bezieht traditionelles apokalyptisches Gedankengut auf konkrete Gegebenheiten der Gegenwart.36 Vermutlich erwartete man im 32 33 34 35 36

Zu Doppelüberlieferungen in dem von uns behandelten Evangelienabschnitt vgl. S.23, A.1. Vgl. Zeller, Logienquelle, 76 f. Zitat: 76. Vgl. Zeller, Logienquelle, 64; 76 (Zitat: ebd.); 78. Kmiecik, Menschensohn, 278. So bringt Theißen den „Gräuel der Verwüstung“ (V.14b; vgl. S.76, A.13) mit der Krise des Jahres 39/40 in Verbindung, als Caligula auf die Zerstörung eines Kaiseraltares durch Juden in Jamnia hin den syrischen Statthalter beauftragt, eine Kaiserstatue im Jerusalemer Tempel aufzustellen. Der Konflikt wurde durch die Ermordung des Kaisers am 24.1.41 beendet (vgl. Philo leg Gai 197-337; Jos bell 2,184-203; Jos ant 18,256-

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Umfeld des Redaktors aufgrund von Ereignissen wie der Tempelzerstörung und der Einnahme Jerusalems, die in der Tat den historischen Kontext des Danielbuches lebendig werden lassen, in allernächster Zeit das Ende.37 Entsprechend bewegt sich das Bild des Menschensohnes in Mk 13,26 ganz im Bereich traditioneller Apokalyptik. Mit der Ankündigung einer Gestalt, die „mit den Wolken des Himmels kommt“, greift der Vers explizit auf Dan 7,13 zurück. „Menschensohn“ meint hier somit den endzeitlichen Herrscher und Richter im traditionellen Sinn. Auf dieselbe Stelle aus dem Danielbuch bezieht sich auch die Ankündigung der Wiederkunft des Menschensohnes in Mk 14,62. Der Vers könnte für sich genommen auch als Ankündigung einer „unabhängigen“, nicht mit der Person Jesu identischen Menschensohn-Gestalt gedeutet werden. Die Reaktion des Hohenpriesters zeigt jedoch, dass die Passionsgeschichte in der uns vorliegenden Form Jesus mit dem Menschensohn identifiziert. Paradoxerweise offenbart sich Jesus ausgerechnet als Angeklagter vor Gericht als „Menschensohn“.38 Die paradoxe Darstellung des leidenden Jesus als Menschensohn beginnt bereits im Mittelteil des Evangeliums. In den drei Leidensankündigungen und in dem von Inhalt und Wortwahl her verwandten Gespräch beim Abstieg vom Berg der Verklärung (Mk 9,9.12) wird der Titel im Zusammenhang mit Leiden und Auferstehung gebraucht. Mk 10,45 stellt den Titel „Menschensohn“ in den Zusammenhang der freiwilligen Selbsthingabe Jesu. Schließlich wird innerhalb der Passionserzählung zweimal von der „Auslieferung“ des Menschensohnes gesprochen. Im Kontext des Abendmahls thematisiert Mk 14,21 den Leidensweg des Menschensohnes, wobei Vokabeln aus Mk 9,12 f. (IGITCRVCK) und Mk 9,31 (RCTCFKFQVCK) aufgenommen werden. Kurz vor der Festnahme Jesu in Gethsemani wiederholt Mk 14,41 nochmals fast wörtlich die zweite Leidensankündigung. Die pointierte Verknüpfung von Menschensohn-Titel und Leidensaussage ist gegenüber der einfachen Identifikation Jesu mit dem Menschensohn-Richter etwa in der Logienquelle und in den Galiläischen Streitgesprächen neu und bemerkenswert. Dadurch, dass Jesus gerade in seinem Leiden als „Menschensohn“ bezeichnet wird, kommt „zum Ausdruck, dass eben dieser abgelehnte und

37 38

309). Die Kriege und Kriegsgerüchte (VV.7 f.) bezieht er auf die Konflikte mit den Parthern in den Jahren 35-37 und den Nabatäern im Jahr 36, die Erdbeben (V.8) auf diejenigen, die Antiochien und Teile Syriens am 9.4.37 erschütterten; vgl. Lokalkolorit, 149-171. Kmiecik, Menschensohn, 288 sieht V.14b im Zusammenhang der Tempelzerstörung um 70. Vgl. Kmiecik, Menschensohn, 78; 279. Im Kontext des Verhörs erhält die Ankündigung des Menschensohn-Richters die Bedeutung einer Gerichtsansage an das Synhedrion ; vgl. Kmiecik, Menschensohn, 291; Bösen, Tag, 185.

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g e t ö t e t e Jesus kein anderer als der kommende Menschensohn ist.“39 Zwar ist der Menschensohn bereits in Dan 7 Repräsentant eines leidenden Volkes (vgl. V.25). Dem Publikum des Markus war dieser Umstand jedoch offenbar nicht mehr selbstverständlich, zumal jüngere Überlieferungen vom Menschensohn wie das äthiopische Henochbuch und das vierte Esrabuch den Schwerpunkt auf die Macht und Herrlichkeit des erwarteten Menschensohnes legen.40 So hebt der Redaktor die Identität des endzeitlichen Herrschers und Richters mit dem leidenden und auferstandenen Jesus durch die Schweigegebote an die Jünger (8,30; 9,9) und die Szenen vom Unverständnis der Jünger eigens hervor. Dies lässt möglicherweise auch darauf schließen, dass die Verknüpfung von Menschensohn-Titel und leidendem Jesus von ihm selbst eingebracht wurde. Zumindest verrät die kontextuelle Einbindung, dass hier sein besonderes Augenmerk liegt.41 Die Verwendung des Menschensohn-Titels im Evangelium weist hier ebenfalls einen Schwerpunkt aus: 8 von 11 Belegen stehen im näheren oder weiteren Kontext des Leidens Jesu. In der christologischen Konzeption des Markusevangeliums spielt der Menschensohn-Titel eine entscheidende Rolle. Während andere Titel auch im Mund der Jünger („Messias“ 8,29) oder Dämonen („Heiliger Gottes“ 1,24; „Sohn Gottes“ 3,11; 5,7) erscheinen und bis nach der Auferstehung mit einem Schweigegebot belegt sind (vgl. 1,25.34; 3,12; 8,30; 9,7.9), begegnet „Menschensohn“ ausschließlich als autorisierte Selbstbezeichnung Jesu.42 Im Zusammenhang mit seinem Leiden und speziell in Mk 8,31 scheint er eine Art „Korrektur oder notwendige Ergänzung“43 des Messiastitels (vgl. 8,29) zu sein. Darüber hinaus werden auch die königlichen Titel „Messias“, „Sohn Gottes“ und „König der Juden“ ab einem Wendepunkt in Mk 8,29 bewusst in den Zusammenhang des Leidens und Todes Jesu gestellt. So wird das erste Erscheinen des Messiastitels in Mk 8,29 durch die erste Leidensankündigung (Mk 8,31) erläutert. Ein Verweis auf das „schriftgemäße“ Leiden ergänzt die Aussage der Wolkenstimme, die Jesus als „geliebten Sohn“ proklamierte (Mk 9,7.12). Als 39 40 41

42

43

Hoffmann, Mk 8,31, 181; Hervorhebung original. Vgl. Popkes, Christus, 224 f.; Kellner, Menschensohn, 71 f. Vgl. Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 27-29. Nach Strecker wurden „schon in der vormarkinischen Überlieferung [...] Sprüche vom leidenden Menschensohn tradiert“ (ebd., 27 mit Verweis auf Mk 10,45 und Mk 14,21). Hoffmann, Mk 8,31, 180 verweist auf QLk 7,34; 13,34b.35, wo abgelehnter Jesus und MenschensohnRichter bereits identisch seien. Bösen schließt aus der Beobachtung, dass „Menschensohn“ ausschließlich im Munde Jesu begegnet, u. a. auf die Verwendung des Titels durch den historischen Jesus selbst (Tag, 184 mit Verweis auf Schierse, Christologie, 35 und Schürmann, Gottes Reich, 153-182). Van Iersel, Markus, 181. Vgl. auch Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 28 f., A.31.

84

Motivgeschichtliche Analyse

Angeklagter vor dem Hohen Rat enthüllt Jesus seine Identität als „Menschensohn“ und „Sohn des Hochgelobten“, d. h. als Messias (Mk 14,61 f. vgl. Ps 2,7; 110,1.3). Die Soldaten der römischen Kohorte verspotten ihn als „König der Juden“ (Mk 15,18). Ebenso lautet die Schuldaufschrift am Kreuz (Mk 15,26). Von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten wird er unter dem Kreuz als „der Messias, der König von Israel“ verhöhnt (Mk 15,31 f.). Den Höhepunkt dieser Linie bildet das Bekenntnis des römischen Hauptmanns angesichts des Todes Jesu: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (Mk 15,39).44 Es scheint dem Redaktor also in der Tat sehr wichtig zu sein, die Hoheitstitel in der Person des leidenden und auferstandenen Jesus zu erden. Hörerinnen und Leser finden ihr Spiegelbild im Evangelium bekanntlich in der Gruppe der Jünger. Im Zusammenhang mit dem Gebrauch des Menschensohn-Titels fällt nun auf, dass Jesus sich ausschließlich diesen gegenüber als leidender Menschensohn offenbart (8,31; 9,9.12.31; 10,33.45; 14,21.41). Außenstehenden zeigt er sich dagegen in der Vollmacht des endzeitlichen Richters, so den Diskussionsgegnern der Streitgespräche (2,10.28) und dem „Volk“ (8,38). Offenbar bedarf die Gemeinde des Evangelisten besonders der Unterweisung über das Leidensschicksal Jesu. Auch die Szenen vom Unverständnis der Jünger verweisen auf Probleme mit dem leidenden „Menschensohn“. Diese hängen möglicherweise mit „neu auftretenden Verfolgungen und Anfechtungen“ zusammen.45 In einer solchen Situation hat die Verkündigung eines leidenden und auferstandenen „Menschensohnes“ ihren Platz in der Paränese: Den Jüngerinnen und Jüngern kann es in der Nachfolge Jesu nicht anders ergehen als Jesus selbst, der durch Leiden und Tod in die Herrlichkeit Gottes einging. Mit der Verkündigung des Leidenden und Auferstandenen als Menschensohn verbindet sich der Ruf in die Nachfolge und der Aufruf zur Standhaftigkeit in der Verfolgung. Am Bekenntnis zu Jesus entscheidet sich, ob der Menschensohn sich beim endzeitlichen Gericht zu den Adressaten bekennt oder sich vielmehr ihrer schämt (vgl. Mk 8,38) und ob sie „zu den Erwählten gehören, die der Menschensohn bei der endzeitlichen Sammlung zusammenführt“ (vgl. Mk 13,9-13.27).46 Die Praxis der Nachfolge ist zugleich die Voraussetzung, Jesus und seinen Weg überhaupt zu verstehen. „Nur für denjenigen, der in der Nachfolge Jesu steht und sein Handeln ausrichtet am Leiden und Sterben des Menschensohnes, ist es möglich, Jesus richtig zu begreifen“.47 Gegenüber der Logienquelle, die die Würde Jesu als endzeitlicher Richter hervorhebt, geht das Markusevangelium also gerade den umgekehrten Weg. Der Redaktor legt Wert darauf, die hoheitsvolle Gestalt des Menschensohnes an die 44 45 46 47

Vgl. Ornelas, Caminho, 397 f. Kmiecik, Menschensohn, 282. Kmiecik, Menschensohn, 289 (zu Mk 13,9-13.27); vgl. 284 f. (zu Mk 8,38). Kmiecik, Menschensohn, 298 f.; vgl. Bösen, Tag, 41; Ornelas, Caminho, 253 f.

Motivgeschichtliche Analyse

85

irdische Gestalt Jesu von Nazareth zurückzubinden und den Titel des endzeitlichen Herrschers und Richters mit seinem Leben und vor allem seinem Leiden und Sterben in eins zu sehen. Zwischen der Vorstellung des endzeitlichen Herrschers und Richters und der irdischen Leidensgestalt Jesu ergibt sich ein hermeneutischer Zirkel: Der Titel „Menschensohn“ „verleiht dem Leiden und Sterben Jesu [...] eschatologisch-hoheitlichen Rang. Zugleich aber erweist sich die Würde Jesu als Menschensohn gerade durch sein Leiden und seine Auferstehung.“48

2.5

Fazit

Der Titel „Menschensohn“, mit dem Jesus in den drei Leidensankündigungen bezeichnet wird, entstammt der Vier-Tiere-Vision im 7. Kapitel des Danielbuches. Dort meint „Sohn des Menschen“ gemäß semitischem Sprachgebrauch einen einzelnen Menschen, ein Exemplar der menschlichen Gattung. Der „Mensch“, der in Dan 7 vor den Thron Gottes tritt, steht gegenüber den vier Tieren, die die Weltreiche darstellen, für eine menschliche Form der Machtausübung und des Umgangs miteinander. Stellvertretend für die „Heiligen des Höchsten“, die diesen menschlichen Umgang praktizieren, empfängt er nach dem Gericht über die Weltreiche von Gott die ewige Herrschaft. In späteren apokalyptischen Schriften wie dem äthiopischen Henochbuch wird der Menschensohn selbst zum Richter der Endzeit. Auf diese Vorstellung bezieht sich auch die Logienquelle, wenn sie Jesus als erste christliche Tradition mit dem „Menschensohn“ identifiziert. Wie das Interpretament FGK geht auch der Menschensohn-Titel auf die Zeit der Verfolgung gottesfürchtiger Juden unter Antiochus IV. Epiphanes zurück. Die Erwartung der baldigen Ablösung unmenschlicher Reiche durch menschliche Herrschaft und Umgangsformen spiegelt den Glauben und das tiefe Gottvertrauen der Apokalyptiker wider. In Zeiten des schlimmsten Leidens wissen sie sich in Gottes Geschichtsplan geborgen. Gegenüber der Logienquelle stellt Markus den Menschensohn-Titel betont in den Zusammenhang des Leidens Jesu; so durch seine Verwendung in den drei Leidensansagen und im gesamten Mittelteil (vgl. 9,9.12; 10,45) sowie in der Passionsgeschichte (14,21.41.62). Dass der Titel als einziger ausschließlich im Munde Jesu erscheint, ist ein Anzeichen für seine Bedeutung im christologischen Konzept des Markusevangeliums. Gegenüber anderen Titeln zeichnet er eine Art Gegenbild, das zugleich mit der Hoheit des Gottessohnes Jesu Leiden und Sterben in den Blick nimmt. Für Markus gehört beides zusammen: Jesus ist „Messias“ und „Menschensohn“ nur als der, der gelitten hat und getötet wurde; 48

Kmiecik, Menschensohn, 284.

86

Motivgeschichtliche Analyse

seine Hoheit existiert nicht ohne seine tiefste Erniedrigung. Ihm zu glauben und nachzufolgen bedeutet in der Situation der markinischen Gemeinde auch, selbst das Kreuz auf sich zu nehmen (Mk 8,34).

3.

„Vieles leiden“

Dieser Ausdruck aus Mk 8,31 erinnert an die Formulierung aus Psalm 34,20: „Viel sind der Leiden des Gerechten, doch aus allem wird Gott ihn erretten.“ Vermutlich liegt hier ein Anklang an den alt- und zwischentestamentlichen Topos vom „leidenden Gerechten“ vor.1 Die Formulierung dürfte indes griechischen Ursprungs sein, da das Hebräische eine „Vokabel, die wie RCUEY das leidentliche Verhalten im Gegensatz zum Handeln und Tun bezeichnet“, nicht kennt.2 Von daher findet das Verb auch in den Septuaginta nur selten Verwendung. Der Ausdruck RQNNC RCSGKP erscheint jedoch in der klassischen Literatur wie auch bei Josephus.3 Den Inhalt des Motivs fasst der Psalmist treffend zusammen: Die „Gerechten“ haben von ihren Zeitgenossen vielerlei Anfeindungen zu erdulden; doch Gott ist treu, er wird sie retten.

3.1

Der „Gerechte“

3.1.1

„Gerechtigkeit“ im alttestamentlich-jüdischen Verständnis

„Gerechtigkeit“ (TGF, FKMCKQUWPJ) bezeichnet im Judentum eine Haltung der Gottesfurcht, die in eine entsprechende Lebensführung mündet. Dabei verbindet sich die Ehrfurcht vor Gott und das Halten seiner Gebote mit der Achtung vor dem Mitmenschen. Im Griechischen findet diese doppelte Haltung ihren Ausdruck häufig in einer doppelten Formulierung, etwa: „Heiligkeit und Gerechtigkeit“ (vgl. das Benedictus Lk 1,75), „gerecht und fromm“ (Lk 2,25 über Simeon), „gerecht und heilig“ (Mk 6,20 über Johannes den Täufer), wobei „heilig“ bzw. „fromm“ die Haltung gegenüber Gott, „gerecht“ die Haltung gegenüber dem oder der Nächsten bezeichnet.4 Fundament der „Gerechtigkeit“ ist der Glaube an einen Gott, der selbst Inbegriff der Gerechtigkeit ist (vgl. Ps 145,17) und dessen Gebot sich entsprechend sowohl auf den religiösen Kult als auch auf das soziale Zusammenleben der 1 2 3

4

So u. a. Hoffmann, Mk 8,31, 181; Gnilka, Markus 2, 15; Ruppert, SBS, 47; 65. Michaelis, RCUEY, 906. Vgl. Hom Od 5,223; Hdt 9,37; Xen Kyr 7,1,40; Plut Vit Perikl 34 (nach Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 27, A.28); Jos Ant 13,268; 403 (nach Meyer, 2QNNC RCSGKP). Letzterer verweist darüber hinaus auf Ass Mos 3,11 “qui multa passus est in Aegypto”. Die in lateinischer Sprache erhaltene apokalyptische Schrift aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert geht über eine verlorene griechische Version auf eine aramäische oder hebräische Urfassung zurück. Schrenk, FKMJ, 184 verweist dazu auf Plat Gorg 507b, Plat Resp I 33a, Polyb XXII 10,8, Xen Mem IV 8,11, Aristoph Pl 28, Phil Vit Mos II 108, Phil Fug 63, Jos Ant 7,384; 8,295; 9,236; 10,215; 15,138.376.

88

Motivgeschichtliche Analyse

Menschen erstreckt. So lobt der Ps 146 Gott, der „den Unterdrückten Recht verschafft, den Hungernden Brot gibt, die Gefangenen befreit, den Blinden die Augen öffnet und die Gebeugten aufrichtet, die Fremden beschützt und den Waisen und Witwen zu ihrem Recht verhilft“ (VV.7-9). Gott ist der Garant des Rechts (vgl. Zef 3,5; Hos 14,10). Der Gerechtigkeit nachjagen heißt Gott suchen (vgl. Jes 51,1). Für den Propheten Ezechiel ist „gerecht“, wer „nach Recht und Gerechtigkeit handelt“ (Ez 18,5). Dabei verbindet er die Furcht vor Gott und die alleinige Verehrung Jahwes zunächst mit dem Einhalten ritueller Reinheitsvorschriften (V.6). Der Schwerpunkt liegt jedoch auf dem sozialen Verhalten des „Gerechten“ (V.7; vgl. auch 11-13; 15-17; 33,15). Auch Tritojesaja definiert in der bekannten Rede über das gottgefällige Fasten die Gerechtigkeit über das soziale Verhalten (Jes 58,6-8). Wie den Propheten kommt es auch den neutestamentlichen Autoren in erster Linie auf das Tun des Gesetzes, auf das gerechte Handeln an (vgl. Apg 10,35; Röm 2,13). So schreibt Matthäus über Josef, dass er „gerecht war und Maria nicht bloßstellen wollte“ (Mt 1,19). Lukas bezeichnet Josef von Arimatäa als „gut und gerecht“, weil er der Verurteilung Jesu nicht zustimmt und das Risiko eingeht, bei Pilatus um den Leichnam des Gekreuzigten zu bitten (Lk 23,50 f.).

3.1.2

Das Schicksal der Gerechten

Das Schicksal der Gerechten wird im Alten Testament zunächst naivoptimistisch beurteilt. Es gilt der Grundsatz: Wenn du Gottes Willen tust, dann wird es dir „wohl ergehen in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt“ (Dt 5,16). So kann Hannah in ihrem Loblied vom Schutz Gottes für die Gerechten singen (1 Sam 2,9 LXX) und der Beter in Ps 14,5 davon sprechen, dass Gott „mit den Gerechten“ sei. Ihre „Rettung kommt vom Herrn“ (Ps 37,39), der „den Gerechten niemals wanken lässt“ (Ps 55,23). Auf seinem Haupt ruht Segen (Spr 10,6); darum wird er lange leben und Wohlstand genießen (Spr 13,23 LXX). Auf Dauer geht diese Rechnung jedoch nicht auf. Bereits die Propheten prangern das Unrecht an, das den Gerechten widerfährt. So klagt Habakuk um die Wende vom 7. zum 6. Jahrhundert: „Das Gesetz ist ohne Kraft, und das Recht setzt sich gar nicht mehr durch. Die Bösen umstellen den Gerechten, und so wird das Recht verdreht“ (1,4). Vermutlich reflektiert der Prophet hier die militärische Bedrängnis Israels durch die Chaldäer (vgl. 1,6). Aber auch nach dem Exil liest man bei Tritojesaja: „Der Gerechte kommt um, doch niemand nimmt es sich zu Herzen. Die Frommen werden dahingerafft, doch es kümmert sich niemand darum. Weil das Unrecht herrscht, wird der Gerechte dahingerafft“ (Jes 57,1). Um die Mitte des 3. Jh.s v. Chr. stellt Kohelet fest: „Es kommt vor, dass ein gesetzestreuer Mensch trotz seiner Gesetzestreue elend endet, und es kommt vor, dass einer, der sich um das Gesetz nicht kümmert, trotz seines bösen

Motivgeschichtliche Analyse

89

Tuns ein langes Leben hat“ (7,15; vgl. 8,14). Auch Jesus Sirach (um 180 v. Chr.) scheint zu bemerken, dass die Gerechtigkeit nicht immer zu Reichtum verhilft, wenn er vom „armen Gerechten“ spricht (10,23). So hat sich im Verlauf der Geschichte Israels in vielen leidvollen Erfahrungen des Volkes und speziell der „Gerechten“ ein fester Topos vom „Leiden der Gerechten“ herausgebildet.

3.2

Das Motiv vom „leidenden Gerechten“

3.2.1

Die Anfänge

Die Anfänge dieses Motivs finden sich nach Ruppert in einem alten, David zugeschriebenen Gebet (Ps 18 = 2 Sam 22), in dem der König Gott für die Errettung aus feindlicher Bedrohung dankt. Die zuteil gewordene Hilfe wird zum Erweis seiner Gerechtigkeit, denn Gott steht ja auf der Seite der Gerechten: „Der Herr hat gut an mir gehandelt und mir vergolten, weil ich gerecht bin und meine Hände rein sind“ (V.21; vgl. 25).5 Ähnliche Gedanken und Formulierungen begegnen bald auch in Klagegebeten unschuldig Angeklagter (Ps 7; 17; 35) und in Bedrängnis geratener Frommer (Ps 42; 43; 140; 141) und Kranker (Ps 22; 38; 69), die aufgrund ihrer Gerechtigkeit von Gott ihre Rechtfertigung und Rettung erhoffen.6 Dazu gesellt sich in den späten Psalmen das Bild des „gerechten Armen“ (vgl. 34,3.7.11; 37,11.14.16 f.). Dieses ist möglicherweise von der prophetischen Sozialkritik inspiriert, wie sie insbesondere für Amos (2,6 f.; 5,7.10-12) und Protojesaja (5,23; 29,21) im 8. Jh. v. Chr. charakteristisch ist. Hierher gehören auch die oben genannten Stellen bei Habakuk und Deuterojesaja. Vor allem aber hat der leidende Prophet im Vierten Lied vom Gottesknecht (Jes 52,13-53,12), der auch als Gerechter gezeichnet ist (Jes 53,11b; vgl. 9b), das Bild der Gerechten und Frommen in späteren Schriften nachhaltig beeinflusst.7 Auf derselben Linie liegt eine weisheitliche Strömung, die den sozial bedrängten Armen mit dem angefeindeten Gerechten identifiziert (vgl. Spr 19,22; 28,27 f.). Die Sep5 6

7

Vgl. Ruppert, SBS, 16. Vgl. Ruppert, SBS, 17 f. Dabei wird u. a. der einschlägige Kriegsterminus a[O „kämpfen, Krieg führen“, der sich bereits in so alten Texten wie dem Deborahlied (Ri 5,19f.), der Totenklage Davids über Saul und Jonathan (2 Sam 1,25.27) und dem bereits erwähnten Königsdanklied Ps 18 bzw. 2 Sam 22 (VV.35.40) findet, in diese Traditionen aufgenommen; vgl. Ps 35,1 sowie Ruppert, Wortfeld, 161; 177. Vgl. Ruppert, SBS, 19 f. Nach einer Reihe von Autoren wurzelt hier auch die Formulierung RQNNC RCSGKP in Mk 8,31; so u. a. Lohmeyer, Markus, 166; Michel, Phil. 2,5-11, 85 f.; Michaelis, RCUEY, 913 f.; ders., Herkunft; Grundmann, Sohn, 121 f.; ders., Markus, 169; 171.

Motivgeschichtliche Analyse

90

tuaginta zeigen eine besondere Vorliebe für dieses Motiv; so tragen sie es beispielsweise in der Übersetzung von Jes 3,10; Ijob 9,22 f. erst in den Text hinein. Mit der zunehmenden Individualisierung der Gebetstexte verändert sich auch das Bild der Feinde. Aus den Feinden des Volkes (Ps 18) werden persönliche Feinde des Beters. Sie werden zunehmend stilisiert bis hin zur antitypischen Gegenüberstellung von Gerechten und „Frevlern“ (>YU), gesetzlosen, bösen Menschen, die aufgrund ihrer Einstellung nicht zuletzt auch Feinde Gottes sind, in den späten Psalmen (Ps 34; 37; 119) und in der Weisheitsliteratur (Weish 3,19 f.; 4,16; 5,14 f.).8

3.2.2

Die Herausbildung des Motivs in apokalyptischer Zeit

Es verwundert nicht, dass ein Gedanke wie der vom Leiden der Gerechten gerade in Zeiten des Leidens aktuell wird und sich weiter entwickelt. Die wiederholte Erfahrung zumeist religiös motivierter Verfolgung insbesondere seit der Zeit Antiochus’ IV. Epiphanes’ (175-164 v. Chr.) hat die Idee vom leidenden Gerechten beeinflusst und geprägt. Musste sich der unschuldige Angeklagte in den Psalmen gegen eine „verleumderische Anklage“ rechtfertigen, so hat der Gerechte der späteren apokalyptischen Texte „– und zwar wegen seines Gerechtseins – immer stärker mit einem gewaltsamen Tod“ bis hin zu „direktem Mord“ zu rechnen.9 Dennoch halten die biblischen Autoren an dem Glauben fest, dass Gott seinen Gerechten zu Hilfe kommen und ihnen Recht verschaffen werde, wenn auch in der Zukunft. Tritojesaja verheißt dem Gerechten Frieden und Wohlergehen (aOZY57,2). Nach Ps 34 hört Gott das Schreien der Gerechten (VV.16.18) und entreißt sie ihren Ängsten und Leiden (VV.18.20). Charakteristisch für das voll ausgeprägte Motiv vom „leidenden Gerechten“ ist der „Zusammenbestand von Geschickaussage und Heilsaussage“,10 von Bedrängnis durch die Zeitgenossen und von Gott gewährter Hilfe. 8

9

10

Vgl. auch Ps 1,5 f.; 7,9 ff.; 11; 14; 32,10 f.; 52; 64; 75,11; 92,10 ff.; 125,4 f. sowie Keel, Feinde, 118-129; Ruppert, SBS, 18; 20 f. Mk 2,17 steht FKMCKQL ebenfalls in einer Gegenüberstellung von „Gerechten“ und „Sündern“. Ähnliche Gegenüberstellungen finden sich im Buch der Sprüche (vgl. Spr 3,31 ff.; 4,18 f.; 10,3.6.7.11.16.20.21.24.25. 28.30.32; 11,8 f.10.18.19.23; 12,3.5.7.10.13.21.26; 13,5.6.9.21.25; 14,9.32; 15,6.28.29; 21,15.25 f.; 24,16; 28,1.12.28; 29,2.6.7.16.27), allerdings (vielleicht mit Ausnahme von Spr 24,16) weithin unabhängig vom Motiv des „leidenden Gerechten“; vgl. Ruppert, ebd., 19. Ruppert, Wortfeld, 271; 273. Zur Entwicklung der Feindbedrohung vgl. die detaillierte Untersuchung der „Termini für Übermächtigsein, Gewaltanwendung und Vernichtungsstreben der Feinde“ ebd., 118-124. Steck, Israel, 254 ; vgl. Ruppert, SBS, 23; 27 f.

Motivgeschichtliche Analyse

91

Aus der Erfahrung heraus, dass gottesfürchtige und gerechte Menschen sterben, ohne von Gott gerechtfertigt worden zu sein, entsteht letztlich der Glaube an ein Leben nach dem Tod. Als ältestes Zeugnis des Auferstehungsglaubens im Alten Testament gilt eine Stelle aus dem Danielbuch. Dieses schildert in 11,33 f. die Leiden der „Verständigen“ (aONIP). Als Lohn für ihr Festhalten an Gott und seinen Geboten wird ihnen am Beginn des 12. Kapitels die Auferweckung zum ewigen Leben verheißen. Die Frevler dagegen erwartet nach dem Tod ihr gerechtes Urteil: „Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einem zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu. Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben (aT\GFP), werden in alle Ewigkeit wie die Sterne leuchten“ (VV.2 f.).11 Die „Heiligen“, denen in Dan 7,18.27 die ewige Herrschaft verheißen wird, sind dieselben gerechten und gottesfürchtigen Menschen, die unter der Herrschaft Antiochus’ IV. verfolgt wurden (vgl. V.25). Dieselbe historische Situation wie das Danielbuch reflektieren die Makkabäerbücher. Im Anhang zum 4. Makkabäerbuch (18,6b-19), der wie die Evangelien vom Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. stammt, wird das Martyrium der sieben Brüder als „Leiden der Gerechten“ gedeutet. Bemerkenswerterweise erscheint „der Weg der Gerechten durch [...] Leiden zur Auferstehung“ als schriftgemäß. In diesem Zusammenhang zitiert 4 Makk 18,15 Ps 34,20a.12 Als Reflex auf die Pharisäerverfolgung unter Alexander Jannäus (102-76 v. Chr.) entstanden ebenfalls im apokalyptischen Milieu Texte vom Leiden des Gerechten, die in das Buch der Weisheit (2,12-20; 5,1-7) sowie in das „paränetische Buch“ des äthiopischen Henoch (91,1-10.18 f.; 92; 94-104 [105]) aufgenommen wurden. Ähnlich wie die „Verständigen“ im Buch Daniel erhält auch der Gerechte des Weisheitsbuches seine Rechtfertigung und seinen Lohn in einem neuen Leben nach seinem gewaltsamen Tod. „Denn die Gerechtigkeit ist unsterblich“ (Weish 1,15). Den Tod deutet der Redaktor gar als „Entrückung“, mit der Gott ihn den Bösen entriss (4,10.11.17). Ähnlich wie in Dan 12,3 heißt es auch hier, dass die Gerechten (vgl. 3,1) „beim Endgericht aufleuchten werden wie Funken, die durch ein Stoppelfeld sprühen“ (3,7) und dass sie „Völker richten und über Nationen herrschen“ werden (3,8). Der Verfasser des Weisheitsbuches integriert den Text in seine „Armen- und Erziehungstheologie“ (vgl. 2,10 f.; 3,5 f.), die der Tendenz der ebenfalls in Alexandrien entstandenen Septua-

11

12

Steck sieht hier eine Vorstufe der „Vorstellungstradition vom Leiden des Gerechten überhaupt“. Beide Stellen sind s. E. „im Blick auf das Geschick asidäischer Toralehrer“ unter Antiochus IV. Epiphanes „zusammenzunehmen“ (Israel, 254; Hervorhebung original). Vgl. Ruppert, SBS, 24.

92

Motivgeschichtliche Analyse

ginta ähnelt.13 Beide Bücher reflektieren vermutlich „eine [...] für gesetzestreue Juden verschiedentlich bedrängnisvolle [...] Diasporasituation.“14 Zu dem Text, der Aufnahme ins „paränetische Buch“ des äthiopischen Henoch gefunden hat, gehörten vermutlich fünf Weherufe über die Frevler, die nun über das ganze Buch verstreut sind (95,7; 96,8; 98,13f.; 100,7), und eine Klage der Gerechten (103,5c.6.9b.c.-15; 104,3). Deren Bedrängnis wird als „irdische Existenzweise der Frommen schlechthin“ herausgestellt. Der Verfasser des paränetischen Buches, der in etwa zeitgleich mit dem Autor des Weisheitsbuches um die Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus schreibt, gestaltet die Klage zu einem Rückblick der Gerechten aus der Herrlichkeit der zukünftigen Welt um.15 Gegen Ende des 1. Jahrhunderts verarbeiten das 4. Esrabuch (7,79.89.96; 8,27.56-58) und die syrische Baruch-Apokalypse (15,7 f.; 48,49 f.; 52,56 f.) die Schrecken des Jüdischen Krieges 66-73 n. Chr., indem sie das Motiv vom „leidenden Gerechten“ kollektiv auf das gesamte jüdische Volk anwenden. Neu ist die positive Deutung des Leidens in der syrischen Baruch-Apokalypse, das geradezu als Beweis der Erwählung für den kommenden Äon verstanden wird. So kann der Autor sogar dazu auffordern, sich am Leiden zu erfreuen.16 Auch die qumran-essenische Gemeinde kennt Bedrängnis und Verfolgung. Der Gedanke, dass das Leiden zum Schicksal der Gerechten nun einmal dazu gehört, kommt dem Selbstverständnis dieser Leute entgegen, die sich aufgrund ihrer strengen Lebensweise als einzig verbliebene Gesetzestreue und Gerechte in Israel sehen (vgl. 1QH 2,20-30; 3,37-4,4; 15,14-17; 4QpPs37 2,13-16).17 Der mutmaßliche Gründer und Vorsteher der Gemeinschaft nennt sich „Lehrer der Gerechtigkeit“. Wie den Autor der syrischen Baruch-Apokalypse scheint auch ihn „der Terror [...] in seinem Erwählungsbewusstsein eher bestärkt zu haben“.18

13 14 15 16 17 18

Vgl. Ruppert, SBS, 23 f.; FzB, 70 ff. Zitat: SBS, 23. Ruppert, SBS, 21 mit Bezug auf die LXX. Vgl. Ruppert, SBS, 24 f. Zitat: 25. Vgl. Ruppert, SBS, 25 f.; FzB, 187. Vgl. Ruppert, SBS, 22; 27; FzB, 186. Ruppert, Wortfeld, 275.

Motivgeschichtliche Analyse

3.3

Die Aufnahme des Motivs im Neuen Testament

3.3.1

Jesus als „Gerechter“

93

Auftreten und Verkündigung Jesu entsprechen dem alttestamentlichen Bild eines Gerechten. Die Gerechtigkeit ist ein Kennzeichen des Himmelreiches, das er verkündet. Sie gilt es vor allem anderen zu suchen (vgl. Mt 6,33). Jesus verbindet einen tiefen Glauben an den gerechten und guten Gott mit der Hinwendung zu den Mitmenschen und dem Bemühen, gerade denen zu ihrem Recht zu verhelfen, die materiell und sozial am Rande stehen. Von daher hat das Motiv vom „Leiden des Gerechten“ schon früh Eingang in die neutestamentlichen Schriften und ihre Deutung des Todes Jesu gefunden.

3.3.2

Die Passionserzählung

Bereits die vormarkinische Passionserzählung greift auf das Bild vom „leidenden Gerechten“ zurück. Ihr älterer Teil, der Bericht von Kreuzigung und Tod Jesu (Mk 15,20b-39), scheint insgesamt in Anlehnung an Ps 22, einen klassischen Psalm vom leidenden Gerechten, gestaltet zu sein.19 Der Psalm begegnet nicht in Form von Reflexionszitaten zum Erweis der Schriftgemäßheit des Leidens Jesu, sondern in Form „nichteingeführter Zitate [...] und bloßer Anspielungen“.20 So übernimmt die Szene der Kleiderverteilung (Mk 15,24 parr; Joh19,24) großenteils wörtlich Ps 21,19 LXX [22,19]: „Sie verteilen meine Kleider unter sich, und über mein Gewand werfen sie das Los“. Der Spott der Vorübergehenden (Mk 15,29 par Mt) spielt auf Ps 22,8 an: „Alle, die mich sehen, verlachen mich, verziehen die Lippen, schütteln den Kopf“. Der Schrei der Gottverlassenheit am Kreuz (Mk 15,34 par Mt) zitiert Ps 22,2. Es drängt sich der Eindruck auf, „dass sich der gesamte ursprüngliche Bericht vom Tod Jesu auf ein Zitieren von Ps 22 bezieht“ und dass darin „das älteste Verständnis des 19

20

Vgl. Gese, Psalm 22, 14; Ruppert, SBS, 12; 58. Nach Schenke gehören VV.21.29b.30.33.38 zu einer „frühen Redaktion“, die durch antijüdische Polemik gekennzeichnet ist (vgl. Christus, 141 sowie die Übersicht 135-137). Dormeyer rechnet die VV.31b.32a einer vormk Redaktion (Passion, 258), die VV.22b.24b.25.29.30.32b. 33.34c.35.36.39 der Markus-Redaktion zu (ebd., 269; vgl. die Übersicht 300 f. sowie ders., Sinn, 27; 76 f. zum Text des vormk Kreuzigungsberichts). Reinbold arbeitet nach Vergleich mit Joh 19,16b-30 als Grundbestand die VV.20.21.22.24.26.27.34.36.37.40 heraus (vgl. Bericht, 119; 166-174). Strecker geht von einem Grundbestand VV.20b24a.26.34.37 aus, der „schon früh [...] durch alttestamentliche Bezüge“ angereichert wurde (Passionsgeschichte, 241). Ernst, Passionserzählung, 178; Bösen, Tag, 36-38 zählen die Kreuzigungsszene ebenfalls zum „Urbericht“. Die ausdrücklichen Reflexionszitate in den Passionsberichten der Synoptiker nehmen durchweg auf andere Stellen Bezug; so Mk 14,27 par Mt 26,31 auf Sach 13,7; Mt 27,10 auf Sach 11,12 f.; Lk 22,37 auf Jes 53,12 (vgl. Ruppert, SBS, 12; 49; Zitat: 49).

Motivgeschichtliche Analyse

94

Golgotageschehens“ besteht.21 Die Seitenreferenten ziehen zur Ausgestaltung der Passionsgeschichte weitere Psalmen vom „leidenden Gerechten“ hinzu.22 Im vorderen Teil der Passionserzählung finden sich nach dem Verrat des Judas (Mk 14,18 vgl. Ps 41,10) „kaum deutliche Anspielungen auf die Psalmen vom leidenden Gerechten“. Zwar erinnern die Szenen der Verspottung vor dem Hohen Rat (Mk 14,65) und im Prätorium (15,16-10) „entfernt an einschlägige Passagen der Leidenspsalmen“, weit mehr jedoch an das dritte Lied vom Gottesknecht (vgl. Jes 50,6 LXX zu GXORVWGKP „Anspucken“, RTQUYRQP „Gesicht“, TBCRKUOCVC „Schläge“ Mk 14,65; 15,19).23 Für das Auftreten falscher Zeugen vor dem Hohen Rat (Mk 14,65 f.) kann Ps 27,12 Pate gestanden haben.24

3.3.3

Die erste Leidensankündigung

Der Schatz an Vokabeln, mit denen die verschiedenen Autoren das Leiden der Gerechten beschreiben, ist vielfältig. In den Paränesen des äthiopischen Henochbuches finden sich folgende Verben: verachten (103,10), hassen (103,12), schmähen (103,4; 108,10), beschimpfen (108,7.10), verfolgen (95,7), zerstreuen (103,15), martern (103,10), morden (103,15), niederschlagen (96,8), verschlingen (103,15), vernichten (103,10). An Substantiven begegnen: Leiden (96,3), Mühe und Plage (103,3.9.11), Krankheit (103,9), Drangsal und Trübsal (98,13; 103,14).25 Neben RQNNCRCSGKP gehören weitere Formulierungen aus Mk 8,31 in dieses Wortfeld; so das Verb CXRQMVGKPY (morden, töten). Diese Vokabel steht Ps 10,8; 94,6; Jes 66,3 LXX auch für den gewaltsamen Tod des Armen, allerdings ohne 21 22

23 24 25

Gese, Psalm 22, 17. So zitiert Mt 27,43 auch bei der Verspottung durch die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten Ps 22,9. Lk 23,46 ersetzt die letzten Worte Jesu durch ein Zitat von Ps 31,6. Matthäus (27,48) wie Lukas (23,36) beziehen die Tränkung mit Essig auf Ps 69,22. Nach Gese war diese Anspielung auch bei Markus bereits intendiert (Psalm 22, 13, A.25; 15). Die älteste Schicht des Passionsberichtes bezog sich vermutlich nur auf Ps 22, zumal die Tränkung mit Essig ein historisches Detail sein dürfte, das nicht erst nachträglich aufgrund schriftgelehrter Reflexion gebildet wurde; vgl. Bösen, Tag, 296. Ruppert, SBS, 52. Den Ausschlag für Jesu Verurteilung geben aber letztlich nicht sie, sondern Jesu eigene Worte; vgl. Ruppert, SBS, 52 f. Vgl. Steck, Israel, 255, A.1. Ruppert, Wortfeld unterteilt die zur Beschreibung der „ Anschläge und Unternehmungen der Feinde gegen den bzw. die Gerechten“ (3. Kapitel, 110-138; vgl. die Zusammenfassung 172-176) verwandten Vokabeln in 7 Gruppen konkreter Termini (A. Schadenfreude, Spott, Schmähungen und Hass; B. Übermächtigsein, Gewaltanwendung und Vernichtungsstreben der Feinde; C. Rechtsbeugung und Unterdrückung; D. Ränke, Intrigen, Verleumdungen, falsche Anklage; E. Inquisitorisches Verhalten; F. Stolz und Triumph der Feinde; G. Abfall von Freunden und Verwandten) sowie bildhafte Termini aus den Bereichen der Jagd, des Krieges und der Beschreibung wilder Tiere.

Motivgeschichtliche Analyse

95

dass jeweils der Terminus „gerecht“ Verwendung findet. Über die Armentheologie der Septuaginta besteht jedoch ein Bezug zum „Leiden der Gerechten“.26 Ebenso passt die Ankündigung der Auferstehung (CXPCUSJPCK) in den Vorstellungszusammenhang vom „leidenden Gerechten“, für den ja gerade die Verbindung einer Beschreibung gegenwärtigen Leidens mit einer Zusage künftigen Heils charakteristisch ist. Auch das Verworfenwerden (CXRQFQMKOCUSJPCK) kann in diesem Vorstellungszusammenhang stehen.27 „Verachten“ – so eine Übersetzung von GXZQWFGPGY, dem Alternativbegriff aus Mk 9,12b – gehört im äthiopischen Henochbuch zum einschlägigen Wortschatz. Als Beschreibung des unabänderlichen Schicksals der Gerechten passt auch FGK in den Vorstellungsrahmen. Die Mk 9,12b damit verbundene Schriftgemäßheit des Leidens ist in apokalyptischer Zeit ebenfalls kein ungewöhnlicher Gedanke, wie der Anhang zum 4. Makkabäerbuch zeigt. Die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung kann somit insgesamt als Aussage von Jesus als „leidendem Gerechten“ bezeichnet werden. Die zur Beschreibung des Leidens verwendeten Vokabeln bewegen sich im typischen Wortfeld der Überlieferung vom „leidenden Gerechten“. Die Ankündigung der Auferstehung passt als Verheißung zukünftigen Heils ebenfalls ins Konzept. Der Menschensohn-Titel wurzelt im selben apokalyptischen Kontext. Die Zugehörigkeit der ersten Ankündigung zu einer der ältesten Deutungen des Todes Jesu stützt die Vermutung, dass der Grundbestand des Spruches vom Evangelisten bereits aus einer älteren Tradition übernommen wurde. Zumindest indirekt gehen damit auch die zweite und dritte Ankündigung von Leiden und Auferstehung auf dieses Motiv zurück.28

3.3.4

Das „Leiden der Gerechten“ in anderen neutestamentlichen Traditionen

Im lukanischen Doppelwerk wird Jesus an vier Stellen mit dem Titel eines „Gerechten“ belegt (Lk 23,47; Apg 3,14; 7,52; 22,14). Apg 3,15 erscheint im selben Zusammenhang die einschlägige Vokabel CXRQMVGKPY. Die Titulatur „der Gerechte“ dürfte in einer breiteren, möglicherweise bereits vorlukanischen 26

27

28

Vgl. S.144. Steck identifiziert das Verb für „morden“ aus äth Hen 103,15 mit der griechischen VokabelCXRQMVGKPY; vgl. Israel, 255, A.1 mit Bezug auf C. Bonner (Hg.), The Last Chapters of Enoch in Greek (Studies and Documents VIII), London 1937, 68 f. Vgl. Gnilka, Markus 2, 15. Sind sowohl RQNNC RCSGKP als auch CXRQFQMKOCUSJPCK zum Motiv vom „leidenden Gerechten“ zu rechnen, gibt es keinen Grund, zwecks Beseitigung inhaltlicher Spannungen eines der beiden Wörter aus dem ursprünglichen Text zu streichen. Vgl. dazu S.55, A.21. Vgl. Steck, Israel, 284, A.3 zu Mk 9,31, der seiner Meinung nach ursprünglichsten der Leidensankündigungen.

96

Motivgeschichtliche Analyse

Gemeindetradition verankert sein. Ein Bezug des lukanischen Titels zum Motiv vom „leidenden Gerechten“ liegt nahe, zumal Jesus ausschließlich als Leidender oder Verfolgter damit belegt wird.29 Ganz klassisch ist die Idee vom „leidenden Gerechten“ in der Emmausgeschichte wiedergegeben, wo der Auferstandene zu den Jüngern sagt: „Musste nicht der Messias all das erleiden (GFGKRCSGKP) und in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lk 24,26)30 Außerhalb der lukanischen Tradition wird Jesus nur selten als „Gerechter“ bezeichnet; so etwa in der späten, nur bei Matthäus (27,19) überlieferten Szene vom Traum der Frau des Pilatus. In der Folge nimmt der matthäische Passionsbericht jedoch nicht weiter Bezug auf das Motiv vom „leidenden Gerechten“, wie auch sonst im gesamten Evangelium nie von Jesus als „Gerechtem“ die Rede ist. Vermutlich ist das Wort in der Feder des Matthäus schlicht ein schriftgelehrter Ausdruck der Unschuld Jesu. Darüber hinaus sprechen 1 Joh 2,1 und 1 Petr 3,18, zwei Stellen aus der späten Briefliteratur, von Jesus als dem „Gerechten“, und zwar im Zusammenhang mit seinem als Sühnopfer verstandenen Tod. Ein Bezug zum Motiv vom leidenden Gerechten liegt von daher nahe. 1 Joh 2,29; 3,7 schwankt der Bezug des Adjektivs wie des öfteren in den johanneischen Schriften zwischen „Gott“ und seinem „Sohn“. Abgesehen von einem Bezug auf Jesus begegnet das Motiv vom „leidenden Gerechten“ im Neuen Testament gelegentlich im Zusammenhang mit Leiden und Verfolgung seiner JüngerInnen. So beschreibt die letzte Seligpreisung (QLk 6,22 f.; Mt 5,11 f.) das Schicksal frühchristlicher Prediger zunächst mit einschlägigen Verben: QXPGKFK\Y (beschimpfen vgl. äth Hen 108,7.10); NGIGKP RQPJTQP (schlecht reden, in Verruf bringen vgl. schmähen äth Hen 103,4; 108,10); OKUGY (hassen Lk 6,22 vgl. äth Hen 103,12); FKYMY (verfolgen Mt 5,11 vgl. äth Hen 95,7), um ihnen alsdann „großen Lohn im Himmel“ anzusagen. 1 Petr 3,14 preist die Gläubigen selig, wenn sie „um der Gerechtigkeit willen leiden“.

29

30

Möglicherweise knüpft Lukas an eine seit der Apokalyptik belegte Tradition an, die den Messias als „Gerechten“ betitelt; vgl. Ruppert, SBS, 47 f. mit Verweis auf äth Hen 38,2; 53,6. Schrenk, FKMJ, 188 verweist darüber hinaus auf Ps Sal 17,35 sowie Ps Sal 17,25.28.31,42; 18, 8f., wo die Gerechtigkeit zusammen mit dem Messias erwähnt wird. In der Synagoge ist die Wendung „Messias unsere Gerechtigkeit“ beliebt; vgl. PesR 36 (162 a).37 (162b; 163a); Schemone Esre, Bitte 14 (pal Rez). Sie stützt sich insbesondere auf Jer 23,5 (Tg).6 (bBB 75b; MShir zu 1,16; MTeh 21 § 2; MMish 19,21); 33,15 (Tg); Sach 9,9 (PesR 34 (159 b)); vgl. Schrenk, ebd. Im sogenannten ersten Henochbuch, das „in seinem Grundbestand“ um 50 v. Chr. entstanden ist, ist die Gerechtigkeit auch Attribut des Menschensohnes; vgl. Kellner, Menschensohn, 213 mit Verweis auf 1 Hen 46,3; 62,3. RCUEGKP umschreibt auch Lk 22,15; 24,46; Apg 1,3; 3,18; 17,3 das Todesleiden Jesu.

Motivgeschichtliche Analyse

3.4

97

Fazit

Nicht nur der Formulierung RQNNC RCSGKP, sondern dem gesamten Spruch Mk 8,31 liegt der Topos vom „leidenden Gerechten“ zugrunde. Ein Großteil der Vokabeln stammt aus dem typischen Wortfeld dieses alt- und zwischentestamentlichen Motivs. Auch die inhaltliche Struktur stimmt mit der Grundidee vom „leidenden Gerechten“ überein. Die Idee vom „leidenden Gerechten“ beruht auf der wiederholten historischen Erfahrung, dass die Treue zu Gott und seinem Gebot Anfeindung, ja unter Umständen Verfolgung und Tod nach sich zieht. Das Motiv hat seinen Anhalt in konkreten Schicksalen gesetzestreuer Juden besonders seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. Einschlägige Stellen nehmen Bezug auf den hellenistischen Reformversuch und die blutige Verfolgung praktizierender Juden unter Antiochus IV. Epiphanes, auf die Pharisäerverfolgung unter Alexander Jannai und auf den Jüdischen Krieg. Der Topos dient somit ebenso wie die Vorstellung vom vorgezeichneten Ablauf der Geschichte der Bewältigung ungerechtfertigten Leidens. Er verbindet die Klage über das gegenwärtige Leiden mit einer Zusage künftigen Heils. Im Kontext dieses Motivs kommt in der Todesgefahr der Religionsverfolgungen erstmals die Hoffnung auf eine Auferstehung der Toten auf. Die Rettung der bedrängten „Gerechten“ wird damit in die – eschatologische – Zukunft verlegt: Gott wird die Seinen nach Leiden und Tod zum ewigen Leben auferwecken; sie werden den himmlischen Lohn erhalten. Jesus ist ein Gerechter im alttestamentlich-jüdischen Sinne. Von daher versteht sich, dass die Gemeinde in der Deutung seines gewaltsamen Todes gerade die Vorstellung vom „leidenden Gerechten“ aufnahm. Sein konsequentes Festhalten an der Liebe zu Gott und zur Nächsten kostet ihn letztlich – wie viele andere vor ihm – das Leben. Doch behält der Tod und mit ihm die Gesetze von Profit und Egozentrismus nicht das letzte Wort. Gott rechtfertigt den Gekreuzigten und erweckt ihn zu einem neuen Leben in seiner Herrlichkeit. Die urchristliche Gemeinde griff spätestens seit der Entstehung des ersten Passionsberichtes auf das alttestamentliche Motiv vom Leiden der Gerechten zurück. Wir haben es also mit einem sehr alten Verständnis des Todes Jesu zu tun. Die überlieferte Vorstellung vom Leiden des Gerechten half der frühen Gemeinde, das Skandalon des Kreuzestodes zu bewältigen. Auf dem Hintergrund der alten Erfahrungsweisheit verstand sie: Der Erhöhung ihres Herrn an Ostern hatten das qualvolle Leiden und der grausame Tod vorausgehen müssen, so wie es Gerechte und Propheten vor ihm erfahren hatten. Dasselbe Schicksal konnte schließlich auch auf die Jünger und Jüngerinnen zukommen, wenn sie sich konsequent zu Jesus bekannten.

4.

Verworfen werden

Nach der „Leseanweisung“ FGK, dem Subjekt des A. c. I. „Menschensohn“ und dem vom Leiden der Gerechten inspirierten RQNNC RCSGKP ist CXRQFQMKOC\Y die zweite Leidensaussage in Mk 8,31. Mit dem vorhergehenden RQNNCRCSGKP ist es durch ein MCK verbunden. Der Hintergrund des in den LXX selten belegten Begriffs erschließt sich durch einen Blick auf den klassisch-griechischen Sprachgebrauch und auf seine Verwendung im Neuen Testament.

4.1

CXRQFQMKOC\Y im klassischen Griechisch

4.1.1

Die Dokimasia

Das Verb CXRQFQMKOC\Y ist das Gegenstück zu FQMKOC\Y „annehmen“, „für gut befinden“. Im klassischen Griechisch hat es die Bedeutung „ablehnen“, „als wertlos oder ungeeignet verwerfen“. Es kommt in verschiedenen Kontexten vor; so sehr häufig im Zusammenhang der Dokimasia, einer „staatlich angeordnete[n] Prüfung von Personen oder Gegenständen.“1 Es gibt eine Dokimasia der Opfertiere (Sylloge³ 958), die Dokimasia von Maßen, Gewicht und Geld (Anecd Bekk 1,238; Sylloge³ 334,45), die Prüfung eines Herolds auf Bürgerrecht und Stimmstärke (Demosth 19,338; Aischin 1,20), die Prüfung der Empfänger von staatlicher Unterstützung auf ihre Bedürftigkeit (Aischin 1,104; Aristot Ath Pol 49,4).2 Die Soldaten Athens wurden auf Tüchtigkeit geprüft (Xen Oik 9,15; hipp 3,9). Auch die Teilnehmer an Sportveranstaltungen wie Pferderennen wurden zuvor einer Dokimasia unterworfen (Plat Leg 765c). Das Verb CXRQFQMKOC\Y steht in allen diesen Zusammenhängen für die Disqualifikation des Kandidaten oder allgemein des zu Prüfenden, während FQMKOC\Y seine Bestätigung ausdrückt. „FQMKOQL als Adjektivum bei Personen und Gegenständen bezeichnet daher den kampferprobten, dann [...] den erprobten, bewährten, verlässlichen, glaubwürdigen, [...] bedeutenden, anerkannten, geachteten, tüchtigen Menschen [...] und die erprobte, echte, kostbare Sache“.3 Eine Dokimasia fand auch anlässlich der Eintragung von Personen in das Bürgerbuch statt. Neubürger mussten ihre Abstammung und politische Gesinnung nachweisen (Demosth 59,105). Die Bürgerrechte konnten nach einer 1

2

3

Volkmann, Dokimasia, 113. Dieser Quelle sind die meisten Angaben zur FQMKOCUKC im folgenden Abschnitt entnommen. Bis auf die Prüfung der Opfertiere, die für Koressos belegt ist, beziehen sich alle angeführten Belege auf Athen. Aus Anlass einer solchen FQMKOCUKC eines Erwerbsunfähigen, der sich um die erneute Gewährung staatlicher Unterstützung bemühte, wurde die 24. Rede des Lysias `YRGT VQWCXFWPCVQW gehalten; vgl. Gärtner, Lysias, 835. Grundmann, FQMKOQL, 258. Hervorhebungen original.

100

Motivgeschichtliche Analyse

Anzeige (GXRCIIGNKC) beim Geschworenengericht wieder aberkannt werden, wenn die anschließende Überprüfung (FQMKOCUKC) Verstöße gegen die Bürgerpflichten oder gegen allgemeine moralische Grundsätze ergab. Fahnenflucht, Republikflucht, Unzucht, schlechte Behandlung der Eltern und Vergeudung des ererbten Vermögens sind als Gründe für die Aberkennung der Bürgerrechte (CXVKOKC) belegt.4 Staatsschuldner verloren die Bürgerrechte bis zur Bezahlung oder zum Erlass der Schuld (Demosth 25,4). 8$VKOKC, wörtlich zu übersetzen mit „Ehrlosigkeit“ oder „Verlust der Ehre“, bezeichnet die Entziehung der gesamten bürgerlichen Mitsprache- und Mitwirkungsrechte. „Der CVKOQL darf keine Gesetze beantragen, nicht Kläger, nicht Zeuge, nicht Soldat, nicht Beamter, nicht Testator sein, er ist von der Wehr-, Rechts-, Kultgemeinschaft [...] geschieden, bis ein Volksbeschluss seine GXRKVKOKC [Besitz des vollen Bürgerrechts] wieder herstellt.“5 Im politischen Leben Athens und anderer griechischer Stadtstaaten bezeichnet CXRQFQMKOC\Y als Terminus technicus die Disqualifikation von der Ausübung von Staatsämtern. Dabei handelte es sich um „Ehrenämter“ im wörtlichen Sinn: sie waren nicht bezahlt, aber mit einem Zuwachs an Ehre verbunden. Die Kandidaten für die Besetzung eines Amtes wurden je nach Epoche und zu vergebendem Amt durch Los oder Wahl aus den wahlberechtigten Bürgern ermittelt.6 Vor der Amtsübernahme mussten sich die Kandidaten einer Dokimasia unterziehen, einer Prüfung vor dem amtierenden Rat oder vor einem Geschworenengericht, bevor sie für ein Jahr ihr Amt antreten konnten.7 Geprüft wurde die bürgerliche Herkunft des Kandidaten und der Besitz von Erbbegräbnissen – d. h., die Herkunft der Familie aus dem jeweiligen Stadtstaat, sodann die Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten wie Teilnahme am Kult, Kriegsdienst und Entrichtung der Steuern sowie die Einhaltung allgemeiner moralischer Grundsätze wie gute Behandlung der Eltern.8 Der zu Prüfende hatte zum Erweis der einzelnen Kriterien Zeugen beizubringen.9 Auch die Abwahl eines bereits im Amt befindlichen Amtsträgers mittels einer Anklage und anschließender Dokimasia war möglich (vgl. Lys 6,33). Es ist eine Reihe von Reden überliefert, die aus Anlass einer solchen Dokimasia gehalten wurden. So fordert Lysias in seiner 31. Rede die Disqualifikation des Philon (CXRQFQMKOC\Y Lys 31,3.13.20.31), der durch das Los zum Ratsmitglied (DQWNGWVJL) bestimmt worden war. Euandros, der in der Oligarchie 4 5 6 7 8 9

Vgl. Aisch 1,28-32.134.186; Demosth 19,257.284 sowie Volkmann, Dokimasia, 114. Vgl. Mannzmann, 8$VKOKC, 711. Klammerbemerkung von mir nach Angaben ebd. Vgl. die Fußnote zu Isokr 7,21 in der Textausgabe von Norlin. Vgl. Aristot Ath Pol 45,3; 55,2; 4; Plat Leg 767d; Volkmann, Dokimasia, 113 sowie die Fußnote zu Aischin 1,28 in der Textausgabe von Adams. Zur Disqualifikation (CXRQFQMKOC\Y) von Männern aufgrund mangelnden Respekts oder Dankbarkeit für die eigenen Eltern vgl. Xen Mem 2,2,13. Vgl. Aristot Ath Pol 55,3; Aisch 3,15; 29 (nach Volkmann, Dokimasia, 113).

Motivgeschichtliche Analyse

101

politisch tätig gewesen war, sollte nach Lys 26,6.9.15 nicht mehr zum Archontenamt zugelassen werden (CXRQFQMKOC\Y). In seiner 16. Rede plädiert Lysias vor dem amtierenden Rat für die Zulassung des Mantitheos zum Amt des Ratsherrn trotz seines Dienstes in der Kavallerie der Oligarchen.

4.1.2

Ehre (VKOJ VKOJ) und Schande (CKX CKXUEWPJ) J als „antike Denk- und Handlungsmaxime“10

Die Bedeutung von Verwerfung (apoFQMKOC\Y) und Anerkennung (FQMKOC\Y) wird klarer, wenn wir auf Erkenntnisse zurückgreifen, die die Ethnologie bereits in den 1950er und 60er Jahren im Mittelmeerraum gewonnen hat. Demnach bestimmen in den dortigen Gesellschaften bis in unsere Zeit die Kategorien von Ehre und Scham das Denken und Handeln insbesondere der Männer. Der US-amerikanische Exeget Bruce Malina verifizierte diese Erkenntnis auch für die antiken Gesellschaften, mit denen es die neutestamentliche Exegese zu tun hat. Schon damals definierte sich die gesellschaftliche Position einer Familie oder eines einzelnen zwischen den zwei Polen „Ehre“ und „Schande“ (Honour and Shame). „Die Steigerung der Ehre und die Vermeidung von Schande bestimmten in diesen Gesellschaften das Verhalten der Menschen viel stärker als die Überzeugung, gut oder böse zu handeln. ‚Ehre ist wichtiger als Leben’, so heißt der entsprechende Grundsatz.“11 Ehre oder Schande, Anerkennung oder Verachtung werden durch die „anderen“, durch das gesellschaftliche Umfeld vermittelt. Von daher „braucht [Ehre] die Öffentlichkeit.“12 Sie kommt zustande durch öffentliche Zur-Schau-Stellung einer beanspruchten gesellschaftlichen Position, beispielsweise durch Kleidung und Auftreten, Veranstalten von Gastmählern, Finanzierung öffentlicher Bauwerke und Spektakel, und der darauf folgenden gesellschaftlichen Bestätigung. Ehre kann durch die Geburt in eine angesehene Familie, als Nachfahre einer bedeutenden Persönlichkeit oder als Bürger einer bedeutenden Stadt zugeschrieben oder durch eigene Verdienste, etwa durch Bildung, militärische oder sportliche Leistungen oder in der Politik, erworben werden.13 Für das gesellschaftliche Ansehen eines einzelnen oder einer Familie spielte deren finanzielle Situation eine bedeutende Rolle. Kleidung, Bildung, die Veranstaltung von Gastmählern und Spektakeln und die Finanzierung öffentlicher Bauten kosten Geld. Im antiken Rom war der Zugang zu den staatlichen 10 11 12 13

Titel aus Reinl, Plädoyer, 118. Venetz, Selig, 397 mit Verweis auf einem Untertitel bei Guttenberger-Ortwein, Status, 26. Reinl, Plädoyer, 121. Vgl. Reinl, Plädoyer, 123 f.; Janzen, Friede, 100.

102

Motivgeschichtliche Analyse

Ehrenämtern darüber hinaus durch finanzielle Mindestanforderungen begrenzt. Unter Augustus „betrug [...] das Mindestvermögen der Senatoren eine Million Sesterzen, das des Ritterstandes vierhunderttausend und das der Dekurionen einhunderttausend. [...] Vergleichsweise betrug der Tagesverdienst eines einfachen Arbeiters nur drei oder vier Sesterzen“.14 Grundvoraussetzung der gesellschaftlichen Partizipation war das römische Bürgerrecht. Auch dieses konnte jedoch käuflich erworben (vgl. Apg 22,28) oder aufgrund besonderer Verdienste verliehen werden. Ebenso wie Ehre zugeschrieben oder erworben werden kann, kann sie durch persönliches Missverhalten auch wieder verspielt werden. Aus Angst vor sozialem Abstieg kommt es deshalb zu einem permanenten Wetteifern um gesellschaftliche Anerkennung. Das geht so weit, dass jede „soziale Interaktion von Personen außerhalb ihrer persönlichen Primärgruppe – zumeist der Familie – [...] durch einen impliziten oder expliziten Wettstreit um soziales Prestige“ gekennzeichnet ist.15 Dieser Wettstreit besteht in einem Schlagabtausch von Herausforderung und Reaktion (Challenge and Riposte).16 Wird jemand herausgefordert, indem er etwa entgegen seinem gesellschaftlichen Anspruch behandelt wird, muss er reagieren, sei es mit der Demonstration seiner eigenen Ehrenhaftigkeit oder mit einem Gegenangriff auf die Ehre des anderen. Das Ausbleiben einer Reaktion würde als Eingeständnis von Schwäche gewertet und wäre automatisch mit einem Verlust an Ehre verbunden.17 Insgesamt führt das kulturanthropologische Modell von Ehre und Schande zu einer starken Hierarchisierung der Gesellschaft. Auch die Familie war hierarchisch strukturiert. „’Den höchsten Status hatte der pater familias, es folgten die Ehefrau, die Hauskinder, die zur Dienstleistung in die familia aufgenommenen Personen und die servi.’18 Nicht zuletzt sind die mediterranen Gesellschaften entschieden androzentrisch. Die gesellschaftlichen Akteure sind in der Regel männlich. Frauen kommt die Verantwortung im häuslichen und familiären Bereich zu. Nach außen haben sie sich „schamvoll“, d. h. zurückhaltend und bescheiden, zu verhalten, sich dezent zu kleiden und dem jeweiligen Familienoberhaupt unterzuordnen (vgl. 1 Kor 11,5; 14,34 ff.; 1 Tim 2,9 ff.). Die patriarchale Familienstruktur spiegelt sich auf gesellschaftlicher Ebene im Klientelismus, einer Tauschbeziehung zwischen zwei Personen mit ungleich verteilten Machtchancen: Patron und Klient. Sie beruht auf gegenseitigen Inter14 15 16 17 18

Vgl. Janzen, Friede, 102 f. Zitat ebd. aus Prell, Armut, 177. Strecker, Theologie, 282; zitiert nach: Reinl, Plädoyer, 124. Vgl. Neyrey, Honor, 20 f.; Malina, Welt, 44-48 (“Challenge and Response”). Nach Reinl, Plädoyer, 124, A.25. Vgl. Reinl, Plädoyer, 129. Rillinger, Gesellschaftsordnung, A.29; zitiert nach Janzen, Friede, 102. Hervorhebungen original.

Motivgeschichtliche Analyse

103

essen und wechselseitiger Hilfe. „Der Patron hat gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Ressourcen, die der Klient (z. B. ein Sklave, der sich frei kaufen konnte, aber in der Gesellschaft keinen Ort findet [...]) nicht hat, aber unbedingt benötigt.“19 Im Gegenzug bezeugt er dem Patron in der Öffentlichkeit Loyalität und Anerkennung. „Dass ein solches System vorhandene hierarchische und androzentrische Strukturen festigt, versteht sich von selbst.“20

4.1.3

CXRQFQMKOC\Y als Verlust von Ehre

Ein beträchtlicher Teil der Belege von CXRQFQMKOC\Y, zumal wenn sich die Ablehnung auf Personen bezieht, bewegt sich auf dem Gebiet des öffentlichen Wettstreits um Ehre und Ehrenämter. Die Übernahme eines politischen Amtes in einem der griechischen Stadtstaaten, in deren Kontext das Verb als Terminus technicus fungiert, war mit einem Zugewinn an gesellschaftlicher Anerkennung und Einfluss verbunden, um den hart und von manchen unter Einsatz aller Mittel gekämpft wurde. Dies zeigen auch die Textbeispiele aus der griechischen Antike. So hatte Timarchos, der die antimakedonische Politik des Demosthenes unterstützte, zusammen mit diesem eine Klage wegen Amtsmissbrauchs (RCTCRTGUDGKC) gegen den makedonenfreundlichen Aischines eingereicht (vgl. Demosth 19). Im Gegenzug strengte Aischines gegen Timarchos einen Sittlichkeitsprozess an, in dem er ihm seinerseits gewerbsmäßige Unzucht (RQTPGKC), Verschwendung und leichtfertige Amtsführung vorwarf (vgl. Aischin 1). „Es deutet alles darauf hin, dass es ihm gelang, der politischen Karriere des Timarchos ein Ende zu bereiten.“21 Ein weiterer, von Aischines initiierter Prozess gegen die Ehrung des Demosthenes mit dem goldenen Kranz (vgl. Aischin 3) endete jedoch mit seiner Niederlage und Verbannung.22 Weitere Beispiele veranschaulichen das Prinzip von Herausforderung und Reaktion: Nachdem Leodamas, ein Freund des Lysias, auf Betreiben des Thrasybulos vom Archontat ausgeschlossen worden war (CXRQFQMKOC\Y Lys 26,13.14), verlangte Lysias den Ausschluss von dessen Freund Euandros von demselben Amt.23 Andokides, selbst angeklagt, strengte seinerseits einen Prozess gegen amtierende Archonten an (Lys 6,33).24 19 20 21 22 23 24

Venetz, Selig, 397. Venetz, Selig, 398. Gärtner, Timarchos, 839; vgl. auch ders., Aischines, 190; Kiechle, Demosthenes, 1485. Vgl. Gärtner, Aischines, 191. Vgl. Lys 26 sowie Mau, Leodamas, 563. Andokides stand im Jahr 399 wegen der Verletzung eines gegen ihn verhängten Verbots öffentlicher religiöser Betätigung vor Gericht. Er war 415 nach der Verstümmelung von Hermesstatuen durch eine Gruppe junger Männer wegen Religionsfrevels verurteilt und verbannt worden, konnte jedoch 403 nach der allgemeinen Amnestie nach Athen zurückkehren. In dem Verfahren im Jahr 399, in dem Lysias die Klägerseite vertrat,

104

Motivgeschichtliche Analyse

Die Diskreditierung des Prozessgegners durch Hinweise auf dessen finanzielle Situation (Demosth 25,4),25 früher erfolgten Ausschluss von anderen Ämtern (CXRQFQMKOC\Y Demosth 25,30.67; Deinarch 2,10; Lys 13,1)[26] oder auch durch Unterstellung unsittlichen Verhaltens wie im Fall des Timarchos gehörte zu den üblichen rhetorischen Mitteln. Die Disqualifikation, die mit dem Wort CXRQFQMKOC\Y ausgedrückt wird, bedeutet das Gegenteil von Anerkennung; sie ist eine persönliche Niederlage des Kandidaten gegenüber seinen Herausforderern. Der Verlust der Bürgerrechte ist gleichbedeutend mit Ehrlosigkeit (CXVKOKC). Der Ausschluss von den Streitkräften oder die Zurücksetzung bei der Bewerbung um militärische Ränge bedeutete ebenfalls einen Verlust an Ehre und Ansehen (vgl. Deinarch 1,79; Xen Hipp 1,13.14.15; Xen Lak Pol 4,3).

4.2

CXRQFQMKOC\Y im Neuen Testament

Im Neuen Testament begegnet das Verb nicht mehr als 8mal. Vier der Belegstellen zitieren Ps 117 (118),22 LXX; nämlich Mk 12,10 parr sowie 1 Petr 2,4.7. Derselbe Psalmvers wird auch Apg 4,11 zitiert, nur dass wie Mk 9,12b statt CXRQFQMKOC\Y das Verb GXZQWSGPGY gebraucht wird. Darüber hinaus erscheint CXRQFQMKOC\Y in der ersten Leidensankündigung (Mk 8,31 par Lk 9,22; 17,25) sowie im Hebräerbrief (12,17).

25

26

konnte sich Andokides mit seiner ersten Rede „Über die Mysterien“ erfolgreich verteidigen. Vgl. den Art. “Andokides” in der “Perseus Encyclopedia”. Demosthenes machte im Zusammenhang der Affäre um den Fürstensohn Harpalos, der wegen Veruntreuung von Geldern an Alexander den Großen hatte ausgeliefert werden sollen, jedoch nach Bestechung einer Reihe führender Politiker aus der Haft entkommen war (vgl. Wirth, Harpalos; Kiechle, Demosthenes, 1486), gegen Aristogeiton geltend, dass dieser als Staatsschuldner eingetragen sei und damit das Recht auf öffentliche Rede verloren habe. Sowohl Demosthenes als auch Deinarchos führen im Zusammenhang der Harpalosaffäre gegen Aristogeiton ins Feld, dass der Angeklagte schon einmal disqualifiziert worden war, nachdem ihm durch das Los die Kontrolle des Außenhandels zugefallen war. Ebenso erinnert Lysias im Prozess gegen Agoratos daran, dass dieser einige Zeit zuvor nach seiner Wahl zum Befehlshaber der Truppen abgelehnt worden war. Agoratos, einem geborenen Sklaven, wurde Denunziation vorgeworfen, auf die hin unter den „Dreißig“ zahlreiche Anhänger der Demokratie hingerichtet worden waren. Nach dem Sturz der Oligarchen war er in den Genuss der allgemeinen Amnestie gekommen; vgl. Sontheimer, Agoratos.

Motivgeschichtliche Analyse

4.2.1

105

Ps 118

Ps 117 (118),22 LXX steht CXRQFQMKOC\Y in einem Bildwort, das aus dem Alltag einer Baustelle genommen ist: ein Stein, der „von den Bauleuten [als ungeeignet] verworfen wurde“, wird unerwartet an einer bedeutenden Stelle im Bauwerk eingesetzt.27 Das Bild vom verworfenen Stein steht für die wunderbare Errettung des Beters, die dem Eingreifen Gottes zugeschrieben wird (VV.21.23). Für den Beter, der vielleicht des Mordes angeklagt war – zumindest scheint die Möglichkeit seiner Hinrichtung bestanden zu haben (V.17) – bedeutet der Freispruch nach Anklage und Haft die gesellschaftliche Rehabilitation und die Wiedereinsetzung in seine bürgerlichen Rechte. Hier hat der Psalm einen Bezug zur Thematik von Ehre und Scham, in deren Kontext das Verb im profangriechischen Sprachgebrauch häufig erscheint. Der Psalm 118 ist ein Dankgebet eines aus der Bedrängnis erretteten Einzelnen.28 Inhaltlich weist der Psalm deutliche Bezüge zum „Leiden des Gerechten“ auf: Jemand wendet sich in einer aussichtslosen Situation an Gott und erfährt Hilfe. Der Psalm thematisiert wiederholt die positive Wendung der Situation des Beters: von der Bedrängnis in die Freiheit (V.5); vom Tod zum Leben (V.17 f.). Was die Wortwahl betrifft, bezeichnet sich der Beter zwar nicht direkt als „Gerechter“. Im Zusammenhang mit dem Einzug ins Heiligtum (VV.19 f.) wird jedoch seine Gerechtigkeit angesprochen.29 Somit kann der Psalm als Gebet eines leidenden Gerechten bezeichnet werden. Psalm 118 ist der letzte Psalm des sogenannten „kleinen Hallel“ (Pss 113118). Diese Psalmen spielen eine bedeutende Rolle in der jüdischen Liturgie, insbesondere an den drei großen Wallfahrtsfesten Sukkot (Laubhüttenfest), Pesach und Wochenfest. Das Hallel gehört auch „zum Gebetsritual des Passah-

27

28 29

Es ist umstritten, welche Position des Steines mit dem hebräischen Ausdruck K13 YDU (wörtlich: „Kopf der Ecke“) gemeint ist. In Frage kommen: der „Eckstein“ im Fundament (vgl. Jes 28,16) oder weiter oben im Gebäude; die „Türangel“; der „Schlussstein“, d. h., der meist oberhalb der Tür feierlich eingefügte letzte Stein des Baus (vgl. Sach 4,7: KYDU ED) , oder der „Prüfstein“; vgl. Berder, Pierre, 111-120. Die Vokabel YDU (Kopf) weist auf eine Position oben im Gebäude hin. Im Griechischen der Septuaginta wird der Ausdruck – vielleicht bereits aus Verlegenheit um die richtige Interpretation mit MGHCNJIYPKCLwörtlich wiedergegeben. Vgl. Deissler, Psalmen III, 117. Dieselbe Verknüpfung von persönlicher Gerechtigkeit und Einzug in den Tempel findet sich in Ps 15 und Ps 24,3 f. VV.7.9 werden ebenso wie in Ps 118 die Tore des Tempels erwähnt.

106

Motivgeschichtliche Analyse

mahles“, wo „Ps 118 beim Füllen des vierten Bechers gebetet wurde.“30 In diesem Rahmen hat sicher auch Jesus mit seinen Jüngern den Psalm gesungen.31 Die Bekanntheit und Beliebtheit von Ps 118 zur Zeit des zweiten Tempels spiegelt sich in seiner häufigen Verwendung den Schriften des Neuen Testaments und in der rabbinischen Literatur. Besonders beliebt ist das Zitat der Verse 22 und 23. Sie drücken eine Grunderfahrung aus, die vom Exodus an die Geschichte des jüdischen Volkes mit seinem Gott prägt und in zahlreichen Texten des Alten und Neuen Testaments ihren Niederschlag gefunden hat: Gott schaut auf die Geringen und wendet das Schicksal der Erniedrigten (vgl. Ps 113,7-9; Ez 17,24; 21,31; 1 Sam 2,6-10; Lk 1,51-55; QLk 14,11; Mk 10,31 parr; 1 Kor 1,27-29; 1 Petr 5,5 (zit. Spr 3,34).6).32 In der rabbinischen Literatur wird der Psalm gern auf bekannte Figuren bezogen, für deren Leben eine Schicksalswende charakteristisch ist: so Josef, der vom Sklaven zum Stellvertreter des Pharao aufsteigt (Gen 37; 39-41; vgl. Ber Rti zu Gen 42,5) und David, der als Schafhirte und wenig beachteter jüngster Sohn des Isai zum König gesalbt wird (1 Sam 16; vgl. Tg Ps 118,22-29; TB Pes 119a; Ex R 37,2; M Tann zu Dt 1,17; M Teh zu Ps 118,23; Yalq M zu Ps 118; Zohar I,89b).33 Die zahlreichen Belege einer auf David bezogenen Auslegung verweisen vermutlich bereits auf eine messianische Deutung des Psalmverses im Judentum, die auch den Bezug auf Jesus Christus erleichtert hätte. Grunderfahrung einer gottgewirkten Schicksalswende im Neuen Testament ist die Aufer-weckung und Erhöhung Jesu nach dem Leiden und Tod am Kreuz. In diesem Zusammenhang stehen alle vier neutestamentlichen Zitate von V.22 f. Darüber hinaus ist auch der Jubelruf der Volksmenge beim Einzug Jesu in Jerusalem Psalm 118 entnommen (Mk 11,9b-10 parr; Joh 12,13b vgl. VV.25a.26a).34 QLk 13,35 steht ein weiteres Zitat aus Ps 118,26a als Akklamation in eschatologischem Kontext. Beide Stellen zeugen von der großen Beliebtheit des Psalms zur Zeit Jesu und der frühen Gemeinden. 30 31

32

33 34

Vgl. Deissler, Psalmen III, 118 f.; Zitat: 119. Eine Reihe von Autoren vermuten hinter dem Partizip WBOPJUCPVGL (Mk 14,26 par Mt 26,30) einen Bezug auf das Hallel; vgl. Berder, Pierre, 279 mit Verweis auf Pesch, Markusevangelium 2, 379. In der Apostelgeschichte begegnet das Motiv von Erniedrigung und Erhöhung besonders häufig in den Reden des Petrus; so 2,22-36; 4,8-12; 5,29-32; 10,39-43. Daher bezeichnet E. Stauffer, Die Theologie des Neuen Testaments, Gütersloh 1948, 222 f. diesen Aussagetyp als „Petrusformel“; vgl. Berder, Pierre, 318. Vgl. Berder, Pierre, 204-221; 228 f.; 239. Der ursprüngliche Hilferuf „Hosanna!“ (25a: D1 K>\YZK „Hilf doch!“) wird ins Griechische transkribiert zu einem Jubelruf, als der er bis heute in der christlichen Liturgie in Gebrauch ist. Die Septuagina übersetzen dagegen mit: UYUQPFG. Man kann in dem Ruf auch eine Anspielung auf den Namen Jesu (Jeschua, „Gott hilft“) sehen, der sich von derselben hebräischen Wurzel herleitet.

Motivgeschichtliche Analyse

4.2.2

107

Der Anhang zum Winzergleichnis Mk 12,10 f.

Mk 12,10 f. steht ein Zitat aus Ps 118,22 f. im Anschluss an das Gleichnis von den Pächtern des Weinbergs (Mk 12,1-9). Das Gleichnis beschreibt die Ablehnung Israels gegenüber den Gesandten Gottes bis hin zum Tod Jesu, des „geliebten Sohnes“ (vgl. Mk 1,11; 9,7), indem es den alttestamentlichen Topos von der Abweisung und Tötung der Propheten ins Bild setzt.35 Das Zitat aus Ps 118,22 f. ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nachträglich angefügt worden. Die Gleichniserzählung kommt auch ohne das Zitat aus. Sie ist in sich kohärent und findet in der Bestrafung der Pächter (Mk 12,9), Sinnbild für das Gericht Gottes, einen angemessenen Abschluss.36 Nach dem Bild des Weinbergs bringt es die neue Bildebene der Baustelle. Zugleich wechselt die Textsorte vom Gleichnis zum theologischen Streitgespräch.37 Nach dem Gleichnis, das vor allem am Schicksal der Pächter interessiert zu sein scheint,38 lenkt das Schriftzitat den Blick auf den Sohn. Aus dem Kontext heraus ist er mit dem Eckstein zu identifizieren, der nach seiner Verwerfung durch die Bauleute von Gott in eine bedeutende Position eingesetzt wird. Das Zitat ist also eine verschlüsselte Aussage über den Tod und die Auferweckung Jesu und seine Erhöhung zum „Herrn“ und Richter. Die Gewalt, die die Pächter dem Sohn des Weinbergbesitzers angetan haben, behält nicht das letzte Wort. Im Bild des Psalmverses wäre die jüdische Obrigkeit mit den Bauleuten gleichzusetzen, die den späteren „Eckstein“ verworfen und damit auch Gottes Plan verkannt haben. Dazu passt, dass der hebräische Ausdruck für „Bauleute“ (aQZE) im Alten Testament auch als Metapher für die Führer des Volkes verwendet wird.39 Die Reaktion der anwesenden Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten (vgl. Mk 11,27) zeigt, dass sie verstanden haben: Sie sind „mit diesem Gleichnis gemeint“; d. h., sie sind die Pächter des Weinbergs, die Gottes Gesandte abgewiesen und seinen Sohn getötet haben. So gibt das Gleichnis im Rahmen der Jerusalemer Streitgespräche einen letzten Anstoß zur Verhaftung Jesu (vgl. V.12). 35

36 37

38 39

Vgl. 2 Kön 17,13 ff.; 42,2; 2 Chr 24,17 ff.; 36,14 ff.; Esr 9,10 ff.; Neh 9,26 ff.; Jer 2,30; 7,21 ff.; 25,4 ff.; 26,4-6; 29,16 ff.; 35,14 ff.; 44,1 ff.; Bar 1,15-2,26; Dan 9,1-14; Sach 1,4 sowie Steck, Israel. Der unfruchtbare Weinberg ist schon bei den Propheten ein Bild für das untreu gewordene Volk Gottes (vgl. Jes 5,1-7, Jer 2,21). Vgl. Berder, Pierre, 260-262. Die Vermutung, dass VV.10 und 11 nicht zum ursprünglichen Text des Gleichnisses gehören, wird möglicherweise durch das apokryphe Thomasevangelium bestätigt, wo Gleichnis und Psalmzitat in zwei verschiedenen Logia (Log 65 und 66) stehen, die zwar direkt aufeinander folgen, andererseits aber durch eine Schluss- und eine Einleitungsformel gegeneinander abgegrenzt sind; vgl. Berder, Pierre, 271-276. Diese Perspektive entspricht dem im Gleichnis inszenierten Propheten-Topos, dem es nach Steck, Israel, 79 in erster Linie um den Ungehorsam Israels geht. Vgl. Berder, Pierre, 267 f.; 304.

Motivgeschichtliche Analyse

108

4.2.3

Petrus vor dem Hohen Rat Apg 4,11

In der Apostelgeschichte begegnet ein Zitat von Ps 118,22 im Kontext der Vernehmung des Petrus und Johannes vor dem Hohen Rat nach der Heilung eines Gelähmten an der „Schönen Pforte“ des Tempels (Apg 3). Auf die Frage, „mit welcher Kraft oder in wessen Namen“ sie die Heilung gewirkt hätten (4,7), gibt Petrus zunächst die Antwort: „Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, den ihr gekreuzigt habt und den Gott von den Toten auferweckt hat“ (4,10). Im Anschluss zitiert er den Psalmvers vom verworfenen Stein, der von Gott zum Eckstein eingesetzt wurde (4,11). Durch die vorangestellte Wendung QWVQL GXUVKP wird Jesus ausdrücklich mit dem Stein identifiziert: „Dieser ist der Stein...“ Die parallele Konstruktion mit je zwei auf Jesus bezogenen Relativsätzen macht deutlich, dass V.11 als Erläuterung zu V.10 zu verstehen ist. Thematisch sind die Relativsätze „den ihr gekreuzigt habt“ und „den ihr Bauleute verworfen habt“ sowie „den Gott von den Toten auferweckt hat“ und „der aber zum Eckstein geworden ist“ einander zuzuordnen. Somit ist das Psalmzitat in Apg 4,11 wiederum als Aussage über Jesu Auferweckung zu verstehen. Das Personalpronomen WBOYP identifiziert den Hohen Rat mit den „Bauleuten“ aus dem Psalmzitat. Wie schon im vorangegangenen Vers („den ihr gekreuzigt habt“) wird ihnen dadurch die Verantwortung am Tod Jesu zugeschrieben. Ähnlich wie in Mk 12 ist das Zitat also auch hier polemisch gegen die jüdischen Autoritäten gerichtet. Ihrem Handeln steht kontrastiv das Handeln Gottes gegenüber, der Jesus aus dem Tod auferweckt und ihn zum Heiland für alle erhöht hat (vgl. V.12). Statt des Verbs CXRQFQMKOC\Y wie in der LXX-Fassung von Ps 118,22 erscheint in Apg 4,11 GXZQWSGPGY. Diese Vokabel, die auch in den Formen GXZQWFGPGY, GXZQWSGPQY oder GXZQWFGPQY vorkommt,40 leitet sich von QWXFGP (griechisch „nichts“) her und bedeutet „für nichts ansehen“, „gering schätzen“, „verachten“, „verächtlich behandeln“. Somit ist sie fast bedeutungsgleich mit CXRQFQMKOC\Y. In Mk 9,12, das in einer Belehrung über das Schicksal des „Menschensohnes“ im Kreis der engsten Vertrauten (Petrus, Jakobus und Johannes) einen Ausschnitt aus Mk 8,31 wiederholt, steht GXZQWFGPGY ebenfalls alternativ zu CXRQFQMKOC\Y.41 Die Septuaginta übersetzen die Wurzel VDP, die sie in Ps 117 (118),22 mit CXRQFQMKOC\Y wiedergeben, an anderen Stellen auch mit GXZQWSGPGY; vgl. 1 Sam 8,7; 10,19; Job 30,1. In den griechischen Übersetzungen des Alten Testaments begegnet der Wortstamm GXZQWF- bzw. GXZQWS- gelegentlich im Kontext vom Leiden des Gerechten; vgl. Ps 21 (22),7 LXX A, S, R GXZQWSGPJOC, LXX B GXZQWFGPJOC; Jes 53,3 Aq Sm ThGXZQWSGPGY.

40 41

Die Form GXZQWFGPGY kommt im Neuen Testament nur in Mk 9,12 vor; an den übrigen Belegstellen steht wie Apg 4,11 GXZQWSGPGY. Zu Mk 9,12 vgl. S.226-227.

Motivgeschichtliche Analyse

109

Aus der Verwendung des Verbs an den übrigen 10 neutestamentlichen Belegstellen ergeben sich teils deutliche Bezüge zum Thema Ehre und Scham. Lk 18,9 steht es in der Einleitung zum Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner, das Jesus an einige richtet, „die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten.“ Lk 23,11 drückt es im Zusammenhang des Prozesses Jesu die Verachtung durch Herodes und dessen Soldaten aus. Bei Paulus steht das Verb oftmals in Bezug auf den Wettstreit um gesellschaftliche Anerkennung innerhalb der Gemeinden. So kritisiert er Röm 14,3.10 die Verachtung sozial höhergestellter Gemeindemitglieder für die, die nicht, wie es sich für ehrenvolle Bürger gehörte, an Gastmählern und Opfermählern teilnahmen. 1 Kor 1,28, erinnert er im Rahmen einer Ermahnung zur Eintracht daran, dass Gott „das Niedrige in der Welt und das Verachtete erwählt habe“. 1 Kor 6,4 betont die anderen Wertvorstellungen in der Gemeinde, wo ein Richter, in der griechischen Polis ein anerkannter und geschätzter Amtsinhaber, „nichts gilt“. Am Schluss des Briefes ermahnt Paulus die Korinther, den von ihm ausgesandten Mitarbeiter Timotheus nicht gering zu schätzen (1 Kor 16,11). 2 Kor 10,10 spiegelt das Verb ein Autoritätsproblem des Paulus, dessen persönliches Auftreten einigen Korinthern im Vergleich zur kraftvollen Sprache der Briefe „verächtlich“ scheint. Anders die Galater: sie verachteten Paulus nicht wegen seiner körperlichen Schwäche (Gal 4,14). 1 Thess 5,20 steht das Verb schließlich in einer allgemeinen Aufforderung, prophetisches Reden nicht zu verachten.

4.2.4

Ehre für eine bedrängte Minderheit: 1 Petr 2,1-10

Im zweiten Kapitel des ersten Petrusbriefes wird Ps 118,22 innerhalb eines kurzen Abschnitts gleich zweimal aufgenommen.42 In 1 Petr 2,4 muss man von einer Anspielung sprechen, da nur einzelne Worte aus dem ersten Halbvers aufgegriffen werden. V.7 zitiert den gesamten Psalmvers. Der 1. Petrusbrief richtet sich an eine bedrängte Minderheit in Kleinasien (1,1). Gleich im ersten Vers werden die AdressatInnen als „Fremde“ (RCTGRKFJOQK) angesprochen, die „in der Zerstreuung (FKCURQTC) leben“. Wohl als Konsequenz ihres Fremdseins sind die Angesprochenen vielfältigen „Prüfungen“ ausgesetzt (RGKTCUOQK 1,6). Sie sehen sich Unwillen (4,4), Unwissenheit und Unverständnis (2,15) gegenüber; sie werden als Übeltäter verleumdet (2,12) und beschimpft (3,16; 4,14); ihnen wird Böses zugefügt (3,13); sie müssen [vor Gericht?] Rede und Antwort stehen (3,15 f.);43 kurz: sie haben vieles zu leiden (RCUEGKP 3,14; 4,15.19; 5,9.10). Ihre Leiden scheinen weniger in staatlicher Verfolgung als in alltäglicher Diskriminierung und Anfeindung durch die gesellschaftliche Umgebung bestanden zu haben, wenn auch das eine in das andere 42 43

Zur Abgrenzung und Situierung des Abschnitts im Aufbau des Briefes vgl. Berder, Pierre, 324-326. So die vorsichtige Interpretation bei Bieberstein, Überlebensstrategien, 140.

110

Motivgeschichtliche Analyse

umschlagen konnte. Die Ausgrenzung der angesprochenen Christen und Christinnen hat mit ihrer besonderen Lebensweise zu tun; so nahmen sie nicht an gesellschaftlichen Verpflichtungen wie Opferfeiern teil (vgl. 4,3 f.). „Ihre Lebensführung macht die Angesprochenen zu Fremden inmitten ihrer Umgebung.“44 Wir haben es mit Leuten zu tun, die nicht als Vollbürger anerkannt sind. Sie besitzen kein volles Bürgerrecht, und das wohl nicht nur im übertragenen Sinne; schließlich sind Sklaven (vgl. 2,19 f.) und andere Personen von niederem gesellschaftlichen Stand unter ihnen. 2CTQKMQL, wie sie der Verfasser bezeichnet (2,11; vgl. 1,17), ist der griechische Fachausdruck für angesiedelte Fremde, die nicht am politischen Leben teilnehmen konnten.45 Mit Blick auf die schwierige Situation, der die Gemeinde ausgesetzt ist, greift der erste Petrusbrief auch den Gedanken des „Leidens der Gerechten“ auf. Nach 1 Petr 3,14 sind die Gläubigen selig zu preisen, wenn sie „um der Gerechtigkeit willen leiden.“ In dem von uns zu behandelnden Abschnitt spielt der Brief darüber hinaus auf Ps 34 an, einen Psalm vom „Leiden des Gerechten“.46 In diesem gesellschaftlichen Kontext wird den Gemeindemitgliedern mit dem Zitat vom Stein aus Ps 118,22 von Gott her besondere Ehre zugesprochen. Der Psalmvers ist in V.4 zunächst auf Jesus bezogen (vgl. VV.3.5.), der „von den Menschen verworfen, aber von Gott auserwählt und geehrt wurde“. Wie bereits in Mk 12 und Apg 4 umschreibt das Bild vom Eckstein damit Jesu Tod und Auferstehung. An die Stelle des zweiten Halbverses von Ps 118,22 treten mit GXMNGMVQL „auserwählt“ und GPVKOQL „geehrt“ zwei Prädikate aus Jes 28,16 LXX, die die Situationsumkehrung zugunsten des verworfenen Steines im Sprachspiel der Ehre ausdrücken.47 Mit dem ausführlichen Psalmzitat wird die „Ehre“ (VKOJ), die Christus in seiner Erhöhung von Gott her zukommt, in V.7 auch der Gemeinde zugesprochen: „Euch, die ihr glaubt, wird diese Ehre zuteil.“ Für „diejenigen, die nicht glauben“, wird Christus dagegen zum „Eckstein“ und „Stein des Anstoßes“ (V.8 vgl. Jes 8,14). In der Kombination mit Jes 8,14 erhält das Zitat aus Ps 118,22 eine bedrohliche Wendung im Blick auf die Nicht-Glaubenden. Es wird auf die Rolle Jesu als endzeitlicher Richter bezogen, in die er in seiner Auferweckung von Gott eingesetzt wurde. Die besondere Würde der angesprochenen Gemeinde wird dagegen in den beiden letzten Versen des Abschnitts durch verschiedene alttestamentliche Volk-Gottes-Titel unterstrichen, die an wichtige Daten der Geschichte Israels erinnern. Die Titel „auserwähltes 44 45 46

47

Bieberstein, ebd. Vgl. LSJ. So greift 1 Petr 2,3 Ps 33,9 LXX auf: „Kostet und seht, wie gütig der Herr ist.“ Das Partizip RTQUGTEQOGPQK im folgenden Vers könnte eine Anspielung auf Ps 33,6 LXX sein; vgl. Berder, Pierre, 327 f. Nach der Anspielung in V.4 wird Jes 28,16 in V.6 ausführlich zitiert. Dieselbe literarische Technik wird in Bezug auf Ps 118,22 angewandt, der in V.4 zunächst nur angespielt, in V.7 dann aber ausführlich zitiert wird.

Motivgeschichtliche Analyse

111

Geschlecht“, „königliche Priesterschaft“, „heiliger Stamm“, „sein besonderes Eigentum“ nehmen die Erzählung vom Bundesschluss am Sinai auf (V.9 vgl. Ex 19,5 f.). Vom „erwählten Volk“, das „Gottes Ruhm verkünden wird“ (vgl. V.9), spricht Jes 43,20 f. im Zusammenhang mit der Errettung Israels aus dem Exil. V.10 spielt in dem „Volk Gottes“, das sein „Erbarmen gefunden“ hat, auf die Namen der Kinder Hoseas an, die nach der Verwerfung die erneute Erwählung Israels ankündigen (Hos 1,6.9; 2,1.3.25). Wie hier einer von der gesellschaftlichen Umgebung und wohl auch von der Synagoge angefeindeten und verachteten heidenchristlichen Gemeinde die Ehrentitel des erwählten Volkes Gottes zugesprochen werden, ist bemerkenswert. Aufgrund ihres Glaubens an Christus haben sie, die nicht sein Volk waren, bei Gott Erbarmen gefunden (V.10). Aufgrund des Glaubens wird dieser Gruppe von gesellschaftlich Minderwertigen und Sklavinnen von Gott her königliche (V.9) Ehre zuteil. Durch den Glauben sind sie, die aufgrund ihres Fernbleibens vom Kult als gottlos angesehen werden, vor Gott geheiligt (V.9). „Der Verfasser setzt der gesellschaftlichen Abwertung Jesu und der Christinnen und Christen die Erwählung durch Gott entgegen.“48 Die neu gewonnene Wertschätzung bringt in den Gemeinden neue Formen des Miteinanders hervor, wo die Ältesten „nicht Beherrscher der Gemeinden“ (5,3) sind und wo Sklavinnen das Amt der Diakonin übertragen werden kann.49 Die Erwählung durch Gott zeigt sich in „aufrichtiger Geschwisterliebe“ (HKNCFGNHKCCXPWRQMTKVQL 1,22) und gegenseitiger Demut (VCRGKPQHTQUWPJ 5,5). Man könnte sagen, dass die Gemeinde für die Christen und Christinnen zur „Primärgruppe“ geworden ist, zu einem geschützten Raum, der vom permanenten Wettstreit um Ehre und Ansehen ausgenommen ist.

4.2.5

Weiterführung: Die Gemeinde als „geistiges Haus“

In 1 Petr 2,5 ist das Bild vom Bau zu einer Metapher für das Leben der Gemeinde weiter entwickelt. Sie ist aufgerufen, Jesus, dem „lebendigen Stein“, als „geistiges Haus“ aus „lebendigen Steinen“ zu folgen.50 Dasselbe Bild der Gemeinde als Bau begegnet verschiedentlich in der paulinischen Briefliteratur. Eph 2,19-22 thematisiert ähnlich wie 1 Petr 2,9 f. die neu erworbene Position der Nichtjuden in der christlichen Gemeinde, die aus Fremden und Gästen zu Mitbürgern der Heiligen und Hausgenossen Gottes geworden sind (V.19). Anknüpfend an die Begriffe des „Gastes“ (RCTQKMQL) und des 48 49

50

Bieberstein, Überlebensstrategien, 141. Bieberstein, Überlebensstrategien, 145 f. verweist auf zwei Sklavinnen, “ministrae” einer christlichen Gemeinde, die Plinius der Jüngere als Statthalter in Kleinasien unter Folter nach ihrem Glauben befragte (Ep X,96). Der Autor nutzt damit die vielschichtige Bedeutung des Wortes QKMQL als Gebäude, Tempel, Familie, Hausgemeinde; vgl. Berder, Pierre, Pierre, 330.

Motivgeschichtliche Analyse

112

„Hausgenossen“ (QKXMGKQL) geht der Verfasser zum Vergleich der Gemeinde mit einem Bauwerk (QKXMQFQOJ) über: einem „heiligen Tempel im Herrn“ (V.21), einer „Wohnung Gottes im Geist“ (V.22), zusammengehalten durch Christus als Eckstein (CXMTQIYPKCKQL V.20 vgl. Jes 28,16 LXX). Die heidenchristlichen Mitglieder der Gemeinde von Ephesus genießen also nicht nur volles Bürgerrecht im Hause Gottes; sie sind selbst Bausteine dieses Hauses. Ebenfalls in einer Gegenüberstellung von Juden und Heiden, von Gerechtigkeit „aus Glauben“ und Gerechtigkeit „aus Werken des Gesetzes“, bringt Röm 9,33 ein Mischzitat aus Jes 28,16 und Jes 8,14. Der „Stein des Anstoßes“ (NKSQL RTQLMQOOCVQL) ist im gegebenen Kontext mit Christus zu identifizieren. Die bedrohliche Funktion des „Steines“ im Hinblick auf die Juden, die nicht an Christus glauben, erinnert an 1 Petr 2,8, wo im übrigen auch dieselbe Zitatkombination Verwendung findet.51

4.2.6

Hebr 12,17

Im Hebräerbrief steht CXRQFQMKOC\Y innerhalb der abschließenden Ermahnungen. Die Adressaten werden aufgerufen, nicht „unzüchtig oder gottlos“ zu sein wie Esau, der „verworfen wurde, als er den Segen erben wollte“ (12,15-17 vgl. Gen 27,39 f.). Mit dem Verlust des Segens verbindet sich der Verlust des Erstgeburtsrechtes (vgl. V.16). Die Attribute „gottlos“ (DGDJNQL) und „unzüchtig“ (RQTPQL) gehören in den Bereich gesellschaftlich verpönten moralischen Verhaltens. Vor allem die RQTPGKC ist fester Bestandteil neutestamentlicher Lasterkataloge.52 Bei den Athenern galt sie als Grund für die Entziehung der Bürgerrechte. Die Gottlosigkeit (DGDJNYUKL) erscheint 1 Tim 1,9 ebenfalls in einem Lasterkatalog. Der Verfasser des Hebräerbriefes verbindet demnach mit dem Verb CXRQFQMKOC\Y ebenfallseinen Verlust an Ehre. Die „Verwerfung“ des Esau bedeutet den Verlust seiner Ehre als Erstgeborener; besser gesagt: sie ist die Konsequenz seines aus der Sicht des Verfassers ehrlosen Verhaltens.

51

52

Die Übereinstimmung in der Auswahl der Zitate, in der Zitation sowie in ihrer christologischen und ekklesiologischen Auslegung lässt eine gemeinsame literarische Grundlage, etwa in Form einer schriftlichen Zitatsammlung zum Thema „Stein“ bzw. „Bau“, vermuten; vgl. Berder, Pierre, 344; 349-351 mit Verweis auf die in Qumran gefundenen „Testimonia“ (4Q 175). Die rabbinische Literatur kennt ebenfalls Zitatsammlungen, u. a. zum Stichwort „Stein“, so Est R 7,10 (zu Est 3,6) und M Tem § 5, wo sich unter den Zitaten jeweils auch Ps 118,22 befindet; vgl. ebd., Pierre, 231 f. Vgl. Apg 15,20.28; 21,25; 1 Kor 6,9.13.18; Eph 5,3.5; Gal 5,19; Kol 3,5; 1 Thess 4,3; 1 Tim 1,10; Hebr 13,4; Apk 9,21; 21,8; 22,15.

Motivgeschichtliche Analyse

4.2.7

113

Zwischenbilanz: CXRQFQMKOC\Yim Y Neuen Testament

In Mk 12,10 parr; Apg 4,11; 1 Petr 2,4.7 begegnet CXRQFQMKOC\Y jeweils in einem Zitat aus Ps 118,22, einem Psalm vom „Leiden des Gerechten“. Der Kontext und die Deutung des Zitats sind an den verschiedenen Stellen weitgehend deckungsgleich. Der „von den Bauleuten verworfene“ und von Gott erhöhte Stein wird mit dem gekreuzigten und auferweckten Jesus identifiziert. Mk 12 und Apg 4 beziehen das Zitat mit polemischem Unterton auf den Konflikt mit den jüdischen Autoritäten, denen die Verantwortung am Tod Jesu zugewiesen wird. Ihnen (Mk 12,9.12) bzw. „denen, die nicht glauben“ (1 Petr 2,7 f.), wird das Gericht angedroht. Im profangriechischen Sprachgebrauch erscheint das Wort häufig im Kontext des Wettstreits um Ehre und sozialen Status, der im öffentlichen Leben, speziell bei den Männern, von zentraler Bedeutung war. So mussten sich in den griechischen Stadtstaaten sowohl die Kandidaten für politische Ämter wie auch die Bewerber um das Bürgerrecht einer sogenannten Dokimasia unterziehen, einer öffentlichen Prüfung ihrer Person und Verhältnisse. Die Übernahme eines Amtes war mit einem Zuwachs an Ehre verbunden; die Disqualifikation vom Amt, ausgedrückt mit dem Verb CXRQFQMKOC\Y, dementsprechend eine Schmach. Der Verlust der Bürgerrechte wird mit dem Wort CXVKOKC, zu Deutsch „Ehrlosigkeit“, bezeichnet. Analog zum profangriechischen Sprachgebrauch bedeutet CXRQFQMKOC\Y auch im Neuen Testament den Verlust des gesellschaftlichen Ansehens und der bürgerlichen Mitwirkungsrechte. In diesen Kategorien begreifen die neutestamentlichen Autoren auch die Hinrichtung Jesu durch die religiösen und politischen Autoritäten und seine Auferweckung und Erhöhung durch Gott. So steht das Zitat aus Ps 118 im 1. Petrusbrief im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Verachtung der Gemeinde, der ihre Erwählung durch Gott entgegengesetzt wird. Ähnlich spricht Paulus in Eph 2,19-22; Röm 9,33 den Heidenchristen das volle Hausrecht in der Gemeinde Gottes zu. Hebr 12,17 liegt ebenfalls auf der Linie dieses Sprachgebrauchs. In Bezug auf Esau bezeichnet CXRQFQMKOC\Y hier den Verlust des väterlichen Segens und des Erstgeburtsrechts wie auch der damit verbundenen Ehre.

Motivgeschichtliche Analyse

114

4.3

Fazit: CXRQFQMKOC\Y in Mk 8,31

In Mk 8,31 steht die Vokabel CXRQFQMKOC\Y in einer Ankündigung des Leidens und der Auferstehung Jesu. Mit Blick auf die vielfältige Verwendung von Ps 118 im Neuen Testament kann dahinter eine Anspielung auf Ps 117,22 LXX vermutet werden, wenn sich die Übereinstimmung mit dem Psalmvers auch auf ein einziges Wort beschränkt. Vor dem Hintergrund des Psalmzitates in Apg 4,11, wo statt CXRQFQMKOC\Y der Alternativbegriff GXZQWFGPGY erscheint, kann auch Mk 9,12b als Anspielung auf Ps 118,22 gesehen werden. Wie in den übrigen neutestamentlichen Zitaten vom „Eckstein“ steht CXRQFQMKOC\Y in Mk 8,31 und GXZQWFGPGY in Mk 9,12 in engem Zusammenhang mit Tod und Auferstehung Jesu. Der Hinweis auf das „Muss“ (FGK) des angekündigten Schicksals in 8,31, der in 9,12.13 durch den Gedanken der Schriftgemäßheit von Leiden und Verwerfung ersetzt ist, könnte sich neben dem in der Schrift verbürgten Leiden des Gerechten auch auf den verworfenen und erhöhten Stein von Ps 118,22 beziehen.53 Beide Stellen stehen wie Mk 12,1-12 im Kontext des sich zuspitzenden Konfliktes Jesu mit der jüdischen Obrigkeit (vgl. zuletzt Mk 7,6-15; 8,11-13.15). Mk 8,31 nennt die jüdischen Autoritäten als Subjekte der Verwerfung. Im Titel „Menschensohn“ ist Jesus als künftiger Richter angesprochen. Dies passt zur Gerichtsansage an die jüdischen Autoritäten und diejenigen, die nicht an Christus glauben, in anderen neutestamentlichen Bildworten von Christus als „Stein“ (vgl. Mk 12,10 parr; 1 Petr 2,4.7). Die Zitate vom „Stein“ in den neutestamentlichen Schriften verbinden sich mehr oder weniger deutlich mit der sozialen Thematik von Ehre und Scham, die im profangriechischen Sprachgebrauch mit dem Verb CXRQFQMKOC\GKP konnotiert ist. Auch dieser Wortgebrauch lässt sich auf Mk 8,31 beziehen. Hohepriester, Schriftgelehrte und Älteste, die führenden Gruppen in der Gesellschaft, „verwerfen“ Jesus; sie sprechen ihm als Angehörigem der unteren Schichten Ehre und Rechte ab. Die Todesart der Kreuzigung ist eine Schmach. Sie wurde bevorzugt bei Sklaven und Angehörigen der unteren Gesellschaftsschichten, nicht aber bei römischen Bürgern angewendet. Wie viele seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger in den Gemeinden ist auch Jesus nicht als Vollbürger akzeptiert. Man verweigert ihm das Mitsprachrecht, die volle Teilnahme am öffentlichen Leben und an dessen Gestaltung. Gott jedoch rehabilitiert ihn in der Auferstehung und setzt ihn in die ehrenvolle Position des endzeitlichen Richters ein.

53

So Berder, Pierre, 276.

5.

Überliefert

Statt der Leidensaussagen RQNNCRCSGKP und CXRQFQMKOCUSJPCK steht in der zweiten und dritten Ankündigung RCTCFKFQPCK. Im folgenden soll den traditionsgeschichtlichen Wurzeln des Begriffs im klassischen Griechisch und in den Septuaginta sowie seiner Verwendung in den neutestamentlichen Schriften nachgegangen werden.1 Von dort ausgehend wird sich erhellen, obRCTCFKFQPCK schlicht als Ersatz oder summarische Umschreibung der beiden Verben aus Mk 8,31 zu betrachten ist oder ob der Redaktor durch die Neuformulierung von Mk 9,31 und 10,33 eigene theologische Inhalte einbringt.

5.1

RCTCFKFQPCK im klassischen Griechisch, in den Septuaginta und in der zwischentestamentlichen Literatur

5.1.1

Klassisch-griechischer Sprachgebrauch im Kriegs- und Gerichtskontext

Als verstärkte Form von FKFYOK „geben“ bezeichnet RCTCFKFYOK den Vorgang, dass jemand oder etwas in die Verfügungsgewalt eines anderen übertragen wird. Damit entspricht es genau dem deutschen Verb „übergeben“.2 Im Griechischen ist RCTCFKFYOK ebenso wie das Simplex, an dessen Stelle es treten kann, eine Allerweltsvokabel. Entsprechend vielschichtig ist seine Bedeutung. So erscheint RCTCFKFYOK im Kriegsvokabular im Zusammenhang der Kapitulation: der Feind „ergibt sich“ (Hdt 3,13; 5,15; Pol 1,21,7; 4,75,5; Xen Kyr 3,3,44; 5,1,28; Cass Dio 37,14,1; Plut mor 204 E); eine Stadt wird „übergeben“ (Thuk 3,47.52.53; Lykurg 8; Pol 9,25,5; Diod 3,54,5; Plut Vit 813 E; 814 E); eine Person wird dem Gegner „ausgeliefert“ (Hdt 9,87; Diod 11,33,4; Poseid 87 frgm. 36,50; Pol 3,20,8; 20,10,5; 28,4,11).3 Terminus Technicus ist das Wort auch im Gerichtswesen: jemand wird dem Richter, dem Gerichtsdiener, dem Gericht (And 1,17; 1,66; Lykurg 4; Lys 14,17; 22,2; Plat leg 9,871e; Demosth 21,2), ins Gefängnis (Cass Dio 58,18,4; Xen hell 1,7,3), zur Vernehmung (Demosth 45,61; 47,7 ff.; Isokr 17,15 f.; Lykurg 32), zur Bestrafung bzw. Hinrichtung (Ael 17,37 (W); Cass Dio 64,3,4; Dion Hal 7,36,1; 7,69,1) „übergeben“.4 Bei der Auslieferung einer Person an das Gericht kann ebenso wie bei der Auslieferung von Personen oder Städten an den Feind ein Moment der Treulosigkeit und der Falschheit, d. 1 2 3 4

Dabei folge ich in weiten Teilen der umfassenden Untersuchung von Popkes, „Christus traditus“. Vgl. Popkes, Christus, 82; RCTCFKFYOK, 43. Vgl. Popkes, Christus, 85; 89. Vgl. Popkes, Christus, 83-85 mit Angabe dieser und weiterer Quellen, v. a. aus Papyri.

Motivgeschichtliche Analyse

116

h. des Verrats, mitschwingen. „Verraten“ zählt jedoch nicht zu den Grundbedeutungen des Wortes.5

5.1.2

„Theologischer“ Sprachgebrauch in den LXX und der zwischentestamentlichen Literatur

Entsprechend seiner vielschichtigen Bedeutung erscheint RCTCFKFQPCK in den Septuaginta über 200mal.6 In den meisten Fällen (151mal) übersetzt es die hebräische Wurzel WQ „geben“. Das Hebräische unterscheidet nicht zwischen dem allgemeinen „geben“ und der spezielleren Vokabel „übergeben“. Daher kann in der griechischen Übersetzung sowohl das Simplex FKFQPCK als auch das Kompositum RCTCFKFQPCK in der Bedeutung „übergeben“ stehen.7 Eine feste Wendung, die von den Übersetzern der Septuaginta bereits aus dem hebräischen Text übernommen wird, ist die Konstruktion von „übergeben“ mit „in jemandes Hand“ bzw. „Hände“. Besonders häufig wird das Verb RCTCFKFYOK und insbesondere der Ausdruck „in die Hände“ im Zusammenhang des Jahwe-Krieges gebraucht. Dabei erscheint 161mal Gott als Subjekt der „Übergabe“.8 „Aufgrund des zusagenden Gottesentscheides verkündet der Führer dem Heerbann: ‚Jahwe hat die ... in eure Hand gegeben’“.9 Dieser „theo-logische“, auf Gott bezogene Sprachgebrauch knüpft an die Verwendung des Verbs im Zusammenhang mit der Auslieferung von Personen an einen Feind oder Kriegsgegner oder an juristische Organe an. Im Sinne eines strengen Monotheismus bringt das „Übergeben in die Hände“ das souveräne Handeln Gottes zum Ausdruck, der allein über Sieg oder Niederlage im Krieg entscheidet. Dieser Gedanke ist im Pentateuch im Kontext der Landnahme grundgelegt und wird in den sogenannten „Geschichtsbüchern“ weiterentwickelt.10 Die steigende Beliebtheit der Formulierung lässt sich daran ablesen, dass sie 2 Chr 25,20; 28,5; 36,17 bereits auf der Ebene des hebräischen Textes über die Vorlage von 2 Kön hinaus und Jos 10,35; 24,10 B; Spr 29,27 von den griechischen Übersetzern ergänzt wurde. Zumeist werden die 5

6 7 8 9 10

Vgl. Popkes, Christus, 90-93. In der Bedeutung „verraten“ steht häufiger RTQFKFQPCK; vgl. Thuk 1,86,5; Gorg Pal 295,8.26; 296,12 RTQFQUKC; 298,4 RTQFQVJL (nach Popkes, ebd., 90); 4 Makk 4,1 RTQFYUYP (nach Popkes, ebd., 40); Lk 6,16; Apg 7,52; 2 Tim 3,4 (jeweilsRTQFQVJL) u. ö. Nach Popkes, Christus, 13 „ca. 208mal“, wobei der Gebrauch in einer wichtigen Handschrift mitgezählt ist, „semitisierender Doppelgebrauch“ dagegen nicht. Vgl. Popkes, Christus, 18; 22. „Davon 21mal implizit oder wahrscheinlich“ (Popkes, Christus, 13). G. von Rad, Der Heilige Krieg im alten Israel (Göttingen 31958), 7; zitiert nach: Popkes, Christus, 23. Vgl. Popkes, Christus, 13-15. Interessanterweise führen die Philister ihren Sieg über Simson in Ri 16,23.24 mit der gleichen sprachlichen Wendung auf ihre Götter zurück. Das häufige Erscheinen des Ausdrucks im deuteronomistischen Geschichtswerk (96mal) hängt vermutlich mit dem besonderen Interesse des Deuteronomismus am EinGott-Glauben zusammen.

Motivgeschichtliche Analyse

117

Feinde in die Hand der Krieger Israels gegeben. Es passt jedoch in den strengen Monotheismus der Vorstellung, dass auch die Niederlage Israels in derselben Weise auf Gottes Wirken zurückgeführt wird. In der Regel gilt es als Strafe Gottes, wenn er das Volk an seine Feinde ausliefert.11 Bei den Propheten erscheint das Wort 39 von 57mal in Gerichtsworten, in denen Israel oder fremden Völkern die Auslieferung an ihre Feinde angedroht wird.12 Gebete und Klagelieder übertragen die Vorstellung des Ausgeliefertwerdens an die Feinde in den individuellen Bereich. In den Psalmen erscheint das Bild im Kontext vom „leidenden Gerechten“, der um Gottes Macht weiß und sich ihr anvertraut. „Gib mich nicht meinen gierigen Gegnern preis“, bittet der Psalmist in Ps 27 (26),12 (vgl. 40 (41),3; 118 (119),121). In Ps 117 (118),18 dankt der Beter, dass Gott ihn nicht „dem Tod übergeben“ habe. In Ps 73 (74),19 betet das Volk: „Gib dem Raubtier das Leben deiner Taube nicht preis!“ Ähnlich deutet Jes 38,12.13 der König Hiskija seine lebensbedrohende Krankheit als Ausgeliefertsein durch Gott. Auch im Buch Ijob, einer beispielhaften Erzählung von Leiden und Rehabilitation eines Gerechten, findet sich die Vorstellung vom Ausgeliefertsein durch Gott. Ijob klagt Gott an, ihn „dem Frevler preiszugeben“ (16,11). Übereinstimmend gibt Gott ihn in der Rahmenerzählung in die Hand des Satans (RCTCFKFYOK UQK CWXVQP 2,6). Eine „spezielle Form der Gestalt vom Leidenden Gerechten“13 ist der Gottesknecht, der nach Jes 53 LXX „unseren Sünden“ (VCKL CBOCTVKCKL JBOYP V.6) bzw. „wegen ihrer Sünden“ (FKC VCL CXPQOKCL CWXVYP V.12) ausgeliefert wird. Subjekt der Auslieferung ist nach V.6 Gott (MWTKQL); entsprechend ist das doppelte RCTGFQSJ in V.12 als Passivum Divinum zu deuten.14 Die stärker individuell geprägte Gebetsliteratur übernimmt also die Formulierung von der Auslieferung durch Gott in den Kontext des Leidens der Gerechten. In einem konsequenten Ein-Gott-Glauben führen die Beter das Böse, das ihnen zustößt, ebenso wie das Gute auf die Macht Gottes zurück. Die indirekt damit verbundene Vorstellung vom ausliefernden Gott bleibt vielerorts jedoch so im Hintergrund, dass RCTCFKFQPCK eher als Geschickaussage denn als Deutung des Geschicks der Gerechten aufgefasst werden muss; 11 12

13 14

So explizit Lev 26,25; Ri 2,14; 6,1.13; 13,1; 1 Kön 8,46; 14,16; 2 Kön 21,14; 2 Esr (M: Esr) 9,7. So Jes 19,4; 23,7; 33,1; 34,2; 64,6; 65,12; Jer 15,4; 21,10; 22,25; 24,8; 26 (46),24.28; 27 (50),2; 30 (32),4.28.36.43; 39 (32),4 B S2; 41 (34),2; 44 (37),17; 45 (38),3.18; Ez 7,21; 11,9; 16,27.39; 21,20.32.34.36; 23,9.28; 25,4; 31,11; 39,23; Hos 8,10; Mi 6,14.16; Sach 11,6. Eine Ausnahme stellt die LXX-Fassung des Propheten Jesaja dar, wo das Verb, offenbar eine Lieblingsvokabel des Übersetzers, an etlichen Stellen über die hebräische Vorlage hinaus ergänzt wurde (Jes 23,7; 25,5.7; 33,1.6; 38,13; 64,6). Vgl. Popkes, Christus, 16 f. Vgl. Jes 53,9.11. Zitat: Weihs, Deutung, 361. Nach dem hebräischen Text ist es dagegen in V.12 der Gottesknecht, d. h., der Prophet selbst, der sein Leben hingibt.

118

Motivgeschichtliche Analyse

d. h., die Formulierung vom „Ausgeliefertsein“ ist eine andere Umschreibung für das „Leiden“. Die Beter sprechen in der Regel passivisch von ihrem „Ausgeliefert-Sein“, nicht davon, dass Gott sie aktiv ausgeliefert habe. Sie tun dies nicht in anklagendem, sondern vielmehr in klagendem Ton. Die späten, griechisch überlieferten Schriften des Alten Testaments und die Schriften der zwischentestamentlichen Zeit setzen im wesentlichen den theologischen Sprachgebrauch des Alten Testaments fort. „Übergeben in die Hände“ bezeichnet das Gericht Gottes an den Feinden Israels oder an Israel selbst. Meist wird im Zusammenhang kriegerischer Ereignisse von „Auslieferung“ gesprochen. Seit dem Exil scheint der Schwerpunkt auf dem Gericht Gottes an seinem Volk zu liegen. So bezeichnetRCTCFKFYOK Est 4,17 n; Dan 3,23.34; Bar 4,6 die Auslieferung Israels ins Exil. Das zweite Makkabäerbuch interpretiert die Herrschaft Antiochus’ IV. als Gericht Gottes (10,4).15 Ähnlich betet Ps Sal 7,3 mit Blick auf die Eroberung Jerusalems durch Pompejus: „Du züchtige uns nach deinem Willen und gib uns nicht den Heiden preis (FKFQPCK).“16 Während die genannten Schriften die Preisgabe Israels an seine Feinde als gerechte Strafe für begangene Sünden weitgehend akzeptieren, stellt der Autor des Vierten Esrabuches angesichts der schrecklichen Ereignisse des Jüdischen Krieges die Theodizeefrage: „Weshalb ist Israel den Heiden hingegeben zur Schmach, dein geliebtes Volk den gottlosen Stämmen?“ (4,23)17 Ähnlich fragt Apk Bar (gr): „Warum übergabst (CXRQFKFQPCK) du uns nicht einer anderen Züchtigung, sondern übergabst (RCTCFKFQPCK) uns an solche Heiden?“18 Wie andernorts bereits gesagt, übertragen diese beiden Schriften das Bild vom „leidenden Gerechten“ in kollektivem Sinn auf den Konflikt zwischen Israel und den heidnischen Völkern.19 Dieser Topos spielt vermutlich auch bei der Klage über die Auslieferung an die „Heiden“ in 2 Makk 10,4 und Ps Sal 7,3 mit hinein. Nach äth Hen 104,2 sind die Gerechten „zuerst ... der Schande durch Unglück und Not preisgegeben“, bevor sie in die zukünftige Herrlichkeit eingehen.20

15

16 17 18 19 20

Umgekehrt deutet 2 Makk 1,17 auch die „Auslieferung“ (RCTCFKFYOK) Antiochus’ IV. an die Nanäapriester in Elymaïs, durch deren Hand der König mit seinen Vertrauten den Tod findet, als Strafe Gottes für die, die „gottlos gehandelt haben“. Zitat nach Popkes, Christus, 40. Zitiert nach Popkes, Christus, 45. Vgl. auch 4 Esr 3,27; 5,28; 6,58; 10,23 (ebd., 42). C.1; zitiert nach Popkes, Christus, 42. Vgl. S.92. Popkes, Christus, 41; vgl. 46. Ansonsten ist RCTCFKFYOK in äth Hen fast ausschließlich auf die Preisgabe der Sünder im Endgericht bezogen; vgl. Popkes, Christus, 41 f.

Motivgeschichtliche Analyse

5.1.3

119

RCTCFKFQPCK in Bezug auf den Einsatz des Lebens

In einigen frühjüdischen Schriften wie auch in klassisch-griechischen Quellen bezeichnen FKFYOK und seine Komposita (RCTCFKFQPCK, RTQFKFQPCK, GXRKFKFQPCK) den selbstlosen Einsatz für eine Sache oder einen Menschen bzw. eine Gruppe von Menschen. Das Verb ist in diesem Zusammenhang meist reflexiv konstruiert. Anstelle des Reflexivpronomens kann auch mit VQ UYOC formuliert werden („den Leib übergeben“).21 Sofern explizit erwähnt ist, zu wessen Gunsten der Lebenseinsatz geschieht, steht der Hinweis darauf meist mit dem Dativus commodi oder mit WBRGT c. gen.22 In wie weit dieses Engagement die Hingabe des eigenen Lebens in den Tod einschließt, ergibt sich aus dem jeweiligen Kontext. In der Rede „Über den Ehrenkranz“ rühmt sich Demosthenes für seinen unermüdlichen, selbstlosen Einsatz für die Stadt Athen auch unter Gefahren (FKFQPCK GBCWVQP 18,179.197.219). In einem der platonischen Dialoge bietet Sokrates ironisch an, sich dem Sophisten Dionysodoros auszuliefern (RCTCFKFQPCK GBOCWVQP Plat Euthyd 285 c), selbst wenn dieser ihn töten wolle (CXRQNNWOK).23 Lib Declam 46 erzählt die Geschichte einer Frau, die bei einem Schiffbruch ums Leben kam und genau dort an Land gespült wurde, wo ihr Mann von Räubern gefangengehalten wurde. Dessen Schmerz bewegte die Räuber, ihn freizulassen. Der Tod der Frau, durch den sie letztlich ihrem Mann zur Freiheit verhalf, war allerdings nicht intendiert, sondern wird erst in der nachträglichen Interpretation des Mannes zur „Lebenshingabe für uns“ (GXRKFKFQPCK VJP [WEJP WBRGT Lib Declam 46,36).24 Von im Krieg gefallenen Soldaten, von deren Einsatz in Thuk 2,43,2; Lib Declam 24,23 (RCTCFKFQPCK VQ UYOC) die Rede ist, dürfte der Verlust des Lebens dagegen zumindest in Kauf genommen worden sein. Direkt angezielt ist die Lebenshingabe des Menoikos, der sich von der Burg von Theben in den Tod stürzt, weil nach einer Weissagung nur der Opfertod eines Angehörigen der Königsfamilie den Sieg der Stadt gegen Polyneikes und seine Leute ermöglichen kann (FKFQPCKVJP[WEJP Eur Phoen 998).

21 22

23 24

Vgl. Popkes, Christus, 85 f. Zum Dat. comm. vgl. Demosth 18,179 WBOKP „euch“; 18,219 VJ^ RQNGK „der Stadt“; zu WBRGT c. gen. Cass Dio 64,13,3: der Herrscher opfert nicht seine Truppen für sich, sondern sich für sie auf (2x WBRGT); 65,16,5 GXRKFKFQPCKGBCWVQP WBRGTVQWMQKPQW „sich für das Gemeinwohl aufopfern“; Lib Declam 24,23 „für die Freiheit der Hellenen“. Eur Phoen 998 formuliert mit einfachem Genitiv:WBRGTSCPGKP ESQPQL „sterben für das (Vater)land“. Thuk 2,43,2 ist „gemeinsam“, nicht „dem Gemeinwohl“ zu übersetzen (gegen Popkes, Christus, 87). Die Ironie wird spätestens in der Fortsetzung an der Ausmalung drakonischer Foltermethoden deutlich: „mag er mich kochen“; gegen Popkes, Christus, 85. Vgl. Popkes, Christus, 87 f.

120

Motivgeschichtliche Analyse

Eine ähnliche Bedeutungsbreite der Formulierung vom selbstlosen Engagement bis hin zum bewusst in Kauf genommenen Tod finden wir in den frühjüdischen Schriften. Wenn Mattatias in 1 Makk 2,50 seine Söhne auffordert, für den Bund der Väter „das Leben zu geben“ (FKFQPCKVJP[WEJP), ist ein bedingungsloser Einsatz gemeint, der notfalls auch bis zur Hingabe des eigenen Lebens gehen kann, diese jedoch nicht von vornherein intendiert. Das zeigt auch der Kontext: Mattatias spricht die Ermahnung auf dem Sterbebett, nicht etwa in einer Situation des Martyriums. Die Wendung FKFQPCKVJP[WEJP erscheint in griechischen Texten nur selten.25 [WEJ wird im Zusammenhang des Lebenseinsatzes bevorzugt mit anderen Verben kombiniert, darunter vor allem RCTCVKSGPCK (vgl. Hom Od 3,74; 9,255) und RCTCDCNNGKP (vgl. Hom Il 9,322; Diod 3,36,4; Cass Dio 1,5,13).26 In 1 Makk 2,50 ist die Formulierung demnach als Semitismus zu betrachten (vgl. Jes 53,10 LXX; MT: YSQa\I). Auf einer im Tempelvorhof angebrachten Ehrentafel für Simeon und seine Brüder heißt es, sie hätten sich im Krieg gegen die Feinde ihres Volkes „der Gefahr anheim gegeben“ (GFYMCPCWXVQWLVY^MKPFWPY^ 1 Makk 14,29). Die „Gefahr“ meint vermutlich die im Krieg allgegenwärtige Bedrohung für Leib und Leben. Die Formulierung umfasst somit das ganze unerschrockene Engagement der Brüder, wohl wissend, dass ihr Einsatz Judas und Jonatan bereits das Leben gekostet hat. Ein Soldat, der im Kampf mitten in die feindliche Schlachtreihe hineinläuft, nimmt seinen Tod bewusst in Kauf. In der Interpretation des 1. Makkabäerbuches „gab er sich selbst hin (GFYMGPGBCWVQP), um sein Volk zu retten und sich einen ewigen Namen zu erwerben“ (6,44). Der siebte Bruder, der in 2 Makk 7,37 im Angesicht des Martyriums seine Bereitschaft bekräftigt, „wie die Brüder Leib und Seele für die väterlichen Gesetze hinzugeben (MCK UYOC MCK [WEJPRTQFKFYOKRGTK VYPRCVTKYPPQOYP)“, bezieht dies auf die unmittelbar bevorstehende Lebenshingabe.27 Die Formulierung „Leib und Seele“ macht deutlich, dass ein umfassender, die ganze Person betreffender Einsatz gemeint ist. Eine bewusst in Kauf genommene Lebenshingabe meint auch die Formulierung „den Leib dem Feuer übergeben“ (RCTGFYMCPVC UYOCVCCWXVYP GKXLGXORWTKUOQP) in Dan 3,28 (95) LXX Th.28 Um ihres Glaubens willen und „im Vertrauen auf ihren Gott“ gehen die drei Männer in den Feuerofen.

25 26 27 28

So Eur Phoen 998; vgl. Lib Declam 46 GXRKFKFQPCKVJP[WEJP (s. o.). Vgl. Popkes, Christus, 88. Die Formulierung mit RGTK („für“, „wegen“, „um... willen“) ist ungewöhnlich, aber der Bedeutung angemessen, da die Gesetze ja nicht direkt Nutznießer des Martertodes sind. Statt GXORWTKUOQL schreibt Theodotion RWT. Vgl. Syntipas p. 60,11; B „sich dem Feuer hingeben“ (RCTCFKFQPCKGBCWVQP); nach Popkes, Christus, 85.

Motivgeschichtliche Analyse

5.1.4

121

„Auslieferung“ und Selbsthingabe in den rabbinischen Schriften

In den rabbinischen Schriften setzt sich im wesentlichen der Sprachgebrauch der alt- und zwischentestamentlichen Traditionen fort. Auch hier begegnet der Gedanke der Dahingabe als göttliches Gericht für die Sünde über Israel, die Völker und einzelne.29 Im Zusammenhang der Auslieferung von Personen an das Gericht bekommt das hebräisch-aramäische Äquivalent UVP die Bedeutung „denunzieren“. Die Denunziation, die „in jedem Besatzungszustand eine beträchtliche Rolle zu spielen pflegt“, zählte der Rabbinat zu den schweren Sünden. Ihr Überhandnehmen gehört zu den Wirren der Endzeit (vgl. B San 97a).30 Übereinstimmend erscheinen die RTQFQVCK 2 Tim 3,4 in einem Katalog der endzeitlichen Perversionen. Die Wendung „sich selbst [dem Tod] preisgeben“ bezeichnet in der rabbinischen Literatur ebenso wie in den griechischen und frühjüdischen Schriften die Absicht, sich mit Leib und Leben für eine Sache einzusetzen, ohne dass der Tod von vornherein beabsichtigt ist.31

RCTCFKFQPCKim CK Neuen Testament

5.2

Im Neuen Testament finden sich 119 Belege von RCTCFKFQPCK.32 Der Wortgebrauch stimmt weithin mit dem klassischen Griechisch, den Septuaginta und den zwischentestamentlichen Schriften überein. Um den Hintergrund und die Bedeutung von RCTCFKFQPCK in Mk 9,31; 10,33 zu klären, empfiehlt es sich, zunächst dem Gebrauch des Verbs im Zusammenhang der Passion Jesu im Markusevangelium nachzugehen. Daneben heben sich Johannes sowie die paulinischen und deuteropaulinischen Schriften heraus, die mit der Vokabel im Kontext der Passion Jesu ein eigenes theologisches Konzept verbinden.

5.2.1

Im Markusevangelium

Nur 2 von 20 Belegen von RCTCFKFQPCK im Markusevangelium (nämlich 4,29 „gestatten“ und 7,13 „tradieren“) haben „nichts mit Leiden zu tun“.33 Das Verb steht neben der zweiten und dritten Leidensankündigung (9,31; 10,33 2x) auf29 30 31 32

33

Vgl. Sif Dt § 320; M KL Proöm 24; MHG Dev 1 § 13; Mekh Y 21,30; bTaan 18b; bGit 57a (nach Popkes, Christus, 57 f.) sowie Weihs, Deutung, 307. Vgl. Popkes, Christus, 60 f. (mit weiteren Stellenangaben). Zitat: ebd., 56. Vgl. bBM 112a; M KL Proöm 24; Tg zu Ri 12,3; 1 Sam 19,5; 28,21; Mekh 15,1 (nach Popkes, Christus, 128). Im einzelnen erscheint das Verb 96mal in den Evangelien und Apg (davon 31mal bei Mt, 20mal bei Mk, 17mal bei Lukas, 13mal in der Apg und 15mal bei Johannes), 19mal im paulinischen Schrifttum (davon 6mal in Röm und 7mal in 1 Kor) und 4mal in den Katholischen Briefen (davon 1mal in 1 Petr, 2mal in 2 Petr, 1mal in Jud). Popkes, RCTCFKFYOK, 45.

122

Motivgeschichtliche Analyse

fallend oft in Bezug auf die Auslieferung Jesu durch Judas (3,19; 14,10.11.18.21.41.42.44) und sodann dreimal im engeren Zusammenhang des Prozesses Jesu (15,1.10.15). Eine weitere Linie stellt die Gefangennahme des Täufers (1,14) und die Verfolgung der Christen (13,9.11.12) dar. Darüber hinaus ist Mk 10,45 zu nennen, wo das Simplex FKFQPCK in einer Aussage von der Selbsthingabe des Menschensohnes steht.

5.2.1.1 Die „Übergabe“ durch Judas Diese Linie konzentriert sich auf das 14. Kapitel des Markusevangeliums. Mk 14,10 f. berichtet vom Angebot des Judas an die Hohenpriester.34 Die Notiz knüpft an den letzten Tötungsbeschluss der Hohenpriester und Schriftgelehrten an (GX\JVGK V.11 vgl. 14,1)35 und bereitet die Festnahme (14,43-52) vor. Sodann ist im Kontext des letzten Mahles eine Reflexion über die Tat des Judas überliefert (14,18.21). Zuletzt erscheint das Thema 14,41.42.44 in der eigentlichen Festnahme. Bei der „Übergabe“ Jesu durch Judas überlagern sich Kriegsvokabular (Auslieferung einer Person an den Gegner) und Prozesssprache (Auslieferung einer Person an die Behörden). Darüber hinaus erinnert diese Verwendung der Vokabel an den Sprachgebrauch der Rabbinen im Zusammenhang mit der Denunziation. RCTCFKFQPCK „meint dann etwa: Judas lieferte Jesus seinen Gegnern aus, spielte ihn den Häschern in die Hände.“36 Konkret bestand die Tat des Judas vermutlich „darin, dass er die jüdische Obrigkeit über einen geeigneten Ort und eine geeignete Zeit für die Festnahme informierte“ und dem Verhaftungskommando den Weg nach Getsemani zeigte (vgl. Lk 22,47; Joh 18,5).37 In Bezug auf die Auslieferung durch Judas ist die Formulierung in allen vier Evangelien auffallend stereotyp. Häufig steht das Partizip (QB RCTCFKFQWL Mk 14,42.44 par Mt; Lk 22,21; Joh 13,11; 18,2.5; 19,11; 21,20; QBRCTCFQWL Mt 10,4; QBRCTCFYUYP Joh 6,64). Der Name des Judas scheint mit seiner Tat fest verbunden zu sein. An keiner Stelle wird er genannt, wo nicht zugleich die Auslieferung Jesu erwähnt wäre. Auch in den synoptischen Jüngerlisten (Mk 3,19 parr)

34 35

36 37

Nach Bösen, Tag, 145 „entspricht Judas“ damit vermutlich „einem offiziellen oder inoffiziellen Aufruf seitens des Synedriums.“ Indem von Judas dieselbe Tätigkeit ausgesagt wird wie von den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, ist sein „Frontwechsel“ (vgl. die Überschrift bei Klauck, Judas, 48) plastisch dargestellt. Die VV.1 und 10 f. rahmen die Erzählung von der Salbung Jesu in Bethanien, die sein Begräbnis und damit auch seinen Tod vorwegnimmt (vgl. V.8). Vgl. Popkes, Christus, 217-219. Zitat ebd., 219. Vgl. Bösen, Tag, 145-147; Klauck, Judas, 54 (mit Verweis auf Wrede, Judas, 132; Dibelius, Judas, 276 f.); 65; 138; Strecker, Passionsgeschichte, 228. Zitat aus Lohfink, Tag, 24 nach Bösen, ebd., 145 f.

Motivgeschichtliche Analyse

123

wird Judas qualifiziert als „der, der ihn dann ausgeliefert hat“. Vermutlich existierte schon früh eine geprägte Wendung wie: „Judas, der ihn überliefert hat“.38 Übereinstimmend betonen alle Traditionen, dass Judas dem engsten Jüngerkreis angehörte. Er war „einer der Zwölf“, wie es Mk 14,10.20.43 parr und Joh 6,71 heißt.39 Joh 12,4 bezeichnet ihn als „einen der Jünger“ (GKBLVYPOCSJVYP). Die synoptischen Jüngerlisten (Mk 3,16-19 parr) nennen ihn an letzter Stelle, vermutlich doch aufgrund seiner späteren Wendung gegen Jesus. Die konstante Bezeichnung des Judas als „Auslieferer“ ist nur als historische Erinnerung zu erklären. Das Entsetzen über das treulose Verhalten eines der Jünger ist den Formulierungen noch anzumerken. Im Zusammenhang der Verarbeitung dieser traumatischen Ereignisse in der späteren Gemeinde ist Mk 14,21 zu sehen, wo sich die theologische Deutung mit der reinen Berichterstattung mischt: „Zwar geht der Menschensohn hin, wie über ihn geschrieben steht. Wehe aber dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird. Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre.“ Im Rückblick erweist sich das Sterben Jesu und somit auch der Verrat des Judas als Teil eines „vor-geschriebenen“ Weges. Dennoch spricht ihn die Überlieferung nicht von eigener Schuld frei.40

5.2.1.2 Die „Übergabe“ durch das Synhedrion und durch Pilatus Der Gebrauch des Verbs im Prozess Jesu liegt ganz auf der Linie griechischer Gerichtsterminologie. Mk 15,1.10 beziehen sich auf die Übergabe Jesu an Pilatus als richterliche Instanz. Ähnliche Zusätze wie der, dass man Jesus gefesselt überstellte (FJUCPVGL15,1), finden sich auch bei klassischen griechischen Textzeugen (Xen hell 1,7,3; Plat Leg 9,871e).41 Auch die Übergabe durch Pilatus „zur Kreuzigung“ (15,15) stimmt mit dem üblichen griechischen Sprachgebrauch überein. Alle drei Stellen stehen im 15. Kapitel des Markusevangeliums. Zumindest VV.1.15 sind vermutlich einer älteren Schicht des Passionsberichtes zuzuordnen.42 Entsprechend dem profanen Gebrauch von RCTCFKFQPCK ist hier kein vor38 39

40 41 42

Vgl. Popkes, Christus, 175. Nach Bösen, Tag, 145 ähnlich wie „der Auslieferer“ eine „alte vormk Formel“; vgl. auch Klauck, Judas, 40; 137. Strecker, Passionsgeschichte, 228 rechnet [QB] GKL VYP FYFGMC in Mk 14,10.43 dagegen zu den „markinischen Eingriffen“; nach Reinbold geht dieselbe Formulierung in Mk 14,20 „auf den Evangelisten zurück“ (Bericht, 133, A.125 mit Verweis auf Gnilka, Markus 2, 267). Vgl. Hoffmann, Mk 8,31, 189 f.; Klauck, Judas, 59; 140; 142. Vgl. Popkes, Christus, 84. Zum ältesten Passionsbericht rechnen die Verse: Schenke, Christus, 135 f. (15,1*.15b*); Dormeyer, Passion, 261 (15,1b.15); ders., Sinn, 27 (15,1a-c.15); Reinbold, Bericht, 119; 156; Strecker, Passionsgeschichte, 245 (15,1.15b); vgl. 238 zu 15,1. Bösen, Tag, 37 rechnet dagegen die gesamte Szene einer vormarkinischen Redaktion zu, die den „Urbericht“ in einem ersten Schub von der Kreuzigungsszene bis zum Pilatusverhör erweitert.

124

Motivgeschichtliche Analyse

rangig theologisches oder gar soteriologisches Interesse festzustellen. Vielmehr geht es zunächst um Berichterstattung, um ein Festhalten dessen, was man über den Tod Jesu weiß. Als einziger „Titel“ steht in Mk 15,9.12 jeweils im Munde des Pilatus „der König der Juden“. Im Zusammenhang des Prozesses stellt diese Wendung jedoch keinen eigentlichen Hoheitstitel, sondern die Anklage bzw. Schuldangabe dar (vgl. die Kreuzesaufschrift Mk 15,26). Die Übereinstimmungen zwischen der markinischen und der johanneischen Tradition bestätigen, dass das Verb als Terminus der Gerichtssprache in einer alten Schicht des Passionsberichtes verwurzelt ist. Wie bei Markus ist RCTCFKFQPCK auch bei Johannes zweimal (18,30.35) im Zusammenhang der Auslieferung Jesu an Pilatus durch die jüdische Obrigkeit gebraucht, einmal (19,16) bezeichnet es die Übergabe zur Kreuzigung durch Pilatus.43 Als einziger „Titel“ erscheint ebenfalls die Anklage „König der Juden“ (18,33; 19,14 f.).

5.2.1.3 Die „Übergabe“ des Täufers und die Verfolgung der Christen Die Notiz von der „Übergabe“ des Täufers in Mk 1,14 ist der Gerichtssprache zuzuordnen. Zu ergänzen wäre nach griechischem Sprachgebrauch etwa: „nachdem Johannes ins Gefängnis geworfen worden war“ oder „nachdem Johannes zur Hinrichtung übergeben worden war“. Der Vers ist ein Summarium aus der Feder des Markus. Er nimmt Gefangennahme und Tod des Johannes, die in Mk 6,17-29 ausführlich geschildert werden, bereits am Beginn des Wirkens Jesu vorweg. Da im Prolog (1,1-13) das Auftreten Jesu mit dem des Johannes parallelisiert wird, ist damit stillschweigend auch sein gewaltsames Ende vorweggenommen.44 Von daher ist die Vokabel RCTCFKFQPCK in Mk 1,14 auch als Vorgriff auf die Passionsgeschichte zu verstehen. Wie der ersten Ankündigung von Leiden und Auferstehung gehen dem Bericht vom Tod des Johannes Einschätzungen des Volkes zur Identität Jesu voraus (Mk 6,14-16 vgl. 8,27 f.). Der Evangelist konfrontiert die hochgeschraubten Erwartungen mit der blutigen Realität. Damit zeigt er, dass die Sendung Jesu wie des Johannes zwangsläufig ins Leiden und in den Tod führt und sich gerade darin verwirklicht. In der „markinischen Apokalypse“ wird die Verfolgung der Gläubigen ebenfalls mit der Vokabel RCTCFKFQPCK angekündigt: Mk 13,9.11.12. Im Vers 9 ist

43

44

Nach Ernst, Passionserzählung, 178 ist das Pilatusverhör insgesamt dem Evangelisten zuzuschreiben, der den mit der Kreuzigung einsetzenden Urbericht „zu der bis 14,1 zurückreichenden Passionserzählung“ ausweitet. Allerdings fehlt bei Johannes eine exakte Parallele zu Mk 15,10. In Joh 18,28, der Parallelstelle zu Mk 15,1, fehlt sowohl das Verb RCTCFKFQPCK als auch der Hinweis auf die gefesselte Überstellung. Letzterer findet sich stattdessen in Joh 18,12.24. Zu Mk 15,15 gibt es eine Parallele in Joh 19,16a; vgl. Reinbold, Bericht, 156 f. QBRCTCFKFQWL in Joh 19,11 ist auf die Übergabe durch Judas zu beziehen, zumal dieselbe partizipiale Wendung in allen vier Evangelien stereotyp den Judas bezeichnet. Vgl. S.31; Popkes, RCTCFKFYOK, 46; Weihs, Deutung, 319.

Motivgeschichtliche Analyse

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von der Übergabe „an Synhedrien“ die Rede; es liegt also Prozessterminologie vor. Nach einem vermutlich markinischen Einschub in V.10 greift Vers 11 mit dem Partizip RCTCFKFQPVGL auf das in V.9 Gesagte zurück und stellt so den Zusammenhang wieder her.45 Das Partizip in V.11 ist somit ebenfalls der Prozessterminologie zuzurechnen. Die Formulierung mit RCTCFKFQPCK lehnt sich aber auch an die Passionsgeschichte an. Wie zuvor das Geschick des Johannes wird auch das Schicksal der jungen Kirche mit dem ihres Herrn parallelisiert.46 Nicht anders als Jesus, der vor Gericht gestellt wurde, wird es auch denen gehen, die ihm nachfolgen. Das unterstreicht der Zusatz „um meinetwillen“ in V.9. Der V.12 ist von allgemeinerem Charakter. Er spricht von „Kindern“, „Brüdern“, „Vätern“ und „Eltern“, die einander „dem Tod übergeben“, ohne dass direkt auf die Gemeinde Bezug genommen wird. RCTCFKFYOK GKXL SCPCVQP ist keine geläufige Wendung in der Prozesssprache. In den Septuaginta finden sich vereinzelt Formulierungen wie „dem Tod übergeben“ (2 Chr 32,11; Ps 117 (118),18; Jes 53,12); „dem Hagel übergeben“ (Ps 77 (78),48 B); „dem Untergang übergeben“ (Est 8,12 p). Diese sind inhaltlich jedoch kaum vergleichbar, gehören sie doch teils in den theologischen Sprachgebrauch (Ps 117 (118),18; Ps 77 (78),48 B; Jes 53,12), teils ins Kriegsvokabular (2 Chr 32,11). Am nächsten kommt der Versuch des Haman im Esterbuch, die Juden durch eine gezielte Denunziation „dem Untergang zu übergeben“ (8,12 p). Szenarien der gegenseitigen Auslieferung begegnen in Gerichtsankündigungen der Propheten und in frühjüdischen Apokalypsen (vgl. Jes 3,5; 19,2; Jer 9,3 f.; Ez 38,21; Mi 7,6; äth Hen 56,7; 90,6 f.; 100,1 ff.; 4 Esr 5,9; 6,24; gr Esr 3,12 f.; Apk Bar (syr) 48,32; 70,3 f.; Jub 23,19). Von daher ist die Formulierung vermutlich dem apokalyptischen Sprachgebrauch zuzurechnen.47 Daneben erinnert der Vers an die Thematik der Denunziation in den rabbinischen Schriften, die dort zu den Wehen der Endzeit gezählt wird. Ähnlich wie bei Markus bezeichnet RCTCFKFQPCK insbesondere in der Apostelgeschichte verschiedentlich die Auslieferung der Gemeinde (8,3; 22,4) bzw. der Apostel (Petrus 12,4; Paulus 21,11; 27,1; 28,17). Der Wortgebrauch entspricht profaner Gerichtsterminologie, was an Zusätzen wie „fesseln und über45

46

47

Zum markinischen Einschub vgl. S.190;323; Popkes, Christus, 145. Die Technik, nach einem Einschub durch Wiederholung einzelner Worte oder ganzer Versteile wieder an den ursprünglichen Gedankengang anzuknüpfen, ist auch an anderen Stellen im Markusevangelium zu beobachten (vgl. 14,56-58 und 15,29-31 jeweils im Zusammenhang mit einer Einfügung des Tempelwortes) und dürfte daher dem Redaktor zuzurechnen sein. Vgl. Popkes, Christus, 281; Weihs, Deutung, 320. Lk 12,11 f., nach Theißen, Lokalkolorit, 166 eine „unabhängige Überlieferungsvariante“, schreibt GKXUHGTY, so dass RCTCFKFYOK in Mk 13,9.11 auf den Evangelisten zurückgehen könnte. Vgl. Popkes, Christus, 145; Theißen Lokalkolorit, 166, A.63 mit Verweis auf H. Gressmann, Altorientalische Texte zum Alten Testament, Berlin 21928, 228.

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geben“ (Apg 21,11; 22,4; 27,1) oder „ins Gefängnis übergeben“ (Apg 8,3; 22,4) deutlich wird. „Übergeben in die Hände“ in Apg 21,11 und 28,17 entspricht dem alttestamentlichen Sprachgebrauch. Möglicherweise lehnt sich der Ausdruck auch an die zweite Leidensankündigung an (Lk 9,44; vgl. 24,7). Im Zusammenhang mit der Verfolgung der Gemeinde istRCTCFKFQPCK auch hier als „bewusste Anspielung auf Jesu Passion zu sehen. [...] Lk schildert das Leiden der Gemeinde mit Worten, die in der profanen Prozesssprache zu Hause sind, setzt es aber zugleich in Parallele mit der Passion Jesu.“48

5.2.1.4 Das Lösegeld-Wort Mk 10,45 ist die einzige Stelle im Markusevangelium, die von einer Selbsthingabe des Menschensohnes spricht. Der verwendete Ausdruck FKFQPCKVJP[WEJP begegnet vereinzelt in profangriechischen und frühjüdischen Texten (vgl. Eur Phoen 899; 1 Makk 2,50; Lib Declam 46,36 GXRKFKFQPCK VJP [WEJP; 2 Makk 7,37 RTQFKFQPCKVJP[WEJP), ist aber vermutlich hebräischen Ursprungs.49 Obschon das Simplex FKFYOK in gleicher Bedeutung wie das Kompositum stehen kann, hebt sich der Vers nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich von den bisher untersuchten Stellen deutlich ab. Nirgends sonst im Markusevangelium begegnet der Ausdruck FKFQPCK VJP [WEJP. Ebenso wenig ist an den anderen Stellen zur Auslieferung Jesu, des Täufers oder der Gläubigen an freiwillige Selbsthingabe gedacht. Mk 10,45 ist daher nicht zum Hintergrund von Mk 9,31; 10,33 zu rechnen (wohl aber zum Kontext). Die zweite Spruchhälfte, vermutlich ein „eigenständiger Traditionssplitter“,50 wird von vielen Autoren als Anspielung auf das Vierte Lied vom Gottesknecht gesehen. Jes 53,10 LXX erscheint die Formulierung FKFQPCKVJP [WEJP. Der hebräische Sühneterminus aYD (Jes 53,10) könnte als Äquivalent für das griechische NWVTQP „Lösegeld“ gedeutet werden. Von den LXX wird er jedoch nicht übersetzt. Auch CXPVK RQNNYP „für viele“ findet sich in dieser Form nicht (vgl. jedoch RQNNQKL Jes 53,11 LXX; RQNNYP Jes 53,12 LXX). Die Wendung rückt den Spruch sprachlich und gedanklich in die Nähe des Becherwortes der markinisch-matthäischen Abendmahlsüberlieferung (vgl. WBRGT RQNNYP Mk 14,24).51 1 Tim 2,6 (QB FQWL GBCWVQP CXPVKNWVTQP WBRGT RCPVYP)und Tit 2,14 (GFYMGP GBCWVQPWBRGTJBOYPK=PCNWVTYUJVCKJBOCL) greifen offenbar auf dieselbe Tradition zurück wie Mk 10,45. Die sprachlichen Übereinstimmungen sind frappierend: Ebenso wie in Mk 10,45 stehen das Simplex FKFQPCK, die Wurzel NWVT- und eine „Für“-Wendung. Die Verwendung des Reflexivpronomens anstelle von [WEJ, 48 49 50 51

Popkes, Christus, 149. Vgl. S.120. Gnilka, Markus 2, 100. Par Mt 26,28 RGTKRQNNYP. Zum Lösegeldwort vgl. ausführlich S.265-269.

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die Konstruktion mit WBRGT und die Ersetzung von RQNNYP durch RCPVYP (1 Tim 2,6) sind Angleichungen an den gängigen griechischen Sprachgebrauch.52 1 Tim hat in CXPVK-NWVTQP und möglicherweise auch in der Titulatur „der Mensch Jesus Christus“ (V. 5), sofern sie auf den Titel „Menschensohn“ zurückgeht, mehr von der ursprünglichen Form des Spruches bewahrt.53 Analog zum Sprachgebrauch in der klassisch-griechischen und frühjüdischen Literatur, wo Wendungen von der „Selbsthingabe“ einen umfassenden Lebenseinsatz bezeichnen, und im Unterschied zu den beiden Pastoralbriefen bezieht Markus den überlieferten Spruch nicht ausschließlich auf den Tod Jesu. Indem er ihn mit einer entsprechenden Einleitung versieht und ihn an den Schluss der zweiten Jüngerbelehrung vom „Dienen“ stellt, wird die Hingabe Jesu zum Vorbild für eine dienende Haltung, die das ganze Leben umfasst und im Kreuzestod ihre Vollendung findet.

5.2.2

Hingabe- und Selbsthingabe-Aussagen im paulinischen und deuteropaulinischen Schrifttum

Neben 1 Tim 2,6 und Tit 2,14 stehen RCTCFKFQPCKbzw. das Simplex FKFQPCK in den paulinischen Schriften noch mehrfach in der Bedeutung „übergeben“, „hingeben“. Nach Wortverwendung und -sinn im Kontext sind dabei mehrere Linien zu unterscheiden. In 1 Kor 11,23-25 zitiert Paulus, wie er selber in V.23a schreibt, eine alte Tradition. Somit haben wir hier eine der wenigen Jesustraditionen des Paulus vor uns. Die Zeitangabe „In der Nacht, in der er ausgeliefert wurde...“ ist als historische Reminiszenz an die Übergabe durch Judas zu verstehen.54 2 Kor 4,11 spricht von der „Übergabe“ des Paulus an den Tod: „Denn immerfort sind wir lebendig um Jesu willen dem Tod ausgeliefert (RCTCFKFQOGSC)“.55 Bereits in V.10 wird das Leiden des Paulus dem Todesleiden (PGMTYUKL) Jesu parallelisiert. Die Verwendung des Verbs RCTCFKFQPCK ist in diesem Kontext „wahrscheinlich [...] ein bewusster Anklang an Christi Passion“.56 52 53 54

55

56

Zur gängigen Formulierung mit Reflexivpronomen und WBRGT vgl. S.119; zu [WEJ S.120. Vgl. Popkes, Christus, 198-200. Damit gehört die Notiz nach Popkes zusammen mit den stereotypen Aussagen zur Tat des Judas zu den „ältesten R.-Stellen“, die „historisch wie überlieferungsgeschichtlich mit der Nacht des Letzten Mahls verbunden“ sind (RCTCFKFYOK, 45). Vgl. auch ders., Christus, 207-209; Klauck, Judas, 47 mit Verweis auf ders., Herrenmahl, 304. Der gesamte Abschnitt 2,14-7,4, der vom Aposteldienst des Paulus handelt, ist in der ersten Person Plural verfasst. Nach Klauck sind „die meisten Wir-Aussagen“ im Sinne eines „schriftstellerischen Plurals“, einer „in der griechischen Alltags- und Schriftsprache [...] geläufige[n] Erscheinung“, „exklusiv“ auf Paulus zu beziehen. Durch die pluralische Formulierung zeigt Paulus zugleich auf, „wie in seinem individuellen Dasein allgemeine Merkmale des Apostolischen [...] realisiert werden. Er versteht sein eigenes Leben als eine repräsentative Existenz“ (2 Kor, 12 f.). Popkes, Christus, 151.

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Auch Paulus kennt also den Gedanken der Schicksalsnachfolge, oder besser gesagt, der Schicksalsgemeinschaft mit Jesus (vgl. auch Phil 3,10; Gal 2,19). Wie Mk 13,9 parr spricht er von der Auslieferung „um Jesu willen“.57 Aus dem Kontext geht nicht eindeutig hervor, durch wen Paulus „hingegeben“ wird. Auf dem Hintergrund alt- und zwischentestamentlicher Formulierungen speziell im Kontext vom Leiden des Gerechten ist zu vermuten, dass Paulus sein Leiden als Aufgabe aus der Hand Gottes annimmt. Innerhalb des Grußes im Präskript des Galaterbriefes spricht Paulus von dem „Herrn Jesus Christus, der sich um unserer Sünden willen hingegeben hat“ (Gal 1,4).58 Der mit dem Relativpronomen angeschlossene Satz ist vermutlich traditionell. Der Plural „Sünden“ ist bei Paulus ungebräuchlich, erst recht der gesamte AusdruckWBRGTVYPCBOCTVKYPJBOYP, der nur noch einmal in 1 Kor 15,3 in traditionellem Kontext erscheint.59 Auch die Aussage von der Selbsthingabe Jesu, die entsprechend griechischem Sprachgebrauch mit dem Simplex und Reflexivpronomen formuliert ist (VQW FQPVQLGBCWVQP), ist vermutlich vorpaulinischer Tradition zuzurechnen.60 Sie bezeichnet den Tod Jesu. Das Ziel der Lebenshingabe ist wieder von Paulus formuliert: „um uns aus dem gegenwärtigen bösen Äon herauszureißen“. Er spricht damit das Thema des Briefes an, das Herausgerissen-Sein aus dem alten Äon, das zu einem Leben in der Freiheit des Glaubens befähigt (vgl. 4,8-11; 5,1). Vor dem Hintergrund eines apokalyptischen Weltbildes versteht Paulus den Tod Jesu somit als Übergang vom Zeitalter der Sünde zum neuen Äon. Im zweiten Kapitel des Galaterbriefes findet sich ebenfalls eine Aussage von der Selbsthingabe Christi, diesmal formuliert mit RCTCFKFQPCKGBCWVQP: „der mich geliebt (CXICRJUCPVQLOG) und sich für mich hingegeben hat.“ (Gal 2,20) Wie aus dem Kontext (VV.19.21) hervorgeht, bezieht sich die Aussage wiederum auf 57 58

59

60

Allerdings formuliert Paulus mit FKC c. acc., während Markus und in der Folge Lukas mit G=PGMGP konstruieren. Mt 24,9 ändert wiederum in FKC c. acc. Nach Dey, 203 kann WXRGT c. gen neben der lokalen Grundbedeutung („über“) sowohl final („für“) als auch kausal („wegen“, „um – willen“) oder im Sinne einer Stellvertretung („anstatt“) wiedergegeben werden. Popkes, Christus, 248 übersetzt mit „wegen“; Wilckens sowie EÜ haben „für“; die Herder-Übersetzung „um – willen“. Ich wähle die letztgenannte Variante, da sie mir sowohl den finalen als auch den kausalen Aspekt zu beinhalten scheint. Daneben steht der Plural CXOCTVKCK 1 Kor 15,17 vermutlich als Wiederaufnahme von V.3; Röm 4,7; 11,27 jeweils in einem Zitat; 1 Thess 2,16 in einer Schriftanspielung. Darüber hinaus erscheint der Plural noch je einmal im Römer-, Epheser- und Kolosserbrief sowie zweimal im Ersten und einmal im Zweiten Timotheusbrief. Außer Röm 7,5 sind diese Belege für den Sprachgebrauch des Paulus aber kaum relevant, da 1 und 2 Tim und aller Wahrscheinlichkeit nach auch Eph und Kol als Pseudepigraphen gelten müssen. Gegenüber 51 Belegen des Singulars nehmen sich die Belege des Plurals ohnehin gering aus. Vgl. Popkes, Christus, 197.

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129

den Tod Jesu. Neu ist die Motivation der Selbsthingabe durch die Liebe, die durch das „für mich“ (WBRGTGXOQW) noch verstärkt wird. Vermutlich ist die ganze Aussage einschließlich des Motivs der Liebe traditionell, zumal letzteres im gegebenen Kontext „ganz unmotiviert auftaucht“.61 Gal 2,20 ist möglicherweise eine frühe Fortführung von Gal 1,4.62 Dieselbe Linie setzt sich im Epheserbrief fort, wo zweimal von der Selbsthingabe Christi (RCTCFKFQPCKGBCWVQP) „für uns“ (WXRGTJBOYP Eph 5,2) bzw. „für die Kirche“ (WXRGT CWXVJL Eph 5,25) gesprochen wird. Aufgrund der Parallelität der beiden Aussagen untereinander und mit den oben genannten Stellen ist die Formulierung vermutlich traditionell.63 Motivation der Selbsthingabe ist wiederum die Liebe, die diesmal auf die Gemeinde bezogen wird. Die Liebe Christi, die in der Lebenshingabe gipfelt, wird zum Vorbild des Zusammenlebens in der Gemeinde (5,2) und in der Ehe (5,25). Im Kontext deutet Eph 5,2 die Selbsthingabe Jesu in opferkultischen Kategorien „als Gabe und Opfer (RTQUHQTCP MCK SWUKCP), Gott zum Wohlgeruch.“ Eph 5,26 wird sie mit der Taufe in Verbindung gebracht, dem „Bad im Wasser“, in dem Christus die Kirche „heiligt und reinigt“. Dies erinnert an die Deutung der Taufe als Teilhabe am Tod Christi in Röm 6. Röm 4,25 „wegen unserer Übertretungen wurde er hingegeben (RCTGFQSJ), wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt” ist „ein Stück vorpaulinischen Formelgutes“. Darauf weist der Anschluss mit dem Relativpronomen und der Parallelismus membrorum, ein im semitischen Sprachraum beliebtes Stilmittel, sowie der unpaulinische Sprachgebrauch.64 In Entsprechung zum zweiten Halbvers, der von der Auferweckung „zu unserer Gerechtmachung“ spricht, ist die „Hingabe“ im ersten Halbvers auf den Tod Jesu zu beziehen. Als sachliches Subjekt der Übergabe kann Gott vermutet werden, der im vorangehenden Vers bereits Subjekt der Auferweckung ist. Der erste Halbvers erinnert sprachlich an 61 62 63 64

Ebd. Popkes, Christus, 248; 267 votiert in diese Richtung, lässt die Frage aber letztlich offen. Vgl. Popkes, Christus, 198. Vgl. Popkes, Christus, 193 f.; Zitat: 193. Absolut-passivisches RCTCFKFQPCK begegnet im paulinischen Korpus nur noch einmal in 2 Kor 4,11 in Bezug auf das Leiden des Paulus, interessanterweise wie hier mit FKC c. acc. konstruiert. Bei Paulus wäre stattdessen WBRGT zu erwarten gewesen (vgl. Röm 8,32; 1 Kor 11,24; Gal 1,4; 2,20; Eph 5,2.25; 1 Tim 2,6; Tit 2,14). Ungewöhnlich ist auch, dass die Konjunktion einmal in kausalem und einmal in finalem Sinn gebraucht ist. Gewöhnlich steht FKC mit dem Akkusativ in kausaler Bedeutung, in der es auch 2 Kor 4,11.15 erscheint (vgl. Dey, 202). FKMCKYUKL „Gerechtmachung“ ist ebenfalls unpaulinisch. Das Wort erscheint nur ein weiteres Mal in Röm 5,18, d. h., im selben Großabschnitt und Kontext. Vermutlich veranlasste dieses Stichwort Paulus, die Formel in V.25 einzufügen. Denn das Thema der Gerechtigkeit bestimmt den gesamten Briefkorpus ab 1,17 und weit über das 4. Kapitel hinaus (vgl. 8,33; 9,30; 10,5 f.9 f.).

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das vierte Lied vom Gottesknecht. In der Fassung der Septuaginta heißt es dort: „der Herr gab ihn unseren Sünden preis“ (Jes 53,6 LXX) und „wegen ihrer Sünden wurde er hingegeben“ (FKC VCLCBOCTVKCLCWXVYPRCTGFQSJ Jes 53,12 LXX). Jedoch steht hier jeweils CBOCTVKCK statt wie bei Paulus RCTCRVYOCVC. Die Aussage der Hingabe durch Gott knüpft an den alttestamentlichen Sprachgebrauch im Kontext des Leidens der Gerechten an. In Röm 8,32 ist der Gedanke der Hingabe durch Gott explizit: „Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingeben (RCTGFYMGP).“ Der Spruch dürfte in Anlehnung an traditionellen Sprachgebrauch von Paulus selbst formuliert worden sein.65 Im Gegensatz zu Röm 4,25 ist RCTCFKFQPCK hier aktivisch gebraucht; Gott ist Subjekt der „Hingabe“, die wie oben auf Jesu Tod zu beziehen ist.

5.2.3

Hingabe- und Selbsthingabe-Aussagen im johanneischen Schrifttum

Reflexionen über die „Selbsthingabe“ Jesu, wo in den synoptischen Evangelien und in den paulinischen Schriften RCTCFKFQPCK oder das Simplex FKFQPCK stehen kann (Mk 10,45; Gal 1,4; 2,20; Eph 5,2.25; 1 Tim 2,6; Tit 2,14), formuliert Johannes mit VKSGPCK VJP [WEJP (10,11.15.17.18; 15,13). Die Wendung ist vermutlich eine Vereinfachung der gängigen griechischen Formulierung RCTCVKSGPCK VJP [WEJP.66 Sie erscheint gehäuft in der Perikope vom guten Hirten, wo die Aussage von der Selbsthingabe des Menschensohnes mit der traditionellen alttestamentlichen Hirtensymbolik verknüpft ist: „Der gute Hirt setzt sein Leben ein für die Schafe“ (Joh 10,11). Im Bild des guten Hirten scheint RCTCVKSGPCKVJP[WEJP zunächst ein umfassendes Engagement zu bezeichnen, das die Hingabe des eigenen Lebens nicht notwendig einschließt. Der Evangelist deutet das Bild jedoch auf die Lebenshingabe Jesu aus eigenem Antrieb (CXR’ GBOCWVQW V.18; vgl. V.17). Erst recht bezieht sich die Wendung innerhalb der Abschiedsreden auf das Sterben Jesu „für seine Freunde“ (WBRGT VYP HKNYP CWXVQW 15,13). Die Selbsthingabe Jesu geschieht aus Liebe (CXICRJ). Der Tod am Kreuz wird somit zum eigentlichen Höhepunkt und Erweis seiner Liebe, die sich in der Geschwisterliebe der Gemeinde fortsetzen soll (15,12.17; vgl. 1 Joh 3,16).67 So bezieht Johannes dasselbe Vokabular auch auf Petrus (13,37 f.), dessen Vorsatz, sein Leben für Jesus zu geben, zunächst jedoch kläglich scheitert. Die Verbindung von Selbsthingabe-Aussage und Liebes-Motiv erinnert an Gal 2,20; Eph 5,2.25. Da sich das Motiv der Liebe jedoch sowohl in der johanneischen als auch in der paulinischen Tradition auch außerhalb der Selbsthingabe65 66 67

Vgl. Popkes, Christus, 195. Der mit Q=L angeschlossene Relativsatz „weist auf hymnischen Stil, doch nicht notwendigerweise auf ein Zitat“ (ebd.). Vgl. S.120. Vgl. Popkes, Christus, 190.

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131

Aussagen sehr häufig findet, ist es kein Indiz für eine traditionsgeschichtliche Verbindung der beiden Spruchgruppen.68 Im Nikodemusgespräch erscheint das Simplex FKFQPCK in einer Aussage über die Hingabe Jesu durch Gott: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3,16). V.17 spricht parallel von der „Sendung“ des Sohnes. Von daher ist FKFQPCK als sprachliche Variation zu CXRQUVGNNGKP zu sehen. Zugleich schließt der Vers 16 durch parallele Formulierung an die „Erhöhung“ des Menschensohnes in VV.14 f. an, so dass FKFQPCK auch auf den Tod Jesu zu beziehen ist.69 Eine Ausnahme bei der Verwendung von RCTCFKFYOK, das ansonsten ausschließlich in Bezug auf die Auslieferung und den Prozess Jesu gebraucht wird, bildet Joh 19,30 „Er übergab den Geist” (RCTGFQMGPVQ RPGWOC). Die Formulierung ist eine Umschreibung für den Tod Jesu. Eine Parallele findet sich in 4 Makk 12,19. Hier wird der Tod des siebten Bruders mit CXRGFQMGP umschrieben, wobei manche Textzeugen VQRPGWOC bzw. VJP[WEJP ergänzen.70

5.2.4

Zwischenbilanz: Die Bedeutung von RCTCFKFQPCK im biblischen Sprachgebrauch

Das Verb, das häufig synonym zum Simplex verwendet wird, hat im Profangriechischen eine große Bedeutungsbreite. Als Hintergrund des biblischen Sprachgebrauchs ist insbesondere seine Verwendung im Kriegs- und Gerichtsvokabular im Zusammenhang mit der Auslieferung von Personen an den Kriegsgegner oder an Institutionen der Justiz hervorzuheben. So erscheint RCTCFKFQPCK in den Septuaginta bevorzugt im kriegerischen Kontext, wo die Niederlage eines Heeres als „Auslieferung“ durch Gott und damit letztlich als Gericht oder Strafe Gottes gedeutet wird. In den Psalmen und anderen alttestamentlichen Gebetstexten erscheint das Bild im Kontext des „Leidens der Gerechten“. Deren Schicksal wird als Ausgeliefertsein durch Gott begriffen. Die Frage nach dem „Warum“ der Auslieferung bleibt dabei offen. Auf dem Hintergrund eines konsequenten Ein-Gott-Glaubens kann jedoch auch das unverdiente Leiden letztlich nicht anders als aus der Hand Gottes angenommen werden. Andererseits bleibt die Vorstellung vom ausliefernden Gott vielerorts so im Hintergrund, dass RCTCFKFYOK eher als eine Geschickaussage neben anderen denn als eigentliche theologische Deutung zu betrachten ist. In den zwischentestamentlichen Texten setzt sich dieser Wortgebrauch fort, wobei das 68

69 70

So entfallen von 141 neutestamentlichen Belegen von CXICRCP 33 auf Paulus und 67 auf Johannes; von 116 Belegen des Substantivs stehen 75 bei Paulus und 28 bei Johannes. Vgl. Popkes, Christus, 249. Vgl. Popkes, Christus, 211; 213. Vgl. Popkes, Christus, 40 f.

132

Motivgeschichtliche Analyse

Bild von der Auslieferung des Gerechten an seine Feinde seit dem Exil zunehmend kollektiv auf das Volk Gottes bezogen wird. Ebenfalls in Anlehnung an den Sprachgebrauch der Septuaginta spricht Paulus an zwei Stellen im Römerbrief vom Tod Jesu als einer „Auslieferung“ durch Gott (Röm 4,25; 8,32). Von einer „breiten Basis“ der theologischen Dahingabe-Vorstellung im frühen Christentum aufgrund der „Paulus-Linie“ ist bei zwei eindeutigen Belegen nicht zu sprechen.71 Vor allem in der erzählenden Tradition des Neuen Testaments beschreibt RCTCFKFQPCK im Sinne griechischer Militär- und Gerichtsterminologie reale Vorgänge im Zusammenhang des Prozesses Jesu. Schon bald wird die Vokabel zum geprägten Begriff im Kontext der Passion Jesu, speziell in Bezug auf die Auslieferung durch Judas und durch die jüdischen und römischen Behörden. Hier ist auch die von Paulus in 1 Kor 11,23 aufgenommene Tradition einzuordnen. Johannes begrenzt den Gebrauch der Vokabel mit Ausnahme von Joh 19,30 ausschließlich auf diese Vorgänge. Im Anschluss an den auf die Passion Jesu bezogenen Wortgebrauch erscheint RCTCFKFQPCK in der „synoptischen Apokalypse“ (Mk 13 parr), in der Apostelgeschichte und in 2 Kor 4,11 in Bezug auf die Verfolgung und das Leiden der frühen Kirche. Die Gemeinden und die Apostel werden damit in die Leidensnachfolge Jesu gestellt. Ebenso wird durch die Verwendung von RCTCFKFQPCK in Bezug auf den Tod des Johannes (Mk 1,14) dessen Schicksal mit dem Schicksal Jesu parallelisiert. Einen eigenen Traditionsstrang stellen die Aussagen von der Selbsthingabe Jesu dar. Sie sind teils mit dem Simplex FKFQPCK (Mk 10,45; 1 Tim 2,6; Tit 2,14; Gal 1,4), teils mit dem Kompositum RCTCFKFQPCK (Gal 2,20; Eph 5,2.25) und mit Ausnahme von Mk 10,45 (FKFQPCK VJP [WEJP) durchweg reflexiv formuliert. Parallelen finden sich sowohl in frühjüdischen und rabbinischen als auch in griechischen Quellen. Dort meint die Wendung FKFQPCK GBCWVQP zunächst den ganzen, bedingungslosen Einsatz für eine Sache. In wie weit dies die Hingabe des eigenen Lebens einschließt, ergibt sich aus dem jeweiligen Kontext. Dagegen beziehen die paulinischen Schriften die „Selbsthingabe“ durchweg auf den Tod Jesu; ebenso Johannes, der dafür jedoch – ebenfalls in Anlehnung an griechische Terminologie – eigens die Wendung VKSGPCK VJP [WEJP prägt. Unabhängig voneinander verknüpfen beide die Selbsthingabe Christi mit dem Motiv der Liebe. Mk 10,45, 1 Tim 2,6 und Tit 2,14 ist eine alte Tradition von der „Auslösung“ (NWVT-) durch die Selbsthingabe Christi „für alle“ erhalten. Im Gegensatz zu 1 Tim und Tit, die den Spruch ausschließlich auf den Tod Jesu beziehen, nimmt Markus ihn als Beispiel für eine dienende Lebenshaltung, die letztlich im Kreuzestod gipfelt. In diesem Sinne versieht er den Spruch mit einer Einleitung zum Thema „Dienen“ und hängt ihn als Abschluss an die zweite Jüngerbelehrung vom Dienen an. 71

Gegen Weihs, Deutung, 317, A.367.

Motivgeschichtliche Analyse

5.3

133

Fazit: RCTCFKFQPCK in Mk 9,31 und 10,33

Angesichts des häufigen Erscheinens von RCTCFKFQPCK im näheren Umfeld der Passionsgeschichte (14,10.11.18.21.41.42.44; 15,1.10.15) liegt es nahe, die Vokabel in Mk 9,31 und 10,33 als Vorgriff darauf zu sehen. Dem Wortgebrauch liegt dann die griechische Militär- und Gerichtssprache zugrunde. Insbesondere in der ausführlichen dritten Ankündigung (Mk 10,33) wird RCTCFKFQPCK in Übereinstimmung mit der Gerichtsterminologie gebraucht: Jesus wird „den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten“, d. h., dem Hohen Rat als der jüdischen Gerichtsbehörde, und sodann „den Heiden“, d. h., den Römern als der für die Kapitalgerichtsbarkeit zuständigen Besatzungsmacht, „übergeben“. Darüber hinaus könnte man in Mk 9,31, wo die alttestamentliche Wendung „in die Hände“ erscheint, einen Anklang an den in der Septuaginta mit der Vokabel verbundenen theologischen Sprachgebrauch vermuten, zumal auch die Empfängerangabe „Menschen“ merkwürdig offen bleibt. RCTCFKFQVCK wäre dann als Passivum Divinum zu verstehen.72 Das Geschick Jesu würde damit wie das anderer Gerechter vor ihm als Auslieferung durch Gott gedeutet. Ähnlich offen wie Mk 9,31 ist die Formulierung von Mk 14,41: „Der Menschensohn wird in die Hände der Sünder ausgeliefert.“ Auch die passivische Formulierung des ersten RCTCFKFQPCK von Mk 10,33 könnte einen „theologischen“ Hintergrund vermuten lassen.73 Der Kontext allerdings ließe an allen drei Stellen eher einen profanen Wortgebrauch vermuten. Die zweite und dritte Ankündigung sind innerhalb der Gesamtkomposition als redaktionelle Nachbildungen zur ersten Ankündigung Mk 8,31 zu betrachten, in denen der Evangelist nicht zuletzt im Hinblick auf sein erzählerisches Konzept traditionelle Ausdrücke durch Terminologie aus der Passionsgeschichte ersetzt hat. Mk 10,33 knüpft an Mk 9,31 an und setzt gegenüber der dort noch sehr allgemein gehaltenen Formulierung konkrete Handlungsträger aus der Passionsgeschichte ein. Umgekehrt ist die sprachliche Kürze in Mk 9,31 gegenüber der Ausführlichkeit von 10,33 bewusst als redaktionelles Mittel eingesetzt. Liegen der Bezug zum Passionsbericht und der Gebrauch von RCTCFKFQPCK als Terminus der Gerichtssprache in der dritten Ankündigung auf der Hand, so ist „die LA 9,31, die durch den markinischen Rahmen diesem Kontext eingeordnet ist, in gleicher Weise auszulegen.“74 Was Mk 14,41 betrifft, legt es die Erwähnung des RCTCFKFQWL im folgenden Vers (14,42) nahe, dass sich auch V.41 auf die Auslieferung durch Judas an die Tempelwache bezieht. Ähnliches gilt für Mk 10,33, wo das Verb direkt im Anschluss an die passivisch formulierte „Übergabe“ an die Hohenpriester und Schriftgelehrten in Bezug auf 72 73 74

So Popkes, Christus, 167; Weihs, Deutung, 313. So Gnilka, Markus 2, 97; Klauck, Judas, 46; Weihs, Deutung, 313. Hoffmann, Mk 8,31, 195.

134

Motivgeschichtliche Analyse

die Übergabe an die „Heiden“ aktivisch und in Übereinstimmung mit griechischer Gerichtsterminologie gebraucht wird. Vermutlich füllt Markus hier eine vorgefundene Formel (vgl. Mk 9,31; 14,41) mit Blick auf die Passionserzählung auf, wodurch sich für RCTCFKFQPCK eine doppelte Bedeutung ergibt. Bei dem Anklang an den theologischen Sprachgebrauch der Septuaginta und der zwischentestamentlichen Texte in Mk 9,31, 10,33 und 14,41 handelt es sich demnach um eine Doppeldeutigkeit, die der Kohärenz dieser Stellen mit den anderen, auf den Prozess Jesu bezogenen RCTCFKFYOK-Aussagen nicht widerspricht. Der Gleichklang mit aus der alt- und zwischentestamentlichen Tradition bekannten „theologischen“ Hingabe-Formulierungen dürfte vom Redaktor bewusst angezielt worden sein.75 Es ist kaum Zufall, dass das für die zweite und dritte Leidensankündigung gewählte Verb neben dem Bezug zum Passionsbericht wie die Mehrzahl der in 8,31 vorgefundenen Vokabeln zugleich einen Bezug zum „Leiden des Gerechten“ beinhaltet. Insbesondere die Formulierung „in die Hände der Sünder“ in Mk 14,41 spielt auf diesen Vorstellungszusammenhang an (vgl. Ijob 9,24; 16,11). Der Redaktor „überblendet“ somit gleichsam die historische Darstellung der Passionsereignisse mit einer vorsichtigen theologischen Deutung, die an den in Mk 8,31 bereits bemühten Vorstellungszusammenhang vom „Leiden des Gerechten“ anknüpft.

75

Vgl. Hoffmann, ebd.; Klauck, Judas, 46. Zur wechselseitigen Beeinflussung theologisch und historisch orientierter Hingabe-Aussagen vgl. Hoffmann, ebd., 197 f.; Weihs, Deutung, 318; 325; Popkes,RCTCFKFYOK, 45.

6.

Älteste, Hohepriester und Schriftgelehrte

Älteste, Hohepriester und Schriftgelehrte gehören im Markusevangelium zu den erklärten Gegnern Jesu, die maßgeblich für seinen Tod verantwortlich sind. Sie stehen in Mk 8,31 als Urheberangabe bei dem ersten Verbpaar „viel leiden und verworfen werden“. Die Angabe dürfte in erster Linie auf die Verwerfung (CXRQFQMKOC\Y) zu beziehen sein: Älteste, Hohepriester und Schriftgelehrte fühlen sich von Jesus in ihrer gesellschaftlichen Führungsposition in Frage gestellt und in ihrer Ehre herausgefordert. Der hebräische Ausdruck für „Bauleute“ aus Ps 118,22 bezeichnet andernorts auch die jüdische Führungsschicht.1 Die Erwähnung der Jerusalemer Behörden ist eine Angleichung des Evangelisten an die von ihm vorgefundene Passionsgeschichte, die diese Gruppe durchgehend als Verantwortliche am Tod Jesu benennt (vgl. 14,1.43.53; 15,1.3.10.31). Sie fügt sich jedoch gut in die vorgefundene Tradition ein, die Jesu Tod auf dem Hintergrund des alttestamentlichen Topos als „Leiden eines Gerechten“ begreift. Ein Blick auf die gesellschaftlichen Gruppen, die die Überlieferung als Verantwortliche am Tod Jesu ausweist, trägt zum Verständnis des Konfliktes bei, der ihn letztlich das Leben kostete.

6.1

Das Synhedrium

Mit den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten nennt Mk 8,31 die drei Fraktionen, aus denen sich um 30 n. Chr. das Synhedrium zusammensetzte. Die oberste jüdische Steuerungsbehörde war nach den Berichten der Evangelien maßgeblich für den Tod Jesu verantwortlich. Unter der Herrschaft der Hasmonäer (106-63 v. Chr.) und Herodes’ des Großen (37-4 v. Chr.) war das traditionelle Ständeparlament in seinen Rechten stark eingeschränkt gewesen, erhielt dann aber unter den römischen Prokuratoren eine nie da gewesene Bedeutung sowohl auf religiöser als auch auf juristischer, politischer und ökonomischer Ebene. In seinen Händen lag nicht nur die Oberaufsicht über den Kultbetrieb im Tempel und die Verwaltung des Tempelschatzes. Der Hohe Rat vertrat auch die Interessen des jüdischen Volkes einschließlich der Diasporajuden gegenüber der römischen Besatzungsmacht. Als oberste jüdische Justizbehörde entschied er eigenständig in religiösen und kultischen Fragen und war auch befugt, Verstöße gegen die Thora oder gegen den Tempel in Eigenregie zu ahnden. Oft gelang es dem Gremium, seinen Einfluss darüber hinaus in juristischen und politischen Fragen geltend zu machen. „Die auf ihre Kompetenz sorgsam bedachte Behörde konnte zivilen Prozessen leicht den Anstrich des Religiösen geben.“2 Das Aussprechen und die Vollstreckung von Todesurteilen (“ius gladii”) blieb – mit 1 2

Vgl. Berder, Pierre, 267 f.; 304. Gnilka, Markus 2, 285.

136

Motivgeschichtliche Analyse

Ausnahme Herodes’ Agrippas I. (41-44) – dem römischen Prokurator vorbehalten.3 Die Fraktion der „Hohenpriester“ setzte sich aus wohlhabenden Jerusalemer Adligen aus priesterlichem Geschlecht zusammen.4 Die Vertreter der „Ältesten“ waren Laienaristokraten aus wohlhabenden, traditionsreichen Jerusalemer Familien.5 Gemeinsam betrieben sie eine Politik größtmöglichen Einvernehmens mit den Römern, teils aus persönlichen Interessen, teils aus realpolitischen Überlegungen heraus.6 Allein die Fraktion der Schriftgelehrten war nicht aufgrund ihrer Herkunft, sondern nur aufgrund ihres Wissens im Hohen Rat vertreten.7 „Angesichts einer weithin hellenisierten höheren Priesterschaft“, die der väterlichen Gesetze nicht mehr ausreichend kundig war, zogen unter Salome Alexandra (76-67 v. Chr.) Schriftgelehrte in das Ständeparlament ein.8 Einiges spricht dafür, dass die schriftgelehrte Fraktion im Hohen Rat sich überwiegend aus Anhängern des Pharisäismus zusammensetzte. Denn in der Laienbewegung der Pharisäer bildeten Schriftgelehrte die Führungsschicht, wenn sie auch in allen Parteien und geistesgeschichtlichen Strömungen der damaligen Zeit vertreten waren. Die ersten Schriftgelehrten, die unter Salome Alexandra in das Ständeparlament einzogen, gehörten der Bewegung der Pharisäer an 9 Den Vorsitz im Hohen Rat hatte der Hohepriester.10 Seine Aufgaben waren zunächst rein religiös-kultischer Art. Ihm oblag das Ritual am Großen Versöhnungstag (Jom Kippur, vgl. Ex 30,10; Lev 16), die Darbringung täglicher Speiseopfer (vgl. Lev 6,13; Hebr 7,27) und die Leitung des Opferkultes insgesamt. Seit der späten Perser- oder der frühen Hellenistischen Zeit ist eine Ausweitung des Amtes auf innenpolitische Aufgaben und auf die außenpolitische Repräsentation des jüdischen Volkes zu beobachten.11 Die Salbung zum Amt des Hohenpriesters (vgl. Lev 21,10; Num 35,25) war gemäß der Überlieferung in der Nachfolge Aarons und Zadoks, des obersten Priesters Davids, bestimmten

3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. Bösen, Tag, 171 f.; Frankemölle, CXRQMVGKPY, 323 sowie den Exkurs „Der Prozess Jesu und das jüdische Prozessrecht“ bei Gnilka, Markus 2, 284-286, insbesondere 285 f. Vgl. Bösen, Tag, 170; Taylor, Mark, 378. Vgl. Füssel, Körper, 45 f.; Bösen, Tag, 170; Rohde, RTGUDWVGTQL, 360; Taylor, Mark, 378. Vgl. Bösen, Tag, 170; 217 f. Nach Dov Gilat, Soferim, 79 entstammten die Schriftgelehrten allen gesellschaftlichen Schichten; nach Lohse, Umwelt, 83 befanden sich auch Proselyten unter ihnen. Baumbach, ITCOOCVGWL, 626; vgl. Lohse, Umwelt, 83; Gnilka, Markus 1, 79; Bösen, Tag, 170. Vgl. Baumbach, ITCOOCVGWL, 626; Gnilka, Markus 1, 107 f. Vgl. Mk 14,55-64; Gafni, High Priest, 474. Vgl. Gafni, High Priest, 473 f.; Kellermann, CXTEKGTGWL, 396; Kellner, Menschensohn, 21.

Motivgeschichtliche Analyse

137

priesterlichen Familien vorbehalten.12 Als Anführer der Makkabäeraufstände konnten sich die Hasmonäer trotz ihrer nur einfachen priesterlichen Herkunft die Würde des Hohenpriesters aneignen. Erst Herodes der Große (37-4 v. Chr.), der sich insgesamt von den Hasmonäern distanzierte, legte den Titel ab und vergab das Amt an Familien, die, wenn auch begütert, so doch einfacher priesterlicher Abstammung waren.13 „Von Herodes (37 v. Chr.) bis zum Ende Jerusalems (70 n. Chr.) wechselt das ursprünglich lebenslange und den Zadokiden vorbehaltene erbliche Amt entsprechend der politischen Taktik des Herodes und der Käuflichkeit der römischen Prokuratoren unter 28 illegitimen Inhabern.“14 Dabei zeigt die Tatsache, dass der Prunkornat des Hohenpriesters zeitweise vom römischen Prokurator in Verwahrung genommen und dem Hohenpriester nur zu Festtagen ausgehändigt wurde, wie sehr der Hohepriester ein religiöses Werkzeug in den Händen der römischen Besatzer war.15 Von 18-35 n. Chr., also auch zum Zeitpunkt des Prozesses Jesu (vgl. Mt 26,3; Joh 11,49-51), hatte Joseph, genannt Kajaphas aus der Familie der Ananos, das Hohepriesterliche Amt inne. Im Todesbeschluss des Johannesevangeliums (11,49 f.) erscheint er als geschickter Diplomat und kühl berechnenden Realpolitiker, der lieber das Leben eines einzelnen opfert, als einen Konflikt mit der römischen Besatzungsmacht zu riskieren.16 Sein Schwiegervater Hannas, Hoherpriester von 6-15 n. Chr., behielt nach seiner Absetzung großen Einfluss in der Fraktion der Hohenpriester und war nach dem Bericht des Johannesevangeliums (18,13-24) auch am Prozess Jesu nicht unbeteiligt.17 Etwa 12 von den 70 Mitgliedern des Hohen Rates, die ebenfalls als „die Hohenpriester“ bezeichnet werden, bildeten einen „Ausschuss“, der „im judäischen Tempelstaat als exekutive Regierungsbehörde“ fungierte.18 Ihm gehörten neben dem Hohenpriester als Vorsitzendem des Gremiums folgende Personen an: 1. der Tempeloberst und Kommandant der Tempelwache, ein Kultus- und Sicherheitsexperte; 2. fünf bis sieben Tempelaufseher, Fachleute für Kultus- und Rechtsfragen; 3. drei bis vier Schatzmeister, die die Opfereinkünfte verwalteten. 12 13 14 15 16 17

18

Vgl. Lev 6,12.15; 2 Sam 8,17; 1 Chr 5,34; 2 Chr 31,10; Ez 40,46; 43,19; 44,15; 48,11 sowie Gafni, High Priest, 470; 473. Vgl. Bösen, Tag, 159 f. Kellermann, CXTEKGTGWL, 395. Vgl. Bösen, ebd.; Gafni, High Priest, 474. Vgl. Gafni, ebd.; Füssel, Körper, 57. Nach Bösen, Tag, 161 ist die „politische Maxime“ des Kajaphas damit „glaubhaft niedergelegt.“ Die historisch unkorrekte Angabe in Lk 3,2, die ihn als zweiten Hohenpriester an der Seite seines Schwiegersohnes erwähnt, gibt um so deutlicher den politischen Einfluss des Hannas wieder. Nach Apg 4,6 sind beide bei dem Verhör der Apostel Petrus und Johannes vor dem Hohen Rat wegen der Heilung eines Gelähmten an der „schönen Pforte“ des Tempels zugegen. Reicke, Zeitgeschichte, 110; zitiert nach Bösen, Tag, 168.

138

Motivgeschichtliche Analyse

Letztere konnten durchaus dem Laienstand angehören, sofern sie nur „tüchtige Finanzexperten“ waren.19

6.2

Die Rolle des Hohen Rates im Prozess Jesu

Das zuletzt genannte Konsistorium war nach neueren historischen Erkenntnissen maßgeblich am Prozess Jesu beteiligt. Jesus wurde im Garten Getsemani vermutlich von Angehörigen der Tempelwache festgenommen und noch in der selben Nacht durch die Mitglieder des Konsistoriums im Haus des Hohenpriesters verhört. Dieses Vorverhör bildete die Grundlage für das Verhör Jesu vor einem größeren Kreis von Ratsmitgliedern früh am nächsten Morgen und für seine anschließende Überstellung an Pilatus und die Anklage daselbst.20 Denn die jüdische Kapitalgerichtsbarkeit konnte „wohl das Todesurteil sprechen, aber sie konnte es mit Gewissheit nicht vollstrecken, ohne die förmliche Bestätigung durch ein römisches Verfahren.“21 Von Pilatus wird Jesus zum Tod durch Kreuzigung verurteilt. Diese besonders grausame Art der Todesstrafe wurde von den Römern in Judäa überwiegend gegen Aufständische und Hochverräter verhängt.22 Die Anklage, die einige Ratsmitglieder gegen Jesus vorbrachten, betraf daher vermutlich einen herrschaftlichen Anspruch Jesu. Übereinstimmend berichten die synoptischen Evangelien, dass es im Verhör Jesu vor dem Hohen Rat um einen messianischen Anspruch gegangen sei (Mk 14,61 parr Mt 26,63; Lk 22,67). Im Judentum ist messianisches Sendungsbewusstsein als solches allerdings weder ungewöhnlich noch anstößig. Der Messiastitel kann für Juden sowohl religiöse als auch politische Bedeutung haben. Die Römer haben ihn dagegen im Fall Jesu eindeutig politisch verstanden: Wer behauptet, der gesalbte König Israels zu sein, ist ein Staatsverräter. Dass Jesus „als König der Juden hingerichtet wird“, bestätigt „die Kreuzesinschrift, an der nicht zu zweifeln ist (vgl. Mk 15,26 par Mt 27,37; Joh 19,19).“23 Jesus selbst dürfte den Königstitel in dieser politischen Bedeutung jedoch kaum für sich beansprucht haben.24 Nach der Überlieferung der Evange19 20

21 22 23 24

Zu Zusammensetzung und Funktion des Konsistoriums vgl. Bösen, Tag, 167-169. Zitat: ebd., 168. Nach San V 5 scheint die Anwesenheit von 23 Mitgliedern zur Beschlussbildung auszureichen; vgl. Bösen, Tag, 177. Zu den Details der Festnahme und des Prozesses vgl. ebd., 141-240. Müller, Kapitalgerichtsbarkeit, 68; vgl. Strecker, Passionsgeschichte, 236. Vgl. Bösen, Tag, 230 mit Verweis auf die Ergebnisse von Kuhn, Kreuzesstrafe; Janzen, Friede, 193. Bösen, Tag, 216; vgl. Strecker, Passionsgeschichte, 222; 239. Vgl. Bösen, Tag, 217. Die knappe Antwort Jesu auf die Frage des Pilatus „5W NGIGKL“ (Mk 15,2b parr; Joh 18,37), die Kennzeichen jesuanischer Rede aufweist, ist nach Bösen eher mit „Das sagst du!“ als mit „Du sagst es!“ zu übersetzen; d. h., sie kann

Motivgeschichtliche Analyse

139

lien (Mk 15,27 par Mt 27,38.44) wurde Jesus zusammen mit zwei „Räubern“ (NJ^UVCK) gekreuzigt, die mit großer Wahrscheinlichkeit als Zeloten zu identifizieren sind. Dies kann ebenfalls als Bestätigung dafür angesehen werden, dass Jesus als politischer Aufrührer hingerichtet wurde.25 Es liegt nahe, dass die Vertreter des Hohen Rates bei der Anklage vor dem Statthalter mit dem Ziel einer Verurteilung Jesu zum Tode die doppelte Bedeutung des Messiastitels ausnutzten.26 Der Anklage liegt nach der Schilderung des Markusevangeliums ein sich lange verschärfender Konflikt Jesu mit religiösen und politischen Autoritäten des damaligen Judentums zugrunde (vgl. Mk 2,13,6; 3,22-30; 7,1-23; 8,12.15; 10,5; 11,18; 12,12, 14,1). Wenn man Markus Glauben schenkt, betraf dieser, zumindest was die Pharisäer angeht, die Auslegung einiger mosaischer Gesetze wie des Sabbat- und Fastengebotes und der Reinheitsvorschriften (vgl. 2,1-3,6; 7,1-23). Die anderen Konfliktparteien, die dem Gesetz selbst nicht allzu viel Bedeutung beimaßen, mögen vor allem an Jesu in seiner Art „vollmächtigem“ Auftreten (vgl. Mk 1,22; 11,27-33) Anstoß genommen haben, das sie in ihrer politischen und religiösen Führungsrolle in Frage stellte.27 Auslöser für die Festnahme Jesu könnte eine Zeichenhandlung im Tempel gewesen sein (vgl. Mk 11,15-19), dem religiösen, politischen und wirtschaftlichen Zentrum des Landes, das von den Mk 8,31 genannten Behörden verwaltet wurde.

6.3

Fazit

In den Hohenpriestern, Ältesten und Schriftgelehrten begegnen uns die drei Fraktionen des Synhedriums, des obersten religiösen und politischen Gremiums der Juden zur Zeit Jesu. Ihre Erwähnung in Mk 8,31 und 10,33 erinnert an die konkreten Umstände des Todes Jesu, der auf Betreiben von Mitgliedern des Hohen Rates vom römischen Präfekten als politischer Rebell zum Tode verurteilt wird. Voraus geht nach der Schilderung des Markus ein lange schwelender und sich zuspitzender Konflikt mit religiösen und politischen Autoritäten des damaligen Judentums.

25 26 27

„keinesfalls im Sinne eines Geständnisses“ als Zustimmung zur Frage nach seiner etwaigen Königswürde gewertet werden (ebd., 219 f.). Die Vokabel wird Jos Bell 2,13,2.3 u. ö. in Bezug auf die Zeloten gebraucht. Vgl. Bösen, Tag, 260; 281; Hengel, Mors, 154; ders., Zeloten, 31 ff. Vgl. Strecker, Passionsgeschichte, 222; Bösen, Tag, 260; 216 f. Vgl. Bösen, Tag, 183.

7.

Getötet

Das Wortpaar„getötet werden und auferstehen“ steht übereinstimmend am Schluss aller drei Leidensansagen. Hier soll zunächst der Herkunft und Bedeutung der Vokabel CXRQMVGKPY nachgegangen werden. In einem zweiten Schritt werfen wir einen Blick auf die historischen Umstände des Todes Jesu, den die Leidensansagen nur mit einem einzigen Wort beschreiben.

7.1

Herkunft und Bedeutung der Vokabel

7.1.1

Bestandsaufnahme: CXRQMVGKPY im Markusevangelium

Das Verb CXRQMVGKPY „umschreibt [...] die gewaltsame Beendigung des Lebens durch Menschen [...] oder andere Ursachen“.1 Bei Markus erscheint es neben den drei Ankündigungen von Tod und Auferstehung viermal im Winzergleichnis (12,5 (2x).7.8) sowie einmal im Verhaftungs- und Tötungsbeschluss Mk 14,1.2 Damit ist CXRQMVGKPY ein Bindeglied zwischen verschiedenen Aussagen zum Tod Jesu im Evangelienkorpus und stellt über Mk 14,1 auch eine Verbindung zum Passionsbericht her. Darüber hinaus erscheint CXRQMVGKPY im Racheplan der Herodias gegenüber dem Täufer, der ihre zweite Ehe im Namen des jüdischen Gesetzes für unzulässig erklärt (6,19).3 Durch die Verwendung der selben Vokabel wird das Schicksal Jesu mit dem des Täufers parallelisiert. In der ersten, u. E. ältesten Leidensankündigung und in einer Urform des Winzergleichnisses wird der Redaktor die Vokabel vorgefunden haben.4 In der zweiten Ankündigung greift er zunächst einen älteren Spruch über die Auslieferung und Tötung (CXRQMVGKPY) des Menschensohnes auf. Dessen Wiederaufnahme im Partizip CXRQMVCPSGKL dürfte markinisch sein.5 In der dritten Leidensankündigung geht das Wort auf den Redaktor zurück. Mk 14,1 gehört als Exposition zum vormarkinischen Passionsbericht, zeigt aber deutliche Spuren redak-

1 2 3

4 5

Frankemölle, CXRQMVGKPY, 322. Als Überleitung zur Passionsgeschichte wiederholt der Vers nach der Endzeitrede im Kapitel 13 die beiden Beschlüsse zur Verhaftung (12,12) und Tötung Jesu (11,18). Herodias hatte zunächst Herodes, einen Halbbruder ihres Vaters, geheiratet. Noch zu Lebzeiten ihres ersten Mannes, der „in der Nachfolge seines Vaters ohne Ehrgeiz“ war, heiratete sie Antipas, den galiläischen Landesherrn, einen weiteren Halbbruder ihres Vaters. Vgl. Colpe, Herodes, 1092 f. Die Urform des Gleichnisses Mk 12,1-12 ist nach Gnilka, Markus 2, 141 bei Markus am besten bewahrt. Vgl S.57.

Motivgeschichtliche Analyse

142

tioneller Bearbeitung.6 Ob CXRQMVGKPY Teil der Bearbeitung ist oder aber zur traditionellen Einleitung des Passionsberichtes gehört, ist schwer zu entscheiden. Im Racheplan der Herodias Mk 6,19 ist das Verb ein redaktioneller Vorgriff auf den Tod Jesu.

7.1.2

CXRQMVGKPY im Topos vom Prophetengeschick

Im Gleichnis von den Pächtern des Weinbergs wird CXRQMVGKPY in Bezug auf die Tötung der Boten und schließlich des Sohnes und Erben des Weinbergbesitzers gebraucht. Das Gleichnis deutet Jesu Tod und den Tod der Boten Gottes im Bild der sogenannten „deuteronomistischen Propheten-Aussage“, nach der die von Gott gesandten Propheten durch die gesamte Geschichte Israels Abweisung bis hin zum gewaltsamen Tod erfahren. Mit der Aussage vom gewaltsamen Geschick der Propheten setzt die alttestamentliche Tradition die Widerständigkeit und Herzenshärte des Gottesvolkes ins Bild, die zu der schier unerschöpflichen Geduld Gottes – des Weinbergbesitzers im Gleichnis – in scharfem Gegensatz steht.7 Der Ungehorsam Israels erklärt im Alten Testament zunächst das Babylonische Exil als Gericht Gottes. Nach der Rückkehr aus dem Exil motiviert der Ungehorsam des Volkes weitere Gerichtsansagen und Umkehraufrufe. Die Tradition setzt sich im markinischen Gleichnis und anderen neutestamentlichen Überlieferungen fort, wo den offiziellen Vertretern des Judentums aufgrund ihrer Ablehnung gegenüber den christlichen Missionaren und Missionarinnen das Gericht angesagt wird. Im Kontext der Vorstellung vom gewaltsamen Prophetengeschick erscheint auch in den LXX das Verb CXRQMVGKPY. So steht es bereits in Neh 9,26, ihrem „ältesten Beleg“,8 in einem Geschichtssummarium, das das Exil als Strafe Gottes erklärt und zugleich den neuen Gesetzesgehorsam motiviert. In der ElijaErzählung findet sich eine mit CXRQMVGKPY formulierte Aussage über die Tötung der Jahwe-Propheten (1 Kön 19,10.14). Diese Tradition gehört nicht zum deuteronomistischen Geschichtswerk, in dem der Topos vom gewaltsamen Geschick der Propheten geprägt wurde, hat aber als Einzelüberlieferung bei der Ausbildung des Motivs möglicherweise Pate gestanden. Eine ähnliche Einzelüberlieferung, die nicht zum deuteronomistischen Geschichtswerk, wohl aber zur Vorgeschichte des Topos zu rechnen sein mag, ist die von der Ermordung des

6

7 8

Reinbold, Bericht, 122 verweist auf die beinahe wörtliche Parallele in Mk 11,18. Aufgrund der übereinstimmenden Stellung des Todesbeschlusses vor der Salbungsgeschichte in Joh 11,57 kommt er zu dem Ergebnis, „dass die Verse Mk 14,1-2 trotz ihrer überwiegend redaktionellen Sprachgestalt auf Tradition beruhen“ (123). Zu Ausbildung und Eigenart des Motivs vgl. Steck, Israel, 60-80. Zu Mk 12,1-12 vgl. ebd., 99 ff.; 269 ff. Steck, Israel, 62.

Motivgeschichtliche Analyse

143

Propheten Urija (CXRQMVGKPY Jer 26,21). Sie steht im direkten Umfeld einer anderen, deuteronomistischen Prophetenaussage (Jer 26,5).9 Neben dem bereits genannten Winzergleichnis verbindet sich die Vorstellung vom gewaltsamen Prophetengeschickt auch in anderen neutestamentlichen Traditionen mit dem Verb CXRQMVGKPY. Das Motiv hat besonders auf die Q-Tradition eingewirkt, so in den Weherufen gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer (QLk 11,47-51 par), die wie ihre Väter für den Tod der Propheten verantwortlich gemacht werden. Als Konsequenz wird „diese Generation“ für den gewaltsamen Tod aller Propheten zur Rechenschaft gezogen werden. Im Drohwort QLk 13,34 f. par wird Jerusalem des Mordes an den Propheten und Gesandten Gottes angeklagt und der Stadt das Gericht angekündigt. Im Anschluss an die Seligpreisung derer, die „gehasst und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, beschimpft und in Verruf gebracht“ werden (QLk 6,22-23b), steht eine Aussage über das Verhalten der „Väter“, „die es ebenso mit den Propheten gemacht“ haben (QLk 6,23 c). Das Geschick der von ihren jüdischen Glaubensgenossen verleumdeten und aus der Synagoge ausgeschlossenen Jüngern und Jüngerinnen wird hier mit dem Jesu und der Propheten parallelisiert.10 Apg 7,52 erscheint das Motiv in der Verteidigungsrede des Stephanus vor dem Hohen Rat am Ende eines Geschichtssummariums. Die Geschichte Israels und speziell seiner Führungsschicht, der er gegenübersteht, fasst Stephanus als eine Geschichte der Widerständigkeit gegenüber dem Heiligen Geist zusammen (V.51), eine Geschichte fortlaufender Verfolgung der Propheten, die in der Tötung Jesu von Nazareth gipfelt (V.52).11 1 Thess 2,14-16 greift Paulus möglicherweise ein Traditionsstück auf, das auf dem Hintergrund der Vorstellung vom gewaltsamen Geschick der Propheten den Tod Jesu, die Verfolgung des Paulus und seiner Begleiter und die Leiden der Gemeinden in Judäa und Thessalonike in eins sieht. Die Anklage an die Adresse „der Juden“ mündet in eine Gerichtsansage: sie „machen unablässig das Maß ihrer Sünden voll“, aber „der ganze Zorn ist schon über sie gekommen.“12 9

10 11 12

Jer 26,5 zählt mit Jer 7,25; 25,4; 29,19; 35,15; 44,4 zur deuteronomistischen Quelle C des Jeremiabuches, wo die Prophetenaussage noch nicht voll ausgebildet ist. So enthält sie zwar die Aussage vom Ungehorsam Israels, es fehlt ihr jedoch das Moment der Misshandlung der Propheten. Vgl. Steck, Israel, 72-74. Zur Analyse vgl. Steck, Israel, 280-289; zu QLk 6,22 f. auch ebd., 257-260. Zum Rückgriff auf das Motiv vom gewaltsamen Geschick der Propheten in Apg 7,52 und anderen „Missionsreden“ der Apostelgeschichte vgl. Steck, Israel, 265-269. Vgl. Steck, Israel, 274-278. Der Gerichtsansage liegt das doppelte Weltbild der Apokalyptik und ebenso deren Naherwartung zugrunde: In der himmlischen Sphäre hat das Gericht über „die Juden“ schon stattgefunden, so dass es in allernächster Zeit auch auf Erden zu erwarten ist (vgl. Müller, Vorliterarische Überlieferung). Röm 11,3, das sowohl Hoffmann, Mk 8,31, 180 als auch Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 25, A.22 neben den hier behandelten Belegversen anführen, möchte ich mit Steck (Israel, 278, A.2) wie Röm 10,16 und Gal 1,15 in eine Reihe von Selbstverglei-

Motivgeschichtliche Analyse

144

Im Gegensatz zu den alt- und zwischentestamentlichen Autoren, denen es in erster Linie um den Ungehorsam des Gottesvolkes geht, verbinden die neutestamentlichen Überlieferungen mit der Vorstellung vom gewaltsamen Prophetengeschick ein genuines Interesse am Schicksal konkreter prophetischer Gestalten. Das Motiv bietet sich zur Deutung des gewaltsamen Todes Jesu, aber auch der Ablehnung seiner Anhängerinnen und Missionare beim Großteil der jüdischen Volks- und Religionsgenossen an. Jesus wird in einer Reihe mit den abgewiesenen Propheten des Alten Testaments gesehen. In derselben Linie folgen ihm die Missionarinnen und Mitglieder der frühen Gemeinden.

7.1.3

CRQMVGKPY im Topos vom leidenden Gerechten

Die Vokabel CXRQMVGKPY steht in den Septuaginta auch im Zusammenhang der Vorstellung vom „leidenden Gerechten“. Zu dem typischen Wortfeld gehören u. a. „jemandem nach dem Leben trachten“, „danach trachten, jemanden zu töten“ oder „danach trachten, jemanden gefangen zu nehmen“, „jemanden töten“, „morden“.13 Im einzelnen erscheint das Verb zunächst in zwei weisheitlich beeinflussten Psalmen und einem prophetischen Text, in denen der sozial bedrängte Arme mit dem angefeindeten Gerechten identifiziert wird.14 Ps 9,29 (10,8) LXX spricht von der Tötung (CXRQMVGKPY) des „Schuldlosen und Armen“; Ps 93 (94),6 LXX vom Mord an Witwen, Waisen und Fremden.15 Jes 66,3 prangert im Rahmen prophetischer Kultkritik die Ermordung von Menschen an, die zu den Opfern im Widerspruch steht, mit denen man Gott für sich gewinnen möchte. Der vorangehende Vers verdeutlicht, dass die sozial Benachteiligten und an den Rand Gedrängten gemeint sind, deren Leben und Lebensumstände der wohlhabenden herrschenden Klasse nicht viel bedeuten; Gott jedoch blickt auf den „Armen und Zerknirschten“ (V.2). In zwei späten, griechisch überlieferten Schriften16 steht CXRQMVGKPY jeweils in einem historischen Rückblick und in kollektivem Bezug auf eine Gruppe des Volkes Israel. Im Buch der Weisheit bezeichnet es inner-

13

14 15 16

chen des Paulus mit alttestamentlichen Prophetengestalten einordnen, die nicht direkt an die deuteronomistische Idee vom gewaltsamen Geschick der Propheten anknüpfen. Vgl. Ruppert, Wortfeld, 118- 124. Vor diesem Hintergrund passen die Tötungs- und Verhaftungsbeschlüsse des Markusevangeliums (3,6; 11,18; 12,12; 14,1) hervorragend in ein Bild von Jesus als „leidendem Gerechten“. Zur „Passio Pauperis“ in der prophetischen Sozialkritik, in den späten Psalmen, den Septuaginta und der Weisheitsliteratur vgl. S.89 sowie Ruppert, SBS, 19-21; 39 f. Gnilka, Markus 2, 15 f. verweist darüber hinaus auf Ps 36,32; 37,13; 53,5; 62,10; 69,2 f.; 85,14; 108,16 LXX; jedoch erscheinen dort statt CXRQMVGKPY jeweils andere Verben. Das erste Makkabäerbuch entstand vermutlich um 100, auf jeden Fall aber vor der Eroberung Jerusalems durch Pompejus (63 v. Chr.) in Palästina. Es war in hebräischer Sprache abgefasst, ist jedoch nur in griechischer Übersetzung erhalten. Das Weisheitsbuch wurde um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts in Alexandrien in griechischer Sprache geschrieben.

Motivgeschichtliche Analyse

145

halb eines Geschichtssummariums die Tötung männlicher israelitischer Neugeborener, der „Kinder der Heiligen“ (VC VYPQBUKYPPJRKC), durch die Ägypter (Weish 18,5 vgl. Ex 1,15-2,10). Im 1. Makkabäerbuch erscheint das Verb in der Klage des Mattatias über die Tötung kleiner Kinder(PJRKC 2,9) sowie im Bericht über die hinterhältige Ermordung von sechzig schriftgelehrten „Frommen“ (8$UKFCKQK 1 Makk 7,16). Im ebenfalls frühjüdischen Henochbuch gehört CXRQMVGKPY zu den klassischen Geschickverben in Bezug auf das „Leiden der Gerechten“ (äth Hen 103,15).17 An einigen der neutestamentlichen Stellen, die schon als Beispiel für den Gebrauch des Wortes CXRQMVGKPY im Zusammenhang des Propheten-Topos angeführt wurden, überlagert sich diese Vorstellung mit dem „Leiden der Gerechten“. Dies wird besonders deutlich an der letzten Seligpreisung. QLk 6,22 und 23 ab bewegen sich ganz im Rahmen einer Aussage vom „leidenden Gerechten“. Dem gegenwärtigen Leiden der Gemeinde, das durch klassische Geschickverben ausgedrückt wird (QXPGKFK\Y = beschimpfen; GKXRGKP RQPJTQP MCVC = schlecht reden, in Verruf bringen; OKUGY = hassen Lk 6,22; FKYMY = verfolgen Mt 5,11), ist die Verheißung zukünftigen Lohns „im Himmel“ und zukünftiger Freude gegenübergestellt. „In der Tradition vom Leiden des Gerechten finden sich Makarismen und Freudenaufrufe; hier ist der Zusammenbestand von einer die Gegenwart des Frommen charakterisierenden Leidensaussage und dem autoritativen Zuspruch künftigen Heils, und zwar näherhin künftigen Lohnes, [...] charakteristisch“. Erst in V.23c (par Mt 5,12c) kommt zusätzlich zum „Leiden der Gerechten“ auch das gewaltsame Geschick der Propheten in den Blick.18 Apg 7,52 wird Jesus mit dem Titel des „Gerechten“ belegt. Neben der Tötung (CXRQMVGKPY) wird mit einem weiteren Geschickverb aus der Vorstellung vom „Leiden des Gerechten“ die Verfolgung (FKYMY) der Propheten angesprochen. 1 Thess 2,14-16 ist ausdrücklich vom „Leiden“ (RCSGKP) der Gemeinden die Rede. In Bezug auf Paulus und seine Begleiter (V.15) wird das Geschickverb „verfolgen“ (GXMFKYMY) gebraucht.19 Im Gleichnis Mk 12,1-12 erscheinen in der Schilderung des Schicksals der Boten (VV. 3-5) neben CXRQMVGKPY auch die Geschickverben FGTY (prügeln), MGHCNCKQY (auf den Kopf schlagen, misshandeln) und CXVKOC\Y (entehren, beschimpfen). QLk 11,49 par steht neben „töten“ (CXRQMVGKPY) auch das einschlägige Geschickverb „verfolgen“ (FKYMY).20 Sowohl der Topos vom gewaltsamen Geschick der Propheten als auch der vom Leiden der Gerechten beruhen auf dem selben Geschichtsverständnis, dem „deuteronomistischen“ Geschichtsbild, das die Geschichte Israels als perma-

17 18 19 20

Vgl. S.94 sowie Ruppert, Wortfeld, 120; 123; Steck, Israel, 255, A.1. Vgl. Steck, Israel, 257-260. Zitat ebd., 257. Vgl. Steck, Israel, 274-278; Hoffmann, Mk 8,31, 181. Zu den Geschickverben vgl. S.94; Ruppert, Wortfeld, 110-138; Steck, Israel, 255, A.1.

146

Motivgeschichtliche Analyse

nenten Ungehorsam und als anhaltendes Gericht Gottes über sein Volk sieht.21 Die Geschichte des Volkes Israel wird als Leidensgeschichte gezeichnet. Ist der Propheten-Topos ursprünglich nicht am Schicksal des einzelnen Propheten interessiert, so kommt im Frühjudentum unter dem Eindruck des hellenistischen Reformversuchs und der damit verbundenen Verfolgung gesetzestreuer Juden Interesse am Schicksal einzelner auf (vgl. 2 Makk 6,9-11.18-31; 7,1-42). In diesem Zusammenhang gewinnt die Vorstellung vom Leiden des Gerechten ihre endgültige Gestalt.22 Im Unterschied zur Propheten-Aussage ist diese „nicht am Täter, sondern am Betroffenen orientiert“; sie nimmt die Perspektive der Verfolgten ein.23 Der Schwerpunkt liegt weniger auf dem Unge-horsam, mit dem Israel den Zorn Gottes heraufbeschwört, als auf dem Schicksal der Frommen. Die „Ungläubigen“, heidnische Völker und ihre Herrscher, kommen in die Täterrolle. Innerhalb Israels wird nochmals differenziert: Das Leiden trifft die Frommen, „während die Sünder auch unter den Israeliten sich ihm entziehen, nicht leiden, sondern auf der Seite der Feinde Israels zu stehen kommen“.24 Die Vermischung und Überlappung beider Vorstellungen und die Akzentverschiebung im Propheten-Topos zugunsten konkreter prophetischer Leidensgestalten, die in den Schriften des Neuen Testaments zu beobachten ist, beginnt vermutlich bereits in frühjüdischer Zeit.25 Die Beliebtheit der beiden Topoi und das Interesse an der Leidensgestalt der Propheten und Gerechten erklärt sich aus der massiven Erfahrung ungerechtfertigten Leidens seit der Zeit Antiochus’ IV. Epiphanes’ über die Pharisäerverfolgung unter Alexander Jannai bis hin zur römischen Besatzung, die mit der zweifachen Zerstörung Jerusalems 70 und 135 n. Chr. und der Auslöschung des Großteils des jüdischen Volkes zugleich dem jüdischen Staat und jüdischer Selbstverwaltung ein Ende macht.

7.2

Historisches zum Tod Jesu

Die kurze Erwähnung des Todes Jesu in den drei Ansagen erinnert an den knappen, zurückhaltenden Bericht der Passionserzählung: „Jesus aber stieß einen lauten Schrei aus und starb“ (QB FG 8,JUQWLCXHGKLHQPJPOGICNJPGXZGRPGWUGP Mk 15,37). Genügt dort ein einziger Vers, um Jesu Tod zu berichten, so hier gar ein einziges Wort: CXRQMVGKPY. Nicht einmal die dritte, ausführliche Leidensankündi21 22 23 24 25

Vgl. Steck, Israel, 254. Vgl. Ruppert, SBS, 23; Steck, Israel, 254-256. Steck, Israel, 254. Vgl. Steck, Israel, 255 (zu äth Hen). Zwar ist die Vermischung beider Vorstellungen erst in neutestamentlichen Belegen manifest, doch war die Voraussetzung dafür in den gemeinsamen Traditionsträgern und einem gemeinsamen, beiden Traditionen zugrunde liegenden Geschichtsbild bereits gegeben; vgl. Steck, Israel, 256 f.

Motivgeschichtliche Analyse

147

gung erwähnt das Kreuz. „Man spürt die Scheu der biblischen Erzähler und Tradenten: Das Geschehen ist zu grausam, als dass man es phantasievoll ausmalen könnte.“26 Dabei ist auch zu bedenken, dass den neutestamentlichen Autoren und ihrer Leserschaft Kreuzigungen aus eigener Anschauung wohlbekannt gewesen sein dürften, zumal die meisten neutestamentlichen Schriften in zeitlicher Nähe zum Jüdischen Krieg mit seinen Massenkreuzigungen entstanden sind. Neben der “crematio” (Verbrennen) und der “damnatio ad bestias” (Tierkampf in der Arena) galt die Kreuzigung als besonders grausam. Cicero bezeichnet sie als „grausamste und fürchterlichste Todesstrafe“ (crudelissimum taeterrimumque supplicium Verr II 5,64,165), Josephus als die „qualvollste aller Todesarten“ (SCPCVQPVQPQKMVKUVQP Bell 7,6,4).27 Im 1. Jahrhundert n. Chr. und insbesondere in den Jahren vor dem Jüdischen Krieg (66-74) „sterben in Palästina Hunderte am Kreuz“.28 Unter dem Prokurator Marcus Antonius Felix (5260/58) werden nach Josephus „eine Menge Aufrührer (NJ^UVCK)“ und Sympathisanten gekreuzigt (Bell 2,13,2). Unter Gessius Florus (64-66) finden schließlich auch „viele friedliebende Bürger“, ja sogar Angehörige des Ritterstandes den Tod (Bell 2,14,9). Josephus nennt seine Amtsführung, die diejenige seiner Vorgänger an Grausamkeit und Habgier bei weitem übertraf, als eine der Hauptursachen für den Aufstand gegen die Römer (Bell 2,14,2– 2,17,6). So plünderte er im Jahr 66 den Tempelschatz um 17 Talente (Jos Bell 2,14,6). Bei der Belagerung Jerusalems im Jahr 70 kommt es zu Massenkreuzigungen von über 500 Gefangenen täglich. „Da es ihrer so viele waren, fehlte es bald an Raum für die Kreuze und an Kreuzen für die Leiber“ (Jos Bell 5,11,1). Ermöglicht wurden die Massenhinrichtungen letztlich auch durch eine Art Klassenjustiz. Ein ordentliches Gerichtsverfahren war nur für römische Bürger und Wohlhabende garantiert.29 Diese konnten sich nicht nur eine professionelle Verteidigung leisten und Bestechungsgelder zahlen, sie waren auch durch ihre soziale Stellung vor einer Strafverfolgung geschützt.30 Römische Bürger konnten – so wie Paulus (Apg 25,11) – gegen das Urteil Berufung beim Kaiser einlegen. Nichtrömer und Angehörige der unteren Schichten wurden dagegen „im Schnellverfahren abgeurteilt. Diese Gruppen waren in der Regel der willkür26

27

28 29 30

Bösen, Tag, 277; vgl. 297. Vermutlich aus demselben Grund finden sich auch außerhalb der Evangelien kaum ausführliche Schilderungen der Kreuzigung: „Kein Schriftsteller der Antike wollte sich bei diesem grausamen Vorgang zu lange aufhalten“ (Hengel, Mors, 139; vgl. 148 f.; 172). Vgl. Bösen, Tag, 228; Hengel, Mors, 129 f. Ebd., 142; 147 f., A.74 verweist Hengel darüber hinaus auf Demosth Or 21,105; Apul met 1,15,4; Sen epist 14,5; Script Hist Aug 6,4,1 f.; 12,11,6; 19,8,5 ff.; Cic Phil 13,21; Iust Epit 22,7,8; Diod 26,23,1. Zur Hierarchie der “summa supplicia” vgl. ebd., 145 f. Bösen, Tag, 277. Vgl. Janzen, Friede, 178. Vgl. Janzen, Friede, 190.

148

Motivgeschichtliche Analyse

lichen Richtergewalt des jeweiligen Prokurators ausgesetzt, der über sie – ohne einen Gerichtsprozess – sogar die Todesstrafe verhängen konnte.“31 Nicht selten wurden sie zur Hinrichtung durch die Kreuzigung verurteilt, zumal wenn sie wegen Kapitalverbrechen angeklagt waren.32 Die Kreuzigung war den Römern ein probates Mittel zur Befriedung aufständischer Provinzen. „Für Palästina wird unter der römischen Herrschaft bezeugt, dass besonders Aufständische und deren Sympathisanten im Schnellverfahren zur Kreuzigung verurteilt wurden“.33 Der Verurteilte wird nackt auf das Kreuz gebunden oder genagelt. „Die Römer bevorzugen die Annagelung.“34 Die neutestamentlichen Zeugen stimmen darin überein, dass Jesus an das Kreuz angenagelt wurde (Joh 20,25; Lk 24,39; Apg 2,23). Es gibt „keine Dienstvorschriften und keinen Exekutionsplan“, der der soldatischen Willkür bei der Kreuzigung Grenzen setzt. „Manche haben Menschen mit dem Kopf zur Erde aufgehängt, andere einen Pfahl durch die Schamteile getrieben, wieder andere die Arme am Querbalken ausgebreitet“ (Sen Dial 6 20,3). Josephus schreibt in Bezug auf die Kreuzigungen des Jahres 70, die Soldaten hätten die Gefangenen „zum Hohn in den verschiedensten Körperlagen angenagelt“ (Bell 5,11,1).35 1968 fand man in einer Grabanlage in Giv’at ha-Mivtar im Nordosten Jerusalems ein Ossuar mit den Gebeinen eines 24-28 Jahre alten Mannes, der zwischen 6 und 65 n. Chr. den Kreuzestod gestorben war. Beide Beine waren nach links übereinandergelegt und mit einem einzigen, 11,5 cm langen Nagel auf das Kreuz geschlagen worden.36 Zur Verlängerung der Qualen wurde in der Mitte des Längsbalkens ein Sitzpflock (sedile) angebracht. „Will man den Tod beschleunigen, reicht man dem Hingerichteten einen Gifttrank oder zerschlägt ihm mit einer eisernen Keule die Unterschenkel (Crurifragium).“ Dem Gekreuzigten von Giv’at ha-Mivtar „wurden die beiden Schienbeine und das linke Wadenbein mit Gewalt gebrochen.“37 Im Vergleich zu vielen anderen, die in tagelangem Todeskampf am Kreuz hängen, bevor sie durch Erstickung, Verbluten, Herz- und Kreislaufversagen elend zugrunde gehen, stirbt Jesus überraschend schnell. Von der Kreuzigung bis zum Tod vergehen nur etwa zwei bis drei Stunden. „Pilatus, sicherlich Ex-

31 32 33 34

35 36 37

Janzen, Friede, 192; vgl. Hengel, Mors, 155. Zur bevorzugten Anwendung der Kreuzigung bei Sklaven und Angehörigen der unteren Schichten vgl. Hengel, Mors, 146; 176; 178. Janzen, Friede, 193; vgl. Bösen, Tag, 230; Hengel, Mors, 153-155. Bösen, Tag, 279 mit Verweis auf Bell 5,11,1; Sen dial 7,19,3; Artemid Oneirokr 4,49; vgl. Hengel, Mors, 144 mit Verweis auf Blinzler, Prozeß, 361 f.; 377 ff. sowie zahlreichen weiteren Belegstellen. Vgl. Bösen, Tag, 277 (Zitat); 280; Hengel, Mors, 139 f. Der Nagel wurde mit Resten von Olivenholz in den beiden Fersenbeinen des Gekreuzigten gefunden; vgl. Bösen, Tag, 278; 281. Bösen, Tag, 297.

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149

perte in Sachen Kreuzigung, wundert sich denn auch (Mk 15,44).“38 Ein Grund für den raschen Tod ist vermutlich die Geißelung, die bei Jesus wie gewöhnlich die Kreuzigung einleitet (Mk 15,15 par Mt 27,26; Joh 19,1). Man schlägt den Verurteilten mit Lederpeitschen, in die spitze Knochen, Metallstückchen oder Bleikugeln eingeflochten sind. Die Zahl der Schläge ist im Gegensatz zu jüdischem Recht bei den Römern unbegrenzt. „Die Geißelung verursacht furchtbare Wunden, nicht selten stirbt das Opfer noch während der Tortur.“39 Jesus hat nach der Geißelung nicht mehr die Kraft, sein Kreuz den verhältnismäßig kurzen Weg von ca. 500 m nach Golgota hinaufzutragen.40 Von römischen Legionären wird der Verurteilte, zwecks größerer Abschreckung bevorzugt über Hauptstraßen, zum Hinrichtungsplatz getrieben.41 Das Querholz des Kreuzes (patibulum) muss er selbst tragen.42 Ein Schild, das dem Verurteilten um den Hals gehängt oder vorangetragen wird, informiert die Vorübergehenden, welches Verbrechens er angeklagt ist.43 Jesu Weg führte vermutlich durch vornehme Wohnviertel, vielleicht vorbei an den Wohnhäusern der Hohenpriester und Ratsmitglieder.44 Da er zu schwach ist, um sein Kreuz selbst zu tragen, wird ein gewisser Simon, „der Vater des Alexander und des Rufus, der gerade von auswärts kam“ (Mk 15,21), von den Soldaten zwangsrekrutiert. „Der Genötigte ist ein Diasporajude aus der nordafrikanischen Hafenstadt Kyrene“, der vermutlich als Pilger zum Paschafest in Jerusalem war. „Die unjüdischen Namen seiner beiden Söhne“, die der markinischen Gemeinde offenbar gut bekannt waren, „kennzeichnen ihn als einen Mann mit liberaler Gesinnung. [...] Simon ist mit Sicherheit nicht begeistert, nur widerwillig beugt er sich dem 38

39

40 41 42

43 44

Bösen, Tag, 298. Was den Todeszeitpunkt Jesu betrifft, erfolgt die Verurteilung, „wie glaubhaft Joh 19,14 zu entnehmen ist“, um die 6. Stunde (= 12 Uhr mittags). Der Tod tritt „nach Mk 15,39 par Mt/Lk [...] um die 9. Stunde [= gegen 15 Uhr nachmittags] ein, was wahrscheinlich klingt“ (ebd.). Zum langen Todeskampf verweist Bösen, ebd., 297 auf Sen Epist 101,13 (“diu mori”); m Yev 16,3; t Yev 14,4; vgl. auch Hengel, Mors, 143 f. Bösen, Tag, 234; vgl. Hengel, Mors, 142 mit Verweis auf Blinzler, Prozeß, 321 ff.; Dig 48,19,8,3. Nach jüdischem Recht erhielt der Verurteilte 39 Schläge: 13 Schläge auf die Brust, 13 auf die rechte und 13 auf die linke Schulter; vgl. Bösen, ebd.; 390, A.219 mit Verweis auf m Mak 3,10; Jos Ant 4,8,21; 2 Kor 11,24. Zur Geißelung als „Auftakt“ der Kreuzigung vgl. Bösen, ebd., 279; Hengel, ebd., 139; 142 mit Verweis auf Dion Hal ant 5,51,3; 7,69,1 f.; Diod 18,16,3. Nach Bösen ist Golgota identisch mit dem Felsen, der in der Grabeskirche gezeigt wird; vgl. Tag, 272-276. Vgl. Bösen, Tag, 262 mit Verweis auf Quint decl 274; Jos Bell 2,12,7; Cass Dio 54,3,7. Vgl. Bösen, Tag, 261 f. mit Verweis auf Ps Plaut Carbonaria fragm 2; Artemid Oneirokr 2,56; Strack-Billerbeck I 587; Hengel, Mors, 139; 172 mit Verweis auf Plut mor 554 A/B. Vgl. Bösen, Tag, 262; Hengel, Mors, 160 mit Verweis auf Cass Dio 54,3,7. Vgl. Bösen, Tag, 262-264.

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soldatischen Befehl und schultert den Kreuzesbalken, um ihn Jesus hinterherzutragen.“45 Jesus stirbt von seinen Anhängern verlassen (vgl. Mk 14,27.50). Einzig einige Frauen aus seiner Gruppe verfolgen das Geschehen von weitem (Mk 15,40 f.). Die kurze Notiz verrät, dass sie Jesus schon aus Galiläa gefolgt sind. Vermutlich sorgten sie für den Unterhalt und die Verköstigung der Gruppe.46 Vielleicht haben die Frauen an einem Pfad gestanden, der an der 30-50 m entfernten Stadtmauer entlang führte.47 Trauer oder andere Zeichen der Verbundenheit mit dem Gekreuzigten zu zeigen, war streng untersagt (Suet Tib 61; vgl. Tac Ann VI,10.19). Sich als Freund, Sympathisant oder Verwandter eines Gekreuzigten zu erkennen zu geben, bedeutete Gefahr für das eigene Leben. Auch Frauen waren im schlimmsten Falle nicht davor geschützt, selbst hingerichtet zu werden.48 So beobachten die Jüngerinnen auch die Grablegung nur aus sicherer Entfernung (Mk 15,47). In jedem Fall kann der Mut der Frauen aus dem Gefolge Jesu, die bei der Kreuzigung anwesend bleiben, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Kontrast zu den Jüngern, die bereits bei der Festnahme Jesu in Getsemani geflohen waren, ist bemerkenswert.

7.3

Fazit

Markus fand das Verb CXRQMVGKPY in einer Mk 8,31 zugrunde liegenden älteren Leidensankündigung vermutlich vor. Wie die meisten der dort verwendeten Vokabeln gehört es zum typischen Wortfeld vom Leiden des Gerechten. Bereits in der alttestamentlichen Überlieferung wird CXRQMVGKPY daneben auch im Zusammenhang der Abweisung der Propheten gebraucht. In den meisten neutestamentlichen Belegen ist eine Überlappung und Vermischung beider Vorstellungsmuster zu beobachten, die vermutlich auf einen gesteigerten „Bedarf“ an Bewältigungshilfen angesichts der wiederholten Unterdrückung und Verfolgung gesetzestreuer Juden seit dem hellenistischen Reformversuch zurückzuführen ist. Der gemeinsame deuteronomistische Vorstellungshintergrund trägt mit zur Vermischung beider Vorstellungen bei. 45

46

47 48

Bösen, Tag, 265. Die griechische Formulierung CXR8 CXITQW deutet Bösen dahingehend, „dass er von außerhalb kommt, aus einem der umliegenden Dörfer, wo er zusammen mit anderen Pilgern untergebracht ist.“ Das Verb FKCMQPGKP bezeichnet die Haus- und Versorgungsarbeit und insbesondere den Tischdienst; vgl. Mk 1,31; Lk 10,40; S.261. Nach Lk 8,2 f. waren auch wohlhabende Frauen im Gefolge Jesu, die mit ihrem Vermögen zum Unterhalt der Gruppe beitrugen. Vgl. Bösen, Tag, 317 f. Vgl. Bösen, Tag, 323. So ließ „Gessius Florus, der letzte und zugleich schlimmste der 14 Prokuratoren, [...] Frauen, ja, selbst unmündige Kinder kreuzigen“ (Bösen, Tag, 322 mit Verweis auf Jos Bell 2,14,9).

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Die knappe Formulierung des Todes Jesu in den Leidensankündigungen erklärt sich einerseits als Diskretion der Berichterstattung, wie sie auch für die Passionsgeschichte in Bezug auf das grausame Sterben Jesu charakteristisch ist. Zum anderen geht sie auf die alttestamentlichen Schemata vom gewaltsamen Prophetengeschick und vom Leiden der Gerechten zurück. Das Todesschicksal Jesu ist hineingestellt in die Reihe früherer Generationen von Gerechten und Propheten. Auf dem Hintergrund ihres Leidens wird auch sein Kreuzestod gedeutet und bewältigt.

8.

Auferstehen

Die wichtigste Aussage steht betont am Schluss der Ankündigungen: „nach drei Tagen wird er auferstehen.“ Wir haben es nicht in erster Linie mit „LeidensAnkündigungen“ zu tun. Der Auferstandene ist das Definitivum, das nach Leiden und Tod bleibt und in der Gegenwart der Gemeinden wirkt. Es entspricht insbesondere der Vorstellungstradition vom leidenden Gerechten, dass es nicht bei der Ankündigung des Leidens bleibt. Zum Leiden und Tod tritt die Rehabilitation in der Auferstehung und die Belohnung des Gerechten im Leben der neuen Welt hinzu, die das Erlittene bei weitem kompensiert und übertrifft. Neben der Vokabel CXPKUVJOK, die in den drei markinischen Ansagen die Auferstehung Jesu ausdrückt, wird in den neutestamentlichen Schriften GXIGKTGKP in diesem Zusammenhang gebraucht. Um Aufschluss über ihre Bedeutung zu erhalten, empfiehlt es sich, zunächst in Kürze der Verwendung beider Vokabeln im profanen Sprachgebrauch und in den biblischen Überlieferungen nachzugehen. Anschließend soll speziell ihre Verwendung im Kontext der Auferstehung von den Toten betrachtet werden. Einen dritten Abschnitt widmen wir der Zeitangabe „nach drei Tagen“.

8.1

CXPKUVJOK und GXIGKTGKP TGKP

8.1.1

In den Septuaginta und im profangriechischen Sprachgebrauch

CXPKUVJOK ist ein ausgesprochenes Allerweltswort, das in den Septuaginta wie im profanen Griechisch gleichermaßen beliebt ist. In den Septuaginta kommt das Verb „etwa 517mal“ vor.1 Die Beliebtheit des griechischen Verbs zeigt sich auch darin, dass die Übersetzer es verschiedentlich über die hebräische Vorlage hinaus in den Text einfügen.2 In der Grundbedeutung heißt es (intransitiv) „aufstehen, sich aufrichten, sich erheben“ bzw. (transitiv) „jemanden aufrichten, aufheben“. Im einzelnen wird man aufgerichtet oder erhebt sich vom Sitzen, Knien, Liegen, vom Krankenbett oder vom Schlaf.3 Von der Bedeutung „aufstehen“ bzw. „aufwecken vom Schlaf“ leitet sich die metaphorische Bedeutung „auferwecken, auferstehen vom Tod“ ab (vgl. LXX Ps 87,11 f.; Job 14,12; 1 2

3

Wobei „schwankende Lesarten [...] mathematisch genaue Angaben“ verbieten; Fascher, Anastasis, 170. So Ri 3,21; 7,24; 1 Kön 3,4.15; 12,24 B (4x CXPKUVJOK, davon 1x = 14,4 A und 3x Zusatz); 19,6; 2 Chr 13,6 B (2x); 23,18; 35,19; 2 Esr (Esr) 10,3; Job 42,17; 18,9; Hag 2,10 (9); Jes 2,10; Jer 37 (30),12; Dan 4,15; 12,11 A Th. Zur Bedeutung von CXPKUVJOK vgl. LSJ, Art.CXPKUVJOK; Fascher, Anastasis, 179 f.; Oepke, CXPKUVJOK, 368 f.

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154

19,25; 42,17 (2x); Jes 26,14.19; Ez 26,20; Dan 12,2.13; 2 Makk 7,9.14; 12,44). GXIGKTGKPist in den Septuaginta wie auch im profanen Griechisch weniger gängig. Gegenüber 517 Belegen von CXPKUVJOKkommt es in den LXX 84mal vor.4 Das Verb steht in der selben Bedeutung wie CXPKUVJOK.5 Auch die Bedeutung „Tote erwecken“ bzw. „vom Tod aufstehen, erwachen“ ist in den Septuaginta belegt, wenn auch deutlich seltener als für CXPKUVJOK (vgl. 2 Kön 4,31; Jes 26,19; Sir 48,5; Dan 12,2 A).  CXPKUVJOK und GXIGKTGKP sind also Synonyme. Das wird auch daraus ersichtlich, dass beide Verben dieselben hebräischen Wurzeln übersetzen können.6 Oft werden die beiden Verben zwecks Variation des sprachlichen Ausdrucks alternierend gebraucht. So erscheint im Danklied der Hanna 1 Sam 2,8 „Den Schwachen hebt er empor aus dem Staub und erhöht den Armen, der im Schmutz liegt“ (vgl. Ps 112 (113),7) im ersten Halbvers CXPKUVJOK, im zweiten, parallelen Halbvers GXIGKTGKP.7 Jes 26,19 formuliert in einem Parallelismus Membrorum ebenfalls alternierend: „Die Toten stehen auf (CXPKUVJOK); die in den Gräbern liegen, werden erwachen (GXIGKTGKP)“. 2 Sam 12,17 LXX ist aZT einmal mit CXPKUVJOK und einmal mit GXIGKTGKP übersetzt: „Die Ältesten seines Hauses traten zu David hin (CXPKUVJOK), um ihn von der Erde aufzuheben (GXIGKTGKP).“ In Tob 8,4 „und Tobias stand auf“ hat LXX S GXIGKTGKP, A und B haben CXPKUVJOK. Im folgenden Vers wiederholt S „und er stand auf“, wobei alternierend CXPKUVJOK verwendet wird.

8.1.2

Im Neuen Testament

CXPKUVJOK ist „wie in der Profanliteratur [...] und LXX [...] auch im NT oft belegt“,8 nämlich insgesamt 108mal. Allein 72 Stellen entfallen auf das lukanische Doppelwerk, was darauf schließen lässt, dass der sprachgewandte Autor eine besondere Vorliebe für das griechische Allerweltswort hat. Wie in den LXX steht GXIGKTY auch im Neuen Testament „meist als Synonym für CXPKUVJOK“.9 Entgegen der Verteilung in den Septuaginta und der klassisch-griechischen Literatur erscheint GXIGKTY im Neuen Testament jedoch häufiger als CXPKUVJOK, nämlich 144mal. Der Wortgebrauch im Neuen Testament stimmt weitgehend mit dem

4

5 6

7 8 9

Vgl. Fascher, Anastasis, 174. Die “Perseus Classics Library” (http://perseus.mpiwgberlin.mpg.de) verzeichnet 505 Belege von GXIGKTY gegenüber 964 von CXPKUVJOK, wobei die neutestamentlichen Belegstellen bereits mitgezählt sind. Zur Bedeutung von GXIGKTGKP vgl. Oepke, GXIGKTY, 332 f.; LSJ, Art. GXIGKTY; Fascher, CXPCUVCUKL, 193. So aZT Gen 49,9 LXX mit GXIGKTGKP, Aq mit CXPKUVJOK; KO> 1 Kön 11,14 LXX mit GXIGKTGKP, Aq mitCXPKUVJOK; aZT Spr 6,9 LXX mit GXIGKTGKP, Aq Sm Th mit CXPKUVJOK; \T Dan 12,2 LXX mitCXPKUVJOK, Th A mit GXIGKTGKP, Th B mit GXZGIGKTGKP. Bereits M formuliert hier variierend mit aZT und aZU. Kremer, CXPCUVCUKL, 211. Kremer, GXIGKTY, 900; vgl. ders., CXPCUVCUKL, 212.

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von CXPKUVJOK sowie mit dem Gebrauch beider Verben in den Septuaginta und der griechischen Literatur überein.10 Die beiden Verben werden wiederum bei Lukas, der für sein gutes Griechisch bekannt ist, besonders häufig alternierend gebraucht; vgl. 5,23.24 GXIGKTGKP.25 CPKUVJOK (gegen 3x GXIGKTGKP bei Mk und Mt); 6,8; 9,7 GXIGKTGKP.8 CXPKUVJOK; 11,7 CXPCUVCL.8 CXPCUVCL, GXIGTSGKL; Apg 10,26; 12,7; Apg 13,30 GXIGKTGKP. 33.34 CXPKUVJOK. Aber auch andere neutestamentliche Traditionen variieren zwischen GXIGKTGKP und CXPKUVJOK; so Q in der doppelten Anklage gegen die Israeliten im Endgericht Lk 11,31 f.; Johannes in der Perikope von der Auferweckung des Lazarus 11,29.31 und die vorpaulinische Formeltradition Eph 5,14. Markus gebraucht in der Erweckung der Jaïrustochter, in der Heilung eines besessenen Jungen und im Streitgespräch über die Auferstehung ebenfalls beide Verben alternierend (GXIGKTY Mk 5,41; 9,27; 12,26; CXPKUVCPCK Mk 5,42; 9,27; 12,18.23.25). Oft wird an Parallelstellen bei verschiedenen Autoren oder bei einem Autor für denselben Zusammenhang GXIGKTGKP oder CXPKUVJOK verwendet. So gebraucht Lukas zur Feststellung der Heilung der Schwiegermutter des Petrus CXPKUVJOK (Lk 4,39), Matthäus dagegen GXIGKTGKP (Mt 8,15). 11 Johannes spricht 5,21 mit GXIGKTGKP von der lebensspendenden Macht des Vaters, die auch dem Sohn zugesprochen wird; 6,39.40.44.54 formuliert er denselben Sachverhalt mit CXPKUVJOK. Markus verwendet ebenfalls beide Verben in ein und derselben Bedeutung: „aufbrechen“ Mk 7,24; 10,1 CXPKUVJOK, 14,42 GXIGKTGKP; „sich gegen jemanden erheben“ Mk 3,26 CXPKUVJOK, 13,8 GXIGKTGKP; „vom Schlaf aufstehen“ Mk 1,35 CXPKUVJOK, 4,27 GXIGKTGKP. Insgesamt ist der Gebrauch beider Verben bei Markus ausgewogen: 17mal erscheint GXIGKTY und 18mal CXPKUVJOK.

8.2

CXPKUVJOK und GXIGKTGKP im Zusammenhang der Auferstehung von den Toten

Betrachten wir in einem zweiten Schritt die Vorstellungen und Bilder, die sich im Zusammenhang der Auferstehung von den Toten mit den Verben CXPKUVJOK und GXIGKTGKP verbinden, und die Kontexte, in denen sie in den alt- und zwischentestamentlichen Schriften und im Neuen Testament in Bezug auf die Auferstehung von den Toten Verwendung finden. 10 11

Vgl. Fascher, CXPCUVCUKL, 194-196; Oepke, egeirw, 333; ders., CXPKUVJOK, 368 f. Dem entspricht allerdings auch eine allgemeine Vorliebe des Lukas für CXPKUVJOK bzw. des Matthäus für GXIGKTGKP: Von 108 neutestamentlichen Belegen für CXPKUVJOK erscheinen 72 im lukanischen Doppelwerk, von 42 Belegen für CXPCUVCUKL 17 (gegenüber 31 Belegen von GXIGKTY). Bei Matthäus steht 36x GXIGKTGKP gegenüber 4x CXPKUVJOK und 4x CXPCUVCUKL. Der einzige Beleg des Substantivs GIGTUKL findet sich ebenfalls bei Matthäus (27,53).

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8.2.1

Motivgeschichtliche Analyse

Das Aufkommen der Auferstehungshoffnung in frühjüdischer Zeit

Dem jüdischen Glauben ist der Gedanke an eine Auferstehung der Toten lange Zeit fremd. „Werden etwa Schatten aufstehen (CXPKUVJOK), um dich zu preisen? Erzählt man im Grab von deiner Huld, von deiner Treue im Totenreich?“, so fragt der Psalmist (Ps 87,11 f. LXX; vgl. 6,6; 115,17 M). Ähnlich skeptisch äußert sich Ijob: „Der Mensch [...] geht wie die Blume auf und welkt, flieht wie ein Schatten und steht nie wieder auf“ (QWXOJCXPCUVJ^ 14,12 LXX). Allerdings werden einzelne Totenerweckungen berichtet; so von Elija, der den Sohn seiner Gastgeberin, einer Witwe aus Sarepta, vom Tode erweckt (1 Kön 17,17-24). Parallel wird im 2. Buch der Könige (4,18-37) von Elischa ebenfalls die Erweckung eines Kindes berichtet, des Sohnes einer Frau aus Schunem, in deren Haus Elischa regelmäßig zu Gast war. 2 Kön 13,21 gibt eine Legende wieder, nach der ein Toter, der mit den Gebeinen des Elischa in Berührung kam, wieder aufstand (LXX: CXPGUVJ). Diese Erzählungen sind als Steigerung und Überbietung der auch sonst von den beiden Propheten berichteten Wunder zu sehen (1 Kön 18; 2 Kön 1: Elija lässt Feuer und Regen vom Himmel fallen; 2 Kön 5: Elischa heilt den Aramäer Naaman vom Aussatz). Bei den Propheten Jesaja und Ezechiel finden sich darüber hinaus Ankündigungen einer Erweckung ganz Israels von den Toten. So verkündet Jes 26,19 nach dem Strafgericht des Exils die Rettung von Gott her: „Die Leichen stehen wieder auf; wer in der Erde liegt, wird erwachen“ (LXX: CXPCUVJUQPVCK QKB PGMTQK MCK GXIGTSJUQPVCKQKB GXPVQKLOPJOGKQKL). Ebenso wie die Vision von der Auferstehung der Gebeine in Ez 37 ist auch diese Verheißung wohl nicht im Sinne einer „echten“ Auferstehung von den Toten, sondern als Metapher für die Wiederherstellung Israels nach dem Exil zu deuten. So heißt es am Ende der Vision bei Ezechiel: „Jetzt sagt Israel: Ausgetrocknet sind unsere Gebeine, unsere Hoffnung ist untergegangen, wir sind verloren. [...] So spricht Gott, der Herr: Ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf. Ich bringe euch zurück in das Land Israel“ (VV. 11 f.). Das Grab versinnbildlicht die nach der Eroberung Jerusalems und der Exilierung seiner Oberschicht hoffnungslose Lage Israels. Dasselbe Bild findet sich in der Gerichtsansage gegen Tyrus: „Ich weise dir einen Wohnsitz zu in den Tiefen der Erde [...] bei denen, die ins Grab gesunken sind. Denn du sollst nicht mehr bewohnt sein und dich nicht mehr erheben im Land der Lebenden“ (OJFG CXPCUVJ^L Ez 26,20 LXX). Die Erwartung einer generellen Auferstehung von den Toten kommt erst im 2. Jh. v. Chr. auf. Als „die älteste, ja, die einzige unumstrittene Belegstelle für die Auferstehung von den Toten im ganzen Alten Testament hebräischer Spra-

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che“12 gilt Dan 12,1-3, eine einschlägige Stelle zum „Leiden der Gerechten“. Die aufkeimende Hoffnung auf eine Auferstehung der Toten steht in engem Zusammenhang mit der Verfolgung gottesfürchtiger, gesetzestreuer Juden während des Hellenistischen Reformversuchs unter Antiochus IV. Epiphanes. Da es in der Gegenwart keine Gerechtigkeit für die „Frommen“ gibt, wird ihre Rechtfertigung in die Zukunft verlegt. Ihnen, die „im Buch verzeichnet“ sind (Dan 12,1), gehört das ewige Leben, der neue Äon. Ihre Feinde – einschließlich der Gegner inmitten des eigenen Volkes – erstehen „zur Schmach, zu ewigem Abscheu“ (Dan 12,3). Mit den Gerechten wird auch Daniel verheißen: „Am Ende der Tage wirst Du auferstehen (CXPKUVJOK Dan 12,13 LXX Th), um dein Erbteil zu empfangen.“13 Bereits für Jesus Sirach, der um 180 v. Chr. in Jerusalem schreibt,14 dürfte die Darstellung Elijas als „Erwecker eines Toten“ (QBGXIGKTCLPGMTQPGXMSCPCVQW 48,5) einen anderen Klang gehabt haben als die Erzählung von der Erweckung des Sohnes der Witwe von Sarepta für den Autor von 1 Kön 17. Ebenfalls vor der Entstehung des Danielbuches schreibt der Verfasser des Buches Ijob:15 „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Als letzter erhebt er sich über dem Staub. Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen. Ihn selber werde ich dann für mich schauen; meine Augen werden ihn sehen, nicht mehr fremd“ (19,25-27). Ist der Gedanke an ein Schauen Gottes nach dem Tode im hebräischen Text schon angedeutet (vgl. auch die Ankündigung des Gerichts in V.29), so formulieren LXX in V.25 mit klarem Bezug auf die Auferstehung der Toten: „meine Haut soll sich über dem Staub erheben (CXPCUVJUCK).“ Deutlicher noch drücken es die Handschriften A und S2 aus: „Mein Leib wird auferstehen“. An den letzten Vers des Buches „Dann starb Ijob, hochbetagt und satt an Lebenstagen“ (42,17) fügt der Übersetzer an: „bis er wieder aufsteht mit denen, die der Herr auferweckt“ (2x CXPKUVJOK). Für den Verfasser des 2. Makkabäerbuches ist der Gedanke einer Auferstehung der gottesfürchtigen Israeliten (7,9 CXPKUVJOK; 7,14 1x CXPKUVJOK, 1xCXPCUVCUKL) und der Gefallenen der Makkabäerkriege (12,43 CXPCUVCUKL; 12,44 CXPKUVJOK) bereits selbstverständlich.16

12 13 14

15 16

Hans Küng, Ewiges Leben?, 113; im Original teils kursiv gedruckt. Zitiert nach: Kellner, Menschensohn, 180. Zu dieser und weiteren Belegstellen vgl. S.90-92. Das Werk ist jedoch nur in der griechischen Übersetzung seines Enkels vollständig erhalten. Die Übersetzung entsteht nach dem „38. Jahr des Königs [Ptolemäus’ VIII.] Euergetes’ [II.]“, d. h., nach 142 v. Chr. (vgl. das Vorwort zur griechischen Übersetzung). Der griechische Text bezeichnet den Verfasser in 50,27 als „Bürger von Jerusalem“. Um 180 v. Chr. liegt das Buch bereits vor (vgl. Sir 49,9). 2 Makk entsteht nach der Entscheidungsschlacht gegen Nikanor 160 v. Chr., die im 15. und zugleich letzten Kapitel geschildert ist.

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Ebenso wie das 2. Makkabäerbuch rechnen auch andere zwischentestamentliche Schriften fest mit einer Auferstehung der Gerechten. Nach Ps Sal 3,12 erstehen (CXPKUVJOK) die Gottesfürchtigen zum ewigen Leben. In den Testamenten der zwölf Patriarchen kündigen Simeon und Sebulon ihre eigene Auferstehung an (CXPKUVJOK Test Sim 6,7; Test Seb 10). Test Jud verheißt nicht nur die Auferstehung der Patriarchen „zum Leben“ (CXPKUVJOK GKXL \YJP 25,1), sondern auch die Auferstehung aller „in Trauer“ (GXP NW^RJ^) Verstorbenen „in Freude“ (CXPKUVJOK GXP ECTC^ 25,4 C D S1; A: CXPKUVJOK). Ebenso verkündet Test Ben: „Henoch, Set, Abraham, Isaak und Jakob werden zu Seiner Rechten erstehen in Freude (CXPKUVJOK GXP CXICNNKCUGK). Dann werden auch wir alle auferstehen (CXPKUVJOK) [...] und dem himmlischen König huldigen. Dann werden wir alle verwandelt werden (CXNNCIJUQOGSC), die einen zur Herrlichkeit (GKXL FQZCP), die anderen zur Schande (GKXLCXVKOKCP). Denn der Herr wird Israel richten wegen des Unrechts, das sie getan haben“ (10,6-8). Vit Ad 10 erwähnt den „Tag der Auferstehung“ (JBOGTCVJLCXPCUVCUGYL) als Tag des Gerichtes über alle. Vor allem in Test Ben wie auch in Test Jud sind Parallelen zum „Leiden der Gerechten“ nicht zu übersehen. Die Erwartung der Auferstehung vom Tode ist in allen zitierten Texten mit CXPKUVJOK formuliert.17 Die Pharisäer und Essener erwarten ebenfalls eine doppelte Auferstehung zum ewigen Leben und zur ewigen Verdammnis (vgl. Jos Bell 2,8,11.14; Ant 18,14.18; Apg 23,8).[18] Für das rabbinische Spätjudentum wird die Auferstehung der Toten schließlich zum „festen, notwendigen Bestandteil seines Glaubens“. Der Glaube an „Jahwe, der die Toten lebendig macht“, geht in die 2. Bitte des Achtzehngebetes (Schemone Esre) ein. Den Leugnern der Auferstehung gilt die Drohung in San 10,1: „Wer sagt, die Auferstehung der Toten sei aus der Tora nicht herzuleiten, hat keinen Anteil an der zukünftigen Welt.“19

8.2.2

Die Auferstehung der Toten im Neuen Testament

8.2.2.1 Die Aufnahme der frühjüdischen Vorstellungen Im Neuen Testament begegnen die frühjüdischen Vorstellungen von der allgemeinen Auferstehung der Toten am Ende der Zeiten. Marta weiß als gläubige Jüdin, dass ihr Bruder Lazarus „auferstehen wird bei der Auferstehung am jüngsten Tag“ (CXPCUVJUGVCK GXP VJ^ CXPCUVCUGK GXP VJ^ GXUECVJ^ JBOGTC^ Joh 11,24). Mehrfach findet sich die Vorstellung von einer „Auferstehung der Gerechten“ (CXPCUVCUKL VYP FKMCKYP Lk 14,14) bzw. von einer doppelten Auferstehung „zum Leben“ und „zum Gericht“ (Joh 5,29 CXPCUVCUKL \YJL – CXPCUVCUKL MTKUGYL; vgl. Apg 24,15 CXPCUVCUKL FKMCKYP MCK CXFKMYP). Generell gehört die Erwartung des nahen Endgerichtes in diesen Kontext; vgl. beispielsweise Hebr 17 18 19

Belege vgl. Fascher, Anastasis, 172 f. Vgl. Oepke, CXPKUVJOK, 370; Kremer, CXPCUVCUKL, 215. Oepke, CXPKUVJOK, 370 verweist darüber hinaus auf Ber 7,5. Zitat ebd.

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6,2, wo „die Auferstehung (CXPCUVCUKL) der Toten und das ewige Gericht“ unter den Grundlagen des Glaubens genannt werden. Wie bereits im Frühjudentum dient der bekannte Vorgang des Aufstehens vom Schlaf als Metapher für das Auf(er)stehen vom Tode. Dan 12,2 spricht von den Toten als denen, „die im Land des Staubes schlafen“. Auch im griechischen Sprachgebrauch ist „die euphemistische Bezeichnung des Todes als Schlaf geläufig“; vgl. MQKOCQOCK Hom Il 11,241; Soph El 509; IG 14,1683; 929; Kall Ap11,2; PFay 22.28.20 Ebenso spricht Paulus von den „Schlafenden“ bzw. „Entschlafenen“ der Gemeinden von Thessalonich (1 Thess 4,13 MQKOYOGPQK; VV.14.15 MQKOJSGPVCL) und Korinth (MQKOYPVCK 1 Kor 11,30) und von den bereits „entschlafenen“ Zeugen der Auferstehung Christi (GXMQKOJSJUCP 1 Kor 15,6). Christus ist auferstanden als „Erster der Entschlafenen“ (CXRCTEJ VYP MGMQKOJOGPYP 1 Kor 15,20). Die Gemeindemitglieder werden nicht alle entschlafen, bevor sie mit ihm verwandelt werden (RCPVGL QWX MQKOJSJUQOGSC 1 Kor 15,51). Joh 11,11-13 spielt mit der Doppeldeutigkeit des Verbs MQKOCQOCK und des zugehörigen Substantivs MQKOJUKL. Ist im Neuen Testament von der Auferstehung die Rede, so zeigt häufig ein Zusatz wie „(aufstehen, aufwecken, Auferstehung) von den Toten“ an, was gemeint ist.21

8.2.2.2 Die Auferstehung eines einzelnen In Bezug auf die Auferstehung Jesu drückt der Zusatz „aus den Toten“ ein weiteres wichtiges Faktum aus: Jesus ist als Erster aus einer Gesamtheit von „Entschlafenen“ auferstanden. Er ist der „Anführer des Lebens“ (CXTEJIQL VJL \YJL Apg 3,15), der „Erste aus der Auferstehung der Toten“ (RTYVQL GXZ CXPCUVCUGQLPGMTYP Apg 26,23), die „Erstlingsgabe der Entschlafenen“ (CXRCTEJ VYPPGMTYP 1 Kor 15,20), „der Anfang, der Erstgeborene von den Toten“ (CXTEJ  RTQVQMQVQLGXMVYPPGMTYP Kol 1,18; vgl. RTQVQMQVQLVYPPGMTYP Apk 1,5). In diesem Punkt weicht das neutestamentliche Bekenntnis von der frühjüdischen Vorstellung ab, die ja die Auferstehung aller Toten erwartet. Die Korrektur des apokalyptischen Modells spricht einerseits für die Eindrücklichkeit der Ostererfahrung. Diese muss sich andererseits so in das frühjüdische Bild von der Auf20

21

Zu den Stellenangaben vgl. LSJ, Art. MQKOCY. Zitat: Oepke, GXIGKTY, 333; vgl. Bultmann, SCPCVQL, 13, A.60. Die Metapher ist auch im Deutschen geläufig; vgl. den Ausdruck „entschlafen“. So GXM PGMTYP Mk 6,14 par Lk 9,7 (par Mt 14,2CXRQ VYPPGMTYP); Mk 9,9 f. par Mt 17,9; Mk 12,25; Lk 24,46; Joh 2,22; 12,1.9.17; 20,9; 21,14; Apg 3,15; 4,10; 10,41; 13,30.34; 17,3.31; Röm 4,24; 6,4.9; 8,11 (2x); 10,9; 1 Kor 15,12.20; Gal 1,1; Eph 1,20; Kol 2,12; 1 Thess 1,10; 2 Tim 2,8; Hebr 11,19; 1 Petr 1,21; CXRQVYPPGMTYP Mt 14,2 (s. o.); 27,64; 28,7; GXM VYP PGMTYP Eph 5,14; CXPCUVCUKLPGMTYP Apg 17,32; 23,6; 24,21; 26,23; Röm 1,4; 1 Kor 15,12.13.21; Hebr 6,2; CXPCUVCUKLVYPPGMTYP Mt 22,31; 1 Kor 15,42; CXPCUVCUKL GXM PGMTYP 1 Petr 1,3; JB CXPCUVCUKL JB GXM PGMTYP Apg 4,2; vgl. Apg 26,8 PGMTQWL GXIGKTGKP; Joh 5,21 GXIGKTGKPVQWLPGMTQWL.

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erstehung gefügt haben, dass sie trotz der Abweichung damit in Zusammenhang gebracht wurde.22 Die Auferstehung Jesu wird als Auftakt der allgemeinen Auferstehung begriffen. „Da nämlich durch einen Menschen der Tod [gekommen ist], so auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten“ (CXPCUVCUKL 1 Kor 15,21). Die Auferstehung der Toten aber leitet nach frühjüdisch-apokalyptischem Verständnis die Endzeit ein. Seit der Auferstehung Jesu von den Toten ist somit die Endzeit angebrochen. Daher sieht sich die Gemeinde durch die Auferstehung Christi bereits „herausgerissen aus dem alten Äon“ (Gal 1,4). Christus ist der Vorkämpfer des neuen Äons; er gewinnt „alle Herrschaft, Gewalt und Kraft“ (RCUCPCXTEJPMCKRCUCPGXZQWUKCPMCKFWPCOKP 1 Kor 15,24) für Gott zurück. In seiner Auferstehung hat die Umkehrung aller Machtverhältnisse begonnen.23 Als Erstgeborener von den Toten erhält Jesus eine privilegierte Stellung und eine besondere Funktion im Ablauf der Endzeit (vgl. 1 Kor 15,20-28) und im Hinblick auf die Auferstehung. Die endzeitliche Auferstehung ist „engstens mit Christus verknüpft“, wird sie doch den „in Christus Entschlafenen“ zuteil (1 Kor 15,18; 1 Thess 4,16).24 1 Kor 6,14 (GXIGKTGKP = Auferstehung Christi, GXZGIGKTGKP = Auferstehung der Gläubigen); 2 Kor 4,14 (2x GXIGKTGKP); Phil 3,10 (CXPCUVCUKL Christi.11 GXZCPCUVCUKL des Paulus); 1 Thess 4,14.16 (2x CXPKUVJOK) werden die Auferstehung Christi und die Auferstehung der Gläubigen in einem Atemzug genannt. Nach Johannes kommt die lebensspendende Macht des Vaters auch dem Sohn zu (vgl. 5,21). Er wird die Seinen „auferwecken am Jüngsten Tag“ (Joh 6,39.40.44.54); er ist „die Auferstehung (CXPCUVCUKL) und das Leben“ (Joh 11,25); er ist „lebendigmachender Geist“ (RPGWOC \Y^QRQKQWP 1 Kor 15,45). Einzelne von Jesus oder seinen Jüngern berichtete Totenerweckungen setzen die lebensspendende Macht des Auferstandenen ins Bild. So berichtet Markus die Auferweckung der Tochter eines Synagogenvorstehers namens Jaïrus (Mk 5,41 f.). Die Heilung eines besessenen Jungen in Mk 9 kommt ebenfalls in die Nähe einer Totenerweckung, liegt der Junge nach der Austreibung des Dämons doch da „wie tot“, so dass die Leute meinen, er sei gestorben (V.26). Auch die häufige Verwendung vonCXPKUVJOK und GXIGKTGKP als Heilungsgestus oder zur Feststellung der Heilung in Totenerweckungen und Krankenheilungen verweist im Kontext des Neuen Testamentes auf Jesu Auferstehung und seine lebensspendende Macht; vgl. Mk 1,31; 2,9.11.12; 3,3; 5,41; 9,27; 10,49; Lk 7,14; Joh 5,8; Apg 3,7; 9,40; Jak 5,15. Seit der Auferstehung von den Toten ist Jesus eingesetzt „als Sohn Gottes in Macht“ (Röm 1,4). Die Gemeinde erwartet ihn zur endzeitlichen Auferstehung der Toten und zum Gericht. In seiner Auferstehung beglaubigt Gott Jesus näm22 23 24

Vgl. Müller, Vorliterarische Überlieferung. Vgl. Müller, Vorliterarische Überlieferung; Fascher, Anastasis, 200. Kremer, CXPCUVCUKL, 216.

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lich insbesondere als den, „der den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird“ (Apg 17,31). Die lebensspendende Macht Jesu erklärt sich somit nicht zuletzt daraus, dass er die Gläubigen vor dem „zweiten Tod“, der Verurteilung im Letzten Gericht, bewahren kann. Er „sitzt zur Rechten Gottes und tritt für sie ein“ (Röm 8,34); er „entreißt sie dem kommenden Gericht“ (1 Thess 1,10). Jedoch erhalten die, die Jesus nachfolgen, schon hier und jetzt Anteil an der Wirklichkeit des neuen Äons und am neuen Leben. Röm 13,11 „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf“ (GXZW=RPQWGXIGTSJPCK) und Eph 5,14 „Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten!“ (GIGKTG QBMCSGWFYP MCKCXPCUVC GXMVYPPGMTYP) rufen die Gläubigen auf, durch einen entsprechenden Lebenswandel die Auferstehung in ihrem Leben Wirklichkeit werden zu lassen. „Auferstehen ist hier also nicht auf die Errettung aus dem Grab beschränkt, sondern bedeutet vor allem Teilnahme an dem Leben des auferstandenen Christus.“25

8.2.2.3 Gebrauch von CXPKUVJOK und GXIGKTGKP Wie bereits erwähnt, erscheint GXIGKTY in den neutestamentlichen Traditionen häufiger als CXPKUVJOK. Von 144 Belegen beziehen sich 82 auf eine Auferstehung oder Auferweckung von Toten, und davon wieder 49 auf die Auferstehung Jesu.26 CXPKUVJOK findet sich dem gegenüber nur 108mal, davon 31mal in Bezug auf eine Auferweckung oder Auferstehung von den Toten und 18mal in Bezug auf die Auferstehung Jesu.27 Diese Statistik zeigt, dass GXIGKTY in den neutestamentlichen Schriften vor allem in Bezug auf die Auferstehung der Toten, und da wieder insbesondere auf die Auferstehung Jesu, Verwendung findet.

25 26

27

Kremer, GXIGKTY, 903; 905; Hervorhebung original. Vgl. ders., CXPCUVCUKL, 217. Im einzelnen bezeichnet GXIGKTY die Auferstehung Jesu: Mk 14,28 par Mt; 16,6 parr; Mt 27,51; Lk 24,34 (Ostererzählungen); Mt 16,21 par Lk (1. Ansage); Mt 17,9 [par Mk 9,9].23 (2. Ansage); 20,19 (3. Ansage) vgl. 27,63.64; Joh 2,22; 21,14; Apg 3,15; 4,10; 5,30; 10,40; 13,30.37; Röm 4,24.25; 6,4.9; 7,4; 8,11 (2x).34; 10,9; 1 Kor 6,14; 15,4.12.13.14.15 (2x).16.17.20; 2 Kor 4,14; 5,15; Gal 1,1; Eph 1,20; Kol 2,12; 1 Thess 1,10; 2 Tim 2,8; 1 Petr 1,21; die Auferweckung einzelner anderer oder die allgemeine Auferstehung der Toten: QLk 7,22 par; Mt 10,8; Mk 12,26 par Lk; Mk 6,14.16 parr (Täufer); Mk 5,41 parr (Jaïrustochter); Lk 7,14 (Jüngling von Naïn); Joh 5,21; 12,1.9.17 (Lazarus); Apg 26,8; 1 Kor 15,15.16.29.32.35.42.43 (2x).44.52; 2 Kor 1,9; 4,14; Hebr 11,19. Nicht mitgezählt sind Röm 13,11 und Eph 5,14, die die Auferstehung der Gläubigen ins diesseitige Leben übertragen (s. o.). CXPKUVJOK bezeichnet die Auferstehung Jesu: Mk 8,31; 9,9.10.31; 10,34 par Lk 18,33 vgl. 24,7.46 (Ankündigungen von Leiden und Auferstehung); Joh 20,9; Apg 2,24.32; 10,41; 13,33.34; 17,3.31; 1 Thess 4,14. Apg 3,26 („Für euch zuerst hat Gott seinen Knecht (auf)erstehen lassen und gesandt“) ist doppeldeutig und hier nicht mitgezählt. Die allgemeine Auferstehung oder die Auferweckung einzelner bezeichnet CXPKUVJOK in Mk 12,25; Lk 9,8.19 (Täufer); 16,31; Joh 6,39.40.44.54; 11,23.24 (Lazarus); Apg 9,40 f. (Tabita); 1 Thess 4,16. Eph 5,14 ist übertragener Sprachgebrauch (s. o.).

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Insbesondere in den paulinischen und vorpaulinischen Traditionen erscheint in Bezug auf die Auferstehung der Toten 39malGXIGKTY. 26mal ist die Auferstehung Jesu mit GXIGKTGKP ausgedrückt.28 CXPKUVJOK kommt nur dreimal im Zusammenhang der Auferstehung vor. Eph 5,14 ist das Verb alternierend mit GXIGKTGKP gebraucht. Daneben bezeichnet es in 1 Thess 4,14 die Auferstehung Jesu und parallel in 1 Thess 4,16 die Auferstehung der „Toten in Christus“. Auffällig ist die formelartige Formulierung „gestorben und auferstanden“ (CXRGSCPGP MCK CXPGUVJ) in V.14. Paulus greift hier möglicherweise auf Tradition zurück. Das lässt auch die einleitende Wendung „wenn wir glauben“ (GKXICTRKUVGWQOGP vgl. Röm 10,9) vermuten. Besonders beliebt ist das Verb GXIGKTGKP auch bei Matthäus. In Bezug auf die Auferstehung der Toten verwendet er es ausschließlich und gebraucht 27,53 im Sondergut zur Auferstehung Jesu sogar das Substantiv GIGTUKL, das im gesamten Neuen Testament sonst nicht begegnet. CXPKUVJOK erscheint bei Matthäus nur viermal und ausschließlich in anderer Bedeutung (9,9; 12,41; 22,24; 26,62). Dagegen ist CXPKUVJOK, wie bereits festgestellt werden konnte, ein Vorzugswort des Lukas, der „den in der griech.-hellenistischen Umwelt als t. t. für die Auferstehung Toter bekannten Ausdruck“ auch in der Verkündigung der Auferstehung Jesu anstelle des „sonst dafür gebräuchlichere[n] [...] GXIGKTY“ setzt.29 Bei Markus zeichnen sich bezüglich der Aussagen zur Auferstehung Jesu zwei Linien ab: die drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung und die verwandte Stelle Mk 9,9.10 mit CXPKUVJOK sowie die Ostererzählung und die verwandte Stelle Mk 14,28 mit GXIGKTGKP. Von der allgemeinen Auferstehung der Toten wird in Mk 12,18-27 je zweimal mit CXPKUVJOK (VV.23.25) und CXPCUVCUKL (VV.18.23), aber auch einmal mit GXIGKTGKP (V.26) gesprochen. Die Verwendung von GXIGKTGKP könnte als Variation gegenüber V.25 oder aber als Anspielung auf die Ostererzählung zu erklären sein. Die Spekulationen über die Auferstehung des Täufers in der Gestalt Jesu formuliert Markus, vermutlich ebenso in Anlehnung an die Ostererzählung, mit GXIGKTGKP (Mk 6,14.16). Damit parallelisiert er das Schicksal des Täufers und Jesu nicht nur in Bezug auf das öffentliche Wirken (vgl. Mk 1,14 f.: Jesus beginnt seine Verkündigung nach der Festnahme des Täufers) und den gewaltsamen Tod (vgl. Mk 9,11-13), sondern auch in Bezug auf die Auferstehung. Dieses Bild stimmt weitgehend mit dem Gebrauch der beiden Verben in den übrigen erzählenden Traditionen überein: CXPKUVJOK erscheint in den Ankündigungen von Leiden und Auferstehung (Mk 8,31; 9,31; 10,34 par Lk 18,33) und

28 29

Vgl. die Stellenangaben in A.26 und 27. Kremer, CXPCUVCUKL, 220.

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damit verwandten Stellen (Mk 9,9.10; Lk 24,7.46; Apg 17,3; Joh 20,9),30 GXIGKTGKP in den Ostererzählungen sowie der darauf vorgreifenden Ankündigung Jesu auf dem Weg nach Getsemani (Mk 14,28 par Mt). Damit knüpfen die Ostererzählungen vermutlich an die bei Paulus festgehaltene Formeltradition an (JXIGTSJ Mk 16,6 parr vgl. Röm 4,25; 6,4). Wiederum unter Bezugnahme auf die urkirchliche Formeltradition und die Ostererzählungen erscheint auch bei Mt 27,64 und Lk 24,34, jeweils im Sondergut zur Auferstehung Jesu, sowie Joh 2,22 der Aorist JXIGTSJ. Joh 21,14 steht das ebenfalls aus der Formeltradition bekannte Partizip GXIGTSGKL (vgl. Röm 6,9; 7,4; 8,34; 2 Kor 5,15).  GXIGKTGKP und CXPKUVJOK sind nicht nur hinsichtlich ihrer „profanen“ Bedeutung, sondern auch im Hinblick auf die Auferstehung der Toten einschließlich der Auferstehung Jesu Synonyme. Der unterschiedliche Gebrauch beider Vokabeln in den Schriften des Neuen Testaments lässt allenfalls Traditionsstränge unterscheiden. So ist für die vermutlich vormarkinische Tradition der Leidensund Auferstehungsansagen CXPKUVJOK prägend, für die urchristliche Formeltradition und die Ostererzählungen GXIGKTY. Bedeutungsunterschiede von CXPKUVJOK und GXIGKTGKP sind wie beim profanen Wortgebrauch auch in Bezug auf die Auferstehung der Toten kaum zu erkennen. Da eine Tendenz erkennbar ist, GXIGKTGKP transitiv und CXPKUVJOK intransitiv zu gebrauchen, liegt die Vermutung nahe, dass CXPKUVJOK die Auferstehung eher als selbständiges Tun („Aufstehen“) des Verstorbenen beschreibe, während GXIGKTGKP mehr den passivischen Aspekt des „Auferweckt-Werdens“ und damit des Handelns Gottes an dem Verstorbenen zum Ausdruck bringe.31 Im Deutschen wird CXPCUVJPCK dementsprechend meistens mit „auferstehen“, GXIGKTQOCK dagegen mit „auferweckt werden“ übersetzt. Doch fordert der ansonsten synonyme Gebrauch beider Verben, die Passivformen auch in Bezug auf die Auferstehung vom Tod gleich wiederzugeben. Dabei ist das Passiv in der Regel medial aufzufassen, wenn nicht die ausdrückliche Angabe eines Urhebers eine passivische Übersetzung verlangt. Ansonsten „verbietet [sich] die verbreitete Annahme eines Passivum divinum“.32 Allgemeine traditionsgeschichtliche Überlegungen und alte Überlieferungen wie 1 Thess 4,14; 1 Kor 15,3 f. und nicht zuletzt Mk 8,31 legen es darüber hinaus nahe, „die Formulierungen ‚Gott weckte Jesus auf’ u. ä.“ als „traditionsgeschichtlich sekundär gegenüber der Wendung ‚er stand auf’“ zu betrachten.33

30

31 32 33

„Der regelmäßige Gebrauch von CX. (intransitiv) in den mk Leidensankündigungen dürfte gegenüber dem von GXIGKTY bei Mt und Lk ursprünglicher sein“ (Kremer, CXPCUVCUKL, 219). So beispielsweise Oepke, GXIGKTY, 334; Gnilka, Markus 2, 16. Kremer, GXIGKTY, 906; vgl. Bauer, Wörterbuch, 354. Kremer, GXIGKTY, 909 mit Verweis auf L. Cerfaux, Christus in der paulinischen Theologie, 1964, 57. Hervorhebungen original.

Motivgeschichtliche Analyse

164

Am begrifflichen Inhalt ändern diese formalen Betrachtungen freilich nichts. „Christus, der auferstand ist zugleich Christus, der geweckt wurde.“34 Auch das intransitive Medium CXPGUVJ oder JXIGTSJ „drückt die Auferstehung nicht als eigene Tat aus [...], sondern das durch die Tat Gottes ermöglichte Auferstehen“.35 Warum die Tradition der Leidens- und Auferstehungs-ansagen CXPKUVJOK, die paulinische Formeltradition dagegen GXIGKTGKP den Vorzug gibt, „ist nicht zu klären.“36 Möglicherweise hat das Zurücktreten der komplizierteren Verben auf -OK zugunsten der regelmäßigen Verben auf -Y im Koine-Griechisch zum bevorzugten Gebrauch von GXIGKTY in den neutestamentlichen Schriften beigetragen.37

8.3

„Nach drei Tagen“

8.3.1

Der neutestamentliche Befund

Übereinstimmend kündigen Mk 8,31; 9,31; 10,32-34 die Auferstehung Jesu „nach drei Tagen“ an. Ähnlich heißt es in der Bekenntnisformel 1 Kor 15,4 b: „er ist auferstanden am dritten Tag gemäss den Schriften“. Lk 13,32 erscheint die Zeitangabe in einem Rätselwort, das ebenfalls auf Tod und Auferstehung Jesu anspielt: „am dritten Tag werde ich vollendet.“38 Eine ähnliche Zeitangabe findet sich auch im sogenannten „Tempelwort“ Mk 14,58 und 15,29 (par Mt 26,61; 27,40; vgl. Joh 2,19-21), nach dem Jesus ankündigt, den Tempel „in drei Tagen“ wieder aufzubauen. Bei aller Übereinstimmung fällt die unterschiedliche Wortwahl in den verschiedenen Traditionen ins Auge. Markus schreibt in allen Ankündigungen OGVC VTGKL JBOGTCL. Dagegen steht bei Matthäus durchgehend VJ^ VTKVJ^ JBOGTC^ „am dritten Tag“. Diese Variante unterscheidet sich nur durch die Wortstellung von der Formulierung in 1 Kor 15,4 (VJ^JBOGT^C^VJ^VTKVJ^). Einzig in Mt 27,63, einem Rückgriff auf die Ankündigungen von Leiden und Auferstehung im matthäischen Sondergut, erscheint die Zeitangabe OGVC VTGKLJBOGTCL wie in den markinischen Ankündigungen. Lukas hat in der ersten Ankündigung (9,22) VJ^ VTKVJ^ JBOGTC^. In seiner dritten Ankündigung (18,33) steht dieselbe Wendung wie 1 Kor 15,4. Lk 13,32 enthält in verkürzter Form dieselbe Zeitangabe: VJ^ VTKVJ^. Im Tempelwort konstruiert Markus die Zeitangabe einmal mit FKC c. gen. (FKC VTKYP JBOGTYP „während dreier Tage“ 14,58) und einmal mit GXP c. dat. (GXP VTKUKP JBOGTCKL „innerhalb von drei Tagen“ 15,29). Im johanneischen Tempelwort steht zweimal GXP VTKUKP JBOGTCKL (2,19.20), was mit einiger Wahrschein34 35 36 37 38

Fascher, Anastasis, 197. Kremer, CXPCUVCUKL, 218. Kremer, GXIGKTY, 908. So Fascher, Anastasis, 198. Vgl. die Auslegung bei Jeremias, Drei-Tage-Worte, 222-224.

Motivgeschichtliche Analyse

165

lichkeit darauf schließen lässt, dass dies die Zeitangabe in einer beiden vorausliegenden Tradition gewesen ist.39 Vergleicht man die Ankündigungen der Auferstehung mit den Ostererzählungen der Evangelien, so wird man die „drei Tage“ als chronologische Angabe dort nicht finden. Die Erzählungen von der Auffindung des leeren Grabes sind durchweg auf den „ersten Tag der Woche“ terminiert (VJ^OKC^VYPUCDDCVYP Mk 16,2 par Lk; GKXLOKCPUCDDCVYP Mt 28,1). Auch beziehen sich die Ostererzählungen und Erscheinungsgeschichten mit Ausnahme der redaktionellen Rückblende in der Emmausgeschichte (Lk 24,6 f.) nicht explizit auf die Ankündigungen von Leiden und Auferstehung zurück, was für die traditionsgeschichtliche Eigenständigkeit beider Überlieferungsstränge spricht.40 Schließlich stimmt das Zeitschema der Ostererzählungen nicht zur Rede von einer Auferstehung „nach drei Tagen“: am Morgen des ersten Wochentages, also von der Grablegung am Abend des Rüsttags aus gerechnet nach knapp zwei Tagen, finden die Frauen das Grab bereits geöffnet.41 Die Zeitangabe „nach drei Tagen“, die in den Leidensankündigungen im Hinblick auf den Tod und die Auferstehung Jesu gebraucht wird, kann also „aus dem uns zugänglichen und berichteten, ‚geschichtlichen’ Ostergeschehen nicht erklärt werden“.42 Sie ist „ursprünglich nicht an Ostern abgelesen“.43

8.3.2

Alttestamentliche Wurzeln

Im Hebräischen, das keine unbestimmte, niedrige Zahlenangabe wie „einige“, „ein paar“ und keinen Ausdruck für die Zeitdauer (etwa „kurze Zeit“, „lange Zeit“) kennt, wird ersatzweise besonders bei Zeitangaben gern die Dreizahl verwendet. Die Zeitangabe „drei Tage“ ist also nicht wörtlich zu nehmen, als sei von drei Kalendertagen die Rede. Vielmehr bezeichnet sie eine unbestimmte Zeitspanne, wobei der jeweilige Zusammenhang ergeben muss, ob diese als lang oder kurz empfunden wird.44 39

40 41 42 43 44

Matthäus folgt jeweils der markinischen Vorlage (vgl. 26,61; 27,40). Lukas streicht das Tempelwort aus der Passionsgeschichte, nimmt es jedoch – ohne Zeitangabe – in den Bericht von der Verurteilung des Stephanus auf (Apg 6,14). Vgl. Lehmann, Auferweckt, 161 f. Vg. Lehmann, Auferweckt, 159; Mc Arthur, Third Day, 81 f. Matthäus verlegt die Auferstehung selbst auf die frühen Morgenstunden des „ersten Tages“. Lehmann, Auferweckt, 163. Jeremias, Drei-Tage-Worte, 226; vgl. auch Mc Arthur, Third Day, 81 f.; Horstmann, Studien, 29; Gnilka, Markus 2, 16. Vgl. Bauer, Drei Tage, 355 mit Verweis auf B. Stade, ZAW 26 (1906), 128; im Anschluss auch Jeremias, Drei-Tage-Worte, 226; Lehmann, Auferweckt, 176. Beispiele für lang empfundene „drei Tage“ sind etwa Ex 15,22; 2 Kön 2,17; Jon 2,1; 3,3; Mk 8,2; Lk 2,46; 24,21; Apg 9,9. Kurz sind die „drei Tage“ dagegen in Jos 1,11; 2 Kön 20,5.8; Hos 6,2; Joh 2,19-22. Vgl. Bauer, ebd., 356 f.; Lehmann, ebd., 176-179.

166

Motivgeschichtliche Analyse

Ein Blick auf die Septuaginta zeigt, dass die entsprechende hebräische Zeitangabe, die sich aus der Präposition O und folgendem Zahlwort zusammensetzt, durch verschiedene griechische Formulierungen wiedergegeben werden kann.45 U. a. finden sich dort fast 30 Belege mit der Zeitangabe VJ^JBOGTC^VJ^VTKVJ^, derselben Formulierung, die von Paulus in 1 Kor 15,4 gebraucht und die in veränderter Wortstellung auch von Matthäus und Lukas bevorzugt wird. Darunter sind für die Glaubensgeschichte Israels so bedeutende Stellen wie die „Bindung Isaaks“ am dritten Tag nach dem Aufbruch ins Land Morija (Gen 22,4), die Freilassung der Söhne Jakobs durch Josef (Gen 42,18), der Bundesschluss am Sinai (Ex 19,11.16 u. ö.) und die Rettungstat der Königin Esther, die am dritten Tag nach Bekanntwerden des antijüdischen Erlasses vor den König tritt (Est 5,1).46 Es scheint, als habe sich die zunächst relative und inhaltlich nicht näher bestimmte Zeitangabe in den alttestamentlichen Schriften zu einem feststehenden Motiv mit großem Symbolgehalt entwickelt. Die Zeitangabe „am dritten Tag“ ist dann nicht mehr eine chronologische, sondern eine theologische Aussage über das rettende Eingreifen Gottes.47 In der Überzeugung, dass Gott sein Volk nicht ewig leiden lässt, besteht eine inhaltliche Verwandtschaft mit dem Motiv vom leidenden Gerechten.48 Auf dieser Grundlage entwickeln die Rabbinen die Lehrmeinung, dass Gott seine Frommen nicht länger als drei Tage in einer Notlage lässt. Als Belege werden u. a. Gen 22,4; 42,18; Jon 2,1 und Est 5,1 genannt, wobei die Rabbinen unabhängig vom genauen Wortlaut verschiedene Schriftstellen berücksichtigen, die die Zeitangabe „drei Tage“ in irgendeiner Form enthalten.49 Wenn also im Neuen Testament von der Auferstehung Jesu „nach drei Tagen“ (Mk 8,31) oder „am dritten Tag“ (1 Kor 15,4b) die Rede ist, so ist dies „vor allem eine Anspielung im alttestamentlichen Stil auf den Beistand Gottes in der Bedrängnis“.50

45 46 47 48

49

50

Vgl. Jeremias, Drei-Tage-Worte, 221 f.; Ornelas, Caminho, 279. Vgl. Lehmann, Auferweckt, 180. Vgl. Lehmann, Auferweckt, 181 f. So Lehmann, Auferweckt, 327-333 trotz des Fehlens der Zeitangabe in einschlägigen Texten vom leidenden Gerechten; ähnlich auch Ruppert, SBS, 64 f.; Pesch, Passion, 171; ders., Markus 2, 52; Ernst, Petrusbekenntnis, 29; ders., Markus, 237 f.; Gnilka, Markus 2, 16; Kleinknecht, Gerechtfertigte, 181, A.15; Bayer, Predictions, 207; Weihs, Deutung, 246, A.55; 339; 387. Mc Arthur, Third Day, 83-85 verweist auf EstR 9,2 zu Est 5,1; BerR 56,1 zu Gen 22,4; 91,7 zu Gen 42,18; Mteh zu Ps 22,5; y zu Jos 2,16. Der letzte Beleg, der den Rat der Rahab an die Kundschafter zitiert, sich „drei Tage lang“ zu verbergen, zeigt insbesondere, dass die verschiedenen Zeitangaben, die in irgendeiner Form von „drei Tagen“ sprechen, für die Rabbinen als gleichwertig gelten (vgl. ebd., 85; Lehmann, Auferweckt, 165 f.). Ornelas, Caminho, 278 (Übersetzung von mir); ähnlich Horstmann, Studien, 29; Gnilka, Markus 2, 16; Weihs, Deutung, 246; 339.

Motivgeschichtliche Analyse

167

Wie die Übersetzung der Septuaginta und die Behandlung der Zeitangabe bei den Rabbinen zeigt, spielen die Unterschiede in der Wortwahl keine große Rolle bezüglich der Bedeutung.51 Allenfalls können sie hilfreich sein, um verschiedene neutestamentliche Traditionsstränge voneinander zu unterscheiden und deren gegenseitige Beeinflussung nachzuzeichnen. In den Ankündigungen von Leiden und Auferstehung dürften beide Seitenreferenten die chronologische Angabe der Markus-Vorlage wie schon die Vokabel für „auferstehen“52 unabhängig voneinander geändert haben. Die Ähnlichkeit der Zeitangabe VJ^ VTKVJ^ JBOGTC^ mit VJ^ JBOGT^C^ VJ^ VTKVJ^ (1 Kor 15,4b) und die Angabe in Lk 18,33, die exakt mit 1 Kor 15,4b übereinstimmt, spricht für den Einfluss vorpaulinischer Bekenntnisformeln.53 Dass die markinische Formu-lierung OGVC VTGKLJBOGTCL in Mt 27,63 erscheint, ist ein zusätzliches Indiz dafür, dass die ursprüngliche Zeitangabe so gelautet hat. Nach 1 Kor 15,4 erstand Jesus „gemäß den Schriften“ (MCVC VCL ITCHCL). Diese Formulierung spielt nicht unbedingt auf einen einzelnen oder mehrere konkrete Verse an; die Bekenntnisformel kann als Grundlage des Glaubens vielmehr die gesamten alt- und zwischentestamentlichen Schriften mit der Motivik der Errettung „am dritten Tage“ einbeziehen.54 Zum anderen bietet sich eine Deutung im Sinne der obigen Ausführungen zu dem Ausdruck IGITCRVCK bei Mk 9,12 f.; 14,21 an. Die Auferstehung Jesu „gemäß den Schriften“ ist dann, genau so wie sein unabänderlicher Tod, Teil des nach frühjüdischer Vorstellung „in den Büchern verzeichneten“ (Dan 12,1; vgl. 7,10; äth Hen 89,68) göttlichen Weltenplanes.55 Der Gleichklang mit der Zeitangabe, die ansonsten ausschließlich im Zusammenhang der Auferstehung Verwendung findet, legt nahe, selbige auch im Tempelwort auf die Auferstehung zu beziehen.56 Die in dem Wort angekündigte Erneuerung des Tempels gehört in den Rahmen frühjüdischer Endzeiterwartung.57

51 52 53 54 55 56 57

So auch Taylor, Mark, 378; Gnilka, Markus 2, 16; Beutler, Weg, 18; Weihs, Deutung, 246, A.54. Vgl. Mt 16,21; 17,23; 20,19; Lk 9,22. Vgl. Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen, 24. So Lehmann, Auferweckt, 181. Vgl. S.68-70. Vgl. Paesler, Tempelwort, 176; Strecker, Passionsgeschichte, 237. Vgl. Paesler, Tempelwort, 154-157; 161-163.

Motivgeschichtliche Analyse

168

8.4

Fazit

Das Neue Testament kennt zwei Vokabeln für „auferstehen“: CXPKUVJOK und GXIGKTY. Beide werden bereits im Profangriechischen sowie in den Septuaginta und den griechisch abgefassten zwischentestamentlichen Texten synonym verwendet. Sie haben dort eine weit gefächerte Palette von Bedeutungen, die sich zum Teil auch im Neuen Testament wiederfinden. Aus der Bedeutung „vom Schlaf aufstehen“ entwickelt sich die metaphorische Bedeutung „vom Tod auf(er)stehen“, vermutlich begünstigt durch den metaphorischen Gebrauch von „Schlafen“ in Bezug auf den Tod („entschlafen“). Ist die Auferstehung Toter zunächst keine gängige Vorstellung, wird sie seit dem 2. Jh. v. Chr. in weiten Kreisen des Judentums zu einem unverzichtbaren Glaubensgrundsatz. Man erwartet die Auferstehung aller Verstorbenen am Beginn des neuen Äons. In der griechischen wie in der alt- und zwischentestamentlichen Literatur ist CXPKUVJOK weitaus gebräuchlicher als GXIGKTGKP, das zwecks sprachlicher Variation oft alternativ zu CXPKUVJOK verwendet wird. Dieses Verhältnis kehrt sich im Neuen Testament zugunsten von GXIGKTGKP um, bedingt durch den bevorzugten Gebrauch dieser Vokabel in der urchristlichen Formeltradition und in den Ostererzählungen. Andere Traditionsstränge, darunter die Ankündigungen von Leiden und Auferstehung und damit in Zusammenhang stehende Texte, bevorzugen CXPKUVJOK. Der häufige Gebrauch beider Verben in Heilungserzählungen und Totenerweckungen verweist im Kontext der Evangelien auf die Auferstehung Jesu und seine lebensspendende Macht. Im Zusammenhang mit der Auferstehung Jesu erscheint in den Ankündigungen von Leiden und Auferstehung wie in anderen neutestamentlichen Traditionen die Zeitangabe „nach drei Tagen“. Die entsprechende Formulierung wird im Hebräischen zunächst als unbestimmte Zeitangabe etwa im Sinne von „eine Zeitlang“ gebraucht. Durch ihre Verwendung in den alttestamentlichen Schriften entwickelt sie sich zu einem geprägten Motiv der Errettung Israels aus der Bedrängnis. Entsprechend sind die „drei Tage“ auch in den neutestamentlichen Traditionen nicht als temporale, sondern als theologische Aussage zu verstehen: In Jesu Auferstehung geschieht Gottes rettendes Handeln; hier erweist sich Gott als derjenige, der sein Volk nicht im Stich lässt. Wie andere in den Leidensankündigungen gebrauchte Vokabeln gehört auch CXPKUVJOK in den Vorstellungszusammenhang vom „leidenden Gerechten“. Nicht nur findet das Verb in entsprechenden frühjüdischen Traditionen Verwendung (vgl. Job 19,25 LXX A S2; 42,17; Dan 12,2.13; 2 Makk 7,9.14; Ps Sal 3,12; Test Ben 10,6-8; Test Jud 25,4); vielmehr entwickelte die Erwartung einer Auferstehung der Toten sich überhaupt erst in diesem Zusammenhang. Die Vorstellung, nach drei Tagen die Rettung des Gottesvolkes oder einzelner Frommer zu erwarten, weist ebenfalls eine Affinität zu diesem Motiv auf. Wie die Verheißung

Motivgeschichtliche Analyse

169

zukünftigen Lebens eine Art posthume Legitimation der „leidenden Gerechten“ durch Gott bedeutet, so sehen frühe christlichen Gemeinden in der Auferweckung Jesu eine Bestätigung seines Lebens. Jesu Auferstehung wird so zum Aufruf und zur Ermutigung, ihm nachzufolgen und darin das neue Leben bereits Wirklichkeit werden zu lassen, das an Ostern begann.

9.

Zwischenergebnis: Motivgeschichtlicher Hintergrund der Ankündigungen von Leiden und Auferstehung

Wie die Untersuchung der einzelnen Wortbausteine ergibt, fließen in den Ankündigungen von Leiden und Auferstehung verschiedene alttestamentliche Traditionen zur Bewältigung ungerechtfertigten Leidens zusammen. Dabei hebt sich insbesondere der Vorstellungszusammenhang vom Leiden des Gerechten heraus, auf den uns die Formulierung „Viel leiden“ stieß. Der 118. Psalm, auf den die „Verwerfung“ anspielt, bewegt sich ebenfalls in dieser Vorstellungswelt. Die Mk 9,12; Apg 4,11 alternativ zu CXRQFQMKOC\Y verwendete Vokabel GXZQWFGPGY begegnet auch andernorts in diesem Zusammenhang (Ps 22,7; Jes 53,3). Über den profangriechischen Sprachgebrauch kommt zudem die Thematik des gesellschaftlichen Kampfes um Ehre ins Spiel. Die Urheberangabe, die die herrschende Klasse des damaligen Judentums für die Ablehnung Jesu verantwortlich macht, passt ebenso in diesen Kontext wie in das Bild vom Eckstein (Ps 118,22). Die Ankündigung der Auslieferung, die in Mk 9,31; 10,33 an die Stelle dieser beiden Verben tritt, knüpft neben der Passionsgeschichte, wo RCTCFKFYOK in Übereinstimmung mit profangriechischer Gerichtsterminologie gebraucht ist, an alt- und zwischentestamentliche Formulierungen von der „Auslieferung“ der Gerechten an. CXRQMVGKPY „töten“ gehört zu den einschlägigen Geschickverben vom Leiden des Gerechten. Daneben ist das Verb im Alten Testament auch charakteristisch für den Topos vom gewaltsamen Geschick der Propheten. In vielen neutestamentlichen Traditionen ist eine Vermischung und Überlappung beider Vorstellungen zu beobachten. So erscheint im Anhang des Winzergleichnisses, das den Tod Jesu als Schicksal eines abgelehnten Propheten deutet, das Psalmzitat vom verworfenen Stein (Mk 12,11 vgl. Ps 118,22). In den Topos vom Leiden des Gerechten gehört auch das Verb CXPKUVJOK „auferstehen“ und die Vorstellung von der Auferstehung der Gerechten insgesamt, die sich erst im Kontext dieses Motivs entwickelt hat. Neben dem Vokabular, das sich zu einem großen Teil diesem Vorstellungsbereich zuordnen lässt, spricht die thematische Gesamtkonfiguration dafür, die Ankündigungen von Leiden und Auferstehung als Aussagen vom Leiden des Gerechten zu betrachten. Wie die Vorstellungstradition vom leidenden Gerechten sehen die Ankündigungen Mühen und Lohn, Erniedrigung und Erhöhung, Leid und Errettung in eins. Nach dem Dunkel des Todes erwartet den Gerechten neues Leben in Herrlichkeit. Wir haben es mit einer sehr alten Deutung des Todes Jesu zu tun, die Markus bereits aus einer älteren Tradition übernommen hat. „Die Deutung Jesu

172

Motivgeschichtliche Analyse

als leidender Gerechter [...] kommt dem Selbstbewusstsein des historischen Jesus sehr nahe.“1 Der Evangelist macht sich diese Deutung zu eigen. Das zeigt die Ausgestaltung der zweiten und dritten Ankündigung mit dem Gedanken der „Auslieferung“ und der von ihm hinzugefügte Hinweis auf die jüdischen Autoritäten, die sich beide in den vorgegebenen Kontext einfügen.2 Den Topoi vom leidenden Gerechten und vom gewaltsamen Geschick der Propheten liegt das deuteronomistische Geschichtsverständnis zugrunde, das die Geschichte Israels als eine Abfolge permanenten Glaubensabfalls und daraus resultierender göttlicher Strafen, d. h., als Leidensgeschichte begreift. Beide Vorstellungen erhielten in der hellenistischen Religionsverfolgung unter Antiochus IV. Epiphanes besondere Aktualität. Die Bewältigung unverdienten Leidens stellte seit dieser Zeit eine große theologische Herausforderung dar. In diesem Zusammenhang bildeten sich auch andere apokalyptische Vorstellungen wie die eines vorherbestimmten Ablaufs der Weltgeschichte, an dessen Ende die Rettung und Rehabilitation der Gottesfürchtigen steht, und die Erwartung der ewigen Herrschaft des „Menschensohnes“ heraus. Das Hauptverb der ersten Ankündigung FGK und der Titel „Menschensohn“ stammen somit aus derselben apokalyptischen Vorstellungswelt wie der Gedanke vom Leiden des Gerechten und vom gewaltsamen Geschick der Propheten. Die Gegenwart der Markus-Gemeinde bietet reichlich Anknüpfungspunkte für apokalyptisches Gedankengut, erinnert sie doch in manchem an die Zeit der Religionsverfolgung: die Fremdherrschaft, „die Faszination eines Großreiches, [...] die Vergöttlichung der Herrschenden“, die Unterdrückung der jüdischen Religion und Identität bis hin zur Tempelzerstörung um 70 und der kompletten Auslöschung der jüdischen Eigenstaatlichkeit um 135. „Die Sehnsucht nach dem Eingreifen Gottes, der Aufruf zur Standhaftigkeit, [...] die Hoffnung gegen alle Hoffnung“ verbindet die Gemeinde mit den Menschen des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts.3 „Überhaupt waren die frühchristliche Theologie und Literatur – und wohl auch Jesus selbst – viel stärker von apokalyptischem Gedankengut und von der apokalyptischen ‚Stimmung’ geprägt, als wir meinen oder wahrhaben wollen.“4 Im zweiten Teil unserer Untersuchung wollen wir der Frage nachgehen, was der vom Evangelisten gestaltete Kontext zum Verständnis der Ankündigungen von Leiden und Auferstehung und zu einer markinischen Deutung des Todes 1 2

3 4

Dormeyer, Sinn, 31 mit Verweis auf Ruppert, SBS, 60 ff. Gegen Weihs, der FGK und RCTCFKFYOK gegenüber der vormarkinischen GerechtenThematik als „todesdeutende Hauptmotive“ heraushebt (Deutung, 207; vgl. 495 f.). RCTCFKFYOK fügt sich jedoch, wie wir zeigen konnten, ebenfalls in den Rahmen dieser Vorstellung, währendFGK in dieselbe apokalyptische Vorstellungswelt gehört. Venetz, Markusevangelium, 178. Venetz, Markusevangelium, 172.

Motivgeschichtliche Analyse

173

Jesu beiträgt. Dabei folgen wir weitgehend der oben erläuterten Struktur des Mittelteils.5 Wir behandeln zunächst die Jüngerbelehrung vom Kreuztragen mit dem Komplex aus Verklärungs- und Heilungserzählung, bevor wir uns den zwei Jüngerbelehrungen vom Dienen mit den durch sie gerahmten Streit- und Lehrgesprächen zuwenden. Beide Abschnitte vertiefen wir jeweils durch einen aktuellen Beitrag, einen zu Leben und Theologie des Märtyrerbischofs Oscar Romero, den anderen zur Philosophie Emmanuel Lévinas’. Abschließend werfen wir einen Blick auf die beiden Blindenheilungen, die den Rahmen des Mittelteils bilden.

5 Vgl. S.45 f.

Teil II: Die drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung in ihrem Kontext 1.

Messiasbekenntnis und Satanswort (Mk 8,27-33)

Im Gegensatz zur zweiten und dritten Ankündigung, deren kurze Rahmung (9,30.31a.32) bzw. Einleitung (10,32) ganz von dem redaktionellen Motiv der Jüngerbelehrung geprägt ist, verfügt die erste Ankündigung über einen ausführlichen, zum großen Teil traditionellen Rahmen. Bevor wir uns die weiteren Belehrungen und Erzählungen ansehen, werfen wir daher zunächst einen Blick auf den unmittelbaren Kontext der ersten Ankündigung.

1.1

Aufbau und Herkunft

Die Perikope besteht aus drei kurzen Abschnitten (Mk 8,27-30; 8,31-32a; 8,32b33).1 Die äußeren Teile bilden gewissermaßen den Prolog bzw. Epilog der Leidensankündigung, auf der das Hauptgewicht liegt. Der ähnliche Aufbau der johanneischen Parallele (Joh 6,62.68-71) lässt vermuten, dass der Redaktor die Grundstruktur aus Messiasbekenntnis des Petrus, Leidensankündigung und Satanswort bereits vorgefunden hat.2 Markus hat dem Messiasbekenntnis eine redaktionell gebildete Dublette zu den bereits in 6,14-16 berichteten Volksmeinungen über die Identität Jesu (vgl. V.28) vorgeschaltet, auf deren Hintergrund sich das folgende Christusbekenntnis wirkungsvoll abhebt.3 Bei näherem Hinsehen lässt sich ein konzentrischer Aufbau der Perikope ausmachen, in dem 1

2 3

Vgl. Ornelas, Caminho, 149, der V.30 jedoch zum zweiten Abschnitt zieht. Beutler, Weg, 12 kommt aufgrund des Wechsels vom Christustitel zu „Menschensohn“ in V.31 zu einer zweiteiligen Gliederung; ebenso Kertelge, Markusevangelium, 83 sowie in der Folge Weihs, Deutung, 370, A.524. Vgl. S.50. Die redundante Redeeinleitung mit einem finiten Verb des Sagens und einem ebensolchen Partizip (GXRJTYVCNGIYP V.27b; GKRCPNGIQPVGL V.28a; CXRQMTKSGKLNGIGK V.29b) ist typisch für den markinischen Redaktor. Taylor, Mark, 376 verweist dazu auf die

Kontextanalyse

176

a) der Bericht der Jünger über die Meinungen der Menschen zur Identität Jesu in VV.27 f. und der Vorwurf des „menschlichen Denkens“ an Petrus bzw. an die Gesamtheit der Jünger (vgl. Jesu Blick in die Runde) in V.33, b) das Bekenntnis des Petrus zu Jesus (V.29) und sein Widerspruch zu dessen Ankündigung seines Leidens (V.32b) sowie c) das Schweigegebot (V.30) und die „offene Rede“ (V.32a) Jesu an die Jünger einander gegenüberstehen. Im Zentrum der Komposition steht die Ankündigung von Leiden und Auferstehung in V.31.4

1.2

Auslegung

1.2.1

Prolog: Das Messiasbekenntnis des Petrus (Mk 8,27-30)

Der Einleitungsvers 27 markiert einen Neueinsatz innerhalb der Großkomposition des Evangeliums. Jesus, dessen Name seit der Rückkehr der Jünger in Mk 6,30 nicht mehr gefallen ist, verlässt Galiläa, den Schauplatz des ersten Hauptteils, und begibt sich vorübergehend in die nordöstlich angrenzende Tetrarchie des Philippus. Als wichtigste Gesprächspartner des Mittelteils sind die Jünger im ersten Vers gleich zweimal genannt. Auch das Thema des Auf-dem-WegeSeins, das den gesamten Evangelienabschnitt durchzieht, klingt hier bereits an. Im Unterschied zu Mk 6,14-16 ist es an dieser Stelle nicht mehr der Erzähler, der das Rätselraten über die Identität Jesu wiedergibt. Vielmehr befragt Jesus selbst die Jünger zunächst über die Meinung der Leute (V.27b), um sie anschließend nach ihrer eigenen Meinung zu fragen (V.29a). In der zweiten Frage ist das ohnehin betonte Personalpronomen WBOGKL durch die Stellung am Satzanfang und die nachgestellte Partikel FG zusätzlich hervorgehoben: „Ihr aber“. So wird nochmals deutlich, dass es in den folgenden Kapiteln um die Jünger und um ihr Verständnis von Jesus gehen wird, um ein tieferes Verstehen seiner Person und seiner Sendung, das sich letztlich nur auf dem Wege (vgl. V.27) der Nachfolge erreichen lässt. Die parallele Formulierung der beiden Fragen in V.27b und 29a bindet den Abschnitt zusammen.

4

gängige hebräische Formulierung mit einem finiten Verb des Sagens und dem Partizip UPRDOH. Nach Beutler, Weg, 14 hat der Redaktor hier dieselbe ältere Überlieferung zweimal verwendet. Gnilka, Markus 2, 11 hält den Abschnitt aufgrund des „semitierenden Stils“ und der bei dem Evangelisten sonst nicht bekannten Ortsangabe dagegen für eine vormarkinische Doppelüberlieferung zu Mk 6,14-16. Vgl. Ornelas, Caminho, 149-151.

Kontextanalyse

177

Auf die zweite Frage „Wer sagt ihr, dass ich sei?“ antwortet Petrus als Sprecher der Jünger5 mit dem Bekenntnis Jesu als „Christus“ (V.29b). Im Gegensatz zu den vorhergehenden Fragen und Antwortversuchen steht die Antwort in der direkten Rede. &TKUVQL „der Gesalbte“ übersetzt das hebräische [\YP, zu Deutsch Messias, das im Judentum den für die Heilszeit erwarteten davidischen König bezeichnet (vgl. Mk 12,35; 13,21; Ps 2,2). Der Titel erscheint hier zum ersten Mal nach der Überschrift Mk 1,1, die jedoch nicht zum eigentlichen Erzählgeschehen gehört.6 Jesus korrigiert den ersten Jünger nicht. Statt einer Bestätigung oder eines Lobes, das für sein zweifellos auch im Sinne des Redaktors korrektes Bekenntnis zu erwarten wäre,7 reagiert Jesus jedoch mit einer strikten Anweisung an die Jünger, „mit niemandem über ihn zu sprechen“ (V.30). Dieses Verbot fügt sich in die Reihe der bereits zuvor an Dämonen und Zeugen der Heilungswunder ergangenen Schweigegebote (Mk 1,25.34.44; 3,12; 5,43; 7,36; 8,26). Ebenso wie diese ist es dem Redaktor zuzuschreiben,8 der anzeigen möchte, dass das Bekenntnis Jesu als „Christus“, so stimmig es für sich genommen sein mag, allein nicht ausreicht.

1.2.2

Die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung (Mk 8,31.32a)

Die notwendige Ergänzung findet sich in der anschließenden Ankündigung des Leidens Jesu: „Der Menschensohn muss viel leiden...“ (V.31) Zu Jesus als Messias gehört demnach nicht nur die geradezu göttliche (Voll-)Macht, die zuvor in den Heilungen und Dämonenaustreibungen, den Brotvermehrungen und den epiphanieartigen Erzählungen vom Seewandel und von der Stillung des Seesturms deutlich geworden ist. Vielmehr gibt es diese „Herr-lichkeit“ unter den Bedingungen des Erdenlebens nicht ohne das Leiden und die Erniedrigung. Anders gesagt: Gottes Macht ist nicht von der Art, dass sie sich aufdrängen und gewaltsam durchsetzen würde. Wer der Art Gottes und seines Reiches treu bleiben will, den führt dies zwangsläufig in Konflikte, in denen er unterliegen muss 5

6 7

8

Dass Petrus stellvertretend für die ganze Gruppe der Jünger steht, ergibt sich im Textzusammenhang daraus, dass sich die Fragen in VV.27b.29a und das Schweigegebot in V.30 jeweils an alle richten, ebenso wie Jesus vor der abschließenden Ermahnung an Petrus (V.33) auch alle anderen Jünger ansieht. Zu Petrus als „Paradigma des bekennenden und verleugnenden Jüngers“ vgl. auch Beutler, Weg, 15 (Zitat); 17 mit Verweis auf Mk 14,66-72. Im weiteren Verlauf der Erzählung erscheint der Titel häufiger: so Mk 9,41; 12,35; 13,21; 14,61; 15,32. Gnilka, Markus 2, 15 verweist auf die „bekenntnismäßige Formulierung“ mit UW GK; Weihs, Deutung, 371 auf die Einleitung als „Antwort“ im Gegensatz zur Wiedergabe der Volksmeinungen in V.28. In Mk 14,61 f. wird der Christustitel gegenüber dem Hohenpriester von Jesus selbst bestätigt (vgl. Weihs, ebd., 372, A.538). Vgl. Strecker, Leidens- und Auferstehungsvoraussagen,18, A.7. Gnilka, Markus 2, 12 verweist insbesondere auf die ähnliche Formulierung von Mk 3,12.

178

Kontextanalyse

– eine Wahrheit, die bereits die Propheten und Gerechten schmerzlich erkennen und erleiden mussten. An diesem Punkt ist die Klimax der Evangeliumserzählung erreicht. Nach dem aufsteigenden Bogen im ersten Teil, den Wundern und Heilungserfolgen und der zunehmenden Bekanntheit Jesu, bildet der zweite Teil des Evangeliums einen Wendepunkt. Von hier aus fällt der Erzählbogen kontinuierlich ab. Der Stern Jesu sinkt, die jüdischen Behörden gewinnen die Oberhand in dem Konflikt, der in der Katastrophe, dem Tod am Kreuz, endet. Durch die Rahmung hebt der Evangelist die Ankündigung von Leiden und Auferstehung als Zentrum der Perikope hervor. Die Lehre (FKFCUMGKP V.31a) gehört bereits im ersten Hauptteil zu den wichtigsten Tätigkeiten Jesu.9 CWXVQWL verweist auf die Jünger als Adressaten (vgl. V.27); der Redaktor kennzeichnet die Ankündigung also nochmals eigens als Jüngerbelehrung. JTZCVQ „er begann“ mit Infinitiv ist eine typisch markinische Formulierung. Sie ist hier besonders geeignet, wo Jesus zum ersten Mal ausdrücklich von seinem Leiden und Todesschicksal spricht.10 Die „freie Rede“ Jesu (RCTTJUKC V.32a) über das bevorstehende Leiden steht in wirkungsvollem Kontrast zu dem soeben an die Jünger ergangenen Schweigegebot (V.30). Offenbar dürfen sie Jesu Messianität erst verkündigen, nachdem sie Zeugen seines Leidens und seiner Auferstehung geworden sind (vgl. Mk 9,9). Die Vokabel RCTTJUKC, die an dieser Stelle das einzige Mal im Markusevangelium erscheint, ist aus der Apostelgeschichte und der paulinischen Briefliteratur als Terminus technicus der Apostelverkündigung bekannt (vgl. Apg 4,13.29.31; 28,31; Eph 6,19; Phil 1,20; RCTTJUKC\GUSCK Apg 9,27.28; 13,46; 14,3; 18,26; 19,8; Eph 6,20). Im theologischen Konzept des Johannesevangeliums bezeichnet sie einerseits die öffentliche Rede im Gegensatz zur Rede im privaten Raum (Joh 7,4.13.26; 11,54; 18,20) und andererseits die klare, unverhüllte Rede im Gegensatz zur Gleichnisverkündigung (Joh 16,25.29; vgl. 11,14). RCTTJUKC meint demnach eine „Offenheit in der Rede, die nichts verschweigt oder verhüllt“ und zugleich die Unerschrockenheit, den Mut und Freimut speziell der öffentlichen Rede.11 9

10

11

Von 10 Belegen im ersten Teil (Mk 1,21.22; 2,13; 4,1.2; 6,2.6.30.34; 7,7) beziehen sich acht auf Jesus. In der Aussendung (Mk 6,30) wird die Lehre in der Nachfolge Jesu zur Tätigkeit der Jünger. Mk 7,7 erscheint das Verb in einem Zitat aus Jes 29,13, das auf die „menschliche Überlieferung“ (V.8) der Schriftgelehrten und Pharisäer bezogen ist. Vgl. darüber hinaus die häufige Bezeichnung Jesu alsFKFCUMCNQL (Mk 4,38; 5,35; 9,17.38; 10,17.20.35; 12,14.19.32; 13,1; 14,14) und seiner Verkündigung als FKFCEJ (Mk 1,22.27; 4,2; 11,18; 12,38). Mit FKFCUMGKP wie hier steht das Verb bereits in Mk 4,1; 6,2.34; vgl. außerdem Mk 1,45; 2,23; 5,17.20; 6,7.55; 8,11.32; 10,28.32.41.47; 11,15; 12,1; 13,5; 14,19.33.65.69.71; 15,8.18. Zuvor hatte Jesus in Mk 2,20 am Ende des Streitgesprächs über das Fasten bereits „in bildhafter Rede“ auf seinen Tod angespielt: „Es werden aber Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein“ (vgl. Gnilka, Markus 2, 13). Zitat: Gnilka, Markus 2, 16; vgl. die Angaben bei Preuschen sowie die ausführliche Untersuchung zur Wortbedeutung im Neuen Testament bei Ornelas, Caminho, 283-285.

Kontextanalyse

1.2.3

179

Epilog: Der Petrustadel (Mk 8,32b.33)

Die Nachgeschichte hebt nochmals die Ungeheuerlichkeit und Wichtigkeit der Leidensankündigung hervor. Dass die Jünger – und mit ihnen die Gemeinde – noch viel lernen müssen, dass sie noch einen weiten Weg zu gehen haben bis zum wirklichen Verstehen Jesu und seiner Sendung, zeigt die Reaktion des Petrus. Dieser tritt in V.32b wiederum als Sprecher in Erscheinung, er antwortet sozusagen im Namen der Jünger auf die Ankündigung. Schon seine Gestik – man könnte übersetzen, er „nimmt“ oder „knöpft“ sich Jesus „vor“ (RTQUNCODCPQOCK) – , impliziert eine Überlegenheit, wie sie Petrus gegenüber seinem Lehrer nicht zukommt (vgl. Apg 18,26).12 Anschließend beginnt er Jesus „anzuherrschen“.13  GXRKVKOCP, wörtlich „seinen Einfluss (VKOJ) geltend machen“, „Respekt“ oder „Furcht einflös-sen“, begegnete bereits V.30 im Zusammenhang des Schweigegebotes und steht nochmals V.33 in der Zurechtweisung des Petrus. Wie RCTCNCODCPQOCK bezeichnet es eine Handlung, die nur Jesus, nicht jedoch den Jüngern oder Außenstehenden, zukommt.14 So „gebietet“ Jesus den Dämonen (Mk 1,25; 3,12; 9,25) und „droht“ dem Wind (Mk 4,39). Wo das Verb in Bezug auf andere Personen gebraucht wird, ist es wie an unserer Stelle Ausdruck eines Unverständnisses: die Jünger weisen Frauen mit Kindern ab (Mk 10,13); die Umstehenden befehlen dem blinden Bartimäus zu schweigen (Mk 10,48). Die dreimalige Wiederholung der Vokabel verbindet die äußeren Teilabschnitte – Prolog und Epilog – der Perikope. Dasselbe Wort drückt sowohl das Schweigegebot nach dem Christusbekenntnis als auch den Widerspruch des Petrus auf die Leidensankündigung und die abschließende Ermahnung Jesu aus. Daran wird deutlich, dass es nicht nur um einen Konflikt bezüglich des richtigen Verständnisses von Jesu Person und seiner Sendung geht. Vielmehr handelt es sich auch um einen Autoritätskonflikt, nämlich um die vorbehaltlose Anerkennung der Verkündigung und des Weges Jesu, einschließlich seines Leidens. Mit V.33 behält Jesus in dem Konflikt das letzte Wort. Die redaktionelle Einleitung (V.33a), in der Jesus sich zu den übrigen Jüngern umdreht und sie ansieht, markiert den Vers als Be-lehrung nicht nur für Petrus, sondern für alle Jünger.15 Der Vers 33a ist mit 32b kunstvoll verschränkt und kontrastiert: Dem 12 13

14 15

Vgl. Taylor, Mark, 379. Die Formulierung mit CTEQOCK und Infinitiv knüpft an die Einleitung der Leidensankündigung (V.31a) an. Sie dürfte hier ebenfalls redaktionell sein. Zur Übersetzung von GXRKVKOCY vgl. Stier („anherrschen“); Gnilka, Markus 2, 79 („anfahren“); Preuschen („schelten“, „anfahren“). Vgl. auch S.240. Das Partizip GXRKUVTCHGKL begegnet in einer ähnlichen Situation Mk 5,30, wo sich Jesus nach der Heilung der blutflüssigen Frau zum Volk umdreht und fragt, wer sein Gewand berührt habe. Darüber hinaus erscheint eine finite Form von GXRKUVTGHY Mk 4,12; 13,16

180

Kontextanalyse

„Beiseite-Nehmen“ des Petrus in V.32b entspricht das „Umdrehen“ Jesu in V.33a; GXRKVKOCY wird in 32b von Petrus in Bezug auf Jesus, in 33a von Jesus in Bezug auf Petrus ausgesagt.16 Im Gegensatz zum Tadel des Petrus an Jesus ist die Petrusschelte Jesu ausführlich wiedergegeben. Die Anrede „Satan“ an den ersten Jünger, der kurz zuvor noch ein außergewöhnliches Bekenntnis zu Jesus abgelegt hatte, wirkt überraschend scharf. Im vorliegenden Kontext dient der Tadel dazu, die Bedeutung der Leidensankündigung und das Gefährliche an der Reaktion des Petrus, der dem Leiden aus dem Weg gehen will, hervorzuheben. Die Formulierung W=RCIGQXRKUYOQW, die an die Versuchungsgeschichte der Logienquelle erinnert (Mt 4,10 W=RCIGUCVCPC), qualifiziert diese Haltung einerseits als Versuchung.17 Zum anderen erscheint die Wendung QXRKUYOQW auch in der Szene der Jüngerberufung (Mk 1,16.20; vgl. 8,34). Das legt nahe, den Zuruf Jesu zugleich als erneuten Ruf bzw. als ein Zurückrufen des Petrus in die Nachfolge zu verstehen, die der einzige Weg ist, die Realität des Leidens zu begreifen und anzunehmen. Statt wie in der Versuchungsgeschichte mit „Geh weg!“ ist hier daher besser mit „Hinter mich“ oder „Hinter mir her, Satan!“ zu übersetzen.18 Dem traditionellen Satanswort schickt der Redaktor eine Erläuterung nach, die einem bei ihm beliebten Schema folgt: „Denn du denkst nicht das Gottes, sondern das der Menschen.“19 In dem Vorwurf der „menschlichen“ Gesinnung nimmt der V.33 die Frage nach den Meinungen der „Menschen“ aus dem ersten Vers (27) wieder auf. Das Thema der „menschlichen“ und „göttlichen“ Gesinnung bildet so eine Klammer um die Perikope. Darüber hinaus bekräftigt der letzte Vers zugleich das Unverständnis der Jünger: So wenig die Meinungen der Menschen an die Person Jesu heranreichen, so wenig vermögen auch sie den Leidensweg Jesu – und damit letztlich die Wege Gottes – zu erfassen und anzu-

16 17 18

19

jeweils in traditionellen Stoffen. Konstruktionen mit dem Partizip Aorist von QBTCY „sehen“ sind in der erzählenden Literatur des Neuen Testaments allgemein beliebt und begegnen auch bei Markus sehr zahlreich; vgl. 2,5; 5,6.22; 6,48.49; 7,2; 9,15.20.25; 10,14; 11,13; 12,28.34; 14,67.69; 15,39. Allerdings steht das Partizip hier eher in der Bedeutung „[zufällig] sehen“, nicht „ansehen“ wie Mk 8,33. Vgl. Ornelas, Caminho, 148 f. Vgl. Taylor, Mark, 379 f.; Weihs, Deutung, 405; Ornelas, Caminho, 290 f. Die grammatikalische Konstruktion ist ungewöhnlich, denn nach Verben der Trennung wie WBRCIGKP wird normalerweise mit GKXL VC QXRKUY konstruiert; vgl. Mk 13,16 (GXRKUVTGHY); Joh 20,14 (UVTGHY). QXRKUY c. gen. steht bei Verben der Nähe wie etwa „nachfolgen“; vgl. Mk 8,34 CXMQNQWSGKP; Mk 1,7 GTEQOCK; 1,17 FGWVG sowie Ornelas, Caminho, 289 f. Vergleichbar mit unserer Stelle ist Mk 1,20, wo CXRGTEQOCK „weggehen“ mit QXRKUY c. gen. steht. Vgl. 7,7.8; 10,27; 11,30. Die Gegenüberstellung von Gottes- und Menschengedanken begegnet bereits im Alten Testament; vgl. Ornelas, Caminho, 293 mit Verweis auf Jes 55,8 f. u. a. Die Petrusschelte ist „alte Tradition“, da der erste der Jünger sonst kaum mit dem Satanstitel belegt würde; vgl. Gnilka, Markus 2, 13.

Kontextanalyse

181

nehmen. Dabei ist „das Gottes“ (VC VQW SGQW) nicht vorschnell mit einem „Willen Gottes“ gleichzusetzen,20 als ob Gott das Leiden und den Tod Jesu „gewollt“ hätte. Vielmehr ist eine „gottgemäße“ Gesinnung, ein Denken und Streben „nach der Art Gottes“ gemeint, das unter den gegebenen, „menschlichen“ und „irdischen“ Umständen zu Jesu Tod geführt hat.

1.3

Fazit

Der Überlieferungskomplex Mk 8,27-33 erweist sich in der Analyse als Musterbeispiel für die Arbeit des Evangelisten, der traditionelle Stoffe (Christusbekenntnis, Leidensankündigung und Satanswort) aufgreift und sie seinem Gesamtkonzept einfügt. Durch die Anordnung der Stoffe rückt er die Ankündigung, in der Jesus zum ersten Mal im Evangelium offen von seinem Leidensund Todesschicksal spricht (Mk 8,31b), ins Zentrum der Perikope und hebt die Ungeheuerlichkeit, das Skandalon dieses Schicksals hervor. Dem aufmerksamen Leser erschließt der Kontext zugleich, dass das Leiden Jesu, so paradox und unpassend es scheinen mag, im Zusammenhang mit seiner im vorhergehenden Evangelienteil machtvoll erwiesenen Sendung und Beauftragung steht. Wie das Leiden zahlreicher Gerechter vor ihm, auf das die Ankündigung in ihrem traditionellen Kern verweist, ist es letztlich bedingt durch ein Denken und Handeln „nach der Art Gottes“ (V.33b). Der deutlich hervorgehobene Charakter einer Jüngerbelehrung (VV.27.33a) kennzeichnet die Ankündigung als eine Botschaft an die markinische Gemeinde, deren Schwierigkeiten mit dem Schicksal des von ihr bekannten hoheitsvollen „Christus“ (V.29) und insbesondere mit der Leidensnachfolge sich im ebenso deutlich gezeichneten Unverständnis der Jünger (VV.32b.33) widerspiegeln.

20

So die Einheitsübersetzung: „Du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“

2.

Die Belehrung über die Lebenshingabe (Mk 8,34-9,1)

2.1

Stellung im Kontext, Herkunft und Aufbau

An den Komplex aus Messiasbekenntnis, Leidensankündigung und Satanswort schließt eine erste Belehrung über die Nachfolge an. Nach der ersten Ankündigung des Leidens und der Auferstehung Jesu, die mit einem Aufruf in die Nachfolge schloss, verdeutlicht sie die Unausweichlichkeit des Leidens auch für die Jünger, wenn sie mit Jesus zum Leben gelangen wollen. Die Unterweisung besteht aus Einzelsprüchen, die Markus teils selbst zusammengestellt, teils bereits verbunden vorgefunden haben dürfte. Matthäus und Lukas überliefern einige der Logien doppelt, nämlich je einmal parallel zur Markus-Vorlage (vgl. Mt 16,24-28; Lk 9,23-27) und einmal aufgrund einer ähnlichen Überlieferung in der Logienquelle (Mk 8,34 vgl. Lk 14,27 par Mt 10,38; Mk 8,35 vgl. Lk 17,33 par Mt 10,39; Mk 8,38 vgl. Lk 12,8 f. par Mt 10,32 f.). Die Sprüche vom Kreuztragen und vom Retten bzw. Verderben des Lebens (Mk 8,34 f.) scheinen auch in Q gemeinsam überliefert zu sein, denn sie folgen auch in der Matthäus-Fassung aufeinander (10,38 f.). Darüber hinaus dürfte Markus auch das Logion von der Ankunft des Menschensohnes (Mk 8,38) bereits im Zusammenhang mit 34 f. vorgefunden haben, das in der Q-Fassung bei Matthäus im selben Kontext steht (vgl. Mt 10,32 f.).1 Neben den Parallelen in der Logienquelle findet sich eine weitere Parallelüberlieferung bei Joh 12,25 f. Dort sind – entsprechend zu Mk 8,34 f., jedoch in umgekehrter Reihenfolge – der Spruch über das Bewahren und Verderben des Lebens und eine Aufforderung zur Nachfolge („Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach“ V.26) überliefert. Die Verse 36 f. sind nur bei Markus überliefert und dürften vom Verfasser hier eingeschoben worden sein.2 Der Redaktor komponiert eine Einheit mit stringentem Aufbau. Voraus steht eine Redeeinleitung, die vermutlich auf sein Konto geht (V.34a).3 Den Ausgangspunkt der Argumentation bildet sodann die Aufforderung zur Kreuzes1

2 3

Vgl. Fridrichsen, Cross, 38. Wie die Parallelüberlieferung Apk 3,5 zeigt, handelt es sich ursprünglich um ein Einzellogion (so auch Kümmel, Verhalten, 213), das Markus aber vermutlich schon im jetzigen Zusammenhang vorfand. Vgl. Dautzenberg, Leben, 80. Die OCSJVCK erscheinen 30x mit dem Genitivpronomen CWXVQW, davon mindestens 5mal in klar redaktionellem Kontext (2,23; 6,1.45; 3,7.9). QENQL steht 19x mit Artikel, u. a. in dem redaktionellen Motiv des Andrangs der Menge (2,4; 3,9) und in der Einleitung zu Belehrungen (7,14.17; 11,32; 12,12). RTQLMCNGY leitet ebenfalls Belehrungen ein (3,23; 10,42); das Partizip steht7,14 (mit QENQL); 8,1; 12,43 (mit VQWLOCSJVCL) in redaktionellen Einleitungsversen.

184

Kontextanalyse

nachfolge: „Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (V.34b). Es folgen vier mit ICT angeschlossene Begründungssätze.4 Eine erste Begründung bildet der paradoxe Doppelspruch vom „Retten“ und „Verderben“ des Lebens in V.35. Zwei „Fragesätze weisheitlichen Charakters“ in VV.36 f. führen den Gedankengang zum Thema „Leben“ weiter.5 Das Stichwort [WEJ, das bereits in V.35 zweimal vorkam, erscheint auch in diesen beiden Versen. In V.38 folgt eine dritte Begründung in Form einer Gerichtsankündigung. Ein positives Gegenstück und zugleich den Abschluss der Belehrung bildet der Ausblick auf die Gottesherrschaft Mk 9,1.6 Im Aufbau der Perikope lässt sich somit das Schema der antiken Rede wiederfinden: Introductio (V.34a) – 1. Propositio (V.34b) – 2. Argumentatio (VV.3538) – 3. Conclusio (9,1).7 Der Abschnitt ist gekennzeichnet durch eine Grundspannung „zwischen der Forderung am Anfang und der Verheißung am Schluss“. Diese drückt sich im Text in durchgehenden semantischen Oppositionen (Tod – Leben; jetzt – dereinst; Mensch – Gott) sowie im Wechsel von positiven und negativen Aussagen aus (Kreuztragen und Selbstverleugnung V.34b – Leben gewinnen V.35a.36a – Leben verlieren V.35b.36b.37; Gerichtsansage V.38 – Verheißung des Gottesreiches 9,1).8

4

5 6 7

8

Die Verknüpfung der VV.35-38 mit ICT ist vermutlich redaktionell; vgl. Gnilka, Markus 2, 22, A.1; gegen Horstmann, die aufgrund der Reihung mit ICT zu dem Ergebnis kommt, dass Markus die VV.34-38 „bereits in dieser Zusammenstellung vorfand“ (Studien, 34). Aus der grammatikalischen Struktur wird deutlich, dass das Wort vom Kreuztragen innerhalb des Abschnitts „das Hauptgewicht trägt“ (Beutler, Weg, 20). Zitat: Gnilka, Markus 2, 23; vgl. auch Dautzenberg, Leben, 69; 75; 79 f. Vgl. Horstmann, Studien, 65; Perrin, Composition, 68; Beutler, Weg, 21. So B. Mack, Rhetoric and the New Testament, Minneapolis 1990, 81; vgl. 42. Die Anwendung des Schemas auf die einzelnen Schritte der Argumentation, wo die beiden antithetischen Vershälften von V.35 verschiedenen Argumentationsschritten zugeordnet und V.38 als „exemplum“ herangezogen wird, wird allerdings dem Text nicht mehr gerecht; vgl. Ornelas, Caminho, 152, A.38. Vgl. Beutler, Weg, 21; Zitat: ebd., 20.

Kontextanalyse

185

2.2

Auslegung

2.2.1

Propositio: Die Aufforderung zur Nachfolge (V.34)

In der Einleitung V.34a wird als neuer Handlungsträger die Volksmenge herbeigerufen, womit sich der Adressatenkreis gegenüber der vorausgegangenen Belehrung an die Jünger erweitert. Neben der Vermutung, dass Markus hier ein ursprünglich an die Volksmenge gerichtetes Logion als Jüngerbelehrung adaptiert,9 kann „das Beieinander von Volksmenge und Jüngerschaft“ auf der inhaltlichen Ebene dahingehend gedeutet werden, „dass die Jünger nach dem Aufbegehren des Petrus vor eine neue Entscheidung gestellt sind.“ Sie werden gewissermaßen wieder zu den „Menschen“ gerechnet (vgl. V.27), die ihre engere Zugehörigkeit zu Jesus in der Nachfolge erst wieder unter Beweis stellen müssen.10 In V.34b schließt die Hauptaussage der Belehrung an. Sie beginnt mit einem Konditionalsatz, der das Thema formuliert: „Wenn jemand mir nachfolgen will“ (GK VKL SGNGK QXRKUY OQW CXMQNQWSGKP). In Anknüpfung an die Leidensankündigung und den Rückruf des Petrus in die Nachfolge (vgl. W=RCIGQXRKUYOQW 8,33) erklärt Jesus die Bedingungen des Jüngerseins. Der Realis zeigt an, wie ernst und wie naheliegend die Entscheidung ist, in die jeder Jünger gestellt ist. Die drei folgenden Imperative entfalten, was die Nachfolge des Gekreuzigten konkret bedeutet. Dabei ist die Aufforderung, „sein Kreuz auf sich zu nehmen“, die in der Mitte der drei Imperative steht, auch unter inhaltlichen und überlieferungsgeschichtlichen Gesichtspunkten zentral. Der dritte Imperativ MCK CXMQNQWSGKVY OQK greift den Konditionalsatz vom Beginn des Verses wieder auf. Das zweite, nachgedoppelte CXMQNQWSGKP ist wohl eher als „abschließende Zusammenfassung“ im semitischen Stil denn als vom ersten bedeutungsverschiedener Aufruf zum Hinterhergehen oder Nachahmen Jesu zu verstehen, so dass zu übersetzen ist: „und so folge er mir nach“.11 Markus hebt damit nochmals das Thema der Nachfolge hervor.12

9 10

11 12

So Horstmann, Studien, 34 f. So Gnilka, Markus 2, 23. Daneben bereitet die doppelte Adresse an Jünger und Volk nach Gnilka zugleich Mk 9,14 vor, wo Jesus die Jünger bei der Rückkehr vom Berg der Verklärung inmitten einer großen Menschenmenge findet (ebd.). Gnilka, Markus 2, 24; vgl. Beutler, Weg, 22 sowie Schulz, Nachfolgen, 83 mit Verweis auf Fridrichsen, Verleugnen, der „den Imperativ in einen Finalsatz auflöst.“ Das doppelte CXMQNQWSGKP ist gegenüber der Q-Fassung, die stattdessen vom „Jüngersein“ (Lk 14,27) bzw. von der Zugehörigkeit zu Jesus (Mt 10,38) spricht, als markinisch zu betrachten; vgl. Beutler, Weg, 21 mit Verweis auf den redaktionellen Bezug zu V.33; ebenso Fridrichsen, Cross, 39 f.; Dinkler, Kreuztragen, 111; Schulz, Nachfolgen, 83 f.; Gnilka, Markus 2, 22.

186

Kontextanalyse

Der vorangestellte Imperativ, „sich selbst zu verleugnen“, ist vermutlich sekundär mit dem Wort vom Kreuztragen verbunden worden.13 Er gibt die Grundhaltung an, aus der heraus der Jünger oder die Jüngerin in der Nachfolge Jesu „sein Kreuz aufnehmen“ soll. Im juristischen Sprachgebrauch ist (CXR)CTPGQOCK zunächst das Gegenteil zu QBOQNQIGY „bekennen“: „jemanden verleugnen“; „leugnen, jemanden zu kennen“, und zwar in der Öffentlichkeit oder vor Gericht (vgl. Petrus in Mk 14,30 f.70.72).14 Im Anschluss an den Petrustadel Mk 8,33 wird an unserer Stelle die Abkehr von „menschlichen Gedanken“ und die Hinkehr zu „dem, was Gott will“, gemeint sein; näherhin die Fähigkeit, von sich selbst abzusehen bis zur Hingabe des eigenen Lebens, wie sich aus dem Vorangehenden (8,31) und dem Folgenden (8,35) erschließt.15 Im direkten Kontext (VV.36 f.) ist darüber hinaus die Hingabe des Besitzes angesprochen. Aus der formalen Verwandtschaft mit der Aufforderung an den reichen Mann „geh, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen [...]; dann komm, folge mir nach“ (Mk 10,21) – hier erscheint wie in V.34 ein dreifacher Imperativ, wobei an letzter Stelle ebenfalls eine Aufforderung zur Nachfolge steht – kann vielleicht auch ein inhaltlicher Bezug abgeleitet werden. Das Verleugnen seiner selbst schließt somit die Hingabe des Besitzes und in einem weiteren Sinn ein Loslassen der damit verbundenen sozialen Sicherheit und gesellschaftlichen Stellung ein.16 Auch wenn das Wort nicht zuletzt aufgrund seiner christlichen Bedeutungsgeschichte einen heiklen Beigeschmack hat, ist Demut wohl der treffendste Ausdruck für diese Haltung: sich selbst zurückstellen können – bis zur Hingabe des Lebens und des Besitzes – , jedoch nicht als Selbstzweck, sondern als Dienst am anderen, besonders am Armen (vgl. 10,21; 10,45). Die Aufforderung zum Kreuztragen konkretisiert und radikalisiert die Forderung der „Selbstverleugnung“. Das Logion bezieht sich zweifellos auf den Kreuzestod Jesu.17 Darauf verweist auch die parallele Formulierung in der Aufforderung an Simon von Kyrene, das Kreuz Jesu aufzunehmen (K=PC CTJ^ VQP UVCWTQPCWXVQW Mk 15,21). In der Gemeinde des Markus gab es Bedrängnis und Verfolgungen (vgl. Mk 10,30; 13,9-13). Vor dem Hintergrund des (Todes)Schicksals vieler Jünger ist die Aufforderung zur Kreuzesnachfolge

13

14 15 16 17

Die Q-Variante des Logions bringt ausschließlich die Aufforderung zum Kreuztragen. Fridrichsen, Cross, 39 und in der Folge Schulz, ebd., 84 vermuten hinter der Aufforderung zur Selbstverleugnung einen ursprünglich selbständigen Spruch; vgl. auch Gnilka, Markus 2, 22 („vielleicht“). Vgl. Ornelas, Caminho, 307-309; Léon-Dufour, Perdre, 400 ; Skinner, Denying, 327 f. Vgl. Gnilka, Markus 2, 27; Beutler, Weg, 22. Vgl. Ornelas, Caminho, 312 f. Das Wort UVCWTQL kommt bei Markus sonst nur noch im Passionsbericht vor; vgl. Ornelas, Caminho, 313. Ebenso Beutler, Weg, 21; Fander, Stellung, 143; 365; 367; 370; van Iersel, Markus, 179; Best, Following, 39-41; Skinner, Denying, 330.

Kontextanalyse

187

durchaus wörtlich zu nehmen.18 Sie steht im größeren Kontext der Forderung des Dienens, die Jesus in den folgenden Belehrungen ausspricht und die er wiederum mit dem Beispiel des Menschensohnes motiviert (vgl. Mk 9,35; 10,31.4245). Das Wort von Selbstverleugnung und Kreuztragen ist daher nicht als Aufforderung zu verstehen, das Leiden um seiner selbst willen zu suchen, sondern sich ganz in den Dienst am Leben zu stellen – am eigenen und an dem der anderen – , wenn es sein muss, bis zur Lebenshingabe.19 Damit sind wir beim Thema der folgenden Verse.

2.2.2

Erste Begründung: Leben retten oder töten (V.35)

V.35 handelt vom „Retten“ (UY\GKP) und „Verderben“ bzw. „Töten“ (CXRQNNWOK) des Lebens. Der Spruch ist kunstvoll aufgebaut: in einem antithetischen Parallelismus stehen sich, abgesetzt durch die Partikel FG, zwei Konditionalsätze gegenüber. Die Form entspricht dem Inhalt, denn der Vers spricht in paradoxer Weise davon, dass das Retten-Wollen des Lebens in Wahrheit dessen Verlust bedeutet, umgekehrt der physische Tod aber seine Rettung sein wird. Die beiden Halbverse sind auch in sich antithetisch formuliert: hier stehen „retten“ und „verderben“ einander gegenüber, wobei der Zusatz „[retten] wollen“ (SGNGKP) im ersten Halbvers den strengen Parallelismus stört. Zugleich lässt das „Wollen“ die Sinnlosigkeit dieses Vorhabens deutlich werden. Die beiden Verben UY\GKP und CXRQNNWOK weisen von ihrer Wortbedeutung her auf eine konkrete Gefahr für das Leben, das es zu retten gilt.20 CXRQNNWOK steht bei Markus u. a. in den Tötungsbeschlüssen gegen Jesus (3,6; 11,18), in Bezug auf den Dämon, der den Besessenen umbringen will (9,22) und auf die Jünger, die im Seesturm um ihr Leben fürchten (4,38). Umgekehrt ist Jesus gekommen, die unreinen Geister „zu verderben“ (Mk 1,24), und droht im Gleichnis Mk 12,9 den bösen Winzern mit dem Tod. Im vorliegenden Kontext nimmt das Logion vermutlich Bezug auf eine Situation der Verfolgung oder Bedrängnis der Gemeinde und ihrer Missionare. Nicht umsonst steht es im Umfeld der ersten Leidensankündigung sowie unmittelbar im Anschluss an ein Wort, das von demjenigen, der Jesus nachfolgen will, die Bereitschaft verlangt, „sein Kreuz zu tragen“. Es dürfte auch ursprünglich „aus einer solchen Situation der Lebens- oder Todesgefahr heraus gesprochen“ sein.21 Mit Recht weist Dautzenberg darauf hin, dass das Logion, das „auf das Leiden und das Martyrium um Christi willen“ weist, nicht ohne weiteres „auf jede beliebige Situation 18 19

20 21

Vgl. van Iersel, Markus, 179; Fander, Stellung, 363 f.; Ornelas, Caminho, 314. Vgl. Ornelas, Caminho, 364. Schulz, Nachfolgen, 92 f. hebt den „Dienst am Königtum Gottes“ als „Sinn der Nachfolge Jesu“ hervor; ähnlich Dewey, Renounce, 103; Skinner, Denying, 330. Vgl. Dautzenberg, Leben, 53; León-Dufour, Perdre, 401. So Dautzenberg, Leben, 57, der das Logion wie auch Bauer, Leben, 7; Leroy, Leben, 173; Rebell, Leben, 210; Ornelas, Caminho, 330 als jesuanisch ansieht.

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Kontextanalyse

des christlichen Lebens übertragbar ist“, ohne an Ernst und Schärfe zu verlieren.22 Das Futur des jeweils zweiten Verbs in jedem Halbvers („der wird es töten“ bzw. „der wird es retten“) lässt erkennen, dass eine – jedoch nicht genauer definierte – Zeitspanne zwischen dem jeweiligen Handeln und dessen Ergebnis, dem „Retten“ oder „Töten“ des Lebens, liegt. Es scheint naheliegend, die beiden Verben auf das „diesseitige“, „irdische“ und das „jenseitige“, „eigentliche“ Leben zu beziehen.23 Im Unterschied zur \YJ, die bei Markus das „ewige“, unvergängliche Leben bezeichnet (9,43-45; 10,17.30), und zum DKQL, der ausschließlich das „diesseitige“, körperliche Leben (Lk 8,14; 1 Tim 2,2; 2 Tim 2,4; 1 Joh 2,16) bzw. dessen Lebensgrundlagen (Mk 12,44; vgl. Lk 15,12.30; 1 Joh 7,13) umfasst, meint der hier verwendete Begriff [WEJ den Menschen als lebendiges Wesen, „das konkrete Leben eines konkreten Individuums“.24 Das Wort übersetzt in den LXX zumeist das hebräische YSQ „Kehle, (Lebens-)atem, Leben, Person“, das auch durch das Personalpronomen wieder-gegeben werden kann.25 Bei Markus erscheint das Wort insgesamt achtmal, davon allein zweimal hier und je einmal in den beiden folgenden Versen 36 und 37. An den anderen vier Stellen wird die Bedeutung von [WEJ als konkrete, lebendige Person deutlich: Mk 3,4 geht es um die „Rettung“ eines konkreten Lebens bzw. eines konkreten Menschen, nämlich des Mannes mit der verdorrten Hand. Von daher kann dort mit „jemanden retten“ übersetzt werden. Mk 10,45 spricht von der Lebenshingabe des Menschensohnes. Gemeint ist nicht nur die Hingabe des physischen Lebens am Kreuz, sondern eine umfassende Selbsthingabe Jesu. Mk 12,30 gibt das oberste Gebot wieder, „Gott zu lieben mit der ganzen Person“. Im Deutschen entspricht dem vermutlich am ehesten der Ausdruck „von ganzem Herzen“, der freilich nicht nur das Herz oder einen Teil des Menschen, sondern eben den ganzen Menschen meint. Der letzte Beleg Mk 14,34 steht in der Getsemaniszene und wird üblicherweise übersetzt: „Meine Seele ist zu Tode betrübt.“ Gemeint ist wiederum Jesus als Person, so dass besser analog zum Hebräischen mit dem Personalpronomen zu übersetzen wäre: „Ich bin zu Tode betrübt.“ Nach diesen Überlegungen greift die Deutung unserer Stelle auf den Verlust diesseitigen und den Gewinn jenseitigen Lebens zu kurz. Es ist ja ein und dasselbe Leben eines konkreten Menschen, das hingegeben und gerade dadurch erst 22 23 24 25

Leben, 61; vgl. 57 f. sowie Ornelas, Caminho, 328. So Dautzenberg, Leben, 58; Léon-Dufour, Perdre, 401; Beutler, Weg, 20 f. Dautzenberg, Leben, 57; vgl. Léon-Dufour, Perdre, 401 f.; Ornelas, Caminho, 325. Vgl. Dautzenberg, Leben, 13-27. Dementsprechend ist das Wort mit „Leben“ und nicht etwa mit „Seele“ zu übersetzen, was statt an das jüdisch-alttestamentliche an das hellenistische Menschenbild mit seinem Leib-Seele-Dualismus anknüpfen würde. Vgl. ebd., 51; 57; ebenso Beutler, Weg, 20; Léon-Dufour, Perdre, 401 f.; Ornelas, Caminho, 320 f.

Kontextanalyse

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gewonnen wird – oder, wenn man statt mit „Leben“ mit „Person“ übersetzen möchte: Wer sich von Jesus und seinem Evangelium in Dienst nehmen lässt, der gewinnt sich selbst – und das nicht erst im Jenseits, sondern schon hier und jetzt. Das schließt den Gewinn jenseitigen, „ewigen“ Lebens nicht aus, sondern ein. Gewonnen wird eine andere Lebensqualität, ein anderes, wirkliches Leben, das sich durchhält bis in den kommenden Äon.26 Insofern verhält es sich mit der Hingabe des Lebens ähnlich wie mit der Hingabe des Besitzes und der Geborgenheit familiärer Beziehungen: „Wer um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird das Hundertfache dafür empfangen: Jetzt in dieser Zeit Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker, - wenn auch unter Verfolgungen – und im kommenden Äon das ewige Leben“ (Mk 10,29 f.).27 Die Deutung des Spruches auf einen Gegenwart und Zukunft umfassenden Gewinn oder Verlust des Lebens liegt auch von parallelen Wendungen im jüdischen Sprachgebrauch her nahe, wo sich YSQ bzw. [WEJ sowohl auf das irdische als auch auf das kommende Leben beziehen kann. Parallelen im Alten Testament sprechen zunächst von der Rettung bzw. vom Verlust des diesseitigen Lebens; so Gen 19,17; 1 Sam 19,11; Jer 31,6 (48,6) LXX UY\GKPVJP[WEJP; Ps 26,9 LXX UWPCRQNGUCKVJP[WEJP; Jes 38,17 LXX CXRQNGUCKVJP[WEJP.28 Mit dem Aufkommen der Auferstehungshoffnung im Frühjudentum wird das Wort auch auf das kommende Leben bezogen. So heißt es 1 Q27 1,3 f.: „Die Frevler können ihr Leben nicht retten aus dem künftigen Geheimnis“ und äth Hen 48,4: „In jenen Tagen sind die Könige der Erde und die Mächtigen, die das Land besitzen, wegen ihrer Taten niedergeschlagenen Angesichts; denn sie können am Tag ihrer Angst und Not ihr Leben nicht retten.“29 Als nächste Parallele zu unserem Spruch ist eine Stelle aus der rabbinischen Literatur zu nennen, die ebenfalls in Bezug auf Gegenwart und Zukunft von der Rettung bzw. vom Verlust des Lebens spricht: „Was soll der Mensch tun, damit er lebe? [...] Er töte sich selbst! Und was soll der Mensch tun, damit er sterbe? [...] Er lebe sich selbst!“ (b Taan/Tam 66a)30 Die Präzisierung „[wer sein Leben verliert] um meinet- und um des Evangeliums willen“ im zweiten Halbvers dürfte eine spätere Erweiterung sein, da sie 26

27

28 29 30

Vgl. Leroy, Leben, 177; ähnlich Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 162. Gnilka hebt hervor, dass „das eigentliche dauernde Leben aus dem Vergänglichen bzw. genauer aus dessen Preisgabe“ entstehe (Markus 2, 24). Scherer, Diakonos-Sprüche, 59 f.; Ebner, Überwindung, 83 beziehen vor dem Hintergrund von Mk 10,29-31 auch das „Gewinnen des Lebens“ auf die Gegenwart der Gemeinde. Vgl. Dautzenberg, Leben, 53 f. mit diesen und weiteren Belegstellen. Belege bei Dautzenberg, Leben, 59; zur Qumran-Stelle vgl. auch Gnilka, Markus 2, 24. Vgl. Dautzenberg, Leben, 55; Gnilka, Markus 2, 24 jeweils mit Verweis auf StrackBillerbeck I, 587 f.

190

Kontextanalyse

den strengen Parallelismus der beiden Vershälften stört.31Dabei kann das G=PGMGP GXOQW aufgrund der Parallele in Mt 10,39 bereits vormarkinisch sein.32 Der Hinweis auf das Evangelium ist dagegen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Markus zurückzuführen, denn er hat ein besonderes Interesse an der Verkündigung und fügt das Wort auch andernorts ein.33 Die gesamte Wendung G=PGMGPGXOQW MCKVQW GWXCIIGNKQW erscheint nochmals in Mk 10,29, der Stelle, die wir oben bereits zur Erklärung herangezogen haben. Mk 13,10 ist der Hinweis auf die weltweite Verkündigung des Evangeliums in den traditionellen Kontext der Apokalypse nachträglich eingefügt, wobei im vorhergehenden Vers interessanterweise ein G=PGMGP GXOQW steht. Des weiteren ist auf den ganz ähnlichen Ausdruck „meiner und meiner Worte“ in V.38 hinzuweisen, wovon zumindest „meiner Worte“ markinisch sein dürfte. Diese Beobachtungen lassen vermuten, dass die gesamte Doppelwendung eine bei Markus beliebte und geläufige Formulierung ist, die er teils als Ganze eingefügt, teils durch Ergänzen eines Hinweises auf das Evangelium bzw. die „Worte“ Jesu im Anschluss an ein bereits vorgefundenes „um meinetwillen“ geschaffen hat.34 Der Zusatz stellt klar, dass nicht irgendein beliebiger Verlust des Lebens zur Rettung führt, sondern nur die Hingabe um der Sache Jesu willen. Nicht durch irgendein beliebiges Sich-Verlieren wird das Leben lebendig, sondern durch den Dienst an „vielen“ (vgl. Mk 10,45) in der Nachfolge Jesu.35 Durch den Zusatz wird aber auch klar, dass es nicht um Lebenshingabe als Selbstzweck geht. Vielmehr geht es darum, sich selbst ganz in den Dienst des Reiches Gottes zu stellen und dabei auch Konflikten nicht auszuweichen. Das „Verderben des Lebens um Jesu und des Evangeliums willen“ meint damit letztlich nichts anderes, als was im V.34 durch die Forderung nach „Selbstverleugnung“, Aufnehmen des Kreuzes und Nachfolge Jesu ausgedrückt ist. Der Weg der Nachfolge entspricht dem Weg Jesu, wie er kurz zuvor zum ersten Mal angekündigt wurde. „So wie Jesus [...] im Sinn der Leidensankündigung sein Leben aufs Spiel setzt, 31 32

33

34 35

Vgl. u. a. Bauer, Leben, 7; Leroy, Leben, 171 f.; Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 165. So Beutler, Weg, 22; vgl. Gnilka, Markus 2, 22, der G=PGMGPGXOQW zum Text der Logienquelle rechnet. Auch nach Dautzenberg fand Markus diesen Teil des Einschubs bereits vor (Leben, 61); es lasse sich jedoch „vom synoptischen Vergleich her nicht entscheiden“, ob er auch zur Q-Form gehöre (ebd., 52). So steht das Wort in der Überschrift des Evangeliums Mk 1,1 sowie Mk 1,14 f. in einem markinischen Summarium und 14,9 im ebenfalls redaktionellen Rahmen der Episode von der Salbung Jesu. Zum markinischen Ursprung von MCK VQW GWXCIIGNKQW vgl. auch Fridrichsen, Cross, 39; Dautzenberg, Leben, 51; 61; Gnilka, Markus 2, 22; Beutler, Weg, 22. Letzteres vermutet Dautzenberg, Leben, 61 in Bezug auf Mk 8,35. Nach Hoffmann ist dies die spezifisch jesuanische Aussage gegenüber den zahlreichen Parallelen aus der rabbinischen, kynisch-stoischen und Mysterienliteratur: „dass es im Verhalten des Menschen zum anderen gerade auch um ihn selbst geht“ (Herrschaftsverzicht, 165).

Kontextanalyse

191

muss auch der, der an ihn glaubt, zur Aufgabe von allem bereit sein, was er hat und ist. So und nur so gewinnt er sich.“36

2.2.3

Zweite Begründung: Schlechter Tausch (VV.36 f.)

In zwei parallel aufgebauten, mit VK ICT eingeleiteten rhetorischen Fragesätzen erläutern die Verse 36 und 37 das Logion durch Metaphern aus dem geschäftlichen Bereich. Mit dem Stichwort [WEJ, das in jedem Vers einmal fällt, schließen sie an V.35 an. V.36 ist ähnlich strukturiert wie der vorhergehende Vers: Mit dem „Gewinn der Welt“ wird eine für „normalmenschliches“, zumal geschäftliches Denken an sich positive Aktion dargestellt, die jedoch zu einem negativen Ausgang, dem „Verlieren des Lebens“, führt. Parallel zum „Retten“ und „Verderben“ des Lebens in V.35 ist hier vom „Gewinn“ der Welt die Rede, der letztlich dem „Verlust“ des Lebens gleichkommt. Mit MGTFCKPGKP „gewinnen“ und \JOKYSJPCK „einbüßen“, „verlieren“ verwendet der Spruch zwei Verben aus dem Geschäftsleben.37 YXHGNGK + inf. „es nützt“ knüpft an die Sprache der Weisheitsliteratur an.38 Der V.37 verdeutlicht nochmals die erste Frage. CXPVCNNCIOC heißt in der griechischen Grundbedeutung „Tauschmittel“. Unter den Äquivalenten im biblischen und rabbinischen Hebräisch sind auch die Worte U\P, a\PG und USN mit der Bedeutung „Kaufpreis“, „Entgelt“.39 Die Vokabel gehört also wie die zwei Verben aus V.36 dem geschäftlichen Bereich an. Die allgemeine Formulierung und die Frageform der beiden Verse erinnern an weisheitliche Aphorismen.40 Auf dieser Ebene spricht das Doppellogion zunächst den gesunden Menschenverstand an: Aller Reichtum ist nichts wert ohne das Leben, und kein Reichtum der Welt kann das Leben kaufen – so sein allgemein einsichtiger und aus der Erfahrung vielfach belegter Inhalt. Auf diesem Hintergrund kann der „Gewinn der ganzen Welt“ als „die Mühe des Menschen [...], Reichtümer und irdischen Besitz anzuhäufen“, gedeutet werden.41 Die Warnung vor dem Reichtum ist jedoch nicht das einzige und eigentliche Ziel des Doppelspruchs. In seinem jetzigen Kontext dient er der Verdeutlichung von V.35. Er führt die Einzigartigkeit und Verletzlichkeit des „wahren“ 36 37

38 39

40 41

Beutler, Weg, 23. An den spezifisch neutestamentlichen missionarischen Gebrauch von MGTFCKPGKP (Mt 18,15; 1 Kor 9,19-22; 1 Petr 3,1; vgl. Preuschen: „(den Bruder für das Gottesreich) gewinnen“) ist hier nicht gedacht; vielmehr bedeutet das Verb im Gegenüber zu \JOKYSJPCK einfachhin „gewinnen“ (vgl. Dautzenberg, ebd., 71). Vgl. Sir 34,23.25.26 sowie Dautzenberg, Leben, 68. Vgl. Dautzenberg, Leben, 71 mit Verweis auf Bauer, Wörterbuch, 144 zur griechischen Grundbedeutung sowie Jer 15,13; 3 Kön 21,2; Spr 17,16 zum alttestamentlichen Äquivalent U\P und Strack-Billerbeck I, 751 zu den rabbinischen Äquivalenten a\PG und USN. Vgl. Weish 5,8 VK YXHGNJUGP; Koh 1,3 VKL RGTKUUGKC; Hab 2,18 VK YXHGNGK sowie Dautzenberg, Leben, 69; Gnilka, Markus 2, 25; Beutler, Weg, 23. Gnilka, Markus 2, 25; ähnlich Dautzenberg, Leben, 74.

Kontextanalyse

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Lebens vor Augen, das man erst dann gewinnt, wenn man es einsetzt. Wie V.35 warnt er vor dem Versuch, das Leben durch allerhand menschliche Sicherungsmaßnahmen „retten zu wollen“. Dazu gehört auch die soziale Sicherheit aufgrund des Besitzes. Der Grund für das „Verlieren“ des Lebens trotz oder letztlich gerade wegen aller Sicherungsmaßnahmen ist nicht rein „innerweltlich“. Er liegt in der Macht Gottes und in seinem So-Sein. Darauf verweisen die folgenden Verse, die vom kommenden Gericht sprechen. Gott allein ist es auch, der letztlich aus dem Tod erretten kann – was menschliche Sicherungsmaßnahmen nicht vermögen.42 So ruft der Doppelspruch dazu auf, sich in der Unsicherheit des Lebens ganz Gott anzuvertrauen und „alles, was als Gewinn (MGTFJ) erschien, um Christi willen als Verlust (\JOKC) zu betrachten, alles zu verlieren (\JOKYSJPCK), um Christus zu gewinnen (MGTFCKPGKP)“, wie Paulus sagt (vgl. Phil 3,7 f.).43

2.2.4

Dritte Begründung: Das kommende Gericht (V.38)

Die letzten beiden Verse bieten einen Ausblick in die Zukunft, in der sich das endgültige „Gewinnen“ oder „Verlieren“ des Lebens ereignet. V.38 verweist zunächst auf das „Kommen des Menschensohnes“, dessen Bestätigung oder Ablehnung über Gewinn oder Verlust des Lebens entscheidet. Von der Form her ähnelt der Spruch dem V.35, mit dem er vermutlich bereits in einer älteren Tradition zusammengefügt war.44 Wie dieser beginnt er mit einem mit Q=LICTGXCP eingeleiteten Konditionalsatz im Konjunktiv, auf den im Hauptsatz ein Futur folgt. Inhaltlich ist der Vers ebenfalls antithetisch aufgebaut: das „SichSchämen“ entspricht dem „Leben-Retten-Wollen“ aus V.35, das dort den Verlust des Lebens und hier entsprechend das Verleugnet-Werden durch den Menschensohn zur Folge hat. Wie sich aus der Q-Fassung erkennen lässt, dürfte der Vers ebenso wie V.35 ursprünglich ein Doppelspruch gewesen sein, der neben dem „Sich-Schämen“ (GXRCKUEWPGUSCK vgl. Mk) oder „Verleugnen“ ((CXR)CTPGQOCK vgl. QLk 12,9) vom Bekenntnis zum Menschensohn sprach (QBOQNQIGY vgl. QLk 12,8). Markus hat davon nur die zweite Hälfte übernommen, da es ihm offenbar auf die Gerichtsdrohung ankam.45 Die erste Hälfte des Doppelspruchs ersetzte er durch die Verheißung des Reiches Gottes in Mk 9,1.46 42 43 44 45

46

Vgl. Dautzenberg, Leben, 75 mit Verweis auf Ps 49,16; Mk 10,27. Ornelas, Caminho, 332 f. führt die Stelle als Beispiel für die VV.36 f. gemeinte Haltung an und weist auch auf die Entsprechung in der Formulierung hin. Vgl. QMt 10,32 f.38 f. sowie die obigen Ausführungen zur Überlieferungssituation der Sprüche (S.183). So Fridrichsen, Cross, 33; 38; Perrin, Composition, 68; Kümmel, Verhalten, 216; Gnilka, Markus 2, 22; Beutler, Weg, 22; Ornelas, Caminho, 156; 340, A.94. Nach Horstmann fehlte „bereits im vormarkinischen Zusammenhang die positive Entsprechung [...], die im Q-Logion noch vorhanden ist“ (Studien, 66). Vgl. Ornelas, Caminho, 156, A.46; 334; Best, Transfiguration, 53.

Kontextanalyse

193

Im Unterschied zur Q-Fassung spricht Mk 8,38 vom „Sich-Schämen“ statt vom „Verleugnen“ des Menschensohnes. Der Sinn dieser Formulierung dürfte allerdings in derselben Richtung zu suchen sein, die das Q-Logion vorgibt: Sich jemandes oder einer Sache schämen heißt nicht öffentlich zu ihm stehen bzw. dafür einstehen wollen. GXRCKUEWPGUSCK begegnet im Neuen Testament neben unserer Stelle und der Parallele Lk 9,26 nur in der Briefliteratur.47 Paulus beteuert, dass er sich des Evangeliums nicht schäme, auch wenn er deswegen leiden müsse (Röm 1,16; 2 Tim 1,12). Zwei Belege im Hebräerbrief erinnern an den Wortgebrauch in der zweiten Spruchhälfte: Jesus schämt sich seiner gläubig gewordenen „Brüder“ nicht (2,11); Gott schämt sich der alttestamentlichen Patriarchen nicht (11,16). Im Hintergrund des Wortes steht vermutlich eine Verfolgungssituation, wie sie Mk 10,30; 13,9-13 angesprochen ist.48 Das Objekt des Sich-Schämens, OG MCK VQWLGXOQWLNQIQWL, entspricht dem Einschub G=PGMGPGXOQW MCK VQW GWXCIIGNKQW in V.35. Der Hinweis auf die Worte Jesu scheint in den ursprünglich parallelen Aufbau der beiden Halbverse nachträglich eingefügt worden zu sein. Er dürfte wie der Hinweis auf das „Evangelium“ in V.35 von Markus stammen.49 Hinter der Wahl der Vokabel NQIQL könnte sich eine Anspielung auf das „Wort“ der Ankündigung von Leiden und Auferstehung verbergen, das Jesus erst kurz zuvor „in aller Offenheit“ gesprochen hat (Mk 8,32).50 Somit schließt das „Sich-Schämen“ über die Botschaft Jesu hinaus auch den damit verbundenen Leidensweg ein. Gegenüber V.35 sind die verschiedenen Zeitpunkte der Handlungen im ersten und zweiten Halbvers durch die adverbialen Bestimmungen „in dieser Generation“ und „wenn [der Menschensohn] kommt“ ausdrücklich markiert. Die Vokabel IGPGC „Geschlecht, Generation“ dient schon im Alten Testament nicht nur als Zeitangabe, sondern schließt oft auch eine Aussage über den Zeitgeist speziell im Verhältnis zu Gott ein.51 Im Anschluss an den alttestamentlichen Sprachgebrauch ist die Vokabel auch im Neuen Testament häufig negativ qualifiziert; so u. a. in sämtlichen Belegen aus der Logienquelle (Lk 7,31 par; 11,29-32.50 f. par; vgl. auch (Q?)Mt 12,45; Lk 16,8; 17,25; Apg 2,40; Phil 2,15; Hebr 3,10 zit. Ps 94,10 LXX). Bei Markus ist das Wort neben unserer Stelle 47 48

49 50 51

Vgl. Röm 1,16; 6,21; 2 Tim 1,8.12.16; Hebr 2,11; 11,16. Der nichtmarkinische Sprachgebrauch lässt auch auf eine ältere Herkunft der Vokabel schließen. Vgl. S.25. Gnilka, Markus 2, 25; Perrin, Composition, 67 f.; van Iersel, Markus, 179 deuten das Logion als Warnung vor dem Abfall in einer Situation der Verfolgung; ähnlich Beutler, Weg, 22. So auch Horstmann, Studien, 43 f.; Kümmel, Verhalten, 213 jeweils mit Verweis auf Mk 13,31; Gnilka, Markus 2, 22 f.; Ornelas, Caminho, 336. So Ornelas, ebd. So insbesondere in Bezug auf die Generation des Auszugs aus Ägypten; vgl. Ornelas, Caminho, 337 mit Verweis auf Lövestam, Generation, 8-17; Num 32,13; Dt 32,5; 32,20; Ps 78,8 u. a.

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Kontextanalyse

einmal in rein temporaler (Mk 13,30) und an weiteren zwei Stellen in negativer Bedeutung gebraucht (Mk 8,12 (2x); 9,19). Ähnlich wird „diese Generation“, womit in temporalem Sinn zunächst schlicht die Gegenwart gemeint ist, auch an unserer Stelle zusätzlich als „ehebrecherisch“ (OQKECNKL) und „sündig“ (CBOCTVYNQL) bezeichnet. Der Ehebruch ist bereits bei den alttestamentlichen Propheten ein Bild für die Untreue des Volkes gegenüber Gott (vgl. Jes 1,21; 57,3; Jer 3,3.8 f.; 5,7; 9,1; Ez 16,28-43; 23; Hos 1-3; 4). Die Hörerinnen des „Wortes“ sind damit aufgefordert, wie die „Gerechten“ des Alten Testaments, etwa Noah in der Generation der Sintflut (Gen 6,9) und Josua und Kaleb in der Generation des Exodus (Num 32,11 f.; Dt 1,35 f.), Gott die Treue zu halten. Sie sollen sich anders verhalten als ihre Zeitgenossen, selbst wenn sie dafür Spott und Nachteile erleiden, ja vielleicht sogar ihr Leben lassen müssen.52 Vom gegenwärtigen Leben unter den Zeitgenossen lenkt der zweite Halbvers den Blick in die Zukunft. Das „Kommen“ des Menschensohnes spielt auf Dan 7,13 an, es geht also um das Endgericht. Aufgrund der Differenzierung zwischen der Person Jesu und dem „Menschensohn“-Richter wird der Spruch von vielen Exegeten als jesuanisch angesehen.53 Im jetzigen Kontext, wo kurz zuvor vom Leidensweg des „Menschensohnes“ die Rede war, ist Jesus diese Richterfigur. Damit sind Subjekt und Objekt in der zweiten Vershälfte vertauscht; Jesus, der Menschensohn, wird vom „Behandelten“ zum Handelnden. Indem der Spruch an die Ankunft des Menschensohnes erinnert, führt er die Konsequenz des jetzigen Handelns vor Augen. Jesus wird im Gericht nämlich den nicht (be)kennen, d. h. verurteilen, der sich in der Gegenwart nicht zu ihm bekannt hat. Die Macht des Menschensohn-Richters wird durch sein Kommen „in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln“ hervorgehoben. FQZC ist in den LXX Äquivalent zum hebräischen GZEN „Schwersein, Gewichtigkeit, Ehre, Ansehen, Herrlichkeit, Fülle“, einem Gottesattribut.54 Dazu passt die Rede von der Herrlichkeit des „Vaters“, an der Jesus als „Menschensohn“ Anteil erhält. Mk 10,37 gebraucht die FQZC Jesu als Umschreibung des Reiches Gottes. Das Kommen des Menschensohnes „mit den heiligen Engeln“ passt zum apokalyptischen Szenarium.55 An unserer Stelle unterstreicht ihre Anwesenheit zugleich

52 53 54 55

Vgl. Ornelas, Caminho, 337-339 mit Verweis auf Lövestam, Generation, 18. So Trocmé, Marc 9,1, 265, A.2; Horstmann, Studien, 35; 40; Kümmel, Verhalten, 223 f.; Gnilka, Markus 2, 27. Vgl. Langenscheidts Taschenwörterbuch. So werden in der Offenbarung des Johannes alle entscheidenden Handlungen im endzeitlichen Ablauf von Engeln ausgeführt (vgl. Apk 7,1.2; 8,2.3.4.5.6.8.10.12.13; 9,1.13.14.15; 10,1.7; 11,15; 14,6.8.9.10.15.17.18.19; 15,1.6.7.8; 16,1.5; 18,1.21; 19,17; 20,1). In der Markus-Apokalypse sammeln Engel die Auserwählten (Mk 13,27).

Kontextanalyse

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die FQZC des Menschensohnes, wie bereits die „dienenden“ Engel in Mk 1,13 auch Ausdruck der besonderen Machtstellung Jesu sind.56 Im Kontext des Markusevangeliums ist die mächtige endzeitliche Richtergestalt zusammen zu sehen mit dem leidenden, von den Mächtigen dieser Welt verworfenen und getöteten „Menschensohn“ aus Mk 8,31. Es ist Jesus, der in seiner Treue zum Gott des Lebens so weit ging, auch das Kreuz auf sich zu nehmen, und dem dieser Gott in der Auferstehung das Leben schenkte. Sein Leben und sein Weg sind damit zum Maßstab für alle geworden, die wahres, gültiges, bleibendes Leben suchen. Dieses Leben ist nur in der Nachfolge Jesu, d. h. im Dienst am Nächsten und besonders an der Geringsten, zu haben. Ein solcher Weg führt zwangsläufig in Konflikte. Wer ihn aus falsch verstandener Sorge um sein Leben nicht mitgehen will, hat sein Urteil selbst gesprochen. Wer sich aber in der Nachfolge Jesu von Gott in Dienst nehmen lässt, dem verspricht der nächste und abschließende Vers das „Schauen des Reiches Gottes“.

2.2.5

Abschluss: Hoffnungsvoller Ausblick (Mk 9,1)

Durch eine eigene Redeeinleitung hat der Redaktor den Schlussvers von den vorhergehenden vier, mit ICT eingeleiteten Sprüchen abgesetzt und zugleich an den ersten Vers des Abschnitts zurückgebunden (MCKGNGIGPCWXVQKL vgl. MCK [...] GKRGP CWXVQKL V.34a). Die aus dem semitischen Sprachgebrauch stammende „Amen“-Formel doppelt die Redeeinleitung noch einmal nach. Sie verleiht dem folgenden Spruch feierlichen Nachdruck. Die Wendung begegnet bereits im Alten Testament (vgl. 1 Kön 1,36; Ps 41,14; Jer 11,5). In ähnlichem Zusammenhang wie hier steht „Amen, ich sage euch“ an drei weiteren Stellen im Mittelteil des Evangeliums, wo es um den Lohn derer geht, die wie die Angesprochenen „um Christi willen“ etwas hingegeben haben, seien es nun „Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker“ (10,29) und die sich die Haltung des Dienens zu eigen machen, indem sie seinen Missionaren zu trinken geben (9,41) oder ein Kind aufnehmen (10,15).57 In unserem Spruch richtet sich die Zusage künftigen Lohnes an „einige von denen, die hier stehen“, was im gegebenen Kontext auf einige der in V.34a angegebenen Zuhörer zu beziehen ist. Sie sollen „den Tod nicht schmecken, bis sie das Königreich Gottes in Macht gekommen sehen“. Die doppelte Verneinung QWXOJ hebt die Verheißung nochmals 56 57

Nach Horstmann, Studien, 47 sind die Engel dem Menschensohn „gleichsam als himmlischer Hofstaat beigegeben.“ Nach Berger dient die Amen-Formel der Legitimation bestimmter prophetischer Worte, die u. a. wie die hier zitierten Sprüche „die Bedingungen für künftigen Lohn (den Eintritt in die Basileia)“ betreffen (Amen-Worte, 69). Brox, Selbstverständnis, 190; Schürmann, Sprache, 70; Jeremias, Kennzeichen zählen die Formel zu den Merkmalen jesuanischer Rede. Eine spätere Gemeindebildung in Anlehnung an den jesuanischen Stil ist deshalb nicht ausgeschlossen; so auch Horstmann, Studien, 65; 67 mit Verweis auf Mk 14,9.

196

Kontextanalyse

hervor. Sie geht vermutlich auf semitischen Sprachgebrauch zurück.58 Dasselbe gilt möglicherweise auch für den Ausdruck „den Tod schmecken“, der jedoch auch im Griechischen geläufig ist. Hier wie da bezeichnet die Wendung den physischen Tod.59 Von daher meint der Spruch, dass einige der Umstehenden noch vor ihrem Tod die „in Macht gekommene“ Gottesherrschaft erleben werden.60 Ursprünglich dürfte er als Aussage zur Naherwartung gemeint sein.61 Vom markinischen Kontext her scheint es naheliegend, das Wort auf die anschließende Verklärungserzählung zu beziehen, in der Petrus, Jakobus und Johannes Jesus als verherrlichten Menschensohn zusammen mit Mose und Elija, den Vorboten des neuen Bundes und der Gottesherrschaft, „sehen“ (QBTCY Mk 9,1 vgl. VV.4.8).62 Gegen eine solche Interpretation spricht jedoch die Zeitangabe im Einleitungsvers der Erzählung, denn „nach sechs Tagen“ (Mk 9,2) sind kaum nur „einige von denen, die hier stehen“, noch am Leben. In der Verklärung ist das Reich Gottes auch nicht „in Macht gekommen“, sondern nur einen Augenblick lang zeichenhaft vorweggenommen.63 Der Ausdruck „Reich“ oder „Königsherrschaft Gottes“ (DCUKNGKCVQW SGQW) erscheint im Markusevangelium insgesamt 14mal. Nach Mk 1,15, einem redaktionellen Summarium, das Lebensgefühl und Botschaft Jesu jedoch treffend wiedergeben dürfte, ist es zentraler Inhalt der Verkündigung Jesu. Die Rede von der „Fülle der Zeit“ und vom „Nahe-Herbeigekommen-Sein“ des Reiches Gottes kann nur dahingehend zu deuten sein, dass die Zeitenwende, der Übergang zum 58 59 60

61

62

63

Nach Beyer, Syntax, 132 f. steht das hebräische G>D2O im Hintergrund. Vgl. Bauer, Wörterbuch, 311; Strack-Billerbeck I, 751 f.; Künzi, Naherwartungslogion, 199; Giesen, Mk 9,1, 43 mit Verweis auf Joh 8,52; Hebr 2,9. Trocmé versteht Mk 9,1 dagegen nicht als Verheißung, sondern als ironische Warnung an diejenigen unter den Jüngern, die ihr Leben nicht riskieren wollen, bevor sie „das Reich Gottes in Macht gekommen sehen“ (Marc 9,1, 260; 263). Zur Kritik vgl. Gnilka, Markus 2, 26, A.26. Vgl. Berger, Amen-Worte, 67; Künzi, Naherwartungslogion, 204 f. Gegen einen Bezug auf die Parusie argumentiert Giesen, das Sehen der Gottesherrschaft sei „nicht die Situation der dann Überlebenden allein, sondern aller, also auch derer, die vom Tode erweckt worden sind“ (Mk 9,1, 44; Hervorhebungen original). Im Text ist jedoch nicht gesagt, dass nur einige sehen werden; vielmehr werden alle „sehen“, aber nur einige vorher „den Tod nicht schmecken“. So bereits Augustinus (Ep ad Gal), Albertus Magnus (Ev Matth 649), Thomas von Aquin (Ev Matth 479) und der bei Clemens von Alexandrien kritisierte Gnostiker Theodotus (Excerpta ex scr Theod 4); ebenso Horstmann, Studien, 65; 97 f.; Gnilka, Markus 2, 27; Theißen, Verfolgung, 269 f., A.13; Berger, Amen-Worte, 66 f. Vgl. Trocmé, Marc 9,1, 264 f. mit Bezug auf Lagrange, Marc, 227; ebenso Künzi, Naherwartungslogion, 200; Ornelas, Caminho, 358 f. Best, Transfiguration, 53 macht gegen einen redaktionellen Bezug zur Verklärung geltend, dass die Einleitungsformel MCK GNGIGP CWXVQKL jeweils Material mit dem Vorhergehenden, nicht jedoch mit dem Folgenden verbinde.

Kontextanalyse

197

neuen Äon, in Bälde zu erwarten ist. In dieser Situation sind Umkehr und Glaube gefordert. Das „Geheimnis“ des Reiches Gottes ist denn auch in besonderer Weise denen „gegeben“, die Jesus nachfolgen (Mk 4,11). Zwei Gleichnisse im 4. Kapitel beschreiben es im Bild des unscheinbaren Samenkorns, das, einmal in die Erde gelegt, fast ohne Zutun wächst und groß wird (VV.26.30). Im Mittelteil ist das Reich Gottes mehrfach Thema von Jüngerunterweisungen. Es gehört den Kindern und ihresgleichen (Mk 10,14). Nur wer sich nicht über die „Kleinen“ erhebt, kann hineinkommen (Mk 9,42-48). Wer ein Kind gastlich aufnimmt, der nimmt mit ihm das Reich Gottes auf (Mk 10,15). Für Besitzende ist es sehr schwer, wenn nicht unmöglich, hineinzukommen (Mk 10,23.24.25). Ein Schriftgelehrter, der Jesus in Bezug auf das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe zustimmt, ist „nicht weit vom Reich Gottes“ (12,34). Von Josef von Arimathäa, einem „vornehmen Ratsherrn“ – vermutlich einem der Ältesten – , der es wagt, bei Pilatus um den Leichnam Jesu zu bitten und kurz vor dem Paschafest die kultische Verunreinigung durch dessen Begräbnis in Kauf nimmt, wird gesagt, dass er „auch auf das Reich Gottes wartete“ (15,43). Im Angesicht des Todes erwartet es Jesus für sich selbst als Gastmahl, bei dem er „von neuem von der Frucht des Weinstocks trinken wird“ (14,25). Dieser Vers verweist wieder auf das Lebensgefühl Jesu, der mit der baldigen Vollendung des Reiches Gottes rechnet. Die nachösterliche Gemeinde erfährt die Gottesherrschaft als in der Auferstehung Jesu bereits angebrochen. Im Prolog des Römerbriefes spricht Paulus von der Einsetzung Jesu als Sohn Gottes „in Macht“ (GXP FWPCOGK Röm 1,4 vgl. Mk 9,1) „seit der Auferstehung von den Toten“.64 Versteht man Mk 9,1 vor diesem Hintergrund, so verheißt der Spruch die – nicht nur zeitliche, sondern „physische“ – Nähe der Gottesherrschaft. Diejenigen, die dem Ruf Jesu in die Nachfolge (vgl. VV.34-38) Folge leisten und dabei Besitz und familiäre Geborgenheit, ja sogar ihr Leben aufs Spiel setzen, werden noch „in diesem Leben“ die Fülle der Gottesherrschaft an sich erfahren. Die Rede vom Kommen des Reiches Gottes „in Macht“ knüpft darüber hinaus an das Kommen des Menschensohnes „in Herrlichkeit“ in Mk 8,38 an. Mit FWPCOKL erscheint hier das traditionelle Gegenstück zu FQZC (vgl. Mk 13,26). Das Wort begegnet im Evangelium neunmal. Es bezeichnet die schöpferische, lebendig machende „Macht“ oder „Kraft“ Gottes (12,24). Diese Kraft ist so charakteristisch für Gott, dass sie in Mk 14,62 als Gottesname erscheint. In ihr vollbringt Jesus (5,30; 6,14) – und auch andere, die in seinem Namen handeln (vgl. 9,39) – Wunder, sogenannte „Machttaten“ (FWPCOGKL 6,2.5; 9,39). Die „Macht“, mit der der Menschensohn (Mk 13,26) bzw. das Reich Gottes (Mk 9,1) „kommt“, ist im Kontext des Evangeliums also Gottes schöpferische Kraft.65 Sie wirkt nicht zerstörerisch, sondern ist Macht zum Leben. Als solche manifestiert 64 65

Vgl. Giesen, Mk 9,1, 44 mit Verweis auf Dodd, Parables, 38, A.1. Vgl. Ornelas, Caminho, 351 -355.

Kontextanalyse

198

sie sich nicht als Gewalt und Unterdrückung wie die herrschenden Mächte der Welt, sondern als Dienst am Leben (vgl. 10,42.45). Von ihr sollen sich wie Jesus auch die Jünger in Dienst nehmen lassen (vgl. 10,43 f.). In dieser Macht schenkt Gott Jesus (vgl. Mk 8,31) und allen, die in seiner Nachfolge ihr Leben, ihre Sicherheit und ihren Besitz riskieren, volles, wirkliches Leben. Das Reich Gottes gehört denen, die sich in den Dienst am Leben stellen. Der letzte Vers der Spruchsammlung ist eine Verheißung und ein Trostwort an alle, die in der Nachfolge Jesu „viel leiden“ und um seinetwillen vieles, ja oft sogar ihr Leben „lassen“ müssen. Sie werden „den Tod nicht schmecken“, sondern die Fülle des Lebens „sehen“. Der Bezug zum Leben, dem Thema der vorherigen Verse, bleibt damit bis zum letzten Vers des Abschnitts lebendig.

2.3

Fazit

Mit einer teils traditionellen, teils selbst zusammengestellten Spruchsammlung wiederholt und verstärkt Markus im Anschluss an die erste Leidensankündigung und die Auseinandersetzung mit dem ersten Jünger nochmals den Ruf in die Nachfolge und erläutert, was Denken „nach der Art Gottes“ und Nachfolge auf dem soeben verkündeten Weg des Leidens bedeutet. Zentral ist dabei das Thema des Lebens, das paradoxerweise gerade dann gerettet wird, wenn man auf Sicherheiten verzichtet und sich wie Jesus mit der ganzen Person hingibt (V.35). Der Abschnitt beginnt mit der Aufforderung, sein Kreuz auf sich zu nehmen (V.34), die in der Situation der Markusgemeinde auf die Bereitschaft zur Lebenshingabe um Jesu und seiner Sache willen zu beziehen ist. Ein Doppelspruch, der passend zur Thematik als antithetischer Parallelismus aufgebaut ist, erläutert die Grundaussage mit dem Paradox vom Gewinnen und Verlieren des Lebens (V.35). In zwei rhetorischen Fragen (VV.36.37) wird das Paradox mit Hilfe eines Vergleiches aus dem Geschäftsleben nochmals verdeutlicht. Die dritte Begründung der Kreuzesnachfolge erinnert an das zukünftige Gericht, in dem das Verhalten zu Jesus und seiner Botschaft über Tod oder Leben im neuen Äon entscheidet (V.38). Die Sammlung schließt mit einem verheißungsvollen Ausblick auf die Gottesherrschaft (Mk 9,1), an der die Anteil haben, die sich wie Jesus in den Dienst am Leben der Menschen, besonders aber der Geringen, stellen. Sie erfahren bereits hier und jetzt die Fülle des Lebens.

3.

Leben und Tod von Monseñor Oscar Romero: Ein Beitrag zum Verständnis der Nachfolgeworte in unserer Zeit

3.1

Zur Hermeneutik der Nachfolgeworte

Die besprochenen Nachfolgeworte und insbesondere das Paradox vom Verlieren und Gewinnen des Lebens gewinnen ihren Sinn in erster Linie nicht vom Denken und Erkennen, sondern vom Leben und Erfahren her. Man muss sich auf die Nachfolge einlassen, um sie zu verstehen. „Erst, wenn der Angesprochene sich dem Anspruch des Wortes öffnet und die Erfahrung riskiert [...] wird er in der Preisgabe des Lebens, die er schmerzlich erfährt, sein Neuwerden erleben.“1 Will man diese Worte besser verstehen, muss man also „Ausschau halten nach Menschen, die auf diese Weise ihr Leben gewonnen haben und in der Preisgabe ihres Lebens neu aufgelebt sind.“2 Ein Mensch unserer Zeit, der getreu zu den Worten Jesu sein Leben den Geringen der Gesellschaft widmete und dabei auch den Tod in Kauf nahm, war Msr. Oscar Romero (1917-1980). Als Erzbischof von San Salvador ließ er sich im Namen Christi und des Evangeliums von der Not der ihm anvertrauten Menschen ergreifen. Seine persönlichen Fähigkeiten und seine Möglichkeiten als Erzbischof – seine Position, seine Kontakte, seine Fähigkeit zu reden, seinen Zugang zu den internationalen Medien – setzte er zugunsten der Armen und Ausgegrenzten ein. Gerade in der Hingabe erwachte er zu neuem, erfüllten Leben in der Gemeinschaft mit seinem Volk. Seine Predigten und Schriften sowie persönliche Zeugnisse von Menschen, die ihm begegnet sind, zeigen ihn als einen Menschen, der um Christi und der geringsten Brüder und Schwestern willen seine eigene Sicherheit hintanstellte, der sich der Unausweichlichkeit des Kreuzes in der Nachfolge Christi bewusst war und der erfüllt war von der Hoffnung auf das Reich Gottes. Diese Haltung zeigt sich gerade auch an Kommentaren und Bezugnahmen zu den Nachfolgeworten, die wir soeben analysiert haben. Neben biographischen Notizen wollen wir ihn daher vor allem auch selbst zu Wort kommen lassen.

1 2

Vgl. Leroy, Leben, 173 f. Zitat: ebd., 174. Leroy, Leben, 181.

Kontextanalyse

200

3.2

Leben und Schriften des Oscar A. Romero

3.2.1

Historische Vorbemerkung: El Salvador zur Zeit des Bürgerkriegs

Die Realität des El Salvador der 1970er und 80er Jahre ähnelt in vielerlei Hinsicht der Situation im Palästina des ersten Jahrhunderts. Zwei Prozent der Bevölkerung, die sogenannten „vierzehn“ Kaffeefarmer-Familien, besitzen zwei Drittel des Bodens. Dem gegenüber verdienen „die meisten Menschen [...] nicht mal 300 Dollar im Jahr. Jeder dritte stirbt an Unterernährung, nur jeder fünfte hat während des ganzen Jahres Arbeit. [...] Sechs von zehn Kindern, die [...] [auf dem Land] geboren werden, sterben.“3 Gegen die arme Bevölkerungsmehrheit, die sich zu organisieren beginnt und immer deutlicher ihre Rechte an Land und Wohlstand einfordert, verteidigt die Oligarchie im Verbund mit dem Staat ihre Privilegien mit allen Mitteln, vielfach mit brutaler Gewalt. Der salvadorianische Episkopat ist angesichts dieser Lage tief gespalten. Angestoßen durch das Zweite Vatikanische Konzil und die erste lateinamerikanische Bischofsversammlung in Medellín (1968) ergreift das Erzbistum San Salvador unter Bischof Luis Chávez entschieden Partei für die Armen. Die Folge ist eine zunehmende Kirchenverfolgung. Für Arbeiter oder Campesinos kann der Besitz einer Bibel tödlich sein. „Damals war die Bibel nämlich eines der subversivsten Bücher, die man überhaupt besitzen konnte [...].“4

3.2.2

Biographische Notizen

In dieser Situation wird am 3. Februar 1977 Msr. Oscar Arnulfo Romero Galdámez zum Erzbischof von San Salvador ernannt. 1917 als Sohn eines Fernmeldeangestellten und seiner tiefgläubigen Frau in Ciudad Barrios, einem Gebirgsstädtchen nahe der honduranischen Grenze, geboren, wuchs der spätere Erzbischof in ärmlichen Verhältnissen auf. Zwei von sieben Geschwistern starben im Kindesalter. Mit seinem jüngeren Bruder Mamerto teilte er ein Bett. „Aus Not hat unsere Mama den oberen Teil unseres Hauses vermieten müssen. Die Arbeitsräume waren unten, aber sie waren nicht überdacht, und bei jedem Regen stand Mutter im Wasser. Nach einem von diesen Unwettern wurde ihr Körper ganz steif, und sie behielt eine Lähmung davon. Zu allem Unglück waren die Leute über uns auch noch Türken, die die Miete nicht zahlten! Wir waren schon ziemlich gebeutelt, weil auch unser Papa wegen eines elenden Wucherers ein paar Felder Kaffee verloren hatte. Mit Mühe konnte er gerade

3 4

Vgl. Feldmann, Träume, 13-15 (Zitat: 14); Arntz, Propheten, 26; Stehle, Tagebuch, 4. Antonio Fernández Ibáñez, in: López, Porträt, 213. Bei der Besetzung des Dorfes Aguilares durch das Militär im Mai 1977 wurden alle verhaftet, die im Besitz einer Bibel waren (Feldmann, Träume, 21).

Kontextanalyse

201

noch das Essen für uns alle beschaffen“, erinnern sich zwei seiner Geschwister.5 Nach einer Schreinerlehre trat Oscar im Alter von 13 Jahren in seiner Heimatdiözese S. Miguel ins Seminar ein. 1937 begann er das Studium der Theologie in San Salvador und setzte es später an der Gregoriana in Rom fort, wo er 1942 mit 24 Jahren zum Priester geweiht wurde. 1943 schloss er das Lizentiat der Theologie “cum laude” ab. Zurück in der Heimat erklomm er Stufe um Stufe der kirchlichen Verwaltungslaufbahn: 23 Jahre lang war er Generalvikar seiner Heimatdiözese S. Miguel, bevor er 1967 Generalsekretär der salvadorianischen Bischofskonferenz und 1970 Weihbischof von San Salvador wurde.6 1974 wurde er zum Bischof des neugegründeten Bistums Santiago de María ernannt. Im Februar 1977 wurde er schließlich Erzbischof der Hauptstadt San Salvador.7

3.2.3

Kandidat der Reichen

Bei seiner Ernennung zum Erzbischof galt Romero als Kandidat der Reichen.8 Tatsächlich hatte er bereits als Generalvikar von S. Miguel sowohl Kontakte zu Campesinos und Schuhputzern als auch zu den reichen Familien.9 Seine Beziehungen zu den Armen waren jedoch überwiegend karitativer Art. So verteilte er regelmäßig Almosen, wobei er darauf achtete, dass sich jeder anstellte und nicht drängelte.10 Bereits zu dieser Zeit lässt sich im persönlichen Kontakt eine Affinität zu den einfachen Leuten und eine große Menschlichkeit beobachten. Die Ärmsten der Armen im Slumviertel La Curruncha wünschten ihn jeweils als Beichtvater, wenn sie im Sterben lagen, und Romero scheute nie den beschwerlichen Weg zu ihnen.11 Im Umgang mit Betrunkenen bewies er Geduld und Geschick, zumal sein ältester Bruder an den Folgen des Alkoholismus gestorben war.12 Als Verantwortlicher für das Priesterseminar willigte er trotz seiner Enttäuschung über dessen Austritt ein, für einen elternlosen Seminaristen um die Hand seiner Braut anzuhalten.13 Zur Beerdigung seiner Mutter, die ihm in S. Miguel den Haushalt geführt hatte, kamen reiche und arme Leute. Romero ging im Leichenzug bewusst mit Letzteren: „Bei ihnen bin ich geboren, mit ihnen gehe ich.“14 Von seinen reichen Freunden ließ er sich außer Spenden für die 5 6

7 8 9 10 11 12 13 14

Zaida und Tiberio Romero, in: López, Porträt, 13. Als Weihbischof war Romero u. a. zuständig für Caritas und Medienarbeit. Nachdem er die Jesuiten mit einer Hetzkampagne aus der Seminarleitung verdrängt hatte, wurde er zeitweilig auch Rektor des Priesterseminars (vgl. López, Porträt, 38 f.). Zum Lebenslauf vgl. Feldmann, Träume, 16 f.; Arntz, Propheten, 10 –12; Stehle, Tagebuch, 5 f.; López, Porträt, 13. Vgl. López, Porträt, 61. Vgl. López, Porträt, 20; 25 f. Vgl. López, Porträt, 19. Vgl. López, Porträt, 20. Vgl. López, Porträt, 16. Vgl. López, Porträt, 17. Antonio Novoa, in: López, Porträt, 23 f.

Kontextanalyse

202

Armen nichts schenken, vermutlich um nicht vereinnahmt zu werden.15 Diese Sorge um die Unabhängigkeit seiner Person und der Kirche insgesamt sollte ihn begleiten.

3.2.4

Die Bekehrung

In Dingen der Politik hielt er sich zurück. Fünf Tage nach seiner Amtseinführung als Erzbischof ging das Militär in der Hauptstadt gewaltsam gegen Demonstranten vor. Romero war gerade unterwegs, seine Sachen aus seinem bisherigen Bistum zu holen. Einigen Priestern, die ihn telefonisch über das drohende Massaker informierten und ihn baten, so schnell wie möglich nach San Salvador zu kommen, versprach er, sie „Gott im Gebet zu empfehlen.“16 In den ersten Monaten seiner Amtszeit machte er jedoch eine Wandlung durch. Ein Grund dafür war die Ermordung seines Freundes, des Jesuitenpaters Rutilio Grande, am 12. März 1977 auf dem Weg zu einer Messe in seinem Heimatort. Mit Pater Rutilio starben ein siebzigjähriger Bauer und der fünfzehnjährige Ministrant. Drei Kinder auf dem Rücksitz des Autos hatten sich vor den Kugeln der Heckenschützen retten können.17 Zum Zeichen der Trauer und Solidarität ließ Romero am folgenden Sonntag in der ganzen Diözese eine einzige Messe feiern, die in der Kathedrale der Hauptstadt stattfand. An den drei vorausgehenden Tagen sollte in den katholischen Schulen, die von vielen Kindern reicher Familien besucht wurden, kein Unterricht stattfinden, „damit die Schüler gemeinsam über die Situation des Landes nachdenken konnten.“18

3.2.5

Stimme derer, die keine Stimme haben

Als „Stimme derer, die keine Stimme haben“,19 prangerte der Erzbischof von nun an die Ungerechtigkeit und die Gewalt im Lande an. Dazu bediente sich Romero, der bereits als Generalvikar von S. Miguel täglich eine Bibelstelle im Radio besprochen hatte und als Weihbischof von San Salvador u. a. für das Diözesanradio YSAX und die Bistumszeitung zuständig gewesen war, der modernen Medien. Er suchte das Gespräch mit ausländischen Journalisten, um die Situation in seiner Heimat auch im Ausland bekannt zu machen.20 Seine Sonntagspredigten wurden Woche für Woche im Radio übertragen und auf vielfachen Wunsch später auch schriftlich veröffentlicht.21 Diese Predigten waren ein kommunikatives Phänomen. Obwohl sie bis zu zwei Stunden dauerten, fanden sie im ganzen Land aufmerksame Zuhörer. Sie erreichten, „wie man festge15 16 17 18 19 20 21

Vgl. López, Porträt, 16; 94. Rubén Zamora, in: López, Porträt, 73; vgl. Feldmann, Träume, 18. Zum Tod von Rutilio Grande vgl. López, Porträt, 76-78. Vgl. López, Porträt, 85-91; Zitat: Jon Sobrino, ebd., 87. Feldmann, Träume, 32. Vgl. Stehle, Tagebuch, 82; 101. Vgl. López, Porträt, 161; 176 f.

Kontextanalyse

203

stellt hat, [...] 73 Prozent der Landbewohner und 47 Prozent in den Städten. Die Stimme des Erzbischofs tönte an jedem Sonntagmorgen in El Salvador aus Wohnungen, Autos und Transistorradios.“22 Jede Predigt enthielt neben der Auslegung der Tageslesungen einen „Informationsteil“, in dem Romero Nachrichten der letzten Woche über Streiks, Besetzungen und andere Aktionen der Volksorganisationen, über Verschwundene und Ermordete an die Öffentlichkeit brachte. Zeitweise erfuhr man „nur noch über Radio YSAX und durch die Predigten [...], was im Lande vorging. Der Rest der Medien übte Selbstzensur, wurde von außen zensiert oder wagte aus Furcht nichts zu sagen.“23 Romero selbst bezeichnete sich als „Kommunikator“.24 In der Predigt vom 26.8.1979 sagte er etwa: „Ich glaube, Brüder und Schwestern, dass es viel Sündhaftes gibt und dass die Kirche der Gesellschaft von El Salvador sagen muss, dass sie keine Götzen anbeten, dass sie sich zum wahren Gott bekehren soll. Analysieren Sie bitte selbst folgende Nachrichten. [...] das Schlimmste sind die Hausdurchsuchungen vom 20. Juli. Eine kombinierte Truppe aus Nationalgarde, Haciendapolizei und Soldaten hat Valle Nuevo, Tres Ceibas, Buena Vista, Loma de Ramos, Mirandilla und El Zapote besetzt. In Tres Ceibas haben sie das Gebäude der alten Schule demoliert und niedergebrannt, das Haus von Frau Luz Rivera, der Witwe Calles, haben sie angezündet, Pedro Dolores Rivera selbst attackiert, geschlagen und ihm die Füße verbrannt. Mariano Canales und Osmaro Contreras haben sie geschlagen. Außerdem versuchten sie, das Haus von Bernardina Carrera niederzubrennen; sie zwangen sie, alles herzugeben, und dass sie ihr nicht auch noch das Leben nahmen, hatte sie, wie man ihr sagte, nur dem Umstand zu verdanken, dass sie schwanger war.“25 In seiner letzten Sonntagspredigt am 23.3.1980 rief er die Soldaten offen zur Befehlsverweigerung auf: „Kein Soldat ist verpflichtet, einem Befehl zu gehorchen, der wider das Gesetz Gottes gerichtet ist. [...] Im Namen Gottes und seines von langen Leiden gequälten Volkes [...] bitte ich, flehe ich, befehle ich: Im Namen Gottes, macht Schluss mit der Unterdrükkung!“26

3.2.6

Rückkehr zu den Wurzeln

Diese „Bekehrung“ war die konsequente Weiterentwicklung eines Menschen, der sein Leben lang um Treue zu Gott und zum Evangelium bemüht war und der „bereit war zum Dienst, bereit für den Nächsten, weit entfernt von jeder Selbstgenügsamkeit.“ Es war sein „tiefes Gespür für Gott“, das ihn „zur Sensibilität und zur Solidarität mit dem Armen“ führte.27 Sein Engagement lebte aus einer 22 23 24 25 26 27

Feldmann, Träume, 32; vgl. Stehle, Tagebuch, 294; 300; 326; López, Porträt, 164; 232. Francisco Calles, in: López, Porträt, 199 f. Vgl. ebd., 234. Francisco Calles, in: López, Porträt, 108. López, Porträt, 163. Feldmann, Träume, 36; Arntz, Propheten, 12. Gustavo Gutiérrez im Vorwort zu Brockmann, Textos, 7 f. Übersetzung von mir.

204

Kontextanalyse

tiefen Frömmigkeit. Schon als Kind war er nachts aufgestanden, um zu beten. Von der Schreinerwerkstatt, wo er lernte, war er regelmäßig zum Beten in die Kirche gelaufen.28 Als Erzbischof sah ihn ein Seminarist früh morgens lange in der Seminarkapelle beten.29 Auch der Schlüssel zu seinen Predigten lag neben mehrstündigen Vorbereitungstreffen in einer Gruppe von Priestern und Laien im Gebet: „Ich bin Zeuge, dass er mehr als einmal die Nacht vom Samstag auf den Sonntag in seinem Zimmer auf Knien zubrachte. So bereitete er sich vor.“30 Msr. Emil Stehle, Bischof von Santo Domingo de los Colorados in Ecuador, beschreibt ihn als „von seiner Natur her eher zurückhaltenden Menschen, einen Priester von ausstrahlender Glaubenskraft, lauterem Lebenswandel, tiefer persönlicher Frömmigkeit.“31 Zugleich war die Bekehrung eine Rückkehr zu seinen Wurzeln, wie Romero gegenüber dem damaligen Jesuitenprovinzial von Mittelamerika äußerte: „Ich bin in einer sehr armen Familie geboren. Ich habe Hunger gelitten, ich weiß, was es heißt, von klein auf zu arbeiten... Als ich ins Seminar eintrat und meine Studien begann [...], habe ich Jahr um Jahr zwischen Büchern verbracht und meine Herkunft ganz vergessen. [...] Dann schickten sie mich nach Santiago de María, und dort stieß ich wieder auf das Elend. Bei den Kindern, die allein schon an dem Wasser sterben, das sie getrunken haben, bei den Campesinos, die sich bei der Ernte zugrunde richten... Sie wissen ja, Padre, Kohle, die einmal Glut gewesen ist, fängt beim kleinsten Windhauch wieder Feuer. Und es war ja nicht gerade wenig, was da in der Sache mit Pater Grande passiert ist. Sie wissen, dass ich ihn sehr gemocht habe. Als ich den toten Rutilio ansah, dachte ich: Wenn sie ihn für das umgebracht haben, was er getan hat, dann muss ich denselben Weg gehen wie er... Ich habe mich geändert, ja, aber ich bin auch zurückgekehrt.“32

28 29 30 31

32

Vgl. den Bericht der Geschwister Zaida und Tiberio, in: López, Porträt, 13. Vgl. López, Porträt, 168 f. Rafael Urrutia, in: López, Porträt, 178. Zum Vorbereitungskreis für die Predigten vgl. ebd., 177. Stehle, Tagebuch, 6. Wie aus dem Tagebuch hervorgeht, war Msr. Romero ein Anhänger der Herz-Jesu-Verehrung. So nahm er im März 1979 in Santo Domingo an einem Seminar teil, wo man darüber nachdachte, „wie man den Menschen von heute diese Frömmigkeitsform anziehend machen kann, die ohne Zweifel nach wie vor aktuell ist, aber von manchen – weil man sie vielleicht nicht genug modernisiert hat – als veraltet angesehen wird“ (97). In der Predigt zur Totenmesse des ermordeten Priesters Rafael Palacios, die auf einen Herz-Jesu-Freitag fiel, verband er „die Idee des Herz-Jesu-Festes mit dem Tod Padre Palacios’“ (162). César Jérez, in: López, Porträt, 124 f.

Kontextanalyse

3.2.7

205

Märtyrer ohne Todessehnsucht

Am 24. März 1980 wurde Oscar Romero während der Messe in dem von Schwestern geführten Krebshospital am Stadtrand, wo er wohnte, von Scharfschützen ermordet. „Das letzte Zeugnis von Msr. Romero, das Martyrium, ist das nicht herbeigesehnte, aber auch nicht um jeden Preis vermiedene Resultat seiner Option für den Gott Jesu Christi und für sein Volk.“ „Er suchte keine Probleme, aber er umging sie auch nicht um den Preis, die Verkündigung des Reiches des Lebens zu verschweigen“, wie Gustavo Gutiérrez sagt.33 In einem Interview mit der Zeitung “Vida Nueva” sagte Romero selbst: „Ich für meinen Teil möchte keinen Streit mit der Regierung. Wenn man mir sagt, dass ich subversiv bin, dass ich mich in die Politik einmische, sage ich: Das ist nicht wahr. Ich versuche, die Sendung der Kirche zu definieren, die die Verlängerung der Sendung Christi ist.“34 Aber wie Christus, als er „den Samen gesät hat, [...] in Konflikte [geriet], weil dieser Same, der das Wort des Gerechten, des Heiligen ist, [...] mit der Sünde zusammenstößt, mit denen, die diesen Samen nicht wachsen lassen wollen,“35 muss auch die Kirche in einer Gesellschaft der Sünde in Konflikte geraten. „Die Kirche muss leiden, weil sie die Wahrheit sagt, weil sie die Sünde anprangert, weil sie die Sünde ausreißt. Niemandem gefällt es, wenn man an seine Wunde rührt, und deswegen schreit eine Gesellschaft auf, die so viele Wunden hat, wenn jemand mutig daran rührt.“36 Den Erzbischof selbst kostete es viel Mut, die Wahrheit zu sagen. Ein Zeitzeuge, der eine seiner Predigten gelobt hatte, berichtet, er habe „irgendwie bestürzt“ gewirkt „über das, was er selbst gesagt hatte“, und offensichtlich Angst vor den Folgen gehabt.37 Aber „eine Predigt, die die Sünde nicht entlarvt, ist keine Predigt des Evangeliums.“38 In der Bischofskonferenz ertrug er demütig die Anfeindungen seiner Mitbrüder, die ihm, der die Leute kommunistisch indoktriniere, die Schuld an der Misere des Landes gaben, und tat alles, um keinen offenen Streit aufkommen zu lassen. „In allen Nebensachen bin ich ja um des Friedens willen zum Nachgeben bereit, aber nie, wenn es darum geht, aus Überzeugung dem Evangelium, den neuen Linien der Kirche und meinem Volk treu zu sein“, notierte er in sein Tagebuch.39

33 34 35 36 37 38 39

Vgl. das Vorwort zu Brockmann, Textos, 10; 6. Übersetzung von mir. 2. Juni 1979, in: Brockmann, Textos, 154. Übersetzung von mir. Predigt vom 16.7.1978, in: Brockmann, Textos, 81. Übersetzung von mir. Predigt vom 15.1.1978, in: Brockmann, Textos, 53. Übersetzung von mir. Carlos Cabarrús, in: López, Porträt, 167. Predigt vom 22.1.1978, in: Brockmann, Textos, 56. Übersetzung von mir. Eintrag vom 11.3.1980 nach einem Gespräch mit dem Nuntius von Costa Rica, „der sich im Auftrag des Heiligen Vaters um die Einheit des Episkopats von El Salvador bemühen soll[te]“, in: Stehle, Tagebuch, 319 f. Vgl. auch ebd., 98; 234.

Kontextanalyse

206

3.2.8

Die Evangelisierung der Gesellschaft

Wie bereits erwähnt, war Msr. Romero immer darauf bedacht, gegenüber politischen Parteien und weltanschaulichen Strömungen neutral zu bleiben und sich nicht für ein bestimmtes Programm vereinnahmen zu lassen.40 „Die Kirche möchte keine sozialen oder politischen Systeme aufdrängen. Das darf sie nicht; es ist nicht ihre Aufgabe“, sagte er in einer seiner Predigten. Daher sei die Kirche kritisch gegenüber jedweder gesellschaftlichen Realität, die sie vom Evangelium her beleuchten müsse.41 Denn „die christliche Befreiung“ sei „vollständiger und tiefer [...] als jegliche andere Befreiung bloß politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Art.“42 Daher müsse „jede Bewegung, der es um Durchsetzung von Rechten geht, sich in die Erlösung einfügen [...], die Gott tun kann und die zu verwirklichen nur Christus gekommen ist.“43 Die „irdischen“ Befreiungsbewegungen entsprächen der göttlichen Vorsehung in dem Maße, wie sie „nicht vergessen, dass alle befreiende Macht der Welt von Christus kommt.“44 Diese Haltung schärfte er auch seinen Priestern, Seminaristen und pastoralen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein.45 In einer Audienz bei Johannes Paul II. und bei Kardinalstaatssekretär Casaroli im Januar 1980 und in einem Gespräch mit dem Nuntius von Costa Rica im März desselben Jahres legte er ebenfalls diese Position dar.46 Er litt sehr unter den Anschuldigungen und Verleumdungen und unter dem mangelnden Verständnis für seine Pastoral, „die doch in aller Ehrlichkeit ein 40

41

42 43 44 45

46

Dieses Thema durchzieht das Tagebuch der letzten drei Jahre; vgl. Stehle, Tagebuch, 13; 26; 33; 139 sowie die Einträge zu Gesprächen mit Vertretern der christdemokratischen Partei (11.und 20.4.1978; ebd., 22; 31), des Revolutionären Volksblocks (12.4.1978 und 12.5.1979; ebd., 24; 132 f.), der FAPU, einer Koalition von Volksorganisationen (12.6.1978; ebd., 35) und mit einem jungen Unternehmer (25.9.1979; ebd., 200). An der Zusammensetzung der Gesprächspartner lässt sich ablesen, dass Msr. Romero unvoreingenommen den Kontakt zu allen Gruppen der Gesellschaft suchte und umgekehrt von Vertretern verschiedenster Schichten und Gruppen aufgesucht wurde. 10.6.1979, in: Brockmann, Textos, 156. Übersetzung von mir. Vgl. auch die Predigten vom 14.1. (ebd., 120), 23.9. (ebd., 186), 28.10. (ebd., 189) und 9.12.1979 (ebd., 196) und die Tagebuchnotiz zur Predigt vom 11.11.1979 (Stehle, Tagebuch, 228). Tagebucheintrag vom 9.4.1978, in: Stehle, Tagebuch, 21. Eintrag zur Predigt vom 7.1.1979, in: Stehle, Tagebuch, 64. Vgl. auch ebd., 28 f.; 153 f.; 319. Predigt vom 24.6.1979, in: Brockmann, Textos, 159. Übersetzung von mir. Vgl. auch Stehle, Tagebuch, 317. So dem Priesterrat (vgl. Stehle, Tagebuch, 23; 144; 248; 251 f.); den Seminaristen (vgl. ebd., 157); den Gemeindeleitern (vgl. ebd., 91; 109); den Führungskräften des Erzbischöflichen Ordinariats (vgl. ebd., 310) und den Vertretern der Vereinigung der Schulen des Erzbistums (vgl. ebd., 12). Vgl. auch ebd., 224; 297 f.; 332. Vgl. die Tagebucheinträge vom 30.1. (Stehle, Tagebuch, 278), 31.1. (ebd., 280) und 11.3.1980 (ebd., 320).

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207

Dienst an Gott und dem Evangelium sein“ wolle.47 Zugleich war er von Skrupeln geplagt. Nach einer spannungsgeladenen Priesterratssitzung bat er mit Tränen in den Augen einige Priester: „Sagen Sie mir, sagen Sie mir ehrlich [...] Sagen Sie mir, ob ich mich im Irrtum befinde. […] Ich frage den Herrn im Gebet immer wieder, ob ich mich irre [...] Ich frage auch Sie. Sagen Sie es mir, helfen Sie mir, Klarheit zu finden. […] Helfen Sie mir. Und wenn Sie mir beweisen, dass ich mich im Irrtum befinde, werde ich das Volk von El Salvador auf Knien um Verzeihung bitten.“48 Aus Sorge, dass er „beeinflusst werde“, suchte er sogar inkognito einen mexikanischen Psychiater auf, um sich durchchecken zu lassen: „Ich muss wissen, ob ich frei handle!“49 Am 17.12.1978 sagte er in der Predigt, er „bitte den Heiligen Geist sehr um das was man die Gabe der Unterscheidung der Geister nennt.“50 In sein Tagebuch notierte er: „Ich bitte den Heiligen Geist, dass er mich die Wege der Wahrheit gehen lasse und ich mich weder von Schmeicheleien noch von Furcht, jemanden zu beleidigen, jemals leiten lasse, es sei denn von unserem Herrn!“51 Im Umgang war er allen gegenüber menschlich und offen und im besten Sinne des Wortes unparteiisch. Ungeachtet aller Kritik und möglichen Missverständnisse beerdigte er den ermordeten Priester Ernesto Barrera, der im Verdacht stand, Mitglied einer bewaffneten Widerstandsorganisation gewesen zu sein, was „der Kirche viele Sorgen“ machte. „Ob nicht auch seine Mutter beim Begräbnis an der Seite ihres Sohnes sein werde, [...] ohne nach den näheren Umständen zu fragen? ‚Dort ist auch mein Platz als Bischof!’“52 Wie er für die Campesinos Partei ergriff, die der Gewalt der Militärs und Paramilitärs schutzlos ausgeliefert waren, so auch für alle, die Opfer der „linken“ Gegengewalt in Form von Botschaftsbesetzungen, Geiselnahmen und Morden wurden. Oft wurde er als Vermittler angerufen, da er Kontakte zu beiden Seiten hatte.53 Anlässlich des Mordes an zwei Polizisten sagte er in der Predigt: „Sie sind unsere Brüder. Angesichts der Verleumdung und der Gewalt ist meine Stimme nie parteiisch gewesen. Ich habe mich mit dem Mitleid Christi an die Seite des Ermordeten, des Opfers, dessen, der leidet, gestellt [...] und wir vereinen uns in solidarischem Leid mit ihren Familien. [...] Zwei tote Polizisten sind zwei Arme, die Opfer von anderen, vielleicht auch Armen, geworden sind [...].“54 Gegenüber 47 48 49 50 51 52 53 54

Eintrag vom 13.3.1980, in: Stehle, Tagebuch, 323. Rafael Urrutia, in: López, Porträt, 254. Francisco Oscoz, in: López, Porträt, 254-256; Zitate: 255. Brockmann, Textos, 110. Übersetzung von mir. 13.3.1980, in: Stehle, Tagebuch, 323. Zum Tod von P. Barrera vgl. Stehle, Tagebuch, 56 f.; 60 f.; López, Porträt, 206-209; Feldmann, Träume, 20 f. Zitate: Stehle, Tagebuch, 56; Feldmann, Träume, 21. Vgl. A.40. 30.4.1978; in: Brockmann, Textos, 70. Übersetzung von mir. Vgl. auch Feldmann, Träume, 29.

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208

den Verleumdungskampagnen und Anschuldigungen von „links“ und „rechts“ beteuert er immer wieder, dass er „nichts als die subversive Botschaft der Seligpreisungen verkünde“: „Ich versuche, dem Wort treu zu sein, das der Herr mir zu predigen aufgetragen hat.“55

3.2.9

Eine Zivilisation der Liebe

Gegen den Teufelskreis der Gewalt und Gegengewalt predigte er die „Kraft der christlichen Liebe“.56 „Viele glauben, dass der Ruf der Liebe ineffektiv ist, ungenügend, schwach; und das ist so real, dass einige Journalisten, die mich interviewen, mich oft fragen: ‚Und Sie, die Sie die Liebe predigen, glauben Sie, dass die Liebe das hier lösen kann? Glauben Sie nicht, dass es keinen anderen Weg gibt als die Gewalt, denn in der Geschichte hat nur die Gewalt Veränderungen erreicht?’ Ich sage ihnen: ‚Wenn es wirklich so gewesen ist, dann liegt es daran, dass der Mensch noch nicht von der Kraft Gebrauch gemacht hat, die ihn auszeichnet. Der Mensch zeichnet sich nicht aus durch die rohe Gewalt [...]. Der Mensch zeichnet sich aus durch die Vernunft und die Liebe.’“57 „Wir haben nie Gewalt gepredigt, außer der Gewalt der Liebe, die Christus an ein Kreuz angenagelt enden ließ [...] ‚Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst’, tue sich selbst Gewalt an, unterdrücke in sich die Keime von Geiz, Habgier, Überheblichkeit, Stolz. Tötet das in eurem Herzen. Das ist es, was wir töten müssen, das ist die Gewalt, die wir tun müssen, damit daraus der neue Mensch hervorgeht, der einzige, der eine neue Zivilisation aufbauen kann, eine Zivilisation der Liebe.“58 „‚Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst.’ Verleugnet euch selbst, verleugnet eure Bequemlichkeiten, verleugnet eure persönlichen Meinungen und folgt einzig dem Denken Christi, das uns in den Tod führen kann, uns aber sicher auch zur Auferstehung führen wird.“59 Hingabe bis zum äußersten sei gefragt, die soweit gehe, sich aus Liebe zum Nächsten, aus Liebe zum leidenden Volk von El Salvador töten zu lassen.60

3.2.10 Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen Die Kirche „weiß, dass sie, wenn sie diesen Auftrag erfüllt, der Christus Kreuz und Demütigungen eingebracht hat, auch bereit sein muss, diese Botschaft nicht zu verraten und, wenn es sein muss, wie er das Martyrium erleiden muss, das

55 56 57 58 59 60

Predigten vom 11. Mai 1978 (in: Brockmann, Textos, 72) und 3. Juni 1979 (ebd., 155). Übersetzung von mir. Stehle, Tagebuch, 95; vgl. ebd., 98. Predigt vom 4.11.1979, in: Brockmann, Textos, 190. Übersetzung von mir. Vgl. auch die Predigten vom 29.1.1978 (ebd., 58) und 5.4.1979 (ebd., 151). Predigt vom 19.3.1978 zu Mt 16,24, in: Brockmann, Textos, 65. Übersetzung von mir. Predigt vom 19.6. 1977 zu Lk 9,23, in: Brockmann, Textos, 14. Übersetzung von mir. Vgl. die Predigt vom 12.8.1979, in: Brockmann, Textos, 173.

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Kreuz, die Demütigung, die Verfolgung.“61 Aber „es muss nicht verwundern, wenn eine Kirche viel Kreuz hat, denn sonst hat sie nicht viel Auferstehung. Eine bequeme Kirche, eine Kirche, die Prestige sucht ohne das Leiden des Kreuzes, ist nicht die wahre Kirche Jesu Christi.“62 „Der Weg zur Erlösung verläuft über das Kreuz und über Kalvaria [...] Christus ist lebendig, und wer mit ihm arbeitet, wird ewig leben.“63 Mit Christus arbeiten – das bedeutet: „die Sache der Armen zur eigenen Sache machen“; die eigene Sicherheit, den Besitz, die Intelligenz, ja wenn es sein muss, sogar das Leben für ihre Sache einsetzen.64 „Christus sagt jedem einzelnen von uns: Wenn du willst, dass dein Leben und deine Sendung Frucht trägt wie meine, mach es wie ich: werde zum Korn, das sich begraben lässt; lass dich töten, hab keine Angst. Wer das Leiden flieht, bleibt allein. Es gibt keine einsameren Menschen als die Egoisten. Aber wenn du dein Leben aus Liebe zu den anderen hingibst, wie ich es für alle gebe, wirst du viele Früchte ernten. Du wirst die tiefste Befriedigung haben. Hab keine Angst vor dem Tod, vor den Bedrohungen. Der Herr geht mit dir. Wer seine Seele retten will – das heißt in biblischer Sprache: wer will, dass es ihm gut geht, wer keine Verpflichtungen haben will, wer sich nicht in Schwierigkeiten bringen will, wer außerhalb bleiben will in einer Situation, in der wir uns alle engagieren müssen – der wird sein Leben verlieren. Wie schrecklich, schön bequem gelebt zu haben, ohne irgendein Leid, ohne sich in Schwierigkeiten zu bringen, schön ruhig, gut eingerichtet, mit guten politischen, wirtschaftlichen, sozialen Beziehungen. Nichts fehlte ihm, alles hatte er. Was bringt das? Er wird seine Seele verlieren. Aber wer sich aus Liebe zu mir aufmacht und das Volk begleitet und in dem Leid des Volkes wandelt und sich darin inkarniert und das Leid, die Demütigung fühlt wie sein eigenes, den wird mein Vater belohnen. Brüder, dazu ruft uns das Wort Gottes heute auf, und ich wünschte, ich hätte wirklich alle Überzeugungskraft, euch zu sagen: Es lohnt sich, Christ zu sein.“65 Denn: „Was nicht vergeht, ist das Bemühen, das Geld, die Besitztümer und den eigenen Beruf zu einem Dienst an den anderen 61

62 63 64

65

Predigt vom 22.4.1979, in: Brockmann, Textos, 152. In der Predigt vom 1.4.1979 bittet er das Volk um Verzeihung, wenn er es „manchmal verwirrt habe, indem er die harte Botschaft vom Kreuz zu sehr gemildert habe“ (ebd., 145). Übersetzungen von mir. Predigt vom 19.2.1978, in: Brockmann, Textos, 63. Übersetzung von mir. Feldmann, Träume, 31. Vgl. die erste Sonntagspredigt nach der Rückkehr aus Puebla am 18.2.1979, in: Brockmann, Textos, 126 (Zitat: ebd.) sowie die Predigt vom 1.7.1979 mit Bezug auf die Nr. 3 der „Botschaft der Bischofsversammlung von Puebla an die Völker Lateinamerikas“ und auf Mt 25,40; ebd., 161. Übersetzung von mir. Predigt vom 1.4.1979 (zu Joh 12,20-33), in: Brockmann, Textos, 143 f. Übersetzung von mir. Die von Romero verwendete Bibelübersetzung gibt [WEJ offensichtlich mit „Seele“ statt mit Leben wieder. Ebenso fällt hier wie in anderen Predigten auf, dass er unter seinen Zuhörern explizit lediglich die „Brüder“, nicht aber die Schwestern anspricht – darin Kind seiner Zeit und seines soziokulturellen Umfelds.

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210

gemacht zu haben. Was nicht vergeht, ist das Glück, alle Menschen als Geschwister zu erfahren und mit ihnen zu teilen.“66 „Man muss teilen, um glücklich zu sein.“67 Im Dezember 1978 hatte er in einer Predigt festgestellt: „Viele benutzen ihre Intelligenz, um zu zerstören, zu unterdrücken und sich egoistisch zu bereichern, nicht aber um Instrument Gottes für das Glück anderer zu werden.“68 Daher legte er großen Wert darauf, dass die junge Generation nicht zum „Haben“, sondern zum „Sein“ erzogen würde, zur Liebe und zum Dienst am anderen.69 „Wie schön wird der Tag sein, an dem in einer neuen Gesellschaft, anstatt egoistisch für sich zu horten und zu verwahren, verteilt, mitgeteilt und aufgeteilt wird, und alle sich freuen, weil wir uns als Kinder desselben Gottes fühlen! Was sonst will das Wort Gottes in der Wirklichkeit von El Salvador als die Bekehrung aller, damit wir uns als Brüder fühlen?“70

3.2.11 Vom Volk lernen „Die Sache der Armen zur eigenen Sache machen“ – das tat Monseñor Romero, indem er sie ernst nahm, ihnen zuhörte, wenn sie ihn besuchten und ihm ihr Leid über ermordete oder verschwundene Angehörige klagten; indem er sie zu Wort kommen ließ in den Briefen, die er in der Predigt und in seinen Radioprogrammen vorlas. „Ich glaube, dass der Bischof immer viel von seinem Volk lernen kann; und besonders in den Charismen, die der Geist dem Volk gibt, findet der Bischof den Prüfstein seiner Demut und seiner Glaubwürdigkeit.“71 Gustavo Gutiérrez bringt es auf den Punkt, wenn er im Vorwort zu einer in Lima erschienenen Ausgabe von “Textos de Monseñor Romero” schreibt, „eines der Dinge, die an Msr. Romero am meisten beeindruckten“, sei „seine Fähigkeit, zuzuhören und sich zu verändern.“72 Nach einer Schriftlesung mit Campesinos, während derer er ganz still zugehört hatte, sagte er mit Tränen in den Augen: „Ich dachte immer, dass ich das Evangelium kenne, aber jetzt lerne ich, es mit anderen Augen zu lesen.“73 Mit dem alten Wachmann des Hospitals, in dem er wohnte, verband ihn eine echte Freundschaft. Regelmäßig traf er sich mit ihm, um seine Meinung zu den Predigten und zum Tagesgeschehen zu hören.74 Als Bischof 66 67 68 69 70 71 72 73 74

Predigt vom 21.1.1979, in: Romero, Pensamiento, Bd. 6, 134, nach: Arntz, Propheten, 21. Aufruf „an die Oligarchie“ in der Predigt vom 6.1.1980, in: Brockmann, Textos, 201. Übersetzung von mir. Predigt vom 3.12.1978, in: Romero, Pensamiento, Bd. 6, 13, nach: Arntz, Propheten, 21. Vgl. die Predigten vom 22.1.1978 (in: Brockmann, Textos, 54) und vom 7.10.1979 (ebd., 188). Predigt vom 27.1.1980, in: Brockmann, Textos, 204. Übersetzung von mir. Predigt vom 9.9.1979, in: Brockmann, Textos, 184. Übersetzung von mir. Brockmann, Textos, 7. Übersetzung von mir. Antonio Fernández Ibáñez, in: López, Porträt, 213 f. Vgl. López, Porträt, 276.

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211

verstand er sich als Vertreter und Diener des Volkes. „Die Autorität in der Kirche ist nicht Befehlsvollmacht, sie ist Dienst. [...] Ich bin kein Chef, ich bin kein Befehlshaber [...]. Ich will Diener Gottes und euer Diener sein.“75 Auch im Ordinariat suchte er das Gespräch. „Die Tür seines Büros ließ er grundsätzlich offen. Wenn er mit seinem Latein am Ende war, versammelte er alle Mitarbeiter in der großen Halle des [...] Bischofspalais und fragte sie reihum nach ihrer Meinung. Und eines Tages funktionierte er diese Halle kurzerhand zu einer Cafeteria um.“76 „Nach der Einweihung der Kaffeestube kamen noch mehr Leute ins erzbischöfliche Haus und blieben noch länger dort. Monseñor Romero, der früher einmal so zurückgezogen gelebt hatte, fuhr jetzt genau auf dem anderen Gleis.“77 Seine Predigten und Hirtenbriefe pflegte er in einer Gruppe vorzubereiten.78 Auch die Seminaristen fragte er um Rat; so diskutierte er mit ihnen intensiv über die neue Regierungsjunta, die im Oktober 1979 durch einen Putsch an die Macht gekommen war. Das Ergebnis floss in die nächste Sonntagspredigt ein.79 „In unseren gemeinsamen Sitzungen war mir stets aufgefallen, wie bescheiden er war; er drängte sich uns nicht auf, manchmal machte er sich geradezu von uns abhängig“, erinnert sich eine Mitarbeiterin.80 „Viele werfen mir vor“, bemerkte er manchmal, „dass ich zu viele Leute zuviel um Rat frage. Doch das ist der schönste Vorwurf, den sie mir machen können. Und ich gedenke nicht, mich zu bessern!“81 Seine Vision war es, dass alle, arm und reich, Oligarchie und Volk, am Aufbau einer neuen salvadorianischen Gesellschaft beteiligt würden. „Ein Zeichen der heutigen Zeit ist der Sinn für Mitbestimmung, das Recht jedes Menschen, am Aufbau seines eigenen Gemeinwohls mitzuwirken. Darum ist zur Stunde eine der gefährlichsten Einstellungen die Repression, zu sagen: ‚Nur wir können regieren, die anderen nicht; man muss sie fernhalten.’“82 Vielmehr soll die Poli75

76 77 78 79 80 81 82

Predigt vom 10.9.1978, in: Brockmann, Textos, 87. Übersetzung von mir. Vgl. Stehle, Tagebuch, 88. Den Beifall für seine Predigten und für seine Person empfand er als Bestätigung seiner Gemeinschaft und Übereinstimmung mit dem Volk, „das von seinen Propheten und Hirten eine immer tiefere Solidarität erwartet“; vgl. die Tagebucheinträge vom 23.9. (ebd., 199) und 21.11.1979 (ebd., 234; Zitat: ebd.). In einem Gespräch mit Medienfachleuten sagte er über seine Predigten: „Ich vertraue auf den Heiligen Geist und versuche, sein Instrument zu sein, das Volk zu lieben und ihm vom Evangelium aus ehrlich zu dienen“ (27.11.1979; ebd., 237 f.). Feldmann, Träume, 22. Rutilio Sánchez, in: López, Porträt, 117. Vgl. López, Porträt, 177 f. (zu den Predigten); Stehle, Tagebuch, 26; 33 (zu den Hirtenbriefen). Vgl. López, Porträt, 268-270. Coralia Godoy, in: López, Porträt, 162. César Jérez, in: López, Porträt, 112. Predigt vom 10.7.1977, in: Brockmann, Textos, 16. Übersetzung von mir. Vgl. die Predigt vom 10.6.1979; ebd., 156.

212

Kontextanalyse

tik den Menschen dienen: „Die wahre Befreiung [...] macht sich wie Christus, kaum bewusst, dass sie regiert, zum Sklaven, um den anderen zu dienen.“83

3.2.12 Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt... Der Gefahr für sein Leben war er sich bewusst. Er suchte nicht den Tod, er fürchtete ihn, wie er einem Freund anvertraute: „Ich sage die Wahrheit [...]: Ich will nicht sterben. Zumindest jetzt noch nicht, ich will jetzt noch nicht sterben. Noch nie habe ich das Leben so sehr geliebt! Ich sage Ihnen ehrlich: Ich habe keine Berufung zum Märtyrer, ich habe sie nicht. Natürlich, wenn es das ist, was Gott von mir will, dann... Ich bitte ihn nur, dass die Umstände meines Todes keinen Zweifel an dem lassen, was wirklich meine Berufung ist: Gott zu dienen, dem Volk zu dienen. Aber jetzt sterben – nein; ich brauche noch ein bisschen Zeit...“84 In seiner letzten Predigt sagte er: „Es ist zwecklos, sich selbst zu lieben, sich vor den Gefahren des Lebens zu hüten. Die Geschichte stellt die Menschen in diese Gefahren, und wer ihnen ausweichen will, verliert sein Leben. Wer sich dagegen aus Liebe zu Christus in den Dienst der anderen stellt, wird leben – wie das Weizenkorn, das stirbt [...] Die Ernte setzt das Sterben voraus.“85

3.2.13 Erfüllt von der Hoffnung Treibende Kraft seines Engagements war die Hoffnung auf das Reich Gottes. Christinnen und Christen leiden an den Ungerechtigkeiten der Zeit, aber es ist „ein heiteres Leiden [...] ohne Hass“ in der Erwartung der Wiederkunft des Auferstandenen. „Die Kirche erwartet mit Sicherheit die Stunde der Erlösung. Die Verschwundenen werden auftauchen. Das Leid der Mütter wird sich in Ostern verwandeln. Die Bedrängnis dieses Volkes, das vor lauter Angst nicht weiß, wo es hingeht, wird ein Fest der Auferstehung sein, wenn wir uns mit Christus vereinen und auf ihn warten. [...] Deshalb predige ich: viel Glauben an Jesus Christus, viel Glauben an Christus, der gestorben ist [...], der auferstanden ist [...], der Erlösung wird für alle, die leiden, Hoffnung und ewiges Leben.“86 „Das Festmahl Gottes wird kommen; wartet auf die Stunde Gottes. Haben wir Glauben; das alles wird wie ein Albtraum vom Vaterland vorbeigehen, und wir werden aufwachen zum großen Festmahl des Herrn. Lassen wir uns erfüllen von dieser Hoffnung.“87

83 84 85 86 87

Predigt vom 23.3.1978, in: Brockmann, Textos, 66. Übersetzung von mir. Jorge Lara Braud, in: López, Porträt, 314. Vgl. ebd., 179; 302. Stehle, Tagebuch, 335. Vgl. Joh 12,24 f. Predigt vom 1.12.1977, in: Brockmann, Textos, 30 f. Übersetzung von mir. Predigt vom 15.10.1978 (zu Jes 25,7 f.), in: Brockmann, Textos, 96 f. Übersetzung von mir.

Kontextanalyse

3.3

213

Fazit

Leben und Tod des Oscar Romero erweisen sich als geeignet, die von uns analysierte Sequenz Mk 8,34-9,1 wie auch andere Nachfolgeworte des Mittelteils für die heutige Zeit anschaulich zu machen und zu einem tieferen Verständnis zu gelangen. Nicht nur nahm Msr. Romero in seinen Predigten und Schriften immer wieder auf diese Worte Bezug – er versuchte, sie zu leben. Der Wille zu ernsthafter Nachfolge erfüllte ihn von Kind auf. Die ersten 33 Jahre seiner kirchlichen Karriere versuchte er diesem Ruf durch tiefe persönliche Frömmigkeit und durch Treue zu den Vorschriften und Weisungen der Amtskirche, jedoch ohne gesellschaftlichen Einsatz gerecht zu werden. Erst als Erzbischof von San Salvador ließ er sich durch das Leiden des Volkes ergreifen, das ihm als Hirten anvertraut war. Wie Christus fühlte er sich als Diener dieser Menschen (Mk 10,45). Als einer der „Ersten“ in der kirchlichen Hierarchie wollte er nicht die anderen beherrschen, sondern „Diener aller“ sein (Mk 9,35; 10,43 f.). Im Hören auf die einfachen Leute, denen die ganze Aufmerksamkeit Gottes gilt (Mk 9,42), vollzog er eine Kehrtwendung vom menschenscheuen Bücherwurm zum öffentlichen Sprecher derer, die in der Gesellschaft keine Stimme haben. Seine Vision war eine neue, geschwisterliche Gesellschaft, in der alle füreinander da sind und den anderen jeweils den ersten Platz zuweisen (Mk 9,41-43). Die sozialen und politischen Gegebenheiten seines Landes maß er ausnahmslos und unvoreingenommen am Reich Gottes. Alle, insbesondere aber die an den Rand Gedrängten, sollten die Gesellschaft, in der sie lebten, mitgestalten können. Daher suchte er ständig den Kontakt mit denen, für die er öffentlich sprach. Ihm war klar, dass er sich, indem er die Sünde der Gesellschaft anprangerte, in Konflikte begab. Diesen Konflikten wich er nicht aus, um etwa sein eigenes Leben zu sichern (Mk 8,35). Vielmehr war er bereit, um des Reiches Gottes und des Dienstes an den Geringen willen „sein Kreuz auf sich zu nehmen“ und gegebenenfalls „sein Leben zu verlieren“ (Mk 8,34 f.). Als von Natur aus ängstlicher Mensch suchte er nicht den Tod; jedoch nahm er ihn als letzte Konsequenz seines Dienstes in Kauf. Die Kraft kam ihm aus der Hoffnung auf das Reich Gottes (Mk 8,38; 9,1) und aus dem Gebet (Mk 9,29). Zugleich wurde er in der Gemeinschaft mit seinem Volk bereits mit dem Leben erfüllt, das sich bis in die Vollendung des Reiches Gottes hinein fortsetzt (Mk 8,35; 10,29-31).

4.

Die Verklärungserzählung (Mk 9,2-13)

4.1

Kontext, Herkunft, Gattung und Struktur

Nach der ersten Leidensankündigung, der Auseinandersetzung mit Petrus und der Belehrung über die Lebenshingabe nimmt das Evangelium einen Moment lang die Gegenseite in den Blick. Die Verklärungsgeschichte zeigt Jesus in der Herrlichkeit, die er nach Leiden und Tod erlangen wird. Sehr wahrscheinlich hat dem Evangelisten eine Überlieferung der Verklärung vorgelegen. Deren genaue Herkunft bleibt jedoch im Dunkeln, da unabhängige Vergleichstexte fehlen.1 Der traditionsgeschichtliche Hintergrund dürfte in den alttestamentlichen Epiphanieerzählungen sowie in frühjüdisch-hellenistischen Traditionen zu den Gottesbegegnungen Moses und Elijas zu suchen sein, die in V.4 die Bühne betreten.2 Formal ist die Geschichte somit als Epiphanieerzählung zu bestimmen. Insbesondere sind diverse Parallelen zu den Erzählungen vom Bundesschluss am Sinai wie die Orts- und Zeitangabe (hoher Berg; sechs Tage vgl. Ex 24,16), die Auswahl von drei Begleitern (vgl. Ex 24,1.9), das Erscheinen der Wolke die Wolkenstimme (vgl. Ex 19,9.16 ff.; 24,15-18) sowie das Auftreten des Mose zu beobachten.3 Auffallend ist die Erzählperspektive, denn „anders als die meisten Geschichten im Markusevangelium“ ist die Verklärungserzählung fast durchgehend aus der Sicht der Jünger erzählt. Der Erzähler nimmt entweder ihre Position ein, oder er nimmt sie „sozusagen aus der Vogelperspektive“ in den Blick.4 Durch die perspektivische Darstellung wird die Epiphanieerzählung „zu einer Berufungs- bzw. Beauftragungsgeschichte der ausgewählten Jünger.“5

1

2

3

4 5

Die Seitenreferenten dürften trotz der auffällig hohen Zahl von “minor agreements” von Markus abhängig sein; vgl. Zeller, Verwandlung, 109. Die Anspielung auf die Verklärung in 2 Petr 1,18 ist ein später Text, der direkt oder indirekt ebenfalls auf Mk 9,2-8 zurückgeht; vgl. Beutler, Weg, 31. Zu letzteren vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 83, die die Geschichte als „Neuerzählung der biblischen Gottesbegegnungen von Elija und Mose am Sinai bzw. Horeb“ bestimmt. Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 75; Reiser, Verklärung, 32; Pesch, Markusevangelium, 71 f.; Gnilka, Markus 2, 32; 39 mit Verweis auf D. F. Strauß, Das Leben Jesu, Leipzig 1864, 515-522, der die Verklärungserzählung bereits „im wesentlichen von Ex 24 her“ deute. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 75 f.; 77. Ebd., 82; vgl. 83 sowie Heil, Transfiguration, 151, der von einer “pivotal mandatory epiphany” spricht, und Gnilka, Markus 2, 36. Aufgrund der Jüngerunverständnisse in VV.6.9 f. ist Standhartinger allerdings der Meinung, Markus nehme das Berufungsmotiv „nur kritisch auf“ (Verklärungsgeschichte, 84).

Kontextanalyse

216

Was die Abgrenzung der Einheit betrifft, so bildet der V.2 mit Jesus und den drei Jüngern als Handlungsträgern, der Zeitangabe „nach sechs Tagen“ und der Ortsangabe „auf einen hohen Berg“ einen Neueinsatz. Diese Angaben bleiben bis V.13 in Geltung. Das Herabsteigen vom Berg in V.9 markiert innerhalb des Abschnitts eine Zäsur, durch die er in zwei Untereinheiten zerfällt.6 Die eigentliche Verklärungsepisode (VV.2-8) lässt sich nach dramatischen Gesichtspunkten in fünf Szenen unterteilen: 1. Der Aufstieg auf den Berg (V.2a); 2. die Verwandlung Jesu (V.2b-3); 3. das Erscheinen Moses und Elijas, ihr Gespräch mit Jesus, die Reaktion des Petrus und der diesbezügliche Kommentar des Erzählers (VV.4-6); 4. das Erscheinen der Wolke und die Himmelsstimme (V.7); 5. das Ende der Epiphanie (V.8).7 Die zweite Untereinheit ist als Wechselgespräch konzipiert. Im Anschluss an die zweifellos erklärungsbedürftigen Ereignisse auf dem Berg stellt dieser Teil eine Sonderbelehrung für die Jünger dar.

4.2

Auslegung

4.2.1

Die Verklärung Jesu (Mk 9,2-8)

Der Einleitungsvers (V.2) bereitet die Szenerie für das folgende Ereignis vor. Dabei ist bereits die Zeitangabe „nach sechs Tagen“ außergewöhnlich, denn solche numerisch genauen Angaben begegnen im Markusevangelium sonst nur im Passionsbericht (vgl. 14,1.12; 15,33).8 Im Kontext des Evangeliums verweist die Zeitangabe zurück auf die Belehrung über das Kreuztragen vor den Jüngern und der Volksmenge (8,34-9,1). Zugleich trennt sie die Verklärungserzählung vom Vorausgehenden, denn eine Woche ist, verglichen mit der üblichen schnellen Abfolge der Ereignisse im Markusevangelium (GWXSWL; MCK), schon eine beachtliche Zeitspanne.9 „Nach sechs Tagen“ also nimmt Jesus seine Begleiter mit auf einen hohen Berg. RCTCNCODCPGKP erscheint überwiegend in redaktionellen Passagen. Von sechs Belegen im Markusevangelium steht es viermal im Zusammenhang mit einem besonderen Begleiterkreis Jesu. Bei der Erweckung der Jaïrustochter Mk 5,40 sind es neben den Eltern des Mädchens die selben drei Jünger (vgl. 5,37); ebenso Mk 14,33 in Getsemani. Mk 10,32 nimmt Jesus vor der dritten Ankündigung von Tod und Auferstehung die Zwölf beiseite. Auch an unserer Stelle 6 7 8

9

Vgl. Beutler, Weg, 24; 29. Nach Reiser, Verklärung, 28. Dies bestätigt die Vermutung, dass die Verklärungserzählung wie der Passionsbericht zur vormarkinischen Tradition gehört; vgl. Best, Transfiguration, 44; Gnilka, Markus 2, 31. Vgl. Heil, Transfiguration, 151 f. mit Verweis auf Tolbert, Sowing, 205.

Kontextanalyse

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bezieht sich RCTCNCODCPGKP auf einen ausgewählten Personenkreis. Die genannte Dreiergruppe, eine „Elite-Untergruppe innerhalb der Zwölf“, hebt sich bereits in der Jüngerliste durch die Nennung an erster Stelle und die Belegung mit Beinamen heraus. Dem Redaktor waren sie vermutlich als Leiter der Jerusalemer Gemeinde bekannt.10 Im Markusevangelium sind sie – zusammen mit Andreas, dem Bruder des Petrus – die ersten berufenen Jünger (1,16-20). Auch in der Folge wird ihnen eine Sonderbehandlung zuteil, indem sie bei besonderen Anlässen dabei sind (vgl. 2,29-31; 5,37; 14,33).11 Die Auswahl der drei Begleiter signalisiert also dem Leser und der Hörerin, dass in der Folge etwas besonders Bedeutungsvolles geschehen wird. Die Spannung wird durch die Bemerkung „für sich, allein“ noch gesteigert. MCV’ KXFKCPOQPQWL ist ein Doppelausdruck (Hendiadyoin), ein bei Markus beliebtes stilistisches Mittel.12 Als solcher ist die Wendung an sich bereits bedeutungsverstärkt. MCV’KXFKCP erscheint bei Markus siebenmal. Bis auf Mk 7,33, wo es die formgerechte Absonderung des Taubstummen von der Menge bezeichnet, steht es überwiegend in redaktionellen Passagen im Zusammenhang der Sonderbelehrung für die Jünger (4,34; 6,31.32; 9,2.28; 13,3). Hohe Berge gelten bis heute als bevorzugte Orte religiöser Erfahrung. Im Alten Testament finden besondere Gottesbegegnungen auf Bergen statt; so etwa die versuchte Opferung Isaaks (Gen 22,14), der Bundesschluss am Sinai (Ex 19,16-20; 24,9 f.17) und Elijas Gottesbegegnung am Horeb (1 Kön 19,11).13 Auch im Neuen Testament ist der Berg ein bevorzugter Ort göttlicher Offenbarung (vgl. Mt 5,1; 15,29; 28,16; Apg 1,12). Bei Markus findet die Berufung des Zwölferkreises, die auch auf den Bund mit den zwölf Stämmen Israels anspielt, auf einem Berg statt (vgl. 3,13 ff.). In Mk 6,46 betet Jesus auf einem Berg. Auch an unserer Stelle ist der Berg als Ort besonderer Gottesnähe angesprochen. Dies wird noch hervorgehoben durch die Information, dass es sich um einen besonders hohen Berg (WB[JNQL) handelt.14 Die Einleitung bereitet die LeserInnen also bereits auf eine „dramatische Offenbarungsbegegnung mit Gott“ vor. Diese beginnt gleich darauf mit der

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Petrus und Johannes werden Gal 2,9 als „Säulen“ der Jerusalemer Gemeinde eingeführt. Der dort an erster Stelle genannte Jakobus dürfte der zuvor bereits erwähnte „Herrenbruder“ sein (vgl. Gal 1,19). Dieser ist möglicherweise der Nachfolger von Jakobus dem Apostel, der zwischen 41 und 44 unter Herodes Agrippa I. hingerichtet wurde (Apg 12,2); vgl. Theißen, Verfolgung, 280 f.; Wenham – Moses, Pillars. Zitat: Heil, Transfiguration, 153; Übersetzung von mir. Die „Viererauswahl mit Andreas“ erscheint nochmals in 1,29; 13,3 (Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 81, A.73); vgl. Best, ebd.; Gnilka, ebd. Vgl. Best, ebd. mit Verweis auf Neirynck, Duality. Vgl. Heil, Transfiguration, 154 f. Vgl. Heribert Kleine, Art. QTQL, in: EWNT II (1981), 1304-1307.

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„Verklärung“ Jesu.15OGVCOQTHQQOCK „umgestaltet werden, verwandelt werden“ ist ein hellenistisches Wort, das bei Markus und Matthäus nur an dieser Stelle erscheint. In der griechisch-hellenistischen Literatur gibt es die Gattung der sogenannten „Metamorphosen“, in denen Götter gleichsam inkognito auf der Erde weilen.16 Im Frühjudentum wird die „Verwandlung“ der Auferweckten zuweilen mit diesem Wort beschrieben.17 Ebenso erinnert die Verklärung Jesu an seinen „nachösterlichen Auferstehungsleib“18 oder an seine Wiederkunft am Ende der Zeiten. In der Verklärung wird einen Moment lang sichtbar, wer Jesus in Wahrheit ist. Am Ende des Verses findet darüber hinaus ein Wechsel der Erzählperspektive statt: „vor dem Angesicht“ (GORTQUSGP) der drei Jünger verändert Jesus sein Aussehen. Diese zusätzliche Angabe hebt die Bedeutung des Geschehens für die Jünger hervor, um derentwillen das ganze Ereignis überhaupt inszeniert zu sein scheint.19 Der nächste Vers (V.3) beginnt mit einem epexegetischen MCK, das erklärt, auf welche Weise die „Verklärung“ geschieht. Es folgt ein kunstvoll komponierter Satz, den Markus bereits vorgefunden haben dürfte. Zwei der hier vorkommenden Vokabeln (UVKNDGKP „leuchten“, IPCHGWL „Walker“) kommen im ganzen Neuen Testament nicht mehr vor; NGWMCKPGKP „weiß machen“ begegnet bei Markus nur dieses eine Mal.20 „Die beiden Teilsätze [...] bilden vom Klang her einen Gegensatz: der erste Teilsatz besteht aus Wörtern, die leicht von der Lippe fallen mit Stabreimen und hauptsächlich hellen, kurzen Vokalen, der zweite Teilsatz dagegen besteht aus langen, dumpfen und schwerfälligen Wörtern“.21 Dieses Lautbild entspricht der inhaltlichen Hell-Dunkel-Metaphorik. Der Walker behandelte Wollstoffe in einer aufwendigen Prozedur so, dass sie einen hellen Glanz erhielten. Dazu wurde das Kleidungsstück zunächst in einer speziellen Lauge eingeweicht, die u. a. Urin enthielt. Anschließend wurde das nasse Tuch mit einem Walkholz geklopft, bevor es geschwefelt und in einem weiteren Arbeitsgang appretiert, d. h. mit Stein gerieben, gebürstet und 15

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Heil, Transfiguration, 170 spricht von der “initial epiphanic action”, der zwei weitere folgen: die Erscheinung Moses und Elijas und die Stimme aus der Wolke. Zitat im Text ebd.; Übersetzung von mir. Vgl. Zeller, Verwandlung, 117 f. Zeller, Verwandlung, 113 verweist auf Apk Bar (syr) 49; 51; Lib Ant 28,9; äth Hen 50,1; 108,11 ff.; 3 Hen 48C,6 f.; 4 Makk 9,22. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 78. Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 75-77; 83; Müller, Verklärungsgeschichte, 59; Best, Transfiguration, 50 f. mit Verweis auf Lightfoot, Mark, 44; Heil, Transfiguration, 156 f. mit Verweis auf Michaelis, QBTCY, 354; Gnilka, Markus 2, 34. Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 77, A.52. Deschler, Verklärung, 78. Insofern handelt es sich nicht um einen „rührend unbeholfenen Vergleich“, wie Reiser, Verklärung, 29 meint.

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geschoren wurde. Schließlich wurde der Stoff gespannt, gepresst und getrocknet.22 Arme Leute konnten sich solche Kleidung nicht leisten. Entsprechend der Bedeutung von weißen Kleidern, die von reichen Leuten und bevorzugt an Festtagen getragen wurden, war der Beruf des Walkers sehr angesehen.23 Für Markus ist vor allem der Hinweis wichtig, wer die Kleider so machen bzw. nicht machen kann. „Kein Walker auf Erden“ kann Stoffe so leuchtend weiß machen wie das Gewand Jesu in diesem Moment. „Es ist ein Weiß, wie es kein Mensch, sondern nur Gott machen kann.“24 Weiße, glänzende Gewänder sind in der jüdischen Vorstellungswelt typisch für himmlische Wesen. So trägt der Hochbetagte in Dan 7,9 ein weißes Gewand. Ebenso sind die Engel weiß gekleidet (Mk 16,5; Apg 1,10; Apk 6,11; 7,9.13).25 In frühjüdisch-apokalyptischen Schriften tragen auch die Gerechten in der Vollendung strahlende Kleider (Dan 12,3; vgl. Mt 13,43).26 Das makellos weiße Gewand hat auch etwas mit Reinheit zu tun. Im Kontakt mit der himmlischen Welt müssen irdische Gestalten neu eingekleidet werden (vgl. Sach 3,3-5).27 Erscheint Jesus hier also im weißen Gewand, so ist damit ausgedrückt, dass er zur himmlischen Sphäre gehört. „Gott macht sichtbar, wer Jesus ist, indem er ihm einen Moment lang das Aussehen einer himmlischen Gestalt verleiht.“28 Für die drei Jünger auf dem Berg der Verklärung jagen sich die Ereignisse. Gleich nach der Verwandlung Jesu folgt eine neue Erscheinung: Sie sehen Elija und Mose im Gespräch mit Jesus (V.4). Das Wort YHSJ, „er, sie, es wurde gesehen“ oder in medialer Übersetzung „ließ sich sehen“, ist bereits in den Septuaginta Terminus technicus für Erscheinungen (vgl. Gen 12,7; 17,1; Ex 3,2; Ri 6,12). Im Neuen Testament begegnet es als einschlägige Vokabel in den Erscheinungen des Auferstandenen (Lk 24,34; Apg 9,17; 13,31; 26,16; 1 Kor 15,5;

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Zum Vorgang des Walkens vgl. Reiser, ebd., 29 f. mit Verweis auf J. Marquardt, Das Privatleben der Römer II, unveränderter Nachdruck der 2. Auflage Leipzig 1986, Darmstadt 1990, 527-530 sowie R. Etienne, Pompeji, Stuttgart 41991, 154-157; Heil, Transfiguration, 156, A.15 mit Verweis auf BAGD, 162; Gnilka, Markus 2, 33 f. Vgl. Deschler, Verklärung, 78. Ebd. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 77 verweist darüber hinaus auf äth Hen 14,20 für die Kleidung Gottes sowie äth Hen 71,1; Vit Proph 20,2 für die Engel. Gnilka, Markus 2, 33 verweist für die Engel auf Test L 8,2; 2 Makk 3,26. Vgl. auch äth Hen 14,20; 39,7; 62,15 f.; 71,11; sl Hen 22,8-10; Apk Abr 13,12; Apk Bar (syr) 51,1-3.10; Asc Jes 9,9; 4 Esr 7,9; 1 QS 4,6 ff. sowie Zeller, Verwandlung, 113; Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 77; Gnilka, Markus 2, 33 mit Verweis auf Strack-Billerbeck I, 752 und Behm, OQTHJ, 764 zu weiteren Belegstellen. Zeller, Verwandlung, 114 verweist dazu auf 3 Hen 15; 48 C; Asc Jes 7,25; 8,14; 9,2; Rev Mos 5. Van Iersel, Mark, 294; Übersetzung von mir. Vgl. auch Heil, Transfiguration, 155.

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1 Tim 3,16), bei Engelserscheinungen (Lk 1,11; 22,43; Apg 2,3; 7,2.30) und Visionen (Apg 16,9; Apk 11,19; 12,1).29 Den beiden alttestamentlichen Gestalten ist gemeinsam, dass sie nach jüdischer Auffassung entrückt wurden, woraus sich Spekulationen über ihre Wiederkehr nährten. Elijas Himmelfahrt mit dem Feuerwagen ist in 2 Kön 2,11 berichtet.30 Von Mose heißt es in Dt 34,5 f., er sei in Moab gestorben und begraben worden, bis zum heutigen Tag kenne jedoch niemand sein Grab. Aus diesem Hinweis ergaben sich in frühjüdischer Zeit Spekulationen über seine Entrükkung.31 Von beiden Gestalten ist darüber hinaus eine Gottesbegegnung am Sinai alias Horeb überliefert. Elijas Gang zum Horeb in 1 Kön 19 enthält bewusste Parallelen zur Geschichte vom Bundesschluss, die ihn als Erneuerer des Bundes erscheinen lassen (vgl. 1 Kön 19,10.14). Zogen die Israeliten vierzig Jahre lang durch die Wüste, so wandert Elija 40 Tage und Nächte bis zum „Gottesberg“ (1 Kön 19,8). Wie Mose hört er die Stimme Gottes (1 Kön 19,9.11.13.15 ff. vgl. Dt 5,23 ff.; 18,16); wie dieser erwartet er den Vorübergang Gottes in einer Felsspalte bzw. -höhle (1 Kön 19,9.13 vgl. Ex 33,21 f.).32 Diese Parallelen, die auf die deuteronomistische Überarbeitung der Elijageschichten zurückgehen, werden von der späteren Tradition noch hervorgehoben.33 War Elija bereits im ersten Buch der Könige als Erneuerer des Bundes dargestellt worden, so wird er auch für die Endzeit als solcher erwartet. In dieser Rolle begegnet er auch bei Markus. Er wird identifiziert mit dem Täufer (1,2-4; 9,11-13); fälschlicherweise auch mit Jesus (6,15; 8,28). Als endzeitlicher Prophet ruft er das Volk vor dem „Tag des Herrn“ zur Umkehr (Mal 3,23; Sir 48,10). Diese Umkehr schließt die Rückkehr zu den Gesetzen des Mose ein (Mal 3,22). In einzelnen frühjüdischen

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Vgl. Heil, Transfiguration, 156 mit Verweis auf Kremer, QBTCY; Deschler, Verklärung, 103; Gnilka, Markus 2, 34. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 70, A.22 verweist darüber hinaus auf Sir 48,9; 1 Makk 2,58; Jos As 17,6 (Ph); Vit Proph 21,15; Apk Esr (gr) 7,6. Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 70; 83 mit Verweis auf Jos Ant III 95.96; IV 323.325; Philo Quaest in Gen I 86; Vit Mos II 288-291 sowie den tannaitischen Midrasch Sifre Devarim (Sif Dev) § 357. Gnilka, Markus 2, 34 verweist bzgl. Belegen auf G. Lohfink, die Himmelfahrt Jesu (StANT 26), 1971, 61-69. Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 71; Zeller, Verwandlung, 116; Deschler, Verklärung, 110 f. So weist man darauf hin, dass Mose und Elija beide durch ein Wort Gottes Wunder getan hätten (Sir 45,3: Mose; 48,5: Elija), beide Feuer vom Himmel fallen ließen (Mose: Lev 9,23 f.; 2 Makk 2,10; Elija: 1 Kön 18,38; Sir 48,3; Vit Proph 21,9.12), beide die Theophanie in einer Höhle erwartet hätten (Sif Dev § 337; 355). Die Nacherzählung von 1 Kön 19,7-18 bei Josephus nimmt neben dem Bundesschluss am Sinai (Ant VIII 349 vgl. Ex 19-24) die Gottesbegegnung des Mose am brennenden Dornbusch zum Vorbild (Ant VIII 352; II 265-268 vgl. Ex 3). Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 71-74.

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Traditionen finden sich Hinweise darauf, dass für die Endzeit auch das erneute Auftreten des Mose erwartet wird.34 Das Wort UWNNCNGY, mit dem das Gespräch der beiden alttestamentlichen Gestalten mit Jesus berichtet wird, ist bereits in den Septuaginta ein seltenes Wort. Neben drei weiteren Belegen (Spr 6,22; Jes 7,6; Jer 18,20) steht es Ex 34,35 in Bezug auf das Gespräch Moses mit Gott. Im Neuen Testament begegnet es nur noch dreimal im lukanischen Doppelwerk, jeweils in der Bedeutung „sich beraten“ (Lk 4,36; 22,4; Apg 25,12). An unserer Stelle hebt es die Gemeinschaft oder besser gesagt, die Gemeinsamkeit der drei Personen hervor. Was die Jünger beobachten, ist eine „zwanglose Unterhaltung [...], wie man sie unter guten Bekannten und lieben Kollegen führt. Rangunterschiede spielen da keine Rolle.“35 Wie die leuchtend weißen Kleider zeigt also auch diese Szene die Zugehörigkeit Jesu zur himmlischen Welt. Zu Beginn des nächsten Verses (V.5) „lenkt der Erzähler den Blick [...] auf die Jünger“. Petrus unterbricht das Geschehen mit dem Vorschlag, für Jesus, Elija und Mose je ein Zelt auf dem Berg zu errichten.36 Wie in Cäsarea Philippi tritt er wieder als Sprecher der Jünger auf, was sich auch an seiner Rede in der Wir-Form ablesen lässt. Seinen Vorschlag führt er mit der allgemeinen Bemerkung ein: „Es ist gut, dass wir hier sind.“ MCNQP GXUVKP erschien bereits in der Begegnung mit der syrophönizinischen Frau in Bezug auf die Frage, ob man das Brot den Kindern wegnehmen und den Hunden vorwerfen dürfe (Mk 7,27). Wie dort bedeutet es auch hier „recht“ oder „angemessen sein“: Die drei Jünger könnten sich nützlich machen, indem sie Zelte aufstellen.37 Die drei „Zelte“ oder „Hütten“ (UMJPCK) rufen vielfältige Assoziationen bezüglich der israelitischen Geschichte und Tradition hervor.38 Nach Lk 16,9 werden die Gerechten im

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Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 68 f. mit Verweis auf Apk Bar (syr) 39,48; 4 Esra 13,43 f.; Ps Sal 11,4; 4Q 175; DevR 3,17 sowie Hahn, Hoheitstitel, 362 f.; Becker, Johannes, 50 f.; Kippenberg, Garizim, 306-327 zur Endzeiterwartung der Samaritaner. Reiser, Verklärung, 31; ähnlich Zeller, Verwandlung, 114; Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 80; 83. Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 79; Zitat: ebd., 76. Vgl. Nützel, Verklärungserzählung,124 ff.; Heil, Transfiguration, 160 mit Verweis auf Wanke, MCNQL. So erinnern sie an das Offenbarungszelt, in dem Gott während der Wüstenwanderung unter den Israeliten wohnte (Ex 40,34 f.) und das für die Endzeit als Gottes Wohnung unter den Menschen wieder erwartet wird (Ez 37,27; Sach 2,14; Apk 21,3); vgl. Lohmeyer, Verklärung, 191-196; Heil, Transfiguration, 161. Sir 24,8 gebraucht das Bild von der Weisheit, die unter den Menschen einen Ort sucht, wo sie ihr Zelt aufschlagen kann.

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neuen Äon in „ewigen Zelten“ wohnen.39 Apk 13,6 spricht von den himmlischen Wesen als „denen, die im Himmel zelten“ (UMJPQY). UMJPCK sind demnach die Unterkünfte der Himmelsbewohner. Was genau das Ziel und damit auch der im nächsten Vers angesprochene Irrtum des Vorschlags ist, bleibt unklar. Am plausibelsten scheint es, dass Petrus Jesus bereits in den ewigen Zelten ansiedeln möchte. Die Ewigkeit ist jedoch noch nicht gekommen. Vielmehr steht der Abstieg vom Berg bevor.40 Ein eingeschobener Erzählerkommentar erklärt, dass Petrus vor Furcht nicht gewusst habe, was er antworten solle (V.6). Damit bewertet er dessen Vorschlag und gibt implizit dem Publikum eine Leseanweisung.41 GMHQDQL „voller Angst“, „sehr erschreckt“42 begegnet im Neuen Testament nur noch in Hebr 12,21, wo es die Reaktion des Mose auf die Erscheinungen am Sinai beschreibt. Tatsächlich ist Furcht bereits im Alten Testament eine typische Reaktion auf die Erscheinung himmlischer Gestalten (vgl. Ex 19,16; Ex 20,18; Dt 5,23-26).43 Auch in den Metamorphosen der griechisch-hellenistischen Literatur gehört sie zu den Begleiterscheinungen göttlicher Epiphanien.44 In eine ähnliche Richtung geht im Markusevangelium das Erschrecken der Jünger angesichts der Stillung des Seesturms (4,41) und des Seewandels (6,50) sowie die Reaktion des Publikums auf die Heilung des Besessenen von Gerasa (5,15) und der blutflüssigen Frau auf ihre Heilung (5,33), wo jeweils das Simplex HQDGQOCKerscheint. Hier wird die Wunder wirkende Macht und damit die göttliche Identität Jesu offenbar, was bei den Zeugen und Zeuginnen des Geschehens Furcht auslöst. Die Verbindung von Furchtmotiv und Jüngerunverständnis ist bei Markus beliebt (vgl. 4,40 f.; 6,5052; 9,32; 10,32). Möglicherweise nahm der Evangelist an unserer Stelle ein 39

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Vgl. auch äth Hen 39,7; 45,1; Test Abr rec. long. 20,14 sowie Gnilka, Markus 2, 35; Öhler, Verklärung, 208; Beutler, Weg, 30. 2 Kor 5,1 bezieht diese Hoffnung auf die Jesusgläubigen. Vgl. Beutler, ebd. Ähnlich bereits Beda (PL 92,218) und Theophylakt (PG 123,581); Angaben nach Gnilka, Markus 2, 38. Nach Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 80; Gnilka, ebd., 35; Heil, Transfiguration, 161; 170 will Petrus die Erscheinung verlängern bzw. festhalten. Solcherart „sinnlose Vorschläge“, um „die Erscheinung aufzuhalten“, gehören in alt- und zwischentestamentlichen Schriften zu den typischen Reaktionen auf eine Epiphanie; vgl. Zeller, Verwandlung, 118 mit Verweis auf Ri 13,15 f.; Test Abr Rez A 4. Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 76. Bedenkenswert ist der Gedanke von Gnilka, die Bemerkung des Petrus habe „ursprünglich eine nicht so negative Bedeutung“ gehabt, wenn V.6 als markinisch anzusehen sei (Markus 2, 32). Zur Übersetzung vgl. Rienecker z. St. Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 74, A.43; 80 f. Runacher, Croyants, 152 verweist darüber hinaus auf die Formel „Fürchte dich nicht“ (Gen 15,1; 21,17; 26,24; Dt 10,12.19), die in LXX oft noch hinzugefügt wird (Gen 28,13; Jes 13,2; Tob 12,17). Vgl. Zeller, Verwandlung, 118; Runacher, Croyants, 151 mit Verweis auf Tagawa, Miracles, 100.

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traditionelles Furchtmotiv im Zusammenhang mit der Verwandlung Jesu und der Erscheinung Moses und Elijas auf und verband es in seinem Sinne mit einem Unverständnis des Petrus. Ähnlich wie hier formuliert er später in der Gethsemaniszene das Unverständnis der selben drei Jünger („sie wussten nicht, was sie ihm antworten sollten“ Mk 14,40). Eine dritte Erscheinung unterbricht die unsichere Offerte des Petrus.45 Eine Wolke zieht auf und wirft ihren Schatten auf die Gruppe. „Damit wird das ‚Lichtspiel’ beendet [...], und es beginnt ein ‚Hörspiel’“:46 Aus der Wolke erklingt eine Stimme, die Jesus als „geliebten Sohn“ proklamiert und den Jüngern aufträgt, „auf ihn zu hören“ (V.7). Mit der Wolkenstimme erreicht die Erzählung ihren Höhepunkt. Sie deutet zugleich die bisherigen Erscheinungen.47 Die Wolke ist ein Element alttestamentlicher Epiphanieerzählungen. Auf der Wüstenwanderung begleitet Gott sein Volk tagsüber in Gestalt einer Wolkensäule (Ex 13,21 f.; Neh 9,12; Ps 78,14). Beim Bundesschluss liegen als Zeichen Seiner Gegenwart Wolken über dem Gipfel des Sinai (vgl. Ex 19,9.16; 24,1518; 34,5). Die „Herrlichkeit des Herrn“ erfüllt in Gestalt einer Wolke das Offenbarungszelt (Ex 40,34-38; Num 9,15-23; vgl. Ex 16,10) und später den Tempel (1 Kön 8,10 f.; 2 Chr 5,13 f.; Ez 10,3 f.).48 Das Verb GXRKUMKC\GKP „überschatten“ beschreibt in den Septuaginta u. a., wie sich die Wolke der Gegenwart Gottes auf dem Offenbarungszelt niederlässt (Ex 40,35). Es übersetzt an dieser Stelle die hebräische Wurzel NY, aus der sich auch das Substantiv „Schekina“ ableitet, das die Gegenwart oder „Einwohnung“ Gottes bei seinem Volk oder einzelnen Menschen bezeichnet. Das Pronomen CWXVQKL, das das Objekt der „Überschattung“ angibt, kann grammatikalisch auf die VV.5 f. genannten Jünger, auf die ebenfalls in V.5 erscheinenden Jesus, Elija und Mose oder auf alle zusammen bezogen werden.49 „Das Ergebnis ist für die Perspektive der Jünger dasselbe“, nämlich dass sie nichts mehr sehen, sondern stattdessen die Stimme aus der Wolke hören.50 Nimmt man an, dass die Wolke nur Elija und Mose einhüllt,51 so 45 46 47

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Vgl. Heil, Transfiguration, 164; 170. Reiser, Verklärung, 31; vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 76 f. Vgl. Gnilka, Markus 2, 35. Lentzen-Deis klassifiziert die Wolkenstimme gattungsmäßig als „Deute-Vision“, die eine Person und ihr Werk von Gott her interpretiere; vgl. Taufe, 195-248. Vgl. Deschler, Verklärung, 86; Gnilka, Markus 2, 32; 35 mit Verweis auf Oepke, PGHGNJ; Reiser, Verklärung, 32; Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 80. Deschler, Verklärung, 87, die die Überschattung durch die Wolke als „Erfüllung von der Gegenwart Gottes“ deutet, bezieht die drei Jünger in dieses Geschehen ein. Gnilka schließt sie dagegen ausdrücklich aus (vgl. Markus 2, 35, A.34). Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 76 f.; Zitat: 76. Nach Heil, Transfiguration, 164 zeigt die Stimme „aus“ (GXM) der Wolke an, dass die angesprochenen Jünger nicht in der Wolke sind. Der Inhalt der Wolkenstimme lasse darauf schließen, dass auch Jesus nicht in der Wolke sei. GXRKUMKC\GKP fasst er als voll-

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Kontextanalyse

erklärt dies u. U. das abrupte Ende der Vision in V.8. Häufig werden aus dieser Konstellation auch Schlüsse auf die Funktion der Wolke als „himmlisches Transportmittel“ gezogen (vgl. Dan 7,13), mit dem Mose und Elija wieder in den Himmel „zurückfahren“.52 Ihre Funktion scheint jedoch als Zeichen der Gegenwart Gottes bereits ausreichend beschrieben. Wie am Sinai ergeht eine Stimme aus der Wolke (vgl. Ex 24,16). Am Beginn des Evangeliums, nach der Taufe Jesu, war bereits einmal eine Stimme vom Himmel erklungen (Mk 1,11). Auch hier proklamiert die Stimme Jesus als „geliebten Sohn“. Damit offenbart sie den Jüngern „das bis dahin den Dämonen vorbehaltene Wissen über die Identität Jesu“ (vgl. Mk 3,11; 5,7). Bei der Taufe war sie ja nur für Jesus und natürlich für die Lesein zu hören gewesen.53 Im Alten Testament gilt der davidische König als „Gottes Sohn“ (vgl. Ps 2,7; 2 Sam 7,14). Die Proklamationsformel „Dieser ist“ bzw. „Du bist“ gehört ebenfalls zum altorientalischen Inthronisationsritual (vgl. Ps 2,7). Hier qualifiziert sie Jesus als den Messias, den erwarteten König aus dem Stamm Davids. Im Markusevangelium wird Jesus „an drei zentralen Stellen [...] als der Sohn Gottes proklamiert: bei der Taufe, bei der Verklärung und unter dem Kreuz“ durch den heidnischen Hauptmann (Mk 15,39). Zweimal eilt der Erzähler anschließend gleich weiter in die Realität des Lebens Jesu. Nach der Taufe wird Jesus „sogleich in die Wüste getrieben“ und in Versuchung geführt (1,12 f.). An unserer Stelle endet nach der Wolkenstimme die Vision, und es beginnt der Abstieg vom Berg (9,8 f.). Erst angesichts des Kreuzes kann Markus das Bekenntnis zu Jesus als „Gottes Sohn“ ohne weitere Erläuterungen stehen lassen.54 In deutlichem Bezug auf den Kreuzestod spricht auch das Winzergleichnis vom „geliebten Sohn“ (vgl. Mk 12,6). Die zweite Hälfte der Himmelsäußerung aus der Taufszene „an dir habe ich Gefallen gefunden“ lässt der Evangelist weg. Stattdessen fügt er die an die Jünger gerichtete Aufforderung ein, auf Jesus zu „hören“. „Hören“ bedeutet in biblischer Sprache soviel wie „gehorchen“. Nicht das Hören allein, sondern das Tun des Willens Gottes macht Menschen zu Brüdern, Schwestern und Müttern

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ständige „Einhüllung“ in die Wolke auf (ebd., A.39 mit Verweis auf Gundry, Mark, 460). Preuschen gibt die Bedeutung dagegen mit „überschatten“, Rienecker (z. St.) mit „beschatten“ an. So Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 82 mit Verweis auf Test Hiob 52,6; äth Hen 14,8; Test Abr I 9,8; Dt 31,16 sowie auf die Aufnahme von Dan 7,13 in Mk 13,26 f.; 14,42 f. Ähnlich Heil, Transfiguration, 164; 169; 170 f. sowie (vorsichtig) van Iersel, Mark, 297. Vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 81 (Zitat: ebd.); Heil, Transfiguration, 165; 171. Venetz, Weg, 149; vgl. Standhartinger, Verklärungsgeschichte, 84 f. Darüber hinaus verweist Venetz darauf, dass „das Königtum Jesu gerade in der Passionsgeschichte eine bedeutende Rolle“ spielt (ebd., A. 11).

Kontextanalyse

225

Jesu und damit zu Söhnen und Töchtern Gottes (vgl. Mk 3,35). Im Markusevangelium wird das Publikum häufig zum „Hören“ aufgerufen und damit aufgefordert, die Worte Jesu auch zu verstehen und zu beherzigen (vgl. 4,3.9.23.24; 7,14; 8,18).55 Im Unterschied zur Taufszene geht es in der Verklärung also weniger um die Identität Jesu als um das Engagement der Jünger, das sich daraus ergeben soll. Aus dem Kontext der Verklärungserzählung, der Belehrungen über den Leidensweg Jesu und der Jünger vorausgehen (8,31-38) und ein Gespräch ähnlichen Inhalts folgt (9,9-13), ist abzulesen, dass sich der Auftrag der Wolkenstimme in besonderer Weise auf die Kreuzesnachfolge bezieht. Ebenso bezieht er die in der Folge zu untersuchenden Unterweisungen über das „Dienen“ ein. Der Appell zu „hören“ wird noch unterstrichen durch den Abbruch der Vision im nächsten Vers.56 Als die Jünger um sich blicken, sehen sie auf einmal „niemand mehr als Jesus allein bei ihnen“ (V.8). Damit kommt die Handlung nach der raschen Folge immer neuer Visionen und Auditionen wieder zur Ruhe. Die Jünger, die während der Erscheinungen bis auf das verfehlte Eingreifen des Petrus passiv zugesehen und zugehört haben, sind erstmals Subjekt des Geschehens. OQPQP „allein“ schlägt den Bogen zurück zum Beginn der Geschichte (OQPQWL V.2). OGV’GBCWVYP „bei ihnen“ bildet einen Kontrast zur Präposition UWP, die in V.4 in Bezug auf das Gespräch mit Elija und Mose begegnet war. Jesus spricht nicht mehr mit Mose und Elija; er ist wieder ganz den Jüngern zugewandt.57 Dies ist für Markus entscheidend. Denn so kann er die nächste Jüngerbelehrung anschließen.

4.2.2

Der Abstieg vom Berg (Mk 9,9-13)

Die Jünger steigen mit Jesus wieder hinab in die Niederungen des Lebens. Währenddessen schwenkt die Aufmerksamkeit des Erzählers wieder zu Jesus, der den drei Jüngern„gebietet, niemandem zu erzählen, was sie gesehen haben“ (V.9). Mk 9,9 ist das letzte in der Reihe der Schweigegebote an Dämonen (1,25.34.44; 3,12), Geheilte (1,44; 8,26) bzw. Zeuginnen von Krankenheilungen (5,43; 7,36) und Jünger (8,30). Indem es die Befristung „bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei“ angibt, ist es zugleich der Schlüssel zu deren Verständnis. Schweigegebote ergehen im Markusevangelium dort, wo Jesu göttliche Macht und Beauftragung offenbar wird. Denn „Jesus [...] kann vor der Vollendung seines Weges in Kreuz und Auferstehung weder richtig erfasst noch verkündet werden.“58 Mit dem Titel „Menschensohn“ und CXPCUVJPCK „auferste-

55 56 57 58

Vgl. Heil, Transfiguration, 166; 171; Best, Transfiguration, 47 f.; 52. Vgl. Heil, Transfiguration, 168. Vgl. Heil, Transfiguration, 169. Gnilka, Mk 2, 40 f.; vgl. Heil, Transfiguration, 174.

226

Kontextanalyse

hen“ greift der Evangelist zurück auf die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung (Mk 8,31).59 Der Verweis auf die Auferstehung beschäftigt die Jünger weiter. Sie „diskutieren untereinander, was das sei: von den Toten auferstehen“ (V.10). Dabei geht es ihnen kaum um die Vorstellung einer Auferstehung aller Toten am Ende der Zeiten, die damals in Palästina weit verbreitet war. Schwierigkeiten bereitet den Jüngern vielmehr die Ankündigung, dass ein einzelner von den Toten auferstehen solle.60 In V.11 wenden sie sich direkt an Jesus. Das folgende Gespräch ist mit der Frage der Jünger sowie einer ersten Antwort, Gegenfrage und abschließenden Antwort Jesu ähnlich wie ein Apophthegma strukturiert.61 Die Aussage der Jünger, „dass (Q=VK) die Schriftgelehrten sagen, dass Elija zuerst kommen müsse“, ist als Frage aufzufassen.62 Die Jünger begreifen die angekündigte Auferstehung Jesu als Ereignis der Endzeit. Das wirft die Frage auf, wann Elija „den Söhnen das Herz der Väter zuwenden und Jakobs Stämme wieder aufrichten“ wird (Sir 48,10; vgl. Mal 3,23). Denn bisher blieb die von Elija erwartete allgemeine Versöhnung und Wiederherstellung Israels aus.63FGK „es muss“ greift wiederum auf die erste Leidensankündigung zurück. Wie in Mk 8,31 ist es im Sinne eines vorgezeichneten Ablaufs der Geschichte zu verstehen.64 Jesus bestätigt zunächst die von den Jüngern wiedergegebene Lehre: „Freilich kommt Elija zuerst und stellt alles wieder her“ (V.12).65 Das Verb CXRQMCSKUVJOK beschreibt bereits in Mal 3,23 LXX die von Elija bewirkte Herzensumkehr. Sir 48,10 steht das Simplex MCSKUVJOK für die Wiederherstellung der Stämme Jakobs. Im Anschluss stellt Jesus eine Gegenfrage: „Aber wie steht über den Menschensohn geschrieben: dass er viel leiden und verworfen werden solle?“66 Mit dem „vielen Leiden“ und der „Verwerfung“ des „Menschensohnes“ werden weitere Teile der ersten Leidensankündigung aufgenommen. Aufgrund des redaktionellen Kontextes (Schweigegebot, Jüngerunverständnis, 59 60 61 62 63 64 65

66

Vgl. Heil, Transfiguration, 174 f. mit Verweis auf Gundry, Mark, 462. Vgl. van Iersel, Mark, 298; Reiser, Verklärung, 32; Heil, Transfiguration, 175 f. Vgl. Beutler, Weg, 24. Vgl. Beutler, Weg, 24 mit Verweis auf das einleitende Verb und das GNT. Vgl. Gnilka, Markus 2, 41; Beutler, Weg, 30; Gundry, Mark, 463; 484; Öhler, Elijah, 464; Heil, Transfiguration, 177. Vgl. S.66. Gnilka übersetzt V.12a als Frage, da 12 b die „Gegenthese“ darstelle (Markus 2, 41; Übersetzung ebd., 39; ähnlich Marcus, Way, 94). Die Partikel OGP „ja, wirklich, wahrhaftig, in der Tat“ deutet jedoch auf eine affirmative Antwort hin (so Heil, Transfiguration, 177 f., A.12 mit Verweis auf Gundry, Mark, 485). Das einleitende MCK hat „adversativen Klang“ (Beutler, Weg, 24). Vgl. auch Heil, Transfiguration, 178 sowie die Übersetzung „Wieso steht dann...?“ bei Gnilka, Markus 2, 40.

Kontextanalyse

227

Rückgriff auf Mk 8,31 in V.9) ist zu vermuten, dass der Evangelist hier die vorgefundene erste Leidensankündigung verdoppelte.67 An die Stelle von FGK „es muss“ tritt IGITCRVCK „es steht geschrieben“. Wie FGK bezieht es sich auf den nach frühjüdischer Vorstellung im Himmel verzeichneten göttlichen „Weltenplan“.68 Statt CXRQFQMKOCUSJPCK „verwerfen“ steht GXZQWFGPGY „für nichts (QWXFGP) halten“. Apg 4,11 ist ein Zitat aus Ps 118,22 ebenso wie an unserer Stelle mit GXZQWSGPGY formuliert. Darüber hinaus begegnet das Verb im Neuen Testament noch zweimal bei Lukas und achtmal bei Paulus, zwei für ihr fließendes Griechisch bekannten Autoren. CXRQFQMKOCUSJPCK erscheint dagegen mit Ausnahme von Hebr 2,17 nur in Abhängigkeit von Ps 118,22. GXZQWSGPGY scheint demnach im Alltagsgriechisch der gängigere Ausdruck für „Verachtung“ gewesen zu sein. Inhaltlich macht der Wechsel in der Formulierung keinen Unterschied. Es passt nicht zur erwarteten Umkehr des Volkes, dass Jesus abgelehnt und hingerichtet wurde.69 Die abschließende Antwort Jesu (V.13) wird „mit einem bekräftigenden ‚ich sage euch’“ eingeleitet.70 Ebenso wie die Langform „Amen, ich sage euch“ (vgl. Mk 9,1.41; 10,15.29) verleiht es der folgenden Äußerung Nachdruck. Darüber hinaus stellt die Wendung insbesondere eine Verbindung zur Belehrung über das Kreuztragen her, die mit „Amen, ich sage euch“ abschloss (9,1). Beide Unterweisungen bilden den Rahmen der Verklärungserzählung. Indem sie vom Leiden Jesu und der Leidensnachfolge der Jünger sprechen, bilden sie ein Gegengewicht zur Vorschau der himmlischen Herrlichkeit in der Verklärung.71 Dasselbe leistet auch der letzte Vers des Jüngergesprächs, in dem Jesus den Widerspruch zwischen der Erwartung der Schriftgelehrten und der eingetroffenen Realität endgültig aufklärt: Elija ist bereits gekommen, um die Israeliten zur Umkehr zu rufen.72 Statt auf Umkehrbereitschaft stieß der Prophet jedoch auf Widerstand: „Sie taten ihm an, was sie wollten (JSGNQP)“. Wie im Prolog des Evangeliums (vgl. 1,2-6) wird hier der Täufer mit dem wiedergekommenen Elija identifiziert.73 Die Formulierung „was sie wollten“ verweist auf seinen nach Mk 67

68 69 70 71 72 73

Heil, Transfiguration, 179 bezeichnet V.12b als „zusätzliche Leidensankündigung“. Die Redeeinleitung in V.11 mit beiordnendem MCK und der Dopplung von Hauptverb und Partizip weist ebenfalls auf die Hand des Evangelisten. GXRGTYVCY begegnet bei ihm 25mal; NGIY 289mal. Vgl. S.68-70. Vgl. Gnilka, Markus 2, 42. Ebd. Vgl. Best, Transfiguration, 52; Beutler, Weg, 30; Gnilka, Markus 2, 42; Dupont, Aveugle, 353. MCK ist hier als bekräftigende Partikel im Sinne von „wirklich, tatsächlich“ zu verstehen (vgl. Heil, Transfiguration, 179, A.16). Vgl. die Ausführungen ab S.30. Die „andere Verwendung des Elija-Namens“ (die auch Heil, ebd., 179 bemerkt) erweist die VV.11-13 nach Gnilka als „eine gegenüber der Verklärungsgeschichte selbständige Tradition“ (Markus 2, 32, A.8).

Kontextanalyse

228

6,19 von Herodias „gewollten“ (JSGNGP) Tod. IGITCRVCK greift eine Formulierung des vorhergehenden Verses wieder auf und parallelisiert so das Schicksal des Täufers mit dem dort für Jesus vorhergesagten.74 Ebenso wie ihm wird es dem „Menschensohn“ ergehen. Gerade „in seinem gewaltsamen Tod“ erweist sich der Täufer „als echter Vorläufer Jesu.“75

4.3

Fazit

In der Mitte des Evangeliums, eingebettet zwischen Belehrungen über das Leiden Jesu und der Jünger, gestattet die Verklärung einen kurzen Blick auf Jesu himmlische Identität. Bereits der Einleitungsvers (V.2) enthält zahlreiche Verweise auf alttestamentliche Epiphanieerzählungen, insbesondere auf den Bundesschluss am Sinai. Auch unsere Geschichte berichtet eine Epiphanie, in der drei der Jünger zu sehen bekommen, wer Jesus in Wahrheit ist. Leuchtend weiße Kleider (V.3) und das vertraute Gespräch mit Elija und Mose (V.4) weisen ihn als himmlische Gestalt aus. Dies bestätigt auch die Wolkenstimme (V.7), die ihn wie bei der Taufe als „geliebten Sohn“ proklamiert. Mit der Aufforderung, auf Jesus zu „hören“, werden die Jünger nochmals entschieden in die Nachfolge gerufen. Ein Kommentar des Petrus wird vom Autor als Unverständnis abgetan (VV.5 f.). Der Irrtum besteht vermutlich darin, dass Petrus Jesus „ohne Rücksicht auf den noch vor ihm liegenden Weg“ bereits jetzt in den himmlischen Zelten ansiedeln möchte.76 Das Wechselgespräch beim Abstieg vom Berg spinnt diesen Faden weiter. Ausgangspunkt ist Jesu Anweisung zu schweigen an die Jünger (V.9), das letzte einer ganzen Reihe von Schweigegeboten im Markusevangelium. Mit der Befristung bis nach der Auferstehung gibt es zugleich die Begründung der Schweigegebote an: Jesus kann erst nach Vollendung seines Weges in Tod und Auferstehung wirklich verstanden und verkündigt werden. Die Frage nach der Auferstehung der Toten (V.10) zeigt die Jünger wiederum als Unverständige. Als endzeitlichem Ereignis müsste der Auferstehung Jesu nach alttestamentlichen Verheißungen (Mal,3,23; vgl. Sir 48,10) die Umkehrpredigt des Elija vorangehen (V.11). Jesus identifiziert den Täufer als wiedergekommenen Elija, der statt Umkehrbereitschaft jedoch Widerstand bis zum Tod erleben musste 74

75 76

Darüber hinaus schließt der Verweis auf die „Schriften“ hier möglicherweise auch das 1 Kön 19,2.10.14 beschriebene historische Schicksal des Elija ein, das als Muster für die Misshandlung des Täufers gesehen werden konnte (vgl. Beutler, Weg, 31; Heil, Transfiguration, 180, A.18 mit Verweis auf Gundry, Mark, 465; van Iersel, Mark, 300; Marcus, Way, 97-107). Gnilka, Markus 2, 42 verweist insbesondere auf die Parallele zwischen der Verfolgung Elijas durch Isebel und Johannes’ durch Herodias. Gnilka, Markus 2, 42; vgl. 43. Vgl. Beutler, Weg, 30.

Kontextanalyse

229

(VV 12 f.). Ähnlich wie Johannes wird es auch Jesus und in seiner Nachfolge den Jüngern ergehen. Wie bereits in der Frage der Jünger finden sich hier Reminiszenzen an die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung. Der abrupte Abbruch der Vision (V.8) und der Abstieg vom Berg sind ein Bild dafür, dass die Jünger nach dem kurzen Blick auf die himmlische Herrlichkeit wieder in die Realität der Kreuzesnachfolge zurück müssen. Dies wird auch am Fortgang der Geschichte deutlich, denn am Fuße des Berges finden sich die Jünger unversehens in einer Kontroverse mit den Schriftgelehrten und im Kampf mit einem gefährlichen Dämon wieder.

5.

Die Heilung eines epileptischen Jungen (Mk 9,14-29)

5.1

Kontext, Überlieferungsgeschichte und Struktur

Im Anschluss an die Verklärung berichtet das Markusevangelium von der Heilung eines besessenen Jungen. Die Erzählung bildet den Abschluss des ersten „Durchlaufs“ von Leidensankündigung, Jüngerunverständnis und -belehrung. Die zweite Ankündigung von Leiden und Auferstehung schließt unmittelbar an. Die Perikope bietet insbesondere ein Kontrastprogramm und eine Ergänzung zur Verklärungsgeschichte. Sahen die Jünger oben auf dem Berg Jesu himmlische Identität, so erleben sie unten am Fuße des Berges, wie sich diese in seiner Aufmerksamkeit für die Geringen entfaltet. Beides, die Herrlichkeit in der „Höhe“ und die Gegenwart in der „Tiefe“, gehört zusammen.1 Durch die Kontinuität eines Teils der Personen, nämlich Jesu und der drei beiseite genommenen Jünger (V.14 vgl. V.2), und die Inclusio mit KXFKCP (VV.2.28) werden beide Erzählungen auch formal zusammengeschlossen. In der Heilungserzählung erweitert sich der Personenkreis um die zurückgelassenen Jünger, Schriftgelehrte und eine Menschenmenge. Darüber hinaus hebt sich die Einheit durch den Ortswechsel sowie den Wechsel von Gattung und Thematik vom Vorhergehenden ab. Nach dem V.27 ist wiederum eine Zäsur zu erkennen: der Wechsel ins Haus, die Gattung des Apophthegmas und die erneute Begrenzung des Personenkreises auf Jesus und die Jünger kennzeichnet die letzten zwei Verse der Perikope als Jüngerbelehrung.2 Neben der Heilung des blinden Bartimäus (10,46-52) ist unsere Erzählung die zweite Heilungsgeschichte, die außerhalb der ersten 8 Kapitel des Evangeliums platziert ist. Wie die beiden Blindenheilungen aufeinander bezogen sind, so hat die Austreibung des „stummen und tauben Geistes“ eine Parallele in der vorher berichteten Heilung eines Taubstummen (Mk 7,31-37). Zumindest dürfte die Bezeichnung des Dämons als „stummer [und tauber] Geist“ (VV.17.25) von dort her beeinflusst sein.3 Die vier Heilungserzählungen sind zunächst als Erfül1

2 3

Die Zusammengehörigkeit der beiden Geschichten wurde bereits von den Kirchenvätern erkannt; Gnilka, Markus 2, 50 verweist u. a. auf Beda. Sie findet ihren Ausdruck auch in dem eindrucksvollen Gemälde von Raffael (1483-1520) im Petersdom, das beide Szenen neben- bzw. übereinander darstellt. Auf dieses Bild verweisen u. a Gnilka, ebd.; Bornkamm, 2PGWOC, 32 f.; Beutler, Weg, 32; Ebach, Hiobs Post, 191-197. Zur Abgrenzung vgl. Beutler, Weg, 32. Markus spricht normalerweise von „unreinen“ (CXMCSCTVQL) Geistern (so auch V.25); vgl. die sicher redaktionellen Passagen Mk 3,11; 6,7, aber auch 1,23.26.27; 3,30; 5,2.8.13; 7,25. Insbesondere ein „stummer Geist“ ist für das Markusevangelium ungewöhnlich,

232

Kontextanalyse

lung der Verheißung zu verstehen, nach der in der messianischen Heilszeit die Augen der Blinden und die Ohren der Tauben geöffnet werden (Jes 35,5 f.; 42,18). Auf der Ebene des Markusevangeliums kann der Zustand der Blindheit, Stummheit und Taubheit darüber hinaus als Bild für den Unverstand der Jünger gedeutet werden.4 Die vier Heilungen von Blinden und Taubstummen drücken somit die Hoffnung auf einen Fortschritt in der Erkenntnis und Nachfolge Jesu sowie die Zuversicht aus, dass Jesus auch bei den Jüngern selbst schlimmste „Taubheit“ und „Blindheit“ zu heilen vermag. Die ersten drei Erzählungen (7,31-37; 8,22-26; 9,14-29) fallen durch einen komplizierten Heilungsprozess auf, wobei noch eine Steigerung von der intensiven Berührung des Taubstummen (7,33 f.) über den doppelten Anlauf bei der Heilung des Blinden von Betsaida (8,23-25) bis zur missglückten Heilung durch die Jünger und QuasiAuferstehung des epileptischen Jungen (9,17-27) zu beobachten ist. Aus dem Rahmen fällt dem gegenüber die unkomplizierte Heilung des Bartimäus, die laut der Erzählung selbst auf dessen Glauben zurückzuführen ist (10,52). Das Thema Glaube nimmt bereits in unserer Erzählung breiten Raum ein. Gegenüber der üblichen Form des Exorzismus ist sie stark erweitert. Manche gattungstypischen Motive sind verdoppelt; so die Charakterisierung der Not und die Bitte um Heilung (VV.18.22), das Herbeibringen des Kranken (VV.17.19 f.), der Widerstand des Dämons (VV.20.26), die eigentliche Heilung durch Ausfahrbefehl (V.25) und Heilungsgestus (V.27) und deren Feststellung durch Ausfahrt des Dämons und Aufrichten des Kranken (VV.26.27).5 Viele Doppelungen erklären sich jedoch aus der Geschichte selbst, genauer aus der Gefährlichkeit des Dämons, den die Jünger bereits erfolglos auszutreiben versuchten und der sein Opfer nach der erfolgreichen Austreibung durch Jesus schließlich wie tot zurücklässt. Darüber hinaus fällt besonders das Gewicht der Dialoge ins Auge.6 Diese bringen das Thema des Glaubens bzw. Unglaubens und des Gebetes ins Spiel (vgl. VV.21-24.28 f.). Der Dialog über den Glauben mit dem Vater des Besessenen (VV.23 f.) und das Logion über die „ungläubige Generation“ (V.19) sowie Einführung (VV.14-16) und Schlussteil (VV.28 f.) mit ihrer Jüngerthematik dürften auf den Redaktor zurückgehen, der die Erzählung seinem Interesse entsprechend angepasst hat.7

4 5

6 7

denn die dort erwähnten Dämonen müssen in der Regel zum Schweigen gebracht werden; vgl. Runacher, Croyants, 111 mit Verweis auf 1,24 f.; 3,11 f.; 5,7 f. Vgl. Beutler, Weg, 35; Heil, Transfiguration, 181. Zu den Dopplungen und Spannungen vgl. insbesondere Achtemeier, Miracles, 576-579; Delorme, Dualité sowie Nicklas, Mk 9,14-29, 503 mit Verweis auf die Liste möglicher Motive bei Theißen, Wundergeschichten, 82 f. Gnilka, Markus 2, 46 zählt 10 direkte Reden. Vgl. auch Runacher, Croyants, 10; Nicklas, Mk 9,14-29, 514. Vgl. Runacher, Croyants, 113; zu VV.14-16 auch 238; zu V.19 auch 84 f. Mit einer erweiterten Wundergeschichte rechnen u. a. auch Kertelge, Wunder, 174 f.; Minette de

Kontextanalyse

233

Unter inhaltlichen Gesichtspunkten lässt sich die Perikope im wesentlichen in drei Teile gliedern: die Exposition mit dem Bericht über das Versagen der Jünger (VV.14-19b), die eigentliche Heilung (VV.19c-27) und die Jüngerbelehrung (VV.28 f.), die wieder auf die Fragestellung der Exposition zurückkommt.8

5.2

Auslegung

5.2.1

Das Versagen der Jünger (VV.14-19b)

Die Überleitung von der Verklärungserzählung zur Heilung des epileptischen Jungen ist weniger durch geographische als durch Personenangaben geprägt. Jesus kommt mit Petrus, Jakobus und Johannes zu den anderen Jüngern zurück (V.14). Er findet sie umgeben von einer großen Menschenmenge im Streit mit einer Gruppe von Schriftgelehrten. In Vertretung ihres Meisters disputieren sie mit dessen Gegnern.9 Das Folgende lässt vermuten, dass die „Unfähigkeit [der Jünger] zu heilen Ursache des Disputs ist“. Deren Versagen stellt auch die Autorität des Meisters in Frage, die bereits zuvor von den Schriftgelehrten bezweifelt wurde (2,3-12; 3,22-26; vgl. auch 11,28).10 Im Gegensatz zu den Schriftgelehrten scheinen die Umstehenden nicht an der Autorität Jesu zu zweifeln. Sobald sie ihn erblicken, laufen sie auf ihn zu und begrüßen ihn (V.15). CXURC\GUSCK meint eine besonders ehrfürchtige Form der Begrüßung, wie sie beispielsweise Königen gebührt (vgl. Mk 15,18).11 Das „Erstaunen“, ja „Erschrecken“ der Menge beim Anblick Jesu (GXMSCODGQOCK)

8

9

10 11

Tillesse, Secret, 89 f.; Roloff, Kerygma, 145 f.; Schenke, Wundererzählungen, 314-332; Pesch, Markusevangelium 2, 84 f.; Gnilka, Markus 2, 45. Dagegen hält Bultmann den Text für eine Synthese aus zwei Geschichten, deren eine das Jüngerversagen und die Wundermacht Jesu, die andere die Frage des Glaubens betone; vgl. Geschichte, 225 f. sowie in der Folge Bornkamm, Taylor, Achtemeier, Grilli u. a. Vgl. Nicklas, Mk 9,14-29, 502. Eine dreiteilige Struktur sieht auch Rolland, Lecture, 454, kommt jedoch zu einer anderen Aufteilung: 14–18 Frage nach der Unfähigkeit der Jünger; 19–24 Theoretische Antwort; 25–29 Praktische Antwort. Grilli löst aus unserem zweiten Teil das Gespräch zwischen Jesus und dem Vater heraus und kommt so zu vier Einheiten; vgl. Schwachheit, 58 f. Eine fünfteilige Struktur sehen Gnilka, Markus 2, 46 (14-16 Überleitung; 17-19 Exposition; 20-24 Dialog; 25-27 Heilung; 28 f. Epilog) und Runacher, Croyants, 60 f., die die Grenzen der ersten beiden Abschnitte wieder anders setzt (14 f.; 16-20a). Rein grammatikalisch wäre es möglich, dass auch die Menge mit den Schriftgelehrten diskutiert (vgl. Runacher, Croyants, 35; 241); aus kontextuellen Gründen ist RTQL CWXVQWL jedoch auf die Jünger zu beziehen (vgl. Nicklas, Mk 9,14-29, 507). Die Menge steht währenddessen um die Streitenden herum (RGTKCWXVQWL). Vgl. Runacher, Croyants, 65; 244-246; 266. Zitat: Gnilka, Markus 2, 46. Vgl. Windisch, CXURC\QOCK, 496 sowie Beutler, Weg, 34; Runacher, Croyants, 241 f.; 263; 265; Bornkamm, 2PGWOC, 26.

234

Kontextanalyse

wirkt an dieser Stelle unmotiviert.12 Da das Verb im Neuen Testament nur bei Markus vorkommt (vgl. 14,33; 16,5 f.), wird es hier auf den Evangelisten zurückgehen. In der griechischen Literatur wie auch im Alten Testament ist das Erschrecken ein typisches Element von Epiphanieerzählungen.13 An unserer Stelle liegt insbesondere ein Bezug zur Furcht der Jünger angesichts der Verklärung nahe (Mk 9,6). Die Vollmacht Jesu, der dort als „geliebter Sohn“ Gottes proklamiert wurde, wird hier durch das Erschrecken der Menge nochmals unterstrichen.14 Bereits das Kommen des Wundertäters wird so zu einer Art Epiphanie.15 Jesus ergreift als erster das Wort. Er spricht aus, was den Leser und die Hörerin seit Anfang der Szene bewegt: „Warum streitet ihr mit ihnen?“ (16). UW\JVGKP „streiten“ greift auf V.14 zurück. Das erste CWXVQWL („ihr“) dürfte wie Mk 8,27; 9,33 auf die Jünger zu beziehen sein, die von Jesus befragt werden; das zweite entsprechend der Ausgangssituation in V.14 auf die Schriftgelehrten, mit denen sie streiten.16 Auf die Frage antwortet „einer aus der Menge“, der Vater des Kranken (V.17). Mit seinem Heraustreten beginnt die eigentliche Heilungsgeschichte.17 Er spricht Jesus respektvoll als FKFCUMCNQL an. Dieser Titel ist die gängige Anrede Jesu bei Markus. Er stimmt überein mit dessen Bild Jesu als „Lehrer“, der im Gegensatz zu den Schriftgelehrten mit göttlicher Vollmacht (GXZQWUKC) auftritt (vgl. Mk 1,22.27).18 Der Mann beantwortet die Frage nach dem Motiv der Auseinandersetzung nicht direkt. Stattdessen berichtet er Jesus von der Krankheit seines Sohnes, den er „zu ihm gebracht“ habe. Mit dem ZuBoden-Geworfen-Werden, „Schäumen“, Zähneknirschen und der postkritischen Starre werden sehr realistisch epileptische Anfälle beschrieben (18).19 Im helle12

13 14 15 16

17 18

19

Zur Bedeutung von GXMSCODGQOCK vgl. Runacher, Croyants, 151 mit Verweis auf das klassische Griechisch; Nicklas, Mk 9,14-29, 504, A.25 („Außer-sich-Geraten vor Erstaunen“); Gnilka, Markus 2, 42 („erschrecken“); 46 („erregtes Erstaunen“). Vgl. S.222. Vgl. Nicklas, Mk 9,14-29, 507; Gnilka, Markus 2, 46; Rolland, Lecture, 455; Hofius, Mk 9,14-29, 118 f. Vgl. Nicklas, Mk 9,14-29, 508; 514; Runacher, Croyants, 264. Mit Runacher, Croyants, 71; gegen Hofius, Mk 9,14-29, 120, A.17, der in dem ersten CWXVQWL eine constructio ad sensum auf die zuletzt erwähnte Menge sieht, von der „einer“ im nächsten Vers die Frage beantwortet, und das zweite wie das in V.14b auf die Jünger beziehen will. Vgl. Beutler, Weg, 34; Nicklas, Mk 9,14-29, 508, A.42. FKFCUMCNQL begegnet im Evangelium 12x (4,38; 5,35; 9,17.38; 10,17.20.35; 12,14.19.32; 13,1). Sowohl das Substantiv als auch das Verb FKFCUMGKP werden bis auf wenige Ausnahmen nur von Jesus ausgesagt. Das Vokabular verweist auf eine ältere Tradition: CXHTK\GKP und VTK\GKP sind sind Hapax Legomena im Neuen Testament. QFQWL ist Hapax Legomenon bei Markus; ebenso TBJU UGKP, das sich vom Attischen TBCVVY „zu Boden werfen“ herleitet (nicht von TBJIPWOK „reißen“, das Mk 2,22 begegnet). ZJTCKPQOCK erscheint 6x bei Markus, jedoch aus-

Kontextanalyse

235

nistischen Raum galt die sogenannte „heilige Krankheit“ als von den Göttern verhängte Strafe. Sie wurde als unheilbar angesehen.20 Die Krankheit betrifft zwei zentrale Aspekte menschlichen Daseins: den aufrechten Gang und das Sprachvermögen. Der Junge bietet das Bild eines entfremdeten, der menschlichen Lebensbedingungen beraubten Wesens.21 Nach der Schilderung der Krankheit wäre eigentlich die Bitte um Heilung zu erwarten. Stattdessen folgt der Bericht über die zuvor an die Jünger gerichtete Bitte und deren erfolglosen Heilungsversuch. Die Verse 17 f. werden damit zu einer „Wundererzählung in der Wundererzählung“ mit negativem Ausgang.22 Eine nicht erfolgreiche Wunderheilung ist ebenso wie das diesbezügliche Versagen der Jünger einzigartig im Markusevangelium. Das Scheitern der Jünger überrascht um so mehr, als sie von Jesus die Vollmacht zur Dämonenaustreibung bekommen und diese bereits erfolgreich ausgeübt hatten (Mk 3,15; 6,7.13). Auf den Bericht des Vaters „antwortet“ Jesus mit dem Ausruf: „O ungläubige Generation! Wie lange soll ich [noch] bei euch sein? Wie lange soll ich euch [noch] ertragen?“ (V.19). Das Pronomen CWXVQKL kann sich auf die Menge, die Schriftgelehrten oder die Jünger beziehen und u. U. auch den Vater einschliessen. Da jedoch zuvor das Scheitern der Jünger berichtet wurde, dürfte der Ausruf an ihre Adresse gerichtet sein.23 Konsequent gedacht, würden sich die beiden Fragen dann auf das Zusammensein Jesu mit den Jüngern beziehen. Damit scheint der Bezugsrahmen der Klage jedoch zu eng gefasst zu sein. Sie greift über die Erzählung hinaus auf die Erfahrung Jesu mit seinen Zeitgenossen insgesamt. Formal handelt es sich um ein „Scheltwort“ aus zwei parallelen rhetorischen Fragen.24 Vergleichbare Worte aus den Septuaginta sind die Gottesklagen Dt 32,20, wo auf den Unglauben des Volkes Israel Bezug genommen wird, und Num 14,27, wo die Frage „wie lange?“ erscheint; ebenso in dem prophetischen Klagewort Jes 6,11. In der Klage des Mose Dt 32,5 wird das Volk als „Generation“ bezeichnet. Mk 8,38 bezeichnete Jesus die Gesamtheit der Zeitgenossen

20 21 22 23

24

schließlich in vormarkinischen Traditionen (3,1; 4,6; 5,29; 9,18; 11,20 f.). Achtemeier, Miracles, 481, A.35; Pesch, Markusevangelium 2, 88 f.; Lührmann, Markus, 274-279 verweisen zum Vergleich auf andere antike Beschreibungen der Epilepsie. Vgl. Runacher, Croyants, 129 f.; 136; Gnilka, Markus 2, 47. Vgl. Delorme, Signification, 532-534; Dualité, 1101 f.; Ebach, Hiobs Post, 170. Vgl. Nicklas, Mk 9,14-29, 509; Zitat: ebd., 504. So auch Runacher, Croyants, 18; 26; 82 f.; 85 f.; 148; Beutler, Weg, 34; van Iersel, Markus, 178; Söding, Glaube, 464; Lührmann, Markusevangelium, 161. Anders Heil, Transfiguration, 180 (Vater und Schriftgelehrte); Gundry, Mark, 489 (Menge, Vater und Schriftgelehrte); Hofius, Mk 9,14-29, 122 („die Volksmenge, die durch den Vater repräsentiert wird“); Rolland, Lecture, 456 (Vater als Repräsentant der „ungläubigen Generation“). Weitere Autoren bei Hofius, ebd., 121; Nicklas, Mk 9,14-29, 509, A.48. Vgl. Nicklas, Mk 9,14-29, 504 mit Verweis auf Berger, Formgeschichte, 195; 198; Runacher, Croyants, 28; 31.

Kontextanalyse

236

als „ehebrecherische und sündige Generation“.25 Der ärgerlich-gereizte Ton an unserer Stelle lässt spüren, wie Jesus unter dem Unglauben seiner Zeitgenossen leidet – besonders derer, die ihm am nächsten stehen.26 Der Redaktor zeigt ihn in der selben Lage wie die Propheten, ja Gott selbst gegenüber einem störrischen Volk. Im Rahmen des Evangeliums greift die Frage „Wie lange noch?“ voraus auf das nahe Ende Jesu, das im Kontext mehrfach angekündigt wurde (vgl. 8,31; 9,9.12).27 Der Ausruf Jesu erinnert die Jünger daran, dass er nicht mehr lange bei ihnen sein wird. Durch die Apostrophierung als „ungläubige Generation“ wird das Versagen der Jünger als Mangel an Glauben interpretiert. Zugleich ist der Ausruf „ein Appell an die Leser, nicht denselben Fehler [...] zu begehen.“28 CRKUVQL „ungläubig“ ist die erste einer ganzen Reihe von Vokabeln zum Thema Glaube (vgl. QB RKUVGWYP V.23; RKUVGWY, CXRKUVKC V.24). Sie signalisiert, dass es im folgenden um das Thema des Glaubens gehen soll: Bevor Jesus sich dem Dämon zuwendet, wird er sich die „ungläubige Generation“ vornehmen.29

5.2.2

Die Heilung (VV.19c-27)

Zunächst nimmt der Redaktor jedoch kurz den Faden der Wundererzählung wieder auf. Jesus lässt den Besessenen zu sich bringen. Dies hatte der Vater nach V.17 bereits tun wollen, jedoch nur die Jünger angetroffen. Der Auftrag „Bringt ihn her“ ist ein typischer Zug eines Heilungswunders (vgl. Mk 10,49). Die zusätzliche Angabe RTQLOG „zu mir“ unterstreicht den Kontrast zu den Jüngern, die den Dämon nicht hatten austreiben können. Jesus nimmt die Sache selbst in die Hand. Die Jünger verlassen von hier ab die Szene. Wie häufig bei Markus wird die Ausführung mit den selben Worten berichtet wie der Auftrag: „Und sie brachten ihn zu ihm“ (V.20).30 Sobald er Jesus „sieht“, „wittert der Dämon seinen Bezwinger.“31 Wie um seine Macht zu demonstrieren, bewirkt er bei seinem Opfer einen epileptischen Anfall. Mit der Gegenwehr des Dämons bewegen wir uns in den gewohnten Bahnen eines Exorzismus. Der Anfall bestätigt das Krankheitsbild, das der Vater bereits geschildert hatte (V.18). Das Wort „schäumen“ ist von dort übernommen. Neu kommt das „Hin- und Hergezerrtwerden“ (UWURCTCUUY) und das „sich wälzen“ 25 26 27 28 29 30

31

Vgl. S.193. Vgl. Runacher, Croyants, 203; 31. Runacher spricht von einer „verschleierten Leidensankündigung“; vgl. Croyants, 208 f.; 273; 276. Grilli, Schwachheit, 62. Vgl. Nicklas, Mk 9,14-29, 510; Delorme, Signification, 544. Vgl. Runacher, Croyants, 83 mit Verweis auf 1,25 f.40-42; 2,11 f.14; 3,5 f.; 6,31 f.; 6,27 f.; 12,15 f. Das Verb HGTGKP begegnet bei Markus häufig im Zusammenhang des Herbeibringens von Kranken; vgl. 1,32; 2,3; 7,32; 8,22. Gnilka, Markus 2, 47.

Kontextanalyse

237

(MWNKQOCK) hinzu, das den gestörten Bewegungsablauf verdeutlicht.32 Das einleitende GWXSWL ist einerseits eine markinische Vorzugsvokabel; hier passt es jedoch auch sehr gut in den Kontext, um die heftige Reaktion des Dämons zu beschreiben. Für Markus ungewöhnlich erfolgt die Gegenwehr des Dämons ohne Worte. Dies erklärt sich daraus, dass es sich nach V.17 um einen „stummen Geist“ handelt.33 Das Wort RPGWOC nimmt diesen Vers wieder auf. Die Frage Jesu an den Vater „Wie lange ergeht es ihm schon so?“ (V.21) entspricht durchaus dem Schema einer Heilungserzählung. Da der Vater jedoch bereits ausführlich über die Krankheit seines Sohnes berichtet hatte, kommt sie hier etwas überraschend.34 Die erneute Nachfrage wirkt retardierend, zumal wenn man sich vorstellt, dass sich währenddessen der Besessene mit Schaum vor dem Mund auf dem Boden wälzt. Die Antwort des Vaters bringt aber auch eine neue Erkenntnis bezüglich der Schwere der Krankheit. „Von Kindheit an“ leidet sein Sohn unter den epileptischen Anfällen. Ähnliche Angaben begegnen auch andernorts in Geschichten von schweren Krankheitsfällen (vgl. Joh 9,1 f.; Mk 5,25 f.). Die nächste Information des Vaters lässt die Notlage noch größer erscheinen. Der Dämon trachtet dem Jungen nach dem Leben (CRQNNWOK), denn „wenn er in der Nähe von Feuer oder Wasser einen Anfall erleidet, droht er hineinzustürzen“ (V.22).35 An den Bericht über die Not schließt übergangslos die Bitte um Heilung an: „Aber wenn du irgend vermagst, hilf uns, erbarme dich unser!“ Nachdem der Vater beim ersten Anlauf nur die Jünger vorgefunden hatte, wiederholt er nun seine Bitte an die Adresse Jesu. Das einleitende CXNNC „aber“ setzt der Schwere der Krankheit und dem Versagen der Jünger die Macht Jesu entgegen. In die Bitte für „uns“ schließt der Vater sich selbst ein. Er spricht nicht nur stellvertretend für seinen Sohn, er leidet selbst unter dessen Krankheit.36 Die Lebensbedrohung betrifft in besonderer Weise den, der dem Kind das Leben geschenkt hat.37 Der Ruf, Jesus möge sich erbarmen, sich „in den Eingeweiden ergreifen lassen“, erinnert an andere Wundergeschichten, wo gesagt wird, dass Jesus mit den

32

33 34 35 36 37

Wie die in V.18 zur Beschreibung der Anfälle verwendeten Verben begegnen auch diese im Neuen Testament sehr selten. UWURCTCUUY steht nur hier und in der LukasParallele (9,42); das Simplex URCTCUUY begegnet jedoch noch einmal in unserer Geschichte (Mk 9,26 par Lk 9,39) sowie bei der Ausfahrt eines Dämons in Mk 1,26. MWNKQOCK ist Hapax Legomenon im Neuen Testament. Vgl. Nicklas, Mk 9,14-29, 504; Runacher, Croyants, 89 sowie A.3. Vgl. Nicklas, Mk 9,14-29, 510. Gnilka, Markus 2, 47. Vgl. Delorme, Signification, 536 f.; Nicklas, Mk 9,14-29, 505; 510 f.; Runacher, Croyants, 179. Vgl. Delorme, Signification, 537.

238

Kontextanalyse

betroffenen Menschen Erbarmen hatte (URNCIEPK\QOCK vgl. Mk 1,41; 6,34; 8,2). Insofern ist die Erbarmensbitte Ausdruck der Hoffnung auf Heilung.38  VK ist hier nicht als Akkusativobjekt zu FWPJ^ („wenn du etwas vermagst“), sondern als adverbialer Akkusativ zu übersetzen: „wenn du irgend kannst“, „wenn es dir irgend möglich ist“. Damit unterstreicht es wie an ähnlich formulierten Stellen in der griechischen Literatur emphatisch die Bitte.39 Markus scheint die konditional formulierte Bitte in seiner Vorlage jedoch als Ausdruck eingeschränkten Vertrauens und damit mangelnden Glaubens gelesen zu haben.40 In einigen im Evangelium berichteten Heilungswundern wird der Glaube der Bittsteller explizit hervorgehoben (vgl. 2,5; 5,34.35 f.; 10,52). Der Glaube der Betroffenen kennt hier entweder von vornherein keinen Zweifel, oder aber er überwindet diesen – wie auch andere Hürden – vor der erfolgreichen Heilung (vgl. Mk 2,3 f.; 5,35 f.; 10,47 f.). Umgekehrt kann Jesus etwa in Nazareth kein Wunder wirken, weil die Bittsteller keinen Glauben haben (vgl. Mk 6,1-6). Damit wird klar, dass der Vater in den Augen des Evangelisten mit einer Haltung eingeschränkten Vertrauens nicht die Heilung seines Sohnes erlangen kann. Jesus greift in seiner Antwort die Bitte des Vaters auf: „Was das ‚wenn du vermagst’ betrifft: Alles ist möglich für den, der glaubt“ (V.23).41 Damit schwenkt die Aufmerksamkeit von den eben noch beschriebenen Symptomen der Krankheit zur inneren Haltung des Bittstellers. Statt des erkrankten Sohnes rückt der Vater und dessen Glaube oder Unglaube in den Mittelpunkt. Aus einer Heilungserzählung wird so unversehens eine Glaubensgeschichte. Die Wiederaufnahme des vorherigen Verses und die Wortwiederholungen bis V.24 weisen auf einen redaktionellen Einschub, der den Zweifel des Vaters

38 39

40

41

Vgl. auch GXNGGY Mk 5,19 sowie Runacher, Croyants, 91. Zur Übersetzung von URNCIEPK\QOCK vgl. Delorme, Signification, 535. Vgl. Hofius, Mk 9,14-29, 123-125 mit Verweis auf Soph Ai 328 f.; Xen hell VII 5,15; Heliod Aith I 19,2; Dion Chrys Log 61,3; Thuk Hist VI 25,2; Aristeid Or 48,1 (ed. Keil) = 24 (ed. Dindorf) sowie J. J. Wettstein, Novum Testamentum Graecum I, 1752 = 1962, 598 f. Vgl. Runacher, Croyants, 176. Für vormarkinische Tradition spricht nach Runacher die Form FWPJ^, die bei Markus nur hier und V.23 erscheint (auch wenn das Verb FWPCOCK ansonsten ein Vorzugswort des Evangelisten ist), sowie die Bitte um Erbarmen, die in anderen Wundererzählungen meist traditionell ist (ebd., 91). Als Ausdruck eingeschränkten Vertrauens verstehen die Bitte auch Lohmeyer, Markus, 187 f.; Gnilka, Markus 2, 47; Nicklas, Mk 9,14-29, 505; 511; Grilli, Schwachheit, 62. Entsprechend klassisch-griechischem Sprachgebrauch leitet „der Artikel VQ [...] das Zitat dessen ein, was der Vater soeben gesagt hat“; vgl. Hofius, Mk 9,14-29, 126; Runacher, Croyants, 95, A.77 mit Verweis auf BDR § 267,1. Zitate in elliptischer Form begegnen auch Mk 3,30; 9,11.28; 14,49; vgl. Runacher, ebd., A.78 mit Verweis auf Larfeld, Evangelien, 269.

Kontextanalyse

239

korrigiert.42 Für markinische Bildung spricht auch, dass die Antwort Jesu ein Wort vorwegnimmt, das in etwas veränderter Form nochmals an anderer Stelle erscheint: „Für Gott ist alles möglich“ (Mk 10,27). In Getsemani wiederholt Jesus diesen Satz im Gebet: „Vater, alles ist dir möglich“ (Mk 14,36). Die Wendung RCPVCFWPCVC ist bereits im Alten Testament und in der frühjüdischen Literatur eine geprägte Formulierung für die Allmacht Gottes.43 Entsprechend ist sie auch an unserer Stelle auf Gott zu beziehen, in dessen Vollmacht wiederum Jesus handelt. Der Dativ VY^ RKUVGWQPVK ist demnach nicht als Dativus auctoris, sondern als Dativus commodi zu übersetzen: „Alles ist [Gott] möglich dem [zugute], der glaubt.“44 Diese allgemeine Aussage bezieht sich im Kontext der Perikope auf den Vater, dessen Glaube die Voraussetzung für die Heilung des epileptischen Jungen ist.45 Auf der Suche nach einer Macht, die ihm und seinem Sohn helfen kann, wird er auf Gott, der allein „alles vermag“, und sodann auf sich selbst und sein Gottvertrauen verwiesen. Dem als Einschränkung verstandenen VK des Vaters setzt Jesus ein umfassendes RCPVC entgegen. Dasselbe wird in Mk 11,22-24 nochmals gesagt: Wer glaubt und nicht zweifelt, kann von Gott alles erbitten. Die Reaktion des Vaters zeigt, dass er die Botschaft verstanden hat. „Sogleich“ schreit er: „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben“ (V.24). Wir befinden uns damit am „dramatische[n] Höhepunkt der ganzen Erzählung“.46 Dass der Vater regelrecht zu Jesus „schreit“, zeigt seine verzweifelte Lage und steigert nochmals die Eindringlichkeit der Bitte. Das Verb MTC\GKP begegnet häufig in den Klagepsalmen.47 Im Markusevangelium wurden bisher nur die Laute von 42

43 44

45

46 47

GKX FWPJ^ „Wenn du kannst“ V.22 vgl.GKX FWPJ^, RCPVCFWPCVC V.23; DQJSJUQPJOKP „hilf uns“ V.22 vgl. DQJSGK „hilf“ V.24; VY^ RKUVGWQPVK „dem, der glaubt“ V.23 vgl. RKUVGWY „ich glaube“ V.24. Vgl. Runacher, Croyants, 179; 100 mit Verweis auf Neirynck, Duality, 36; 128. Vgl. Hofius, Mk 9,14-29, 128 mit Verweis auf Gen 18,14 LXX; Job 10,13; 42,2 LXX; Sach 8,6 LXX; Philo opif 46; virt 26; Abr 268; Lk 1,37; Herm vis IV 2,6; mand XII 6,3. Vgl. Hofius, Mk 9,14-29, 128 f. mit Verweis auf Gundry, Mark, 490; 499; Söding, Glaube, 471; 475 sowie bereits Calvin und Beza; Runacher, Croyants, 96 f. Gegen Delorme, Signification, 538, der auf den Dativus auctoris in 14,36 verweist. Vgl. Runacher, Croyants, 183. Dagegen deuten etliche Kommentatoren den Satz auf Jesus, dem im festen Glauben die Heilung des Jungen möglich sei; so Schniewind, Markus, 91 f.; Lohmeyer, Markus, 188 ff.; Grundmann, Markus, 255; Schreiber, Theologie, 24 f.; Achtemeier, Miracles, 480; Pesch, Markusevangelium 2, 92; Lührmann, Markusevangelium, 161; Grilli, Schwachheit, 69. Jedoch bezieht der Vater den Ruf Jesu im folgenden Vers auf sich selbst. Dieser entspricht darüber hinaus dem Motiv der „Ermutigung“, das sich auch in anderen Wundererzählungen findet; vgl. Mk 5,36 sowie Theißen, Wundergeschichten, 68; Hofius, Mk 9,14-29, 129; Runacher, Croyants, 184. Gnilka, Markus 2, 48. Vgl. Hofius, Mk 9,14-29, 129 mit Verweis auf Ps 3,5; 4,4; 16,6; 17,7; 21,3.6.25; 26,7; 27,1; 30,23 LXX u. ö.

240

Kontextanalyse

Dämonen damit umschrieben (vgl. 3,11; 5,5.7). Hier liegt jedoch die Verbindung zum Hilfeschrei des Bartimäus näher (Mk 10,47 f.). Wie dieser rückt der Aufschrei des Vaters in die Nähe eines inbrünstigen Gebets.48DQJSGKP „helfen“ greift die Bitte um das Erbarmen Jesu aus V.22 wieder auf. RKUVGWY „ich glaube“ nimmt den V.23 auf. Die direkte Verbindung von Glaube und Unglaube ist vom Redaktor gewollt.49 Er fordert einerseits unerschütterliches Gottvertrauen, weiß andererseits aber um die Schwachheit des Glaubens. Im vertrauensvollen Gebet um Gottes Hilfe bringt er beides zusammen – eine bemerkenswerte theologische Leistung. Vom Auftrag an die Jünger zur Bitte an Jesus für „uns“, dann für „mich“ macht der Vater des epileptischen Jungen eine beachtliche Entwicklung durch.50 In seinem Gebetsschrei wird er auch zum Vorbild für die Jünger, deren mangelnder Glaube in V.19 kritisiert wurde und denen in der Jüngerbelehrung (V.29) das Gebet besonders ans Herz gelegt wird. Nachdem der Vater auf so eindrucksvolle Art sein Vertrauen auf Gott kundgetan hat, kann das Wunder geschehen. Jesus schreitet zur Austreibung des Dämons (V.25). Nach dem Gespräch über den Glauben geht die Aufmerksamkeit damit zurück zur Notlage. Zum ersten Mal seit V.20 wird auch der „Geist“ erwähnt. Als Jesus die Menge zusammenlaufen sieht,51 „drohte er dem unreinen Geist und sagte: Du stummer und tauber Geist, ich befehle dir: Fahre aus ihm heraus und fahre nicht länger in ihn hinein.“ Das „Drohen“ (GXRKVKOCP) ist in den LXX eine Aktivität Gottes gegenüber fremden, widergöttlichen Mächten; so droht Gott den Säulen des Himmels (Job 26,11), dem Schilfmeer (Ps 105,9) und den Stolzen (Ps 118,21); er wehrt die Fremdvölker bzw. deren Herrscher ab (Ps 9,6; 67,30) und weist den Satan in die Schranken (Sach 3,2 zit. Jud 9).52 Dass dasselbe hier von Jesus gesagt wird, deutet darauf hin, dass er mit göttlicher Vollmacht handelt. 48 49

50 51

52

Vgl. auch die Erbarmensbitte (URNCIEPK\QOCK V.22) mit der des Bartimäus (GXNGJUQPOG 10,47 f.) sowie Runacher, Croyants, 188 mit Verweis auf Schönweiß, Gebet, 421. Gegen Nicklas, Mk 9,14-29, 505, A.30, der mit einem Präsens de conatu übersetzen will („ich versuche zu glauben), und Hofius, Mk 9,14-29, 132 („Hilf mir, obwohl ich noch nicht glaube“). Auf die Hand des Redaktors verweist die Redeeinleitung mit GWXSWL und GNGIGP. RCKFKQP ist keine markinische Vokabel, könnte sich hier aber von RCKFKQSGP V.21 herleiten; vgl. Runacher, Croyants, 99. Vgl. Delorme, Signification, 535. Das Verb GXRKUWPVTGEY ist im Neuen Testament und in der bekannten griechischen Literatur sonst nicht mehr belegt. Das Simplex beschreibt jedoch Mk 6,33 das Zusammenströmen der Leute am anderen Seeufer; das verwandte RTQUVTGEY erschien bereits in der Einleitung unserer Perikope (9,15). Als Anlass für den Ausfahrbefehl passt das Zusammenlaufen der Menge zum Motiv der Heilung im Verborgenen; vgl. Delorme, Signification, 541; Rolland, Lecture, 458; Runacher, Croyants, 102; 104. In vielen alt- und zwischentestamentlichen Texten sowie in Qumran gibt GXRKVKOCY die hebräische Wurzel g’r wieder, die den Sieg Gottes über die Mächte des Bösen bedeutet (vgl. Runacher, Croyants, 221 f. mit Verweis auf Kee, Terminology).

Kontextanalyse

241

Der Ausfahrbefehl ist an Länge und Feierlichkeit singulär. Damit ist er der Gefährlichkeit des Dämons angemessen. Anders als in der Beschreibung des Vaters, wo nur von einem „stummen Geist“ die Rede war (V.17), wird er hier dreifach charakterisiert: nämlich zunächst wie bei Markus üblich als „unrein“ und sodann mit den aus der Heilung des Taubstummen übernommenen Adjektiven als „stumm und taub“. Das betonte Personalpronomen GXIY hebt die Vollmacht Jesu – auch gegenüber dem Versagen der Jünger – nochmals hervor. Mit der Wendung GXIY GKXOK offenbart Jesus in der Verhandlung vor dem Hohenpriester seine Identität (Mk 14,62). Anlässlich des Seewandels (Mk 6,50) rückt die Wendung ebenfalls in die Nähe einer Offenbarung. Sie lässt die Erscheinung Gottes im Dornbusch anklingen (GXIY GKXOKQB YP Ex 3,14 LXX). Ähnlich zeigt auch hier das betonte GXIY Jesu göttliche Vollmacht an, die sich in der Heilung des epileptischen Jungen offenbart. GXRKVCUUY „befehlen“ erschien bereits in der Dämonenaustreibung in der Synagoge von Kapharnaum (1,27), wo es wie hier im Wechsel mit GXRKVKOCY gebraucht ist (vgl. 1,25).53 Ebenso wie GXRKVKOCY drückt es die Hoheit Jesu über die Dämonen aus. Nachdem der bloße Anblick Jesu bereits den Widerstand des Dämons provoziert hatte, kommt es nach dem Ausfahrbefehl erneut zu einem Anfall. Der Junge schreit auf und wird hin- und hergeschüttelt (V.26). Wie in anderen Exorzismen wird die Ausfahrt des Dämons mit den selben Worten berichtet wie der Ausfahrbefehl: „Er fuhr heraus.“54 Der Vers stimmt bis in die Wortwahl hinein mit Mk 1,26 überein (URCTCUUGKP; GXZGNSGKP). Der Aufschrei des von einem stummen Dämon besessenen Jungen kommt überraschend. Die Befreiung der Stimme wird zum ersten Anzeichen seiner Heilung.55 Die Masculina MTCZCL und URCTCZCL können in einer constructio ad sensum auf das Neutrum RPGWOC bezogen werden.56 Die doppeldeutige Konstruktion entspricht aber auch dem Moment, in dem der epileptische Junge wieder selbst zum Subjekt seiner Handlungen wird. Nach dem letzten Kampf mit dem Dämon bleibt er zunächst jedoch „wie tot“ liegen. Nach dem „vielen“ Hin- und Herzerren durch den Dämon tritt Stille ein. Die dabeistehende Menge interpretiert das postkritische Koma als Todeszeichen: „Er ist gestorben“ (CXRGSCPGP). So scheint der Dämon das in V.22 formulierte Ziel, sein Opfer ums Leben zu bringen, doch noch erreicht zu haben. Die Vokabel PGMTQL ist ein Element frühchristlicher Glaubensformeln bezüglich der Auferstehung „von den Toten“ (vgl. Mk 6,14; 9,9 f.; 12,25-27; Röm 1,4; 4,24; 6,4.9; 8,11.34; 10,9; 1 Kor 15,12 ff.). 53

54 55 56

In 1,27; 6,27.39 ist das Verb jeweils traditionell. An unserer Stelle könnte es der Redaktor auf dem Hintergrund von Mk 1,27 eingefügt haben; vgl. Runacher, Croyants, 108; 219; 232 f. Vgl. 1,25 f.; 5,8.13. Auch grammatikalisch nimmt der Indikativ Aorist den Imperativ Aorist aus V.25 auf. Vgl. Delorme, Signification, 534; Dualité, 1102 f. So Runacher, Croyants, 112.

Kontextanalyse

242

Jesus nimmt den Jungen bei der Hand und „richtet ihn auf“ (GXIGKTGKP), „und er stand auf“ (CXPCUVJPCK) (V.27). Nach dem todesähnlichen Zustand des Jungen wird die definitive Heilung nun im Bild einer Auferstehung beschrieben. Das Vokabular findet sich teilweise in anderen Heilungserzählungen (GXIGKTGKP Mk 1,31; 2,9.11.12; 3,3; 5,41; CXPCUVJPCK 5,42), gehört darüber hinaus jedoch auch in die frühchristliche Auferstehungstradition (GXIGKTGKP vgl. Mk 14,28; 16,6 f.; Röm 4,24 f.; 6,4.9; 8,11.34; 10,9; 1 Kor 6,14; 15,4 u. ö.; CXPCUVJPCK vgl. Mk 8,31; 9,9 f.31; 10,34; 1 Thess 4,14.16 u. ö.). Durch die Wortwahl rückt die Geschichte in die Nähe einer Totenerweckung. Dies hebt die Macht Jesu als Wundertäter nochmals hervor. Nach jüdischer Vorstellung kann Gott allein Tote erwecken. Das Ergreifen der Hand ist im Alten Testament eine Geste Gottes, der zu Hilfe eilt (MTCVGKPVJLEGKTQL vgl. Ps 72,23; Jes 41,13; 42,6 LXX). Auch darin agiert Jesus also als Vertreter Gottes.57 Indem er das Kind in den aufrechten Gang versetzt, erweckt er es buchstäblich zu neuem Leben.58 Aufgrund des Vokabulars ist der Heilungsgestus als Verweis auf Jesu Tod und Auferstehung und somit auf seine Macht über den Tod zu lesen. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf die häufigen Vorankündigungen von Tod und Auferstehung im Kontext, zuletzt im Ausruf Jesu in V.19 (vgl. auch 8,31; 9,9 f.31). Die Gegenüberstellung mit der skeptischen Haltung der Menge ist für den Leser und die Hörerin ein erneuter Aufruf zum Vertrauen auf den, der selbst Tote zu erwecken vermag.59

5.2.3

Die Jüngerbelehrung (VV.28 f.)

Anstatt eines Chorschlusses, in dem die Menge ihre Bewunderung für den Wundertäter zum Ausdruck brächte, wird berichtet, dass sich Jesus „ins Haus“ zurückzieht. Dies gibt den Jüngern die Gelegenheit, ihn noch einmal „allein zu befragen“ (V.28). Der ursprüngliche Abschluss der Geschichte könnte durch die Jüngerbelehrung ersetzt worden sein.60 Sonderbelehrungen für die Jünger sind besonders charakteristisch für den Mittelteil des Evangeliums. Sie finden sich bei Markus in den verschiedensten Zusammenhängen,61 als Anhang an eine Wunderheilung jedoch nur hier. Das Vokabular der Einleitung lässt eine redaktionelle Bildung vermuten.62 Das Haus ist bei Markus bevorzugter Ort der Jüngerbelehrung (vgl. 7,17; 9,33; 10,10). Zusätzlich wird der private Ort durch 57 58 59 60 61

62

Vgl. Runacher, Croyants, 213 f. Vgl. Delorme, Signification, 534; 541; Dualité, 1101 f.; Ebach, Hiobs Post, 178; Runacher, Croyants, 215. Vgl. Delorme, Signification, 541. So bereits Bultmann; vgl. auch Beutler, Weg, 36; Gnilka, Markus 2, 49, A.27. Das Motiv der Jüngerbelehrung erscheint z. B. Mk 4,10.34 im Zusammenhang eines Gleichnisses; 7,17; 10,10 im Kontext eines Streit- bzw. Lehrgespräches; 9,2; 13,3 in der Einleitung zur Verklärung bzw. Apokalypse. So die Partizipialkonstruktion mit GKXUGTEQOCK und das redundante GKXL („hineingehen in“). GXRGTYVCY „fragen“ (25x) steht häufig im Kontext der Lehre, auch der Jüngerbelehrung (vgl. 7,17; 9,11.32; 10,10; 13,3).

Kontextanalyse

243

MCV’ KXFKCP gekennzeichnet, das einen Bogen zum Beginn der Verklärungserzählung (Mk 9,2) schlägt.63 Auf der Ebene der Erzählung vermittelt das Fehlen des Chorschlusses den Eindruck, dass die Menge trotz der definitiven Heilung des Jungen nicht zur Erkenntnis bezüglich der Person Jesu gekommen ist.64 Dies erhöht die Dringlichkeit des Appells an die Leser und Hörerinnen. Inhaltlich geht die Frage der Jünger an den Anfang der Perikope zurück, nämlich zu ihrem in V.18 berichteten Versagen: „Wir konnten den Dämon nicht austreiben.“ Diese Feststellung hat im Kontext den Sinn einer Frage (vgl. 9,11). GXMDCNNGKP greift zurück auf den V.18, wo die Jünger zuletzt erwähnt worden waren. Statt KXUEWY für „können, vermögen“ steht hier das bei Markus gebräuchliche FWPCOCK, das bereits in VV.22 f. erschien.65 Die Antwort Jesu überrascht in ihrer Schlichtheit: „Diese Art kann nur durch nichts ausfahren außer durch Gebet“ (V.29).66 Sie zerfällt gewissermaßen in zwei Hälften: der erste Satzteil knüpft mit FWPCOCK an den vorhergehenden Vers an, der die Unmöglichkeit der Austreibung feststellt. GXZGTEQOCK beschreibt ebenso wie GXMDCNNGKP den Exorzismus (vgl. VV.25 f.). Der zweite Satzteil gibt die Bedingung an, unter der „diese Art“ dennoch ausgetrieben werden kann, nämlich „durch Gebet“. Nachdem Jesus im ersten Teil des Evangeliums zweimal in der Einsamkeit betend gezeigt wurde (Mk 1,35; 6,46), wird das Gebet (RTQUGWEJ) hier zum ersten Mal als Haltung der Jünger thematisiert.67 Es bezeichnet die exklusive Bedingung, unter der der gefährliche Dämon ausgetrieben werden kann. Ein innerer Bezug zu dem Wort Jesu an den Vater des Jungen, das als Voraussetzung der Austreibung den Glauben nennt (V.23), liegt nahe. Tatsächlich sind bei Markus Gebet und Glaube eng verbunden. In der Belehrung anlässlich der Verfluchung des Feigenbaums stehen Vokabeln des Glaubens und des Betens nebeneinander: Mk 11,22 GEGVG RKUVKP; V.23 Q=L CP RKUVGWJ^; V.24: RKUVGWGVG; RTQUGWEGUSG; CKXVGKUSG. Das Hendiadyoin von CKXVGQOCK und RTQUGWEQOCK in V.24 weist das Gebet näherhin als Bittgebet aus. Demjenigen, der „glaubt“ und „nicht in seinem Herzen zweifelt“ (V.23), wird die Macht zugesagt, durch sein Gebet selbst Berge zu versetzen. Das Gebet ist somit Ausdruck des festen Vertrauens 63 64 65 66

67

Die Wendung erscheint auch Mk 4,34; 6,31 f.; 13,3, jeweils im Zusammenhang einer Absonderung Jesu mit den Jüngern. Einzig in 7,33 ist sie traditionell; vgl. S.217. So Nicklas, Mk 9,14-29, 512. KXUEWY steht bei Markus 4x in traditionellem Kontext, u. a. in der Heilung des Besessenen von Gerasa (5,4; 2,17; 9,18; 14,37). FWPCOCK begegnet 33x. Der Zusatz „und Fasten“ ist sekundär. Er fehlt bei den zwei ältesten Zeugen der ägyptischen Textüberlieferung (D B); vgl. Nestle-Aland; Beutler, Weg, 32; Grilli, Schwachheit, 58, A.2; Gnilka, Markus 2, 49 f. mit Verweis auf „dasselbe textkritische Problem“ in 1 Kor 7,5. Vgl. Runacher, Croyants, 152. Hofius bezieht die Empfehlung dagegen auf den Wunderempfänger, dessen Gebet die Voraussetzung für das „Ausfahren-Können“ des unreinen Geistes sei; vgl. Mk 9,14-29, 134 mit Verweis auf Lang, Sola gratia, 324 f.; 328.

244

Kontextanalyse

auf die Macht Gottes, der allein Wunder wirken kann (vgl. Mk 10,27). Diese Haltung wird in unserer Erzählung in dem Gebetsschrei des Vaters (Mk 9,24) eindrucksvoll vor Augen geführt. Das Gebet des Vaters verkörpert das, was zuvor in V.23 als „Glaube“ bezeichnet wurde. Beten bedeutet zugleich, sich selbst mit dem Willen Gottes in Übereinstimmung zu bringen. Beispielhaft dafür ist das Gebet Jesu in Getsemani (RTQUGWEQOCK Mk 14,35 f.): „nicht was ich will, sondern was du willst“. Die Jünger werden ebenfalls zu solchem Gebet aufgefordert, damit sie „nicht in Versuchung geraten“ (RTQUGWEQOCK 14,38). Das Mk 11,23 erbetene Versetzen der Berge kann mit der prophetischen Verheißung in Verbindung gebracht werden, nach der am Ende der Zeit Täler und Hügel eben werden sollen (vgl. Sach 14,1-4.9-10; Jes 40,4; 49,11; Hab 3,6). Der und die Betende hat damit teil an der Ausbreitung des Reiches Gottes.68 Wo – wie in unserer Erzählung – Besessene befreit und entfremdete Menschen sich selbst zurückgegeben werden, ist Gottes Reich bereits „nahe herbeigekommen“ (Mk 1,14). Passend dazu ist die erste Wundertat Jesu im Markusevangelium ein Exorzismus (Mk 1,23-27), der die „in Vollmacht“ (V.27) gekommene Gottesherrschaft verdeutlicht.69 Mit der Empfehlung des Gebets wird das Scheitern der Jünger bei der Austreibung des stummen und tauben Dämons wie bereits in V.19 auf ihren Unglauben, d. h. ihr mangelndes Gottvertrauen, zurückgeführt. V.29 stellt damit gewissermaßen die Antithese zu V.19 dar: Wurden dort Unglaube und Ohnmacht bei den Jüngern festgestellt, so wird ihnen hier das Gebet empfohlen, das Macht über die bösen Geister verleiht.70 Die Empfehlung des Gebetes ist jedoch nicht nur als Anweisung zum erfolgreichen Exorzismus zu verstehen. Wie die Erzählung schon vorher das Heilungswunder transzendiert und zur Glaubensgeschichte wird, so weist auch das Ende über den konkreten Anlass hinaus. Das Böse und seine tödliche Macht, die der Dämon verkörpert, kann nur im Glauben an Gott überwunden werden. Dieser wird im Gebet eingeübt und gefestigt.71 Im Versagen der Jünger (V.18) und im Zweifel des Vaters (VV.22-24) können die Leser und Hörerinnen ihre eigenen Schwierigkeiten erkennen. Gebet und Glaube ist die Grundhaltung, in der diese überwunden werden können. Dazu muss die Hilfe Jesu kommen, „der den ‚stummen und tauben’ sowie den ‚unreinen’ Geist ausfahren lässt.“72 Im Kontext des Evangeliums ist die Empfehlung von Glaube und Gebet insbesondere vor dem Hintergrund der wiederholten Leidensankündigungen (8,31; 9,12.19) und der Aufrufe zur Nachfolge (8,33; 68 69 70 71 72

Vgl. Runacher, Croyants, 156 mit Verweis auf C. Westermann, Théologie de l’Ancien Testament. Le Monde de la Bible, Genève 1985, 69-72. Vgl. Runacher, Croyants, 22 f.; 38; 136-138. Vgl. Runacher, Croyants, 167-169. Vgl. Nicklas, Mk 9,14-29, 513; Hofius, Mk 9,14-29, 133 f.; Runacher, Croyants, 198. Beutler, Weg, 36.

Kontextanalyse

245

8,34-9,1) zu lesen. Allein im Glauben können die Jünger von ihrer eigenen Stummheit und Taubheit geheilt werden und Jesus auf seinem Weg ins Leiden folgen. Der Weg vom Unglauben zum festen Vertrauen auf Gott geht über das Gebet.

5.3

Fazit

Nach der Rückkehr vom Berg der Verklärung finden sich Jesus und die drei auserwählten Jünger mitten in einer Kontroverse mit den Schriftgelehrten und im Kampf mit einem gefährlichen Dämon wieder (VV.14-16). Das kurze Erlebnis der himmlischen Herrlichkeit wird damit unverzüglich geerdet. Durch ihre Position und Thematik ist die Perikope auf die beiden Blindenheilungen bezogen, die den Rahmen des Mittelteils bilden. Wie dort die Blindheit, so kann hier die Besessenheit von einem tauben und stummen Geist auf die fehlende Erkenntnis und Nachfolgebereitschaft der Jünger gedeutet werden. Die Erzählung ist über die gewöhnlichen Elemente einer Dämonenaustreibung hinaus erheblich erweitert. Insbesondere die ungewöhnlichen Züge transportieren die Intention des Evangelisten. Einzigartig ist zunächst der erfolglose Heilungsversuch der zurückgebliebenen Jünger. Er verweist auf Schwierigkeiten in der Nachfolge, zumal die Zwölf mit ihrer Erwählung und Aussendung die Vollmacht zur Dämonenaustreibung bekommen haben (3,15; 6,7). Jesus führt das Scheitern der Jünger in einer ersten Reaktion auf den Unglauben „dieser Generation“ zurück (V.19). Vor der eigentlichen Wunderheilung schiebt der Evangelist einen Dialog Jesu mit dem Vater des Besessenen ein (VV.23 f.), in dem er die Bedeutung des Glaubens als Voraussetzung einer erfolgreichen Heilung nochmals herausarbeitet. Die doppelte Schilderung der Krankheit durch den Vater des Besessenen (VV.18.22) erklärt sich aus dem vorausgegangenen Heilungsversuch der Jünger. Zugleich lässt sie das Ausmaß der Besessenheit bis hin zur Gefahr für das Leben des Opfers erst richtig deutlich werden. In übertragenem Sinn kann der Zustand des Besessenen als Bild für die Bedrohung der Nachfolge gelesen werden. Die Heilung selbst ist durch die Ausgestaltung der postkritische Starre und das einschlägige Vokabular wie eine Auferweckung inszeniert (VV.26 f.). Für den Jungen, von dem der Dämon von Kindheit an Besitz ergriffen hatte, ist dieser Moment tatsächlich eine Auferstehung zu neuem Leben. Zugleich spielt der Evangelist hier auf Jesu Tod und Auferstehung an. Verstärkt durch die ungewohnt misstrauische Reaktion der Menge werden Leser und Hörerinnen zum Vertrauen auf den aufgerufen, der nicht nur stumme und taube Dämonen austreiben, sondern selbst Tote erwecken kann.

246

Kontextanalyse

Die Jüngerbelehrung im Anschluss an die Heilungserzählung (VV.28 f.) geht zurück zu der anfangs aufgekommenen Frage, warum die Jünger den Dämon nicht austreiben konnten. Die Antwort Jesu verweist die Jünger auf das Gebet, das im Konzept des Evangelisten eng mit dem Glauben verbunden ist. Gebet und Glaube sind nicht nur Voraussetzung für die erfolgreiche Wunderheilung, sondern auch für die gelingende Nachfolge. Im Blick auf die folgenden Jüngerbelehrungen ist die Heilung des epileptischen Jungen ein Beispiel des Dienstes an den „Kleinen“ (Mk 9,42). Die Jünger sind aufgerufen, ihrerseits am Aufbau des Reiches Gottes mitzuwirken, indem sie Besessene befreien und entfremdeten Menschen ihre Persönlichkeit zurückgeben. Damit dies gelingt, braucht es Gebet und festes Vertrauen auf Gott, der allein dem Unglauben abhelfen kann.

6.

Zwischenergebnis: „Wer sein Leben hingibt, wird es retten.“ Die erste Ankündigung von Leiden und Auferstehung in ihrem Kontext

Nach dem Petrusbekenntnis, das sozusagen die Wunder und Belehrungen des 1. Hauptteils zusammenfasst, schlägt die erste Leidensankündigung überraschend ein ganz neues Thema an. Erstmals korrigiert der Evangelist das bisherige Bild der Souveränität Jesu. Es bedarf der Ergänzung durch Jesu Erniedrigung bis hin zum Tod am Kreuz, ohne die auch seine Hoheit nicht angemessen bekannt werden kann. Der anschließende Petrustadel unterstreicht nochmals den Ernst der Worte Jesu. Wie ein Motto steht die erste Blindenheilung über diesem Teil, in dem den Jüngern für Jesu Person und seinen Weg die Augen geöffnet werden sollen. Die Belehrung über das Kreuztragen spricht das an, worum es Markus mindestens ebenso sehr geht wie um das Schicksal Jesu, nämlich die Konsequenzen für die Jünger. Sie sind auch hinsichtlich Leiden und Erniedrigung zur Nachfolge aufgerufen. Damit verbindet sich aber auch das Versprechen, auf diesem Weg zum vollen, wahren Leben zu gelangen. Das Beispiel von Monseñor Romero zeigt, was es heute heißen kann, sein Leben zu geben und es gerade dadurch erst ganz zu gewinnen. Als Bestätigung dieser Verheißung und Gegengewicht zu Leidensankündigung und Kreuzesnachfolge wirft die Verklärungsgeschichte einen kurzen Blick auf die himmlische Herrlichkeit Jesu. Diese Schau wird bereits während des Abstiegs vom Berg durch den Verweis auf das Schicksal des Täufers und durch eine erneute Leidensansage ergänzt. Die Auseinandersetzung mit einer Gruppe von Schriftgelehrten und mit dem Scheitern ihrer Kollegen bei der Austreibung eines gefährlichen Dämons holt die drei Jünger vollends in die Realität zurück. Erstmals im Mittelteil klingt hier das Thema des Glaubens an, das mit dem des Gebetes eng verbunden ist. Ohne Gebet und Glaube ist Nachfolge Jesu nicht möglich. Zugunsten von dem, der glaubt, kann Gott dagegen alles bewirken. Die erfolgreiche Austreibung des stummen und tauben Dämons ermutigt zum Vertrauen auf Jesus, der sogar den Tod überwunden hat. Er kann auch Augen, Mund und Ohren der Jünger öffnen. An dieser Stelle schließt die zweite Ankündigung von Leiden und Auferstehung an (Mk 9,31). In der folgenden Jüngerbelehrung klingt erstmals das Thema des „Dienens“ an (Mk 9,33-37).

7.

Die Jüngerbelehrungen vom „Dienen“

Wie auf die erste, so folgt auch auf die zweite und dritte Ankündigung von Tod und Auferstehung jeweils eine Unterweisung an die Adresse der Jünger (Mk 9,33-37; 10,35-45). Diese beiden Belehrungen ähneln sich nicht nur vom Inhalt her, sondern sind auch formal auffallend parallel gestaltet. So äußert sich das Unverständnis der Jünger jeweils in einem Streit um die Rangfolge (9,34; 10,41). Die Reaktion Jesu kreist um das Thema des gegenseitigen „Dienens“, das dem Anspruch, „Erster“ (9,35; 10,44) oder „groß“ (9,34; 10,43) zu sein, gegenübergestellt wird. Der Belehrung ist jeweils eine Szene zugeordnet, die die richtige bzw. falsche Haltung illustriert. So verdeutlicht Jesus den ersten Aufruf zum Dienen, indem er ein Kind in die Mitte stellt. Der zweiten Belehrung vom Dienen geht ein Gespräch Jesu mit den Zebedäussöhnen voraus, worin deren Unverständnis deutlich wird. Die Kernsätze der Belehrungen in Mk 9,35 und 10,43 f. entsprechen sich bis in die Formulierung hinein: Mk 9,35 GKVKLSGNGK

Wenn jemand will

RTYVQLGKPCK

Erster sein,

GUVCKRCPVYP soll er der Letzte von GUECVQL allen sein MCKRCPVYPFKCMQPQL und aller Diener.

Mk 10,43 f. CXNNQ=LC PSGNJ^ OGICLIGPGUSCKGXP WBOKP 

Wenn aber jemand will groß werden bei euch,

GUVCKWBBOYPFKCMQPQL soll er euer Diener sein, MCKQ=LC PSGNJ^GXP und wer bei euch will WBBOKP GKPCKRTYVQL Erster sein, GUVCKRCPVYPFQWNQL soll aller Sklave sein.

Logien und narrative Überlieferungen vom „Dienen“ begegnen in den neutestamentlichen Traditionen häufig und in vielfacher Form, was auf ihr Alter und ihre „Bedeutung [...] für das Selbstverständnis der christlichen Gemeinde“ schließen lässt.1 Neben den bei den Markus überlieferten Sprüchen scheint es in Q ein Logion ähnlichen Inhalts gegeben zu haben: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Mt 23,12 par Lk 14,11; 18,14). Lukas bringt die zweite Belehrung zum „Dienen“ im Kontext des letzten Mahls (22,24-27), was sie in eine möglicherweise nicht zufällige Nähe zur johanneischen Erzählung von der Fußwaschung (Joh 13) rücken lässt. Paulus begründet mit dem Vorbild Christi, der „wie ein Sklave“ wurde (FQWNQL Phil 2,7), die Aufforderung an die Gemeinde von Philippi zu gegenseitiger 1

Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 143.

250

Kontextanalyse

Demut. In 1 Kor 12,5 umschreibt FKCMQPKC „Dienst“, „Dienen“ sowohl das Beziehungsverhältnis jedes einzelnen Gemeindemitglieds zum Kyrios als auch die Aktivitäten innerhalb der Gemeinde. Das Zusammenwirken der verschiedenen Charismen zum Aufbau der Gemeinde wird durch das Gleichnis vom Leib erläutert (1 Kor 12,12-31). Dabei kommt die besondere Bedeutung der „schwächeren“, „weniger edlen“ Glieder (VV.22-24) einer „Umkehrung der Vorstellungen von Ehre und Schande“ gleich.2 Thematisch verwandt ist Gal 3,28, die „paulinische Spitzenaussage“ zur „universal-egalitären Grundausrichtung“:3 „Da ist nicht mehr Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht männlich noch weiblich“. In der Taufe werden Menschen verschiedenster Herkunft und Stellung in eine Gemeinschaft aufgenommen, in der die gesellschaftlich definierte Hierarchie mit Blick auf den einen Herrn, dem alle dienen, außer Kraft gesetzt ist.4 Die Überlieferungen vom Dienen als Umgangsweise in der Gemeinde fügen sich gut in die authentische Verkündigung Jesu ein. „In der Anerkennung des anderen und in der wohlwollenden Zuwendung zu ihm“ entspricht er der Nähe Gottes, die er selbst erfährt und verkündet. Damit dürften die Überlieferungen vom Dienen im Kern auf Jesus zurückgehen.5 Bezüglich Mk 9,35-37 und 10,3545 spricht allerdings einiges dafür, Markus als den Urheber der Doppelung zu sehen.6 Mk 9,35 gibt 10,43 f. in verkürzter Form wieder. RTYVQLGKPCKist aus dem zweiten, FKCMQPQL aus dem ersten Glied des Doppelspruchs übernommen. Neben die Forderung des Dienens tritt im Nachsatz die Forderung des LetzterSeins, die dem „Erster-Sein-Wollen“ des Vordersatzes in besonderer Weise korrespondiert. Diese Gegenüberstellung erinnert an das Logion Mk 10,31, das die Belehrungen nach der 2. Ankündigung abschließt und dessen Thematik in Mk 9,35 somit vorwegnehmend anklingt.7 Statt eines konditionalen Relativsatzes wie in Mk 10,43 f. ist der Vordersatz von Mk 9,35 als Bedingungssatz formuliert. So entsteht ein Gleichklang mit dem einleitenden Satz der Belehrung über die Lebenshingabe: „Wenn jemand mir nachfolgen will...“ (GK VKLSGNGKQXRKUY OQWCXMQNQWSGKP Mk 8,34). Insgesamt lassen „die Abweichungen von 10,43 f in 2 3 4

5

6 7

Scherer, Diakonos-Sprüche, 71. Strecker, Theologie, 351. Gal 3,28 gibt die Tauferfahrung wieder, wenn es nicht gar „der Kern eines urchristlichen Taufbekenntnisses“ ist; so Scherer, Diakonos-Sprüche, 72 mit Verweis auf Schüssler Fiorenza, Memory, 208; 213; Strecker, Theologie, 352 f. Vgl. auch 1 Kor 12,13; Kol 3,11. Vgl. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 152; Gnilka, Markus 2, 57; 99 f. Zur Form verweist Hoffmann auf die „paradoxe Struktur der Aussage“, die „auch sonst für jesuanische Formulierungen kennzeichnend“ sei (ebd., 147; vgl. 143). Gegen Gnilka, Markus 2, 55, der beide Worte für vormarkinische Varianten hält. Vgl. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 145 mit Verweis auf Lohmeyer, Markus, 193; Grundmann, Markus, 196.

Kontextanalyse

251

9,35 also [...] eine auffallende Nähe zu kompositionellen Leitmotiven erkennen.“8 Die Zweigliedrigkeit des Nachsatzes von Mk 9,35 kann ein weiteres Indiz für die Ursprünglichkeit des Doppelspruchs sein.9 Gegenüber dem expliziten Bezug auf die Angesprochenen (2x GXPWBOKP; WBOYP Mk 10,43 f.) dürfte die allgemeinere Formulierung von Mk 9,35 vom Redaktor stammen. Das doppelte RCPVYP ist aus dem zweiten Glied des Doppelspruchs übernommen.10 Auch der Kontext zu Mk 9,35 wurde vermutlich vom Redaktor gebildet. Er dürfte den Rangstreit der Jünger in Mk 10,35-41, der mit der Bitte der Zebedäussöhne um einiges konkreter ausfällt, in dem Satz „wer größer sei“ (9,34) verallgemeinert und zusammengefasst haben.11 OGICL könnte aus dem ersten, nicht übernommenen Halbsatz des Doppelspruchs hierher gezogen worden sein.12 Die anschließende Zeichenhandlung ist der Szene der Kindersegnung Mk 10,13-16 nachgebildet (GXPCIMCNKUCOGPQL V.36 vgl. 10,16; VQKQWVYP V.37 vgl. 10,14; FGEQOCK V.37 vgl. 10,15).13

8 9

10

11 12 13

Hoffmann, ebd. So vorsichtig Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 139 f. Wischmeyer, Herrschen, 32 plädiert dagegen für die Ursprünglichkeit des Doppelspruchs (mit Verweis auf Bultmann, Geschichte, 154). Vgl. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 146; Gnilka, Markus 2, 56. Anders Bultmann, Geschichte, 154; Beutler, Weg, 69. Möglicherweise wurde das RCPVYP in Mk 10,44 bereits sekundär mit Blick auf V.45 eingetragen; so Hoffmann, ebd. Vgl. Gnilka, Markus 2, 55; Beutler, Weg, 47 mit Verweis auf Fleddermann, von Wahlde. Vgl. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 144. So auch Beutler, Weg, 48; Gnilka, Markus 2, 55; 80. Nach Stegemann handelt es sich dagegen bei Mk 9,36 f. „aus sprachlichen Gründen [...] im Wesentlichen nicht um eine markinische Bildung“ (Kinder, 129 mit Verweis auf Pesch), sondern um eine ursprünglich zusammen mit dem ältesten Kern von Mk 10,13-16 überlieferte, vormarkinische Tradition.

Kontextanalyse

252 Mk 9,36 f. MCKNCDYPRCKFKQP GUVJUGPCWXVQGXP OGUY^CWXVYP vgl. Mk 3,3 MCKGXPCIMCNKUCOGPQL CWXVQ GKRGPCWXVQKL Q?LC PG?PVYP VQKQWVYPRCKFKYP FGZJVCKGXRKVY^ QXPQOCVKOQWGXOG FGEJVCK MCKQ?LC PGXOG FGEJVCKQWXMGXOG FGEJVCKCXNNCVQP CXRQUVGKNCPVCOG vgl. Joh 13,20; QLk 10,16; Mt 10,40

Mk 10,14b-16 GKRGPCWXVQKL CHGVGVCRCKFKC Und er nahm ein GTEGUSCKRTQLOG Kind, OJMYNWGVGCWXVC stellte es in ihre Mitte, 

... sagte er zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht.

umarmte es



und sagte zu ihnen: Wer eines von diesen Kindern in meinem Namen aufnimmt, nimmt mich auf.

 VYPICTVQKQWVYP Solchen nämlich GXUVKPJBDCUKNGKCVQW gehört das Reich SGQW Gottes.

CXOJPNGIYWBOKP vgl. Joh 13,20 Q?LC POJFGZJVCKVJP Und wer mich DCUKNGKCPVQWSGQW aufnimmt, nimmt YBLRCKFKQPQWXOJ nicht mich auf, sondern den, der mich GKXUGNSJ^GKXLCWXVJP gesandt hat.

Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht so aufnimmt, wie (er) ein Kind (aufnimmt), wird nicht hineinkommen.

MCKGXPCIMCNKUCOGPQL Und er umarmte sie, CWXVC MCVGWNQIGKVKSGKLVCL legte ihnen die Hände EGKTCLGXR’CWXVC auf und segnete sie.

Aller Wahrscheinlichkeit nach ist also Mk 10,35-45 als ältere, in der Substanz vormarkinische Tradition und Mk 9,33-37 als redaktionell geschaffene Dublette anzusehen. Uns erscheint es angebracht, die ältere Tradition Mk 10,35-45 zuerst zu behandeln, zumal Mk 9,33-37 schwer aus dem weiteren Kontext zu isolieren ist. Das Stück bis V.50 stellt sich als einheitliche, sprachlich eng verknüpfte Komposition dar. Darüber hinaus schließen auch die Texte nach der geographischen Notiz in Mk 10,1 inhaltlich an, so dass „erst in 10,32 mit der dritten Leidensankündigung ein neuer Hauptabschnitt beginnt“.14 Den Schlusspunkt des Abschnitts bildet die Belehrung über die Aufgabe materieller und familiärer Sicherheit in der Nachfolge Jesu (Mk 10,17-31). Deren letzter Vers über die „Ersten“ und „Letzten“ führt zum Thema der Rangfolge zurück.

14

Beutler, Weg, 43.

8.

Die ausführliche Belehrung vom „Dienen“ (Mk 10,35-45)

8.1

Stellung im Kontext, Form und Überlieferungsgeschichte

Auf die dritte und ausführlichste Ankündigung von Leiden und Auferstehung folgt eine ebenso ausführliche Unterweisung über das „Dienen“. Innerhalb der Gesamtkomposition des Evangeliums verfolgt sie das Ziel, die bereits angesprochenen Themen im Blick auf die bevorstehende Ankunft in Jerusalem zu vertiefen und einzuschärfen. Die Perikope zerfällt in zwei Teile: das Gespräch Jesu mit den Zebedäussöhnen in VV.35-40 und die eigentliche Belehrung an den Zwölferkreis in VV.41-45. Formal sind beide „Spielarten des Apophthegma“.1 Beide Teile sind inhaltlich eng aufeinander bezogen, was sich sprachlich in Wortwiederholungen und parallelen Formulierungen ausdrückt. Zugleich ist die Perikope wie bereits die Belehrung über die Lebenshingabe durch semantische Oppositionen gekennzeichnet.2 Dem Verhalten der Zwölf und insbesondere der Zebedäussöhne wird die dem Reich Gottes angemessene Haltung und das Vorbild Jesu gegenübergestellt. So sind die Bitte der Zebedaïden um die ersten Plätze (FQL V.37), die alleinige Kompetenz Gottes, diese zu vergeben (FQWPCK V.40), und das Beispiel der Lebenshingabe Jesu (FQWPCK V.45) mit demselben Verb formuliert. Das Verb SGNGKP „wollen“, das auch in der Belehrung über die Lebenshingabe (8,34 f.) und in der ersten Belehrung vom Dienen (9,35) begegnet, erscheint hier gleich viermal (VV.35 f.43 f.). „Ihr wisst nicht“ (V.38) wird in dem „ihr wisst“ von V.42 wieder aufgenommen. Dem Sonderwunsch der beiden Brüder (V.35) steht Jesu Unterweisung an den ganzen Zwölferkreis (VV.41 f.) und seine Lebenshingabe für „viele“ (V.45) gegenüber. Den Ehrenplätzen in der „Herrlichkeit“ Jesu (VV.37.40) entsprechen der „Kelch“ und die „Taufe“ (VV.38 f.), die Jesus und in seiner Nachfolge auch die beiden Brüder auf sich nehmen müssen. Während die Herrscher und „Großen“ (OGICNQK) unter den Heiden ihre Untergebenen knechten und unterdrücken (V.42), soll es unter den Zwölf „nicht so“ sein (V.43); vielmehr ist groß (OGICL), wer sich wie der Diener (FKCMQPQL V.43) und „Erster“, wer sich wie der „Sklave“ (FQWNQL V.44) verhält. Ebenso ließ auch Jesus sich „nicht bedienen“, sondern „diente“ (2x FKCMQPGY V.45).

1 2

Beutler, Weg, 66. Wischmeyer, Herrschen, 29 bezeichnet Mk 10,35-45 als „erweitertes Apophthegma“. Vgl. auch zum Folgenden Beutler, Weg, 67 f.; zur Belehrung vom Kreuztragen S.184.

Kontextanalyse

254

Die sprachlichen Parallelen könnten ein Indiz dafür sein, dass der Redaktor die beiden Teile schon verbunden vorgefunden hat.3 Andererseits ist die Überleitung zum zweiten Teil offensichtlich redaktionelle Bildung. Neben markinischen Sprachmerkmalen4 dürfte der Bezug auf die Gruppe der „Zwölf“, von denen hier folgerichtig zu den beiden Brüdern noch die anderen „zehn“ dazugerufen werden, auf den Evangelisten zurückgehen. Die unterschiedliche Herkunft der beiden Teile wird daran erkennbar, dass die Sätze im ersten Teil mit FG, im zweiten dagegen mit MCK verbunden werden.5 Die Konjunktion MCK ist ein markinisches Stilmerkmal. Ihre Verwendung im zweiten Teil lässt vermuten, dass der Redaktor die Szene der Jüngerbelehrung selbst redigierte, wobei er in VV.43bc.44 einen traditionellen Doppelspruch vom „Dienen“ und in V.45 ein Logion von der „Lebenshingabe für viele“ verarbeitet hat. Das Vokabular spricht dafür, dass er auch den Vergleich mit den Mächtigen der „Völker“ V.42bc bereits vorgefunden hat.6 Im folgenden werden wir VV.35-40 und VV.41-44 jeweils einzeln behandeln, wobei wir versuchen, die Einheit der beiden Teile nicht aus dem Auge verlieren. Dem selben Zweck sollten auch diese Vorbemerkungen dienen. Aufgrund der komplexen Überlieferungsgeschichte und der Schwierigkeit der Deutung werden wir dem V.45 ebenfalls einen eigenen Abschnitt widmen.

8.2

Auslegung

8.2.1

Die Frage der Zebedäussöhne (Mk 10,35-40)

Der Aufbau des ersten Teilabschnitts folgt dem Schema des Apophthegmas aus Bitte der Zebedäussöhne (V.35) und Gegenfrage Jesu (V.36), erneuter Bitte (V.37) und erneuter Gegenfrage (V.38) sowie abschließender Antwort der beiden Jünger (V.39a) und Jesu (VV.39b-40).7 Die Szene beginnt im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Vorstoß der Zebedäussöhne, die sich von der 3 4 5 6

7

So Gnilka, Markus 2, 98. Zu JTZCPVQ + inf. (V.41) vgl. S.178, A.10.RTQUMCNGUCOGPQL (V.42a) begegnet als Einleitungsformel bereits in Mk 3,23; 7,14; 8,34. Vgl. Gnilka, Markus 2, 100. CTEGKP steht hier das einzige Mal im Evangelium im Aktiv in der Bedeutung „herrschen“, während es ansonsten medial gebraucht in der Bedeutung „beginnen zu“ ein typisch markinisches Stilmerkmal darstellt (so V.41). MCVCMWTKGWGKP erscheint innerhalb der Evangelien nur in der Matthäus-Parallele zu unserer Stelle.MCVGZQWUKC\GKP kommt im gesamten Neuen Testament nicht mehr vor. Auch die Simplices MWTKGWGKP und GXZQWUKC\GKP begegnen bei Markus nicht. Vgl. Beutler, Weg, 66. Gnilka, Markus 2, 100 gliedert gröber in „Bitte“ (VV.35-37) und „Antwort“ (VV.38-40); ebenso Scherer, Diakonos-Sprüche, 43 („Forderung“ und „Gegenforderung“).

Kontextanalyse

255

Gruppe der „Zehn“ (vgl. V.41) absetzen und sich dem vorausgehenden Jesus nähern (RTQRQTGWQOCK V.35 vgl. RTQCIY V.32). Der Redaktor setzt damit den Sonderwunsch der beiden Brüder szenisch um.8 Johannes und Jakobus nehmen im Markusevangelium neben Petrus eine bevorzugte Stellung innerhalb des Zwölferkreises ein, der seinerseits bereits aus der größeren Gruppe der Jünger herausgehoben ist. Um so mehr Brisanz bekommt die Tatsache, dass ausgerechnet diese Drei im Markusevangelium immer wieder ihr Unverständnis gegenüber Jesus und seiner Sache unter Beweis stellen (vgl. 8,32; 9,5 f.38; 14,3242.66-72). Die Formulierung „Wir möchten, dass Du uns das tust, worum wir dich bitten werden“ erinnert an das Versprechen des Herodes gegenüber der Tochter der Herodias (6,22). Dieses Taktieren erhöht die Spannung und lässt zugleich vermuten, dass die Bitte nicht einfach zu erfüllen ist.9 Jesus geht jedoch nicht auf das Spiel ein. Er stellt keinen „Blankoscheck“ aus, sondern fragt zurück, was er „ihnen tun solle“ (V.36). Dieselbe Frage wird er kurz darauf dem blinden Bartimäus stellen (10,51), „doch fällt die Antwort verschieden aus.“10 Die Antwort des Brüderpaars (V.37) zeigt ihr mangelndes Verständnis für die Sache Jesu. Sie „haben begriffen, dass Jesus das Reich Gottes bringt, doch geht es ihnen nur um die ersten Plätze darin.“11 Noch dazu bringen sie ihr Anliegen ausgerechnet im Anschluss an die dritte Leidensankündigung vor. Die „Herrlichkeit“ (FQZC), ein Gottesattribut,12 umschreibt hier die kommende Gottesherrschaft. Das Sitzen zur Rechten und zur Linken kann entsprechend als Gestus königlicher Hofhaltung (vgl. Ps 110,1) oder als Anspielung auf das Endgericht verstanden werden, bei dem die Zwölf nach einem Spruch der Logienquelle „auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten werden“ (QLk 22,30; vgl. Dan 7). Möglicherweise ist auch an die prophetische Tradition gedacht, die die Endzeit im Bild eines Gastmahls beschreibt (Jes 25,6). Im Kontext des Markusevangeliums ergibt sich so eine Parallele zu der Kritik an der Haltung der Schriftgelehrten in 12,39: „Sie wollen in der Synagoge die vordersten Sitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben.“ Die beiden Brüder aus dem engsten Jüngerkreis sind in ihrem Ehrgeiz also keinen Deut besser als die Gegner Jesu. Jesu Antwort bringt zunächst sein Erstaunen über die Bitte zum Ausdruck. QWXMQKFCVG „ihr wisst nicht“ oder „ihr versteht nicht“ (V.38) steht auch an anderen Stellen im Evangelium für das Unverständnis der Jünger (vgl. 4,13; 9,6; 14,40). Sodann verweist er auf den „Kelch“, den er trinken, und die „Taufe“, mit 8 9 10 11 12

Vgl. Scherer, Diakonos-Sprüche, 45. Vgl. auch Gnilka, Markus 2, 101. Beutler, Weg, 68; vgl. 67. Beutler, Weg, 68. Vgl. S.194.

256

Kontextanalyse

der er getauft werden müsse. Der Kelch erinnert an den „Zornesbecher“, eine prophetische Gerichtsmetapher (Jes 51,17; Jer 25,15; 49,12; 51,7; Klgl 4,21; Ez 23,31 f.; Hab 2,16), die auch in frühjüdischen Schriften (Ps Sal 8,14; Apk Bar (syr) 13,8; Lib Ant 50,6; 1QpHab XI,14 f.; 4QpNah IV,6) und in der Apokalypse des Johannes (14,10; 16,19; 18,6) Verwendung findet. Daneben begegnet in frühjüdischen Schriften die Metapher vom „Kelch des Todes“.13 Mk 14,36 steht der Kelch als Bild für den Kreuzestod Jesu. Das Bild der Taufe geht vermutlich auf alttestamentliche Aussagen zurück, „die Leiden, Verfolgung und Ungemach mit einer Wasserflut vergleichen“ (vgl. 2 Sam 22,5; Ps 42,8; 69,2 f.; Jes 43,2).14 Auch im Griechischen wird DCRVY und DCRVKUOC oft im Zusammenhang mit Untergang und Tod gebraucht.15 Parallel zum „Kelch“ steht die „Taufe“ hier für Tod und Leiden. Lk 12,50 spricht Jesus von seinem Leiden und Tod im Bild einer „Taufe“, mit der er „getauft werden müsse“. Ähnlich wie in Mk 9,19 haben wir hier wieder eine implizite Leidensankündigung vor uns. Dem Wunsch nach den ersten Plätzen in der „Herrlichkeit“ wird also der Leidensweg gegenübergestellt, den Jesus und in seiner Nachfolge auch die beiden Brüder werden gehen müssen. Voraussetzung für die Teilhabe an der FQZC – und erst recht für die ersten Plätze darin – ist die Bereitschaft, sich auf diesen Weg einzulassen. Auf die Frage Jesu bekunden die beiden Brüder ihre Entschlossenheit, in der Nachfolge Jesu auch einen gewaltsamen Tod auf sich zu nehmen: „Wir können“ (V.39). Obwohl diese Martyriumsfreudigkeit im Erzählzusammenhang überraschend kommt und auf dieser Ebene davon ausgegangen werden muss, dass die beiden wie später Petrus (14,29.31.68.70.71) die tatsächliche Gefahr für ihr Leben (noch) nicht realistisch einzuschätzen wissen, bestätigt Jesus die Antwort: „Den Kelch, den ich trinke, werdet ihr trinken, und mit der Taufe, mit der ich getauft werde, werdet ihr getauft werden.“ Aus diesen Worten spricht die Kenntnis der Gemeinde vom Märtyrertod der Zebedaïden. Die Erinnerung an den Tod des Jakobus „durch das Schwert“ unter Herodes Agrippa I. ist in Apg 12,2 bewahrt. Entgegen der seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts bezeugten Überlieferung, Johannes sei in hohem Alter in Ephesus

13

14

15

Mart Jes 5,13 meint der Kelch den gewaltsamen Tod des Jesaja. Im Martyrium des Polykarp (14,2) bezeichnet der „Kelch des Christus“ ebenfalls den Märtyrertod. Vgl. auch zu den obigen Stellenangaben Brandt, Dienst, 73 mit Verweis auf StrackBillerbeck I, 836; Theißen, Verfolgung, 271 f. mit Verweis auf LeDéaut, Calice; Speier, Todeskelch sowie Gnilka, Markus 2, 101 f.; Eckey, Markusevangelium, 273; Oberweis, Martyrium, 75. Vgl. Gnilka, Markus 2,102 (Zitat ebd.), der über die genannten alttestamentlichen Stellen hinaus auf 1 QH 3,13-18 verweist, sowie Brandt, Dienst, 73. Aquila übersetzt Ps 69,3b „ich geriet in tiefes Wasser“ mit GXDCRVKUVJP; vgl. Theißen, Verfolgung, 272. Vgl. Oepke, DCRVY, 527 f. Theißen, ebd. verweist dafür auf Jos Bell IV, 137.

Kontextanalyse

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eines natürlichen Todes gestorben, ist auch von seinem Märtyrertod auszugehen.16 Es scheint also zunächst, als ob die beiden Brüder die von Jesus gestellte Bedingung erfüllen. Die Bestätigung und Voraussage ihres Todes ist jedoch nur die Hälfte der abschließenden Antwort Jesu. Daran schließt sich mit nachgeschobenem FG der zweite Teil der Antwort, in dem er auf das „Sitzen zu meiner Rechten und zu meiner Linken“, d. h., auf die Bitte der Zebedaïden, zurückkommt: Es liege nicht bei ihm, diese Plätze zu vergeben, „sondern wem sie bereitet sind“ (V.40). Das ist zweifellos als Passivum divinum zu verstehen: Gott verteilt selbst die Plätze in seinem Reich und lässt sich dabei weder beeinflussen noch in die Karten gucken.17 Im Frage-Antwort-Spiel zwischen Jesus und den Zebedaïden ergibt sich so eine Inklusion: die Bitte der Jünger richtet sich auf die ersten Plätze (V.37). Jesus bringt mit „Kelch“ und „Taufe“ den Weg dorthin ins Spiel (VV.38 f.) und antwortet erst dann auf die Frage nach den Plätzen (V.40). Der eingeschobene Diskurs über „Kelch“ und „Taufe“ hat nicht nur einen retardierenden Effekt auf der Erzählebene, sondern bringt inhaltlich eine entscheidende Ergänzung zur Fragestellung der beiden, die trotz der soeben ergangenen dritten Leidensankündigung an der Realität des Kreuzes vorbei denken. Mit der abschließenden Antwort Jesu werden die Jünger aufgefordert, ihren Blick nicht vorschnell auf den verheißenen Lohn zu richten, sondern sich auf den Weg zu konzentrieren, der vor ihnen liegt. Im Erzählverlauf des Evangeliums ergibt sich eine weitere Ergänzung zu diesem Thema, denn „zur Rechten“ und „zur Linken“ Jesu werden später die beiden Mitgekreuzigten platziert (15,27).18

16

17 18

So auch Gnilka, Markus 2, 102; Oberweis, Martyrium, 75; 80 f.; Hengel, Johanneische Frage, 88-91 mit Verweis auf das syrische Martyrologium von 411 und ein bei Ph. Sidetes (5. Jh.) und G. Hamartolos (9. Jh.) zitiertes Papiasfragment, das vom Tod der beiden „durch Juden“ (WBRQ 8,QWFCKYP) spricht. Die in der Ostkirche verbreitete Überlieferung von der Entrückung bzw. Verschonung des Johannes bis zur Wiederkunft Christi „beruht [...] auf einem spekulativen Verständnis der beiden Schriftworte Offb 10,11 und Joh 21,22“ (Oberweis, ebd., 91), wobei der Autor des Johannes-Nachtrags einem solchen Verständnis bereits gegenzusteuern scheint (vgl. V.23). Vgl. Beutler, Weg, 68; Wilcox, Ransom-Saying, 175; Eckey, Markusevangelium, 273. Vgl. Gnilka, Markus 2, 105; van Iersel, Markus, 335; Eckey, Markusevangelium, 273.

Kontextanalyse

258

8.2.2

Die Unterweisung an die Zwölf (Mk 10,41-44)

Der zweite Teilabschnitt hat einen dreigliedrigen Aufbau aus Einleitung (VV.41.42a), Antithese zwischen Situationsbeschreibung bei den „Völkern“ (V.42b) und Umgang in der Gemeinde (VV.43 f.) und Beispiel des Menschensohnes (45).19 Man könnte hier das moderne Schema „Sehen – Urteilen – Handeln“ anlegen: Jesus sieht die Situation der „Völker“; er urteilt im Blick auf das Reich Gottes und gibt selbst das Beispiel, das zum alternativen Handeln aufruft. Mit den VV.41-42a leitet der Redaktor von dem Dreiergespräch zwischen Jesus und den Zebedäussöhnen zur Unterweisung an die Zwölf über.20 Die übrigen „Zehn“ sind aufgebracht (CXICPCMVGY) über die Initiative der beiden Brüder.21 Dasselbe Verb hatte kurz zuvor den Unwilllen Jesu angesichts der abweisenden Haltung der Jünger gegenüber den Kindern ausgedrückt (10,14). Die anderen Jünger haben also durchaus richtig erkannt, dass das Verhalten der beiden Zebedaïden nicht mit der Botschaft Jesu und dem Anspruch an seine Jünger in Einklang zu bringen ist. Indem Jesus die Zehn zu sich heranruft (RTQUMCNGY), hebt er die räumliche Distanz auf, die die beiden Brüder durch ihren Vorstoß aufgebaut hatten.22 Der folgende „kontrastierende Vergleich mit den weltlichen Machthabern“ (V.42bc) hat die Form eines synonymen Parallelismus. In diesem Stilmittel aus der altorientalischen Poesie wird eine Aussage mit parallel gestellten Wörtern ähnlicher Bedeutung gedoppelt und verstärkt.23 Dass die Regierenden zu herrschen „meinen“ oder „scheinen“ (FQMQWPVGL), verleiht der Beobachtung einen kritisch-ironischen Unterton. Die Formulierung bildet eine Entsprechung zu dem Groß- bzw. Erster-Sein-„Wollen“ in VV.43 f. Zugleich deutet sie bereits den Unterschied zur wahren Größe im Reich Gottes an, auf die dort Bezug genommen wird. Der Ausdruck GSPQK spielt auf die Erfahrung mit der römischen Besatzungsmacht an, die in V.33 bereits so bezeichnet worden war.24 Zur Beschreibung von deren Machtausübung finden mit MWTKGWGKP und GXZQWUKC\GKP zwei Vokabeln aus dem Alltagsgriechisch Verwendung. GXZQWUKC bezeichnet dort 19 20 21 22 23 24

Vgl. Wischmeyer, Herrschen, 29. Zur markinischen Herkunft der Überleitung vgl. o., S.254. So die Übersetzung bei Preuschen. Wörtlich bedeutet CXICPCMVGY „etwas nicht ertragen können“ (vgl. Rienecker). Vgl. Scherer, Diakonos-Sprüche, 48. Vgl. beispielsweise Jes 9,1 sowie Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 146 (Zitat: ebd.). Vgl. S.59 sowie Wilcox, Ransom-Saying, 176 f. Der Bezug auf die wenige Verse zuvor erwähnten Römer liegt näher als eine Anspielung auf Herodes Agrippa I., unter dem der Zebedaïde Jakobus zu Tode kam (gegen Theißen, Verfolgung, 270). Agrippa war zwar edomitischer Abstammung, konnte jedoch, wie Theißen selbst feststellt, „ohne Einschränkung als Jude betrachtet werden“, da zwischen ihm und seinem edomitischen Urgroßvater bereits drei Generationen lagen (ebd., A.14).

Kontextanalyse

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häufig die im Auftrag des Staates ausgeübte Macht.25 Die Vorsilbe MCVCverleiht beiden Verben eine pejorative Bedeutung. Es geht um „gewalttätiges Herrschen, den Missbrauch der Amtsgewalt“.26 Die vermeintlichen Herrscher und Großen „‚unterdrücken’ und ‚vergewaltigen’ ihre Untertanen.“27 Eine Auswirkung dieser Machtausübung ist die V.33 angekündigte Kreuzigung Jesu auf Befehl des römischen Statthalters. „Zu diesem Missbrauch politischer Macht werden die Erzähler von Mk 10,35ff. auch die Hinrichtung von Jüngern gezählt haben“,28 wie sie kurz zuvor Johannes und Jakobus angekündigt worden war. MCVCMWTKGWGKP erscheint 1 Petr 5,3 in einem Aufruf an die Ältesten, sich nicht als „Beherrscher“ ihrer Gemeinden zu gebärden. Das Wort beinhaltet möglicherweise auch eine Anspielung auf den Kaiserkult. Caligula (37-41) beanspruchte den Titel Kyrios und wollte gar sein Bild im Jerusalemer Tempel aufstellen lassen.29 In den LXX tritt das griechische Wort „Kyrios“ wie das hebräische „Adonai“ an die Stelle des unaussprechlichen Gottesnamens. Hinter der Wortwahl verbirgt sich damit auch die Aussage, dass Gott allein „Herr“ ist und alle menschliche Macht von ihm ausgeht. Der V.43a leitet zu dem traditionellen Doppelspruch vom „Dienen“ über. Mit QW=VYL „so“ wird noch einmal der „gesellschaftliche ‚Normalzustand’ bei den GSPQK“30 zusammengefasst, bevor die Beziehungsverhältnisse in der Gemeinde mit dreifachem GXPWBOKP betont davon abgesetzt werden. Das emphatisch an den Anfang gestellte QWXM lenkt die Aufmerksamkeit auf den mit CXNNC „sondern, vielmehr“ anschließenden Doppelspruch. Der Indikativ „nicht so ist es bei euch“ bezieht sich auf die tatsächlich gegebene Ebenbürtigkeit der Gemeindemitglieder als Kinder Gottes und Diener und Dienerinnen seines Reiches. Diese Ebenbürtigkeit bringt der Doppelspruch VV.43bc.44 pointiert zum Ausdruck. Wie die Situationsbeschreibung bei den „Völkern“ ist er als synonymer Parallelismus formuliert. Die beiden Spruchhälften beginnen jeweils mit einem konditionalen Relativsatz mit SGNGKP und Infinitiv: „Wer ... will“, auf den im Hauptsatz ein Futur mit imperativischer Bedeutung folgt.31 Das heißt: Wenn jemand den im Konditionalsatz genannten Anspruch stellt, in der Gemeinde „Erster“ oder 25 26 27 28 29

30 31

Vgl. Scholtissek, Vollmacht, 50-54. Brandt, Dienst, 74; vgl. Preuschen: MCVCMWTKGWGKP = „überwältigen“, „niederzwingen“; MCVGZQWUKC\GKP = „Amtsgewalt missbrauchen“. So die Übersetzung bei Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 140. Theißen, Verfolgung, 270. Vgl. Phil leg Gai 197-337; Jos bell 2,184-203; ant 18,256-309 sowie Theißen, Lokalkolorit, 149-161; Klauck, Umwelt II, 55 f. Gnilka weist darauf hin, dass „die Adressaten des Markus [...] die Despotie des Nero erlebt“ haben (Markus 2, 103). Zur Anspielung auf den Kaiserkult vgl. bereits Brandt, Dienst, 67. Scherer, Diakonos-Sprüche, 17. Der imperativische Gebrauch des Futurs ist sowohl im Hebräischen als auch im klassischen Griechisch geläufig; vgl. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 147, A.15 mit Verweis auf BDR § 362; Kühner – Gerth, Grammatik, 2/I, 173 Nr. 5; 176 Nr. 6.

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Kontextanalyse

„groß“ zu sein, so ist er aufgerufen, die im Hauptsatz genannte Bedingung zu erfüllen. Die erste Spruchhälfte ist möglicherweise parallel in Q überliefert worden; zumindest findet sich in Mt 23,11 eine Dublette zu V.43, die auch gewisse Übereinstimmungen mit Lk 22,26 aufweist.32 „Groß sein wollen“ greift ein Element aus V.42c auf. OGICL bezeichnet eine „politische, soziale und wirtschaftliche Machtstellung“.33 Das Prädikat IGPGUSCK „(groß) werden“ verweist auf den Kampf um Ehre und Macht. RTYVQL(V.44) bezieht sich auf den höchsten Status innerhalb einer gesellschaftlichen Bezugsgruppe.34 Im Kontext des Markusevangeliums erinnert das Wort wiederum an die Kritik an den Schriftgelehrten, die die „ersten Plätze“ in der Synagoge (RTYVQMCSGFTKCK) und beim Gastmahl (RTYVQMNKUKCK) „wollen“ (12,39).35 “Princeps”, die lateinische Übersetzung zu RTYVQL, ist ein Titel des römischen Kaisers, des „Ersten“ im Imperium Romanum. Das Prädikatsnomen könnte damit ein Rückbezug auf die V.42b angesprochenen „Herrscher“ sein. Die Handlungsempfehlungen im zweiten Halbsatz bezeichnen jeweils das genaue Gegenteil der im ersten Halbsatz genannten sozialen Position. „Sollte jemand das Epithet RTYVQL oder OGICNQL anstreben, so verhalte er sich konträr, nämlich wie ein FKCMQPQL oder ein FQWNQL.“36 Das Paradox wird noch deutlicher, wenn wir die beobachteten Querverweise zu V.42 in unsere Überlegungen einbeziehen. Dem, der „Erster“ oder „Herr“ (MWTKQL) sein will, wird dann der klassische Oppositionsbegriff „Sklave“ (FQWNQL) zugeordnet. Ebenso steht dem, der „groß werden“ und „Macht ausüben“ will, die Aufforderung gegenüber, „Diener“ (FKCMQPQL) zu sein. In einer Gesellschaft wie der griechischen oder römischen, in der sich sozialer Status an der Dominanz und Machtausübung gegenüber niedriger Gestellten misst, „ist das Dienen etwas Minderwertiges. Herrschen und nicht Dienen ist eines Mannes würdig“.37 Diese Sichtweise setzte sich auch in der palästinischen Gesellschaft durch.38 FKCMQPGY bezeichnet insbesondere den Tischdienst sowie 32 33

34

35 36 37 38

Vgl. Schürmann, Abschiedsrede, 75-79; Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 143; Wischmeyer, Herrschen, 31. Wischmeyer, Herrschen, 29 f.; ähnlich Hoffmann: „Macht, Gewalt, Einfluss und Bedeutung [...] , die Personen eigen ist“ (Herrschaftsverzicht, 147 mit Verweis auf Grundmann, OGICL, 435). Vgl. Wischmeyer, Herrschen, 30; Michaelis, RTYVQL, 866 sowie Alföldy, Gesellschaft, 360-365, der Inschriften und literarische Zeugnisse aus der Gesellschaft des Römischen Kaiserreichs auswertet. Vgl. die Ausführungen zu V.37 o. S.255. Scherer, Diakonos-Sprüche, 16; vgl. 15. Beyer, FKCMQPGY, 81 mit Verweis auf Plat Gorg 492b; vgl. Schottroff, DienerInnen, 226233; dies., Schwestern, 299-304. Vgl. Beyer, FKCMQPGY, 83.

Kontextanalyse

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die Haus- und Versorgungsarbeit insgesamt,39 die innerhalb der Hausgemeinschaft von den jeweils niedriger Gestellten, nämlich – in dieser Reihenfolge – Frauen, Kindern und Sklaven, gemacht wurde.40 „Dienen“ meint somit den „Einsatz [...] der eigenen Kräfte für einen anderen“, in der Regel höher Gestellten.41 Als Verlust der Selbstbestimmung kommt FKCMQPKC einem Statusverlust gleich. So kommentiert Sueton die Beeinflussbarkeit des Claudius durch seine Frauen und Freigelassenen abschätzig, er habe „nicht wie ein Princeps, sondern wie ein Diener gehandelt“ (“non principem, sed ministrum egit” Claud 29,1; vgl. 25,5).42 Im Neuen Testament steht die Wortgruppe FKCMQPGY, FKCMQPQL, FKCMQPKC ebenfalls häufig im Zusammenhang mit der Hausarbeit und insbesondere dem Tischdienst, den Frauen und Sklaven verrichten. Die Frauen im Gefolge Jesu „dienen“ ihm (FKCMQPGY Lk 8,3); Martha bedient Jesus bei Tisch (FKCMQPKC Lk 10,40; FKCMQPGY Joh 12,2). FKCMQPQK bedienen bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2,5.9). Der Sklave bedient den Herrn bei Tisch (FKCMQPGY Lk 17,8). Diese Situation selbstverständlicher Unterordnung kehrt der Kyrios bei seiner Wiederkunft um, indem er seinerseits die Sklaven bedient (FKCMQPGY Lk 12,37). Ähnlich definiert Jesus seine Rolle in der lukanischen Parallele zu Mk 10,45: „Ich bin unter euch wie der, der bedient“ (Lk 22,27). Apg 6 wird die Speisung der Witwen durch die Gemeinde als „Dienst“ bezeichnet (FKCMQPKC V.1, FKCMQPGKP V.2). Im Markusevangelium begegnet das Verb FKCMQPGY lediglich an vier Stellen: Mk 1,13.31; 10,45 (2x); 15,41. FKCMQPQL erscheint nur in Mk 9,35 und 10,43. Das Substantiv FKCMQPKC gebraucht Markus überhaupt nicht. Außer von Jesus (Mk 10,45) und von den Engeln, deren Dienst vermutlich auch so zu verstehen ist, dass sie Jesus „nach der Fastenzeit mit Speise versorgen“ (1,13),43 wird FKCMQPGY nur von Frauen ausgesagt. In der Geschichte von der Schwiegermutter des Petrus, die vom Krankenbett aufsteht und Jesus und seine Jünger „bedient“ (1,31), ist dies die Demonstration des Heilungswunders gemäß der literarischen Form. Gegenüber dem zuvor in der Synagoge geheilten Besessenen (1,21-28), von dem keine Reaktion berichtet wird, hebt sich die Schwiegermutter positiv heraus. FKCMQPGY meint hier einerseits den Tischdienst und die Aufwartung gegenüber den Gästen. Andererseits ist es das angemessene Verhalten gegenüber Jesus, dem Kyrios, was darauf schließen lässt, dass die Schwiegermutter die 39 40

41 42 43

So Beyer, FKCMQPGY, 81; Weiser, FKCMQPGY, 726. Vgl. Diod S V 28,4: PGYVCVYPRCKFKYP; Pseud-Luc Asin 53: RCKFGL; Plat Leg VII 805e: IWPCKMGL, FQWNQK; Jos Ant 18,74: „Eine Frau dient in der Nacht“ (Stellenangaben nach Beyer, FKCMQPGY, 83) sowie Schottroff, Frauen, 491; dies., DienerInnen, 226-233; dies., Schwestern, 299-304; Fander, Stellung, 145. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 150 f.; vgl. Demosth 9,43: FGURQVJ^; Hdt IV 154: Q=VKC P FGJSJ^„wem es gebührt“ (nach Beyer, FKCMQPGY, 81). Nach Scherer, Diakonos-Sprüche, 33 f. Beyer, FKCMQPGY, 84. Vgl. S.30, A.27 sowie Klauck, Vorspiel, 51.

262

Kontextanalyse

Bedeutung seiner Person erfasst hat.44 Am Ende des Evangeliums wirft Mk 15,41 einen Blick auf die Augenzeuginnen der Kreuzigung. FKCMQPGKP „dienen“ ist als Parallelbegriff zu CXMQNQWSGKP „nachfolgen“ mit MCK angeschlossen sowie im selben Tempus und mit demselben Dativobjekt gebraucht. Dienst und Nachfolge beschreiben das Verhältnis der Frauen zu Jesus, auf den der Dativ CWXVY^ verweist. In den Belehrungen des Mittelteils bezeichnet „Nachfolgen“ (8,34; 10,21.28.32.38.52) und „Dienen“ bzw. „Diener sein“ (9,35; 10,43) die rechte Haltung des Jüngers und der Jüngerin. Das „Hinaufziehen nach Jerusalem“ hat eine Parallele in der Einleitung zur dritten Leidensankündigung (Mk 10,32).45 Es ist davon auszugehen, dass der Redaktor die Stellen zum Dienen der Frauen und die Jüngerbelehrungen vom Dienen bewusst miteinander in Beziehung setzt, zumal er die Wortgruppe so selten verwendet. Die den „Dienst“ der Frauen betreffenden Stücke stehen innerhalb des Evangeliums an prominenter Stelle, nämlich am Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu und an dessen Ende im Tod. Unter den Zeuginnen der Kreuzigung sind einige mit Namen genannt. Eine ähnliche Liste begegnet in der Auferstehungserzählung (Mk 16,1). Als Zeuginnen der Auferstehung haben diese Frauen in der Gemeinde eine besondere Autorität.46 Indem sie sich nicht in den Mittelpunkt drängen, sondern selbstverständlich unspektakuläre Aufgaben wie die Verköstigung und Versorgung der Jüngergemeinschaft übernehmen, entsprechen sie dem Beispiel Jesu, der „nicht kam, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (Mk 10,45). Sie erfüllen das Kriterium wahrer Jüngerschaft.47 Neben dem Begriff des „Dieners“ (FKCMQPQL Mk 10,43) ist der des „Sklaven“ (FQWNQL Mk 10,44) „eine zusätzliche Provokation.“48 Der Sklave steht auf der untersten Stufe der Gesellschaft und ist damit der passende Gegenbegriff zum „Ersten“. Ein Sklave befindet sich in einer Stellung totaler Abhängigkeit von seinem Herrn. Er hat „nur das zu tun [...] was ein anderer getan haben will, und das zu unterlassen, was ein anderer unterlassen sehen will“.49 Das schließt das Verfügungsrecht des Herrn über den Körper des Sklaven bis hin zur uneinge44 45 46

47

48 49

Zu Mk 1,29-31 vgl. auch Fander, Stellung, 21-33; Melzer-Keller, Jesus, 14-20. Vgl. Fander, Stellung, 135; 143 f. Scherer, Diakonos-Sprüche, 65 verweist auf 1 Kor 15,5-7; Joh 20,4 zur „Reihenfolge der Auferstehungserfahrung“ als „Kriterium der Autorität“ im Urchristentum. Die Berichte vom Ostermorgen, wo die Frauen zwar als Erstzeuginnen, aufgrund ihrer Furcht (vgl. Mk 16,8) aber nicht als Erstverkünderinnen erscheinen, spiegeln nach Beutler „vielleicht [...] auch die Hilflosigkeit der frühen Kirche vor den Frauen als Erstzeugen der Auferstehung“ (Weg, 54). Vgl. Fander, 146; 368. „Wenn Mk ihnen den ‚Jünger’titel vorenthält, dann hat dies vielleicht mit der Tatsache zu tun, dass die ‚Jünger’ bei ihm als eine Gruppe dargestellt werden, die während der Erdentage Jesu große Schwierigkeiten haben, zu erfassen, wer Jesus ist“ (Beutler, Weg, 54). Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 149. Rengstorf, FQWNQL, 265.

Kontextanalyse

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schränkten sexuellen Verfügbarkeit ein.50 Artemidor schreibt in seinem Traumbuch: „Gut ist es [...], seiner eigenen Sklavin oder seinem eigenen Sklaven beizuwohnen; denn die Sklaven machen das Vermögen des Träumenden aus. Deshalb bedeuten sie ihm ganz natürlich Befriedigung in seinem Vermögen, das größer und ansehnlicher wird“ (1,78).51 „SklavInnen hatten nicht nur ihrem Besitzer sexuell zu Diensten zu sein, sondern auf seinen Wunsch hin auch anderen, so etwa den Gästen, die der Herr eingeladen hatte.“52 Körperliche Züchtigung gehörte zur „normalen“ Behandlung eines Sklaven. Die Hinrichtungsart der Kreuzigung wurde insbesondere bei Sklaven angewendet.53 So erleidet auch Jesus wie ein Sklave Folter und Kreuzestod. Ein römischer Bürger konnte kein Sklave sein. Ebenso galt den Juden der hebräische Sklave wie ein Lohnarbeiter, während der kanaanäische Sklave „auf der gleichen Stufe wie die Immobilien“ stand.54 Nach anderen Belegen ist er dem „Vieh“, „in seinen kultisch-religiösen Verpflichtungen [...] den Frauen gleich gestellt“.55 Wer in der Jüngergemeinde eine herausgehobene Position anstrebt, soll sich also auf die unterste soziale Stufe begeben und sich wie ein Diener und ein Sklave verhalten. Das bedeutet „eine neue Gestaltung aller Beziehungen zwischen den Menschen“,56 die „die allgemeinmenschliche Einstellung zu Vorrang, Macht und Prestige in Frage [...] stellt: Das Oberste wird zuunterst gekehrt; der Weg nach ‚oben’ ist zum Weg nach ‚unten’ geworden.“57 Die Jünger Jesu sollen sich „nicht von Ehrgeiz, sondern von Dienstbereitschaft leiten lassen.“58 Das betrifft nicht allein die Leiter der Gemeinde – wenn auch diese vielleicht in besonderer Weise. Der Aufruf Jesu ist nicht nur eine „Neuauslegung des Herrschens als des Dienens.“59 Schon gar nicht ist das Dienen „im Sinn eines berechnenden Verhaltens“, sozusagen als „Mittel zum Zweck der eigenen Erhöhung“, (miss-) zu verstehen.60 Gemeint ist vielmehr eine grundsätzliche Neuordnung 50 51 52 53 54

55 56 57 58

59 60

Vgl. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 149; Scherer, Diakonos-Sprüche, 23. Nach Torjesen, Frauen, 181 f. Artemidor aus Ephesus „war ein berühmter Traumdeuter und Wahrsager in der 2. Hälfte des 2. Jh. n. Chr.“; vgl. Sontheimer, Artemidoros, 617 f. Vgl. Torjesen, Frauen, 185-187; Zitat: 187. Zur Kreuzigung als “servile supplicium” vgl. Hengel, Mors, 156-164. Vgl. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 149 mit Verweis auf Strack-Billerbeck IV, 709 ff. (zur Rechtsstellung des hebräischen Sklaven); 716 ff. (zur Rechtsstellung des kanaanäischen Sklaven). Zitat: Rengstorf, FQWNQL, 274. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 150 mit Verweis auf Strack-Billerbeck IV, 720 ff. Beyer, FKCMQPGY, 84. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 149; vgl. Beyer, FKCMQPGY, 83. Gnilka, Markus 2, 103. Wilcox schreibt treffend: “In the Jesus movement the would-be leader is to be the slave of the group, not the group the slaves of the leader” (RansomSaying, 177). So Wischmeyer, Herrschen, 31; vgl. ebd., 29 f.; 39; 43; 44. Zitate (in dieser Reihenfolge): Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 149; Brandt, Dienst, 75; vgl. 78.

Kontextanalyse

264

der Verhältnisse, wo kein Platz mehr ist für das Streben nach Vorteilen und sozialem Vorrang. „Diener“ und „Sklave sein“ meint die Aufmerksamkeit, die den anderen und ihren Bedürfnissen entgegengebracht wird und um derentwillen der eigene Wille und Vorteil zurückstehen. Der Dienende macht sich darin „gleichsam abhängig von dem Nächsten, sofern seine Not das Gesetz des Handelns gibt“.61 Das dreifache GXP WBOKP „unter euch“ (2x V.43, 1x V.44) und das WBOYP FKCMQPQL „euer Diener“ (V.43) beziehen die Verhaltensregel zunächst auf die Jüngergemeinde. Das bedeutet jedoch keine grundsätzliche Beschränkung des Anspruchs auf diese Gruppe, wenn sie auch zunächst den „Realisierungsrahmen“ der Regel darstellt.62 Vielmehr handelt es sich um den universalen Anspruch des Reiches Gottes, der in der Gemeinde bereits vorwegnehmend umgesetzt wird. „Der Spruch stellt [...] den Versuch dar, die erwartete endzeitliche Umkehrung der innerweltlichen Ordnungen und Verhältnisse in gegenwärtiges Verhalten zu übersetzen.“63 Die Gegenwart der Gottesherrschaft, die Jesus verkündigt und lebt, zeigt sich in der vorbehaltlosen Anerkennung gerade der Kleinen und Unbedeutenden. Aufgrund seiner Nähe zu Gott ist schließlich Jesus und jede/r, der oder die sich wie er von den anderen in Dienst nehmen lässt, zugleich wahrhaft „groß“. Im Anschluss an die Bitte der Zebedaïden stellt der Spruch klar, dass es bei Gott „nur die Größe gibt, die sich im Dienen zeigt.“64 Der Bezug der Regel auf die „Gesamtgesellschaft“ wird auch an der Forderung des Sklavendienstes für „alle“ deutlich. Der zweite Teil des Doppelspruchs beinhaltet damit in mehrfacher Hinsicht eine Steigerung gegenüber dem ersten: vom OGICL zum RTYVQL, vom FKCMQPQL zum FQWNQL und schließlich vom Diener der Gemeinde (WBBOYP) zum Sklaven „aller“ (RCPVYP).65 Zugleich leitet das Wort RCPVYP zu V.45 über, wo der „Menschensohn“ als Diener „Vieler“ erscheint.

8.2.3

Das Beispiel des Menschensohnes (Mk 10,45)

Der abschließende Spruch exemplifiziert und begründet die Forderung des „Dienens“ und „Sklave Seins“ mit dem Vorbild Jesu, der „nicht kam, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.“ Mit dem durch QWXM – CXNNC strukturierten zweigliedrigen Satzbau und dem zweifachen „Dienen“ schließt der Spruch an das Vorhergehende an. Die Lebenshingabe des Menschensohnes (FQWPCK VJP [WEJP CWXVQW) knüpft an VV.38.39 an, die indirekt auf den bevorstehenden Tod Jesu hinweisen. Darüber hinaus erinnert die Formulierung an die 3. Leidensankündigung, wo auch der 61 62 63 64 65

Brandt, Dienst, 83; vgl. ebd., 79; 81 sowie Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 152; Carter, Servant-Ethic, 94-104. Gegen Wischmeyer, Herrschen, 30 (Zitat); vgl. 28; 39; 43. Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 154 f. Brandt, Dienst, 70; vgl. ebd., 75; 85; Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 140. So B. Weiß nach Brandt, Dienst, 75.

Kontextanalyse

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Menschensohntitel zuletzt gebraucht wurde (V.33). Allerdings erscheint dort zweimal das Kompositum RCTCFKFYOK. Das sogenannte „Lösegeldwort“ (V.45c) durchbricht den durch QWXM – CXNNC gegliederten parallelen Aufbau der beiden Vershälften. Es ist bezüglich Vokabular und Inhalt einmalig innerhalb des Markusevangeliums. Diese Beobachtungen und die Ähnlichkeit mit 1 Tim 2,6 und Tit 2,1466 lassen vermuten, dass hier eine eigenständige Tradition angeschlossen wurde. Wie die Parallele Lk 22,27 war das Wort möglicherweise in der Abendmahlstradition beheimatet.67 Es hat auch Ähnlichkeit mit dem Becherwort der markinischen Abendmahlsüberlieferung (14,24), nach dem Jesu Blut „für viele“ (WBRGTRQNNYP) vergossen wird.68 Gegenüber den Parallelstellen hebt sich die markinische Fassung des Lösegeld-Wortes durch eine Reihe von Semitismen heraus. Dazu zählen neben der Form des Parallelismus membrorum die Formulierung „anstelle von vielen“ (CXPVKRQNNYP) sowie Begriff und Thematik des Lösegeldes (NWVTQP).69 Die erste Vershälfte dürfte der Redaktor in Anlehnung an VV.42-44 als Überleitung geschaffen haben.70 Das „Dienen“ scheint besonders in seinem Interesse zu liegen. Die Formel „Der Menschensohn ist gekommen“ ist

66 67

68

69 70

Vgl. S.126 f. So u. a. Weiser, FKCMQPGY, 728; Popkes, Christus, 171 f.; Schürmann, Abschiedsrede, 63-99; Beutler, Weg, 69. Lukas hat das Schlusswort der Jüngerbelehrung vermutlich im Rückgriff auf eine weitere Vorlage abgewandelt. Dafür spricht auch die Tatsache, dass er die Perikope zur Abendmahlstradition zieht, während er sich sonst bis zur Passionsgeschichte mit lediglich zwei Ausnahmen (Lk 6,17-19; 8,19-21) streng an die MarkusReihenfolge hält (vgl. Jeremias, Lösegeld, 225). Die Nähe der lukanischen Fassung zur johanneischen Geschichte von der Fußwaschung (vgl. insbesondere Joh 13,12-17 mit Lk 22,6 f.) lässt eine gemeinsame Überlieferungsgeschichte vermuten; so Jeremias, ebd.; Wischmeyer, Herrschen, 30; 34 mit Verweis auf Becker, Johannes, 510 f.; Wilcox, Ransom-Saying, 177. Vgl. S.126. Zwischen dem WBRGT von Mk 14,24 und dem CXPVK von Mk 10,45 besteht nach Kertelge kein „sachlicher Unterschied“ (Menschensohn, 231 mit Verweis auf Büchsel, CXPVK, 373; Schelkle, Passion, 132). Kertelge rechnet jedoch nicht mit einer literarischen Verwandtschaft beider Stellen; vielmehr sei zweimal unabhängig voneinander auf Jes 53 zurückgegriffen worden. Vgl. Jeremias, Lösegeld, 225-227. Dagegen hat Markus nach Beutler den V.45 bereits als ganzen „der Überlieferung entnommen“, wenn das Lösegeldwort auch „sekundär zugewachsen“ sei (Weg, 69; ähnlich Busemann, Jüngergemeinde, 155; Kertelge, Menschensohn, 227-229). Nach Roloff gehörten die VV.42-45 bereits als Einheit zu einer „im hellenistischen Judenchristentum entstandenen Sammlung von Jesusworten [...], die Markus benutzt hat“. Das Lösegeldwort sei schon vor der Aufnahme in diese Sammlung angefügt worden (1 Tim, 112; vgl. Anfänge, 51; 130 f.). Kuhn, Sammlungen, 155 hält die VV.42-45 von Beginn an für eine einheitliche Komposition, die mit V.45b einen „urchristlichen Bekenntnissatz“ aufgenommen habe.

266

Kontextanalyse

Gemeindesprache, ebenso die Gegenüberstellung mit QWXM-CXNNC.71 Wie andere JNSQP-Worte im Markusevangelium (vgl. 1,38; 2,17) dient der V.45 als Abschlusssentenz der Jüngerbelehrung. Während der vorhergehende Doppelspruch entgegengesetzte soziale Positionen gegenüberstellt, besteht die durch QWXM-CXNNC gekennzeichnete Opposition hier in einer Passiv- und einer Aktivform von FKCMQPGY. Als „Menschensohn“ und Kyrios käme es Jesus zu, sich „bedienen zu lassen“. Stattdessen macht er sich zum Diener der „Vielen“ bis zum Tod am Kreuz. Das Lösegeldwort erweitert diese Gegenüberstellung. Durch das epexegetische MCK wird die „Lebenshingabe“ des Menschensohnes gleichgesetzt mit seinem „Dienst“. Der „Dienst“ des Menschensohnes ist somit als „Geben des Lebens“ zu verstehen. Die übrigen JNSQP-Sprüche beschreiben jeweils das Wirken Jesu während seines Lebens. Ebenso dürfte sich die „Hingabe“ in Mk 10,45 auf das ganze Leben Jesu beziehen.72 Sie schließt freilich den Kreuzestod ein, und zwar insofern er „den Lebensdienst fortsetzt und aus ihm hervorgeht“73 und „die Selbsthingabe Jesu in seinem irdischen Lebensdienst“ in ihm „ihren letzten und dichtesten Ausdruck“ findet.74 Diese Interpretation wird auch durch den Gebrauch der Wendung in griechischen und frühjüdischen Quellen gestützt. Dort bezeichnet FQWPCK VJP [WEJP den umfassenden Einsatz für eine Sache oder Personengruppe, wobei der Tod nicht von vornherein beabsichtigt, jedoch ggf. in Kauf genommen wird.75 [WEJ umfasst wie das hebräische YSQ nicht nur das physische Leben, sondern die ganze Person, so dass der Ausdruck auch mit „sich hingeben“ übersetzt werden kann.76 Analog zu FKCMQPGKP meintFQWPCKVJP[WEJPCWXVQW folglich die umfassende Selbst- bzw. Lebenshingabe für die „Vielen“, die im Tod am Kreuz gipfelt. Damit deutet das Wort in seiner vorliegenden Form auch den Tod Jesu als ein „Dienen“, als „Dienst“ in seiner äußersten Konsequenz.77 Die Lösegeld-Metapher nennt das Ziel der Hingabe: „als Lösegeld für viele“. Betrachtet man sie als Anspielung auf Jes 53, wo der Tod des Gottesknechts als Sühne (aYD V.10) für „die Sünden vieler“ (V.12) gedeutet wird, liegt es nahe, diese Todesdeutung auch auf das Lösegeld-Wort zu übertragen.78 Für

71 72 73 74

75 76 77 78

Vgl. Kertelge, Menschensohn, 235 mit Verweis auf Bousset, Kyrios, 6. Vgl. Brandt, Dienst, 75 f.; Beyer, FKCMQPGY, 85; Kertelge, Menschensohn, 230. Gnilka, Markus 2, 104. Kertelge, Menschensohn, 237; vgl. 225; 239 sowie Brandt, Dienst, 76. Für die Lebenshingabe, die sich bis in den Tod am Kreuz hinein fortsetzt, prägte Heinz Schürmann den Begriff der „Proexistenz“; vgl. Jesus, 286-315; Gottes Reich, 205-210. Vgl. S.120. Vgl. S.188; Wilcox, Ransom-Saying, 177; Ornelas, Caminho, 321. Vgl. Brandt, Dienst, 78; Beyer, FKCMQPGY, 85; Weiser, FKCMQPGY, 728. Diese Deutung scheint unter den deutschsprachigen Autoren zu überwiegen; so Brandt, Dienst, 77; Jeremias, Lösegeld, 217; 227; Roloff, Anfänge, 59; Kertelge, Menschen-

Kontextanalyse

267

eine solche Anspielung spricht vor allem die Wendung FKFQPCKVJP [WEJP, die auch Jes 53,10 LXX erscheint (hebr. YSQa\I; vgl. V.12 RCTGFQSJJB[WEJCWXVQW; hebr. ZYSQ KU>K), sowie der Ausdruck „für viele“ CXPVK RQNNYP, ebenfalls ein Semitismus. Letzterer steht so jedoch nicht bei Jesaja. Jes 53,11 spricht davon, dass der Gottesknecht „die vielen gerecht macht“ (a\EUO \GE> T\GF T\GF\). Das hebräische a\EUO übersetzen die Septuaginta mit dem Dativ RQNNQKL. Nach V.12 „trug er die Sünden vieler“ (DIQa\EUDM[), in den LXX übersetzt mit dem Genitiv RQNNYP. Die bei Markus zentrale Vokabel NWVTQP fehlt in Jes 53 und übersetzt auch an keiner anderen Stelle in den Septuaginta den Sühneterminus aYD aus Jes 53,10. Darüber hinaus bezeichnet Jes 53 LXX den Gottes„knecht“ als FQWNQL, während Mk 10,45 vom FKCMQPGKP des Menschensohnes spricht.79 Freilich ist denkbar, „dass es sich im Wortlaut, besonders bei NWVTQP, nicht um direkte Übersetzung, sondern um Anspielungen an den alttestamentlichen Text handelt“,80 zumal wenn man die häufigen Bezüge des Markusevangeliums auf den Propheten Jesaja berücksichtigt (1,3 zit. Jes 40,3; 4,12 zit. Jes 6,9 f.; 7,6 f. zit. Jes 29,13; 9,48 zit. Jes 66,24; 11,17 zit. Jes 56,7; 12,1-12 vgl. Jes 5,1 f. u. ö.). Aber auch abgesehen von den rein sprachlichen Beobachtungen in Mk 10,45 scheint „das klassische Bild des Sühnopfers“ dem Markusevangelium „fremd zu sein.“ So verweist das Becherwort der Abendmahlsüberlieferung (Mk 14,24) im Gegensatz zur matthäisch-paulinischen Version nicht auf die Vergebung einer Sündenschuld, sondern auf die Konstitution des neuen Bundes.81 Ein sühnetheologischer Hintergrund von RCTCFKFYOK wie etwa in Röm 4,25 ist bei Markus (9,31; 10,33; 14,41) nicht zu belegen. Darüber hinaus fordert auch unsere Beobachtung, dass die Rede von der „Lebenshingabe“ des Menschensohnes nicht einseitig auf den Tod am Kreuz bezogen werden darf, eine umfassendere Interpretation.  NWVTQP „Lösegeld“ bezeichnet in der hellenistischen Alltagswelt den Preis, der für die Freilassung eines Sklaven, eines Kriegsgefangenen oder einer Geisel, für die Rückgabe eines verpfändeten Gegenstandes oder zur Lösung einer Bürg-

79

80 81

sohn, 225; 226; 231; 237; Gnilka, Markus 2, 104; Eckey, Markus, 276; Wischmeyer, Herrschen, 44. Die Vokabel FQWNQL erscheint bei Markus freilich im vorherigen Vers. Aufgrund des genannten Befundes sieht Wilcox „keine linguistische Verbindung“ von Mk 10,45 zu Jes 52,13-53,12. Darüber hinaus sei das Thema der Auslösung in der Hebräischen Bibel so weit verbreitet, dass es keinen Rückschluss auf eine spezielle Bezugsstelle zulasse (Ransom-Saying, 179; Übersetzung des Zitats von mir). Diese Position wird offenbar überwiegend im anglophonen Sprachraum vertreten; vgl. Barrett, Background, 7; Hooker, Jesus, 74-79; ders., Son of Man, 140-147. Aber auch Dautzenberg, Leben, 102 bestreitet den Einfluss von Jes 53 auf Mk 10,45. Kertelge, Menschensohn, 232; vgl. auch ebd., 238; Gnilka, Markus 2, 104. Scherer, Diakonos-Sprüche, 51 (einschl. Zitat); vgl. Seeley, Rulership, 247.

268

Kontextanalyse

schaft gezahlt wird.82 In den Septuaginta steht das Wort entsprechend im Zusammenhang des Rückkaufrechts (Lev 25,24.26), des Freikaufs von Sklaven (Lev 25,51.52) sowie der Auslösung der ins Exil verschleppten Israeliten „ohne Lösegeld“ (Jes 45,13).83 Das zugehörige Verb NWVTQY wird insbesondere im Zusammenhang mit dem Exodus und der Befreiung aus dem Exil gebraucht (vgl. Ex 6,6; 15,13; Dt 7,8; Jes 43,1; 52,3; 62,12; Jer 15,21; 38 (31),11; Mich 4,10; 6,4).84 Im religiösen Zusammenhang bezeichnet das Wort die Ersatzzahlung, die zur Auslösung von Weihegaben zu entrichten ist (vgl. Lev 27,31). So gelten nach Num 3,12 die Leviten als Ersatz für die dem Herrn zu weihenden männlichen Erstgeborenen; für die überzähligen erstgeborenen Israeliten wird eine Geldsumme entrichtet (Num 3,46.48.49.51; vgl. 18,15). Schließlich steht NWVTQP in der Bedeutung des „Sühnopfers“, meist eines Widders, mit dessen Blut die Sündenschuld eines Menschen gegenüber Gott bezahlt wird (Lev 19,20).85 Zur Zeit Jesu wurde die Tempelsteuer, die „zur Bezahlung der Gemeindeopfer verwendet wurde“, als NWVTQP bezeichnet (vgl. Phil Spec leg I 77, Quis rer div her 186; 218).86 Im Neuen Testament kommt das Wort nur in Mk 10,45 und der Parallelstelle Mt 20,28 vor. Im lukanischen Doppelwerk stehen die verwandten Vokabeln NWVTQY (24,21) und NWVTYUKL (1,68; 2,38) im Zusammenhang mit der Befreiung Jerusalems oder Israels aus der Fremdherrschaft der Römer, vermutlich in Anknüpfung an die alttestamentliche Tradition von der Befreiung aus der Sklaverei Ägyptens. In der Stephanusrede Apg 7,35 wird Jesus als NWVTYVJL „Befreier, (Aus-)Löser“ betitelt. Der Hebräerbrief spricht von Christus als vollkommenem Hohenpriester, der „mit seinem eigenen Blut eine ewige Auslösung (NWVTYUKL) bewirkt“ habe (9,12). Damit bewegt er sich in der Bildwelt des Sühnopfers. Derselbe Hintergrund ist vermutlich auch für Tit 2,14 vorauszusetzen, eine der zwei Parallelüberlieferungen zu Mk 10,45, nach der Christus „sich für uns gegeben hat, um uns aus aller Schuld auszulösen (NWVTQY)“. In ähnlicher Weise spricht der erste Petrusbrief davon, dass die Adressaten „aus ihrer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise mit dem kostbaren Blut Christi losgekauft“ worden seien (NWVTQY 1,18). Jedoch steht hier 82

83 84 85 86

Vgl. Brandt, Dienst, 76 mit Verweis auf antike Sklavenbefreiungsakten des 1. Jahrhunderts; Gnilka, Markus 2, 104; Seeley, Rulership, 247; Wilcox, Ransom-Saying, 177179; Scherer, Diakonos-Sprüche, 52; Ebner, Überwindung, 82, A.10 mit Verweis auf A.Deissmann, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 41923; G. Klaffenbach, Griechische Epigraphik, Göttingen 1957, 83-88. In den LXX steht das Wort „meistens im Plural: [...] 17mal lutra, 3mal lutron“ (Jeremias, Lösegeld, 217). Vgl. Brandt, Dienst, 77. Vgl. Scherer, Diakonos-Sprüche, 52 mit Verweis auf Hooker, Son of Man, 144 f. Vgl. Brandt, Dienst, 77. Jeremias, Lösegeld, 218.

Kontextanalyse

269

wieder deutlicher das Bild der Sklavenbefreiung im Hintergrund, zumal sich der Brief u. a. an Sklavinnen und Sklaven richtet.87 An dieser Stelle wird auch deutlich, wie die beiden von ihrer Herkunft und Bildwelt her verwandten Vorstellungskreise sich überlappen und ineinander greifen: denn die Sklavenbefreiung wird in der neutestamentlichen Briefliteratur häufig als Metapher für die Befreiung von der Macht der Sünde gebraucht.88 Als Deutungshintergrund des markinischen Lösegeld-Wortes kommt demnach sowohl die Ersatzzahlung zur Auslösung von Sklaven und Gefangenen als auch das Sühnopfer zur Lösung einer Sündenschuld in Frage. Beide Vorstellungswelten werden in den Septuaginta und im Neuen Testament mit dem Wortstamm NWVT- in Verbindung gebracht. Beiden liegt dasselbe Bild des Tauschhandels zugrunde. Insofern sind sie auch in den Todesdeutungen des Neuen Testaments, die zumal in der Frühzeit der Gemeinde ohnehin eher als poetische Annäherung an das Geschehen denn als dogmatische Festlegung zu betrachten sind, nicht eindeutig gegeneinander abzugrenzen. Der direkte Kontext des Wortes bei Markus gibt nicht viele Hinweise zu seinem adäquaten Verständnis. Das Kompositum RCTCFKFYOK, das in der dritten Leidensankündigung (Mk 10,33) zweimal erscheint, ist nicht ohne weiteres mit der Wendung FKFQPCKVJP[WEJP zu vergleichen, die im Lösegeld-Wort erscheint. In der Übergabe an die „Heiden“ ist es einmal in eindeutig juristischem Sinne gebraucht; bei der Auslieferung an die Schriftgelehrten und Hohenpriester dürfte der alttestamentliche Sprachgebrauch im Zusammenhang mit dem „Leiden der Gerechten“ im Hintergrund stehen. Hingegen ist die Erwähnung von FKCMQPQL und FQWNQL in den unmittelbar vorangehenden Versen 43 und 44 möglicherweise als Hinweis auf die Sklavenauslösung zu werten, zumal die Deutung des Todes Jesu als Sühnopfer bei Markus nirgends explizit begegnet. Im markinischen Lösegeldwort wird der Begriff NWVTQP durch eine adverbiale Umstandsbestimmung näher erläutert: CXPVKRQNNYP „für viele“. Die Präposition CXPVK, wörtlich zu übersetzen mit „im Austausch gegen“, „an Stelle von“, weist ins Geschäftsleben, genauer gesagt, in den Tauschhandel. Sie ist unter anderem Terminus technicus des Talionsrechts; so in Mt 5,38 (zit. Ex 21,24 LXX), wo CXPVK das hebräische W[W wiedergibt.89 RQNNQK dürfte hier analog zum inkludierenden Gebrauch von P\EU im Hebräischen in der Bedeutung einer „aus vielen bestehenden, großen, nicht zählbaren Schar“ stehen und kann von daher mit „alle“ wiedergegeben werden.90 Nach der Forderung des Sklavendienstes an 87 88 89 90

Zum sozialgeschichtlichen Hintergrund von 1 Petr vgl. Bieberstein, Überlebensstrategien sowie S.109. Vgl. Klauck, Heil, 26-29. Vgl. Jeremias, Lösegeld, 226. Jeremias, ebd., 228 mit Verweis auf Jes 52,14; 53,11.12; Röm 5,15.19; ders., Abendmahlsworte, 68 f.; ders., RQNNQK; vgl. Suhl, Funktion, 119.

270

Kontextanalyse

„allen“ im vorhergehenden Vers sprengt der V.45 damit endgültig den Bezugsrahmen der Gemeinde. Mit Tod und Auferstehung Jesu begreifen die Anhänger Jesu sein Wirken als Dienst an allen Menschen. Das zeigt auch die einsetzende Missionstätigkeit. In dieselbe Richtung weist die Parallele 1 Tim 2,6, wo anstelle von RQNNQKRCPVGL erscheint. „Alle sind als Freigekaufte zu behandeln. [...] Folglich erzielt also ein NWVTQP ein verändertes, durchaus irdisch fassbares Leben, das von unterdrückenden Kräften befreit ist.“91 Dieses neue Leben beginnt in der Gemeinde, wo die soziale Hierarchie aus Dienenden und Bedienten außer Kraft gesetzt ist und wo es nicht mehr zweierlei Menschen gibt, sondern nur Gottes geliebte Kinder, die sich gegenseitig so viel Aufmerksamkeit schenken wie ein Sklave seinem Herrn. Damit bekommt die Gemeinde für die Christinnen und Christen einen Stellenwert, der sonst nur der Familie als „Primärgruppe“ zukommt: sie wird zum geschützten Raum abseits vom permanenten Wettstreit um Ehre und Ansehen.92 Den Anfang macht Jesus, der sich mit allem Recht bedienen lassen könnte, sich stattdessen jedoch zum Diener aller macht bis in den Tod. Im markinischen Kontext bekommt das Lösegeldwort somit ein eigenes Gewicht: Nicht Jesu Tod, sondern sein dienendes Vorbild steht im Vordergrund.93 Von da ausgehend wird auch sein Tod als ein „Dienen“ begriffen. Der V.45 ist nicht nur die Schlusspointe der Perikope Mk 10,35-45. Er bildet zugleich den Abschluss des Mittelteils. Das Wort vom dienenden Menschensohn gibt somit eine vorläufig letzte Antwort auf die zu Beginn des Mittelteils gestellte Frage nach Jesu Identität. Indem es auf den Tod Jesu zu sprechen kommt, leitet es gleichzeitig über zu den unmittelbar bevorstehenden Ereignissen von Jerusalem, denen der Mittelteil gewissermaßen als Deutungshilfe vorangestellt ist.

91 92

93

Scherer, Diakonos-Sprüche, 53, mit Verweis auf Schenk, Menschensohn, 115; Hooker, Son of Man, 146 f.; Schüssler Fiorenza, Memory, 318. Vgl. S.102; S.111 (zu 1 Petr). Zur Außerkraftsetzung gesellschaftlicher Herrschaftsstrukturen vgl. auch Busemann, Jüngergemeinde, 159; Fander, Stellung, 371; 376; Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 153. Vgl. Beutler, Weg, 69.

Kontextanalyse

8.3

271

Fazit

Im Anschluss an die dritte Leidensankündigung schärft die zweite Jüngerbelehrung vom „Dienen“ das in den vorangegangenen Belehrungen (vgl. Mk 9,35; 10,31) bereits angesprochene Thema anhand eines konkreten Beispiels aus dem Jüngerkreis nochmals ein. Mit der Bitte um die Plätze „zur Rechten“ und „Linken“ Jesu in seiner „Herrlichkeit“ (V.37) demonstrieren die Zebedäussöhne ihr Unverständnis in Bezug auf einen dem Reich Gottes angemessenen Umgang in der Gemeinde. Für die Thematik der folgenden Belehrung ist es nicht unerheblich, dass es sich bei den Bittstellern um zwei führende Jünger handelt. Jesus bringt mit dem Bild von „Kelch“ und „Taufe“ (VV.38 f.) zunächst die Realität des Kreuzes ins Spiel, ohne die die in der Verklärung geschaute Herrlichkeit nicht zu haben ist. Indirekt verweist er damit auch erneut voraus auf seinen nahen Tod. In der anschließenden Belehrung an den Zwölferkreis stellt Jesus der Gesellschaftsordnung der „Heiden“, in der eine herausgehobene Stellung gleichbedeutend ist mit der Unterdrückung und Beherrschung der anderen (V.42), die Beziehungen unter den Jüngern gegenüber (VV.43 f.). Dort soll sich der „Große“ und „Erste“ verhalten wie der „Diener“, ja der „Sklave aller“. In der Gemeinde ist damit das Gesetz von Ehre und Macht außer Kraft gesetzt. Stattdessen gilt das Gebot gegenseitigen Dienens. Der abschließende Vers (45) verweist auf das Beispiel Jesu, des Menschensohnes, der sich „nicht bedienen ließ, sondern diente“ bis in den Tod. Parallel dazu wird das Leben Jesu als „Hingabe zur Auslösung vieler“ gedeutet. Vom Kontext mit der Thematik des „Dienens“ und „Sklave Seins“ her liegt es nahe, die Sklavenbefreiung als Bildhintergrund zu sehen. Vom Leben Jesu ausgehend begreift Markus auch seinen Tod als ein „Dienen“ an allen, nämlich als letzte Konsequenz seines Lebensdienstes. Zugleich greift das Lösegeldwort erneut voraus auf den nahen Tod Jesu, der im direkt anschließenden dritten Hauptteil des Evangeliums berichtet wird.

9.

Die Bedeutung des/r „Anderen“ bei Emmanuel Lévinas: ein hermeneutisches Modell zum Verständnis des „Dienens“

In der zuletzt behandelten Perikope war vom „Diener“ oder „Sklave sein“ die Rede, das in der Nachfolge Jesu gefordert ist. In unseren Ausführungen haben wir das Wort „Dienen“ meist in Anführungszeichen gesetzt. Grund dafür ist, dass sich dieses Wort und die mit ihm bezeichnete Forderung nicht ohne weiteres von selbst verstehen. Vor dem Hintergrund eines falsch verstandenen „Dienens“ hat vielmehr eine bestimmte Art christlicher Erziehung, wie es scheint, vor allem bei Frauen, mehr zur Selbstentfremdung als zum Gewinn ihrer selbst geführt. Generationen von Christinnen und Christen wurden dazu angehalten, sich zurückzunehmen und sich selbst zu geben, bevor sie sich überhaupt gefunden hatten. In diesem Zusammenhang hat das Wort „Dienen“ einen Beigeschmack von verlorenem Leben und verlorener Lebendigkeit bekommen – statt von Erfüllung und Lebensfreude. Die Überlegungen des jüdischen Philosophen Emmanuel Lévinas (* Kaunas 12.1.1906, † Paris 1996), den die Autorin selbst noch in einer Vorlesung an der Universität Freiburg/Schweiz hören konnte, scheinen geeignet, die bei Markus beschriebene Haltung des „Dienens“ verstehen zu helfen. Lévinas ist ein Zeitzeuge des NS-Regimes, unter dessen Einfluss Menschen zu Mördern und Mitwissern des Mordes an anderen Menschen wurden. Sein philosophischer Ansatz entspringt einer tiefen Betroffenheit angesichts des Versagens der Menschlichkeit „in der Unterworfenheit unter die Propaganda, unter den Terror“.1 „Das Scheitern des Menschlichen“ scheint ihm „in der Verlängerung einer gewissen Verherrlichung des Selben, des Identischen, der Aktivität und des Seins zu entstehen“,2 die die abendländische Geistesgeschichte von Platon bis Heidegger geprägt habe. Beispiele aus der antiken Philosophie und gesellschaftlichen Praxis zeigen, dass sich die gemeinte Haltung, ausgehend von der Klasse der Herrschenden und Besitzenden, tatsächlich dort bereits herauszubilden beginnt. Die Erfahrung der neueren europäischen Geschichte führt Lévinas dazu, diese Philosophie ausgehend von der jüdischen Tradition und ihrem dynamischen Gottesbild grundsätzlich in Frage zu stellen. Im folgenden soll seine Philosophie in der gebotenen Kürze und ohne Anspruch auf Vollständigkeit soweit skizziert werden, als sie unser Thema erhellen kann. Wie schon im Abschnitt über Msr. Romero soll nach Möglichkeit der Autor selbst zu Wort kommen. Dabei wird sich auch hier bewahrheiten, was Lévinas einmal selbst über seine 1 2

Lévinas, Gott, 87. Lévinas, Gott, 90; Hervorhebungen original.

274

Kontextanalyse

Philosophie schreibt: „Die Erfordernisse der Thematisierung [...] verlangen eine Einteilung in Kapitel, obschon die Themenbereiche [...] sich für eine Darstellung in linearer Abfolge nicht eignen, obschon sie sich nicht wirklich voneinander trennen lassen und obschon sie nicht umhinkönnen, ihre Schatten und Spiegelungen aufeinander zu projizieren.“3

9.1

„Ontologie“ und Seinsbegriff nach Lévinas

Die philosophische Tradition des Abendlandes besteht nach Lévinas im Wesentlichen darin, dem freien Subjekt den Weg zu ebnen. Dessen „Sein“ liegt in seiner Autonomie, die zugleich Herrschaft über die anderen Seienden ist. Diese auf das Verharren und Sich-Behaupten im „Sein“ bezogene Geisteshaltung bezeichnet Lévinas als „Ontologie“.4 Die Herrschaft des Subjekts vollzieht sich insbesondere im Denken und Erkennen. Das denkende Subjekt ist in der Lage, alles, was von außen auf es zukommt, zu erfassen, zu verstehen und es als Wissen in sein Bewusstsein einzugliedern. Von seinem eigenen festen Standpunkt aus weist es den anderen Seienden ihren Platz zu. So kann das Ich durch nichts überrascht, angegriffen oder verletzt werden. Kein fremder Anspruch betrifft es; „nichts ‚schmuggelt’ sich ins Denken ein.“5 Das Ich ist nicht gezwungen, sich dem, was sein Denken und Beherrschen unterbricht oder stört, auszusetzen. Das Andere kann als solches übersehen und gleichwohl in den Kategorien des „Selben“ gedacht werden. Das Sein wird gewissermaßen an das Denken angeglichen, „um gegenüber dem Anderen und den Anderen indifferent zu bleiben“.6 Indem es sie de-finiert, begrenzt, grenzt das autonome Subjekt die Anderen zugleich aus. „Sein“ oder „Ontologie“ sind für Lévinas Inbegriff des Erstarrens im Selben, der Ausschaltung des Anderen, der Selbstbehauptung des Subjekts. „Das Wort sein [...] sagt [...] eine Aktivität aus, die keine Veränderung bewirkt – [...] sondern genau die Identifizierung des Identischen [...] im Aufrechterhalten seiner Identität gegen all das, was deren Selbstgenügsamkeit oder deren Für sich verändern wollte“.7 Ein Beispiel für „ontologisches“ Denken ist die im alten Rom bei den höheren Gesellschaftsschichten verbreitete Ansicht, nach der die Armen an ihrem Schicksal selbst die Schuld tragen und, wenn sie nur arbeiten wollten, auch ihren 3 4 5 6

7

Jenseits, 59. Vgl. u. a. Lévinas, Totalität, 50 f. Lévinas, Gott, 198 f. Lévinas, Spur, 212; vgl. ders., Totalität, 287. Ich übernehme die orthographische Regelung der deutschen Übersetzungen, wo „der“ oder „das Andere“ groß geschrieben wird, um dessen besondere Würde bei Lévinas anzuzeigen. Lévinas, Gott, 80; Hervorhebungen original. Vgl. ebd., 204; 206; ders., Totalität, 41 f.; 121.

Kontextanalyse

275

Lebensunterhalt verdienen könnten.8 Ähnliche Parolen sind heute über Erwerbslose zu hören. Die Rechtfertigungsstrategien der Besitzenden sind über die Jahrhunderte hinweg verblüffend ähnlich. Vom wirklichen Überlebenskampf der Armen weiß man nichts – und will es vermutlich auch nicht wissen. Stattdessen legt man sich Erklärungen zurecht, mit deren Hilfe man sich dem schlechten Gewissen und der Verantwortung entzieht. Auf diese Weise kann „eine gewisse Schicht der Bevölkerung ihren Reichtum in Frieden genießen.“9 Fast zynisch mutet die Idealisierung der Armut durch gut situierte Philosophen an, die darunter freilich nicht die von den unteren Gesellschaftsschichten erlebte existentielle Armut verstehen.10 Armut ist für sie gerade nicht das Fehlen des Notwendigen, sondern der Verzicht auf das „Überflüssige“ und die Beschränkung auf das „Notwendige“, das sich freilich vom Standpunkt der Wohlhabenden her definiert und mehr umfasst als die bloße materielle Lebensgrundlage.11 Dazu „haben vor allem die Stoiker die Armut mit geistigen Idealen befrachtet: Nur der ist arm, der sich von der Armut erdrücken lässt. Die Armut hängt demnach nicht von der realen Lebenssituation, sondern von der inneren Einstellung zu ihr ab.“12 Dem Existenzkampf der unteren Schichten wird diese Sichtweise kaum gerecht. Die Herrschaft über die Anderen vollzieht sich nicht nur ideell, sondern auch materiell. So objektiv die ontologische Philosophie erscheint, ist sie in Wahrheit zutiefst interessegeleitet oder lässt sich doch leicht durch die Ideologen der Macht manipulieren und in Dienst nehmen. „Sein ist Interessiertsein.“13 Die Definition ermöglicht es, vom Anderen Besitz zu ergreifen. Damit rechtfertigt die Ontologie nicht nur den Besitz; er ist vielmehr eine ihrer Erscheinungsformen. „Der Besitz ist in ausgezeichneter Weise die Form, unter der das Andere das Selbe wird, weil es meines wird.“14 Die materiellen Interessen werden notfalls auch mit Kriegen durchgesetzt. So konnten beispielsweise die römischen Großgrundbesitzer „durch die Erweiterung des Reiches [...] ihre Lände8 9 10

11 12 13 14

Vgl. Venetz, Selig, 6; Janzen, Friede, 117; 119 mit Verweis auf Sen dial 12,11; Dion Chrys 7,125. Janzen, Friede, 163. Die meisten Philosophen gehörten der Oberschicht an. So verfügt beispielsweise Tibull nicht nur über Grundbesitz, „sondern hat auch Tagelöhner und Sklaven, die für ihn arbeiten“ (Janzen, Friede, 114 mit Verweis auf Elegiae 1.1,7-50). Horaz besaß ebenfalls ein Landgut, wenn auch ein relativ kleines (vgl. ebd., 115 mit Verweis auf Carmina 2.16,37-40). Vgl. Janzen, Friede, 113-116 mit Verweis auf Tib Elegiae 1.1,77-78; Horaz Carmina 2.16,37-40; Sen Ad Helviam 11. Janzen, Friede, 119; vgl. ebd., 116 mit Verweis auf Sen Ad Helviam 11; 121 mit Verweis auf Sen Dial 7,22. Lévinas, Jenseits, 26. Lévinas, Totalität, 56; vgl. ebd., 42.

276

Kontextanalyse

reien vergrößern.“15 „Der Krieg ist der Vollzug oder das Drama des Interessiertseins am Sein.“16 Die ontologische Geisteshaltung ist statisch. Sie dient der Aufrechterhaltung des Status quo im Interesse eines bestimmten Personenkreises. Nicht nur auf der Ebene des Denkens, auch auf gesellschaftlicher Ebene besteht die Ontologie darin, den eigenen Willen und Vorteil durchsetzen. Das Selbe tritt „als Egoismus auf“.17 Rücksichtnahme oder gar Unterordnung unter die Bedürfnisse anderer kommt nicht in Betracht. So ist es nach Seneca ein Zeichen seelischer Schwäche, Mitleid zu empfinden.18 Ebenso gilt es dem Thrasymachus in Platons „Politeia“ (1,343d-e) als Schwäche, gerecht handeln zu wollen; denn derjenige, der sich zum Wohle der anderen einsetze, mache sich zum Diener der Mitmenschen.19 So „zeigt das Sein alle Anzeichen eines Spiels“, das „jeglicher Verantwortung enthoben, [...] in dem alles Mögliche erlaubt ist. Aber kommt das Spiel aus dem Interessiertsein heraus? Schon gehört zum Spiel das, was auf dem Spiel steht – Geld oder Ehre.“20 Die Ontologie ist damit letztlich „eine Philosophie der Macht. [...] Als Philosophie der Macht [...] ist die Ontologie eine Philosophie der Ungerechtigkeit.“ In ihr wird „die Gerechtigkeit [...] der Freiheit untergeordnet.“21 Die Freiheit des autonomen Subjekts „stellt sich nicht in Frage. Nur ihre Begrenzung wäre tragisch und ein Skandal.“22 Von dieser Freiheit her wird auch die Vernunft definiert. „Die Permanenz im Selben ist Vernunft. [...] Die Vernunft ist letzten Endes die Erscheinung einer Freiheit, die das Andere neutralisiert und einnimmt“.23

9.2

Das Antlitz des Nächsten als ethische Vorgabe

Letztlich erweist sich das Subjekt jedoch als sterblich, endlich und unvollkommen in seiner Erkenntnis und Selbstbehauptung. Mächtiger und ursprünglicher als das Subjekt ist der und die Andere und die echte Beziehung zu ihm oder ihr. Diese „ethische“ (im Gegensatz zur „ontologischen“) Beziehung geht dem

15 16 17 18 19 20 21 22 23

Janzen, Friede, 162. Lévinas, Jenseits, 26. Lévinas, Totalität, 43; vgl. ders., Spur, 209. Vgl. Janzen, Friede, 125 mit Verweis auf Sen Clem 2,5.1; 2,5.4; 2,6.1. Nach Janzen, Friede, 45. Lévinas, Jenseits, 30. Lévinas, Totalität, 55 f. Lévinas, Totalität, 114. Lévinas, Totalität, 50 f.

Kontextanalyse

277

Subjekt voraus, ja sie konstituiert es eigentlich erst. „Früher als die Ebene der Ontologie ist die Ebene der Ethik.“24 Das Andere scheint in besonderer Weise auf in dem, was Lévinas das „Antlitz“ (visage)25 nennt. Darin tritt mir der Andere gegenüber als Differenz, die ich nicht erfassen und formulieren kann, weil sie unendlich ist. Das Antlitz bedeutet immer mehr, als es gerade zu erkennen gibt; ein „absoluter Überschuss des anderen im Verhältnis zum Selben“.26 In diesem Sinne kann es „nicht begriffen, d. h. umfasst werden. [...] Der Andere bleibt unendlich transzendent, unendlich fremd“.27 Er ist „der Fremde, der das Bei-mir-zu-Hause stört. Aber [...] das bedeutet auch der Freie. Über ihn vermag mein Vermögen nichts.“28 Mehr noch: „Was absolut anders ist, wehrt sich nicht nur gegen den Besitz, sondern stellt ihn in Frage“.29 Im Antlitz fällt das Ungreifbare in mein Begreifen ein. „Seine Gegenwart besteht darin, auf uns zuzukommen, einzutreten. [...] Die Epiphanie des Antlitzes ist Heimsuchung.“30 Das, was Lévinas als „Epiphanie“ des Antlitzes bezeichnet, ist ein Anruf an mein ethisches Empfinden. Die Andere hat für mich Bedeutung in ihrer Nacktheit und Wehrlosigkeit, in ihrer Mittellosigkeit, letztlich in ihrem Ausgeliefertsein an den Tod.31 Es ist ein Hilferuf, den ich nicht überhören kann.32 „Dieses Gegenüber des Antlitzes [...] in seiner Sterblichkeit – zitiert mich vor Gericht, fordert mich, beansprucht mich: so als ob der unsichtbare Tod, dem das Antlitz des Anderen die Stirn bietet [...] meine Angelegenheit wäre [...], so als ob ich durch meine Indifferenz der Komplize dieses für den Anderen [...] unsichtbaren Todes würde; und so als ob ich, noch bevor ich ihm selbst geweiht bin, diesen Tod des Anderen zu verantworten hätte“.33 In diesem Sinne ist das Antlitz mein „Richter [...] und zugleich derjenige, für den ich Partei ergreife“.34 Die Andere stellt mein Recht zu „sein“ (ontologisch verstanden) in Frage. „Ist mein Dasein

24

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

Lévinas, Totalität, 289. Lévinas spricht nur von „dem Anderen“. Wir werden nach Möglichkeit im Wechsel von „der Anderen“ sprechen, um auch das weibliche Element als „Anderes“ sichtbar zu machen. Diese Übersetzung, die auf die Epiphanie des Göttlichen in dem „Anderen“ anspielt, ist in den deutschen Textausgaben üblich geworden. Lévinas, Totalität, 136. Vgl. ebd., 64; 120; ders., Spur, 221. Lévinas, Totalität, 277 f. Lévinas, Totalität, 44. Lévinas, Totalität, 42. Lévinas, Spur, 221; Hervorhebungen original. Vgl. auch ebd., 227. Vgl. Lévinas, Gott, 211 f.; 222. Vgl. Lévinas, Totalität, 288; ders., Spur, 222 f.; ders., Jenseits, 32. Lévinas, Gott, 212 f. Im Gegensatz zu den „Ontologen“, die im Tod zuerst eine Bedrohung für das „Selbst“ sehen, bedeutet er für Lévinas „in der Sozialität“ (ebd., 214). Lévinas, Jenseits, 44.

278

Kontextanalyse

in seiner Seelenruhe und dem guten Gewissen [...] nicht gleichbedeutend damit, den anderen Menschen sterben zu lassen?“35 Für den unbedingten Anspruch des Anderen findet Lévinas starke Worte. Er spricht von einer „unendlichen Unterworfenheit“, von einer „Verantwortung der Geiselschaft bis hin zur Stellvertretung für den anderen Menschen“.36 Der Andere beherrscht meine Freiheit.37 Die Stellvertretung für den Anderen bezeichnet Lévinas auch als „Sühne“.38 Das Antlitz ist wie eine „Frage, in die ich hineinkomme als einer, der zur Verantwortung für die Sterblichkeit des anderen Menschen gezwungen ist“.39 Die angemessene Antwort ist Güte und tatkräftige Gerechtigkeit, das „Werk, ohne das die Güte nur ein Traum wäre“.40 Die Güte ist „anders als das Sein – sie ist nicht mehr berechnend.“41 Sie ist „vollständige Unentgeltlichkeit“,42 „ganz und gar uninteressiert“.43 „Wird das Werk bis zu Ende gedacht, dann verlangt es eine radikale Großmut des Selben, das im Werk auf das Andere zugeht.“44 Im Gegensatz zum Bedürfnis (besoin), das sich am Ich orientiert und die Andere für sich vereinnahmt, entspringt das Werk dem Begehren (désir).45 „Begehren“ bedeutet für die Andere „da sein“ wollen, die Andere verstehen wollen, mit ihr in Beziehung treten wollen. Eine Eigenart des Begehrens besteht darin, dass es die Andere nie „satt wird“, eben weil es sich an ihr nicht einfach befriedigt. Vielmehr wird es „vom Begehrten nicht erfüllt, sondern vertieft.“46 Das Begehren des Anderen geht „von einem schon erfüllten und unabhängigen Seienden aus“.47 Wer zum Anderen in Kontakt treten will, ist selbst bereits im „Besitz einer Welt“, die er „dem Anderen als Gabe überreichen kann“.48 Die Beziehung, die den Anderen „sein“ lässt, ist „die Gewaltlosigkeit schlechthin. [...] Sie ist Frieden.“49 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Lévinas, Gott, 216; vgl. ebd., 207; 224; 227; ders., Totalität, 280; Spur, 219. Lévinas, Gott, 225; vgl. ders., Jenseits, 30; 42. Vgl. Lévinas, Totalität, 64; 116. Vgl. Lévinas, Jenseits, 48; 50. Lévinas, Gott, 216; vgl. ders, Spur, 224. Lévinas, Spur, 215. Zur Güte vgl. auch ebd., 220; ders., Totalität, 63; 288. Zur Gerechtigkeit vgl. Totalität, 112; 124. Lévinas, Jenseits, 57; Hervorhebung original. Vgl. auch ders., Gott, 214 f. Lévinas, Jenseits, 30. Lévinas, Totalität, 63. Lévinas, Spur, 216. Zur Großmut vgl. auch ders., Totalität, 63. Lévinas übernimmt damit einen Terminus von Platon (vgl. Spur, 218). Zum Begriff des Begehrens vgl. auch Lévinas, Totalität, 63; 282. Lévinas, Totalität, 36; vgl. ebd., 37; 63; 143; ders., Spur, 220. Lévinas, Spur, 219. Lévinas, Totalität, 63. Lévinas, Totalität, 292 f.; vgl. ebd., 282.

Kontextanalyse

9.3

279

Das Antlitz der Anderen als „Spur“ Gottes

In der Andersheit des Anderen, die sich nicht für mich vereinnahmen lässt, scheint die „Idee des Unendlichen“ auf; eine Idee, die mehr ist als ihr Inhalt. „Die Idee des Unendlichen, das unendlich Mehr, das im Weniger enthalten ist, ereignet sich konkret in der Gestalt einer Beziehung mit dem Antlitz.“50 Das Antlitz ist Epiphanie Gottes: Sein Auftrag an mich, der mich an den Nächsten verweist.51 Die Beziehung von zwei unabhängigen Seienden nennt Lévinas darum Religion.52 Gott ist der Unendliche, eine „dritte Person“ jenseits des Seins, „die sich nicht durch das Sich-selbst, durch die Selbstheit, definiert.“53 Gott geht nicht auf nicht in den Kategorien des Seins, aber er ist darin anwesend. Er hinterlässt seine Spur im Antlitz der Anderen. Das Antlitz ist „Herrschaftsbereich des Anders-als-Sein.“54 Im Antlitz der Anderen finde ich eine Verantwortlichkeit vor, die ich nicht beschlossen habe. Sie geht über alles hinaus, was ich selbst der Nächsten angetan habe oder hätte antun können. Die Verpflichtung für die Nächste liegt vor meiner Autonomie, vor meiner Aktivität als Subjekt. Sie geht vor alles zurück, was ich in der Erinnerung einholen kann. Ich bin „verpflichtet [...], ohne dass diese Verpflichtung in mir begonnen hätte – als hätte in mein Bewusstsein ein Befehl sich eingeschlichen“.55 Die Gegenwart ist nach Lévinas eine ontologische Kategorie. Sie schließt „jegliche Transzendenz aus.“56 Gott ist darum nicht als Gegenwart; aber er hinterlässt in der Gegenwart „eine Spur, die als Gesicht des Nächsten leuchtet“.57 „Die Verantwortung für den Nächsten liegt […] in einer unvordenklichen Vergangenheit, die nicht zu vergegenwärtigen ist“.58 „Es ist eine unvordenkliche Vergangenheit, und vielleicht ist dies auch die Ewigkeit“.59 Gott geht unserer Freiheit immer voraus. In unserm ethischen Empfinden erweisen wir uns als Geschaffene.60

50 51 52 53

54 55 56 57 58 59 60

Lévinas, Totalität, 280. Vgl. auch ebd., 44; 60; 106; 282; ders., Spur, 225. Vgl. Lévinas, Jenseits, 43. Vgl. Lévinas, Totalität, 46; 110 f. Lévinas, Spur, 229. Lévinas bezeichnet diese Art von „Person-Sein“ als « illéité ». Der Ausdruck leitet sich ab vom französischen « Il », das in „Die Spur des Anderen“ mit „Jener“ übersetzt wird (ebd., A. „k“). Lévinas, Gott, 223. Lévinas, Jenseits, 46. Vgl. ders., Gott, 218; 221; Totalität, 44; Spur, 229. Lévinas, Gott, 206; vgl. ebd., 202 f. Lévinas, Jenseits, 44. Vgl. ebd., 37 f.; 40; 58; ders., Spur, 228. Lévinas, Gott, 218. Lévinas, Spur, 229. Vgl. Lévinas, Totalität, 123.

280

Kontextanalyse

Die „Herrlichkeit“61 dessen, den niemand von Angesicht zu Angesicht sieht, zeigt sich in der Unausweichlichkeit der ethischen Verpflichtung. „Das Prinzip [d. h. das Erste, Ursprüngliche] kann nur ein Befehl sein.“62 Das Gute „hat mich gewählt, bevor ich es gewählt habe.“63 Ich bin eine „Geisel, die sich nicht selbst zur Geisel erwählt hat, vielleicht jedoch durch das Gute erwählt wurde [...] als Gutes aber wiegt es das Gewaltsame seiner Anderheit auf, selbst wenn das Subjekt durch die Zunahme dieser immer fordernder werdenden Gewalt zu leiden hat.“64 „Und wenn niemand gütig ist aus freien Stücken, so ist doch auch niemand Sklave des Guten“; denn das Gute setzt meine Freiheit erst ein – es „liebt mich, bevor ich es geliebt habe.“65 Die Epiphanie des Antlitzes ist „Gebot eines Gottes, der ‚den Fremden liebt’“, der „Vater der Waisen und Anwalt der Witwen“ ist (Ps 68,6; vgl. 94,6; 146,9; Dt 10,18; 23,8; 24,17; 26,5.13; 27,19).66 Gott ist gegenwärtig „an der Seite des Nächsten“.67 Er ist selbst „fremd und arm“. Das „bedeutet, dass die [...] Beziehung mit Gott sich nicht in der Unkenntnis der Menschen und Dinge vollziehen darf. Eine Beziehung mit dem Transzendenten [...] ist eine soziale Beziehung. [...] Die Erhebung Gottes zu seiner höchsten und äußersten Gegenwart ist korrelativ der Gerechtigkeit, die wir den Menschen widerfahren lassen.“68 Auch „eine ‚Erkenntnis’ Gottes, die getrennt wäre von der Beziehung mit den Menschen, kann es nicht geben. [...] Ohne die Bedeutung, die ihnen von der Ethik her zukommt, bleiben die theologischen Begriffe leere und formale Raster.“69 „In der Nähe der anderen Menschen, des fremden und möglicherweise nackten, mittellosen und nicht begehrenswerten Menschen“ ereignet sich die Beziehung zum „Absoluten oder Unendlichen“.70 Das Warten auf Gott kehrt sich um „in die Nähe des Anderen“, die Gottesfurcht „in Furcht für den Nächsten.“71 „Die Spur ist nicht ein Zeichen wie jedes andere. [...] Über das hinaus, was das Zeichen bedeutet“, ist das Antlitz „der Vorübergang dessen, von dem das Zeichen stammt.“72 Gott zeigt sich nicht anders als im Antlitz der Nächsten, und er wird nicht anders bezeugt als in meiner Antwort, in meiner Ver-antwortlich61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Zu diesem Terminus vgl. Lévinas, Jenseits, 44; ders., Totalität, 144. Lévinas, Totalität, 290. Lévinas, Jenseits, 41. Den Terminus des „Guten“ übernimmt Lévinas von Platon; vgl. ebd., 58. Lévinas, Jenseits, 51; Hervorhebungen original. Vgl. Joh 15,16. Lévinas, Jenseits, 41 f. einschl. A.7. Vgl. 1 Joh 4,10.19. Vgl. Lévinas, Gott, 219-221 (Zitat: 219); Totalität, 107. Lévinas, Jenseits, 53. Lévinas, Totalität, 106. Lévinas, Totalität, 108 f. Lévinas, Gott, 222; Hervorhebungen original. Lévinas, Gott, 94 f. Lévinas, Spur, 230 f.

Kontextanalyse

281

keit. Mein „Hier bin ich“ legt Zeugnis für ihn ab.73 Die Vergangenheit des Befehls zeigt sich an in der „Gegenwart des Gehorsams“.74 „Nach dem Bilde Gottes sein heißt [...] sich in seiner Spur befinden. [...] Zu ihm hingehen heißt [...] auf die Andern zugehen“.75

9.4

Sich selbst finden im Dienst am Anderen

Die unvertretbare Verantwortung für die Andere konstituiert mein Selbstsein. Meine Einmaligkeit besteht nicht in irgendeiner austauschbaren Eigenschaft, sondern in der Unverwechselbarkeit meines Erwähltseins für die Andere. Wo ich auf den Anruf der Anderen antworte, bin ich ganz ich selbst. „Von daher bedeutet Ichsein, sich der Verantwortung nicht entziehen können. [...] Die Einzigkeit des Ich liegt in der Tatsache, dass niemand an meiner Stelle antworten kann.“76 „Die Subjektivität ist keine Modalität des ‚sein’“.77 Vielmehr gibt „die Güte [...] der Subjektivität ihre irreduzible Bedeutung.“78 Die Subjektivität definiert sich von der Ethik her. „Der Selbe hat mit dem Anderen zu tun, bevor – in welcher Eigenschaft auch immer – der andere für ein Bewusstsein erscheint. Die Subjektivität ist strukturiert als der-Andere-im Selben [...] die Beunruhigung des Selben durch den Anderen.“79 Das Subjekt ist „von vornherein durch Verantwortung inspirierte Sensibilität“.80 Sensibilität bedeutet empfänglich sein für den Anderen – und damit auch verwundbar und angreifbar werden: „Niederlegung oder Niederlage der Identität des Ich [...] Empfindlichkeit, die unter die Haut, die an die Nerven geht, Überempfindlichkeit, die sich aussetzt bis zum Leiden“.81 Das sensible Subjekt will vom Anderen wissen. Es ist „unerschöpflicher Überfluss an Aufmerksamkeit“.82 Das sensible Subjekt rechnet mit dem eigenen Versagen; es ist selbstkritisch. „Die Moral beginnt, wenn sich die Freiheit, statt sich durch sich selbst zu rechtfertigen, als willkürlich und gewalttätig empfindet.“83 „Den Anderen empfangen heißt, meine Freiheit in Frage stellen. [...] Der Empfang des Anderen ist 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83

Vgl. Lévinas, Gott, 219; 221. Lévinas, Jenseits, 47. Lévinas, Spur, 235. Lévinas, Spur, 224. Vgl. auch ders., Gott, 208; 223 f.; ders., Jenseits, 47 f. So eine Überschrift bei Lévinas, Jenseits, 54. Lévinas, Jenseits, 57; vgl. ebd., 56; ders., Spur, 225. Lévinas, Jenseits, 69; Hervorhebungen original . Vgl. auch ebd., 39; 68; ders., Gott, 216. Lévinas, Jenseits, 59. Vgl. Lévinas, Jenseits, 49-51; Zitat: 50 f. Lévinas, Totalität, 137. Lévinas, Totalität, 116.

282

Kontextanalyse

[...] das Bewusstsein meiner Ungerechtigkeit – die Scham der Freiheit über sich selbst.“84 Für das selbstkritische Subjekt „besteht die Rechtfertigung der Freiheit nicht darin, sie zu begründen, sondern sie gerecht zu machen“,85 indem sie dem Anderen gerecht wird. Letztlich begründet erst das Andere das Selbstsein, nämlich „indem es meine Güte hervorruft, fördert.“86 „Indem der Andere die Freiheit zur Verantwortung ruft, setzt er sie ein und rechtfertigt sie.“87 „Nicht ich – der Andere kann Ja sagen.“88 Eine selbstkritische Haltung, die Bereitschaft, zuzuhören und von der Anderen zu lernen, ist auch die Voraussetzung zu einer Erkenntnis, die nicht die Wirklichkeit nach eigenem Gutdünken konstruiert, sondern ihr so weit als möglich gerecht wird. In diesem Sinne begründet „die Freiheit, die über sich selbst Scham empfinden kann [...] die Wahrheit“.89„Das Wesen der Vernunft besteht nicht darin, den Menschen seines Grundes sowie seiner Vermögen zu versichern, sondern ihn in Frage zu stellen und ihn zur Gerechtigkeit einzuladen.“90 Die Andere versteht sich nicht von selbst; es bedarf ihrer„Unterweisung“, ihrer„Assistenz“, ihres„Ausdrucks“.91 „Denken heißt [...] unterwiesen werden.“92 Die Offenheit für den „Empfang“ der Anderen macht wahres Verstehen und Erkennen erst möglich. „Diese Beziehung mit dem Anderen als Gesprächspartner, diese Beziehung mit einem Seienden geht aller Ontologie voraus.“93 Sowohl in seinem Selbstsein und in seiner Freiheit als auch in seinem Denken und Erkennen wird das Ich also erst am Du. Nicht das Ich ist zuerst, sondern das Du und sein ethischer Anspruch gehen ihm voraus. Das Ich besteht in seiner Verantwortlichkeit für den anderen. Selbstfindung gibt es nur in der „Selbstlosigkeit“, in der das Ich losgelassen wird.

84 85 86 87 88 89 90 91 92 93

Lévinas, Totalität, 118 f. Vgl. ebd., 50 f. Lévinas, Totalität, 113 f. Lévinas, Totalität, 288. Lévinas, Totalität, 282. Lévinas, Totalität, 131; Hervorhebung original. Lévinas, Totalität, 115. Lévinas, Totalität, 122. Vgl. Lévinas, Totalität, 127 f.; 291. Lévinas, Totalität, 294; vgl. ebd., 135-144. Lévinas, Totalität, 58.

Kontextanalyse

9.5

283

Zusammenführung: Die Bedeutung des „Dienens“ vor dem Hintergrund der Philosophie Emmanuel Lévinas’

Inspiriert von der Philosophie Emmanuel Lévinas’ möchte ich das von Jesus geforderte „Dienen“ als eine Haltung verstehen, die dem und der Anderen den ersten Platz einräumt. Der Anspruch der Anderen hat den Vorrang vor meinem Bedürfnis nach materieller Sicherheit und gesellschaftlicher Anerkennung. „Dienen“ ist demnach eine Haltung, die sich selbst hintanstellt. Insofern kann sie auch mit dem alten, leider nicht minder missverständlichen Wort „Demut“ bezeichnet werden. Demut und Dienstbereitschaft setzt Offenheit für die Realität der Anderen und Aufmerksamkeit für ihre Bedürfnisse voraus – oder, wie Lévinas sagen würde, Empfänglichkeit und Sensibilität. Dazu gehört auch ein hohes Maß an Selbstkritik und ein gesundes Misstrauen gegenüber den eigenen Motiven und Deutungen. Eine solche Haltung ist konträr zu den damals wie heute geltenden gesellschaftlichen Regeln. Darum muss der Aufruf zu Dienst und Demut auf Widerspruch stoßen. Freilich ist für die markinischen Worte vom „Diener“, „Sklave“ und „Letzter“ Sein eine gewisse Überzeichnung oder Übertreibung als stilistisches Mittel in Rechnung zu stellen. Aber auch so bleiben sie anstößig, auch für die Ohren der damaligen Hörerinnen und Leser. Einem anderen zu dienen, wählt man nicht freiwillig. Niemand ist gern Diener. Von daher muss der Aufruf nicht nur bei den „Ersten“, sondern auch bei den „Letzten“ der Gesellschaft auf Widerspruch stoßen. Der Aufruf zum „Dienen“ betrifft ausdrücklich und insbesondere die „Ersten“ der Gesellschaft bzw. diejenigen, die es – in den Kategorien der Gesellschaft gedacht – sein wollen. Angehörige der unteren Gesellschaftsschichten erfüllen in der Regel – wenn auch unfreiwillig – bereits die Forderung. So tun die Frauen nach Markus das Richtige (FKCMQPGKP Mk 1,31; 15,41) und sind damit authentische Jüngerinnen Jesu (CXMQNQWSGKP Mk 15,41). Frauen und Sklaven, Kinder und Kleine werden durch die Worte Jesu aufgewertet; sie sind die wahren „Ersten“. Der Aufruf zu Dienst und Demut meint nicht einfach eine Umkehr der gesellschaftlichen Ordnung, so dass die Beherrschten nun die Herrschenden und die Obersten die Untersten würden, das System selbst jedoch, nur mit umkehrter Rollenverteilung, bestehen bliebe. Wo jede/r dem und der anderen dient, da gibt es keine Herren – und auch keine Dienerinnen. Das Reich Gottes kommt ohne die Kategorien von „oben“ und „unten“, „Erster“ und „Letzter“, „Herr“ und „Sklave“ aus. Gott allein ist „Herr“ über alles. Unter den Menschen gibt es keine Rangunterschiede. In der Jüngergemeinde gibt es daher nur Mütter und Kinder, Brüder und Schwestern (vgl. Mk 10,30; 3,35). Der Pater familias ist Gott selbst.

Kontextanalyse

284

Dem und der anderen „dienen“ bedeutet Mitarbeiter/in an Gottes Reich und an seiner neuen Gesellschaft sein. Der Aufruf zum Dienst meint nicht ein erzwungenes „Dienern“ auf Befehl eines weltlichen Herren und will schon gar nicht die Kategorie der „Diener“ für die Ewigkeit zementieren. Er zielt auf eine freie Entscheidung, auf ein freies Geben seiner „Selbst“. Dies ist nur möglich, wenn man sich zunächst gewonnen hat. „Dienen“ ist eine freiwillige SelbstVerpflichtung gegenüber Gott, dem einzigen Herrn, der mich wiederum auf den Dienst am Nächsten verweist. Da der Mensch erst am Du er „selbst“ wird, bedeutet dienen und sich klein machen jedoch gerade: groß werden. „Selbsthingabe“ wird zur Selbstwerdung: „sich finden, indem man sich verliert“ (vgl. Mk 8,35 parr).94

94

Lévinas, Jenseits, 42.

10.

Vom Umgang mit den Kleinen (Mk 9,33-50)

10.1

Kontext und Thematik, Struktur und Herkunft

Nach der inhaltlichen Bestimmung des „Dienens“ gehen wir wieder zu den Texten des Markusevangeliums zurück. Nachdem wir die ältere Tradition über das „Dienen“, die den Schluss des Mittelteils bildet, vorweggenommen haben, wenden wir uns nun denjenigen Belehrungen zu, die in der vom Evangelisten gestalteten Abfolge voranstehen. Auch hier geht es um die soziale Rangordnung in der Gemeinde, die Widerspiegelung des Reiches Gottes sein soll. An die knapp gehaltene zweite Ankündigung von Leiden und Auferstehung schließt eine Kurzfassung des Rangstreits und der Jüngerbelehrung über das „Dienen“ an. Ähnlich wie in der zweiten Ankündigung klingen hier Themen und Motive erstmals an, die später ausführlicher behandelt und vertieft werden, namentlich das des Rangstreits unter den Jüngern (VV.33 f.), den Jesus mit dem ersten Aufruf zum Dienen beantwortet (V.35), und das der Gastfreundschaft gegenüber Kindern (VV.36 f.), die zugleich die Bedeutung der Geringen in der Gemeinde illustriert. Der Abschnitt beginnt mit der Ankunft Jesu und der Jünger in Kapharnaum. Dort spielen die Verse 33-50. Die Redeeinleitung in V.38 markiert innerhalb dieses Großabschnitts eine Zäsur, anhand derer sich die analog zu Mk 10,35-45 gebildete Jüngerbelehrung abgrenzen lässt. Die folgenden Überlieferungen verdeutlichen den Aufruf zum Dienen und zur Achtung vor den Kleinen. Durch Wiederholung einzelner Worte und Satzstrukturen sind sie untereinander und mit VV.33-37 verknüpft. Im einzelnen sind dies: eine Episode um einen Exorzisten, der in Jesu Namen wirkt, ohne jedoch zur Gruppe der Jünger zu gehören (VV.38-40); eine Verheißung an diejenigen, die den Jüngern einen Becher Wasser zu trinken geben (V.41); eine Spruchreihe über das Skandalon (VV.42-48) sowie zwei Sprüche zum Thema „Feuer“ und „Salz“ (VV.49 f.). Die abschliessende Mahnung an die Jünger, untereinander Frieden zu halten (V.50c), führt zum Thema des Rangstreits zurück, so dass eine „literarische Klammer“ um die Verse 33-50 entsteht.1 Die Reihung der Sprüche durch Stichwortverbindungen und sich wiederholende Satzelemente stellt sich wie folgt dar:2 1 2

Beutler, Weg, 44. Vgl. zum Schaubild v. Wahlde, Mark 9:33-50, 51. Zu den Stichwortverbindungen von VV.42-50 vgl. auch Gnilka, Markus 2, 63.

Kontextanalyse

286  37 39 40 41 42 43 45 47-48 49 50a 50b 50c



GKVKLSGNGKRTYVQLGKPCK Q=LC P... FGZJVCK... GXRKVY^QXPQOCVKOQW Q=LC P…FeEJVCK… Q=L... RQKJUGKFWPCOKP... GXRKVY^QXPQOCVKOQW Q=L… QWXMGUVKP Q=LC P RQVKUJ^... GXPQXPQOCVKQ=VK&TKUVQWGXUVG Q=LC P UMCPFCNKUJ^… MCNQPGXUVKP GXCP UMCPFCNK\J^... MCNQPGXUVKP... VQRWT GXCP UMCPFCNK\J^... MCNQPGXUVKP GXCP UMCPFCNK\J^... MCNQPGXUVKP... VQRWT RWTK CBNKUSJUGVCK MCNQP   VQC=NCL GXCPFG      VQC=NCLCPCNQPIGPJVCK C=NC

Die Verse 33-35 weisen keine Stichwortverbindung oder parallele Satzelemente mit dem Folgenden auf. Inhaltlich bilden sie jedoch eine Inklusion mit der Aufforderung zum Frieden im letzten Halbvers. Wie die Anfangsverse dürfte daher auch V.50c redaktioneller Herkunft sein. Die Zeichenhandlung in V.36 ist ebenfalls von Markus gebildet (GKXLVQOGUQP vgl. 3,3; GXPCIMCNKUCOGPQL vgl. 10,15). Was die Herkunft der übrigen Stoffe betrifft, so finden sich großenteils Parallelüberlieferungen in der Logienquelle. Der Botenspruch in Mk 9,37 hat eine Parallele in QLk 10,16 und Joh 13,20. Der letzte Satz der Episode vom fremden Exorzisten „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ (V.40) ist die Umkehrung des Q-Spruches, der bei Lk 11,23 par die Verteidigungsrede Jesu gegen den Beelzebul-Vorwurf abschließt.3 V.41 dürfte dem Evangelisten ebenfalls vorgelegen haben. Das griechische Wort OKUSQL kommt im Markusevangelium nur an dieser Stelle vor, begegnet – wie hier verbunden mit der Erwartung himmlischen „Lohnes“ – jedoch häufig in der Bergpredigt (Mt 5,12.46; 6,1.2.5.16) bzw. Feldrede (Lk 6,23.35). Auch V.42 begegnet in ähnlicher Form bei beiden Seitenreferenten, wo der Vers jeweils mit einem Spruch von der Notwendigkeit bzw. Unumgänglichkeit der Skandaloi verknüpft ist (vgl. Lk 17,1 f.; Mt 18,6 f.). Dies könnte auf eine weitere Parallelüberlieferung zur Logienquelle hinweisen. Die Spruchreihe VV.43.45.47 dürfte aufgrund ihrer „durchgehenden Gleichgestaltung“ ebenfalls traditionell sein.4 Eine ähnliche Reihe fand sich möglicherweise wiederum in Q, wie die zweigliedrige Parallelüberlieferung in Mt 5,29 f. vermuten lässt.5 Das gegenüber der durchgehenden Struktur der Dreierreihe 3

4 5

Vermutlich hat Markus die gesamte Szene in ähnlicher Form bereits vorgefunden. Nach Gnilka handelt es sich um eine alte palästinische Gemeindetradition; vgl. Markus 2, 5961. Beutler, Weg, 47. Matthäus gleicht die Markus-Parallele dieser zweigliedrigen Fassung an (18,8 f.).

Kontextanalyse

287

überschießende Jesaja-Wort in V.48 könnte vom Redaktor stammen, der diesen Propheten des öfteren zitiert. Zu guter Letzt steht auch der Spruch vom Verlust der Würzkraft des Salzes in Q (V.50b vgl. Lk 14,34 f.; Mt 5,13). Die einleitende Bemerkung „Gut ist das Salz“ (V.50a), die an die vorhergehende Dreierspruchreihe anschließt, MCNQP im Unterschied dazu jedoch nicht im Komparativ gebraucht, ist vermutlich redaktionell. Die Aufforderung zum Frieden (V.50c), die zum Anfang des Abschnitts zurückführt, hat der Redaktor durch das Stichwort C=NC an den Q-Spruch in 50b angeschlossen. Auch die Verbindung von Feuer und Salz in V.49 dürfte auf den Evangelisten zurückgehen.6 Insgesamt weisen die Stichwortverbindungen damit zum Teil auf bereits vorliegende Sammlungen, zum Teil aber auch auf die Tätigkeit des Redaktors, der die einzelnen Überlieferungen miteinander verknüpfte.7 Durch die Rahmung stellt er die verschiedenen Traditionen in den neuen, gemeinsamen Sinnzusammenhang des Dienens an den „Kleinen“. Im folgenden legen wir die Verse 33-50 der Reihe nach aus, wobei wir aufgrund der Zäsur in V.38 in zwei Abschnitte unterteilen.

10.2

Auslegung

10.2.1 Der erste Rangstreit und die erste Belehrung vom Dienen (Mk 9,33-37) Zu Beginn der Belehrung trifft Jesus in Kapharnaum ein und geht dort in „das Haus“ (V.33). Die Rahmenbemerkung trägt deutlich redaktionelle Züge. Kapharnaum ist als Ort bekannt, an dem Jesus sich seit Beginn des Evangeliums öfter aufhält.8 Das „Haus“ fungiert im Markusevangelium als Symbol des „Forum Internum“, wo die Jüngerbelehrungen stattzufinden pflegen (vgl. 3,20; 7,17; 9,28.33; 10,10). Dort angekommen, fragt Jesus nach dem Weggespräch der Jünger. GXRGTYVCY ist ein markinisches Vorzugswort.9 Ähnlich wie an unserer Stelle fragt Jesus bereits Mk 8,17 im Anschluss an die zweite Brotvermehrung nach einem Gespräch (FKCNQIK\GKP vgl. 9,33) der Jünger untereinander.10 Das 6 7

8 9

10

Vgl. Gnilka, Markus 2, 63. V. Wahlde, Mark 9:33-50, 62; Beutler, Weg, 46 verweisen auf das nachgestellte ICT als markinisches Sprachmerkmal. Dagegen deutet v. Wahlde die Stichwortverbindungen als Indiz für eine größere, als ganze bereits mündlich überlieferte Sammlung, die von Markus lediglich überarbeitet und mit Einleitung und Schluss versehen worden sei (Mark 9:33-50, 65 f.). Vgl. 1,21.29; 2,1.15 sowie S.39, A.3. Es erscheint bei Markus 25mal gegenüber 17 Belegen bei Lukas (davon 6 in Abhängigkeit von der Markus-Vorlage) und 7 Belegen bei Matthäus (davon 4 in Abhängigkeit von Markus). Die drei Vergleichsstellen nennt Beutler, Weg, 46. Mk 8,17 steht allerdings nicht GXRGTYVCP, sondern NGIGKP.

288

Kontextanalyse

Personalpronomen CWXVQWL bezieht sich zurück auf die Jünger, die zwei Verse zuvor als Adressaten der zweiten Leidensankündigung genannt werden. Sie bildet die Kontrastfolie, vor der sich das im folgenden berichtete Missverhalten der Jünger besonders abhebt. Ausdrücklich verweist der Redaktor zudem auf den „Weg“ nach Jerusalem und ins Leiden, der für die Jünger eigentlich der Weg der Nachfolge, d.h. auch, des Dienens, sein sollte. Diese Angabe wird im folgenden Vers (34) nochmals aufgenommen, der Kontrast zum dort geschilderten Rangstreit somit verstärkt. Ein Kommentar des allwissenden Erzählers offenbart das Gesprächsthema der Jünger: „Sie hatten darüber gesprochen, wer größer (OGK\YP) sei.“11 Der Komparativ von OGICL nimmt Mk 10,43 auf. Das Wort bezieht sich auch hier auf die soziale Rangordnung.12 Wie Mk 10,42 ruft Jesus die „Zwölf“ zu sich (V.35).13 Zuvor hatte er sich seiner Position als Lehrer entsprechend gesetzt,14 was der folgenden Belehrung zusätzlichen Nachdruck verleiht. Diese hat der Redaktor auf einen einzigen Satz reduziert. Dem eingliedrigen konditionalen Relativsatz, mit dem sich Jesus an denjenigen richtet, der „Erster (RTYVQL) sein will“, steht in der zweiten Vershälfte eine doppelte Aufforderung gegenüber. Das „Diener-Sein“ steht bereits in Mk 10,43 als Gegenüber zum Wunsch nach Größe. An die Stelle des „Sklaven“ aus Mk 10,44 tritt hier der „Letzte“ (GUECVQL), den der Redaktor vermutlich aus Mk 10,31 vorgezogen hat. An der Aussage des Spruches verändert sich dadurch nichts, stellt doch der Sklave genau die unterste, „letzte“ Stufe der sozialen Rangordnung dar. Ein doppeltes RCPVYP in der zweiten Vershälfte ersetzt das WBOKP [FKCMQPQL] aus Mk 10,43. Dadurch radikalisiert der Redaktor den Spruch und weitet dessen Geltungsbereich über den Jüngerkreis hinaus aus.15 Entsprechend fehlt im ersten Glied das GXPWBOKP „unter euch“, das in Mk 10,43 f. das Streben nach sozialer Größe und Vorrangstellung auf die Jüngergemeinde bezieht. Den Aufruf zu Dienst und Demut verdeutlicht Jesus durch eine Zeichenhandlung: „Er nahm ein Kind, stellte es in ihre Mitte und umarmte es“ (V.36). Die Vokabel RCKFKQP bezeichnet das Kind in seiner sozialen Rolle. Sie ist verwandt mit dem Wort RCKL, das sowohl „Knabe“ und „Sohn“ als auch „Diener“,

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OGK\YP wird auch superlativisch übersetzt; vgl. Gnilka, Markus 2, 56 sowie die Einheitsübersetzung. Vgl. S.260. Die vom Redaktor analog zu Mk 8,34 und 10,42 gebildete Einleitung (vgl. als markinische Sprachmerkmale das „Herbeirufen“ und die „Zwölf“) ergibt eine Doppelung zu der Szenenangabe in V.33. Vgl. Gnilka, Markus 2, 56; Eckey, Markusevangelium, 250. Gegen Stegemann, der das RCPVYP auf „alle zur christlichen Gemeinschaft Gehörenden“ bezieht (Kinder, 138).

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„Knecht“ oder „Sklave“ bedeuten kann.16 Beide, Kind und Sklave, nehmen in der sozialen Rangordnung die untersten Plätze ein. Aus philosophischer Sicht gelten Kinder noch nicht als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft, sondern müssen erst dazu erzogen werden.17 Auch nach jüdischem Verständnis waren Kinder keine vollwertigen Mitglieder der Gesellschaft, waren sie doch „des Gesetzes unkundig“ und hatten noch „keine Verdienste in der Thora und vor Gott“ vorzuweisen.18 Entgegen der späteren Auslegung, die seit den Kirchenvätern Kinder oft als Bild der Unschuld und Bescheidenheit idealisiert,19 dürfte das Kind hier vor allem in seiner gesellschaftlichen Position gemeint sein und insofern auch die größere Gruppe der Unterprivilegierten repräsentieren. „Kinderromantik ist der gesamten Antike fern.“20 In der schwierigen Situation der palästinischen Landbevölkerung war schon die Ernährung kleiner Kinder ein ernstes Problem. „Viele von ihnen werden eher noch als ihre Eltern dem Hunger zum Opfer gefallen sein.“21 Arme Familien, zumal Kleinbauern, waren auf die Mitarbeit der Kinder angewiesen. Von früher Kindheit an mussten sie in der Landwirtschaft oder im Haushalt helfen oder wurden von den Eltern zum Arbeiten in fremde Haushalte oder Handwerksbetriebe gegeben.22 Wie den Sklaven und Dienern fielen ihnen die niederen Arbeiten zu; so das Bedienen bei Tisch und die Versorgung der Familie und der Gäste insgesamt. Sie mussten den Ankommenden die Sandalen und Schuhriemen lösen und die Füße waschen.23

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Dem gegenüber bezeichnet VGMPQP das Kind in seiner familiären Zugehörigkeit (vgl. Ebner, Kinder, 14; Bauer, Kleine, I). Vgl. Débergé, Niños, 158; 146 mit Verweis auf Lukian Anacharsis 20; Plat leg VII 808 de. Gnilka, Markus 2, 81. Vgl. ebd., 57 mit Verweis auf Jes 3,4; Weish 12,24; 15,14; 1 Kön 2,23 f.; Sir 30,1-13; Débergé, Niños, 146 f. mit Verweis auf Jos Contra Apionem 1,60 und Beispielen aus der rabbinischen Literatur; Stegemann., Kinder, 118 f. mit Verweis auf Gal 4,12; 1 Kor 3,17; 14,20. Vgl. Débergé, Niños, 142 f. mit Verweis auf Herm Sim 9,29,1; Hier In Mt PL 26, 128; Chrys hom 58 (59) In Mt PG 7, 568 f.; Leo d. Gr. Ser 37,3 PL 54, 258 f.; Aug Enar in Ps XLIV,1. PL 36, 494; Gnilka, Markus 2, 58 mit Verweis auf J.Calvin, Auslegung der Hl. Schrift. Evangelien-Harmonie, übs. von H. Stadtland-Neumann und G. Vogelbusch, 2 Bde., Neukirchen-Vluyn 1966; 1974; hier: Bd. 2, 91; Erasmus, In Evangelium Marci Paraphrasis, in: Desiderii Erasmi Opera omnia (Nachdruck Hildesheim 1962), Bd. 7, 7272, hier: 129. Ebner, Kinder, 15. Stegemann, Kinder, 124 f. Vgl. Ebner, Kinder, 15; zur Mitarbeit im elterlichen Betrieb auch Stegemann, Kinder, 124 mit Verweis auf Mkidd 4,14. Vgl. Eltrop, Kinderspiel, 17 mit Verweis auf Lk 22,24-27. Das Kind in Mk 9,35-37 sieht sie „als Beispiel für einen Diener/FKCMQPQL“.

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Entsprechend ihrer sozialen Stellung werden die Kinder in Mk 7,27 f. gleich nach den Hündchen genannt.24 Auch sonst zeichnet die Bibel ein realistisches Bild von der Rolle des Kindes: Rahel (vgl. Gen 29,1 ff.) und David (vgl. 1 Sam 16,11) hüten die Tiere ihres Vaters. Nach Mt 21,28-31 sind die Söhne zur Arbeit im väterlichen Weinberg verpflichtet. Dass der ältere Sohn den Vater mit Kyrios „Herr“ anredet (V.29), spiegelt die patriarchalen Strukturen, in denen sich die Kinder dem Pater familias selbstverständlich unterzuordnen hatten. Nach Cicero (Planc 12,29) hatten Kinder ihren Vater gar wie einen Gott zu verehren. Die patria potestas eines römischen Familienoberhauptes ging so weit, dass er über Leben und Tod der Kinder entscheiden konnte. Nicht wenige vor allem nachgeborene Kinder wurden auf Befehl des Pater familias ausgesetzt oder gleich nach der Geburt getötet,25 und das auch in wohlhabenden Familien: „Man wollte nicht auf sein üppiges Leben verzichten und dem Erstgeborenen das Erbe ungeschmälert hinterlassen können.“26 Mädchen und illegitime Kinder waren von dieser Praxis besonders betroffen.27 „Ausgesetzte Kinder – sofern sie nicht umkamen – wurden häufig zu Objekten brutaler Ausbeutung – etwa als Sklaven oder zur gewerbsmäßigen Prostitution aufgezogen. Viele von ihnen wurden verstümmelt und zum Betteln benutzt.“28 Von spielenden Kindern ist im Neuen Testament nur Lk 7,31-35 par die Rede. Jedoch werden die Kinder auch hier keineswegs idealisiert: Sie streiten; eine Gruppe verweigert sich dem Spiel der anderen. Die Vollmacht des jüdischen Vaters ging nicht so weit wie die des römischen Pater familias.29 Kinder verschuldeter Familien konnten jedoch auch hier in die Sklaverei verpfändet oder verkauft werden (vgl. Mt 18,25). Auf den Skla-

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Stegemann verweist darauf, dass Kinder „auch sonst häufiger zu Tieren in Beziehung gesetzt“ und „häufig neben den Frauen erwähnt“ werden (Kinder, 123). Vgl. Stegemann, Kinder, 121 mit Verweis auf Ov met 9,665 ff.; Apul met 10,23 sowie Weiß – Kroll, Kinderaussetzung. Augustinus berichtet in Civ 4,11 von einem Brauch, nach dem der Hausvater das neugeborene Kind vom Boden aufheben musste, damit es aufgezogen werden durfte (nach Stegemann, ebd.). Stegemann, Kinder, 122 mit Verweis auf Longos IV,25; Suet Aug 65; Ov met 9,665 ff.; am III,4,37; ars I,31 ff.; II,157 f.; Pol XXXVII,11; Prop II,7,7-14; Martial VI,3; IX,11. Zur Aussetzung von Mädchen vgl. Stegemann, Kinder, 121 mit Verweis auf Ov met 9,665 ff.; Stob Ecl 75; Ail var XIII,1; P. Oxy. IV 744; Lukian Hetärengespräche 2; Apollod III,105; Dion Hal 2,15.26 f.; Cass Dio 37,36. Zur Aussetzung illegitimer Kinder vgl. ebd., 122 mit Verweis auf Eur Ion 14 f.; 89 ff.; 1498 ff.; Paus VIII,48,7; Apollod II,146. Stegemann, Kinder, 122 mit Verweis auf Iust Apol I,27 (zu Prostitution und Sklaverei) und Sen contr suas 10,33,316 ff. (zur Verstümmelung der Kinder). Vgl. Stegemann, Kinder, 121; 123 f. mit Verweis auf Tac hist V 5.

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venmärkten gab es „regelrechte Spezialmärkte für den Verkauf von Kindern.“30 Das Schicksal der Kinder, die von Reichen gekauft wurden, um als sogenannte „deliciae“ der Hausherrin zu dienen oder die „conlusores“ (Spielgefährten) der hauseigenen Kinder zu werden, „ist relativ gesehen humaner als das jener Kinder, die in der Arena zur Belustigung der Zuschauer ihr Leben lassen mussten.“31 „Durch die politische und wirtschaftliche Unterdrückung und die zunehmende Verarmung brachen viele Familien auseinander [...], immer mehr Kinder arbeiteten in fremden Haushalten unter fremden Herren und verloren den Schutz und die Vertretung durch ihren eigenen Vater.“32 Wie Mk 3,3 den Mann mit der verkrüppelten Hand stellt Jesus hier das Kind „in die Mitte“. Er verschafft ihm damit eine Aufmerksamkeit, die ihm von seiner unterprivilegierten gesellschaftlichen Stellung her sonst nicht zukommt. Die Umarmung signalisiert, dass er das Kind als ebenbürtiges Gegenüber ernst nimmt.33 Beide Gesten setzen den Lehrsatz, nach dem die wahre Größe auf den unteren Stufen der gesellschaftlichen Rangordnung zu finden ist, szenisch um. Die anschließende Zeichendeutung (V.37) erinnert von der Formulierung her an den Stil des Johannesevangeliums. Tatsächlich findet sich eine Parallele sowohl dort (Joh 13,20) als auch in Q (Lk 10,16 par). Der Satz greift „die Maxime des jüdischen Botenrechtes auf [...], nach der der Gesandte an der Stelle dessen steht, der ihn sendet.“34 Demnach nimmt jede/r, der oder die „ein solches Kind“ aufnimmt, Jesus selbst auf. Wer aber Jesus aufnimmt, nimmt damit wiederum den auf, „der Jesus gesandt hat“, nämlich Gott. Gott identifiziert sich also ebenso wie Jesus mit den Kindern und den Geringsten der Gesellschaft. Sie sind Boten Gottes und seines Reiches. Das Verb FGEQOCK „aufnehmen“ steht im Neuen Testament häufig im Zusammenhang mit der Gastfreundschaft gegenüber christlichen Wanderpredigern und Missionaren (vgl. Mk 6,11; Mt 10,41; Lk 10,8.10; 16,4.9; Joh 4,45; 2 Kor 7,15; Gal 4,14; Kol 4,10).35

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Stegemann, Kinder, 120 mit Verweis auf Plut Numa 17; Cic Caec 98; de or 1,40,181 sowie Ben-David, Talmudische Ökonomie, 70; Günther, Schuldsklaverei; Finley, Schuldknechtschaft (besonders 195). Stegemann, Kinder, 123 mit Verweis auf Iuv IV,122; Cass Dio 72,13; Martial II,75; V,31 sowie Birt, Antike, 134 ff. Zu den „deliciae“ oder „conlusores“ vgl. Stegemann, ebd., 120 f. mit Verweis auf Birt, Antike, 149; 159 ff. Eltrop, Kinderspiel, 17. Scherer verweist auf den griechischen CXURCUOQL als „Geste von Gleichrangigkeit und Vertrautheit“ (Diakonos-Sprüche, 41, A.104 mit Bezug auf Zilliakus, Grußformen, 1210 f.). Die Umarmung ist damit mehr als ein „Ausdruck des Liebeszuwendung“ (Gnilka, Markus 2, 57) oder eine „Liebkosung“ (Haenchen, Weg, 326). So Gnilka, Markus 2, 57 mit Verweis auf Ber 5,5; bQid 41b. Vgl. Débergé, Niños, 156. Auch V.37 dürfte ursprünglich aus diesem Zusammenhang stammen; vgl. Best, Following, 79 f.; Eckey, Markusevangelium, 252.

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„In meinem Namen“ (GXRK VY^ QXPQOCVK OQW) gibt vermutlich dieselbe semitische Wendung wieder wie das häufiger gebrauchte „um meinetwillen“ bzw. „meinetwegen“ (G=PGMGP GXOQW vgl. Mk 8,35; 10,29; 13,9).[36] Die „Namens“Formel begegnet in den folgenden Versen noch dreimal (Mk 9,38.39.41). Mk 9,38 f. geht es um einen Fremden, der „im Namen Jesu“, d. h., unter Anrufung seines Namens, Dämonen austreibt (GXP VY^ QXPQOCVK UQW V.38; GXRK VY^ QXPQOCVK OQW V.39). Mit diesem Sprachgebrauch verwandt sind Mk 13,6, wo Jesus vor selbst ernannten Messiassen warnt, die „in seinem Namen“ (GXRK VY^ QXPQOCVK OQW) auftreten, und das Zitat aus Ps 118 in Mk 11,9, das Jesus als Boten ausweist, der „im Namen des Herrn“ (GXPQXPQOCVKMWTKQW) kommt. „Im Namen von“ ist hier als Botenformel gebraucht. Dasselbe dürfte auch in V.37 der Fall sein. Vom Thema der Gastfreundschaft her kommt unserer Stelle die Verheißung himmlischen Lohnes an die, die den Jüngern „im Namen, weil ihr zu Christus gehört“ (GXPQXPQOCVKQ=VK&TKUVQWGXUVG Mk 9,41) einen Becher Wasser zu trinken geben, am nächsten. Ebenso ist auch das Wort von der Aufnahme Jesu und Gottes als Verheißung an diejenigen zu verstehen, die einem Kind um seiner besonderen Beziehung zu Jesus willen Gastfreundschaft erweisen. Der Aufruf zur Gastfreundschaft an Kindern und Kleinen steht im Gegensatz zu den damaligen gesellschaftlichen Gepflogenheiten, nach denen etwa zu Gastmählern nur solche Leute eingeladen wurden, die die Einladung auch erwidern konnten.37 Die Zeichenhandlung bedeutet damit ebenso eine Umwertung der gesellschaftlichen Rangordnung wie der Aufruf an die Aspiranten auf die ersten Plätze, sich als Diener und Letzte von allen zu verhalten.38 Über die symbolische Bedeutung der Kinder als Vertreter der unteren gesellschaftlichen Schichten hinaus zielt der Aufruf auch konkret auf die Aufnahme von Kindern, die von ihren Eltern nicht versorgt werden konnten.39

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Vgl. Débergé, Niños, 165 f. Trotz des Gleichklangs mit der Apg 2,38 gebrauchten Taufformel besteht keine Verwandtschaft mit unserer Stelle. Der Dativ ist hier zu übersetzen mit „aufgrund meines Namens“, in der Apostelgeschichte ist dagegen die Taufe „auf den Namen“ gemeint. MYNWY ist Mk 9,39 zusammen mit der Formel GXRK VY^ QXPQOCVK OQW auf die Tätigkeit eines fremden Exorzisten „im Namen Jesu“ und die Frage nach dessen Gemeinsamkeit mit Jesus bezogen. Auch die Tatsache, dass in Mk 10,14 das Verb MYNWY erscheint, das in der Apostelgeschichte verschiedentlich in Bezug auf die Taufe steht, ist kein Argument für einen literarischen oder gar inhaltlichen Zusammenhang; vgl. S.310, A.6. Vgl. Venetz, Selig, 398; 406 f.; Janzen, Friede, 123 f. mit Verweis auf Cic off 3,63; 1,22.58. Eine Einladung oder eine andere Wohltat zu vergelten gebot die Ehre; vgl. Cic off 1,48 (nach Janzen, ebd.). Vgl. Débergé, Niños, 163; Bauer, Kleine, II. So Eltrop, Kinderspiel, 18; Stegemann, Kinder, 137.

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10.2.2 Zum Umgang mit den „Kleinen“ (Mk 9,38-50) Eine erneute Redeeinleitung in V.38 markiert das Ende des ersten Teils der Jüngerbelehrung. Mit Johannes tritt ein neuer Protagonist auf den Plan, der ein neues Thema – das des Umgangs mit einem fremden Exorzisten – anschneidet. Formal ist die Szene ein biographisches Apophthegma, in dem eine konkrete Begebenheit aus dem Leben Jesu oder der Jünger den Anlass zu einer Unterweisung gibt. Sie ist ganz ähnlich aufgebaut wie die Verse 33-35: Nach einem Rückblick auf ein Verhalten der Jünger folgt eine Stellungnahme und Belehrung Jesu. So berichtet Johannes zunächst von „jemandem“, der „in Jesu Namen“ Dämonen austreibt. Es war üblich, bei Heilungen oder Exorzismen einen wundertätigen Namen anzurufen.40 Auch die Anhänger Jesu treiben in seinem Namen Dämonen aus (Mk 6,7.13; vgl. Apg 3,6; 9,34; 16,18). Derjenige, der den Namen Jesu jetzt in diesem Sinne gebraucht, gehört jedoch nicht zu ihrem Kreis, weswegen sie „versuchen, ihn daran zu hindern“ (MYNWY).41 Die Formulierung der Gruppenzugehörigkeit mit „uns nachfolgen“ vermittelt den Eindruck, als sähen die Jünger statt Jesus sich selbst als Objekt der Nachfolge. Gegenüber der gerade ergangenen Aufforderung zu Dienst und Gastfreundschaft wirkt ihr Vorgehen arrogant und kleinlich. Mit Johannes ist es wieder einer der „ersten“ drei Jünger, der durch Unverständnis auffällt und zurechtgewiesen werden muss. Die Antwort Jesu ist eine doppelte. Nach Vers 39 „gibt es keinen, der in Jesu Namen ein Wunder täte und ihm schnell fluchen könnte.“ Dieser Spruch ist ein Aufruf zur Großmut. Die Jünger sollen das Positive bei dem Fremden anerkennen, seine Wertschätzung für Jesus, wenn auch „nur“ als eines großen Wundertäters oder Exorzisten.42 In ähnlichem Sinne betrachtet der abschließende Lehrsatz „offenherzig jeden als Sympathisanten, der nicht ausdrücklich als Feind auftritt“:43 „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ (V.40). Wie bereits erwähnt, bezeugt Q exakt das entgegengesetzte Prinzip: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“

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Jüdische Wunderheiler rufen beispielsweise den Namen Salomos an; vgl. Gnilka, Markus 2, 60 mit Verweis auf Bultmann, Geschichte, 238. Das Imperfekt von MYNWY hat konative Bedeutung; vgl. Gnilka, Markus 2, 59 mit Verweis auf BDR § 326. Rienecker deutet es mit Verweis auf Holtzmann, Synoptiker, 154 iterativ. Gnilka, Markus 2, 60 f. nennt als Parallelen u. a. bBB 12b: „Wem man Gutes getan hat, dem tut man nicht so schnell Böses“ sowie die Geschichte von Eldad und Medad (Num 11,24-30), die, obwohl sie nicht dem Ruf des Mose zum Offenbarungszelt gefolgt waren, wie die übrigen Ältesten in prophetische Verzückung gerieten. Mose lehnt die Aufforderung Josuas, sie „daran zu hindern“ (MYNWY V.28 LXX), mit den Worten ab: „Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde.“ Gnilka, Markus 2, 60.

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(Lk 11,23 par).44 Es ist dem Redaktor zuzutrauen, dass er den Spruch umdrehte, wie er auch die gesamte Szene in den Zusammenhang des Aufrufs zu Dienst und Gastfreundschaft (VV.33-37) und Achtung vor den „Kleinen“ (VV.42 ff.; vgl. 36 f.) stellt. Wie das Stichwort „in meinem Namen“ verdeutlicht, haben beide, der Fremde und die Jünger (vgl. Mk 6,7), die Vollmacht zum Exorzismus nicht aus sich selbst. Entscheidend sind denn auch nicht die Jünger und ihr Anspruch, sondern Jesus, der in ihnen wie in dem andern wirkt.45 Damit setzt die Perikope den Aufruf zu Demut und Großherzigkeit aus den vorhergehenden Versen fort. Der Vers 41, eine Verheißung himmlischen „Lohnes“ (OKUSQL) an diejenige, die den Jüngern „einen Becher Wasser zu trinken gibt“, ist nicht zu 38-40 zu rechnen.46 Der Spruch schließt thematisch an den Aufruf zur Gastfreundschaft in V.37 an. Geht es in den Versen 36 f. mit dem Kind um die Gastfreundschaft gegenüber einer scheinbar unbedeutenden Person, so hier um eine scheinbar unbedeutende gastfreundliche Handlung bzw. Gabe, die bei Gott sehr wohl wahrgenommen wird. Diese Geste ist wiederum motiviert durch die Zugehörigkeit des zu Bewirtenden zu Christus, die mit der Namensformel ausgedrückt wird. Wie andere Worte, die diese Formel verwenden (Mk 9,37.38.39; 13,6), hat das Logion einen deutlichen Bezug zur Situation der Wandermissionare. Es erinnert an die Samariterin, die Jesus am Jakobsbrunnen zu trinken gibt (Joh 4), und an Rebekka, die für den Großknecht Abrahams und seine Kamele Wasser schöpft (Gen 24). Gemeint ist somit eine ganz einfache Geste der Gastfreundschaft, die nicht einmal eine Einladung des Reisenden ins Haus voraussetzt. Mit dem Wasserschöpfen ist eine der niederen Arbeiten angesprochen, die in der Regel von Frauen oder Dienern (vgl. Joh 2,1-12) übernommen wurde. Wie andere Verheissungsworte bekommt auch dieses durch die eingeschobene Formel „Amen, ich sage euch“ ein besonderes Gewicht.47 Im Anschluss an die Episode mit dem fremden Exorzisten wird Mk 9,41 „zu einem Beispiel für einen draußen befindlichen Sympathisanten.“48 Gegenüber dem spektakulären Auftreten des Exorzisten gilt „die nachdrückliche Verheißung [...] dem, der den unscheinbaren Dienst tut.“49 Dies ist als Aufruf an die Jünger zu verstehen, anstatt Aufmerksamkeit zu suchen, dem und der anderen im Stillen zu dienen. Mit der Erwähnung der „Kleinen“ kommt der Vers 42 ebenfalls auf das Thema der Rangordnung zurück. Zugleich warnt er wie die folgende Dreier44 45 46

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Nach Gnilka gab es „unterschiedliche Wertungen des Problems in verschiedenen Gemeinden“ (Markus 2, 60 mit Verweis auf Mt 7,22 f. und Apg 19,13-17). Vgl. v. Wahlde, Mark 9:33-50, 56. So v. Wahlde, ebd. gegen Fleddermann, Discipleship, 66; Pesch, Markusevangelium 2, 110. Gnilka erkennt zwar die verschiedene Herkunft der Stoffe (vgl. Markus 2, 59), behandelt die VV.38-41 jedoch zusammen. Zur Amen-Formel vgl. S.195. Gnilka, Markus 2, 61. Ebd.

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spruchreihe vor dem „Skandalon“. Das Wort bezeichnet ursprünglich das Stellholz in einer Falle, mit der Tiere gefangen wurden. Entsprechend bedeutet das zugehörige Verb UMCPFCNK\GKP „eine Falle stellen“, „zu Fall bringen“, „Anstoß“ oder „Ärgernis geben“.50 Bei Markus erscheint es neben unserem und den drei folgenden Versen noch an vier weiteren Stellen. Mk 6,3 beschreibt es die Reaktion auf die Predigt Jesu in seiner Heimatstadt. In heutigem Deutsch würde man sagen, dass die Leute sich an seinem Auftreten „störten“. In ähnlicher Bedeutung steht das Verb Mk 14,27.29 in der Voraussage Jesu, dass die Zwölf anlässlich seiner Kreuzigung und seines Todes „Anstoß nehmen“, d. h., dass ihnen an der Person Jesu und seiner Sendung Zweifel kommen werden. In der Deutung des Sämann-Gleichnisses, einem traditionellen Text,51 bezeichnet UMCPFCNK\GUSCK den Glaubensabfall in der Bedrängnis oder Verfolgung (4,17). Im Unterschied zu den genannten Stellen und auch zu den folgenden Versen geht es in Mk 9,42 nicht um das Anstoß-„Nehmen“, sondern um das Anstoß„Geben“ einem anderen, nämlich „einem von diesen Kleinen, die an mich glauben“ gegenüber. Der Zusatz VYP RKUVGWQPVYP macht deutlich, dass es sich um randständige Gemeindemitglieder handelt. Im Anschluss an den Sprachgebrauch in Mk 4,17 könnte UMCPFCNK\GKP hier die Irreführung der „Kleinen“ meinen, die Verleitung zur Sünde oder gar zum Glaubensabfall.52 Näher liegt es jedoch, den Spruch vor dem Hintergrund des Aufrufs zum Dienen als Warnung zu verstehen, sozial schlechter gestellte Gemeindemitglieder etwa durch Demütigung oder Herablassung zu kränken.53 Indem der Evangelist das Logion vom Ärgernis-Geben der Spruchreihe vom Skandalon voranstellt, bezieht er diese auf eines seiner zentralen Anliegen, die Achtung vor den „Kleinen“. Der „Eselsmühlstein“ (OWNQL QPKMQL), der demjenigen um den Hals gehängt werden soll, der ihnen eine Kränkung zufügt, ist „der obere Stein in größeren Mühlen, der von einem Esel gedreht wurde“.54 Die Härte der Strafe stellt wiederum die Bedeutung der geringsten Gemeindeglieder heraus. Die folgenden drei Verse (43.45.47) schließen mittels Stichwortverbindung mit UMCPFCNK\GKP an V.42 an. Sie bilden eine streng parallel gestaltete Reihe von Mahnworten.55 Ein Konditionalsatz im Realis schildert jeweils eine durch ein Glied des eigenen Körpers ausgelöste Situation des „Anstoßes“. Darauf folgt der Rat, sich des anstößigen Körperteils – genannt sind mit Hand, Fuß und Auge 50 51 52 53 54 55

Vgl. (auch zur ursprünglichen Wortbedeutung) Rienecker z. St. Vgl. Gnilka, Markus 1, 173 f. So Gnilka, Markus 2, 64; v. Wahlde, Mark 9:33-50, 57. Auch die Einheitsübersetzung schreibt „zum Bösen verführen“. So Ebner, Kinder, 16. LSJ führt für UMCPFCNK\GKP u. a. die Bedeutung “to give offence” auf, zu Deutsch „kränken“, „beleidigen“. Stier übersetzt mit „Ärgernis geben“. Gnilka, Markus 2, 64; vgl. Rienecker. Zur Form des Mahnworts vgl. Gnilka, Markus 2, 63 f. mit Verweis auf Bultmann, Geschichte, 81.

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immerhin paarweise gegebene Glieder56 – zu entledigen, denn: „Es ist besser für dich, verstümmelt, lahm oder einäugig in das Leben zu kommen als mit zwei Händen, Füßen und Augen in die Gehenna.“ UMCPFCNK\GKP meint in den traditionellen Sprüchen vermutlich den Anstoß zum bösen Handeln aufgrund der eigenen Gier, des Strebens nach materiellem Reichtum. Der drakonische Rat zur Selbstverstümmelung setzt „die jüdische Vorstellung voraus [...], nach der die menschlichen Triebe in den Organen sitzen.“ Das Alte Testament spricht von stolzen, unersättlichen Augen (Spr 6,17; 21,4; 27,20), von Händen, die unschuldiges Blut vergießen (Spr 6,17; Jes 1,15; 59,3) und von Füßen, „die schnell dem Bösen nachlaufen“ (Spr 6,18).57 Im markinischen Kontext steht die Spruchreihe im Dienst des Aufrufes zur Achtung vor den „Kleinen“. Die drastischen Bilder und die dreifache Wiederholung schärfen die Bedeutung der „Kleinen“ in der Gemeinde und die Verpflichtung zu Dienst und Demut ein. Dem „Leben“ (\YJ), das hier das zukünftige, „ewige“ Leben meint (vgl. Mk 10,17.30),58 ist die „Gehenna“ als Bild für den ewigen Tod gegenübergestellt. Das Wort leitet sich ab vom Ben-HinnomTal südlich des alten Jerusalem, wo zur Zeit der judäischen Könige Kinder als Opfer für den Gott Moloch verbrannt wurden (vgl. 2 Kön 16,3; 17,17; 21,6; 23,10). Deswegen verfluchte es der Prophet Jeremia (7,31 f.; 19,5 f.). Seit dem Frühjudentum gilt das Tal als Ort des göttlichen Strafgerichts (vgl. äth Hen 27,1; 54,1 f.; Ass Mos 10,19; Apk Bar (syr) 59,10; 4 Esr 7,7).59 In Übereinstimmung mit der Vorgeschichte des Tals als Kultort für den Moloch spricht V.43 von der Gehenna als nie verlöschendem Feuer. Im Anschluss an die Androhung der Gehenna in V.47 zitiert V.48 den letzten Vers des Jesajabuches (Jes 66,24), der sich dort bereits „auf das Gericht im Hinnomtal bezieht.“60 Der Wurm als Symbol der Verwesung und das Feuer als Sinnbild der Vernichtung sind bei Tritojesaja als ewiger Zustand geschildert. Beide werden im Judentum zur gängigen Vorstellung im Zusammenhang mit dem Gericht, dem ewigen Tod (vgl. Sir 7,17; Jdt 16,17).61 Der Vers 49 „Jeder wird mit Feuer gesalzen werden“ greift das Stichwort RWT wieder auf. Durch nachgestelltes ICT ist er auf das Vorhergehende bezogen. Vermutlich handelt es sich um eine Anspielung auf die Vorschrift, jede Opfergabe zu salzen: RCPFYTQPSWUKCLWBBOYPCBNKCBNKUSJUGVCK (Lev 2,13 LXX).62 Im Zusammenhang mit der Warnung vor dem Skandalon, dem Zu-Fall-Kommen 56 57 58 59 60 61 62

Darauf weist Beutler, Weg, 46 hin. Vgl. Gnilka, Markus 2, 65; Zitat: ebd. Zu den Vokabeln für „Leben“ im Markusevangelium vgl. S.188. Vgl. Gnilka, Markus 2, 65; v. Wahlde, Mark 9:33-50, 62 f. Gnilka, ebd. Vgl. Gnilka, Markus 2, 65 f. Vgl. Gnilka, Markus 2, 66; v. Wahlde, Mark 9:33-50, 62; Beutler, Weg, 46.

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durch gottloses Handeln, könnte der Vers auf die reinigende Wirkung Bezug nehmen, die sowohl dem Salz (vgl. 2 Kön 2,20; Ez 16,4) als auch dem Feuer (vgl. Num 31,22 f.) zugesprochen wird. Der Vers ist dann ein Aufruf an die Jünger bzw. die spätere Gemeinde, sich und insbesondere ihr Handeln gegenüber den „Kleinen“ zu prüfen, damit sie von Gott wie eine wohlgefällige Opfergabe angenommen werden.63 Das neue Stichwort „Salz“ stellt die Verbindung zu V.50 her. Dieser Vers greift ein traditionelles Wort auf: „Wenn aber das Salz salzlos wird, womit wollt ihr es würzen?“ Ebenso wie die Einleitung „Gut ist das Salz“ (MCNQPVQ C=NCL), deren Formulierung auf die vorhergehende Dreierspruchkette (MCNQPGUVKPUG...) Bezug nimmt, ist auch dieses Logion ein Allgemeinplatz, der die Wichtigkeit des Salzes oder dessen, was es in dieser Rede symbolisiert, herausstellt. Das Salz hatte in der Antike vielfältige Bedeutung. Neben seiner reinigenden Wirkung würzte es Speisen und bewahrte sie vor Fäulnis. Es war Zeichen der Freundschaft und Unterpfand eines Bundes (vgl. Lev 2,13; Num 18,19; 2 Chr 13,5). Bei den Griechen galt es als Symbol der Gastfreundschaft.64 Der Aufruf „Habt Salz in euch“ ist mit MCK parallel gesetzt zu dem leichter verständlichen Aufruf zum Frieden, der zum Anfang und Thema des ganzen Abschnitts zurückführt. Am nächstliegenden scheint es, das Salz im Anschluss an den vorherigen Vers als den „Geist der Unterscheidung“ zu deuten, moderner gesagt, die Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbstkritik.65 Diese bezieht sich insbesondere auf das eigene Verhalten gegenüber den „Kleinen“.

63

64 65

Eine andere Möglichkeit der Deutung ist, „den Vers 49 noch zur Ankündigung der Strafe zu rechnen: das ‚jeder’ bezieht sich dann auf den Missetäter, das ‚Gesalzenwerden’ [...] ebenso wie das Feuer [...] verweist auf die Auswirkung der göttlichen Strafhandlung“ (Beutler, Weg, 46 mit Bezug auf v. Wahlde, Mark 9:33-50, 63). Allerdings bleibt fraglich, warum der Evangelist von „jedem“ (RCL) spricht, wenn er in Wahrheit nur den zu Richtenden meint, oder ob die Formulierung als Angleichung an die Vorlage (RCPFYTQPSWUKCL) ausreichend zu erklären ist. Vgl. Gnilka, Markus 2, 66; v. Wahlde, Mark 9:33-50, 60 mit Verweis auf Hauck, C=NCL. Vgl. auch v. Wahlde, Mark 9:33-50, 65.

Kontextanalyse

298

10.3

Fazit

Die Jüngerbelehrung, die der zweiten Ankündigung von Leiden und Auferstehung folgt, ist im Kern ähnlich knapp gehalten wie diese. Am Beginn steht ein Rückblick auf einen Streit der Jünger auf dem Weg, „wer größer sei“ (VV.33 f.). Jesus antwortet mit einer Ermahnung ähnlich Mk 10,43 f., in der dem „Ersten“, vermutlich in Anlehnung an Mk 10,31, neben dem „Diener“ der „Letzte“ gegenübergestellt ist (V.35). Das Thema des Dienens begegnet hier im Markusevangelium zum ersten Mal. Der Aufruf wird illustriert mit einer Zeichenhandlung und anschließender Deutung, in der Jesus zur Gastfreundschaft gegenüber Kindern auffordert. Die Kinder sind in ihrer sozialen Rolle angesprochen und stehen damit auch für die Geringen der Gesellschaft. An den Kern der Jüngerbelehrung schließt eine längere Rede Jesu an, die durch Stichwortverbindungen und parallele Satzkonstruktionen in sich und mit dem Vorhergehenden verknüpft ist. Der Evangelist hat hier verschiedene Traditionen versammelt und unter das Thema des Dienens und der Achtung vor den Kleinen gestellt. Eine Episode mit einem Fremden, der im Namen Jesu Dämonen austreibt (VV.38-40), mahnt zu Zurückhaltung und Demut auch gegenüber Außenstehenden. Die Verheißung an diejenige, die den Jüngern auf der Wanderschaft „auch nur ein Glas Wasser zu trinken gibt“ (V.41), kommt auf das Thema der Gastfreundschaft zurück und ruft zu ganz einfachen Handlungen des Dienens auf. Drei drastische Mahnworte, die in dem Aufruf gipfeln, sich lieber selbst zu verstümmeln, als sich zum Bösen verleiten zu lassen (VV.43-48), werden durch den vorangestellten Spruch über das Ärgernis-Geben (V.42) auf das Anliegen des Evangelisten bezogen: Den „Kleinen“ darf aufgrund ihrer sozialen Stellung keine Kränkung zugefügt werden. Abschließend rufen Bildworte von Feuer und Salz zur stetigen Überprüfung des eigenen Handelns auf (VV.49 f.). Feuer und Salz stehen für die reinigende Wirkung der Selbstkritik. Der letzte Halbvers führt mit einem Aufruf zum Frieden zum Ausgangspunkt, dem Rangstreit unter den Jüngern, zurück.

11.

Die Frage nach der Ehescheidung (Mk 10,1-12)

11.1

Kontext und Form, Aufbau und Herkunft

Auf die Aufforderung zum Frieden folgen drei Szenen (10,1-12.13-16.17-31), die den Aufruf zum Dienen und zur Rücksicht auf die „Kleinen“ anhand weiterer Situationen aus dem Gemeindealltag erläutern. Formal sind alle drei biographische Apophthegmata. Dies könnte vermuten lassen, dass der Evangelist eine ältere katechetische Sammlung aufnahm.1 Die erste Perikope gliedert sich durch einen Orts- und Personenwechsel in V.10 in ein Wechselgespräch Jesu mit den Pharisäern (VV.2-9) und eine Belehrung an den Jüngerkreis (VV.10-12). Das Thema wird durch die Frage der Pharisäer in V.2 angegeben: „Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen?“ Das Gespräch mit den Pharisäern hat die Form eines Apophthegmas aus Auftreten und Frage der Gegner (V.2), Gegenfrage Jesu (V.3), Antwort der Gegner (V.4) und abschließender Antwort Jesu (VV.5-9). Letztere lässt sich wiederum unterteilen in eine Anklage der Hartherzigkeit der Pharisäer (V.5), einen Schriftbeweis (VV.6-8) und eine Abschlusssentenz (V.9).2 Daran schließt sich in VV.10-12 eine Unterweisung an die Jünger an. Die Argumentationsstruktur stellt sich damit wie folgt dar:3 V.2 VV.3-5

Frage nach der Ehescheidung Diskussion um Dt 24,1

Thema: trennen durch den Menschen

VV.6-8

Thema: göttliches Zusammenfügen

V.9

Argumentation mit Hilfe von Schriftzitaten aus der Genesis (1,27; 2,24) Schlussfolgerung

VV.11 f.

Ehescheidung als Verletzung des 6. Gebotes

Die Jüngerbelehrung in VV.10-12 dürfte eine eigenständige Überlieferung sein. Der V.11 hat eine Parallele in QLk 16,18 par. Auch das Lehrgespräch in VV.2-9 hat der Evangelist aus seiner Tradition übernommen.4 Die in sich schlüssige 1

2 3 4

So Kuhn, Sammlungen, 36-38; 168-191, nach dessen Rekonstruktion die vormarkinische Sammlung Mk 10,2-12.17-27.35-45 umfasste. Grundmann, Markus, 208 vermutet hinter den Episoden vom reichen Mann und von der Kindersegnung (Mk 10,13-27) eine Sammlung zum Thema des Eingehens in das Reich Gottes. Zur Dreiteilung der Antwort Jesu vgl. Fander, Stellung, 91. Vgl. Fander, Stellung, 89 f. Vgl. u. a. Gnilka, Markus 2, 70; Fander, Stellung, 103.

Kontextanalyse

300

Argumentation lässt vermuten, dass Markus die beiden Traditionen bereits verbunden vorfand. VV.11 f. können „als Abschluss des Streitgesprächs verstanden werden.“5 Die Überleitung in V.1 und die Situierung der Jüngerbelehrung im Haus (V.10a) dürfte auf markinische Redaktion zurückgehen.6 Ansonsten überliefert der Evangelist den Text ohne große Eingriffe.

11.2

Auslegung

11.2.1 Der Übergang (V.1) V.1, ein „Sammelbericht mit Überleitungsfunktion“,7 gehört streng genommen nicht zur Belehrung über die Ehe. Er setzt sich zusammen aus einer geographischen Notiz und einem Lehrsummarium. GXMGKSGP „von dort“, eine bei Markus beliebte Vokabel (vgl. 6,1.10.11; 7,24; 9,30), bezieht sich zurück auf die letzte Ortsangabe in der Einleitung zur Belehrung vom Dienen, wo Jesus in Kapharnaum ankam (9,33). Von dort bricht Jesus nun auf (CXPCUVCL) und geht „in das Gebiet von Judäa jenseits des Jordan“. Die Routenbeschreibung ist schwer zuzuordnen und führte zu Textabweichungen.8 Die Ortsangaben 8,QWFCKC und RGTCP VQW 8,QTFCPQW begegnen bereits in dem Sammelbericht Mk 3,7 f., das „Aufbrechen“ (CXPKUVJOK) in den ebenfalls redaktionellen Rahmennotizen Mk 1,35 und Mk 7,24. Wichtig für den Evangelisten ist nach dem Herumziehen durch Galiläa (9,30) die größere Nähe zu Jerusalem, das in Mk 10,32 erstmals als Ziel des Weges genannt wurde.9 Das Summarium zeigt Jesus einmal mehr bei der Lehre (FKFCUMGKP), „wie er es gewohnt war“ (GKXYSGK). RCNKP „wiederum“, ebenfalls ein Vorzugswort des Markus, verstärkt dieses Bild. Es wird hier gleich ein weiteres Mal zur Einführung der Volksmassen (QENQK) gebraucht, die erstmals seit der Heilung des besessenen Jungen „wieder“ bei Jesus zusammenlaufen.10 Neben den Rückverweisen und der Ortsangabe, die nur aus dem Gesamtkontext des Evangeliums verständlich wird, verraten also typische Vokabeln wie GXMGKSGP, CXPCUVCL, RCNKPund FKFCUMGKP die Hand des Markus.

5 6 7 8

9 10

Fander, Stellung, 91. Vgl. u. sowie S.305. Fander, Stellung, 86; vgl. auch Gnilka, Markus 2, 70. Peräa, das transjordanische Gebiet auf der Höhe von Juda, gehört zur Zeit Jesu verwaltungspolitisch nicht zur römischen Provinz Judäa, sondern zur Tetrarchie des Antipas. Eine Reihe von Zeugen lesen daher „in das Gebiet von Judäa und jenseits des Jordan“ (so auch die Einheitsübersetzung); Koine, A und syh „in das Gebiet von Judäa durch das Gebiet jenseits des Jordan“. Vgl. auch Gnilka, Markus 2, 71. Vgl. Fander, Stellung, 86; 108; Gnilka, Markus 2, 70; Beutler, Weg, 49. Vgl. Mk 9,14.15.17.25; dort allerdings im Singular.

Kontextanalyse

301

11.2.2 Das Gespräch mit den Pharisäern (VV.2-9) Das Erscheinen der Pharisäer in V.2 leitet das Streitgespräch ein. Ihre Frage an Jesus gibt der Autor in indirekter Rede wieder: „Ob es einem Mann erlaubt sei, [seine] Frau zu entlassen“. Das Verb CXRQNWGKP ist Terminus Technicus für die Scheidung.11 Wie beim letzten Auftritt der Pharisäer erläutert auch hier ein nachgeschobener Autorenkommentar, dass sie Jesus „auf die Probe stellen“ (RGKTC\QPVGLCWVQP vgl. Mk 8,11). Dasselbe Verb steht bereits ganz am Beginn des Evangeliums in Bezug auf den Satan (1,13) – ein versteckter Hinweis auf den wahren Charakter der Pharisäer. Worin die Versuchung hier besteht, wird jedoch nicht ganz deutlich.12 Vermutlich handelt es sich um eine nachträgliche redaktionelle Einfügung, die das traditionelle Lehrgespräch ins Gesamt des Evangeliums einbindet. Auf die Gegenfrage „Was hat Euch Mose geboten?“ (V.3) verweisen die Pharisäer auf Dt 24,1-4, die zu dieser Zeit „akzeptierte Textgrundlage für die jüdische Scheidungspraxis“:13 „Mose hat erlaubt, einen Scheidebrief (DKDNKQP CXRQUVCUKQW) zu schreiben und [sie] fortzuschicken.“ (V.4) Dt 24,1-4 ist in der hebräischen Bibel ein Verbot an den Mann, die eigene geschiedene Ehefrau ein zweites Mal zu heiraten, wenn sie zwischenzeitlich mit einem anderen Mann verheiratet war. Dem Zitat in V.4 liegt die Übersetzung der Septuaginta zugrunde, wo aus dem Text bereits „eine Anweisung für eine juristisch einwandfreie Scheidung“ wird.14 Ebenso versteht auch Josephus die Stelle (Ant 4,8,23). Die Regelung des Scheidebriefs wurde von den Juden zu Recht „als Vorzug gegenüber anderen Völkern gewertet.“15 „Der Scheidebrief hatte schließlich die Bedeutung, der geschiedenen Frau gewisse finanzielle Zukunftsperspektiven zu sichern und ihr das Recht zu garantieren, dass sie eine neue Ehe eingehen darf.“16 In der Regel wurde der Frau im Fall der Scheidung eine Zahlung in Höhe ihrer Mitgift oder ein vertraglich festgelegtes Scheidungsgeld (ketubba) ausgezahlt, außer wenn man ihr Ehebruch nachweisen konnte.17 Nach deuteronomistischem Recht konnte der Mann die Frau überhaupt nur entlassen, wenn

11 12

13 14 15 16 17

Gnilka, Markus 2, 71 verweist dazu auf 1 Esr 9,36 LXX. Laut Gnilka soll Jesus wie Mk 12,15 „zum Widerspruch gegen das Gesetz herausgefordert werden“ (Markus 2, 71): „Verneinte Jesus ihre Frage, konnten sie ihn des Gesetzbruches zeihen, bejahte er sie, konnten sie behaupten, er sei [...] ein Kuppler“ (ebd., 78 mit Verweis auf Theophylakt und Calvin). Beutler, Weg, 50. Fander, Stellung, 94. Gnilka, Markus 2, 77. Schottroff, Frauen, 105; vgl. Gnilka, Markus 2, 76. Vgl. Gnilka, Markus 2, 77; Fander, Stellung, 214 mit Verweis auf Codex Hammurabi §§ 132-140.

302

Kontextanalyse

sie ihm untreu gewesen war (Dt 22,13-19; vgl. auch Mi 2,9; Mal 2,10-16).18 Jedoch weiß das Alte Testament auch von anderen Praktiken wie im Fall der Hagar (Gen 21,9 ff.) und der Zippora, der midianitischen Frau des Mose (Ex 18,2 ff.), die ohne weitere Angabe von Gründen weggeschickt werden. Fander berichtet von einem Fall aus Nippur (Babylonien) im 18. Jh. v. Chr., wo der Mann offensichtlich die Zahlung des vertraglich vereinbarten Scheidungsgeldes zu umgehen versuchte, indem er seiner Frau Unzucht unterstellte.19 Neben dem Ehebruch nennt Fander auch die Unfruchtbarkeit der Frau als Scheidungsgrund. Nach Gnilka unterblieb in diesem Fall die Zahlung des Scheidungsgeldes.20 Wenn die Geschiedene sich nicht wieder verheiraten oder wie Zippora (Ex 18,2.6), die Zweitfrau des Benjaminiters aus Ri 19 oder die in Lev 22,13 behandelte Priestertochter in das Haus ihres Vaters zurückkehren konnte, war ihre Versorgung nicht gesichert. Eine allein lebende Frau konnte für ihren Lebensunterhalt nicht aufkommen. Nicht umsonst gehören Witwen und Waisen im Alten Testament zu den einschlägigen Armen (Ex 22,21; Dt 10,18; 14,29; 24,17.19; 26,13; Ps 94,6; 2 Makk 8,28; Jes 10,2; Jer 7,6; Klgl 5,3; Weish 2,10; Sir 4,10; vgl. Mk 12,40 ff.). Vermutlich war die entlassene Ehefrau zur Prostitution gezwungen (vgl. auch Gen 38,6 ff.).21 Die Kinder scheinen in der Regel mit der Mutter das Haus des Mannes verlassen zu haben (vgl. Esra 10,3.44; Gen 21,10; Ex 18; Hos 2,6). Nach deuteronomistischem Recht sollten sie trotz der Trennung der Eltern beim Erbe bedacht werden (Dtn 21,15-17). Auch hier kennt die Bibel jedoch andere Fälle wie den des Ismael (Gen 21,10), des Jiftach (Ri 11) und der „Dirnenkinder“ des Hosea (2,6).22 Vor diesem Hintergrund ist das deuteronomistische Gesetz als ein Ideal zu bewerten, mit dem die gängigen Rechtspraktiken nur partiell übereinstimmten. Jesus bestätigt denn auch die mosaische Vorschrift, bezieht sie jedoch auf die „Hartherzigkeit“ (UMNJTQMCTFKC) der Pharisäer (V.5). Das Herz ist im bibli-

18

19 20 21

22

Vgl. Fander, Stellung, 209-211 mit Bezug auf Zakovitch, Woman’s Rights, 29-34. Das Kriterium der „Unzucht“ scheint kulturübergreifend in Kraft gewesen zu sein. „In Athen war der Mann genötigt, sich von einer beim Ehebruch ertappten Frau zu trennen“, wenn er nicht der Atimie verfallen wollte (Gnilka, Markus 2, 78). Vgl. Stellung, 224 f. mit Verweis auf J. Kohler – A. Ungnad: Hammurabis’s Gesetz. Bd. IV: Übersetzte Urkunden. Erläuterungen (Fortsetzung), Leipzig 1910, Nr. 777. Vgl. Fander, Stellung, 255; Gnilka, Markus 2, 77. Vielleicht erklärt dies das Verbot der Wiederverheiratung mit dem ersten Ehemann (Dt 24,1-4) und das Verbot der Heirat mit einer Geschiedenen oder Witwe für die Priester (Lev 21,7.14; Ez 44,22), da der Beischlaf mit einem anderen als dem rechtmäßigen Ehepartner als Verunreinigung gilt (Lev 18,20; Num 5,13); so Fander, Stellung, 210; 213 f. Vgl. Fander, Stellung, 214 f mit Verweis auf Zakovitch, Woman’s Rights, 44 f.

Kontextanalyse

303

schen Menschenbild Sitz des Gehorsams gegenüber Gott;23 das„harte“ oder „verhärtete“ Herz bezeichnet den Ungehorsam gegenüber Gottes Boten und Geboten.24 Bereits Mk 3,5 f. spricht in Bezug auf die Pharisäer von „Verhärtung“ (RYTYUKL) des Herzens, da sie nur äußerlich auf das Gebot der Sabbatruhe achten, die Lage des Kranken jedoch außer acht lassen. Ebenso urteilt Jesus über die oberflächliche Einhaltung der Reinheitsgebote, während das Böse, das „aus dem Herzen des Menschen kommt“ (Mk 7,21), keine Beachtung findet: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit fern von mir“ (Mk 7,6 zit. Jes 29,13). Angesichts der Hartherzigkeit der Pharisäer verweist Jesus auf den göttlichen Schöpfungswillen, der in zwei Zitaten aus der Genesis zusammengefasst wird. Die ursprüngliche Aussage von Gen 1,27 (V.6) ist, dass der Mensch nach dem Willen Gottes als Mann und Frau existiert. Bei Markus erfährt der Text eine individualisierende und zugleich typologisierende Auslegung. Adam und Eva werden einerseits als ein konkretes von Gott füreinander geschaffenes Menschenpaar verstanden. Zugleich sind sie Typen des Menschlichen; die Einehe ist somit „immanentes Gesetz der Schöpfung bzw. Naturordnung“.25 In ähnlicher Weise wird die Stelle auch in der frühjüdischen Literatur verschiedentlich auf die Ehe bezogen. Dem Markustext am nächsten kommt eine Stelle aus der Damaskusschrift der Qumrangemeinde. Unter Berufung auf Gen 1,27 argumentiert CD IV,19-V,2 gegen die pharisäische Scheidungspraxis, die in den Augen der Gemeinde gegen die Schöpfungsordnung verstößt.26 Gen 2,24 (VV.7.8a) erklärt an sich das Zueinander-Hingezogen-Fühlen der beiden Geschlechter aus dem Umstand, dass die Frau aus einem Körperteil (der Rippe) des Mannes erschaffen wurde.27 Die Redewendung „ein Fleisch sein“ ist wie die Formulierung „du bist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ (Gen 2,23) im Alten Testament Ausdruck der nahen Verwandtschaft (vgl. Gen 29,14; 37,27; 2 Sam 5,1; 19,13 f.; 1 Chr 11,1).28 Im Frühjudentum wird sie auf die sexuelle Vereinigung hin gedeutet.29 Im Zusammenhang des Markus-Textes betont das Zitat von Gen 2,24 „die Verbundenheit von Mann und Frau“ und ihre „unzerstörbare

23 24 25 26 27 28 29

Vgl. Dt 6,6; 10,16; 30,6; 2 Makk 1,4; Job 22,22; Jer 4,4; 24,7; 31,33; Ez 11,19 f.; 44,7; Joël 2,13. Dieser Sprachgebrauch begegnet in der deuteronomistischen Redaktion und bei den Propheten; so 2 Chr 36,13; Ps 81,13; 95,8; Jes 6,10; Jer 5,23; Ez 2,4 vgl. 3,7. Fander, Stellung, 98; vgl. Gnilka, Markus 2, 73. Vgl. Fander, Stellung, 94-97. Neben Gen 1,27 beruft sich die Damaskusschrift auf Gen 7,9 und Dt 17,17. Vgl. Fander, Stellung, 95 (identisch 104); Gnilka, Markus 2, 73. Vgl. Fander, Stellung, 97 mit Verweis auf Berger, Gesetzesauslegung I, 528. Vgl. Fander, Stellung, 97 mit Verweis auf Jub 3,7; 3 Esr 4,20.25; Jos As 20,4; Phil Opif Mundi 152 sowie Berger, Gesetzesauslegung I, 531-533.

304

Kontextanalyse

Lebensgemeinschaft“.30 Dies wird durch den erläuternden Kommentar „Somit sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch“ (V.8b) nochmals unterstrichen. V.9 zieht den Schluss aus der Schriftargumentation: „Was Gott verbunden hat (UWPG\GWZGP), das soll der Mensch nicht trennen.“ Auf die Frage der Pharisäer, ob es erlaubt sei, seine Frau zu entlassen, ist damit eine direkte Antwort gegeben. Die gängige Scheidungspraxis wird nochmals ausdrücklich mit dem göttlichen Schöpfungswillen kontrastiert. Die Gegenüberstellung von Gott und Mensch ist ein bei Markus beliebtes Motiv. So stellt er bereits in dem erwähnten Streitgespräch über die Reinheitsvorschriften Gottes- und Menschengebot gegenüber (Mk 7,8.9.13; vgl. 8,33; 10,27; 12,14).31 Das griechische Wort UW\GWIPWOK = „gemeinsam unter ein Joch spannen“,32 „zusammenspannen“33 greift wieder den Gedanken der Lebensgemeinschaft und der gemeinsamen Lebensbewältigung auf. Die Betonung der engen Verbundenheit von Mann und Frau lässt darauf schließen, dass diese für die Jüngergemeinde von großer Bedeutung war. Tatsächlich ist die Trennung der Ehepartner im Gegensatz zur Trennung von der Großfamilie im Markusevangelium kein Thema. „Der Jünger, der seine Familie verlässt, verlässt seine Frau damit gerade nicht“ (vgl. Mk 10,29 gegen Lk 14,26; 18,29).34 Ehepaare bereisten in missionarischem Auftrag gemeinsam die Gemeinden; so Petrus und „die Brüder des Herrn“ (1 Kor 9,5), Priska und Aquila (Röm 16,3; Apg 18,2.18), Andronikos und Junia (Röm 16,7). Die enge Gemeinschaft und die gemeinsame Lebensbewältigung – auch unter der Bedingung der Heimatlosigkeit umherziehender Missionare – erleben die Jünger als Gottes Geschenk und Erfüllung Seines Schöpfungswillens. Vor dem Hintergrund solch positiver Erfahrung ehelicher Gemeinschaft sollte man von unserem Text nicht als einem „Scheidungsverbot“ sprechen,35 zumal er – wie alle neutestamentlichen und die meisten alttestamentlichen Texte über die Ehe – keine systematische Rechtsschreibung sein will.36 Vielmehr hebt der Text gegenüber einer oft willkürlichen Scheidungspraxis den positiven Wert der Verbundenheit von Mann und Frau hervor.

30 31

32 33 34 35 36

Zitate (in dieser Reihenfolge): Fander, Stellung, 98 (identisch 104); Schottroff, Frauen, 104. Berger verortet das Motiv im Kontext jüdisch-hellenistischer Abfallsprophezeiungen: „Die Veränderung der Gebote Gottes durch Menschengebote ist eines der Kennzeichen des großen Abfalls am Ende der Zeiten“; vgl. Gesetzesauslegung I, 489 f.; 555 f. mit Verweis auf Test Levi 14,4; Test Sim 5,4; Test Juda 17,2; 18,2-5; Test Dan 6,6; Test Napht 4,1; Test Benj 9,1; Jub 1,9-14; 23,21; CD IV,5; Zitat: 489. So Gnilka, Markus 2, 84. So Rienecker zur Stelle. Schottroff, Frauen, 104; vgl. auch Stegemann, Kinder, 139. Mit Schottroff, Frauen, 105. Vgl. auch Fander, Stellung, 209.

Kontextanalyse

305

11.2.3 Die Jüngerbelehrung (VV.10-12) Mit dem Auftreten der Jünger und dem Ortswechsel ins Haus (V.10) beginnt die Jüngerbelehrung. Die Vokabeln RCNKP (vgl. bereits 10,1) und GXRGTYVCY (vgl. 9,11.28.33 u. ö.) sind Kennzeichen markinischer Redaktion. Ebenso hat der Evangelist ein besonderes Augenmerk auf die Gruppe der Jünger. In diesem Fall dürfte er die Jüngerbelehrung jedoch vorgefunden haben.37 Deren Verlegung ins Haus, bei Markus bevorzugter Ort der Sonderbelehrung für die Jünger (vgl. 7,17; 9,28.33), geht vermutlich auf sein Konto. Die VV.11.12 betrachten die Ehescheidung im Licht des 6. Gebots (Ex 20,13; Dt 5,17). In Bezug auf Ehemann und Ehefrau ist der Grundsatz weitgehend parallel formuliert: „Wenn jemand seine Frau wegschickt und eine andere heiratet, begeht er ihr gegenüber38 Ehebruch. Und wenn sie, nachdem sie ihren Mann weggeschickt hat, einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.“ Demnach gilt unserem Text offenbar erst die Wiederheirat nach erfolgter Scheidung als Ehebruch. Eine ähnliche Einschätzung der Wiederheirat von Geschiedenen begegnet bei Philo (Spec Leg 3,30 f.; 61; 64).39 Während die gängige orientalische und hellenistische Ethik lediglich Wert auf die eheliche Treue der Frau legte, ist nach V.11 auch der Mann zur Treue verpflichtet. Dies gilt auch im Vergleich mit der römischen Gesellschaft, wo „bestimmten Kreisen [...] eine zweite Ehe der Frau [nicht dagegen des Mannes!] als unschicklich galt.“40 V.12 formuliert die Einschätzung der Scheidung und Wiederverheiratung als Ehebruch analog für die Frau. Darin weicht der Markustext von der Q-Fassung ab, die zwar ebenfalls zweigliedrig ist, jedoch beide Teilaussagen auf den Mann bezieht: „Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch; und 37 38

39

40

Vgl. S.299. Nach Gnilka, Markus 2, 74 f. kann sich GXR XCWXVJP sowohl auf die erste Frau beziehen („ihr gegenüber“, „an ihr“) als auch auf die zweite Frau („auf ihr“?), mit der der Mann Ehebruch an der ersten begeht. Der Akkusativ des Personalpronomens spricht gegen die zweite Möglichkeit. Gnilka, der diese favorisiert, erklärt den Akkusativ im Anschluss an Schaller und Turner und mit Verweis auf Jer 5,8 LXX als „Semitismus“ (ebd., 75, A. 29). Vgl. Fander, Stellung, 94 mit Verweis auf Berger, Gesetzesauslegung I, 520. Ebd., 96 deutet Fander auch die bereits erwähnte Stelle aus der Damaskusschrift (CD IV,19-V,2) als ein „Verbot der Scheidung mit anschließender Wiederverheiratung“. Beutler und Gnilka verstehen das Genesis-Zitat jedoch im Sinne einer „Einschärfung der Einehe“ im Gegensatz zur Polygamie (Beutler, Weg, 50; vgl. Gnilka, Markus 2,73). Vgl. Gnilka, Markus 2, 78. Zitat: ebd.; Hervorhebung und Klammerbemerkung von mir. Fander sieht V.11 im Zusammenhang mit einer um die Zeitenwende im gesamten Mittelmeerraum verbreiteten Dämonisierung insbesondere der weiblichen Sexualität, vor deren Hintergrund frühjüdische Schriften ein Ideal der Keuschheit auch für den Mann propagieren; vgl. Stellung, 257-284, insbesondere 277-281 mit Verweis auf Philo De Jos §§ 35-37; Jos As.

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Kontextanalyse

wer eine Entlassene heiratet, begeht Ehebruch“ (Lk 16,18 par). Die parallele Formulierung legt die Vermutung nahe, dass der Vers sekundär dem V.11 nachgebildet und die Perikope so auf andere Rechtsverhältnisse hinsichtlich Scheidung und Wiederverheiratung bezogen wurde. Im hellenistisch-römischen Einflussbereich bestand die Möglichkeit der Scheidung auf Initiative der Frau, wie auch Paulus (1 Kor 7) bezeugt. Dafür genügte im spätrepublikanischen Rom „eine mündliche Erklärung (repudium), die durch Boten überbracht werden konnte.“41 Hierher gehören auch die Berichte des Josephus über drei herodianische Frauen, die ihre Männer entließen und sich wieder verheirateten, nämlich Salome (Ant 15,7,10), Herodias (Ant 18,5,4) und Drusilla (Ant 20,7,2). Aufgrund ihrer sozialen und finanziellen Stellung konnten sie sich buchstäblich mehr Freizügigkeit „leisten“. Mit ihren Eheschließungen bzw. -auflösungen verfolgten sie – wie viele Frauen der Oberschicht – ein klares Eigeninteresse. So verheiratete sich Herodias nach der Scheidung von ihrem ersten Mann und Onkel Herodes, der „in der Nachfolge seines Vaters [Herodes’ des Großen] ohne Ehrgeiz“ war, mit dessen Bruder Antipas, dem Herrscher von Galiläa und Peräa. Drusilla verließ ihren ersten Mann um des Antonius Felix willen, der Statthalter von Samaria, Galiläa und Peräa war (vgl. auch Apg 24,24 ff.).42 Das pharisäisch-rabbinische Judentum, das sich spätestens nach 70 zum jüdischen „Mainstream“ entwickelte, kannte eine solche Praxis nicht. Das Alte Testament erwähnt nur einen Fall, in dem eine Frau „die Scheidung von sich aus aktiv betreiben“ konnte, nämlich den der hebräischen Sklavin, deren „Grundbedürfnisse nicht befriedigt waren“ (Ex 21,10 f.).43 Jedoch wurden in der jüdischen Militärkolonie Elephantine auf einer Insel im oberen Nil drei Eheverträge aus dem 5. Jh. v. Chr. gefunden, die es der Frau gestatten, „ohne Angabe von Gründen“ von sich aus die Scheidung zu betreiben.44 Es handelt sich um privatrechtliche Vereinbarungen, die vor allem die finanziellen Konsequenzen im Falle einer Scheidung regeln. Daraus erklärt sich vermutlich auch das zeitgleiche Neben41

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Gnilka, Markus 2, 78. Im attischen Recht gab es nach Gnilka „entweder das Fortschicken durch den Mann (CXRQRGORGKP) oder das Verlassen seitens der Frau (CXRQNGKRGKP).“ Diod 12,18,1 bezeugt für die griechische Kolonie Thurii am Golf von Tarent die Möglichkeit der Entlassung (CXRQNWGKP) des Mannes durch die Frau (vgl. Markus 2,77; Zitat: ebd.). Zur Analyse der Josephus-Texte vgl. Fander, Stellung, 202; 252 f.; zur rechtlichen Stellung begüterter Frauen Schottroff, Frauen, 91 f. Zitat im Text: Colpe, Herodes, 1092. Zu Antonius Felix vgl. auch Hanslik, Antonius, 413. Wie Fander anmerkt, waren „die Rechte einer freien Frau“ gewiss „nicht geringer [...] als die einer Sklavin“ (Stellung, 212; Zitat im Text: ebd., 211). Ähnlich erlaubt bereits das Gesetzbuch des König Hammurapi von Babylon (* 1728 v. Chr., † 1686 v. Chr.) einer Frau, deren Ehemann „aushäusig ist und sie schwer vernachlässigt“, „ihre Mitgift zu nehmen und wegzugehen zum Hause ihres Vaters“ (§ 142); vgl. Fander, Stellung, 219-221; Text ebd. in der Übersetzung von Borger, TUAT I. Vgl. Fander, Stellung, 215 f.; Zitat: 215.

Kontextanalyse

307

einander zweier unterschiedlicher Rechtspraktiken in Bezug auf das Scheidungsrecht der Frau. Die Tatsache, dass das Markusevangelium auf ein gleichberechtigtes Scheidungsrecht von Mann und Frau Bezug nimmt, ist nicht als Plädoyer für mehr Frauenrechte einzustufen, zumal sich der Text ja gerade gegen die Ehescheidung richtet. Vielmehr nimmt Markus auf dem Hintergrund einer anderen Rechtsauffassung auch die Frau in die Pflicht.

11.3

Fazit: Eheliche Treue als Rücksichtnahme gegenüber den „Kleinen“

Das Streitgespräch über die Ehescheidung nimmt den Faden der Einzelsituationen wieder auf, die den Aufruf zur Achtung vor den Kleinen in das Leben der Gemeinde übertragen (Mk 9,36-41). Den Anlass zu der Belehrung über die eheliche Treue gibt eine Frage der Pharisäer. Sie vertreten die seinerzeit übliche Regelung des Scheidebriefs (V.4 zit. Dt 24,1). Unter Berufung auf die Schöpfungsberichte der Genesis (1,27; 2,24) hebt Jesus die Verbundenheit von Frau und Mann als zweier füreinander bestimmter Menschen und den Auftrag gemeinsamer Lebensbewältigung hervor (VV.6-9). Der Rechtspraxis der Pharisäer stellt er damit den göttlichen Schöpfungswillen entgegen: „Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.“ Die Skepsis der Jesusbewegung gegenüber der Ehescheidung wurzelt vermutlich in ihrer positiven Erfahrung der ehelichen Gemeinschaft. Ehepaare waren gemeinsam im missionarischen Auftrag der Gemeinden unterwegs. Diese enge Lebensgemeinschaft willkürlich aufzulösen gilt der Jüngergemeinde als hartherzig (V.5) gegenüber dem Partner und gegenüber Gott. An sich war der Scheidebrief eine fortschrittliche Regelung, indem er der geschiedenen Frau eine finanzielle Entschädigung und das Recht auf eine erneute Heirat sicherte. Die Regelung der finanziellen Konsequenzen „nach dem Schuldprinzip“ – d. h., dass der Mann, wenn er sich von einer unbescholtenen Frau trennte, ihr Unterhalt zu zahlen hatte – mag „leichtfertigen Scheidungen vorgebeugt haben.“45 Wie Beispiele aus dem Alten Testament und der altorientalischen Umwelt zeigen, war die Möglichkeit willkürlicher Scheidungen dadurch jedoch nicht aus dem Weg geräumt. In einer Gesellschaft wie der jüdischorientalischen, in der Frauen allein nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen konnten, stand die Frau nach der Scheidung mit ihren Kindern mittellos da – von der rufschädigenden Wirkung und den emotionalen Folgen der Scheidung gar nicht zu reden. An das Streitgespräch mit den Pharisäern schließt eine Sonderbelehrung für die Jünger an. Sie kreist um ein Wort, in dem Jesus die Wiederverheiratung nach 45

So Fander, Stellung, 106.

Kontextanalyse

308

erfolgter Scheidung mit einem Ehebruch gleichsetzt. Gegenüber der gängigen Einstellung, wo lediglich Wert auf die eheliche Treue der Frau gelegt wurde, hebt sich die Position der Jesusbewegung dadurch heraus, dass sie auch den Mann zur Treue verpflichtet (V.11). Darüber hinaus formuliert Markus im Unterschied zur Q-Parallele (Lk 16,18 par), die ausschließlich auf den Mann als aktiv Handelnden bezogen ist, die Einschätzung der Wiederheirat als Ehebruch parallel auch für die Frau (V.12). Damit wird auf ein gleichberechtigtes Scheidungsrecht von Mann und Frau Bezug genommen, wie es zumindest im hellenistisch-römischen Einflussbereich gegeben war. Vor allem begüterte Frauen verfolgten mit wechselnden Eheschließungen teilweise ebenso rücksichtslos wie die Männer ihr eigenes Machtinteresse. Im markinischen Kontext ist der Aufruf zu ehelicher Treue „als Konkretisierung von Jesu Ruf zur Rücksicht gegenüber dem Kleinen und Schwachen zu sehen“.46 Vor dem soziokulturellen Hintergrund des damaligen Mittelmeerraums richtet er sich an Männer und Frauen, die unter Ausnutzung der eigenen Machtposition willkürlich ihre Ehe auflösen. In Jesu Namen ergreift der Evangelist Partei für den verlassenen Ehepartner – sei es die arme, über ihren Mann mitversorgte Frau oder auch der Mann einer begüterten Frau.

46

Beutler, Weg, 50.

12.

„Lasst die Kinder zu mir kommen“ (Mk 10,13-16)

12.1

Kontext, Aufbau und Herkunft

An das Gespräch über die eheliche Treue schließt die zweite Begegnung Jesu mit Kindern an. Sie ist vermutlich das „Original“, dem die erste Kinderszene in Mk 9,36 f. nachgestaltet wurde.1 Die Episode ist ähnlich aufgebaut wie die Szene um den fremden Exorzisten (Mk 9,38-40), ebenfalls ein biographisches Apophthegma. Konkreter Anlass ist eine an Jesus gerichtete Segensbitte (V.13). Darauf folgen zwei Jesusworte (VV.14 f.) sowie eine Zeichenhandlung, die das Gesagte verdeutlicht (V.16). Aus sprachlichen und inhaltlichen Gründen können das zweite Jesuswort (V.15) sowie das Motiv des Jüngerunverständnisses – konkret, die Jüngerintervention in V.13b und die dazugehörige Reaktion Jesu in V.14ab – als redaktionelle Einfügung bzw. Bearbeitung einer vormarkinischen Tradition betrachtet werden. „Die älteste Tradition des Kinderevangeliums hat also gelautet: ‚Man brachte Kinder zu Jesus, damit er sie anrühren möchte (V.13a). Er aber sprach: Selig sind die Kinder, denn ihnen gehört die Königsherrschaft Gottes (V.14c). Und er umarmte sie und segnete sie und legte ihnen die Hände auf (V.16)’“.2

12.2

Auslegung

Die Szene beginnt damit, dass Kinder zu Jesus gebracht werden. Wer genau die Kinder zu Jesus bringt, ist nicht erwähnt. Vermutlich sind es die Mütter, die im jüdisch-orientalischen Kulturraum für Haus und Kinder zuständig sind. Hinter dem Wunsch, „er möge sie berühren“ (V.13), verbirgt sich „eine fast magische Vorstellung“,3 wie sie vorher bereits in Heilungsgeschichten und Summarien, insbesondere bei der Heilung der blutflüssigen Frau, zu beobachten ist (C=RVQOCK Mk 5,27.28.30.31; vgl. 1,41; 3,10; 6,56 (2x); 8,22). In diesem Fall erhofft man von der Berührung Jesu Segen und Schutz für die Kinder (vgl. V.16). Während Jesus jedoch im Verlauf der Erzählung bereits dreimal Kinder geheilt (5,35-43; 7,24-30; 9,14-29) und erst kurz zuvor zur Aufnahme eines Kindes aufgefordert hat (9,36 f.), weisen die Jünger die Kinder und ihre Begleiterinnen schroff zurück. Das Wort GXRKVKOCP hatte der Evangelist bereits im Unverständnis des Petrus nach der ersten Leidensankündigung gebraucht (Mk 8,32). Die harsche 1 2 3

Vgl. S.251. Stegemann, Kinder, 128. Vgl. ebd., 130; zur sekundären Einfügung von V.15 auch Gnilka, Markus 2, 80. Beutler, Weg, 51.

310

Kontextanalyse

Reaktion der Jünger auf die Segensbitte der Kinder ist also ebenfalls ein von ihm inszeniertes Jüngerunverständnis. Wie Mk 9,36 f. sind die Kinder (RCKFKC) auch hier wieder in ihrer sozialen Rolle angesprochen.4 Auf das Verhalten der Jünger reagiert Jesus ähnlich heftig wie in Mk 8,33. Das Wort CXICPCMVGY (V.14) wird im gesamten Neuen Testament sonst nie in Bezug auf Jesus gebraucht. Wohl aber sagt es Markus in ähnlichem Zusammenhang von den Jüngern, die über den unkollegialen Vorstoß der Zebedäussöhne verärgert sind (10,41).5 An unserer Stelle drückt es ebenfalls die Reaktion auf ein Unverständnis der Jünger bezüglich des innergemeindlichen Umgangs, nämlich mit den „Kleinen“, aus. Wie in der Episode um den fremden Exorzisten untersagt Jesus den Jüngern, die Kinder zu „hindern“ (OJMYNWGVG vgl. Mk 9,39).6 Die Anweisung wird damit begründet, dass sie in einem besonderen Verhältnis zur Gottesherrschaft stehen, denn: „solchen wie ihnen gehört das Reich Gottes“. Eine solche Zusage ist in dieser Form im Markusevangelium einzigartig. Sie erinnert an die erste Seligpreisung der Q-Tradition (Lk 6,20 par). Ähnlich wie in den Seligpreisungen der Logienquelle gründet die Zusage des Reiches Gottes auch hier nicht in einer besonderen Leistung oder moralischen Disposition der Kinder, sondern in ihrer konkreten sozialen Situation. „Hier wie dort ist die reale Lebenswirklichkeit der Armen bzw. der Kinder der [...] Grund ihrer intensiven Hoffnung auf das Reich Gottes bzw. der Zusage desselben an diese Menschen.“7 Der Vers ist somit „einer sozialgeschichtlichen Lage zuzuordnen, in der Kinder wie die Armen zu denen gehört haben, die unter der Not Palästinas besonders gelitten haben“.8 Es ist denkbar, dass er in die Zeit des Lebens Jesu zurückgeht, zumal der Bezug „auf das von Jesus verkündete ‚Gottesreich’“ ein Kennzeichen echter Jesusworte

4 5

6

7 8

Ebenso die drei von Jesus geheilten Kinder; vgl. RCKFKQP 5,39.40 (2x) .41; 7,30; 9,24 sowie S.288. Vgl. S.258. Die Seitenreferenten streichen die für sie anstößige Formulierung. Eine weitere Belegstelle ist Mk 14,4, wo das Verb den Ärger der Jünger über die vermeintliche Verschwendung des teuren Nardenöls bezeichnet, mit dem eine Frau Jesus die Haare salbt. Aufgrund der Parallele bei Joh 12,1-8 ist anzunehmen, dass die vormarkinische Tradition bereits vom Missfallen der Jünger berichtete. Die Formulierung kann jedoch auf den Evangelisten zurückgehen, der damit das Unverständnis der Jünger aussagen will. Entgegen der gängigen Auslegung in der reformatorischen Exegese, die das Verb an dieser Stelle auf den Gebrauch im Zusammenhang mit der Taufe in der Apostelgeschichte (vgl. 8,36; 10,47; 11,17) bezieht (so bereits bei Calvin; vgl. auch Cullmann, Jeremias u. a.), ist die Problematik der Kindertaufe „für diese frühe Zeit nicht zu erwarten“ (vgl. Gnilka, Markus 2, 80-82; Zitat: 81). Stegemann, Kinder, 127; vgl. den Verweis auf die Seligpreisung der Zöllner und Dirnen (Mt 21,31) ebd., 125. Stegemann, Kinder, 126.

Kontextanalyse

311

ist.9 Die Formulierung „solchen wie ihnen“ (VYP VQKQWVYP) bezieht über die Kinder hinaus auch die anderen „Kleinen“ und Geringen der Gesellschaft in die Verheißung ein.10 Die Kinder haben eine besondere Beziehung zum Reich Gottes. Dies wird in V.15 nochmals bekräftigt: „Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht aufnimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ Die Formel „Amen, ich sage euch“ verleiht dem Spruch wie zuvor bereits den Verheißungsworten Mk 9,1.41 besonderen Nachdruck. Sie kann ein Indiz dafür sein, dass Markus den Spruch bereits vorgefunden hat.11 Zwischen dem „Aufnehmen der Königsherrschaft Gottes“ und dem „Hineinkommen in sie“ ergibt sich eine eigenartige Doppelung. Ersteres greift zurück auf die erste Kinderszene (Mk 9,37); Letzteres weist bereits voraus auf die folgende Perikope (vgl. GKXLGNSGKP GKXL VJP DCUKNGKCPVQWSGQW Mk 10,23-25). Das Neutrum RCKFKQP kann grammatikalisch als Nominativ und damit Subjekt zu FGEQOCK oder aber als Akkusativobjekt aufgefasst werden. „Soll man das Reich Gottes so aufnehmen, wie ein Kind es aufnimmt, oder soll man das Reich Gottes so aufnehmen, wie man ein Kind aufnimmt?“12 Weithin wird unter den Exegeten die nominativische Deutung favorisiert. Die daraus folgende Interpretation des Logions hebt auf die vermeintliche Einfachheit und Offenheit des Kindes oder auf dessen Kleinheit ab, die für eine Haltung des Dienens und der Demut steht und von denjenigen, die in das Reich Gottes hineinkommen möchten, zu imitieren wäre.13 Ähnlich einer weit verbreiteten Interpretation von Mk 9,36 f. wird das Kind auch hier als Vorbild idealisiert. Dies widerspricht jedoch dem antiken Bild des Kindes.14 FGEQOCK ist in Mk 9,37 eindeutig auf die Aufnahme eines Kindes bezogen. Da diese Stelle im Kontext des Evangeliums unsere Episode vorbereitet, ist davon auszugehen, dass das Verb hier in demselben

9 10

11 12 13

14

Beutler, Weg, 51; vgl. Stegemann, Kinder, 125; Gnilka, Markus 2, 82. Nach Gnilka reicht darüber hinaus auch „eine analoge Szene [...] in das Leben Jesu zurück.“ Nach Gnilka, Markus 2, 80 ersetzt VQKQWVYP „solchen“ ein ursprüngliches VQWVYP „diesen“ und bereitet damit die Einfügung von V.15 vor. Gegen diese Hypothese spricht jedoch die parallele Formulierung in Mk 9,37 (G=PVYPVQKQWVYPRCKFKYP). Vgl. die Parallelüberlieferung bei Joh 13,20. Die Amen-Formel ist Kennzeichen der Sprache Jesu; vgl. S.195, A.57. Venetz, Markusevangelium, 149 f. Zur Einfachheit und Offenheit des Kindes vgl. bereits Theophylakt PG 123, 597 und Beda PL 92, 230 f. (nach Gnilka, Markus 2, 82); sodann Klostermann; Taylor; Best und jüngst wieder Foster, Richer, 506; Stanley, Ruler, 59. Zum „Kleinsein“ des Kindes vgl. Gnilka, Markus 2, 81 f.; Hoffmann, Herrschaftsverzicht, 164; Berger, Amen-Worte, 41 f.; Beutler, Weg, 51. Zum Kind in der Antike vgl. S.288-291.

312

Kontextanalyse

Sinn gebraucht ist.15 Mit YBL eingeleitete Ellipsen kommen im neutestamentlichen Griechisch häufig vor; man denke nur an das oberste Gebot Jesu „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, das heißt: Liebe deinen Nächsten, wie du dich selbst liebst (Mk 12,31).16 Gewissermaßen als Gegenstück zu der Zusage an die Kinder im vorhergehenden Vers ist die Hauptaussage von V.15 negativ, d. h. als Drohung formuliert: „Wer das Reich Gottes nicht aufnimmt, wie er ein Kind aufnimmt, der kommt nicht hinein.“ Positiv gewendet wird daraus eine Verheißung ähnlich der in Mk 9,37: Das Kind ist Bote Gottes und seines Reiches. Wer es aufnimmt, nimmt Gott selbst und mit ihm sein Reich auf.YBL könnte dann auch modal übersetzt werden: „Wer das Reich Gottes aufnimmt, indem er ein Kind aufnimmt...“ Die Gastfreundschaft den Kindern gegenüber ist ein Weg, ins Reich Gottes zu kommen, ähnlich wie in der folgenden Perikope das Verkaufen und Verschenken von Hab und Gut um Jesu willen. Als nachträglich eingefügtes trägt „dieses Wort [...] zweifellos die markinische Aussageabsicht an die Jünger (bzw. seine Gemeinde).“17 Die Verheißung des Gottesreiches, die im Vers zuvor an die Kinder erging, wird nun auch denjenigen ausgesprochen, die bereit sind, einem Kind Gastfreundschaft zu gewähren. Damit ist die Aussage des Wortes ähnlich zu benennen wie die von Mk 9,37: Der Evangelist ruft zur Aufnahme unversorgter Kinder auf. Dieser Aufruf steht auch im Dienst der Umwertung gesellschaftlicher Kategorien, denn normalerweise wurde Gastfreundschaft dann gewährt, wenn daraus ein Nutzen hinsichtlich des eigenen gesellschaftlichen Ansehens gezogen werden konnte.18 Folgerichtig wird der Aufruf zur Aufnahme von Kindern im Markusevangelium auf die Annahme der Kleinen und Geringen in der Gemeinde und den respektvollen Umgang mit ihnen ausgeweitet (vgl. 9,42-48). Die Perikope schließt mit einer Zeichenhandlung (V.16), die an die erste Kinderszene erinnert: „Er umarmte die Kinder (GXPCIMCNKUCOGPQL vgl. Mk 9,36), legte ihnen die Hände auf und segnete sie.“ Damit erfüllt Jesus endlich den bereits zu Beginn von den Begleitern der Kinder geäußerten Wunsch. Durch die Umarmung bestätigt er die Kinder wiederum als ebenbürtige Partner in Sachen des Reiches Gottes.19 Damit bekräftigt Jesus nochmals die zuvor gegebene Verheißung (VV.14 f.) und gibt ein Beispiel des rechten Umgangs mit den „Kleinen“. 15

16 17 18 19

Stegemann verweist darüber hinaus auf Mk 6,11, wo ebenfalls „eindeutig an die gastliche Aufnahme gedacht“ sei (Kinder, 134). Weitere Belege zur Verwendung des Wortes im Zusammenhang der Gastfreundschaft vgl. S.291. So Stegemann, Kinder, 133 mit Verweis auf Bauer, Wörterbuch, 1773. Stegemann, Kinder, 132. Vgl. S.292. Zur Umarmung vgl. S.291, A.33.

Kontextanalyse

12.3

313

Fazit

Dem Gespräch über das partnerschaftliche Miteinander von Mann und Frau folgt eine weitere Unterweisung zum Umgang mit Kindern. Der Evangelist hat die Szene in ein Jüngerunverständnis eingebettet (V.13). Dieses besteht darin, dass die Kinder und ihre Begleiter schroff abgewiesen werden – ein typischer Fall einer Kränkung nach Mk 9,42. Der älteste Kern der Szene, eine Verheißung des Reiches Gottes an die Kinder nach Art der Seligpreisungen (V.14), reicht möglicherweise bis in das Leben Jesu zurück. Aufgrund ihrer desolaten sozialen Situation wird den Kindern „und solchen wie ihnen“, d. h., den Armen und Geringen, das Reich Gottes zugesagt. Als Gegenstück und Bestätigung dieser Verheißung schließt der Evangelist eine Drohung an die Adresse derer an, die Kinder nicht aufnehmen: Wer ein Kind nicht aufnimmt, zu dem kommt auch die Gottesherrschaft nicht und der kommt nicht in sie hinein (V.15). Wie in Mk 9,37 werden die Kinder als Boten des Reiches Gottes vorgestellt. Der dort bereits ausgesprochene Aufruf zur Aufnahme eines Kindes wird hier nochmals nachgedoppelt. Das zeigt, wie wichtig dem Evangelisten die Aufnahme der Kinder und die respektvolle Behandlung der Kleinen und Geringen ist. Die abschließende Segnung der Kinder (V.16) antwortet auf den zu Beginn an Jesus herangetragenen Wunsch, die Kinder zu berühren. Die Umarmung bekräftigt darüber hinaus ihren Stellenwert als ebenbürtige Boten des Reiches Gottes. Zugleich gibt Jesus hier ein Beispiel des rechten Umgangs mit den Kleinen.

13.

Über den Besitz und das Eingehen in das Reich Gottes (Mk 10,17-31)

13.1

Kontext, Struktur, Gattung und Herkunft

Die dritte und längste Belehrung des zehnten Kapitels zerfällt nach Inhalt und Form in drei Teile: die Begegnung mit einem Mann auf dem Weg (VV.17-22), die Jüngerunterweisung über den Reichtum und das Eingehen in das Reich Gottes (VV.23-27) und das Gespräch mit Petrus über den hundertfachen Lohn der Jünger (VV.28-31). Der letzte Satz von den „Ersten“ und „Letzten“ führt ganz an den Beginn der Belehrungen zwischen zweiter und dritter Leidensankündigung zurück (V.31 vgl. Mk 9,35). Direkt anschließend folgt die dritte Ankündigung von Leiden und Auferstehung (Mk 10,32-34). Thematisch wechselt die Perikope zwischen der Frage nach dem „ewigen Leben“ bzw. dem „Eingehen in das Reich Gottes“ (17-20.23-27) und der Realität der „Nachfolge“ (2122; 28-31),1 wobei ein besonderes Augenmerk auf der Rolle des Besitzes liegt. Von der Form her ist der erste Abschnitt (VV.17-22) ein biographisches Apophthegma. Die zugrunde liegende Begegnung Jesu mit einem reichen Mann ist erzählerisch sehr liebevoll gestaltet.2 Auch die Jüngerbelehrung (VV.23-27) enthält „Elemente des biographischen Apophthegmas“.3 Jesus nimmt die konkrete Begebenheit zum Anlass für eine Unterweisung. Literarisch bezieht sich der Abschnitt deutlich auf die vorhergehende Geschichte zurück. Die Thematik des „Eingehens in das Reich Gottes“ (VV.23.24) bzw. des „Gerettet-Werdens“ (V.26) knüpft an die Frage des reichen Mannes an (V.17). Der Blick Jesu auf den reichen Mann (V.21) wiederholt sich in den Blicken auf die Jünger (VV.23.27). Ihre entsetzte Reaktion auf Jesu Worte (VV.24.26) entspricht dessen Trauer (V.22). Die abschließende Verheißung an die Jünger (VV.28-31) ist motiviert durch eine Bemerkung des Petrus. Sie hat damit ebenfalls die Form eines Apophthegmas. Die beobachteten literarischen Rückbezüge lassen vermuten, dass die Jüngerbelehrung nachträglich an die Erzählung der Begegnung mit dem reichen Mann angehängt wurde. Ihr ältester Bestand sind zwei Einzellogien zum Besitz (VV.23.25). Sie schließen nicht nur direkt an die Geschichte vom reichen Mann an,4 sondern kommen auch inhaltlich sehr nah an die Einstellung des histori-

1 2 3 4

Vgl. Lambrecht, Rich, 5 sowie die semantische Beispielanalyse bei Egger, Methodenlehre, 96-100; Nachfolge, 130. Gnilka, Markus 2, 85 verweist in diesem Zusammenhang auf die zahlreichen Partizipien. Beutler, Weg, 56. So Gnilka, Markus 2, 84.

316

Kontextanalyse

schen Jesus zum Besitz heran.5 Ansonsten lässt der zweite Teil in Inhalt und Stil deutlich die Hand des Markus erkennen. Der Evangelist bringt die vorgefundenen Logien in die Form einer Jüngerbelehrung. Ihm ist auch die Darstellung des Unverständnisses der Jünger zuzuschreiben – hier ausgedrückt durch ihr Erschrecken (VV.24.26).6 Die Wiederaufnahme von V.23 „wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen“ in V.24 „wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen“, dürfte ebenfalls auf den Evangelisten zurückgehen. Der Satz von der Allmacht Gottes begegnet in ähnlicher Form noch zweimal (V.27 vgl. 9,23; 14,36) was auf ein besonderes Interesse des Redaktors hindeutet.7 Das Vokabular im ersten Teil lässt darauf schließen, dass Markus die Szene mit dem reichen Mann bereits vorfand.8 Er hat die Geschichte überarbeitet und in den Rahmen seines Evangeliums eingepasst, wie die Motive des „Weges“ (V.17) und der „Nachfolge“ (V.21) zeigen. Im dritten Teil schafft der Evangelist selbst aus zwei traditionellen Worten (VV.29 f.31) ein kleines Apophthegma.9 Im Gesamttext verraten insbesondere das Vokabular der Einleitung (V.17: GXMRQTGWQOCK; QBFQL; GXRGTYVCY) und die Übergangsverse 23 (RGTKDNGRGKP) und 28 (CTEQOCK) die Hand des Markus, der die Einzeltraditionen überarbeitete und zu einem Ganzen zusammenschloss.10 Die folgende Auslegung gliedert sich nach den drei Teilen der Perikope, wobei versucht werden soll, die ganze Einheit im Blick zu behalten.

5

6

7 8

9 10

So Lambrecht, Rich, 8; gegen Harnisch, Berufung, 117, der die Warnung vor dem Reichtum dem Evangelisten zuschreibt. Bereits Bultmann, Geschichte, 20 f. betrachtet VV.23.25 als ältesten Kern der Jüngerbelehrung. Markinisch sind auch die in diesem Zusammenhang verwendeten Vokabeln; so SCODGQOCK (vgl. 1,27; 10,32), GXMRNJUUQOCK (vgl. 1,22; 11,18) und RTQL GBBCWVQWL (vgl. 1,27; 9,10). FWPCOCK (V.26) steht ebenfalls häufig in redaktionellen Versen (vgl. 1,45; 3,20; 4,33; 7,24; 9,28.29 sowie S.243). UYSJPCK (V.26) begegnet oft in Heilungsgeschichten (3,4; 5,23,28.34; vgl. auch 15,30 f.) sowie zweimal in der markinischen Apokalypse (13,13.20). In dem Summarium Mk 6,56 ist es redaktionell. Vgl. S.239. MNJTQPQOGY „erben“ (V.17), CXRQUVGTGY„berauben“ (V.19), SJUCWTQL „Schatz“ (V.21), UVWIPC\Y „traurig werden“ und MVJOC „Besitz“ (V.22) verwendet der Evangelist sonst nicht. Gnilka, Markus 2, 85 nennt darüber hinaus FGWTQ „auf!“, „komm!“ (V.21); jedoch wird der Plural FGWVG bereits in der Berufungserzählung Mk 1,17 gebraucht. Vgl. Harnisch, Berufung, 113; Lambrecht, Rich, 8 f. Vgl. Lambrecht, Rich, 6 f.RGTKDNGRGKP begegnet im Neuen Testament bis auf einen von Markus abhängigen Beleg bei Lukas (6,10 vgl. Mk 3,5) nur im Markusevangelium.

Kontextanalyse

13.2

317

Auslegung

13.2.1 Jesus und der reiche Mann (VV.17-22) Die Perikope beginnt mit einem Wechsel von Ort und Personen. Nach der letzten Ortsangabe, wo sich Jesus „im Haus“ befand (Mk 10,10), macht er sich nun wieder „auf den Weg“ (V.17) – zweifelsohne der passende Ort für eine Belehrung über die Nachfolge (VV.21.28). Da läuft ein Mann auf ihn zu. Mit der ungewöhnlichen Anrede „guter Meister“ drückt er seinen Respekt vor Jesus aus. Der Kniefall erinnert an die Heilungsbitte des Aussätzigen ganz zu Beginn des Evangeliums (Mk 1,40).11 Dass der Mann sich so eilt, um mit Jesus zu sprechen, lässt vermuten, dass er mit einem wichtigen Anliegen kommt. Seine Frage gibt zugleich das Thema des Gespräches an: „Was soll ich tun, um das ewige Leben (\YJ CKXYPKQL) zu erben?“ (V.17c) Nach den Zugangsvoraussetzungen für das Leben der kommenden Welt wird im zeitgenössischen Judentum häufig gefragt.12 Der Mann ist der Überzeugung, dass dabei das eigene Tun (RQKGY) nicht unerheblich ist. Es geht ihm also nicht nur um das „ewige“ Leben, sondern ebenso sehr um das jetzige; besser gesagt: es geht um eine Art zu leben, die auch in der Ewigkeit Bestand hat.13 Die Gegenfrage Jesu wirkt auf den christlich sozialisierten Leser befremdlich: „Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein“ (18). Die Rede vom „allein guten“ Gott erinnert an das „Höre, Israel“ (Dt 6,4-9), das „Glaubensbekenntnis“ der frommen Juden, das Jesus in Mk 12,29 f. als eines der zwei wichtigsten Gebote zitiert.14 Anliegen des Autors ist es, den Mann – und damit die Leserinnen und Leser – auf Gott hinzuweisen, der hinter Jesu „gutem“ Leben steht und für den allein, wie später gesagt wird, „alles möglich ist“ (V.27). Folgerichtig verweist Jesus den Mann auf die zehn Gebote (VCLGXPVQNCL V.19), für den gläubigen Juden Gottes Weisung für eine gute Lebensführung.15 Nachdem die ersten Gebote, in denen es darum geht, Gott allein die Ehre zu geben, implizit in der Rückfrage Jesu enthalten sind,16 zitiert er jetzt aus den Geboten, 11

12 13 14

15

16

Nach Beutler ist er „Ausdruck der Ehrfurcht vor dem Göttlichen und kann hier durchaus Zeichen ältester Überlieferung sein“ (Weg, 58). Die Anrede ist in der absoluten Form „Bester“ im Griechischen bekannt (vgl. Gnilka, Markus 2, 85, A. 9). Vgl. Egger, Nachfolge, 129; Harnisch, Berufung, 118; Stanley, Ruler, 47, A.9 mit Verweis auf B. Ber 28b; b. Sot 7b; mNAv 2.7; 4,16; 5,19 (nach BAGD, 425). Vgl. S.188 zu Mk 8,35; Venetz, Markusevagelium,153; 156. So Egger, Nachfolge, 128; 134. Gnilka, Markus 2, 86 verweist auf LXX Ps 117,1; 1 Chr 16,34; 2 Chr 5,13. Nach Beutler passt die Antwort „ins Bild der Verkündigung Jesu“ (Weg, 58). Nach Egger war „zur Zeit Jesu [...] die Rezitation des ‚Höre, Israel’ mit der Aufzählung der Gebote verbunden“ (Nachfolge, 128 mit Verweis auf den Papyrus Nash; vgl. ebd., 134). So Adams, Discipleship, 509.

318

Kontextanalyse

die sich auf das Verhältnis zum Mitmenschen beziehen.17 „Ewiges Leben“ hat also der- oder diejenige, die sich auch anderen gegenüber so verhält, dass sie Gott die Ehre gibt. Über die bekannten Gebote „du sollst nicht töten“, „du sollst nicht die Ehe brechen“, „du sollst nicht stehlen“, „du sollst nicht falsch aussagen“, „du sollst Vater und Mutter ehren“ hinaus überliefern die Textzeugen ein Gebot, das nicht im Dekalog steht: OJCXRQUVGTJUJ^L, zu Deutsch: „du sollst nicht berauben“ oder „du sollst nichts vorenthalten“.18 Dt 24,14 f. LXX A erscheint dasselbe Wort in einem Gebot, Arbeiter und speziell Arme und Fremde nicht um ihren Lohn zu bringen. Mal 3,5 droht denen das göttliche Gericht an, die „dem Tagelöhner den Lohn verweigern“ (CXRQUVGTGY). Sir 4,1 steht das Verb in einer Weisung, Armen nicht den Lebensunterhalt zu entziehen. Von diesen Vergleichsstellen her gesehen ist das „neue Gebot“ an unserer Stelle ein Aufruf, einem sozial schwächer Gestellten nicht den Lebensunterhalt vorzuenthalten, der ihm zusteht. Damit passt es gut in das Gespräch mit einem Reichen, als der der Mann jedoch erst am Schluss der Geschichte identifiziert wird. Nach dem Willen Gottes zu handeln heißt also insbesondere, gegenüber sozial schwächer Gestellten Gerechtigkeit walten zu lassen. Die Antwort des Mannes (V.20) erstaunt: er nimmt für sich in Anspruch, alle von Jesus aufgeführten Gebote beachtet zu haben, noch dazu von Jugend an! Dieses Bekenntnis muss höchste Bewunderung hervorrufen.19 „Nun weiß Jesus, mit wem er es zu tun hat: mit einem Mann, der das Gesetz beobachtet und doch an Jesus diese Frage stellt: ‚Was muss ich tun’.“20 Offensichtlich ist er trotz seines gottgefälligen Lebens nicht der Ansicht, dass sein Leben „perfekt“ sei. Ihm fehlt etwas. Dies greift Jesus in seiner zweiten und definitiven Antwort auf: „Eines fehlt dir“ (V.21). G=P bildet einen Gegenpol zu RCPVC (V.20): Obwohl der Mann alles beachtet hat, verhilft ihm nur eines zum wahren Leben. Jesus meint zu wissen, was den Mann glücklich machen kann. Daher macht er einen 17

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Ebenso verbindet Jesus auch in Mk 12,29-31 die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe. Nach Gnilka greift der Text hier die Gattung der „sozialen Reihe“ auf, im hellenistischen Judentum verbreitete „Konzentrate des Sittenkodex mit stark sozialem Einschlag“; vgl. Markus 2, 86 f. mit Bezug auf Berger, Gesetzesauslegung, 418-421. Die Reihenfolge und z. T. auch die Auswahl der Gebote ist bei verschiedenen Textzeugen unterschiedlich überliefert; vgl. ebd., 86, A.16. Zur Übersetzung vgl. Preuschen; Rienecker zur Stelle („berauben“, „den Lohn vorenthalten“); Harnisch, Berufung, 118 („du sollst nichts vorenthalten“); Venetz, Markusevangelium, 153 („du sollst keinen Raub begehen“; ebenso die Einheitsübersetzung); Gnilka, Markus 2, 86 („Du sollst nicht berauben“). Crossley, Rich, 397, der parallele Vokabeln in den LXX, den Targumim und der Peshitta untersucht, stößt dort u. a. auf die Bedeutung „jemanden auf unfaire Weise ausnutzen“ (Lev R 21,1). Der Verdacht, dies sei ein Versuch der „Selbstrechtfertigung“ von Seiten des Mannes (so Harnisch, Berufung, 110), entspringt gut protestantischem Denken, nicht jedoch dem Text, wo die Aussage des Mannes mit keinem Wort kritisiert wird. Egger, Nachfolge, 128.

Kontextanalyse

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weitergehenden Vorschlag: „Komm [...] und folge mir nach!“ Dieser Aufruf ist vor dem Hintergrund der Zusage an die Jünger im dritten Teil zu verstehen: der Mann soll an dem „Hundertfachen“ teilhaben, das die, die ihm nachfolgen, schon „in dieser Weltzeit“ gewinnen (V.30). Er soll die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern, Mütter und Kinder und die Gastfreundschaft in ihren Häusern erfahren. Wenn Jesus den Mann einlädt, ihm nachzufolgen, dann deswegen, weil er dadurch schon hier und jetzt ein volleres, reicheres Leben gewinnt. Der Blick (GXODNGRGKP) und die liebevolle Geste,21 die am Beginn des Verses berichtet werden, sind nicht nur ein retardierendes Moment, das die Aufmerksamkeit auf das gleich zu Sagende lenkt. Sie sind auch der Schlüssel zu dessen Verständnis. Der Ruf in die Nachfolge gründet in der Liebe, die Jesus für den Mann hat. Jesus meint es gut mit ihm, deshalb empfiehlt er ihm dasselbe Leben, das auch er lebt und das ihn selbst „reich“ macht. Aus dem Lehrgespräch wird damit unversehens eine Berufungserzählung. Das bestätigt auch das Vokabular, das sich in der Erzählung von der Berufung der ersten Jünger wiederfindet(FGWTYvgl. Mk 1,17; CXMQNQWSGY vgl. Mk 1,18). Nimmt der Mann die Einladung an, so folgt daraus, dass er seinen Besitz verlassen muss. „Es ist doch klar, dass man Jesus nicht mit sieben Truhen voll Kostbarkeiten, acht Schränken voll Kleidern, neunzig Schafen und zwei Ochsen nachfolgen kann.“22 Und was könnte er Besseres tun, als alles den Armen zu schenken! Die Verheißung, dass er sich damit „einen Schatz im Himmel“ anlegt, ist ein anderer, von jüdischen Vorstellungen geprägter Ausdruck für das, was der Mann anfangs als „das ewige Leben gewinnen“ bezeichnete.23 Ähnlich empfiehlt auch der Verfasser des ersten Timotheusbriefes denen, die „in dieser Welt reich sind“ (6,17), „was sie haben, mit anderen zu teilen. So sammeln sie sich einen Schatz als sichere Grundlage für die Zukunft, um das wahre Leben zu erlangen“ (6,19). Der Mann hatte mit einer solchen Antwort offenbar nicht gerechnet. Er kann die Einladung nicht annehmen. Überrascht, ja „entsetzt“ oder „sehr betrübt“ geht er weg (V.22).24 „Aus der Erkenntnis der Möglichkeiten, die ihm offen stehen

21

22 23

24

Nach Gnilka bezeichnet JXICRJUGP „eine konkrete Äußerung der Liebe (küssen, umarmen, liebkosen)“. Er übersetzt denn auch mit „küssen“ (Markus 2, 83); Venetz mit „umarmen“ (Markusevangelium, 153). Der Blick erinnert an die Berufung der ersten Jünger, die Jesus ebenfalls zuerst „sieht“ (Mk 1,16.19), bevor er sie in die Nachfolge ruft. Allerdings steht dort QBTCY. Venetz, Markusevangelium, 154; ähnlich Egger, Nachfolge, 135; Lambrecht, Rich, 2. Vgl. Gnilka, Markus 2, 87, A.19 mit Verweis auf äth Hen 38,2; 4 Esr 7,77; Pea 1,1 (nach Strack-Billerbeck I, 429-431); Venetz, Markusevangelium, 154; Stanley, Ruler, 48; Lambrecht, Rich, 2. Zur Übersetzung vgl. Beutler, Weg, 58 („sich entsetzen“, „trübe werden“); Gnilka, Markus 2, 88 („Verdruss und Trauer“).

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und für die er sich nicht entscheiden kann, entsteht die Trauer.“25 Damit nimmt die Geschichte wieder eine unerwartete und für eine Berufungserzählung ganz und gar ungewöhnliche Wendung. Nirgends sonst wird berichtet, dass jemand den Ruf Jesu ablehnt. Ob der Mann deswegen nicht in das Reich Gottes hineinkommt, ist hier nicht gesagt. Sicher ist, dass er eine Chance vertut, schon jetzt zu einem erfüllteren Leben zu finden. Der Grund seiner für Berufungsgeschichten ganz untypischen Zögerlichkeit – man erinnere sich an die ersten Jünger, die ohne zu zögern ihre Netze, Boote und ihren Vater zurücklassen (Mk 1,16-18), und an Levi, der sofort von seiner Zollstätte aufsteht (Mk 2,14) – liegt, wie der Text erklärend nachschiebt, darin, dass der Mann „sehr vermögend war“. Erst jetzt erfährt die Leserin vom „vielen Besitz“ (MVJOCVCRQNNC) des Mannes. Der nachgestellte ICT-Satz lässt vermuten, dass diese Information vom Evangelisten eingefügt wurde. Die zusätzliche Erklärung für die ablehnende Reaktion des Mannes ergibt sich aus der Erzählung selbst, wo der Mann zum Verkauf von „dem, was er hat“, aufgefordert wird (V.21). Andererseits dürfte es auch Menschen ohne viel Besitz schwer gefallen sein, ihre Heimat zu verlassen und ihre bisherige Lebensweise aufzugeben. Die Geschichte des reichen Mannes drückt die Erfahrung der frühen Kirche aus, dass es bereits damals schwierig war, Christen und Christinnen für das Leben als Wanderprediger zu gewinnen.26 Im Nachhinein fragt man sich: Warum wohl hatte der Mann Jesus angesprochen? Was hatte er erwartet? – ein Lob? Kontaktaufnahme? weitere Gebote? Durch sein Weglaufen wird er zum „dunklen Gegenbild“ der Jünger, für die Petrus im dritten Teil der Perikope bekennt, dass sie „alles verlassen“ haben und Jesus „nachgefolgt“ sind (V.28).27 Sein Konterpart wird am Ende des Mittelteils der arme, blinde Bartimäus werden, der sich ohne zu zögern mit Jesus auf den Weg macht. Eine eigene Einladung hat Bartimäus nicht nötig. Zunächst jedoch nimmt Jesus die Reaktion des Mannes zum Anlass für eine Belehrung an den Jüngerkreis.

13.2.2 Die Reichen und das Reich Gottes (VV. 23-27) Nach dem überstürzten Weggang des reichen Mannes leitet Jesu Blick in die Runde die Jüngerbelehrung ein. Sein erstes Wort zieht das Fazit aus dem Verhalten des reichen Mannes: „Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen!“ (23) Im Zusammenhang mit dem traurigen Ausgang der Berufungsgeschichte wirkt der Ton keineswegs ärgerlich, sondern vielmehr klagend. Ausgehend von der Erfahrung mit dem reichen Mann stellt Jesus die Gefährlichkeit des Reichtums fest. Der Gedanke, dass viel Besitz das 25 26 27

Egger, Nachfolge, 135. So Egger, Nachfolge, 132 f.; 136. Beutler, Weg, 58.

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Eingehen in das Reich Gottes behindert, ist traditionsgeschichtlich alt.28 Die Frage nach dem „Reich Gottes“ ist von der Zielrichtung her identisch mit der Frage nach dem „ewigen Leben“ (10,17). Beide Begriffe werden in den Skandalonsprüchen parallel gebraucht (\YJ Mk 9,43.45; DCUKNGKCVQWSGQW Mk 9,47). Der Terminus „Reich Gottes“ stellt darüber hinaus eine Verbindung zur letzten Perikope her, wo es „solchen wie den Kindern“, d. h. den Armen und Geringen, verheißen wurde (Mk 10,14). Ist das Wort zunächst in einer armen Gemeinde entstanden, so dürfte die Realität des Markus bereits anders ausgesehen haben. „Es ist anzunehmen, dass es in dieser Gemeinde auch Wohlhabende gab“.29 Die Jünger, die als historische Personen sicher nicht reich waren, sind hier als Identifikationsfiguren der Gemeinde angesprochen. Ihre erschreckte Reaktion auf Jesu Worte (SCODGQOCK V.24) „passt wohl eher in das soziale Milieu der (vor)mk Gemeinde.“30 Furcht und Schrecken sind an anderen Stellen im Evangelium Symptom für das Unverständnis und den kleinen Glauben der Jünger.31 Auch hier zeigt ihr Erschrecken, dass sie vom Ernst der Nachfolge noch wenig begriffen haben. Daher wiederholt Jesus seinen Kommentar, wenn auch in verallgemeinerter Form: „Meine Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen!“ Der explizite Bezug auf die Besitzenden fehlt in dieser Variante. Da der Kontext jedoch der selbe bleibt und das Problem des Besitzes im folgenden Vers wieder aufgegriffen wird, dürfte das Wort ebenso wie V.23 auf die Reichen zu beziehen sein.32 Die ungewöhnliche Anrede „Kinder“ (VGMPC), die im Markusevangelium nur an dieser Stelle begegnet, spricht die Jünger bzw. die dahinter stehende Gemeinde nochmals in besonderer Weise an. Wie auch an anderer Stelle dürfte es Markus sein, der nach dem Einschub des Jüngererschreckens durch Wiederholung des Vorherigen den Faden wieder aufnimmt (vgl. 13,9.11). Die Warnung vor dem Besitz wird noch verstärkt durch das folgende Logion vom Kamel und dem Nadelöhr (V.25). Aufgrund der provokativen Formulierung und der Kritik am Reichtum ist es gut möglich, dass das Wort auf Jesus selbst zurückgeht.33 In der schriftlichen Textüberlieferung gab es bereits Versuche, die Aussage des Spruches abzuschwächen. Eine Variante ersetzt das Kamel (MCOJNQL) durch ein Schiffstau (MCOKNQL).34 Eine andere ergänzt in V.24 „die auf 28 29 30 31 32 33

34

Vgl. Beutler, Weg, 59 mit Verweis auf QLk 6,24; Jak 5,1-6. Gnilka, Markus 2, 88, A.24 verweist auf Ps 62,11; Spr 15,16 f.; Sir 31,3-11. Venetz, Markusevangelium, 155. Beutler, Weg, 59. Vgl. 4,40; 6,50; 9,6.32; 10,32 sowie S.222. Mit Lambrecht, Rich, 3. So Gnilka, Markus 2, 89. Crossley, Rich, 400 verortet das Wort im Galiläa der 20er Jahre nach der Zeitenwende, einer agrarischen Gesellschaft mit ausgeprägten sozialen Unterschieden. Vgl. Gnilka, Markus 2, 88 mit Verweis auf 13 38 georg; Köbert, Kamel.

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den Reichtum vertrauen“, statt von „den Reichen“ generell zu sprechen.35 In der späteren Interpretation wird die zweite Bildhälfte vom Nadelöhr zuweilen auf ein Jerusalemer Stadttor bezogen.36 Die Gegenüberstellung des Kamels als größtem in Palästina bekannten Tier und des Nadelöhrs als kleinster vorstellbarer Öffnung spricht jedoch eine deutliche Sprache. „Nicht einmal im Traum geht ein Elefant durch ein Nadelöhr“, heißt es im Talmud b Berakot 55b.37 Auf den Punkt gebracht bedeutet das: Es ist für einen Reichen unmöglich, in das Reich Gottes zu kommen. Es erstaunt nicht, dass die Jünger, die bereits über den ersten Kommentar Jesu erschrocken waren, über das harte Wort zur Unvereinbarkeit von Besitz und Reich Gottes nun „über die Massen entsetzt“ sind (RGTKUUYLGXZGRNJUUQPVQ V.26). Ihre Frage „Wer kann dann gerettet werden?“ wiederholt nochmals mit anderen Worten die Frage des Mannes nach dem „ewigen Leben“ (V.17). Sie leitet über zu V.27, in dem Markus seine eigene Antwort präsentiert. Wie im Gespräch mit dem reichen Mann ist das abschließende Wort Jesu durch den Blick auf die Adressaten hervorgehoben (GXODNG[CL vgl. V.21). Zugleich entsteht eine Inklusion mit seinem Blick in die Runde am Beginn der Jüngerbelehrung (RGTKDNG[COGPQL V.23). „Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich“ (RCPVCFWPCVCRCTCVY^SGY^).38 Nach allem, was bisher gesagt wurde, muss diese Wendung überraschen – und erleichtern. Was in dem Bildwort vom Kamel und dem Nadelöhr noch als schlechthin unmöglich dargestellt wurde, kann Gott bewirken. Mit anderen Worten: „Gott kann das Kamel durch das Nadelöhr bekommen.“39 Das abschließende Jesuswort erinnert bis in die Formulierung hinein an das Gespräch mit dem Vater des epileptischen Jungen: „Alles ist möglich für den, der glaubt“ (RCPVCFWPCVC VY^ RKUVGWQPVK Mk 9,23). Beim Gebet Jesu in Getsemani erscheint derselbe Satz nochmals in verändertem Kontext: „Vater, alles ist dir möglich“ (Mk 14,36). Ähnliche Formulierungen begegnen bereits im Alten Testament; so etwa in der Verheißung eines Sohnes an die gealterte Sara (Gen 18,14), in der Ankündigung des Wiederaufbaus der Stadt Jerusalem an den Propheten Sacharja (8,6) sowie in der ersten Gegenrede des 35 36 37

38 39

Vgl. ebd., A.25. Es handelt sich um Handschriften aus dem 5./6. (A, C, D) sowie aus dem 9.-12. Jh. (3; f 1.13; 1241). Vgl. Crossley, Rich, 399; Beutler, Weg, 59. Diese Überlieferung ist allerdings jüngeren Datums als das Neue Testament; vgl. Stanley, Ruler, 49, A. 20. Zum Kamel verweist Stanley auf Michel, MCOJNQL; zum Nadelöhr auf BAGD, 506. Zur Übersetzung von RCTC c. dat. vgl. Preuschen („in den Augen, nach der Meinung von“) sowie Stier und Wilckens, die Herder- und die Einheitsübersetzung. So Stanley, Ruler, 49 (Übersetzung von mir); ähnlich E. Fuchs: „Wo ein Mensch so wenig durchkommt wie das Kamel durchs Nadelöhr, da kommt Gott herein, wenn er will“ (Glaube, 252; nach Harnisch, Berufung, 125).

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Ijob (10,13) und im Schlusswort des Buches (42,2). Auf das Vertrauen in Gott kommt es also letztlich an. Dieses befähigt auch dazu, den Besitz und andere Sicherheiten loslassen zu können. Ähnlich wie in Mk 9,23 f. liegt hier die Theologie des Evangelisten offen zutage: eine beeindruckende Integrationsleistung, die zwischen der rigorosen Linie der Anfangszeit und der veränderten Situation der Gemeinde, zu der inzwischen auch Wohlhabende gehören, vermittelt. „Am Ende“ steht somit „anstelle der Auffassung, man müsse etwas Bestimmtes tun, um Leben zu gewinnen, eine Verheißung Jesu“. Diese Zusage erweist sich schließlich als „Hauptgedanke des Textes“.40 Auch den Reichen ist damit das Tor zum Reich Gottes geöffnet. Zugleich werden alle Gläubigen unabhängig von ihrer materiellen Situation auf Gott verwiesen, der allein über den Zugang zu seinem Reich entscheidet.

13.2.3 Der Lohn des Lassen-Könnens (VV.28-31) Der dritte Abschnitt der Perikope führt die Zusage von Gottes Möglichkeiten in einer Verheißung an diejenigen fort, die „alles verlassen haben und Jesus nachgefolgt sind“ (V.28). Der Kommentar des Petrus gibt anstelle der in Apophthegmata sonst üblichen Frage den Anlass für die Belehrung Jesu.41 Wie das Vokabular (RCPVC, CXHKJOK, CXMQNQWSGKP) und auch das Interesse an der Figur des Petrus vermuten lassen, dürfte er vom Evangelisten in Anlehnung an die folgenden Verse (29 f.) gebildet worden sein. Die pluralen Verbformen machen deutlich, dass Petrus als Sprecher der Zwölf agiert. Die Formulierung wird den aufmerksamen Leser an die Erzählung von der Berufung der ersten Jünger erinnern: „Und sogleich ließen sie die Netze zurück (CXHGPVGL) und folgten ihm (JXMQNQWSJUCP).“ (Mk 1,18) „Und sie ließen ihren Vater Zebedeäus mit den Tagelöhnern im Boot zurück (CXHGPVGL) und folgten ihm (CXRJNSQP QXRKUY CWXVQW).“ (Mk 1,20) Jesus richtet seine Antwort ebenfalls an alle Jünger („Ich sage euch“), ja darüber hinaus an alle, die handeln wie sie: „Es ist keiner, der... zurücklässt“ (V.29). Die Antwort Jesu wird mit der feierlichen „Amen“-Formel eingeleitet, die ihr besonderen Nachdruck verleiht. Der Evangelist zitiert hier ein selbständig überliefertes Wort.42 Die Wendung „um meinet- und des Evangeliums willen“ dürfte er hinzugefügt haben, mindestens jedoch den Bezug auf das Evangelium (vgl. Mk 8,35; 13,10; 14,9).43 Sie gibt den Grund des Zurücklassens an und tritt damit an die Stelle des „Nachfolgens“ in V.28. Eine ausführliche Aufzählung des Zurückgelassenen expliziert das RCPVC aus V.28: „Haus oder Brüder, 40 41 42

43

Zitate (in dieser Reihenfolge): Egger, Nachfolge, 134; 131. Nach Egger „hat die Feststellung den Sinn einer Frage“ (Nachfolge, 128). Vgl. Harnisch, Berufung, 113. Nach Beutler scheint an dieser Stelle „noch ein altes Jesuswort durch“ (Weg, 59); nach Lambrecht wurzelt das Wort in der Erfahrung der frühen Kirche (Rich, 8). Vgl. S.189.

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Kontextanalyse

Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker“. Haus und Äcker stehen für die Sicherheit des Besitzes und die Geborgenheit eines „Zuhause“; Geschwister, Eltern und Kinder für die Aufgabe familiärer Beziehungen, mit denen sich auch eine gewisse materielle Sicherheit verbunden haben dürfte. Der Spruch nimmt damit Bezug auf die Lebensweise der Wandermissionare. Das Fehlen der Ehefrau unter den Familienangehörigen dürfte darauf zurückzuführen sein, dass Eheleute nicht selten gemeinsam in missionarischem Auftrag die Gemeinden bereisten.44 Jedem, der (oder die) all das andere zurücklässt, verheißt Jesus in V.30 „hundertfachen“ Lohn. Bereits „jetzt in dieser Zeit“ sollen sie „Häuser, Brüder, Schwestern, Mütter, Kinder und Äcker erhalten“. Diese Verheißung bezieht sich auf die Gemeinden, die durch den gemeinsamen Glauben zur neuen Familie der Wandermissionare werden. Dasselbe Bild von den Gläubigen als neuer Familie vermittelt bereits Mk 3,35: „Wer den Willen Gottes tut, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.“ An beiden Stellen fällt das Fehlen der Väter auf – eine implizite Kritik an der patriarchalen Gesellschaft. Die Rolle des Familienoberhauptes, dem sich alle unterzuordnen haben, gibt es im Reich Gottes nicht. Gott allein ist „Vater“ aller.45 Durch die Gastfreundschaft der Glaubensbrüder und schwestern sind deren Häuser und Äcker sozusagen auch die der Wanderprediger. Hundertfach Verbündete und überall Häuser und Äcker zu haben – diese Erfahrung ist das Privileg derer, die „alles verlassen um Jesu und des Evangeliums willen“. Das ist Jesu Antwort auf die Frage nach dem erfüllten „Leben“ (vgl. VV.17.21), das schon in der Gegenwart erfahrbar wird – und zugleich eine kühne Zusage des Evangelisten an seine Gemeinde. Ein Wermutstropfen mischt sich jedoch in die Verheißung: Markus ist ehrlich genug, den Hinweis auf die Verfolgungen hinzuzusetzen. Vollkommen ist erst das „ewige Leben“ der kommenden Welt.46 Dieses erhalten auch diejenigen, die nicht alles verlassen haben und infolge dessen auch nicht im selben Maß wie die Wandermissionare in den Genuss der „hundertfältigen“ Verwandtschaftsbeziehungen, Häuser und Äcker kommen.47 Zwischen der Verheißung ewigen Lebens in V.30 und der Frage des reichen Mannes am Beginn der Perikope

44

45

46 47

Vgl. S.304. Stegemann, Kinder, 119 f.; Schottroff, Frauen, 103 denken beim „Verlassen“ der Familien dagegen weniger an die Existenz der Wandermissionare als an das Auseinanderbrechen der Familien aufgrund von Verfolgung oder Diffamierung (vgl. Mk 13,12). Vgl. auch Fander, Stellung, 370; Schottroff, Frauen, 104; Stegemann, Kinder, 120; 139; Beutler, Weg, 59 mit Verweis auf Lohfink, Gemeinde, 57-63; Venetz, Markusevangelium, 156 sowie 93-98 zu Mk 3,31-35. Die Unterscheidung des jetzigen und des künftigen Lohnes dürfte auf Markus zurückgehen; vgl. Beutler, Weg, 59 sowie (nur zu den Verfolgungen) Lambrecht, Rich, 9. Vgl. Lambrecht, Rich, 4.

Kontextanalyse

325

(V.17) schafft der Evangelist eine Inklusion. Die Frage des Mannes findet hier ihre letzte Antwort. Zum Thema „ewiges Leben“ präzisiert der folgende Vers (31): „Viele Erste werden nämlich48 Letzte sein und Letzte Erste.“ Es handelt sich um einen traditionellen Spruch, den Markus in seinem Evangelium insgesamt dreimal aufgreift. Hier bildet er eine Inklusion mit dem Beginn des Abschnitts nach der zweiten Leidensankündigung (Mk 9,35). Im Anschluss an die dritte Ankündigung von Leiden und Auferstehung nimmt der Evangelist den Satz von den „Ersten“ und „Letzten“ nochmals auf (Mk 10,44). Dabei variiert er den Spruch, indem er dem „Ersten“ den Sklaven gegenüberstellt, der in der geltenden Gesellschaftsordnung den letzten Platz einnimmt. Ähnlich hatte Markus bereits in 9,35 dem „Letzten“ den „Diener“ beigeordnet. Die für den neuen Äon erwartete Umkehrung der Werte soll also durch die, die Jesus nachfolgen, mitten in den konkreten gesellschaftlichen Gegebenheiten bereits Wirklichkeit werden.

13.3

Fazit

Die dritte Belehrung des zehnten Kapitels kreist um die Vereinbarkeit von Reichtum und Nachfolge und um deren Auswirkungen für den Zugang zum „Reich Gottes“ oder zum „ewigen Leben“. Sie besteht aus drei Lehrgesprächen. In der ersten Szene wird Jesus von einem Mann gefragt, was er tun müsse, um „ewiges Leben zu erben“ (V.17); anders gesagt: welches Tun sein Leben so erfüllen kann, dass es bis in Ewigkeit Bestand haben wird. Jesus verweist den Mann zunächst auf die Güte Gottes und auf Seine Gebote für den Umgang mit anderen (VV.18 f.). Das Verhalten gegenüber den „Nächsten“ spielt also eine wichtige Rolle in Bezug auf das „ewige Leben“. Neu ist der Aufruf, einem schwächer Gestellten nicht den Lebensunterhalt vorzuenthalten, den der Text in die Reihe der alttestamentlichen Gebote einfügt. Nachdem sich herausstellt, dass der Mann die Gebote bereits „von Jugend an“ befolgt (V.20), lädt ihn Jesus in den Kreis der wandernden Jünger ein. Er soll an dem „hundertfachen“ Leben teilhaben, das die, die ihm nachfolgen, schon „in dieser Weltzeit“ gewinnen (vgl. V.30). Das setzt allerdings voraus, dass er Haus und Besitz zurücklässt und seine Lebensweise von Grund auf ändert (V.21). Unfähig zu dieser Konsequenz verlässt der Mann Jesus ebenso überstürzt, wie er zu ihm herangeeilt war (V.22). Die anschließende Jüngerbelehrung verarbeitet den abgelehnten Ruf in die Nachfolge. Ein traditioneller Kern konstatiert die Unmöglichkeit, dass Menschen mit viel Besitz „in das Reich Gottes kommen“ (V.23), illustriert durch das Logion vom Kamel und dem Nadelöhr (V.25). Markus hebt diese Warnung noch hervor, indem er das Wort von der Schwierigkeit des Eingehens in das 48

FG ist nach Preuschen eine Partikel des Übergangs und/oder Gegensatzes.

326

Kontextanalyse

Reich Gottes verdoppelt (V.24b) und auch die entsetzte Reaktion der Jünger zweimal schildert (V.24a.26). Neben der Kreuzesnachfolge scheint also auch die Aufgabe des Besitzes in seiner Gemeinde ein heikles Thema gewesen zu sein. Der Aussageschwerpunkt liegt jedoch auf dem letzten Vers, in dem Jesus alle Jüngerinnen und Jünger zum Vertrauen auf Gottes Möglichkeiten und auf Seine Güte ermutigt (V.27). Der dritte Teil setzt ein mit dem Hinweis des Petrus, dass die Jünger „alles verlassen haben und Jesus nachfolgen“ (V.28). Das Gespräch geht damit nochmals zu der gescheiterten Nachfolgeerzählung zurück. Die Antwort Jesu verspricht allen, die „um seinet- und des Evangeliums willen“ ein Leben als Wanderprediger auf sich nehmen, bereits jetzt „hundertfachen“ Lohn (VV.29 f.). In den Gemeinden finden sie neue Familien, neue Heimat und materielle Sicherheit. So eröffnet die Nachfolge Jesu nicht nur das Leben der „kommenden Welt“, sondern ermöglicht bereits in der Gegenwart ein erfülltes Leben. Zum Abschluss der Perikope und zugleich der gesamten Belehrungen zwischen zweiter und dritter Leidensankündigung zitiert der Evangelist das Wort von den „Ersten“ und „Letzten“ (V.31)., das am Beginn des Abschnitts im Anschluss an den Rangstreit der Jünger bereits angeklungen war (Mk 9,35). Es bezieht sich hier wiederum auf die radikal andere Wertordnung des Reiches Gottes, die im Leben der Gemeinde und speziell der Wandermissionare erfahrbar wird. Der letzten Belehrung dieses Abschnitts hat der Evangelist deutlich seinen theologischen Stempel aufgeprägt. Die Ermunterung zum Vertrauen auf die Möglichkeiten Gottes (V.27) trägt ebenso seine Handschrift wie die kühne Zusage des „hundertfachen“ Lohnes, die auf die geschwisterliche Verbundenheit in den Gemeinden Bezug nimmt (V.30).

14.

Zwischenergebnis: „Der soll aller Diener sein.“ Der Kontext der zweiten und dritten Ankündigung

Auf die zweite Ankündigung von Leiden und Auferstehung folgt ein Rangstreit der Jünger „auf dem Weg“. Er steht paradigmatisch für das Thema des mitmenschlichen Umgangs, das die folgenden Belehrungen dominiert. Im Anschluss an den Rangstreit fordert Jesus die Jünger erstmals zu einer Umkehrung der gesellschaftlichen Rangordnung auf: Wer „Erster“ sein will, soll sich verhalten wie der „Letzte“ und der „Diener aller“. Die Überlegungen des Philosophen Emmanuel Lévinas, der das Sein-fürAndere in jeder Hinsicht dem Selbst-Sein vorordnet, tragen zum Verständnis dessen bei, was mit „Diener“ und „Letzter sein“ gemeint ist. „Dienen“ bedeutet demnach, den anderen vor den eigenen Bedürfnissen und dem Drang nach Selbstbehauptung den Vorrang zu geben. Da sich der Aufruf zum Dienen letztlich an alle richtet, zielt er nicht nur auf die Umkehr der gesellschaftlichen Rangordnung, sondern auf ihre Abschaffung. Dienen setzt die freie Entscheidung einer reifen Persönlichkeit voraus. Ziel ist nicht etwa der Verlust seiner selbst, sondern die Selbstfindung und der Gewinn erfüllten Lebens. Um den Aufruf zum Dienen zu verdeutlichen, stellt Jesus stellvertretend für alle Kleinen und Geringen ein Kind in die Mitte des Jüngerkreises und umarmt es – eine Geste der Gleichrangigkeit. In der Zeichendeutung identifiziert er die Kinder als Boten Gottes und seines Reiches. Wer sie gastlich aufnimmt, nimmt damit Gott selber auf. Weitere Einzelüberlieferungen entfalten die Haltung des Dienens und die Bedeutung der Kleinen. Anlässlich der Begegnung der Jünger mit einem fremden Exorzisten fordert Jesus Demut und Großherzigkeit auch gegenüber Leuten, die nicht zu ihrer Gruppe gehören. Die Verheißung himmlischen Lohnes an diejenige, die den wandernden Jüngern „ein Glas Wasser zu trinken gibt“, hebt einen ganz einfachen Dienst lobend hervor. Drei traditionelle Sprüche über das „Ärgernisgeben“ bezieht der Evangelist ebenfalls auf die Achtung vor den Kleinen. Die drakonische Strafe des Ertränkens mit einem Mühlstein um den Hals unterstreicht in diesem Kontext ebenso wie der drastische Rat zum Abhacken des Fußes und der Hand und zum Ausreißen des Auges die Bedeutung der Geringsten. Die erste Reihe der Belehrungen endet mit einem Aufruf zum Frieden, der sich im gegenseitigen Dienen und im Respekt vor den Kleinen verwirklicht. Damit schließt sich auch der Kreis mit dem anfangs berichteten Rangstreit.

328

Kontextanalyse

Nach einem Ortswechsel, der Jesus und die Jünger näher an Jerusalem heranführt, schließen drei weitere Lehrgespräche an. Der Aufruf zur Treue gegenüber dem Ehepartner fügt sich vor dem Hintergrund der damaligen Scheidungspraxis in den Kontext der Achtung vor den Kleinen ein. Die Szene von der Kindersegnung veranschaulicht nochmals deren Bedeutung. Das dritte Lehrgespräch handelt vom Umgang mit dem Besitz und von dem „hundertfachen“ Leben, das sich in der Nachfolge Jesu gewinnen lässt. Die Stichworte „[ewiges] Leben“ und „Reich Gottes“, die auch in den Skandalonsprüchen begegnen, greifen ein zentrales Thema aus dem Kontext der ersten Leidensankündigung wieder auf (vgl. 8,35-37). Deutlicher als in den Worten vom Gewinnen und Verlieren des Lebens bezieht der Evangelist die Verheißung „ewigen“ Lebens auf ein erfülltes Leben, das bereits im Diesseits beginnt. Der letzte Vers der Perikope erinnert an die verheißene Umkehr der Verhältnisse im Reich Gottes, wenn „Erste Letzte und Letzte Erste sein werden“. Damit führt er wiederum zurück zum Beginn des Abschnitts, wo im Anschluss an den Rangstreit der Jünger ein ähnlicher Spruch zitiert worden war. Nach der dritten Ankündigung von Leiden und Auferstehung schärfen ein erneuter Rangstreit unter den Jüngern und der anschließende Aufruf zum Dienen nochmals die neue Rangordnung des Reiches Gottes ein. Dem „normalen“ Sozialverhalten, die eigene gesellschaftliche Position auf Kosten der anderen voranzubringen, setzt Jesus den Umgang unter den Jüngern entgegen, wo jeder der anderen soviel Aufmerksamkeit entgegenbringen soll wie ein Sklave seinem Herrn. Abschließend verweist er auf sein eigenes Vorbild: Der „Menschensohn“ selbst gibt mit seinem Leben und Kreuzestod ein Beispiel des Dienens an den anderen, das bis zum äußersten geht. Damit ruft der Spruch zugleich den Beginn des Mittelteils mit der ersten Ankündigung von Leiden und Auferstehung in Erinnerung und bereitet den folgenden Hauptteil mit dem tödlichen Konflikt in Jerusalem vor. Zuletzt bleibt noch der Rahmen zu besprechen. Der Mittelteil des Evangeliums schließt, wie er begann: mit einer Blindenheilung (10,46-52).

15.

Blinde werden sehend. Heilung und Nachfolge des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52)

15.1

Stellung im Kontext, Herkunft, Form und Aufbau

Die Heilung des blinden Bartimäus ist die letzte Wundergeschichte im Markusevangelium. Im Gegensatz zu allen anderen Wundern spielt sie nicht in Galiläa, sondern in Judäa, auf dem Weg nach Jerusalem. Jedoch legt Markus bereits im Mittelteil des Evangeliums keinen großen Wert mehr auf die Wundertätigkeit Jesu. Von daher steht die zweite Blindenheilung an ähnlich ungewöhnlicher Stelle wie die Heilung des taubstummen Besessenen in Mk 9,14-29. Wie die letztere ist sie gegenüber der strengen Form der Wundererzählung erheblich erweitert. Besonders auffällig ist wiederum die „stark dialogische Struktur der Perikope“, was sich auch in der Dominanz der Verben des Sagens niederschlägt.1 Wie bereits in Mk 9,14-29 kommt in den Dialogen insbesondere das Thema des Glaubens und das Gebet ins Spiel. Die Exposition der Wundergeschichte, in der normalerweise der Kranke eingeführt und das Leiden sowie die Heilungsbitte wiedergegeben werden, ist dadurch ungewöhnlich lang.2 Statt des üblichen Heilungsgestus oder -wortes verweist Jesus auf den Glauben des Geheilten. Ebenso fehlt eine Demonstration der Heilung. An ihre Stelle tritt die Nachfolge „auf dem Weg“ (V.52). Die Geschichte zeigt ungewöhnliches Interesse an der Person des Blinden ähnlich wie Mk 9,14-29 an der Person des Vaters. Als einziger Geheilter in den synoptischen Evangelien wird er mit Namen genannt.3 Von seinem Standpunkt aus wird erzählt; er ist der eigentliche Protagonist.4 Der aramäische Name Bar-Timäus, „Sohn des Timäus“, ist möglicherweise eine historische Reminiszenz ähnlich wie der Name des Jaïrus in Mk 5,22 und die Erwähnung von Simon von Kyrene und dessen Söhnen Alexander und Rufus in Mk 15,21. Zusammen mit der Lokalisierung in Jericho und den Titeln 1

2 3

4

Im einzelnen: NGIGKP 6x: 47.49 (2x).51 (2x).52, HYPGKP 3x V.49; MTC\GKP 2x 47 f., GXRKVKOCP 48, CXRQMTKPQOCK 51; vgl. Eckstein, Markus 10,46-52, 38 f. (auch zur Vokabelstatistik); Beutler, Weg, 71; Zitat: Kirchschläger, Bartimäus, 1109. Genau genommen geht sie bis V.51; vgl. Eckstein, Markus 10,46-52, 34. An zwei Stellen werden Angehörige von Kranken namentlich erwähnt, nämlich Mk 1,30 Simon und Mk 5,22 Jaïrus. Als Geheilter wird lediglich Lazarus in Joh 11 mit Namen genannt. Sechsmal ist Bartimäus Subjekt des Geschehens, viermal Jesus, zweimal die Menge; vgl. Eckstein, Markus 10,46-52, 38.

330

Kontextanalyse

„Rabbuni“ (V.51) und „Sohn Davids“ (VV.47 f.) verweist er auf das hohe Alter der Geschichte und ihre Entstehung im palästinischen Judenchristentum.5 Die Abweichungen von der Form der Wundererzählung haben zu zahlreichen Versuchen geführt, die Erzählung einer anderen Gattung zuzuordnen. Insbesondere ist auf die Züge einer Berufungsgeschichte wie den (durch die Menge vermittelten) Ruf Jesu (V.49), das Zurücklassen des Mantels (V.50) und die Nachfolge auf dem Weg (V.52) hingewiesen worden.6 Trotz oder gerade wegen der Erweiterungen bleibt die Erzählung eine Wundergeschichte. Mit der Betonung von Glauben und Nachfolge ist sie „paradigmatisch für die neutestamentliche, insbesonders die markinische Wundererzählung.“7 Aufgrund der Analyse des Wortfelds „Bewegung“, das neben den Verben des „Sagens“ die Geschichte dominiert, lässt sich die Geschichte in drei Szenen unterteilen: 1. Jesus geht vorüber; der Blinde sitzt am Weg (VV.46-48); 2. Jesus bleibt stehen; der Blinde kommt zu ihm (VV. 49-51); 3. Jesus geht weiter; der Geheilte folgt ihm auf dem Weg (V.52).8

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7

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Vgl. Steinhauser, Bartimaeus, 592; Eckstein, Markus 10,46-52, 44 f.; Gnilka, Markus 2, 109; Robbins, Healing, 232; Johnson, Bartimaeus, 193 f.; Beavis, Margin, 29 f. Nach Kirchschläger geht „der Kern der Erzählung auf das historische Wirken Jesu zurück“ (Bartimäus, 1119 f.); ähnlich Gnilka, ebd., 111. Die Übersetzung des Namens für die des Aramäischen unkundigen, griechischsprachigen Leser ist, für Markus ungewöhnlich, vorangestellt und verzichtet auf die markinische Übersetzungsformel Q= GXUVKP [OGSGTOJPGWQOGPQP] (vgl. 3,17; 5,41; 7,11.34; 12,42; 15,16.22.34.42), was auf einen vormarkinischen Ursprung schließen lässt. So zieht Steinhauser eine Parallele zur alttestamentlichen “call story”, in die eine „abgekürzte Wundergeschichte“ eingearbeitet sei; vgl. Bartimaeus, 584 ff.; Zitat: 587 (Übersetzung von mir). Eckstein sieht hinter der Geschichte die Struktur einer „antiken herrscherlichen Audienz“; vgl. Markus 10,46-52, 41 f. (Zitat: 41). Beavis, Margin, 36 verweist ausgehend von der Anrede Jesu als „Sohn Davids“ auf das “recognition oracle”, eine Form der Prophezeiung, wo der königliche oder göttliche Status einer Person offenbart wird. Kirchschläger, Bartimäus, 1121. Entsprechend redet Kirchschläger von einer „Glaubens- und Nachfolgegeschichte“, in der das Heilungswunder als „Hintergrund“ für die Darstellung der Beharrlichkeit und des Vertrauens des Kranken diene (ebd., 1119; Kursivdruck original). Vgl. auch Gnilka, Markus 2, 109; 111; Olekamma, Healing, 103 f. sowie den Titel von Eggers narrativer Beispielanalyse „Mk 10,46-52: Wundererzählung als Glaubensgeschichte“, in: Methodenlehre, 130-133. So Lohmeyer, Markus, 224; Beutler, Weg, 70. Eckstein, Markus 10,46-52, 39 f. gliedert die Geschichte in drei Hauptteile (VV.47 f.; VV.49 f.; VV.51.52a), die jeweils wieder in „Aktion“, „Reaktion“ und „Folge“ zerfallen, sowie Einleitung (V.46) und Schluss (V.52bc). Olekamma, Healing, 183-224 sieht 6 Szenen (10,47a; 47b-48; 49; 50; 51; 52a-d) mit Pro- (V.46) und Epilog (V.52e).

Kontextanalyse

331

Nimmt man dagegen die semantische Ebene des „Sagens“ in den Blick, so erweist sich das Wechselgespräch zwischen Jesus und dem Blinden als Grundstruktur der Perikope. Auf den doppelten Ruf des Blinden folgt der Ruf Jesu und die Frage nach dessen Wunsch. Darauf antwortet wiederum der Blinde „Dass ich sehe“, was Jesus mit dem abschließenden Wort „Geh, dein Glaube hat dich gerettet“ bewilligt.

15.2

Auslegung

Der Einleitungsvers (46) zeigt Jesus „mit seinen Jüngern und einer ziemlich großen Volksmenge“ auf dem Weg durch Jericho. Der Vers enthält eine Reihe markinischer Sprachmerkmale, aber auch traditionelle Elemente. Der Evangelist dürfte hier also eine traditionelle Einleitung überarbeitet haben.9 Der Ortsname gehört zu den traditionellen Elementen der Geschichte. Jericho ist eine Oase im südlichen Jordantal. Herodes der Große hatte hier einen luxuriösen Winterpalast errichten lassen – neben öffentlichen Gebäuden wie einem Hippodrom und einem Amphitheater. In der Stadt waren römische Truppen stationiert.10 Dem Evangelisten kam die Lokalisierung der Geschichte am traditionellen Pilgerweg von Galiläa nach Jerusalem entgegen. Dass Jesus in die Stadt hinein- und gleich wieder herauszieht, unterstreicht die unaufhaltsame Bewegung auf Jerusalem hin, das im Rahmen der dritten Leidensankündigung zum ersten Mal als Ziel des Weges Jesu benannt wurde (Mk 10,32).11 Im Gegensatz zur eiligen Bewegung der Jüngergruppe sitzt Bartimäus „am Weg“. Über seinen Namen, seine Krankheit und seine soziale Stellung wird er gleich mehrfach qualifiziert. Die Tatsache, dass es sich um einen blinden Bettler handelt, sagt alles über seine Situation. Blindheit galt im antiken Mittelmeerraum als schlimmer Schicksalsschlag, zumal sie für Ärzte unheilbar war.12 Zur völligen Hilflosigkeit des Blinden (vgl. Tob 2,1-14; 11,10) kommt seine soziale 9

10 11

12

Zu den markinischen Sprachmerkmalen zählen das Verb GTEQOCK im bei Markus beliebten historischen Präsens und der doppelte Anschluss mit parataktischem MCK. Jünger und Volk sind bei Markus Identifikationsfiguren der Gemeinde. Sie werden durch eine umständliche Genitivkonstruktion eingeführt, was vermuten lässt, dass der Evangelist sie in den Text einfügte. Dazu passt auch die Beobachtung, dass die Jünger im folgenden nicht mehr erwähnt werden. Beide Gruppen sind jedoch in der nächsten Perikope vom Einzug in Jerusalem wieder präsent, was ebenfalls für eine von Markus geschaffene Überleitung spricht. Vgl. Gnilka, Markus 2, 109. Ein Grund für die brüske Gegenüberstellung von Ein- und Auszug liegt möglicherweise auch in der Überlieferungsgeschichte der Perikope: Die traditionelle Geschichte spielte am Ortsausgang von Jericho; Markus muss Jesus jedoch erst dort ankommen lassen (vgl. Reploh, Markus, 223; Johnson, Bartimaeus, 192). Vgl. Tob 2,10 sowie Beavis, Margin, 28 mit Verweis auf Kee, Medicine, 67-70.

332

Kontextanalyse

Ausgrenzung als Bettler (vgl. Ps 109,10; Sir 40,28-30). Entsprechend wird Blindheit im Alten Testament als Metapher für extreme Not gebraucht (vgl. Klgl 4,14; Zef 1,17).13 Bei den Griechen galt sie als Strafe der Götter. Die griechische Sage kennt eine Reihe von Männern, die aufgrund schwerwiegender Vergehen erblindeten bzw. geblendet wurden. Davon ist Oedipus sicher der bekannteste.14 Im jüdischen Verständnis ist Blindheit eine Folge der Sünde (vgl. Dt 28,28 f.; Tob 3,1-6; Joh 9,2). Mit der Blindheit verbindet sich auch rituelle Unreinheit. Ein Blinder konnte nicht Priester sein (vgl. Lev 21,18); blinde Tiere waren als Opfer ungeeignet (vgl. Lev 22,22; Dt 15,21; Mal 1,8). Nach der Qumran-Tradition konnten Blinde nicht im Endkampf mitkämpfen (1 QM 7,44 ff.) oder in die Versammlung Gottes aufgenommen werden (1 QSa 2,6).15 Bartimäus befindet sich somit nicht nur am Rande des Weges, sondern auch am Rande der Gesellschaft. Weil er blind ist, muss er am Weg sitzen, denn er kann sich nicht ohne fremde Hilfe bewegen. Die Durchgangsstraße ist auch der ideale Ort, Reisende um Almosen zu bitten.16 Das seltene Wort RTQUCKVJL „Bettler“ ist eine Reminiszenz an das Thema des „Betens“ oder Bittens, das mit dem des Glaubens eng verknüpft ist.17 Als Bartimäus hört, der Vorüberziehende sei Jesus von Nazareth, „beginnt er zu schreien und zu rufen“ (V.47). Den Schrei des Blinden gibt der Evangelist in wörtlicher Rede wieder: „Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Mit dieser Anrede bekennt Bartimäus Jesus als den Messias, den verheißenen König, der das Reich Davids wieder herstellen soll (vgl. 2 Sam 7,12-16; Jes 9,1-6; 11,116).18 Dazu passt, dass die Propheten vom Messias die Heilung der Blinden erwarten (vgl. Jes 35,5 f.; 42,7.16). Die Bitte um „Erbarmen“ (GXNGJUQPOG) weist den Schrei des Blinden als Gebetsäußerung aus.19 Sie ist wie der DavidssohnTitel Ausdruck seines Glaubens, der am Schluss der Perikope gelobt wird (V.52).

13 14 15 16 17 18 19

Vgl. Beavis, Margin, 24. Vgl. Beavis, Margin, 26 mit Verweis auf Bernidaki-Aldous, Blindness, 58; 60-62. Vgl. Johnson, Bartimaeus, 202, A.62. Vgl. Kapambu, Guérison, 58. Vgl. S.243. RTQLCKVJL ist Hapax Legomenon in den Synoptischen Evangelien. Gnilka weist es der Volkssprache zu (Markus 2, 109). „Sohn Davids“ begegnet als Titel für den erwarteten Messias in Ps Sal 17,21 sowie regelmäßig in der späteren rabbinischen Literatur; vgl. Kapambu, Guérison, 59. Vgl. Ps 6,3; 9,14; 24,16; Jes 33,2 LXX. Mt 15,22 erscheint die Bitte um Erbarmen zusammen mit dem Titel „Herr, du Sohn Davids“; Mt 17,15 kombiniert sie mit dem Titel „Herr“, was möglicherweise auf eine christliche Gebetstradition schließen lässt. Die Erbarmensbitte schließt auch an andere Heilungsgeschichten an, wo gesagt wird, dass Gott bzw. Jesus mit dem Geheilten Erbarmen hatte; vgl. GXNGGKP Mk 5,19 sowie S.237 zu Mk 9,22.

Kontextanalyse

333

Neben dem Glauben wird die Beharrlichkeit des Blinden hervorgehoben. So lässt sich Bartimäus von den „vielen“, die ihn zum Schweigen bringen wollen, nicht beirren; im Gegenteil: er schreit noch „viel mehr“ (V.48). Das überwiegend markinische Vokabular lässt vermuten, dass der Evangelist den Ruf des Blinden nachgedoppelt und durch die Aktion der Menge noch verstärkt hat.20 Wie Petrus in Mk 8,32 und die Jünger in Mk 10,13 maßt sich hier die Menge eine Handlung an, die nur Jesus zukommt, indem sie den Blinden „anherrscht“ (GXRKVKOCY).21 Ihr Verhalten wird für den Blinden zum Hindernis auf dem Weg zu Jesus.22 Erzähltechnisch gesehen ist es ein retardierendes Element, das die Spannung erhöht und die Haltung des Blinden hervorhebt. Letztere wird auch durch die nachgestellte Partikel FG („der aber“) nochmals unterstrichen. Bartimäus verhält sich so, wie man es von einem wahrhaft Glaubenden erwartet. Die Beharrlichkeit des Blinden wird belohnt. Sein ausdauerndes Rufen findet Gehör und führt eine „Umkehr der Verhältnisse“ herbei:23 Jesus bleibt stehen und lässt nun seinerseits Bartimäus rufen. Die Menge, die den Blinden eben noch zu beschwichtigen versuchte, ermutigt ihn nun (V.49). Der durch die Menge vermittelte Ruf an den Blinden, ein ungewöhnlicher Zug für eine Heilungsgeschichte, erinnert an die Berufung der ersten Jünger.24 Das Verb HQPGKP dominiert den gesamten Vers. Von Jesus zunächst als Imperativ an die Menge ausgesprochen, erscheint es sodann, von dieser an den Blinden weitergegeben, zweimal im Indikativ. Die übrigen zwei Imperative stimmen mit Worten Jesu in früheren Wundergeschichten überein. Der Zuspruch „Habt Mut!“ erscheint bereits in der Erzählung vom Seewandel (SCTUGKVG Mk 6,50). Der Imperativ GIGKTG erinnert an das Heilungswort gegenüber dem Gelähmten (2,9.11) und der Tochter des Jaïrus (5,41) und an den Heilungsgestus an dem taubstummen Besessenen (9,27). Ob hier wie in Mk 5,41 und 9,27 ein Bezug zur Auferstehung intendiert ist,25 muss offen bleiben. Jedenfalls beginnt für den Blinden in diesem Moment ein (wenn auch vorerst diesseitiges) „neues Leben“.

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21 22

23 24

25

RQNWL ist ein markinisches Vorzugswort; ebenso GXRKVKOCY (vgl. 1,25; 3,12; 4,39; 8,30.32.33; 9,25; 10,13). K=PC c. coni. begegnet als Einleitung eines Kommentars oder Gebots etwa 20x; vgl. Robbins, Healing, 231. Der relativische Anschluss mit QB FG erscheint nochmals in V.50.51; vgl. Kirchschläger, Bartimäus, 1111, A.15. Vgl. auch S.179. Es entspricht dem „Erschwernismotiv“, das in Wundergeschichten häufiger anzutreffen ist; vgl. Mk 2,4; 5,24; 7,27 sowie Theißen, Wundergeschichten, 146; Eckstein, Markus 10,46-52, 42 f.; Gnilka, Markus 2, 108 f.; 110. Beutler, Weg, 71; vgl. Kirchschläger, Bartimäus, 1114 f. Dort erschien allerdings ein anderes Verb (MCNGY Mk 1,20; vgl. 2,17). Das an unserer Stelle verwendete HYPGY begegnet u. a. in Mk 9,35, wo Jesus die Jünger zu einer Unterweisung zusammenruft. In anderen Wundergeschichten wird Jesus zu dem Kranken gerufen (vgl. Mk 5,21-24.35-43; 7,24-30). So Kapambu, Guérison, 60.

334

Kontextanalyse

Als Jesus stehen bleibt, gerät Bartimäus in Bewegung. Als wäre er nicht blind,26 wirft er den Mantel von sich, springt auf und geht zu Jesus (V.50). Das Wegwerfen des Mantels, der im Pentateuch als einziges Kleidungsstück des Armen gilt (vgl. Ex 22,25 f.; Dt 24,12), erinnert erneut an die Berufungserzählungen, in denen die zukünftigen Jünger ebenfalls all ihren Besitz zurücklassen (Mk 1,16-20; 2,14; vgl. 10,28).27 Auch das Aufspringen des Blinden gehört in diesen Zusammenhang. Es verdeutlicht seine Entschlossenheit wie in der Berufung der ersten Jünger die Partikel GWXSWL „und sogleich“ (1,18).28 Sprachlich betont die Einleitung mit nachgestelltem FG wiederum die Reaktion des Bartimäus. Die Formulierung mit zwei asyndetisch gereihten Partizipialsätzen vor dem Hauptverb trägt wie die drei unverbundenen Imperative im vorhergehenden Vers ebenfalls zur Dramatisierung bei. Jesus „antwortet“ (CXRQMTKSGKL) mit einer Frage auf die vorangegangenen Rufe des Blinden: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ (V.51) Damit wiederholt er wörtlich die Frage an die Zebedäussöhne in Mk 10,36. Über diese beiden Stellen hinaus begegnet im Evangelium keine weitere ähnliche Frage.29 Mk 8,34 f.; 9,35; 10,43 f. verweist das Verb SGNGKP auf die Nachfolgethematik. Die Ähnlichkeit in der Formulierung der Frage hebt den unterschiedlichen Inhalt der Antworten hervor. Im Gegensatz zu den prätentiösen Zielen der Zebedäussöhne bittet Bartimäus um das Nächstliegende: „Dass ich wieder sehe.“ Damit bittet er „um gerade das, was Jesus bei seinen bisherigen Jüngern vermisst“ (vgl. 8,1421).30 Auf der anderen Seite „verlangt“ Bartimäus geradezu „Unerhörtes.“31 Er traut Jesus das zu, was Ärzte nicht können. Die aramäische Anrede Rabbuni „mein Meister“ ist eine emphatische Form des gebräuchlicheren „Rabbi“ (Mk 9,5; 11,21; 14,45). Dem gegenüber drückt sie eine größere persönliche Nähe, eine größere Angewiesenheit, aber auch größeren Respekt aus.32

26 27

28 29 30 31 32

Vgl. Dupont, Aveugle, 361; Kapambu, Guérison, 59; Kirchschläger, Bartimäus, 1115. Vgl. Roloff, Kerygma, 126; Beutler, Weg, 71; Johnson, Bartimaeus, 199; Dupont, Aveugle, 361; Kapambu, Guérison, 59; Olekamma, Healing, 255; Kirchschläger, Bartimäus, 1115 mit Verweis auf Culpepper, Mark 10:50; Steinhauser, Call; Mulloor, Mark 10,50. Vgl. Dupont, Aveugle, 362. Vgl. Dupont, Aveugle, 355. Beutler, Weg, 72. Vgl. auch Beavis, Margin, 35; Eckstein, Markus 10,46-52, 49. Gnilka, Markus 2, 111. Wörtlich bedeutet Rabbi/Rabbuni „mein Großer“; vgl. Heil, Transfiguration, 159. Zur Bedeutung der Anrede vgl. auch Viviano, Rabbouni; Rienecker z. St.; Dupont, Aveugle, 360; Kapambu, Guérison, 60; Kirchschläger, Bartimäus, 1116; Gnilka, Markus 2, 111 mit Verweis auf Dalman, Jesus-Jeschua, 12. Dieselbe Anrede kommt im Neuen Testament nur noch in der Begegnung der Maria Magdalena mit dem auferstandenen Jesus vor (Joh 20,16). Gegenüber dem bei Markus üblichen FKFCUMCNQL (vgl. S.234), das auch die beiden Jünger in Mk 10,35 gebrauchen, ist sie vermutlich traditionell.

Kontextanalyse

335

Überraschenderweise schickt Jesus den Blinden weg, ohne ein Wort über seine Heilung zu verlieren. Stattdessen lobt er seinen Glauben: „Geh, dein Glaube hat dich gerettet.“ (V.52) W=RCIG entspricht dem Entlassungsruf, der üblicherweise am Ende eines Heilungswunders steht (vgl. Mk 1,44; 2,9.11; 5,19.34; 7,29; 8,26). Das Fehlen eines Heilungswortes oder einer heilenden Geste unterstreicht den starken Glauben des Bartimäus, der weitere Handlungen Jesu überflüssig macht. Das Lob des Glaubens erinnert an andere Heilungswunder, wo die Rolle des Glaubens ebenfalls ausdrücklich erwähnt wird. So besteht eine wörtliche Parallele zur Heilung der blutflüssigen Frau: „Dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden“ (5,34). Den Zusammenhang zwischen Heilung und Glauben hat der Evangelist insbesondere in der Heilung des besessenen Jungen herausgearbeitet (Mk 9,23 f.).33 Das Wort „retten“ (UY\GKP) wird auch in anderen Wundergeschichten für „heilen“ gebraucht (vgl. Mk 6,56; 3,4; 5,23.28.34). Die Wortwahl deutet möglicherweise auf den ganzheitlichen Zusammenhang zwischen Heil (vgl. 8,35; 10,26; 13,20) und Heilung hin.34 Bartimäus ist nicht nur von seiner Blindheit geheilt worden; er hat ganz neue Lebensmöglichkeiten bekommen. Die zweite Hälfte des Schlussverses ist, wie das Vokabular und die Thematik vermuten lassen, von Markus angehängt worden. Erst jetzt wird die Heilung des Blinden festgestellt: „Und sogleich konnte er wieder sehen“. Mit dem Verb CXPCDNGRGKP greift der Evangelist die Bitte des Blinden (V.51) auf. GWXSWL ist ein markinisches Vorzugswort, das auch in der Erzählung von der Berufung der ersten Jünger begegnet (1,18.20). Es verleiht dem Evangelium eine eigene Dynamik und passt in unserer Geschichte insbesondere zur Leitsemantik der „Bewegung“.35 In vielen Wundergeschichten unterstreicht es den Effekt der Heilung (vgl. Mk 1,42; 2,12; 5,29.42). Das neu gewonnene Leben des Blinden findet seinen Ausdruck in einem neuen Lebenswandel: Er folgt Jesus „auf dem Weg“. Bartimäus ist damit der erste und einzige Geheilte im Evangelium, der Jesus als Jünger nachfolgt. Mit dem Verb CXMQNQWSGY haben wir wiederum ein Element aus den Berufungserzählungen vor uns (Mk 1,18.20; 2,14; vgl. 10,28). Die Nachfolge des Geheilten bildet einen gewissen Widerspruch zu der zuvor ergangenen Aufforderung, „wegzugehen“, der sich u. a. aus der redaktionellen Anfügung der zweiten Vershälfte erklärt.36 Im Kontext des Evangeliums erinnert das Entlassungswort aber 33 34

35 36

Vgl. S.238-240. Vgl. Robbins, Healing, 241; Johnson, Bartimaeus, 200 mit Verweis auf Best, Temptation, 109 f.; Beutler, Weg, 72; Gnilka, Markus 2, 111; Dupont, Aveugle, 364 f.; Kapambu, Guérison, 61; Kirchschläger, Bartimäus, 1117. Vgl. Olekamma, Healing, 300. So stellt Beavis den Kontrast zwischen der Aufforderung Jesu und der Entscheidung des Bartimäus heraus (Margin, 31; 34 f. mit Verweis auf Gundry, Mark, 596). „Offensicht-

Kontextanalyse

336

auch an die Zurechtweisung des Petrus in Mk 8,33: W=RCIGQXRKUYOQW, die wir als erneuten Ruf in die Nachfolge gedeutet haben.37 Der Gegensatz zur anfänglichen Situation des Blinden könnte nicht größer sein: Er war blind und sieht wieder; er saß unbeweglich am Wegesrand und geht jetzt auf dem Weg.38 Vom Sitzen über das Aufspringen zum Nachfolgen bilden die Verben der Bewegung in der Geschichte eine Steigerung, deren Höhepunkt im letzten Vers die Nachfolge ist.39

15.3

Die Heilung des blinden Bartimäus als Abschluss des Mittelteils

Die Geschichte des Bartimäus steht im Markusevangelium am Ende des Mittelteils. Sie fasst wichtige Inhalte der bisherigen Erzählung zusammen und leitet zum dritten und letzten Hauptteil über, der Jesu Lehre, sein Leiden und Sterben in Jerusalem erzählt. Entsprechend zahlreich sind die Bezüge zum Vorhergehenden und zum Folgenden. Die Rückfrage an den Blinden „Was willst du...?“ (Mk 10,51) greift die Frage an die Zebedäussöhne in Mk 10,36 auf. Die Anrede Jesu als „Sohn Davis“ (10,47 f.) verweist voraus auf den nächsten Hauptteil (11,10; 12,35-37). Jünger und Volksmenge (Mk 10,46) gehören wieder zum Inventar der nächsten Szene (OCSJVCK 11,1; RQNNQK 11,8). Wie hier der Blinde laut um Erbarmen ruft, so schreit dort Menge „Hosanna“, „Hilf doch!“ (MTC\GKP 10,47 f.; 11,9)40 Die Geschichte endet mit der Nachfolge eines Blinden, der sehend wurde. Damit schließt sich der Kreis mit der Blindenheilung am Beginn des Mittelteils (8,22-26). Auch die „Nachfolge“ ist in diesem Teil des Evangeliums ein wichtiges Thema; so im Wort vom Kreuztragen (8,34), in der Episode um den fremden Exorzisten (9,38), in der Begegnung Jesu mit dem reichen Mann (10,21.28) und im Rahmen der dritten Leidensankündigung (10,32). Das Verb CXMQNQWSGY begegnet auch in der folgenden Perikope, die bereits zum nächsten Teil des Evangeliums gehört (QKBCXMQNQWSQWPVGL Mk 11,9).

37 38

39 40

lichen Ungehorsam“ des Blinden sieht auch Dupont, Aveugle, 365 (Übersetzung von mir). Vgl. S.180. Nach Füssel, Schrei, 416 f. sind durch die Nachfolge des Blinden die zuvor aufgebauten Oppositionen „Menge/Einzelner“ und „unterwegs/am Weg“ bzw. „ziehen/sitzen“ aufgehoben. Vgl. Olekamma, Healing, 42. Vgl. Dupont, Aveugle, 351; Kapambu, Guérison, 56; Kirchschläger, Bartimäus, 1108, A.11. Mit dem Hinweis, dass in beiden Perikopen Mäntel eine große Rolle spielen (so Dupont, ebd.; Kirchschläger, ebd. mit Verweis auf 10,50; 11,7.8) scheint die Aufzählung des Vergleichbaren jedoch überstrapaziert.

Kontextanalyse

337

In Verbindung mit der Nachfolge erscheint im letzten Vers der Heilungserzählung das Schlagwort „Weg“, das wie kein anderes den Mittelteil des Evangeliums prägt (vgl. 8,27; 9,33.34; 10,17.32). Es bildet eine Inklusion mit dem Anfangsvers der Perikope (V.46).41 Innerhalb des Mittelteils verweist es insbesondere zurück auf Mk 10,32, wo erstmals Jerusalem als Ziel des Weges genannt wurde. Bereits in der nächsten Perikope, genauer gesagt, sogar im nächsten Vers, wird Jesus in Jerusalem angekommen sein (11,1.11). Auch das Stichwort „Weg“ begegnet dort wieder (11,8). Darüber hinaus bildet das Wort eine Inklusion mit dem ersten Vers des Großabschnitts, an dessen Ende unsere Erzählung steht (Mk 8,27). Wie das Schlagwort „Weg“, das bereits in den ersten Versen des Evangeliums begegnet (Mk 1,2 f.), so wird auch der Glaube bereits zu Beginn als ein Element der Verkündigung Jesu genannt (Mk 1,15). Im Mittelteil spielt er in der Heilung des besessenen Jungen eine wichtige Rolle (Mk 9,23 f.). Ausdruck und Mittel zur Einübung des Glaubens ist dort das Gebet. Auch in der abschließenden Blindenheilung zeigt sich der Glaube zunächst im beharrlichen Gebetsruf des Bartimäus, sodann in seiner Heilung, deren Voraussetzung er ist, und schließlich in seiner spontanen Entscheidung, Jesus auf dem Weg nach Jerusalem – d. h. auf dem Weg ins Leiden – zu begleiten, die ihn von der Furcht der übrigen Nachfolger (vgl. Mk 10,32) unterscheidet. Im näheren Kontext bildet der Entschluss des Blinden insbesondere einen Kontrast zum Verhalten des reichen Mannes, der sich trotz ausdrücklicher Einladung Jesu nicht zur Nachfolge entschließen kann (Mk 10,21 f.). Bartimäus lässt dagegen wie die Jünger alles zurück (vgl. Mk 10,28).42

15.4

Die beiden Blindenheilungen als Rahmen des Mittelteils

Markus berichtet nicht mehr als zwei Blindenheilungen. Nicht einmal die Summarien, die ansonsten viel über die Heilungstätigkeit Jesu erzählen, enthalten einen Hinweis darauf, dass Jesus Blinde geheilt habe (vgl. Mk 1,32-34; 3,9 f.; 6,55 f.; 7,37).43 So ist anzunehmen, dass den beiden Blindenheilungen besondere Bedeutung zukommt. Mk 8,22-26 und Mk 10,46-52 umrahmen den Mittelteil, in dem die Jünger über den Weg Jesu durch Kreuz und Auferstehung und über die Nachfolge und deren konkrete Umsetzung in der Gemeinde unterrichtet 41

42 43

Nach Gnilka, Markus 2, 111 ist die Angabe über das Sitzen des Blinden am Wegesrand in V.46 traditionell, bot dem Evangelisten jedoch einen guten Anknüpfungspunkt für die Thematik der Jüngerschaft und Nachfolge. Vgl. Kapambu, Guérison, 59. Dem gegenüber berichten die Seitenreferenten sehr wohl summarisch von Blindenheilungen; vgl. Mt 11,5 par Lk 7,21 f.; Mt 15,30 f.; 21,14.

338

Kontextanalyse

werden. Beiden geht eine Kritik am Unverständnis der Jünger voraus (Mk 8,1421; 10,35-45); beiden folgt ein Bekenntnis Jesu (8,27-30; 11,8-10).44 Von daher liegt die Vermutung nahe, dass die Blindheit wie zuvor bereits die Taubheit und Stummheit (vgl. Mk 9,14-29) bildlich für den häufig berichteten Unverstand der Jünger und ihre Unfähigkeit zur Nachfolge steht. Bereits beim Propheten Jesaja, den Markus häufig zitiert, ist Blindheit eine Metapher für Unwissenheit und Dummheit, Bosheit und Sünde (Jes 6,9 f.; 29,9-12.18; 32,3 f.; 42,18-20; 56,10; 59,10 zit. Dt 28,29; vgl. Mk 4,11 f.).45 Die Jünger sind bekanntlich Spiegelbild und Identifikationsfiguren der Gemeinde, für die Markus sein Evangelium schreibt. Nach den Themen des Mittelteils zu urteilen, betrifft die „Blindheit“ dieser Gemeinde insbesondere die Kreuzesnachfolge (vgl. Mk 8,34-9,1)46 sowie den Umgang untereinander, speziell in Bezug auf die sozial niedriger Gestellten (vgl. 9,33-37; 10,35-45). Vergleicht man die Bartimäus-Erzählung mit der Heilung eines Blinden in Betsaida, die dem Mittelteil vorangestellt ist, fallen einige signifikante Unterschiede ins Auge. Während der Blinde von Betsaida anonym bleibt, wird Bartimäus mit Namen, Krankheitsbefund und sozialer Stellung eingeführt (Mk 10,46). Wie in den meisten anderen Heilungserzählungen (vgl. 1,32-34; 2,1-12; 6,53-56; 7,31-35; 8,22-26; 9,14-29) wird der Blinde von Betsaida von anderen zu Jesus gebracht (Mk 8,22) und bleibt auch sonst weitgehend passiv. Bartimäus dagegen ergreift selbst die Initiative. Er ruft zweimal laut nach Jesus und lässt sich davon auch durch die Menge, die sich ihm entgegenstellt, nicht abbringen (Mk 10,47 f.). Dabei gebraucht er noch den Titel „Davidssohn“. Sein Glaube ist denn auch stark genug, ihn „sofort“ gesund werden zu lassen (Mk 10,52). Dem gegenüber geht die Heilung in Betsaida mit Hindernissen vonstatten. Als einzige Heilung im Neuen Testament ist sie nicht beim ersten Versuch erfolgreich (Mk 8,24). Der Heilungserfolg wird ausführlich und detailliert festgestellt (Mk 8,25), die Heilung des Bartimäus gegenüber dem viel wichtigeren Lob seines Glaubens nur nebenbei erwähnt (Mk 10,52). Der Blinde von Betsaida geht nach der Heilung nach Hause (Mk 8,26); Bartimäus geht mit Jesus, noch dazu auf dem Weg nach Jerusalem (Mk 10,52).47 Beide Geschichten haben unterschiedliche semantische Schwerpunkte: In Mk 8,22-26 dreht sich alles – wie für eine Blindenheilung zu erwarten – um Blindheit und Heilung; die vorherrschenden Wortfelder

44 45 46 47

Vgl. Dupont, Aveugle, 356; Johnson, Bartimaeus, 198; Olekamma, Healing, 243. Vgl. Johnson, Bartimaeus, 201. Vgl. Johnson, Mark viii. 22-26, 382; ders., Bartimaeus, 203; Olekamma, Healing, 300; Kapambu, Guérison, 57. Zu den Parallelen bzw. Unterschieden zwischen den beiden Blindenheilungen vgl. das Schaubild bei Rius-Camps, Ciego, 298 sowie Dupont, Aveugle, 357; Kapambu, Guérison, 58.

Kontextanalyse

339

betreffen das „Sehen“48 und den Heilungsprozess.49 In Mk 10,46-52 überwiegen Verben der Bewegung bzw. Nicht-Bewegung50 sowie des Sagens.51 Das Wortfeld „Sehen/Blindheit“ tritt in den Hintergrund. Dazu kommen die Schlagworte „Glaube“, „Weg“ und „Nachfolge“, die die Geschichte in die Nähe einer Nachfolgeerzählung rücken lassen. Die Unterschiede zwischen den beiden Blindenheilungen lassen auf einen Fortschritt des Verständnisses und der Nachfolge bei den Jüngern hoffen. Nicht die Kritik an ihrem Unverständnis, sondern die Ermutigung zum Glauben steht also letztlich im Vordergrund. Glaube und vertrauensvolles Gebet kann die Angst vor dem Leiden und der gesellschaftlichen Verachtung überwinden helfen. Jesus kann und will den Jüngern die Augen öffnen, so hartnäckig ihre Blindheit auch sein mag (vgl. Mk 8,22-26). Er wird sie zur Nachfolge befähigen, sofern sie ihn nur wie Bartimäus vertrauensvoll darum bitten (Mk 10,46-52).52 Umgekehrt ist die Nachfolge auch der einzige Weg für die Jünger, sehend zu werden und Jesus zu verstehen.

15.5

Fazit

Am Schluss des Mittelteils setzt die Heilung des blinden Bartimäus (10,46-52) noch einmal das Unverständnis der Jünger ins Bild. Die zwei Blindenheilungen, die das Markusevangelium berichtet, umrahmen somit den Mittelteil des Evangeliums, in dem die Jünger über Jesu Weg der Lebenshingabe und des Dienens unterwiesen werden. Hinter dem Unverständnis der Jünger verbirgt sich die Unfähigkeit der Markusgemeinde, Jesus auf dem Weg durch das Leiden zu folgen und dabei der Geringsten den ersten Platz einzuräumen. Gegenüber der dem Mittelteil vorangestellten Blindenheilung bietet die zweite ein hoffnungsvolleres Bild: Anders als der Blinde von Betsaida tritt Bartimäus aus der Anonymität und Passivität heraus. Seine Heilung erfolgt zügig und ohne Komplikationen, während die des ersten einen doppelten Anlauf und eine relativ komplizierte Heilungsprozedur erfordert. Sie mündet ein in die 48

49

50 51 52

Im einzelnen: 2x „Blinder“ (VWHNQL VV.22.23); 2x „Augen“ (VC QOOCVC V.23; QKB QXHSCNOQK V.25); 6x „Sehen“ und Komposita (DNGRGKP VV.23.24; CXPCDNGRGKP V.24; FKCDNGRGKP, GXODNGRGKP V.25; QBTCP V.24); 1x „scharf (sehen)“ (VJNCWIYL V.25); vgl. RiusCamps, Ciego, 295. Im einzelnen: „berühren“ (C=RVQOCK V.22); „an der Hand nehmen“ (GXRKNCODCPGKP VJL EGKTQL V.23); „spucken“ (RVWGKP V.23); „Hände auflegen“ (GXRKVKSGPCK VCL EGKTCL VV.23.25); „geheilt werden“ (CXRQMCSKUVCPCK V.25). Vgl. Rius-Camps, Ciego, 295 f. Im einzelnen: V.46 GTEQOCK, GXMRQTGWQOCK, MCSJOCK; V.49 K=UVCOCK; V.50 CXPCRJFCY; GTEQOCK; V.52 WBRCIY; CXMQNQWSGY. Zu den Verben des Sagens vgl. S.329. Vgl. Johnson, Mark viii. 22-26, 380; ders., Bartimaeus, 203; Eckstein, Markus 10,4652, 49; Venetz, Markusevangelium, 157 f.; ders., Weg, 149.

340

Kontextanalyse

Nachfolge des blinden Bettlers, der damit zum Konterpart des reichen Mannes und zum Vorbild für die übrigen Jünger wird. Vom Rand des Weges und vom Rand der Gesellschaft kommt Bartimäus auf den Weg der Nachfolge und in die Mitte der Jüngergruppe. Der Evangelist will mit dieser Geschichte vor allem Mut machen – zum Glauben an Jesus, der dem eigenen Unglauben aufhelfen will, und zu entschiedener Nachfolge in Anerkennung der Kleinen und Geringen. Diese Ermutigung bekommt um so mehr Gewicht, als Jesus und die Jünger sich bei der zweiten Blindenheilung bereits kurz vor Jerusalem befinden und in der nächsten Perikope dort einziehen werden.

Schlusswort Auf der Suche nach der Deutung des Todes Jesu im Markusevangelium haben wir in der vorliegenden Arbeit die drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung und deren Kontext, den Mittelteil des Evangeliums, in den Blick genommen. Die Ergebnisse haben wir jeweils am Ende der einzelnen Abschnitte zusammengefasst. An dieser Stelle soll nun eine Gesamtschau der Einzelanalysen versucht werden. Mit einem kurzen Ausblick auf Anfang und Schluss des Evangeliums und auf die Bedeutung des Erarbeiteten im aktuellen gesellschaftlichen Kontext schließen wir unsere Untersuchung ab. Die motivgeschichtliche Analyse der einzelnen Wortbausteine erwies die Ankündigungen von Leiden und Auferstehung als Aussagen von Jesus als einem „leidenden Gerechten“. Demnach wurde Jesus wie viele gottesfürchtige Israeliten vor ihm von den Mächtigen, einschließlich der herrschenden Klasse seines eigenen Volkes, drangsaliert und erlitt einen schmählichen Tod. Gott aber erweckte ihn zu neuem Leben. Die Verbindung von gegenwärtigem Leiden und zukünftiger Herrlichkeit ist für den Topos vom leidenden Gerechten charakteristisch. Es entspricht insbesondere dem apokalyptischen Lebensgefühl, mitten in einer aussichtslosen weltpolitischen und persönlichen Lage darauf zu vertrauen, dass Gott die Geschichte lenkt und für seine Getreuen alles zum Guten wenden wird. Der Evangelist fand diese alte Deutung des Todes Jesu mit der ersten Ankündigung von Leiden und Auferstehung vor. Wie der Gedanke der „Auslieferung“ in der zweiten und dritten Ankündigung und die Hinzufügung der jüdischen Autoritäten in der ersten und dritten Ankündigung zeigen, macht er sie sich auch selbst zu eigen. Das apokalyptische Weltbild ist nämlich zu einem guten Teil auch die Welt des Markus. Angesiedelt in Rom im Zentrum der politischen Macht, zusammengesetzt aus Menschen verschiedenster Herkunft und Standeszugehörigkeit (nach der Vermutung mancher Autoren gehörten sogar Mitglieder der Kaiserfamilie dazu), erlebt seine Gemeinde um so deutlicher die großen sozialen Unterschiede, die aussichtslose Lage der unterworfenen Völker und die Gewalt gegenüber Fremden und Armen. Den zweiten Teil unserer Untersuchung haben wir der Analyse des vom Evangelisten gestalteten Kontextes gewidmet. Auf die drei Ankündigungen von Leiden und Auferstehung folgt jeweils eine Belehrung an den Jüngerkreis, die die Konsequenzen für die Nachfolge erläutert. Die erste Belehrung ist ein Aufruf zur Lebenshingabe: Das ängstliche Festhalten am eigenen Leben, an Status und Sicherheiten kann zum Verlust wahren Lebens führen. Wer dagegen um Christi und des Evangeliums willen sein Leben loslassen kann, findet zu einem erfüllten

342

Schlusswort

Leben, das bis in die Ewigkeit stand hält (Mk 8,34-9,1). Wie eine semantische Analyse ergab, beschränkt sich die Verheißung „ewigen“ Lebens nicht auf ein Leben nach dem Tod. Gemeint ist erfülltes Leben, das trägt bis in den neuen Äon. Ebenso meint die Aufforderung zur Lebenshingabe nicht in erster Linie den physischen Tod, wenn dieser auch als Folge eines konsequenten Einsatzes für die Armen und Geringen u. U. in Kauf genommen werden muss. Das Beispiel des salvadorianischen Märtyrerbischofs Oscar Romero zeigt die Lebenshingabe eines Menschen, der zum Diener der ihm anvertrauten Gemeinde wurde und dadurch zu erfülltem Leben fand. Dass er dies auch selbst so erlebte, zeigt die Tatsache, dass er in seinen Predigten und Schriften wiederholt auf die von uns behandelten Evangelientexte Bezug nimmt: „Wer das Leiden flieht, bleibt allein. Es gibt keine einsameren Menschen als die Egoisten. Aber wenn du dein Leben aus Liebe zu den anderen hingibst [...], wirst du [...] die tiefste Befriedigung haben.“1 So kann er auch sagen, dass er das Leben „noch nie so sehr geliebt habe“ wie jetzt, nämlich als Bischof von San Salvador und Diener der Armen.2 Zum Thema „ewiges Leben“ passt der Satz: „Was nicht vergeht, ist das Glück, alle Menschen als Geschwister zu erfahren und mit ihnen zu teilen.“3 Das verheißene Leben scheint in der Verklärung Jesu einen Moment lang auf. Der Ausblick auf die himmlische Herrlichkeit wird jedoch bereits beim Abstieg vom Berg der Verklärung durch die erneute Ankündigung des Leidens ergänzt (Mk 9,12 f.). Die Verheißung ewigen Lebens soll die Jünger zur (Selbst)Hingabe ermutigen. Jedoch sind ihnen die Ohren verschlossen (Mk 9,14-29). Die Belehrungen nach der zweiten und dritten Ankündigung vertiefen den Aufruf zur Lebenshingabe im Blick auf den Umgang der Jünger untereinander und mit anderen. In der Jüngergemeinde ist die gültige soziale Rangordnung außer Kraft gesetzt. Vielmehr soll, wer in der Nachfolge „Erster“ sein will, sich selbst hintanstellen und den anderen „dienen“ (Mk 9,33-35; 10,35-45). Die radikal andere Wertordnung des Reiches Gottes wird in der Gemeinde bereits gelebt – was dem grundsätzlichen Anspruch auf eine Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Beziehungen keinen Abbruch tut. Das Thema des Wettstreits um Ehre und Macht, das bereits in der ersten Leidensankündigung im Motiv der „Verwerfung“ (CXRQFQMKOC\GKP) anklingt, ist hier wieder aufgegriffen. Sklaven und Diener, in deren Rolle der „Erste“ der Gemeinde agiert, stehen auf der untersten Stufe der streng hierarchisch strukturierten Gesellschaftsordnung. Wenn man bedenkt, dass diese Gruppen auch ganz konkret in der Gemeinde vertreten waren, bekommt der Aufruf zum Dienen noch größere Brisanz. Vorbild ist der Menschensohn selbst, der „nicht kam, um sich dienen zu lassen, sondern um zu 1 2 3

Predigt vom 1.4.1979 (zu Joh 12,20-33), in: Brockmann, Textos, 143 f. Übersetzung von mir. Vgl. S.209, A.65. Jorge Lara Braud, in: López, Porträt, 314. Vgl. S.212, A.84. Predigt vom 21.1.1979, in: Romero, Pensamiento, Bd. 6, 134, nach: Arntz, Propheten, 21. Vgl. S.210, A.66.

Schlusswort

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dienen und sein Leben zu geben für viele“ (Mk 10,45). Das „Geben des Lebens“ meint auch hier mehr als die Bereitschaft zum Martyrium, nämlich konsequenten Dienst an der anderen, für den der Tod nötigenfalls in Kauf genommen wird. Diese Interpretation wird durch den Gebrauch der Wendung FKFQPCKVJP[WEJP in frühjüdischen und klassisch-griechischen Texten bestätigt. Markus sieht den Tod Jesu am Kreuz also als letzte Konsequenz seines Dienstes an allen. Auf dem Hintergrund der Philosophie von Emmanuel Lévinas lässt sich das „Dienen“ als eine Haltung verstehen, die der anderen den ersten Platz einräumt – statt selbst Erster sein und sich behaupten zu wollen. Lévinas steht auf dem Boden des jüdischen Glaubens und nimmt auch gelegentlich auf neutestamentliche Evangelientexte Bezug.4 Gott steht demnach auf der Seite der Witwen und Waisen, der Kleinen und Geringen. In der Aufmerksamkeit für sie und der Hinwendung zu ihnen lässt Er sich finden. Die Verantwortung für die andere ist zugleich Selbstfindung. Die Beziehung zu ihr statt des erkämpften (Selbst)Standes macht den wahren Wert des Menschen aus. Niemand soll zum Dienst am Nächsten gezwungen werden. Wer jedoch die Freiheit hat, sich zu verschenken, gewinnt sich selbst; oder anders gesagt: er gewinnt wahres Leben.5 Der Thematik des „Dienens“ sind auch die Belehrungen zwischen der zweiten und dritten Ankündigung gewidmet. Ein erster Teil verdeutlicht anhand von Beispielszenen und Sprüchen über das „Ärgernis geben“ die Bedeutung der Kleinen und Geringen (Mk 9,36-50). Das Verhalten ihnen gegenüber entscheidet über den Gewinn oder Verlust ewigen Lebens (VV.42-47). Die anschließenden drei Lehrgespräche fügen sich ebenfalls in den Kontext der Achtung vor den Kleinen. Der Aufruf zu ehelicher Treue (Mk 10,1-12) ist vor dem Hintergrund einer oft willkürlichen Scheidungspraxis zu sehen, die das Wohl des Ehepartners den eigenen Interessen unterordnet. Kinder (Mk 10,13-16) gehören wie Sklaven, Diener und Frauen zu den letzten Gliedern der Gesellschaft. Gott identifiziert sich mit diesen Kleinen, sie sind Boten seines Reiches (Mk 10,14 f.; vgl. 9,37). Das dritte Lehrgespräch kommt zurück auf das erfüllte Leben, das sich in der Nachfolge Jesu gewinnen lässt (Mk 10,17-31). Denjenigen, die alles zurücklassen und ihm nachfolgen, verspricht Jesus, „schon jetzt Hundertfaches“ zu erhalten: Die Glaubensbrüder und -schwestern werden zur neuen Familie; ihre Häuser und Äcker stehen auch denen zur Verfügung, die die ihren um Jesu willen aufgegeben haben. Das Loslassen von Sicherheiten wird mit ewigem Leben belohnt. Diese Erfahrung entgeht allerdings denen, die sich wie der reiche Mann nicht zur Aufgabe ihres Besitzes entschließen können. Das abschließende Wort erinnert mit dem Positionswechsel von „Ersten“ und „Letzten“ noch einmal an die radikal andere Wertordnung des Reiches Gottes (10,31 vgl. 9,35), die in der Achtung vor den Kleinen verwirklicht wird. 4 5

Vgl. Jenseits, 41 f. sowie S.280, A.64 und 65und S.284. Vgl. S.188 zur Übersetzung von [WEJ in Mk 8,35.

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Vor dem Hintergrund dieses zusammenfassenden Überblicks lassen sich die Belehrungen des Mittelteils insgesamt unter das Thema des „Dienens“ fassen. Die in der ersten Jüngerbelehrung angesprochene Lebenshingabe ist Dienst an der Nächsten, insbesondere an der Kleinsten und Geringsten. Umgekehrt bedeutet Dienen radikale Selbsthingabe, die um der Kleinen und Geringen willen auch den Tod in Kauf nimmt. In diesem Sinne verbindet auch der Evangelist das Lösegeldwort mit dem Thema des Dienens (Mk 10,45). Die Deutung des Todes Jesu als letzte Konsequenz seines Dienstes fügt er der vorgefundenen als Tod eines „leidenden Gerechten“ hinzu. Das „Dienen“ ergänzt und entfaltet das Motiv des „leidenden Gerechten“. „Gerechtigkeit“ meint im Alten Testament, Gott zu fürchten und den Armen und Geringen Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen (vgl. Jes 58). Genau das besagt auch der Aufruf zum Dienen. Wenn Jesus als „Gerechter“ und „Diener aller“ stirbt, ist damit ein und dieselbe Haltung gemeint, die den Geringen im Namen Gottes den Vorrang gibt. Die Jünger sind zur Nachfolge auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Dienens aufgerufen. Die beiden im Mittelteil des Evangeliums berichteten Heilungen setzen in Stummheit, Taubheit (Mk 9,14-29) und Blindheit (Mk 10,46-52) die Angst der Jünger vor Leiden und Statusverlust und ihre Unfähigkeit zu Nachfolge und Verkündigung ins Bild. Sie halten der Markusgemeinde mit ihrer konkreten Verfolgungserfahrung und der Gefahr des Zurückfallens in überkommene gesellschaftliche Verhaltensweisen den Spiegel vor. Die Jünger und Jüngerinnen werden zum festen Vertrauen auf Gott ermutigt, der allein Augen, Mund und Ohren öffnen und sie zur Nachfolge auf dem Weg des Dienens und des Kreuzes befähigen kann. Ein Vergleich der Heilung des blinden Bartimäus mit der dem Mittelteil vorangestellten Heilung eines Blinden in Betsaida lässt auf einen Fortschritt ihres Verständnisses und Engagements hoffen. Dazu braucht es allerdings Glauben und Vertrauen auf Gottes Möglichkeiten (Mk 9,23; 10,27). Der Glaube ermöglicht die Austreibung des stummen und tauben Dämons und die Heilung des blinden Bartimäus; er ist die Voraussetzung für dessen entschlossene Nachfolge. Er zeigt sich insbesondere im beharrlichen Gebet und wird darin eingeübt. Bartimäus, der sich von Jesus im konkreten und übertragenen Sinn des Wortes die Augen öffnen lässt und ihm ohne Zögern nachfolgt, wird am Schluss des Mittelteils zum Konterpart des reichen Mannes und zum Beispiel für die übrigen Jünger. Geographisch endet hier der Weg Jesu von Galiläa nach Jerusalem, dem Ort der Kreuzigung. Weg, Glaube und Nachfolge, drei charakteristische Motive des Mittelteils, finden sich insbesondere am Anfang und Schluss des Evangeliums wieder. So wird das Wirken des Täufers im Prolog als das eines Wegbereiters beschrieben (Mk 1,2 f.). Im ersten Summarium seiner Verkündigung ruft Jesus zum Glauben an das Evangelium auf (Mk 1,15). Es folgt die Erzählung von den ersten Jüngern, die auf Jesu Ruf „mir nach!“ Vater und Netze zurücklassen und Jesus fol-

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gen (Mk 1,16-20; vgl. 8,33; 10,28 f.50.52). Am Schluss des Evangeliums erfüllt sich die Verheißung der Auferstehung. Nach dem Wort des Engels (Mk 16,5) geht Jesus den Jüngern nochmals „voraus“ (RTQCIY vgl. 10,32) nach Galiläa, wo ihr gemeinsamer Weg begann; dort sollen sie ihn „sehen“ (vgl. 8,22-26; 10,4652). Statt der erwarteten Nachfolge obsiegt jedoch auch hier die Furcht (GXMSCODGQOCK vgl. Mk 10,32; 14,33;), die in der Stummheit der Frauen resultiert (Mk 16,6). Dem steht der Glaube des römischen Hauptmanns gegenüber, der Jesus unter dem Kreuz als Gottes Sohn bekennt – eine Reminiszenz an die weltweite Verkündigung, durch die sich den Heiden der Himmel (UEK\GKP vgl. 1,10) und der Blick ins Innerste des Tempels öffnet (Mk 15,38 f.). Heute ist der Aufruf des Markusevangeliums zu Dienst und Lebenshingabe aktueller denn je. Nicht nur in der Gesellschaft, auch in der Kirche ist Selbstdarstellung und Selbstbehauptung angesagt. Wer „Erster sein will“, betrachtet sich keineswegs als Diener der anderen. Der Sozialstaat weicht zunehmend der Ansicht, dass jeder und jede für sich selbst aufkommen müsse. Die zwischenmenschliche Solidarität bröckelt. Nichts haben wir so nötig wie Menschen, die genug Mut und Freiheit besitzen, anderen zu „dienen“. Hier fehlt es nicht an wohlgemeinten Aufrufen. Was es braucht, ist eine Ermutigung wie die des Markusevangeliums: Wer sich selbst hintanstellt und dem anderen, der Geringen den Vorrang gibt, steht am Ende nicht als Verlierer da. Im Gegenteil: Wer „dient“ statt sich zu behaupten und sich selbst darzustellen, gewinnt erfülltes, glückliches Leben, das es wert ist, gelebt zu werden – und das, so glauben wir, bis in die Ewigkeit andauert.

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New Testament Studies in Contextual Exegesis Neutestamentliche Studien zur kontextuellen Exegese Edited by / Herausgegeben von Johannes Beutler, Thomas Schmeller und Werner Kahl

Band 1

Joseph Osei-Bonsu: The Inculturation of Christianity in Africa. Antecedents and Guidelines from the New Testament and the Early Church. 2005.

Band 2

Werner Kahl: Jesus als Lebensretter. Westafrikanische Bibelinterpretationen und ihre Relevanz für die neutestamentliche Wissenschaft. 2007.

Band 3

Fergus J. King: More Than A Passover. Inculturation in the Supper Narratives of the New Testament. 2007.

Band 4

Anthony Iffen Umoren: Paul and Power Christology. Exegesis and Theology of Romans 1:3–4 in Relation to Popular Power Christology in an African Context. 2008.

Band 5

Solomon Wong: The Temple Incident in Mark 11, 15-19. The Disclosure of Jesus and the Marcan Faction. 2009.

Band 6

Johannes Beutler: Do not be afraid. The First Farewell Discourse in John’s Gospel (Jn 14). 2011.

Band 7

Birgit Opielka: „Leidender Gerechter“ und „Diener aller“. Der Tod Jesu in Mk 8,27-10,52 im Gespräch mit Oscar Romero und Emmanuel Lévinas. 2012.

www.peterlang.de