Die ärztlichen Aufklärungs- und Informationspflichten wurden 2013 in 630e und 630c BGB kodifiziert. Sie sind im Behandlu
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German Pages 538 [561] Year 2018
Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
I. Richterrecht und dessen Verhältnis zu Gesetzen
II. Qualität einer Kodifizierung
1. Dogmatische Kriterien
2. Ziele einer Kodifizierung
a) Spezielle, vom Gesetzgeber ausdrücklich verfolgte Ziele
b) Generelle Ziele
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik
1. Ermittlung des Bedeutungsgehalts von Gesetzen: Auslegung
a) Wortlaut
b) Historie
c) Systematik
d) Telos
e) Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung
2. Umgang mit Lücken im Gesetz: Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung
a) Feststellung von Lücken im Gesetz
b) Korrekturmöglichkeiten
aa) Analogie
bb) Teleologische Reduktion
cc) Rechtsfortbildung contra legem
IV. Fortgang der Arbeit
B. Grundfragen
I. Verhältnis Ethik und Recht
II. Weitere Ursachen für den veränderten Blickwinkel auf das Arzt-Patient-Verhältnis
III. Schutzzwecke der Aufklärungs- und Informationspflichten
C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
I. Grundrechte des Patienten
1. Achtung der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG
2. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
3. Selbstbestimmungsrecht
4. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG
5. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs 23 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG
6. Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 Var. 1 GG
II. Grundrechte des Arztes
1. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG
2. Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG
3. Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG
4. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG
5. Nemo tenetur-Grundsatz
a) Der nemo tenetur-Grundsatz im Zivilrecht
b) Übertragung auf das Behandlungsverhältnis
III. Fazit
D. Klärung von für die Analyse elementaren Begriffen
I. Begriff der Einwilligungsfähigkeit
II. Begriff der Informationsbefolgungsfähigkeit
III. Begriff des Patienten in den §§ 630a ff. BGB
1. Zwei unterschiedliche Begriffsverständnisse
2. Kein einheitliches Begriffsverständnis in den §§ 630c ff. BGB
3. Auswirkungen der unterschiedlichen Begriffsverständnisse
a) Ausschluss des Vertrags zugunsten Dritter bei Behandlungsverhältnissen?
b) Anwendung der Begriffsverständnisse auf die Konstellation des Vertrags zugunsten Dritter
IV. Begriff der Behandlung
E. Aufklärungspflicht
I. Allgemeine Grundsätze
1. Richterrecht
2. § 630e Abs. 1 BGB
3. Bewertung
II. Gegenstand und Umfang
1. Nach § 630e Abs. 2 S. 1, 2 BGB
a) Richterrecht
aa) Risikoaufklärung
bb) Verlaufsaufklärung
cc) Aufklärung über Erfolgsaussichten
b) § 630e Abs. 1 S. 1, 2 BGB
c) Zusammenfassung der Ergebnisse
d) Bewertung
2. Aufklärung über Behandlungsalternativen
a) Richterrecht
b) § 630e Abs. 1 S. 3 BGB
c) Bewertung
III. Art und Weise
1. Richterrecht
2. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 3, S. 2 BGB
a) Mündlichkeit, Abs. 2 S. 1 Nr. 1
aa) Ausnahmsweise schriftliche Aufklärung bei Routinemaßnahmen
bb) Ergänzende Bezugnahme auf Unterlagen, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 a. E
b) Aushändigung von Abschriften, Abs. 2 S. 2
aa) Grund für die Implementierung
bb) Form der Abschrift
cc) Zeitpunkt der Aushändigung
dd) Rechtsfolgen im Falle eines Verstoßes
ee) Abdingbarkeit
c) Verständlichkeit, Abs. 2 S. 1 Nr. 3
aa) Allgemeine Grundsätze
bb) Problem: Sprachunkundige Patienten
(1) Kostentragung
(2) Haftung für fehlerhafte Übersetzung
(3) Eingeschränkte Sprachkenntnisse
d) Strukturierung der Aufklärung und Beeinflussung des Entscheidungsprozesses
e) Zusammenfassung der Ergebnisse
3. Bewertung
IV. Zeitpunkt
1. Richterrecht
2. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB
3. Bewertung
V. Aufklärungspflichtiger
1. Richterrecht
2. § 630e Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1 BGB
a) Allgemeine Grundsätze
b) Möglichkeit der Delegation
aa) Erfordernis der Beteiligung an der Durchführung der Maßnahme
bb) Nichtärztliches Personal
(1) Ärztlich durchzuführende Maßnahmen
(2) Durch nichtärztliches Personal durchzuführende Maßnahmen
cc) Praktische Erfahrung und das Erfordernis des Facharzttitels
dd) Studierende im Praktischen Jahr
c) Zusammenfassung der Ergebnisse
3. Bewertung
VI. Aufklärungsempfänger
1. Richterrecht
2. § 630e Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 5 BGB
a) Begriff des Patienten
b) § 630e Abs. 4, 5 BGB
c) Zusammenfassung der Ergebnisse
3. Bewertung
VII. Ausnahmen
1. Richterrecht
2. § 630e Abs. 3 BGB
a) Unaufschiebbarkeit
b) Aufklärungsverzicht
c) Vorhandene Kenntnis
d) Therapeutische Gründe
e) Zusammenfassung der Ergebnisse
3. Bewertung
VIII. Dokumentation
1. Richterrecht
2. § 630f Abs. 2 S. 1 BGB
3. Bewertung
IX. Rechtsfolgen eines Verstoßes
1. Zivilrechtliche Rechtsfolgen und Beweislast
a) Richterrecht
b) §§ 630e, h BGB
c) Bewertung
2. Strafrechtliche Konsequenzen
X. Zusammenfassung zur Aufklärungspflicht
XI. Zwischenfazit zur Qualitätsbewertung
XII. Vom Gesetzgeber unbeachteter wissenschaftlicher Diskurs: Nudging
1. Phänomen des Nudgings
2. Nudging im Rahmen der Aufklärung
a) Keine Möglichkeit des Eliminierens von Nudging
b) Freiheit des Arztes bei der Strukturierung des Aufklärungsgesprächs
c) Nudging in Form des libertären Paternalismus
F. Informationspflichten und -obliegenheiten
I. Pflichten und Obliegenheiten des Patienten
1. Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten des Patienten gem. § 630c Abs. 1 BGB sowie der in diesem Kontext zuvor ergangenen Rechtsprechung
a) Begriff des Patienten
b) Gegenstand der Informations- und Mitwirkungsobliegenheit
c) Bewertung
2. Nebenpflichten des Patienten gem. § 241 Abs. 2 BGB
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes
1. Informationsobliegenheit des Arztes gem. § 630c Abs. 1 BGB
2. Therapeutische Informationspflicht
a) Allgemeine Grundsätze
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB
cc) Bewertung
b) Gegenstand und Umfang
aa) Richterrecht
bb) 630c Abs. 2 S. 1 BGB
cc) Änderungen zur bisherigen Rechtsprechung hinsichtlich der Zuordnung zur Selbstbestimmungsaufklärung bzw. zur therapeutischen Information
(1) Diagnose und Therapie
(2) Dringlichkeit
(3) Gefahren im Falle des Unterlassens der Behandlung
dd) Generelle Abgrenzung therapeutische Information – Selbstbestimmungsaufklärung
(1) Vertretene Positionen
(2) Eigener Ansatz
ee) Zusammenfassung der Ergebnisse
ff) Bewertung
c) Art und Weise
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB
(1) Kein Formerfordernis
(2) Problem: Sprachunkundige Patienten
(3) Zusammenfassung der Ergebnisse
cc) Bewertung
d) Zeitpunkt
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB
(1) Auslegung des Zeitpunkts „zu Beginn der Behandlung“
(2) Nachwirken der Pflicht über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus
(3) Zeitliche Begrenzung der nachvertraglichen Pflicht – analoge Anwendung des § 630f Abs. 3 BGB
(4) Zusammenfassung der Ergebnisse
cc) Bewertung
e) Informationspflichtiger
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB
cc) Bewertung
f) Informationsempfänger
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB
(1) Begriff des Patienten
(2) Analoge Anwendung der §§ 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB
(3) Analoge Anwendung des § 630e Abs. 5 BGB
(4) Zusätzliche Information Dritter
(5) Zusammenfassung der Ergebnisse
cc) Bewertung
g) Ausnahmen
h) Dokumentation
aa) Richterrecht
bb) § 630f Abs. 2 BGB
cc) Bewertung
i) Rechtsfolgen eines Verstoßes
aa) Zivilrechtliche Rechtsfolgen und Beweislast
(1) Richterrecht
(2) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB
(3) Bewertung
bb) Strafrechtliche Konsequenzen
j) Zusammenfassung zur therapeutischen Informationspflicht
k) Zwischenfazit zur Qualitätsbewertung
3. Fehlerinformationspflicht
a) Existenz einer Fehlerinformationspflicht vor Erlass des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB
aa) Implementierung durch die Rechtsprechung
bb) Vergleich mit Rechtsanwälten
(1) Rechtslage bei Rechtsanwälten
(2) Vergleichbare Interessenlage Rechtsanwalt – Arzt?
cc) Herleitung aus anderen Grundsätzen?
(1) Therapeutische Aufklärung
(2) Wirtschaftliche Aufklärung
(3) Selbstbestimmungsaufklärung
(a) Offenbarung jeglicher Fehler
(aa) Eigener Fehler bei einem anderen Patienten
(bb) Eigener Fehler bei dem identischen Patienten
(b) Offenbarungspflicht nur bei groben Fehlern?
(4) Allgemeine Leistungstreuepflicht
(a) Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung
(b) Pflicht zur Offenbarung auf Nachfrage
(5) Zusammenfassung der Ergebnisse
dd) Zwischenergebnis
b) Neuregelung des § 630c Abs. 2 S. 2, 3 BGB
aa) Gegenstand der Informationspflicht
bb) Fehlerbegriff
(1) Abgrenzung Behandlungsfehler – Aufklärungsfehler
(2) Analoge Anwendung des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB auf Aufklärungsfehler?
cc) Begriff der Erkennbarkeit
dd) Pflichten bei Nachfrage des Patienten
ee) Art und Weise der Informationserteilung
ff) Zeitpunkt
(1) Zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren (Var. 2)
(2) Auf Nachfrage (Var. 1)
(3) Nachwirken der Pflicht über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus
(4) Zeitliche Begrenzung der nachvertraglichen Pflicht – analoge Anwendung des § 630f Abs. 3 BGB
gg) Informationspflichtiger
(1) Begriff des Behandelnden
(2) Analoge Anwendung des Satzes 2 auf die tatsächlich behandelnde Person?
(3) Analoge Anwendung des Satzes 3 auf die tatsächlich behandelnde Person
(4) Praktische Auswirkungen
(5) Zusammenfassung der Ergebnisse
hh) Informationsempfänger
(1) Begriff des Patienten
(2) Analoge Anwendung der §§ 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB
(3) Analoge Anwendung des § 630e Abs. 5 BGB
(4) Zusammenfassung der Ergebnisse
ii) Pflicht zur Information über Umstände eigener Behandlungsfehler
(1) Verstoß gegen den nemo tenetur-Grundsatz?
(a) Eingriff in den Schutzbereich
(b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
(2) Regelung des Satzes 3
(a) Reichweite: Verwertungs- oder Verwendungsverbot?
(b) Analoge Anwendung des Satzes 3 auf andere Verfahren?
(c) Teleologische Reduktion des Satzes 3?
(d) Strafprozessuales Beweisverwertungsverbot als geeigneter Anreiz?
(e) Zusammenfassung der Ergebnisse
(3) Weitere Folgen einer Erfüllung der Informationspflicht
(a) Beweisrecht
(b) Verjährungsrechtliche Bedeutung
(c) Sonstige Konsequenzen
(d) Zusammenfassung der Ergebnisse
(4) Folgen einer Nichterfüllung
(a) Privates Haftungsrecht
(b) Strafrechtliche Konsequenzen
(aa) Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit
(bb) Straftaten gegen das Vermögen
[1] Unterlassen der Information zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren (Var. 2)
[2] Auf Nachfrage des Patienten (Var. 1)
(c) Berufsrechtliche Konsequenzen
(d) Zwischenergebnis
(5) Versicherungsrechtliche Auswirkungen
(a) Grundlagen
(b) Anerkenntnisverbot?
(c) Gefahr der eigenen Einstandspflicht durch Anerkenntnis?
(d) Nachteile durch Beweislastumkehr?
(e) Zwischenergebnis
(6) Zwischenergebnis zur Pflicht zur Information über Umstände eigener Behandlungsfehler
jj) Pflicht zur Information über Umstände fremder Behandlungsfehler
(1) Gründe für die Informationspflicht
(2) Folgen einer Erfüllung der Informationspflicht
(3) Folgen einer Nichterfüllung
(a) Privates Haftungsrecht
(b) Strafrechtliche Konsequenzen
(aa) Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit
(bb) Straftaten gegen das Vermögen
(c) Berufsrechtliche Konsequenzen
(4) Zwischenergebnis zur Informationspflicht über Umstände fremder Behandlungsfehler
(5) Stellungnahme zur Implementierung der Informationspflicht über Umstände fremder Behandlungsfehler
kk) Gesamtzusammenfassung zur Fehlerinformationspflicht
ll) Qualitätsbewertung der Fehlerinformationspflicht
4. Wirtschaftliche Informationspflicht
a) Allgemeine Grundsätze
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 3 BGB
cc) Bewertung
b) Voraussetzungen
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 3 S. 1 BGB
cc) Bewertung
c) Gegenstand
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 3 S. 1 BGB
(1) Analoge Anwendung des § 649 BGB?
(2) Keine Bindungswirkung hinsichtlich der veranschlagten Höhe
(3) Unverzügliche Information bei Kostensteigerung?
(4) Höhe welcher Kosten?
(5) Keine Begründung der Nichterstattungsfähigkeit, keine Nachforschungsobliegenheit
(6) Zusammenfassung der Ergebnisse
cc) Bewertung
d) Art und Weise
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 3 BGB
cc) Bewertung
e) Zeitpunkt
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 3 S. 1 BGB
cc) Bewertung
f) Informationspflichtiger
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 3 S. 1 BGB
cc) Bewertung
g) Informationsempfänger
aa) Richterrecht
bb) § 630c Abs. 3 S. 1 BGB
cc) Bewertung
h) Dokumentation
i) Rechtsfolgen eines Verstoßes
aa) Zivilrechtliche Rechtsfolgen und Beweislast
(1) Richterrecht
(2) § 630c Abs. 3 BGB
(3) Bewertung
bb) Strafrechtliche Konsequenzen
(1) Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit
(2) Straftaten gegen das Vermögen
(3) Bewertung
j) Zusammenfassung zur wirtschaftlichen Informationspflicht
k) Zwischenfazit zur Qualitätsbewertung
5. Ausnahmen zu den Informationspflichten
a) Richterrecht
b) § 630c Abs. 4 BGB
aa) Begriff des Patienten
bb) Ausnahmetatbestände
(1) Unaufschiebbare Behandlung
(2) Verzicht
(3) Vorhandene Kenntnis
(4) Therapeutische Gründe
(5) Zusammenfassung der Ergebnisse
cc) Bewertung
6. Phänomen des Nudgings
G. Gesamtfazit
I. Dogmatische Kritik
II. Erreichung der vom Gesetzgeber selbst gesetzten Ziele
III. Generelle Ziele einer Kodifizierung
H. Alternativer Regelungsvorschlag
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Studien zum Privatrecht Band 81
Nicola Hegerfeld
Ärztliche Aufklärungs- und Informationspflichten Eine Auseinandersetzung mit der Qualität der Kodifizierung der § 630e und § 630c BGB
Mohr Siebeck
Nicola Hegerfeld, Studium der Rechtswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; Erstes Staatsexamen; Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Münster; 2018 LL.M. und Promotion.
D 6; zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2018 ISBN 978-3-16-156454-3 / eISBN 978-3-16-156455-0 DOI 10.1628/978-3-16-156455-0 ISSN 1867-4275 / eISSN 2568-728X (Studien zum Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times New Roman gesetzt und auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Sie entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsphilosophie und Medizinrecht. Mein besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater Prof. Dr. Thomas Gutmann für seine kontinuierliche Unterstützung und die vortrefflichen Forschungsund Arbeitsbedingungen am Lehrstuhl. Bei Herrn Prof. Dr. Johann Kindl bedanke ich mich herzlich für die umgehende Erstellung des Zweitgutachtens. Der Kolleg-Forschergruppe „Theoretische Grundfragen der Normenbegründung in Medizinethik und Biopolitik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster danke ich für die Kooperation und den Druckkostenzuschuss. Meinen Freunden und meiner Familie danke ich für die zeitnahe Durchsicht des Manuskripts. Besonders hervorheben möchte ich meine Kollegin Luise Schüling, LL.M., die mich während meiner Promotionszeit sowohl in fachlicher als auch persönlicher Hinsicht stets unterstützt hat und mir als wertvolle Diskussionspartnerin zur Verfügung stand. Dr. Marina Kohake, LL.M., Björn Stäwen, LL.M. und Martin Thelen danke ich für die bereichernden fachlichen Diskussionen. Schließlich danke ich meinen Eltern von Herzen für ihre bedingungslose Unterstützung, ohne die diese Arbeit nicht entstanden wäre. Düsseldorf, im Juli 2018
Nicola Hegerfeld
Inhaltsübersicht A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit . . . . . . . 1 I.
Richterrecht und dessen Verhältnis zu Gesetzen . . . . . . . . . .
II.
Qualität einer Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1. Dogmatische Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Ziele einer Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
4
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Ermittlung des Bedeutungsgehalts von Gesetzen: Auslegung . 15 2. Umgang mit Lücken im Gesetz: Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . 22 IV. Fortgang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
B. Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I.
Verhältnis Ethik und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
II.
Weitere Ursachen für den veränderten Blickwinkel auf das Arzt-Patient-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
III. Schutzzwecke der Aufklärungs- und Informationspflichten . . . .
44
C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt . . . . . . .
47
I.
50 50
II.
Grundrechte des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Achtung der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . 2. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . 5. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 Var. 1 GG
60 62
Grundrechte des Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . .
63 63
52 55 59
VIII
Inhaltsübersicht
2. Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG . . . . . . . . . . . 3. Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . 4. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nemo tenetur-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68 69 70 70
III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
D. Klärung von für die Analyse elementaren Begriffen . . . . . 77 I.
Begriff der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
II.
Begriff der Informationsbefolgungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . 81
III. Begriff des Patienten in den §§ 630a ff. BGB . . . . . . . . . . . 83 1. Zwei unterschiedliche Begriffsverständnisse . . . . . . . . . . 83 2. Kein einheitliches Begriffsverständnis in den §§ 630c ff. BGB 85 3. Auswirkungen der unterschiedlichen Begriffsverständnisse . . 87 IV. Begriff der Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
E. Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
I.
Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. § 630e Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
II.
Gegenstand und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Nach § 630e Abs. 2 S. 1, 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Aufklärung über Behandlungsalternativen . . . . . . . . . . . 115
III. Art und Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 3, S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 IV. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148 148 151 152
V.
153 153 155 166
Aufklärungspflichtiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 630e Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsübersicht
IX
VI. Aufklärungsempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. § 630e Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 5 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 VII. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. § 630e Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 VIII. Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. § 630f Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 IX. Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Zivilrechtliche Rechtsfolgen und Beweislast . . . . . . . . . . 191 2. Strafrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 X.
Zusammenfassung zur Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . 201
XI. Zwischenfazit zur Qualitätsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . 203 XII. Vom Gesetzgeber unbeachteter wissenschaftlicher Diskurs: Nudging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Phänomen des Nudgings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Nudging im Rahmen der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . 207
F.
Informationspflichten und -obliegenheiten . . . . . . . . . . 217
I.
Pflichten und Obliegenheiten des Patienten . . . . . . . . . . . . 218 1. Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten des Patienten gem. § 630c Abs. 1 BGB sowie der in diesem Kontext zuvor ergangenen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Nebenpflichten des Patienten gem. § 241 Abs. 2 BGB . . . . . 231
II.
Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes . . . . . . . 1. Informationsobliegenheit des Arztes gem. § 630c Abs. 1 BGB . 2. Therapeutische Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlerinformationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wirtschaftliche Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausnahmen zu den Informationspflichten . . . . . . . . . . . . 6. Phänomen des Nudgings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
232 232 234 296 427 480 491
X
Inhaltsübersicht
G. Gesamtfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 I.
Dogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
II.
Erreichung der vom Gesetzgeber selbst gesetzten Ziele . . . . . . 499
III. Generelle Ziele einer Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . 502
H. Alternativer Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit . . . . . . . 1 I.
Richterrecht und dessen Verhältnis zu Gesetzen . . . . . . . . . .
II.
Qualität einer Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1. Dogmatische Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2. Ziele einer Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 a) Spezielle, vom Gesetzgeber ausdrücklich verfolgte Ziele . . 10 b) Generelle Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
4
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . 13 1. Ermittlung des Bedeutungsgehalts von Gesetzen: Auslegung . 15 a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 b) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 d) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 e) Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung . . . . . . 21 2. Umgang mit Lücken im Gesetz: Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . 22 a) Feststellung von Lücken im Gesetz . . . . . . . . . . . . . 23 b) Korrekturmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 aa) Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 bb) Teleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 cc) Rechtsfortbildung contra legem . . . . . . . . . . . . . 25 IV. Fortgang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
B. Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I.
Verhältnis Ethik und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
II.
Weitere Ursachen für den veränderten Blickwinkel auf das Arzt-Patient-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
III. Schutzzwecke der Aufklärungs- und Informationspflichten . . . .
44
XII
Inhaltsverzeichnis
C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt . . . . . . .
47
I.
50 50
II.
Grundrechte des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Achtung der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . 2. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . 5. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 Var. 1 GG
52 55 59 60 62
Grundrechte des Arztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG . . . . . . . . . . . 3. Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . 4. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nemo tenetur-Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der nemo tenetur-Grundsatz im Zivilrecht . . . . . . . . . . b) Übertragung auf das Behandlungsverhältnis . . . . . . . . .
70 70 73 75
III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
63 63 68 69
D. Klärung von für die Analyse elementaren Begriffen . . . . . 77 I.
Begriff der Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
II.
Begriff der Informationsbefolgungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . 81
III. Begriff des Patienten in den §§ 630a ff. BGB . . . . . . . . . . . 83 1. Zwei unterschiedliche Begriffsverständnisse . . . . . . . . . . 83 2. Kein einheitliches Begriffsverständnis in den §§ 630c ff. BGB 85 3. Auswirkungen der unterschiedlichen Begriffsverständnisse . . 87 a) Ausschluss des Vertrags zugunsten Dritter bei Behandlungsverhältnissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Anwendung der Begriffsverständnisse auf die Konstellation des Vertrags zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . 89 IV. Begriff der Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
E. Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
I.
93 94
Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Inhaltsverzeichnis
XIII
2. § 630e Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II.
Gegenstand und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Nach § 630e Abs. 2 S. 1, 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 aa) Risikoaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Verlaufsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Aufklärung über Erfolgsaussichten . . . . . . . . . . . 108 b) § 630e Abs. 1 S. 1, 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 114 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Aufklärung über Behandlungsalternativen . . . . . . . . . . . 115 a) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) § 630e Abs. 1 S. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
III. Art und Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 3, S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Mündlichkeit, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Ausnahmsweise schriftliche Aufklärung bei Routinemaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Ergänzende Bezugnahme auf Unterlagen, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 a. E. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Aushändigung von Abschriften, Abs. 2 S. 2 . . . . . . . . . 129 aa) Grund für die Implementierung . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Form der Abschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 cc) Zeitpunkt der Aushändigung . . . . . . . . . . . . . . . 132 dd) Rechtsfolgen im Falle eines Verstoßes . . . . . . . . . . 134 ee) Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Verständlichkeit, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Problem: Sprachunkundige Patienten . . . . . . . . . . 137 (1) Kostentragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Haftung für fehlerhafte Übersetzung . . . . . . . . 143 (3) Eingeschränkte Sprachkenntnisse . . . . . . . . . . 145 d) Strukturierung der Aufklärung und Beeinflussung des Entscheidungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 e) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
XIV
Inhaltsverzeichnis
IV. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148 148 151 152
V.
153 153 155 155 156
Aufklärungspflichtiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 630e Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeit der Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erfordernis der Beteiligung an der Durchführung der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nichtärztliches Personal . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ärztlich durchzuführende Maßnahmen . . . . . . . (2) Durch nichtärztliches Personal durchzuführende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Praktische Erfahrung und das Erfordernis des Facharzttitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Studierende im Praktischen Jahr . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157 158 158 161 162 165 166 166
VI. Aufklärungsempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. § 630e Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 5 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Begriff des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) § 630e Abs. 4, 5 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 c) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 VII. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. § 630e Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Unaufschiebbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 b) Aufklärungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Vorhandene Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 d) Therapeutische Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 e) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 VIII. Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. § 630f Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
Inhaltsverzeichnis
XV
3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 IX. Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Zivilrechtliche Rechtsfolgen und Beweislast . . . . . . . . . . 191 a) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) §§ 630e, h BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Strafrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 X.
Zusammenfassung zur Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . 201
XI. Zwischenfazit zur Qualitätsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . 203 XII. Vom Gesetzgeber unbeachteter wissenschaftlicher Diskurs: Nudging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Phänomen des Nudgings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Nudging im Rahmen der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Keine Möglichkeit des Eliminierens von Nudging . . . . . . 209 b) Freiheit des Arztes bei der Strukturierung des Aufklärungsgesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Nudging in Form des libertären Paternalismus . . . . . . . . 212
F.
Informationspflichten und -obliegenheiten . . . . . . . . . . 217
I.
Pflichten und Obliegenheiten des Patienten . . . . . . . . . . . . 218 1. Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten des Patienten gem. § 630c Abs. 1 BGB sowie der in diesem Kontext zuvor ergangenen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 219 a) Begriff des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 b) Gegenstand der Informations- und Mitwirkungsobliegenheit 224 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Nebenpflichten des Patienten gem. § 241 Abs. 2 BGB . . . . . 231
II.
Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes . . . . . . . 1. Informationsobliegenheit des Arztes gem. § 630c Abs. 1 BGB . 2. Therapeutische Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenstand und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) 630c Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . .
232 232 234 235 236 236 237 237 237 241
XVI
Inhaltsverzeichnis
cc) Änderungen zur bisherigen Rechtsprechung hinsichtlich der Zuordnung zur Selbstbestimmungsaufklärung bzw. zur therapeutischen Information . . . . . . . . . . . . . 244 (1) Diagnose und Therapie . . . . . . . . . . . . . . . 244 (2) Dringlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (3) Gefahren im Falle des Unterlassens der Behandlung 250 dd) Generelle Abgrenzung therapeutische Information – Selbstbestimmungsaufklärung . . . . . . . . . . . . . . 250 (1) Vertretene Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (2) Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 ee) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . 257 ff) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 c) Art und Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (1) Kein Formerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . 261 (2) Problem: Sprachunkundige Patienten . . . . . . . . 262 (3) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . 265 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 d) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (1) Auslegung des Zeitpunkts „zu Beginn der Behandlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (2) Nachwirken der Pflicht über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus . . . . . . . . . . . . . 270 (3) Zeitliche Begrenzung der nachvertraglichen Pflicht – analoge Anwendung des § 630f Abs. 3 BGB . . . . 272 (4) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . 273 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 e) Informationspflichtiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 f) Informationsempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (1) Begriff des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (2) Analoge Anwendung der §§ 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
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XVII
(3) Analoge Anwendung des § 630e Abs. 5 BGB . . . . 285 (4) Zusätzliche Information Dritter . . . . . . . . . . . 286 (5) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . 287 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 g) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 h) Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) § 630f Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 i) Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 aa) Zivilrechtliche Rechtsfolgen und Beweislast . . . . . . 292 (1) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 (2) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 293 (3) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) Strafrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . 294 j) Zusammenfassung zur therapeutischen Informationspflicht . 294 k) Zwischenfazit zur Qualitätsbewertung . . . . . . . . . . . . 295 3. Fehlerinformationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 a) Existenz einer Fehlerinformationspflicht vor Erlass des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 aa) Implementierung durch die Rechtsprechung . . . . . . 297 bb) Vergleich mit Rechtsanwälten . . . . . . . . . . . . . . 298 (1) Rechtslage bei Rechtsanwälten . . . . . . . . . . . 298 (2) Vergleichbare Interessenlage Rechtsanwalt – Arzt? . 302 cc) Herleitung aus anderen Grundsätzen? . . . . . . . . . . 307 (1) Therapeutische Aufklärung . . . . . . . . . . . . . 308 (2) Wirtschaftliche Aufklärung . . . . . . . . . . . . . 309 (3) Selbstbestimmungsaufklärung . . . . . . . . . . . 311 (a) Offenbarung jeglicher Fehler . . . . . . . . . . 311 (aa) Eigener Fehler bei einem anderen Patienten 312 (bb) Eigener Fehler bei dem identischen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 (b) Offenbarungspflicht nur bei groben Fehlern? . . 315 (4) Allgemeine Leistungstreuepflicht . . . . . . . . . . 315 (a) Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung . . . 317 (b) Pflicht zur Offenbarung auf Nachfrage . . . . . 318 (5) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . 320 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 b) Neuregelung des § 630c Abs. 2 S. 2, 3 BGB . . . . . . . . . 320 aa) Gegenstand der Informationspflicht . . . . . . . . . . . 322
XVIII
Inhaltsverzeichnis
bb) Fehlerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abgrenzung Behandlungsfehler – Aufklärungsfehler (2) Analoge Anwendung des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB auf Aufklärungsfehler? . . . . . . . . . . . . . . . cc) Begriff der Erkennbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Pflichten bei Nachfrage des Patienten . . . . . . . . . . ee) Art und Weise der Informationserteilung . . . . . . . . ff) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren (Var. 2) (2) Auf Nachfrage (Var. 1) . . . . . . . . . . . . . . . (3) Nachwirken der Pflicht über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus . . . . . . . . . . . . . (4) Zeitliche Begrenzung der nachvertraglichen Pflicht – analoge Anwendung des § 630f Abs. 3 BGB . . . . gg) Informationspflichtiger . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begriff des Behandelnden . . . . . . . . . . . . . . (2) Analoge Anwendung des Satzes 2 auf die tatsächlich behandelnde Person? . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Analoge Anwendung des Satzes 3 auf die tatsächlich behandelnde Person . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Praktische Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . (5) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . hh) Informationsempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begriff des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Analoge Anwendung der §§ 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Analoge Anwendung des § 630e Abs. 5 BGB . . . . (4) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . ii) Pflicht zur Information über Umstände eigener Behandlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verstoß gegen den nemo tenetur-Grundsatz? . . . . (a) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . (b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . (2) Regelung des Satzes 3 . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Reichweite: Verwertungs- oder Verwendungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . (b) Analoge Anwendung des Satzes 3 auf andere Verfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Teleologische Reduktion des Satzes 3? . . . . .
329 329 330 333 338 342 343 344 344 346 347 347 348 348 349 352 354 355 355 359 361 362 362 363 363 365 370 371 374 375
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(d) Strafprozessuales Beweisverwertungsverbot als geeigneter Anreiz? . . . . . . . . . . . . . (e) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . (3) Weitere Folgen einer Erfüllung der Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verjährungsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . (c) Sonstige Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . (d) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . (4) Folgen einer Nichterfüllung . . . . . . . . . . . . . (a) Privates Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . (b) Strafrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . (aa) Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . (bb) Straftaten gegen das Vermögen . . . . . . [1] Unterlassen der Information zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren (Var. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . [2] Auf Nachfrage des Patienten (Var. 1) . (c) Berufsrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . (d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Versicherungsrechtliche Auswirkungen . . . . . . . (a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Anerkenntnisverbot? . . . . . . . . . . . . . . (c) Gefahr der eigenen Einstandspflicht durch Anerkenntnis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Nachteile durch Beweislastumkehr? . . . . . . (e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zwischenergebnis zur Pflicht zur Information über Umstände eigener Behandlungsfehler . . . . . . . jj) Pflicht zur Information über Umstände fremder Behandlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gründe für die Informationspflicht . . . . . . . . . (2) Folgen einer Erfüllung der Informationspflicht . . . (3) Folgen einer Nichterfüllung . . . . . . . . . . . . . (a) Privates Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . (b) Strafrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . (aa) Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . (bb) Straftaten gegen das Vermögen . . . . . .
XIX 375 377 377 378 380 380 382 382 382 389 389 389
390 396 400 401 401 402 403 404 407 409 409 411 411 411 413 413 415 415 416
XX
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(c) Berufsrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . (4) Zwischenergebnis zur Informationspflicht über Umstände fremder Behandlungsfehler . . . . . . . (5) Stellungnahme zur Implementierung der Informationspflicht über Umstände fremder Behandlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . kk) Gesamtzusammenfassung zur Fehlerinformationspflicht ll) Qualitätsbewertung der Fehlerinformationspflicht . . . 4. Wirtschaftliche Informationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 630c Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 630c Abs. 3 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 630c Abs. 3 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Analoge Anwendung des § 649 BGB? . . . . . . . (2) Keine Bindungswirkung hinsichtlich der veranschlagten Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unverzügliche Information bei Kostensteigerung? . (4) Höhe welcher Kosten? . . . . . . . . . . . . . . . (5) Keine Begründung der Nichterstattungsfähigkeit, keine Nachforschungsobliegenheit . . . . . . . . . (6) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Art und Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 630c Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 630c Abs. 3 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Informationspflichtiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 630c Abs. 3 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . .
417 417
418 419 422 427 428 428 429 431 431 432 435 441 441 441 442 444 447 448 449 452 453 454 455 455 455 458 459 459 459 461 462 462 462
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cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Informationsempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 630c Abs. 3 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zivilrechtliche Rechtsfolgen und Beweislast . . . . . . (1) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) § 630c Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Strafrechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . (1) Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Straftaten gegen das Vermögen . . . . . . . . . . . (3) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Zusammenfassung zur wirtschaftlichen Informationspflicht . k) Zwischenfazit zur Qualitätsbewertung . . . . . . . . . . . . 5. Ausnahmen zu den Informationspflichten . . . . . . . . . . . . a) Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 630c Abs. 4 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff des Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausnahmetatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unaufschiebbare Behandlung . . . . . . . . . . . . (2) Verzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vorhandene Kenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Therapeutische Gründe . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Phänomen des Nudgings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
463 463 464 464 468 468 469 469 469 471 474 474 474 475 477 478 479 480 481 481 482 482 484 486 488 489 490 491 491
G. Gesamtfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 I.
Dogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494
II.
Erreichung der vom Gesetzgeber selbst gesetzten Ziele . . . . . . 499
III. Generelle Ziele einer Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . 502
H. Alternativer Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit Am 26.02.2013 ist das Patientenrechtegesetz mit den Regelungen zum Behandlungsvertrag (§§ 630a–h BGB) in Kraft getreten. Zuvor war der Behandlungsvertrag nicht gesetzlich geregelt. Kodifiziert war lediglich das Dienstvertragsrecht in den §§ 611 ff. BGB, als dessen Ausprägung der Behandlungsvertrag angesehen wird und wurde. Vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes konnte somit lediglich auf die §§ 611 ff. BGB sowie die Regelungen des Allgemeinen Teils des BGB (§§ 1 bis 241 BGB) und des Allgemeinen Schuldrechts (§§ 241 bis 432 BGB) zurückgegriffen werden. Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes sind nun die Besonderheiten im Verhältnis zum allgemeinen Dienstvertragsrecht gesetzlich geregelt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Behandlungsvertragsrecht im Übrigen zuvor ungeregelt war. Der Begriff des Behandlungsvertrags war bereits vorher ein feststehender juristischer Fachbegriff, das Rechtsverhältnis zwischen Arzt1 und Patient ist durch die Rechtsprechung über Jahrzehnte entwickelt und konkretisiert worden. Die Rechtsprechung nahm stets einen Gleichlauf zwischen vertraglicher und deliktischer Arzthaftung an, sodass die Grundsätze wechselseitig übertragen werden konnten. So ist auch das Pflichtenprogramm im Hinblick auf Aufklärung und Information im Arzt-Patient-Verhältnis richterrechtlich ausgeformt worden. Bereits 1894 beschäftigte sich das Reichsgericht mit dem Erfordernis der Einwilligung,2 auf welches das Aufklärungserfordernis aufbaut. Seitdem haben sich die Gerichte in allen Instanzen intensiv und zahlreich mit dieser Problematik beschäftigt. Es gibt geradezu eine Flut von Urteilen, insbesondere zur Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung, wobei hier seit den 1950er Jahren ein zahlenmäßig immer stärkerer Anstieg an Entscheidungen zu verzeichnen ist. Dies wird im Rahmen der Arbeit anhand der zahlreichen zitierten Urteile deutlich. Es handelt sich dabei auch nicht überwiegend um Entscheidungen lediglich auf Ebene der Amts- und Landgerichte, ein Rückgriff auf diese ist aufgrund 1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht. 2 RGSt 25, 375 (380 ff.).
2
A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
der zahlreichen Urteile der Oberlandesgerichte sowie des BGH, der mit dem VI. Zivilsenat einen Senat hat, der sich regelmäßig mit Arzthaftungssachen beschäftigt und aus dem durch ständige Rechtsprechung elementare Rechtsgrundsätze hervorgegangen sind, kaum erforderlich. Vereinzelt hat sich gar das Bundesverfassungsgericht mit der Materie beschäftigt. Das Arzthaftungsrecht ist somit in Form von gesetzesvertretendem Richterrecht ausgebildet worden,3 die Rechtslage ergab sich nur unter Heranziehung der Rechtsprechung. Ein derartiger Prozess wird zu Recht kritisch betrachtet, da er mit dem Verlust eines „offene[n], von Interessengegensätzen gekennzeichnete[n] Prozeß[es] der Willensbildung“ einhergehen kann.4 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine sich entwickelnde Rechtsmaterie sich noch einer Kodifizierung verschließen und das Abwarten mit einer solchen der Rechtsentwicklung dienen kann.5 Der Gesetzgeber weist in der Gesetzesbegründung mehrfach darauf hin, dass er im Wesentlichen nur die Rechtsprechung kodifizieren wollte, diese sollte fortgelten. Ob dem Gesetzgeber dies (gut) gelungen ist und an welchen Stellen eine bessere Regelung möglich gewesen wäre, soll untersucht werden. Eine Analyse, die dieser Frage für einen zentralen Bereich des Rechtsgebiets systematisch und umfassend nachgeht, fehlt bisher. Die vorliegende Arbeit möchte diese Lücke schließen. Hierfür sind mehrere Beweisschritte notwendig. Zunächst ist es erforderlich, hinsichtlich der einzelnen Aufklärungs- und Informationspflichten und ihren Modalitäten den bisherigen Stand der Rechtsprechung und sodann den Bedeutungsgehalt der Normen durch Auslegung zu ermitteln. Ergeben sich bei letzterer Lücken im Gesetz, so ist zu klären, ob es sich dabei um beabsichtigte oder unbeabsichtigte Lücken handelt und ob im letzteren Fall eine Lückenschließung möglich ist. Der methodische Ansatz, anhand welchem dieser Schritt erfolgt, wird sogleich unter III. näher erläutert. Sind diese voneinander separaten Schritte getan, so ist vergleichend zu prüfen, ob sich die bisherige Rechtsprechungspraxis mit dem Bedeutungsgehalt der gesetzlichen Regelungen deckt oder ob sich Unterschiede ergeben. Dabei wird sich zeigen, inwieweit die bisherige Rechtsprechung unverändert fortgelten kann, an welchen Stellen ihre leitenden Grundsätze modifiziert wurden und wo sie aufgrund einer Änderung durch das Patientenrechtegesetz nicht mehr fortgeführt werden kann. Es ist davon auszugehen, dass die Gerichte an ihren bisherigen Entscheidungsgrundsätzen festhalten werden, sofern diese unter dem Gesetz Bestand haben können. Dies gilt zum einen vor 3 Zu gesetzesvertretendem Richterrecht siehe Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, 189 ff. 4 Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, 190. 5 Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, 223 f.
A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
3
dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber ohnehin an die Rechtsprechung anknüpfen wollte und es sein ausdrücklicher Wunsch war, dass diese fortgilt. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass die Gerichte von einer über Jahrzehnte gewachsenen Rechtsprechungspraxis abweichen werden, sofern dies nicht erforderlich ist. Deswegen kann bei der Analyse der Aufklärungs- und Informationspflichten die bisherige Judikatur grundsätzlich herangezogen werden. Um das Verhältnis von Richterrecht zu Gesetzen im Rahmen der Aufklärungsund Informationspflichten angemessen beurteilen zu können, ist dieses zunächst anhand einer abstrakten Darstellung zu klären (I.). Sind der bisherige Stand der Rechtsprechung, der Bedeutungsgehalt der gesetzlichen Regelungen sowie die Überschneidungen und Unterschiede zwischen diesen ermittelt, so ist die Qualität der Kodifizierung zu bewerten. Anhand welcher Kriterien dies erfolgt, wird sogleich unter II. näher dargestellt. Die Qualität der Kodifizierung durch das Patientenrechtegesetz wird anhand der Aufklärungs- und Informationspflichten des Behandelnden analysiert, weil an diesen sowohl die Hauptprobleme und Schwächen des Gesetzes, die sich durch sämtliche der acht Paragrafen ziehen, als auch zahlreiche Spezialprobleme, die sich nur im Hinblick auf diese Pflichten ergeben, sichtbar werden. Zum anderen gibt es gerade zu den Aufklärungs- und Informationspflichten ein seit Jahrzehnten wachsendes, großes Korpus an Rechtsprechung, das diese Pflichten als extrem haftungsrelevant ausweist. Zudem stellt die Pflicht zur Fehlerinformation gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB das einzige angebliche „Novum“ des Gesetzes dar. Die Aufklärungs- und Informationspflichten können aufgrund ihrer Nähe zueinander und ihrer Wechselwirkungen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Schließlich sind die Aufklärungs- und Informationspflichten im Behandlungsvertrag wesentlich umfangreicher und ausgeprägter geregelt als in den meisten anderen zivilrechtlichen Vertragstypen, sodass sie einer umfassenden Analyse bedürfen. Darüber hinaus kommt ihnen aufgrund der betroffenen höchstpersönlichen Rechtsgüter eine elementare Bedeutung zu. Für den Patienten geht es um seinen Körper und sein Leben sowie um seine Selbstbestimmung, deswegen sind die Aufklärungs- und Informationspflichten für ihn besonders relevant. Aufgrund der großen haftungsrechtlichen Bedeutung sind sie auch für den Arzt von großer Bedeutung.
4
A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
I. Richterrecht und dessen Verhältnis zu Gesetzen Bilden die Gerichte durch ständige Rechtsprechung abstrakte Rechtsgrundsätze heraus, so stellen diese sogenanntes Richterrecht6 dar, zudem kann diese ständige Rechtsprechung zu Gewohnheitsrecht werden.7 Das Richterrecht kann zwar unter Umständen eine faktische Geltung erlangen, die der eines Gesetzes entspricht, es kann jedoch nie dieselbe Verbindlichkeit wie ein Gesetz beanspruchen.8 Eine faktische Geltung ist insbesondere dann möglich, wenn in mehreren Einzelfällen immer wieder auf einen bestimmten allgemeinen Grundsatz Bezug genommen wird. Aufgabe des Richterrechts ist es, die Rechtsfindung normativ zu leiten und „Berechenbarkeit des Rechts, […] Rechtsklarheit und Rechtssicherheit“ zu gewährleisten.9 Grundsätzlich sind die Gerichte nicht an die Entscheidungen anderer Gerichte gleicher oder höherer Instanz gebunden.10 Zwar kommt es in der Praxis häufig dazu, dass untere Instanzen die Entscheidungsgrundsätze höherer Instanzen übernehmen, um zu vermeiden, dass ihre Entscheidungen im nächsten Instanzenzug wieder aufgehoben werden. Eine Pflicht zur Orientierung an den Entscheidungen höherer Instanzen besteht allerdings nicht. Auch ein und dasselbe Gericht ist nicht an zuvor von ihm getroffene Entscheidungen gebunden. Gerichtsentscheidungen haben grundsätzlich keine Allgemeinverbindlichkeit. Eine Ausnahme besteht nur für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG entfalten die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bindungswirkung für alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie für alle Gerichte und Behörden) sowie für Entscheidungen der zurückverweisenden Instanz, § 563 Abs. 2 ZPO. Können Gerichtsentscheidungen schon keine Bindungswirkung für andere Gerichte haben, so gilt dies erst recht für den Gesetzgeber. Eine Ausnahme bilden auch hier nur die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, über die sich die Verfassungsorgane gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht hinwegsetzen dürfen; diese entfalten somit für den Gesetzgeber Bindungswirkung. In bestimmten Fällen entfalten die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gar Gesetzeskraft, § 31 Abs. 2 S. 1, 2 BVerfGG. Eine derartige Regelung existiert für die Entscheidungen anderer Gerichte dagegen nicht, sodass insofern keine Bin6 Dem Begriff des Richterrechts wird zum Teil der von Präjudizien vorgezogen, Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. Aufl. (1992), Rdnr. 55. Zum Begriff des Präjudizes siehe Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017, 46 ff. 7 Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 66. 8 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 255. 9 BVerfGE 66, 116 (138). 10 Vgl. BVerfGE 87, 273 (278); BVerfGE 78, 123 (126).
I. Richterrecht und dessen Verhältnis zu Gesetzen
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dungswirkung von Gerichtsentscheidungen für den Gesetzgeber besteht. Der Gesetzgeber kann sich somit jederzeit über Richterrecht hinwegsetzen, während der Richter grundsätzlich an das Gesetz gebunden ist. Dies entspricht dem Grundsatz der Gewaltenteilung, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG, sowie dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, nach welchem die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden ist. So statuiert auch Art. 97 Abs. 1 GG, dass Richter dem Gesetz unterworfen sind. Fehlen gesetzliche Regelungen, so sind die Richter zur Bildung von Normen genötigt.11 Sind gesetzliche Regelungen vorhanden, so werden diese durch Rich terrecht konkretisiert (Ipsen bezeichnet dies als judizielle Rechtsbildung12). Rechtsprechung ist hier zugleich Schaffung sowie Fortentwicklung des Rechts und kann insofern als Rechtsquelle angesehen werden.13 Die Ansicht, dass nicht der Richter, sondern vielmehr das Gesetz durch die Richter hindurch entscheide,14 ist somit nicht zutreffend und greift zu kurz. Dieser Einfluss der Rechtsprechung ist auch zwingend notwendig. Formelle Gesetze stellen abstrakt-generelle Regelungen dar, die häufig auch als Generalklauseln formuliert sind oder unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Ein derartiges Vorgehen begründet sich damit, dass Gesetze darauf angelegt sind, dauerhafte Geltung zu beanspruchen, sie sind weitaus weniger flexibel als Richterrecht oder auch Rechtsverordnungen.15 Folglich enthalten formelle Gesetze für gewöhnlich auch nur die grundlegenden Regelungen,16 die dann wiederum durch die Rechtsprechung konkretisiert und für den Einzelfall handhabbar gemacht werden. Es ist dem Gesetzgeber nicht möglich, jeden Einzelfall zu regeln; dies würde zu einer unüberschaubaren Flut von Rechtsnormen führen. Durch den Erlass abstrakt-genereller Rechtsnormen, die für eine Vielzahl von Fällen gelten, lässt sich dagegen ein einheitlicher Rechtsrahmen für zahlreiche Fälle bilden. Nur so kann das Recht seiner Funktion, Stabilität und Kontinuität zu gewährleisten,17 nachkommen. Ein derartiges Vorgehen ermöglicht es zudem den Gerichten, vom Gesetzgeber unvorhergesehene Fälle unter die Norm zu subsumieren; es gibt diesen die notwendige Flexibilität für die Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, 132. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, 188. 13 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 255. Zur Einordnung als Rechtsquelle auch Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, 1969, 27; vgl. Esser, Grundsatz und Norm, 1956, 139. Ausführlich zur judikativen Rechtserzeugung siehe Payandeh, Judikative Rechtserzeugung, 2017. 14 So Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), 1 (5). 15 Vgl. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, 146. 16 Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, 146. 17 Zu den Geboten der Stabilität und Kontinuität siehe Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht und Verfassungsrecht, 1969, 39 f.; Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, 188. 11
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
zahlreichen Praxiskonstellationen. Demnach verbleibt umso weniger Spielraum für die Rechtsprechung, je konkreter der Gesetzgeber die Normen regelt. Den Gerichten ist es nur im eingeschränkten Rahmen des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG möglich, die Anwendung von Normen zu verhindern, nämlich durch das Verfahren der konkreten Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht; nur letzteres kann wiederum die Nichtigkeit und damit die Unanwendbarkeit einer Norm erklären, § 78 BVerfGG. Hierdurch wird der Grundsatz der Gewaltenteilung, aus welchem sich auch ergibt, dass die Normsetzungskompetenz der Legislative zusteht, gesichert. Ist eine Norm nicht verfassungswidrig, so ist sie von der Rechtsprechung unabhängig davon anzuwenden, ob diese sie für sinnvoll oder richtig erachtet oder ob sie mit den zuvor von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätzen übereinstimmt. Eine bisherige Rechtspraxis hat die Judikative anzupassen, wenn sie mit dem (neuen) geltenden Recht nicht mehr vereinbar ist. Dies entspricht dem Prinzip der Gesetzestreue, Art. 20 Abs. 3 GG. Die Bindung des Richters an die Gesetze ergibt sich letztlich auch daraus, dass ihm die Aufgabe zukommt, die Rechtsverhältnisse der konkreten Normadressaten für den Einzelfall zu bewerten, dies ist nur auf Grundlage und im Rahmen des für diese Adressaten geltenden Rechts möglich.
II. Qualität einer Kodifizierung Um 1980 herum gab es in der Wissenschaft einen Diskurs zur Gesetzgebungslehre, aus dem zahlreiche Werke hervorgegangen sind.18 Ein Kriterienkatalog guter Kodifizierung lässt sich diesem jedoch nicht entnehmen. Im Zentrum der Diskussion stehen Fragen des Gesetzgebungsverfahrens und der in diesem bestehenden Verbesserungsmöglichkeiten, diese sind jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit. Deswegen wird für diese Arbeit ein eigener Maßstab gewählt, an welchem die Qualität des Patientenrechtegesetzes überprüft wird. Dieser untergliedert sich in zwei Punkte: Da dieser Arbeit ein dogmatischer Ansatz zugrunde liegt, ergibt sich der wesentliche Kriterienkatalog aus eben diesem dogmatischen Ansatz. Geprüft wird, inwiefern das Gesetz (gut) dogmatisierbar ist, inwiefern es diejenigen Grundsätze berücksichtigt, die im Rahmen der Auslegung zugrunde gelegt werden. Die unter III. erläuterten Grundsätze werden somit nicht nur zur Ermittlung des Be18 Siehe u. a. Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982; Noll, Gesetzgebungslehre, 1973; Schreckenberger/König/Zeh (Hrsg.), Gesetzgebungslehre, 1986; Winkler/Schilcher (Hrsg.), Gesetzgebung, 1981; Böhret/Hugger, Test und Prüfung von Gesetzentwürfen, 1980; Böhret (Hrsg.), Gesetzgebungspraxis und Gesetzgebungslehre, 1980.
II. Qualität einer Kodifizierung
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deutungsgehalts der gesetzlichen Regelungen und zum Umgang mit vorhandenen Lücken herangezogen, sondern liefern gleichzeitig wertvolle Kriterien für die Beurteilung der Qualität des Gesetzes. Neben und zum Teil auch anhand dieser „dogmatischen Qualität“ wird zudem geprüft, inwiefern die Kodifizierung geeignet ist, zum einen die vom Gesetzgeber bei der konkreten Kodifizierung selbst gesetzten Ziele, zum anderen die generellen Ziele einer Kodifizierung zu erfüllen.
1. Dogmatische Kriterien Im Rahmen der dogmatischen Betrachtung ist zu prüfen, ob der Regelungsgehalt der Normen so gut wie möglich gefasst wurde.19 Ein qualitativ hochwertiges Gesetz überzeugt dadurch, dass es dogmatisierbar ist. Eine gute Gesetzestechnik zeichnet sich dadurch aus, dass „ein dogmatisch stimmiges Gesamtkonzept“ zu erkennen ist, obwohl „Tatbestände und Rechtsfolgen schnörkellos aneinandergeknüpft werden“.20 Kennzeichen eines guten Gesetzes sind zudem, dass jeder Norm eine Funktion zugewiesen werden kann, das Verständnis der Begriffe klar ist und diese in einem adäquaten Zusammenhang stehen.21 Richtet sich die Norm an Bürger, so sollte sie sich durch einen klaren und verständlichen Ausdruck auszeichnen.22 Wird vom allgemeinen Sprachgebrauch abgewichen, so besteht die Gefahr der Verfälschung des Rechtsbewusstseins,23 eine verhaltenssteuernde Funktion des Gesetzes ist dann kaum noch erreichbar.24 Angesichts des Anspruchs formeller Gesetze auf dauerhafte Geltung und der geringen Flexibilität ist es wichtig, dass die im Gesetz getroffenen abstrakt-generellen Regelungen gut dogmatisierbar sind. Deswegen sind auch die im Rahmen der Auslegung geschilderten Grundsätze (A. III. 1.) bei der Qualitätsbewertung zu berücksichtigen. Es bestehen Wechselwirkungen zwischen den dogmatischen Grundsätzen zur Auslegung und Lückenschließung sowie der Qualität einer Kodifizierung. Der erforderliche Auslegungsaufwand, die grundsätzliche Orientierung am allgemeinen Sprachgebrauch und die korrekte Anwendung gesetzgeberischer Figuren (bspw. Legaldefinitionen, Generalklauseln mit anschließender Nennung von Einzeltatbeständen) sind maßgeblich für die Qualität der Regelungen, ebenso
19 Hill bezeichnet dies im Oberbegriff als „Gesetzestechnik“, Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 96. 20 Schmidt, in: Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 9 (15). 21 Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. Aufl. (1992), Rdnr. 119. 22 Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. Aufl. (1992), Rdnr. 122. 23 Wach, Legislative Technik, 1908, 24. 24 Emmenegger, Gesetzgebungskunst, 2006, 202.
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
deren Kohärenz, Konsistenz und Übersichtlichkeit.25 Werden diese Grundsätze nicht beachtet, so lässt sich durchaus sagen, dass gar kein Gesetz besser sein kann als ein schlechtes Gesetz, da die Rechtsprechung aufgrund ihrer größeren Flexibilität und der fehlenden Bindungswirkung wesentlich besser in der Lage ist, einzelne Fehlentscheidungen zu korrigieren. Deswegen ist der Wert einer Kodifizierung stets auch an ihrer Qualität zu messen. Dass eine weniger gelungene Kodifizierung generell nicht völlig abwegig ist, wird anhand verschiedener in der Literatur getätigter Aussagen deutlich. So wird angeführt, dass „eine erhebliche Zahl von neueren Gesetzen technische Mängel und innere Unstimmigkeiten“ aufweise.26 Intellektuelle Fehlleistungen des Gesetzgebers seien beispielsweise durch unzureichende Faktenkenntnis oder ungenügende Folgenanalysen möglich.27 Kritisiert wird gar, dass bei heutigen Gesetzesprojekten im Bereich des Zivilrechts „nicht gerade der juristische Sachverstand am Werk“ sei.28 Auch vom „‚Versagen‘ des Gesetzgebers“ wird gesprochen,29 Noll sieht ein totales Versagen dann, wenn „Umfang und Kompliziertheit der geltenden Gesetze ohne eine Änderung des Aussageinhaltes wesentlich verringert werden könnten“.30 Bei einem Vergleich der vor- und nach der Kodifizierung bestehende Rechtslage ergibt sich, dass das Gesetz umso weniger überzeugend und ökonomisch ist, je geringer das „beweisbare Wertgefälle“ zwischen beiden ist.31 Bringen gesetzliche Regelungen nur Selbstverständliches zum Ausdruck, so sind sie unnötig.32 Wird die Qualität einer Kodifizierung beurteilt, so ist dabei stets auch zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung wesentlich mehr Flexibilität als eine Kodifizierung gewährleistet. Die Judikative kann sich stets schnell den Bedürfnissen der Praxis anpassen und eine dem Einzelfall angemessene Lösung finden, während ein Gesetz schneller Gefahr läuft, zu veralten. Dies kann insbesondere im Rahmen des komplexen Medizinsystems, welches sich aufgrund zahlreicher Faktoren wie technischer Fortschritt, Spezialisierung, Arbeitsteilung, der sog. Kostenexplosion im Gesundheitswesen etc. stetig und rasant weiterentwickelt und verändert, einen entscheidenden Faktor darstellen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine Gesetzesänderung wesentlich mehr Zeit beansprucht, als eine Änderung der Rechtsprechung, letztere ist auch insofern wesentlich flexibler. 25 Vgl. Gericke, Möglichkeiten und Grenzen eines Abbaus der Verrechtlichung, 2003, 115 m. w. N. 26 Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 47. 27 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 429. 28 Seiler, in: Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 109 (123). 29 Harenburg, Die Rechtsdogmatik zwischen Wissenschaft und Praxis, 1986, 145; Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 248. 30 Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 248. 31 Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 82 f. 32 Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 120.
II. Qualität einer Kodifizierung
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Deswegen ist es weitaus aufwändiger, Gesetze anzupassen. Es muss erst das gesamte Gesetzgebungsverfahren durchlaufen werden (Art. 76 ff. GG); dies beansprucht häufig mehrere Jahre. Zudem ist es durchaus bekannt, dass korrigierende Gesetzgebungsakte weitaus seltener erfolgen als Gesetzesneuschaffungen; der Gesetzgeber überlässt nicht nur die vorübergehende, sondern auch die dauerhafte Korrektur der Gesetze grundsätzlich eher der Rechtsprechung. Ist ein Gesetz jedoch qualitativ mangelhaft, sodass es vor der Anwendung einer umfassenden Auslegung oder gar der Korrektur durch Analogie und teleologische Reduktion bedarf, so ist ein solches Gesetz mit der Gefahr verbunden, dass die Rechtspraxis dem Gesetz zunächst falsche Grundsätze oder Regelungen entnimmt, zudem damit, dass die Rechtsprechung vielleicht nicht sofort korrigierend eingreift. Muss eine Norm durch richterliche Rechtsfortbildung korrigiert werden, so führt dies außerdem zu einem Verlust an Rechtssicherheit, weil sich das derartige Verständnis der Norm nicht mehr aus dieser selbst ergibt; zudem besteht die Gefahr der Ungleichbehandlung wesentlich Gleichens durch unterschiedliche Gerichtsentscheidungen.33 Darüber hinaus sollte eine solche wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung nicht zur Regel werden, weil die Judikative eine Funktion der Legislative übernimmt.34 Abstrakt-generelle Regelungen gewährleisten aufgrund ihrer dauerhaften Geltung grundsätzlich Rechtssicherheit und Berechenbarkeit. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn die Regelungen klar und bestimmt sind; sind sie dagegen unklar, missverständlich, widersprüchlich oder irreführend, so erreichen sie vielmehr das Gegenteil.35 Angesichts dieser Ausführungen können mit einem handwerklich schlechten Gesetz weder Laienverständlichkeit noch Transparenz oder Übersichtlichkeit geschaffen werden. Eine Kodifizierung kann folglich nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch Rechtsunsicherheit schaffen.36 Dies gilt beispielsweise dann, wenn sich im Gesetz Lücken finden, mithin sich in der Praxis ergebende Konstellationen dem Gesetz nicht unterfallen, obwohl sie es eigentlich sollten, und umgekehrt, sich mithin die Notwendigkeit der Lückenschließung ergibt. Wären diese Lücken vermeidbar gewesen, so schmälert dies die Qualität der Kodifizierung; dies gilt umso mehr, je größer die Anzahl dieser Lücken ist. Darüber hinaus können sich bei der Kodifizierung einer komplexen Rechtsprechungsmaterie FolgeZippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 54. Zippelius geht davon aus, dass sie dem Grundsatz der Gewaltenteilung widerspreche, Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 53 f. 35 Vgl. Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 106. 36 Vgl. auch Gericke, Möglichkeiten und Grenzen eines Abbaus der Verrechtlichung, 2003, 125; Wyduckel, in: Krawietz/Summers/Weinberger u. a. (Hrsg.), The Reasonable as Rational?, 2000, 591 (599). 33 Vgl. 34
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
fragen ergeben, wenn die Kodifizierung über die bisherige Rechtsprechungsmaterie hinausgeht oder hinter ihr zurückbleibt. Vor diesem Hintergrund kann der Aussage von Schmidt, dass „der Gesetzgeber […] den Kodifikationen einen schlechten Dienst [tut], wenn er die Ansiedlung neuer Gesetze flüchtigem Gutdünken überläßt“ und „ihnen gutgemeinte, aber unausgereifte Ergänzungsnovellen implantiert“,37 nur zugestimmt werden.
2. Ziele einer Kodifizierung Neben den dogmatischen Gesichtspunkten stellt es einen wesentlichen Gesichtspunkt dar, ob und welche Ziele mit der konkreten Kodifizierung erreicht werden sollen und/oder tatsächlich werden. Eine Kodifizierung kann zugleich mehrere Ziele verfolgen und/oder erfüllen.38 Zwar können nicht bei jeder Kodifizierung alle denkbaren Ziele stets optimal erfüllt werden, das Gesetz kann jedoch daran gemessen werden, wie viele Ziele, insbesondere der selbst gesetzten Ziele, erfüllt wurden und wie viele Ziele mit einer anderen Regelung erfüllbar gewesen wären. Auch hier bestehen wieder Wechselwirkungen zur Qualität des Gesetzes. Im Folgenden sollen zunächst die vom Gesetzgeber speziell verfolgten Ziele hervorgehoben werden, bevor dann weitere wesentliche generelle Kriterien herausgegriffen werden. a) Spezielle, vom Gesetzgeber ausdrücklich verfolgte Ziele Die mit dem Patientenrechtegesetz speziell verfolgten Ziele lassen sich anhand der Gesetzesbegründung ermitteln. Der Gesetzgeber führt an, dass die fehlenden gesetzlichen Regelungen zur Folge hätten, dass den Beteiligten im Gesundheitswesen die Kenntnis ihrer Rechte sowie den Patienten das Einfordern ihrer Rechte erschwert werde.39 Deshalb solle hinsichtlich der bereits bestehenden Patientenrechte durch das Patientenrechtegesetz Transparenz und Rechtssicherheit geschaffen werden, um den Patienten die Rechtsdurchsetzung zu erleichtern.40 Durch transparente gesetzliche Regeln werde sowohl den Ärzten als auch den Patienten die nötige Sicherheit gegeben, zugleich würden verlässliche Informationen den Patienten Orientierung bieten.41 Das Recht solle für die Patienten „klarer und übersichtlicher“ werden, Patienten sollen ihre wichtigsten Rechte „selbst
Schmidt, Die Zukunft der Kodifikationsidee, 1985, 52 ff. Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 70. 39 BT-Drs. 17/10488, 1 (1). 40 BT-Drs. 17/10488, 1 (1). 41 BT-Drs. 17/10488, 1 (9). 37
38 Vgl.
II. Qualität einer Kodifizierung
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im Gesetz nachlesen können“.42 Zudem sollen Unklarheiten aus der bisherigen Rechtsprechung beseitigt werden.43 Schließlich soll das Gesetz die Signalwirkung der kodifizierten Rechte und Pflichten erhöhen.44 Der Gesetzgeber will mit dem Patientenrechtegesetz an die umfassende Rechtsprechung anknüpfen, diese soll mit dem bisherigen Recht „Richtschnur“ für die §§ 630a ff. BGB sein; die richterrechtlich entwickelten Grundsätze sollen kodifiziert werden.45 b) Generelle Ziele Der Katalog von generellen Zielen, die mit einer Kodifizierung verfolgt werden können, ist nicht abschließend zu ermitteln.46 Deswegen werden im Folgenden wesentliche, für die konkrete Kodifizierung in Betracht kommende Kriterien herausgegriffen. Zunächst kann das Anliegen einer Kodifizierung darin bestehen, offene Rechtsfragen zu klären. Möglich ist auch, dass neue, zusätzliche Pflichten geschaffen oder bereits bestehende Pflichten ver- oder entschärft werden sollen. Schließlich kann das Ziel einer Kodifizierung auch sein, einer zu weitgehenden Rechtsprechung Einhalt zu gebieten. Mit einer Kodifizierung kann auch das Ziel der Strukturierung und damit einhergehender Komplexitätsreduzierung verfolgt werden, ebenso der Systematisierung. Eine Kodifizierung kann einer Fragmentierung des Rechts entgegenwirken. Grundsätzlich gilt, dass sich ein Gesetzgebungsverfahren gegenläufig zu der Herausbildung von Richterrecht verhält. Eine Kodifizierung entwickelt abstrakt-generelle Regelungen, die sich dann später auf den Einzelfall konkretisieren lassen, während die Rechtsprechung ausgehend vom spezifischen Einzelfall entscheidet und sich lediglich durch ständige Rechtsprechungspraxis abstrakt-generelle Grundsätze herausbilden können. Deswegen lässt sich grundsätzlich zu Recht sagen, dass ein Gesetz die abstrakt-generellen Regelungen durchaus übersichtlicher darstellen kann, da sich diese dann auf einen Blick erfassen lassen und dadurch die Lektüre zahlreicher Gerichtsentscheidungen, die auf einen abstrakt-generellen Grundsatz schließen lassen, entbehrlich ist. Gleichzeitig bietet ein solches Gesetz dann eine einheitliche Grundlage für alle diesem Anwendungsbereich unterfallenden Fälle. Ein Gesetz kann mithin eine Fülle von Urtei42
BT-Drs. 17/10488, 1 (9). BT-Drs. 17/10488, 1 (9). 44 BT-Drs. 17/10488, 1 (9). 45 BT-Drs. 17/10488, 1 (9 f.). 46 So nennt Hill beispielsweise die Ziele der Lösung eines konkreten Problems, die Veranlassung der Betroffenen zu einem bestimmten Verhalten, das Initiieren einer einzelnen oder grundlegenden Entwicklung bzw. Veränderung sowie die symbolische Wirkung, Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 70. 43
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
len durch ein einheitliches System strukturieren und dadurch eine Komplexitätsreduzierung herbeiführen. Darüber hinaus wirkt ein Gesetz einer Fragmentierung des Rechts entgegen, die beispielsweise durch Richterrecht entstehen kann. So gibt es in allen Instanzen bis zum Bundesgerichtshof jeweils zahlreiche, an unterschiedlichen Sitzen befindliche Gerichte, die nicht stets die Urteile jeglicher anderer Gerichte kennen, sich zum anderen aufgrund der fehlenden Bindungswirkung wie bereits erläutert47 auch nicht an diesen orientieren müssen. Dies kann dazu führen, dass sich in den Tatsachen entsprechende Fälle konträr entschieden werden. Es wird auch nicht jeder Fall durch den gesamten Instanzenzug „hochgeklagt“; es unterliegt zunächst der Dispositionsbefugnis der Parteien, ob sie Berufung oder Revision einlegen. Deswegen kann ohne bestehende gesetzliche Regelungen nie eine einheitliche Rechtssetzung durch Rechtsprechung gewährleistet werden. Dies gilt zwar auch bei Vorhandensein gesetzlicher Regelungen, diese können jedoch eine zumindest in den Grundsätzen einheitliche Rechtsprechung gewährleisten. Aufgrund der grundsätzlich dauerhaften Geltung abstrakt-genereller Regelungen können diese auch gezielt dazu eingesetzt werden, Rechtssicherheit und Berechenbarkeit zu schaffen. Ein weiteres generelles Ziel einer Kodifizierung kann auch in einer Signalwirkung im Sinne einer Machtdemonstration bestehen. Sie kann den Versuch des Gesetzgebers darstellen, eine an die Rechtsprechung „verlorene“ Rechtsetzungsmacht wieder an sich zu ziehen und die durch Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG verfassungsrechtlich statuierte Gewaltenteilung aufzuzeigen. Schließlich bleibt noch die Möglichkeit, dass ein Gesetz keine ernsthaften inhaltlichen Absichten verfolgt, sondern schlicht der Selbstdarstellung einer Partei oder Koalition oder deren Mitglieder dient.48 Ihr Ziel ist die Machterhaltung,49 das Gesetz kann als politisches Steuerungsmittel und unter anderem auch als „Werkzeug gegen den politischen Gegner“ verwendet werden.50 Darüber hinaus kann es dazu dienen, Wähler für die eigene Partei zu gewinnen.51 Schließlich 47
Siehe dazu oben unter A. I. Gericke, Möglichkeiten und Grenzen eines Abbaus der Verrechtlichung, 2003, 83; vgl. Kloepfer, VVDStRL 40 (1981), 63 (72); Lange, in: Blankenburg/Lenk (Hrsg.), Organisation und Recht, 1980, 268 (273). 49 Gericke, Möglichkeiten und Grenzen eines Abbaus der Verrechtlichung, 2003, 84; Kloep fer, VVDStRL 40 (1981), 63 (71); Badura, Die parteienstaatliche Demokratie und die Gesetzgebung, 1986, 20. 50 Gericke, Möglichkeiten und Grenzen eines Abbaus der Verrechtlichung, 2003, 84; vgl. Maihofer, in: Winkler/Schilcher (Hrsg.), Gesetzgebung, 1981, 3 (23); vgl. Kloepfer, VVDStRL 40 (1981), 63 (72). 51 Gericke, Möglichkeiten und Grenzen eines Abbaus der Verrechtlichung, 2003, 99; Maihofer, in: Winkler/Schilcher (Hrsg.), Gesetzgebung, 1981, 3 (23); Stober, in: Stern (Hrsg.), 48
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik
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kann ein Gesetz auch dazu eingesetzt werden, das Ansehen eines bestimmten Ministeriums zu steigern.52 Derartige „symbolische oder Alibi-Gesetzgebung“ wird scharf kritisiert.53
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik Der Gesetzgeber kann durch die Schaffung von Gesetzen nicht nur die Voraussetzung für dogmatisches Arbeiten schaffen, er kann auch bereits bestehende, möglicherweise durch die Rechtsprechung entwickelte, dogmatische Figuren in gesetzliche Regelungen aufnehmen.54 Vom Begriff der Rechtsdogmatik besteht kein einheitliches Verständnis55 und keine allgemeingebräuchliche Definition; der Begriff der Dogmatik wird in verschiedenen Situationen verwendet.56 Rechtsdogmatik wird auch als Jurisprudenz bezeichnet57 und zum Teil gar mit der Auslegung gleichgesetzt.58 Sie lässt sich auch als „geordnetes Wissen vom Recht, dessen Verwendung bestimmte Vorteile verspricht (etwa Erwartungsstabilisierung, Komplexitätsreduktion, Akzeptanz der Ergebnisse, Rationalitätsversprechen)“, verstehen und verbindet Wissenschaft und Praxis.59 Auch ein Verständnis als „ein partiell logisch deutbares Gefüge, das bestimmte Tatsachen arrangiert“,60 ist möglich. Luhmann versteht unter Dogmatik die „Standardisierung und Kategorisierung von Input-Daten zu juristisch konstruierbaren Fällen“.61 Auch hinsichtlich der Zwecksetzung von Dogmatik bestehen unterschiedliche Vorstellungen. Letztlich schließen sich diese Vorstellungen nicht aus, sondern Vier Jahre Deutsche Einheit, 1995, 65 (74). Schuppert spricht von dem „vor allem in Wahlkampfzeiten spürbare[n] Druck, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren“, Schuppert, ZG 18 (2003), 1 (14). 52 Gericke, Möglichkeiten und Grenzen eines Abbaus der Verrechtlichung, 2003, 84 f.; vgl. Kloepfer, VVDStRL 40 (1981), 63 (72). 53 Diederichsen spricht von „[v]erachtungswürdig, weil mißbräuchlich“, Diederichsen, in: Diederichsen/Dreier (Hrsg.), Das mißglückte Gesetz, 1997 (165). 54 Vgl. Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, 135. 55 Seiler, in: Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 109 (110, 113); Dölle, RabelsZ 1970, 403 (403). 56 Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, 149. 57 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 8. 58 Poscher, in: Nolte/Poscher/Wolter (Hrsg.), Die Verfassung als Aufgabe von Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit, 2014, 203 (203). 59 Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, 150. Von einer Verbindung von Wissenschaft und Praxis ausgehend auch Esser, AcP 172 (1972), 97 (129). 60 Schlapp, Theorienstrukturen und Rechtsdogmatik, 1989, 29. 61 Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974, 28.
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
ergänzen sich zu einem Gesamtbild dogmatischen Arbeitens, welches nicht auf einen Einzeleffekt reduziert werden kann. Deswegen sollen hier überblicksartig verschiedene Ziel- und Zwecksetzungen dargestellt werden. Festzustellen ist zunächst, dass Rechtsdogmatik versucht zu klären, was in einer Gemeinschaft dem Recht entspricht und welche Verhaltensregeln gelten.62 Gleichzeitig wird durch die Dogmatik versucht, die zur rechtlichen Beurteilung der Praxisfälle erforderlichen Regeln zu entwickeln.63 Dafür müssen im Gesetz vorhandene Widersprüche, Unbestimmtheiten und Lücken aufgelöst werden.64 Rechtsdogmatik lässt sich somit auch als „‚Rechtsgewinnung‘ durch ‚Normkonkretisierung‘“ bezeichnen;65 Dogmatik kommt unter anderem die Funktion der „Handlichmachung des Rechtsstoffs“ zu,66 sie soll den Rechtsstoff systematisieren und nach Prinzipien ordnen.67 Eine weitere Aufgabe besteht darin, „die Stetigkeit und Gleichförmigkeit der Gesetzesanwendung und der Strukturierung von Fallkonstellationen“ zu sichern68 sowie „das vorhandene rechtliche Material zu systematisieren und zu allgemeinen Aussagen über die strukturellen Zusammenhänge des Rechts zu gelangen“; dadurch soll der Gleichbehandlungsgrundsatz in der Rechtspraxis gewährleistet werden.69 Dogmatisches Arbeiten zielt (unter anderem) darauf ab, Rechtsregeln zu ordnen und allgemeine Leitbegriffe und Grundgedanken bekannt zu machen, zugleich „trachtet [sie] nach Kohärenz, nach Widerspruchsfreiheit, nach Übersichtlichkeit und nach innerer Folgerichtigkeit“.70 Dabei soll mit einem minimalen Begriffsaufwand so viel rechtlicher Stoff wie möglich sinnvoll und überschaubar geregelt werden.71 Der Dogmatik geht die rechtliche Wertung voraus, diese Wertungen werden sodann durch die Dogmatik in ein kohärentes Gesamtgefüge gebracht.72 Die Rechtsdogmatik soll 62 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 9; Bydlinski, in: Martinek/ Migsch/Ringhofer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht und soziale Grundrechte, 1983, 3 (11). 63 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 10. 64 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 10; vgl. Bydlinski, in: Martinek/Migsch/Ringhofer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht und soziale Grundrechte, 1983, 3 (11). 65 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 11; Bydlinski, in: Martinek/Migsch/Ringhofer u. a. (Hrsg.), Arbeitsrecht und soziale Grundrechte, 1983, 3 (11). 66 Zweigert, in: Bettermann/Zeuner (Hrsg.), Festschrift für Eduard Bötticher, 1969, 443 (445). 67 Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974, 13. 68 Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), 1 (15). 69 Lipp, Freiheit und Fürsorge: Der Mensch als Rechtsperson, 2000, 7. 70 Kötz, in: Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 75 (78 f.). Zum Begriff der Kohärenz siehe Alexy, in: Behrends/Dießelhorst/Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 1990, 95 (96 ff.). 71 Kötz, in: Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 75 (79). 72 Dölle, RabelsZ 1970, 403 (407); Kötz, in: Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 75 (84 f.).
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik
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der Rechtsanwendung dienen,73 indem sie den Gerichten Regeln zur Verfügung stellt, mit denen sie rechtliche Entscheidungen treffen können.74 Gute Dogmatik kann Richter und andere Rechtsanwender entlasten, sie führt zu einer Vereinfachung der Rechtsanwendung.75 Nicht zuletzt gewährleistet gute Dogmatik Rechtssicherheit und eine einheitliche Rechtsanwendung.76 Aus all diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Dogmatik zahlreiche Funktionen erfüllt und unter anderem der Systematisierung, der Vereinheitlichung, der Handhabbarmachung, der Kohärenz und Folgerichtigkeit dienen soll. Zu all diesen Funktionen soll die vorliegende Arbeit beitragen.
1. Ermittlung des Bedeutungsgehalts von Gesetzen: Auslegung Ist unklar, was genau der Gesetzgeber mit einer bestimmten Norm regeln wollte, so ist dieser Bedeutungsgehalt im Wege der Auslegung zu ermitteln. Auch etwaigen Normwidersprüchen ist mit der Auslegung zu begegnen, darüber hinaus kann sie zur Klärung der Konkurrenzen verschiedener Normen herangezogen werden.77 Hinsichtlich der Frage, was Ziel der Auslegung ist, existieren verschiedene Theorien. Nach der subjektiven Theorie bzw. der Willenstheorie geht es darum, den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln, nach der objektiven Theorie geht es um den Sinn, der dem Gesetz innewohnt; richtigerweise ist der normative Sinn unter Berücksichtigung des konkreten Willens des Gesetzgebers zu ermitteln.78 Der Gesetzestext bildet den Gegenstand der Auslegung, dieser darf weder ergänzt noch verkürzt werden.79 Die Auslegung hat sich allein an objektiven Kriterien zu orientieren, subjektive Präferenzen des Auslegenden sind nicht maßgeblich. Zudem darf die Auslegung sich auch nicht am gewünschten Ergebnis für den Einzelfall orientieren, das Auslegungsergebnis muss ebenso wie die Norm selbst für einen abstrakt-generellen Rechtskreis gelten. Der Aussagegehalt ist immer im Zusammenspiel verschiedener Auslegungskanones zu ermitteln. Diese dienen der Strukturierung des Prozesses der juristiLuhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974, 15; Starck, JZ 1972, 609 (609). Harenburg, Die Rechtsdogmatik zwischen Wissenschaft und Praxis, 1986, 6. 75 Seiler, in: Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 109 (111). 76 Seiler, in: Schmidt (Hrsg.), Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, 1990, 109 (111 f.). 77 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 134. 78 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 137 ff., die auf S. 137 auf zahlreiche namhafte Personen verweisen, allerdings ohne konkrete Fundstelle. Lennartz zufolge habe die Unterscheidung keine große Bedeutung, Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, 42. 79 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 134. 73 74
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
schen Argumentation.80 Als Ausgangspunkt der Entwicklung der verschiedenen Kanones (im Folgenden: Kriterien) wird häufig Savigny genannt.81 Kriterien der Auslegung sind zunächst der Wortlaut, die Historie (mithin die Regelungsabsichten und Vorstellungen des Gesetzgebers), der systematische Zusammenhang mit den übrigen Rechtsnormen sowie der Telos (Sinn und Zweck der Norm).82 Diese Auslegungskriterien sind jedoch stets nicht losgelöst voneinander, sondern bedingen sich häufig gegenseitig. So hat auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die einzelnen Auslegungskriterien einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen.83 Letztlich klassifizieren sie unterschiedliche Auslegungsargumente.84 In der Regel grenzen Wortlaut und Systematik die verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten ein, während die teleologische Auslegung dann meist den Ausschlag für ein bestimmtes Auslegungsergebnis gibt, wobei historische Erwägungen ergänzend heranzuziehen sind.85 Alle Auslegungskriterien sind zu berücksichtigen, um ein überzeugendes Auslegungsergebnis zu erreichen, wenn auch nicht alle Kriterien in jedem Anwendungsfall zu einem eindeutigen Ergebnis kommen; häufig werden sie gerade zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.86 Oftmals sind die verschiedenen Ergebnisse miteinander abzuwägen. Im Rahmen der Abwägung in Betracht kommender Auslegungsergebnisse kann schließlich noch der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung Relevanz entfalten. Letztlich verbleibt häufig jedoch ein Beurteilungsspielraum desjenigen, der die Auslegung vornimmt.87 Als ein leitendes Kriterium im Rahmen der Abwägung wird das der Gerechtigkeit genannt.88 a) Wortlaut Die wörtliche Auslegung wird auch als grammatische Auslegung bezeichnet.89 Sie orientiert sich am geschriebenen Wort des Gesetzes. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Verwendung eines bestimmten Ausdrucks dem allgemeiAlexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978, 301. Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), 1 (9); Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, 42; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 140; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 35; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978, 288. 82 Vgl. BVerfGE 11, 126 (130). 83 BVerfGE 11, 126 (130). 84 Ähnlich Lennartz, Dogmatik als Methode, 2017, 43. 85 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 165. 86 Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), 1 (12). 87 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 167. 88 Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 47 f. 89 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 437 m. w. N.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 35. 80 81
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik
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nen Sprachgebrauch zur Zeit der Entstehung des Gesetzes entspricht. Dies gilt jedenfalls in den Fällen, in denen der Gesetzgeber seine Regelungen an den Bürger adressiert und darauf abzielt, diesem ein Verständnis der Norm zu ermöglichen, auch für ihn.90 Kommt der Bürger häufig in den gesetzlichen Regelungsbereich, so muss das Recht für ihn so leicht wie möglich erkennbar sein.91 Bereits um 1900 wurde dafür plädiert sich einer allgemeinverständlichen Gesetzessprache zu bedienen.92 Wird die Sprache in einer seltenen, ungewöhnlichen Form gebraucht, so führt dies zu einer erschwerten Verständlichkeit.93 Vom allgemeinen Sprachgebrauch sollte nur dann abgewichen werden, wenn es der Vereinfachung dient oder ein Erfassen der konkreten Regelungsmaterie ohnehin nur durch eine spezifische Fachsprache möglich ist.94 Der Gesetzgeber kann sich juristischer Fachsprache bedienen, um sich präziser auszudrücken und umständliche Erklärungen zu vermeiden, wobei sich auch diese Fachsprache grundsätzlich noch an dem allgemeinen Sprachgebrauch orientieren sollte, da ein für alle geltendes Recht ein Minimum an Allgemeinverständlichkeit aufweisen muss.95 Dies gilt insbesondere für die Konstellationen, wo es um alltägliche Rechtsgeschäfte geht, mithin grundsätzlich jeder Bürger durch die Norm tangiert wird.96 Nur so kann jedem einzelnen Bürger ein „unmittelbare[r] Zugang zur Welt des Rechts“ ermöglicht werden.97 Bestimmten Ausdrücken kann in der Rechtssprache jedoch eine bestimmte Bedeutung zukommen, sodass sie dann, wenn sie im Gesetz verwendet werden, grundsätzlich auch mit dieser Bedeutung verknüpft sind und dadurch andere Bedeutungsmöglichkeiten, die nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auch noch in Betracht kämen, ausschließen können.98 Hier ist insbesondere auch die Konstruktion der Legaldefinition zu nennen; diese soll dem Adressaten das Gesetzesverständnis ermöglichen bzw. sicher machen oder Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 141; vgl. Byd linski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 438. 91 Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 178 f. 92 Emmenegger, Gesetzgebungskunst, 2006, 189 ff. m. w. N.; Rumpf, Das Ideal des volkstümlichen Rechts, 1913, 6. 93 Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 265. 94 Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 259. 95 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 141. Zu den Möglichkeiten des Gesetzes, von der Umgangssprache abzuweichen sowie spezifisch rechtliche Begriffe zu schaffen siehe Esser, Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen, 2. Aufl. (1969), 101. 96 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 141. 97 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 141 mit Verweis auf Husserl, Recht und Zeit, 1955, 72, der ausführt, dass rechtliche Dinge nicht nur für den Juristen da seien, es könne nicht richtig sein, dass alle anderen Menschen lediglich eine Fremderfahrung des Rechts hätten. 98 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 142. 90
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
erleichtern.99 Bei einer solchen misst der Gesetzgeber einem bestimmten Begriff im Gesetz eine bestimmte Bedeutung zu, definiert diesen mithin und entzieht ihn so in gewissem Maße der Auslegungsbedürftigkeit. Dies äußert sich im Gesetzestext grundsätzlich derart, dass der Begriff zunächst definiert wird und sich dann in Klammern an diese Definition anschließt. Als ein Beispiel kann der Begriff „unverzüglich“ genannt werden, der als „ohne schuldhaftes Zögern“ definiert wird, § 121 Abs. 1 S. 1 BGB. Allerdings bedeutet eine derartige Konkretisierung durch den Gesetzgeber nicht, dass der Begriff zwingend in allen Regelungen, in denen er verwendet wird, auch mit dieser Bedeutung assoziiert ist; je enger der Regelungszusammenhang der Normen ist, desto näher liegt ein solcher Schluss jedoch. Praktisch sinnvoll ist eine derartige gesetzliche Definition jedoch nur dann, wenn der Definitionsbegriff präziser ist und somit zu einer besseren Anwendbarkeit führt als der definierte Begriff.100 Definitionen sollten nur verwendet werden, wenn „sie die Präzision der gesetzlichen Aussage erhöhen“.101 Unnötige Definitionen schaden dem Gesetz.102 Grundsätzlich geht die juristische Fachsprache dem allgemeinen Sprachgebrauch vor, es sei denn im Rahmen der Auslegung ergibt sich, dass der Gesetzgeber von seiner Fachsprache differiert.103 Der Wortlaut bildet nicht nur den Ausgangspunkt der Auslegung,104 sondern zugleich auch ihre Grenze: Eine Auslegung, die über den denkbar möglichen Wortsinn hinausgeht, ist unzulässig, denn dann würde es sich vielmehr um eine Umdeutung des Gesetzes handeln.105 Soll über den Wortlaut des Gesetzes hinausgegangen oder dahinter zurückgeblieben werden, so ist dies nur möglich, wenn es sich um eine ungeplante Lücke im Gesetz handelt, die dann im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung zu schließen ist, dazu sogleich näher.106 Zu berücksichtigen ist neben der Bedeutung der einzelnen Wörter auch deren syntaktischer Zusammenhang.107
99 Bekker, System und Sprache des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 1888, 21. 100 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 442; vgl. Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 263. 101 Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 264. 102 Bekker, System und Sprache des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 1888, 21. 103 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 164. 104 Zur Sprache als erstem Anknüpfungspunkt vgl. Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989, § 8 Rdnr. 13. 105 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 143. 106 Siehe dazu unter A. III. 2. 107 Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 37.
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik
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b) Historie Ein weiteres wichtiges Kriterium stellen die Absichten des Gesetzgebers dar, welche er mit der konkreten Regelung verfolgt, sprich die dem Gesetz zugrundeliegenden Anlässe, Wertungen, Vorstellungen und Ziele. Der Orientierung dienen dabei diejenigen Vorstellungen, die von den Verfassern des Gesetzestextes, von Ausschüssen oder sonstigen sich während des Verfahrens mit dem Gesetz beschäftigenden Personen in Stellungnahmen oder Begründungen zum Ausdruck kommen, mithin sämtliche Gesetzesmaterialien. Zu beachten ist, dass sich die Parlamentsmehrheit in der Regel nur auf den Gesetzestext einigt, in den Begründungen, Stellungnahmen und sonstigen Materialien kommen die Vorstellungen derjenigen zum Ausdruck, die mit der Ausarbeitung des Gesetzes betraut waren.108 Allerdings ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Mehrheit der Abgeordneten, die das Gesetz verabschiedet hat, sich mit den von den mit dem Gesetzgebungsverfahren betrauten Personen geäußerten Zielen identifiziert.109 Die sich hieraus ergebenden Schlüsse sind jedoch nicht bindend.110 Zu beachten ist darüber hinaus das Alter des Gesetzes, bei einem älteren Gesetz kann den Gesetzesmaterialien unter Umständen weniger Aussagekraft zukommen.111 Auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, das heißt die einzelnen Entwicklungsstufen des Gesetzes und die dabei erfolgten Veränderungen, kann im Rahmen der historischen Auslegung Aufschlüsse geben. c) Systematik Bei der Auslegung ist zudem auch der Regelungszusammenhang der Norm zu beachten. Die Bedeutung einzelner Normen ergibt sich oft erst im Zusammenspiel mit weiteren Normen des Gesetzes in anderen Sätzen, Absätzen oder Paragrafen. Auch die Verortung der Norm im Gesamtzusammenhang des Gesetzes kann zur Auslegung beitragen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass einzelne Normen innerhalb einer zusammenhängenden Regelung sachlich kongruent sind.112 Deshalb kann in der Regel nicht angenommen werden, dass von einem feststehenden Begriff ohne entsprechende Begründung abgewichen werden sollBydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 431. Rüßmann, in: Behrends/Dießelhorst/Dreier (Hrsg.), Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, 1990, 35 (50); vgl. Coing, Juristische Methodenlehre, 1972, 31 f. 110 Vgl. BVerfGE 54, 277 (298); Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 150, 165. 111 Hassemer, Rechtstheorie 39 (2008), 1 (13); vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 43. 112 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 164; Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. Aufl. (1992), Rdnr. 241. 108 Vgl. 109
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
te.113 Eine einheitliche gesetzliche Begrifflichkeit stärkt die Rechtssicherheit;114 zumindest in ein und derselben Kodifizierung sollte eine Begrifflichkeit durchgehalten werden.115 Bei verschiedenen Gesetzen sollte nur von einer Begrifflichkeit abgewichen werden, wenn eine solche zwingend geboten ist, in solchen Fällen sollte die Abweichung transparent gemacht werden.116 Die systematische Auslegung erfüllt unter anderem den Zweck der Schaffung einer widerspruchsfreien Rechtsordnung.117 Führt ein Auslegungsergebnis dazu, dass eine andere Norm ihre Funktion einbüßt, so spricht dies gegen eine derartige Auslegung.118 Gleiches gilt, wenn das Auslegungsergebnis dazu führt, dass die Norm keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr hat, beispielsweise weil eine andere Norm bereits die gleiche Rechtsfolge aufweist.119 Allerdings kann es auch vorkommen, dass eine Norm bewusst lediglich aus Klarstellungsgründen aufgenommen wurde, ohne dass ihr eine eigenständige Funktion zukommt,120 sodass eine derartige Auslegung nicht zwingend falsch sein muss. Bedient sich der Gesetzgeber einer Generalklausel mit anschließender Nennung von Einzeltatbeständen („insbesondere“),121 so kann ausnahmsweise bei Vorliegen eines derartigen Einzeltatbestands durch Rückgriff auf die Generalklausel eine Anwendung mit der Begründung eines atypischen Falls ausgeschlossen werden.122 Darüber hinaus bedarf die Einordnung eines nicht im Gesetz genannten Tatbestands unter die Generalklausel eines größeren Begründungsaufwands, andernfalls käme der ausdrücklichen Nennung der Einzeltatbestände keine eigenständige Bedeutung zu.123
Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 448. Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 262. 115 Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 261 f.; vgl. Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 122 f. 116 Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 124. 117 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978, 302. 118 Vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 444; Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. Aufl. (1992), Rdnr. 242; Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978, 295. 119 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 445. 120 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 445. 121 Hill bezeichnet dies als Mittelweg zwischen Generalklauseln und Einzelregelungen, Hill, Einführung in die Gesetzgebungslehre, 1982, 111. 122 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 446. 123 Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 447. 113 114
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik
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d) Telos Im Rahmen der teleologischen Auslegung sind die Zwecke und Grundgedanken der Norm zu berücksichtigen.124 Die übergreifenden Prinzipien, denen die Norm untergeordnet ist, sind zu beachten.125 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine angemessene Regelung des konkreten Bereichs angestrebt hat.126 Ein wichtiger zu beachtender Grundsatz ist die Gleichbehandlung wesentlich Gleichartigen und die damit einhergehende Verhinderung von Wertungswidersprüchen innerhalb des Gesetzes.127 Es gilt eine Konformitätsvermutung.128 Wertungswidersprüche sollten vermieden werden, sie sind jedoch nicht generell unzulässig; letzteres ist erst dann der Fall, wenn sie mit einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG verbunden sind.129 Liegt dagegen ein Normwiderspruch vor, werden also für eine Konstellation unterschiedliche, sich gegenseitig ausschließende Rechtsfolgen angeordnet, so müssen diese zwingend aufgelöst werden.130 e) Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung Grundsätzlich sind Normen so auszulegen, dass sie nicht gegen Verfassungsrecht verstoßen. Der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung basiert auf dem Vorrang der Verfassung.131 Sind mehrere Auslegungsmöglichkeiten vorhanden, so ist derjenigen der Vorzug zu geben, die mit dem Verfassungsrecht in Einklang steht;132 es gilt folglich das Kriterium der „Verfassungskonformität“.133 Die Grenze der verfassungskonformen Auslegung ist jedoch erreicht, wenn „sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzesgebers in Widerspruch treten würde“.134 Ebenso kann der gesetzgeberische Zweck eine Grenze Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 153. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 157. 126 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 154. 127 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 155; Hagen, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag, 1973, 867 (868 f.); Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 455. 128 Hagen, in: Paulus/Diederichsen/Canaris (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag, 1973, 867 (868 f.). 129 Ausführlich dazu Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. (1983), 125 ff.; Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, 62 ff. 130 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 155; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. (1983), 125 ff. 131 Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, 1986, 19. 132 Vgl. BVerfGE 2, 266 (282); BVerfGE 8, 210 (221); BVerfGE 19, 1 (5); Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, 167. 133 Vgl. Prümm, Verfassung und Methodik, 1977, 102, 111. 134 BGHSt 22, 146 (153); vgl. BVerfGE 8, 28 (34); BVerfGE 18, 97 (111); BVerfGE 19, 248 (253); BVerfGE 21, 292 (305); ähnlich auch BVerfGE 19, 242 (247). Ausführlich zur verfas124
125 Vgl.
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
bilden.135 Ist eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich, so kann eine Verfassungskonformität möglicherweise durch eine teleologische Reduktion erreicht werden.136 Ist auch dies nicht möglich, so ist die Norm verfassungswidrig und damit unanwendbar. Allerdings kann nur das Bundesverfassungsgericht eine Norm für verfassungswidrig erklären, vgl. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.137
2. Umgang mit Lücken im Gesetz: Gesetzesimmanente Rechtsfortbildung Ergibt sich im Wege der Auslegung, dass die Kodifizierung mit der bisherigen Rechtsprechung übereinstimmt, so kann die Rechtsprechung bei ihrer Linie bleiben und es ergeben sich keine Abgrenzungsprobleme. Beispiele solcher Kodifizierungen sind §§ 563 Abs. 2 S. 3; 651l; 309 Nr. 7a BGB.138 Die Auslegung kann jedoch auch ergeben, dass die Kodifizierung von der bisherigen Rechtsprechung abweicht. Beispielhaft können hier §§ 651g Abs. 1 S. 2; 438 BGB genannt werden.139 Ergibt die Auslegung, dass die Norm hinter der bisherigen Rechtsprechung zurückbleibt, befindet sich insofern also eine Regelungslücke im Gesetz, so ist zu fragen, ob es sich hierbei um eine bewusste Lücke des Gesetzgebers handelt, er also ganz bewusst der Rechtsprechung Einhalt gebieten und eine Änderung der Rechtsprechungspraxis hervorrufen wollte. Ergibt sich dagegen, dass es sich um eine unbewusste Lücke des Gesetzgebers handelt, ist zu prüfen, ob die Lücke durch richterliche Rechtsfortbildung in Form der Analogie140 geschlossen werden kann. Ist dies nicht möglich, so bliebe lediglich die Möglichkeit der Korreksungskonformen Auslegung Zippelius, in: Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, 1976, 108 (108 ff.); siehe auch Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 2. Aufl. (2005), 128 ff. 135 BVerfGE 8, 28 (34): „Keinesfalls darf jedoch eine solche verfassungskonforme Auslegung das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkte verfehlen oder verfälschen“; BVerfGE 54, 277 (299): „Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf im Wege der Auslegung einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen […] werden“. 136 Vgl. BVerfGE 86, 288 (320 f.); BVerfGE 33, 52 (70), dort jedoch fälschlich als verfassungskonform einschränkende Auslegung bezeichnet. Ebenso wie die Verfasserin Larenz/ Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 161. Dazu näher unter A. III. 2. b) bb). 137 Siehe dazu bereits oben unter A. I. 138 Neuner, in: Hager/Hey/Koller u. a. (Hrsg.), Kontinuität im Wandel der Rechtsordnung, 2002, 83 (101 m. w. N. aus der Rspr.). 139 Neuner, in: Hager/Hey/Koller u. a. (Hrsg.), Kontinuität im Wandel der Rechtsordnung, 2002, 83 (103 m. w. N. aus der Rspr.). 140 Dazu sogleich unter A. III. 2. b) aa).
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik
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tur durch den Gesetzgeber. Derartige Lücken werden auch als „offene“ Lücken bezeichnet.141 Ergibt sich im Wege der Auslegung, dass die Norm über die bisherige Rechtsprechung hinausgeht, so ist zu ermitteln, ob der Gesetzgeber die Anforderungen gegenüber der Rechtsprechung bewusst verschärfen wollte oder ob es sich um eine unbewusst überschießende Regelung handelt. Insofern stellt die Lücke das Fehlen einer Einschränkung dar, sie wird auch als „verdeckte“ Lücke bezeichnet.142 Ist diese Lücke unbeabsichtigt, so bliebe zur Korrektur im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung die Möglichkeit der teleologischen Reduktion.143 Methoden der richterlichen Rechtsfortbildung setzen stets die Auslegung voraus, können mithin nur an diese anschließen und erfordern zudem das Vorliegen einer unbewussten Lücke. Eine Rechtsfortbildung über die Grenzen der Auslegung hinaus, die sich jedoch noch im Rahmen des Gesetzeszwecks bewegt, wird als gesetzesimmanente Rechtsfortbildung bezeichnet.144 Festzustellen bleibt, dass Lücken im Gesetz sowie die Möglichkeiten der Analogie und teleologischen Reduktion unabhängig von einer bisherigen Rechtsprechungspraxis bestehen, mithin bei jeglichen gesetzlichen Regelungen Anwendung finden. Das Vorhandensein einer Lücke kann sich unter Umständen jedoch eher aufdrängen, wenn es bereits eine umfassende Rechtsprechungspraxis gibt, wie dies auch im Rahmen der Aufklärungs- und Informationspflichten der Fall ist. a) Feststellung von Lücken im Gesetz Ein Gesetz ist nur dann unvollständig bzw. lückenhaft, wenn nach dem Regelungszusammenhang des Gesetzes eine Normierung zu erwarten gewesen wäre.145 Ergeben sich Lücken im Gesetz, so stellt sich die Frage der Rechtsfindung praeter legem.146 Voraussetzung einer Ergänzung ist, dass es sich um eine „planwidrige Unvollständigkeit“ handelt.147 Liegt eine solche vor, so kann diese möglicherweise durch eine Analogie, deren Rechtfertigung im Gleichheitssatz liegt,148 oder durch eine teleologische Reduktion geschlossen werden. Ob es sich um eine planwidrige Lücke handelt, muss „vom Boden des geltenden Rechts Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 198. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 198. 143 Dazu sogleich unter A. III. 2. b) bb). 144 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 187. 145 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 196. 146 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 17; vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 64. 147 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 16. 148 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 25. 141 142
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
aus“ bestimmt werden, die Lücke ist vom „rechtspolitischen Fehler“ abzugrenzen.149 Als Maßstab dient die gesamte geltende Rechtsordnung, sodass zu ermitteln ist, ob die Gesamtheit der Rechtsordnung eine Regelung verlangt, die weder innerhalb der Wortlautgrenze im Gesetz noch im Gewohnheitsrecht enthalten ist.150 Kriterien sind dabei sowohl die vorhandenen Rechtsnormen, die diesen zugrundeliegenden Wertungen des Gesetzgebers, der Gleichheitssatz sowie allgemeine Rechtsprinzipien und Werte.151 Zur Lückenfeststellung sowie auch der Lückenausfüllung können darüber hinaus auch das argumentum a fortiori sowie das argumentum a maiore dienen.152 Ebenso kann die teleologische Reduktion aufgrund des Gebots, Ungleichartiges unterschiedlich zu behandeln, zur Feststellung sowie zur Ausfüllung einer Lücke herangezogen werden; in der Regel besteht eine Einheit beider.153 Gleiches gilt für die Analogie, auch sie kann zur Feststellung sowie zur Ausfüllung herangezogen werden.154 b) Korrekturmöglichkeiten Zur Korrektur ermittelter unbewusster Lücken stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung. Zulässige Korrekturmöglichkeiten stellen die Analogie sowie die teleologische Reduktion dar. Grundsätzlich unzulässig ist dagegen die Rechtsfortbildung contra legem. aa) Analogie Bei der Analogie wird eine bereits für einen anderen Tatbestand bestehende Regelung auf einen anderen, diesem ähnlichen Tatbestand, für welchen keine Regelung existiert, übertragen.155 Dafür müssen sich beide Tatbestände so ähnlich sein, dass dies eine gleiche Behandlung rechtfertigt.156 Bestehende Unterschiede dürfen nicht von solchem Gewicht sein, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen würden.157 Der Analogie liegt somit die Aussage zugrunde, dass es keinen Grund gibt, einen dem geregelten Tatbestand ähnliche Konstellation anders zu behandeln.158 Von einer derartigen Ähnlichkeit kann nur dann ausgegangen Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 33. Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 39. 151 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 55 ff. 152 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 78. 153 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 82, 151, 169; vgl. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 474. 154 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 169. 155 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 202. 156 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 202. 157 Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 55. 158 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 202. 149 150
III. Methodischer Ansatz: Rechtsdogmatik
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werden, wenn die wesentlichen Kriterien, die der rechtlichen Wertung zugrunde liegen, sich bei beiden Tatbeständen decken und die Unterschiede zwischen beiden nicht von solchem Gewicht sind, dass sie eine unterschiedliche Behandlung erfordern.159 Um dies zu ermitteln, ist auf die ratio legis, mithin den der Norm zugrundeliegenden Hauptgedanken, zurückzugreifen.160 bb) Teleologische Reduktion Gegenstück der Analogie ist die teleologische Reduktion.161 Bei einer teleologischen Reduktion wird eine zu weit gehende Norm durch die Hinzufügung einer Einschränkung auf den dem Gesetz zugrundeliegenden Sinn und Zweck reduziert.162 Dadurch wird wesentlich Ungleiches aus der Norm ausgegliedert.163 Anlass für eine teleologische Reduktion kann darüber hinaus auch eine andere Norm geben, wenn deren Zweck nur erfüllt werden kann, indem der anderen Regelung Grenzen gesetzt werden.164 Die teleologische Reduktion kann mit der Ausdehnung einer anderen Norm korrelieren.165 cc) Rechtsfortbildung contra legem Weist ein Gesetz keine Lücke auf, wird jedoch zumindest in Ausschnitten als ungerecht, unsozial oder überholt angesehen und wird dieser Mangel oder auch rechtspolitische Fehler166 durch den Richter ausgemerzt, so handelt es sich dabei um Rechtsfortbildung contra legem.167 Es wird gegen „Anordnungen oder Wertungen des geltenden Rechts“ verstoßen,168 der gesetzgeberische Regelungszweck missachtet.169 Der Richter weicht von der Regelungsabsicht des Gesetz-
Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 202. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 202 f. 161 Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 3. Aufl. (1992), Rdnr. 342. 162 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 210 f. Ausführlich zur teleologischen Reduktion und deren Voraussetzungen siehe Brandenburg, Die teleologische Reduktion, 1983. 163 Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. (2012), 53. 164 Brandenburg, Die teleologische Reduktion, 1983, 46 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 211. 165 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. (1995), 214. 166 Vom rechtspolitischen Fehler spricht Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 34. 167 Krey, JZ 1978, 361 (361 f.). Ausführlich zur Rechtsfindung contra legem siehe Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 2. Aufl. (2005). 168 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. (1983), 33. 169 Krey, JZ 1978, 361 (366); vgl. BVerfGE 18, 97 (111); BVerfGE 19, 248 (253). 159 160
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A. Fragestellung und Herangehensweise der Arbeit
gebers ab170 und stellt sich in Widerspruch zu einer abschließenden Regelung.171 Der Bundesgerichtshof spricht davon, dass „der Boden der mit dem Grundgesetz im Einklang stehenden Vorschrift verlassen wird“.172 Eine derartige Rechtsfortbildung ist grundsätzlich unzulässig.173 Für die Judikative ergibt sich die Unzulässigkeit einer solchen Auslegung auch aus dem Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG. Sie kann nur im absoluten Ausnahmefall zulässig sein, wenn sie zu den „Prinzipien der Volkssouveränität und der Rechtssicherheit nicht in Widerspruch steht und von der verfassungsrechtlichen Kompetenzzuweisung zur Normderogation gedeckt ist“.174 Allerdings darf dadurch das Vertrauen in die Unerschütterlichkeit und Dauerhaftigkeit der Rechtsordnung nicht zerstört werden.175
IV. Fortgang der Arbeit Bevor die Aufklärungs- und Informationspflichten in ihren Details analysiert werden, werden zunächst das Arzt-Patient-Verhältnis tangierende Grundfragen, die unter anderem Seitenblicke auf verschiedene Theorieansätze ermöglichen, kurz dargestellt (Teil B.). Hierbei werden auch die konkreten Schutzzwecke der einzelnen Aufklärungs- und Informationspflichten vorab überblicksartig festgehalten. Anschließend werden die im Arzt-Patient-Verhältnis tangierten Grundrechte dargestellt (Teil C.). Die Grundrechte von Arzt und Patient bestimmen den Pflichtenkanon im Arzt-Patient-Verhältnis maßgeblich mit. So hat die Rechtsprechung insbesondere in ihren grundlegenden Entscheidungen regelmäßig auf die Grundrechte Bezug genommen. Der Gesetzgeber greift den Grundrechtsbezug durch das Anknüpfen an die Rechtsprechung und Verweise in der Gesetzesbegründung auf. Um im Rahmen der Einzelanalysen auf diese Grundrechte stets rückverweisen zu können, bietet es sich an, diese „vor die Klammer gezogen“ darzustellen. Sodann werden für die dogmatische Analyse der Aufklärungs- und Informationspflichten elementare Begriffe ebenfalls „vor die Klammer gezogen“ geklärt, namentlich die der Einwilligungs- und Informationsbefolgungsfähigkeit, 170 Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 2. Aufl. (2005), 132, 139; vgl. auch BVerfGE 9, 109 (118). 171 Seidl, ZGR 1988, 296 (313). 172 BGHSt 22, 146 (153). 173 Vgl. Krey, JZ 1978, 361 (368); Seidl, ZGR 1988, 296 (312); Ossenbühl, Richterrecht im demokratischen Rechtsstaat, 1988, 18; Gusy, JuS 1983, 189 (194); Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber, 1951, 33 ff.; vgl. auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, 500 („Rechtsbruch im Sinne einer mindestens „kleinen Revolution“). 174 Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 2. Aufl. (2005), 185. 175 Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 2. Aufl. (2005), 185.
IV. Fortgang der Arbeit
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des Patienten sowie der Behandlung (Teil D.). Auch hierdurch wird die Möglichkeit steter Rückbezüge geschaffen. Anschließend werden im Hauptteil der Arbeit die Aufklärungs- und Informationspflichten im Detail dogmatisch in der oben beschriebenen Weise (Teil A.) analysiert. Begonnen wird mit der Aufklärungspflicht des Arztes (Teil E.), dann folgen die Informationspflichten (Teil F.), bei denen zunächst die Informationspflichten und obliegenheiten des Patienten analysiert werden (Teil F. I.), bevor dann die Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes ausführlich betrachtet werden (Teil F. II.). Bei den Informationspflichten wird zunächst die therapeutische Informationspflicht analysiert (Teil F. II. 2.), sodann die Fehlerinformationspflicht (Teil F. II. 3.) in den Fokus gestellt und schließlich die wirtschaftliche Informationspflicht beleuchtet (Teil F. II. 4.). Im Rahmen der Analyse der Aufklärungs- und Informationspflichten wird stets hinsichtlich der einzelnen Modalitäten sowie der Gesamtheit der Pflichten die Qualität der konkreten Regelungsausschnitte beurteilt. Schließlich wird im Gesamtfazit zusammenfassend festgestellt, inwiefern die Ziele einer Kodifizierung durch das Patientenrechtegesetz am Beispiel der Aufklärungs- und Informationspflichten erfüllt werden konnten sowie die Qualität der Kodifizierung schlussendlich bemessen (Teil G.). Abschließend wird dann ein Vorschlag gemacht, wie die Aufklärungs- und Informationspflichten besser hätten geregelt werden können (Teil H.).
B. Grundfragen Zunächst werden das Arzt-Patient-Verhältnis tangierende Grundfragen, die unter anderem Seitenblicke auf verschiedene Theorieansätze ermöglichen, überblicks artig dargestellt. Diese Darstellungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellen keine Zentralaspekte dieser Arbeit dar, sollen jedoch verdeutlichen, welche anderen Aspekte in das Arzt-Patient-Verhältnis hineinwirken und dem interessierten Leser die Möglichkeit geben, sich anhand der zitierten Literatur weitere Detailkenntnisse zu verschaffen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Ethik und weiteren, nicht-rechtlichen Ursachen für den veränderten Blickwinkel auf das Arzt-Patient-Verhältnis. Daneben sollen zum besseren Verständnis des Fortgangs der Arbeit die Schutzzwecke der konkreten Aufklärungs- und Informationspflichten überblicksartig dargestellt werden.
I. Verhältnis Ethik und Recht Die ärztliche Pflicht zur Aufklärung (und Information) des Patienten hat das Recht durchgesetzt, nicht die Ethik. Dies zeigt sich unter anderem ganz deutlich am Hippokratischen Eid sowie am Genfer Gelöbnis, welche Ausdruck des Berufsethos sind. Der Eid des Hippokrates legte um 400 vor Christus erstmalig eine ärztliche Ethik fundamental nieder, die über Jahrhunderte das Arzt-Patient-Verhältnis prägte, und beanspruchte noch lange nach seiner Entstehung Gültigkeit.1 Der hippokratische Eid enthielt jedoch keinerlei Pflicht zur Aufklärung und zur Berücksichtigung einer autonomen Entscheidung des Patienten. Gleiches gilt für das 1948 vom Weltärztebund verabschiedete Genfer Arztgelöbnis, für welches der Hippokratische Eid die Grundlage bildete.2 Ebenso wenig fand sich in den 1 Tölle-Kastenbein, Das Genfer Arztgelöbnis und der Hippokratische Eid, 1978, 34; Engel hardt, in: Lang/Arnold (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel, 1996, 19 (26); vgl. auch Laufs/Kern/Laufs, § 4 Rdnr. 13 ff.; Schreiber/Rodegra, in: Jung/Schreiber (Hrsg.), Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, 1981, 27 (28). Eine umfassende Analyse aller Abschnitte des Eides findet sich bei Lichtenthaeler, Der Eid des Hippokrates, 1984. 2 Tölle-Kastenbein, Das Genfer Arztgelöbnis und der Hippokratische Eid, 1978, 7, 34; vgl. auch Laufs/Kern/Laufs, § 4 Rdnr. 16.
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B. Grundfragen
Überarbeitungen des Genfer Gelöbnisses von 1968, 1983, 1994, 2005, 20063 die Pflicht zur Wahrung der Autonomie des Patienten. Erst bei der Überarbeitung des Genfer Gelöbnisses im Oktober 2017 wurde der Respekt des Arztes vor Autonomie und Würde des Patienten in das Gelöbnis aufgenommen.4 Das Genfer Gelöbnis findet sich heute als Präambel in den meisten Berufsordnungen der Ärzte, teilweise in modifizierter Form. Die Übernahme der Grundgedanken des Hippokratischen Eids verdeutlicht zwar, dass sich die ärztliche Ethik in ihren zentralen Punkten über viele Jahrhunderte aufrechterhalten hat, zeigt jedoch zugleich, dass der Respekt vor Autonomie und Würde erst sehr spät explizit Ausdruck in der Ethik gefunden hat. Wie später noch gezeigt wird, hat sich die Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung und Einholung der Einwilligung im Recht bereits viel eher durchgesetzt, es finden sich insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche höchstrichterliche Entscheidungen, die eine derartige Pflicht statuieren; beispielhaft kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1979 genannt werden, die das Erfordernis der Einwilligung und Aufklärung bereits ausdrücklich festhält.5 Deswegen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ethik den Anspruch der Patienten auf Aufklärung durchgesetzt habe, dies hat vielmehr das Recht übernommen. Eine andere Betrachtung gebietet sich auch nicht aufgrund des Nürnberger Kodex,6 der als ethische Richtlinie im Anschluss an den Nürnberger Ärzteprozess 1946/19477 erlassen wurde. Zwar enthielt Punkt 1 des Kodex bereits das Erfordernis der freiwilligen Einwilligung sowie eine Aufklärungspflicht, allerdings galt dieser Kodex nicht pauschal für sämtliche Behandlungen, sondern nur für medizinische Versuche. Darüber hinaus determinierte der Nürnberger Kodex gleichzeitig auch ein diametrales Prinzip: das Verantwortungsprinzip. Dieses wird zwar nicht so deutlich angesprochen wie das Selbstbestimmungsrecht, findet sich jedoch im Bedeutungsgehalt mehrerer Punkte des Kodex, insbesondere in den Punkten 7 bis 10, wieder. So hat der Arzt (Versuchsleiter o. Ä.) unter anderem Vorsorge zu treffen, um den Patienten (die Versuchsperson) vor etwaigen Gefahren zu schützen (Punkt 7); ihm bleibt die letzte Entscheidungsgewalt inne, den Eingriff (Versuch) zum Wohle des Patienten zu beenden oder abzubrechen, wenn Probleme auftre3 Alle online abrufbar unter https://www.wma.net/policies-post/wma-declaration-ofgeneva/ (Stand: 08.07.2018). 4 Online abrufbar unter https://www.wma.net/policies-post/wma-declaration-of-geneva/ (Stand: 08.07.2018). 5 BVerfGE 52, 131 (173 ff.). 6 Siehe Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, 1960, 272 f.; außerdem online unter http://www.ippnw-nuernberg.de/aktivitaet2_1.html (Stand: 08.07.2018). (Im Wortlaut etwas anders, inhaltlich aber identisch). 7 Zum Nürnberger Ärzteprozess siehe u. a. Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit, 1960; Dörner/Linne (Hrsg.), Der Nürnberger Ärzteprozeß 1946/47 (1999).
I. Verhältnis Ethik und Recht
31
ten (Punkt 9 und 10). Demnach standen sich 1947 ein individualethisches und ein beziehungsethisches Prinzip gegenüber,8 deren jeweilige Gewichtung aus dem Kodex nicht hervorging. Auch die 1964 vom Weltärztebund ausgearbeitete Deklaration von Helsinki bezog sich nur auf medizinische Versuche.9 Als der Nürnberger Kodex 1997 im Anschluss an den Kongress „Medizin und Gewissen“ im Oktober 1996 überarbeitet und im Hinblick auf neue Spannungsfelder in der Medizin angepasst wurde, enthielt dieser schließlich das Erfordernis des informed consent10 als prinzipielle Grundlage aller Behandlungen im Gesundheitswesen.11 Zu diesem Zeitpunkt war das Erfordernis von Aufklärung und Einwilligung durch die Rechtsprechung jedoch längst klar herausgearbeitet worden. Wäre die Ethik die entscheidende Treibkraft gewesen, so hätten sich in den ethischen Regelungen viel früher Ausführungen zum Respekt vor Autonomie und Selbstbestimmung des Patienten finden müssen. Schließlich begann der Diskurs der modernen Medizinethik verbunden mit dem Kampf um die Patienten- und Probandenrechte erst Ende der 1960er Jahre in den Vereinigten Staaten.12 Dieser konzentrierte sich zunächst auf die Forschungsethik; die sogenannte Belmont Commission erarbeitete von 1974 bis 1978 für die Forschung an Menschen praktische Regelungsvorschläge.13 Anlass waren die in den USA auch nach dem zweiten Weltkrieg und dem Erlass von Nürnberger Kodex und Deklaration von Helsinki noch durchgeführten und be-
8 Vgl. Klaus Dörner am 20.08.1997 in Nürnberg, abrufbar unter http://www.ippnw-nuern berg.de/aktivitaet2_2.html (Stand: 08.07.2018). 9 Auch die Deklaration von Helsinki wurde mehrfach überarbeitet, in der aktuellen Fassung vom Oktober 2013 ist sie online abrufbar unter http://www.bundesaerztekammer.de/ fileadmin/user_upload/Deklaration_von_Helsinki_2013_DE.pdf (Stand: 08.07.2018). 10 Der Begriff entspringt einem Gerichtsurteil aus dem Jahr 1957 (Salgo v. Leland Stanford Jr. University Board of Trustees), Faden/King/Beauchamp, A History and Theory of Informed Consent, 1986, 125 ff. 11 Die Überarbeitung wurde als „Nürnberger Kodex 1997“ veröffentlicht, abrufbar unter http://www.ippnw-nuernberg.de/aktivitaet2_3.html (Stand: 08.07.2018). 12 Schöne-Seifert, Grundlagen der Medizinethik, 2007, 14 ff.; vgl. Toulmin, Perspectives in Biology and Medicine 25 (1982), 736 (737); siehe dazu auch Faden/King/Beauchamp, A History and Theory of Informed Consent, 1986, Part II. Zur Medizinethik siehe beispielsweise auch Beauchamp/Childress, Principles of Biomedical Ethics, 6. Aufl. (2009); Engelhardt, The Foundations of Bioethics, 1996; Gorovitz, Doctors’ Dilemmas, 1982; Brody, The Healer’s Power, 1992; Veatch, The Patient as Partner, 1987; Veatch (Hrsg.), Cross-Cultural Perspectives in Medical Ethics, 2. Aufl. (2000). Zur Geschichte der Bioethik siehe auch Rothman, Strangers at the Bedside, 1991. 13 The National Commission for the Protection of Human Subjects of Biomedical and Behavioral Research, The Belmont Report, 1978; Schöne-Seifert, Grundlagen der Medizinethik, 2007, 16 f.; Childress/Meslin/Shapiro, Belmont Revisited, 2005.
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B. Grundfragen
kannt gewordenen unfreiwilligen Humanexperimente.14 Beispielhaft kann die Tuskegee Syphilis Study genannt werden, bei welcher 400 schwarzen Syphilis-Patienten eine wirksame Behandlung mit Penicillin ohne ihr Wissen versagt wurde, um zu untersuchen, wie sich der Krankheitsverlauf ohne Behandlung darstellt.15 Erst im Anschluss an die Diskussion im Rahmen der Forschungsethik wurde die Debatte des informed consent im Bereich der nicht-experimentellen Medizin geführt; die sogenannte President’s Commission beschäftigte sich erst in den 1980er Jahren mit Problemen im Bereich der klinischen Medizin.16 In der Folge kam es zu zahlreichen Veröffentlichungen zur Medizinethik im amerikanischen Raum.17 Seit den 1970er Jahren gibt es in den USA auch eine Reihe von Fachzeitschriften zur Medizinethik.18 Die Grundlagen der Bioethik prägten insbesondere auch Theologen und Philosophen wie Fletcher, Ramsey, McCormick und Jonas.19 Weitere die Debatte prägende Autoren waren Hare, Singer, Engelhardt, Harris, Pellegrino/Thomasma, Jonsen/Toulmin und Beauchamp/Childress.20 Auch die Bürgerrechtsbewegung in den USA spielte eine Rolle.21 In Europa setzte die Debatte der Medizinethik dagegen erst ca. 20 Jahre später ein als in den Vereinigten Staaten; als akademische Vorreiter können Höffe,22 Hoerster23 und Patzig24 genannt werden.25 Gründe für die spätere Entwicklung insbesondere in Deutschland waren die unterschiedlichen philosophischen Ansätze, die mit den Verbrechen des Nationalsozialismus verbundene Tabuisierung einiger Fragestellungen sowie das Fehlen einer Bürgerrechtsbewegung.26 14 Ach/Runtenberg, Bioethik: Disziplin und Diskurs, 2002, 24; vgl. auch Schöne-Seifert, Grundlagen der Medizinethik, 2007, 16. 15 Schöne-Seifert, Grundlagen der Medizinethik, 2007, 16; Ach/Runtenberg, Bioethik: Disziplin und Diskurs, 2002, 24; siehe dazu auch Jones, Bad Blood, 1993. 16 Schöne-Seifert, Grundlagen der Medizinethik, 2007, 17 f. m. w. N. 17 Schöne-Seifert, Grundlagen der Medizinethik, 2007, 18. 18 Ach/Runtenberg, Bioethik: Disziplin und Diskurs, 2002, 37. 19 Ach/Runtenberg, Bioethik: Disziplin und Diskurs, 2002, 20 mit Verweis auf Fletcher, Humanhood, 1979; Fletcher, Morals and Medicine, 1954; Ramsey, The Patient as Person, 2. Aufl. (2002); McCormick, Ambiguity in Moral Choice, 1977; Jonas, Philosophical Essays: From Ancient Creed to Technological Man, 1974; Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979. 20 Hare, Essays on bioethics, 1993; Singer, Praktische Ethik, 3. Aufl. (2013); Engelhardt, in: Bayertz (Hrsg.), Moralischer Konsens, 1996, 270; Pellegrino/Thomasma, For the Patient’s Good, 1988; Jonsen/Toulmin, The Abuse of Casuistry, 1988; Beauchamp/Childress, Principles of Biomedical Ethics, 6. Aufl. (2009). 21 Ach/Runtenberg, Bioethik: Disziplin und Diskurs, 2002, 26. 22 Höffe, Sittlich-politische Diskurse, 1981. 23 Hoerster, Abtreibung im säkularen Staat, 1991. 24 Patzig, Gesammelte Schriften II, 1993. 25 Schöne-Seifert, Grundlagen der Medizinethik, 2007, 18 ff. 26 Ach/Runtenberg, Bioethik: Disziplin und Diskurs, 2002, 40 f.; Schöne-Seifert, in: NidaRümelin (Hrsg.), Angewandte Ethik, 2005, 690 (696 f.).
II. Weitere Ursachen für den veränderten Blickwinkel auf das Arzt-Patient-Verhältnis 33
Diese zeitliche Entwicklung in den USA sowie in Deutschland zeigt ebenfalls, dass das Recht und nicht die Ethik die Pflicht zur Aufklärung und Einholung des informed consent durchgesetzt hat. So wurde auch in der amerikanischen Literatur ausgeführt, dass die Stärken und Schwächen der Bioethik daraus resultieren, dass sie im Recht wurzelt und von diesem dominiert wird.27 In den USA haben Urteile die bioethische Debatte zum Teil erst in Gang gesetzt oder zumindest deren weiteren Verlauf geprägt.28 Zudem kommt ethischen Regeln eine ganz andere Bedeutung und Bindungswirkung zu als rechtlichen Regeln. Das Recht nimmt im Gegensatz zur Ethik Verbindlichkeit für sich in Anspruch, es ist verhaltensstabil. Deswegen kann weder davon ausgegangen werden, dass die Ethik eine komplementäre Ordnung zum Recht darstelle,29 noch dass die Ethik die entscheidende Triebkraft für die Entwicklung der Aufklärungspflicht gewesen sei. Dies zeigt sich letztlich auch daran, dass gesetzlich vorgesehene Ethik-Kommissionen ihre Entscheidungen stets nach rechtlichen Vorgaben und nicht „frei ethisch“ zu treffen haben.30 Ethik, Moral und Recht stehen lediglich als unterschiedliche Kontexte der Rechtfertigung ärztlichen Handelns nebeneinander.
II. Weitere Ursachen für den veränderten Blickwinkel auf das Arzt-Patient-Verhältnis Kennzeichnend für das Arzt-Patient-Verhältnis im 21. Jahrhundert ist die stete Betonung und Orientierung am Selbstbestimmungsrecht des Patienten, dem „informed consent“. Der Patient soll selbstbestimmt über die an ihm vorgenommene Behandlung entscheiden, wofür er umfassend über Risiken, Chancen, Therapiealternativen etc. aufgeklärt werden muss. Das „paternalistisch geprägte Fürsorgeverhalten“ des Berufsstands ist einem gemeinsamen Kampf gegen die Krankheit gewichen, die ärztliche Fürsorge weniger geworden.31 Der Selbstbestimmungs- und Autonomiegedanke stellt das neue Paradigma dar.32 Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht hat in knapp 50 Jahren stetig zugenomAnnas, in: Grodin (Hrsg.), Meta Medical Ethics, 1995, 83 (83). Ach/Runtenberg, Bioethik: Disziplin und Diskurs, 2002, 31; Lilje, Klinische ‚ethics consultation‘ in den USA, 1995, 30 f. 29 So jedoch Woopen, MedR 2011, 232 (232 ff.); ähnlich auch BVerfGE 52, 131 (170). 30 Als Beispiele können hier § 40 Abs. 1 S. 2 AMG, § 42 Abs. 1 S. 7 Nr. 3 AMG sowie § 9 i. V. m. § 5 StZG genannt werden. 31 Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (82 f.); Laufs/Katzen meier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. I Rdnr. 14; Damm, MedR 2002, 375 (378); Murrhardter Kreis, Das Arztbild der Zukunft, 3. Aufl. (1995), 98. 32 Damm, MedR 2002, 375 (377 f.); Höfling, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Pati27 28
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B. Grundfragen
men, wie die Entwicklung der Rechtsprechung sowie auch die Kodifikation in § 630e BGB zeigen. Anfang des 20. Jahrhunderts war es unvorstellbar, dass der Patient über jeden Behandlungsschritt aufgeklärt wurde, dies wurde auch nicht erwartet; wenn überhaupt hatte der Patient dies einzufordern.33 Der Fokus auf das Selbstbestimmungsrecht entwickelte sich wie bereits gezeigt mehr und mehr gegen Ende des 20. Jahrhunderts. So waren Patientenverfügungen, die eine Form der antizipierten Selbstbestimmung darstellen, lange umstritten und wurden erst 1999 von der Bundesärztekammer mit den „Handreichungen zum Umgang mit Patientenverfügungen“34 explizit ermöglicht.35 Zwar entschied das Bundesverfassungsgericht bereits 1979, auch der Kranke habe „das volle Selbstbestimmungsrecht über seine leiblich-seelische Integrität“ und dies gehöre „zum ureigensten Bereich der Personalität des Menschen“.36 Jedoch sah es sich 1993, also bereits 44 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes37, veranlasst, noch einmal zu betonen, dass das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein Freiheitsrecht sei und somit „den ärztlichen Heilversuch vom Willen des Patienten abhängig“ mache.38 Eine tatbestandliche Körperverletzung ist nun nur durch eine Einwilligung des Patienten zu rechtfertigen, während im 19. Jahrhundert noch verschiedene Ansätze existierten, welche die Körperverletzung aufgrund der staatlichen Bewilligung zur Berufsausübung, des Gewohnheitsrechts, der Erforderlichkeit ärztlichen Handelns oder aufgrund dessen Sinn und Zweck legalisieren wollten.39 Jedoch sind die Fokussierungen auf Selbstbestimmungsrecht und Aufklärung nicht die einzigen Veränderungen – damit einhergehend hat das Arzt-Patient-Verhältnis zahlreiche andere Wandlungen erfahren, die die Fokussierung auf das Selbstbestimmungsrecht zum Teil auch vorangetrieben haben.40 ent, 2006, 390 (392); vgl. auch Härle, FPR 2007, 47 (47); Waldschmidt, in: Feuerstein/Kuhlmann (Hrsg.), Neopaternalistische Medizin, 1999, 115 (115). 33 Taupitz, NJW 1986, 2851 (2857); Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (82). 34 Http://www.krause-schoenberg.de/sterben_handreichungen_patientenverf_baek1999. pdf (Stand: 08.07.2018). 35 Vgl. auch Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (83). 36 BVerfGE 52, 131 (174 f.). 37 Das Grundgesetz wurde am 23.05.1949 verkündet und trat am 24.05.1949 in Kraft. 38 BVerfGE 89, 120 (130); vgl. auch Höfling, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 390 (391). 39 Taupitz, NJW 1986, 2851 (2857). Die unterschiedlichen Ansätze zur Begründung der Straflosigkeit ärztlichen Handelns werden ausführlich erläutert in Heimberger, Strafrecht und Medizin, 1899, 5 ff. 40 Vgl. Pellegrino, Journal of the American Medical Association 269 (1993), 1158 (1159); Ach/Runtenberg, Bioethik: Disziplin und Diskurs, 2002, 25.
II. Weitere Ursachen für den veränderten Blickwinkel auf das Arzt-Patient-Verhältnis 35
Die stetig fortschreitende medizinische Forschung und insbesondere auch die technische Entwicklung haben dazu geführt, dass viele Untersuchungen mittlerweile von technischen Geräten in brillanter Qualität erledigt werden können; die Automatisierung hat in der Medizin wie auch in vielen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Einzug erhalten.41 Zwar müssen diese Geräte bedient werden, dies kann jedoch in der Regel ein medizinische/r Fachangestellte/r oder ein/e Krankenpfleger/in leisten, sodass heutzutage zahlreiche Untersuchungen in Abwesenheit des Arztes durchgeführt werden. Folge ist eine Entpersönlichung der Medizin.42 Dies geht einher mit Beschwerden der Patienten über die „Apparatemedizin“ oder mit dem Vorwurf, der Arzt halte es nicht mehr für erforderlich, den Patienten abzuhören oder abzutasten, generell habe er weniger Zeit für den Patienten und Betreuung und Fürsorge hätten nachgelassen.43 Außerdem würden die Ärzte mittlerweile vordergründig von materiellen Interessen geleitet.44 Vereinzelt besteht die Sorge, der Arzt würde die Rolle eines Dienstleisters und der Patient diejenige eines Kunden einnehmen.45 Derartige Äußerungen erklären die Zunahme der Non-Compliance46 und machen deutlich, dass das Sozialprestige der Ärzteschaft sinkt.47 Gleichzeitig haben die zahlreichen neuen medizinischen Entdeckungen und Erkenntnisse die bereits im 19. Jahrhundert einsetzende Spezialisierung in den letzten 50 Jahren noch deutlich vorangetrieben; es ist unmöglich geworden, das gesamte medizinische Wissen parat zu haben.48 Die (Muster-)WeiterbildungsBeleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (85). Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (94); vgl. auch Murrhardter Kreis, Das Arztbild der Zukunft, 3. Aufl. (1995), 75. 43 Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (81 f., 94); zur unpersönlichen Apparatemedizin und verstärkter Ablehnung und Skepsis auf Patientenseite vgl. auch Laufs/Kern/Laufs, § 1 Rdnr. 16. Zur Zeitnot und Verständigungsschwierigkeiten vgl. auch Mortsiefer, Der Arzt, sein Patient und das Risiko, 1998, 18. 44 Vgl. Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (81). 45 Vgl. Härle, FPR 2007, 47 (48); Krones/Richter, in: Schulz/Steigleder/Fangerau u. a. (Hrsg.), Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, 2006, 94 (105); Geisler, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2002, 216 (216); dies deutlich ablehnend Kick mit der Argumentation, dass die Arzt-Patient-Beziehung nicht freiwillig, sondern aus Not eingegangen werde und die Rahmenbedingungen (z. B. Beginn und Ende der Beziehung) nicht selbst bestimmbar seien, Kick, DÄBl 2006, 1206 (1206 ff.); vgl. dazu auch Kick, in: Kick/Taupitz (Hrsg.), Gesundheitswesen zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit, 2005, 151 (151 ff.). Ebenfalls kritisch Bauer, Journal für Anästhesie und Intensivbehandlung 2004, 1 (1 ff.). 46 Laufs/Kern/Laufs, § 1 Rdnr. 16. 47 Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (81). 48 Weißauer, in: Lang/Arnold (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel, 1996, 113 (114). 41 Vgl. 42
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B. Grundfragen
ordnung der Bundesärztekammer (MWBO-Ä) sieht 51 verschiedene Facharztkompetenzen und zusätzliche 10 Schwerpunktkompetenzen vor,49 1992 waren es mit 41 Facharztkompetenzen noch zehn weniger.50 So ist es heutzutage gar nicht mehr möglich, über das gesamte medizinische Wissen zu verfügen, der Arzt kann nur noch auf bestimmten Gebieten eine Expertenstellung einnehmen und gewährleisten, dass er über den aktuellen Stand der Forschung, Behandlungsmöglichkeiten etc. informiert ist. Folglich kommt der Patient heute im Verlauf einer Behandlung mit einem Team aus mehreren Ärzten und nicht mehr lediglich mit dem einen ursprünglich konsultierten Arzt in Berührung,51 wodurch zwar eine optimierte Versorgung des Patienten geleistet werden kann, jedoch die Intensität der Beziehung des Patienten und der Kommunikationsumfang zu dem jeweilig behandelnden Arzt gesunken sind. Der Spezialist ist eher geneigt, den Patienten über das Erscheinungsbild seiner Krankheit als über dessen individuelle Merkmale wie Name, Aussehen etc. wahrzunehmen; während es dem Patienten schwerer fällt, dem Arzt vollumfänglich zu vertrauen und ihm die Entscheidungsgewalt über die Behandlung zu überlassen.52 Außerdem sind die Abläufe für den Patienten schwerer überschaubar. Die vielfach beklagte Anonymität des Arzt-Patient-Verhältnisses ist sicherlich auch durch die Spezialisierung und das Zusammenwirken zahlreicher Ärzte an einem Behandlungsfall bedingt. Jedoch lässt sich dies nicht verallgemeinern – so mag es zwar auf Spezialisten und auch auf im Krankenhaus tätige Ärzte zutreffen, der Hausarzt nimmt jedoch nach wie vor eine andere Stellung ein. Er kennt seine Patienten viel umfassender, hat oft Einblicke in das persönliche Umfeld, die familiäre Situation und sonstige Pro bleme des Patienten, bleibt erster Ansprechpartner in vielerlei, nicht nur medizinischer, Hinsicht. Zu dem Hausarzt pflegt der Patient oft eine engere Beziehung als zu anderen Ärzten, ihn kontaktiert er häufiger und zu ihm hat er letztlich auch mehr Vertrauen.53 49
Vgl. Abschnitt B der WBO-Ä, online abrufbar unter http://www.bundesaerztekammer. de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Weiterbildung/MWBO.pdf (Stand: 08.07. 2018). Eine Facharztbezeichnung erhält, wer innerhalb eines Gebietes die vorgeschriebenen Weiterbildungsinhalte und -zeiten abgeleistet und in einer Prüfung die dafür erforderliche Facharztkompetenz nachgewiesen hat, vgl. § 2 Abs. 2 WBO-Ä. Ein Schwerpunkt wird durch eine auf der Facharztweiterbildung aufbauenden Spezialisierung im Gebiet beschrieben, für eine Schwerpunktbezeichnung sind ebenfalls die vorgeschriebenen Weiterbildungsinhalte und -zeiten abzuleisten und eine Prüfung abzulegen, vgl. § 2 Abs. 3 WBO-Ä. 50 Vgl. § 2 der damaligen (Muster-)Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer, online abrufbar unter http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ord ner/Weiterbildung/MWBO_1992/11MWBO1.pdf (Stand: 08.07.2018). 51 Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (85). 52 Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (91). 53 Zur Situation in Hausarzt-/Allgemeinarztpraxen vgl. Baum/Donner-Banzhoff/Spangen
II. Weitere Ursachen für den veränderten Blickwinkel auf das Arzt-Patient-Verhältnis 37
Dem Vorwurf der Entpersönlichung und der Anonymität hält wiederum die Ärzteschaft entgegen, dass aufgrund wachsender Bürokratie,54 stark angestiegener Dokumentationspflichten,55 Rationalisierung, Einsparungen56 und Budgetierung im Gesundheitswesen immer weniger Zeit für die Betreuung des einzelnen Patienten bleibe und dass dies quasi gegen ihren Willen geschehe.57 Die gestiegenen Pflichten der Ärzte werden zum Teil anhand der Entwicklung der Musterberufsordnung deutlich – diese ist in den vergangenen 50 Jahren unzählige Male geändert worden, unter anderem, um die Anforderungen der Rechtsprechung korrekt abzubilden.58 Ebenso ist die Bundesärzteordnung seit ihrer Ausfertigung in 1961 mehr als 20 Mal geändert worden.59 Darüber hinaus sind im Zuge der medizinisch-technischen Entwicklung sowohl die Möglichkeiten als auch die finanziellen Kosten etwaiger Behandlungen drastisch gestiegen. Der Arzt sieht sich somit vermehrt dem Konflikt zwischen medizinisch Möglichem und wirtschaftlich Machbarem ausgesetzt, wirtschaftliche Gesichtspunkte treten zunehmend in den Fokus.60 berg u. a., in: Lang/Arnold (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel, 1996, 137 (137 ff.). Vgl. Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (91), wonach der Arzt in einer Dorfgemeinschaft teilweise noch die Sozialkontrolle hat. 54 Vgl. Laufs/Kern/Laufs, § 1 Rdnr. 5, insbesondere bezüglich Papierarbeit und Abrechnungssystem. Zu Problemen und negativen Folgen der Bürokratie und Ökonomisierung sowohl für Patienten als auch Ärzte vgl. Schubert, in: Begenau/Schubert/Vogd (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung, 2010, 143 (143 ff.). 55 Die verstärkten Dokumentationspflichten gehen einher mit dem Einsichtsrecht des Patienten in die Behandlungsunterlagen, vgl. auch § 630g BGB. Dies war früher unsittlich und unvorstellbar, vgl. Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (82); vgl. auch Damm, MedR 2002, 375 (377); LG Hannover, NJW 1956, 348 (348). 56 Seit den 1970er Jahren existieren Bestrebungen, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken, nachdem zuvor Bestversorgung ohne Rücksicht auf die Kosten geleistet werden sollte, vgl. Schweickhardt, in: Schulz/Steigleder/Fangerau u. a. (Hrsg.), Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, 2006, 155 (162). Zu finanziellen Problemen im Gesundheitswesen und deren Folgen siehe auch Laufs/Kern/Laufs, § 1 Rdnr. 2. Ursächlich sind auch die gestiegene Lebenserwartung und der demographische Wandel der Bevölkerung – vielen älteren, bedürftigen Menschen stehen weniger leistungsstarke junge Menschen gegenüber. Gleichzeitig versursacht die Forschung nach neuen Heil- und Behandlungsmethoden enorme Kosten. Rationalisierung und Ökonomisierung sind jedoch keine speziellen Phänomene des Arzt-Patient-Verhältnisses, sondern treten in zahlreichen Bereichen des heutigen Lebens auf. Ob im Krankenhaus oder der (Fach-)Arztpraxis, Einsparungen und der stete Blick auf möglichst wirtschaftliches Arbeiten gehören zum Alltag. 57 Vgl. Hein, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 585 (589); Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (82). 58 Taupitz, NJW 1986, 2851 (2855 f.). 59 Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. I Rdnr. 1. 60 Ausführlicher dazu Ulsenheimer, MedR 2015, 757 (759 f.).
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B. Grundfragen
Neben der Spezialisierung und der Steigerung der Anonymität hat der medizinisch-technische Fortschritt den Fokus auf die Autonomie auch insoweit begünstigt, als er die Eingriffsmöglichkeiten des Arztes deutlich vergrößert hat. Dies äußert sich insbesondere bei Fragen das Lebensende betreffend. So machen die Einführung von Patientenverfügungen sowie die Debatte um Sterbehilfe deutlich, dass eine breite Angst existiert, die Medizin könnte „zu viel“ leisten; das Leben über einen ungewollten Punkt hinaus verlängern.61 Insbesondere die Fortschritte in der Notfall- und Intensivmedizin machen heutzutage viel möglich.62 Auch der gestiegene Konkurrenzdruck (jedenfalls in Gebieten mit hoher Arztdichte) hat Einfluss auf das Verhalten der Ärzte genommen.63 Das Eingehen auf Patientenerwartungen und wünsche hat an Relevanz gewonnen, um deren Zufriedenheit und folglich ihre „Treue“ zu sichern.64 Solange es sich nicht um eine Notfallbehandlung im Krankenhaus o. Ä. handelt, hat der Patient freie Arztwahl, vgl. § 76 SGB V, § 7 Abs. 2 S. 1 MBO-Ä,65 dies ergibt sich auch aus Art. 2 Abs. 1 GG.66 Er kann sich aussuchen, welche Arztpraxis er aufsucht oder in welches Krankenhaus er gehen möchte. Auch im System der gesetzlichen Krankenversicherung kann der Patient den Rat mehrerer Ärzte einholen oder regelmäßig den Arzt wechseln. Gleichzeitig ist abgesehen von Notfällen u.Ä. auch der Arzt nicht zur Behandlung verpflichtet, vgl. § 7 Abs. 2 S. 2 MBO-Ä, de facto kommt es jedoch sehr selten vor, dass der Arzt einen Patienten ablehnt, während das Phänomen des „Ärztehopping“ zugenommen hat.67 Darunter wird das Aufsuchen verschiedener Haus- oder Fachärzte derselben Fachgruppe innerhalb eines Quartals, worüber die jeweiligen Ärzte jedoch nicht informiert sind, verstanden. Die Zahl der berufstätigen Ärzte lag im Jahr 2013 bei 357.252, während es 1990, nur 23 Jahre früher, noch nur 237.750 waren.68 Aufgrund der Abrechnung über die Krankenkassen (mehr als 90% der Patienten sind gesetzlich krankenversichert) 61 Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (90, 95); vgl. auch Müller-Dietz, in: Jung/Schreiber (Hrsg.), Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, 1981, 7 (12 f.). 62 Vgl. Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (95). 63 Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (86). 64 Baum/Donner-Banzhoff/Spangenberg u. a., in: Lang/Arnold (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel, 1996, 137 (137); vgl. auch Szimak, Der mündige Patient, 1978, 22. 65 Schindler, Meine Rechte als Patient, 1995, 48; Schmidt-Jortzig, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 198 (199). 66 Siehe dazu unter C. I. 4. 67 Sind die Patienten mit der Behandlung nicht zufrieden, so suchen die Patienten öfter als früher einen anderen Arzt auf, vgl. Mortsiefer, Der Arzt, sein Patient und das Risiko, 1998, 77. 68 Bundesärztekammer, Tätigkeitsbericht 2013, 2014, 36; Beske/Brecht/Reinkemeier, Das Gesundheitswesen in Deutschland, 1993, 177; Laufs/Kern/Laufs, § 1 Rdnr. 15 Fn. 1; Laufs/ Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. I Rdnr. 7 Fn. 18.
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steht der Arzt unter dem Konkurrenzdruck anderer Anbieter von Gesundheitsleistungen.69 Einhergehend mit dem medizinischen Fortschritt sind auch die Kosten für die Apparate gestiegen, gleichzeitig zu den mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Wandel verknüpften gestiegenen Personalkosten. Dadurch ist die Relevanz ökonomischer Planung deutlich gestiegen.70 Eine weitere Neuerung des späten 20. und des 21. Jahrhunderts sind die zahlreichen Informationsmöglichkeiten – diese betreffen nicht nur das Arzt-PatientVerhältnis, sondern jegliche Lebensbereiche, sodass nicht umsonst von einer Informationsgesellschaft gesprochen wird. Aufgrund dieser Möglichkeiten ist der Arzt nicht mehr wie noch im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zwingend ausschließliche Informationsquelle des Patienten. Zahlreiche Internetportale, Fernsehberichte sowie der einfache Zugang zu (Fach-)Literatur und Zeitschriften über Bibliotheken und das Internet ermöglichen es dem Patienten, sich bereits vorab des Arztbesuchs oder zwischen zwei Arztbesuchen über mögliche Erkrankungen, Diagnosen und Therapiealternativen zu informieren.71 Die Folgen dieser unter anderem technischen Fortschritte sind zahlreich und sehr unterschiedlich. Zum einen kann dies dazu führen, dass der Arzt auf einen gut informierten Patienten trifft, der bereits ein besseres Verständnis für seine Erkrankung hat und mit dem er sich gleich auf einem höheren Niveau über die weitere Vorgehensweise unterhalten kann. Möglich ist sogar, dass der Patient besser informiert ist als der Arzt, was aus dem rasanten Anstieg medizinischen Wissens resultiert – so verdoppelt sich dieses allein in fünf bzw. vervierfacht sich in nur zehn Jahren.72 Um sich auf dem aktuellen Stand zu halten, müsste beispielsweise ein Internist täglich 19 wissenschaftliche Aufsätze lesen,73 was in Anbetracht seines täglichen Arbeitspensums unmöglich erscheint. Demnach ist es durchaus vorstellbar, dass der Patient, der sich Tage, Wochen oder gar Monate über seine spezifische Krankheit belesen hat, tatsächlich mehr über diese weiß als der behandelnde Arzt und dessen Behandlungsvorschläge anzweifelt.74 69 Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. I Rdnr. 1. So waren bereits Ende des 20. Jahrhunderts durch Massenmedien vermittelte Informationen die Grundlage für 40 bis 50 Prozent des medizinrelevanten Laienwissens, vgl. Kupfer/Arnold, in: Lang/Arnold (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel, 1996, 178 (178). 70 Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. I Rdnr. 1. 71 Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (85 f.). 72 Tezcan-Güntekin, in: Begenau/Schubert/Vogd (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung, 2010, 95 (98); vgl. auch Kupfer/Arnold, in: Lang/Arnold (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel, 1996, 178 (181). 73 Tezcan-Güntekin, in: Begenau/Schubert/Vogd (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung, 2010, 95 (98). 74 Vgl. Tezcan-Güntekin, in: Begenau/Schubert/Vogd (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung, 2010, 95 (99).
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B. Grundfragen
Allerdings kommt es auch vor, dass der Patient sich falsche Informationen angeeignet hat, sei es aufgrund fehlenden medizinischen Vorwissens, fehlenden medizinischen Verständnisses, der Möglichkeit von Differentialdiagnosen oder auch fehlerhafter Informationen in den Medien.75 Dann kann es für den Arzt schwierig sein, den Patienten davon zu überzeugen, dass die selbst erlangten Informationen falsch sind und eine andere Erkrankung oder Therapie einschlägig ist. Darüber hinaus ist es denkbar, dass der Patient zwar korrekte Informationen erlangt hat, jedoch verschiedene Therapiemethoden mit unterschiedlichen Vorund Nachteilen existieren, von denen der Patient noch keine Kenntnis hat. Dann geht er voreingenommen in das Behandlungsgespräch hinein und lässt sich von anderen Therapien schwerer überzeugen, auch wenn diese in seiner Situation vorteilhafter wären. Letztlich sind dies nur Beispiele und zahlreiche Konstellationen denkbar, wie das auf verschiedenen Wegen erlangte Vorwissen das Arzt-Patient-Verhältnis belasten, aber auch verbessern kann. Denn auch die Reaktionen der Ärzte und der Umgang mit informierten Patienten differieren von Arzt zu Arzt – denkbar sind hier beispielsweise eine Kontaktverknappung, Kompetenzvortäuschung oder ausweichende Antworten, aber auch eine offene Diskussion der Situation mit dem Patienten.76 Schließlich hat der Arzt diesbezüglich in der Regel keine Schulung oder Verhaltensvorgaben erhalten,77 zudem weiß er nie, ob und wie gut der jeweilige Patient informiert ist. Der Patient bleibt jedoch unabhängig von der Art und Weise der Informationserlangung medizinischer Laie, dem sowohl das Vorwissen, der Blick auf den Gesamtorganismus und die damit einhergehenden Auswirkungen verschiedener Gesundheitsprozesse sowie auch das Erfahrungswissen des Arztes immer fehlen werden. Informiertheit ist eben nicht gleichzusetzen mit Kompetenz.78 Das Wissensgefälle ist somit nach wie vor vorhanden, ledig-
75 Vgl. Szimak, Der mündige Patient, 1978, 22 f. Zur Qualität von medizinischen Beiträgen in den Medien vgl. Kupfer/Arnold, in: Lang/Arnold (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel, 1996, 178 (182 ff.). 76 Dazu, wie Ärzte mit informierten Patienten umgehen und wie dies mit dem Umfang der Informiertheit korreliert, siehe Tezcan-Güntekin, in: Begenau/Schubert/Vogd (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung, 2010, 95 (99 ff.). 77 Zum Mangel an kommunikativer und sozialer Kompetenz vgl. Geisler, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2002, 216 (219 f.). 78 Tezcan-Güntekin, in: Begenau/Schubert/Vogd (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung, 2010, 95 (107). Zur Bedeutung des Erfahrungswissens vgl. Geisler, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2002, 216 (217).
II. Weitere Ursachen für den veränderten Blickwinkel auf das Arzt-Patient-Verhältnis 41
lich die Informationszugangsmöglichkeiten sind im Laufe des 20. Jahrhunderts vergrößert worden. Der Arzt bleibt nach wie vor der Fachmann. Die neuen Informationsmöglichkeiten haben allerdings dazu beigetragen, dass Patienten häufiger dazu neigen, Behandlungsvorschläge und -ergebnisse der Ärzte kritisch zu hinterfragen.79 Die Ärzte verknüpfen kritische Nachfragen dagegen oft mit dem Verdacht eines möglichen Haftungsprozesses,80 sind sie doch aufgrund deren Zunahme heutzutage häufiger mit diesen konfrontiert und diese folglich vielmehr in das Bewusstsein der Ärzteschaft gerückt als noch vor 50 Jahren. Zwar haftet bei einem zivilrechtlichen Schadensersatzprozess für gewöhnlich nicht der Arzt persönlich, sondern dessen Haftpflichtversicherung.81 Dies hat immerhin dazu geführt, dass berechtigte Schadensersatzforderungen seltener vom Arzt negiert werden,82 jedoch werden auch zahlreiche unbegründete Klagen erhoben, die den Arzt aufgrund ungewissen Ausgangs trotz bestehenden Versicherungsschutzes oftmals insbesondere auch psychisch belasten. Denn der Arzt kann sich nie hundertprozentig sicher sein, einen solchen Prozess zu gewinnen, dies hängt nicht zuletzt von der Beweislage ab. Schließlich drohen dem Arzt nicht nur zivilrechtliche Schadensersatzprozesse, welchen zwar in der Praxis die größte Bedeutung zukommt,83 sondern auch Straf- oder berufsrechtliche Verfahren, deren Auswirkungen für den Arzt noch deutlich schwerwiegender sein können. Neben der psychischen Belastung eines Prozesses können somit auch Existenzängste auftreten.84 Die Angst vor Arzthaftungsprozessen bzw. Erfahrungen mit diesen haben für den Patienten nicht nur positive Effekte wie beispielsweise eine erhöhte Aufmerksamkeit und Verringerung von Fehlerquellen, sondern durchaus auch negative Auswirkungen. So wird beispielsweise angeführt, dass die gestiegene Zahl der Indikationsstellungen zu bildgebender Diagnostik neben anderen Faktoren auch darauf beruhe, dass diese gutes Beweismaterial in einem etwaigen Arzthaftungsprozess darstellen.85 Zwar ist bildgebende Diagnostik grundsätzlich eher ungefährlich für den Patienten, bei Häufung beispielsweise röntgenologischer Untersuchungen kann es jedoch auch zu negativen Einflüssen durch die Röntgenstrahlen kommen. Allein die Anordnung diagnostischer Maßnahmen aus prophylaktischen, beweisprozessualen Gründen ist zwar nicht zulässig, jedoch fällt es dem Arzt oft nicht schwer, diese auch aus medizinischen Gründen zu rechtferBeleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (83). Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (83). 81 Zu einer solchen ist der Arzt verpflichtet, vgl. § 21 MBO-Ä. 82 Taupitz, NJW 1986, 2851 (2852). 83 Taupitz, NJW 1986, 2851 (2852). 84 Ulsenheimer, MedR 2015, 757 (758). 85 Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (87). 79 80
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B. Grundfragen
tigen. Zudem neigen Ärzte dazu, sich so gut wie möglich abzusichern, insbesondere im Rahmen der Aufklärung, sodass die Patienten häufig umfassende Formulare zu unterzeichnen haben.86 Durch die detaillierte Angabe noch so unwahrscheinlicher Risiken und Nebenwirkungen, zum Teil eingebettet in juristische Fachsprache, werden die Patienten oft eher verunsichert und überfordert.87 Die Defensivmedizin, bei der der Arzt den Patienten aus juristischer Vorsicht zur Absicherung beispielsweise unnötigen Untersuchungen unterzieht oder ihn unnötig lange im Krankenhaus behält und er sich gleichzeitig aus Angst therapeutisch weniger traut, insbesondere bei zwar indizierten, aber mit hohem Risiko verbundenen Therapien, scheint sich in der Ärzteschaft mehr und mehr zu verbreiten.88 In der Literatur wird zudem vorgebracht, der medizinische Fortschritt89 und die gestiegenen Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten hätten auch dazu geführt, dass die Erwartungshaltung der Patienten gestiegen sei, während diese gleichzeitig sorgloser, manchmal gar fahrlässig mit ihrer Gesundheit umgingen.90 Als Korrelat für den Krankenkassenbeitrag würden Behandlungserfolge erwartet,91 Gesundheit als „käufliches Gut“ angesehen.92 Der Einzug neuer Begriffe wie „Wellness“ und „Beauty“ ginge einher mit veränderten Erwartungen an Lebensqualität und einem gewandelten Verständnis der „Normalität“,93 das 86 Vgl. dazu bereits 1981 Müller-Dietz, in: Jung/Schreiber (Hrsg.), Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, 1981, 7 (9); Andreas spricht bereits 1986 von einer „Flucht in die Formulare“, Andreas, ArztR 1986, 39 (40). 87 Vgl. Hein, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 585 (589); Weißauer, in: Lang/Arnold (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel, 1996, 113 (119). 88 Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. I Rdnr. 26; Bappert, Arzt und Patient als Rechtsuchende, 1980, 110; vgl. auch Mortsiefer, Der Arzt, sein Patient und das Risiko, 1998, 79 f. Weitere Kennzeichen einer Defensivmedizin erläutert Ulsenheimer, MedR 2015, 757 (758). 89 Erläuterungen zu den Fortschritten in verschiedenen Bereichen der Medizin finden sich bei Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (86 ff.). 90 Zur gestiegenen Erwartungshaltung vgl. Siegrist, in: Jung/Schreiber (Hrsg.), Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, 1981, 54 (65). So haben beispielsweise die Fortschritte im Bereich der bildgebenden Diagnostik zu einer gestiegenen Anforderungs- und Erwartungshaltung geführt, vgl. Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (83). Zum leichtfertigen Umgang mit Krankheiten vgl. Beleites, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 81 (88 f.); zum deutlichen Anstieg an verhaltensbedingten Todesursachen wie bspw. Lungenkrebs, Diabetes und Leberzirrhose vgl. Siegrist, in: Jung/Schreiber (Hrsg.), Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, 1981, 54 (61 ff.). 91 Fischer, in: Lang/Arnold (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel, 1996, 123 (126). 92 Taupitz, NJW 1986, 2851 (2857); Laufs/Kern/Kern, § 38 Rdnr. 9. 93 Geisler, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2002, 216 (216).
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am Begehren orientierte Enhancement sei ein neuer Faktor auf dem Gesundheitsmarkt.94 Die Eigenverantwortlichkeit für Körper und Gesundheit werde ausgeblendet, die Krankheit als bloßer Störfaktor wahrgenommen, den der Arzt auszumerzen habe.95 Ein Fehlschlag der Behandlung werde nicht mehr so einfach als „Schicksalsschlag“ akzeptiert wie vielleicht noch zur Zeit des 19. Jahrhunderts, vielmehr werde häufiger ein Behandlungsfehler des Arztes vermutet, während die (fast) jeder Behandlung innewohnende Erfolgsunsicherheit verdrängt werde,96 welche sich bereits aus der Einordnung als besonderer Dienstvertrag ergibt und auch vor ausdrücklicher Regelung in den §§ 630a ff. BGB bereits anerkannt war. Vielmehr bestehe zunehmend die Vorstellung einer Omnipotenz der Ärzteschaft.97 Zudem sei es aus psychologischer Sicht für viele Patienten entlastend, wenn sie einen Schuldigen hätten, den sie für ihr persönliches Leid verantwortlich machen könnten.98 Diese Ansichten können diskutiert werden. Es ist jedoch eindeutig nachweisbar, dass die Zahl von Arzthaftungsprozessen angewachsen ist,99 was wiederum zu angestiegenen Versicherungsprämien100 und einem Rückgang auf mittlerweile nur noch sieben mögliche Haftpflichtversicherer geführt hat.101 In Anbetracht dieser Umstände wird die Frage in den Raum geworfen, ob der Dank für die Verringerung medizinischer Risiken und Verbesserung der Lebensqualität die Steigerung forensischer Risiken sei.102 94
Laufs/Kern/Laufs, § 1 Rdnr. 1. Hein, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 585 (590). So machte bereits Hippokrates mit dem Ausspruch „Der Patient ist der Arzt, der Arzt ist sein Helfer“ deutlich, dass es Aufgabe des Patienten sei, die Verantwortung für seine Gesundheit zu tragen, vgl. Szimak, Der mündige Patient, 1978, 23. 96 Vgl. Taupitz, NJW 1986, 2851 (2857); Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. I Rdnr. 25 ff.; Hein, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 585 (590); Laufs/Kern/Laufs, § 2 Rdnr. 11; vgl. auch Müller-Dietz, in: Jung/Schreiber (Hrsg.), Arzt und Patient zwischen Therapie und Recht, 1981, 7 (17); Dann, MedR 2007, 638 (641 f.). Zum Risiko in der Medizin vgl. Mortsiefer, Der Arzt, sein Patient und das Risiko, 1998, 69. 97 Ulsenheimer, MedR 2015, 757 (757). 98 Dann, MedR 2007, 638 (642). 99 Ulsenheimer, MedR 2015, 757 (757) mit konkreten Zahlenangaben; Katzenmeier, MedR 2011, 201 (201); Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. I Rdnr. 25; Bappert, Arzt und Patient als Rechtsuchende, 1980, 109. Die Ursachen für die Haftungsexplosion im Allgemeinen sind jedoch zahlreich, vgl. die Aufzählung bei Ulsenheimer, MedR 2015, 757 (758). 100 Bappert, Arzt und Patient als Rechtsuchende, 1980, 110; Ulsenheimer, MedR 2015, 757 (757). 101 Hierzu haben auch die angestiegenen Schmerzensgeldbeträge beigetragen, Ulsenhei mer, MedR 2015, 757 (757). 102 Vgl. Weißauer, in: Lang/Arnold (Hrsg.), Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel, 1996, 113 (114); Ulsenheimer stellt eine identische komplementäre Entwicklung fest, Ulsenheimer, MedR 2015, 757 (758). 95
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B. Grundfragen
Die beschriebenen Veränderungen scheinen darauf hinzudeuten, dass das ursprüngliche „Urvertrauen“ des Patienten gegenüber dem Arzt geschwunden ist. Diesem Vertrauensverlust wurde und wird jetzt jedoch durch das klare Erfordernis der Aufklärung und der Einholung eines informed consent begegnet. Das Wissen des Patienten, dass seine Autonomie im Behandlungsverhältnis respektiert und gewahrt wird, gibt ihm das nötige Vertrauen zum Arzt zurück. Weiß er, dass er über sämtliche Maßnahmen, die im Zusammenhang mit seinem Körper erfolgen sollen, zunächst umfassend aufgeklärt wird, und weiß er, dass er jederzeit seine Einwilligung widerrufen und eine Behandlung abrechen kann, so gibt ihm dies die nötige Sicherheit und ermöglicht es ihm, dem Arzt trotz medizinisch-technischer Fortschritte, Spezialisierung, Anonymisierung etc. zu vertrauen.103 Auch die Verrechtlichung im Arzt-Patient-Verhältnis, insbesondere im Rahmen der Aufklärungs- und Informationspflichten, verstärkt dieses Vertrauen. Weiß der Patient, dass der Arzt rechtlich verpflichtet ist, seine Autonomie zu wahren, so kann er aufgrund der Verbindlichkeit von Rechtsnormen grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Arzt sich auch daran hält. Dies ist anders bei lediglich ethischen Grundsätzen, die eher an die Moral und Werte des Arztes appellieren. Ein Wandel weg von der Autonomie hin zu einem Konzept ausschließlich basierend auf Vertrauen, was wieder in eine paternalistische Richtung ginge, ist unter dem aktuellen Recht nicht möglich. Eine Änderung der Rechtslage in eine solche Richtung erscheint in naher Zukunft nicht denkbar und zudem auch nicht überzeugend.
III. Schutzzwecke der Aufklärungs- und Informationspflichten Zur besseren Übersichtlichkeit und Verständlichkeit werden die Schutzzwecke der einzelnen Aufklärungs- und Informationspflichten vorab dargestellt. Die Selbstbestimmungsaufklärung (§ 630e BGB) dient, wie sich bereits aus der Terminologie ergibt, ausschließlich der Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts104 und damit dem Autonomieschutz des Patienten. Im Rahmen dieser geht es ausschließlich darum, dass dem Patienten eine eigene, selbstbestimmte Entscheidung ermöglicht wird, unabhängig davon, ob diese gut oder schlecht für seine Gesundheitsinteressen ist. Sie verkörpert wie keine andere Pflicht den Autonomiegedanken im Arzt-Patient-Verhältnis. Allerdings wird durch die auf das Kriterium der Wesentlichkeit begrenzte Pflicht zur Aufklärung über Behand103 A.A.
O’Neill, die davon ausgeht, dass Autonomiekonzepte Vertrauensbeziehungen untergraben würden, O’Neill, Autonomy and Trust in Bioethics, 2002. 104 Siehe dazu sogleich unter C. I. 3.
III. Schutzzwecke der Aufklärungs- und Informationspflichten
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lungsalternativen (§ 630e Abs. 1 S. 3 BGB) deutlich, dass dieser Autonomieschutz auch nicht unbegrenzt gilt, sondern dem Arzt durchaus am Wohl des Patienten orientierte Spielräume lässt, die sich wiederum mit dessen Therapiefreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG105 begründen lassen. Der Gesetzgeber hat den Autonomieschutz sogar noch weiter eingeschränkt, indem er wesentlich unterschiedliche Belastungen, Risiken oder Heilungschancen verlangt.106 Zwar ist ein philosophischer Diskurs vorhanden, der im Rahmen des bestehenden Zielkonflikts zwischen Interessen- und Autonomieschutz den Fokus auf den Interessenschutz legt. Allerdings ist eine Priorisierung des Interessenschutzes aufgrund der tangierten Grundrechte und deren Hochwertigkeit nicht möglich. Aus den Grundrechten ergibt sich das Recht zur Autonomie und Selbstbestimmung, welches das Recht zur Krankheit sowie das Recht zum Verzicht auf die Aufklärung mit einschließt.107 Aufgrund des verfassungsrechtlich hohen Rangs des Selbstbestimmungsrechts kann sich der Gesetzgeber nicht über dieses hinwegsetzen, er hätte sich somit nicht gegen die Autonomie und für einen vordergründigen Interessenschutz ausgerichtet an gesundheitlichen Faktoren entscheiden können. Dies wäre allenfalls vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949 möglich gewesen. Schließlich handelt es sich um gesetzlich kodifizierte Pflichten, sodass deren Schutzcharakter auf dogmatischer und nicht auf philosophischer Ebene zu ermitteln ist. Die therapeutische Information (§ 630c Abs. 2 S. 1 BGB) dient primär den wohlverstandenen Gesundheitsinteressen des Patienten (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG).108 Ihr Inhalt ist darauf ausgerichtet, dem Patienten einen zutreffenden Eindruck seines Gesundheitszustands zu vermitteln und ihm diejenigen Ratschläge zu erteilen, die im Falle ihrer Umsetzung zu einer Verbesserung seines Gesundheitszustands beitragen würden. Insofern dient sie auch dem Informationsrecht des Patienten aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG).109 Gleichzeitig stellt auch sie dem Patienten den Umgang mit sowie die Befolgung dieser Ratschläge anheim, dient somit gleichzeitig auch der Wahrung seiner Autonomie und damit Selbstbestimmung. Die Fehlerumstandsinformation (§ 630c Abs. 2 S. 2 BGB) dient in der Variante „zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren“ ausschließlich dem Gesundheitsschutz des Patienten (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG).110 In der Variante „auf Nachfrage“ dient sie ausschließlich dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Patienten 105
Siehe dazu sogleich unter C. II. 1. Dazu später unter E. II. 2. b). 107 Siehe dazu sogleich unter C. I. 3. 108 Zum Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit siehe sogleich unter C. I. 2. 109 Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung siehe sogleich unter C. I. 5. 110 Zum Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit siehe sogleich unter C. I. 2. 106
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B. Grundfragen
in Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG).111 Die wirtschaftliche Information (§ 630c Abs. 3 S. 1 BGB) dient ausschließlich den Vermögensinteressen des Vertragspartners.
111
Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung siehe sogleich unter C. I. 5.
C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt In das Arzt-Patient-Verhältnis fließen verschiedene Grundrechte sowohl des Arztes als auch des Patienten ein, die sich wechselseitig bedingen und dessen Ausgestaltung prägen. Gem. Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte die gesamte Staatsgewalt, sodass sowohl Legislativ, Exekutiv- als auch Judikativakte an diesen zu messen sind (in dieser Arbeit werden lediglich Legislativ- und Judikativ akte relevant). Der Staat ist verpflichtet, die an ihn gerichteten subjektiven öffentlichen Rechte miteinander in Einklang und zu bestmöglicher Geltung zu bringen. Um beurteilen zu können, ob dies durch die Aufklärungs- und Informationspflichten gelungen ist, müssen zunächst die Grundrechte, die sich im Arzt-Patient-Verhältnis gegenüberstehen, herausgearbeitet werden; diese werden sowohl bei der Analyse der bisherigen Rechtsprechung als auch im Rahmen der Auslegung des Patientenrechtegesetzes relevant. Hier wird jedoch der Fokus auf diejenigen Grundrechte gelegt, die im Rahmen der Aufklärungs- und Informationspflichten eine Rolle spielen; weitere Grundrechte des Arztes oder des Patienten (bspw. die Frage nach der Freiheit vor Zwangsmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Verbänden wie der GKV oder die Probleme des Sozialstaatsprinzips und des allgemeinen Gleichheitssatzes hinsichtlich von Verteilungsgerechtigkeit1) werden in dieser Arbeit nicht betrachtet. Bei den analysierten Grundrechten wird zunächst deren primäre Funktion als Abwehrrecht von staatlichen Eingriffen,2 jedoch auch die aus der im Grundrechtsteil des Grundgesetzes statuierten objektiven Wertordnung resultierende Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Bürger untersucht.3 Diese verpflichtet den Staat, den GrundSiehe dazu Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (127, 151 f.). 2 Siehe u. a. BVerfGE 7, 198 (204 f.); BVerfGE 13, 318 (325 f.); BVerfGE 68, 193 (205); Jarass/Pieroth/Jarass, Vorb. vor Art. 1, Rdnr. 3; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/Mül ler-Franken, Vorb. v. Art. 1, Rdnr. 17. 3 Wenzel/Sodan, Kap. 1 Rdnr. 86. Zum Begriff der objektiven Werteordnung siehe u. a. BVerfGE 73, 261 (269); BVerfGE 96, 56 (64); Stern/Becker/Stern, Einl., Rdnr. 52 m. w. N.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/Müller-Franken, Vorb. v. Art. 1, Rdnr. 20; Pieroth/ Schlink/Kingreen u. a. (Hrsg.), Grundrechte – Staatsrecht II, 31. Aufl. (2015), Rdnr. 94; ausführlich zu den grundrechtlichen Schutzpflichten siehe Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992; Stern, DöV 2010, 241 (241 ff.) sowie Szczekalla, Die sogenann1
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C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
rechtsträger vor Verletzungen und Gefährdungen seiner Grundrechte durch Handlungen, die nicht vom Staat ausgehen und diesem auch nicht zuzurechnen sind, insbesondere von privaten Dritten, zu schützen.4 Aus den Schutzpflichten kann sich eine Handlungsaufforderung an den Staat ergeben, es kann geboten sein, durch den Erlass rechtlicher Regelungen und deren Anwendung die Gefahr von Grundrechtsverletzungen zu verhindern und dadurch Schutz zu gewährleisten.5 Gleichzeitig korrelieren die staatlichen Schutzpflichten mit einem Schutzrecht der einzelnen Bürger, sofern diesen ein subjektives öffentliches Recht zusteht,6 wenn auch regelmäßig nicht auf eine konkrete gesetzliche Maßnahme, sondern lediglich auf ein grundsätzliches Tätigwerden des Gesetzgebers, bei welchem ihm jedoch ein großer Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zusteht, in dem er auch konkurrierende öffentliche und private Interessen berücksichtigen kann bzw. zu berücksichtigen hat.7 Der Spielraum ist hier im Gegensatz zur Abwehrfunktion deutlich vergrößert;8 die Maßnahmen sind nur begrenzt gerichtlich überprüfbar.9 Je höher die Stellung des Rechtsguts innerhalb der Werteordnung des Grundgesetzes ist, desto größer ist jedoch die Schutzpflicht.10 Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, Art und Umfang des Schutzes im Einzelnen festzulegen; erforderlich ist jedoch ein angemessener Schutz unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter, der als solcher wirksam sein muss; er muss Mindestanforderungen entsprechen.11 Eine Verletzung der Schutzpflichten liegt daher nur dann vor, wenn der Staat unzureichende oder ungeeignete Maßnahmen getroffen hat oder wenn er untätig geblieben ist.12 Ist die Legislative als eine der drei Staatsgewalten der Schutzpflicht nicht oder nicht in ausreichendem Maße nachgekommen, so hat die Judikative als eine weitere der ten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002. Zur „Schutzgebotsfunktion der Grundrechte“ siehe Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, 38 ff., 71 ff. 4 Vgl. BVerfGE 125, 39 (78); BVerfGE 88, 203 (251); Jarass/Pieroth/Jarass, Vorb. vor Art. 1, Rdnr. 8; Merten/Papier/Jarass, § 38 Rdnr. 24; Dreier/Dreier, Vorb., Rdnr. 101 ff. 5 Wenzel/Sodan, Kap. 1 Rdnr. 87; Jarass/Pieroth/Jarass, Vorb. vor Art. 1, Rdnr. 8; BVerfGE 49, 89 (142); BVerfG, NVwZ 2009, 1489 (1489); BVerfG, NVwZ 2009, 1494 (1495). 6 Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl. (2014), § 2 Rdnr. 24; dazu ausführlicher Sachs/Sachs, Vor Art. 1, Rdnr. 39 ff. 7 BVerfGE 77, 170 (214 f.); BVerfGE 79, 174 (202); BVerfGE 85, 191 (212); BVerfGE 125, 39 (78); Wenzel/Sodan, Kap. 1 Rdnr. 88 f.; vgl. BVerfG, NVwZ 2009, 1489 (1489); BVerfG, NJW 1998, 2961 (2962); BVerfG, NVwZ 2009, 1494 (1495). 8 BVerfGE 96, 56 (64); BVerfGE 133, 59 (76 Rdnr. 45); Jarass/Pieroth/Jarass, Vorb. vor Art. 1, Rdnr. 8. 9 BVerfGE 79, 174 (202). 10 BVerfGE 39, 1 (42); vgl. auch Lechner/Zuck, § 90 Rdnr. 110 ff. 11 BVerfGE 88, 203 (254 f.); Sachs/Sachs, Vor Art. 1, Rdnr. 36. 12 BVerfGE 77, 170 (215); BVerfGE 79, 174 (202); BVerfGE 92, 26 (46).
C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
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drei Staatsgewalten durch ihre Entscheidungsfindung im Einzelfall zwischen Privaten der Schutzpflicht gegenüber dem Bürger nachzukommen und diesen vor Gefährdungen seiner Grundrechte durch Handlungen anderer Bürger zu schützen. Neben der Wahrnehmung der Schutzfunktion kann die Judikative als Ausfluss ihrer Grundrechtsbindung auch verpflichtet sein, die Abwehrrechte des Bürgers wahrzunehmen, wenn beispielsweise die von der Legislative erlassenen Regelungen zu weitgehend in dessen Grundrechte eingreifen. Dies kann sich dann beispielsweise in Form der Vorlage einer konkreten Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht, Art. 100 GG, äußern.13 Die Bindung des Zivilrichters, der über bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten im Rahmen des Arzt-Patient-Verhältnisses entscheidet, an die Grundrechte ergibt sich wie bereits erläutert zunächst aus Art. 1 Abs. 3 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Zivilrichter bei seiner Entscheidung zwar nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden sei, dies jedoch „insoweit in Betracht [komme], als das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt zugleich Elemente objektiver Ordnung aufgerichtet hat, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung haben, mithin auch das Privatrecht beeinflussen“.14 Dies zeigt sich auch anhand der Pflicht zur verfassungskonformen Auslegung,15 die auch den Zivilrichter bei der Auslegung zivilrechtlicher Normen als Voraussetzung von deren Anwendung auf den konkreten Einzelfall zwischen Privaten trifft.16 Die durch Auslegung gewonnenen, der Entscheidung zugrunde gelegten Grundsätze sind an den Grundrechten zu messen und müssen folglich, sofern sie in Grundrechte eingreifen, verhältnismäßig sein;17 auch dann, wenn sie konkurrierende Grundrechte Privater ausgleichen sollen.18 Die Grundrechtsbindung der Judikative bei ihren Entscheidungen führt somit faktisch zu einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zwischen den am Rechtsstreit Beteiligten, mithin zwischen Arzt und Patient. Die Grundrechte strahlen somit in das Privatrecht aus.19 13
Siehe dazu bereits oben unter A. 1. BVerfGE 73, 261 (269); vgl. BVerfGE 7, 198 (205). In der Literatur wird dagegen eine unmittelbare Bindung vertreten, vgl. Canaris, JuS 1989, 161 (162); Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, 30 ff. Auf die Unterscheidung kommt es hier jedoch nicht an; wichtig ist, dass der Zivilrichter jedenfalls an die Grundrechte gebunden ist. 15 Siehe dazu oben unter A. III. 1. e). 16 Vgl. BVerfGE 95, 267 (306); BVerfGE 65, 196 (215); BVerfGE 81, 29 (31). 17 Vgl. Canaris, JuS 1989, 161 (162); Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, 30 ff.; vgl. zur Verfassungswidrigkeit richterlicher Auslegung und Anwendung einer gesetzlichen Bestimmung z. B. BVerfGE 69, 188 (205); BVerfGE 58, 369 (374 f.); vgl. auch BVerfGE 81, 29 (31); BVerfGE 79, 283 (290). 18 Vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, 31. 19 Vgl. Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999, 23 ff. 14
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C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
I. Grundrechte des Patienten Patientenrechte weisen unterschiedliche Bezugspunkte und Funktionen auf.20 Kluth nennt fünf Ziele, von denen drei im hiesigen Kontext relevant werden: der Integritätsschutz, der Autonomieschutz sowie die Qualitätssicherung als unerlässliche Ergänzung des Integritätsschutzes.21
1. Achtung der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG Die Würde des Menschen stellt den obersten Verfassungswert des Grundgesetzes dar,22 sie schützt den sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Menschen23 und ist uneinschränkbar.24 Die Unantastbarkeit der Menschenwürde untersagt die Degradierung des Menschen zum bloßen Objekt staatlichen Handelns, die Subjektqualität jedes Menschen muss beachtet werden.25 Der Einzelne soll einem reinen Abwägungsprozess entzogen werden, dies wird durch die Verwendung der Terminologie „Würde“ statt „Wert“ deutlich.26 Sie bringt die Subjektivität des menschlichen Daseins zum Ausdruck und ist aufgrund ihrer Unabdingbarkeit vom Staat zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 S. GG);27 ob sie von privater Seite zu achten ist, ist streitig.28 Die aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ableitbare verfassungsrechtliche Schutzpflicht kann es gebieten, der Gefahr von Grundrechtsverletzungen durch rechtliche Regelungen vorzubeugen.29 Die Menschenwürde umfasst zum einen das Autonomie-, zum anderen das in der Schutzpflicht zum Ausdruck kommende Fürsorgeprinzip; die Schutzpflicht tritt als Pendant zur Gewährleistung von Autonomie zutage, während sich beide gegenseitig ergänzen.30 Der Begriff Autonomie entstammt den griechischen Wörtern „autos“ Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (130); Welge/Linde mann, in: Kranich/Böcken (Hrsg.), Patientenrechte und Patientenunterstützung in Europa, 1997, 104 (104). Einen Überblick zu Patientenrechten geben Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, 1999 sowie Hanika, MedR 1999, 149 (149 ff.). 21 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (130). 22 BVerfGE 6, 32 (41); BVerfGE 109, 279 (311); BVerfGE 102, 370 (389). 23 Vgl. BVerfGE 30, 173 (194); BVerfGE 87, 209 (228). 24 Sachs/Höfling, Art. 1, Rdnr. 11, 17. 25 Vgl. u. a. BVerfGE 30, 1 (24 f.); BVerfGE 87, 209 (228); BVerfGE 96, 375 (399); Sachs/ Höfling, Art. 1, Rdnr. 15 f.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/Hofmann, Art. 1, Rdnr. 7. 26 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (136); ähnlich Sachs/ Höfling, Art. 1, Rdnr. 8, 11. 27 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (135). 28 Ob dies tatsächlich der Fall ist und in welchem Umfang siehe Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 1, Rdnr. 4 m. w. N. 29 BVerfGE 49, 89 (142); vgl. auch BVerfGE 88, 203 (251). 30 Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, 1997, 18 ff. 20
I. Grundrechte des Patienten
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(selbst) und „nomos“ (Gesetz) und steht, je nach Zusammenhang, für Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, Willensfreiheit oder Selbstbestimmung.31 Ursprünglich wurde das Wort in der griechischen Sprache mit Souveränität gleichgesetzt.32 Grundsätzlich steht die Wahrnehmung der Autonomie im Vordergrund; ist der Einzelne dazu nicht imstande, so erlangt das Fürsorgeprinzip Bedeutung.33 Die Menschenwürdegarantie ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weit gefasst, sodass bereits dem ungeborenen Kind im Mutterleib die Menschenwürde zusteht.34 Allerdings folgt aus der Absolutheit des Wortlauts nicht, dass grundsätzlich jede Beeinträchtigung unzulässig ist, dies gilt vielmehr nur für schwere Beeinträchtigungen des Kernbereichs menschlicher Existenz.35 Streitig ist zwar, ob der Menschenwürde überhaupt Grundrechtscharakter zukommt, dies wird von der Rechtsprechung sowie der herrschenden Meinung im Schrifttum jedoch angenommen.36 Dies ist insofern von geringer Bedeutung, als die Relevanz der Menschenwürde häufig vor allem in der Ergänzung der Freiheitsrechte des Grundgesetzes durch eine übergreifende Schutzkategorie zum Ausdruck kommt,37 sodass diese vorrangig heranzuziehen sind.38 Speziell im Arzt-Patient-Verhältnis kann der Menschenwürde ein Leitbild hinsichtlich des Umgangs mit Patienten, das deren Subjektqualität hervorhebt, entnommen wer-
31 Kunkel-Razum, Duden – Das Fremdwörterbuch, 11. Aufl. (2015), 111. In Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, 1971, Sp. 701 ff. finden sich neben Selbstbestimmung noch die Bedeutungen Selbstgesetzgebung und Eigengesetzlichkeit. 32 Sacher, Staatslexikon, 5. Aufl. (1926), Sp. 534; Bachem, Staatslexikon, 4. Aufl. (1911), Sp. 498. 33 Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, 1997, 20. 34 BVerfGE 88, 203 (251); Münch/Kunig/Kunig, Art. 1, Rdnr. 14; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 1, Rdnr. 8; a. A. Dreier/Dreier, Art. 1 I, Rdnr. 68 ff.; Ipsen, DVBl 2004, 1381 (1384). 35 Ratzel/Luxenburger/Ratzel, Kap. 4 Rdnr. 18. 36 Das Bundesverfassungsgericht hat die Menschenwürde (ohne nähere Begründung) als Grundrecht angenommen, vgl. u. a. BVerfGE 1, 332 (343); BVerfGE 15, 283 (286); BVerfGE 109, 133 (151). Im Schrifttum ebenso Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 1, Rdnr. 3; Maunz/Dürig/Her degen, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 29; Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 28 ff.; Sachs/ Höfling, Art. 1, Rdnr. 5 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Band IV/1, 2006, § 97 Rdnr. 61; Umbach/Clemens/Robbers, Art. 1, Rdnr. 33. Anderer Meinung dagegen argumentativ begründend Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl. (2014), § 2 Rdnr. 14; Dreier/Dreier, Art. 1 I, Rdnr. 121 ff.; Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur in der grundgesetzlichen Ordnung, 1995, 45 f.; Isensee, AöR 2006, 173 (209 f.); Friauf/Höfling/ Enders, Art. 1, Rdnr. 63; Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, 1990, 164 ff. 37 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (136); vgl. auch Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 1, Rdnr. 3, 5. 38 Sachs/Höfling, Art. 1, Rdnr. 67; Münch/Kunig/Kunig, Art. 1, Rdnr. 69; Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, 1997, 24; Sodan/Sodan, Art. 1, Rdnr. 28.
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C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
den.39 Der Patient darf im Behandlungsverhältnis keinesfalls zum bloßen Objekt degradiert werden. So hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorgehoben, dass „der Anspruch des Patienten auf Unterrichtung über Befunde und Prognosen […] Ausdruck des durch grundrechtliche Wertungen geprägten Selbstbestimmungsrechts und der personalen Würde des Patienten (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG) [ist], die es verbieten, ihm im Rahmen der Behandlung die Rolle eines bloßen Objekts zuzuweisen“.40
Die Menschenwürde des Patienten gebietet es, „sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist“.41 Darüber hinaus kommt der Menschenwürde in Verbindung mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine besondere Bedeutung im Arzt-Patient-Verhältnis zu, dazu sogleich.
2. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schützt mit dem Recht auf Leben zunächst das körperliche Dasein im Sinne der biologisch-physischen Existenz vom Zeitpunkt ihres Entstehens bis zum Eintritt des Todes.42 Streitig ist, ob hinsichtlich des Zeitpunkts des Entstehens auf die Empfängnis oder die Nidation abzustellen ist,43 sowie, ob der Hirn- oder Herztod maßgeblich ist;44 dies ist für die in dieser Arbeit betrachteten Fragestellungen jedoch nicht von Belang. Dem Recht auf Leben kommt im Rahmen der Wertordnung des Grundgesetzes ein Höchstwert zu.45 Das Recht auf körperliche Unversehrtheit schützt die Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinn sowie im geistig-seelischen Bereich (psychische Krankheitszustände), sofern eine Vergleichbarkeit zu körperlichen Schmerzen Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (138). BVerfGK 4, 203 (208). 41 BGHZ 154, 205 (205, 217). 42 Vgl. BVerfGE 115, 118 (139); Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 2 II, Rdnr. 25; Mangoldt/ Klein/Starck/Starck, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 192; Kloepfer, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, 2001, 77 (81). 43 Dies sind jedenfalls die herrschenden Meinungen. Zum Streitstand siehe Maunz/Dürig/ Di Fabio, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rdnr. 24 ff. m. w. N. für beide Ansichten. 44 Die herrschende Meinung stellt auf den Hirntod ab, die Gegenauffassung auf den Herz-Kreislauf-Stillstand, vgl. Spickhoff/Steiner/Müller-Terpitz, Art. 2 GG, Rdnr. 11, 24 f. 45 BVerfGE 49, 24 (53); vgl. auch BVerfGE 39, 1 (42); BVerfGE 115, 118 (139); Dreier/ Schulze-Fielitz, Art. 2 II, Rdnr. 21. 39 40
I. Grundrechte des Patienten
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feststellbar ist.46 Die Bagatellgrenze muss zudem überschritten werden.47 Darüber hinaus ist die körperliche Integrität als solche geschützt, sodass jeder Eingriff in diese, auch der Heileingriff, einen Eingriff in den Schutzbereich darstellt,48 unabhängig davon, ob dabei Schmerzen entstehen.49 Nicht geschützt ist das bloße körperliche Wohlbefinden,50 ebenso wenig eine allumfassende Gesundheit, wie sie durch die Weltgesundheitsorganisation statuiert wurde51 („Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“52). Folglich statuiert Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kein Recht auf Gesundheit,53 ein solches lässt sich auch nicht aus der Menschenwürde oder dem Sozialstaatsprinzip ableiten.54 Das Recht auf Leben und dasjenige auf körperliche Unversehrtheit überschneiden sich – ein Eingriff in das Lebensrecht umfasst für gewöhnlich einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, während ein Eingriff in diese gleichzeitig eine Gefahr für das Leben darstellen kann.55 In seiner Funktion als Abwehrrecht schützt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vor staatlichen Eingriffen in die genannten Rechte, diese spielen jedoch im Arzt-Patient-Verhältnis allenfalls insofern eine Rolle, als der Staat dem Arzt eine Handlungspflicht überträgt, ihn also zu einem Verwaltungshelfer oder Beliehenen macht, um staatlich instruierte Eingriffe zu vollziehen56 (beispielsweise bei eiBVerfGE 56, 54 (73 ff.); Pieroth/Schlink/Kingreen u. a. (Hrsg.), Grundrechte – Staatsrecht II, 31. Aufl. (2015), Rdnr. 420; Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2, Rdnr. 83; Schütz, JuS 1996, 498 (502). 47 BVerfGE 17, 108 (115); Münch/Kunig/Kunig, Art. 2, Rdnr. 66; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, 225; a. A. Isensee/Kirchhof/Müller-Terpitz, § 147, Rdnr. 43. 48 BVerfGE 52, 131 (174 f.) (abweichende Meinung Hirsch, Niebler, Steinberger); Wenzel/ Sodan, Kap. 1 Rdnr. 25; Sodan/Sodan, Art. 2, Rdnr. 29. 49 Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 2 II, Rdnr. 33, 38; Münch/Kunig/Kunig, Art. 2, Rdnr. 62. 50 Wenzel/Sodan, Kap. 1 Rdnr. 23; Schmidt-Aßmann, AöR 1981, 205 (210); Jarass/Pieroth/ Jarass, Art. 2, Rdnr. 83. A.A.: Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, 28; ähnlich BVerwG, NJW 1995, 2648 (2649) mit kritischer Anmerkung Schütz, JuS 1996, 498 (502). 51 Schmidt-Aßmann, AöR 1981, 205 (209); Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rdnr. 57. Ausführlich dazu, warum es kein Recht auf Gesundheit gibt, siehe Fiebig, Freiheit für Patient und Arzt, 1985, 41 ff. 52 Deutsche Übersetzung, online abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/classifiedcompilation/19460131/201405080000/0.810.1.pdf (Stand: 08.07.2018). 53 Ratzel/Luxenburger/Ratzel, Kap. 4 Rdnr. 10; Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl. (2014), § 2 Rdnr. 6; Wenzel/Sodan, Kap. 1 Rdnr. 23; Sachs/Murswiek, Art. 2, Rdnr. 150. 54 Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl. (2014), § 2 Rdnr. 7. 55 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rdnr. 53; Dreier/Schulze-Fielitz, Art. 2 II, Rdnr. 21. 56 Es handelt sich dann um faktisch-mittelbare Beeinträchtigungen, die ebenfalls Grund46
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C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
nem Impfzwang57). Hier geht es jedoch schwerpunktmäßig um Eingriffe des Arztes in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des Patienten unabhängig von staatlichen Handlungspflichten, sodass hier statt der Abwehrfunktion die Schutzfunktion und somit die Pflicht des Staates, den Patienten vor solchen Einwirkungen Privater zu schützen, die in dessen Leben oder körperliche Unversehrtheit eingreifen, im Vordergrund steht. Die staatlichen Organe sind verpflichtet, „sich schützend und fördernd vor die in Art. 2 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren“.58 Dem kommt der Staat durch Erlass von Rechtsnormen, bei denen er Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gegen kollidierende Grundrechte abwägt, nach.59 Da ärztliche Heileingriffe in die körperliche Unversehrtheit eingreifen, vgl. oben, sind diese durch Aufklärung und Einwilligung zu rechtfertigen.60 Aus der Bedeutung des Grundrechts auf Leben lässt sich darüber hinaus ableiten, dass die verfahrensrechtlichen Anforderungen, insbesondere hinsichtlich der Information, Aufklärung, Einwilligung, des Behandlungsstandards sowie des konkreten Behandlungsvorgangs zur Absicherung (möglicher Beeinträchtigungen) bei das Leben berührenden Eingriffen besonders ausgeprägt sein müssen.61 Gleichzeitig kommt der Schutzpflicht im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG noch eine andere Bedeutung zu, nämlich die des Schutzes der freiberuflichen Tätigkeit im Interesse des Patienten.62 Das eine „wesentliche Bedingung für eine erfolgreiche ärztliche Behandlung“63 darstellende höchstpersönliche Vertrauensverhältnis ist charakteristisch für die freiberufliche ärztliche Tätigkeit, sodass der Schutz der am Wohl der Patienten orientierten Ärzte sowohl den Interessen der Patienten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als auch denjenigen der Ärzte aus Art. 12 rechtseingriffe darstellen können, zu solchen vgl. BVerfGE 66, 39 (60) sowie Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 7. Aufl. (2016), § 24 Rdnr. 7 ff. 57 Zum Impfzwang vgl. BGHSt 4, 375; BVerwGE 9, 78 (78 ff.). Vgl. § 20 Abs. 6 S. 1, Abs. 7 S. 1 IfSG sowie ausführlich zur grundrechtlichen Zulässigkeit am Beispiel der Masernimpfung Schaks/Krahnert, MedR 2015, 860 (860 ff.). 58 BVerfGE 56, 54 (73); vgl. auch u. a. BVerfGE 39, 1 (41); BVerfGE 88, 203 (251); BVerfGE 115, 25 (45); BVerfGE 121, 317 (356). 59 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rdnr. 86. 60 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (144); vgl. auch Münch/Kunig/Kunig, Art. 2, Rdnr. 65; Hufen, ZRP 2003, 248 (251); Höfling/Lang, in: Feuerstein/Kuhlmann (Hrsg.), Neopaternalistische Medizin, 1999, 17 (21 f.) sowie Di Fabio, der noch der aufgrund zahlreicher Judikativ- und Legislativakte überholten Ansicht folgt, bei einer wirksamen Einwilligung liege erst gar kein Eingriff vor, Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rdnr. 69 f. Rechtsprechungsnachweise finden sich bei Schwill, Aufklärungsverzicht und Patientenautonomie, 2007, 251 Fn. 1266. 61 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (143). 62 Wenzel/Sodan, Kap. 1 Rdnr. 92. 63 BSGE 59, 172 (179).
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Abs. 1 GG zugutekommt.64 Die Berufsfreiheit „ist ein Recht im Dienste des Patienten und seiner Gesundheit“.65 Der Patient muss zwischen verschiedenen Therapiemethoden wählen können,66 sodass der Arzt befugt sein muss, verschiedene Behandlungsmethoden (auch Neulandmethoden) anzuwenden. Darüber hinaus erwächst aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ein Leistungsanspruch auf flächendeckende und hinreichende medizinische Versorgung, die einen gewissen Qualitätsstandard erfüllen muss, da dies für den Grundrechtsgebrauch unverzichtbar ist (und die medizinische Versorgung staatlich monopolisiert ist).67 Sicherheit und Qualität der medizinischen Behandlung sind zu gewährleisten.68 Qualitätssicherung und -verbesserung erfolgt beispielsweise durch das Erfordernis der Beachtung des allgemein anerkannten Standards (§ 630a Abs. 2 BGB) sowie durch die Pflicht, über alternative Behandlungsmethoden aufzuklären.69
3. Selbstbestimmungsrecht Darüber hinaus steht dem Patienten ein umfangreicher Autonomieschutz in der medizinischen Versorgung zu,70 welcher vor allem dort relevant wird, wo In formationen und Handlungen Dritter für die Selbstbestimmung eine Rolle spielen.71 Patientenautonomie soll durch Information, Einwilligung und Wahlrechte gewahrt werden.72 Streitig ist, ob das Recht auf medizinische Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG73 oder aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 64
Wenzel/Sodan, Kap. 1 Rdnr. 92. Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. II Rdnr. 4; so heißt es auch in § 1 Abs. 1 BÄO: „Der Arzt dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes“. 66 Fiebig, Freiheit für Patient und Arzt, 1985, 107. 67 Vgl. Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (142); vgl. auch Welge/Lindemann, in: Kranich/Böcken (Hrsg.), Patientenrechte und Patientenunterstützung in Europa, 1997, 104 (104); Kunig dagegen sieht hier die größere Bedeutung beim Sozialstaatsprinzip, vgl. Münch/Kunig/Kunig, Art. 2, Rdnr. 60. 68 Hanika, MedR 1999, 149 (158). 69 Vgl. Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (134). 70 Welge/Lindemann, in: Kranich/Böcken (Hrsg.), Patientenrechte und Patientenunterstützung in Europa, 1997, 104 (104); Hanika, MedR 1999, 149 (157); Hofmann zufolge liege der Selbstbestimmungsgedanke dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrunde, vgl. Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke/Hofmann, Art. 1, Rdnr. 63. 71 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (146 f.). 72 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (133). 73 Dies ist mittlerweile wohl die herrschende Meinung. Vgl. BVerfGE 52, 131 (174) (abweichende Meinung der drei dissertierenden Richter Hirsch, Niebler und Steinberger); BVerfGE 89, 120 (130); Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl. (2014), § 2 Rdnr. 36; Schnitzler, Das Recht der Heilberufe, 2004, 234 f. m. w. N.; Spickhoff/Steiner/Müller-Terpitz, Art. 2 GG, 65
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Abs. 1 GG74 abzuleiten ist; dies hängt davon ab, ob die körperliche Integrität oder das Persönlichkeitsrecht als schwerpunktmäßig geschützt bzw. betroffen angesehen wird. In ihrer abweichenden Meinung führen die drei Richter Hirsch, Niebler und Steinberger aus, dass „Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG […] die Unversehrtheit des Menschen nicht lediglich nach Maßgabe seines jeweiligen konkreten Gesundheits- oder Krankheitszustands [schützt]; es gewährleistet zuvörderst Freiheitsschutz im Bereich der leiblich-seelischen Integrität des Menschen, nicht aber beschränkt es sich auf speziellen Gesundheitsschutz. Auch der Kranke oder Versehrte hat das volle Selbstbestimmungsrecht über seine leiblich-seelische Integrität.“; „[d]ie Bestimmung über seine leiblich-seelische Integrität gehört zum ureigensten Bereich der Personalität des Menschen. In diesem Bereich ist er aus der Sicht des Grundgesetzes frei, seine Maßstäbe zu wählen und nach ihnen zu leben und zu entscheiden“.75
Die konkrete Verortung kann insbesondere im Rahmen von Folgefragen und -problemen relevant werden; da solche jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit sind, kann die konkrete Verortung hier dahinstehen, da über die Existenz jedenfalls Einigkeit herrscht.76 Es sichert, dass Eingriffe in Leben und körperliche Unversehrtheit nur mit Einwilligung des Patienten zulässig sind77 und ist Rechtsgrund der Aufklärungspflicht.78 Die Aufklärung soll die Selbstbestimmung des Patienten bei der Therapiewahl ermöglichen.79 Dieser Autonomieschutz legt verfassungsrechtliche Maßstäbe für Informationsansprüche und -rechte hinsichtlich der Aufklärung sowie Mitwirkungsrechte fest und stärkt die Beteiligung des Patienten bei der Entscheidung.80 Gleichzeitig umfasst der Autonomieschutz das
Rdnr. 12; Höfling/Lang, in: Feuerstein/Kuhlmann (Hrsg.), Neopaternalistische Medizin, 1999, 17 (19). 74 BVerfGE 52, 131 (168); Zuck begründet dies damit, dass es mehr um die Entscheidungsfreiheit als um den Schutz vor Eingriffsfolgen gehe, Zuck, NJW 1991, 2933 (2933); Hanika, MedR 1999, 149 (157); Welge/Lindemann, in: Kranich/Böcken (Hrsg.), Patientenrechte und Patientenunterstützung in Europa, 1997, 104 (104); Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2, Rdnr. 204; Schneider, MedR 2000, 497 (497); Hauck, SGb 2014, 8 (10); Nebendahl, MedR 2009, 197 (199); Spickhoff, AcP 2008, 345 (390). 75 BVerfGE 52, 131 (174 f.). Auf den Charakter als Freiheitsrecht abstellend auch BVerfGE 89, 120 (130); vgl. auch BVerfGE 128, 282 (304). 76 Schnitzler, Das Recht der Heilberufe, 2004, 233; Hufen, ZRP 2003, 248 (250). 77 Coester-Waltjen, MedR 2012, 553 (553). 78 Laufs, Berufsfreiheit und Persönlichkeitsschutz im Arztrecht, 1982, 17; vgl. Fiebig, Freiheit für Patient und Arzt, 1985, 113. 79 Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. X Rdnr. 99. 80 Vgl. Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (147); zur Voraussetzung der Aufklärung zur Sicherung der Patientenautonomie siehe Welge/Lindemann, in: Kranich/Böcken (Hrsg.), Patientenrechte und Patientenunterstützung in Europa, 1997, 104 (104 f.).
I. Grundrechte des Patienten
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Recht, auf eine Behandlung zu verzichten, mithin das Recht zur Krankheit,81 sowie das Recht auf Nichtwissen, auf einen Aufklärungsverzicht.82 Zum Recht auf Nichtwissen in Form des Aufklärungsverzichts führt der Bundesgerichtshof aus, dass „[e]s […] auch zur Selbstbestimmung des Patienten [gehört], daß er dem Arzt seines Vertrauens freie Hand geben darf, vielleicht in dem nicht unvernünftigen Bestreben, sich selbst die Beunruhigung durch Einzelheiten einer Gefahr zu ersparen“.83
Zum Recht zur Krankheit hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich entschieden, dass „[d]ie grundrechtlich geschützte Freiheit […] auch die ‚Freiheit zur Krankheit‘ [einschließt] und damit das Recht […], auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt sind“.84 Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass „[e]in Behandlungsabbruch […] bei entsprechendem Patientenwillen als Ausdruck seiner [des Patienten] allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) grundsätzlich anzuerkennen“ ist.85 Eine (Zwangs-)Behandlung gegen den Willen des Patienten ist unzulässig.86 Ob die konkrete Entscheidung nach objektiven Maßstäben vernünftig ist, ist nicht relevant; sie darf eine Selbstgefährdung oder -schädigung darstellen.87 Diesbezüglich führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Die Freiheitsgrundrechte schließen das Recht ein, von der Freiheit einen Gebrauch zu machen, der – jedenfalls in den Augen Dritter – den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwiderläuft. Daher ist es grundsätzlich Sache des Einzelnen, darüber zu entscheiden, ob er sich therapeutischen oder sonstigen Maßnahmen unterziehen will, die ausschließlich seiner ‚Besserung‘ dienen“.88
Der Patient hat die Entscheidungshoheit, das „letzte Wort“ über die Vornahme einer Behandlung, lehnt er diese ab, so kann sie nicht vorgenommen werden. Demgegenüber ist sein Recht, eine bestimmte Behandlung zu fordern, einge81
BGH, NJW 1980, 1333 (1334). Stegers, in: Kranich/Böcken (Hrsg.), Patientenrechte und Patientenunterstützung in Europa, 1997, 78 (80); Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (148); vgl. Hufen, ZRP 2003, 248 (250). 83 BGH, NJW 1973, 556 (558). 84 BVerfGE 128, 282 (304). Zur „Freiheit zur Krankheit“ siehe auch BVerfGE 58, 208 (226). 85 BGHSt 40, 257 (260). 86 BGHZ 163, 195 (197 f.); vgl. BGHZ 154, 205 (205, 217). 87 BGHSt 11, 111 (113); Schnitzler, Das Recht der Heilberufe, 2004, 234, 247 ff.; ähnlich Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte, 1994, 105. 88 BVerfGE 128, 282 (304); vgl. auch BGH, NJW 1980, 1333 (1334); BVerfGE 22, 180 (219 f.). 82
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C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
schränkt, er kann den Arzt nicht nötigen, eine Behandlung vorzunehmen, die den professionellen Standards oder seinem Gewissen widerspricht.89 Bei dem Selbstbestimmungsrecht handelt es sich somit um ein Abwehrrecht, nicht dagegen um ein Anspruchsrecht. Dem Gesetzgeber obliegt die Pflicht, die Rahmenbedingungen zur Sicherung der Patientenautonomie aufzustellen, wohlgemerkt innerhalb seines Gestaltungsspielraums.90 Dass gleichzeitig Pflichten in Form von Obliegenheiten dem Patienten auferlegt werden (vgl. § 630c Abs. 1 BGB), steht dem Autonomiegedanken nicht entgegen, da diese von der Eigenverantwortlichkeit und Freiheit des Patienten ausgehen.91 Wird der Fokus auf die Aufklärung gelegt, so hat diese zwar Bezug zum Körper des Patienten, schützt allerdings primär die Entscheidungsfreiheit des Patienten und damit seine Autonomie, sodass sich diesbezüglich gut vertreten lässt, die Grundlage der Aufklärung eher im Bereich der Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG anzusiedeln.92 Bei der Aufklärung sind nicht nur Aspekte der Einwirkungen auf die körperliche Integrität relevant, sondern gleichfalls mögliche Einschränkungen des restlichen Lebens, sei es der Berufsausübung, der Mobilität, der Sportausübung o. Ä., zugleich beeinflusst die Aufklärung nicht nur gesundheitsrelevante Entscheidungen, sondern gleichzeitig oft private Entscheidungen hinsichtlich der weiteren Lebensgestaltung und -führung, sodass die gesamte Persönlichkeit des Patienten betroffen ist. Wird speziell die Einwilligung betrachtet, so umfasst diese verschiedene Dimensionen. Zum einen die Einwilligung in den Eingriff, sprich die Körperverletzung, zum anderen in die Gefahr, dass sich ein der Behandlung immanentes Risiko verwirklicht und des Weiteren in die Ausforschung durch Datenerhebung, beispielsweise bei einer Blutuntersuchung.93 Letzteres lässt sich unschwer dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Fallgruppe des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zuordnen.94 Dagegen betrifft die Einwilligung in die Körperverletzung zwar auch das Persönlichkeitsrecht, vorrangig und tiefgreifend jedoch das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Schließlich schützt Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht nur in biologischer Hinsicht die Körperlichkeit, sondern ebenso die Selbstbestimmung über die körperliche Integrität und somit die diesbezügliBrock, Life and Death, 1993, 23. Siehe dazu auch unter C. II. 2. Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (147); vgl. auch Schnitzler, Das Recht der Heilberufe, 2004, 234. 91 Vgl. Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (148); zur Mitwirkung des Patienten siehe auch BVerfGE 52, 131 (170). 92 Schwill, Aufklärungsverzicht und Patientenautonomie, 2007, 284 ff. 93 Deutsch, AcP 1992, 161 (166 f.). 94 Siehe dazu sogleich unter C. I. 5. 89 Vgl. 90
I. Grundrechte des Patienten
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che Willenssphäre.95 Dann ist es stringent, die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund für die Körperverletzung anzusehen (es ist zu beachten, dass nicht von der einfachrechtlichen Rechtfertigungsdoktrin auf eine verfassungsrechtliche Zuordnung geschlossen werden darf, sondern allenfalls umgekehrt). Darüber hinaus deckt sich dies mit der strafrechtlichen Einordnung als Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB.96 Die Einwilligung in das Risiko hat primär das Entfallen etwaiger Ersatzansprüche zur Folge und betrifft somit vorwiegend vermögensrechtliche Aspekte.97 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die verschiedenen Aspekte des Selbstbestimmungsrechts bzw. der Patientenautonomie zum Teil schwerpunktmäßig auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG fußen, zum Teil dagegen auf Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, sodass eine ausschließliche Zuordnung nicht vorzunehmen ist. Aufgrund der genannten Argumente und Schutzrichtungen ist es meines Erachtens erforderlich, Aufklärung und Einwilligung getrennt zu betrachten und nicht, wie häufig geschehen, diese zusammengefasst einem bestimmten Grundrecht zuzuordnen. Für eine selbstständige Betrachtung sprechen zudem bspw. die Möglichkeit der Einwilligung trotz Aufklärungsverzichts sowie, sofern dies als erforderlich angesehen wird, das Aufklärungserfordernis trotz mangelndem Einwilligungserfordernis, beispielsweise bei nicht behandelbaren Erkrankungen, Allergien oder selbst zu behandelnden Erkrankungen wie bspw. Diabetes o. Ä.98
4. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG Die allgemeine Handlungsfreiheit schützt jedes menschliche Verhalten unabhängig davon, welches Gewicht dem Handeln für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt;99 aufgrund der Weite des Schutzbereichs nimmt sie die Funktion eines Auffanggrundrechts ein.100 Sie umfasst das Recht auf freie Arztwahl und gewährleistet dadurch, dass der Patient einen Arzt seines Vertrauens als Grundlage eines funktionierenden 95 BVerfGE 52, 131 (175); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, 224; Schwill, Aufklärungsverzicht und Patientenautonomie, 2007, 280. 96 Ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. statt vieler BGH, NJW 1972, 335 (336). 97 Vgl. Deutsch, AcP 1992, 161 (167). 98 Siehe dazu näher Schwill, Aufklärungsverzicht und Patientenautonomie, 2007, 285 ff. 99 BVerfGE 80, 137 (152); BVerfGE 91, 335 (338); Degenhart, JuS 1990, 161 (163); Friauf/ Höfling/Höfling, Art. 2, Rdnr. 26 ff. So jedenfalls die h.M., zum Streitstand siehe Sachs/Murs wiek, Art. 2, Rdnr. 42 ff. 100 Dreier/Dreier, Art. 2 I, Rdnr. 28; Pieroth, AöR 1990, 33 (33).
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C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
Arzt-Patient-Verhältnisses und einer gelungenen Behandlung auswählen kann.101 Dem steht das (eingeschränkte) Recht des Arztes zu entscheiden, ob er den konkreten Patienten behandeln will, gegenüber, vgl. § 7 Abs. 2 S. 2 MBO-Ä. Dieses ergibt sich auch aus seiner Gewissensfreiheit.102
5. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG Aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG sowie dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG leitet sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht ab. Dieses gewährleistet dem Einzelnen einen „autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann“.103 Im Gegensatz zur allgemeinen Handlungsfreiheit ist hier ein besonderer Persönlichkeitsbezug erforderlich. Art. 2 Abs. 1 GG bildet die Grundlage, während Art. 1 Abs. 1 GG die Rolle einer „Auslegungsrichtlinie“ zukommt.104 Es werden drei verschiedene Sphären mit abgestuftem Schutzniveau unterschieden: die Sozialsphäre, die Privatsphäre sowie die Intimsphäre.105 Die Intimsphäre schützt einen innersten Lebensraum, in den der Einzelne sich zurückziehen kann, in dem er sich selbst überlassen ist und in dem er ein Recht auf Einsamkeit besitzt;106 in diese darf nicht eingegriffen werden.107 Dies wird insbesondere bei stationären Behandlungen im Krankenhaus relevant.108 Die Privatsphäre umfasst den Raum, der nur für Menschen des eigenen Vertrauens, nicht dagegen für die Öffentlichkeit zugänglich ist und ist begrenzt einschränkbar, es hat eine besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen.109 Bei der 101 Vgl. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 123; Fiebig, Freiheit für Patient und Arzt, 1985, 102; vgl. auch Schnitzler, Das Recht der Heilberufe, 2004, 230. 102 Siehe dazu unter C. II. 2. 103 BVerfGE 35, 202 (220); BVerfGE 90, 263 (270); siehe dazu auch Sachs/Murswiek, Art. 2, Rdnr. 60 ff.; Umbach/Clemens/Hillgruber, Art. 2 I, Rdnr. 47. 104 Ähnlich BVerfGE 34, 238 (245); Schwill, Aufklärungsverzicht und Patientenautonomie, 2007, 290; Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 89; Jarass, NJW 1989, 857 (857). 105 Vgl. Münch/Kunig/Kunig, Art. 2, Rdnr. 41; Stern/Becker/Enders, Artikel 1, Rdnr. 50; Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (145); Schwill, Aufklärungsverzicht und Patientenautonomie, 2007, 295. 106 Vgl. BVerfG NJW 1995, 1477 (1477); siehe auch BVerfGE 27, 1 (6); BVerfGE 35, 202 (220). 107 Vgl. Pieroth/Schlink/Kingreen u. a. (Hrsg.), Grundrechte – Staatsrecht II, 31. Aufl. (2015), Rdnr. 396. 108 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (146). 109 Vgl. BVerfGE 27, 344 (351); Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 173; Schwill, Aufklärungsverzicht und Patientenautonomie, 2007, 295.
I. Grundrechte des Patienten
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Sozialsphäre ist dagegen kein besonderes Schutzniveau zu berücksichtigen, hier gelten die allgemeinen Grundsätze für einen Eingriff.110 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst verschiedene Fallgruppen, die noch nicht abschließend bestimmt sind,111 unter anderem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also die Befugnis des Einzelnen, selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart, erhoben oder verwendet werden.112 Hieraus resultiert die dem Arzt obliegende Schweigepflicht hinsichtlich medizinischer und persönlicher Daten des Patienten, welche unverzichtbar für die Aufrechterhaltung des gegenseitigen Vertrauens und eine erfolgreiche Heilbehandlung ist113 und zugleich die gewissenhafte Berufsausübung der Behandelnden fördert.114 Die Schweigepflicht bezieht sich nicht nur auf wörtliche Aussagen, sondern umfasst auch die Aufzeichnungen in Patientenakten, welche vor unbefugtem Zugriff Dritter zu sichern sind.115 Da die Daten des Patienten besonders sensibel und folglich besonders schutzwürdig sind, kommt der Schweigepflicht eine hohe Bedeutung zu.116 Sie ist zivilrechtliche Nebenpflicht, folgt aus den Berufsregeln (§ 9 MBO-Ä) und ist durch § 203 StGB strafrechtlich sanktioniert.117 Über die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte118 in das Zivilrecht ist darüber hinaus ein Anspruch auf Dokumentation und Einsichtnahme in die ihn betreffenden Behandlungsunterlagen abzuleiten.119 Der Patient hat in bestimmten Münch/Kunig/Kunig, Art. 2, Rdnr. 41; Schwill, Aufklärungsverzicht und Patientenautonomie, 2007, 295. 111 BVerfGE 54, 148 (153 f.); BVerfGE 65, 1 (41 f.); Sachs/Murswiek, Art. 2, Rdnr. 65 ff.; Degenhart, JuS 1992, 361 (361 f.). 112 BVerfGE 65, 1 (41 f.); BVerfGE 80, 367 (373); BVerfGE 117, 202 (228); BVerfGE 120, 351 (359 ff.); vgl. BVerfG, NJW 2006, 1116 (1117); Sachs/Murswiek, Art. 2, Rdnr. 72 f.; vgl. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 114, jedoch kritisch zum Begriff der „informationellen Selbstbestimmung“ m. w. N. 113 Wenzel/Sodan, Kap. 1 Rdnr. 52; vgl. Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, 79 ff.; ähnlich auch Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke/Hofmann, Art. 1, Rdnr. 63; Fiebig, Freiheit für Patient und Arzt, 1985, 132 ff. 114 Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl. (2014), § 2 Rdnr. 48. 115 Fiebig, Freiheit für Patient und Arzt, 1985, 137 f.; vgl. auch Schnitzler, Das Recht der Heilberufe, 2004, 228; vgl. BVerfGE 32, 373 (380). 116 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (149); siehe dazu Art. 8 der EG-Datenschutzrichtlinie 95/46/EG. 117 Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl. (2014), § 2 Rdnr. 48. 118 Siehe dazu BVerfGE 7, 198 (293 ff.); BVerfGE 35, 202 (219 ff.) (speziell zum APR); Jarass, NJW 1989, 857 (862); Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2, Rdnr. 138; zur mittelbaren Drittwirkung im Arzt-Patient-Verhältnis vgl. Schnitzler, Das Recht der Heilberufe, 2004, 238 f. 119 Maunz/Dürig/Di Fabio, Art. 2, Rdnr. 139, 204; Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, 1997, 56 ff.; BVerfG, MedR 1993, 232 (232); BGHZ 85, 327 110
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C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
Grenzen einen Anspruch auf Information, also darauf, von dem Behandelnden Informationen zu erhalten, die seine Rechtsgüter betreffen. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus, dass „[ä]rztliche Krankenunterlagen […] mit ihren Angaben über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen den Patienten unmittelbar in seiner Privatsphäre [betreffen]“.120 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch das Recht zu erfahren, wie mit dem eigenen Körper umgegangen wurde und welche Daten dabei erhoben wurden;121 dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Patient sich dadurch Gefahren aussetzt, die Entscheidung hierüber liegt in seinem Verantwortungsbereich.122 Das Recht auf Einsichtnahme „ergibt sich schon aus dem durch grundrechtliche Wertung geprägten Selbstbestimmungsrecht und der personalen Würde des Patienten, die es verbieten, ihm im Rahmen der Behandlung die Rolle eines bloßen Objekts zuzuweisen“.123 Ebenso hat der Patient einen Anspruch „auf Unterrichtung über Befunde und Prognosen“.124 Gleichzeitig umfasst es das Recht auf Nichtwissen von Untersuchungsergebnissen und anderen Inhalten der Patientenakte.125
6. Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 Var. 1 GG Art. 4 Abs. 1 Var. 1 GG schützt mit der Glaubensfreiheit die Überzeugung des Einzelnen von der Stellung des Menschen in der Welt sowie von seinen Beziehungen zu tieferen Seinsschichten und höheren Mächten126 und mit der Weltanschauungsfreiheit wertende Stellungnahmen hinsichtlich des Sinns des Weltgeschehens ohne transzendente Elemente.127 Es sind wie bei der Gewissensfreiheit das forum internum sowie das forum externum geschützt.128 Nach dem Bundes(332 ff.); im Grundsatz auch BGHZ 106, 146 (148); BVerwGE 82, 45 (48 ff.); vgl. auch VerfGK 7, 168 (174 f.) sowie Sachs/Murswiek, Art. 2, Rdnr. 73a. Zum Anspruch auf EinsichtB nahme siehe BVerfG, NJW 2006, 1116 (1117). Damm spricht im Zusammenhang mit Dokumentation und Einsichtnahme von „medizinrechtlichen Persönlichkeitsrechten auf informationelle Selbstbestimmung“, Damm, JZ 1998, 926 (928 f.). 120 BVerfG, NJW 2006, 1116 (1118); BVerfG, NJW 1999, 1777 (1777); BVerfGE 32, 373 (379); vgl. auch BVerfGE 44, 353 (372). 121 Koppernock, Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, 1997, 58; Deutsch, AcP 1992, 161 (171). 122 BVerwGE 82, 45 (48 f.). 123 BGHZ 85, 327 (332). 124 BVerfGK 4, 203 (208). 125 Schnitzler, Das Recht der Heilberufe, 2004, 229. 126 Stein/Frank, Staatsrecht, 21. Aufl. (2010), 263; Stern/Becker/Kästner, Artikel 4, Rdnr. 52. 127 Sachs/Kokott, Art. 4, Rdnr. 24. 128 Vgl. Stern/Becker/Kästner, Artikel 4, Rdnr. 54; Pieroth/Schlink/Kingreen u. a. (Hrsg.), Grundrechte – Staatsrecht II, 31. Aufl. (2015), Rdnr. 548; BVerfGE 32, 98 (106).
II. Grundrechte des Arztes
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verfassungsgericht resultiert daraus ein weitgehendes Selbstbestimmungsrecht, dass nicht-religiöse Lebensbereiche einschließt, soweit in diesen religiös-weltanschauliche Überzeugungen von Bedeutung sind.129 Dementsprechend hat der Arzt bei der Aufklärung solche Überzeugungen zu berücksichtigen und auf daraus resultierende Therapieveränderungen einzugehen (bspw. bei Bluttransfusionen bei Zeugen Jehovas).130
II. Grundrechte des Arztes Auf Seite des Arztes kommt der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ein großes Gewicht zu. Darüber hinaus sind die Gewissens- (Art. 4 Abs. 1, Var. 2) sowie die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) zu berücksichtigen. Schließlich ist das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) berührt und dem nemo tenetur-Grundsatz Beachtung zu schenken.
1. Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG Das einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit131 aus Art. 12 Abs. 1 GG schützt sowohl die Freiheit, den Beruf frei zu wählen, als auch ihn frei auszuüben. Es soll „Freiheit von Zwängen oder Verboten im Zusammenhang mit Wahl und Ausübung des Berufes“,132 eine „möglichst unreglementierte berufliche Betätigung“133 gewährleistet werden. Der Teilaspekt der Berufsausübungsfreiheit gewährleistet sämtliche Modalitäten der beruflichen Tätigkeit, mithin u. a. Wahl von Ort, Dauer, Inhalt und Umfang.134 Der Berufsfreiheit kommt ein besonderer Rang zu, aus ihm folgt eine grundsätzliche Freiheitsvermutung.135 Art. 12 Abs. 1 GG „konkretisiert das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit im Bereich
129 Vgl. auch BVerfGE 32, 98 (106); Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (150). 130 Vgl. Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (150). 131 BVerfGE 7, 377 (402); BVerfGE 92, 140 (151); BVerfGE 103, 172 (183). Aufgrund der Anerkennung des einheitlichen Schutzbereichs gilt auch der Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG für das gesamte Grundrecht, mithin für die Berufswahl und -ausübung, wobei jedoch bei einem Eingriff in die Berufswahl höhere Anforderungen an eine Rechtfertigung zu stellen sind als bei einer Berufsausübungsregelung. 132 BVerfGE 33, 303 (331). 133 BVerfGE 34, 252 (256); BVerfGE 54, 301 (313). 134 Tettinger, DöV 2000, 534 (537). 135 BVerfGE 63, 266 (286); vgl. auch BVerfGE 13, 97 (105) sowie BVerfGE 66, 337 (359 f.).
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C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
der individuellen Leistung und Existenzerhaltung“.136 Beruf ist jede Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient und auf gewisse Dauer angelegt ist.137 Der Beruf des Arztes zählt zu den sog. freien Berufen, vgl. § 1 Abs. 2 S. 2 PartGG, § 1 Abs. 2 BÄO. Bei dem Begriff der freien Berufe handelt es sich jedoch nicht um einen Rechtsbegriff, sondern vielmehr um einen soziologischen Begriff,138 die Einordnung als freier Beruf geht auf ein historisch gewachsenes Selbstverständnis zurück.139 Freie Berufe sind durch Selbstständigkeit140 gekennzeichnet, anders als gewerbliche Berufe sind sie jedoch grundsätzlich nicht gewerbsmäßig i. S. d. Gewerbeordnung, sie zielen nicht (vorrangig) auf eine Gewinnerzielung ab.141 Prägende Wesensmerkmale der freien Berufe sind die spezielle Fachkunde, ein großes Ausmaß an Verantwortung, ein besonderes Vertrauensverhältnis, eine unabhängige, eigenverantwortliche Stellung sowie die Selbstverwaltung über berufseigene Kammern.142 Weiteres Merkmal ist ein autonomes Berufsethos.143 Darüber hinaus sind sie gemeinwohlgebunden; Angehörige der freien Berufe werden sowohl im Interesse des Auftraggebers als auch der Allgemeinheit tätig.144 Die besondere (Aus-)Bildung und Fachkunde sind erforderlich, 136
BVerfGE 30, 292 (334); BVerfGE 101, 331 (347); BVerfGE 118, 1 (15). BVerfGE 105, 252 (265); BVerfGE 111, 10 (28); BVerfGE 115, 276 (300); vgl. auch BVerfGE 7, 377 (397). 138 BVerfGE 10, 354 (364); zustimmend Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte, 1994, 58; Ratzel/Luxenburger/Ratzel/Knüpper, Kap. 5 Rdnr. 8. 139 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (153). 140 Dabei kommt es nicht auf die wirtschaftliche Selbstständigkeit an, sodass auch bspw. in Krankenhäusern angestellte Ärzte zur Gruppe der freien Berufe zählen, auch sie sind fachlich weisungsfrei tätig. Vgl. Laufs, Berufsfreiheit und Persönlichkeitsschutz im Arztrecht, 1982, 6; Ratzel/Luxenburger/Ratzel/Knüpper, Kap. 5 Rdnr. 15; § 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 MBO-Ä; Laufs/ Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. II Rdnr. 4; BGHZ 70, 158 (167). 141 Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12, Rdnr. 268; vgl. Tettinger, DöV 2000, 534 (535); vgl. auch Sodan, der von der Erwartung altruistischen Handelns spricht, Sodan, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2013, § 53 Rdnr. 81; ähnlich MedR-Komm/Reh born, § 1 MBOÄ, Rdnr. 8 f. sowie Möstl, WiVerw 2002, 213 (216). Zu den freien Berufen vgl. Steindorff, Freie Berufe, Stiefkinder der Rechtsordnung?, 1980; Pitschas, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1996, 1 (17 ff.); Rittner, Unternehmen und freier Beruf als Rechtsbegriffe, 1962; zur neueren Rechtsprechung des BVerwG siehe Hahn, GewArch 2006, 129. 142 BVerfGE 9, 338 (351); Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12, Rdnr. 268 ff.; Sodan, Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 1997, 66 ff.; zur Bedeutung und Gefährdungen der freien Berufe siehe Zuck, NJW 2001, 2055 (2055 ff.). 143 Möstl, WiVerw 2002, 213 (220); Laufs/Kern/Laufs, § 3 Rdnr. 5; Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen und Legitimationsfragen im öffentlichen Gesundheitswesen, 2001, 38 ff. 144 Vgl. § 1 Abs. 2 S. 1 PartGG; Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12, Rdnr. 270; vgl. Jaeger, 137
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da sich die Leistungen von Freiberuflern regelmäßig einer Normierung entziehen, aufgrund des Wissensgefälles ist ein funktionierendes Vertrauensverhältnis von großer Bedeutung.145 Der Tätigkeit des Arztes wird gemeinhin nachgesagt, dass sie primär am Wohle des Patienten orientiert sei und nicht an wirtschaftlichen Gesichtspunkten.146 Zudem ist der Arzt aufgrund seines Fachwissens dem Patienten grundsätzlich überlegen, dieser Wissensvorsprung kann nicht ohne Weiteres ausgeglichen werden. Aufgrund der hochwertigen Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG), auf die der Patient dem Arzt Eingriff gewährt, herrscht ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen beiden. An die (Aus-) Bildung und Fachkunde sowie Fortbildung der Ärzte werden höchste Anforderungen gestellt, das Studium ist streng reglementiert und durch mehrere Staatsexamina abzuschließen, auch der Umfang der jährlichen Fortbildungsmaßnahmen ist vorgeschrieben. Der Beruf des Arztes verkörpert somit alle Merkmale des freien Berufs. Die Berufsfreiheit umfasst auch die Ausübung freier Berufe, jedoch steht diesen kein grundsätzlicher, von vornherein bestimmbarer erhöhter Freiheitsanspruch vor staatlichen Eingriffen zu,147 aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt auch keine Bestandsgarantie der freien Berufe.148 Sie unterfallen wie alle anderen Berufe dem einheitlichen Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG.149 Eingriffe in die Berufsfreiheit können nicht einfach mit dem Berufsbild der freien Berufe gerechtfertigt werden, für freie Berufe gelten mithin keine niedrigeren Rechtfertigungsanforderungen als für andere Berufe. Wie bei anderen Berufen sind zur Rechtfertigung vernünftige Gründe des Allgemeinwohls erforderlich, welche jedoch in der Eigenart und dem besonderen Gemeinwohlbezug der den freien Berufen übertragenen Aufgaben begründet sein können.150 Die ärztliche Therapiefreiheit als Charakteristikum des freien Berufs unterfällt der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG,151 sie stellt primär ein Ab nwBl 2000, 475 (476). Das Bundesverfassungsgericht sprach von einer „Daseinsvorsorge für A die Allgemeinheit“, BVerfGE 9, 338 (347). 145 Möstl, WiVerw 2002, 213 (219 f.). 146 Vgl. dazu bereits die Ausführungen zum Hippokratischen Eid, Genfer Gelöbnis etc. unter B. I. 147 BVerfGE 10, 354 (364); vgl. auch BVerfGE 9, 338 (347). 148 Maunz/Dürig/Scholz, Art. 12, Rdnr. 269 f.; Möstl, WiVerw 2002, 213 (217 f.). 149 Möstl, WiVerw 2002, 213 (215 f.); Jaeger, AnwBl 2000, 475 (476 f.). 150 Möstl, WiVerw 2002, 213 (216 f.); vgl. auch Pitschas, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1996, 1 (68); ähnlich auch BVerfGE 94, 372 (395). 151 Vgl. BVerfGE 102, 26 (36); Laufs/Kern/Laufs, § 3 Rdnr. 14 ff.; Laufs, in: Ahrens/Bar/ Fischer u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Deutsch, 1999, 625 (625 ff.); Sodan, in: Ehlers/Fehling/Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 2013, § 53 Rdnr. 82; Grupp, MedR 1992,
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wehrrecht des Arztes dar.152 Sie beinhaltet drei Gewährleistungen:153 Zum einen entscheidet der Arzt, ob überhaupt eine Behandlung erfolgt, zum anderen gestattet sie dem Arzt, die Behandlungsmethode auszuwählen, die nach seinem Ermessen im Einzelfall für den aufgeklärt einwilligenden Patienten unter Abwägung der Chancen und Risiken den größten Nutzen verspricht.154 Dafür ist die Weisungsunabhängigkeit des Arztes unumgängliche Voraussetzung. Gleichzeitig ist die individuelle Gewichtung der Ziele und Risiken der Behandlung sowie der zu erwartenden Lebensqualität durch den Patienten zu berücksichtigen.155 Die Freiheit der Methodenwahl rechtfertigt sich durch den medizinischen Fortschritt, die Patientenautonomie sowie die Besonderheiten des Einzelfalls.156 Als drittes Kriterium hat der Arzt die im Einzelfall angewandte Behandlung vor seinem Gewissen (und gegebenenfalls vor Gericht) zu verantworten (§ 2 Abs. 1 MBO-Ä),157 zu einer diesem widersprechenden Behandlung kann er nicht gezwungen werden. Das zweite Kriterium verdeutlicht, dass die Therapiefreiheit nicht lediglich ein Privileg des Arztes, sondern vielmehr ein fremdnütziges Recht im Interesse des Patienten ist.158 Der Arzt hat sich grundsätzlich an die allgemein anerkannten fachlichen Standards zu halten, vgl. § 630a Abs. 2 BGB. Allerdings ist zu beachten, dass jeder Einzelfall anders ist, „es gibt nicht den Standard-Patienten mit der Standard-Erkrankung, der allein durch den Standard-Arzt nach Standard-Verfahren geheilt werden könnte“.159 Deswegen sichern Therapiefreiheit und der Ermessensspielraum, dass eben nicht immer eine Standardbehandlung erfolgt, sowohl zum Schutz des Kranken als auch des Arztes.160 Durch die Beschränkung 256 (257); ausführlich zur Therapiefreiheit und deren Inhalt Schnitzler, Das Recht der Heilberufe, 2004, 242 ff.; Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. II Rdnr. 4. 152 Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl. (2014), § 2 Rdnr. 52. 153 Laufs/Kern/Laufs, § 3 Rdnr. 14; Zuck, NJW 1991, 2933 (2933); Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, 305. 154 Laufs, in: Ahrens/Bar/Fischer u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Deutsch, 1999, 625 (626); Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl. (2018), Rdnr. 200; Buchborn, MedR 1993, 328 (330). Allerdings drohen Budgetierungen und Ökonomisierung die Therapiefreiheit einzuschränken, vgl. Laufs, in: Ahrens/Bar/Fischer u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Deutsch, 1999, 625 (628, 631). 155 Buchborn, MedR 1993, 328 (330). 156 Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. X Rdnr. 89 ff. 157 Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl. (2014), § 2 Rdnr. 52; Pitschas, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1996, 1 (45 f.). 158 Laufs/Kern/Laufs, § 3 Rdnr. 14; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, 308; Buchborn, in: Kleinsorge/Hirsch/Weißauer (Hrsg.), Forschung am Menschen, 1985, 19 (19); vgl. auch Hauck, SGb 2014, 8 (8 f.). 159 Laufs, in: Ahrens/Bar/Fischer u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Deutsch, 1999, 625 (626 m. w. N.). 160 Buchborn, MedR 1993, 328 (330).
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auf den allgemein anerkannten fachlichen Standard (§ 630a Abs. 2 BGB) werden allerdings insbesondere Außenseiter- oder Neulandmethoden grundsätzlich zunächst aus der Therapiefreiheit ausgeschlossen. Gem. § 630a Abs. 2 Hs. 2 BGB sind jedoch abweichende Vereinbarungen möglich, sodass derartige Methoden nicht vollständig exkludiert werden. Die Therapiefreiheit stellt das Pendant zu Gesundheit und Autonomie des Patienten dar, sodass dessen Entschlussfreiheit zu wahren ist161 und steht darüber hinaus im Zusammenhang mit dem Recht auf freie Arztwahl des Patienten.162 Die zahlreichen Aufklärungs- und Informationspflichten, die dem Arzt im Arzt-Patient-Verhältnis obliegen (vgl. §§ 630c, 630e), stellen Berufsausübungsregelungen i. S. d. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG dar. Die Gesetzgebungskompetenz für Berufsausübungsregelungen im Bereich der ärztlichen und anderen Heilberufe obliegt grundsätzlich jedoch den Ländern, was sich aus einem Umkehrschluss aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG ergibt, welcher dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung lediglich für den Bereich der Berufszulassung zuspricht. Es handelt sich gerade nicht um eine „Globalermächtigung“.163 Die Berufsausübungsregelungen finden sich bspw. in den Heilberufsgesetzen der Länder sowie in den von den Ärztekammern aufgrund der Ermächtigung in den Heilberufsgesetzen als Satzung erlassenen Berufsordnungen. Jedoch stellt Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG keine abschließende Regelung dar; der Artikel schließt es zwar aus, vom Bund erlassene Berufsausübungsregelungen auf Nr. 19 zu stützen, dagegen jedoch nicht, etwaige Regelungen aufgrund einer anderen Kompetenznorm zu erlassen.164 Somit konnte der Bund die Berufsausübungsregelung der §§ 630a ff. BGB aufgrund seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das bürgerliche Recht gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG erlassen.165 Berufsausübungsregelungen sind grundsätzlich durch vernünftige Gründe des Allgemeinwohls zu rechtfertigen;166 hierbei besteht ein weiter Beurteilungs- und
161 Laufs, in: Ahrens/Bar/Fischer u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Deutsch, 1999, 625 (625 ff.). 162 Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. II Rdnr. 4; Laufs/Kern/Laufs, § 3 Rdnr. 14. 163 BVerfGE 102, 26 (37). 164 Vgl. BVerfGE 68, 319 (331 f.); Schnitzler, Das Recht der Heilberufe, 2004, 202. 165 Kern sieht dies kritisch. Bei Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG handele es sich gerade nicht um eine spezielle Kompetenzzuweisung gegenüber Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG; zudem werde eine Regelung nicht allein durch Aufnahme in das BGB zu einer bürgerlichrechtlichen. Er beklagt, „dass der Bundesgesetzgeber nahezu schrankenlos im Bereich des ärztlichen Berufsrechts wilder[e]“, Kern, MedR 2015, 787 (788, 790). 166 Vgl. u. a. BVerfGE 7, 377 (405); BVerfGE 65, 116 (125); BVerfGE 78, 155 (162); BVerfGE 93, 362 (369); BVerfGE 111, 10 (32); Umbach/Clemens/Umbach, Art. 12, Rdnr. 96.
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Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.167 Da es sich bei dem Beruf des Arztes jedoch um einen freien Beruf mit besonderer Verantwortung und qualifizierter Ausbildung handelt, stellt Kluth zur Überlegung, ob höhere Anforderungen an eine Rechtfertigung zu stellen seien.168 Unter der Berücksichtigung, dass der Terminus des freien Berufs kein Rechtsbegriff ist und Art. 12 Abs. 1 GG ebenso wenig eine Bestandsgarantie wie einen erhöhten Freiheitsanspruch gewährleistet (vgl. bereits oben), ist dies jedoch abzulehnen. Eine Begründung höherer Rechtfertigungsanforderungen durch das paternalistische Bild der Arzt-Patient-Beziehung vermag ebenfalls nicht zu überzeugen, da der Paternalismus, wie bereits gezeigt,169 heutzutage nicht mehr vorherrschend ist, sondern Aspekte wie die Patientenautonomie in den Vordergrund getreten sind, welche wiederum eine Ausweitung der Patientenrechte und gleichzeitig eine Ausdehnung der Arztpflichten mit sich bringen.170 Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die Berufsfreiheit sowohl die Würde als auch das Selbstbestimmungsrecht sowie Leben und Gesundheit des Pa tienten tangieren kann.171 Jedoch darf die Eigenverantwortlichkeit des Arztes durch die Gewährung von Patientenrechten nicht zu stark eingeschränkt werden, sodass der Arzt zu einem „Erfüllungsgehilfen“ des Patienten würde.172 Deswegen sind sämtliche Aufklärungs- und Informationspflichten verfassungsrechtlich zu rechtfertigen.
2. Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG Eine Gewissensentscheidung ist „jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte“.173 Die Gewissensfreiheit schützt zum einen mit dem forum internum die Freiheit der Gewissensbildung und -innehabung sowie zum anderen mit dem forum externum die Freiheit, nicht gegen eigene Gewissensentscheidungen handeln zu müssen.174 167
Vgl. BVerfGE 102, 197 (218); BVerfGE 16, 202 (224); BVerfGE 117, 163 (182 f., 189). Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (153). 169 Siehe dazu unter B. I., II. 170 Ähnlich Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (153). 171 Vgl. Laufs, Berufsfreiheit und Persönlichkeitsschutz im Arztrecht, 1982, 5. 172 Kluth, in: Schumpelick/Vogel (Hrsg.), Arzt und Patient, 2006, 125 (153). 173 BVerfGE 12, 45 (55); Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdnr. 67. 174 Sachs/Kokott, Art. 4, Rdnr. 100 f.; vgl. auch Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 4 Abs. 1, 2, Rdnr. 68; Bäumlin, VVDStRL 28 (1970), 3 (30); Isensee/Kirchhof/Bethge, § 158, Rdnr. 24 f. 168
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Im Arzt-Patient-Verhältnis bedeutet dies, dass kein Arzt verpflichtet ist, eine Behandlung vorzunehmen, die seinem Gewissen widerspricht, dies spiegelt sich in § 2 Abs. 1 MBO-Ä wieder.175 Art. 4 Abs. 1 Var. 2 gibt dem Arzt in einem derartigen Fall das Recht zur Behandlungsverweigerung, jedoch hat er seine Entscheidung glaubhaft zu machen.176 Die Gewissensentscheidung steht beim ärztlichen Dienst im Zentrum der Arbeit, in bestimmten Momenten seiner Arbeit befindet sich der Arzt in einer unvertretbaren Einsamkeit, in der er allein auf sein Gewissen gestellt ist.177 Folglich erfordert die Gewissensfreiheit des Arztes ebenso eine freie Berufsausübung (insbesondere die ärztliche Therapiefreiheit), damit er im konkreten Behandlungsfall eine Entscheidung treffen kann, die dem einzelnen Fall gerecht wird, auf der ethisch-moralischen Verpflichtung, Leiden zu lindern und Leben zu erhalten, beruht und frei von sachfremden Erwägungen ist.178 Außerdem ist die fachliche Weisungsfreiheit unverzichtbar für die Sicherstellung der Gewissensfreiheit.179 Darüber hinaus korreliert mit der Gewissensfreiheit das Recht des Arztes, die Behandlung eines Patienten abzulehnen (abgesehen von Notfällen oder ähnlichen Ausnahmen).180 Eine Einwilligung seitens des Patienten in einen Eingriff gibt dem Arzt zwar die Befugnis zu diesem, verpflichtet ihn jedoch nicht, diesen tatsächlich vorzunehmen.
3. Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG Die Wissenschaftsfreiheit schützt jeden ernsthaften und planmäßigen Versuch zur Ermittlung der Wahrheit.181 Art. 5 GG gewährleistet ebenso wie Art. 12 Abs. 1 GG die Therapiefreiheit.182 Die Wissenschaftsfreiheit ist von Bedeutung, sofern der Arzt Forschung betreiben möchte. In dieser Arbeit soll jedoch der Fokus auf diejenigen alltäglichen Arzt-Patient-Verhältnisse gelegt werden, in denen keine Forschungsabsicht besteht, sodass die Wissenschaftsfreiheit hier nicht berührt ist.
BVerwGE 27, 303 (305); Laufs, Berufsfreiheit und Persönlichkeitsschutz im Arztrecht, 1982, 7; siehe auch Ratzel/Lippert/Lippert, § 2 Rdnr. 16 ff. 176 Laufs, in: Universitäts-Gesellschaft Heidelberg (Hrsg.), Heidelberger Jahrbücher XXIV, 1980, 1 (13 f.). 177 BVerwGE 27, 303 (305). 178 Wenzel/Sodan, Kap. 1 Rdnr. 92. 179 Ratzel/Lippert/Lippert, § 2 Rdnr. 16. 180 Fiebig, Freiheit für Patient und Arzt, 1985, 160. 181 BVerfGE 35, 79 (113); BVerfGE 47, 327 (367). 182 Laufs, in: Ahrens/Bar/Fischer u. a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Deutsch, 1999, 625 (625). 175
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4. Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des Arztes aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist im Arzt-Patient-Verhältnis tangiert. Durch seine berufliche Tätigkeit kommt der Arzt zwangsläufig mit überwiegend kranken, teils ansteckenden Menschen zusammen. Er ist damit in größerem Maße einer Ansteckung und damit Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit oder gar seines Lebens ausgesetzt als andere Berufsgruppen. Dies gilt sowohl für einfachste und alltägliche Erkrankungen wie beispielsweise Erkältung oder Grippe als auch für schwerwiegendere und mit weitreichenden Folgen verbundene Erkrankungen wie HIV. Aufgrund dieser Gefahren ergibt sich ein Interesse des Arztes, vom Patienten, zu dessen Gunsten er primär den Behandlungsvertrag eingeht, über bei ihm vorliegende, ansteckende Erkrankungen informiert zu werden, um erforderliche Vorsichtsmaßnahmen treffen zu können.
5. Nemo tenetur-Grundsatz Der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ besagt, dass niemand verpflichtet ist, sich selber zu belasten und genießt spätestens seit dem Gemeinschuldnerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zweifelsfrei Verfassungsrang.183 Über die verfassungsrechtliche Verortung des „Grundrechts auf Schweigen“184 herrscht dagegen keine Einigkeit, so werden die informationelle Selbstbestimmung,185 die Menschenwürde186 oder das Rechtsstaatsprinzip187 als Grundlage der verfas183 Das Bundesverfassungsgericht spricht davon, dass „ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzung für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen“, unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar sei, BVerfGE 56, 37 (49); insoweit gewähre Art. 2 Abs. 1 GG als Abwehrrecht einen Schutz. Vgl. auch Stürner, NJW 1981, 1757 (1757). Ausführlich zum nemo tenetur-Grundsatz siehe Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, 2001; Bosch, Aspekte des nemo-tenetur-Prinzips aus verfassungsrechtlicher und strafprozessualer Sicht, 1998. 184 Stürner, NJW 1981, 1757 (1757). 185 Überwiegend wird der Grundsatz auf Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zurückgeführt, vgl. u. a. Ranft, Strafprozeßrecht, 3. Aufl. (2005), Rdnr. 338; Francke/Hart, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, 1987, 67. Es dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht zuordnend auch BVerfGE 95, 220 (220, 241 f.) (auf S. 242 aber auch entscheidend auf die Menschenwürde abstellend); BVerfGE 96, 171 (181); BVerfGE 38, 105 (114 f.); BVerfGE 56, 37 (41 f.); Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2, Rdnr. 68; Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 105, dem zufolge Schweigerechte niemals aus der Menschenwürde folgten. 186 Auf die Menschenwürde abstellend BVerfGE 55, 144 (150); BeckOK-GG/Hillgruber, Art. 1, Rdnr. 37; Dreier/Dreier, Art. 1 I, Rdnr. 139; Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 86; a. A. Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 56, dem zufolge das Recht
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sungsrechtlichen Ableitung angeführt,188 auch das Bundesverfassungsgericht legt sich nicht auf einen Verfassungsgrundsatz fest.189 Wie genau der Grundsatz verfassungsrechtlich zu verankern ist, kann jedoch dahinstehen,190 da dessen Umfang, auf welchen es primär ankommt, weitgehend übereinstimmend anerkannt ist.191 Niemand kann gezwungen werden, sich durch eigene Aussagen einer strafbaren Handlung zu beschuldigen oder durch solche an seiner eigenen Verurteilung mitzuwirken.192 Er darf nicht in Gefahr der Begehung einer Falschaussage oder aufgrund seines Schweigens in die Gefahr der Aussetzung von Zwangsmitteln geraten.193 Die Selbstbelastungsfreiheit ist von der Schwere des Tatvorwurfs unabhängig.194 Sie sichert, dass der Beschuldigte nicht zum Objekt des Strafverfahrens wird und hat grundsätzlich Vorrang vor der zur Pflicht des Staates zählenden effektiven Strafverfolgung.195 Der nemo tenetur-Grundsatz ist auf die auf Schweigen andere Gründe habe und insbesondere daraus resultiere, dass es keine Möglichkeit gebe, Aussagen zu erzwingen. Es im Bereich der Menschenwürde sowie des APR anführend Münch/Kunig/Kunig, Art. 1, Rdnr. 36; Münch/Kunig/Kunig, Art. 2, Rdnr. 35. 187 BVerfGE 133, 168 (201); BVerfG, NJW 2014, 3506 (3506). Jarass sieht die Tendenz, es zumindest im Strafverfahren auch auf das Rechtsstaatsprinzip zu stützen, Jarass/Pieroth/Ja rass, Art. 2, Rdnr. 68a. Degenhart stellt auf das Rechtsstaatsgebot ab, Sachs/Degenhart, Art. 103, Rdnr. 45. 188 Verrel, NStZ 1997, 361 (364); Lorenz spricht von einem „bunten Strauß“ verfassungsrechtlicher Ableitungen und einem „Füllhorn an Verfassungssätzen“, Lorenz, StV 1996, 172 (173 Fn. 3); vgl. auch Lorenz, JZ 1992, 1000 (1005). Auf die Menschenwürde, das Rechtsstaatsprinzip, das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht abstellend BVerfG, JZ 2016, 1113 (1114 f.). 189 BVerfGE 133, 168 (201); BVerfG, NStZ 1995, 555 (555) nennt die Handlungsfreiheit, das Persönlichkeitsrecht, die Menschenwürde, das Rechtsstaatsprinzip, das Grundrecht auf ein faires Verfahren und bezeichnet den nemo tenetur-Grundsatz als anerkannten Grundsatz des Strafverfahrens, vgl. auch Verrel, NStZ 1997, 361 (364 Fn. 56). 190 Zwar ist die verfassungsrechtliche Verortung insofern relevant, als davon abhängt, ob der Schutz absolut ist oder ob er gegen andere Rechtsgüter abgewogen werden kann und inwieweit im Falle des Verstoßes Beweisverwertungsverbote greifen, Isensee/Kirchhof/Möstl, § 179, Rdnr. 69. Dies wirkt sich hier jedoch nicht aus, da der Schutz vor Selbstbelastung im Strafverfahren durch § 630c Abs. 2 S. 2 BGB nicht eingeschränkt wird und eine Verwertung anderweitig getätigter Aussagen im Strafverfahren durch S. 3 verhindert wird, näher dazu unter F. II. 3. b) ii) (2). Der im nemo tenetur-Grundsatz zum Ausdruck kommende Schutz vor Selbstbelastung im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren wird demnach hier nicht berührt. 191 Rogall, StV 1996, 63 (64); Verrel, NStZ 1997, 361 (364). 192 BVerfG, JZ 2016, 1113 (1115); BVerfG, NJW 2014, 3506 (3507); BVerfGE 109, 279 (324); BVerfGE 133, 168 (201); vgl. BVerfGE 95, 220 (241); vgl. BVerfGE 96, 171 (181); BVerfGE 56, 37 (41 f.); BGHSt 42, 139 (152); Isensee/Kirchhof/Möstl, § 179, Rdnr. 69; Jarass/ Pieroth/Jarass, Art. 2, Rdnr. 68. 193 BVerfGE 95, 220 (241). 194 BGHSt 52, 11 (17). 195 BGHSt 52, 11 (17).
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Freiheit von Aussage- und Mitwirkungszwang beschränkt;196 gesetzliche Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten sind auch dann nicht erfasst, wenn diese Unterlagen zur Ahndung von Straftaten verwendet werden dürfen.197 Als übergeordneter Rechtsgrundsatz ist dieser im gesamten Strafverfahren, in welchem der Beschuldigte nur zur Duldung, nicht aber zur aktiven Mitwirkung am Verfahren verpflichtet ist,198 anerkannt199 (explizite Regelungen finden sich z. B. für den Beschuldigten in § 136 Abs. 1 S. 2 StPO, für den Zeugen in § 55 Abs. 1 StPO), ebenso bei Bußgeld- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren (§ 46 Abs. 1 OWiG).200 Der Grundsatz zählt zu den rechtsstaatlich unverzichtbaren Erfordernissen eines fairen Verfahrens (vgl. Art. 6 Abs. 1 EMRK);201 die Selbstbelastungsfreiheit stellt einen international anerkannten Grundsatz dar.202 Bei Verstoß gegen dieses Verfassungsgebot kann im Strafprozess ein Verwertungsverbot greifen,203 vgl. § 136a Abs. 3 S. 2 StPO. Eine Ausnahme kann nur aufgrund spezieller gesetzlicher Regelungen gemacht werden.204 Der nemo tenetur-Grundsatz ist jedoch nicht auf juristische Personen anwendbar.205 Sie können nicht in eine grundrechtstypische Gefährdungslage kommen, wie sie für eine natürliche Person besteht, da sie hinsichtlich straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlicher Konsequenzen lediglich eine begrenzte Verantwortlichkeit trifft.206 Täter ist allein der Organwalter, der durch die Verletzung der Pflichten der von ihm vertretenen juristischen Person eine Tat begeht, während die juristische Person allenfalls eine Geldbuße gem. § 30 OWiG
Verrel, NStZ 1997, 361 (362 f.). Zur Einsichtnahme in Bücher und Geschäftspapiere BVerfGE 55, 144 (150 f.); Klein/ Jäger, § 393, Rdnr. 27a. 198 BGHSt 45, 367 (368); BGHSt 34, 39 (46); BVerfGE 133, 168 (201); Terbille/ Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1751); Ranft, Strafprozeßrecht, 3. Aufl. (2005), 352 ff.; Beulke, Strafprozessrecht, 13. Aufl. (2016), Rdnr. 127. 199 BVerfGE 38, 105 (113); BVerfGE 56, 37 (43); BGHSt 14, 358 (364); BVerfG, JZ 2016, 1113 (1115); Meyer-Goßner/Schmitt/Meyer-Goßner, Einleitung, Rdnr. 29a; KK-StPO/Fischer, Einleitung, Rdnr. 136; Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1751). 200 BVerfGE 55, 144 (150); siehe bspw. zur Regelung des § 25a StVG BVerfGE 80, 109 (121 f.). 201 KK-StPO/Fischer, Einleitung, Rdnr. 136 unter Hinweis auf EGMR, NJW 2002, 499 (499) „Kernstück des von Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten fairen Verfahrens“; vgl. auch BVerfG, JZ 2016, 1113 (1115); BGHSt 52, 11 (17); Isensee/Kirchhof/Möstl, § 179, Rdnr. 69. 202 EGMR, NJW 2002, 499 (499). 203 Dreier/Dreier, Art. 1 I, Rdnr. 139. Ausführlich zu strafprozessualen Verwertungsverboten siehe Störmer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote, 1992. 204 Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2, Rdnr. 68a. 205 BVerfGE 95, 220 (220, 242); Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2, Rdnr. 52, 68. 206 BVerfGE 95, 220 (242). 196 197
II. Grundrechte des Arztes
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trifft.207 Eine solche Geldbuße gilt jedoch dem Ausgleich gezogener Vorteile und beinhaltet gerade keinen Schuldvorwurf und keine ethische Missbilligung.208 a) Der nemo tenetur-Grundsatz im Zivilrecht Grundsätzlich sind auch im Zivilprozess der Wahrheitspflicht Grenzen gesetzt.209 Die Privilegierung des Beschuldigten im Strafverfahren kann jedoch nicht einschränkungslos auf den Zivilprozess bzw. zivilrechtliche Informationspflichten übertragen werden, denn dort können sich aufgrund eines zivilrechtlichen Vertragsverhältnisses gem. § 242 BGB weitreichende Leistungstreuepflichten ergeben, welche zur aktiven Mitwirkung und Unterstützung der anderen Partei verpflichten können.210 Zudem ist zu beachten, dass die Parteien freiwillig einen Vertrag geschlossen und die damit verbundenen Pflichten eingegangen sind.211 Anders als im Strafverfahren findet im Zivilrecht keine Abwägung allein mit dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse, sondern außerdem mit den Interessen von gleichgeordneten Privatpersonen statt.212 Überwiegen andere Verfassungsrechte, so kann eine Pflicht zu selbstbelastenden Aussagen auferlegt werden.213 Dem Verletzten darf bei nicht strafbarem Handeln zivilrechtlich nicht weniger Schutz zukommen als bei strafbarem Handeln, denn dann würde strafrechtlich relevantes Handeln des Verantwortlichen privilegiert.214 Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1964 entschieden, dass es nicht sein könne, dass über jegliche nicht strafbare Handlungen Auskunft gegeben werden müsse, über schwerwiegendere strafbare Handlungen dagegen nicht; sodass folglich auch strafbare Handlungen im Rahmen der zivilrechtlichen Informati207
BVerfGE 95, 220 (242). BVerfGE 95, 220 (242). 209 Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 105. Auch in anderen Verfahren, die mit ähnlichen Konsequenzen wie ein Strafverfahren verbunden sein können, besteht grundsätzlich ein Schweigerecht, beispielsweise in Disziplinar- oder berufsgerichtlichen Verfahren, Mangoldt/Klein/Starck/Starck, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 105. 210 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1751); vgl. auch Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1946, 11; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 14. Aufl. (1987), § 10 II e). 211 Kett-Straub/Sipos-Lay, MedR 2014, 867 (869); ähnlich auch BVerfGE 56, 37 (42). 212 Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, 32. 213 Jarass/Pieroth/Jarass, Art. 2, Rdnr. 69. 214 Vgl. Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 159; Winkler von Mohrenfels, Abgeleitete Informationsleistungspflichten im deutschen Zivilrecht, 1986, 100 f. unter Verweis auf Zeuner, in: Ackermann/Albers/Bettermann (Hrsg.), Aus dem Hamburger Rechtsleben, 1979, 217 (225); Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, 33. 208
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C. Einschlägige Grundrechte von Patient und Arzt
onspflicht zu offenbaren seien.215 Dennoch ist der nemo tenetur-Grundsatz im Zivilverfahren zumindest eingeschränkt anwendbar, denn das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich entschieden, dass im Zivilprozess sowie in entsprechenden Verfahren „die Wahrheitspflicht der Partei dort ihre Grenzen findet, wo sie gezwungen wäre, eine ihr zur Unehre gereichende Tatsache oder eine von ihr begangene strafbare Handlung zu offenbaren“.216 Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der Leitentscheidung des Gemeinschuldnerbeschlusses im Jahre 1981 grundlegend dazu geäußert und festgehalten, dass es kein ausnahmsloses Gebot gebe, dass niemand zur Offenbarung strafbarer Handlungen gezwungen werden dürfe, sondern vielmehr je nach Rolle der Auskunftsperson und Zweckbestimmung der Auskunft unterschiedliche Maßnahmen gegen unzumutbaren Zwang zur Selbstbelastung getroffen werden müssten.217 Insbesondere sei hinsichtlich Art und Umfang des gewährleisteten Schutzes zu berücksichtigen, „ob und inwieweit andere auf die Information der Auskunftsperson angewiesen sind“.218 Soweit es sich um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses handele, seien die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen; außerdem handele es sich um Ausflüsse eines Pflichtenkreises, den der Informationspflichtige freiwillig übernommen habe.219 Darauf aufbauend wurde entschieden, dass der Gemeinschuldner aufgrund seiner besonderen Pflichtenstellung gegenüber seinen Gläubigern, die auf Informationen von ihm angewiesen seien, in vollem Umfang auskunftspflichtig sei, eine selbstbelastende Aussage jedoch nicht „gegen seinen Willen zweckentfremdet und der Verwertung für eine Strafverfolgung zugeführt“ werden dürfe.220 Dadurch werde das ihm im Strafverfahren zustehende Schweigerecht gesichert. Dabei begründete das Bundesverfassungsgericht das Verwertungsverbot mit der Konfliktsituation des Gemeinschuldners zwischen Selbstbe-
215
So der BGH hinsichtlich des auftragsrechtlichen Auskunftsanspruchs mit der Begründung, dass insbesondere in den Fällen, in denen der Beauftragte gegen die ihm obliegenden Pflichten verstoßen hat, das Auskunftsrecht des Auftraggebers besonders wichtig sei, vgl. BGHZ 41, 318 (322 f.); Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1751); Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 162 ff. 216 BVerfGE 56, 37 (44). 217 Verrel, NStZ 1997, 361 (365); BVerfGE 56, 37 (42 ff.); vgl. auch Klein/Jäger, § 393, Rdnr. 26. 218 BVerfGE 56, 37 (42). 219 BVerfGE 56, 37 (45 f.); Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 162. 220 BVerfGE 56, 37 (48, 50); Verrel, NStZ 1997, 361 (361).
III. Fazit
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lastung, strafbarer Falschaussage sowie der Gefahr der Aussetzung von Zwangsmitteln.221 Somit kann in anderen Zivilverfahren eine Informationspflicht grundsätzlich zumutbar sein, sofern gesichert ist, dass die Informationen im Strafverfahren nicht verwertet werden können.222 b) Übertragung auf das Behandlungsverhältnis Durch einen Behandlungsfehler kann sich der Arzt wegen (fahrlässiger) Körperverletzung oder Tötung gem. §§ 212, 222, 223 ff. StGB strafbar sowie gem. §§ 280 Abs. 1, 823 ff. BGB schadensersatzpflichtig machen. Bei der Offenbarung eigener Fehler würde er sich somit selbst belasten, sowohl im Zivil- als auch im Strafprozess. Nach dem nemo tenetur-Grundsatz hat er folglich im Strafprozess das Recht zu Schweigen, im Zivilprozess dagegen nicht: § 630c Abs. 2 S. 2 BGB verpflichtet ihn gerade dazu, über Handlungen zu informieren, die möglicherweise strafrechtlich relevant sind; es handelt sich somit um eine vorprozessuale Selbstbezichtigungspflicht.223 Inwiefern diese einer Verfassungsprüfung standhält, wird im Rahmen der Analyse dieser Pflicht zu prüfen sein.224
III. Fazit Im Arzt-Patient-Verhältnis stehen sich zahlreiche Grundrechte gegenüber; die Rechte und Pflichten der Parteien bedingen sich wie gezeigt gegenseitig.225 Dass Gesetzgeber und Rechtsprechung ihren dargestellten Schutzpflichten gegenüber dem Patienten überwiegend durch Auferlegung von Pflichten zulasten des Arztes nachkommen, stellt zugleich einen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen des Arztes dar. Diese kollidierenden Rechtspositionen sind in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, sodass der Gewährung von Patientenrechten Grenzen gesetzt sind. Ob Gesetzgeber und Rechtsprechung den an sie gestellten Anforderungen gerecht geworden sind, wird im Folgenden untersucht.
BVerfGE 56, 37 (41); Verrel, NStZ 1997, 361 (362). Isensee/Kirchhof/Möstl, § 179, Rdnr. 69. 223 Vgl. Francke/Hart, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, 1987, 68. 224 Siehe dazu unter F. II. 3. b) ii) (1). 225 Fiebig zufolge seien die Pflichten des Arztes die Kehrseite der Patientenrechte, vgl. Fie big, Freiheit für Patient und Arzt, 1985, 97. 221 222
D. Klärung von für die Analyse elementaren Begriffen Bevor konkret auf die Aufklärungs- und Informationspflichten eingegangen wird, sollen einige im Gesetz enthaltene Begriffe, die im Rahmen der genauen Analyse der einzelnen Pflichten mehrfach relevant werden, zunächst ähnlich eines Allgemeinen Teils „vor die Klammer“ gezogen und geklärt werden, damit dann später auf diese Ausführungen Bezug genommen werden kann. Zudem wird der Begriff der Informationsbefolgungsfähigkeit vorab neu eingeführt, um auf diesen später zurückgreifen zu können.
I. Begriff der Einwilligungsfähigkeit Im Rahmen der Einwilligung ist anerkannt, dass eine solche nur von demjenigen erteilt werden kann, der einwilligungsfähig ist. Dies wird in § 630d Abs. 1 S. 2 BGB ausdrücklich klargestellt, indem statuiert wird, dass im Falle der Einwilligungsunfähigkeit die Einwilligung eines hierzu Berechtigten einzuholen ist. Allerdings definiert § 630d BGB nicht, wann jemand einwilligungsfähig ist. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass es auf die „natürliche Willensfähigkeit“ ankommt, der Patient muss „die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besitz[en] und Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken der medizinischen Maßnahme erfassen und seinen Willen hiernach ausrichten“ können.1 Der Bundesgerichtshof stellte bereits 1958 auf die „geistige und sittliche Reife[,] die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen“,2 ab. 1 BT-Drs. 17/10488, 1 (23). In der Literatur siehe dazu bspw. MüKo-BGB/Huber, § 1626, Rdnr. 40 ff.; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d, Rdnr. 8, 13 ff.; BPS/Wever, § 630d BGB, Rdnr. 5 ff.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 1126 f.; Staudinger/Hager, § 823, Rdnr. I 97 ff.; Staudinger/Peschel-Gutzeit, § 1626, Rdnr. 89 ff.; Taupitz, MedR 2012, 583 (584 f.); Spickhoff, NJW 2000, 2297 (2299 f.); Kaeding/Schwenke, MedR 2016, 935 (935 ff.); Nebendahl, MedR 2009, 197 (197 ff.); Gleixner-Eberle, Die Einwilligung in die medizinische Behandlung Minderjähriger, 2014, 215 ff.; Taupitz, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 63. Deutschen Juristentags, 2000, A 1–A 130 (A 54 ff.); Bichler, GesR 2014, 208 (208 ff.). 2 BGHZ 29, 33 (36).
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D. Klärung von für die Analyse elementaren Begriffen
Dass diese „Formeln“ unbestimmt und damit auslegungsbedürftig sind und eine wirksame Handhabung in der Praxis erschweren, liegt auf der Hand. Wie genau eine Konkretisierung erfolgt oder erfolgen sollte, ist jedoch für die Thematik dieser Arbeit nicht relevant.3 Da die Überprüfung der Einwilligungsfähigkeit in der Praxis dem Behandelnden obliegt und eine Fehleinschätzung, sofern sie schuldhaft erfolgt, mit erheblichen rechtlichen Konsequenzen verbunden sein kann, wäre es wünschenswert gewesen, dass der Gesetzgeber dem Behandelnden hier eine klare Linie vorgegeben hätte, die umgekehrt auch für Minderjährige und gesetzliche Vertreter nachvollziehbar wäre. Dann hätte er sein Ziel, Transparenz und Rechtssicherheit zu schaffen,4 zumindest fördern können. Der Gesetzgeber kann die Lösung des Problems und die damit verbundenen Unsicherheiten nicht der ärztlichen Praxis überlassen. Die Einwilligungsfähigkeit ist insbesondere im Bereich Minderjähriger pro blematisch. Die Einwilligung ist keine rechtgeschäftliche Willenserklärung, sondern (lediglich) eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung,5 es handelt sich um eine „Gestattung oder Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen“.6 Demnach ist sie von der Geschäftsfähigkeit klar zu trennen. Sie unterliegt anderen Voraussetzungen, sodass die §§ 107 ff. BGB nicht unmittelbar anwendbar sind.7 Zudem kann im Rahmen der Einwilligungsfähigkeit nicht auf starre Al3
So wird beispielsweise angeführt, dass die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit stiegen, umso schwerwiegender bzw. gefährlicher die Maßnahme sei, MüKo-BGB/Huber, § 1626, Rdnr. 42; BPS/Wever, § 630d BGB, Rdnr. 5; Belling/Eberl/Michlik, Das Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger bei medizinischen Eingriffen, 1994, 134; vgl. Amend-Traut/Bon gartz, FamRZ 2016, 5 (7); Amelung, ZStW 1992, 821 (833); Kern, NJW 1994, 753 (755); vgl. Diederichsen, in: Müller/Osterloh/Stein (Hrsg.), Festschrift für Günter Hirsch zum 65. Geburtstag, 2008, 355 (358). Siedenbiedel geht davon aus, dass die Anforderungen stiegen, „je schwerwiegender und komplexer die zu treffende Entscheidung“ sei, Siedenbiedel, Selbstbestimmung über das eigene Geschlecht, 2016, 162. Von anderer Seite wird vertreten, dass die Anforderungen stiegen, je dringlicher die Maßnahme sei, Odenwald, Die Einwilligungsfähigkeit im Strafrecht unter besonderer Hervorhebung ärztlichen Handelns, 2004, 101 ff.; a. A. dagegen wohl der BGH, der davon auszugehen scheint, dass die Anforderungen mit der Dringlichkeit sänken, BGHSt 12, 379 (382 f.). 4 BT-Drs. 17/10488, 1 (1, 9). 5 Vgl. BGHZ 29, 33 (36); BGHZ 105, 45 (47); OLG Hamm, NJW 1998, 3424 (3424). Vgl. Erman/Rehborn/Gescher, § 630d, Rdnr. 4; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630d, Rdnr. 7; Pa wlowski, in: Brambring/Medicus/Vogt (Hrsg.), Festschrift für Horst Hagen, 1999, 5 (6); Palandt/Weidenkaff, § 630d, Rdnr. 2; vgl. Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB, 11. Aufl. (2016), Rdnr. 199 ff. 6 BGHZ 29, 33 (36); BGHZ 105, 45 (47 f.); vgl. OLG Hamm, NJW 1998, 3424 (3424). 7 BGHZ 29, 33 (36); Staudinger/Peschel-Gutzeit, § 1626, Rdnr. 90; vgl. AG Schlüchtern, NJW 1998, 832 (832 f.). Zum Teil wird eine analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB für rechtsgeschäftsähnliche Handlungen vertreten, vgl. BeckOK-BGB/Wendtland, § 107, Rdnr. 2 BGB.
I. Begriff der Einwilligungsfähigkeit
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tersgrenzen abgestellt werden,8 da diese der unterschiedlich schnellen und von individuellen Umständen abhängenden Persönlichkeitsentwicklung Minderjähriger nicht gerecht werden.9 Es ist vielmehr stets im Einzelfall die individuelle Situation der zu behandelnden Person zu betrachten. Die Ermittlung der Einwilligungsfähigkeit obliegt primär dem Arzt.10 Den Beweis der Einwilligungsunfähigkeit hat derjenige zu führen, der sich auf sie beruft.11 Wer genau bei Minderjährigen die Einwilligung zu erteilen hat, ist umstritten. Vertreten wird zunächst eine klare Abgrenzung in Form einer „Entweder-Oder-Lösung“, das heißt, entweder ist der Minderjährige einwilligungsfähig und alleine entscheidungsbefugt oder er ist es nicht.12 Von Anderen wird eine Überschneidungslösung präferiert, nach welcher entweder gesetzliche Vertreter und Minderjähriger gemeinsam entscheiden13 oder dem Minderjährigen zumin8 BT-Drs. 17/10488, 1 (23); MüKo-BGB/Huber, § 1626, Rdnr. 42; Palandt/Ellenberger, Überbl v § 104, Rdnr. 8; Belling, FuR 1990, 68 (75). 9 Vgl. Boehmker, Die Entscheidungskompetenz des minderjährigen Patienten in der medizinischen Behandlung, 2014, 101 f.; Kaeding/Schwenke, MedR 2016, 935 (936). Gegen starre Altersgrenzen hinsichtlich der Grundrechtsmündigkeit generell Roth, Die Grundrechte Minderjähriger im Spannungsfeld selbstständiger Grundrechtsausübung, elterlichen Erziehungsrechts und staatlicher Grundrechtsbindung, 2003, 77 f. 10 MüKo-BGB/Huber, § 1626, Rdnr. 42; Erman/Rehborn/Gescher, § 630d, Rdnr. 7; Staudinger/Peschel-Gutzeit, § 1626, Rdnr. 94; vgl. Nebendahl, MedR 2009, 197 (202). 11 BT-Drs. 17/10488, 1 (23); MüKo-BGB/Olzen, § 1666, Rdnr. 79. 12 Die zivilrechtliche Rechtsprechung hatte dies unter den Vorbehalt von Einschränkungen gestellt, bspw. BGHZ 29, 33 (37) (jedenfalls dann alleinentscheidungsbefugt, wenn „die Einholung der elterlichen Zustimmung undurchführbar ist und der Minderjährige unmittelbar vor der Vollendung des 21. Lebensjahres steht“); unabhängig von diesem Vorbehalt AG Schlüchtern, NJW 1998, 832 (832 f.). Für ein Alleinentscheidungsrecht u. a. auch Belling/Eberl/Mich lik, Das Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger bei medizinischen Eingriffen, 1994, 136 f.; Belling, FuR 1990, 68 (76); Odenwald, Die Einwilligungsfähigkeit im Strafrecht unter besonderer Hervorhebung ärztlichen Handelns, 2004, 156 f.; Spickhoff, AcP 2008, 345 (389 f.); Voll, Die Einwilligung im Arztrecht, 1996, 66 ff.; Boehmker, Die Entscheidungskompetenz des minderjährigen Patienten in der medizinischen Behandlung, 2014, 149; MüKo-BGB/Huber, § 1626, Rdnr. 43; Erman/Rehborn/Gescher, § 630d, Rdnr. 7; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 1127; Gleixner-Eberle, Die Einwilligung in die medizinische Behandlung Minderjähriger, 2014, 339 ff.; Bender, MedR 1999, 260 (264); Brückner, Das medizinische Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger, 2014, 76 ff.; Wölk, MedR 2001, 80 (89). 13 So wohl BGH, NJW 1972, 335 (337) (dort wurde einem 17-Jährigen zumindest bei wichtigen Entscheidungen ein Alleinentscheidungsrecht abgesprochen); BGH, NJW 1991, 2344 (2345) (17 ½ Jahre alter Patient); siehe auch Pawlowski, in: Brambring/Medicus/Vogt (Hrsg.), Festschrift für Horst Hagen, 1999, 5 (19 f.); MüKo-BGB/Olzen, § 1666, Rdnr. 79; Palandt/El lenberger, Überbl v § 104, Rdnr. 8; Staudinger/Hager, § 823, Rdnr. I 97; Kaeding/Schwenke, MedR 2016, 935 (937); Nebendahl, MedR 2009, 197 (202); Schwerdtner, AcP 1973, 227 (247); Spickhoff/Spickhoff, § 630d BGB, Rdnr. 8. Für eine Mischlösung (Alleinentscheidung bei weniger gravierenden Eingriffen und Co-Konsens bei besonders gravierenden Eingriffen) Coes ter-Waltjen, MedR 2012, 553 (559).
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D. Klärung von für die Analyse elementaren Begriffen
dest Veto-Rechte zustehen14, sodass er grundsätzlich nicht alleine entscheidungsbefugt ist. Zum Teil werden dem Minderjährigen jegliche Rechte hinsichtlich der Einwilligung pauschal abgesprochen.15 Der Gesetzgeber scheint das Überschneidungskonzept zumindest in Erwägung zu ziehen, denn die Gesetzesbegründung führt aus, dass je nach den Umständen des Einzelfalls entweder „seine Eltern [Anm. d. Verf.: des Minderjährigen] als gesetzliche Vertreter, gegebenenfalls der Minderjährige allein oder auch der Minderjährige und seine Eltern gemeinsam einwilligen müssen“.16 Er bildet dadurch jedoch lediglich die aktuell umstrittene Rechtslage ab, ohne sich zu positionieren. Auch der Regelung des § 630d BGB lässt sich diesbezüglich nichts entnehmen.17 Die Problematik wird im Rahmen dieser Arbeit nicht umfassend dargestellt und argumentativ entschieden, da es sich hierbei nicht um eine Zentralproblematik, sondern lediglich um einen tangierten Randbereich handelt. Deswegen wird lediglich die eigene Positionierung dargestellt, um auf diesem Ergebnis für die weiteren Probleme dieser Arbeit aufbauen zu können. Zur näheren Auseinandersetzung mit dem Thema wird auf die zitierten Fundstellen verwiesen. Vorzugswürdig erscheint die Lösung der klaren Abgrenzung, da nicht ersichtlich ist, warum ein einwilligungsfähiger Minderjähriger nicht die Rechte haben sollte, die einem einwilligungsfähigen Erwachsenen zustehen. Schließlich geht es, anders als im Rahmen der Geschäftsfähigkeit, nicht um den Schutz von Vermögensinteressen (diese berühren vielmehr nur den Vertragspartner),18 sondern um den Schutz des Selbstbestimmungsrechts19. Dem Patienten wird durch die Feststellung seiner Einwilligungsfähigkeit die Fähigkeit zur Wahrnehmung seines Selbstbestimmungsrechts zugesprochen, sodass nicht ersichtlich ist, warum zusätzlich oder gar allein jemand anderes über sein Selbstbestimmungsrecht verfügen können sollte, denn dieses Grundrecht steht ihm alleine zu. Kann der Grundrechtsträger selbst über die durch das Grundrecht geschützten Interessen
14 BGH, NJW 2007, 217 (218); Palandt/Ellenberger, Überbl v § 104, Rdnr. 8; Lipp, MedR 2008, 292 (293); Fenger, in: Steinmeyer/Roeder/Eiff (Hrsg.), Medizin – Haftung – Versicherung, 2016, 43 (48). Demnach kann der Minderjährige lediglich bei relativ-indizierten Eingriffen eine Behandlung verhindern, jedoch nicht eine Behandlung gegen den Willen seiner Vertreter herbeiführen. 15 OLG Hamm, NJW 1998, 3424 (3424 f.); Scherer, FamRZ 1997, 589 (591 f.). 16 BT-Drs. 17/10488, 1 (23) mit Verweis auf Nebendahl, MedR 2009, 197 (197 ff.). 17 A.A. Erman/Rehborn/Gescher, § 630d, Rdnr. 7, denen zufolge durch § 630d Abs. 1 BGB die Problematik entfallen sei, dem Minderjährigen stünde nun ein originäres eigenes Entscheidungsrecht zu. Vor dem Hintergrund der Ausführungen in der Gesetzesbegründung kann dies jedoch nicht überzeugen, eine Positionierung des Gesetzgebers ist gerade nicht erfolgt. 18 Siehe dazu später unter F. II. 4. g). 19 Siehe dazu unter C. I. 3.
II. Begriff der Informationsbefolgungsfähigkeit
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verfügen, ist er mithin in Bezug auf dieses Grundrecht grundrechtsmündig,20 so darf der Staat auch nicht zu seinem Schutz in seine Dispositionsfreiheit eingreifen.21 Auch die Grundrechtsmündigkeit wird nicht unter gewisse Einschränkungen gestellt, sondern ist entweder gegeben oder nicht gegeben. Die alleinige Entscheidungsbefugnis des Minderjährigen davon abhängig zu machen, ob er sich eine Woche vor oder nach seinem 18. Geburtstag befindet, würde dem Grundkonzept der Einwilligungsfähigkeit zuwiderlaufen und gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 Abs. 1 GG, verstoßen. Denn sind beide in der Lage, ihr Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen, so läge eine ungerechtfertigte Behandlung wesentlich Gleichen vor, würde dem einen das Recht zur alleinigen Einwilligung abgesprochen. Das Erziehungsrecht der Eltern, Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, wovon die fremdnützige elterliche Sorge gem. § 1626 Abs. 1 BGB eine einfachgesetzliche Ausprägung darstellt, erlischt in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen mit Eintritt von dessen Einwilligungsfähigkeit aufgrund von Zweckerreichung.22 Somit kann es auf die Meinung der Eltern im Rahmen der Einwilligung nicht mehr ankommen, sobald der Minderjährige einwilligungsfähig ist. Deswegen ist davon auszugehen, dass die Einwilligungserteilung im Falle der Einwilligungsunfähigkeit des Minderjährigen ausschließlich den gesetzlichen Vertretern zusteht, während im Falle der Einwilligungsfähigkeit ausschließlich der Minderjährige die Einwilligung zu erteilen hat.
II. Begriff der Informationsbefolgungsfähigkeit Im Rahmen der Informationspflichten existiert kein paralleles Kriterium zur Einwilligungsfähigkeit. Wenn es im Rahmen der Erteilung der Aufklärung jedoch darauf ankommt, dass der Patient einwilligungsfähig ist, mithin „die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besitz[en] und Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken der medizinischen Maßnahme erfassen und seinen Willen hiernach ausrichten“ können muss, so muss Entsprechendes im Rahmen der Informationserteilung gelten.
20
Merten/Papier/Merten, § 60 Rdnr. 17 ff. Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, 1992, 120 f.; Sternberg-Lieben/ Reichmann, NJW 2012, 257 (260 m. w. N.). 22 BK/Jestaedt, Art. 6 Abs. 2 und 3 GG, Rdnr. 141; vgl. Belling/Eberl/Michlik, Das Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger bei medizinischen Eingriffen, 1994, 156; Belling, FuR 1990, 68 (71 f.); so wohl auch Rehborn/Schäfer, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht e.V. (Hrsg.), 25 Jahre Arbeitsgemeinschaft – 25 Jahre Arzthaftung, 2011, 253 (266 f.). 21
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D. Klärung von für die Analyse elementaren Begriffen
Es liegt auf der Hand, dass beispielsweise ein Säugling23 weder zur Erfassung einer Aufklärung und Orientierung seines Willens noch zur Aufnahme von Information zur Sicherung seines Behandlungserfolgs oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren, geschweige denn zur Befolgung etwaiger Handlungsanweisungen in der Lage ist. Eine Informationspflicht kann zudem nur mit überwiegenden Interessen des Informationsempfängers gerechtfertigt werden. Ist der Informationsempfänger jedoch überhaupt nicht in der Lage, die Information aufzunehmen, so ist eine Pflicht, ihn zu informieren, wenig sinnvoll. Schließlich können die Informationen nach § 630c BGB nur dann, ebenso wie die Aufklärung nach § 630e BGB, ihren Zweck erfüllen, wenn der Informationsempfänger zum einen in der Lage ist, die Informationen überhaupt aufzunehmen, sowie zum anderen diese Informationen verarbeiten und aufgrund dieser entscheiden kann, wie er mit diesen Informationen umgehen möchte, ob er beispielsweise empfohlene Therapieanweisungen befolgen möchte oder nicht. Da Aufklärungs- und Informationspflichten grundsätzlich dem gleichen Zweck, nämlich der Kenntnisverschaffung des Empfängers sowie der Ermöglichung einer eigenen Entscheidung hinsichtlich des Umgangs mit den verschafften Kenntnissen dienen, müssen an die kognitiven Fähigkeiten des Empfängers in beiden Fällen die gleichen Anforderungen gestellt werden. Deswegen muss der Informationsempfänger in der Lage sein, die Information aufzunehmen und daran sein weiteres Handeln auszurichten. Zur Ermittlung, ob der Patient hierzu in der Lage ist, sind die gleichen Maßstäbe anzulegen wie bei der Einwilligungsfähigkeit. Der Patient muss also die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besitzen und Art, Bedeutung und Tragweite der Information erfassen können, sodass er für sein zukünftiges Handeln eine Entscheidung treffen kann. Allerdings kann im Rahmen der Informationspflichten nicht auf den Begriff der Einwilligungsfähigkeit abgestellt werden, da dieser untrennbar mit der Aufklärung und der Entscheidung für oder gegen eine medizinische Maßnahme verknüpft ist und Voraussetzung für eine rechtfertigende Einwilligung in eine Körperverletzung ist. Die Terminologie passt im Rahmen von Informationspflichten nicht, weil es bei diesen nicht um die Erlangung einer rechtfertigenden Einwilligung geht. Deswegen ist bei den Informationspflichten eine andere Begrifflichkeit zu wählen, um die Fähigkeit des Patienten zur natürlichen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit auszudrücken. Vorgeschlagen wird hier der Terminus der „Informationsbefolgungsfähigkeit“, der im weiteren Verlauf der Arbeit verwendet wird.
23 Auf diesen wurde im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu § 630e Abs. 5 BGB beispielhaft abgestellt, BT-Drs. 17/11710, 1 (29).
III. Begriff des Patienten in den §§ 630a ff. BGB
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Die Terminologie ist somit unterschiedlich, im Rahmen der Informationspflichten kommt es darauf an, ob der Patient informationsbefolgungsfähig ist, während es bei der Aufklärungspflicht auf die Einwilligungsfähigkeit ankommt. Die Voraussetzungen beider sind jedoch identisch, sodass Informationsbefolgungs- und Einwilligungsfähigkeit stets parallel vorliegen bzw. nicht vorliegen, es kann nicht zu einem Auseinanderfallen kommen. Dies ist auch konsequent, denn es ist nicht denkbar, dass eine Person zwar in der Lage sein sollte, die Aufklärung aufzunehmen und ihren Willen hieran auszurichten, dagegen jedoch nicht zur Aufnahme der Informationen und zur Handlungsorientierung daran und umgekehrt. Da im Rahmen der Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen von einer „Entweder-oder-Lösung“ ausgegangen wurde, also im Falle der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen nur dieser aufzuklären und nur seine Einwilligung einzuholen ist, muss Identisches für die Informationsbefolgungsfähigkeit gelten. Ist der Minderjährige informationsbefolgungsfähig, so ist nur er gem. § 630c BGB zu informieren.
III. Begriff des Patienten in den §§ 630a ff. BGB Ein Problem, welches sich durch sämtliche Aufklärungs- und Informationspflichten zieht und deswegen vorangestellt wird, ist das Problem des Begriffs des Patienten. Es wird zunächst im Überblick erläutert, warum sich dieses Problem stellt und in welchen Fallkonstellationen es sich auswirkt. Wie der Begriff bei der jeweiligen Pflicht auszulegen ist, wird dann im Rahmen der Analyse der einzelnen Pflichten geklärt.
1. Zwei unterschiedliche Begriffsverständnisse Das Problem des Begriffsverständnisses resultiert bereits aus der Norm des § 630a Abs. 1 BGB. Dort wird der Begriff des Patienten zum einen legaldefiniert als der andere Teil, der zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist, (soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist), mithin der Vertragspartner (im Folgenden Wortverständnis 1). Zugleich wird der Behandelnde als derjenige legaldefiniert, der die medizinische Behandlung eines Patienten zusagt, sodass in diesem Zusammenhang unter Patient nur die Person, an der die medizinische Behandlung vorgenommen wird, also die tatsächlich behandelte Person verstanden werden kann (im Folgenden Wortverständnis 2). Wortverständnis 2 entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch, auch der Duden weist dem Wort
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D. Klärung von für die Analyse elementaren Begriffen
Patient die Bedeutung „von einem Arzt, einer Ärztin oder einem Angehörigen anderer Heilberufe behandelte oder betreute Person“24 zu. Dass der Gesetzgeber tatsächlich von diesen beiden Wortverständnissen ausgeht, wird gestützt durch die Gesetzesbegründung zu § 630a BGB. Das Wortverständnis 1 stützen folgende Passagen: Zunächst greift der Gesetzgeber die Legaldefinition in der Gesetzesbegründung auf („und der andere Teil, der sich verpflichtet, dafür eine Vergütung zu gewähren (Patient)“).25 Im Rahmen der Erläuterung der Krankenhausaufnahmeverträge und Wahlleistungsvereinbarungen spricht die Gesetzesbegründung mehrfach vom Patienten, welcher einen Vertrag mit dem Krankenhaus oder einem Arzt schließt.26 Hier geht der Gesetzgeber eindeutig vom Patienten als Vertragspartner aus, mithin vom Wortverständnis 1. Gleiches gilt, wenn der Gesetzgeber von der „Vergütungspflicht des Patienten“27 spricht, hier kann nur der Vertragspartner gemeint sein, weil gerade dieser (sowohl nach der Legaldefinition als auch nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen) die Vergütung schuldet und nicht zwingend die tatsächlich behandelte Person. Das Wortverständnis 2 wird zunächst dadurch gestützt, dass der Gesetzgeber die Formulierung des Normtextes noch einmal aufgreift („dass sich die eine Vertragspartei zu der medizinischen Behandlung eines Patienten, also einer natürlichen Person, durch einen Behandelnden verpflichtet“28). Hier kann nur die tatsächlich behandelte Person gemeint sein. Im unmittelbaren Anschluss an das Aufgreifen der Legaldefinition und damit das Wortverständnis 1 spricht die Gesetzesbegründung erneut von der „medizinische[n] Behandlung von Patienten“;29 auch hier können nur die tatsächlich behandelten Personen gemeint sein. Besonders deutlich wird dies zudem bei dem Satz „Patient im Sinne des Absatzes 1 ist nur ein Mensch, nicht aber ein Tier“30. Dass ein Tier nicht Vertragspartner sein kann, hätte keiner Klarstellung bedurft. Vielmehr will der Gesetzgeber damit klarstellen, dass der tatsächlich Behandelte nur ein Mensch und nicht ein Tier sein kann; er geht hier also vom Wortverständnis 2 aus. Gleiches gilt, wenn von „einer Schädigung des Patienten“ bzw. von einer „potentielle[n] Selbstgefähr24 Https://www.duden.de/rechtschreibung/Patient (Stand: 08.07.2018). Ähnlich auch Tau pitz, in: Brugger/Haverkate (Hrsg.), Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, 2002, 83 (83) („Im gängigen Sprachgebrauch ist der Patient eine von einem Arzt oder einem Angehörigen eines anderen Heilberufs behandelte oder betreute Person.“). 25 BT-Drs. 17/10488, 1 (18). 26 BT-Drs. 17/10488, 1 (18). 27 BT-Drs. 17/10488, 1 (18). 28 BT-Drs. 17/10488, 1 (17). 29 BT-Drs. 17/10488, 1 (18). 30 BT-Drs. 17/10488, 1 (18).
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dung des Patienten“ die Rede ist,31 hiermit kann nur die tatsächlich behandelte Person gemeint sein. Insofern, als die Gesetzesbegründung vom „gesetzlich krankenversicherten Patienten“32 spricht, kann damit sowohl der Vertragspartner als auch die tatsächlich behandelte Person gemeint sein. Grundsätzlich ist nur der Versicherungsstatus der tatsächlich behandelten Person relevant und nicht der des Vertragspartners. Etwas anderes kann sich jedoch ergeben, wenn die tatsächlich behandelte Person minderjährig ist. Kinder sind grundsätzlich sowohl in der gesetzlichen (vgl. § 10 SGB V) als auch der privaten Krankenversicherung über ihre Eltern bzw. ein Elternteil versichert, sodass Versicherungsnehmer ausschließlich die Eltern sind bzw. ein Elternteil ist. Insofern kann dann das Versicherungsverhältnis einer anderen als der tatsächlich behandelten Person maßgeblich sein. Somit wird sowohl anhand des Gesetzeswortlauts als auch anhand der Gesetzesbegründung deutlich, dass der Gesetzgeber dem Begriff des Patienten zwei verschiedene Bedeutungen zumisst. Daraus folgt auch, dass es keine Rechtsfortbildung contra legem33 darstellt, unter dem Begriff des Patienten die tatsächlich behandelte Person zu verstehen.
2. Kein einheitliches Begriffsverständnis in den §§ 630c ff. BGB Der Gesetzgeber hat in den Vorschriften der §§ 630c ff. BGB keineswegs stets das gleiche Wortverständnis zugrunde gelegt. Dies wird anhand von zwei Beispielen verdeutlicht. Dass der Gesetzgeber unter dem Begriff des Patienten in den §§ 630c ff. BGB nicht ausschließlich den Vertragspartner, also Wortverständnis 1 versteht, zeigt unter anderem § 630d Abs. 1 S. 1 BGB. Danach ist vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme die Einwilligung des Patienten einzuholen. Patient kann hier nicht den Vertragspartner, sondern ausschließlich die behandelte Person meinen, weil in dessen Rechtsgüter eingegriffen wird und grundsätzlich nur die behandelte Person über ihre Rechtsgüter disponieren kann, nicht dagegen ein von ihr unterschiedlicher Vertragspartner. Allenfalls dann, wenn der Rechtsgut inhaber selbst nicht in der Lage ist, über seine Rechtsgüter zu disponieren, nimmt dieses Recht ein anderer für ihn wahr, der sogenannte Berechtigte, vgl. § 630d Abs. 2 S. 1 BGB. Dies ist jedoch nicht zwingend der Vertragspartner, sondern richtet sich nach den übrigen zivilrechtlichen Vorschriften (zu einem Auseinanderfallen kommt es beispielsweise in der Fallkonstellation 4). Dies zeigt auch die 31
BT-Drs. 17/10488, 1 (20). BT-Drs. 17/10488, 1 (18). 33 Siehe dazu oben unter A. III. 2. b) cc). 32
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D. Klärung von für die Analyse elementaren Begriffen
Gesetzesbegründung zu § 630d BGB, wonach „eine medizinische Maßnahme, etwa ein Eingriff in den Körper oder die Gesundheit des Patienten, Auswirkungen auf dessen Leben, Körper und/oder Gesundheit des Patienten haben kann“.34 Durch die Verbindung des Wortes Patient mit dessen Leben etc. wird deutlich, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle unter Patient die tatsächlich behandelte Person versteht. Dann führt die Gesetzesbegründung aus, dass „vor der Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit des Patienten, seine Einwilligung einzuholen“ ist.35 Hier wird deutlich, dass unter Patient die tatsächlich behandelte Person zu verstehen ist und dessen Einwilligung einzuholen ist. Im Rahmen von § 630d Abs. 1 S. 1 BGB versteht der Gesetzgeber unter dem Begriff des Patienten somit nicht ausschließlich den Vertragspartner (Wortverständnis 1), sondern (zumindest auch) die tatsächlich behandelte Person (Wortverständnis 2). Der Gesetzgeber versteht unter dem Begriff des Patienten in den §§ 630c ff. BGB jedoch auch nicht ausschließlich die tatsächlich behandelte Person, also Wortverständnis 2. Dies wird an § 630c Abs. 3 S. 1 BGB deutlich, wo es um die Kosten der Behandlung geht. In synallagmatischen Vertragsverhältnissen ist stets der Vertragspartner und nicht ein Dritter zur Gegenleistung verpflichtet. Etwas anderes kann auch nicht geregelt werden, da es sich sonst um einen Vertrag zulasten Dritter handeln würde, welcher aufgrund des schwerwiegenden Eingriffs in dessen Privatautonomie unzulässig ist.36 In § 630a Abs. 1 BGB stellt der Gesetzgeber ausdrücklich im Rahmen seiner Legaldefinition dar, dass der Vertragspartner zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet ist (soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist). Dementsprechend muss eine Information über die entstehenden Kosten zwingend (zumindest auch) dem Vertragspartner (Wortverständnis 1) und darf nicht (ausschließlich) der tatsächlich behandelten Person erteilt werden (Wortverständnis 2).37 Durch die beiden Beispiele des § 630d Abs. 1 S. 1 BGB sowie des § 630c Abs. 3 S. 1 BGB wird deutlich, dass der Gesetzgeber in den §§ 630c ff. BGB somit weder ausschließlich vom Wortverständnis 1 noch ausschließlich vom Wortverständnis 2 ausgeht. Deswegen ist für jede einzelne Norm durch Ausle-
34
BT-Drs. 17/10488, 1 (23). BT-Drs. 17/10488, 1 (23). 36 Looschelders, Schuldrecht, 15. Aufl. (2017), Rdnr. 1132; Staudinger/Klumpp, Vorbemerkungen zu §§ 328 ff., Rdnr. 53; Palandt/Grüneberg, Einf v § 328, Rdnr. 10. Zur Unzulässigkeit von Verträgen zulasten Dritter siehe BGHZ 78, 369 (374 f.); BGH, NJW-RR 2016, 1391 (1393). 37 Näher zum Informationsempfänger im Rahmen des § 630c Abs. 3 BGB unter F. II. 4. g) bb). 35
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gung zu prüfen, was der Gesetzgeber dort konkret unter dem Begriff des Patienten versteht.
3. Auswirkungen der unterschiedlichen Begriffsverständnisse Die beiden Bedeutungen des Begriffs des Patienten meinen in der 2-Personen-Konstellation, in welcher der zu Behandelnde selbst den Behandlungsvertrag mit dem Behandelnden schließt, ein und dieselbe natürliche Person, sodass sich das unterschiedliche Begriffsverständnis in dieser Konstellation (die den Regelfall darstellen wird) nicht auswirkt (im Folgenden Konstellation 1). Zu einem Auseinanderfallen der Begriffsbedeutungen und somit zur Bezeichnung verschiedener natürlicher Personen kommt es jedoch dann, wenn ein Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) geschlossen wird, somit in der 3-Personen-Konstellation. Dies ist der Regelfall bei der Behandlung Minderjähriger.38 Grundsätzlich könnten die Eltern als gesetzliche Vertreter des Kindes zwar stellvertretend einen Vertrag im Namen des Kindes schließen (§§ 1629 S. 1, 164 ff. BGB), sodass es zumindest bei Minderjährigen nicht zum Abschluss eines Vertrags zugunsten Dritter gem. § 328 BGB kommen müsste und sich somit keine 3-Personen-Konstellation ergäbe. Aus der Sicht des Behandelnden besteht jedoch das Interesse, den Behandlungsvertrag nicht mit einem vermögenslosen Minderjährigen zu schließen, sondern mit den grundsätzlich vermögenderen Sorgeberechtigten. Dann müsste er sich im Falle des Zahlungsausfalls nicht damit auseinandersetzen, was die Sorgeberechtigten dem Minderjährigen im Rahmen ihrer Unterhaltsverpflichtung gem. §§ 1601, 1610 BGB gewähren müssen und was nicht. Zudem müsste er dann nicht gegen einen Dritten vorgehen, der nicht sein Vertragspartner ist. Deswegen besteht der konkludente Wille des Behandelnden beim Abschluss eines Vertrags, der sich auf die Behandlung eines Minderjährigen richtet, grundsätzlich dahingehend, mit dem oder den Sorgeberechtigten einen Vertrag zugunsten des Minderjährigen zu schließen. Da es für die Sorgeberechtigten grundsätzlich keinen relevanten Unterschied macht, ob sie einen Vertrag im Namen des Minderjährigen oder einen eigenen Vertrag zugunsten des Minderjährigen abschließen, ist deswegen bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung von einem Vertragsschluss zugunsten des Minderjährigen gem. § 328 BGB auszugehen.
38 Vgl. BGHZ 89, 263 (266 f.); BGHZ 163, 42 (48); BGHZ 106, 153 (161); Laufs/Katzen meier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. III Rdnr. 15 m. w. N.
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D. Klärung von für die Analyse elementaren Begriffen
a) Ausschluss des Vertrags zugunsten Dritter bei Behandlungsverhältnissen? Es ließe sich argumentieren, dass aufgrund der nun bestehenden gesetzlichen Regelungen ein Vertragsschluss zugunsten Dritter nicht mehr möglich sei, da bei einem solchen das gesetzgeberische Verständnis des Patienten als Vertragspartner, welches sich aus der Legaldefinition im Rahmen des § 630a Abs. 1 BGB ergibt, nicht mehr haltbar sei. Dass ein Vertrag zugunsten Dritter jedoch nach wie vor möglich sein muss, ergibt sich allerdings auch aus anderen Konstellationen. So kann beispielsweise der einwilligungsfähige Minderjährige aufgrund der Regelungen der §§ 106 ff. BGB alleine keinen wirksamen Behandlungsvertrag über eine Maßnahme schließen, deren Kosten nicht von der Krankenversicherung übernommen werden.39 Das Bestehen der Einwilligungsfähigkeit mit der daraus resultierenden Alleinentscheidungskompetenz40 des Minderjährigen würde jedoch dann leerlaufen, wenn er diese Kompetenz faktisch nicht wahrnehmen könnte, weil ihm der wirksame Abschluss eines Vertrags aufgrund seiner beschränkten Geschäftsfähigkeit nicht möglich wäre. Wären die Sorgeberechtigten gegen eine vom einwilligungsfähigen Minderjährigen gewünschte Behandlung, so würden sie in einen auf diese Behandlung gerichteten Behandlungsvertrag weder einwilligen noch einen solchen genehmigen, sodass der Minderjährige die Behandlung vor seinem 18. Geburtstag faktisch nicht herbeiführen könnte. Gelingt es ihm jedoch, eine geschäftsfähige Person zu finden, beispielsweise seine Großmutter, die bereit ist, den Vertrag zugunsten des Minderjährigen gem. § 328 BGB abzuschließen und ihm das Geld für diese Behandlung zur Verfügung zu stellen,41 so könnte der Minderjährige die Behandlung gegen den Willen seiner Eltern durchführen. Ein solches Vorgehen widerspricht auch nicht dem elterlichen Sorgerecht aus § 1626 Abs. 1 BGB, denn wie bereits erläutert erlischt das elterliche Sorgerecht in Bezug auf die medizinische Behandlung mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen.42 Zudem be39
Übernimmt die Krankenversicherung die Kosten der Behandlung, so kann der Minderjährige gem. § 107 BGB selbst einen Behandlungsvertrag schließen, da dieser für ihn nicht rechtlich nachteilhaft ist. Abgesehen von der Zahlungspflicht bestehen für den Vertragspartner beim Behandlungsvertrag grundsätzlich keine Pflichten, sondern allenfalls Obliegenheiten gem. § 630c Abs. 1 BGB. Unabhängig von einem wirksamen Vertragsschluss kann eine medizinische Maßnahme jedoch nur dann rechtlich zulässig vorgenommen werden, wenn darin wirksam eingewilligt worden ist, § 630d BGB. Dementsprechend bedarf es bei Einwilligungsunfähigkeit des Minderjährigen der Einwilligung des Berechtigten i. S. d. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB, bei Einwilligungsfähigkeit kann der Minderjährige selbst einwilligen. 40 So die hier vertretene Auffassung, siehe dazu unter D. I. 41 In derartigen Fällen wäre auch eine Anwendung des § 110 BGB nicht möglich, da die Überlassung des Geldes dann wohl nicht mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erfolgen würde. 42 Siehe dazu oben unter D. I.
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steht auch aus anderen Gründen kein Bedürfnis, die Möglichkeit des § 328 BGB bei Behandlungsverträgen auszuschließen. Schließlich werden bei zahlreichen anderen Vertragstypen stets durch einen Dritten Verträge zugunsten des Minderjährigen geschlossen, beispielsweise dann, wenn dieser mit Verwandten, Bekannten oder sonstigen Personen einen Zoo, Freizeitpark etc. aufsucht. Dem Vertragspartner kann jedoch nicht pauschal die Pflicht auferlegt werden, bei Minderjährigen grundsätzlich zu prüfen, ob die gesetzlichen Vertreter anwesend sind und den Vertrag zugunsten des Minderjährigen schließen oder ob die gesetzlichen Vertreter mit einem derartigen Vertragsschluss einverstanden sind. Dies wäre dem Vertragspartner faktisch kaum möglich; er kann jedoch auch nicht mit dem Risiko belastet werden, dass er im Falle der unterlassenen Absicherung dann haftungsrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt ist. § 328 BGB hat folglich durchaus seine Berechtigung bei Vertragsschlüssen in Bezug auf Minderjährige und muss somit auch im Behandlungsvertragsrecht grundsätzlich möglich bleiben. b) Anwendung der Begriffsverständnisse auf die Konstellation des Vertrags zugunsten Dritter Deswegen ist zu prüfen, wie sich die unterschiedlichen Wortverständnisse in der Konstellation eines Vertrags zugunsten eines Dritten gem. § 328 BGB auswirken würden. In dieser ist Patient nach dem Wortverständnis 1 der Vertragspartner, nach dem Wortverständnis 2 ist Patient dagegen der Dritte, zu dessen Gunsten der Vertrag geschlossen wird. Mit dem gleichen Wort „Patient“ werden somit bereits nach § 630a Abs. 1 BGB zwei unterschiedliche Personen bezeichnet. Beim Vertrag zugunsten Dritter sind zudem zwei Fallgruppen zu unterscheiden. Wenn die tatsächlich behandelte Person einwilligungsfähig i. S. d. § 630d BGB bzw. informationsbefolgungsfähig i. S. d. § 630c BGB ist (Beispiel: Die sorgeberechtigten Eltern schließen einen Vertrag zugunsten ihres 16-jährigen Kindes ab, das zwar noch nicht voll geschäftsfähig [§ 106 BGB], jedoch einwilligungs- und informationsbefolgungsfähig ist) meint Patient nach dem Wortverständnis 1 die Eltern, nach dem Wortverständnis 2 das 16-jährige Kind (im Folgenden Konstellation 2). Ist die tatsächlich behandelte Person hingegen nicht einwilligungsfähig bzw. nicht informationsbefolgungsfähig, sind wiederum zwei Varianten zu unterscheiden: Wenn der oder die Sorgeberechtigte(n) den Vertrag zugunsten der tatsächlich behandelten Person abschließen (Beispiel: Die sorgeberechtigten Eltern schließen einen Vertrag zugunsten ihres sechsjährigen Kindes ab, das weder einwilligungs- noch informationsbefolgungsfähig ist), sind Patient nach dem Wortverständnis 1 die Eltern, nach dem Wortverständnis 2 ist Patient das sechsjährige Kind (im Folgenden Konstellation 3). Davon zu unter-
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scheiden ist die Situation, dass ein beliebiger Dritter, der nicht der Sorgeberechtigte ist, den Vertrag zugunsten der tatsächlich behandelten Person abschließt (Beispiel: Die Großmutter schließt einen Vertrag zugunsten ihres sechsjährigen Enkelkindes ab, das weder einwilligungs- noch informationsbefolgungsfähig ist, Personensorgeberechtigte i. S. d. § 1626 Abs. 1 BGB sind jedoch die Eltern). Hier ist Patient nach dem Wortverständnis 1 die Großmutter, nach dem Wortverständnis 2 ist Patient das sechsjährige Enkelkind (Konstellation 4). In den 3-Personen-Verhältnissen (Konstellationen 2–4) wirkt sich das unterschiedliche Begriffsverständnis somit im Gegensatz zum 2-Personen-Verhältnis (Konstellation 1) sehr wohl aus. Deswegen ist bei jeder Norm genau zu analysieren, wen der Gesetzgeber verpflichten wollte. Es gibt stets drei Möglichkeiten: Entweder meint der Gesetzgeber i. S. d. Wortverständnisses 1 den Vertragspartner (Möglichkeit 1) oder er meint i. S. d. Wortverständnisses 2 die tatsächlich behandelte Person (Möglichkeit 2) oder er meint beide, also sowohl den Vertragspartner als auch die tatsächlich behandelte Person (Möglichkeit 3). Wer unter dem Begriff des Patienten zu verstehen ist, ist für jede Norm im Wege der Auslegung zu ermitteln. Allen Auslegungen immanent ist dabei die Feststellung, dass eine Auslegung des Wortlauts nicht weiterhilft, da der Gesetzgeber im Wortlaut des § 630a Abs. 1 BGB wie soeben gezeigt deutlich gemacht hat, dass er von zwei verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten des Begriffs des Patienten ausgeht. Dass dies wenig erfreulich ist, weil es zu zahlreichen Auslegungsproblemen führt und zudem weder für Transparenz, Rechtssicherheit noch Laienverständlichkeit sorgt,43 ändert nichts daran, dass die gesetzliche Regelung nun in dieser Form existiert und sich dementsprechend mit dieser auseinandergesetzt werden muss. Dass eine Legaldefinition stets dem restlichen Wortlaut vorginge, ist nicht der Fall, beide stehen im Rahmen der Auslegung gleichwertig nebeneinander, sodass hieraus keine Schlüsse gezogen werden können. Zudem kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er in einem Absatz widersprüchliche Regelungen treffen wollte, von denen eine per se unwirksam ist. Es verbleiben somit die übrigen Auslegungsmethoden der Historie, Systematik und des Sinn und Zwecks44 sowie die Möglichkeiten der Analogie und der teleologischen Reduktion, welche Unterfälle der richterlichen Rechtsfortbildung darstellen.45 Auf all diese wird im Rahmen der Einzelanalysen der Aufklärungs- und Informationspflichten zurückgegriffen, um für jede Pflicht das genaue Wortverständnis zu ermitteln. 43 BT-Drs. 17/10488, 1 (1, 9): „die Patientinnen und Patienten sollen ihre wichtigsten Rechte möglichst selbst im Gesetz nachlesen können“. 44 Siehe dazu oben unter A. III. 1. 45 Siehe dazu oben unter A. III. 2.
IV. Begriff der Behandlung
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IV. Begriff der Behandlung Bei dem Begriff der Behandlung handelt es sich um einen für die §§ 630a–h BGB elementaren Begriff, er findet sich in §§ 630a Abs. 1 und 2, 630c Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 und Abs. 4, 630f Abs. 1 bis 3, 630h Abs. 4 BGB. Da er sich insbesondere auch in den in dieser Arbeit betrachteten Regelungen zu den Informationspflichten findet, ist vorab zu klären, was unter dem Wort Behandlung zu verstehen ist und wann diese genau beginnt. Eine der ersten Handlungen (wenn nicht sogar die erste Handlung) des Arztes im Arzt-Patient-Verhältnis ist die Erhebung der Anamnese. Diese stellt einen Teil der Diagnostik dar und bildet den Beginn der Behandlung.46 Schließlich stellt eine unzureichende Anamnese bereits einen Behandlungsfehler dar.47 Einen weiteren Teil der Diagnostik stellt die ärztliche Untersuchung dar.48 Beide dienen der Diagnosestellung und sind letzterer dementsprechend zeitlich vorgelagert. Dies spricht dafür, dass der Begriff der Behandlung weit gefasst ist und nicht lediglich die Durchführung des medizinischen Eingriffs bzw. der medizinischen Maßnahme umschreibt. Für ein derartiges Wortverständnis spricht zudem die systematische Auslegung. Gem. § 630a Abs. 1 BGB ist die Vertragspflicht des Behandelnden die Leistung der versprochenen Behandlung. Dass diese nur in der Durchführung eines Eingriffs oder einer sonstigen Maßnahme bestünde, entspricht nicht den Interessen der Parteien. Dies wird gestützt durch die historische Auslegung. Nach der Gesetzesbegründung versteht der Gesetzgeber unter Behandlung i. S. d. Behandlungsvertrags grundsätzlich die Heilbehandlung, welche „neben der Diagnose die Therapie und damit sämtliche Maßnahmen und Eingriffe am Körper eines Menschen, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden, körperliche Beschwerden oder seelische Störungen nicht krankhafter Natur zu verhüten, zu erkennen, zu heilen oder zu lindern“ umfasst.49 Der Gesetzgeber macht hier deutlich, dass nicht nur die Therapiemaßnahmen, sondern daneben die Diagnose und folglich als dieser vorgeschaltetes Element beispielsweise die Anamnese als Teil der Behandlung anzusehen ist. In systematischer Hinsicht wird dies weiter gestützt von § 630f Abs. 2 S. 1 BGB. Dort werden als für die derzeitige und künftige Behandlung wesentliche Maßnahmen und deren Ergebnisse beispielhaft sowohl die Anamnese als auch Untersuchungen genannt. Zudem stellt der Gesetzgeber in § 630d BGB sowie § 630e BGB stets auf die (medizinische) Maßnahme und nicht auf die Behandlung ab, was ebenfalls dafür spricht, dass der Begriff der Laufs/Kern/Kern, § 46 Rdnr. 2; vgl. Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 96. Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 96. 48 Laufs/Kern/Kern, § 47 Rdnr. 1. 49 BT-Drs. 17/10488, 1 (17) mit falschem Verweis (Laufs/Kern, § 29 Rn. 4 ff.); ähnlich jedoch Laufs/Kern/Kern, § 50 Rdnr. 3. 46 47
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Behandlung deutlich weiter ist als die bloße Vornahme eines Eingriffs oder einer sonstigen Maßnahme. Deswegen ist der Begriff der Behandlung weit auszulegen. Zur Behandlung zählt bereits das Erheben der Anamnese, die Behandlung beginnt nicht erst mit Durchführung einer konkreten Therapiemaßnahme.
E. Aufklärungspflicht Zunächst wird die in § 630e BGB normierte Aufklärungspflicht analysiert, da diese in der Rechtsprechungspraxis wesentlich mehr Aufmerksamkeit erfahren hat als die Informationspflichten, die nun in § 630c BGB normiert sind. Bei der Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung handelt es sich lediglich um eine einzige Pflicht mit unterschiedlichen Inhalten und Modalitäten und nicht um mehrere Aufklärungspflichten, wie dies die Überschrift des § 630e BGB andeutet. Innerhalb der einzelnen Absätze des § 630e BGB wird im Gegensatz zur Überschrift richtigerweise stets die Aufklärung im Singular und nicht im Plural genannt. Wird ein einzelner geschuldeter inhaltlicher Aspekt oder eine bestimmte Modalität nicht gewahrt, so handelt es sich stets um einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht als solche. Im Gegensatz zur Aufklärungspflicht können bei den Informationspflichten mehrere Pflichten unterschieden werden,1 weswegen dort die Überschrift „Informationspflichten“ korrekt ist. Bei § 630e BGB hätte die Überschrift dagegen „Aufklärungspflicht“ lauten müssen. Die einzelnen Inhalte und Modalitäten der Aufklärungspflicht werden nacheinander betrachtet. Dabei wird zunächst die Rechtslage vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes anhand der Rechtsprechung festgestellt und sodann der Bedeutungsgehalt der gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf diese Inhalte und Modalitäten ermittelt, wobei etwaige Lücken im Gesetz und die Notwendigkeit und Möglichkeit der Lückenschließung untersucht werden und geprüft wird, ob und inwieweit Änderungen zur bisheriger Rechtslage nach der Rechtsprechung bestehen. Schließlich wird die Qualität der konkreten Regelung bewertet.
I. Allgemeine Grundsätze Der Aufklärungspflicht kommt im Arzt-Patient-Verhältnis eine ganz entscheidende Rolle zu. Mag dies von den Ärzten in der Praxis auch nicht dementsprechend wahrgenommen und der Aufklärungspflicht folglich nicht eine derart große Bedeutung zugemessen werden, so hat deren Relevanz durch den Wandel des 1
Dazu später unter F. II.
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E. Aufklärungspflicht
Arzt-Patient-Verhältnisses zu mehr Autonomie und Selbstbestimmung stark zugenommen. Zudem werden Haftungsklagen zunehmend auf Aufklärungsmängel gestützt,2 der Aufklärungsrüge kommt regelmäßig die Funktion eines Auffangtatbestands zu.3 Auch hierdurch hat die Aufklärungspflicht an Relevanz gewonnen. Die Aufklärung dient der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten,4 weswegen sie unter dem Terminus Selbstbestimmungsaufklärung bekannt ist. Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist zugleich Ziel und Rechtsgrund der Aufklärung. Jeder medizinische Heileingriff stellt eine Körperverletzung dar, die nur durch eine wirksame Einwilligung (§ 630d BGB) gerechtfertigt werden kann, welche wiederum eine ordnungsgemäße Aufklärung voraussetzt (vgl. § 630d Abs. 2 BGB). Eine (Zwangs-)Behandlung gegen den Willen des Patienten ist unzulässig.5 Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Selbstbestimmungsaufklärung und den Bezügen zur Aufklärung wird auf die Ausführungen im Grundrechtsteil verwiesen.6 Aus der Verknüpfung mit dem Selbstbestimmungsrecht und dessen hoher grundrechtlicher Relevanz erklärt sich die große Bedeutung der Aufklärung. Auch in prozessrechtlicher Hinsicht kommt der Aufklärungspflicht aus Sicht des Arztes eine größere Bedeutung zu als den Informationspflichten, denn für diese ist der Arzt beweispflichtig, vgl. § 630h Abs. 2 S. 1 BGB. Da die Beweislage in Arzthaftungsprozessen oft sehr schwierig ist, hat dieser Umstand in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Patienten vermehrt Aufklärungsfehler geltend machen,7 da sie die Behandelnden dadurch in Beweisnöte bringen und sich bei diesen größere Erfolgschancen ausrechnen. Dies zeigt sich insbesondere auch an der Masse der in den letzten Jahren zur Aufklärungspflicht ergangenen Entscheidungen.
1. Richterrecht Die Aufklärung dient dazu, den Wissensvorsprung des Arztes und die daraus resultierende Informationsasymmetrie zwischen Arzt und Patient abzubauen und ist Ausdruck des Freiheitsrechts der gesundheitlichen Selbstbestimmung. Gleichzeitig sichert sie die körperliche Integrität des Patienten. Sie soll es dem Patien2 Wachsmuth/Schreiber, NJW 1981, 1985 (1985); vgl. BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630h, Rdnr. 32. 3 Muschner, Die haftungsrechtliche Stellung ausländischer Patienten und Medizinalpersonen in Fällen sprachbedingter Mißverständnisse, 2002, 96; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630h, Rdnr. 32; Knoche, NJW 1989, 757 (757 f.); Katzenmeier, ZRP 1997, 156 (161); vgl. Giebel/Wienke/Sauerborn u. a., NJW 2001, 863 (866); Thora, VersR 2011, 1016 (1016). 4 So bereits BGHZ 29, 46 (54 ff.). 5 BGHZ 163, 195 (197 f.); vgl. BGHZ 154, 205 (205, 217). 6 Siehe dazu unter C. I. 3. 7 Vgl. statt vieler BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630h, Rdnr. 32 m. w. N.
I. Allgemeine Grundsätze
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ten ermöglichen, eine informierte eigene Wertungsentscheidung zu treffen und sich dadurch für oder gegen eine Einwilligung in eine medizinische Maßnahme zu entscheiden. Die Aufklärung soll die Grundlage für die Entscheidung des Patienten für oder gegen eine medizinische Maßnahme bilden und ihn zur Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts befähigen; er soll eine zutreffende Vorstellung von dem erlangen, was ihn erwartet.8 Die Risiko- und Verlaufsaufklärung, die Aufklärung über Erfolgsaussichten und Behandlungsalternativen etc. sind alles Mittel, um diesen Zweck zu erreichen.9 Die Erteilung der Einwilligung ist nur in den gesamten Eingriff möglich.10 Die Maßstäbe, die der Patient seiner Entscheidung zugrunde legt, kann er frei wählen.11 Die Aufklärung hat patientenbezogen zu erfolgen und ist an den konkreten Einzelfallumständen auszurichten,12 sie ist somit im Vorhinein nicht abstrakt festlegbar. Dies resultiert aus der Fokussierung auf die eigene Wertungsentscheidung des konkreten Patienten. Einfluss auf Art und Umfang der Aufklärung können die allgemeine Erkenntnisfähigkeit, Intelligenz, Bildungsgrad, berufliche Kenntnisse sowie die Erfahrungen des Patienten aus seiner Krankenvorgeschichte haben.13 Einem intelligenten, vorinformierten Patienten kann es im Einzelfall zuzumuten sein, eine Vervollständigung der Belehrung durch Nachfragen zu erreichen.14 Insofern, als diesbezüglich jedoch nur Rechtsprechung zu finden ist, die bereits mehr als 30 Jahre alt ist, ist davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung aufgegeben hat und mittlerweile strengere Anforderungen stellt, sodass der Arzt unabhängig von Nachfragen aufklären muss und zumindest Kriterien wie Intelligenz und Bildungsgrad keinen Einfluss mehr auf den geschuldeten Umfang haben. Auch in der Massenmedizin ist ordnungsgemäß aufzuklären.15 Die Aufklärung soll „dem Patienten ein[en] zutreffende[n] Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittel[n] […], die für [s]eine körperliche Integrität und Lebensführung auf ihn zukommen“ (sog. Grundaufklärung).16 Aufzuklären ist nicht bis in das kleinste Detail, sondern viel8
OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1543). Zum Gegenstand der Aufklärung siehe unter E. II. 10 BGHZ 90, 96 (101 f.); BGHZ 106, 391 (398). 11 BVerfGE 52, 131 (175). 12 BGH, NJW 2009, 1209 (1210); BGH, NJW 1976, 363 (363 f.); vgl. BGH, NJW 1980, 1905 (1905); BGH, NJW 1973, 556 (557). 13 BGH, NJW 1976, 363 (364); vgl. auch BGH, NJW 1979, 1933 (1934); BGH, NJW 1973, 556 (557); BGH, NJW 1980, 633 (635); vgl. BGH, VersR 1961, 1036 (1038). 14 BGH, NJW 1976, 363 (364); BGH, NJW 1973, 556 (557); vgl. BGH, NJW 1980, 1333 (1334). 15 BGH, NJW 1990, 2311 (2311 f.). 16 BGH, NJW 1996, 777 (779); vgl. OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1543); OLG Naumburg, NJW 2010, 1758 (1758); BGHZ 90, 103 (106, 108); BGHZ 106, 391 (399). Zum 9
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E. Aufklärungspflicht
mehr „im Großen und Ganzen“.17 Es muss nicht auf „jede, noch so entfernt liegende Gefahrenmöglichkeit“ hingewiesen werden.18 Maßgeblich ist immer der zum Zeitpunkt der Aufklärung bestehende Stand der ärztlichen Erkenntnisse.19 Erforderlich ist stets, dass der Patient psychisch und physisch in der Lage ist, die Aufklärung zu erfassen und auf deren Grundlage eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.20 Dies kann unter anderem dann ausgeschlossen sein, wenn der Patient bereits erheblich sediert ist.21
2. § 630e Abs. 1 BGB Die Gesetzesbegründung hält im Einklang mit der Rechtsprechung fest, dass die jeweilige konkrete Behandlungssituation maßgeblich für die Art und Weise, den Umfang und die Intensität der Aufklärung ist.22 Die Aufklärung soll kein medizinisches Detailwissen vermitteln, sondern den Patienten über Schwere und Tragweite, Chancen und Gefahren der Maßnahme in Kenntnis setzen.23 Dem Wortlaut zufolge soll über sämtliche für die Einwilligung wesentliche24 Umstände aufgeklärt werden, § 630e Abs. 1 S. 1 BGB. Die in § 630e Abs. 1 S. 2 BGB vorhandene Aufzählung ist nicht abschließend, was durch die Verwendung des Begriffs „insbesondere“ hervorgehoben wird. Dies verdeutlicht, dass der Aufklärungsumfang nicht abstrakt festgelegt werden kann, sondern einzelfallabhängig Begriff der Grundaufklärung, welche eine Aufklärung über das schwerste Risiko enthalten muss, siehe BGH, NJW 2001, 2798 (2798); BGH, NJW 1996, 777 (778 f.); BGHZ 106, 391 (399); BGH, NJW 1991, 2346 (2347); OLG Köln, MedR 2012, 121 (122). 17 St. Rspr., siehe u. a. BGH, NJW 1971, 1887 (1887); BGH, NJW 2010, 3230 (3231); BGH, NJW 2011, 1088 (1089); BGH, NJW 1972, 335 (336); BGH, NJW 1977, 337 (337); BGH, NJW 2009, 1209 (1210); BGHZ 166, 336 (339, 342); BGHZ 168, 103 (108); BGH, NJW 1972, 1422 (1423); BGH, NJW 2011, 375 (375); BGHZ 90, 103 (106); BGH, NJW 1963, 393 (394); BGH, NJW 1986, 780 (780). 18 BGH, NJW 2009, 1209 (1210). 19 Vgl. BGH, NJW 1963, 393 (394). 20 BGH, NJW 1987, 2291 (2293). 21 BGH, NJW 1987, 2291 (2293). 22 BT-Drs. 17/10488, 1 (24). 23 BT-Drs. 17/10488, 1 (24); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (29). 24 Der DAV kritisiert die Einschränkung auf „wesentliche“ Umstände, diese Einschränkung sei „im Interesse des Patienten unter Beachtung seines Selbstbestimmungsrechts schwer verständlich“, DAV, Stellungnahme Nr. 15/2012 zum RefE, 1 (7). Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Zum einen ist es dem Behandelnden zeitlich nicht zuzumuten, immer über alle erdenklichen Risiken schonungslos aufzuklären. Zum anderen liegt dies auch nicht im Interesse des Patienten, der i.d.R. medizinischer Laie ist und durch die Flut an Informationen überfordert wird, den Überblick verliert und dann gerade keine vernünftige Entscheidung mehr treffen kann, wenn ihm jegliche Informationen ungefiltert übermittelt werden.
II. Gegenstand und Umfang
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ist. Durch den Wechsel der Begrifflichkeiten von „Eingriff“ zu „Maßnahme“ in § 630e Abs. 1 S. 2 BGB wurde nochmal hervorgehoben, dass das Aufklärungserfordernis nicht nur für chirurgische Eingriffe, sondern für jegliche Behandlungsmaßnahmen gilt.
3. Bewertung Aus § 630e Abs. 1 BGB ergeben sich keine Unterschiede zu den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung, sodass diese unverändert fortgelten können. Bei diesen Grundsätzen handelt es sich um adäquate Regelungen, sodass die Qualität des Gesetzes in dieser Hinsicht nicht zu kritisieren ist.
II. Gegenstand und Umfang Gegenstand der Aufklärung können viele verschiedene Aspekte sein, der geschuldete Umfang kann abhängig von den Einzelfallumständen erheblich variieren. Aus Gründen der Übersicht und der gesetzlichen Trennung in unterschiedlichen Sätzen des § 630e Abs. 1 BGB werden zunächst Gegenstand und Umfang nach § 630e Abs. 1 S. 1, 2 BGB und sodann die Aufklärung über Behandlungsalternativen betrachtet. Bei diesen beiden Unterpunkten wird wiederum zunächst das Richterrecht dargestellt, sodann die Rechtslage nach dem Patientenrechtegesetz und die sich hieraus ergebenden Unterschiede zum Richterrecht ermittelt und abschließend die Qualität der Regelung bewertet.
1. Nach § 630e Abs. 2 S. 1, 2 BGB Der Umfang der Aufklärung bestimmt sich zum einen durch das Gewicht der medizinischen Indikation, welches sich aus der Notwendigkeit, der Dringlichkeit sowie den Heilungschancen des Eingriffs ergibt, zum anderen durch die Schwere der Schadensfolgen für die Lebensführung bei Verwirklichung des Risikos.25 Aufgrund der Besonderheiten jedes Einzelfalls ist es nicht möglich, einen genauen Umfang abschließend festzulegen. Es gibt jedoch gewisse Grundsätze, die generell gelten; auf diese soll im Folgenden eingegangen werden. a) Richterrecht Die Rechtsprechung hat hin und wieder zwischen den Unterformen der Risiko-, der Erfolgs- und der Verlaufsaufklärung unterschieden, manchmal allerdings 25
BGH, NJW 2009, 1209 (1210).
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E. Aufklärungspflicht
auch nur einen oder zwei dieser Unterpunkte genannt,26 vereinzelt auch andere Unterpunkte wie die Diagnoseaufklärung27 ausdrücklich benannt. Meist hat die Rechtsprechung dagegen gar nicht zwischen verschiedenen Unterformen der Aufklärung differenziert. Eine strikte Trennung der Unterformen ist auch nicht möglich, da sich die einzelnen Bestandteile gegenseitig bedingen28 und dementsprechend fließende Übergänge bestehen.29 Letztlich ist eine genaue Unterteilung auch nicht erforderlich, da sich bei einem Verstoß unabhängig von der etwaigen Kategorie identische Rechtsfolgen ergeben; eine Untergliederung dient somit mehr einer besseren Übersichtlichkeit. Im Folgenden wird versucht, nach den drei genannten (Haupt)Unterformen zu differenzieren, wobei die vorgenommene Unterteilung und Zuordnung nicht als zwingend und abschließend zu verstehen ist. In der Literatur wird ebenfalls unterschiedlich untergliedert.30 aa) Risikoaufklärung Die Risikoaufklärung dient der Aufklärung über das Risiko der beabsichtigten ärztlichen Maßnahme.31 Voraussetzung einer Pflicht zur Risikoaufklärung ist stets, dass das Risiko möglicher Komplikationen oder sonstiger schädlicher Nebenfolgen32 zum Zeitpunkt der Behandlung nach medizinischer Erfahrung bekannt war oder hätte bekannt sein müssen.33 Ernsthafte Stimmen müssen in der 26
Verlaufs-, Risiko- und Erfolgsaufklärung: BGH, NJW 1990, 2929 (2929); BGHZ 166, 336 (339) sowie BGHZ 106, 391 (394); Verlaufs- und Risikoaufklärung: BGHZ 102, 17 (22); OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 816 (817 f.); Risikoaufklärung: BGH, NJW 2005, 1718 (1718); Verlaufsaufklärung: BGH, NJW 1988, 1514 (1515). 27 BGH, NJW 2005, 1718 (1719). 28 So ist bspw. die Intensität der Aufklärung über Erfolgsaussichten von dem Verhältnis der Risiken zu den Heilungschancen abhängig, vgl. dazu unten unter E. II. 1. a) cc). 29 So auch BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 9; BPS/Wever, § 630e BGB, Rdnr. 1. 30 Deutsch/Spickhoff gliedern beispielsweise nach sechs Unterkategorien (mit der Aufklärung über Behandlungsalternativen sieben) auf, Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 435 ff. Andere meinen, dass üblicherweise zwischen der Risiko-, Diagnose- und Verlaufsaufklärung unterschieden werde, so BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 8; Heyers, BRJ 2012, 135 (140); BPS/Wever, § 630e BGB, Rdnr. 1; Kern, GesR 2009, 1 (5); Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, 1999, 120 f.; Laufs/Kern/Laufs, § 59 Rdnr. 11 ff.; Huster/Kaltenborn/Gaidzik/Weimer, § 15, Rdnr. 80. Kritisch zur Untergliederung der Aufklärung Deutsch, VersR 1981, 293 (293): „babylonische Sprachverwirrung“; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 435: „verwirrendes Bezeichnungsnetz“. 31 BGHZ 162, 320 (325) (dort alternativ auch als Eingriffsaufklärung bezeichnet). 32 OLG Naumburg, NJW 2010, 1758 (1758); BGHZ 163, 209 (217). 33 BGH, NJW 2010, 3230 (3231); BGH, NJW 2011, 375 (375); vgl. BGH, NJW 1990, 1528 (1528); OLG Düsseldorf, VersR 1996, 377 (378). Ist ein Risiko generell nicht bekannt, so besteht schon keine Aufklärungspflicht; musste es nur dem konkreten Behandelnden nicht bekannt sein, so besteht eine Aufklärungspflicht, mangels Verschulden haftet der Arzt für den
II. Gegenstand und Umfang
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medizinischen Wissenschaft auf die Gefahren hinweisen, es muss sich dabei um gewichtige Warnungen handeln und nicht lediglich um unbeachtliche Außenseitermeinungen.34 Die wissenschaftliche Diskussion muss jedoch noch nicht abgeschlossen sein, allgemein akzeptierte Ergebnisse müssen noch nicht vorliegen.35 Nicht kennen muss der Arzt solche Risiken, die nur in anderen Spezialgebieten diskutiert werden.36 Bei der Risikoaufklärung müssen die Risiken nicht medizinisch exakt vermittelt werden, vielmehr ist dem Patienten ein allgemeines Bild von der Schwere des Risikospektrums zu vermitteln,37 er soll eine „allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken“ erhalten.38 Die Risiken müssen gerade nicht in jeglichen denkbaren Erscheinungsformen benannt werden.39 Aufzuklären ist über alle „nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken“, soweit diese für den Entschluss des Patienten relevant sein können.40 Es muss sich um „behandlungstypische[…] Risiken [handeln], deren Kenntnis beim Laien nicht vorausgesetzt werden kann, die aber für die Entscheidung des Patienten über die Zustimmung zur Behandlung ernsthaft ins Gewicht fallen.“41 Nur von geringem Wert hinsichtlich der Frage der Aufklärungspflicht sind Risikostatistiken.42 Maßgeblich ist nicht ein bestimmter Grad der Risiko- bzw. Komplikationsdichte, sondern die Frage, ob es sich um ein dem Eingriff spezifisch anhaftendes Risiko handelt, das im Falle der Verwirklichung eine besonde-
Pflichtverstoß jedoch nicht, BGH, NJW 2011, 375 (375); BGH, NJW-RR 2010, 833 (835); OLG Köln, MedR 2012, 121 (122). 34 BGHZ 168, 103 (110); BGH, NJW 1996, 776 (777); vgl. BGH, NJW 1978, 587 (587); OLG Koblenz, NJW 1999, 3419 (3420); OLG Hamm, NJW 1999, 3421 (3421); OLG Nürnberg, NJW-RR 2012, 1423 (1423 f.). 35 BGH, NJW 1996, 776 (777). 36 BGH, NJW 2010, 3230 (3231); BGH, NJW 2011, 1088 (1089); BGH, NJW 2011, 375 (375). 37 OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1543); BGHZ 166, 336 (342); vgl. BGHZ 144, 1 (7); BGHZ 106, 391 (399); BGHZ 90, 103 (106); vgl. BGH, NJW 1992, 2351 (2352); OLG Hamm, NJW 1999, 3421 (3421). 38 BGH, NJW 2011, 375 (375); BGH, NJW 2010, 3230 (3231); BGH, NJW 2009, 1209 (1210); BGHZ 90, 103 (106); BGH, NJW 1984, 1807 (1808); vgl. auch BGHZ 166, 336 (343); BGH, NJW 1992, 754 (755). 39 BGH, NJW 2009, 1209 (1210); BGHZ 90, 103 (106). 40 BGHZ 90, 103 (106); BGH, NJW 2010, 3230 (3231); BGH, NJW 2009, 1209 (1210); BGH, NJW 2011, 375 (375). 41 BGH, NJW 2007, 217 (218). 42 BGHZ 126, 386 (389); BGHZ 144, 1 (5); BGH, NJW 2015, 74 (75); BGH, NJW-RR 2010, 833 (834); OLG Zweibrücken, VersR 2000, 892 (893).
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E. Aufklärungspflicht
re Belastung für die Lebensführung des Patienten darstellt43 bzw. die Bedeutung, die dem Risiko hinsichtlich der Entscheidung des Patienten zukommt.44 Insofern hat ein Wandel der Rechtsprechung stattgefunden, in früheren Entscheidungen wurde der Risiko- bzw. Komplikationsdichte noch ein deutlich größerer Wert zugemessen.45 Ein festes Zahlenverhältnis bzw. eine feste Prozentzahl bezüglich der Größe der Wahrscheinlichkeit der Risikoverwirklichung im Verhältnis zur ärztlichen Aufklärungspflicht kann demnach erst recht nicht aufgestellt werden.46 So kann auch ein lediglich im Promille-Bereich liegendes Risiko aufklärungspflichtig sein.47 Soll auf den Prozentsatz zurückgegriffen werden, so ist nicht der allgemeine Prozentsatz an Zwischenfällen maßgeblich, sondern derjenige in der konkreten, also in der maßgeblichen Behandlungsinstitution; allerdings nur, sofern hier auf eine ausreichende Zahl von Fällen zurückgegriffen werden kann, um Zufallsergebnisse statistisch auszuschließen.48 Ist die Maßnahme dem konkreten Arzt oder gar in dem konkreten Krankenhaus noch nie misslungen, so rechtfertigt dies jedoch nicht, das Misserfolgsrisiko zu verschweigen.49 Der Arzt darf zwar darauf hinweisen, dass es bei ihm bzw. in dem Krankenhaus noch nie zu 43
BGHZ 144, 1 (5); BGH, NJW 2015, 74 (75); BGH, NJW-RR 2010, 833 (834); BGH, NJW 2007, 2771 (2772); BGH, NJW 1996, 779 (781); OLG Zweibrücken, VersR 2000, 892 (893); OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1543); etwas restriktiver jedoch BGH, NJW 2011, 1088 (1089): kommt „nicht nur auf einen bestimmten Grad der Komplikationsdichte, sondern maßgeblich auch darauf an, ob […]“. 44 BGH, NJW 2009, 1209 (1210); BGH, NJW 2011, 375 (375); BGH, NJW 2010, 3230 (3231); OLG Köln, MedR 2012, 121 (122); sich dem annähernd bereits BGH, NJW 1977, 337 (337). 45 BGH, NJW 1971, 1887 (1888): „der Häufigkeit von Mißerfolgen und unerwünschten Nebenwirkungen […] entscheidende Bedeutung zukommt“; etwas einschränkender bereits BGH, NJW 1980, 1905 (1907): „nicht allein auf die erfahrungsgemäß zu befürchtende Komplikationsdichte ankommt, sondern auch auf das Gewicht, das mögliche nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegende Risiken für den Entschluß des Patienten haben können, in die Operation einzuwilligen“ sowie BGH, NJW 1977, 337 (338): „nicht oder jedenfalls nicht allein auf die erfahrungsgemäß zu befürchtende Komplikationsdichte ankommt“ und BGH, NJW 1961, 2203 (2204): „mit der Berechnung einer generellen Komplikationshäufigkeit allein ist es daher nicht getan“. Verschiedene ältere Urteile beschäftigen sich in ihren Begründungen recht ausführlich mit Statistiken und Komplikationsdichten, so bspw. BGHZ 29, 46 (60 f.); BGHZ 29, 176 (182). 46 BGH, NJW 1972, 335 (337); BGH, NJW 1971, 1887 (1888); OLG Frankfurt, NJW 1973, 1415 (1416 f.). 47 BGH, NJW 1994, 793 (794); BGH, NJW 1996, 779 (781); vgl. BGHZ 144, 1 (5); OLG Stuttgart, VersR 1987, 515 (516). 48 BGH, NJW 1971, 1887 (1888); vgl. BGH, NJW 1980, 1905 (1907); BGH, NJW 1961, 2203 (2204); vgl. OLG Bremen, MedR 1983, 111 (111). 49 OLG Koblenz, VersR 2004, 1564 (1564 f.).
II. Gegenstand und Umfang
101
Problemen gekommen ist, er darf hierdurch dem Patienten aber nicht vermitteln, dass ein Misserfolg ausgeschlossen sei.50 Der Arzt muss dem Patienten jedoch nicht ungefragt genaue Prozentzahlen des Misserfolgsrisikos mitteilen, da diese in Fachpublikationen oder Erfahrungsberichten häufig variieren.51 Dem Patienten muss jedoch eine ungefähre Vorstellung der Risikohöhe vermittelt werden.52 Stets aufzuklären ist über solche Risiken, „die dem Eingriff spezifisch anhaften und bei ihrer Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belasten“,53 s.o. Es ist nur über typische Gefahren aufzuklären, die mit der Behandlung verbunden sind und bei denen nach dem Stande ärztlicher Erfahrung und Wissenschaft mit einem Eintreten gerechnet werden muss.54 Über bloß selten eintretende, aber typische Folgen ist aufzuklären,55 ebenso über seltene, aber schwerwiegende Risiken.56 Dies gilt jedoch nicht, wenn die typischen Schäden nur in seltenen Fällen auftreten und davon auszugehen ist, dass sie die Entscheidung eines verständigen Patienten für oder gegen die Maßnahme nicht ernsthaft beeinflussen.57 Eine Aufklärung ist dann vielmehr nur erforderlich, wenn der Patient ausdrücklich nach solchen Gefahren fragt.58 Verwirklicht sich ein Risiko sehr selten, so ist dennoch stets darauf hinzuweisen, wenn es eine mögliche besonders schwere Belastung des Patienten für dessen Lebensführung mit sich bringt.59 Hinzuweisen ist zudem stets auf das schwerste in Betracht kommende 50
OLG Koblenz, VersR 2004, 1564 (1565). BGH, NJW 1992, 2351 (2352); OLG Koblenz, VersR 2004, 1564 (1564); OLG Naumburg, NJW 2010, 1758 (1759); BGH, NJW 1984, 2629 (2630); vgl. OLG Köln, VersR 2013, 1177 (1178). 52 BGH, NJW 1992, 2351 (2352). 53 Siehe bereits Fn. 603; zudem BGH, NJW 1996, 776 (777); vgl. auch BGHZ 90, 103 (106); BGHZ 166, 336 (342). 54 BGHZ 29, 46 (Rdnr. 29). 55 BGH, NJW 1980, 1905 (1907); OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1543); OLG Celle, VersR 1981, 1184 (1184); OLG Karlsruhe, VersR 1988, 93 (94); OLG Karlsruhe, MedR 1985, 79 (81); OLG Stuttgart, VersR 1987, 515 (516) nicht dagegen über extrem seltene, nicht typische Komplikationen, OLG Düsseldorf, VersR 1992, 1230 (1231). 56 BGH, NJW 1994, 793 (794); BGH, NJW 2011, 375 (375 Rdnr. 7); BGH, NJW-RR 2010, 833 (834); BGH, NJW 2014, 74 (75); BGHZ 90, 103 (107); BGH, NJW 1996, 779 (781); BGHZ 144, 1 (5 f.); BGH, VersR 1968, 558 (558); BGH, NJW 1990, 2929 (2931); OLG Koblenz, NJW 1999, 3419 (3420). 57 BGHZ 29, 46 (Rdnr. 34); BGHZ 29, 176 (182); vgl. auch BGH, NJW 1972, 335 (337); BGH, NJW 1961, 2203 (2204); BGH, VersR 1962, 155 (156); BGH, VersR 1968, 558 (558); BGH, VersR 1961, 1036 (1038); OLG Zweibrücken, VersR 2000, 892 (893); OLG Koblenz, NJW 1999, 3419 (3420). 58 BGHZ 29, 46 (Rdnr. 34); OLG Zweibrücken, VersR 2000, 892 (893). 59 BGH, NJW 2010, 3230 (3231); BGHZ 144, 1 (5 f.); vgl. BGHZ 90, 103 (107); BGH, NJW 1996, 779 (781); BGH, NJW 1994, 793 (793); BGH, NJW 1991, 2346 (2346 f.); BGH, 51
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E. Aufklärungspflicht
Risiko, ein allgemeiner Hinweis auf mögliche Komplikationen genügt nicht.60 Über weniger schwere Risiken ist aufzuklären, wenn sie für die Maßnahme spezifisch sind, der Laie nicht mit ihnen rechnet und sie im Falle ihrer Verwirklichung die Lebensführung des Patienten schwer belasten.61 Nicht aufzuklären ist über Risiken, die sich so selten verwirklichen, dass sie bei der Einwilligungsentscheidung eines verständigen Patienten nicht ernsthaft ins Gewicht fallen;62 Gleiches gilt, wenn die möglichen ungünstigen Nebenwirkungen von einem vernünftigen Patienten nicht als entscheidungsbedeutsam angesehen würden, weil sie viel weniger gravierend als die Folgen einer Behandlungsunterlassung sind.63 Ist ein Eingriff aufgrund seiner Häufigkeit der Allgemeinheit bezüglich des Schweregrades und des Verlaufs besonders vertraut, so kann sich der Arzt bei der Aufklärung grundsätzlich kurzfassen.64 Er muss allerdings sicherstellen, dass der Patient den Eingriff nicht aufgrund seiner Alltäglichkeit als ganz ungefährlich einstuft.65 Ausnahmsweise kann der Arzt verpflichtet sein, vor einem Eingriff bereits über schwerwiegende Gefahren einer Folgebehandlung aufzuklären, die im Falle des Eintritts einer Komplikation erforderlich werden kann, sofern ein enger Zusammenhang zwischen der ersten Maßnahme und der möglichen Folgebehandlung besteht.66 Nicht erforderlich ist der allgemeine Hinweis, dass bei jedem (operativen) Eingriff irgendwelche (bisher unbekannten) Komplikationen eintreten können, da dies als Allgemeinwissen des Patienten vorausgesetzt werden kann; dies gilt ebenso für rein theoretisch bestehende Gefahren.67 Auf solche Gefahren, die nach aktuellem Stand der Technik grundsätzlich abgewendet werden können, ist nicht hinzuweisen.68 Gleiches gilt für allgemeine Risiken, die aus der Art des NJW 2009, 1209 (1210); vgl. OLG Hamm, VersR 1993, 1399 (1400); OLG Stuttgart, VersR 1987, 515 (516). 60 OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1543); vgl. auch BGH, NJW 2011, 1088 (1089); OLG Brandenburg, 12 U 239/06. 61 BGH, NJW 2007, 217 (218); BGH, NJW-RR 2010, 833 (835); BGHZ 126, 386 (389); BGH, NJW 1980, 633 (635); OLG Hamm, MedR 2014, 309 (311); OLG Hamm, 3 U 155/06. 62 BGH, NJW 1963, 393 (394); BGHZ 29, 176 (182); BGHZ 29, 46 (60) (in Bezug auf typische Schäden); vgl. BGH, NJW 1961, 2203 (2204). 63 BGH, NJW 1963, 393 (394). 64 BGH, NJW 1980, 633 (635); OLG Karlsruhe, VersR 1988, 93 (94); OLG Düsseldorf, NJW 1989, 2334 (2334). 65 BGH, NJW 1980, 633 (635); OLG Düsseldorf, NJW 1989, 2334 (2334). 66 BGH, NJW 2011, 1088 (1089 f.); BGH, NJW 1996, 3073 (3074). 67 BGHZ 29, 46 (58); BGHZ 168, 103 (108); BGH, NJW 2010, 3230 (3231); vgl. BGH, NJW 1990, 1528 (1529); BGHZ 29, 176 (181); vgl. BGH, VersR 1956, 479 (479) („Möglichkeit schädlicher Folgen unter nicht voraussehbaren ungünstigen Umständen“). 68 BGHZ 29, 46 (Rdnr. 58).
II. Gegenstand und Umfang
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Eingriffs für einen medizinischen Laien ohnehin ersichtlich sind.69 Über Risiken, mit denen Patienten für gewöhnlich rechnen, ist nicht aufzuklären, der Arzt darf grundsätzlich davon ausgehen, dass der konkrete Patient über das gleiche medizinische Grundwissen wie die Allgemeinheit verfügt.70 Ausnahmen gelten nur dann, wenn im konkreten Fall Komplikationen eintreten können, die das Leben des Patienten besonders schwer belasten und mit denen der Laie nicht rechnen muss.71 Nicht aufzuklären ist über solche Risiken, die aus einem nicht ordnungsgemäßen Vorgehen resultieren, bspw. über den einen Organisationsfehler darstellenden Umstand des Fehlens einer Haftpflichtversicherung oder die Möglichkeit eines (fahrlässigen) Behandlungsfehlers.72 Der Patient ist zudem über die Dringlichkeit der Maßnahme aufzuklären,73 diese darf nicht unzutreffend dramatisiert werden.74 Die Aufklärung hat umso ausführlicher zu erfolgen, je weniger dringlich oder geboten die Maßnahme aus der Perspektive eines vernünftigen Patienten erscheint.75 Es besteht somit ein reziprokes Verhältnis zwischen gebotener Aufklärung und Dringlichkeit.76 Im Rahmen der Aufklärung ist die Indikation zutreffend darzustellen.77 Bei vitaler oder absoluter Indikation sind die Anforderungen an die Intensität und Genauigkeit der Aufklärung geringer.78 Allerdings darf auch bei vitaler Indikation mit alternativloser Behandlungsmöglichkeit eine Aufklärung nicht gänz-
69 BGH, NJW 2009, 1209 (1210); vgl. BGH, NJW 1986, 780 (780) (Wundinfektion, Narbenbruch, Fettembolie); BGH, NJW 1996, 788 (788) sowie BGH, NJW 1994, 2414 (2414) (allgemeine Infektionsgefahr nach Operationen); OLG Köln, VersR 2012, 494 (494) (Verletzung oberflächlicher Hautnerven); OLG Hamm, VersR 1998, 1548 (1548) (Abszeßbildung, mit kritischer Anmerkung Wemhöner). 70 BGHZ 116, 379 (383). 71 BGHZ 116, 379 (383). 72 BGHZ 161, 255 (263) (Haftpflichtversicherung); BGH, NJW 1985, 2193 (2193) sowie OLG Karlsruhe, VersR 2002, 717 (717) sowie OLG Köln, VersR 2012, 1445 (1446) (Behandlungsfehler); BGH, VersR 1962, 155 (156) (fahrlässige Fehler des Arztes). 73 BGH, NJW 1990, 2928 (2928); BGH, NJW 1992, 2354 (2355); OLG Oldenburg, NJW 1997, 1642 (1642); OLG Hamm, VersR 1985, 577 (578). 74 OLG Köln, NJW-RR 1999, 674 (674). 75 BGH, NJW 2011, 1088 (1089); BGH, NJW 1972, 335 (337); BGH, NJW 1977, 337 (337); vgl. BGH, NJW 1991, 2349 (2349); BGH, VersR 1968, 558 (558 f.); vgl. BGHSt 12, 379 (382 f.); OLG Oldenburg, NJW 1997, 1642 (1642); OLG München, NJW-RR 1994, 20 (20). 76 Vgl. OLG Brandenburg, 12 U 239/06: „Umfang und Genauigkeit […] sind umgekehrt proportional zur Dringlichkeit und zu den Heilungsaussichten“. 77 OLG Köln, NJW-RR 1999, 674 (674). 78 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 459 (460 f.); vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1987, 161 (163); OLG Düsseldorf, NJW 1989, 2334 (2334 f.).
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E. Aufklärungspflicht
lich unterbleiben, denn der Patient muss die Behandlung selbstbestimmt ablehnen können.79 Ist eine Maßnahme nicht dringlich und dient sie nicht der Abwendung akuter oder schwerwiegender Gefahren (nicht absolut indiziert), so gelten strenge Anforderungen an die Aufklärung; insbesondere dann, wenn der Erfolg zweifelhaft und eine deutliche Verschlechterung des Zustands des Patienten nach der Maßnahme möglich ist.80 Dann sind mit dem Patienten die Chancen und Risiken detailliert zu erörtern, es kann erforderlich sein, über generell mit einer Operation verbundene Risiken, die nicht eingriffsspezifisch sind, aufzuklären.81 Auch über den Umstand, dass sich die Beschwerden nachhaltig verschlechtern können, ist aufzuklären.82 Ebenso ist darauf hinzuweisen, dass ernsthaft mit einem Fehlschlag zu rechnen ist und welche Schmerzen bzw. Unannehmlichkeiten mit der Behandlung einhergehen können und wie schmerzhaft und langwierig deren Beseitigung ausfallen kann, sofern dies überhaupt möglich ist.83 Besteht die Möglichkeit, dass keine Schmerzfreiheit erreicht wird oder subjektiv gar größere Schmerzen entstehen, so ist hierüber aufzuklären.84 Bei nur relativer Indikation der Maßnahme ist der Patient über diesen Umstand sowie darüber aufzuklären, dass ein Aufschieben oder Unterlassen der Maßnahme möglich ist und welche Risiken hiermit verbunden sind.85 Ist die Behandlung medizinisch nicht indiziert, sondern handelt es sich beispielsweise um einen kosmetischen Eingriff, so ist dem Patienten das Für und Wider der Maßnahme mit jeglichen Konsequenzen deutlich vor Augen zu führen, auch wenn das Eintreten eines Risikos fernliegt; die Anforderungen sind streng.86 Gleiches gilt für nicht unmittelbar der Heilung dienende Maßnahmen.87 79
BGH, NJW 1994, 799 (800); BGHZ 90, 103 (105 f.). BGH, NJW 1988, 1514 (1515); BGH, NJW 1981, 633 (633) für den Fall einer zweifelhaften Indikation; vgl. OLG Hamm, VersR 1990, 855 (855); OLG Oldenburg, NJW 1997, 1642 (1642); OLG Oldenburg, VersR 2001, 1381 (1382); vgl. OLG Oldenburg, VersR 1998, 1421 (1422) (nicht vital indizierte Operation). 81 BGH, NJW 1988, 1514 (1515). 82 BGH, NJW 1988, 1514 (1516); BGH, NJW 1981, 633 (633); OLG Hamm, VersR 1990, 855 (855). 83 BGH, NJW 1981, 633 (633). 84 BGH, NJW 1987, 1481 (1481). 85 BGH, NJW 1997, 1637 (1638); BGH, NJW 2003, 1862 (1862). 86 BGH, NJW 1991, 2349 (2349) sowie OLG Hamm, VersR 2006, 1511 (1512) sowie OLG München, NJW-RR 1994, 20 (20) (kosmetische Operation); vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1999, 61 (61) („besonders schonungslos“ bei kosmetischer Operation); BGHZ 166, 336 (339 f.) (Blutspende); vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 89 (90) (Laserbehandlung); OLG Naumburg, VersR 2016, 404 (405) (kosmetisch-ästhetische Operation: „verschärfte Anforderungen“, „deutlich und schonungslos“); OLG Köln, MedR 2015, 274 (275) (Schönheitsoperation: „besonders eindringlich auf bestehende Risiken“ sowie darauf, „dass das ästhetische Ergebnis […] 80
II. Gegenstand und Umfang
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass umso eindrücklicher aufzuklären ist, je weniger die Maßnahme medizinisch geboten ist.88 Schätzt der Behandelnde eine Maßnahme als medizinisch kontraindiziert ein, so ist der Patient hierauf hinzuweisen, ihm sind die Risiken schonungslos zu erläutern und ihm ist von der Behandlung abzuraten.89 Dient ein Eingriff der Diagnose und nicht unmittelbar der Heilung bzw. besitzt er keinen therapeutischen Eigenwert, so sind die Anforderungen der Rechtsprechung an die Aufklärung besonders streng.90 Erforderlich ist in solchen Fällen eine besonders sorgfältige Abwägung von diagnostischer Aussagekraft, den besonderen Risiken sowie den Klärungsbedürfnissen.91 Berechtigt der Eingriff nicht zur entscheidenden Hoffnung auf Heilung oder Rettung, so ist die Aufklärung selbst entfernter Gefahren verstärkt geboten.92 Ist es ohne eine bestimmte vorherige Diagnosemaßnahme nicht möglich, eine Operation durchzuführen, so ist der Patient über diesen Umstand aufzuklären.93 Treten bei der Diagnosemaßnahme Schmerzen o. Ä. auf, die über das Maß hinausgehen, was ein Patient bei Diagnosemaßnahmen erwarten würde, so ist hierauf hinzuweisen.94 Bei einer diagnostischen, aber dringend gebotenen Maßnahme muss der Arzt jedoch nicht in „besonders abschreckender Ausdrucksweise“ über die Risiken
möglicherweise nicht in der gewünschten Weise erreicht wird, und dass das ästhetische Erscheinungsbild […] auch verschlechtert werden kann“). 87 BGHZ 166, 336 (340); vgl. BGH, NJW 1981, 1319 (1320) (Verkürzung des gesunden Oberschenkels). 88 BGH, NJW 1991, 2349 (2349); BGH, NJW 2011, 1088 (1089); OLG München, NJW-RR 1994, 20 (20). 89 OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611 (612); vgl. auch OLG Köln, NJW-RR 1999, 968 (968). Dass der Arzt eine solche Maßnahme auch nicht auf ausdrücklichen, nachhaltigen Wunsch des Patienten durchführen dürfe (so OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 (106); OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611 (612); anders OLG Köln, NJW-RR 1999, 968 (968), welches es zumindest für möglich hält, dass bei ausdrücklicher Aufklärung über die Kontraindikation ein ansonsten grober Behandlungsfehler ausgeschlossen sein könnte), überzeugt vor dem Hintergrund der starken Betonung des Selbstbestimmungsrechts und der Autonome des mündigen Patienten nicht. 90 BGH, NJW 1971, 1887 (1888); BGH, NJW 2009, 1209 (1210); BGH, NJW 1979, 1933 (1934); OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 816 (818); vgl. OLG Karlsruhe, VersR 1988, 93 (95); vgl. OLG Karlsruhe, VersR 2014, 710 (710); OLG Karlsruhe, MedR 1985, 79 (80); OLG Hamm, VersR 1981, 686 (687); OLG München, VersR 1979, 848 (848). 91 BGH, NJW 2009, 1209 (1210); BGH, NJW 1995, 2410 (2410); OLG Karlsruhe, VersR 2014, 710 (710). 92 BGH, NJW 1971, 1887 (1888). 93 BGH, NJW 1995, 2410 (2411). 94 BGHZ 90, 96 (99).
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aufklären, es genügt, wenn der Sinngehalt klar und verständlich zum Ausdruck kommt und der Patient die Möglichkeit hat, weitere Fragen zu stellen.95 Ist bereits vor Beginn der Maßnahme die ernsthafte Möglichkeit einer Operationserweiterung oder der Wechsel der Operationsmethode ernsthaft in Betracht zu ziehen, so ist der Patient hierüber aufzuklären.96 Dies gilt ebenfalls, sobald sich abzeichnet, dass unterschiedliche Entbindungsverfahren ernsthaft in Betracht kommen können.97 Tritt die Entwicklung ein, die ernsthaft für möglich gehalten wurde, so ist eine nochmalige Aufklärung dann nicht erforderlich, wenn sich keine neuen Umstände oder Erkenntnisse ergeben haben, die zu einem veränderten Nutzen-Risiko-Verhältnis führen.98 Ergibt sich intraoperativ ein erhöhtes Operationsrisiko, über welches zuvor nicht aufgeklärt wurde, so ist die Operation zwecks Aufklärung und Einholung der Einwilligung zu unterbrechen, sofern ein Unterbrechen ohne Gefährdung des Patienten möglich ist.99 Anders ist dies nur dann, wenn ein Unterbrechen eine mindestens genauso große Gefahr darstellen würde wie das Risiko, das sich bei Fortsetzung der Operation ergibt, sich also eine medizinische Kontraindikation zum Unterbrechen ergibt.100 Weigert sich der Patient, in eine notwendige Behandlung oder einen Wechsel der Entbindungsmethode einzuwilligen, so ist er auf die erkennbaren Gefahren eindringlich aufmerksam zu machen.101 Verzichtet der Patient auf eine bestimmte Untersuchung oder Behandlung, so ist ihm die Tragweite dieser Entscheidung zu verdeutlichen.102 Soll eine Methode zum Einsatz kommen, die vom üblichen Verfahren abweicht, so ist der Patient hierüber sowie über die unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen der Standardmethode sowie der hiervon abweichenden Methode aufzuklären.103 95
BGH, VersR 1983, 957 (958). BGH, NJW 1993, 2372 (2373); BGH, NJW 1989, 1541 (1542); vgl. BGH, VersR 1985, 1187 (1188). 97 BGH, NJW 1993, 2372 (2374); BGH, NJW-RR 2015, 591 (592); OLG Koblenz, VersR 2009, 70 (71); BGH, NJW-RR 2011, 1173 (1173 f.). 98 BGH, NJW-RR 2015, 591 (592). 99 BGH, NJW 1977, 337 (338); kritisch dazu Tröndle, MDR 1983, 881 (884). 100 BGH, NJW 1977, 337 (338); BGHSt 11, 111 (114 f.). Dann ist aber eine Haftung möglich, wenn zuvor fahrlässig nicht über die Möglichkeit der Erweiterung aufgeklärt wurde und deswegen hierzu keine Einwilligung eingeholt wurde, vgl. BGHSt 11, 111 (115). 101 BGH, NJW 1992, 741 (742). 102 BGH, NJW 1992, 2354 (2356). 103 OLG Brandenburg, VersR 2009, 1230 (1231); vgl. OLG Köln, VersR 2013, 1177 (1177 f.); OLG Köln, VersR 2012, 1445 (1446) bezüglich einer Methode, die nicht mehr standardgerecht ist. 96
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Möchte der Arzt eine Methode anwenden, die noch nicht zu dem allgemein anerkannten Standard gehört, so hat er den Patienten zum einen auf diesen Umstand der Eigenschaft eines Neulandverfahrens hinzuweisen und ihn zum anderen darüber aufzuklären, dass es nicht auszuschließen ist, dass unbekannte Risiken eintreten können sowie dass dessen Wirksamkeit statistisch nicht abgesichert ist.104 Insgesamt ist der Patient bei derartigen Verfahren besonders umfassend aufzuklären.105 Dies gilt auch bei der Verordnung von Arzneimitteln.106 Bei Neulandverfahren können strengere Anforderungen in der Hinsicht gelten, wie ernsthaft Gefahren in der Wissenschaft schon diskutiert worden sein müssen und ob sie sich bereits als gewichtige Warnungen darstellen müssen; allerdings sind bloße Vermutungen nicht aufklärungspflichtig, solange sie sich nicht so weit verdichtet haben, dass sie dem Patienten zu dessen Schutz mitgeteilt werden sollten.107 Über den Ausbildungs- und Erfahrungsstand des Arztes ist der Patient grundsätzlich nicht aufzuklären.108 Etwas anderes gilt bei schwerwiegenden und erheblich risikoreichen Eingriffen nur dann, wenn die Risiken bei Vornahme durch einen anderen Arzt bzw. in einer anderen Klinik deutlich geringer sind.109 Ebenso wenig ist darüber aufzuklären, dass Hilfspersonal Teile der Behandlung ausführt.110 Genügen die hygienischen Verhältnisse im Krankenhaus nicht dem Standard, so ist auf die beschränkten Verhältnisse hinzuweisen.111
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BGHZ 168, 103 (109); BGHZ 172, 254 (260); BGH, NJW 2011, 1088 (1089); anders noch BGHZ 113, 297 (309); vgl. BGHZ 172, 1 (13 f.); OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 (105); OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 89 (90); vgl. OLG Celle, VersR 1992, 749 (750); OLG Köln, VersR 2013, 1177 (1178). 105 BSGE 63, 102 (105); vgl. OLG Köln, VersR 2011, 226 (226); OLG Düsseldorf, NJWRR 2003, 89 (90); OLG Köln, NJW-RR 1992, 986 (986 f.) (ähnlich dem Umfang bei kosmetischen Operationen); OLG Oldenburg, NJW-RR 1997, 533 (534). 106 BSGE 63, 102 (106). 107 BGHZ 168, 103 (110). 108 BGH, NJW 1984, 1810 (1810); vgl. BGHZ 88, 248 (252); OLG Stuttgart, VersR 1995, 1353 (1355). 109 OLG Düsseldorf, VersR 1987, 161 (163). 110 Offen lassend BGH, NJW 1974, 604 (604); für den Fall der Durchführung durch einen Studierenden im Praktischen Jahr OLG Stuttgart, VersR 1995, 1353 (1355); mit guter Argumentation Frahm, VersR 2009, 1576 (1578); a. A. Spickhoff/Seibl, MedR 2008, 463 (472) für Fälle des ungewöhnlichen, vom Standard abweichenden Tätigwerdens von Hilfspersonen; Andreas, ArztR 2008, 144 (150) zumindest für den Spezialfall des Einsatzes von Medizinischen Assistenten für Anästhesie sowie für ein Abweichen von der üblichen, dem Patienten bekannten Vorgehensweise. 111 BGH, NJW 1971, 241 (242); zustimmend BGHZ 88, 248 (251).
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Es ist über diejenigen Umstände aufzuklären, die aus besonderen Gründen zu einer Erhöhung des Behandlungsrisikos führen.112 Auch die Medikation stellt einen Eingriff dar, sodass über die mit der Einnahme verbundenen Risiken aufzuklären ist.113 Die bereits erläuterten Grundsätze gelten somit auch bei der Verordnung von Medikamenten. Wird ein Medikament ausgetauscht und ist dieses mit anderen Risiken als das bisherige Medikament verbunden, so ist der Patient vor dessen erstem Einsatz über die mit diesem verbundenen Risiken aufzuklären.114 bb) Verlaufsaufklärung Die Rechtsprechung versteht unter der Verlaufsaufklärung die Aufklärung über die Art und Weise, den Umfang und die Durchführung des Eingriffs; der Patient muss wissen, was bei der Maßnahme geschehen soll.115 Der Patient ist in großen Zügen darüber aufzuklären, wie die Behandlung (technisch) durchgeführt wird.116 Ihm ist der sicher bzw. regelmäßig nach einer Operation eintretende Zustand zu erläutern.117 Dem Patienten ist eine Vorstellung „im groben und ganzen“ von der Relevanz des Zeitfaktors zu vermitteln; ihm muss zudem mitgeteilt werden, ob und wie lange er Zeit hat, um seine Entscheidung zu treffen.118 cc) Aufklärung über Erfolgsaussichten Der Patient ist über die Größe der Erfolgsaussichten der Maßnahme sowie darüber aufzuklären, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Fehlschlagen ernsthaft in Betracht kommt.119 Besteht ein hohes Misserfolgsrisiko und ist die Indikation zweifelhaft, so ist über die Erfolgsaussichten der Maßnahme aufzuklären.120 Gleiches gilt, wenn eine Maßnahme der Beseitigung von Schmerzen dient und es bei einem Misslingen zu größeren Schmerzen kommen kann.121 Wie umfassend und genau der Patient über die Erfolgsaussichten aufzuklären ist, ist von 112
BGHZ 88, 248 (251). BGHZ 162, 320 (323); BGH, NJW 1982, 697 (698); BGHZ 172, 1 (13). 114 BGH, NJW 2007, 2771 (2772). 115 BGH, NJW 1988, 1514 (1515) (nur die Aufklärung über die Art des Eingriffs nennend); OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 816 (817). 116 BGH, NJW 1990, 2929 (2930); vgl. OLG München, NJW-RR 2011, 749 (751) („das grundlegende operative Vorgehen“). 117 BGH, NJW 2011, 1088 (1089); OLG Oldenburg, 5 U 9/04. 118 BGH, NJW 1990, 2928 (2928). 119 BGH, NJW 1990, 2929 (2930 f.); vgl. BGH, NJW 1985, 676 (676). 120 BGH, NJW 2015, 477 (478); BGH, NJW 1992, 1558 (1560). 121 BGH, NJW 1992, 1558 (1560); BGH, NJW 1988, 1514 (1515); BGH, NJW 1987, 1481 (1481). 113
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dem Verhältnis der Risiken zu den Heilungschancen sowie davon abhängig, ob eine absolute oder lediglich relative Indikation gegeben ist.122 Nicht erforderlich ist die Erläuterung, welche medizinischen Gründe dafür verantwortlich sind, dass der Eingriff nicht erfolgreich ist.123 b) § 630e Abs. 1 S. 1, 2 BGB Ob die soeben geschilderten Rechtsprechungsgrundsätze unter der neuen gesetzlichen Regelung des § 630e Abs. 1 S. 1, 2 BGB fortgelten können oder ob sich Änderungen ergeben, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Der Wortlaut enthält eine beispielhafte Aufzählung der Gegenstände, die im Einzelfall aufklärungspflichtig sein können, genannt werden Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Die Gesetzesbegründung zählt diese ebenfalls auf und weist nochmal darauf hin, dass dieser Katalog nicht abschließend sei, weitere Konkretisierungen nimmt sie jedoch nicht vor.124 Die Risikoaufklärung wird somit ausdrücklich genannt, ebenso die Aufklärung über Erfolgsaussichten. Nicht ausdrücklich genannt wird dagegen die Verlaufsaufklärung. Auf das Kriterium der Dringlichkeit wurde sowohl im Rahmen der Ausführungen zur Risikoaufklärung als auch im Rahmen der Verlaufsaufklärung Bezug genommen, sodass sich diesbezüglich festhalten lässt, dass es an die bisherige Rechtsprechung anknüpft. Die Kriterien Art, Umfang und Durchführung finden sich im Rahmen der Rechtsprechung zur Verlaufsaufklärung, sodass auch diesbezüglich an die bisherige Rechtsprechung angeknüpft wird. Im Rahmen der Verlaufsaufklärung findet sich zwar nicht ausdrücklich der Begriff der zu erwartenden Folgen, jedoch ist nach der Rechtsprechung über den regelmäßig nach der Maßnahme eintretenden Zustand aufzuklären, was sich vom Sinngehalt mit den zu erwartenden Folgen der Maßnahme entspricht, sodass hier ebenfalls von einem Anknüpfen an die bisherige Rechtsprechung ausgegangen werden kann. Der Begriff der Notwendigkeit korreliert mit den Ausführungen der Rechtsprechung zur Indikation, unter Indikation wird auch die Heilanzeige bzw. das Angezeigtsein einer Maßnahme verstanden,125 unter Indizieren in der Medizin das angezeigt erscheinen Lassen,126 sodass auch diesbezüglich davon ausgegan122
KG, MedR 2014, 822 (822); vgl. OLG Frankfurt, 8 U 25/14 („vor allem in Fällen nicht dringlicher Indikation […] auch die Heilungschancen darzustellen). 123 BGH, NJW 1990, 2929 (2931). 124 BT-Drs. 17/10488, 1 (24). 125 Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Indikation (Stand: 08.07.2018). 126 Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/indizieren (Stand: 08.07.2018).
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E. Aufklärungspflicht
gen werden kann, dass die Rechtsprechung fortgelten kann und sich somit diesbezüglich keinerlei Änderungen durch das Patientenrechtegesetz ergeben. Kritisiert wird, dass keine Strukturierung der einzelnen Aufklärungsinhalte nach Aufklärungszwecken erfolgt sei.127 Zudem sei die Aufzählung lediglich exemplarisch.128 Andererseits wird das Vorhandensein einer Aufzählung an sich kritisiert, bei Verwendung einer Generalklausel hätten unvorhersehbare Fallgestaltungen besser erfasst werden können.129 Diese Kritiken überzeugen jedoch nicht. Zunächst ist nicht ganz einleuchtend, warum bei ausschließlicher Verwendung einer Generalklausel unvorhersehbare Fallgestaltungen besser hätten erfasst werden können, macht das Adverb „insbesondere“ doch deutlich, dass die Pflicht im Einzelfall über die genannten Merkmale hinausgehen kann, sodass unvorhersehbare Fallgestaltungen in Zukunft erfasst werden können sollten. Hinsichtlich der Kritik an der lediglich exemplarischen Regelung ist festzuhalten, dass eine abschließende Aufzählung aufgrund der Einzelfallabhängigkeit der Aufklärung, die sich am konkreten Patienten orientiert, weder sinnvoll noch möglich gewesen wäre, sodass diese Kritik nicht haltbar ist. Hinsichtlich der einzelnen Aufklärungsinhalte kann schließlich durchaus eine gewisse Struktur ausgemacht werden. So werden mit „Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen“ zunächst Gegenstände genannt, die die bisherige Rechtsprechung wie soeben erläutert der Verlaufsaufklärung zugewiesen hatte. Mit den Risiken der Maßnahme wird sodann auf die Risikoaufklärung Bezug genommen, bevor dann mit den Erfolgsaussichten auf die Erfolgsaufklärung eingegangen wird. Dass der Gesetzgeber die verschiedenen Unterkategorien nicht ausdrücklich nennt, ist angesichts der bisherigen Rechtsprechung nur konsequent, diese hatte nur vereinzelt und verschiedenartig differenziert.130 Derartige Kritik an der Aufzählung der Aufklärungsgegenstände ist somit zurückzuweisen. Von vielen wird zudem kritisiert, dass die Verlaufsaufklärung im Wortlaut nicht genannt werde.131 Die Literatur versteht unter der Verlaufsaufklärung überwiegend die Aufklärung über den unterschiedlichen Krankheitsverlauf bei Vornahme sowie Unterlassen der Behandlung.132 Betrachtet man jedoch die oben Hart, GesR 2012, 385 (386); Katzenmeier, NJW 2013, 817 (820). Katzenmeier, NJW 2013, 817 (820). 129 Müller, GuP 2013, 1 (5). 130 Siehe dazu bereits unter E. II. 1. a). 131 Katzenmeier, NJW 2013, 817 (820); anders noch Katzenmeier, MedR 2012, 576 (582) (in Abs. 1 sind „Risiko-, Diagnose- und Verlaufsaufklärung abgebildet“); Rehborn, GesR 2013, 257 (263 f.); Hart, GesR 2012, 385 (386). 132 So Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 437; BeckOK-BGB/Katzen meier, § 630e, Rdnr. 8; Katzenmeier, NJW 2013, 817 (820); Hart, GesR 2012, 385 (386); NKBGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 3; Heyers, BRJ 2012, 135 (140); Rehborn, GesR 2013, 257 (263 f.); 127 128
II. Gegenstand und Umfang
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dargestellte Rechtsprechung, so hat diese die Verlaufsaufklärung nie genau so definiert. Zwar ist es korrekt, dass die Rechtsprechung den Terminus „Verlaufsaufklärung“ mehrfach verwendet hat,133 sodass es durchaus möglich gewesen wäre, dass der Gesetzgeber auf diesen Terminus zurückgegriffen oder zumindest in der Gesetzesbegründung darauf Bezug genommen hätte. Allein der Umstand, dass sich der Begriff „Verlauf“ nicht im Wortlaut wiederfindet, bedeutet jedoch nicht, dass die Verlaufsaufklärung im Sinne der Rechtsprechung nun im Rahmen von § 630e Abs. 1 BGB nicht mehr geschuldet sei. Die Nennung der Merkmale „Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen“ knüpft nämlich wie soeben bereits erläutert an die im Rahmen der Verlaufsaufklärung ergangene Rechtsprechung an; diese hatte sowohl Art, Umfang und Durchführung explizit genannt als auch auf zu erwartende Folgen Bezug genommen.134 Insofern vereinzelt vertreten wird, dass die Verlaufsaufklärung Hinweise über Art, Umfang, Durchführung und Folgen der Therapie umfasse,135 wird somit an diese Rechtsprechung angeknüpft. Deswegen ist unproblematisch davon auszugehen, dass die bisher von der Rechtsprechung verlangte Verlaufsaufklärung auch gem. § 630e Abs. 1 BGB geschuldet ist.136 Folglich wäre es präziser, lediglich zu kritisieren, dass die Pflicht zur Aufklärung über die Folgen im Falle der Nichtbehandlung nicht ausdrücklich erwähnt ist.137 Voigt ist der Ansicht, dass aufgrund der Nennung von „Art, Umfang, Durchführung“ sowie „zu erwartenden Folgen“ durch § 630e Abs. 1 BGB nun nur noch die Verlaufsaufklärung hinsichtlich der Vornahme der Behandlung erfasst sei, während die Erläuterung des Verlaufs bei Unterlassen der Behandlung nun Teil der therapeutischen Information sei, weil sie den Patienten zum Mitwirken anhalten solle.138 Tatsächlich erfasst die therapeutische Information mit dem in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB aufgezählten Merkmal der „voraussichtlichen gesundErman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 6 (neben weiteren Aspekten); Francke/Hart, Charta der Patientenrechte, 1999, 121. 133 Siehe dazu Kap. E. Fn. 26. 134 Siehe dazu unter E. II. 1. a) bb). 135 BPS/Wever, § 630e BGB, Rdnr. 1; Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 7. 136 Deswegen bedarf es auch nicht der Erläuterung, dass die Verlaufsaufklärung „unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit und der Aufklärungspflicht über Alternativen bzw. Umfang und Durchführung, die auch den Behandlungsablauf erfasst, keineswegs entbehrlich, zumal zum verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht gehörig“ ist, so jedoch Reh born, GesR 2013, 257 (264); ebenso Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 6. Ebenso wenig bedarf es der Argumentation, dass § 630e Abs. 2 S. 2 BGB nicht abschließend sei, sodass auch die Verlaufsaufklärung wie bisher geschuldet sei, so jedoch Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 41. 137 So Wenzel/Steinmeister, BuGBl 58 (2015), 23 (28). 138 NK-BGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 3.
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E. Aufklärungspflicht
heitlichen Entwicklung“ die Folgen im Falle der Nichtbehandlung.139 Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Aufklärung diesbezüglich nicht (auch) im Rahmen von § 630e BGB geschuldet sein kann.140 Ob (auch) im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung über die Folgen im Falle der Nichtbehandlung aufzuklären ist, ist im Rahmen der Auslegung zu ermitteln. Dagegen spricht zunächst der Wortlaut, denn im Rahmen des § 630d Abs. 1 S. 2 BGB werden diese Gefahren nicht als aufklärungsrelevanter Umstand genannt, auch in der Gesetzesbegründung findet sich diesbezüglich nichts. Da im Rahmen des § 630c Abs. 1 S. 1 BGB dieser Umstand genannt wird, legt die systematische Aufklärung nahe, dass im Rahmen des § 630e BGB dies gerade nicht als aufklärungsrelevanter Umstand angesehen wird. Hat der Gesetzgeber in einem Paragrafen einen Umstand als möglichen Inhalt gesehen, so spricht dies grundsätzlich nicht dafür, dass er bei einem kurz darauf folgenden Paragrafen diesen Umstand nicht als potentiellen Inhalt gesehen hat, sondern eher dafür, dass er diesen Umstand dort nicht als relevanten Inhalt angesehen hat. Allerdings will der Gesetzgeber im Rahmen des § 630e BGB die bestehende Rechtsprechung nachzeichnen.141 Die Rechtsprechung hatte vereinzelt eine Aufklärung über die Gefahren im Falle des Unterlassens der Maßnahme gefordert,142 sodass dies für eine Überschneidung von therapeutischer Information und Selbstbestimmungsaufklärung in diesem Bereich sprechen würde. Dies stützt die teleologische Auslegung. Die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts in Form des Treffens einer eigenverantwortlichen Entscheidung für oder gegen die Maßnahme ist dem Patienten nur dann möglich, wenn er weiß, welche Folgen und Gefahren die Entscheidungsalternative mit sich bringt. Er muss das „Austauschrisiko“143 kennen. Nur so kann er abwägen, ob er bereit ist, die mit der Maßnahme verbundenen Risiken und Folgen einzugehen, ob er die Chancen im Falle der Vornahme über die Gefahren im Falle eines Unterlassens stellt. Deswegen ist auch im Rahmen der Aufklärung ein Hinweis auf die Gefahren im Falle des Unterlassens, mithin den Krankheitsverlauf ohne medizinische Beeinflussung, geschuldet, zumindest sofern abzusehen ist, dass dies für den konkreten Patienten entscheidungserheblich ist. Es kann somit hinsichtlich der Folgen im Falle der Nichtbehandlung zu einer Überschneidung zwischen Selbstbestimmungsaufklärung und therapeutischer Information kommen, sollte sich im Rahmen der Analyse der therapeutischen 139
Siehe dazu ausführlicher unter F. II. 2. b) bb). Zu den Inhalten der therapeutischen Information siehe unter F. II. 2. b). 141 BT-Drs. 17/10488, 1 (24). 142 Siehe dazu Kap. E. Fn. 101, 102. 143 BGH, NJW 1990, 2928 (2928). 140
II. Gegenstand und Umfang
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Information ergeben, dass ein Hinweis auf die Folgen im Falle der Nichtbehandlung auch dort geschuldet ist. Eine Aufklärung über die Diagnose und Therapie unterfällt dagegen nicht der Selbstbestimmungsaufklärung, sondern ausschließlich der therapeutischen Information.144 Hinsichtlich des genau geschuldeten Umfangs ergeben sich aus dem Wortlaut des § 630e Abs. 1 S. 1 BGB keinerlei Anhaltspunkte. Die Gesetzesbegründung hält zwar entsprechend der bisherigen Rechtsprechung fest, dass über seltene Risiken schonungslos aufzuklären ist, wenn die Behandlung medizinisch nicht indiziert ist, sondern es sich beispielsweise um einen kosmetischen Eingriff handelt; sie macht diese Ausführungen jedoch fälschlicherweise im Rahmen der Verständlichkeit (§ 630e Abs. 2 S. 3 BGB).145 Hieran zeigt sich, dass der Gesetzgeber unsauber gearbeitet hat. Insofern, als sich aus dem Wortlaut sowie der Gesetzesbegründung keine näheren Hinweise zum genau geschuldeten Umfang im Einzelfall ergeben, ist davon auszugehen, dass die bisherige Rechtsprechung uneingeschränkt fortgilt. Es wurde zwar noch kritisiert, dass es nicht zum Ausdruck kommen würde, „dass Inhalt, Umfang, Zeitpunkt sowie Art und Weise der Aufklärung“ immer unter Berücksichtigung des konkreten Einzelfalls zu bestimmen seien und dementsprechend variieren würden.146 Im Gegensatz dazu sei in § 8 S. 5 MBO-Ä der Grundsatz „je weniger eine Maßnahme medizinisch geboten oder je größer ihre Tragweite ist, umso ausführlicher und eindrücklicher sind Patientinnen oder Patienten über erreichbare Ergebnisse und Risiken aufzuklären“ aufgenommen worden.147 Dieser Kritik kann jedoch nicht zugestimmt werden. Denn wie bereits im Rahmen der Allgemeinen Grundsätze148 erläutert, wird aus der beispielhaften Aufzählung sowie der Verwendung des Adverbs „insbesondere“ deutlich, dass Inhalt, Umfang, Art und Weise nicht abstrakt generell festgelegt werden können, sondern individuell zu bestimmen sind. Hinsichtlich des Zeitpunkts, für welchen ohnehin auf Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und nicht auf Abs. 1 abzustellen ist, gilt ähnliches, dort wird durch die Terminologie „so rechtzeitig […], dass“ ebenfalls deutlich, dass gerade nicht ein fester Zeitpunkt für alle Fälle gelten soll, sondern im Einzelfall zu entscheiden ist. Zudem knüpft diese Terminologie an die bisherige Rechtsprechung an.149 Darüber hinaus stellt die Gesetzesbegründung ausdrück-
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Siehe dazu ausführlich unter F. II. 2. b) cc) (1). BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 146 Katzenmeier, MedR 2012, 576 (582); Katzenmeier, NJW 2013, 817 (820). 147 Katzenmeier, MedR 2012, 576 (582). 148 Siehe unter E. I. 2. 149 Siehe dazu unter E. IV. 1. 145
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E. Aufklärungspflicht
lich klar, dass „sich die Art und Weise sowie Umfang und Intensität der Aufklärung nach der jeweiligen konkreten Behandlungssituation richten“.150 c) Zusammenfassung der Ergebnisse Hinsichtlich des Inhalts ist somit festzuhalten, dass sämtliche in § 630e Abs. 1 S. 2 BGB beispielhaft genannten Inhalte mit der bisherigen Rechtsprechung übereinstimmen, sodass die bisherige Rechtsprechung insofern fortgelten kann. Es ist nicht ersichtlich, dass andere, nicht in § 630e Abs. 1 S. 2 BGB genannte, von der bisherigen Rechtsprechung der Selbstbestimmungsaufklärung zugeordnete Inhalte in Zukunft nicht mehr Bestandteile der Selbstbestimmungsaufklärung sein sollen. Dies gilt insbesondere für die Folgen im Falle der Nichtbehandlung, auch wenn diese nur in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB und nicht in § 630e Abs. 1 S. 2 BGB ausdrücklich genannt sind. Die Folgen im Falle der Nichtbehandlung gehören grundsätzlich zum geschuldeten Aufklärungsumfang. Sollten sie auch der therapeutischen Information unterfallen, so kann es zu Überschneidungen kommen. Im Wege der Auslegung ergibt sich somit eine Übereinstimmung zwischen dem Richterrecht und dem Bedeutungsgehalt der gesetzlichen Regelungen. Hinsichtlich des Umfangs der Aufklärung ergeben sich keine Unterschiede zur bisherigen Rechtsprechung, sodass die Rechtsprechung an ihren Grundsätzen festhalten kann. d) Bewertung Insbesondere hinsichtlich der Risikoaufklärung zeigt sich, dass die Rechtsprechung sehr kleinteilig ausdifferenziert und geradezu unübersichtlich ist; es fällt schwer, diese einigermaßen verständlich zu strukturieren und zusammenzufassen. Hier hätte die Kodifizierung durch Strukturierung eine Komplexitätsreduzierung herbeiführen, zugleich Übersichtlichkeit schaffen und dadurch zu einem Gewinn an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit beitragen können.151 Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber jedoch nicht wahrgenommen. Hinsichtlich der Qualität der konkreten Regelung in § 630e Abs. 1 S. 1, 2 BGB ist festzuhalten, dass die Verwendung einer Generalklausel mit anschließender Nennung von Einzeltatbeständen („insbesondere“) hier missglückt ist. Die Folgen im Falle einer Nichtbehandlung, mithin die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung ohne Behandlung, werden nicht als Einzeltatbestand aufgezählt. Hierbei handelt es sich jedoch um einen grundsätzlich aufklärungsrelevanten Umstand, da der Patient sonst nicht das Austauschrisiko kennt und ihm ein hin150 151
BT-Drs. 17/10488, 1 (24). Dazu bereits unter A. II.
II. Gegenstand und Umfang
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reichender Abwägungsprozess folglich nicht möglich ist. Bei der Verwendung einer Generalklausel mit anschließender Nennung von Einzeltatbeständen gilt jedoch, dass die Einordnung eines nicht im Gesetz genannten Tatbestands unter die Generalklausel eines größeren Begründungsaufwands bedarf.152 Deswegen ist es dogmatisch schlecht, wenn ein Umstand, der grundsätzlich unter die Norm fallen soll, nicht ausdrücklich bei den Einzeltatbeständen genannt wird. Dies gilt aus systematischer Sicht erst recht vor dem Hintergrund, dass eine identische Konstruktion einer Generalklausel mit anschließender Nennung von Einzeltatbeständen lediglich zwei Paragrafen zuvor diesen Umstand ausdrücklich nennt. Zugleich ist dies mit Rechtsunsicherheit verbunden, mit einer derartigen Regelung kann keine Transparenz und erst recht keine Laienverständlichkeit hergestellt werden, die Regelung ist im Verhältnis zu § 630c Abs. 2 S. 1 BGB vielmehr irreführend. Deswegen wäre es besser gewesen, wenn in § 630e Abs. 1 S. 2 BGB die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung ohne Behandlung ausdrücklich genannt worden wäre.
2. Aufklärung über Behandlungsalternativen Als weiterer Inhalt der Aufklärung ist diejenige über Behandlungsalternativen zu betrachten. Hierbei wird zunächst das Richterrecht dargestellt, sodann die Rechtslage nach dem Patientenrechtegesetz und die sich hieraus ergebenden Unterschiede zum Richterrecht ermittelt und abschließend die Qualität der Regelung bewertet. a) Richterrecht Die Wahl der Behandlungsmethode zwischen verschiedenen, dem Standard genügenden Methoden obliegt primär dem Arzt, ihm steht dabei ein weites Ermessen zu.153 Er muss dabei nicht zwingend den sichersten Weg wählen, sofern ein höheres Risiko durch die besonderen Sachzwänge oder eine günstigere Heilungsprognose sachlich gerechtfertigt ist.154 Der Arzt kann dann unterstellen, dass der Patient seiner Entscheidung vertraut.155 Dieses Wahlrecht ist aber dann eingeschränkt, wenn mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie existieren, die jedoch mit (wesent152
Siehe dazu unter A. III. 1. c). BGHZ 172, 254 (257); BGHZ 168, 103 (107); BGHZ 102, 17 (22); vgl. auch BGH, NJW 2005, 1718 (1718); BGH, NJW 1982, 2121 (2122); BGH, NJW 2014, 1529 (1530); BGHZ 106, 153 (157); BGH, NJW 1988, 765 (766); BGH, NJW 1988, 1516 (1516). 154 BGHZ 172, 254 (257). 155 BGHZ 102, 17 (22); BGH, NJW 1982, 2121 (2122); BGH, NJW 1988, 1514 (1515); BGH, NJW 1988, 1516 (1516); OLG Naumburg, GesR 2004, 494 (495). 153
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E. Aufklärungspflicht
lich) unterschiedlichen Belastungen, Risiken und/oder Erfolgschancen verbunden sind.156 Dann gebietet das grundrechtliche Selbstbestimmungsrecht,157 dass der Patient hierüber aufgeklärt wird und eine eigene Entscheidung über die anzuwendende Behandlungsmethode treffen kann.158 Die unterschiedlichen Verläufe, Chancen und Risiken sind dem Patienten sorgfältig zu erklären.159 Die Pflicht zur Aufklärung über Behandlungsalternativen besteht jedoch nur insoweit, wie eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten160 vorhanden ist, die Behandlungsalternative muss entscheidungserheblich sein, was nicht der Fall ist, wenn die Vorteile nicht besonders ins Gewicht fallen und die Alternative nicht besser indiziert ist oder wenn die Versorgung mit den vorhandenen operativen und personellen Möglichkeiten im Vordergrund steht.161 Sind die Unterschiede so gering, dass sie für einen vernünftigen Durchschnittspatienten von untergeordneter Bedeutung sind, ist nicht über die unterschiedlichen Möglichkeiten aufzuklären.162 Besteht die Möglichkeit einer (langwierigen) konservativen Behandlung sowie eines operativen Eingriffs, so ist der Patient hierüber ebenfalls aufzuklären und ihm die Entscheidung zu überlassen.163 Auch weiteres Zuwarten bzw. Nichts tun kann eine echte Behandlungsalternative darstellen.164 156 BGHZ 168, 103 (108); BGHZ 102, 17 (22); BGH, NJW 2014, 1529 (1530); BGH, NJWRR 2011, 1173 (1173); BGH, VersR 2011, 1450 (1450); vgl. auch BGH, NJW 2005, 1718 (1718); BGH, NJW 1992, 2353 (2354); BGH, NJW 1988, 765 (766); BGHZ 106, 153 (157) sowie BGH, NJW-RR 2015, 591 (592) sowie BGH, NJW 2004, 3703 (3704) und BGH, VersR 2005, 227 (227) (alle bezüglich vaginaler Entbindung versus Schnittentbindung); BGH, NJW 2000, 1788 (1789); vgl. BGHZ 166, 336 (339); BGHZ 106, 391 (394); OLG Hamm, GesR 2014, 234 (235); OLG Naumburg, NJW 2010, 1758 (1759); OLG Stuttgart, VersR 2002, 1286 (1287); vgl. OLG Köln, VersR 2012, 1445 (1446). 157 Siehe dazu oben unter C. I. 3. 158 BGHZ 168, 103 (108); vgl. auch BGH, NJW 2005, 1718 (1718); vgl. BGH, NJW 1993, 1524 (1525). 159 Vgl. BGH, NJW 1992, 741 (742); OLG Naumburg, NJW 2010, 1758 (1759). 160 BGH, NJW 2000, 1788 (1789); BGH, NJW 1984, 1810 (1811); OLG Naumburg, NJW 2010, 1758 (1759); OLG München, NJW-RR 1994, 20 (20); OLG Köln, VersR 2012, 1445 (1446). 161 BGHZ 102, 17 (23); vgl. auch OLG Naumburg, NJW 2010, 1758 (1759); BGH, NJW 1984, 1810 (1811) und BGH, NJW 1992, 2353 (2354): echte Wahlmöglichkeit abgelehnt; BGH, NJW-RR 2011, 1173 (1173 f.): echte Wahlmöglichkeit bejaht. 162 BGH, NJW 1988, 1516 (1516). 163 BGH, NJW 1982, 2121 (2122); BGH, NJW 2014, 1529 (1530); BGH, NJW 1992, 2353 (2354); BGH, NJW 1988, 765 (766); BGH, NJW 2000, 1788 (1789); vgl. OLG Hamm, VersR 2005, 942 (943); BGH, NJW 1985, 676 (676); siehe zu einem derartigen Fall auch OLG Köln, MedR 2015, 264 (266 f.). 164 OLG Oldenburg, NJW 1997, 1642 (1642); OLG Köln, NJW-RR 1999, 674 (674); OLG Brandenburg, 12 U 239/06.
II. Gegenstand und Umfang
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Eine Aufklärung darüber, dass in anderen Kliniken die Behandlung bereits mit besseren apparativen oder personellen Möglichkeiten und dadurch mit einem etwas geringeren Komplikationsrisiko durchgeführt werden kann, ist allerdings solange nicht erforderlich, wie dem Patienten eine dem medizinischen Standard genügende Behandlung gewährt wird.165 Schließlich darf es als allgemein bekannt angesehen werden, dass es oft Kliniken gibt, die personell und/oder apparativ besser ausgestattet sind; es kann nicht gewährleistet werden, dass alle Patienten jederzeit „nach den neuesten Erkenntnissen, mit den modernsten Apparaten und durch ausgesuchte Spezialisten“ behandelt werden.166 Es kommt zwangsläufig zu Qualitätsunterschieden je nach Art der Klinik, dies ist unvermeidbar.167 Erst dann, wenn sich ein neues Verfahren weitgehend durchgesetzt hat und mit entscheidenden Vorteilen verbunden ist, von denen der Patient erfahren muss, ist darauf hinzuweisen, auch wenn ihm noch eine dem Standard entsprechende Behandlung geboten wird.168 Zudem ist auf eine Spezialklinik hinzuweisen, sofern deren bessere Möglichkeiten im konkreten Fall von Bedeutung sind.169 Soll eine Maßnahme erfolgen, bei der die apparative Ausstattung von besonderem Gewicht ist, weil sie die Heilungschancen deutlich beeinflussen kann, so ist der Patient auf eine dürftige Ausstattung hinzuweisen, da dies für die Entscheidung, ob er sich lieber in einem anderen Krankenhaus behandeln lassen möchte, von erheblicher Bedeutung ist.170 165
BGHZ 102, 17 (17, 25); BGH, NJW 1988, 2302 (2302); OLG Oldenburg, VersR 1996, 1023 (1024); in dieser Hinsicht muss auch BGHZ 88, 248 (251 f.) verstanden werden. Das Beispiel des niedrigeren Standards „in der apparativen Ausstattung und in der Ausbildung und Erfahrung der behandelnden Ärzte“ bezieht sich eindeutig („solch ein Umstand“) auf Umstände, die aus besonderen Gründen das Behandlungsrisiko erhöhen. Da das Behandlungsrisiko sich grundsätzlich auf eine dem Standard i. S. d. § 630a Abs. 2 BGB entsprechende Behandlung bezieht, kann ein risikoerhöhender Umstand nicht in einer dem Standard entsprechenden apparativen Ausstattung oder in den Standard gewährleistenden Ärzten bestehen. Deswegen kann der Behauptung von Neelmeier (Neelmeier, NJW 2013, 2230 (2233)), es sei hinsichtlich der Ausstattung in Analogie zu § 630e Abs. 1 S. 3 BGB zu fragen, ob die bessere Ausstattung einer anderen Einrichtung zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen hätte führen können, nicht gefolgt werden. Maßgeblich ist zunächst allein, ob die Ausstattung dem erforderlichen Standard genügt hat. Die Forderung von Neelmeier ist auch insofern nicht praxistauglich, als dann ein Großteil der Behandlungen nur noch in Spezialkliniken mit bester Ausstattung und hochqualifiziertem Personal durchgeführt werden könnte. Deswegen ist es stringent, nur nach der Erfüllung der Standards sowie danach zu fragen, ob im konkreten Einzelfall eine über den Standard hinausgehende bessere Ausstattung von besonderem Gewicht ist (siehe Ausführungen zu Kap. E. Fn. 169, 170). 166 BGHZ 102, 17 (25). 167 BGHZ 102, 17 (24 f.). 168 BGHZ 102, 17 (26). 169 BGH, NJW 1991, 2342 (2343). 170 BGH, NJW 1989, 2321 (2322).
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E. Aufklärungspflicht
Ungefragt aufzuklären ist nicht über solche Methoden, die noch nicht zum Standard gehören und noch erprobt werden.171 Wird eine zum Standard zählende Behandlung von ernsthaften Stimmen der medizinischen Wissenschaft kritisch beurteilt, so ist der Patient auf andere mögliche Behandlungen hinzuweisen.172 Er ist darüber aufzuklären, dass über die vom Arzt vorgeschlagene Behandlungsmethode ernsthafter Streit besteht.173 Zum Teil wird sogar vertreten, der Arzt dürfe dem Patienten allerdings nicht lediglich die verschiedenen Alternativen mit ihren Vor- und Nachteilen erläutern, sondern muss eine Empfehlung für diejenige Alternative abgeben, die er für die bestgeeignete hält; andernfalls würde er „den Patienten ratlos lassen“, obwohl die meisten Patienten einer Entscheidungshilfe bedürften.174 Hier sollte jedoch der mündige Patient in die Pflicht zur Nachfrage genommen werden, sofern er eine Empfehlung wünscht. b) § 630e Abs. 1 S. 3 BGB Die Gesetzesbegründung hält im Anschluss an die Rechtsprechung fest, dass die Wahl der Behandlungsmethode nach dem Grundsatz der Therapiefreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG175 dem Arzt obliegt, wobei er sich bei seiner nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden Entscheidung gem. § 630a Abs. 2 BGB an die allgemein anerkannten fachlichen Standards zu halten hat.176 Dieses Wahlrecht des Arztes besteht jedoch nicht, „wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können“, § 630e Abs. 1 S. 3 BGB. Hinsichtlich der Therapiefreiheit und dem grundsätzlich bestehenden pflichtgemäßen Ermessen knüpft der Gesetzgeber an die bisherige Rechtsprechung an. Mit der Einschränkung auf wesentlich unterschiedliche Belastungen, Risiken oder Heilungschancen hat sich der Gesetzgeber allerdings einem kleineren Teil der bisherigen Rechtsprechung angeschlossen. Von den oben genannten Ent-
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BGH, NJW 1984, 1810 (1811); BGHZ 102, 17 (23). BGHZ 144, 1 (10); BGH, NJW 1978, 587 (587); BGH, NJW 1996, 776 (776). 173 BGH, NJW 1982, 2121 (2122). 174 OLG Celle, VersR 1981, 1184 (1185); restriktiver dagegen OLG Koblenz, VersR 2009, 1077 (1077 f.) („darf“; „nicht gehalten, von einer konkreten Empfehlung abzusehen“), das allerdings fälschlicherweise von einer therapeutischen Aufklärung statt einer Aufklärung über Behandlungsalternativen ausgeht. Die restriktive Auffassung bestätigend wohl OLG Koblenz, VersR 2015, 757 (757). 175 Siehe dazu ausführlich oben unter C. II. 1. 176 BT-Drs. 17/10488, 1 (24); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (29). 172
II. Gegenstand und Umfang
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scheidungen177 enthalten lediglich sechs die Einschränkung „wesentlich“,178 während die restlichen 13 Entscheidungen lediglich unterschiedliche Belastungen, Risiken und/oder Erfolgschancen fordern.179 Diese Einschränkung auf „wesentlich“ wird kritisch betrachtet.180 Es handele sich um einen auslegungsbedürftigen Begriff, sodass unklar sei, welche Fälle davon erfasst würden.181 Diese Kritik ist jedoch nicht nachzuvollziehen. Schließlich lässt es sich beim Erlass abstrakt-genereller Regelungen nicht vermeiden, unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden, dies kann unter Umständen sogar geboten sein, um der Rechtsprechung die nötige Flexibilität für die Praxis zu erhalten. Zudem war es auch der Rechtsprechung bisher möglich, mit dem Begriff der Wesentlichkeit zu arbeiten, wie sich an den vorhandenen Entscheidungen zeigt. Es ist somit nicht zu kritisieren, dass der Gesetzgeber hier an die Terminologie zumindest eines Teils der Rechtsprechung angeknüpft hat. Ob dem Gesetzgeber die unterschiedliche Rechtsprechungspraxis bekannt war und er sich demnach bewusst für den eingeschränkteren Maßstab entschieden hat, ist nicht zu ermitteln; angesichts des klaren Wortlauts kann die insofern weitere Rechtsprechung in Zukunft jedoch keinen Bestand mehr haben. An dieser Stelle hat der Gesetzgeber der weitergehenden Rechtsprechung Einhalt geboten. Die Einschränkung auf wesentliche Maßstäbe führt zu einer größeren Therapiefreiheit, die zulasten der Selbstbestimmung des Patienten geht. Dies läuft dem ausdrücklichen Ziel des Gesetzes, die Rechte von Patienten zu verbessern, zuwider, schränkt es deren Rechte doch zumindest im Verhältnis zu einem Teil der bisherigen Rechtsprechung ein. Zudem widerspricht es dem im Arzt-Patient-Ver-
177
Siehe Kap. E. Fn. 156. BGH, NJW 2005, 1718 (1718); BGHZ 166, 336 (339); BGHZ 106, 391 (394); OLG Hamm, GesR 2014, 234 (235); OLG Köln, VersR 2012, 1445 (1446); OLG Stuttgart, VersR 2002, 1286 (1287). Das OLG Hamm sowie das OLG Köln verweisen in ihren Entscheidungen jedoch auf die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2005. Das OLG Stuttgart verweist auf zwei BGHZ-Entscheidungen, die jedoch beide das Wesentlichkeits-Kriterium gerade nicht nennen. Die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2005 verweist selbst auch auf zwei Entscheidungen des BGH, die dieses Kriterium allerdings ebenfalls nicht nennen. Die beiden BGHZ-Entscheidungen verweisen bezüglich der Alternativaufklärung selbst nicht auf andere Entscheidungen. 179 Die Ansicht Voigts, dass der BGH inzwischen, anders als in älteren Entscheidungen, das Kriterium der Wesentlichkeit fordere (Voigt, Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), 2013, 125), ist angesichts zahlreicher neuerer Entscheidungen, die dieses Kriterium gerade nicht enthalten, nicht haltbar. 180 SoVD, Stellungnahme zum RefE, 1 (4). 181 SoVD, Stellungnahme zum RefE, 1 (4). Geiß/Greiner folgern daraus, dass es „sich um einen Unterschied von Gewicht“ handeln müsse, Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. (2014), Kap. C Rdnr. 23. Zur Frage, wann sich Risiken wesentlich unterscheiden siehe Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. (2014), Kap. C Rdnr. 24. 178
120
E. Aufklärungspflicht
hältnis in den letzten Jahrzehnten starken Trend, der weg vom Paternalismus hin zu mehr Autonomie und Selbstbestimmung führt. In der eingeschränkten Pflicht zur Aufklärung über Behandlungsalternativen wird somit deutlich, dass nicht nur die Autonomie des Patienten geschützt wird, sondern zugleich dem Behandelnden ein gewisser paternalistischer Spielraum zum Handeln zum Wohle des Patienten eingeräumt wird. Als Alternativen kommen allerdings nur solche Maßnahmen in Betracht, die bereits dem fachlichen Standard angehören, dies ergibt sich zum einen aus der Gesetzesbegründung, wo klargestellt wird, dass „über therapeutische Verfahren, die sich erst in der Erprobung befinden und damit noch nicht zum medizinischen Standard“ gehören, auch dann nicht ungefragt aufzuklären ist, wenn diese „als Therapiealternativen in Betracht kämen“,182 zum anderen aus der Verbindung zu § 630a Abs. 2 BGB.183 Darüber hinaus lässt sich dies auch aus dem Wortlaut ableiten, bei der vom Gesetzgeber unpräzise gewählten Formulierung „üblich“ handelt es sich um einen Begriff, der der Rechtsprechung184 entspringt und offenbar „standardgemäß“ meint.185 Dass über Verfahren in der Erprobung nicht aufzuklären ist, entspricht der bisherigen Rechtsprechung. Spickhoff sieht dies kritisch, er plädiert im Einzelfall auch hier für eine Aufklärungspflicht, sofern der Behandelnde aufgrund von Sonderkenntnissen weiß, dass die Heilungschancen einer kurz vor dem Abschluss der Erprobung stehenden Methode signifikant größer sind und die Methode dem Patienten auch ermöglicht werden kann.186 Dem ist zuzustimmen. Eine pauschale Pflicht des Arztes, auch über Verfahren in der Erprobung aufzuklären, würde den Arzt unangemessen benachteiligen, da es ihm kaum möglich ist, sich permanent über alle möglichen in der Erprobung befindlichen Verfahren zu informieren. Insofern, als mit der wissenschaftlichen Anerkennung medizinischer Verfahren sowie der Zuordnung zum medizinischen Standard i. S. d. § 630a Abs. 2 BGB fundierte Kriterien geschaffen wurden, sind die Interessen des Patienten am Schutz seiner Gesundheit sowie der Wahrnehmung seines Selbstbestimmungsrechts hinreichend gewahrt. Eine darüber hinausgehende Aufklä182
BT-Drs. 17/10488, 1 (24); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (30). 183 BeckOGK/Walter, § 630e, Rdnr. 14. 184 So z. B. BGH, NJW 1988, 765 (766 m. w. N.); BGH, NJW 2005, 1718 (1718); BGH, NJW 2000, 1788 (1789); BGH, NJW 1992, 2353 (2354); OLG Hamm, GesR 2014, 234 (235). 185 So Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 14. Kritisch Hart, GesR 2012, 385 (386); BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 27; Katzenmeier, NJW 2013, 817 (820), die der Ansicht sind, dass sowohl standardgemäße Maßnahmen als auch dem Standard des Heilversuchsrechts entsprechende Maßnahmen umfasst sein müssten, weswegen sie den Begriff „üblich“ für unscharf halten. 186 Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 2.
II. Gegenstand und Umfang
121
rungspflicht würde den Arzt unverhältnismäßig belasten. Eine Ausnahme kann jedoch dann gemacht werden, wenn der Arzt subjektiv tatsächlich über darüber hinausgehendes Sonderwissen verfügt. Ist dies der Fall, so sollte er verpflichtet sein, den Patienten hierüber aufzuklären, damit dieser dann zwischen den verschiedenen Maßnahmen wählen kann. Schließlich ist auch im Rahmen des allgemein anerkannten fachlichen Standards anerkannt, dass der Arzt über den Standard hinausgehende höhere Kenntnisse zum Wohle des Patienten einzusetzen hat, ohne dass dies vereinbart werden muss.187 Dann ist es nur konsequent, dies auch im Rahmen der Aufklärung zu fordern. Auf die Ausnahmen der Rechtsprechung, nach denen ausnahmsweise auch dann auf eine bessere Behandlungsmöglichkeit in einer anderen Klinik hingewiesen werden muss, wenn in der eigenen Klinik eine dem Standard entsprechende Behandlung gewährt wird, geht der Gesetzestext nicht ein, ebenso wenig die Gesetzesbegründung. Dass sich im Gesetz diese Ausnahmekonstellation nicht wiederfindet, ist jedoch nicht zu kritisieren, im Gesetz können nicht jegliche Ausnahmetatbestände ausdrücklich geregelt werden. Dies würde zu Unübersichtlichkeit führen, einer Komplexitätsreduzierung widersprechen und damit die Qualität des Gesetzes schmälern.188 Weder die Gesetzesbegründung noch der Gesetzeswortlaut stehen jedoch dem Fortgelten der diesbezüglich bisher ergangenen Rechtsprechung entgegen, sodass die Rechtsprechung an ihrer bisherigen Praxis festhalten kann. c) Bewertung Zunächst ist zusammenfassend festzuhalten, dass sich insofern eine Einschränkung gegenüber einem Teil der bisherigen Rechtsprechung ergibt, als über Alternativen nur dann aufzuklären ist, wenn diese zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen. Folglich kann die weitergehende Rechtsprechung seit dem Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes keinen Bestand mehr haben. Diese Einschränkung ist mit einer größeren Therapiefreiheit zulasten des Selbstbestimmungsrechts des Patienten verbunden und läuft somit dem Ziel des Gesetzgebers, die Rechte von Patienten zu verbessern, zuwider. Die Kritik an der Verwendung des unbestimmten Begriffs der Wesentlichkeit ist unbegründet. Ebenso waren die Ausnahmekonstellationen, in denen nach der Rechtsprechung ausnahmsweise auch dann über eine bessere Behandlungsmöglichkeit in einer anderen Klinik aufzuklären ist, wenn in der eigenen Klinik eine dem Standard entsprechende Behandlung gewährt wird, nicht in das Gesetz aufzunehmen. Die diesbezügliche Rechtsprechung kann trotzdem fortgelten. 187 188
BGH, NJW 1997, 3090 (3091); BGH, NJW 1987, 1479 (1480). Siehe dazu oben unter A. II.
122
E. Aufklärungspflicht
Anstelle der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung „üblich“ wäre es im Sinne der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit jedoch sinnvoller gewesen, an den Begriff standardgemäß bzw. fachlichen Standard anzuknüpfen. Dieser Begriff wird auch in § 630a Abs. 2 BGB verwendet. Die Begriffe innerhalb des Gesetzes sollten in einem adäquaten Zusammenhang stehen, im Sinne der Verständlichkeit sollte eine gewählte Begrifflichkeit im Gesetz durchgezogen werden, sofern kein zwingendes Bedürfnis für eine Abweichung besteht; eine einheitliche Begrifflichkeit stärkt die Rechtssicherheit.189 Da hier kein Grund für eine Abweichung besteht, hätte die in § 630a Abs. 2 BGB verwendete Begrifflichkeit fortgeführt werden sollen. Hinsichtlich der erläuterten vorzugswürdigen Einschränkung des Ausschlusses von sich noch in der Erprobung befindlichen Verfahren bietet sich zudem eine Verdeutlichung im Wortlaut an, um für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu sorgen, denn ansonsten wirkt der Wortlaut abschließend. Diese Einschränkung ließe sich durch das Einfügen des Wortes grundsätzlich erreichen.
III. Art und Weise Hinsichtlich der Art und Weise der Aufklärung wird zunächst das Richterrecht dargestellt, sodann die Rechtslage nach dem Patientenrechtegesetz und die sich hieraus ergebenden Unterschiede zum Richterrecht ermittelt und abschließend die Qualität der Regelung bewertet.
1. Richterrecht Die Aufklärung hat mündlich190 und in einer dem Verständnisvermögen des Patienten angepassten Weise zu erfolgen.191 Es liegt grundsätzlich im Ermessen des Arztes, in welcher Art und Weise er aufklärt.192 Solange er den Aufklärungsgegenstand zutreffend darstellt, darf er den Patienten auch beruhigen und versuchen, ihm Furcht und Hemmungen zu nehmen, dies gehört sogar zu seinen ärzt189
Siehe dazu oben unter A. II., III. OLG Oldenburg, VersR 2010, 1221 (1222); OLG Oldenburg, NJW 1997, 1642 (1642) (Stichworte ersetzen nicht ein mündliches Aufklärungsgespräch); OLG Nürnberg, VersR 1996, 1372 (1373) („zusätzlich mündlich“). 191 BGH, NJW 1971, 1887 (1887); OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 816 (817); vgl. OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 (105). 192 BGHZ 29, 176 (183 f.); BGH, NJW 1971, 1887 (1888); BGHZ 90, 103 (108) sowie BGH, NJW 1984, 2629 (2630) (beide: „verantwortungsvolle Führung“ ist Sache des Arztes im Einzelfall, ihm können insoweit „keine rechtlichen Vorschriften“ gemacht werden). 190
III. Art und Weise
123
lichen Aufgaben.193 „Einer möglicherweise übertriebenen Furcht vor Erkrankung muss der Arzt gegebenenfalls entgegenwirken.“194 Grundsätzlich ist ein vertrauensvolles Gespräch zwischen Arzt und Patient erforderlich.195 Die Aufklärung muss nicht in korrekter medizinischer Beschreibung erfolgen,196 der Arzt hat seine Erläuterungen dem Verständnishorizont des Patienten anzupassen.197 Versteht der Patient dennoch einzelne Details nicht, so muss er den Arzt hierauf hinweisen und um eine für ihn verständlichere Schilderung bitten.198 Eine Aufklärung kann nicht in der Art erfolgen, dass lediglich eine unkommentierte Aneinanderreihung medizinischer Begriffe erfolgt, eine solche verschleiert Risiken eher.199 Grundsätzlich ist es dem Arzt untersagt, Risiken zu verharmlosen, herunterzuspielen, zu verschlimmern oder sie zu beschönigen.200 Unter Umständen kann der Patient besonders deutlich und eindringlich aufzuklären sein.201 Der Aufklärende muss so gut Deutsch sprechen, dass er dem Patienten die Aufklärungsinhalte verständlich erläutern kann.202 Ist der Patient schwerhörig, so kann es erforderlich sein, ihm die Untersuchungsergebnisse schriftlich vorzulegen.203 Es ist zulässig, Merkblätter zu verwenden, die die notwendigen Informationen und Risiken enthalten; sie können zum einen den Aufklärungsgegenstand umfassend und präzise beschreiben und sind dem Arzt nützlich für die Beweisbarkeit; sie können jedoch nicht das Arztgespräch ersetzen.204 Der Arzt soll sich nicht auf zu unterschreibende Formulare und Merkblätter zurückziehen; das Aufklärungsgespräch soll möglichst frei bleiben von „bürokratischem Formalismus“, wel193
BGH, NJW 1984, 2629 (2630). OLG Köln, VersR 2011, 81 (82). 195 BGH, NJW 2003, 2012 (2013); BGHZ 144, 1 (13); BGH, NJW 1985, 1399 (1399). 196 BGH, NJW 2011, 1088 (1089); BGH, NJW 1991, 2346 (2347); vgl. OLG Brandenburg, MedR 1998, 470 (471). 197 OLG Brandenburg, MedR 1998, 470 (471); OLG München, VersR 1979, 848 (848); vgl. OLG Saarbrücken, VersR 1994, 1427 (1427 f.); vgl. OLG Nürnberg, VersR 1996, 1372 (1373) für den Fall eines die deutsche Sprache nicht vollständig beherrschenden Ausländers; ähnlich OLG Karlsruhe, VersR 1988, 93 (94). 198 OLG Saarbrücken, VersR 1994, 1427 (1428); OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 (105). 199 OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1543). 200 Vgl. BGH, NJW 2009, 1209 (1210); OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1543 f.); BGH, NJW 2010, 3230 (3231); BGH, NJW 2011, 375 (375); BGHZ 90, 103 (108); vgl. BGH, NJW 1992, 2351 (2352 f.); BGH, NJW 1992, 754 (755). 201 Siehe dazu bereits die Ausführungen im Rahmen der Risikoaufklärung unter E. II. 1. a) aa), insbesondere hinsichtlich der Kap. E. Fn. 86, 101. 202 Vgl. AG Leipzig, MedR 2003, 582 (582 f.). 203 BVerfGK 4, 203 (209). 204 BGHZ 144, 1 (13); vgl. BGH, NJW 2003, 2012 (2013); BGH, NJW 1985, 1399 (1399); vgl. OLG Oldenburg, VersR 2010, 1221 (1222); OLG Brandenburg, 12 U 239/06. 194
124
E. Aufklärungspflicht
cher „das Verharren auf einer Unterschrift“ einschließen kann.205 Ohne ein persönliches Gespräch kann der Arzt nicht darauf vertrauen, dass der Patient den Inhalt des Merkblatts gelesen und auch verstanden hat.206 In dem persönlichen Gespräch muss sich der Behandelnde vergewissern, dass der Patient die Informationen gelesen und verstanden hat, diesem die Möglichkeit zu Fragen geben und auf dessen individuelle Belange eingehen.207 Bei Routinemaßnahmen lässt die Rechtsprechung im Einzelfall eine schriftliche Aufklärung mit nachfolgender Informationsmöglichkeit im Gespräch mit dem Arzt ausreichen.208 Allgemeine Hinweise in Impfanmeldeformularen, die nicht auf die individuelle Situation des Patienten bezogen sind, genügen jedoch auch in der Massenmedizin nicht für eine ordnungsgemäße Aufklärung.209 In einfach gelagerten Fällen ist es ausreichend, den Patienten in einem Telefongespräch aufzuklären, denn auch dabei kann der Patient Fragen stellen und der Arzt kann individuell auf die Belange des Patienten und seine Fragen eingehen.210 Besteht der Patient jedoch auf ein persönliches Gespräch, so hat der Arzt diesem Wunsch zu entsprechen.211 Bei ausländischen Patienten hat der Aufklärungspflichtige sicherzustellen und notfalls zu beweisen, dass es dem Patienten möglich ist bzw. war, der Aufklärung sprachlich zu folgen.212 Ist dies nicht gesichert, so muss eine sprachkundige Person hinzugezogen werden; die Gefahr von Missverständnissen muss ausgeschlossen werden.213 Dafür muss nicht zwingend auf einen Sprachmittler zurückgegriffen werden, auch der Sprache mächtige Krankenhausmitarbeiter oder zur Sprachmittlung bereite Begleitpersonen oder Angehörige können hinzugezogen werden.214 Dann muss jedoch sichergestellt werden, dass diese Personen die In205
BGH, NJW 1985, 1399 (1399). OLG Oldenburg, VersR 2010, 1221 (1222). 207 BGHZ 144, 1 (13). 208 BGHZ 144, 1 (13); dies als grundsätzliche Möglichkeit darstellend BGHZ 166, 336 (341). 209 BGH, NJW 1990, 2311 (2311 f.). 210 Dies als ausreichend erachtend bisher nur BGH, NJW 2010, 2430 (2432). Bei komplizierten Eingriffen mit erheblichen Risiken ist ein Telefongespräch dagegen unzureichend, BGH, NJW 2010, 2430 (2432). 211 BGH, NJW 2010, 2430 (2432). 212 KG, VersR 2008, 1649 (1649 f.) unter Aufgabe von KG, MedR 1999, 226; OLG München, VersR 2002, 717 (718); OLG Nürnberg, NJW-RR 2002, 1255 (1255); OLG Brandenburg, MedR 1998, 470 (471); vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 459 (460); OLG München, VersR 1995, 95 (95). 213 OLG Düsseldorf, NJW 1990, 771 (771); OLG Frankfurt, VersR 1994, 986 (987). 214 KG, VersR 2008, 1649 (1650); vgl. OLG München, VersR 1993, 1488 (1489); OLG Düsseldorf, NJW 1997, 2457 (2457); OLG München, VersR 1995, 95 (95) („jemand Deutsch206
III. Art und Weise
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formationen dem Patienten tatsächlich übersetzen.215 Ist ein ausländischer Patient offenbar ausreichend der deutschen Sprache mächtig, so muss er dem Aufklärenden zu erkennen geben, wenn er die Aufklärung nicht richtig versteht; andernfalls darf der Aufklärende von seinem Verständnis ausgehen.216 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass „die Fähigkeit, die fremde Sprache zu verstehen, deutlich größer ist als die Fähigkeit, sich selbst in der fremden Sprache auszudrücken“.217 Ein in Deutschland aufgewachsener, die deutsche Sprache beherrschender Ausländer ist insoweit einem Deutschen gleich zu stellen.218 Hinsichtlich der Art und Weise der Strukturierung der Aufklärung sowie der Frage, ob und wie der Patient in seinem Entscheidungsfindungsprozess beeinflusst werden darf, ohne dass ihm dies bewusst ist, findet sich in der Rechtsprechung nichts.
2. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 3, S. 2 BGB Aufgrund von Neuerungen des Patientenrechtegesetzes sowie verschiedener sich stellender Fragen wird im Rahmen der Rechtslage nach dem Patientenrechtegesetz nochmal hinsichtlich verschiedener Unterpunkte untergliedert. Es wird zunächst auf das sich in Abs. 2 S. 1 Nr. 1 findende Kriterium der Mündlichkeit eingegangen, sodann auf die in Abs. 2 S. 2 geregelte Pflicht zur Aushändigung von Abschriften und schließlich auf die in Abs. 2 S. 1 Nr. 3 geregelte Verständlichkeit. Schließlich wird noch kurz auf die Strukturierung der Aufklärung und Beeinflussung des Entscheidungsprozesses eingegangen. a) Mündlichkeit, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Die Aufklärung hat mündlich zu erfolgen, § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung.219 Dadurch soll gewährleistet werden, dass der Patient im persönlichen Gespräch die Möglichkeit zu Rückfragen hat und der Aufklärung eine ihrer Bedeutung angemessene Form zukommt, sie soll „nicht auf einen lediglich formalen Merkposten“ reduziert werden.220 Auch eine sprechenden aus dem Haus“); OLG Karlsruhe, VersR 1997, 241 (241) (im Krankenhaus beschäftigte Putzhilfe). 215 Vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 459 (460). 216 OLG München, VersR 2002, 717 (718); OLG Hamm, VersR 2002, 192 (193); OLG München, VersR 1979, 848 (848); OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 (105). 217 OLG München, VersR 1979, 848 (848). 218 OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 (105). 219 NK-BGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 7; vgl. Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 3a („bereits bislang galt“). 220 BT-Drs. 17/10488, 1 (24).
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E. Aufklärungspflicht
am Telefon erteilte Aufklärung ist mündlich, sodass die diesbezüglich ergangene Rechtsprechung dem Wortlaut nach jedenfalls nicht ausgeschlossen wird.221 Zwar deutet der Terminus „persönliches Gespräch“ zunächst darauf hin, dass eine beiderseitige Anwesenheit erforderlich sei.222 Da die Gesetzesbegründung jedoch ausdrücklich auf die hierzu ergangene Rechtsprechung Bezug nimmt,223 ist davon auszugehen, dass diese fortgilt. Problematisch ist dabei jedoch, wo die Grenzen zu ziehen sind und welche Maßnahmen als „einfach gelagerte Fälle […]“224 angesehen werden können. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass ein Gespräch unter Anwesenden gegenüber einem Telefonat den Vorteil bietet, dass Rückschlüsse aus Mimik und Gestik sowie dem gesamten Auftreten und Verhalten während des Gesprächs gezogen werden können; ähnliches könnte allenfalls durch ein Video-Gespräch erreicht werden.225 Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der Tatsache, dass diesbezüglich lediglich eine BGH-Entscheidung ergangen ist, ist mit einer Aufklärung am Telefon restriktiv umzugehen. Allerdings sollte es individualvertraglich möglich sein, eine telefonische Aufklärung zu vereinbaren, sofern der Patient bei einer solchen Vereinbarung nicht unter Druck gesetzt wird, sondern sich frei dazu entscheiden kann. aa) Ausnahmsweise schriftliche Aufklärung bei Routinemaßnahmen Nach dem Wortlaut eindeutig nicht mehr zulässig ist eine schriftliche Aufklärung bei Routinemaßnahmen.226 Dies lässt sich auch historisch begründen, denn der 221 Ähnlich BeckOGK/Walter, § 630e, Rdnr. 24; vgl. Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 3a, der jedoch die Einschätzung der Rechtsprechung, eine Vollnarkose sei ein einfach gelagerter Fall, kritisiert. 222 Reuter/Winkler, MedR 2014, 220 (224). 223 BT-Drs. 17/10488, 1 (24). 224 So BGH, NJW 2010, 2430 (2432). 225 Reuter/Winkler, MedR 2014, 220 (225). 226 Ebenso Rehborn, GesR 2013, 257 (264 f.); Palandt/Weidenkaff, § 630e, Rdnr. 11; JurisPK-BGB/Schmidt, § 630e, Rdnr. 30; vgl. auch Andreas, ArztR 2013, 117 (119); a. A. Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 45, die dies in einfach gelagerten Fällen weiterhin für ausreichend halten. A.A. auch Gödicke, dem zufolge „Ausnahmefälle vorwiegend schriftlicher Patientenaufklärung“ weiter möglich seien, allerdings voraussetzten, dass zum einen die Informationen überhaupt verständlich verschriftlicht werden könnten sowie zum anderen, dass ein Mechanismus der ärztlichen Kontrolle weiterhin gewährleistet sei, Gö dicke, MedR 2008, 18 (18 ff.). Die von ihm angebrachten Verweise auf die Gesetzesbegründung können jedoch nicht überzeugen. In der Passage der Gesetzesbegründung, auf die er in Fn. 8 verweist, steht zwar, dass die bisher ergangene Rechtsprechung „Richtschnur“ sei, dies ist jedoch nicht damit gleichzusetzen, dass die bisherige Rechtsprechung in jeglichen Einzelheiten fortgelte und keinerlei, seien es auch noch so kleinste Veränderungen, vom Gesetzgeber intendiert seien. Zudem bezieht sich die von ihm in Fn. 14 zitierte Passage der Gesetzesbegründung auf die fernmündliche und gerade nicht auf eine rein schriftliche Aufklärung, der Gesetzgeber
III. Art und Weise
127
Referentenentwurf sah diese Möglichkeit noch vor (§ 630e Abs. 2 a. E. RefE).227 Hier ergibt sich somit durch das Gesetz eine Änderung zur bisherigen Rechtsprechung, die die Rechtslage für die Behandelnden verschärft. Die neuen Anforderungen werden als unverhältnismäßig und nicht praktikabel kritisiert.228 Andere Stimmen hatten dagegen die im Referentenentwurf enthaltene Ausnahme kritisch beurteilt, da es nicht auf die Geringfügigkeit des Eingriffs, sondern allenfalls auf die Geringfügigkeit des Risikos als Kriterium ankommen könne.229 Darüber hinaus sei das Aufklärungsgespräch für das von besonderem Vertrauen geprägt Arzt-Patient-Verhältnis von großer Bedeutung, ohne dieses würde es zu einer Entpersonalisierung kommen.230 Es lassen sich sowohl Argumente für als auch gegen eine schriftliche Aufklärung finden. So lässt sich anführen, dass es nie sicher ist, dass der Patient den Inhalt auch gelesen und verstanden hat, ähnlich wie die Rechtsprechung dies hinsichtlich der Verwendung von Merkblättern geäußert hat. Auch die Stärkung des Vertrauensverhältnisses lässt sich als Argument für eine mündliche Aufklärung anführen. Nicht angeführt werden kann, dass eine verharmlosende Einschätzung des Patienten nur bei schriftlicher Aufklärung erfolgen könne, denn auch bei einer mündlichen Aufklärung neigen viele Patienten dazu, etwaige Risiken zu verdrängen bzw. davon auszugehen, dass sie das Risiko wohl nicht treffen werde. Die Gesetzesbegründung stellt immer wieder auf den „mündigen Patienten“ ab.231 Von einem solchen mündigen Patienten sollte jedoch verlangt werden können, dass er in seinem eigenen Interesse bei Routinemaßnahmen ein ihm ausgehändigtes Aufklärungsformular aufmerksam durchliest und bei etwaigen Rückfragen beim anschließenden Kontakt auf den Behandelnden zugeht. Tut er dies nicht und willigt trotzdem in die Maßnahme ein, so liegt dies in seinem Risikobereich und kann nicht zulasten des Arztes gehen. Wer die Möglichkeit der Selbstbestimmung fordert, sollte auch ein gewisses Maß an Selbstverantwortung aufweisen. Letztlich dürften die Auswirkungen dieser Änderung jedoch gering sein. Ohnehin hatte die Rechtsprechung eine schriftliche Aufklärung lediglich in einem Fall für zulässig erachtet und in einem anderen Fall auf die grundsätzliche Möglichkeit hingewiesen. Darüber hinaus hatte sie ein anschließendes Gespräch mit zitiert auch lediglich in diesem Zusammenhang die Entscheidung des BGH v. 15.6.2010, Az. VI ZR 204, 2009. 227 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (6). 228 So BÄK/KBV, Stellungnahme zum RegE, 1 (3). 229 Stellungnahme des Marburger Bundes zum Referentenentwurf, 1 (4). 230 Stellungnahme des Marburger Bundes zum Referentenentwurf, 1 (4). 231 BT-Drs. 17/10488, 1 (1, 9, 22, 23, 26).
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E. Aufklärungspflicht
Informationsmöglichkeit gefordert. In Anbetracht dieser Rechtsprechung konnte ohnehin nur in absoluten Ausnahmefällen von dem Ausreichen einer schriftlichen Aufklärung ausgegangen werden. Die Rechtsprechung kann in den Fällen, in denen sie vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes eine schriftliche Aufklärung als ausreichend angesehen hat, dies in Zukunft zwar aufgrund der Gesetzesänderung nicht mehr als ausreichende ordnungsgemäße Aufklärung i. S. d. § 630e BGB ansehen, sie wird dann aber wohl geneigt sein, eine hypothetische Einwilligung gem. § 630h Abs. 2 S. 2 BGB anzunehmen,232 sodass sich die verschärften Anforderungen auch insofern nicht auswirken dürften. bb) Ergänzende Bezugnahme auf Unterlagen, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 a. E. Lediglich ergänzend darf auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält, § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 a. E. BGB. Textform erfordert die Abgabe einer lesbaren Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger, § 126b S. 1 BGB. Einen solchen dauerhaften Datenträger stellen u. a. Papier, USB-Sticks, CD-ROMs, Speicherkarten, Festplatten, E-Mails sowie ein Computerfax dar.233 Ob die Unterlagen dem Patienten dauerhaft verfügbar gemacht oder ob sie ihm nur während der Bezugnahme gegeben werden müssen, wie der Ausdruck „erhält“ also zu verstehen ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Der Wortlaut gibt im Rahmen der Auslegung nicht viel her. Insofern, als es in Nr. 1 konkret um die Durchführung der Aufklärung geht, spricht dies dafür, dass die Unterlagen dem Patienten auch nur während dieser und nicht darüber hinaus verfügbar sein müssen. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung scheint diese darauf abzuzielen, dass der Patient ergänzend zu den mündlichen Ausführungen die Unterlagen auch visuell wahrnehmen kann, sollte auf solche Bezug genommen werden. Die visuelle Wahrnehmbarkeit soll es dem Patienten leichter machen, den Ausführungen zu folgen und diese nachzuvollziehen. Da der Patient in der Regel medizinischer Laie ist, kann es für ihn manchmal leichter nachzuvollziehen sein, wenn er beispielsweise graphische Abbildungen o. Ä. gezeigt bekommt. Zusätzlich zu dem grundsätzlich während der Aufklärung angesprochenen Sinn des Hörens kommt dann noch der Sinn des Sehens hinzu, der ein Verständnis erleichtert. Geht es jedoch nur darum, denn Inhalt der Aufklärung besser zu verstehen, so genügt es, wenn der Patient diese Unterlagen während der Aufklärung einsehen kann, dies muss ihm nicht dauerhaft möglich sein. Gegen ein Ähnlich Rehborn, GesR 2013, 257 (264 f. Fn. 123). Palandt/Ellenberger, § 126b, Rdnr. 3. Rehborn/Gescher gehen davon aus, dass diese Regelung jedoch nicht ausschließe, dass auf andere Medien wie Filme oder Fotos zurückgegriffen werden könne, Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 27. 232 233
III. Art und Weise
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dauerhaftes Zurverfügungstellen spricht zudem die systematische Auslegung. In § 630e Abs. 2 S. 2 BGB ist geregelt, dass dem Patienten Abschriften von Unterlagen, die er unterzeichnet hat, auszuhändigen sind.234 Wären ihm bereits die Unterlagen, auf die im Rahmen der Aufklärung nach § 630c Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB Bezug genommen wird, dauerhaft auszuhändigen, so bedürfte es der Regelung des S. 2 nicht. Deswegen ist im Wege der Auslegung davon auszugehen, dass Unterlagen, auf die lediglich Bezug genommen wird, dem Patienten auch nur während der Aufklärung in Textform zur Verfügung stehen müssen, nicht jedoch darüber hinaus. Jaeger merkt kritisch an, dass neben einem erhöhten bürokratischen Aufwand auch erhebliche Aufwendungen für die Behandlungsseite entstehen würden.235 Allerdings regelt das Gesetz nicht, dass zwingend auf Unterlagen Bezug genommen werden muss, dies steht nach wie vor im Ermessen des Behandelnden. Wenn er dies tut, so sollte es ihm auch zuzumuten sein, dem Patienten diese Unterlagen in Textform vorzulegen, da es dem Patienten ansonsten kaum möglich sein wird, seinen Ausführungen zu folgen; der Patient kann nicht wissen, worauf genau der Arzt Bezug nimmt. Darüber hinaus muss der Patient diese Unterlagen in Textform auch nicht für jeden Patienten neu anfertigen, da dem Patienten die Unterlagen nicht dauerhaft zur Verfügung gestellt werden müssen. Deswegen kann er sie bei jeder Aufklärung zu der identischen Maßnahme erneut verwenden, sodass sich der bürokratische Aufwand sowie die Kosten hierfür im Rahmen halten dürften. b) Aushändigung von Abschriften, Abs. 2 S. 2 Unterzeichnet der Patient im Rahmen des Aufklärungsgesprächs Unterlagen, so sind ihm Abschriften dieser auszuhändigen, § 630e Abs. 2 S. 2 BGB. Dies hat unabhängig von einer Aufforderung oder Nachfrage des Patienten zu erfolgen.236 Wie soeben erläutert sind verwendete Unterlagen, die der Patient nicht unterzeichnet, von der Aushändigungspflicht nicht erfasst.237 Die Abschrift muss alle
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Dazu sogleich näher unter E. III. 2. b). MedR-Komm/Jaeger, § 630e BGB, Rdnr. 28. 236 Jauernig/Mansel, § 630e, Rdnr. 8; BPS/Wever, § 630e BGB, Rdnr. 39; Bergmann, BADK-Information 2013, 14 (17). 237 So auch Wienke, AWMF 2013, 1 (2); a. A. Andreas, der die Pflicht weit auslegt und eine Aushändigung all jener Unterlagen verlangt, auf die in der unterschriebenen Erklärung Bezug genommen bzw. verwiesen wird, Andreas, ArztR 2013, 117 (121). Rehborn/Gescher weisen darauf hin, dass dies zwar praktisch vorteilhaft sei, für den Behandelnden aber den Nachteil habe, dass er nachweisen müsse, dass der Patient diese Informationen auch zur Kenntnis genommen habe, Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 36. Dies war jedoch auch bereits vor 235
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handschriftlichen Ergänzungen enthalten, nicht jedoch die Unterschrift des Pa tienten.238 Aushändigen bedeutet übergeben, für die Übergabe ist der Behandelnde beweispflichtig.239 Hierbei handelt es sich um eine Neuerung, die Aushändigung von Abschriften war nach der Rechtsprechung bisher nicht erforderlich. Die Neuerung führt zu einer Vergrößerung des Aufwands der Behandelnden durch Aktenführung, -verwaltung sowie Bürokratie und belastet die Ärzte neben den bereits umfangreich bestehenden Dokumentationspflichten noch zusätzlich.240 aa) Grund für die Implementierung Welchen Zweck die Vorschrift verfolgt, wird unterschiedlich beurteilt. Mansel sieht den Zweck in der Eigendokumentation.241 Dies ist jedoch nicht überzeugend, denn für eine bloße Eigendokumentation wäre keine Aushändigung erforderlich. Als Vorteil dieser Verpflichtung wird angeführt, dass dem Patienten so die Möglichkeit gegeben werde, sich den Inhalt des Aufklärungsgesprächs später noch einmal vor Augen führen zu können.242 Zweck der Vorschrift kann es grundsätzlich jedoch auch nicht sein, dem Patienten zu ermöglichen, sich vor seiner Einwilligung nochmals zu informieren, denn regelmäßig erteilt der Patient zeitgleich mit der Unterschrift des Aufklärungsbogens auch die Einwilligung.243 Darüber hinaus ist es nicht überzeugend, dies als Intention des Gesetzgebers anzusehen, da dem Patienten dann auch solche Unterlagen ausgehändigt werden Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes der Fall. Darüber hinaus ist nach der Rechtsprechung auch ein unterzeichnetes Formular lediglich ein Indiz, siehe dazu unter E. IX. 1. a). 238 Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 38. 239 Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 41 f. 240 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 51; vgl. auch Preis/Schneider, NZS 2013, 281 (284); Wienke, AWMF 2013, 1 (4) spricht von „einer enormen Zunahme der ohnehin schon bestehenden Dokumentationsflut in Kliniken und Praxis“; zu dem Umfang und der zunehmenden haftungsrechtlichen Bedeutung der Dokumentation Hausch, VersR 2006, 612 (612 ff.). Jaeger hält den bürokratischen Aufwand für Krankenhäuser für nicht unerheblich, da vor Operationen in der Regel ein Aufklärungsbogen unterschrieben würde, MedR-Komm/Jaeger, § 630e BGB, Rdnr. 28. 241 Jauernig/Mansel, § 630e, Rdnr. 8. 242 Preis/Schneider, NZS 2013, 281 (284 f.). 243 Wienke, AWMF 2013, 1 (1). Allerdings ist zu beachten, dass es sich entweder um eine Einwilligungserklärung oder um eine Aufklärungsbestätigung handeln kann, die unterzeichnet wird. Handelt es sich lediglich um eine Aufklärungsbestätigung und erfolgt die Einwilligung erst zeitlich abgesetzt, so kann durch die Abschrift tatsächlich das Informationsbedürfnis des Patienten erfüllt werden; eine solche Konstellation stellt in der Praxis jedoch die Ausnahme dar. Darüber hinaus ist die Einwilligung auch noch widerrufbar, allerdings wird es wohl auch die Ausnahme darstellen, dass der Patient nach Unterzeichnung des Bogens aufgrund der erneuten Lektüre dieses Bogens seine Einwilligung widerruft.
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sollten, auf die lediglich Bezug genommen wurde und die nicht von ihm unterschrieben wurden, denn auch diese wären für den Nachvollzug des Inhalts des Gesprächs sinnvoll. Dies hat der Gesetzgeber jedoch gerade nicht geregelt. Deswegen liegt es näher, dass die Regelung ausschließlich darauf abzielt, den Patienten vor nachträglichen Änderungen des Aufklärungsbogens durch die Ärzte zu schützen.244 Dies ist insofern bedenklich, als die Rechtsprechung im Rahmen der Dokumentation immer wieder betont hat, dass diese gerade nicht aus beweisrechtlichen Gesichtspunkten zu erfolgen habe,245 sodass ähnliches auch im Rahmen der Aufklärung gelten sollte. bb) Form der Abschrift Auszuhändigen ist zudem stets eine Abschrift des gesamten Dokuments und nicht bloß derjenigen Seite, auf der unterschrieben wurde,246 ansonsten würden beide denkbaren Zwecksetzungen nicht erreicht. Unklar ist, ob tatsächlich körperliche „Abschriften“ ausgehändigt werden müssen, wie dies der Wortlaut andeutet, oder ob auch digitale Kopien oder eingescannte Dateien zulässig sind.247 In Betracht kämen sonst beispielsweise die Übersendung per E-Mail oder die Überlassung auf Speichermedien.248 Dies ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Die Gesetzesbegründung nennt als Beispiele die Durchschrift oder Kopie.249 Diese Beispiele sprechen zunächst für eine körperliche Abschrift. Allerdings sind dies nur Beispiele, sodass diese beiden Möglichkeiten nicht abschließend sind. Viel mehr Formen einer körperlichen Abschrift sind jedoch nicht denkbar, sodass dies dafür spricht, dass auch digitale Kopien genügen könnten. Im Rahmen der systematischen Auslegung ist festzustellen, dass § 630e Abs. 2 S. 2 BGB im Gegensatz zu § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 a. E. BGB sowie § 630c Abs. 3 S. 1 BGB kein spezifisches Formerfordernis enthält, was dafür sprechen könnte, dass dem Gesetzgeber die genaue Form der Abschrift letztlich egal ist. Unabhängig davon, ob der Zweck der Regelung in der Möglichkeit der erneuten Kenntnisnahme oder dem Schutz vor Änderungen gesehen wird, ist es zur Erreichung des Zwecks ausreichend, wenn der Patient eine digitale Abschrift erhält. Zudem spricht auch die Anerkennung der elektronischen Akte (§ 630f Abs. 1 S. 1 BGB) sowie die Möglichkeit der elektronischen Abschriften der Patientenakte (§ 630g Ebenso Wienke, AWMF 2013, 1 (2); Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 57; dies sieht auch Jauernig/Mansel, § 630e, Rdnr. 8. Ähnlich NK-BGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 16 („Beweisvorsorge“). 245 Vgl. dazu unter E. VIII. 1., insbesondere die Nachweise in Kap. E. Fn. 525. 246 Es handelt sich schließlich um eine einheitliche Urkunde, Wienke, AWMF 2013, 1 (3). 247 Wienke, AWMF 2013, 1 (3); BPS/Wever, § 630e BGB, Rdnr. 39. 248 Wienke, AWMF 2013, 1 (3). 249 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 244
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Abs. 2 S. 1 BGB) dafür, dass der Gesetzgeber sich den elektronischen Fortschritten bewusst gewesen ist und diese auch im Rahmen des Arzt-Patient-Verhältnisses anerkennt. Deswegen ist im Wege der Auslegung davon auszugehen, dass auch eine elektronische Abschrift ausreichend ist. cc) Zeitpunkt der Aushändigung Unklar ist, wann die Unterlagen auszuhändigen sind. Zum Teil wird vertreten, dass es ausreichend sei, die Abschriften erst mit dem Entlassbrief zu übergeben, denn dem Zweck der Aushändigung, dem Beweissicherungsinteresse des Patienten, sei dann ausreichend genügt.250 Von anderer Seite wird dagegen eine unverzügliche Aushändigung im Anschluss an die Unterzeichnung gefordert.251 Dabei wird auf die Legaldefinition des § 121 Abs. 1 S. 1 BGB, nach welcher unverzüglich „ohne schuldhaftes Zögern“ bedeutet, abgestellt.252 Dementsprechend sei der Zeitkorridor eng begrenzt, regelmäßig seien Abschriften unmittelbar nach deren Unterzeichnung auszuhändigen, sodass eine Aushändigung bei der Entlassung zu spät sei.253 Unabhängig davon, welche Zwecksetzung zugrunde gelegt wird, kann eine Aushändigung bei der Entlassung nicht genügen, denn dann könnte sich der Patient weder den Inhalt nochmal vor Augen führen noch wäre er vor späteren Manipulationen ausreichend geschützt.254 Würde eine Aushändigung bei Entlassen ausreichen, so könnte der Aufklärende zu jedem Zeitpunkt zwischen Aufklärung und Entlassung noch ergänzende Aufzeichnungen oberhalb der Unterschrift des Patienten vornehmen und den Aufklärungsbogen erst im Anschluss kopieren. Dann würde nicht auffallen, dass diese Aufzeichnungen erst nachträglich erfolgt sind. Nicht haltbar ist das Argument, dass Anlass zur Manipulation erst nach einem Einsichtsverlangen des Patienten bestünde.255 Ein solcher kann nämlich beispielsweise bereits dann bestehen, wenn sich während der Behandlung ein Risiko verwirklicht, das aufklärungspflichtig gewesen wäre, der Behandelnde jedoch unmittelbar merkt, dass er darüber nicht aufgeklärt hat. Dann bestünde für ihn umgehend ein Anreiz, den Aufklärungsbogen zu korrigieren, unabhängig davon, ob sich der Patient noch in der Klinik befindet oder ob er gar ein Einsichtsverlangen geltend gemacht hat. Die Ärzteschaft ist sich ihrer Haftungsrisiken durchaus bewusst, sodass ein Arzt, der zur Manipulation gewillt Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 57. Wienke, AWMF 2013, 1 (2); BPS/Wever, § 630e BGB, Rdnr. 39, die jedoch fälschlicherweise an das Aufklärungsgespräch anknüpft. Aufklärungsgespräch und Zeitpunkt der Unterzeichnung fallen zwar meist zusammen, dies muss jedoch nicht zwingend so sein. 252 Wienke, AWMF 2013, 1 (3). 253 Wienke, AWMF 2013, 1 (3). 254 Hinsichtlich der Manipulation ebenso Wienke, AWMF 2013, 1 (2). 255 So Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 57. 250 251
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ist, nicht erst ein Einsichtsverlangen des Patienten abwarten würde. Ein Aushändigen bei der Entlassung ist somit verspätet. An das Kriterium der Unverzüglichkeit kann dagegen durchaus angeknüpft werden. Für ein Anknüpfen an die Unverzüglichkeit spricht aus systematischer Hinsicht zunächst die Regelung des § 630g Abs. 1 S. 1 BGB, dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die Patientenakte zu gewähren. Wenn dieses Kriterium bereits im Rahmen einer anderen Pflicht innerhalb des Arzt-Patient-Verhältnisses für angemessen erachtet wird, so spricht dies dafür, dass dies auch für die Pflicht zur Aushändigung gelten kann. Ohne schuldhaftes Zögern bedeutet nicht sofort,256 sondern dann, wenn es ihm „unter den gegebenen Umständen und unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Teils an alsbaldiger Aufklärung möglich und zumutbar ist“.257 So muss der Arzt dem Patienten nicht zwingend direkt im Anschluss an die Aufklärung die Abschrift aushändigen. Dies kann den Arbeitsalltag und -ablauf des Arztes erheblich stören, beispielsweise dann, wenn auf der Station kein Kopierer o. Ä. vorhanden ist. Zudem besteht kein zwingendes Bedürfnis des Patienten an umgehender Aushändigung, seinen Interessen wird hinreichend genügt, wenn die Aushändigung beispielsweise im Laufe des Tages durch das Pflegepersonal erfolgt. Deswegen sollte es durchaus als zulässig angesehen werden, wenn der Arzt erst nacheinander mit mehreren Patienten Aufklärungsgespräche führt und im Anschluss das Pflegepersonal anweist, Abschriften anzufertigen und den Patienten auszuhändigen. Allerdings darf sich der Arzt auch nicht unverhältnismäßig viel Zeit lassen. Welcher Zeitraum noch als unverzüglich angesehen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; so können beispielsweise eintretende Notfälle einen längeren Zeitraum rechtfertigen. Wichtig ist in jedem Fall eine Aushändigung vor Durchführung des Eingriffs, denn nur so kann ein wirksamer Schutz vor Manipulation gewährleistet werden. Zwar besteht die Gefahr, dass der Arzt zwischen Aufklärung und Aushändigung noch die Aufklärung manipuliert, allerdings besteht diese Gefahr auch dann, wenn er zur umgehenden Aushändigung verpflichtet wird, denn in der Regel wird sich der Kopierer o. Ä. nicht im selben Raum befinden, da die Aufklärung häufig im Krankenzimmer erfolgt. Ein lückenloser Schutz vor Manipulation kann letztlich nie gewährleistet werden. Insofern obliegt es der Selbstverantwortung des Patienten, die Kopie nochmal auf ihre Richtigkeit zu prüfen und bei Bedenken diese vor Durchführung der Maßnahme geltend zu machen.
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RGZ 124, 115 (118); BGH, V ZR 168/60; Soergel/Hefermehl, § 121, Rdnr. 7; Staudinger/Singer, § 121, Rdnr. 9. 257 Staudinger/Singer, § 121, Rdnr. 9; vgl. BGH, NJW-RR 1994, 1108 (1109).
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dd) Rechtsfolgen im Falle eines Verstoßes Die Rechtsfolgen im Falle eines Verstoßes sind bisher ungeklärt, das Gesetz regelt diese nicht. Auch die Gesetzesbegründung hilft nicht weiter. Bisher war die Aushändigung von Aufklärungsbögen unüblich und wurde auch nicht verlangt, sodass hinsichtlich etwaiger Rechtsfolgen im Falle des Verstoßes auch nicht auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden kann. Würde die Pflicht zur Aushändigung als originäre Aufklärungspflicht beurteilt, so wäre das Unterlassen eine Aufklärungspflichtverletzung, die zur Unwirksamkeit der Einwilligung führen könnte, wenngleich dann der Einwand einer hypothetischen Einwilligung naheliegen würde258 bzw. der Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen Aufklärungsverstoß und Schaden fehlen würde.259 Handelt es sich dagegen um eine reine Nebenpflicht, so hätte ein Unterlassen der Aushändigung grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Einwilligung. Da es keine generelle Pflicht ist, sich Aufklärung und/oder Einwilligung schriftlich geben zu lassen, kann ein Verstoß gegen die Aushändigungspflicht nicht zu einer Unwirksamkeit der Einwilligung führen,260 sodass es sich um eine reine Nebenpflicht handeln muss. Grundsätzlich kann die Verletzung vertraglicher Nebenpflichten zu Schadensersatzansprüchen des Patienten führen. Allerdings ist nicht ersichtlich, welchen Schaden der Patient dadurch erlitten haben sollte, dass ihm keine Abschrift des Aufklärungsbogens ausgehändigt wurde.261 Allerdings könnte ein Verstoß Auswirkungen auf die Beweislast hinsichtlich der ordnungsgemäßen Aufklärung haben.262 Machte der Patient geltend, dass handschriftliche Notizen erst nach dem Aufklärungsgespräch eingefügt wurden, so war er bisher diesbezüglich beweisbelastet.263 In Zukunft könnte Folgendes gelten: Legt der Behandelnde die unterschriebenen Unterlagen vor und kann er nachweisen, dass er dem Patienten eine Abschrift ausgehändigt hat (beispielsweise weil er sich diese gegenzeichnen lassen hat), so bleibt es dabei, dass der Patient darlegen muss, dass Notizen erst nachträglich eingefügt wurden, sofern er die
Wenzel/Steinmeister, BuGBl 58 (2015), 23 (28); Andreas, ArztR 2013, 117 (122). NK-BGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 16. 260 So auch Wienke, AWMF 2013, 1 (4). 261 A.A. Werle, Aktuelle Probleme der Kodifikation des Arzthaftungsrechts, 2016, 157. 262 Wienke, AWMF 2013, 1 (4 f.) spricht von „beweisrechtlichen Implikationen auf Seiten des Patienten“ sowie von „einem gefährlichen Pulverfass“ bei Nichtbeachtung der Pflicht. 263 OLG Hamm, NJOZ 2006, 3420 (3423); Ramm, GesR 2012, 463 (465); Martis/Wink hart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 54. 258 259
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ihm ausgehändigte Abschrift nicht vorlegen kann.264 Kann der Behandelnde die unterschriebenen Unterlagen nicht vorlegen, legt dagegen aber der Patient die ihm ausgehändigte Abschrift vor, so muss der Behandelnde eine etwaige Manipulation der Abschrift beweisen.265 Kann der Behandelnde zwar die Unterlagen vorlegen, jedoch die Aushändigung an den Patienten nicht beweisen, so könnte dies einerseits dazu führen, dass der Behandelnde beweisen müsste, dass die Notizen bereits vor der Unterschrift vorgenommen wurden. Andererseits könnte es auch bei den bisherigen Grundsätzen der Rechtsprechung bleiben, sodass der Patient beweisen müsste, dass die Änderungen nachträglich vorgenommen wurden. Vor dem Hintergrund, dass die Zwecksetzung der Norm in der Verhinderung der Manipulation von Aufklärungsformularen besteht und ein Verstoß andernfalls folgenlos bleiben würde, ist davon auszugehen, dass in diesen Fällen in Zukunft der Behandelnde beweisen muss, dass die Notizen bereits vor der Unterschrift vorgenommen wurden.266 Dies kann er beispielsweise durch die Erklärung machen, dass er „immer so“ aufkläre, so kann er andere Aufklärungsbögen als Beweis vorlegen. Kann er nicht beweisen, dass die Notizen bereits vor der Unterschrift erfolgt sind, so bliebe ihm noch die Möglichkeit zu beweisen, dass der Patient die Notizen jedenfalls zur Kenntnis genommen hat, er mithin ordnungsgemäß aufgeklärt war. Ein derartiger Beweis wäre auch dann vonnöten, wenn sich Original und Abschrift nicht entsprechen.267 Somit erlangt der Patient in mehrfacher Hinsicht einen Beweisvorteil.268 Zum einen kann er durch Vorlage der Abschrift den Behandelnden in Erklärungs- und Beweisnöte bringen, zum anderen ist in Zukunft bei Fehlen einer Dokumentation der Aushändigung nicht mehr er hinsichtlich der zusätzlichen Notizen beweisbelastet, sondern der Behandelnde, sodass es insofern gar zu einer Beweislastumkehr gekommen ist.269 Derartige Beweisvorteile müssen sich konsequenterweise auch dann ergeben, wenn dem Patienten die Abschriften nicht unverzüglich, mithin erst verspätet 264 Vgl. Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 56; Ramm, GesR 2012, 463 (466). 265 Ramm, GesR 2012, 463 (466); Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 56; Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 42. 266 Ähnlich wohl Ramm, GesR 2012, 463 (466); a. A. Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 43, die von einer Würdigung im Einzelfall ausgehen. 267 Ähnlich Rehborn, der jedoch den Beweis, dass das Original in der vorgelegten Fassung unterschrieben wurde, verlangt, Rehborn, GesR 2013, 257 (265); dieser wird jedoch in der Praxis kaum zu führen sein. 268 Von einem Beweisvorteil ausgehend auch Jauernig/Mansel, § 630e, Rdnr. 8. 269 Von einer Beweislastumkehr pauschal sprechend auch JurisPK-BGB/Schmidt, § 630e, Rdnr. 69.
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ausgehändigt wurden.270 Allerdings dürfte der Beweis der Verspätung dem Patienten obliegen; dieser wird im Nachhinein jedoch schwer zu führen sein, sollte der Zeitpunkt der Aushändigung nicht dokumentiert worden sein. ee) Abdingbarkeit Letztlich lässt sich die Pflicht zur Aushändigung in der Praxis leicht individualvertraglich abbedingen, indem der Patient auf die Aushändigung verzichtet und dies auf dem unterschriebenen Aufklärungsbogen handschriftlich oder durch einen Stempel vermerkt wird. Dies wird in der Praxis auch gemacht, der Patient wird gefragt, ob er denn noch eine Kopie benötige, schließlich sei doch jetzt bereits alles Wichtige besprochen worden, sodass der Patient dazu geneigt ist, einer Abbedingung zuzustimmen. Ein Abbedingen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ist dagegen nicht möglich.271 c) Verständlichkeit, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Gem. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB muss die Aufklärung für den Patienten verständlich sein, entscheidend ist somit der konkrete Empfängerhorizont. Hinsichtlich der Verständlichkeit werden zunächst die allgemeinen Grundsätze betrachtet, bevor dann auf das Problem sprachunkundiger Patienten eingegangen wird. Dabei wird untersucht, wer die Kosten einer Übersetzung zu tragen hat und welche Probleme sich diesbezüglich ergeben, wer für eine fehlerhafte Übersetzung haftet und was bei eingeschränkten Sprachkenntnissen gilt. aa) Allgemeine Grundsätze Verständlich meint die sprachliche Verständlichkeit.272 Daraus folgt, dass der Arzt sich nicht ausschließlich seiner Fachsprache bedienen kann, sofern der Patient dieser nicht mächtig ist.273 Eine Aufklärung in leichter Sprache ist erforderlich, wenn der Patient sie aufgrund seines körperlichen, geistigen oder seelischen Zustands nur schwer verstehen oder nachvollziehen kann; gegebenenfalls ist sie auch zu wiederholen.274 Aus diesen Ausführungen in der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der sprachlichen Verständlichkeit nicht nur die gesprochene Sprache an sich, sondern auch die inhaltliche Verständlichkeit Ähnlich Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 55. Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 59; ähnlich Wienke, AWMF 2013, 1 (4). 272 BT-Drs. 17/10488, 1 (25); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (30). 273 Vgl. BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 274 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 270 271
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meint.275 Der Bundesrat hatte im Gesetzgebungsverfahren gefordert, dass eine Ergänzung des Wortlauts um „und im Bedarfsfall in Leichter Sprache“ erfolgen solle,276 dies hat der Gesetzgeber jedoch nicht berücksichtigt. Dies ist jedoch nicht als Zeichen dafür zu verstehen, dass dem Gesetzgeber die Verständlichkeit doch nicht so wichtig sei, sondern vielmehr dahin, dass eine derartige Ergänzung nicht erforderlich war, da sie sich bereits aus dem Verständlichkeitserfordernis ergibt. Unter Umständen ist ein Gebärdendolmetscher hinzuzuziehen, hinsichtlich der Kostentragung gilt § 17 Abs. 2 S. 2 SGB I.277 Der Gesetzesbegründung zufolge ergibt sich aus dem Erfordernis der Verständlichkeit auch die Pflicht zu einer möglichst schonenden Aufklärung, insbesondere soll der Patient auf medizinisch dringend notwendige Eingriffe möglichst behutsam vorbereitet werden.278 Bei kosmetischen Behandlungen ist dagegen deutlich und schonungslos aufzuklären.279 Streng genommen handelt es sich hierbei jedoch nicht um einen Unterpunkt der Verständlichkeit.280 Hinsichtlich dieser allgemeinen Grundsätze ergeben sich somit weder Erweiterungen noch Einschränkungen der bisherigen Rechtsprechung, sodass die Rechtsprechung an ihren Grundsätzen weiterhin festhalten kann. bb) Problem: Sprachunkundige Patienten Relevant wird das Erfordernis der Verständlichkeit insbesondere bei sprachunkundigen Patienten, was angesichts der aktuellen Flüchtlingslage mehr Relevanz denn je entfaltet. Ist der Patient der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, um das Aufklärungsgespräch zu verstehen, so ist ein Dolmetscher oder eine andere der jeweiligen Sprache mächtige Person (bspw. andere Klinikmitarbeiter) hinzuzuziehen;281 andernfalls ist er nicht in der Lage, sein Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen. Insofern knüpft die Gesetzesbegründung an die bisherige Rechtsprechung an. Unabhängig davon, welche Person in welcher Funktion als Dolmetscher hinzugezogen wird, ist eine Schweigepflichtentbindung282 des Patienten erforderlich. Rehborn/Gescher führen, entsprechend der bisherigen Rechtsprechung, die Möglichkeit an, auch Angehörige zur Hilfe ziehen zu können, wobei der Arzt dann von der Schweigepflicht zu entbinden sei; allerdings bestehe 275
Im Ergebnis ebenso Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 6. BR-Drs. 312/12, 1 (4). 277 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 278 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 279 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 280 So auch BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 35. 281 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 282 Zur Schweigepflicht des Arztes, die aus dem Grundrecht des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG resultiert, siehe unter C. I. 5. 276
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dabei die Gefahr einer ungenauen oder falschen Übersetzung.283 Wer das Risiko einer falschen Übersetzung trägt, wird noch zu untersuchen sein.284 (1) Kostentragung Zunächst ist zu klären, wer überhaupt die Kosten einer Übersetzung zu tragen hat. Die Gesetzesbegründung hält ausdrücklich fest, dass die entstehenden Kosten, insbesondere bei Herbeiziehung eines Berufsdolmetschers, der Patient zu tragen hat.285 Dies entspricht der aktuellen Rechtslage, weder die GKV,286 die PKV, die Beihilfe287 noch sonstige Dritte übernehmen die für einen Dolmetscher anfallende Kosten.288 Im SGB I ist lediglich in § 17 Abs. 2 S. 2 die Kostentragungspflicht für Gebärdendolmetscher geregelt, sodass im Umkehrschluss davon auszugehen ist, dass andere Dolmetscherkosten nicht vom Kostenträger zu übernehmen sind.289 Während des Gesetzgebungsverfahrens wurde vorgeschlagen, im SGB V eine Kostentragungspflicht/Erstattungsfähigkeit zu regeln,290 dies wurde vom Gesetzgeber jedoch nicht berücksichtigt. Demnach gilt weiterhin, dass der Patient etwaige Dolmetscherkosten zu übernehmen hat. Zur eigenen Kostentragung wird der Patient aber möglicherweise nicht in der Lage sein, was insbesondere bei Flüchtlingen naheliegt.291 Dies führt zu einem 283
Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 31. Siehe dazu sogleich unter E. III. 2. c) bb) (2). 285 BT-Drs. 17/10488, 1 (25); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (30); Spickhoff, VersR 2013, 267 (276); PWW/ Schneider, § 630e, Rdnr. 7. Die Kosten hat der Patient dem Behandelnden nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag gem. §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB zu erstatten, vgl. Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2013), Rdnr. 213. 286 BSGE 76, 109 (in Bezug auf Gebärdendolmetscher jedoch überholt); Körner/Leitherer/ Mutschler/Nolte, § 28 SGB V, Rdnr. 5; Wagner/Knittel/Wagner, § 28 SGB V, Rdnr. 8. 287 OVG Münster, NVwZ-RR 2008, 271 (271 f.), wonach im Bereich der Beihilfe nicht einmal Kosten für Gebärdendolmetscher übernommen werden (anders als im Bereich der GKV). 288 Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 8 m. w. N. aus Rspr. und Lit.; Spickhoff, VersR 2013, 267 (276 m. w. N.); Spickhoff, MedR 2015, 845 (850); Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 51; Andreas, ArztR 2001, 206 (207 f.); a. A. im Bereich der Krankenhausbehandlung Rehborn/Gescher, die die Kosten eines Dolmetschers zu den allgemeinen Krankenhausleistungen i. S. d. § 2 Abs. 2 S. 1 KHEntG zählen, sodass diese folglich mit der einheitlichen Vergütung i. S. d. § 17b KHG abgegolten seien, Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 32. 289 Die Entscheidung des BSG (BSGE 76, 109) ist insofern überholt. 290 Spickhoff, ZRP 2012, 65 (68); später wiederholend Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 8; Spickhoff, VersR 2013, 267 (276). 291 Die von Spickhoff angesprochene Möglichkeit, den Ehepartner aufgrund einer Unterhaltsverpflichtung in Anspruch zu nehmen (Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 8), ist 284
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Dilemma der Ärzte, da sie im Zweifel auf den Kosten sitzen bleiben werden. Spickhoff weist darauf hin, dass es im System der GKV untypisch sei, dass für das Arzt-Patient-Verhältnis essentielle Pflichten nicht erstattet werden.292 Kritisiert wird zudem, dass die Drucksituation medizinisch notwendiger Behandlungen nicht dazu genutzt werden sollte, Migranten zum Erlernen der deutschen Sprache zu nötigen.293 Es ist jedoch richtig und konsequent, die Krankenkassen nicht zur Übernahme etwaiger Dolmetscherkosten zu verpflichten. Im System der Krankenversicherung werden Gesundheitsrisiken vergemeinschaftet, nicht Sprachrisiken. Deswegen ist es auch konsequent, die Kosten für Gebärdendolmetscher zu übernehmen, da Hör- und Sprachbehinderungen derartigen Gesundheitsrisiken zugeordnet werden können, während Sprachprobleme ausschließlich aus der Sphäre des Patienten stammen und ausschließlich in dessen Risikobereich fallen. Es kann jedoch nicht sein, dass sprachkundige Versicherte, die ausschließlich ihre Gesundheitsrisiken absichern, in gleicher Weise für die Kosten sprachunkundiger Versicherter, die neben Gesundheitsrisiken auch Sprachrisiken absichern lassen, aufkommen müssen. Würden die Krankenkassen zur Kostenübernahme verpflichtet, so müssten sprachunkundige Versicherte allein aufgrund dieser Tatsache höhere Beiträge zahlen, was wiederum dem System der Beitragsbemessung in der Krankenversicherung widerspricht. Deswegen ist es konsequent, dass die Krankenkassen nicht zur Übernahme von Dolmetscherkosten verpflichtet sind. Schließlich sollten sprachunkundige Personen auch nicht ständig und pauschal aufgrund ihrer Sprachunkundigkeit geschützt werden, denn dann bestünde für sie kaum noch ein Anlass, die deutsche Sprache tatsächlich zu erlernen. Zur Lösung des Problems der fehlenden Kostenerstattung rät Schmidt dazu, dass der Arzt im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Patienten gar nicht erst einen Behandlungsvertrag schließen sollte; sei dies bereits geschehen, so könne er gem. § 627 Abs. 2 BGB fristlos kündigen (sofern kein Notfall vorliegt).294 Die nicht allein aufgrund der Schweigepflichtproblematik nicht zielführend, sondern auch insofern, als insbesondere bei Flüchtlingen der Ehepartner meist ebenfalls nicht zahlungsfähig sein wird. 292 Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 8; Spickhoff, VersR 2013, 267 (277); Beck OGK/Walter, § 630e, Rdnr. 33. 293 Spickhoff, ZRP 2012, 65 (68). 294 JurisPK-BGB/Schmidt, § 630e, Rdnr. 45; Voigt ist dagegen der Ansicht, dass eine Kündigung allein zur Haftungsprävention nicht erforderlich sei, weil „eine Haftung des Behandelnden für Eigenmacht infolge unverständlicher Aufklärung […] nach kostenbedingter Ablehnung eines Dolmetschers durch den Patienten“ mangels Pflichtwidrigkeitszusammenhangs ausscheide, NK-BGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 15 sowie Fn. 24. Dies ist allerdings insofern nicht überzeugend, als bei kostenbedingter Ablehnung eines Dolmetschers nicht einfach eine Behandlung ohne Aufklärung und Einwilligung vorgenommen werden kann; allein die Ablehnung eines Dolmetschers rechtfertigt kein „eigenmächtiges“ Handeln des Arztes.
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E. Aufklärungspflicht
Ablehnung der Behandlung sei aufgrund von Unzumutbarkeit trotz des grundsätzlich im Vertragsarztrecht geltenden Kontrahierungszwangs gem. § 95 Abs. 3 S. 1 SGB V zulässig.295 Im Hinblick auf die betroffenen hochwertigen Rechtsgüter des Patienten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG296 begegnet eine derartige Lösung zwar durchaus Bedenken,297 ist jedoch aus der Sicht des Behandelnden absolut verständlich. Schließlich begeht der Arzt ohne Aufklärung eine mangels wirksamer Einwilligung rechtswidrige Körperverletzung; andererseits kann von ihm auch nicht erwartet werden, die Dolmetscherkosten letztlich selbst zu tragen. Von anderer Seite wird ein Aufklärungsverzicht zur Lösung des Problems vorgeschlagen, wobei darauf zu achten sei, dass kein Druck auf den Patienten ausgeübt und auf die Freiwilligkeit deutlich hingewiesen werde.298 Spickhoff gibt zu bedenken, dass eine derartige Drucksituation zu einem Verlust des Kerns der Selbstbestimmung führen könne, was rechtlich fragwürdig sei.299 Eine derartige Drucksituation wird jedoch nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel darstellen, denn wird der Patient vor die Wahl gestellt, keine Behandlung zu erhalten oder einen Aufklärungsverzicht zu erteilen, so wird er sich im Interesse seiner Gesundheit meist genötigt sehen, den Aufklärungsverzicht zu erteilen; aus seiner Perspektive gibt es dann keine andere Möglichkeit. Dies gilt jedenfalls dann, wenn er in seinem Bekanntenkreis niemanden hat, der für ihn kostenlos übersetzen würde, denn dann gibt es für ihn die Alternative „Behandlung nach Aufklärung und ausdrücklicher Einwilligung“ nicht. In derartigen Fällen würde es somit regelmäßig zum Verlust des Kerns der Selbstbestimmung kommen. Allerdings wird ihm die Wahrnehmung seines Selbstbestimmungsrechts auch nicht dadurch ermöglicht, dass die Möglichkeit eines Aufklärungsverzichts abgelehnt wird, denn kann er einen Dolmetscher nicht bezahlen, so muss der Arzt mangels 295 Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 32. Für Not- bzw. Eilfälle muss allerdings wohl eine Ausnahme gemacht werden, so für Eilfälle auch Spickhoff, ZRP 2012, 65 (68) und Frahm/ Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2013), Rdnr. 213; für Notfälle Martis/Wink hart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. A 1819b. Davon ausgehend, dass der Behandelnde bei Sprachunkundigkeit grundsätzlich die Behandlung ablehnen könne, auch KG, VersR 2008, 1649 (1650). 296 Siehe dazu oben unter C. I. 297 Ähnlich Spickhoff, VersR 2013, 267 (277), der dies für „besonders misslich, ja als kaum erträglich“ hält. 298 Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 8, 11. Walter hält einen Aufklärungsverzicht nur in Notfällen für rechtlich haltbar, BeckOGK/Walter, § 630e, Rdnr. 33. Dies ist allerdings nicht überzeugend, denn bei einem Notfall kann auf den mutmaßlichen Willen abgestellt werden, es liegt die Konstellation der Unaufschiebbarkeit des Abs. 3 und nicht die des Aufklärungsverzichts vor. 299 Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 8; Spickhoff, MedR 2015, 845 (850).
III. Art und Weise
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Aufklärung die Behandlung ablehnen, sodass sich der Patient auch dann nicht in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts für oder gegen die Behandlung entscheiden kann. Seinen Interessen ist somit nicht besser gedient, wenn die Möglichkeit eines Aufklärungsverzichts abgelehnt und ihm dadurch faktisch auch jegliche Behandlungsmöglichkeit genommen wird. Ein Aufklärungsverzicht könnte jedoch noch aus anderen Gründen problematisch sein. Nach überwiegender Ansicht ist für einen wirksamen Aufklärungsverzicht erforderlich, dass der Patient Erforderlichkeit, Chancen und Risiken des Eingriffs zutreffend erkannt hat.300 Ein Aufklärungsverzicht des sprachunkundigen Patienten wäre folglich nur dann möglich, wenn bei diesem ausnahmsweise auf die ansonsten geforderte Basisaufklärung verzichtet würde. Denn ist der Patient der deutschen Sprache nicht mächtig, so ist zu bezweifeln, dass er die für einen Aufklärungsverzicht erforderliche Grundaufklärung verstehen würde. Da hier jedoch die Ansicht vertreten wird, dass grundsätzlich ein Blankoverzicht zulässig sein sollte, mithin auch bei sprachkundigen Patienten, ist der Aufklärungsverzicht des sprachunkundigen Patienten in dieser Hinsicht jedenfalls nicht problematisch. Vertreten wird zudem, dass der Behandelnde für eine vom Patienten unverstandene und dadurch unzureichende Aufklärung nicht hafte, weil der Patient nicht als schutzwürdig anzusehen sei, wenn er keine sprachkundige Person mitbringen würde, da ihm dies leichter möglich sei als dem Arzt.301 Der sprachunkundige Patient könnte somit keinen Anspruch aus einem Aufklärungsfehler geltend machen, der auf der bloßen Nichtverständlichkeit resultiert. Hat der Patient den Behandelnden jedoch nicht bloß sprachlich nicht verstanden, sondern der Behandelnde darüber hinaus auch inhaltlich unzureichend aufgeklärt, so läge in derartigen Fällen allerdings die Berufung auf die hypothetische Einwilligung nahe, sodass der Behandelnde faktisch nie für Aufklärungsfehler zur Haftung gezogen werden könnte. Die vorgebrachte Argumentation ist jedoch nicht überzeugend, denn es liegt keineswegs auf der Hand, dass der Patient stets eine sprachkundige Person mitbringen könne. So kennt ein Flüchtling meist zunächst nur andere Flüchtlinge, die in der Regel der deutschen Sprache jedoch auch nicht mächtig sind. Darüber hinaus werden einige der anderen Flüchtlinge auch nicht seine Sprache/seinen speziellen Dialekt sprechen, da die Flüchtlinge aus unterschiedlichsten Regionen stammen. Dass er einen Flüchtling kennt, der seine 300
Siehe dazu unter E. VII. 2. b). Muschner, VersR 2003, 826 (831); Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2013), Rdnr. 213; so auch Muschner, Die haftungsrechtliche Stellung ausländischer Patienten und Medizinalpersonen in Fällen sprachbedingter Mißverständnisse, 2002, 88 f. jedenfalls für die Fälle, in denen der Patient im Vorfeld der Behandlung ausreichend Zeit habe (es sich also nicht um akute Beschwerden handele). 301
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E. Aufklärungspflicht
Sprache und zugleich noch so gut Deutsch spricht, dass er eine Aufklärung übersetzen könnte, wird eher die Ausnahme als die Regel darstellen. Dass ein Flüchtling einen Deutschen kennt, der zufällig seine Sprache spricht und übersetzen kann, wird noch seltener vorkommen. Allerdings weist Muschner darauf hin, dass die Botschaft des Heimatlandes Adressen und Telefonnummern von Dolmetschern besitzen würde, sodass der Patient zumindest bei nicht dringlichen Maßnahmen die Möglichkeit hätte, sich um einen Dolmetscher zu kümmern.302 Letztlich ist festzuhalten, dass nach aktueller Rechtslage aufgrund der dargestellten Probleme der Aufklärungsverzicht keine verlässliche Lösung darstellt, auch auf einen Ausschluss der Haftung wegen mangelnder Schutzwürdigkeit des Patienten sollte sich der Behandelnde nicht verlassen. Will er sich nicht unzumutbaren Haftungsrisiken aussetzen oder auf den Kosten sitzen bleiben, so bleibt im nach aktueller Rechtslage nichts anderes übrig, als die Behandlung abzulehnen. Eine solche Ablehnung muss auch zulässig sein, denn in Anbetracht der ihm drohenden Haftungsrisiken kann er nicht zum Abschluss eines Behandlungsvertrags gezwungen werden.303 Sollte der Gesetzgeber dies für unbefriedigend halten, so müsste er klare Regelungen schaffen, die dieses Problem lösen würden. Die einzige Konstellation, die im Rahmen der Aufklärung unproblematisch gelöst werden kann, ist die der dringlichen Eingriffe. Handelt es sich um einen solchen und ist ein Dolmetscher nicht rechtzeitig verfügbar, so kann ein Eingriff unter dem Gesichtspunkt der mutmaßlichen Einwilligung vorgenommen werden,304 es liegt dann ein Ausnahmefall der Unaufschiebbarkeit des Abs. 3305 vor. Dies gilt bei sprachunkundigen ebenso wie bei sprachkundigen Patienten. Bei sprachkundigen Patienten kann dies jedoch zu Folgeproblemen im Rahmen der Informationspflichten führen, unter anderem deshalb, weil sich die Selbstbestimmungsaufklärung dann in eine nachträgliche therapeutische Information wandelt. Diese Problematik wird im Rahmen der therapeutischen Information behandelt.306
Muschner, Die haftungsrechtliche Stellung ausländischer Patienten und Medizinalpersonen in Fällen sprachbedingter Mißverständnisse, 2002, 88 f. 303 Mit Ausnahme von Notfällen, dann ist die Aufklärung aber ohnehin wegen Dringlichkeit gem. § 630c Abs. 3 BGB entbehrlich. 304 Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2013), Rdnr. 213; Muschner, VersR 2003, 826 (831); Deutsch/Spickhoff sprechen von einem „vermutete[n] Einverständnis“, Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 471; so wohl auch OLG Braunschweig, zfs 2003, 114 (114 f.) – auch wenn das OLG nicht ausdrücklich von Dringlichkeit spricht, ist eine solche aufgrund der Sachverhaltskonstellation anzunehmen. 305 Siehe dazu E. VII. 2. a). 306 Siehe dazu unter F. II. 2. c) bb) (2). 302
III. Art und Weise
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(2) Haftung für fehlerhafte Übersetzung Wird ein Dolmetscher hinzugezogen, so ist umstritten, wer für eine fehlerhafte Übersetzung haftet. Zum Teil wird vertreten, der Dolmetscher sei im Pflichtenkreis des Behandelnden tätig und sein Tätigwerden diesem deshalb gem. § 278 BGB zuzurechnen.307 Andere differenzieren danach, aus welchem Kreis der Dolmetscher stamme, gehöre er zu den Mitarbeitern der Klinik, trage der Behandelnde das Risiko, handele es sich um Angehörige des Patienten, so trage es der Patient.308 Für Berufsdolmetscher hafte der Behandelnde nur dann, wenn ihm ein Auswahlverschulden zur Last gelegt werden könne.309 Gegen eine pauschale Haftung des Arztes für Berufsdolmetscher spricht, dass der Dolmetscher zwar dem Behandelnden hilft, seine Aufklärungspflicht zu erfüllen, gleichzeitig jedoch auf Kosten des Patienten und nicht des Arztes tätig wird, woraus deutlich wird, dass er eben nicht nur im Interesse des Arztes tätig wird; das fehlende Verständnis resultiert aus der Sphäre des Patienten. Zudem ist nicht einzusehen, warum ein Berufsdolmetscher, der für seine Arbeit qualifiziert ist sowie dafür entlohnt wird, nicht wie jeder andere auch für Fehler bei Ausführung seiner Tätigkeit haften sollte. Schließlich wird zwischen dem Patienten und dem Berufsdolmetscher ein Dienstvertrag310 geschlossen, sodass nicht ersichtlich ist, warum er für eine Schlechtleistung nicht wie jeder andere Dienstverpflichtete haften sollte. Auch eine Haftungskette, bei welcher der Patient zunächst den Arzt und der Arzt wiederum dann den Dolmetscher wegen fehlerhafter Übersetzung in Anspruch nehmen könnte, ist nicht überzeugend. Schließlich besteht der Vertrag zwischen Dolmetscher und Patient, der Patient ist zur Kostentragung verpflichtet. Der Behandelnde schließt den Vertrag allenfalls stellvertretend für den Patienten ab. Darüber hinaus ist nicht begründbar, warum der Arzt für eine Schlechtleistung des Berufsdolmetschers haften sollte, er kann eine 307
Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 33. So Leischner-Lenzhofer, RdM 2013, 12 (17) für die vergleichbare Rechtslage in Österreich. Für eine Zurechnung der Angestellten des Arztes zu diesem auch Muschner, Die haftungsrechtliche Stellung ausländischer Patienten und Medizinalpersonen in Fällen sprachbedingter Mißverständnisse, 2002, 167 ff. 309 Muschner, Die haftungsrechtliche Stellung ausländischer Patienten und Medizinalpersonen in Fällen sprachbedingter Mißverständnisse, 2002, 164 ff.; ebenso Leischner-Lenzhofer, RdM 2013, 12 (17) für die vergleichbare Rechtslage in Österreich. 310 Palandt/Weidenkaff, Einf v § 611, Rdnr. 16; BGB-RGRK/Anders/Gehle, § 611, Rdnr. 432. Der Vertrag wird zwischen dem Dolmetscher und dem Patienten und nicht zwischen dem Dolmetscher und dem Behandelnden geschlossen, ansonsten wäre eine Verpflichtung des Patienten zur Kostentragung nicht möglich (unzulässiger Vertrag zulasten Dritter). Allenfalls wird der Behandelnde den Vertrag stellvertretend für den Patienten abschließen. A.A. Musch ner, Die haftungsrechtliche Stellung ausländischer Patienten und Medizinalpersonen in Fällen sprachbedingter Mißverständnisse, 2002, 145 ff. 308
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E. Aufklärungspflicht
solche grundsätzlich aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse nicht erkennen, sondern muss sich aufgrund der beruflichen Qualifikation des Dienstverpflichteten vielmehr darauf verlassen können, dass dieser seine Pflicht ordnungsgemäß erbringt. So hat bereits das BSG darauf hingewiesen, dass ein Arzt die Tätigkeit eines Dolmetschers „weder leiten noch kontrollieren und somit auch nicht verantworten kann“.311 Es ist nicht einzusehen, warum er für eine andere Berufsgruppe deren Risiko der Schlechtleistung tragen sollte. Zwar liegt bei einem Verstoß dann ein Aufklärungsdefizit mit der Folge einer unwirksamen Einwilligung vor, dies hat der Arzt dann allerdings nicht zu vertreten.312 Umgekehrt ist es genauso wenig überzeugend, dem Patienten das Risiko einer Schlechtleistung des Berufsdolmetschers zu übertragen, denn schließlich bezahlt er diesem Geld für seine Dienstleistung und vertraut auf dessen berufliche Kompetenz. Zwar trägt er im Verhältnis zum Arzt indirekt das Risiko, weil er diesen nicht wegen mangelhafter Aufklärung in Anspruch nehmen kann. Dies ist auch konsequent, da die Sprachunkundigkeit aus seiner Sphäre und nicht der des Arztes resultiert. Allerdings kann der Patient den Berufsdolmetscher auf Schadensersatz (und Schmerzensgeld) in Anspruch nehmen, sodass das Risiko letztlich der Berufsdolmetscher trägt. Darüber hinaus kann dem Arzt auch nicht die Haftung für eine falsche Übersetzung von Angehörigen oder Bekannten des Patienten auferlegt werden. Mangels eigener Sprachkenntnisse kann er auch bei diesen nicht prüfen, ob sie ordnungsgemäß übersetzen; könnte er dies, so wäre das Hinzuziehen eines Übersetzers entbehrlich. Möchte der Patient jedoch das Geld für einen Berufsdolmetscher sparen und/oder vertraut er seinen Angehörigen oder Bekannten besser, so steht ihm diese Entscheidung frei, da es um die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts geht. Dann ist es aber auch an ihm, die hiermit verbundenen Risiken zu tragen. Gleiches muss gelten, wenn Krankenhauspersonal als Dolmetscher fungiert.313 Zwar lässt sich argumentieren, dass das Krankenhauspersonal dem Arzt näher steht als dem Patienten; der Patient hat zu dem Krankenhauspersonal, welches er in der Regel nicht kennt, kein besonderes Vertrauensverhältnis. Dennoch kann aus rechtspolitischer Sicht das Risiko für eine fehlerhafte Übersetzung des Kran311
BSGE 76, 109 (111). Dies mag anders sein, wenn er die mangelhafte Übersetzung erkennen konnte, was jedoch eine Sonderkonstellation darstellen wird, da der Arzt in der Regel die Kompetenz des Berufsdolmetschers nicht beurteilen kann. 313 A.A. zur Rechtslage im Österreichischen Recht Leischner-Lenzhofer, die Mitarbeiter des Arztes diesem als Erfüllungsgehilfen zurechnen will, Leischner-Lenzhofer, RdM 2013, 12 (17). Der Einsatz eigener Angestellter begründe beim Patienten Vertrauen in deren sprachliche Kompetenz. 312
III. Art und Weise
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kenhauspersonals nicht dem Arzt übertragen werden, denn dann müsste er grundsätzlich die Möglichkeit, auf ein solches zu Übersetzungszwecken zurückzugreifen, ablehnen und auf das Hinzuziehen eines Berufsdolmetschers beharren, da ihn die hierdurch entstehenden Kosten nicht treffen und ihm dies somit keine Nachteile, sondern lediglich Vorteile durch den Ausschluss seines Haftungsrisikos bieten würde. Es ist allerdings auch kein Grund ersichtlich, warum es dem Patienten verwehrt werden sollte, sich (zunächst) für eine Übersetzung durch Krankenhausmitarbeiter zu entscheiden, um die Kosten eines Berufsdolmetschers zu sparen. Hat der Patient dann das Gefühl, dass es Schwierigkeiten bei der Verständigung oder hinsichtlich der Richtigkeit der Übersetzung gibt, so bliebe es ihm unbenommen, vor der Erteilung der Einwilligung noch einen Berufsdolmetscher hinzuzuziehen.314 Schließlich kann grundsätzlich allenfalls der Patient und nicht der Arzt beurteilen, ob der Krankenhausmitarbeiter der Sprache des Patienten hinreichend mächtig ist oder nicht. Deswegen ist es konsequent, das Hinzuziehen von Krankenhausmitarbeitern in das Ermessen des Patienten zu stellen; lässt er sich hierauf ein, so muss er allerdings auch die Konsequenzen tragen. Eine Haftung bzw. ein Mitverschulden des Arztes ließe sich allenfalls dann begründen, wenn er eine mangelnde Übersetzungskompetenz hätte erkennen können. Je nachdem, ob es sich bei der Übersetzung um eine bloße Gefälligkeit, ein Gefälligkeitsverhältnis oder gar einen Gefälligkeitsvertrag handelt, kann der Patient Ansprüche gegen die übersetzende Person geltend machen. (3) Eingeschränkte Sprachkenntnisse Ist der Patient der deutschen Sprache in Grundzügen mächtig und ist er in der Lage, sich mit dem Behandelnden in einfacher Sprache im Rahmen der Anamnese etc. zu verständigen und der Patient in der Lage, Fragen zu beantworten, so kann es dem Arzt nicht als fehlerhaft angelastet werden, wenn der Patient die Aufklärung sprachlich nicht verstanden hat, der Behandelnde dies aber anhand der Umstände nicht erkennen konnte. War eine Verständigung zuvor möglich und wird im Rahmen des Aufklärungsgesprächs nicht erkennbar, dass der Patient den Ausführungen des Behandelnden nicht folgen kann, so kann dies keine Haftung des Arztes begründen. In einem derartigen Fall muss der Patient den Behandelnden vielmehr darauf aufmerksam machen, dass er den Erläuterungen sprachlich nicht folgen kann, sodass ein Dolmetscher hinzugezogen werden kann. Der Arzt verfügt in sprachlicher Hinsicht nicht über ein überlegenes Wissen gegenüber dem Patienten, auch besteht diesbezüglich kein Vertrauensverhältnis. Er besitzt hinsichtlich der Einschätzung der Sprachkundigkeit auch keine spezielle 314 Abgesehen von Eilfällen, die jedoch eine Sonderkonstellation darstellen und im Rahmen dieser Argumentation außer Beracht bleiben sollen.
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E. Aufklärungspflicht
Ausbildung. Deswegen ist es nicht gerechtfertigt, hier höhere Maßstäbe an den Arzt anzulegen. Es muss das gelten, was für andere Vertragstypen auch gelten würde. Von dem Arzt kann nur verlangt werden, dass er sich gegenüber sprach unkundigeren Patienten einfacher ausdrückt und sich nicht der medizinischen Fachsprache oder komplizierter Begriffe bedient. Dies gilt aber nicht nur gegenüber Patienten mit Sprachproblemen, der Arzt hat sich generell bei seiner Ausdrucksweise an dem Verständnis des Patienten zu orientieren, welches auch mit Beruf, Zugehörigkeit zu sozialer Schicht etc. einhergeht. Dies deckt sich insoweit mit der bisherigen Rechtsprechung. d) Strukturierung der Aufklärung und Beeinflussung des Entscheidungsprozesses Auch aus der gesetzlichen Regelung lässt sich nichts dazu ableiten, wie der Behandelnde die Aufklärung zu strukturieren hat, in welcher Reihenfolge er beispielsweise die verschiedenen Behandlungsalternativen oder die Chancen und Risiken zu schildern hat. Ebenso wenig finden sich Anhaltspunkte dazu, ob es dem Behandelnden freisteht, den Entscheidungsprozess des Patienten zu beeinflussen, ohne dass dies dem Patienten bewusst ist. Hierauf wird deswegen in einem eigenen Punkt am Ende der Analyse der Aufklärungspflicht eingegangen.315 e) Zusammenfassung der Ergebnisse Das Erfordernis der Mündlichkeit knüpft an die bisherige Rechtsprechung an. Die nach der Rechtsprechung ausnahmsweise zulässige telefonische Aufklärung ist auch weiterhin zulässig, allerdings dürfte der Anwendungsbereich gering sein. Individualvertraglich kann eine solche jedoch vereinbart werden. Nicht mehr zulässig ist dagegen die schriftliche Aufklärung bei Routinemaßnahmen, insofern kann die bisherige Rechtsprechung keinen Bestand mehr haben. Allerdings dürften die praktischen Auswirkungen dieser Änderung gering sein. Vor dem Hintergrund des mündigen Patienten, der auch ein gewisses Maß an Selbstverantwortung aufweisen sollte, kann jedoch mit Recht hinterfragt werden, ob diese Einschränkung geboten ist. Unterlagen, auf die bei der Aufklärung Bezug genommen wird, sind dem Patienten lediglich während der Aufklärung in Textform zur Verfügung zu stellen und nicht darüber hinaus. Hierbei handelt es sich um eine gegenüber der bisherigen Rechtsprechung komplett neue Pflicht. Da die Bezugnahme im Ermessen des Aufklärenden steht und er die Unterlagen mehrfach verwenden kann, kommt
315
Siehe dazu unter E. XII.
III. Art und Weise
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es weder zu einem erheblichen zusätzlichen bürokratischen Aufwand noch zu erheblichen Kosten für die Behandlungsseite. Die Aushändigung von Abschriften nach Abs. 2 S. 2 dient ausschließlich dem Schutz des Patienten vor nachträglichen Änderungen durch den Behandelnden und damit beweisrechtlichen Zwecken. Dies kann vor dem Hintergrund, dass die Dokumentation nach der Rechtsprechung nicht aus beweisrechtlichen Gründen zu erfolgen hatte, durchaus kritisch gesehen werden. Die Abschrift kann auch in elektronischer Form ausgehändigt werden, die Aushändigung hat unverzüglich i. S. d. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB zu erfolgen. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Aushändigung führt nicht zur Unwirksamkeit der Einwilligung, hat jedoch beweisrechtliche Konsequenzen. Die bisherige Rechtsprechung, nach welcher stets der Patient hinsichtlich einer Manipulation des Aufklärungsbogens beweisbelastet war, kann derart pauschal nicht mehr fortgelten, sodass sich durch das Patientenrechtegesetz auch in dieser Hinsicht Änderungen ergeben haben. Die Pflicht zur Aushändigung lässt sich individualvertraglich leicht abbedingen, nicht dagegen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen. Die allgemeinen Grundsätze der Rechtsprechung hinsichtlich der Verständlichkeit können fortgelten. Die Kosten einer Übersetzung hat in Einklang mit der Rechtsprechung der Patient zu tragen. Wie in den Fällen, in denen der Patient zur Kostentragung nicht in der Lage ist, vorgegangen werden sollte, regelt das Gesetz nicht. Nach hier vertretener Ansicht sollte die Möglichkeit des Aufklärungsverzichts in Betracht kommen, da dies besser ist, als dem nicht zahlungsfähigen sprachunkundigen Patienten den Zugang zu medizinischen Behandlungen grundsätzlich zu versagen. Das Risiko einer fehlerhaften Übersetzung trägt grundsätzlich der Patient, eine Haftung bzw. ein Mitverschulden des Arztes kommt nur dann in Betracht, wenn ihm die mangelhafte Übersetzung erkennbar war. Bei Patienten mit eingeschränkten Sprachkenntnissen kommt eine Haftung des Arztes nur dann in Betracht, wenn er erkennen konnte, dass der Patient ihn nicht versteht, im Übrigen ist es die Pflicht des Patienten, den Arzt auf Sprachprobleme aufmerksam zu machen.
3. Bewertung Im Rahmen der Analyse der Art und Weise der Aufklärung zeigt sich, dass zum einen sowohl ein erheblicher Auslegungsaufwand besteht, zudem einige Fragen ungeklärt sind. Mit der Pflicht zur Vorlage von Unterlagen, auf die Bezug genommen wurde, in Textform sowie der Pflicht zur Aushändigung von Abschriften hat der Gesetzgeber neue, zusätzliche Pflichten geschaffen. Mit dem Verbot der Aufklärung in Textform hat er der Rechtsprechung Einhalt geboten und die Aufklärungspflicht insofern verschärft.
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E. Aufklärungspflicht
Hinsichtlich der Bezugnahme auf Unterlagen hätte im Hinblick auf die Schaffung von Verständlichkeit und Rechtsklarheit deutlich gemacht werden sollen, dass diese dem Patienten nur während der Aufklärung und nicht dauerhaft in Textform zur Verfügung zu stellen sind. Das Gesetz enthält keinerlei Angaben zum Zeitpunkt der Aushändigung von Abschriften. Dieser ist jedoch von entscheidender Bedeutung, sodass eine Regelung diesbezüglich sowohl zu erwarten als auch erforderlich gewesen wäre, um die nötige Bestimmtheit und Klarheit zu schaffen und dadurch Rechtssicherheit und Berechenbarkeit zu gewährleisten. Hier hätte sich das Anknüpfen an den Begriff der Unverzüglichkeit angeboten, wie dies auch im Rahmen des § 630g Abs. 1 S. 1 BGB erfolgt ist. Das Abstellen auf identische Begriffe innerhalb verschiedener Paragrafen einer Kodifizierung hätte zudem die Verständlichkeit erhöht und zur Systematisierung beigetragen. Aufgrund der praktischen Relevanz der Problematik von hinsichtlich der Dolmetscherkosten zahlungsunfähigen sprachunkundigen Patienten wäre es wünschenswert gewesen, dass der Gesetzgeber hier eine klare Linie vorgegeben hätte, um Rechtssicherheit und Transparenz zu gewährleisten, wie er dies auch beabsichtigt hatte. Gleiches gilt hinsichtlich der Haftung für fehlerhafte Übersetzungen.
IV. Zeitpunkt Auch hinsichtlich des Zeitpunkts der Aufklärung wird zunächst das Richterrecht dargestellt und sodann die Rechtslage nach dem Patientenrechtegesetz. Im Anschluss werden die sich hieraus ergebenden Unterschiede zum Richterrecht ermittelt, bevor abschließend die Qualität der Regelung bewertet wird.
1. Richterrecht Die Aufklärung hat stets rechtzeitig vor der jeweiligen Maßnahme vollständig zu erfolgen. Nicht möglich ist es, einen aufgrund unzureichender Aufklärung rechtswidrigen Eingriff durch nachträglich ermittelte Befunde zu rechtfertigen.316 Der Patient ist so rechtzeitig aufzuklären, dass er die für und gegen die Maßnahme sprechenden Gründe noch hinreichend abwägen und dadurch sein Selbstbestimmungsrecht angemessen wahren kann.317 Ihm muss ausreichend Zeit ge316
BGH, NJW 2003, 1862 (1863). BGH, NJW 1995, 2410 (2411); BGH, NJW 1996, 777 (779); BGH, NJW 1992, 2351 (2351); BGH, NJW 1994, 3010 (3010); BGH, NJW 1988, 2734 (2734); BGH, NJW 2003, 2012 (2013); BGH, NJW 2014, 1527 (1529); BGH, VersR 2005, 227 (228). 317
IV. Zeitpunkt
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lassen werden, um eine eigenständige Entscheidung treffen zu können;318 deswegen soll die Aufklärung so früh wie möglich erfolgen.319 Die Rechtsprechung hat sich bisher nicht dazu geäußert, ob bei einem großen Zeitraum zwischen Vereinbarung des OP-Termins und der Vornahme des Eingriffs die Aufklärung „entaktualisiert“ sein könnte. Jedenfalls bei einem zeitlichen Abstand von ca. 6 Wochen zwischen Aufklärung und Eingriff war die Aufklärung im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall noch nicht „entaktualisiert“.320 Im Zeitpunkt der Aufklärung muss der Patient über seine Erkenntnis- und Entscheidungsfähigkeit verfügen.321 Dies kann beispielsweise dann ausgeschlossen sein, wenn der Patient schwerstens unter Schmerzen leidet und Umweltreize nur noch eingeschränkt wahrnehmen kann.322 Steht der Patient bereits unter medikamentösem Einfluss, so kann die Aufklärung verspätet sein, weil die Entscheidungsfreiheit unter Umständen nicht mehr gewahrt werden kann.323 Ein genereller Zeitpunkt lässt sich nicht bestimmen; es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalls an.324 Ist eine Operation in absehbarer Zeit geplant, so soll im Zeitpunkt der Vereinbarung des Operationstermins bereits aufgeklärt werden, sofern die Operation nicht noch von weiteren wichtigen Untersuchungsbefunden abhängig ist.325 Dies wird damit begründet, dass bei dem Patienten psychische Barrieren entstehen könnten, aufgrund derer es für ihn schwerer sei, eine bereits erteilte Operationsbereitschaft nach später erfolgter Aufklärung zu widerrufen.326 Erfolgt die Aufklärung erst später, ist sie jedoch dann noch rechtzeitig, wenn der Patient sich noch frei entscheiden kann.327 Bei einfachen Eingriffen und bei Eingriffen mit geringen Risiken oder bei Vorkenntnissen kann eine Aufklärung am Tag vor der Operation noch früh genug sein.328 Bei schwierigeren Eingriffen und/oder grö318
BGH, NJW 1996, 777 (779). BGH, NJW 1992, 2351 (2351 f.). 320 BGH, NJW 2014, 1527 (1529). 321 BGH, NJW 1993, 2372 (2373); BGH, NJW 1992, 2351 (2352). 322 OLG Frankfurt, MedR 1984, 194 (196). 323 BGH, NJW 1992, 2351 (2352); BGH, NJW 1972, 1422 (1423); BGH, NJW 1993, 2372 (2373); in Bezug auf die Einwilligung auch BGH, NJW 1998, 1784 (1785); vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2004, 912 (913); vgl. OLG Brandenburg, VersR 2011, 267 (268). 324 BGH, NJW 1992, 2351 (2351). 325 BGH, NJW 1993, 2372 (2373); BGH, NJW 1992, 2351 (2352); vgl. BGH, NJW 1994, 3010 (3011); BGH, NJW 2003, 2012 (2013); BGH, NJW 2014, 1527 (1529); OLG Stuttgart, VersR 1998, 1111 (1113). 326 BGH, NJW 1992, 2351 (2352); OLG Celle, NJW 1979, 1251 (1253); OLG Hamm, 3 U 41/09. 327 BGH, NJW 2003, 2012 (2013); BGH, NJW 1992, 2351 (2352); OLG Köln, VersR 2012, 863 (863); OLG Hamm, VersR 2011, 625 (627); OLG Stuttgart, VersR 1998, 1111 (1113). 328 BGH, NJW 1994, 3010 (3011) (einfache Eingriffe/geringe Risiken); BGH, NJW 2003, 319
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ßeren Risiken ist dem Patienten die Verarbeitung und damit eine selbstbestimmte Entscheidung bei einer erst am Vorabend erfolgten Aufklärung in der Regel nicht möglich.329 Dies gilt jedenfalls dann, wenn ihm erstmals gravierende Risiken mitgeteilt werden, die seine zukünftige Lebensführung entscheidend belasten können.330 Erst recht ist eine Aufklärung am Tag des Eingriffs selbst dann verspätet.331 Bei diagnostischen Maßnahmen reicht es ebenso wie bei ambulanten Opera tionen grundsätzlich aus, wenn am Tag der Vornahme der Maßnahme aufgeklärt wird, sofern dem Patienten deutlich gemacht wird, dass er trotzdem noch eine eigenständige Entscheidung für oder gegen die Maßnahme treffen kann.332 Dies gilt jedoch nur, wenn dem Patienten nicht erstmals gravierende Risiken mitgeteilt werden, die für ihn überraschend sind und seine persönliche Lebensführung entscheidend beeinträchtigen können.333 Bei größeren ambulanten Operationen, die mit beträchtlichen Risiken verbunden sind, ist eine Aufklärung am Opera tionstag selbst verspätet.334 Nicht ausreichend ist eine Aufklärung vor der Tür des Untersuchungsraums oder gar erst im Untersuchungsraum, wenn der Patient dadurch den Eindruck gewinnt, dem Geschehensablauf nicht mehr entkommen zu können.335 Ist der Patient aufgrund vorheriger Aufklärungsgespräche bereits vorinformiert, so kann sich der Zeitpunkt der Rechtzeitigkeit auch weiter in Richtung des Termins der Maßnahme verschieben.336 Möchte der Patient im Ausnahmefall eine längere Bedenkzeit, so hat er dies dem Behandelnden mitzuteilen. Dies kann von dem Patienten erwartet werden.337 2012 (2013) sowie OLG Koblenz, VersR 2013, 462 (463) sowie OLG Köln, VersR 2014, 751 (751) (Vorkenntnisse). 329 BGH, NJW 2003, 2012 (2013); vgl. OLG Köln, VersR 2014, 751 (751); vgl. OLG Stuttgart, VersR 1998, 1111 (1113). 330 BGH, NJW 2003, 2012 (2013); BGH, NJW 1992, 2351 (2352); OLG Köln, VersR 2012, 863 (863); vgl. OLG Stuttgart, VersR 1998, 1111 (1113); vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 1993, 1439 (1439); OLG Hamm, 3 U 41/09. 331 OLG Bamberg, VersR 1998, 1025 (1025). 332 BGH, NJW 1995, 2410 (2411); BGH, NJW 1996, 777 (779); vgl. BGHZ 144, 1 (12); BGH, NJW 1992, 2351 (2352); BGH, NJW 1994, 3010 (3011); BGH, NJW 2003, 2012 (2013); OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 816 (818). 333 BGH, NJW 1992, 2351 (2352). 334 BGH, NJW 1994, 3010 (3011); OLG Hamm, 3 U 41/09. 335 BGH, NJW 1995, 2410 (2411); BGH, NJW 1996, 777 (779); BGHZ 144, 1 (12); BGH, NJW 1992, 2351 (2352); BGH, NJW 1994, 3010 (3011); OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 816 (818). 336 BGH, NJW 2007, 217 (218); vgl. auch BGH, NJW 1988, 2734 (2734); BGH, NJW 2003, 2012 (2013). 337 BGHZ 144, 1 (12 f.).
IV. Zeitpunkt
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2. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB Gem. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB muss der Patient so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass er seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann. Darüber hinaus hält die Gesetzesbegründung fest, dass es dem Patienten möglich sein muss, das Für und Wider der Entscheidung hinreichend abwägen und dadurch sein Selbstbestimmungsrecht angemessen wahren zu können.338 Der genaue zeitliche Rahmen ist dabei nicht pauschal festlegbar, sondern von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig.339 Bei operativen Maßnahmen reicht es in der Regel, wenn am Vortag aufgeklärt wird.340 Insoweit knüpft der Gesetzgeber an die bisherige Rechtsprechung an, sodass diese auch weiterhin Bestand haben kann. Neu ist der Begriff „wohlüberlegt“. Zum Teil wird vertreten, dies solle die Möglichkeit einer reflektierten Entscheidung gewährleisten,341 von anderer Seite wird es so interpretiert, dass die Aufklärungsinhalte besonnen und ohne Hast durchdacht werden können sollen, um als Grundlage der Entscheidung zu dienen.342 Voigt sieht hierin lediglich die Entscheidung des Gesetzgebers gegen die für die Einwilligung geforderte „24-Stunden-Sperrfrist“.343 Dies erscheint im Rahmen der Auslegung jedoch fernliegend. Die Gesetzesbegründung gibt zur Erläuterung des Begriffs nichts her. Da in der Gesetzesbegründung jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass Nr. 2 „die zeitlichen Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Aufklärung stellt, festlegen […]“,344 ist davon auszugehen, dass das Kriterium „wohlüberlegt“ nichts an den Grundsätzen der Rechtsprechung ändern soll.345 Aus der Rechtsprechung wird deutlich, dass maßgebliche Gesichtspunkte bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit die Einfachheit bzw. Schwierigkeit des Eingriffs sowie das Gewicht der Risiken sind. Hinsichtlich der Rechtzeitigkeit ist die Entwicklung zu berücksichtigen, dass immer mehr risikoreiche und komplizierte Eingriffe mittlerweile auch ambulant durchgeführt werden, sodass ein Rückschluss auf den Schweregrad des Eingriffs nicht allein aufgrund der Tatsache „ambulant“ bzw. „stationär“ erfolgen kann.346 Dies könnte dazu führen, dass 338 BT-Drs. 17/10488, 1 (25); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (30). 339 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 340 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 341 Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 5. 342 Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 28. 343 NK-BGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 10. 344 BT-Drs. 17/10488, 1 (24). 345 So auch NK-BGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 10. 346 BeckOGK/Walter, § 630e, Rdnr. 30; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 42.
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E. Aufklärungspflicht
der Grundsatz der Rechtsprechung, der besagt, dass bei diagnostischen Maßnahmen sowie ambulanten Operationen grundsätzlich eine Aufklärung am Tag der Vornahme der Maßnahme ausreiche,347 in Zukunft keinen Bestand mehr hat. Allein aufgrund des Gesetzes ergibt sich dies jedoch nicht; das Gesetz geht auf die Kriterien, die bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit eine Rolle spielen können, nicht näher ein. Problematisch ist, dass die Grenzziehung zwischen „einfach“ und „schwerwiegend“ unklar ist.348 Gleiches gilt hinsichtlich der Einordnung in geringe und größere Risiken. Insgesamt ist es für den juristischen Laien aufgrund der unbestimmten Rechtsbegriffe schwierig zu differenzieren, wann ein einfacher Eingriff, ein Eingriff mit geringen Risiken, ein schwieriger Eingriff und/oder ein Eingriff mit größeren oder beträchtlichen Risiken im Sinne der Rechtsprechung vorliegt. Der Gesetzgeber hat hier keine Klarheit geschaffen. Allerdings ist es aufgrund der Andersartigkeit der zahlreichen Maßnahmen sowie des Zusammenhangs von Schweregrad und Risiken mit den individuellen Besonderheiten des konkreten Patienten nicht möglich, bestimmte Anforderungen festzulegen. Nicht umsonst haben Rechtsprechung und Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass es stets auf die Umstände des Einzelfalls ankomme. Deswegen müssen die durch die Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze für eine Orientierungslinie genügen.
3. Bewertung Der vom Gesetzgeber verwendete Begriff wohlüberlegt ist weder Ausfluss der bisherigen Rechtsprechung noch kommt ihm irgendeine nähere Bedeutung zu; er trifft vielmehr keine gewinnbringende Aussage. Deswegen ist dieser Begriff im Sinne der Rechtsklarheit zu streichen, sodass sich dann auch keine Folgefragen hinsichtlich der Bedeutung und Auslegung dieses Begriffs ergeben können. Stattdessen hätte der Begriff selbstbestimmt verwendet werden können, um den Rückbezug zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten349 nochmal zu verdeutlichen. Ein ausdrücklicher Bezug zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten fehlt im gesamten Gesetz. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Selbstbestim-
347
Siehe dazu die Nachweise in Kap. E. Fn. 332. BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 42; Wertenbruch, MedR 1995, 306 (308) in Bezug auf einfache bzw. größere Operationen sowie einschneidende bzw. weniger einschneidende Risiken; Bergmann, VersR 1996, 810 (814) hinsichtlich einfacher Operationen mit weniger einschneidenden Risiken bzw. größerer Operationen mit erheblichen Risiken sowie normaler ambulanter Operationen bzw. größerer ambulanter Operationen mit besonderen Gefahren. 349 Siehe dazu oben unter C. I. 3. 348
V. Aufklärungspflichtiger
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mungsrechts hätte ein Bezug auf dieses zur Sicherung von Transparenz und Verständlichkeit erfolgen sollen. Dass der Gesetzgeber auf die Kriterien, die für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit maßgeblich sind, nicht näher Bezug nimmt, ist dagegen nicht zu kritisieren. Aufgrund der starken Einzelfallabhängigkeit variieren diese stets, sodass kaum konkretere Maßstäbe als diejenigen der bisherigen Rechtsprechung aufgestellt werden können. All diese Maßstäbe zu kodifizieren, würde aber zur Unübersichtlichkeit der gesetzlichen Regelung führen und damit die Qualität der Kodifizierung schmälern.
V. Aufklärungspflichtiger Zunächst werden die bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze zur Person des Aufklärenden dargestellt. Dann wird die Rechtslage nach dem Patientenrechtegesetz ermittelt und etwaige Unterschiede zur bisherigen Rechtsprechung aufgezeigt. Abschließend wird die Qualität der Kodifizierung beurteilt.
1. Richterrecht Verantwortlich für die Aufklärung ist grundsätzlich der behandelnde Arzt, denn sie zählt zu seinen eigenen ärztlichen Aufgaben.350 Seine Pflicht geht jedoch nur soweit, wie sein eigenes Fachgebiet berührt wird.351 Zudem darf nach dem allgemeinen Vertrauensgrundsatz ein für eine Operation hinzugezogener Chirurg sich darauf verlassen, dass der überweisende Arzt ordnungsgemäß aufgeklärt hat, sofern keine gewichtigen Bedenken in Form von Zweifeln hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit der Aufklärung bestehen; diesen muss er nachgehen.352 Dagegen darf sich der weiterbehandelnde Arzt nicht auf eine umfassende Aufklärung durch den Hausarzt verlassen,353 er muss sich einer ordnungsgemäßen Aufklärung vergewissern, auch wenn grundsätzlich der einweisende Hausarzt in erster Linie zur Aufklärung gehalten ist.354 Der Arzt muss die Aufklärung nicht zwin350 BGH, NJW 2011, 1088 (1090); OLG Köln, MedR 2012, 121 (123); vgl. auch BGHZ 169, 364 (366); BGH, NJW 2010, 2430 (2431). 351 BGH, NJW 2010, 2430 (2431); vgl. OLG Köln, VersR 2011, 81 (81) (für die von dem jeweiligen Arzt übernommene Aufgabe); vgl. OLG Hamm, VersR 1994, 815 (816) (Spezialist für die mit seiner Behandlung verbundenen spezifischen Risiken). 352 OLG Köln, NJW-RR 2009, 960 (961); OLG Köln, VersR 2011, 81 (81 f.); a. A. OLG Nürnberg, VersR 1992, 754 (756). 353 OLG Brandenburg, 12 U 239/06; OLG Nürnberg, VersR 1992, 754 (756). 354 OLG Nürnberg, VersR 1992, 754 (756).
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gend selbst erbringen, sondern kann sie auch an einen anderen Arzt delegieren; dann muss er aber sicherstellen, dass dieser die Aufklärung ordnungsgemäß vornimmt, entweder durch ein Patientengespräch oder durch Prüfung der Dokumentation in der Patientenakte, um seine aus der Arbeitsteilung resultierenden Kon troll- und Überwachungspflichten zu erfüllen.355 Es müssen klare, stichprobenweise kontrollierte Organisationsanweisungen erfolgen.356 Diese Grundsätze gelten insbesondere auch für den Chefarzt, zu dessen Pflichten es zählt, die ordnungsgemäße Aufklärung in seiner Abteilung sicherzustellen.357 Er muss den nachgeordneten Ärzten ausreichende Anweisungen geben und durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass die Aufklärung ordnungsgemäß erfolgt und dies mit geeigneten Maßnahmen überwachen.358 Für Maßnahmen, denen besondere Risiken anhaften, ist die allgemeine Organisationsanweisung zur Aufklärung nicht ausreichend, es muss entweder eine spezielle Anweisung vorhanden sein oder der delegierende Arzt muss sich auf andere Art vergewissern, dass der aufklärende Arzt den Patienten ordnungsgemäß aufklären kann, bspw. durch ein Vorgespräch.359 Auch dem Klinikvorstand obliegen Leitungs- und Aufsichtspflichten, um für eine ordnungsgemäße Aufklärung Sorge zu tragen; in welcher Form diese genau bestehen, kann nicht allgemein statuiert werden, sondern ist von zahlreichen Faktoren betreffend das jeweilige Krankenhaus sowie die personelle Zusammensetzung etc. abhängig.360 Ein sich in der Facharztausbildung befindender Arzt kann die Aufklärung vornehmen, sofern es ihm aufgrund seines Ausbildungsstandes möglich ist, sowohl die vorliegende Erkrankung als auch die erforderliche Behandlung einzuschätzen.361 Die Aufklärung kann auch von Ärzten erfolgen, die noch nicht über die praktische Erfahrung zur eigenen Durchführung der Maßnahme verfügen.362 Schließlich erfordert die Aufklärung „eher theoretische als praktische Kenntnis-
355
BGH, NJW 2011, 1088 (1090); BGHZ 169, 364 (366 ff.); vgl. auch BGH, NJW 2007, 217 (219); vgl. OLG Koblenz, VersR 2009, 1077 (1078). Dies kritisiert Bender, seiner Meinung nach sei eine Nachfrage beim Patienten kein geeignetes Mittel, da der Patient die Qualität der Aufklärung nicht selbst beurteilen könne, Bender, VersR 2013, 962 (965). 356 OLG Karlsruhe, VersR 2014, 710 (711). 357 BGHZ 169, 364 (368); BGHZ 116, 379 (386); BGH, NJW 1956, 1106 (1108) für den Klinikvorstand; OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 816 (817) für den Leiter des Instituts der Radiologie. 358 BGHZ 169, 364 (368). 359 BGHZ 169, 364 (369). 360 BGH, NJW 1963, 393 (395); Kontrollpflichten des Krankenhausträgers (im konkreten Fall das Land) ebenfalls bejahend OLG Köln, NJW 1987, 2302 (2303). 361 OLG Dresden, 4 U 574/02. 362 OLG Koblenz, VersR 2013, 462 (462).
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se“.363 Auch ein Studierender im Praktischen Jahr kann die Aufklärung übernehmen, wenn er über den nötigen Ausbildungsstand verfügt und unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des delegierenden Arztes tätig wird, was auch im Einklang mit § 3 Abs. 4 S. 1, 2 ApprOÄ sowie § 4 Abs. 2 S. 2 BÄO steht.364 Dies erfordert jedoch nicht, dass der Arzt bei jeder Aufklärung anwesend sein muss.365 Die Delegation auf nichtärztliches Personal ist unzulässig.366 Dies resultiert daraus, dass nichtärztliches Personal grundsätzlich nicht über die medizinischen Kenntnisse verfügt, die für die Aufklärung erforderlich sind.367 Auch die gleichzeitige Anwesenheit des Arztes im selben Raum, in dem das nichtärztliche Personal die Aufklärung vornimmt, sowie das Zurverfügungstehen für Rückfragen genügen nicht.368
2. § 630e Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1 BGB Im Rahmen der gesetzlichen Regelung werden zunächst die allgemeinen Grundsätze hinsichtlich des Aufklärungspflichtigen dargestellt, bevor dann auf die Möglichkeit der Delegation der Aufklärung eingegangen wird. Bei der Delegation wird zunächst beleuchtet, ob derjenige, an den delegiert wird, an der Durchführung der Maßnahme beteiligt sein muss und sodann untersucht, ob die Delegation auf nichtärztliches Personal delegiert werden kann. Dann wird geprüft, ob derjenige bereits über die praktische Erfahrung sowie den Facharzttitel verfügen muss und ob Studierende im Praktischen Jahr die Aufklärung übernehmen können. a) Allgemeine Grundsätze Die Aufklärungspflicht obliegt gem. § 630e Abs. 1 S. 1 BGB dem Behandelnden, also dem Vertragspartner i. S. d. § 630a Abs. 1 BGB. Die Gesetzesbegründung 363
OLG München, 1 U 5064/01. OLG Karlsruhe, VersR 2014, 710 (711). 365 OLG Karlsruhe, VersR 2014, 710 (710 f.); so wohl auch OLG München, 1 U 5064/01 (in dem Fall erfolgte die Aufklärung nach Rücksprache mit dem Stationsarzt, nicht in Anwesenheit des Stationsarztes); kritisch Katzenmeier/Achterfeld, in: Steinmeyer/Roeder/Eiff (Hrsg.), Medizin – Haftung – Versicherung, 2016, 89 (94). 366 OLG Karlsruhe, VersR 2014, 710 (710); OLG Brandenburg, 12 U 239/06; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 459 (461); OLG Dresden, 4 U 574/02; vgl. BGH, NJW 1974, 604 (605), dort wird zwar die Aufklärung durch die Hilfskraft im konkreten Fall für unzulässig gehalten, allerdings nicht gesagt, dass eine Delegation der Aufklärung auf nichtärztliches Personal generell unzulässig sei. A.A. Wagner, demzufolge auch nach der Entscheidung des OLG Karlsruhe (NJW-RR 1998, 459) eine Delegation auf nichtärztliches Personal nicht ausgeschlossen sei, Wagner, VersR 2012, 789 (793), dem folgend Preis/Schneider, NZS 2013, 281 (284). 367 OLG Karlsruhe, VersR 2014, 710 (710 f.). 368 OLG Brandenburg, 12 U 239/06. 364
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meint an dieser Stelle zwar, dass sich aus Nr. 1 ergebe, dass primär derjenige aufzuklären habe, der die Maßnahme durchführt;369 dies ergibt sich aus Nr. 1 jedoch gerade nicht, da Nr. 1 auf die Person des Behandelnden abstellt, die in § 630a Abs. 1 BGB legaldefiniert ist und den Vertragspartner meint. Hier zeigt sich wieder, dass der Gesetzgeber selbst Probleme hat, zwischen dem allgemeinen Sprachgebrauch und seiner eigenen Legaldefinition klar zu unterscheiden. Sofern der tatsächlich behandelnde Arzt nicht zugleich Vertragspartner ist, ist er lediglich deliktsrechtlich unmittelbar selbst verpflichtet. Für gesonderte Maßnahmen kann eine gesonderte Aufklärung erforderlich sein, beispielsweise kann der Operateur nur über Risiken der Operation und der Anästhesist nur über die Narkoserisiken aufklären.370 Dies kann dazu führen, dass für einzelne Behandlungsabschnitte unterschiedliche Personen die Aufklärung durchführen müssen.371 Dies deckt sich mit dem Grundsatz der Rechtsprechung, wonach jeder Arzt nur insoweit aufzuklären hat, wie sein eigenes Fachgebiet berührt wird. Dass auch bei der Aufklärung der Facharztstandard einzuhalten sei,372 ist nicht überzeugend. Denn der „Facharztstandard“, auf den § 630a Abs. 2 BGB Bezug nimmt, bezieht sich auf die Behandlung und nicht auf die Aufklärung. Verstöße gegen den Facharztstandard stellen deswegen auch immer einen Behandlungsund nicht einen Aufklärungsfehler dar. b) Möglichkeit der Delegation Die Möglichkeit der Delegation ergibt sich aus dem Wortlaut des Abs. 2 S. 1 Nr. 1, der bereits alternativ verschiedene Personen („durch den Behandelnden oder durch eine Person […]“)373 für die Aufklärung in Betracht zieht, sowie daraus, dass die Gesetzesbegründung den tatsächlich behandelnden Arzt nur primär und nicht generell für selbst aufklärungspflichtig hält und ausdrücklich erklärt, dass auch eine andere Person die Aufklärung vornehmen kann.374 Bei der Delegation auf andere Personen ist erforderlich, dass die Person zur Aufklärung befähigt ist und eine ausreichende Kontrolle stattfindet; die Person muss in der Lage sein, die im Einzelfall erforderlichen Informationen erteilen und Fragen beantworten zu können.375 369
BT-Drs. 17/10488, 1 (24); so auch BeckOGK/Walter, § 630e, Rdnr. 19. BT-Drs. 17/10488, 1 (24). 371 PWW/Schneider, § 630e, Rdnr. 5. 372 Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 4. 373 Hervorhebung durch die Verfasserin. 374 BT-Drs. 17/10488, 1 (24). 375 Vgl. Rehborn, GesR 2013, 257 (264); Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 370
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Im Folgenden wird untersucht, an welchen Personenkreis der Behandelnde seine Aufklärungspflicht delegieren kann. aa) Erfordernis der Beteiligung an der Durchführung der Maßnahme Zunächst ist zu klären, ob der Aufklärende an der Durchführung der Maßnahme beteiligt sein muss. Während der Referentenentwurf die Aufklärungspflicht noch einem „an der Durchführung des Eingriffs Beteiligten, der über die zur sachgemäßen Aufklärung notwendigen Fachkenntnisse und Erfahrungen verfügt“ (§ 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 RefE), auferlegte, muss nach dem nun geltenden § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB der Behandelnde oder eine Person, „die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt“, die Aufklärung übernehmen. Insoweit nach der endgültigen Fassung nicht mehr zwingend eine an der Durchführung der Maßnahme beteiligte Person aufklären muss, wurden die Anforderungen etwas entschärft und der potentielle Personenkreis vergrößert. Ein Festhalten an der strengen Regelung wäre angesichts der heutigen Situation, die in vielen Bereichen durch Ärztemangel und durch verstärkte prozessorientierte Organisation geprägt ist,376 in der Praxis kaum möglich. Gleichzeitig wäre eine Delegation der Aufklärung selbst auf andere Ärzte kaum noch möglich.377 Letztlich wäre eine derart strenge Regelung auch praktisch kaum umsetzbar: Nach der Rechtsprechung soll möglichst schon bei Vereinbarung des Operationstermins aufgeklärt werden; erfolgt diese bereits Wochen vor der Operation, so steht zu diesem frühen Zeitpunkt oft noch gar nicht fest, wer dann die Operation tatsächlich übernehmen wird, da Operationspläne derart weit im Voraus nicht erstellt werden können.378 Zudem würde dieses Erfordernis auch keinen Vorteil für den Patienten bringen; diesem kommt es lediglich darauf an, dass er ordnungsgemäß aufgeklärt wird und ihm etwaige Fragen zutreffend beantwortet werden.379 Da die Patienteninteressen ein derartiges Erfordernis somit nicht rechtfertigen und ein solches in der Praxis kaum umsetzbar wäre, ist es konsequent, dass hierauf in der endgültigen Gesetzesfassung verzichtet wurde.
5. Aufl. (2018), Rdnr. P 49; Hart, MedR 2013, 159 (162 f.). Näher zu den Organisationspflichten des Krankenhausträgers sowie der Chefärzte siehe Bender, VersR 2013, 962 (965 f.). 376 Stellungnahme des Marburger Bundes zum Referentenentwurf, 1 (4); ähnlich BÄK/ KBV, Stellungnahme zum RefE, 1 (22): „nicht praxistaugliche Festlegung“. 377 Vgl. BÄK/KBV, Stellungnahme zum RefE, 1 (23). 378 Vgl. Bender, VersR 2013, 962 (963). 379 BÄK/KBV, Stellungnahme zum RefE, 1 (22).
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bb) Nichtärztliches Personal Bei der Delegation an nichtärztliches Personal ist zu unterscheiden, ob es sich um ärztlich durchzuführende Maßnahmen oder um solche handelt, die auch das nichtärztliche Personal selbst durchführen darf. (1) Ärztlich durchzuführende Maßnahmen Zunächst ist zu prüfen, ob nichtärztliches Personal über ärztlich durchzuführende Maßnahmen aufklären darf. Nach dem Referentenentwurf war es noch ausreichend, dass die aufklärende Person über die zur sachgemäßen Aufklärung notwendigen Fachkenntnisse und Erfahrungen verfügte, was grundsätzlich auch nichtärztliches Personal sein konnte. Allerdings stellte der letzte Halbsatz von Nr. 1 klar, dass bei von Ärzten vorgenommenen Eingriffen auch ein Arzt aufzuklären habe. Dadurch, dass das Gesetz nun jedoch fordert, dass die Person über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt, wird deutlich, dass nichtärztliches Personal nicht über ärztlich vorzunehmende Maßnahmen aufklären kann. Jaeger meint, es sei unklar, ob mit „Maßnahme“ die Aufklärung oder der Eingriff gemeint sei.380 Nach der Gesetzesbegründung muss die aufklärende Person über die notwendige Befähigung und Qualifikation zur Durchführung der Operation verfügen.381 Dies legt nahe, dass der Eingriff gemeint ist. Zudem enthielt der Referentenentwurf noch den Begriff der Aufklärung, dieser wurde im Gesetzgebungsverfahren in den der Maßnahme geändert, was ebenfalls dafür spricht, dass der Eingriff gemeint ist. Die systematische Auslegung stützt dieses Ergebnis. So verwendet der Gesetzgeber den Begriff der Maßnahme auch im Rahmen von § 630d Abs. 1 BGB sowie in § 630e Abs. 1 S. 2, 3 BGB; dort kann mit der Maßnahme jedoch nicht die Aufklärung, sondern ausschließlich der Eingriff gemeint sein. Es ist nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber daran anschließend in § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB ein anderes Verständnis des Begriffs der Maßnahme zugrunde legen sollte. Da das Gesetz somit die notwendige Ausbildung zur Durchführung des Eingriffs verlangt, kann nichtärztliches Personal demnach nicht über ärztlich vorzunehmende Maßnahmen aufklären.382 MedR-Komm/Jaeger, § 630e BGB, Rdnr. 30; Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 255. 381 BT-Drs. 17/10488, 1 (24). 382 Ebenso Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 4; Bender, VersR 2013, 962 (964); Reh born, GesR 2013, 257 (264); Jauernig/Mansel, § 630e, Rdnr. 4; NK-BGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 8; Palandt/Weidenkaff, § 630e, Rdnr. 8; JurisPK-BGB/Schmidt, § 630e, Rdnr. 35; Martis/ Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 48; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. (2014), Kap. C Rdnr. 106; im Ergebnis ebenso Walter, der zufolge sich dies zwar 380
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Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung. Der Gesetzgeber hätte dies jedoch deutlicher machen können, indem er, wie bspw. in § 9 Abs. 1 GenDG, einen ausdrücklichen Arztvorbehalt statuiert hätte oder den noch im Referentenentwurf enthaltenen letzten Halbsatz der Nr. 1 beibehalten hätte. Warum der Gesetzgeber die notwendige Ausbildung zur Durchführung der Maßnahme und nicht zur Durchführung der Aufklärung fordert, ist nicht ersichtlich. Schließlich geht es bei der Aufklärung um das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, welches nur durch eine kompetente, ordnungsgemäße Aufklärung und nicht durch eine kompetente Behandlungsdurchführung gewahrt werden kann. Im Gesetzgebungsverfahren wurde gefordert, dass Pflegepersonal zumindest bei Routineeingriffen die Aufklärung übernehmen können sollte und der Arzt nur bei Fragen, die das Pflegepersonal nicht beantworten könne, hinzuzuziehen sein sollte.383 Dadurch würde gewährleistet, dass sich die ärztlichen Mitarbeiter auf die medizinisch wichtigsten Aufgaben konzentrieren könnten und eine wünschenswerte „Spezialisierung und Professionalisierung der Aufklärungspersonen“ erfolgen könne.384 Der durch die endgültige Regelung erfolgte Ausschluss nichtärztlichen Personals von der Aufklärung wird als nicht erforderlich sowie hinsichtlich der „angespannten Ressourcen im Gesundheitswesen“ als kontraproduktiv beurteilt.385 Allerdings ist der Aufklärung aufgrund des Schutzes der Patientenautonomie in den letzten Jahrzehnten immer mehr Bedeutung zugemessen worden, sodass diese durchaus zu den „medizinisch wichtigsten Aufgaben“ gehört. Trotzdem lässt sich gut vertreten, dass eine Aufklärung durch nichtärztliches Personal für den Patienten in einfach gelagerten Fällen tatsächlich sogar besser sein könnte als die Aufklärung durch ärztliches Personal.386 So kann nichtärztliches Personal beispielsweise bei im Krankenhausalltag täglich mehrfach stattfindenden Routinemaßnahmen wie einer Magenspiegelung durchaus über das notwendige Wissen verfügen, das für eine ordnungsgemäße Aufklärung erforderlich ist. Zudem wird das nichtärztliche Personal nicht weniger Komplikationen miterlebt haben als der Arzt, sondern möglicherweise sogar mehr, da es bei Maßnahmen unterschiedlicher Ärzte anwesend ist. Im Gegensatz nicht aus dem Wortlaut ergebe, jedoch aus dem Tangieren des Kernbereichs ärztlichen Wirkens resultiere, BeckOGK/Walter, § 630e, Rdnr. 23; einen Ausschluss nach dem Gesetzestext ablehnend, die Zulässigkeit aber für zweifelhaft erachtend PWW/Schneider, § 630e, Rdnr. 5. Weiß kritisiert die unpräzise Formulierung, leitet den Arztvorbehalt jedoch anhand der Gesetzesmaterialien her, Weiß, GesR 2015, 262 (267). 383 Wagner, VersR 2012, 789 (793); dem folgend Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 256. Für die Zulässigkeit der Aufklärung beispielsweise durch Gesundheitsfachberufe auch APS, Stellungnahme zum RefE, 1 (10). 384 Wagner, VersR 2012, 789 (793). 385 Wagner, VersR 2012, 789 (793). 386 Vgl. Wagner, VersR 2012, 789 (793).
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E. Aufklärungspflicht
zu dem Behandelnden beschäftigt sich das nichtärztliche Personal unter Umständen auch überwiegend oder gar ausschließlich mit der Durchführung dieser konkreten Maßnahme. Darüber hinaus ist es möglich, dass das nichtärztliche Personal über mehr Zeit verfügt als der Arzt, sodass es die Aufklärung mit mehr Ruhe ausführen könnte. Schließlich könnte das nichtärztliche Personal auch hinsichtlich der Aufklärung für derartige Maßnahmen gesondert geschult werden. Es ist somit nicht ersichtlich, warum nichtärztliches Personal generell nicht über die Kompetenz zur Aufklärung über ärztliche Maßnahmen verfügen können sollte. Für bestimmte Routineeingriffe läge eine Aufklärung durch nichtärztliches Personal folglich sogar im Interesse des Patienten, jedenfalls würde eine solche seinen Interessen nicht schlechter dienen als ärztliches Personal, solange im Falle offener Fragen die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Arztes bestünde.387 In derartigen Fällen sollte eine Aufklärung durch nichtärztliches Personal somit möglich sein.388 Allerdings würden sich dann wieder Abgrenzungsprobleme stellen, wann eine Routineeingriff, über den das Pflegepersonal aufklären kann, vorliegt und wann nicht.389 Dies müsste folglich mit der nötigen Rechtssicherheit geklärt werden. Für die Praxis nicht unerheblich ist jedoch, dass sich der Arzt im Falle der unzulässigen Aufklärung durch nichtärztliches Personal auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung berufen kann, sofern das nichtärztliche Personal ordnungsgemäß aufgeklärt hat.390 Der Behandelnde kann somit selbst entscheiden, ob er seinem nichtärztlichen Personal eine ordnungsgemäße Aufklärung zutraut oder nicht. Letztlich haftet er für eine fehlerhafte Aufklärung des nichtärztlichen 387 Ähnlich Wagner, VersR 2012, 789 (793). Zur nicht überzeugenden Meinung von Achterfeld, dass Patienten nichtärztlichem Personal weniger vertrauen und dessen Ausführungen weniger Gewicht beimessen würden etc., siehe Kap. E. Fn. 391. 388 So auch Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 256; a. A. Schmidt, der davon ausgeht, dass Nichtärzte per se die Risiken eines unter Arztvorbehalt stehenden Eingriffs nicht derart erfasst hätten, dass sie diese den Patienten umfassend vor Augen führen und Nachfragen angemessen beantworten könnten, JurisPK-BGB/Schmidt, § 630c, Rdnr. 35. A.A. auch BRDrs. 312/12, 1 (13) mit der Begründung, dass insbesondere für ältere Patienten das Gespräch mit dem Arzt einen besonders hohen Stellenwert habe. Dies mag zwar sein, kann aber nicht der Grund dafür sein, eine Aufklärung durch nichtärztliches Personal pauschal abzulehnen. Solange dieses die Aufklärung ordnungsgemäß vornehmen kann und die Möglichkeit zu Rückfragen beim Arzt besteht, ist nicht ersichtlich, warum dies entsprechend den Bedürfnissen der Praxis nicht zulässig sein sollte. 389 Preis/Schneider, NZS 2013, 281 (284); PWW/Schneider, § 630e, Rdnr. 5. 390 So auch Frahm, VersR 2009, 1576 (1578); im Ergebnis ähnlich wohl auch Wenzel/ Bernsmann/Geilen, Kap. 4, Rdnr. 449 sowie BGB-RGRK/Nüßgens, § 823 Anh. II, Rdnr. 91; ähnlich Kern, der jedoch von der Wirksamkeit der Einwilligung und nicht von einer hypothetischen Einwilligung ausgeht, Kern, in: Heberer/Opderbecke/Spann (Hrsg.), Ärztliches Handeln – Verrechtlichung eines Berufsstandes, 1986, 71 (87).
V. Aufklärungspflichtiger
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Personals ebenso wie für eine fehlerhafte Aufklärung des ärztlichen Personals. Hält der Behandelnde es beispielsweise für wahrscheinlicher, dass sein nichtärztliches Personal besser aufklärt, so wäre es aus seiner Sicht sogar sinnvoll, trotz des Verbots die Aufklärung durch nichtärztliches Personal vornehmen zu lassen. (2) Durch nichtärztliches Personal durchzuführende Maßnahmen Unklar ist, ob Pflegepersonal über solche Maßnahmen aufklären darf, die zwar ärztlich angeordnet werden, aber von nichtärztlichem Personal durchgeführt werden können.391 Der Wortlaut steht dem zunächst nicht entgegen, denn darf das nichtärztliche Personal die Maßnahme selbst durchführen und verfügt es über die hierfür notwendige Ausbildung, so sind die Voraussetzungen des Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Hs. 1 erfüllt. Im Rahmen einer historischen Auslegung spricht die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit allerdings dagegen, dort wird auf die Erbringung der Aufklärung durch vorhandenes ärztliches Personal abgestellt.392 Allerdings ist es gut möglich, dass der Ausschuss für Gesundheit nur ärztlich durchzuführende Maßnahmen im Blick hatte. Es lässt sich auch nicht anführen, dass die Streichung des letzten Halbsatzes der Nr. 1 aus dem Referentenentwurf deswegen erfolgt sei, weil eine Aufklärung durch nichtärztliches Personal generell unzulässig sein sollte. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Streichung aus der Änderung der Anforderungen in die notwendige Ausbildung zur Durchführung der Maßnahme resultiert, denn dadurch ist, wie bereits erläutert, deutlich geworden, dass nichtärztliches Personal nicht über ärztliche Maßnahmen aufklären kann, sodass eine diesbezügliche Klarstellung in einem weiteren 391 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 39; Katzenmeier, NJW 2013, 817 (820); dies verneinend Frahm, VersR 2009, 1576 (1577); dies i.E. ablehnend wohl Achterfeld, Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen, 2014, 153. Ihre Argumentation, dass Patienten Informationen von nichtärztlichem Personal nicht das gleiche Gewicht im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung beimäßen wie denen eines Arztes, dass der Patient dem nichtärztlichen Personal weniger vertraue und allein aufgrund des Umstands, dass für gewöhnlich der Arzt und nicht das nichtärztliche Personal die Aufklärung übernehme, einer Aufklärung durch nichtärztliches Personal eine geringe Bedeutung zumesse (Achterfeld, Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen, 2014, 151), überzeugt jedoch nicht. Dass der Patient Risiken, die nichtärztliches Personal erläutert, nicht ernst nehme, ist nicht plausibel. Zudem wird der Patient, für den ein Eingriff eine Ausnahmesituation darstellt, gar nicht erst wissen, was die Regel und was die Ausnahme bei der Behandlung ist. Zudem sind die Ausführungen in sich widersprüchlich. So geht Achterfeld davon aus, dass eine Haftung des aufklärungspflichtigen Arztes dann entfalle, wenn der Patient von anderer Stelle die erforderlichen Informationen erlange und seine Zustimmung in Kenntnis dieser erteilt habe (Achterfeld, Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen, 2014, 153 f.). Dies ist jedoch nicht stringent, wenn vorher erläutert wird, dass der Patient Informationen des nichtärztlichen Personals nicht ernst nehme und diesen nicht das gleiche Gewicht im Rahmen der Entscheidungsfindung beimesse. 392 BT-Drs. 17/11710, 1 (29). Hervorhebung durch die Verfasserin.
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E. Aufklärungspflicht
Absatz dadurch obsolet geworden ist. Schließlich spricht für eine Zulässigkeit das Fehlen eines generellen Arztvorbehalts. Die Auslegung des Gesetzes spricht somit dafür, dass nichtärztliches Person über nichtärztlich durchgeführte Maßnahmen grundsätzlich aufklären darf. Gegen eine Zulässigkeit in solchen Fällen wird vorgebracht, dass umfassend nur aufklären könne, wer über über den konkreten Behandlungsbereich hinausgehende Kenntnisse und Erfahrungen verfüge.393 Schließlich könnten sich während der Aufklärung medizinische Gründe ergeben, die der konkreten Maßnahme entgegenstünden, von nichtärztlichem Personal jedoch nicht erkannt würden.394 Allerdings kann das Argument, dass die aufklärende Person über über den konkreten Behandlungsbereich hinausgehende Kenntnisse und Erfahrungen verfügen müsse, nicht überzeugen. Dann dürfte auch ein Spezialist, der nur noch in einem ganz bestimmten Behandlungsgebiet tätig wird und in anderen Gebieten gerade nicht mehr über Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, die über sein Studium und seine Grundausbildung hinausgehen, nicht mehr aufklären, was widersinnig wäre. Schließlich kann auch nichtärztliches Personal bereits in anderen Behandlungsbereichen gearbeitet und dadurch über dementsprechende Kenntnisse und Erfahrungen verfügen. Dies kann jedoch nicht das entscheidende Anknüpfungskriterium sein. Es sollte allein darauf ankommen, ob das nichtärztliche Personal über die nötigen Kenntnisse zur Durchführung einer ordnungsgemäßen Aufklärung verfügt. Da der Gesetzgeber die notwendige Qualifikation in der Ausbildung zur Durchführung der Maßnahme sieht, ist somit davon auszugehen, dass nichtärztliches Personal dann auch über nichtärztlich durchzuführende Maßnahmen aufklären kann. Eine darüber hinausgehende Einschränkung hätte der Gesetzgeber deutlich machen müssen; es ist auch nicht ersichtlich, dass er eine solche beabsichtigt hat. Auszubildende oder Schüler können jedoch nicht aufklären, da eine abgeschlossene Ausbildung erforderlich ist.395 Wenn dies für Studierende im Praktischen Jahr gilt,396 dann muss dies auch für Auszubildende in nichtärztlichen Berufen gelten. cc) Praktische Erfahrung und das Erfordernis des Facharzttitels Die Person, die die Aufklärung übernimmt, muss nicht zwingend über die praktische Erfahrung verfügen, die für eine eigenständige Durchführung des Ein-
Wigge/Loose, MedR 2016, 318 (325). Wigge/Loose, MedR 2016, 318 (325). 395 Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 19; Rehborn, GesR 2013, 257 (264). 396 Siehe dazu sogleich unter E. V. 2. b) dd). 393 394
V. Aufklärungspflichtiger
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griffs erforderlich wäre.397 Dies lässt sich auch anhand der Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf begründen, dieser verlangte noch die notwendigen Fachkenntnisse und Erfahrungen, während die endgültige Gesetzesfassung lediglich die notwendige Ausbildung verlangt. Der Ausschuss für Gesundheit führt aus, dass dadurch den Anforderungen der Praxis entsprochen werde, die Bedürfnisse des Krankenhausalltags berücksichtigt würden sowie eine gute medizinische Aufklärung mit dem verfügbaren ärztlichen Personal sichergestellt werde.398 Dieses Ergebnis entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung. Hiergegen wird vereinzelt kritisch vorgebracht, dass es dazu führen könne, dass die Qualität und die Sicherheit der Selbstbestimmung darunter leiden.399 Wer die Behandlung noch nicht selbstständig durchführen könne, verfüge nicht über „die notwendige Vertrautheit mit Nutzen und Risiken“.400 Zudem seien einem Arzt ohne Operationserfahrung die gesteigerten operativen Risiken weniger geläufig.401 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass in der Praxis nicht stets das optimale Maximum geleistet werden kann. So ist es auch bei der Behandlung für den Patienten grundsätzlich am besten, wenn er von einem erfahrenen Spezialisten behandelt wird. Dies kann aufgrund der Zahl der Behandlungen im Verhältnis zur Zahl der Spezialisten jedoch nicht gewährleistet werden. Deswegen wird auch im Rahmen der Behandlung „nur“ der allgemein anerkannte Facharztstandard geschuldet und nicht die Leistung, die ein Spezialist erbringen könnte. Darüber hinaus würden derart strenge Anforderungen es Berufseinsteigern faktisch unmöglich machen, in ihren Beruf hineinzuwachsen und sich irgendwann zu Spezialisten zu entwickeln, denn irgendwann ist für jeden „das erste Mal“. Gleiches muss auch für die Aufklärung gelten. Schließlich ist häufig auch einem erfahrenen Arzt ein aufklärungspflichtiges Risiko in der Praxis selbst noch nie begegnet, da viele Risiken nur sehr selten eintreten. Außerdem ist für die Erläuterung eines Risikos auch nicht entscheidend, dass dessen Eintritt bereits selbst erlebt worden ist; insoweit kann auf in der Literatur und in Gesprächen geschilderte Erfahrungswerte zurückgegriffen werden. Im Gegensatz zur Durchführung der Maßnahme erfolgt die Aufklärung grundsätzlich ohne zeitlichen Druck, unter Umständen kann hier auch noch Rücksprache gehalten oder etwas nachgelesen werden. Tritt dagegen während der Durchführung einer Maßnahme eine 397
BT-Drs. 17/11710, 1 (28); Palandt/Weidenkaff, § 630e, Rdnr. 8; JurisPK-BGB/Schmidt, § 630e, Rdnr. 33; Katzenmeier, NJW 2013, 817 (820); Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 46; Andreas, ArztR 2013, 117 (120); vgl. Wenzel/Steinmeister, BuGBl 58 (2015), 23 (28); a. A. Jauernig/Mansel, § 630e, Rdnr. 4. 398 BT-Drs. 17/11710, 1 (28 f.). 399 Hart, MedR 2013, 159 (162). 400 Hart, MedR 2013, 159 (162). 401 Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 47a.
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E. Aufklärungspflicht
Komplikation auf, so muss oft umgehend gehandelt werden, der zeitliche Druck kann dann immens sein. Vor diesem Hintergrund muss erst recht gelten, dass die Anforderungen im Rahmen der Aufklärung nicht so streng sein müssen wie im Rahmen der Durchführung, ohne dass dies bedeutet, dass dem Selbstbestimmungsrecht weniger Bedeutung zugemessen würde als dem gesundheitlichen Wohl des Patienten. Zudem können auch die Argumente, die für eine Zulässigkeit der Aufklärung durch nichtärztliches Personal angeführt wurden, übertragen werden. So kann beispielsweise die Aufklärung durch einen unerfahreneren Arzt dem Selbstbestimmungsrecht durchaus besser gerecht werden, beispielsweise weil dieser sich mehr Zeit für die Aufklärung nimmt. Alles in allem ist es somit konsequent, dass die praktische Erfahrung, die für eine eigenständige Durchführung erforderlich wäre, im Rahmen der Aufklärung nicht verlangt wird. Umstritten ist, ob die „notwendige Ausbildung“ lediglich die Approbation oder auch die Facharztanerkennung voraussetzt. Überwiegend wird vertreten, dass der Aufklärende nicht die konkrete Facharztausbildung abgeschlossen haben muss.402 Hierfür spricht, dass die Approbation sonst keinen eigenständigen Wert mehr hätte, obwohl das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorgehoben hat, dass die Approbation die Qualität ärztlicher Tätigkeit sicherstelle und dazu berechtige, Patienten auf allen von der Approbation umfassten Gebieten, mithin auch auf fachfremden, nicht von der eigenen Facharztqualifikation umfassten Gebieten, zu behandeln.403 Schließlich darf auch ein Arzt ohne Facharzttitel ärztlich tätig werden404 und der Assistenzarzt Facharzteingriffe durchführen, wenn er über die notwendige Kompetenz verfügt.405 Es wäre widersprüchlich, wenn der Arzt zwar den Eingriff, nicht aber die Aufklärung vornehmen dürfe, denn dann würde das Selbstbestimmungsrecht des Patienten als schutzwürdiger als seine körperliche Integrität angesehen.406 Darüber hinaus spricht gegen das Erfordernis der Facharztbezeichnung, dass diese genau genommen eine WeiterBender, VersR 2013, 962 (963); Palandt/Weidenkaff, § 630e, Rdnr. 8; Spickhoff/Spick hoff, § 630e BGB, Rdnr. 4; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 38; JurisPK-BGB/ Schmidt, § 630e, Rdnr. 34, der lediglich die Approbation verlangt; a. A. Walter, der zufolge das offen sei und von der Rspr. entschieden werden müsse, BeckOGK/Walter, § 630e, Rdnr. 20 f.; Link-Eichhorn geht davon aus, dass der aufklärende Arzt die Facharztausbildung abgeschlossen haben müsse, Link-Eichhorn, Medical Tribune 2013, 35 (35); die Facharztausbildung vorauszusetzen scheinend BT-Drs. 17/11710, 1 (28) „abgeschlossene[…] fachliche Ausbildung“; Dillschneider/Theuer/Mieth u. a., Der Chirurg 2013, 325 (325) fordern, dass zumindest die Facharztausbildung begonnen wurde. 403 BVerfGK 18, 345 (352 f.); Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 20; Rehborn, GesR 2013, 257 (264). 404 BVerfGK 18, 345 (353). 405 Bender, VersR 2013, 962 (964 m. w. N.). 406 Vgl. Bender, VersR 2013, 962 (964). 402
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bildung und nicht eine Ausbildung ist,407 was sich aus § 1 S. 1 MWBO-Ä, welcher deklariert, dass die Weiterbildung nach Abschluss der Ausbildung erfolgt, sowie aus § 2 Abs. 1 MWBO-Ä, wonach die Weiterbildung zur Facharztbezeichnung führt, ergibt. Die Ausbildung ist dagegen in der BÄO sowie der ApprOÄ geregelt; gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BÄO ist die Ausbildung wesentliche Voraussetzung für die Erlangung der Approbation.408 Da es sich bei der Aufklärung um eine originäre ärztliche Tätigkeit handelt, berechtigt die Approbation zu dieser.409 Hätte der Gesetzgeber die Facharztbezeichnung als zwingende Voraussetzung angesehen, hätte er dies deutlicher machen müssen. Zudem soll die Regelung den Bedürfnissen des Krankenhausalltags Rechnung tragen, s.o.; in diesem übernehmen oft Assistenzärzte die Aufklärung.410 Kritisch wird jedoch auch hier wieder angeführt, dass jemandem ohne Facharzttitel und ohne praktische Erfahrung die Risiken weniger geläufig seien.411 Dies ist jedoch aus den gleichen Gründen wie oben412 nicht überzeugend, die Argumente können übertragen werden. dd) Studierende im Praktischen Jahr Nicht zulässig dürfte, entgegen der bisherigen Rechtsprechung, die Aufklärung durch einen Studierenden im Praktischen Jahr sein.413 Denn wie soeben erläutert414 erfordert die notwendige Ausbildung i. S. d. Abs. 2 S. 1 Nr. 1 das Vorliegen der Approbation, über die der Studierende im Praktischen Jahr aber gerade nicht verfügt. Nicht überzeugend ist die Auffassung, dass bei bloßer Anwesenheit eines Arztes der Studierende im Praktischen Jahr die Aufklärung übernehmen könne,415 denn die Rechtsprechung hat im Hinblick auf nichtärztliches Personal bereits entschieden, dass dies nicht ausreiche, s.o. (auch, weil der Arzt dann oftmals mit etwas anderem beschäftigt sein wird). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Arzt die Aufklärung aufmerksam verfolgt und, sofern nötig, ergänzt, er also keiner anderen Tätigkeit während der Aufklärung durch den Studierenden im Praktischen Jahr nachgeht.
Bender, VersR 2013, 962 (963 f.). Bender, VersR 2013, 962 (964). 409 Bender, VersR 2013, 962 (964). 410 BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 38. 411 So Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 47a. 412 Siehe dazu unter E. V. 2. b) bb) (2). 413 Ebenso BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 38. 414 Siehe unter E. V. 2. b) cc). 415 So MedR-Komm/Jaeger, § 630e BGB, Rdnr. 30a. 407 408
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E. Aufklärungspflicht
c) Zusammenfassung der Ergebnisse Hinsichtlich der allgemeinen Grundsätze knüpft das Gesetz an die Rechtsprechung an und geht auch nicht über diese hinaus oder bleibt hinter ihnen zurück, sodass davon auszugehen ist, dass die Rechtsprechung diesbezüglich weiterhin bei ihrer Linie bleiben kann. Derjenige, an den die Aufklärung delegiert wird, muss nicht an der Durchführung der Maßnahme beteiligt sein. Mit dem Begriff der Maßnahme ist, übereinstimmend mit dem Begriff der Maßnahme in § 630d Abs. 1 BGB, der Eingriff und nicht die Aufklärung gemeint. Nichtärztliches Personal kann nach dem Gesetz, übereinstimmend mit der bisherigen Rechtsprechung, nicht über ärztlich durchzuführende Maßnahmen aufklären. Allerdings liegt es im Ermessen des Behandelnden, die Aufklärung trotzdem auf nichtärztliches Personal zu übertragen, denn wenn dieses ordnungsgemäß aufklärt, liegt der Einwand der hypothetischen Einwilligung nahe. Schließlich lässt sich durchaus mit guten Gründen vertreten, dass eine Aufklärung des nichtärztlichen Personals bei Routineeingriffen zulässig sein sollte. Dafür wäre jedoch eine Gesetzesänderung erforderlich. Nichtärztliches Personal darf allerdings über nichtärztlich durchzuführende Maßnahmen aufklären, sofern es über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt. Auszubildende und Schüler dürfen jedoch nicht aufklären. Derjenige, an den die Aufklärung delegiert wird, muss weder über die praktische Erfahrung zur eigenständigen Durchführung der Maßnahme verfügen noch muss er den Facharzttitel erworben haben. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung. Studierende im Praktischen Jahr dürfen die Aufklärung dagegen nicht mehr übernehmen.
3. Bewertung Bei der Verwendung des Begriffs des Behandelnden wird anhand der Gesetzesbegründung deutlich, dass der Gesetzgeber sich dem Bedeutungsgehalt seiner in § 630a Abs. 1 BGB getroffenen Legaldefinition entweder nicht hinreichend bewusst ist oder von dieser wieder abweicht. Dies ist aus dogmatischer Sicht unbefriedigend. Grundsätzlich gilt, dass von einem einmal gewählten Begriff zumindest innerhalb der gleichen Kodifizierung nicht wieder abgewichen werden sollte.416 Eine uneinheitliche Begrifflichkeit führt zu Rechtsunsicherheit und zur Widersprüchlichkeit des Gesetzes. Zwar wird der Mangel hier nicht im Gesetzeswortlaut selbst, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung deutlich, dies zeigt jedoch, dass die in § 630a Abs. 1 BGB legaldefinierten Begriffe nicht geschickt 416
Siehe dazu unter A. III. 1. c).
VI. Aufklärungsempfänger
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gewählt wurden, wenn es schon dem Gesetzgeber selbst schwerfällt, sich an diesen Begriffen zu orientieren. Zudem ist aufgrund der nicht notwendigen Abweichung vom allgemeinen Sprachgebrauch die Legaldefinition des Behandelnden zu kritisieren. Sie dient weder der Vereinfachung noch führt sie zu einer besseren Verständlichkeit, der Definitionsbegriff ist nicht präziser als der definierte Begriff. Vielmehr kommt es durch diese Definition zu Verwirrungen und Rechtsunsicherheit. Es handelt sich um eine schlechte Definition, die dem Gesetz schadet. Angesichts der angespannten Ressourcen im Gesundheitswesen und dem Problem des Ärztemangels in vielen Krankenhäusern und Praxen insbesondere in ländlichen Gebieten wäre es durchaus einer Überlegung wert gewesen, ob nicht zumindest bei Routinemaßnahmen die Aufklärung durch nichtärztliches Personal zulässig sein sollte. Hier hätte der Gesetzgeber in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung neue Wege gehen können; er hat sich dieser Problematik jedoch nicht näher angenommen.
VI. Aufklärungsempfänger Auch in Bezug auf den Aufklärungsempfänger wird zunächst die Rechtslage nach der bisherigen Rechtsprechung dargestellt und sodann diejenige nach dem Patientenrechtegesetz, wobei auch auf etwaige Unterschiede eingegangen wird. Danach wird die Qualität der Regelung bewertet.
1. Richterrecht Adressat ist nach ständiger Rechtsprechung die Person, die die Einwilligung zu erteilen hat, also grundsätzlich die zu behandelnde Person selbst.417 Dies gilt auch dann, wenn diese der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist.418 Bei Minderjährigen müssen grundsätzlich die gesetzlichen Vertreter einwilligen, sodass diese aufzuklären sind. Nach der Rechtsprechung kann Minderjährigen, die ausreichend urteilsfähig sind, ein Vetorecht gegenüber der Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter zustehen.419 In derartigen Fällen ist auch der Minderjährige aufzuklären, da er sein Vetorecht sonst nicht ausüben kann.420 Im Allgemeinen darf der Arzt jedoch darauf vertrauen, dass es genügt, die gesetzlichen Vertreter aufzuklären.421 417
Vgl. u. a. BGHZ 29, 176 (179 f.). OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 459 (460). 419 Siehe dazu bereits oben unter D. I. 420 BGH, NJW 2007, 217 (218). 421 BGH, NJW 2007, 217 (218); vgl. BGH, NJW 1971, 1887 (1887). Hinsichtlich der Auf418
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E. Aufklärungspflicht
2. § 630e Abs. 1 S. 1, Abs. 4, 5 BGB Hinsichtlich der gesetzlichen Regelung wird zunächst ermittelt, welches Verständnis des Begriffs des Patienten der Gesetzgeber bei § 630e BGB zugrunde gelegt hat, bevor dann konkret auf die Regelungen der Absätze 4 und 5 eingegangen wird. a) Begriff des Patienten Die Problematik hinsichtlich des Begriffs des Patienten wurde bereits im Vorkapitel näher erläutert.422 Mit Patient kann zum einen der Vertragspartner gemeint sein (Wortverständnis 1), zum anderen die tatsächlich behandelte Person (Wortverständnis 2) oder beide. Welches Verständnis des Patienten der Gesetzgeber im Rahmen der Aufklärungspflicht zugrunde gelegt hat, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Der Patientenbegriff ist innerhalb der einzelnen Absätze identisch auszulegen, da es sich bei den Regelungen in den einzelnen Absätzen nur um unterschiedliche Modalitäten ein und derselben Pflicht handelt, während im Gegensatz dazu in den Absätzen 1 bis 3 des § 630c BGB unterschiedliche Pflichten bzw. Obliegenheiten geregelt sind. Zunächst wird für die Fallkonstellationen 2–4423 durchgespielt, welches Ergebnis sich ergibt, wenn Wortverständnis 1 oder 2 oder eine Kumulation beider zugrunde gelegt wird. Dann wird im Wege der Auslegung ermittelt, von welchem Wortverständnis der Gesetzgeber im Rahmen des § 630e BGB ausgegangen ist. In der Fallkonstellation 2 (Beispiel: Die sorgeberechtigten Eltern schließen einen Vertrag zugunsten ihres 16-jährigen Kindes ab, das zwar noch nicht voll geschäftsfähig [§ 106 BGB], jedoch einwilligungsfähig ist) kommen als Patient sowohl die Eltern als auch das 16-jährige Kind in Betracht. Hat der Gesetzgeber beide Wortverständnisse zugrunde gelegt, so wären sowohl das 16-jährige Kind als auch die Eltern aufzuklären. Geht der Gesetzgeber vom Wortverständnis 1 aus, so wären nur die Eltern als Vertragspartner aufzuklären, während das 16-jährige Kind auch nicht nach § 630e Abs. 5 BGB aufzuklären wäre. Hat der Gesetzgeber dagegen Wortverständnis 2 zugrunde gelegt, so wäre nur das 16-jährige Kind aufzuklären, welches aufgrund seiner Einwilligungsfähigkeit auch in der klärung Minderjähriger ist oben bereits erläutert worden, dass die Rechtsprechung insoweit sehr uneinheitlich ist. Insofern wird auf die dort gemachten Ausführung und das dort erzielte Ergebnis verwiesen. 422 Siehe dazu unter D. III. 423 Die Fallkonstellationen wurden oben eingeführt und näher erläutert, siehe dazu unter D. III. 3. b).
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Lage wäre, die Aufklärung aufzunehmen, auf dieser Grundlage abzuwägen und eine Einwilligung zu erteilen. Der Behandelnde müsste jedoch auch berechtigt sein, die Eltern aufzuklären. Ist er dies nicht, so würde er (ohne Vorliegen einer Schweigepflichtentbindung) eine Schweigepflichtverletzung gem. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB begehen. Da die Schweigepflicht aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts resultiert,424 ist die tatsächlich behandelte Person und damit der Minderjährige der Geheimnisträger i. S. d. § 203 Abs. 1 StGB. Zwar ließe sich noch argumentieren, dass eine allgemein gehaltene Aufklärung, die jeder Person mit der konkreten Erkrankung unabhängig von individuellen Eigenschaften erteilt würde, keinen Verstoß gegen die Schweigepflicht darstelle, jedoch lässt sich aufgrund der Schilderungen von Verlauf, Risiken, möglichen Folgen etc. ein Rückschluss auf die konkrete Erkrankung ziehen, sodass dann doch Privatgeheimnisse offenbart würden. Zudem hat die Aufklärung patientenbezogen zu erfolgen und ist an den konkreten Einzelfallumständen auszurichten,425 sodass auch dies das Offenbaren von Privatgeheimnissen nahelegt. Die Aufklärung der Eltern müsste jedoch auch unbefugt i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfolgen. Grundsätzlich besteht die Schweigepflicht auch gegenüber Familienangehörigen.426 Der Schutz der Vertrauenssphäre geht der Personensorge vor und wird grundsätzlich nicht durch diese eingeschränkt.427 Allerdings haben die Eltern eines Minderjährigen auch ein Informationsrecht aus ihrem Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, § 1626 Abs. 1 BGB), welches jedoch mit wachsender Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen gegenüber dessen Geheimhaltungsinteresse zurücktritt.428 Unbeachtlich muss im Rahmen dieser Betrachtung sein, dass die Eltern den Behandlungsvertrag geschlossen haben.429 Da hier von einem klaren Abgrenzungsmodell hinsichtlich der Einwilligungsbefugnis ausgegangen wird,430 sollte hinsichtlich des Informationsrechts und des Geheimhaltungsinteresses Identisches gelten: Ist der Minderjährige ein424
Siehe dazu oben unter C. I. 5. Siehe dazu bereits oben unter E. I. 426 Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Aufl. (2015), Rdnr. 867; vgl. auch Belling/ Eberl/Michlik, Das Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger bei medizinischen Eingriffen, 1994, 136 in Bezug auf die Eltern. 427 BPS/Gaidzik, §§ 203–205 StGB, Rdnr. 10. 428 Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Aufl. (2015), Rdnr. 868; vgl. auch Belling/ Eberl/Michlik, Das Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger bei medizinischen Eingriffen, 1994, 136. 429 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Aufl. (2015), Rdnr. 870; Rieger, DMW 1989, 1765 (1765 f.). 430 Siehe dazu oben unter D. I. 425
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E. Aufklärungspflicht
willigungsfähig, so ist auch nur dieser aufzuklären, da es auch nur auf seine Einwilligung ankommt. Das Informationsrecht der Eltern aus ihrem Erziehungsrecht muss dann hinter dem Geheimhaltungsinteresse des Minderjährigen zurücktreten,431 sodass eine Aufklärung der Eltern ohne Schweigepflichtentbindung des Minderjährigen ein unbefugtes Offenbaren von Privatgeheimnissen und demnach eine Schweigepflichtverletzung i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellt. Eine Durchbrechung der Schweigepflicht kommt allenfalls nach den Grundsätzen des § 34 StGB in Betracht.432 Die pauschale Verpflichtung des Behandelnden zur Aufklärung des Vertragspartners ohne Einschränkungen aufgrund der Schweigepflicht kann somit gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB verstoßen und wäre dann gem. § 134 BGB nichtig. Da in der Regel davon auszugehen ist, dass der Behandlungsvertrag auch ohne die nichtige Modalität der Aufklärungspflicht gegenüber dem Vertragspartner geschlossen worden wäre, käme es gem. § 139 BGB nur zu einer Teilnichtigkeit der konkreten Modalität der Aufklärungspflicht, während der Behandlungsvertrag im Übrigen wirksam wäre. In der Fallkonstellation 3 (Beispiel: Die sorgeberechtigten Eltern schließen einen Vertrag zugunsten ihres sechsjährigen Kindes ab, das einwilligungsunfähig ist) kommen als Patient sowohl die Eltern als auch das sechsjährige Kind in Betracht. Hat der Gesetzgeber beide Wortverständnisse zugrunde gelegt, so wären sowohl das sechsjährige Kind als auch die Eltern aufzuklären, wobei aufgrund des Alters des Kindes fraglich ist, inwieweit es die Aufklärung tatsächlich aufnehmen und deren Bedeutung verstehen könnte. Geht der Gesetzgeber vom Wortverständnis 1 aus, so wären nur die Eltern als Vertragspartner aufzuklären, während das sechsjährige Kind auch nicht nach § 630e Abs. 5 BGB aufzuklären wäre. Hat der Gesetzgeber dagegen Wortverständnis 2 zugrunde gelegt, so wäre nur das sechsjährige Kind aufzuklären, wobei aufgrund des Alters des Kindes wiederum fraglich ist, inwieweit es die Aufklärung tatsächlich aufnehmen und deren Bedeutung verstehen könnte. Die Aufklärung der Eltern könnte auch in dieser Konstellation einen Schweigepflichtverstoß i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellen. Vertreten wird, dass die Schweigepflicht auch dann bestehe, wenn der Minderjährige nicht einwilli-
Ebenso Hollmann, DMW 1982, 192 (192); Link, Schwangerschaftsabbruch bei Minderjährigen, 2004, 144 f.; Bender, MedR 1997, 7 (15 f.); Halstrick, der in Zweifelsfällen ein Offenbarungsrecht sieht, Halstrick, Der Gynäkologe 2007, 835 (838). A.A. Wölk, MedR 2001, 80 (89); Belling, FuR 1990, 68 (76). Für eine sorgfältige Abwägung im Einzelfall Rieger, DMW 1989, 1765 (1765); Klein, RDG 2010, 172 (176); Belling/Eberl/Michlik, Das Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger bei medizinischen Eingriffen, 1994, 136 f. 432 Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Aufl. (2015), Rdnr. 870; BGH, NJW 1983, 350 (351). 431
VI. Aufklärungsempfänger
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gungsfähig ist.433 Es sei letztlich immer anhand einer Abwägung im Einzelfall zu ermitteln, ob das Informationsrecht der Eltern oder das Geheimhaltungsinteresse des Minderjährigen überwiege.434 Dies kann jedoch nicht überzeugen. Wie bereits erläutert muss in den Fällen, in denen der Minderjährige selbst einwilligungsfähig ist, das Informationsrecht der Eltern hinter dem Geheimhaltungs interesse des Minderjährigen zurücktreten. Ist der Minderjährige dagegen einwilligungsunfähig, so wird ihm gerade nicht zugetraut, dass er die Aufklärung umfassend aufnehmen, verstehen und darauf aufbauend eine selbstbestimmte Entscheidung treffen kann. Deswegen können nach hier vertretener Ansicht in derartigen Fällen auch ausschließlich die Eltern die Einwilligung erteilen. Steht das Recht der Erteilung der Einwilligung in diesen Fällen ausschließlich den Eltern zu, so müssen diese auch aufgeklärt werden, andernfalls könnten sie dieses fremdnützige Recht nicht wahrnehmen. Deswegen muss in derartigen Fällen das Informationsrecht das Geheimhaltungsinteresse überwiegen. Unabhängig davon, dass dies rechtlich überzeugend ist, ist dies auch in der Praxis besser handhabbar. Die Aufklärung der Sorgeberechtigten stellt in diesen Fällen somit keinen Schweigepflichtverstoß i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar. In der Fallkonstellation 4 (Beispiel: Die Großmutter schließt einen Vertrag zugunsten ihres sechsjährigen Enkelkindes ab, das einwilligungsunfähig ist, Personensorgeberechtigte i. S. d. § 1626 Abs. 1 BGB sind jedoch die Eltern) kommen als Patient sowohl die Großmutter als auch das sechsjährige Enkelkind in Betracht. Hat der Gesetzgeber beide Wortverständnisse zugrunde gelegt, so wären sowohl das sechsjährige Enkelkind als auch die Großmutter aufzuklären, wobei aufgrund des Alters des Enkelkindes fraglich ist, inwieweit es die Aufklärung tatsächlich aufnehmen und deren Bedeutung verstehen könnte. Geht der Gesetzgeber vom Wortverständnis 1 aus, so wäre nur die Großmutter als Vertragspartner aufzuklären, während das sechsjährige Enkelkind auch nicht nach § 630e Abs. 5 BGB aufzuklären wäre. Hat der Gesetzgeber dagegen Wortverständnis 2 zugrunde gelegt, so wäre nur das sechsjährige Enkelkind aufzuklären, wobei aufgrund des Alters des Enkelkindes wiederum fraglich ist, inwieweit es die Aufklärung tatsächlich aufnehmen und deren Bedeutung verstehen könnte. In dieser Konstellation würde die Aufklärung der Großmutter definitiv einen Schweigepflichtverstoß i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellen (es sei denn es 433 BPS/Gaidzik, §§ 203–205 StGB, Rdnr. 10; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Aufl. (2015), Rdnr. 868. 434 Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Aufl. (2015), Rdnr. 868; Belling/Eberl/ Michlik, Das Selbstbestimmungsrecht Minderjähriger bei medizinischen Eingriffen, 1994, 136. Kohlhaas geht bei Patienten unter 18 Jahren grundsätzlich davon aus, dass die Eltern informiert werden dürften, im Übrigen sei eine Abwägung im Einzelfall geboten, Kohlhaas, Medizin und Recht, 1969, 16 ff.
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E. Aufklärungspflicht
liegt eine Schweigepflichtentbindung vor), da die Großmutter nicht die Sorgeberechtigte ist, sodass die derartige Aufklärungspflicht gem. §§ 134, 139 BGB nichtig wäre. Im Wege einer Auslegung ist nun zu ermitteln, welches Wortverständnis der Gesetzgeber bei § 630e BGB zugrunde gelegt hat. In der Gesetzesbegründung stellt der Gesetzgeber darauf ab, dass „der Anspruch des Patienten gegen seinen Behandelnden auf eine angemessene Aufklärung […] Ausfluss seines Selbstbestimmungsrechts über seine Person“ sei.435 Insofern kann er mit „Patient“ ausschließlich die tatsächlich behandelte Person meinen, denn die Behandlung betrifft nur ihre Person und berührt daher auch nur ihr Selbstbestimmungsrecht und nicht dasjenige des Vertragspartners. Der Gesetzgeber weist in der Gesetzesbegründung noch ein weiteres Mal auf „das Selbstbestimmungsrecht des Patienten“ hin, welches es gebiete, „diesem als Subjekt der Behandlung die Wahl […]“436 zu überlassen. Auch hier kann es nur um das Selbstbestimmungsrecht der tatsächlich behandelten Person gehen und auch nur hinsichtlich der tatsächlich behandelten Person besteht die Gefahr, dass diese zum Objekt der Behandlung wird, nicht dagegen hinsichtlich des Vertragspartners. Auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten weist der Gesetzgeber noch ein drittes Mal hin.437 Auch das Abstellen auf den „Patienten, der in die Durchführung der medizinischen Maßnahme einwilligt“438 kann sich nur auf die tatsächlich behandelte Person beziehen, denn in einen Eingriff in die eigenen Rechtsgüter kann grundsätzlich nur die Person einwilligen, der die Rechtsgüter zuzuordnen sind. Da es um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG)439 des tatsächlich Behandelten geht, kann grundsätzlich nur dieser in einen solchen einwilligen, sodass auch an dieser Stelle nur die tatsächlich behandelte Person gemeint sein kann. Schließlich kann ebenfalls nur die tatsächlich behandelte Person gemeint sein, wenn von „erhebliche[n] Gefahren für die Gesundheit des Patienten“440 bzw. von „das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährde[n]“441 die Rede ist, denn ausschließlich um dessen Gesundheit geht es im Rahmen des Behandlungsvertrags. Auch der Hinweis auf „das Risiko einer erheblichen (Selbst)Gefährdung“442 des Patienten durch die Aufklärung macht deutlich, dass die tatsächlich behandelte Person gemeint sein 435
BT-Drs. 17/10488, 1 (24). BT-Drs. 17/10488, 1 (24). 437 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 438 BT-Drs. 17/10488, 1 (24). 439 Siehe dazu oben unter C. I. 2. 440 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 441 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 442 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 436
VI. Aufklärungsempfänger
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muss, weil nur diese sich selbst gefährden kann, da es im Behandlungsvertrag nur um ihre Gesundheit geht. Die Gesetzesbegründung spricht somit dafür, dass unter Patient im Rahmen des § 630e BGB die tatsächlich behandelte Person zu verstehen ist, mithin Wortverständnis 2. In systematischer Hinsicht legt dies zudem das Zusammenspiel mit § 630d BGB nahe. Gem. § 630d Abs. 2 BGB ist die Aufklärung Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung; gem. § 630d Abs. 1 S. 1 BGB ist die Einwilligung des Patienten einzuholen. Patient kann hier ausschließlich die tatsächlich behandelte Person sein, denn grundsätzlich ist nur diese zur Disposition über ihre körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) befugt und keinesfalls ein beliebiger Dritter als Vertragspartner. Nur dann, wenn die tatsächlich behandelte Person einwilligungsunfähig ist, obliegt die Einwilligung seinem Berechtigten, § 630d Abs. 1 S. 2 BGB. Berechtigter ist etwa der Vormund, Betreuer, gesetzlicher Vertreter oder rechtsgeschäftlich Bevollmächtigter,443 jedoch keinesfalls zwingend der Vertragspartner. Auf § 630d Abs. 1 S. 2 BGB verweisen zudem § 630e Abs. 4 und Abs. 5 BGB, sodass dies in systematischer Hinsicht für eine identische Auslegung des Begriffs des Patienten in beiden Paragrafen spricht. Anhand der Regelung des § 630e Abs. 5 BGB sowie der diesbezüglichen Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit wird zudem deutlich, dass sich der Gesetzgeber der Möglichkeit von 3-Personen-Verhältnissen nicht bewusst war und er darüber hinaus mit Patient zumindest auch die tatsächlich behandelte Person meinen muss. Dies wird am Beispiel eines Minderjährigen (10 Jahre alt) deutlich: Der Minderjährige selbst kann wegen §§ 107, 106 BGB ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters keinen Behandlungsvertrag schließen. In der Regel werden die gesetzlichen Vertreter einen Vertrag zugunsten des Kindes, § 328 BGB, abschließen,444 sodass die gesetzlichen Vertreter Vertragspartner i. S. d. § 630a Abs. 1 BGB werden. Wird Wortverständnis 1 zugrunde gelegt, so wären die gesetzlichen Vertreter gem. § 630e Abs. 1 S. 1 BGB aufzuklären und müssten gem. § 630d Abs. 1 S. 1 BGB die Einwilligung erklären. Patient i. S. d. Abs. 5 wären dann auch die Eltern mit der Folge, dass § 630e Abs. 5 BGB leerlaufen würde, weil die Eltern bereits gem. § 630e Abs. 1 BGB aufgeklärt wurden. Das zehnjährige Kind wäre folglich überhaupt nicht aufzuklären. Der Anwendungsbereich des § 630e Abs. 5 BGB wäre somit bei Minderjährigen so gut wie nie eröffnet. Dass der Gesetzgeber jedoch insbesondere auch an diese gedacht hat, wird durch das Beispiel der Säuglinge deutlich, die der Ausschuss für Gesundheit als Ausnahmefall des § 630e Abs. 5 BGB genannt hat.445 Schließlich gebietet 443
BT-Drs. 17/10488, 1 (23). Siehe bereits die Nachweise in Kap. D. Fn. 38. 445 BT-Drs. 17/11710, 1 (29). 444
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E. Aufklärungspflicht
die systematische Auslegung, dass ein Auslegungsergebnis nicht dazu führen darf, dass eine andere Norm ihre Funktion einbüßt, dies spricht gegen ein solches Auslegungsergebnis.446 Die Auslegung sollte somit nicht dazu führen, dass § 630e Abs. 5 BGB in weiten Teilen seines Anwendungsbereichs beraubt wird. Zudem kann es nicht die Intention des Gesetzgebers gewesen sein, die zusätzliche Aufklärung des Minderjährigen davon abhängig zu machen, ob er mit Zustimmung seiner Eltern einen eigenen Vertrag schließt (dann Aufklärung nach Abs. 5) oder ob seine Eltern einen Vertrag zu seinen Gunsten abschließen (dann keine Aufklärung nach Abs. 5). Darüber hinaus käme es bei einem derartigen Verständnis in den Fällen, in denen die gesetzlichen Vertreter den Vertrag abschließen, aufgrund des Zusammenspiels mit § 630d BGB nicht mehr auf eine etwaige Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen an. Deswegen liegt es nahe, dass der Gesetzgeber unter Patient im Rahmen des § 630e BGB die tatsächlich behandelte Person versteht. Da Sinn und Zweck der Norm die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts ist, spricht zudem auch die teleologische Auslegung dafür, dass im Rahmen des § 630e BGB nur die tatsächlich behandelte Person gemeint ist. Denn da es um die Behandlung der tatsächlich behandelten Person geht, kann grundsätzlich auch nur diese über ihre diesbezüglichen Grundrechte disponieren und niemand sonst. Schließlich gibt es auch keinen Grund, warum der Vertragspartner über die Risiken, den Verlauf, die Erfolgschancen etc. aufgeklärt werden sollte, denn ihn betrifft der Eingriff nicht und seine Haltung diesbezüglich ist für die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts des tatsächlich Behandelten grundsätzlich irrelevant. Dem Vertragspartner stünden aufgrund der Aufklärung keinerlei Rechte oder Handlungsmöglichkeiten zu. Schließlich spricht auch die Tatsache, dass eine Aufklärung des Vertragspartners in Einzelfällen gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB verstößt und dann gem. §§ 134, 139 BGB nichtig ist, gegen eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Vertragspartner. Zudem wäre eine derartige Pflicht wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der tatsächlich behandelten Person (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung447 verfassungswidrig und dementsprechend ebenfalls nichtig. Im Rahmen der Gesetzesauslegung gilt jedoch der Grundsatz der verfassungskonformen Gesetzesauslegung, nach welchem von verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten einer solchen der Vorrang einzuräumen ist, die nicht gegen die Verfassung verstößt.448 446
Siehe dazu oben unter A. III. 1. c). Siehe dazu oben unter C. I. 5. 448 Siehe dazu oben unter A. III. 1. e). 447
VI. Aufklärungsempfänger
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Deswegen ist im Rahmen des § 630e BGB davon auszugehen, dass der Gesetzgeber unter Patient die tatsächlich behandelte Person versteht, also Wortverständnis 2 zugrunde gelegt hat. b) § 630e Abs. 4, 5 BGB Ist die tatsächlich behandelte Person einwilligungsunfähig, so ist gem. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB der Berechtigte aufzuklären, § 630e Abs. 4 BGB. In diesen Fällen ist die tatsächlich behandelte Person gem. § 630e Abs. 5 BGB entsprechend ihres Verständnisses aufzuklären, soweit sie aufgrund ihres Entwicklungsstandes und ihrer Verständnismöglichkeiten in der Lage ist, die Erläuterung aufzunehmen. Die Regelung des § 630e Abs. 5 BGB resultiert aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung Einwilligungsunfähiger,449 der Ausschuss für Gesundheit hatte sich hierauf bereits in seiner Beschlussempfehlung bezogen.450 Der letzte Halbsatz des Abs. 5, der einschränkend verlangt, dass die Aufklärung der tatsächlich behandelten Person nur soweit erfolgen dürfe, wie sie nicht ihrem Wohl zuwiderläuft, ist jedoch aus den gleichen Gründen abzulehnen, aus denen auch ein therapeutisches Privileg als Ausnahmetatbestand im Rahmen des Abs. 3 abzulehnen ist.451 Informiert der Behandelnde die tatsächlich behandelte Person entgegen § 630e Abs. 5 BGB nicht, so stellt dies eine Pflichtverletzung i. S. d. § 280 Abs. 1 BGB dar.452 Ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB erfordert neben der Pflichtverletzung und deren Vertretenmüssen (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB) auch die Verursachung eines kausalen Schadens. Vertreten wird, dass die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden gegeben sein könne, wenn der gem. Abs. 5 aufzuklärenden tatsächlich behandelten Person ein Vetorecht zugestanden werde;453 die Behandlung und die daraus resultierenden Folgen würden dann den Schaden darstellen. Ein Vetorecht wurde oben jedoch bereits abgelehnt,454 sodass dies nicht als Begründung eines Schadensersatzanspruchs herangezogen werden kann. Angeführt wird auch, dass sich die Kausalität eines solchen Schadens dann begründen ließe, wenn der gem. § 630e Abs. 5 BGB Aufzuklärende nach einer Erläuterung gem. § 630e Abs. 5 BGB die Maßnahme abgelehnt und der Berech449
BVerfGE 128, 282 (310). BT-Drs. 17/11710, 1 (29). 451 Siehe dazu unter E. VII. 2. d). 452 Ebenso Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 14; Kreße, MedR 2015, 91 (94). 453 Dafür wohl Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 14; ein Vetorecht mit der Begründung, dass der Gesetzgeber ein solches an anderen Stellen (bspw. im AMG sowie im MPG) geregelt habe, im Patientenrechtegesetz dagegen nicht, ablehnend Kreße, MedR 2015, 91 (94). 454 Siehe dazu oben unter D. I. 450
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E. Aufklärungspflicht
tigte daraufhin seine Einwilligung verweigert hätte.455 Da der Berechtigte aber bereits selbst den natürlichen Willen des Einwilligungsunfähigen ermitteln soll, um seine Entscheidung für oder gegen eine Einwilligung zu treffen, wird es schwierig sein, einen derartigen Beweis zu führen.456 Darüber hinaus könnte dann gegebenenfalls auch der Berechtigte zur Haftung gezogen werden, sodass der Behandelnde und der Berechtigte als Gesamtschuldner gem. § 421 BGB haften würden. Letztlich ist es jedoch nicht überzeugend, den Schaden in der Behandlung und den daraus resultierenden Folgen zu sehen. Denn ein Verstoß gegen § 630e Abs. 5 BGB führt nicht dazu, dass die vom Berechtigten erteilte Einwilligung aufgrund mangelhafter Aufklärung unwirksam ist, §§ 630e Abs. 4, 630d Abs. 1 S. 2 BGB sind unabhängig von § 630e Abs. 5 BGB.457 Dies wird bestätigt durch die Regelung des § 630d Abs. 2 BGB, welcher als Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung lediglich die Absätze 1 bis 4 des § 630e BGB nennt, nicht jedoch dessen Abs. 5.458 Dies ist auch konsequent, denn wie bereits erläutert stehen dem einwilligungsunfähigen Minderjährigen keinerlei Rechte hinsichtlich der Einwilligung zu, sodass es bei einer Aufklärung ihm gegenüber auch nicht um die Wahrung seines Selbstbestimmungsrechts gehen kann. Wenn der Gesetzgeber die Aufklärung der tatsächlich behandelten Person nicht als einwilligungsrelevanten Umstand ansieht, so kann auch kein Schaden allein aufgrund der Durchführung der Behandlung geltend gemacht werden. Die Behandlung an sich, ohne Vorliegen eines Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers, kann keinen Schaden darstellen. Kreße spricht sich jedoch dafür aus, im Falle der Verletzung des § 630e Abs. 5 BGB ausnahmsweise einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts459 aus § 253 Abs. 2 BGB zuzusprechen.460 Zwar sei bei Aufklärungsverstößen gegenüber Einwilligungsfähigen anerkannt, dass die Verletzung nicht derart schwerwiegend ist, um ausnahmsweise einen Anspruch wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung zu begründen, wenn der Einwilligungsfähige auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte und die Behandlung keinen Gesundheitsschaden verursacht hat.461 Dies sei im Falle des Abs. 5 jedoch anders, die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wieKreße, MedR 2015, 91 (94 f.). Kreße, MedR 2015, 91 (95). 457 BT-Drs. 17/11710, 1 (29); so auch BVerfGE 128, 282 (310). 458 So auch Kreße, MedR 2015, 91 (94). 459 Siehe dazu oben unter C. I. 5. 460 Kreße, MedR 2015, 91 (95); ähnlich Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 24, jedoch in Bezug auf § 823 Abs. 1 BGB. 461 Dazu näher unter E. IX. 1. a). 455 456
VI. Aufklärungsempfänger
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ge hier schwerer, da der Einwilligungsunfähige in gewisser Weise lediglich Objekt der Behandlung sei, weil die Behandlung auch gegen seinen natürlichen Willen erfolgen könne.462 Der verfassungsrechtliche Schutz der Einwilligungsunfähigen liefe leer, wenn ein Verstoß gegen § 630e Abs. 5 BGB nicht sanktioniert würde, was nur durch einen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden möglich sei, da andere Ansprüche faktisch nicht bestünden.463 Allerdings ist dies vor dem Hintergrund der Rechtsprechung nicht überzeugend. Die Rechtsprechung lehnt einen Anspruch auf Schmerzensgeld nicht nur dann ab, wenn der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte und die Behandlung keinen Schaden verursacht hat, sondern sowohl auch dann, wenn der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte und es zu einem Gesundheitsschaden gekommen ist, als auch dann, wenn der Einwand der hypothetischen Einwilligung zwar nicht greift, es jedoch nicht zu einem Gesundheitsschaden des Patienten gekommen ist.464 Lehnt die Rechtsprechung bereits in derartigen Fällen einen (bloßen) Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Verletzung des Selbstbestimmungsrechts ab, so ist nicht davon auszugehen, dass sie dies im Rahmen des § 630e Abs. 5 BGB anders handhaben würde. Dies kann auch nicht damit begründet werden, dass ein Verstoß gegen Abs. 5 sonst folgenlos bliebe, denn dieses Ergebnis ergibt sich in den genannten Konstellationen auch bei der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des einwilligungsfähigen Patienten. Deswegen ist davon auszugehen, dass bei einem Verstoß gegen Abs. 5 wohl keine Konsequenzen drohen.465 Da die Aufklärung nach Abs. 5 nicht dazu dient, dem Behandelten die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts zu ermöglichen, sondern vielmehr dessen Informationsinteressen dient, lässt sich vertreten, dass eine Regelung bei den Informationspflichten des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB naheliegender gewesen wäre.466 Allerdings orientiert sich der Inhalt der nach Abs. 5 geschuldeten Auskunft an dem der nach § 630e Abs. 1 BGB geschuldeten Aufklärung und nicht an den Inhalten der nach § 630c BGB geschuldeten Informationen; § 630e Abs. 5 S. 1 BGB verweist auf § 630e Abs. 1 BGB, für Ausnahmen verweist § 630e Abs. 5 S. 2 BGB auf § 630e Abs. 3 BGB. Schließlich wäre bei einer Regelung bei den Informationspflichten des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB die Konsequenz, dass ein Verstoß als Behandlungsfehler eingeordnet würde, was auch nicht überzeugend ist. Kreße, MedR 2015, 91 (95). Kreße, MedR 2015, 91 (95). 464 Siehe dazu ausführlicher unter E. IX. 1. a). 465 Ähnlich Voigt, der die Haftung für „beschränkt und praktisch kaum einmal greifbar“ hält, NK-BGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 17, sowie Andreas, ArztR 2013, 117 (121) („sanktionslos“). 466 So NK-BGB/Voigt, § 630e, Rdnr. 13. 462 463
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E. Aufklärungspflicht
Deswegen ist die systematische Regelung im Rahmen des § 630e BGB zu befürworten. c) Zusammenfassung der Ergebnisse Unter erheblichem Auslegungsaufwand lässt sich ermitteln, dass unter dem Begriff des Patienten im Rahmen des § 630e BGB ausschließlich die tatsächlich behandelte Person und nicht der Vertragspartner zu verstehen ist. Andernfalls wäre die Aufklärungspflicht in manchen Fällen wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB i. V. m. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB) sowie die Verfassung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) nichtig, zudem würde § 630e Abs. 5 BGB in weiten Teilen seines Anwendungsbereiches beraubt. Ein Verstoß gegen die Regelung des § 630e Abs. 5 BGB führt nicht dazu, dass die Einwilligung unwirksam ist. Für einen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB fehlt es regelmäßig am Schaden. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Rechtsprechung einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuspricht. Vielmehr drohen bei einem Verstoß letztlich wohl keine Konsequenzen.
3. Bewertung Die vom Gesetzgeber im Rahmen des § 630a Abs. 1 BGB geschaffene Unklarheit hinsichtlich des Begriffs des Patienten stellt einen eklatanten Mangel dar, der die Qualität des gesamten Gesetzes schmälert, weil er sich durch das gesamte Gesetz zieht und stets eine umfassende Auslegung zur Ermittlung des Bedeutungsgehalts des Begriffs in der konkreten Regelung erfordert. Es ist absolut nicht nachvollziehbar, warum er den Patienten als Vertragspartner legaldefiniert. Dies widerspricht sämtlichen dogmatischen Grundsätzen. Grundsätzlich hat sich der Gesetzgeber bei der Verwendung von Begriffen am allgemeinen Sprachgebrauch zu orientieren, was erst recht dann gilt, wenn er seine Regelungen wie beim Patientenrechtegesetz an den Bürger adressiert und dieser häufig in den gesetzlichen Regelungsbereich kommt.467 Dies ist beim Behandlungsvertrag der Fall. Jeder Bürger wird zwangsläufig in seinem Leben hin und wieder einen Behandlungsvertrag abschließen müssen; dies lässt sich nicht vermeiden. Der Bürger kann sich dem Anwendungsbereich der Regelungen somit kaum entziehen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist Patient jedoch die tatsächlich behandelte Person und nicht der Vertragspartner. Ein Abweichen vom allgemeinen Sprachgebrauch sollte jedoch nur dann erfolgen, wenn es der Vereinfachung 467
Siehe dazu oben unter A. III. 1. a).
VII. Ausnahmen
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dient.468 Hier ist gerade das Gegenteil der Fall: Die Definition als Vertragspartner verkompliziert die Regelungen und macht eine Verständlichkeit für den Bürger nahezu unmöglich. Schließlich ist auch die Verwendung einer Legaldefinition nur dann sinnvoll, wenn sie zu einer besseren Anwendbarkeit führt und der Definitionsbegriff präziser ist als der definierte Begriff.469 Auch diesbezüglich ist jedoch genau das Gegenteil der Fall, die Verwendung des Begriffs Vertragspartner oder Leistungserbringer wäre präziser gewesen. Zudem war eine derartige Legaldefinition nicht nötig. Hier bestätigt sich, dass eine unnötige Definition dem Gesetz schadet.470 Darüber hinaus gilt, dass bei einer zusammenhängenden Regelung von einem feststehenden Begriff nicht ohne entsprechende Begründung abgewichen werden sollte, um Rechtssicherheit zu gewährleisten;471 auch diesen Grundsätzen widerspricht der Gesetzgeber, indem er den Patienten in § 630a BGB als Vertragspartner definiert, im Rahmen von § 630e BGB darunter jedoch die tatsächlich behandelte Person versteht. Der Gesetzgeber schafft dadurch eine widersprüchliche, intransparente Rechtsordnung und sorgt weder für Rechtssicherheit noch für Verständlichkeit. Schließlich sollte der Gesetzgeber mit einer Legaldefinition nicht ein Begriffsverständnis schaffen, dass in den unmittelbar folgenden Paragrafen dazu führt, dass einzelne Regelungen bei Anwendung dieser Legaldefinition ihres Anwendungsbereichs weitestgehend beraubt werden (§ 630e Abs. 5 BGB) oder gar aufgrund eines Verstoßes gegen die Verfassung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB i. V. m. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB) nichtig sind. Die Regelung des § 630e Abs. 5 BGB ist zu begrüßen. Sie dient dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Einwilligungsunfähigen in Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.472 Allerdings hätte die Einschränkung hinsichtlich des Wohls des Einwilligungsunfähigen unterbleiben sollen. Die Vorschrift wird jedoch kaum praktische Relevanz entfalten, da kein konkreter Anreiz zur Pflichterfüllung zu erkennen ist und bei einem Verstoß wohl keine Konsequenzen drohen.
VII. Ausnahmen Die Aufklärung kann ausnahmsweise entbehrlich sein. Wann dies nach der bisherigen Rechtsprechung der Fall war, wird zunächst untersucht. Bei der Analyse 468
Siehe dazu oben unter A. III. 1. a). Siehe dazu oben unter A. III. 1. a). 470 Siehe dazu oben unter A. III. 1. a). 471 Siehe dazu oben unter A. III. 1. c). 472 Siehe dazu oben unter C. I. 5. 469
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E. Aufklärungspflicht
der gesetzlichen Regelung werden etwaige Abweichungen von dieser Linie geprüft. Hierbei werden die vier Unterkonstellationen der Unaufschiebbarkeit, des Aufklärungsverzichts, der vorhandenen Kenntnis sowie der therapeutischen Gründe unterschieden. Abschließend wird die Qualität der gesetzlichen Regelung bewertet.
1. Richterrecht Möglich ist zunächst, dass ein Eingriff so dringlich ist, dass er ohne Rücksicht auf eine Aufklärung erfolgen muss.473 Der Patient kann auf die Aufklärung verzichten.474 Dies ergibt sich daraus, dass es Bestandteil des Selbstbestimmungsrechts ist, sich Beunruhigungen durch Erläuterungen von Gefahren zu ersparen und dem Arzt aufgrund des bestehenden Vertrauens freie Hand zu geben.475 Die Anforderungen an einen besonders weitgehenden Aufklärungsverzicht sind jedoch streng.476 Ein Verzicht ist deutlich und unmissverständlich zu erklären und darf nicht in der irrigen Annahme des Bestehens lediglich geringer Risiken erteilt werden.477 Gefordert wurde auch bereits ein ausdrücklicher Verzicht.478 Ist der Patient bereits voraufgeklärt, so ist eine erneute Aufklärung nicht erforderlich.479 Allerdings kann bei einem großen zeitlichen Abstand nicht mehr damit gerechnet werden, dass sich der Patient noch an die Aufklärung erinnert und diese richtig werten könne.480 Gleiches gilt, wenn der Patient aufgrund eigener beruflicher Kenntnisse481 oder aus sonstigen Gründen über das notwendige Wissen verfügt.482 Allerdings ist auch ein fachlich gebildeter Patient nur dann nicht 473 OLG Bremen, MedR 1983, 111 (112) (eine derartige Dringlichkeit jedoch ablehnend); ein Fall mit derartiger Dringlichkeit in der Sonderkonstellation eines ausländischen Patienten OLG Braunschweig, zfs 2003, 114 (114 f.). 474 BGH, NJW 1973, 556 (558). 475 BGH, NJW 1973, 556 (558). 476 BGH, NJW 1973, 556 (558). 477 OLG Hamm, 3 U 41/09; vgl. OLG Bremen, MedR 1983, 111 (112). 478 OLG Frankfurt, NJW 1973, 1415 (1416); von einem ausdrücklichen Verzicht sprechend auch BGH, NJW 1971, 1887 (1887); die Möglichkeit eines konkludenten Verzichts eventuell andeutend BGHZ 29, 46 (54); ebenso OLG Bremen, MedR 1983, 111 (112). 479 BGH, NJW 1994, 2414 (2415) (Aufklärung von anderer Seite); BGH, NJW 1980, 1333 (1334) (berufliche Vorkenntnisse); BGH, NJW 2003, 2012 (2014) sowie OLG Köln, MedR 2004, 567 (568) (Vorwissen aufgrund vorherigen Eingriffs); BGH, VersR 1983, 957 (958) (Aufklärung bereits durch anderen Arzt in anderem Krankenhaus); BGH, NJW 1984, 1807 (1808 f.) (Voraufklärung durch anderen Arzt abgelehnt). 480 OLG Hamm, GesR 2005, 401 (402) (im konkreten Fall etwa fünf Jahre). 481 BGH, VersR 1961, 1036 (1038); OLG Hamm, VersR 1998, 322 (323). 482 OLG Celle, VersR 2004, 384 (385).
VII. Ausnahmen
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aufzuklären, wenn der Aufklärungspflichtige von der Kenntnis des Patienten weiß oder diese auf der Hand liegen.483 Bei einem Arzt eines anderen Fachgebiets oder einem Arzt im Praktikum kann nicht ohne weiteres eine derartige Kenntnis angenommen werden.484 Unterlässt der Arzt die Aufklärung, muss er sich jedoch zuvor vergewissern, dass eine Aufklärung tatsächlich nicht erforderlich ist.485 In Einzelfällen hat die Rechtsprechung zwar erläutert, dass eine Aufklärung über ein bestimmtes Risiko ausnahmsweise unterbleiben könne, wenn die Aufklärung den Patienten so belasten würde, dass dies therapeutisch nicht verantwortbar wäre, sie hat dies jedoch bisher in keinem Fall tatsächlich angenommen.486 Voraussetzung sei, dass die „Eröffnung der Natur des Leidens zu einer ernsten und nicht behebbaren Gesundheitsschädigung des Patienten führe[…]“.487 Damit das Selbstbestimmungsrecht nicht unterlaufen wird, gelten jedoch für die Annahme einer therapeutischen Unzumutbarkeit strenge Anforderungen.488 Nicht ausreichend ist ein allgemeiner Hinweis auf die Schwere der Erkrankung.489 Auch eine depressive Veranlagung des Patienten stellt keinen Grund dar, dies hat allenfalls Auswirkungen auf die Art und Weise, wie der Patient aufzuklären ist.490 Eine durch die Aufklärung erfolgende Beeinträchtigung der Stimmung oder gar des Allgemeinbefindens des Patienten stellt einen in Kauf zu nehmenden unvermeidbaren Nachteil dar.491
2. § 630e Abs. 3 BGB Die Aufklärung kann gem. § 630e Abs. 3 BGB in bestimmten Fällen eingeschränkt sein oder ganz entfallen.492 Durch die Verwendung des Terminus „soweit“ wird deutlich, dass die Aufklärung nicht zwingend ganz entfallen muss, 483
OLG Frankfurt, MedR 2009, 532 (535). OLG Frankfurt, MedR 2009, 532 (535); OLG Hamm, 3 U 41/09. 485 BGH, NJW 1984, 1807 (1809); vgl. OLG Hamm, 3 U 41/09. 486 BGHZ 90, 103 (109) (eine derartige Ausnahme jedoch ablehnend); vgl. BGHZ 85, 327 (333) in einer Entscheidung zur Einsicht in Krankenunterlagen, in der aber auf die Parallele bei der Aufklärung Bezug genommen wird; BGH, NJW 1979, 1933 (1934) (wo „therapeutische Gründe für eine besondere Schonung des Patienten nicht ersichtlich sind“); BGH, NJW 1972, 335 (337) (zwingende therapeutische Erwägungen können der Aufklärung entgegenstehen); die Möglichkeit eines therapeutischen Privilegs offenlassend OLG Stuttgart, NJW 1958, 262 (263); kritisch zum therapeutischen Privileg bereits KG, NJW 1981, 2521 (2523). 487 BGHZ 29, 176 (185). 488 BGHZ 90, 103 (109 f.); vgl. BGHZ 85, 327 (333). 489 BGHZ 90, 103 (110). 490 BGH, NJW 1956, 1106 (1107). 491 BGH, NJW 1956, 1106 (1107). 492 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 484
182
E. Aufklärungspflicht
sondern auch lediglich im Umfang reduziert sein kann. Zudem wird durch die Verwendung des Begriffs „insbesondere“ deutlich, dass die genannten Ausnahmen nicht abschließend sind. Der Referentenentwurf enthielt noch eine nummerierte Aufzählung von vier abschließend genannten Gründen. Neben den beiden im Gesetz genannten Konstellationen der Unaufschiebbarkeit und des Verzichts waren im Referentenentwurf noch die Möglichkeit der entgegenstehenden erheblichen therapeutischen Gründe sowie der eigenen Fachkenntnis des Patienten genannt. Dass diese beiden im Wortlaut des Gesetzes fehlen, könnte darauf hindeuten, dass sie nun nicht mehr als Ausnahmekonstellationen anerkannt werden. Allerdings ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass der Gesetzgeber sie auch weiterhin anerkennt, dazu sogleich näher bei den Einzelerläuterungen. Der Bundesrat hatte im Gesetzgebungsgefahren gefordert, die Ausnahmen auf die Konstellationen der Unaufschiebbarkeit, Unmöglichkeit und des ausdrücklichen Verzichts zu begrenzen.493 Dem ist der Gesetzgeber jedoch zu Recht nicht nachgekommen, denn es ist nicht ersichtlich, warum ein voraufgeklärter Patient erneut aufgeklärt werden sollte. Zudem bietet die nicht abschließende Formulierung genügend Spielraum für die zukünftige Rechtsprechung. Die Regelung ähnelt der des § 630c Abs. 4 BGB, sodass auch eine entsprechende Anwendung dieser Norm hätte angeordnet werden können.494 Da Information und Aufklärung jedoch unterschiedlichen Rechtsgütern dienen, sich in der Beweislast unterscheiden und unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen, ist es jedoch zu befürworten, eine je eigene Regelung in den beiden Paragrafen aufzunehmen. a) Unaufschiebbarkeit Als ein Beispiel für eine Entbehrlichkeit der Aufklärung nennt das Gesetz die Unaufschiebbarkeit, § 630e Abs. 3 Hs. 2 Var. 1 BGB. Unaufschiebbar ist eine Maßnahme, wenn sie keinen Aufschub duldet und bei längerem Zuwarten erhebliche Gefahren für die Gesundheit des Patienten eintreten können.495 Insofern entspricht diese Variante der Rechtsprechung zu dringlichen Eingriffen. Maßgeblich ist allein der zeitliche Faktor, die Grenzen sind eng.496 Je nach Dringlichkeit ist von einer eingeschränkten Aufklärung bis hin zum vollständigen Entfallen alles möglich.497 In einem solchen Fall ist die Aufklärung nachzuholen, sog. 493
BR-Drs. 312/12, 1 (13). BRAK, Stellungnahme Nr. 12/2012, 1 (7). 495 BT-Drs. 17/10488, 1 (25); Palandt/Weidenkaff, § 630e, Rdnr. 12. 496 Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 45. 497 Vgl. JurisPK-BGB/Schmidt, § 630e, Rdnr. 50; BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 53. 494
VII. Ausnahmen
183
nachträgliche Sicherungsaufklärung.498 Hinsichtlich dieser Ausnahmekonstellation ergeben sich somit keine Unterschiede zur bisherigen Rechtsprechung. b) Aufklärungsverzicht Als weiteres Beispiel für die Unaufschiebbarkeit nennt das Gesetz den Aufklärungsverzicht, § 630e Abs. 3 Hs. 2 Var. 2 BGB. Die an einen Aufklärungsverzicht gestellten Anforderungen sind jedoch streng.499 Ist sogar ein Aufklärungsverzicht möglich, so muss bei Vorliegen der Voraussetzungen maiore ad minus auch eine Aufklärung in geringerem Umfang möglich sein,500 dies deckt sich auch mit dem Wortlaut „soweit“. So steht es dem Patienten beispielsweise frei, dem Behandelnden die Auswahl der vorzunehmenden Behandlungsalternative zu überlassen. Der Patient kann insofern auf sein Selbstbestimmungsrecht verzichten und sich der Entscheidung des Arztes anvertrauen, dies ist Ausfluss seines Selbstbestimmungsrechts.501 Ein Aufklärungsverzicht ist ausgeschlossen, wenn nicht der Patient selbst, sondern der Berechtigte i. S. d. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB Aufklärungsadressat ist. Da es bei der Aufklärung gegenüber dem Berechtigten um die Rechtsgüter einer anderen Person und um die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten für diesen geht, kann der Berechtigte hierauf nicht verzichten. Ein Verzicht ist immer nur in Bezug auf eigene Rechtsgüter möglich. Die Gesetzesbegründung spricht jedoch nicht von einem abschließenden Ausschluss, sondern nur von „sollte […] nicht möglich sein“,502 hier hätte sich der Gesetzgeber klarer positionieren sollen. Vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes wurde häufig noch für das Ausreichen einer konkludenten Verzichtserklärung plädiert.503 Der Gesetzeswortlaut des Abs. 3 verlangt jedoch Ausdrücklichkeit, sodass jedenfalls in Zukunft konkludente Erklärungen nicht mehr ausreichen dürften.504 Allerdings bedeutet Aus498
BGHZ 163, 209 (217). Siehe dazu unter F. II. 2. b) aa). BT-Drs. 17/10488, 1 (25, 22); BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 54; Spickhoff/ Knauer/Brose, § 223 StGB, Rdnr. 78. 500 Jauernig/Mansel, § 630e, Rdnr. 10. 501 Vgl. Palandt/Weidenkaff, § 630e, Rdnr. 12. 502 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 503 So Heyers, BRJ 2012, 135 (143); Schmid, NJW 1984, 2601 (2606); Roßner, NJW 1990, 2291 (2294 f.); nur bei einem „ganz eindeutigen Fall“ Laufs/Kern/Laufs, § 60 Rdnr. 18; Deutsch, NJW 1983, 1351 (1354); nur „in engen Grenzen“ Ehlers, Die ärztliche Aufklärung vor medizinischen Eingriffen, 1987, 101. 504 Ausdrücklichkeit fordernd auch Spickhoff/Knauer/Brose, § 223 StGB, Rdnr. 78; Schöch, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, 2010, 51 (72); NK-StGB/Paeff gen/Zabel, § 228, Rdnr. 81; aufgrund § 630e Abs. 3 BGB ebenso Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 500. 499
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E. Aufklärungspflicht
drücklichkeit ebenso wie im Rahmen des § 630c Abs. 4 BGB nicht, dass die Worte „Verzicht“ oder „verzichten“ fallen müssen.505 Streitig ist, in welchem Umfang auf die Aufklärung verzichtet werden kann. Für einen Blankoverzicht, also einen Verzicht auf jegliche Aufklärung, wird vorgebracht, dass es auch ein Recht auf Nichtwissen als Bestandteil der Patientenautonomie gebe, sodass der Patient den Verzicht lediglich deutlich, klar und unmissverständlich äußern müsse.506 Überwiegend wird ein Blankoverzicht jedoch für unzulässig erachtet.507 Ein Verzicht sei nur dann wirksam, sofern der Patient Erforderlichkeit, Chancen und Risiken des Eingriffs zutreffend erkannt hat und seinen Verzicht freiwillig, ohne Beeinflussung des Behandelnden, klar, deutlich und unmissverständlich kundgetan hat.508 Auch der Gesetzgeber scheint dieser Ansicht zu sein. Im Rahmen der Gesetzesbegründung zu § 630e Abs. 3 BGB findet sich der Verweis auf die Ausführungen zu § 630c Abs. 4 BGB.509 Im Rahmen des § 630c Abs. 4 BGB wird erläutert, dass der Patient „die Erforderlichkeit der Behandlung sowie deren Chancen und Risiken zutreffend erkannt haben“ muss.510 Deswegen scheint auch der Gesetzgeber zumindest eine Basisaufklärung als Voraussetzung anzusehen. Allerdings geht die von ihm geforderte Auf505
Siehe dazu unter F. II. 5. b) bb) (2). Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 11; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 500. Für die Zulässigkeit auch Knauer/Brose mit der Begründung, dass es das Recht des Patienten sei, sich von den negativen Seiten der Maßnahme keine Vorstellung machen zu wollen; sie gehen zudem davon aus, dass aufgrund des § 630c Abs. 4 BGB der Blankoverzicht nun eindeutig zulässig sei, Spickhoff/Knauer/Brose, § 223 StGB, Rdnr. 78. Der Verweis auf § 630c Abs. 4 BGB ist jedoch falsch, hier müsste auf § 630e Abs. 3 verwiesen werden. Für die Zulässigkeit wohl auch Duttge, DuD 2010, 34 (37). 507 Laufs/Kern/Laufs, § 60 Rdnr. 18; Olzen/Metzmacher, JR 2012, 271 (275); Ehlers/Broglie/Ehlers, Kap. 6 B, Rdnr. 917; Roßner, NJW 1990, 2291 (2294 f.); Harmann, NJOZ 2010, 819 (824); Heyers, BRJ 2012, 135 (144) („zumindest eine vage Vorstellung von den Konturen des Verzichtsgegenstands“); Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 47; BPS/Wever, § 630e BGB, Rdnr. 57; vgl. BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 54; Wenzel/Steinmeister, BuGBl 58 (2015), 23 (29); im Ergebnis so wohl auch BT-Drs. 17/10488, 1 (25, 22 f.); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (31); Lepa, in: Brandner/Hagen/Stürner (Hrsg.), Festschrift für Karlmann Geiß, 2000, 449 (451), der zwar die negative Seite des Selbstbestimmungsrechts anerkennt, jedoch trotzdem eine reduzierte Aufklärung als Voraussetzung verlangt. 508 Vgl. BT-Drs. 17/10488, 1 (25, 22 f.); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (31); Palandt/Weidenkaff, § 630e, Rdnr. 12; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 60; Hassner, VersR 2013, 23 (28); Erman/Rehborn/Gescher, § 630e, Rdnr. 47 („Grundvorstellung“ erforderlich); Laufs/Kern/Laufs, § 60 Rdnr. 18 („Erforderlichkeit des Eingriffs […], dessen Art sowie den Umstand, dass die Operation nicht ganz ohne Risiko verlaufe“). 509 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 510 BT-Drs. 17/10488, 1 (22 f.). 506
VII. Ausnahmen
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klärung sogar über eine Basisaufklärung hinaus. Es kann nicht erforderlich sein, auf sämtliche Chancen und Risiken hinzuweisen, denn dann wäre die Reichweite eines Verzichts erheblich eingeschränkt. Ohnehin ist selbst das Erfordernis einer Grundaufklärung abzulehnen. Da die Aufklärung ausschließlich die Rechtsgüter des Patienten betrifft und sein Selbstbestimmungsrecht wahren soll und der durch die Einwilligung gerechtfertigte Eingriff auch nur das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Patienten betrifft, ist nicht ersichtlich, warum der Patient nicht entscheiden können sollte, ob er auf jegliche Aufklärung verzichten oder ob er zumindest eine Basisaufklärung erhalten möchte. Das Selbstbestimmungsrecht führt nicht zu einer Selbstbestimmungspflicht des Patienten.511 Schließlich steht dem Patienten auch das Recht zur Krankheit zu.512 Deswegen sollte ein Blankoverzicht als Ausfluss des Rechts auf Nichtwissen513 grundsätzlich möglich sein. Es muss im Ermessen des Patienten stehen, ob und in welchem Umfang er Aufklärung erhalten möchte. Der Patient darf jedoch nicht zu einem Blankoverzicht gedrängt werden; es muss sich um einen freiwillig und ohne Beeinflussung durch den Behandelnden erteilten Verzicht handeln. Aufgrund der erheblichen Bedeutung für die Praxis wäre eine eindeutige Positionierung des Gesetzgebers wünschenswert gewesen, um den Behandelnden mehr Rechtssicherheit zu bieten. Schließlich wollte der Gesetzgeber mit dem Gesetz ausdrücklich für Rechtssicherheit sorgen.514 Dies ist ihm an dieser Stelle nicht gelungen. c) Vorhandene Kenntnis Nach der Gesetzesbegründung kann eine Aufklärung auch dann entbehrlich sein, wenn der Patient bereits über eigene Sachkenntnisse verfügt.515 Weitere Ausführungen macht die Gesetzesbegründung nicht; sie verweist im Übrigen auf die Maßstäbe des § 630c Abs. 4 BGB,516 sodass die dortigen Ausführungen517 übertragen werden können. Der Behandelnde muss sich jedenfalls, entsprechend der bisherigen Rechtsprechung, vergewissern, dass dieses Wissen tatsächlich besteht und noch aktuell ist,518 eine Aufklärung mithin tatsächlich nicht erforderlich ist.
Ebenso Tröndle, MDR 1983, 881 (885). Siehe dazu oben unter C. I. 3. 513 Siehe dazu oben unter C. I. 3. 514 BT-Drs. 17/10488, 1 (1, 9, 10). 515 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 516 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 517 Siehe dazu unter F. II. 5. b) bb) (3). 518 Vgl. Spickhoff/Spickhoff, § 630e BGB, Rdnr. 12. 511
512
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E. Aufklärungspflicht
d) Therapeutische Gründe Im Vergleich zur Fassung des Referentenentwurfs ist die Nennung der Aufklärung entgegenstehender erheblicher therapeutischer Gründe als Ausnahmevorschrift weggefallen (§ 630e Abs. 3 Nr. 2 RefE). Dies resultiert vermutlich daraus, dass ein sog. therapeutisches Privileg immer zurückhaltender angenommen wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung zum Einsichtsrecht bereits angedeutet, dass es das therapeutische Privileg wohl nicht anerkennt.519 Es ist davon auszugehen, dass es im Rahmen der Aufklärung eine ähnliche Position vertreten würde, da es sich thematisch um die gleiche Problematik handelt. Gleichwohl geht die Gesetzesbegründung noch auf das therapeutische Privileg ein, erkennt zugleich aber an, dass die Anforderungen sehr streng seien und nur in Ausnahmefällen darauf zurückgegriffen werden dürfe.520 Schließlich rechtfertige allein die Gefahr einer medizinisch unvernünftigen Entscheidung noch keine Einschränkung oder gar den Ausschluss der Aufklärungspflicht.521 Ein therapeutisches Privileg kann letztlich auch nicht anerkannt werden.522 Dem Patienten sind alle relevanten Umstände darzulegen; der Gedanke einer möglichen Schonung des Patienten kann lediglich einen Einfluss auf die Art und Weise der Aufklärung, nicht dagegen auf ihren Umfang haben.523 Es kann dann beispielsweise geboten sein, den Patienten möglichst schonend, rücksichtsvoll und einfühlsam aufzuklären. Möchte der Patient nicht die gesamte Aufklärung erhalten, so steht ihm immer noch die Möglichkeit eines Informationsverzichts offen. Der Behandelnde darf nicht paternalistisch entscheiden, was für den Patienten gut oder schlecht bzw. „zu viel Aufklärung“ ist. Dies wird der Bedeutung der Patientenautonomie nicht gerecht. Dem Patienten steht auch ein Recht zur Krankheit zu, er muss parallel dazu auch selbst entscheiden können, inwieweit er aufgeklärt werden möchte oder nicht. Die Gesetzesbegründung hält darüber hinaus noch fest, dass dann, wenn gem. Abs. 4 der Berechtigte aufzuklären ist, aus der Person des Patienten resultieren519 BVerfGK 7, 168 (176): „Ob diese Rechtsprechung, nicht zuletzt angesichts neuerer Entwicklungen und zwischenzeitlich veränderter Anschauungen, aus verfassungsrechtlicher Sicht der Weiterentwicklung in dem Sinne bedarf, dass die Persönlichkeitsrechte des Patienten höher gewichtet werden […], kann offenbleiben“. 520 BT-Drs. 17/10488, 1 (25) mit Verweis auf BGHZ 90, 103 (109 f.); ein therapeutisches Privileg anerkennend noch Deutsch, NJW 1983, 1351 (1354). 521 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 522 Ebenso Giesen, JZ 1982, 391 (394); Giesen, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. (1995), Rdnr. 329. 523 In eine solche Richtung gehend wohl auch BGH, NJW 1971, 1887 (1887 f.); ähnlich auch Dunz, Aktuelle Fragen zum Arzthaftungsrecht unter Berücksichtigung der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, 1980, 1, 47.
VII. Ausnahmen
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de, einer Aufklärung entgegenstehende therapeutische Gründe eine Aufklärung des Berechtigten nicht entbehrlich machen können.524 Vor dem Hintergrund der soeben angeführten Argumente kann dies erst recht nicht gelten, wenn therapeutische Gründe schon eine Aufklärung des Patienten selbst nicht entbehrlich machen können. e) Zusammenfassung der Ergebnisse Eine Aufklärung ist entsprechend der bisherigen Rechtsprechung dann entbehrlich, wenn es sich um eine unaufschiebbare Maßnahme handelt. In einem derartigen dringlichen Fall ist die Aufklärung jedoch als nachträgliche Sicherungsaufklärung nachzuholen. Ein Aufklärungsverzicht muss, entgegen eines Teils der bisherigen Rechtsprechung, in Zukunft ausdrücklich erklärt werden. Ein Blankoverzicht sollte als Ausfluss des Rechts auf Nichtwissen zulässig sein. Der Berechtigte i. S. d. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB kann nicht auf die Aufklärung verzichten. Eine Aufklärung kann entsprechend der bisherigen Rechtsprechung aufgrund vorhandener Kenntnis entbehrlich sein. Therapeutische Gründe stellen dagegen keinen Ausnahmetatbestand dar. Sie können allenfalls Einfluss auf die Art und Weise der Aufklärung haben.
3. Bewertung Bei der Regelung des § 630e Abs. 3 BGB ist die Verwendung einer Generalklausel mit anschließender Nennung von Einzeltatbeständen nicht derart missglückt wie bei § 630f Abs. 2 S. 1 BGB, weil der Gesetzgeber im Gegensatz zum Referentenentwurf auf die ausdrückliche Nennung der therapeutischen Gründe als Einzeltatbestand verzichtet hat. Deswegen ist insofern nur die Gesetzesbegründung missglückt, denn entgegenstehende therapeutische Gründe können die Aufklärung nicht entbehrlich machen. Allerdings wäre es naheliegend gewesen, auch die vorhandene Kenntnis als ausdrücklichen Einzeltatbestand aufzunehmen, da diese neben der Unaufschiebbarkeit und dem Verzicht einen der drei klassischen Einzeltatbestände darstellt. Schließlich hätte der Gesetzgeber im Sinne der Rechtsklarheit und Transparenz deutlicher machen sollen, dass der Berechtigte nicht auf die Aufklärung verzichten kann. Zudem sollte ein umfassender Verzicht für zulässig erklärt werden. Darüber hinaus wäre es im Sinne der Rechtssicherheit sinnvoll gewesen, sich gegenüber der vereinzelt vorhandenen Rechtsprechung eindeutig zu positio 524
BT-Drs. 17/10488, 1 (25).
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E. Aufklärungspflicht
nieren und entsprechend der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Einsichtnahme therapeutische Gründe als Ausnahmetatbestand für nicht zulässig zu erklären.
VIII. Dokumentation Hinsichtlich einer etwaigen Pflicht zur Aufklärung wird zunächst untersucht, ob die Rechtsprechung eine solche angenommen hatte. Sodann wird die Rechtslage nach dem Patientenrechtegesetz analysiert und geprüft, ob sich dadurch Änderungen ergeben haben. Schließlich erfolgt auch hinsichtlich der gesetzlichen Regelung zur Dokumentationspflicht eine Bewertung der Qualität des Gesetzes.
1. Richterrecht Nach der Rechtsprechung ist eine Dokumentation nur dann erforderlich, wenn aus medizinischen Gründen ein Anlass dafür besteht; rechtliche Gründe können dagegen keinen Anlass zur Dokumentation bieten.525 Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es aus medizinischer Sicht in der Regel nicht erforderlich ist, die Aufklärung zu dokumentieren.526 Es ist keine Entscheidung ersichtlich, die eine Pflicht zur Dokumentation der Aufklärung angenommen hätte.
2. § 630f Abs. 2 S. 1 BGB Hinsichtlich einer etwaigen Dokumentation der Aufklärung ergeben sich aus § 630e BGB keinerlei Anhaltspunkte. Dies ist auch nicht verwunderlich, da im Gesetz ein eigener Paragraf für die Dokumentationspflicht im Arzt-Patient-Verhältnis enthalten ist. Dieser soll jedoch nicht in Gänze analysiert werden, da die Dokumentationspflicht generell nicht Gegenstand dieser Arbeit ist. Es wird somit nur untersucht, ob eine Pflicht zur Dokumentation der Aufklärung besteht. § 630f Abs. 2 S. 1 BGB zählt als zu dokumentierenden Umstand beispielhaft die Aufklärung auf. Deswegen könnte in Zukunft entgegen der Rechtsprechung auch die Aufklärung grundsätzlich zu dokumentieren sein. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. 525
BGH, NJW 1993, 2375 (2376); BGH, NJW 1999, 3408 (3409); BGHZ 129, 6 (9); vgl. BGH, NJW 1989, 2330 (2331). 526 BGH, NJW 2014, 1527 (1528); ebenso Martis/Winkhart-Martis, MDR 2013, 758 (763); Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. (2014), Kap. C Rdnr. 134; Hassner, VersR 2013, 23 (32). Eine Dokumentation des Aufklärungsgesprächs grundsätzlich nicht für erforderlich haltend auch OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 398 (400).
VIII. Dokumentation
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Der Wortlaut spricht insofern zunächst für eine Dokumentation, als er die Aufklärung ausdrücklich nennt. Allerdings geht aus dem Wortlaut auch hervor, dass es sich hier lediglich um eine beispielhafte, nicht abschließende Aufzählung handelt („insbesondere“). Maßstab ist nach dem ersten Halbsatz allein, ob es sich um „aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentliche […] Maßnahmen und deren Ergebnisse“ handelt. Insoweit, als hier auf die medizinische Sicht abgestellt wird, wird an die bisherige Rechtsprechung angeknüpft, was gegen eine generelle Dokumentationspflicht der Aufklärung spricht. Zudem führt die Gesetzesbegründung aus, dass die Regelung an die bisher ergangene Rechtsprechung anknüpfen solle,527 was ebenfalls gegen eine generelle Dokumentationspflicht spricht. Allerdings geht aus der Gesetzesbegründung auch hervor, dass die bisherige Rechtsprechung durch das Gesetz fortentwickelt werden solle,528 was wiederum für eine Verschärfung gegenüber der bisherigen Rechtsprechung und mithin eine Dokumentationspflicht sprechen könnte. Aus der historischen Auslegung ergibt sich somit kein eindeutiges Ergebnis. Im Rahmen der teleologischen Auslegung ergibt sich, dass aus medizinischer Sicht eine Dokumentation der Aufklärung grundsätzlich nicht erforderlich ist. Für die derzeitige und künftige Behandlung ist es nicht erforderlich, dass sich nachvollziehen lässt, wie und in welchem Umfang der Behandelte aufgeklärt wurde; dies ändert nichts daran, welche Behandlungsmaßnahmen medizinisch sinnvoll sind oder nicht. Eine Dokumentation der Aufklärung wäre allenfalls dann relevant, wenn die identische Maßnahme noch einmal vorgenommen würde, dann könnte sich aus der Dokumentation die Entbehrlichkeit der Aufklärung aufgrund von Vorwissen ergeben. Allerdings müsste der Behandelnde sich dann trotzdem noch von der Aktualität des Vorwissens überzeugen. Einen ernsthaften Vorteil brächte diese Dokumentation somit nicht. Darüber hinaus ist die Entbehrlichkeit der Aufklärung aufgrund von Vorwissen auch kein medizinischer Gesichtspunkt, der eine Dokumentation rechtfertigen würde. Vor dem Hintergrund, dass die Dokumentation in erster Linie eine sachgerechte Behandlung und Weiterbehandlung gewährleisten soll,529 muss zudem gelten, dass die Dokumentation nicht mit unnötigen Notizen übermäßig gefüllt werden soll, denn dann würde der Blick auf das Wesentliche erschwert und das Studium der Dokumentation würde unnötig viel Zeit beanspruchen. Deswegen ist im Rahmen der teleologischen Auslegung eine Pflicht zur Dokumentation der Aufklärung abzulehnen. Aus der Auslegung ergibt sich somit, dass trotz der Nennung im Wortlaut des § 630f Abs. 2 S. 1 BGB eine Dokumentation der Aufklärung aus fachlicher Sicht 527
BT-Drs. 17/10488, 1 (25). BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 529 BT-Drs. 17/10488, 1 (25). 528
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E. Aufklärungspflicht
grundsätzlich nicht erforderlich und damit auch nicht geschuldet ist.530 Es ergeben sich somit keine Änderungen zur bisherigen Rechtsprechung. Dann dürfen sich jedoch aus einer fehlenden Dokumentation auch keine Nachteile zulasten des Arztes ergeben, beispielsweise wenn die Vornahme eines Aufklärungsgesprächs an sich streitig ist.531
3. Bewertung Hinsichtlich der Qualität der Regelung des § 630f Abs. 2 S. 1 BGB lässt sich eine ähnliche Kritik anbringen wie hinsichtlich der Regelung des § 630e Abs. 1 S. 2 BGB, auch wenn die Kritik hier genau gegensätzlich erfolgt. Die Verwendung einer Generalklausel mit anschließender Nennung von Einzeltatbeständen („insbesondere“) ist auch hier missglückt. Die Aufklärung wird als grundsätzlich zu dokumentierender Umstand aufgezählt, obwohl diese grundsätzlich nicht zu dokumentieren ist. Prinzipiell kann ein im Gesetz ausdrücklich genannter Einzeltatbestand aber nur ausnahmsweise durch Rückgriff auf die Generalklausel mit der Begründung eines atypischen Falls von der Anwendung ausgeschlossen werden,532 es bedarf eines erhöhten Begründungsaufwands. Deswegen ist es dogmatisch schlecht, wenn ein Umstand, der grundsätzlich nicht unter die Norm fallen soll, ausdrücklich bei den Einzeltatbeständen genannt wird. Dies ist mit Rechtsunsicherheit verbunden; mit einer derartigen Regelung kann keine Transparenz und erst recht keine Laienverständlichkeit hergestellt werden. Die Regelung ist vielmehr irreführend. Deswegen wäre es besser gewesen, wenn in § 630f Abs. 2 S. 1 BGB die Aufklärung nicht ausdrücklich genannt worden wäre.
IX. Rechtsfolgen eines Verstoßes Hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht werden zunächst die zivilrechtlichen Rechtsfolgen und Beweislastgrundsätze und sodann die strafrechtlichen Konsequenzen betrachtet.
530 Im Ergebnis ebenso Martis/Winkhart-Martis, MDR 2013, 758 (763); Martis/Wink hart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. A 2274 ff., Rdnr. P 66 ff. A.A. Geiß/Grei ner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. (2014), Kap. C Rdnr. 134; Hassner, VersR 2013, 23 (33); Andreas, ArztR 2013, 117 (121 f.). 531 Ebenso Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. A 2274 ff., P 66 ff. m. w. N. 532 Siehe dazu oben unter A. III. 1. c).
IX. Rechtsfolgen eines Verstoßes
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1. Zivilrechtliche Rechtsfolgen und Beweislast Zunächst wird ermittelt, welche Grundsätze nach der Rechtsprechung bezüglich der zivilrechtlichen Rechtsfolgen und der Beweislastverteilung galten. Sodann wird die Rechtslage nach §§ 630e, h BGB analysiert und untersucht, ob sich dadurch Änderungen zur Rechtsprechung ergeben. Schließlich wird die Qualität der gesetzlichen Regelungen bewertet. a) Richterrecht Verstößt der Arzt gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aufklärung, so führt dies dazu, dass die vom Patienten erteilte Einwilligung unwirksam und die gesamte Behandlung rechtswidrig ist,533 da sich die Einwilligung auf den gesamten Eingriff und nicht isoliert auf einzelne Risiken bezieht und somit unteilbar ist.534 Dem Arzt obliegt der Beweis der ordnungsgemäßen Aufklärung535 bzw. der Beweis der Gründe, aufgrund welcher eine Aufklärung nicht erforderlich war.536 Es dürfen jedoch keine unbilligen Anforderungen an die Führung eines solchen Beweises gestellt werden.537 Auch ohne schriftliche Aufzeichnungen muss dem Arzt der Beweis möglich sein.538 Hat der Arzt einigen Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht, so ist ihm im Zweifel zu glauben, dass er auch im Einzelfall ordnungsgemäß aufgeklärt hat.539 Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass sich Patienten oft im Nachhinein nicht mehr genau an den Inhalt des Aufklärungsgesprächs erinnern können.540 Es genügt, wenn er darlegt, 533
St. Rspr., siehe u. a. BGH, NJW 2015, 74 (75); BGHZ 106, 391 (394, 398); BGH, NJW 1982, 697 (698); BGH, NJW 1980, 1905 (1906); BGHZ 90, 96 (101 f.); OLG Nürnberg, NJWRR 2004, 1543 (1544); BGHZ 172, 254 (262); BGHZ 169, 364 (366); BGHZ 61, 118 (123). 534 BGHZ 106, 391 (398); BGH, NJW 1991, 2346 (2347); OLG Stuttgart, NJW 1958, 262 (264). 535 BGH, NJW 1990, 2928 (2929); BGH, NJW 1984, 1807 (1808 f.); BGH, NJW 2015, 74 (75); BGH, NJW 1994, 3010 (3011); BGH, VersR 2005, 227 (228); OLG Brandenburg, VersR 2009, 1230 (1231). 536 BGH, NJW 1984, 1807 (1808) (Patient bereits hinreichend aufgeklärt); BGHZ 29, 176 (183). 537 St. Rspr., siehe u. a. BGH, NJW 1984, 1807 (1809); BGH, NJW 2015, 74 (75); BGH, NJW 2014, 1527 (1527); BGH, NJW 1985, 1399 (1399); OLG Hamm, VersR 2011, 625 (625); OLG Dresden, 4 U 574/02. 538 BGH, NJW 2014, 1527 (1527 f.); BGH, NJW 1985, 1399 (1399 f.); OLG Brandenburg, VersR 2009, 1230 (1231); OLG Karlsruhe, VersR 1988, 93 (94); OLG Hamm, MedR 2014, 309 (311). 539 BGH, NJW 2015, 74 (75); BGH, NJW 2014, 1527 (1527); BGH, NJW 1985, 1399 (1399); BGH, NJW 1981, 2002 (2003); OLG Hamm, VersR 2011, 625 (625); OLG Dresden, 4 U 574/02; OLG Hamm, MedR 2014, 309 (311). 540 BGH, NJW 2015, 74 (75); BGH, NJW 2014, 1527 (1527); BGH, NJW 1985, 1399
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E. Aufklärungspflicht
wie er im Allgemeinen bei einer derartigen Maßnahme aufklärt und dass er sicher sei, dass die Aufklärung immer in dieser Weise erfolge.541 Es ist nicht erforderlich, dass er sich an das konkrete Aufklärungsgespräch erinnert.542 Die Unterzeichnung eines Aufklärungsbogens allein beweist dagegen weder, dass der Patient das Dokument gelesen und verstanden hat, noch, dass der Inhalt tatsächlich mit ihm besprochen wurde; einem solchen Bogen kann lediglich Indizwirkung zukommen.543 Ist der Aufklärungsbogen individualisiert, beispielsweise durch handschriftliche Zusätze, so kann diesem eine größere Indizwirkung zukommen, beispielsweise hinsichtlich des Vorliegens einer hinreichenden Aufklärung.544 Gelingt dem Arzt der Beweis der ordnungsgemäßen Aufklärung nicht, so kann er sich auf die hypothetische Einwilligung des Patienten berufen, welche vorliegt, wenn der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte.545 Dann scheidet eine Haftung wegen einer Aufklärungspflichtverletzung aus. Dieser Einwand greift jedoch dann nicht, wenn der Patient plausibel einen Entscheidungskonflikt, ob er dann eingewilligt hätte oder nicht, darlegt.546 Der Arzt ist behauptungs- und beweisbelastet, wobei ihn die Beweislast erst dann trifft, wenn der Patient einen Entscheidungskonflikt plausibel gemacht hat.547 Um ein Unterlaufen der Aufklärung zu vermeiden, gelten für einen derartigen Nachweis strenge Anforderungen.548 Zur Klärung der Frage eines (1399); OLG Hamm, VersR 2011, 625 (625); OLG Dresden, 4 U 574/02; OLG Hamm, MedR 2014, 309 (311). 541 OLG Karlsruhe, NJW 1998, 1800 (1800); BGH, NJW 1994, 3010 (3010); BGH, NJW 1985, 1399 (1399); OLG Karlsruhe, MedR 2003, 229 (229). Zur Indizwirkung der ständigen Übung vgl. BGH, NJW 1986, 2885 (2885); OLG Köln, GesR 2013, 413 (414 f.). 542 BGH, NJW 2014, 1527 (1528); OLG Karlsruhe, NJW 1998, 1800 (1800). Das OLG Brandenburg lässt dies jedoch nicht ausreichen, wenn streitig ist, ob überhaupt ein Aufklärungsgespräch erfolgt ist, OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 398 (400). 543 BGH, NJW 1985, 1399 (1399); vgl. OLG Brandenburg, VersR 2009, 1230 (1231); vgl. BGH, NJW 2014, 1527 (1528). 544 OLG Hamm, 26 U 3/14, wonach einem solchen ein Indiz hinsichtlich einer „umfassende[n] und hinreichende[n] Aufklärung“ zukommen könne. In eine ähnliche Richtung gehend auch OLG Koblenz, 5 U 1206/15; OLG Frankfurt, 8 U 71/09; OLG Hamm, 26 U 61/12. 545 BGH, NJW 1990, 2928 (2929); BGH, NJW 1994, 2414 (2415); vgl. BGH, NJW 1976, 363 (363); BGH, NJW 1981, 2002 (2004); BGH, NJW 1980, 1333 (1334); BGHZ 90, 103 (111); BGH, NJW 1994, 799 (801). 546 BGH, NJW 1990, 2928 (2929); BGHZ 90, 103 (112); BGH, NJW 1991, 2344 (2345); BGH, NJW 1994, 2414 (2415); OLG Dresden, NJW 2004, 298 (299); BGH, NJW 1982, 700 (700) (eine plausible Darlegung ablehnend). 547 BGH, NJW 1994, 2414 (2415); BGH, NJW 2015, 74 (76); BGH, NJW 1992, 2351 (2353); OLG Jena, VersR 1998, 586 (587). 548 BGH, NJW 1992, 2351 (2353); BGHZ 90, 103 (111); BGH, NJW 1994, 2414 (2415); vgl. BGH, NJW 1981, 2002 (2004); BGH, NJW 1980, 1333 (1334); OLG Dresden, NJW 2004, 298 (299).
IX. Rechtsfolgen eines Verstoßes
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plausiblen Entscheidungskonflikts ist der Patient grundsätzlich persönlich anzuhören, es kommt auf seine persönliche Entscheidungssituation und nicht darauf an, was aus objektiver Sicht sinnvoll und erforderlich erscheint.549 Das Geltendmachen von plausiblen Gründen ist erforderlich, um eine missbräuchliche Berufung auf das Aufklärungsrecht allein aus Haftungsgesichtspunkten zu verhindern.550 Es dürfen allerdings keine zu hohen Anforderungen an die Substanziierungspflicht des Patienten hinsichtlich eines solchen Konflikts gestellt werden, um sein Aufklärungsrecht nicht zu unterlaufen;551 er muss nicht erläutern, welche Entscheidung er tatsächlich getroffen hätte.552 Für die Kausalität zwischen Aufklärungsfehler und Schaden ist nach allgemeinen Grundsätzen der Patient beweisbelastet.553 Hat der Patient diesen Beweis nicht geführt, so besteht für den Arzt keine Notwendigkeit, sich auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung zu berufen, da sich die Frage nach einer etwaigen Zurechnung nur stellt, wenn die Kausalität festgestellt ist.554 Ist die Maßnahme mangels ordnungsgemäßer Aufklärung nicht durch eine wirksame Einwilligung gedeckt, so haftet der Arzt grundsätzlich für alle gesundheitlich nachteiligen Folgen, auch wenn kein Behandlungsfehler vorliegt bzw. er die Folgen selbst nicht zu vertreten hat.555 Dies gilt sowohl dann, wenn überhaupt keine Aufklärung stattgefunden hat,556 als auch dann, wenn sich ein aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht, über das nicht aufgeklärt wurde.557 Eine Haftung
549
BGH, NJW 2015, 74 (76 f.); BGH, NJW 1990, 2928 (2929); BGH, NJW 1994, 3010 (3011); vgl. BGH, NJW 2007, 217 (219); BGH, NJW 1980, 1333 (1334); BGHZ 90, 103 (112); BGH, NJW 1991, 2344 (2345); BGH, NJW 1994, 2414 (2415); vgl. OLG Koblenz, VersR 2004, 1564 (1565); BGH, NJW 1994, 799 (801); BGH, NJW 2009, 1209 (1211); OLG Stuttgart, VersR 1987, 515 (517). 550 BGHZ 90, 103 (112 f.); BGH, NJW 1991, 1543 (1544); OLG Köln, MedR 2012, 121 (123). 551 BGH, NJW 2015, 74 (76); BGH, NJW 1992, 2351 (2353); OLG Köln, MedR 2012, 121 (123). 552 BGH, NJW 1994, 2414 (2415); OLG Dresden, NJW 2004, 298 (299); BGH, NJW 1991, 1543 (1544); OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 398 (400). 553 Siehe z. B. OLG Jena, VersR 1998, 586 (588); vgl. BGH, NJW 1986, 1541 (1542); OLG Köln, MedR 2012, 405 (408). 554 BGHZ 192, 298 (304). 555 BGH, NJW 2015, 74 (75); BGH, NJW 1996, 777 (779); OLG Brandenburg, 12 U 239/06; OLG Hamm, VersR 2006, 1511 (1512); OLG Dresden, NJW 2004, 298 (299); BGHZ 106, 391 (398); BGH, NJW 1991, 2346 (2347); BGH, NJW 1990, 2928 (2929); BGH, NJW 1998, 1784 (1785 f.); BGH, NJW 1985, 676 (676); BGH, NJW 1974, 1422 (1422). 556 OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 398 (400). 557 BGH, NJW 2001, 2798 (2798); BGH, NJW 1986, 1541 (1542).
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E. Aufklärungspflicht
kommt jedoch stets nur dann in Betracht, wenn auch ein Verschulden des Arztes hinsichtlich des Aufklärungsverstoßes vorliegt.558 In besonderen Konstellationen kann jedoch trotz Aufklärungsmangels ein Wegfall der Haftung in Betracht kommen. Verwirklicht sich bei mangelhafter Aufklärung ein Risiko, über das der Patient vollständig aufgeklärt war, so scheidet eine Haftung des Arztes nach dem Schutzzweck der Aufklärungspflicht aus.559 Die Überlegung, ob der Patient in Kenntnis des anderen Risikos keine Einwilligung erteilt hätte, ist notwendigerweise spekulativ und kann deswegen keinen Schadensersatz begründen.560 In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist nicht ganz eindeutig, ob ein derartiger Wegfall der Haftung voraussetzt, dass zumindest eine ordnungsgemäße Grundaufklärung erfolgt ist.561 Vor dem Hintergrund, dass der Patient nicht in die einzelnen ihm mitgeteilten Risiken einwilligt, sondern unter Abwägung aller für ihn relevanten Umständen in den gesamten Eingriff an sich562 und dass bei mangelhafter Grundaufklärung der Kern des Selbstbestimmungsrechts genauso verletzt ist wie bei einem ohne Einwilligung vorgenommenen Eingriff,563 weil der Patient nicht die Möglichkeit hatte, den Eingriff abzulehnen und so dessen Folgen zu verhindern,564 muss dies jedoch vorausgesetzt werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass diese Unterscheidung auch in den Fällen gemacht wird, in denen sich ein nicht aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht hat, dazu sogleich. War die Aufklärung unzureichend und verwirklicht sich ein Risiko, das nicht aufklärungspflichtig war, so ist zu unterscheiden: Fehlt es an der Grundaufklärung des Patienten, so konnte er sich nicht wirksam für oder gegen den Eingriff entscheiden, sodass für alle Schäden des Eingriffs gehaftet wird.565 Stellt sich der Aufklärungsverstoß lediglich in einer Ungenauigkeit oder einem Unterlassen ei558 BGHZ 169, 364 (366 f.); ein Verschulden selbstverständlich voraussetzend bspw. BGH, NJW 1991, 2346 (2347); BGHZ 106, 391 (398); BGH, NJW 1996, 777 (779). 559 BGHZ 168, 103 (111); BGHZ 144, 1 (7); BGH, NJW 2001, 2798 (2798); vgl. BGH, NJW 1991, 2346 (2347); OLG Köln, VersR 2013, 1177 (1178); OLG Hamm, VersR 2011, 625 (627); OLG Dresden, 4 U 574/02; KG, MedR 2014, 822 (825); KG, MDR 2014, 717 (718). 560 BGHZ 144, 1 (7 f.); dem folgend OLG Hamm, VersR 2011, 625 (627). 561 Dies zumindest nicht ausdrücklich voraussetzend BGHZ 168, 103 (111); BGHZ 144, 1 (7); nach BGH, NJW 2001, 2798 (2798) habe der BGH den Begriff zuvor nur für die besondere Fallgruppe der Verwirklichung eines nicht aufklärungspflichtigen Risikos hinzugezogen. BGH, NJW 1996, 777 (779) sowie BGHZ 106, 391 (399) scheinen dies dagegen generell für einen Haftungswegfall vorauszusetzen, auch wenn der konkrete Fall jeweils die Verwirklichung eines nicht aufklärungspflichtigen Risikos betrifft. 562 BGH, NJW 1991, 2346 (2347). 563 BGH, NJW 1996, 777 (779). 564 BGHZ 106, 391 (399). 565 BGHZ 106, 391 (399); BGH, NJW 1991, 2346 (2347); BGH, NJW 2001, 2798 (2798);
IX. Rechtsfolgen eines Verstoßes
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nes Einzelaspekts dar, war der Patient über den allgemeinen Schweregrad zutreffend aufgeklärt und ist das verwirklichte Risiko hinsichtlich der Richtungen, in die es sich auswirken kann sowie hinsichtlich der „Bedeutung für die zukünftige Lebensführung des Patienten“ nicht mit dem aufklärungspflichtigen Risiko vergleichbar, so scheidet eine Haftung nach dem Schutzzweck566 der Aufklärungspflicht aus.567 Eine Berufung auf den Aufklärungsmangel wäre dann missbräuchlich.568 „Bei wertender Betrachtung des Schutzzwecks“ drückt sich die Rechtsverkürzung „nur äußerlich und eher zufällig in dem Schaden“ aus.569 Im Rahmen des Schutzzwecks ist zu prüfen, ob ein innerer Zusammenhang zwischen dem Zweck der Aufklärungspflicht, die Entscheidungsfreiheit des Patienten zu wahren, sowie dem eingetretenen Schaden besteht;570 die verletzte Verhaltensnorm muss nach Inhalt und Zweck zumindest auch auf die Verhinderung des eingetretenen Schadens gerichtet sein.571 Die Rechtsprechung erkennt eine solche Ausnahme jedoch nur in seltenen Fällen an.572 War das verwirklichte, nicht aufklärungsbedürftige Risiko hinsichtlich seiner Bedeutung und Auswirkung mit dem aufklärungspflichtigen Risiko vergleichbar und gehört der Schaden einem mit dem aufklärungspflichtigen Risiko zusammenhängenden Bereich an, so ist der Zurechnungszusammenhang zwischen Aufklärungsverstoß und Schaden zu bejahen.573
BGH, NJW 1996, 777 (779); OLG Brandenburg, 12 U 239/06; OLG Köln, MedR 2012, 121 (122); OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 398 (399); OLG Hamm, VersR 1996, 197 (197). 566 Die Rechtsprechung ist in der Terminologie nicht einheitlich. Mal spricht sie von Schutzzweck bzw. Schutzbereich (BGHZ 168, 103 (111); BGH, NJW 1991, 2346 (2347); BGH, NJW 1996, 777 (779); BGHZ 106, 391 (398, 400)), mal von Zurechnung (BGH, NJW 2001, 2798 (2799)), mal von innerem bzw. haftungsrechtlichem Zusammenhang (BGH, NJW 1991, 2346 (2347); BGH, NJW 1996, 777 (779)). 567 BGHZ 106, 391 (399 f.); dem folgend OLG Zweibrücken, NJW 1998, 383 (384) sowie OLG Brandenburg, NJW-RR 2000, 398 (399) (wobei das OLG Brandenburg zu verkennen scheint, dass diese Ausnahme nicht greift, wenn es schon an einer Grundaufklärung fehlt); im Ergebnis ähnlich BGHZ 90, 96 (102 f.); OLG Köln, MedR 2012, 121 (122). 568 BGH, NJW 1991, 2346 (2347). 569 BGHZ 106, 391 (400). 570 BGH, NJW 1991, 2346 (2347); ähnlich BGHZ 106, 391 (398 ff.). 571 BGHZ 106, 391 (398). 572 BGHZ 106, 391 (400): „Die Entlastung von der Haftung wird auch eher die Ausnahme sein müssen.“; BGH, NJW 1991, 2346 (2347): „nur ausnahmsweise“. Eine Haftung in derartigen Fällen pauschal ablehnend, ohne nach den oben genannten Grundsätzen zu differenzieren, OLG Karlsruhe, NJW 1983, 2643 (2643); angesichts der Rspr. des BGH handelt es sich hier wohl um eine Fehlentscheidung. Eine Haftung bei Verwirklichung eines nicht aufklärungspflichtigen Risikos bejahend bspw. BGHZ 106, 391; BGH, NJW 1991, 2346. 573 BGHZ 106, 391 (391, 401).
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E. Aufklärungspflicht
Hat der Arzt nur die Aufklärung und nicht den Eingriff selbst vorgenommen, so kann er für sämtliche aus dem Eingriff resultierende Schäden (deliktsrechtlich) haften, wenn die Aufklärung unzureichend war.574 Der Einwand des Mitverschuldens des Patienten gem. § 254 BGB kann bei Aufklärungsverstößen nur ausnahmsweise durchgreifen, denn es liegt grundsätzlich allein in der Verantwortung des Arztes, den Patienten ordnungsgemäß aufzuklären.575 Ein solches kann ausnahmsweise dann angenommen werden, wenn aufgrund des Verhaltens des Patienten der unzutreffende Eindruck entsteht, er sei mit dem medizinischen Sachverhalt vertraut oder wenn er unvollständige oder falsche Auskünfte über für die Behandlung relevante Aspekte gibt.576 Die vereinzelte Rechtsprechung, dass den Patienten unter Umständen auch das Gebot i. S. d. § 254 BGB treffen könne, sich nach näheren Umständen zu erkundigen,577 scheint überholt. Ein Aufklärungsfehler kann jedoch aufgrund des Mitverschuldens des Patienten unter Umständen sogar ausgeschlossen sein, beispielsweise wenn der Patient nicht auf eine bestimmte atypische Sonderkonstellation hingewiesen und der Arzt deswegen ein bestimmtes seltenes Risiko nicht erläutert hat. Auch eine Einschränkung der Aufklärungspflicht kann dadurch möglich sein.578 Liegt ein Aufklärungsdefizit vor, so kommt ein Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch unabhängig von einer etwaigen hypothetischen Einwilligung jedoch nur dann in Betracht, wenn durch die Maßnahme dem Patienten auch ein Schaden entstanden ist, es muss sich ein Risiko verwirklicht haben, sodass es zu einem kausalen Gesundheitsschaden gekommen ist.579 Ist die Behandlung erfolgreich verlaufen, so steht dem Vermögensschaden wegen Aufklärungsfehlers der Wert der erfolgreichen Behandlung gegenüber, sodass es an einem materiellen Schaden fehlt.580 Die durch den Aufklärungsmangel eingetretene Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist per se nicht von solchem Gewicht, dass sie die Zubilligung von Schmerzensgeld rechtfertigen würde.581 574
BGH, NJW-RR 2010, 833 (835); BGH, NJW 1980, 1905 (1906 f.) mit kritischer Anm. Schünemann, NJW 1980, 2753; OLG Schleswig, NJW 2002, 227 (1053); BGH, NJW 1990, 2929; BGH, NJW 2015, 477 (478) sowie OLG Nürnberg, VersR 1992, 754 (756) (beide: Haftung aufgrund Garantenstellung möglich). 575 BGH, NJW 1976, 363 (364); vgl. BGH, NJW 1979, 1933 (1935). 576 BGH, NJW 1976, 363 (364). 577 OLG Stuttgart, VersR 1987, 515 (518). 578 Siehe dazu unter F. I. 1. b). 579 BGHZ 176, 342 (347); OLG Naumburg, NJW 2010, 1758 (1759); vgl. OLG Köln, VersR 2009, 982 (982); OLG Köln, MedR 2012, 405 (407 f.); OLG Köln, MedR 2015, 264 (267). 580 OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1544). 581 OLG Naumburg, NJW 2010, 1758 (1759); OLG Koblenz, VersR 2004, 1564 (1565); vgl. KG, VersR 2004, 1320 (1321).
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Diesen Grundsätzen steht jedoch ein Urteil des Oberlandesgerichts Jena entgegen,582 bei dem es zwar nicht am Gesundheitsschaden scheiterte, jedoch zuvor eine hypothetische Einwilligung angenommen wurde, mithin eine Haftung aufgrund eines Aufklärungsmangels grundsätzlich ausschied.583 Dennoch sprach das Oberlandesgericht Jena der Patientin ein Schmerzensgeld zu und auch ausschließlich ein Schmerzensgeld, weil es keine Kausalität zwischen dem angenommenen Behandlungsfehler und dem eingetretenen Schaden feststellen konnte.584 Dies begründete das Oberlandesgericht Jena folgendermaßen: Die „Reduzierung der Entscheidungsgrundlage des Patienten [sei] ein Eingriff in die Persönlichkeit und körperliche Integrität“ und das Schmerzensgeld sei „eine Sanktion für die Verletzung der Rechte auf Wahrung der körperlichen Integrität und der Persönlichkeit als solche“.585 Die Sanktions- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes insbesondere für Fälle rechtswidriger Persönlichkeitsverletzungen sei in ständiger Rechtsprechung anerkannt.586 Die Wirkung der Mitteilung über den unerwünschten Ausgang wäre nicht so heftig gewesen, weil eine vorherige Aufklärung dies abgemildert hätte, da die Patientin sich auf das Risiko hätte einstellen können.587 Von anderer oberinstanzlicher Rechtsprechung wurde ein Schmerzensgeldanspruch in derartigen Fällen jedoch abgelehnt.588 Dies ist überzeugend. Schließlich ist nicht ersichtlich, dass die Verwirklichung des Risikos den nicht aufgeklärten Patienten stärker belaste als den umfassend aufgeklärten Patienten.589 Zum einen ist der aufgeklärte Patient durch die Kenntnis des Risikos bereits vor dem Eingriff zusätzlich belastet.590 Zum anderen vertraut grundsätzlich auch der ordnungsgemäß aufgeklärte Patient darauf, dass bei ihm das Risiko nicht eintreten werde, sodass auch dieser erheblich betroffen ist, wenn sich das Risiko tatsächlich verwirklicht.591 Auch bei umfassender Aufklärung nehmen Patienten 582
Ebenso OLG Naumburg, GesR 2004, 494 (495). OLG Jena, VersR 1998, 586 (587 f.). 584 OLG Jena, VersR 1998, 586 (588). 585 OLG Jena, VersR 1998, 586 (588). Das OLG Jena war der Ansicht, es gebe dazu zwar noch keine BGH-Rechtsprechung, die bisherige Rechtsprechung stehe jedenfalls nicht entgegen. 586 OLG Jena, VersR 1998, 586 (588). 587 OLG Jena, VersR 1998, 586 (588). 588 OLG Dresden, NJW 2004, 298 (299); OLG Koblenz, VersR 2004, 1564 (1565). 589 OLG Koblenz, VersR 2004, 1564 (1565); OLG Dresden, NJW 2004, 298 (299); Terbille, VersR 1999, 235 (236). 590 Terbille, VersR 1999, 235 (236). 591 OLG Dresden, NJW 2004, 298 (299); OLG Düsseldorf, VersR 1987, 161 (163) (Patient sei „geneigt, den Hinweis auf ein Risiko zu verdrängen, weil er hofft, es werde sich bei ihm nicht verwirklichen“); Terbille, VersR 1999, 235 (236). 583
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E. Aufklärungspflicht
häufig die Risiken nicht ernst genug und vergessen Teile des Aufklärungsgesprächs.592 Nach ständiger Rechtsprechung kann zwar bei schwerer schuldhafter Verletzung des Persönlichkeitsrechts ein Ausgleich für immaterielle Schäden zugesprochen werden, wenn ein angemessener Ausgleich auf andere Weise nicht möglich ist,593 bei lediglich unbedeutenden, geringfügigen Beeinträchtigungen besteht dagegen kein Anspruch auf Entschädigung in Geld.594 Ob es sich um eine schwere Beeinträchtigung handelt, ist aufgrund der Gesamtumstände des Einzelfalls zu beurteilen, wobei sowohl Art und Schwere der Beeinträchtigung, der Grad des Verschuldens als auch Anlass und Beweggrund des Handelns einzubeziehen sind.595 Hinsichtlich der Schwere der Beeinträchtigung lässt sich anführen, dass sich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in Konstellationen des Aufklärungsverstoßes auf die körperliche Integrität bezieht, die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts schlägt sich hauptsächlich im medizinischen Eingriff nieder,596 sodass es gerechtfertigt ist, den Sanktionsgedanken des Schmerzensgeldes bei Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht dann aufzugeben, wenn sich der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung gleichwohl für den Eingriff entschieden hätte.597 Dass dies nur unter letztgenannter Voraussetzung, gilt ist auch insofern stringent, als ansonsten die Figur der hypothetischen Einwilligung überflüssig wäre.598 Hinsichtlich des Verschuldensgrades ist festzuhalten, dass der Behandelnde in der Regel lediglich fahrlässig handelt. Anlass und Beweggrund sind zudem durch Fremdnützigkeit geprägt, der Behandelnde will dem Patienten helfen; er handelt für gewöhnlich altruistisch. Somit muss ein Schmerzensgeldanspruch mangels schwerwiegender Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts ausscheiden.599 Zum gleichen Ergebnis kommt auch der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung, in der es zwar nicht um die Konstellation einer hypothetischen Einwilligung, sondern um den Fall einer bloßen Aufklärungspflichtverletzung ohne Eintritt eines Gesundheitsschadens geht. Er führt aus, dass es zu einer uferlosen OLG Düsseldorf, VersR 1987, 161 (163); vgl. Höfer/Streicher, DMW 1980, 694 (694). BGH, GRUR 1969, 301 (302); BGH, NJW 1971, 698 (699); BGH, NJW 1985, 1617 (1619 m. w. N.); BVerfGE 34, 269 (286). 594 BGH, NJW 1985, 1617 (1619); BGHZ 35, 363 (369). Sonst bestünde die Gefahr einer Ausnutzung zum Zwecke des Geldverdienens, BGHZ 35, 363 (368). 595 St. Rspr., vgl. BGH, GRUR 1969, 301 (302 m. w. N.); BGH, NJW 1971, 698 (700); BGH, NJW 1985, 1617 (1619 m. w. N.); BGHZ 35, 363 (363, 369); BGH, VersR 1974, 756 (757). 596 Vgl. Terbille, VersR 1999, 235 (236). 597 Terbille, VersR 1999, 235 (236); im Ergebnis so wohl auch OLG Dresden, NJW 2004, 298 (299). 598 So auch OLG Dresden, NJW 2004, 298 (299). 599 Terbille, VersR 1999, 235 (236). 592 593
IX. Rechtsfolgen eines Verstoßes
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Haftung der Ärzte führen würde, wenn auch bei bloßer Aufklärungspflichtverletzung ohne Eintritt eines Gesundheitsschadens gehaftet würde.600 Auch wenn es sich nicht um eine identische Fallkonstellation handelt, lehnt der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Oberlandesgerichts Jena ausdrücklich ab.601 Deswegen ist nach der Rechtsprechung davon auszugehen, dass eine bloße Verletzung des Selbstbestimmungsrechts nicht zu einem Anspruch auf Schmerzensgeld führt, unabhängig davon, ob es neben dem Aufklärungsfehler nur nicht zu einem Schaden gekommen ist oder sich der Aufklärungsfehler aufgrund hypothetischer Einwilligung im Hinblick auf die Haftung für den Schaden nur nicht ausgewirkt hat. Liegt neben einem Behandlungsfehler auch ein Aufklärungsfehler vor, so rechtfertigt dieser keinen höheren Schmerzensgeldbetrag.602 Denn die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes kommt vor allem bei Vorsatzdelikten zur Geltung; während in anderen Fällen der Fokus auf der Ausgleichsfunktion liegt, sodass sich der Schmerzensgeldbetrag an Umfang und Auswirkungen der gesundheitlichen Folgen orientiert.603 Hat der Aufklärungsfehler zu einem kausalen und zurechenbaren Schaden geführt, so bleibt der Honoraranspruch des Arztes dennoch bestehen; der Patient kann aber mit einem ihm zustehenden Schadensersatzanspruch gegen den Honoraranspruch aufrechnen.604 Lediglich dann, wenn der Arzt sich unzureichend um den Heilerfolg bemüht hat, sodass die Dienstleistung unbrauchbar war, entfällt der Honoraranspruch.605 b) §§ 630e, h BGB Dass die Beweislast für die Aufklärung beim Behandelnden liegt, ist nun in § 630h Abs. 2 S. 1 BGB geregelt. In der Literatur herrscht Uneinigkeit darüber, ob eine derartige Regelung erforderlich war.606 Zwar galt dies aufgrund des Richterrechts bisher ohnehin, allerdings ist es aus rein vertraglich-dogmatischer Sicht korrekt, dass es sich bei der für eine wirksame Einwilligung erforderlichen Aufklärung um eine vertragliche Pflicht handelt, deren Verletzung i. S. d. § 280 600
BGHZ 176, 342 (347); zustimmend OLG Köln, MedR 2015, 264 (267). BGHZ 176, 342 (347); ebenso OLG Koblenz, VersR 2004, 1564 (1565). 602 OLG Hamm, VersR 2006, 1509 (1510). 603 OLG Hamm, VersR 2006, 1509 (1510); OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 87 (88). 604 OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1544); zum Bestehenbleiben des Honoraran spruchs auch OLG Köln, NJW-RR 1999, 674 (675). 605 OLG Nürnberg, NJW-RR 2004, 1543 (1544); OLG Köln, NJW-RR 1999, 674 (675); OLG Stuttgart, VersR 2002, 1286 (1288) (Rückzahlungsanspruch wegen Unbrauchbarkeit). 606 Für erforderlich haltend Katzenmeier, NJW 2013, 817 (821); a. A. Wagner, VersR 2012, 789 (793) („ohnehin selbstverständlich“). 601
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E. Aufklärungspflicht
Abs. 1 S. 1 BGB nach den allgemeinen Beweislastregeln grundsätzlich der Pa tient zu beweisen hat. Soll hiervon abgewichen werden, so ist es stringent, eine solche Abweichung auch zu kodifizieren. Dass Beweislastregeln dogmatisch nicht ins BGB, sondern in die ZPO gehören, lässt sich zu Recht kritisieren. Kritisiert wird jedoch zu Recht, dass § 630h Abs. 2 S. 2 BGB zwar die Möglichkeit des Einwands der hypothetischen Einwilligung entsprechend der bisherigen Rechtsprechung nennt, auf die Möglichkeit des Einwands eines Entscheidungskonflikts seitens des Patienten dagegen nicht hinweist.607 Letztere ergibt sich nur aus der Gesetzesbegründung.608 Der Bundesrat hatte im Gesetzgebungsverfahren eine Aufnahme in einen neuen S. 3 gefordert,609 dem ist der Gesetzgeber jedoch nicht nachgekommen. Der Referentenentwurf enthielt dagegen noch Ausführungen zum ernsthaften Entscheidungskonflikt des Patienten, machte die Möglichkeit der hypothetischen Einwilligung jedoch nicht so deutlich, wie dies nun in § 630h Abs. 2 S. 2 BGB der Fall ist.610 Wever hält fest, dass Arzthelfer und Krankenpflegepersonal wertvolle Zeugen für den Nachweis des regelmäßigen Einhaltens des Aufklärungsprozederes, also für die Anwendbarkeit der sog. Immer-So-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sein können.611 Dies scheint nahezulegen, dass der Arzt in der Praxis gut beraten wäre, regelmäßig für die Anwesenheit von Arzthelfer oder Pflegepersonal während des Aufklärungsgesprächs zu sorgen. Dies erscheint sehr bedenklich. In Anbetracht des herrschenden Mangels an Pflegekräften und der Überlastung der vorhandenen Pflegekräfte erscheint es wenig sinnvoll, ihnen wertvolle Arbeitszeit dadurch zu nehmen, dass sie Aufklärungsgesprächen beiwohnen, nur um prophylaktisch einen Zeugen für mögliche zukünftige Arzthaftungsprozesse zu produzieren. Diese Zeit fehlt ihnen dann für andere, wichtigere Aufgaben, was letztlich zulasten der Versorgung der Patienten geht. Deswegen sollte die Rechtsprechung nicht dazu übergehen, für den Beweis der Aufklärung in Zukunft einen Zeugen zu fordern. Letztlich ist die Aussagekraft derartiger Zeugen ohnehin zweifelhaft, da diese Zeugen aus dem Lager des Behandelnden stammen und dazu verleitet sein könnten, ihm günstig auszusagen.
607 Müller, GuP 2013, 1 (6 f.); Preis/Schneider, NZS 2013, 281 (286); Olzen/Uzunovic, JR 2012, 447 (450); a. A. Wagner, VersR 2012, 789 (794). 608 BT-Drs. 17/10488, 1 (29). 609 BR-Drs. 312/12, 1 (15). 610 Vgl. Olzen/Metzmacher, JR 2012, 271 (276 f.). Die Formulierung im Referentenentwurf kritisierend Thurn, MedR 2013, 153 (156). 611 BPS/Wever, § 630e BGB, Rdnr. 37.
X. Zusammenfassung zur Aufklärungspflicht
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c) Bewertung Es war für das Vertragsrecht erforderlich, eine Regelung zu erlassen, die entsprechend der bisherigen Rechtsprechung festhält, dass der Behandelnde für die Aufklärung beweisbelastet ist. Insofern ist die Regelung des § 630h Abs. 2 S. 1 BGB zu begrüßen. Zwar lässt sich zu Recht kritisieren, dass Beweislastregelungen in die ZPO gehören. Allerdings ist es aus Gründen der Übersichtlichkeit und Transparenz durchaus sinnvoll, die Beweislastregeln speziell für das Arzthaftungsrecht im Anschluss an die übrigen Pflichten zu regeln. Die Regelung des § 630h Abs. 2 S. 2 BGB ist dagegen insofern nicht überzeugend, als sie nur die Möglichkeit des Behandelnden, sich bei Vorliegen eines Aufklärungsmangels auf die hypothetische Einwilligung zu berufen, jedoch keine Ausführungen zur Möglichkeit des Patienten, einen Entscheidungskonflikt plausibel darzulegen, enthält. Aufgrund des wichtigen Zusammenspiels dieser beiden Gesichtspunkte wäre es aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sowie der Transparenz und der Verständlichkeit sinnvoll gewesen, beide und nicht nur einen in das Gesetz aufzunehmen.
2. Strafrechtliche Konsequenzen Aufgrund der Tatsache, dass der Aufklärungsverstoß zur Unwirksamkeit der Einwilligung und damit zur Rechtswidrigkeit der Behandlung führt, ist eine Strafbarkeit des Arztes wegen (fahrlässiger) Körperverletzung oder sogar Tötung gem. §§ 212, 222, 223 ff. StGB möglich.
X. Zusammenfassung zur Aufklärungspflicht Hinsichtlich des Inhalts sowie des Umfangs der Aufklärung ergeben sich durch § 630e Abs. 1 S. 1, 2 BGB keine Änderungen zur bisherigen Rechtsprechung, sodass die Rechtsprechung insofern an ihrer Linie auch zukünftig festhalten kann. Auch die Folgen im Falle der Nichtbehandlung unterfallen der Selbstbestimmungsaufklärung. Bei der Aufklärung über Behandlungsalternativen ergibt sich eine Änderung zu einem Teil der bisherigen Rechtsprechung: In Zukunft sind nur noch solche Behandlungsalternativen aufklärungspflichtig, die mit wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen verbunden sind. Diese Einschränkung ist mit einer größeren Therapiefreiheit zulasten des Selbstbestimmungsrechts des Patienten verbunden und läuft somit dem Ziel des Gesetzge-
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E. Aufklärungspflicht
bers, die Rechte von Patienten zu verbessern, zuwider. Unter üblichen Methoden sind dem fachlichen Standard entsprechende Methoden zu verstehen. Eine schriftliche Aufklärung bei Routinemaßnahmen ist nicht mehr zulässig. Unterlagen, auf die bei der Aufklärung Bezug genommen wird, sind dem Patienten lediglich während der Aufklärung in Textform zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich um eine gegenüber der Rechtsprechung neue, zusätzliche Pflicht. Gleiches gilt für die Pflicht zur Aushändigung von Abschriften. Diese führt zu Änderungen bei der Beweislast. Ein Verstoß hat keine Auswirkungen auf die Einwilligung. Die Kosten einer Übersetzung hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Patient zu tragen, ebenso trägt er grundsätzlich das Risiko einer fehlerhaften Übersetzung. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Aufklärung ergeben sich keine Änderungen zur bisherigen Rechtsprechung. Derjenige, an den die Aufklärung delegiert wird, muss nicht an der Durchführung der Maßnahme beteiligt sein. Er muss auch nicht über die praktische Erfahrung zur eigenständigen Durchführung der Maßnahme verfügen und noch nicht den Facharzttitel erworben haben. Nichtärztliches Personal kann nicht über ärztlich, sondern nur über nichtärztlich vorzunehmende Maßnahmen aufklären. Allerdings kann der Behandelnde die Aufklärung trotzdem von nichtärztlichem Personal vornehmen lassen und sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung durch dieses dann auf die hypothetische Einwilligung berufen. Studierende im Praktischen Jahr dürfen die Aufklärung nicht übernehmen. Unter dem Patienten ist im Rahmen des § 630e BGB die tatsächlich behandelte Person zu verstehen. Ein Verstoß gegen § 630e Abs. 5 BGB führt nicht zur Unwirksamkeit der Einwilligung. Bei einem Verstoß gegen § 630e Abs. 5 BGB drohen wohl keine Konsequenzen. Die Einschränkung hinsichtlich des Wohls des Einwilligungsunfähigen hätte unterbleiben sollen. Ein Aufklärungsverzicht muss entgegen eines Teils der bisherigen Rechtsprechung in Zukunft ausdrücklich erklärt werden. Ein Blankoverzicht sollte als Ausfluss des Rechts auf Nichtwissen zulässig sein. Der Berechtigte i. S. d. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB kann nicht auf die Aufklärung verzichten. Therapeutische Gründe stellen keinen Ausnahmetatbestand dar. Die Aufklärung ist entsprechend der bisherigen Rechtsprechung nicht zu dokumentieren, auch wenn § 630f Abs. 2 S. 1 BGB dies zunächst andeutet. Der Behandelnde ist nach wie vor für die Aufklärung beweisbelastet. Die Grundsätze zur hypothetischen Einwilligung und zur Darlegung eines plausiblen Entscheidungskonflikts gelten fort, ebenso die Grundsätze der Haftung.
XI. Zwischenfazit zur Qualitätsbewertung
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XI. Zwischenfazit zur Qualitätsbewertung Die Kodifizierung der Aufklärungspflicht ist im Wesentlichen recht gut geglückt. Die Struktur des § 630e BGB ist übersichtlich und nachvollziehbar, die wesentlichen Gesichtspunkte zur Aufklärungspflicht sind enthalten. Positiv ist, dass keine Lücken vorhanden sind, die der Schließung durch Analogie oder teleologische Reduktion bedürfen. Zwar ergibt sich an einigen Stellen das Erfordernis der Auslegung, dies ist grundsätzlich jedoch abstrakt-generellen Regelungen immanent. Allerdings berechtigt der erforderliche Auslegungsaufwand insofern zur Kritik, als durch eine bessere bzw. präzisere Regelung der Auslegungsaufwand hätte reduziert werden können. Dies gilt vor allem für die in § 630e Abs. 1 S. 2 BGB nicht genannten Folgen im Falle einer Nichtbehandlung, für die Frage, ob die Unterlagen nach § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 a. E. BGB dem Patienten dauerhaft oder nur während der Aufklärung verfügbar gemacht werden müssen, für den Zeitpunkt der Aushändigung nach § 630e Abs. 2 S. 2 BGB sowie für die Dokumentation der Aufklärung nach § 630f Abs. 2 S. 1 BGB. Hier hätte durch kleine Änderungen im Gesetzeswortlaut der Auslegungsaufwand erheblich reduziert und dadurch mehr Rechtssicherheit, Transparenz und Verständlichkeit geschaffen werden können. Nur durch den erheblichen Auslegungsaufwand im Rahmen des Begriffs des Pateinten kann gesichert werden, dass die Regelung des § 630e Abs. 5 BGB nicht eines Großteils ihres Anwendungsbereichs beraubt wird und dass es nicht zu verfassungswidrigen Regelungen kommt. Das Verständnis des Begriffs des Patienten ist alles andere als klar. Die Legaldefinition in § 630a Abs. 1 BGB ist nicht nur überflüssig, sondern weicht auch noch ohne Notwendigkeit vom allgemeinen Sprachgebrauch ab. Jegliche Grundsätze, die der Verwendung der dogmatischen Figur der Legaldefinition zugrunde liegen, werden missachtet. Der Definitionsbegriff ist nicht präziser als der definierte Begriff, das Begriffsverständnis wird innerhalb der gesetzlichen Regelungen nicht konsequent durchgehalten. Auch das Verständnis des Behandelnden im Sinne der Legaldefinition zieht der Gesetzgeber zumindest in der Gesetzesbegründung nicht konsequent durch. Dies macht eine Verständlichkeit nahezu unmöglich und führt zu Widersprüchen innerhalb des Gesetzes. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit können so nicht vermittelt werden. Die Regelungen sind vielmehr irreführend. Schließlich hätten an einigen Stellen präzisere Begriffe gewählt werden können. So wäre in § 630e Abs. 1 S. 3 BGB statt von „übliche[n]“ besser von „dem fachlichen Standard entsprechenden“ Methoden gesprochen worden, um an die Regelung des § 630a Abs. 2 BGB anzuknüpfen und dadurch Stringenz und Konsistenz zu gewährleisten und für eine bessere Verständlichkeit zu sorgen. Schließlich sollte von einmal gewählten Begriffen nur abgewichen werden, wenn ein
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E. Aufklärungspflicht
zwingendes Bedürfnis für eine Abweichung besteht. In § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB wäre statt von „wohlüberlegt“ besser von „selbstbestimmt“ die Rede, unter anderem auch, um wenigstens einmal im Paragraf zur Aufklärungspflicht einen Bezug zum Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu haben, dem die Aufklärung letztendlich ausschließlich dient.612 Auch an anderen Stellen hätte durch eine knappe Ergänzung Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geschaffen werden können. So hätte in § 630e Abs. 3 BGB durch einen kurzen Zusatz klargestellt werden sollen, dass therapeutische Gründe keinen Ausnahmetatbestand darstellen können. Gleiches gilt für § 630e Abs. 4 BGB, dort hätte darauf hingewiesen werden sollen, dass der Berechtigte nicht auf die Aufklärung verzichten kann. In § 630e Abs. 1 S. 3 BGB hätte durch das Einfügen des Wortes grundsätzlich klargestellt werden können, dass ausnahmsweise auch über sich noch in der Erprobung befindliche Verfahren aufzuklären ist, sofern der Behandelnde hier über ein subjektives Sonderwissen verfügt. Schließlich hätte in § 630h Abs. 2 BGB noch auf die Möglichkeit der Darlegung eines plausiblen Entscheidungskonflikts eingegangen werden sollen. Auch die handwerklichen Mängel der gesetzlichen Regelungen bei der Verwendung von Generalklauseln mit anschließender Aufzählung von Einzeltatbeständen schmälern die Qualität der Regelung der Aufklärungspflicht. Aufgrund der Funktion derartiger gesetzgeberischer Figuren ist es wichtig, dass diese auch korrekt angewandt werden; andernfalls können sie ihren Zweck nicht erfüllen und führen zu erheblicher Rechtsunsicherheit und Widersprüchlichkeit. Sowohl in § 630e Abs. 1 S. 2, Abs. 3 BGB als auch in § 630f Abs. 2 S. 1 BGB hätten diese gesetzgeberischen Figuren präziser angewandt werden müssen. Im Rahmen des § 630e Abs. 1 S. 2 BGB gilt dies auch vor dem Hintergrund der Regelung des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB. Auch in § 630e Abs. 3 BGB hätte sich eine andere Regelung angeboten. Die Klärung bestehender offener Rechtsfragen unterbleibt nahezu vollständig, beispielhaft können die Probleme bei zahlungsunfähigen sprachunkundigen Patienten genannt werden oder die Zulässigkeit von therapeutischen Gründen als Ausnahmetatbestand.
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Siehe dazu auch oben unter B. III. sowie unter C. I. 3.
XII. Vom Gesetzgeber unbeachteter wissenschaftlicher Diskurs: Nudging
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XII. Vom Gesetzgeber unbeachteter wissenschaftlicher Diskurs: Nudging Wie bereits erläutert hat sich die Rechtsprechung bisher nicht mit der Frage beschäftigt, ob und wie der Behandelnde die Aufklärung zu strukturieren hat und ob und wie es zulässig ist, den Entscheidungsprozess des Patienten zu beeinflussen, ohne dass dies dem Patienten bewusst ist. Auch der Gesetzgeber hat sich beim Erlass des Patientenrechtegesetzes nicht mit dieser Fragestellung beschäftigt. Insofern, als der Gesetzgeber die bisherige Rechtsprechung abbilden wollte, gab es dafür auch keinen Anlass. Zwar existiert im amerikanischen Raum bereits seit Jahren ein Diskurs, der unter dem Stichwort „Nudging“ regelmäßig und von verschiedenen Seiten geführt wird, da dieser Diskurs in Deutschland jedoch in der Breite noch nicht angekommen ist und dementsprechend auch noch nicht vor Gericht diskutiert wurde, existiert auch noch keine Rechtsprechung dazu. In Anbetracht der umfangreich vorhandenen Literatur im amerikanischen Raum hätte der Gesetzgeber sich jedoch durchaus mit der Thematik beschäftigen können. Um zu ermitteln, ob sich aus diesem Diskurs etwas für die Aufklärungspflicht nach § 630e BGB ziehen lässt, ist zunächst zu skizzieren, was unter dem Phänomen des Nudgens verstanden wird, bevor dann die konkreten Auswirkungen auf die Aufklärung betrachtet werden.
1. Phänomen des Nudgings Begründer des Nudgings waren Thaler und Sunstein, die im Jahr 2008 ihr Buch mit dem Titel „Nudge“ veröffentlichten.613 Nach Thaler und Sunstein handelt es sich beim Nudging um die Beeinflussung menschlichen Verhaltens in einer vorhersehbaren Weise, ohne diesen Menschen Alternativen vorzuenthalten oder ihre wirtschaftlichen Anreize zu verändern.614 Kennzeichnend ist, dass es keines großen Aufwands Bedarf, einen Nudge zu umgehen.615 Viele zentrale Varianten des Nudgings versuchen, den Menschen in einer Art und Weise, der sich dieser nicht bewusst ist, zu beeinflussen.616 Nudging hilft oft den Hilfsbedürftigen, während
Thaler/Sunstein, Nudge, 2008. Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 6. 615 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 6. 616 Miller/Gelinas, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 12 (12). 613 614
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es den Starken lediglich geringe Kosten zumutet.617 Es wird auch als weicher Paternalismus bezeichnet.618 Nudging funktioniert durch das Arrangieren des Umfelds, in dem der Mensch seine Entscheidung trifft; derjenige, der dieses Umfeld arrangiert, ist nach Thaler und Sunstein ein sog. Entscheidungsarchitekt.619 Klassisches Beispiel ist das Drapieren von Waren im Regal in einer Art und Weise, die den Kunden dazu bringen soll, ein bestimmtes, beispielsweise ein gesünderes Produkt, auszuwählen.620 Soll das menschliche Verhalten in einer vorhersehbaren Weise beeinflusst werden, so sind automatische Systeme stets zu berücksichtigen, beispielsweise bei Türen das Verständnis von flachen Platten als Aufforderung zum Drücken und von großen Griffen als ebensolche zum Ziehen.621 Eine Möglichkeit der Entscheidungsarchitektur ist es, das gewünschte Verhalten als Standardentscheidung anzusehen und für eine andere Entscheidung eine aktive Handlung des Menschen, beispielsweise einen Widerspruch oder eine ausdrückliche Nennung einer Entscheidungsalternative, zu verlangen. Als Beispiel kann die Widerspruchslösung bei der Organspende genannt werden.622 Da der Mensch grundsätzlich den Weg geht, bei dem er am wenigsten Energie aufwenden muss, ist es wahrscheinlich, dass er bei dieser Standardentscheidung bleibt.623 Weitere Möglichkeiten sind das Schaffen von Anreizen, die Art der Präsentation von Informationen über bestehende Risiken („framing“) sowie die Veränderung der Umstände der Umwelt (bspw. das Platzieren von Fliegen in Urinalen).624 Besteht eine große Auswahl, so hat die Art der Strukturierung der Möglichkeiten Einfluss auf die Entscheidung.625 Handelt es sich um eine komplexe Situation mit zahlreichen Auswahlmöglichkeiten, desto größer ist die Bedeutung der Entscheidungsarchitektur.626 617 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 241. Dies ist der Grundgedanke des asymmetrischen Paternalismus, von welchem der libertäre Paternalismus eine Form darstellt; bei dem libertären Paternalismus liegen die Kosten für die Starken nahe Null, Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 249. Zum asymmetrischen Paternalismus siehe Camerer/Issacharoff/Loewenstein u. a., University of Pennsylvania Law Review 151 (2003), 1211 (1211 ff.). 618 Sagoff, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 20 (20); Epstein, Washington Law Review 92 (2017), 1255 (1305). 619 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 3. 620 Vgl. z. B. Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 1 ff. 621 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 89 ff. 622 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 184 ff.; Epstein, Washington Law Review 92 (2017), 1255 (1293 f.). 623 Vgl. Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 93 ff. 624 Ploug/Holm, The American Journal of Bioethics 10 (2015), 28 (29). 625 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 104. 626 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 183.
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Wird genuged, um die Person zu einer für sie „besseren“ Entscheidung anzuhalten, so weist ein derartiger Nudge eine paternalistische Prägung auf. Thaler und Sunstein sprechen vom „libertarian paternalism“.627 Beim libertären Paternalismus werden Nudges verwendet, die mit großer Wahrscheinlichkeit helfen und mit ebensolcher Wahrscheinlichkeit keinen Schaden anrichten.628 Thaler und Sunstein zufolge wahrt das Modell des libertären Paternalismus die Entscheidungsfreiheit des Menschen.629 Ein Entscheidungsarchitekt kann dann am besten wissen, was für denjenigen, den er nudged, gut ist, wenn er über einen großen Vorsprung an Fachwissen verfügt und wenn individuelle Vorlieben leicht zu ermitteln oder kaum von Relevanz sind.630 Zu beachten ist jedoch, dass Nudging auch aus zahlreichen anderen Gründen erfolgen kann, die nicht auf eine für den Entscheidenden „bessere“ Entscheidung abzielen, beispielsweise aus eigenen wirtschaftlichen Interessen.631 Wird Nudging inkompetent ausgewählt oder von Eigennutz geleitet, kann es schaden.632 Thaler und Sunstein fordern, dass Nudging öffentlich und transparent gemacht werden sollte, nur dann sei es zulässig.633
2. Nudging im Rahmen der Aufklärung Insbesondere in den USA wird Nudging in der Literatur regelmäßig und von verschiedenen Seiten im Zusammenhang mit der Aufklärung und dem informed consent des Patienten diskutiert.634 Es wird problematisiert, ob Nudging eine autonome Einwilligungsentscheidung unterlaufe oder nicht. Nach Ansicht von Miller und Gelinas sei es aufgrund des Gebots, mit dem Patienten fair umzugehen, 627 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 5 f.; dem folgend Cohen, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 3 (3). Näher zum libertären Paternalismus siehe Sunstein/Thaler, The University of Chicago Law Review 70 (2003), 1159 (1159 ff.). 628 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 79. 629 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 236, 253. 630 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 247. 631 Vgl. Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 238. 632 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 248. 633 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 245. 634 Vgl. u. a. Cohen, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 3 (3 ff.); Holm/Ploug, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 29 (29 ff.); Epstein, Washington Law Review 92 (2017), 1255 (1255 ff.); Ploug/Holm, The American Journal of Bioethics 10 (2015), 28 (28 ff.); Chwang, The American Journal of Bioethics 10 (2015), 41 (41 f.); Miller/Gelinas, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 12 (12 f.); Douglas/Proudfoot, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 16 (16 f.); Brooks, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 22 (22 f.); Blumenthal-Barby, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 31 (31 f.).
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verboten, den Patienten in einer Art und Weise zu beeinflussen, die dessen Autonomie untergräbt, sodass die ethische Schlüsselfrage sei, ob Nudging dieses Gebot wahrt oder nicht.635 Cohen spricht von einem Konflikt zwischen zwei ethischen Pflichten des Arztes: dem Respekt vor der Autonomie des Patienten und dem Versuch, dessen Gesundheit zu fördern.636 Ploug und Holm sind der Ansicht, dass Nudging in der Form von libertärem Paternalismus nicht zulässig sei, wenn es um die Erlangung eines informed consent geht, die Autonomie des Patienten werde stets untergraben.637 Zudem würde es das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerstören.638 Chwang sieht dies differenzierter, er hält die meisten Formen von Nudging im Zusammenhang mit informed consent aufgrund von Autonomieverletzung für unzulässig, aber nicht alle.639 Unzulässig sei die Ausnutzung von kognitiven Wahrnehmungsverzerrungen, beispielsweise das Nennen einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 90% statt einer Sterbewahrscheinlichkeit von 10%.640 Cohen sieht keine Beeinträchtigung der Autonomie, da die Verpflichtung des Arztes, die Autonomie des Patienten zu respektieren, nicht automatisch mit der Pflicht einhergehe, nur in solcher Art und Weise zu kommunizieren, die einen optimalen Entscheidungsprozess des Patienten sichere.641 Solange nur das Entscheidungsumfeld beeinflusst wird, werde nicht gegen die Autonomie des Patienten verstoßen.642 Cohen ist der Ansicht, dass Nudging paternalistisch dazu eingesetzt werden könne, einen noch unentschlossenen Patienten in die richtige Richtung zu lenken.643 Im Gegensatz dazu ist Sagoff der Ansicht, dass Vertrauen der Baustein zwischen den Vorlieben des Patienten und der Empfehlung des Arztes sei.644 Ihm zufolge sei die entscheidende Frage, wem der Patient vertraue; wenn Vertrauen vorhanden ist, sei Paternalismus nicht notwendig, wenn kein Vertrauen vorhanden ist, sei Paternalismus skrupellos.645 Der Arzt dürfe den Patienten nicht zu einer Sicht-
Miller/Gelinas, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 12 (13). Zum Gebot, mit dem Patienten im Rahmen des informed consent fair umzugehen, siehe auch Miller/Werthei mer, Kennedy Institute of Ethics Journal 21 (3) (2011), 201 (201 ff.). 636 Cohen, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 3 (3). 637 Ploug/Holm, The American Journal of Bioethics 10 (2015), 28 (28, 37); a. A. Blumen thal-Barby/Naik, The American Journal of Bioethics 10 (2015), 45 (45 f.). 638 Holm/Ploug, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 29 (30 f.). 639 Chwang, The American Journal of Bioethics 10 (2015), 41 (41). 640 Chwang, The American Journal of Bioethics 10 (2015), 41 (41). 641 Cohen, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 3 (6). 642 Cohen, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 3 (3). 643 Cohen, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 3 (5). 644 Sagoff, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 20 (20). 645 Sagoff, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 20 (21). 635
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weise nudgen, er dürfe ihm lediglich raten, eine Zweitmeinung einzuholen.646 Epstein zufolge sei es besser, dem Patienten einen Vorschlag zu machen, als ihn mit der Entscheidung ohne Hilfestellung allein zu lassen.647 Epstein schlägt vor, im Behandlungsvertrag eine Standardentscheidung ähnlich wie bei dem Organspendemodell der Widerspruchslösung zu etablieren.648 Schließlich ist zu beachten, dass das Erfordernis des informed consent weder gewährleistet, dass die Entscheidung stets das Ergebnis einer rationalen Überlegung ist, noch gewährleistet sie Authentizität.649 Der Arzt hat keine Pflicht sicherzustellen, dass die Einwilligung des Patienten auf einem gründlichen und fundierten Abwägungsprozess beruht.650 a) Keine Möglichkeit des Eliminierens von Nudging In zahlreichen Fällen ist es nicht möglich, nicht zu nudgen.651 Dies gilt grundsätzlich für die Erteilung von Informationen.652 Informationserteilung kann nie unabhängig vom Kontext erfolgen,653 ebenso wenig erfolgt eine Entscheidung unabhängig vom Kontext.654 Schließlich ist es unmöglich, die Informationen neutral zu präsentieren; die Sprache, die Stimmlage, die Aneinanderreihung, Reihenfolge etc. führen dazu, dass einigen Aspekten mehr Bedeutung zugemessen wird als anderen.655 Auch bei der Aufklärung ist es in gewissem Maße unvermeidbar, zu nudgen. Der Arzt muss die verschiedenen Behandlungsalternativen in irgendeiner Reihenfolge nennen, er muss die Chancen und Risiken in irgendeiner Art und Weise und Aneinanderreihung darstellen, beispielsweise erst die Chancen in absoluten Zahlen und dann die Risiken in absoluten Zahlen oder in umgekehrter Reihenfolge oder mit relativen Zahlen. Es wären empirische Erhebungen dazu notwendig, inwiefern die Darstellung die Entscheidung des Patienten beeinflusst. Entscheidet er sich eher für die Behandlungsalternative, die zuerst erläutert wurde oder für diejenige, die zuletzt erklärt wurde; schrecken absolute Zahlen eher ab als Sagoff, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 20 (21). Epstein, Washington Law Review 92 (2017), 1255 (1302). 648 Epstein, Washington Law Review 92 (2017), 1255 (1301 ff.). 649 Ploug/Holm, The American Journal of Bioethics 10 (2015), 28 (30). 650 Miller/Gelinas, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 12 (12); vgl. auch Cohen, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 3 (6). 651 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 236, 247; vgl. Epstein, Washington Law Review 92 (2017), 1255 (1296). 652 Brooks, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 22 (22 f.). 653 Brooks, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 22 (22 f.). 654 Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 236. 655 Brooks, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 22 (23). 646 647
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E. Aufklärungspflicht
relative oder umgekehrt; ist der Patient eher geneigt, einer Maßnahme zuzustimmen, wenn erst die Chancen und dann die Risiken erläutert werden oder umgekehrt? Derartige Fragen lassen sich weiter fortführen. Diesbezüglich fehlt hinreichendes empirisches Material, aber es erscheint als sehr wahrscheinlich, dass beispielsweise die Reihenfolge der Schilderung Einfluss auf die Entscheidung des Patienten nehmen dürfte. Werden ihm zehn Behandlungsalternativen präsentiert, so ist es durchaus naheliegend, dass er bei den zuletzt geschilderten Alternativen nicht mehr genau zugehört hat und sich für eine der zuerst geschilderten Alternativen entscheidet. Ebenso ist gut denkbar, dass es für die Entscheidung maßgeblich sein kann, ob mit der Schilderung der Chancen oder der Risiken begonnen wird. So wird auch in der Literatur vertreten, dass die Reihenfolge, in der Risiken und Chancen erläutert werden, Einfluss auf die Entscheidung nehmen könnte;656 zudem sei der Arzt stets dann ein Entscheidungsarchitekt, wenn er dem Patienten verschiedene Behandlungsalternativen erläutert.657 Darüber hinaus beeinflusse es die Entscheidung, ob Risiken in absoluten oder in relativen Zahlen dargestellt würden.658 Zudem wird angeführt, dass ein Hinweis darauf, dass eine bestimmte Variante üblicherweise gewählt werde, die Entscheidung beeinflussen könne.659 Dass die Art und Weise der Präsentation der Informationen Einfluss auf die Entscheidung des Patienten nehmen kann, zeigt sich auch anhand der Studie von Douglas, Proudfoot et al.660 Geht es um die Erläuterung von Behandlungsalternativen, so ist es faktisch unmöglich, alle gleichzeitig zu nennen, es muss zwingend eine Reihenfolge gebildet werden. Lediglich darauf, wie diese Reihenfolge gebildet wird, kann Einfluss genommen werden. Im Bereich der Darstellung von Chancen und Risiken bestehen noch weitere Einflussmöglichkeiten. Hier kann beeinflusst werden, ob nur die Erfolgswahrscheinlichkeit in absoluten, in relativen oder in beiden Zahlen ausgedrückt wird oder ob nur die Misserfolgswahrscheinlichkeit in absoluten, in relativen oder in beiden Zahlen genannt wird. Es können auch beide Wahrscheinlichkeiten kumulativ in absoluten oder in relativen oder in beiden Zahlen dargestellt werden oder in jeweils unterschiedlichen Zahlen. Lässt sich statistisch nachweisen, welche Art der Darstellung Patienten in der Regel in welche Richtung beeinflusst, so kann der Arzt das Aufklärungsgespräch strategisch so anlegen, dass es den Patienten in die Richtung nudged, die der Arzt bevorzugt. Ist sich der Arzt dieser Einflussmöglichkeit bewusst, so kommt ihm bei der Entscheidungsfindung des Patienten eine entscheidende Rolle zu. Miller/Gelinas, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 12 (13). Thaler/Sunstein, Nudge, 2008, 3. 658 Ploug/Holm, The American Journal of Bioethics 10 (2015), 28 (29). 659 Ploug/Holm, The American Journal of Bioethics 10 (2015), 28 (29). 660 Douglas/Proudfoot, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 16 (16 m. w. N.). 656 657
XII. Vom Gesetzgeber unbeachteter wissenschaftlicher Diskurs: Nudging
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Somit stellt letztlich jede Art und Weise der Aufklärung für sich eine Form des Nudgings dar,661 Nudging ist im Rahmen der Aufklärung unausweichlich.662 Durch das vom Gesetzgeber eindeutig statuierte Erfordernis der Mündlichkeit (§ 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) sind die Möglichkeiten sogar noch verstärkt worden; aufgrund des Einflusses von Tonlage, Stimme etc. besteht hier mehr Spielraum als bei schriftlicher Aufklärung. Kann die Präsentation der Informationen die Entscheidung des Patienten beeinflussen, so ist eine Diskussion darüber, ob Nudging zulässig sein sollte oder nicht, müßig; es ist vielmehr danach zu fragen, wie Nudging am besten eingesetzt werden sollte.663 Darüber hinaus ist von Bedeutung, ob in den Bereichen, in denen Nudging eliminiert werden kann, eine Pflicht zur Eliminierung besteht. b) Freiheit des Arztes bei der Strukturierung des Aufklärungsgesprächs Zunächst ist zu klären, ob der Arzt nach geltendem Recht diese Entscheidungen überhaupt nach eigenen Vorstellungen treffen darf oder ob rechtlich vorgegeben ist, in welcher Reihenfolge und in welchen Zahlen er aufzuklären hat. Aus der bisherigen Rechtsprechung lässt sich nichts dazu entnehmen, mit welcher Behandlungsalternative bei der Aufklärung zu beginnen ist und wie dann fortzufahren ist. Ebenso wenig lässt sich aus der Rechtsprechung ableiten, dass der Arzt verpflichtet ist, ausschließlich in absoluten oder in relativen Zahlen Risiken und Chancen zu schildern. Es ist aus der Rechtsprechung auch nicht ersichtlich, dass stets die Erfolgs- statt der Misserfolgsquote oder umgekehrt anzugeben ist. Dementsprechend ist der Arzt nach der bisherigen Rechtsprechung in der Gestaltung des Aufklärungsgesprächs frei, sofern er dem Patienten sämtliche geschuldete Inhalte nennt.664 Die Pflichtinhalte bemessen sich nach objektiven, am konkreten Patienten ausgerichteten und von den subjektiven Interessen des Arztes unabhängigen Maßstäben. Der Arzt darf keine Informationen weglassen oder verfälschen, um den Patienten zu nudgen, dann begeht er einen Aufklärungsverstoß, der grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Einwilligung führt.665 Er darf dies auch nicht aufgrund eines paternalistischen Willens zur Förderung der Gesundheit des Patienten tun, denn dies würde den Grundrechten des Patienten in Ausprägung seines Rechts auf Selbstbestimmung666 sowie seines Rechts zur Krankheit667 unterlaufen. Allerdings ergibt sich aus der Rechtsprechung nicht, dass der geschulDouglas/Proudfoot, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 16 (16). Douglas/Proudfoot, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 16 (17). 663 Vgl. Brooks, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 22 (22 f.). 664 Siehe dazu oben unter E. II., III. 3. d). 665 Vgl. dazu oben unter E. IX. 1. a). 666 Siehe dazu oben unter C. I. 3. 667 Siehe dazu oben unter C. I. 3. 661 Vgl. 662
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E. Aufklärungspflicht
dete Aufklärungsumfang in der Form abschließend ist, dass keine über diesen Umfang hinausgehenden Informationen gegeben werden dürfen. Somit hat der Arzt nach der Rechtsprechung neben der Art und Weise der Strukturierung der Aufklärungsinhalte auch die Möglichkeit, durch zusätzliche Informationen auf die Entscheidung des Patienten Einfluss zu nehmen. Schließlich ist es dem Arzt nach der Rechtsprechung auch nicht untersagt, eine eigene Empfehlung abzugeben bzw. dem Patienten zu erläutern, dass der Arzt persönlich das Risiko für so gering hält, dass er es eingehen würde.668 Es wird sogar berichtet, dass der Patient regelmäßig eine Empfehlung des Arztes einfordere, wenn er aus der Schilderung des Arztes keine solche erkennen könne.669 Wie bereits erläutert hat sich der Gesetzgeber mit dieser Thematik ebenso wenig beschäftigt wie die Rechtsprechung. Deswegen ergibt sich auch aus § 630e BGB nichts zu der Art und Weise der Strukturierung des Aufklärungsgesprächs und zur Form der Darstellung von Chancen, Risiken und (Miss-)Erfolgswahrscheinlichkeiten. Aus § 630e BGB geht auch nicht hervor, dass der gesetzlich geschuldete Aufklärungsumfang im Sinne eines Maximalumfangs abschließend wäre. Somit darf der Arzt nach aktuell geltender Rechtslage frei entscheiden, wie er das Aufklärungsgespräch strukturiert und wie er Chancen, Risiken und Wahrscheinlichkeiten darstellt. Solange er den geschuldeten Inhalt umfassend darstellt, ist seine Entscheidung unangreifbar. Es besteht somit weder eine Pflicht, die Möglichkeiten des Nudgings so weit wie möglich zu eliminieren (beispielsweise indem stets die Überlebens- und Sterbewahrscheinlichkeit in derselben Zahlenvariante dargestellt werden), noch eine Vorgabe, wie in den Bereichen, in denen Nudging unausweichlich ist, die Aufklärung zu strukturieren ist. c) Nudging in Form des libertären Paternalismus Sofern sich empirisch nachweisen lässt, dass der Patient durch die Strukturierung des Aufklärungsgesprächs genudged werden kann, ist zu klären, ob der Arzt dann verpflichtet ist, in einer bestimmten Art und Weise zu nudgen oder ob er frei entscheiden darf, auf welche Gründe er „seinen Nudge“ stützt. Wie bereits erläutert, kann aus zahlreichen Gründen genudged werden, beispielsweise aus paternalistischen oder monetären Motiven. Der Arzt kann jedoch auch aus Gründen des Stolzes, der Angst vor Fehlern, aufgrund von Arroganz oder dem Bedürfnis, sich Gehör zu verschaffen, nudgen.670 Schließlich kann der Arzt auch versuchen, 668 Vgl. in der amerikanischen Literatur Douglas/Proudfoot, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 16 (17). 669 Douglas/Proudfoot, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 16 (16). 670 Sagoff, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 20 (21).
XII. Vom Gesetzgeber unbeachteter wissenschaftlicher Diskurs: Nudging
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den Patienten von solchen Maßnahmen abzuhalten, die durch ihre Kosten das Gesundheitssystem stark belasten, ohne ihm die Möglichkeit zu diesen generell zu nehmen.671 Gleiches gilt für die Teilnahme an Studien.672 Weder aus der Rechtsprechung noch aus § 630e BGB ergibt sich eine Vorgabe, in welcher Art und Weise der Arzt zu nudgen hat, sofern er sich der Möglichkeit des Nudgings bewusst bedient. Dies spricht zunächst dafür, dass dem Arzt jegliche Gründe für sein Nudging offenstehen. Schließlich handelt es sich beim Behandlungsvertrag um einen zivilrechtlichen Vertrag. Zivilrechtliche Verträge sind grundsätzlich durch gegenläufige Interessen geprägt. Die eine Partei bietet eine Leistung und erwartet dafür Vergütung, die andere Partei möchte eine Leistung in Anspruch nehmen und bietet dafür Vergütung. In der Regel möchte derjenige, der die Leistung bietet, für die Leistung einen möglichst guten Preis erzielen, während derjenige, der die Leistung in Anspruch nimmt, einen möglichst geringen Preis bezahlen möchte. Deswegen ist es naheliegend, dass der Informationsaustausch häufig von monetären Interessen geprägt ist, beispielsweise die besonderen Vorzüge der (teureren) Leistung angepriesen werden. Da es sich beim Behandlungsvertrag als besonderer Dienstvertrag ebenso um einen klassischen zivilrechtlichen Vertrag handelt, würde dies nahelegen, dass auch der Arzt aus monetären Interessen nudgen dürfte. Etwas anderes könnte sich jedoch daraus ergeben, dass es sich bei dem Beruf des Arztes um einen freien Beruf handelt, wie im Grundrechtsteil bereits herausgearbeitet wurde. Freie Berufe sind grundsätzlich nicht gewerbsmäßig, sie zielen nicht (vorrangig) auf eine Gewinnerzielung ab, zudem sind sie durch ein besonderes Vertrauensverhältnis und ein autonomes Berufsethos gekennzeichnet und zugleich gemeinwohlgebunden.673 Die Gebundenheit ans Gemeinwohl könnte dafür sprechen, den Patienten in eine Richtung zu nudgen, die ihn von solchen Maßnahmen abhält, die durch ihre Kosten das Gesundheitssystem stark belasten. Dagegen spricht jedoch, dass die Entscheidungen darüber, welche Maßnahmen von den Krankenkassen bezahlt werden und welche Maßnahmen das Gesundheitssystem finanziell tragen kann, nicht dem Arzt obliegen. Über die Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss. Die Tätigkeit des Arztes sollte von solchen Entscheidungen frei bleiben. Die Einordnung als freier Beruf und die damit verbundene Einordnung als nicht gewerbsmäßig könnte es ausschließen, dass der Arzt aus monetären Gründen nudgen darf. Ein derartiges Nudging würde nicht nur der Charakterisierung Douglas/Proudfoot, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 16 (17). Douglas/Proudfoot, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 16 (17). 673 Siehe dazu oben unter C. II. 1. 671 672
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E. Aufklärungspflicht
als freier Beruf widersprechen, sondern auch das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient unterlaufen, denn der Patient erwartet grundsätzlich von seinem Arzt, dass dieser sich an der Gesundheit des Patienten orientiert und nicht an den eigenen Profitmöglichkeiten. Schließlich könnte sich aus der Einordnung als freier Beruf und dem damit verbundenen besonderen Vertrauensverhältnis sowie autonomen Berufsethos ergeben, dass der Arzt grundsätzlich verpflichtet ist, zum Wohle des Patienten zu nudgen, sodass es sich dann um eine Form des libertären Paternalismus handeln würde. Aus der Berufsordnung ergibt sich, dass es Aufgabe der Ärzte ist, „das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken“, § 1 Abs. 2 MBO-Ä. Gem. § 2 Abs. 2 S. 2 haben Ärzte „ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten auszurichten“. Nach dem Genfer Gelöbnis sind die Gesundheit und das Wohlbefinden des Patienten oberstes Gebot des Arztes.674 Diese elementaren Grundsätze des ärztlichen Handelns lassen es naheliegend erscheinen, dass der Arzt nur aus paternalistischen Gründen nudgen darf. Dementsprechend könnte ein Nudging aus anderen Gründen möglicherweise bereits jetzt berufsrechtlich sanktioniert werden. Sollte sich die Rechtsprechung mit dieser Thematik beschäftigen, ist es gut möglich, dass auch sie aus den genannten Gründen die Möglichkeit des Nudgings auf den libertären Paternalismus beschränkt, sodass sich bei einem Nudging aus anderen Gründen dann auch zivil- und strafrechtliche Konsequenzen ergeben könnten. Aufgrund des vorhandenen Fachwissenvorsprungs ist eine der von Thaler und Sunstein angeführten Voraussetzungen, wann ein Entscheidungsarchitekt wissen kann, was für denjenigen, den er nudged, gut ist, erfüllt. Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass individuelle Vorlieben im Rahmen des Arzt-Patient-Verhältnisses kaum von Relevanz sind. Allerdings kann der Arzt einschätzen, wie sich die Mehrheit der Patienten entscheidet. Zudem kann er im persönlichen Gespräch mit dem Patienten individuelle Vorlieben durchaus ermitteln. Deswegen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Arzt als Entscheidungsarchitekt den Patienten grundsätzlich in eine für diesen „gute“ Richtung nudgen kann, was letztlich auch dem paternalistischen Verständnis des Arzt-Patient-Verhältnisses in der Vergangenheit vor der Fokussierung auf Aufklärung und Selbstbestimmung entspricht. In Anbetracht der Möglichkeiten der Einflussnahme, die ein bewusstes Nudging des Arztes mit sich bringen kann, erscheint es nur noch eine Frage der 674 Genfer Gelöbnis in der Fassung vom Oktober 2017, https://www.wma.net/policies-post/ wma-declaration-of-geneva/ (Stand: 08.07.2018).
XII. Vom Gesetzgeber unbeachteter wissenschaftlicher Diskurs: Nudging
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Zeit, bis diese Diskussion sich auch in Deutschland einfindet und mehr Bedeutung erlangt. Dann wäre es notwendig, zunächst die Wirkungen empirisch zu erforschen und sodann klare Grundsätze für den Umgang mit dem Phänomen des Nudgings aufzustellen. Es wäre zu entscheiden, ob Nudging in den Bereichen, in denen es vermieden werden kann, zu eliminieren ist oder nicht. Schließlich wäre darüber nachzudenken, ob Ärzte auf ihre Möglichkeiten des Nudgens aufmerksam gemacht werden sollten, damit sie diese bewusst einsetzen können, und ob und inwieweit sie im Umgang damit geschult werden sollten. Zum Teil wird vertreten, dass der Arzt verpflichtet sein sollte, sich zu überlegen, was er dem Patienten empfehlen würde, bevor er in das Aufklärungsgespräch mit dem Patienten geht.675 Zudem wäre darüber nachzudenken, ob Patienten darauf hingewiesen werden sollten, dass und wie im Rahmen der Aufklärung genuged wird. Dann würde das Nudging mutmaßlich zumindest einen Teil seiner Wirkung einbüßen; nicht ohne Grund versuchen viele zentrale Varianten des Nudgens den Menschen in einer Art und Weise zu beeinflussen, der sich dieser nicht bewusst ist. Dafür würde der Patient die Entscheidung in dem Bewusstsein treffen, dass der Arzt die eine oder die andere Methode empfiehlt. Dies würde faktisch dazu führen, dass der Arzt stets ausdrücklich eine Präferenz abgeben müsste.
675
Douglas/Proudfoot, The American Journal of Bioethics 6 (2013), 16 (17).
F. Informationspflichten und -obliegenheiten Der Begriff der Informationspflichten ist durch das Patientenrechtegesetz neu eingeführt worden1 und findet sich in der Überschrift des § 630c BGB. Während die den Behandelnden treffenden Informationspflichten in den Absätzen 2–4 näher geregelt sind, fehlen nähere Angaben zu etwaigen Informationspflichten des Patienten. Lediglich im Abs. 1, welcher den Partnerschaftsgedanken und das Vertrauensverhältnis zum Ausdruck bringen soll,2 wird eine Obliegenheit3 des Patienten statuiert; er „soll“ mit dem Behandelnden zusammenwirken. Weitere Anordnungen finden sich für den Patienten nicht. Den Behandelnden treffen dagegen neben der Obliegenheit aus Abs. 1 mehrere näher ausdifferenzierte Informationspflichten. Dies ist zunächst nicht verwunderlich, da er gegenüber dem Patienten über einen Wissensvorsprung verfügt. Die in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB statuierte Pflicht, „dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen“ war zuvor unter dem Begriff der „Sicherungsaufklärung“ bzw. der „therapeutischen Aufklärung“ von der Rechtsprechung entwickelt worden.4 Zur klaren Abgrenzung dieser Pflicht von der Aufklärungspflicht in § 630e BGB hat der Gesetzgeber hier eine andere Terminologie gewählt, ohne inhaltliche Änderungen herbeiführen zu wollen;5 auch die Rechtsprechung hatte die therapeutische Aufklärung nicht als Be1 BT-Drs. 17/10488, 1 (21). Solbach hatte sich bereits 1986 für eine derartige Trennung der Pflichten und eine Verwendung der Terminologie Aufklärungs- und Informationspflichten ausgesprochen, wobei er deutlich macht, dass auch Überschneidungen möglich seien, Solbach, JA 1986, 419 (419 ff.). 2 BT-Drs. 17/10488, 1 (21). 3 Obliegenheiten dienen grundsätzlich dem eigenen Interesse der Partei, es handelt sich um „Rechtspflichten minderen Grades“, Spickhoff, VersR 2013, 267 (270); Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 543. Zum Begriff der Obliegenheit siehe u. a. Looschelders, Schuldrecht, 15. Aufl. (2017), Rdnr. 26; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, 21. Aufl. (2015), Rdnr. 115 f. 4 Dazu sogleich unter F. II. 2. 5 BT-Drs. 17/10488, 1 (21).
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
standteil der Selbstbestimmungsaufklärung eingeordnet.6 Die genaue Abgrenzung der Aufklärungspflicht nach § 630e BGB von den Informationspflichten des § 630c BGB ist insofern von Bedeutung, als ein Verstoß gegen die Informationspflichten einen i.R.d. § 280 Abs. 1 BGB relevanten Behandlungsfehler darstellt, für welchen nach den allgemeinen beweisrechtlichen Regeln grundsätzlich der Patient beweisbelastet ist, während ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht einen Aufklärungsfehler darstellt. Für die ordnungsgemäße Aufklärung ist gem. § 630h Abs. 2 S. 1 BGB der Behandelnde beweisbelastet. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB regelt die Pflicht des Behandelnden, eigene oder fremde Behandlungsfehler zu offenbaren. Hierbei handelt es sich um ein Novum des Gesetzes, wie später ausführlich erläutert wird. Darüber hinaus statuiert § 630c Abs. 3 BGB mit der wirtschaftlichen Informationspflicht eine dritte Pflicht des Behandelnden, die bisher als wirtschaftliche Aufklärungspflicht bekannt war,7 jedoch ebenfalls nicht als Teil der Selbstbestimmungsaufklärung angesehen wurde.8 In § 630c Abs. 4 BGB sind Ausnahmen von der Informationspflicht des Behandelnden normiert. Im Folgenden werden zunächst die Informations- bzw. Mitwirkungsobliegenheiten des Patienten und anschließend die Informationsobliegenheiten bzw. -pflichten des Behandelnden analysiert.
I. Pflichten und Obliegenheiten des Patienten Hinsichtlich der spezifisch medizinrechtlich ausgestalteten Hinweise und Mitwirkungen zur Durchführung der Behandlung treffen den Patienten lediglich Obliegenheiten, die in einem ersten Schritt untersucht werden sollen. Darüber hinaus treffen den Patienten dagegen auch allgemeine zivilrechtliche Nebenpflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB, die nicht spezifisch medizinrechtlich ausgestaltet sind und denjenigen aus anderen Vertragsverhältnissen ähneln. Diese werden in einem zweiten Schritt kurz erläutert.
6 BGHZ 107, 222 (227); Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, 326 f. m. w. N.; Erman/Rehborn/ Gescher, § 630c, Rdnr. 8. 7 Siehe dazu die Nachweise in Kap. F. Fn. 911. 8 Siehe dazu die Nachweise in Kap. F. Fn. 912.
I. Pflichten und Obliegenheiten des Patienten
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1. Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten des Patienten gem. § 630c Abs. 1 BGB sowie der in diesem Kontext zuvor ergangenen Rechtsprechung Zunächst wird untersucht, welche Person der Gesetzgeber unter dem Patienten im Rahmen des § 630c Abs. 1 BGB versteht. Sodann werden die Gegenstände der Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten dargestellt. Da sich aus dem Gesetz keine Änderungen zur bisherigen Rechtslage ergeben, wird nicht zwischen der bisherigen Rechtslage und den Grundsätzen nach dem Patientenrechtegesetz unterschieden. a) Begriff des Patienten Die Problematik hinsichtlich des Begriffs des Patienten wurde bereits im Vorkapitel näher erläutert.9 Mit Patient kann zum einen der Vertragspartner gemeint sein (Wortverständnis 1), zum anderen die tatsächlich behandelte Person (Wortverständnis 2) oder beide. Welches Verständnis des Patienten der Gesetzgeber im Rahmen der Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten zugrunde gelegt hat, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Zunächst ist zu klären, ob der tatsächlich behandelten Person, also dem Dritten, zugunsten dessen der Vertrag abgeschlossen wird, überhaupt Obliegenheiten im Rahmen des Vertrags zwischen dem Versprechenden und dem Versprechensempfänger (sog. Deckungsverhältnis)10 wirksam auferlegt werden können. Wäre dies nicht der Fall, so würde eine derartige Auslegung wegen Verstoßes gegen die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, des Dritten zur Nichtigkeit führen, sodass einer anderen, nicht zur Nichtigkeit führenden Auslegung der Vorzug zu geben wäre. Dem Dritten können keine Pflichten auferlegt werden, da es sich sonst um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter handeln würde.11 Bei Obliegenheiten ist es im Gegensatz zu Pflichten demjenigen, dem sie obliegen, freigestellt, ob er ihnen nachkommt; es besteht kein Anspruch eines Anderen auf Erfüllung gegen ihn.12 Das Nichtbefolgen von Obliegenheiten kann sich jedoch zu seinen Lasten auswirken, indem es beispielsweise zum Verlust oder zur Kürzung seiner Ansprüche führt.13 Das Nichtbefolgen von Obliegenhei9
Siehe dazu unter D. III. Zur Konstruktion des Vertrags zugunsten Dritter siehe bspw. Looschelders, Schuldrecht, 15. Aufl. (2017), Rdnr. 1126 ff.; Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 41. Aufl. (2017), § 32 Rdnr. 1 ff. 11 Siehe dazu bereits die Nachweise in Kap. D. Fn. 36. 12 Looschelders, Schuldrecht, 15. Aufl. (2017), Rdnr. 26. 13 Looschelders, Schuldrecht, 15. Aufl. (2017), Rdnr. 26. 10
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
ten führt aber in keinem Fall zu einer Schadensersatzpflicht.14 Ihm wird demnach allenfalls ein durch den Vertrag zu seinen Gunsten entstandenes „Mehr“ geschmälert oder genommen, er erleidet durch diesen Vertrag jedoch keinesfalls ein „Minus“. Beim Vertrag zugunsten Dritter ist es zulässig, wenn dieser mit mittelbaren Belastungen für den Dritten verbunden ist.15 Schließlich bleibt dem Dritten auch immer das Recht zur Zurückweisung, § 333 BGB. Die Verbindung des Rechtserwerbs mit bloßen Obliegenheiten ist demnach zulässig und stellt keinen Vertrag zulasten Dritter dar.16 Es wäre somit rechtlich zulässig, der tatsächlich behandelten Person Mitwirkungsobliegenheiten aufzuerlegen. Als nächstes ist für die Fallkonstellationen 2–417 zu klären, zu welchen Ergebnissen diese kommen, je nachdem, welches Wortverständnis zugrunde gelegt wird. Danach ist dann durch Auslegung zu ermitteln, von welchem Wortverständnis der Gesetzgeber ausgegangen ist. In der Fallkonstellation 2 (Beispiel: Die sorgeberechtigten Eltern schließen einen Vertrag zugunsten ihres 16-jährigen Kindes ab, das zwar noch nicht voll geschäftsfähig [§ 106 BGB], jedoch in der Lage ist, die notwendigen Informationen zu geben und an der Behandlung mitzuwirken) kommen als Patient sowohl die Eltern als auch das 16-jährige Kind in Betracht. Hat der Gesetzgeber beide Wortverständnisse zugrunde gelegt, so würden die Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten sowohl die Eltern als auch das 16-jährige Kind, welches auch in der Lage wäre, dieser nachzukommen, treffen. Geht der Gesetzgeber vom Wortverständnis 1 aus, so würde die Obliegenheit nur die Eltern als Vertragspartner treffen. Hat der Gesetzgeber dagegen Wortverständnis 2 zugrunde gelegt, so würde die Obliegenheit nur das 16-jährige Kind treffen, welches auch in der Lage wäre, dieser nachzukommen. In der Fallkonstellation 3 (Beispiel: Die sorgeberechtigten Eltern schließen einen Vertrag zugunsten ihres sechsjährigen Kindes ab, das nicht umfassend in der Lage ist, die notwendigen Informationen zu geben und an der Behandlung mitzuwirken) kommen als Patient sowohl die Eltern als auch das sechsjährige Kind in Betracht. Hat der Gesetzgeber beide Wortverständnisse zugrunde gelegt, so würden die Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten sowohl die Eltern als auch das sechsjährige Kind treffen, wobei das Kind nicht in der Lage wäre, der Obliegenheit nachzukommen, sodass diese faktisch nur die Eltern treffen würde. Geht der Gesetzgeber vom Wortverständnis 1 aus, so würde die OblieLooschelders, Schuldrecht, 15. Aufl. (2017), Rdnr. 26. Looschelders, Schuldrecht, 15. Aufl. (2017), Rdnr. 1133; vgl. Staudinger/Klumpp, Vorbemerkungen zu §§ 328 ff., Rdnr. 66. 16 Staudinger/Klumpp, Vorbemerkungen zu §§ 328 ff., Rdnr. 62. 17 Die Fallkonstellationen wurden oben eingeführt und näher erläutert, siehe dazu unter D. III. 3. b). 14 15
I. Pflichten und Obliegenheiten des Patienten
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genheit nur die Eltern als Vertragspartner treffen. Hat der Gesetzgeber dagegen Wortverständnis 2 zugrunde gelegt, so würde die Obliegenheit nur das sechsjährige Kind treffen, welches nicht in der Lage wäre, dieser nachzukommen, sodass die Obliegenheit faktisch leerlaufen würde. In der Fallkonstellation 4 (Beispiel: Die Großmutter schließt einen Vertrag zugunsten ihres sechsjährigen Enkelkindes ab, das nicht umfassend in der Lage ist, die notwendigen Informationen zu geben und an der Behandlung mitzuwirken, Personensorgeberechtigte i. S. d. § 1626 Abs. 1 BGB sind jedoch die Eltern) kommen als Patient sowohl die Großmutter als auch das sechsjährige Enkelkind in Betracht. Hat der Gesetzgeber beide Wortverständnisse zugrunde gelegt, so würden die Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten sowohl die Großmutter als auch das sechsjährige Enkelkind treffen, wobei das Enkelkind nicht in der Lage wäre, der Obliegenheit nachzukommen, sodass diese faktisch nur die Großmutter treffen würde. Geht der Gesetzgeber vom Wortverständnis 1 aus, so würde die Obliegenheit nur die Großmutter als Vertragspartnerin treffen. Hat der Gesetzgeber dagegen Wortverständnis 2 zugrunde gelegt, so würde die Obliegenheit nur das sechsjährige Kind treffen, welches nicht in der Lage wäre, dieser nachzukommen, sodass die Obliegenheit faktisch leerlaufen würde. Im Wege der Auslegung ist nun zu klären, von welchem Wortverständnis der Gesetzgeber ausgegangen ist. Bei der historischen Auslegung ergibt sich, dass Hintergrund der Norm der dem „Gesetz insgesamt zugrunde liegende Partnerschaftsgedanke“ ist.18 Die Norm soll „der Begründung und der Fortentwicklung des zwischen dem Behandelnden und dem Patienten bestehenden Vertrauensverhältnisses [dienen], um gemeinsam eine möglichst optimale Behandlung zu erreichen“.19 Insofern, als auf das zwischen dem Behandelnden und dem Patienten bestehende Vertrauensverhältnis abgestellt wird, wird dies je nach Fallkonstellation zu unterschiedlichen Personen bestehen. Im Falle eines sechsjährigen Kindes (Konstellation 3 und 4) wird das Vertrauensverhältnis (zumindest überwiegend) zwischen dem Arzt und dem Vertragspartner (also den Eltern bzw. der Großmutter) bestehen, sodass dies dafür sprechen könnte, das Wortverständnis 1 zugrunde gelegt wurde. Im Fall eines 16-jährigen Kindes, das selbst in der Lage ist, die notwendigen Informationen zu geben und an der Behandlung mitzuwirken, wird das Vertrauensverhältnis zumindest primär zu dem Kind bestehen, sodass dies dafür sprechen würde, das Wortverständnis 2 zugrunde gelegt wurde. Allerdings wird daneben in der Regel auch ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und den Eltern bzw. der Großmutter bestehen, was dafür sprechen könnte, das beide Wortverständnisse zugrunde gelegt wurden. Insoweit die Ge18 19
BT-Drs. 17/10488, 1 (21). BT-Drs. 17/10488, 1 (21).
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
setzesbegründung darauf abstellt, dass der Patient durch die zeitnahe Offenlegung der für die Behandlung bedeutsamen Umstände „dem Behandelnden auf diese Weise ein Bild von seiner Person und seiner körperlichen Verfassung“ vermitteln soll,20 kann mit Patient nur die tatsächlich behandelte Person gemeint sein, denn ein Bild seiner Person und seiner körperlichen Verfassung kann sich nur auf die tatsächlich behandelte Person beziehen. Die körperliche Verfassung des Vertragspartners ist für die Behandlung des Dritten schließlich nahezu immer irrelevant. Dies würde dafür sprechen, dass der Gesetzgeber Wortverständnis 2 zugrunde gelegt hat. Wird dagegen auf das Ziel des Erreichens einer möglichst optimalen Behandlung abgestellt, so liegt dies im Interesse sowohl des Arztes, des Vertragspartners als auch der tatsächlich behandelten Person. Dies spricht dafür, dass sowohl Wortverständnis 1 als auch Wortverständnis 2 zugrunde gelegt wurden, um einen möglichst umfassenden Informationsfluss sowie eine umfassende Mitwirkung zu gewährleisten. Auch der Sinn und Zweck, „die Behandlung effektiv und einvernehmlich [zu] unterstützen und die insoweit notwendigen Informationen aus[zu]tauschen, um die medizinisch notwendigen Maßnahmen zu ermöglichen, vorzubereiten oder zu unterstützen“,21 deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber beide Wortverständnisse zugrunde gelegt hat. Eine effektive Unterstützung und ein Austausch der notwendigen Informationen können am besten gesichert werden, wenn sowohl den Vertragspartner als auch die tatsächlich behandelte Person die Obliegenheiten treffen. Schließlich wäre es nicht interessengerecht, wenn stets ausschließlich den Vertragspartner die Obliegenheiten treffen würden. Je nachdem, wie nahe er der tatsächlich behandelten Person steht, verfügt er entweder kaum über das notwendige Wissen zum Gesundheitszustand der tatsächlich behandelten Person, andererseits kann die tatsächlich behandelte Person über Wissen verfügen, dass niemand sonst hat, beispielsweise dann, wenn es sich um eine bereits 16-jährige Person handelt. Zudem kann unter Umständen auch nur die tatsächlich behandelte Person die notwendigen Mitwirkungsakte erfüllen, schließlich kann ein 16-Jähriger kaum noch umfassend überwacht und eine Mitwirkung durch den Vertragspartner kaum sichergestellt werden. Dass diese tatsächlich behandelte Person trotz ihrer Informations- und Mitwirkungsfähigkeit nicht die Obliegenheit treffen sollte, ist im Hinblick auf das Partnerschaftsverhältnis, bei welchem sich auch der Arzt auf eine Kooperation verlassen können soll, nicht interessengerecht. Die Obliegenheit muss somit nach ihrem Sinn und Zweck die tatsäch20 21
BT-Drs. 17/10488, 1 (21). BT-Drs. 17/10488, 1 (21).
I. Pflichten und Obliegenheiten des Patienten
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lich behandelte Person treffen, sofern diese in der Lage ist, die notwendigen Informationen zu geben und an der Behandlung mitzuwirken. Die Obliegenheiten könnten zusätzlich auch den Vertragspartner treffen. Dem Behandelnden ist an einer möglichst umfassenden Information und Mitwirkung gelegen, um die bestmögliche Behandlung und den bestmöglichen Behandlungserfolg gewährleisten zu können, sodass dies dafür spricht, dass die Obliegenheiten auch den Vertragspartner treffen sollten. Aus Sicht der behandelten Person gilt dies grundsätzlich auch, denn diese möchte ebenso, dass der Behandelnde sie bestmöglich behandeln kann. Dieses Interesse wird grundsätzlich auch der Vertragspartner haben, sonst würde er keinen Behandlungsvertrag zugunsten des tatsächlich Behandelten abschließen. Etwas anderes könnte aus Sicht des Vertragspartners jedoch dann gelten, wenn ihm dies Nachteile bringen würde. Sofern er keine Informationen hat oder ihm keine Mitwirkung möglich ist, verletzt er seine Obliegenheiten nicht schuldhaft, sodass dies seine Rechtsposition nicht schwächen kann. Verstößt er dagegen schuldhaft gegen die Obliegenheiten, so ändert dies nichts, da ihm ein etwaiges Mitverschulden auch ohne die Obliegenheiten des § 630c Abs. 1 BGB über § 254 BGB angerechnet würde, er ist somit nicht benachteiligt. Auch die tatsächlich behandelte Person ist nicht schlechter gestellt, wenn die Obliegenheit auch den Vertragspartner trifft, denn dessen Mitverschulden muss er sich in jedem Falle über § 334 BGB anrechnen lassen. Deswegen ist es interessengerecht, die Obliegenheit auch dem Vertragspartner aufzuerlegen. Im Wege der Auslegung ergibt sich somit, dass unter Patient im Rahmen des § 630c Abs. 1 BGB sowohl der Vertragspartner als auch die tatsächlich behandelte Person zu verstehen sind.22 Dies gilt unabhängig davon, ob die tatsächlich behandelte Person selbst in der Lage ist, die notwendigen Informationen zu geben und an der Behandlung mitzuwirken, und ob der Vertragspartner zugleich der Sorgeberechtigte ist oder nicht. Eine analoge Anwendung der Norm, um in Fallkonstellationen wie der Nr. 4 auch zusätzlich dem Sorgeberechtigten die Informations- und Mitwirkungsobliegenheit aufzuerlegen, kommt nicht in Betracht. Zwar ließe sich eine planwidrige Regelungslücke bejahen, weil der Gesetzgeber die Konstellation des Vertragsschlusses durch einen Nichtsorgeberechtigten nicht gesehen hat. Allerdings kann einem am Vertrag komplett Unbeteiligten weder eine Pflicht noch eine Obliegenheit auferlegt werden, es handelt sich dann um einen Vertrag zulasten Dritter. 22 A.A. BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630e, Rdnr. 6; ähnlich NK-BGB/Voigt, § 630c, Rdnr. 3, die davon ausgehen, dass sich Obliegenheiten der tatsächlich behandelten Person nicht aus § 630c Abs. 1 BGB ergäben, sondern bei einem Vertrag zugunsten Dritter innerhalb des vertragsähnlichen Vollzugsverhältnisses aus §§ 242, 254 Abs. 1 BGB resultieren könnten. A.A. auch Jauernig/Mansel, § 630c, Rdnr. 2.
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
Eine Pflicht der Sorgeberechtigten zur Information und Mitwirkung kann sich allenfalls aus anderen zivilrechtlichen Vorschriften ergeben, beispielsweise aus § 1626 BGB. Die tatsächlich behandelte Person kann im Falle des Unterlassens der Weitergabe von Informationen bzw. der Mitwirkung dann unter Umständen einen Schadensersatzanspruch gegen die Sorgeberechtigten aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. aus § 1664 BGB haben, was dazu führen könnte, dass die Sorgeberechtigten und der Behandelnde als Gesamtschuldner gegenüber der tatsächlich behandelten Person haften würden. Würde ein Anspruch der tatsächlich behandelten Person gegen die Sorgeberechtigten aufgrund der Privilegierung des § 1664 BGB ausscheiden, so könnte der Anspruch gegen den Arzt dennoch nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld zu kürzen sein. b) Gegenstand der Informations- und Mitwirkungsobliegenheit Gemäß § 630c Abs. 1 BGB soll der Patient zur Durchführung der Behandlung mit dem Behandelnden zusammenwirken, um, so die Gesetzesbegründung, sowohl der Begründung als auch der Fortentwicklung des Vertrauensverhältnisses zu dienen und die Behandlung zu optimieren.23 Als Hintergrund nennt die Begründung des Referentenentwurfs den Partnerschaftsgedanken, der dem gesamten Gesetz zugrunde liege.24 Warum der Gesetzgeber seine Vorstellung des vertrauensvollen Umgangs dann nicht auch im Wortlaut der bloßen Soll-Vorschrift zum Ausdruck gebracht hat, ist unverständlich.25 Allerdings lässt sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit so oder so nicht gesetzlich anordnen.26 Der Patient soll die Behandlung unterstützen und dem Behandelnden die notwendigen Informationen liefern, die im Rahmen der medizinisch notwendigen Maßnahmen relevant werden,27 einen optimalen Behandlungsverlauf fördern sowie Schadensfälle vermeiden können.28 Für die Behandlung relevante Umstände soll der Pa 23
BT-Drs. 17/10488, 1 (21); vgl. auch bereits Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (25). 24 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (25). 25 Ähnlich Wenzel/Steinmeister, BuGBl 58 (2015), 23 (25). Thurn gibt dagegen zu bedenken, dass der Gesetzgeber in anderen Rechtsbereichen, die auch des Vertrauens bedürften, in denen sich ein solches jedoch nicht derart von selbst verstehe wie im Behandlungsbereich, auf eine ausdrückliche Regelung verzichtet habe, Thurn, MedR 2013, 153 (155). Wagner hält den Inhalt des Abs. 1 für „eine Binsenwahrheit, die nicht unbedingt in das Gesetz hätte geschrieben werden müssen“, MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 5. 26 So auch Katzenmeier, MedR 2012, 576 (580). 27 BT-Drs. 17/10488, 1 (21); vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (25). 28 Olzen/Kaya, JURA 2013, 661 (663).
I. Pflichten und Obliegenheiten des Patienten
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tient zeitnah offenlegen, bestenfalls bereits während des Anamnesegesprächs,29 sodass sich der Behandelnde ein zutreffendes Bild von der Person sowie der körperlichen Verfassung bilden kann.30 Die Mitwirkungsobliegenheit des Patienten ist auch unter dem Stichwort „Compliance“ bekannt.31 Der Bundesgerichtshof hatte bereits entschieden, dass die Mitwirkung an den Heilungsbemühungen des Arztes eine Obliegenheit des Patienten darstelle.32 Aus der im Zivilrecht grundsätzlich unüblichen „Soll-Regelung“ folgt, dass es sich, im Einklang mit der Rechtsprechung, nur um eine Obliegenheit und nicht um eine Pflicht handelt, sodass diese von Seiten des Arztes nicht selbstständig einklagbar ist. Der im öffentlichen Recht bekannte Grundsatz, „soll“ sei wie „ist“ zu interpretieren, solange es sich nicht um einen atypischen Fall handelt,33 greift aufgrund der persönlichen Freiheit der Parteien im Zivilrecht nicht.34 Der Gesetzgeber scheint mit Abs. 1 vielmehr seine Idealvorstellung des Umgangs von Arzt und Patient miteinander als eine Art Appell geregelt zu haben, ohne dieser eine verpflichtende Wirkung zu implementieren.35 Eine Mitwirkungspflicht des Patienten kann aufgrund seines verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts auch nicht statuiert werden,36 Gleiches gilt für eine Informationspflicht aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung,37 sodass ein Nichtbefolgen der Obliegenheit nicht selbstständig sanktioniert werden kann. Allerdings liegt die Mitwirkung im Allgemeinen im eigenen Interesse des Patienten, um den von ihm gewünschten Behandlungserfolg zu fördern und gesundheitliche Nachteile zu vermeiden.38 Zwar ergeben sich bei einem Verstoß des Patienten gegen die Mitwirkungs- bzw. InformationsoblieOlzen/Kaya, JURA 2013, 661 (662 f.). BT-Drs. 17/10488, 1 (21); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (25); Gehrlein, Grundwissen Arzthaftungsrecht, 2013, Kap. A Rdnr. 47. 31 Vgl. Palandt/Weidenkaff, § 630c, Rdnr. 2; MedR-Komm/Jaeger, § 630c BGB, Rdnr. 2 f.; Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 3; MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 5. 32 BGHZ 96, 98 (100). 33 Vgl. statt vieler Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. (2017), § 7 Rdnr. 11. 34 Walter, Das neue Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 91. Auch Preis/Schneider sind der Ansicht, dass Sollvorschriften im Zivilrecht nichts zu suchen hätten, sie seien „in aller Regel nur als Programmsätze zu interpretieren“, Preis/Schneider, NZS 2013, 281 (283). Zu Programmsätzen sowie zum Rechtsgehalt von Sollvorschriften siehe Preis, NZA 1998, 449 (452 ff.). 35 Vgl. Erman/Rehborn/Gescher, § 630c, Rdnr. 2; BeckOGK/Walter, § 630c, Rdnr. 2. 36 Erman/Rehborn/Gescher, § 630c, Rdnr. 3; ähnlich Walter, Das neue Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 98. 37 Siehe dazu oben unter C. I. 5. 38 Palandt/Weidenkaff, § 630c, Rdnr. 2. 29 30
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
genheit keine unmittelbaren Konsequenzen für diesen, offenbart der Patient jedoch relevante Informationen nicht oder nicht rechtzeitig oder wirkt er nicht im gebotenen Maße an der Behandlung mit, so kann dies ein Mitverschulden i. S. d. § 254 Abs. 1 BGB bzw. einen Verstoß gegen die Schadensmilderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB39 darstellen.40 Beweispflichtig für ein etwaiges Mitverschulden ist nach allgemeinen Grundsätzen allerdings wiederum der Arzt. Eine Obliegenheitsverletzung des Patienten kann sogar einen Behandlungsfehler ausschließen41 oder dazu führen, dass der Arzt diesen nicht zu vertreten hat;42 beispielhaft seien hier die Ablehnung, erforderliche Untersuchungen vornehmen zu lassen oder sein Therapieverhalten anzupassen, genannt. Gleiches gilt für einen Aufklärungsfehler,43 beispielsweise wenn der Patient nicht auf eine bestimmte 39
Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht kommt bei Verweigerung einer möglichen Operation jedoch nur dann in Betracht, „wenn die Operation einfach und gefahrlos ist, wenn sie nicht mit besonderen Schmerzen verbunden ist und wenn sie die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet“, BGH, NJW 1994, 1592 (1593 m. w. N.); vgl. BGH, NJW 1989, 2332 (2332). Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen Verletzung einer dem Patienten zumutbaren Schadensminderungspflicht ausschließend OLG Dresden, NJW-RR 2009, 30 (30 f.). 40 BT-Drs. 17/10488, 1 (21); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (25); OLG Frankfurt, MedR 1987, 187; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2000, 235 (237); OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1333 (1335) (u. a. das Nichtbefolgen von Therapie- und Kontrollanweisungen kann ein Mitverschulden begründen); OLG Koblenz, VersR 2007, 1698 (1698) (Nichtoffenbaren einer gravierenden Vorerkrankung); OLG Köln, VersR 1997, 1102 (1103) (keine Abstandnahme vom Rauchen); Spickhoff/Greiner, § 823 BGB, Rdnr. 371 m. w. N.; MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 8. Der Mitverschuldenseinwand ist jedoch ausgeschlossen, wenn allein der Behandelnde verantwortlich für die Verhinderung des Schadenseintritts war, BGHZ 96, 98 (101 f.); vgl. auch OLG Köln, VersR 1999, 624 (627). Ausführlich zum Mitverschulden siehe Göben, Das Mitverschulden des Patienten im Arzthaftungsrecht, 1998. Die Behauptung von Jaeger, es könne kaum etwas passieren, wenn eine Partei gegen diese Sollvorschrift verstößt, ist somit nicht zutreffend (MedR-Komm/Jaeger, § 630c BGB, Rdnr. 1). Gleiches gilt für die rhetorischen Fragen von Thurn, was passieren solle, wenn jemand gegen die Sollvorschrift verstößt und wie dies überhaupt ginge, Thurn, MedR 2013, 153 (154 f.). Auch die Behauptung, ein Mitverschulden des Patienten ließe sich nur selten herleiten (MedR-Komm/Jaeger, § 630c BGB, Rdnr. 2; Spickhoff, ZRP 2012, 65 (67)), erscheint nicht nachvollziehbar. So lässt sich beispielsweise durch Dokumentation und Arzthelfer als Zeugen beweisen, dass der Patient die Durchführung einer Untersuchung oder die Einnahme von bestimmten Medikamenten verweigert und dadurch zu einem Schaden beigetragen hat. Auf einem anderen Blatt steht dagegen, dass ein Mitverschulden des Patienten von der Rechtsprechung nur zurückhaltend bejaht wird (Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 5) bzw. nur selten vorliegt, da es grundsätzlich in der Verantwortung des Arztes liegt, das Informationsbedürfnis durch gezieltes Nachfragen zu erforschen (Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 5). 41 JurisPK-BGB/Schmidt, § 630c, Rdnr. 3; Palandt/Weidenkaff, § 630c, Rdnr. 2; MüKoBGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 7. 42 BGHZ 99, 391 (395). 43 Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 5.
I. Pflichten und Obliegenheiten des Patienten
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atypische Sonderkonstellation hingewiesen und der Arzt deswegen ein bestimmtes seltenes Risiko nicht erläutert hat. Auch eine Einschränkung der Aufklärungspflicht ist möglich.44 Außerdem kann durch ein derartiges Fehlverhalten des Patienten eine grundsätzlich eingreifende Beweislastumkehr ausgeschlossen sein,45 denn bei Fehlverhalten sowohl des Arztes als auch des Patienten besteht kein Grund, die Beweislast zugunsten des Patienten zu verändern und den Arzt vollumfänglich haften zu lassen, obwohl die Unklarheiten bei der Aufklärung des Kausalverlaufs von beiden Seiten verursacht wurden.46 Möglich ist auch, dass ein Schadensersatzanspruch wegen fehlender Compliance ausscheidet, weil der Arzt den Schaden aufgrund dessen gar nicht zu vertreten hat.47 Schließlich kommt eine Kündigung des Behandlungsvertrags durch den Arzt gem. § 626 Abs. 1 BGB wegen Nichtmitwirkung des Patienten in Betracht.48 Die Rechtsprechung ist bei der Anerkennung eines Mitverschuldens jedoch zurückhaltend.49 Jegliche Konsequenzen aufgrund einer Obliegenheitsverletzung des Patienten kommen nur dann in Betracht, wenn er die Anweisungen oder Ratschläge des Arztes korrekt verstanden bzw. der Arzt ihn ordnungsgemäß informiert hat, dies ergibt sich aus der Wissensasymmetrie zwischen Arzt und Patient.50 Der Patient muss über die Folgen und Risiken im Falle einer Nichtbe44
Palandt/Weidenkaff, § 630c, Rdnr. 2. BGHZ 159, 48 (57); BGH, NJW 2005, 427 (428 m. w. N.); OLG Braunschweig, VersR 1998, 459 (461); OLG Köln, VersR 1997, 1102 (1103) (im konkreten Fall einen Ausschluss jedoch ablehnend); OLG Saarbrücken, GesR 2015, 364 (368); BT-Drs. 17/10488, 1 (31); JurisPK-BGB/Schmidt, § 630c, Rdnr. 3; KG, VersR 1991, 928 (928 f.); Olzen/Kaya, GesR 2013, 1 (4); Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 92; JurisPK-BGB/Schmidt, § 630c, Rdnr. 16. 46 OLG Braunschweig, VersR 1998, 459 (461); OLG Saarbrücken, GesR 2015, 364 (368); LG Dresden, MedR 2008, 223 (225); Gehrlein, Grundwissen Arzthaftungsrecht, 2013, Kap. B Rdnr. 80a. 47 Vgl. MedR-Komm/Jaeger, § 630c BGB, Rdnr. 3. 48 Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 5; Stegers, ZMGR 2010, 129 (136), der allerdings auf § 621 BGB verweist und eine Ausnahme für Notfälle macht. Der Ausnahme zustimmend Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 544, jedoch ohne auf einen bestimmten Paragrafen zu verweisen. 49 Siehe z. B. BGH, NJW 1997, 1635 (1635) („nur ausnahmsweise durchgreifen könne“); ähnlich BGH, NJW 1976, 363 (364); BGH, NJW 1979, 1933 (1935); vgl. OLG Stuttgart, NJWRR 2002, 1544 (1544); OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611 (612); OLG Stuttgart, VersR 1995, 1353 (1355 f.); OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 (106). Deswegen ist die Befürchtung, von den Patienten werde quasi verlangt, „selbständig eine Anamnese abzugeben“ (SoVD, Stellungnahme zum RefE, 1 (3)), unberechtigt, es ist nicht davon auszugehen, dass die Rechtsprechung ihre restriktive Haltung aufgeben wird. Kritisch zur Zurückhaltung der Rechtsprechung hinsichtlich des Mitverschuldens Hausch, VersR 2007, 167 (173 f.), dem zufolge es nicht sein könne, dass immer höher Anforderungen an die ärztliche Sorgfalt gestellt würden, hinsichtlich eines anrechenbaren Verstoßes des mündigen Patienten jedoch Zurückhaltung geübt werde. 50 BGH, NJW 2009, 2820 (2822); vgl. auch BGH, NJW 2014, 74 (77); BGH, NJW 1997, 45
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
handlung ausreichend informiert gewesen sein.51 Hat der Behandelnde den Patienten nicht ordnungsgemäß beraten, so kommt ein Mitverschulden nur in Betracht, wenn sich die Unvollständigkeit „schon jedem medizinischen Laien hätte aufdrängen müssen“ oder dem Patienten wegen „eines weitergehenden persönlichen Wissensvorsprungs hätte klar sein müssen“.52 Nimmt der Arzt eine kontraindizierte Behandlung vor, so begründet der ausdrückliche Wunsch des Patienten zu dieser Behandlung kein Mitverschulden.53 Beruht die unterlassene Mitwirkung des Patienten auf einem Informationsfehler des Arztes über deren Erforderlichkeit, so führt dies allein jedoch nicht dazu, dass der Informationsfehler des Arztes als grober Fehler mit der Folge der Beweislastumkehr gem. § 630h Abs. 5 S. 1 BGB gewertet wird.54 Für die Einschätzung eines Informationsfehlers als grober Behandlungsfehler gelten die allgemeinen Grundsätze, der Arzt muss also „eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen [haben], der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf“.55 Welche Umstände der Patient zu offenbaren hat, regelt das Gesetz weder ausdrücklich noch durch eine beispielhafte, nicht abschließende Aufzählung, sondern in einer generalklauselartigen Weise.56 Dadurch läuft das Ziel des Gesetzgebers, Transparenz zu schaffen, leer.57 In Betracht kommen hier unter anderem der Hinweis auf Medikamenteneinnahmen oder -unverträglichkeiten, Vorerkrankun1635 (1635 f.); BGH, NJW 1997, 3090 (3091); vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 2002, 1544 (1544); OLG Köln, VersR 2011, 760 (763); OLG Saarbrücken, GesR 2016, 691 (691); OLG Saarbrücken, GesR 2015, 364 (368); BPS/Wever, § 630c BGB, Rdnr. 5. 51 BGH, NJW 2009, 2820 (2822); Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2013), Rdnr. 118. 52 OLG Stuttgart, NJW-RR 2002, 1544 (1544); ebenso BGH, NJW 1997, 1635 (1636) für den Fall des Mitverschuldens durch mangelndes Nachfragen; derartige Anforderungen nicht ausdrücklich stellend, jedoch eine eigene Reaktion des Patienten verlangend OLG Zweibrücken, NJW-RR 2000, 235 (237). 53 OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611 (612). 54 BGH, NJW 2009, 2820 (2822). 55 St. Rspr., vgl. BGH, NJW 2009, 2820 (2822); BGH, NJW 2016, 563 (564); BGH, NJW 2011, 3442 (3442); BGH, NJW-RR 2010, 711 (712); BGH, NJW 2012, 227 (228). 56 Deswegen werden sowohl Banalität sowie Regelungsarmut, die Norm sei etwas für „Kabarettisten“ (Thurn, MedR 2013, 153 (154); vgl. auch Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 84), als auch die „Blässe“ der Formulierung kritisiert (Hart, GesR 2012, 385 (386)); zustimmend Erman/Rehborn/Gescher, § 630c, Rdnr. 1. Außerdem wird vorgebracht, Abs. 1 diene „im Wesentlichen der (überflüssigen) Verweisung auf die Rechtsgedanken der §§ 242, 254“, Erman/Rehborn/Gescher, § 630c, Rdnr. 3; ähnlich Rehborn, GesR 2013, 257 (260). Mansel bescheinigt der Vorschrift „eher lyrischen Charakter“, Jauernig/Mansel, § 630c, Rdnr. 1. 57 So auch BÄK/KBV, Stellungnahme zum RefE, 1 (11), die deswegen zumindest eine beispielhafte Aufzählung gefordert hatten.
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gen,58 körperliche Einschränkungen, Zigarettenkonsum oder erhöhten Alkoholkonsum bzw. -abhängigkeit59. Auch Informationen über Allergien, aktuelle Leiden oder Beeinträchtigungen können relevant sein.60 Ist der Patient an Diabetes mellitus erkrankt, so hat er (jedenfalls auf Nachfrage) korrekte Angaben über seine Blutzuckereinstellung und -werte zu machen.61 Ebenso muss er auf eine ihm bekannte, dem Behandlungserfolg zuwiderlaufende Veranlagung hinweisen, wenn ihm deren Relevanz bekannt ist.62 Auch Informationen über die allgemeine Lebensweise bzw. den Lebensstil sowie über genetische Dispositionen können relevant sein.63 Allerdings ist zu beachten, dass es grundsätzlich Aufgabe des Arztes ist, durch gezielte Fragen die relevanten Informationen zu ermitteln.64 Solange für den Patienten nicht klar ist, welche Informationen relevant sein können, kann von ihm keine unaufgeforderte Offenbarung erwartet werden.65 Im Rahmen der Mitwirkung kommen insbesondere die Befolgung ärztlicher Therapie- und Kontrollanweisungen66 sowie Verhaltensvorgaben,67 korrekte Medikamenteneinnahmen, Duldung von Untersuchungen und Therapien in Betracht.68 Als konkrete Beispiele können unter anderem das Unterlassen körperlicher Betätigung, des Zigaretten-69 oder Alkoholkonsums und das Wahrnehmen angeordneter Folge- bzw. Kontrolltermine genannt werden.70 Spiegelbildlich zu § 630c Abs. 2 S. 1 BGB ist der Patient zur Mitwirkung in Form der Befolgung all jener Hinweise gehalten, die der Arzt ihm gem. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB schuldet, dar-
58
OLG Koblenz, VersR 2007, 1698 (1698). LG Dresden, MedR 2008, 223 (225). 60 Vgl. MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 6. 61 LG Dresden, MedR 2008, 223 (223 ff.). 62 OLG Köln, VersR 1998, 1510 (1510). 63 Olzen/Kaya, JURA 2013, 661 (663 Fn. 15). 64 Vgl. Reuter/Hahn, VuR 2012, 247 (249); ähnlich Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 544; Spickhoff, VersR 2013, 267 (270 f.); Laufs/Kern/Kern, § 77 Rdnr. 1. 65 Reuter/Hahn, VuR 2012, 247 (249). 66 BGH, NJW 1997, 1635 (1635); BGH, NJW 1992, 2961 (2961); vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1333 (1335). 67 Vgl. BGH, NJW 2009, 2820 (2822) hinsichtlich der Befolgung eines Rates zur stationären Behandlung; vgl. BGH, NJW 1997, 3090 (3090) hinsichtlich der Weigerung des Patienten, eine Untersuchung zur Abklärung einer Verdachtsdiagnose vornehmen zu lassen; vgl. OLG Braunschweig, 1 U 48/07 hinsichtlich des dringenden Anratens einer sofortigen Krankenhausbehandlung; KG, VersR 1991, 928 (928 f.) hinsichtlich der Ruhigstellung und Hochlagerung des Arms bzw. der Hand sowie des Tragens einer Schiene. 68 Palandt/Weidenkaff, § 630c, Rdnr. 2 m. w. N.; vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 543. 69 OLG Köln, VersR 1997, 1102 (1103). 70 Vgl. MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 6; NK-BGB/Voigt, § 630c, Rdnr. 2. 59
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
über hinaus kann eine Mitwirkung aber auch schon im Vorfeld und/oder während der Behandlung erforderlich sein. Handelt es sich um einen Patienten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, so sollte er im eigenen Interesse eine Person mitbringen, die als Übersetzer fungieren kann. Andernfalls läuft der Patient Gefahr, dass der Arzt die Behandlung ablehnt, sollte es sich nicht um einen Notfall handeln.71 Kann der Patient dem Arzt nicht die notwendigen Informationen über seine Vorerkrankungen, Unverträglichkeiten, Abhängigkeiten u.Ä. liefern, so kann der Arzt nicht zu einer Behandlung gezwungen werden. Um das Krankheitsbild ordnungsgemäß abklären zu können, ist es erforderlich, dass sich der Patient mit dem Arzt bzw. dem Krankenhauspersonal ausreichend verständigen kann.72 Es handelt sich um eine Obliegenheit des Patienten, für die Verständigungsmöglichkeit in deutscher Sprache zu sorgen.73 c) Bewertung Aufgrund der unglücklich gewählten Legaldefinition des Patienten in § 630a Abs. 1 BGB ergibt sich ein erheblicher Auslegungsaufwand, um zu ermitteln, dass die Obliegenheiten sowohl den Vertragspartner als auch die tatsächlich behandelte Person treffen. Hinsichtlich der weiteren Kritik an dieser Legaldefinition kann auf die Ausführungen im Rahmen der Aufklärung74 verwiesen werden, diese gelten hier ebenso. Der weit gehaltene Wortlaut und die Eigenschaft einer Generalklausel führen vor dem Hintergrund, dass es sich lediglich um eine Obliegenheit und nicht um Pflichten handelt, dazu, dass § 630c Abs. 1 BGB lediglich Selbstverständlichkeiten regelt, ohne eine konkrete Funktion zu entfalten. Für das Fortgelten der allgemeinen Grundsätze der Rechtsprechung zu den Informations- und Mitwirkungsobliegenheiten hätte es der Regelung des § 630c Abs. 1 BGB nicht bedurft. Deswegen handelt es sich grundsätzlich um eine überflüssige, nichtssagende Norm, die hätte gestrichen werden können.75
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Vgl. KG, VersR 2008, 1649 (1650). Siehe dazu auch unter F. II. 2. c) bb) (2). OLG Oldenburg, MedR 2012, 332 (334). 73 Siehe dazu auch unter F. II. 2. c) bb) (2). 74 Siehe dazu oben unter E. VI. 3. 75 Dazu, dass Regelungen, die nur Selbstverständliches zum Ausdruck bringen, unnötig sind, siehe bereits oben unter A. II. 1. 72
I. Pflichten und Obliegenheiten des Patienten
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2. Nebenpflichten des Patienten gem. § 241 Abs. 2 BGB Zusätzlich zu den durch die Rechtsprechung sowie das Patientenrechtegesetz implementierten Obliegenheiten treffen den Patienten jedoch auch echte Rechtspflichten in Form von Rücksichtnahmepflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB, die Schadensersatzansprüche begründen können. Dies sind solche, die ausschließlich dem Schutz der „Rechte, Rechtsgüter und Interessen“ (§ 241 Abs. 2 BGB) des Behandelnden dienen76 und „zur Durchführung der Behandlung“ (§ 630c Abs. 1 BGB) nicht (zwingend) erforderlich sind. So gehören die Pflichten, sorgfältig mit der Praxis- bzw. Klinikeinrichtung umzugehen sowie sich gegenüber anderen Patienten und dem Personal des Arztes ordnungsgemäß zu verhalten, dem Pflichtenkreis des § 241 Abs. 2 BGB an und unterfallen nicht § 630c Abs. 1 BGB.77 Gleiches gilt für einen Hinweis auf ansteckende Krankheiten; dieser dient den Interessen des Arztes und ist Ausdruck der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners gem. § 241 Abs. 2 BGB.78 Hier kann, anders als im Rahmen der allgemeinen Informationspflichten nach § 630c Abs. 1 BGB, trotz des verfassungsrechtlich garantierten Rechts des Patienten auf informationelle Selbstbestimmung79 eine Information verlangt werden, da das kollidierende Verfassungsrecht des Arztes auf Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG80 die informationelle Selbstbestimmung des Patienten überwiegt. Dadurch, dass dem Arzt gem. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 9 Abs. 1 MBOÄ eine Schweigepflicht obliegt, ist gewährleistet, dass die Informationen nicht an Dritte gelangen, sodass im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dem Recht des Arztes aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG der Vorrang einzuräumen ist. Der Patient kann sich beispielsweise auch dann schadensersatzpflichtig machen, wenn er nicht zu einem vereinbarten Termin erscheint und der Arzt die Praxis in Form einer Bestellpraxis organisiert hat, er also ausschließlich feste Termine vergibt und somit keine Möglichkeit hat, in diesem Zeitraum kurzfristig einen anderen Patienten zu behandeln.81 Der Arzt muss sich jedoch ersparte Aufwendungen nach allgemeinen Grundsätzen anrechnen lassen. Reuter/Hahn, VuR 2012, 247 (249). So auch Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 7; Spickhoff, VersR 2013, 267 (271); Laufs/Kern/Kern, § 74 Rdnr. 2; a. A. Walter, Das neue Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 101. 78 Vgl. Reuter/Hahn, VuR 2012, 247 (249); Heberer/Mößbauer, MedR 2004, 138 (138). Im Ergebnis ebenso Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 7; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 545; a. A. Walter, die den Hinweis auf ansteckende Krankheiten als Unterfall des § 630c BGB ansieht (BeckOGK/Walter, § 630c, Rdnr. 10). 79 Siehe dazu oben unter C. I. 5. 80 Siehe dazu oben unter C. II. 4. 81 Vgl. Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 94. 76 Vgl. 77
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes Für den Arzt existieren im Gegensatz zum Patienten weitaus mehr und differenziertere Obliegenheiten bzw. Pflichten. Diese werden im Folgenden nach Art bzw. Inhalt der Obliegenheit oder Pflicht getrennt analysiert, wobei der Reihenfolge des § 630c BGB gefolgt wird. Abgesehen von der verhältnismäßig unbedeutenden Regelung des Abs. 1 werden die übrigen Pflichten zunächst nach den Grundsätzen der Rechtsprechung analysiert und sodann die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu dem Gesetz herausgearbeitet.
1. Informationsobliegenheit des Arztes gem. § 630c Abs. 1 BGB Ebenso wie dem Patienten obliegt dem Arzt gem. § 630c Abs. 1 BGB eine Mitwirkungs- und Informationsobliegenheit. Diese dürfte in der Praxis momentan nahezu bedeutungslos sein, denn der Arzt ist bereits gem. § 630a Abs. 1 BGB zur Leistung der versprochenen Behandlung und somit zu jeglicher Mitwirkung an der Förderung des Behandlungserfolgs verpflichtet. Zudem sind die ihn treffenden Informationspflichten in den § 630c Abs. 2 und 3 BGB näher ausdifferenziert, sodass im Übrigen an diese angeknüpft werden kann und muss. Streng genommen sind auch die in den nachfolgenden Paragrafen normierten Pflichten wie die Aufklärung, die Dokumentation sowie die Einsichtsgewährung spezielle Fallgruppen des § 630c Abs. 1 BGB,82 denn auch sie dienen dem Vertrauensverhältnis sowie dem Behandlungserfolg. Da die in den übrigen Normen speziell ausgestalteten Pflichten der bloßen Obliegenheit des § 630c Abs. 1 BGB vorgehen, kann dieser lediglich ein Auffangcharakter zukommen, sodass ihr Anwendungsbereich auf Seiten des Arztes zurzeit gering ist.83 Denkbar ist jedoch, dass § 630c Abs. 1 BGB in Zukunft mehr Bedeutung erlangt, wenn es um die Begründung neuer Obliegenheiten des Arztes geht, welche nicht an anderer Stelle im Gesetz ausdrücklich genannt sind. Dazu folgendes Beispiel: Vereinzelt wird angeregt, es sei darüber nachzudenken, ob der Arzt nicht spiegelbildlich zum Patienten dazu gehalten sein sollte, die zeitliche Belastung des Patienten möglichst gering zu halten, mithin längere Wartezeiten zu vermeiden.84 82
BeckOGK/Walter, § 630c, Rdnr. 12. Ähnlich MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 11. Auch Spickhoff merkt an, dass dem Behandelnden primär haftungsbewehrte Pflichten oblägen, weswegen er die Charakterisierung als bloße Obliegenheitsverletzung für irreführend hält, Spickhoff, VersR 2013, 267 (272); ebenso Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 546. 84 Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 86; ähnlich Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 7, wobei dieser eher auf die Einhaltung vereinbarter Behandlungstermine abzielt und deutlich macht, dass es bei hinreichender Verdeutlichung der Relevanz der Einhaltung des 83
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes
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Dies sei aufgrund der Fortschritte der Informationstechnologie heute sowohl in Wartezimmern niedergelassener Ärzte als auch in Krankenhäusern und Notfallambulanzen möglich.85 Beispielsweise könnte ein System errichtet werden, wie es unter anderem aus vielen Bürgerbüros bekannt ist: Über eine Website ließe sich dann für den Patienten einsehen, wie viele andere Patienten gerade warten und wie die ungefähre Wartezeit eingeschätzt wird. Eine derartige Obliegenheit ließe sich ohne Weiteres unter die Formulierung des § 630c Abs. 1 BGB subsumieren. Jaeger gibt allerdings selbst zu bedenken, ob dies praktisch sinnvoll sei, denn eine derartige Obliegenheit könne dazu führen, dass das vom Gesetzgeber gewollte Zusammenwirken der Parteien wieder zurückgedrängt wird.86 Darüber hinaus erscheint dies praktisch kaum möglich, denn oft lässt sich nach der kurzen Vorstellung des Patienten an der Anmeldung bei den Arzthelfern gar nicht prognostizieren, wie lange sich dieser konkrete Patient bei dem Arzt selbst tatsächlich aufhalten wird. Schließlich kann nur der Arzt und nicht das Hilfspersonal zuverlässig beurteilen, welche Maßnahmen sinnvoll wären und welche nicht, ob diese sofort vorgenommen werden können oder ob aufwändigere Vorbereitungen getroffen werden müssen. Zudem steht noch nicht fest, ob der Patient überhaupt in die vom Arzt vorgeschlagenen Maßnahmen einwilligt etc. Eine verlässliche zeitliche Prognose lässt sich deswegen im Zeitpunkt der Anmeldung regelmäßig nicht abgeben. Die Situation ist mit derjenigen in Bürgerbüros o. Ä. nicht vergleichbar, dort ist die Zahl der Anliegen von vornherein weitestgehend überschaubar, viele Vorgänge sind standardisiert, zudem arbeiten für gewöhnlich zeitgleich mehr Mitarbeiter an verschiedenen Schaltern als Ärzte in einer Praxis. Dieser Vorschlag ist mangels Vergleichbarkeit somit abzulehnen. Über die Konkretisierungen in den §§ 630a ff. BGB hinausgehende Pflichten des Arztes können zudem über §§ 630a, 241 Abs. 2 BGB hergeleitet werden, was im Zweifel auch bevorzugt geschehen wird, da es sich dann um haftungsbewehrte Pflichten und nicht um bloße Obliegenheiten handelt.87 Deswegen ist davon auszugehen, dass der Regelung des § 630c Abs. 1 BGB auf Seite des Arztes keine große Bedeutung zukommen wird und letztlich auch die Gefahr der Ausdehnung von ärztlichen Obliegenheiten aufgrund dieser Norm nicht ganz begründet erscheint, denn letztlich war und ist eine Ausdehnung bereits über § 241 Abs. 2 BGB möglich und aufgrund von dessen Pflichtcharakter sogar zu bevorzugen, Termins auch ohne § 630c Abs. 1 BGB zu einer Haftung gem. § 280 Abs. 1 BGB kommen könne. 85 Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 86; auch Candidus ist der Ansicht, es sei „einfach, die modernen Mittel der Informationstechnologie für eine prozessuale Planung zu nutzen“, Candidus, GuP 2012, 66 (68). 86 Vgl. Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 88. 87 Vgl. Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 6.
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
sodass diese „Gefahr“ nicht durch das Inkrafttreten des § 630c Abs. 1 BGB neu entstanden ist. Zwar ist es möglich, dass manches keine Rücksichtnahmepflicht i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB darstellt, sodass auf die Obliegenheit des § 630c Abs. 1 BGB zurückgegriffen würde. Dies würde dann, parallel zu den Obliegenheiten des Patienten,88 dazu führen, dass dem Arzt ein Mitverschulden bzw. ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht angelastet würde. Auch dies war und wäre weiterhin ohne die Normierung des § 630c Abs. 1 BGB möglich. Deswegen hätte § 630c Abs. 1 BGB gestrichen werden sollen, wofür auch bereits im Rahmen der Analyse der Obliegenheiten des Patienten plädiert wurde.89
2. Therapeutische Informationspflicht Hinsichtlich der therapeutischen Informationspflicht bietet sich eine Aufspaltung in die Rechtsprechungsgrundsätze und die neue gesetzliche Regelung des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB an, um deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich herauszuarbeiten. Die Meinungen in der Literatur sind diesbezüglich sehr gespalten. Ein Teil geht davon aus, dass durch die Implementierung des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB keinerlei Veränderungen zur bisherigen Rechtsprechung eingetreten seien,90 während andere Unterschiede ausmachen.91 Neu ist in jedem Fall die Änderung der Terminologie von therapeutischer Aufklärung zur therapeutischen Information, welche erfolgt ist, um eine begriffliche Unterscheidung zur Selbstbestimmungsaufklärung nach § 630e BGB zu erreichen.92 Auch diese begriffliche Neuerung wird zum Teil begrüßt,93 zum Teil kritisch betrachtet.94 Allerdings war die Rechtsprechung in ihrer Terminologie bisher nicht einheitlich. So wurde in manchen Urteilen von „informieren“ hinsichtlich der Selbstbestimmungsaufklä88
Siehe dazu unter F. I. 1. Siehe dazu unter F. I. 1. c). 90 Olzen/Lilius-Karakaya, BtPrax 2013, 127 (128); Thole, MedR 2013, 145 (146); Thole/ Schanz, RDG 2013, 64 (64); Preis/Schneider, NZS 2013, 281 (283); Lechner, MedR 2013, 429 (431); Quaas/Zuck/Clemens, Medizinrecht, 3. Aufl. (2014), § 14 Rdnr. 79 Fn. 282; vgl. Osmia lowski, ArztR 2013, 201 (203) („nicht wesentlich geändert“). 91 Spickhoff, ZRP 2012, 65 (67); Katzenmeier, NJW 2013, 817 (818); Thurn, MedR 2013, 153 (155). 92 BT-Drs. 17/10488, 1 (21). Siehe dazu bereits unter F. 93 Katzenmeier, MedR 2012, 576 (580); Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. V Rdnr. 14; Thole, MedR 2013, 145 (146). 94 Thurn, MedR 2013, 153 (155); Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 18; Preis/Schneider sind der Ansicht, dass die Abweichung von der üblichen Terminologie sowie die Trennung von § 630e BGB Intransparenz statt Transparenz heraufbeschwöre, Preis/Schneider, NZS 2013, 281 (283); Spickhoff hält es für „eher irritierend“, Spick hoff, ZRP 2012, 65 (67); Wenzel/Steinmeister sprechen von einem „chaotischen Pflichtenfeuerwerk“, Wenzel/Steinmeister, BuGBl 58 (2015), 23 (26). 89
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes
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rung gesprochen,95 andernorts von „informieren“ hinsichtlich der therapeutischen Aufklärung.96 An anderer Stelle wurde sogar sowohl der Begriff des Informierens als auch der des Aufklärens hinsichtlich der therapeutischen Aufklärung verwendet,97 sodass zumindest der Terminus des Informierens nicht gänzlich neu ist, er allerdings zuvor nicht nur im Zusammenhang mit der therapeutischen Aufklärung gebraucht wurde. Dies führt dazu, dass bei der Kenntnisnahme der Gerichtsentscheidungen Vorsicht hinsichtlich des Fixierens auf bestimmte Ausdrücke geboten ist; die Begrifflichkeit lässt nicht automatisch auf eine Informationspflicht i. S. d. § 630c BGB oder eine Selbstbestimmungsaufklärungspflicht i. S. d. § 630e BGB schließen. Bedenkt man, dass sowohl Aufklärungs- als auch Informationspflichten nach allgemeiner schuldrechtlicher Terminologie klassische vertragliche Nebenpflichten darstellen, so verwundert es nicht, dass diese Begrifflichkeiten häufig synonym gebraucht wurden und werden.98 Die einzelnen Inhalte und Modalitäten der therapeutischen Information werden nacheinander betrachtet. Dabei wird zunächst die Rechtslage vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes anhand der Rechtsprechung festgestellt und sodann der Bedeutungsgehalt der gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf diese Inhalte und Modalitäten ermittelt, wobei auch etwaige Lücken im Gesetz sowie die Notwendigkeit und Möglichkeit der Lückenschließung untersucht werden und geprüft wird, ob und inwieweit Änderungen zur bisherigen Rechtslage nach der Rechtsprechung bestehen. Schließlich wird die Qualität der konkreten Regelung bewertet. a) Allgemeine Grundsätze Zunächst werden die allgemeinen Grundsätze des Richterrechts dargestellt und sodann diejenigen nach der gesetzlichen Regelung. Sodann wird die Qualität bewertet.
95 So statuiert bspw. das OLG Stuttgart: „Je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher ist der Patient, dem dieser Eingriff angeraten wird oder den er selbst wünscht, über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren.“, OLG Stuttgart, NJW-RR 2002, 1604 (1605); OLG Koblenz, VersR 2009, 980 (981); AG Mühlhausen, 3 C 162/08. 96 OLG Braunschweig, VersR 1998, 459 (460). 97 BGH, NJW 2009, 2820 (2822). 98 Thurn, MedR 2013, 153 (155). Zur synonymen Verwendung siehe auch Palandt/Grüne berg, § 280, Rdnr. 30 m. w. N. aus der Rspr.; Palandt/Grüneberg, § 311, Rdnr. 40 m. w. N. aus der Rspr.
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
aa) Richterrecht Die Rechtsprechung hat über Jahrzehnte die sog. therapeutische Aufklärung bzw. die Sicherheits- oder Sicherungsaufklärung entwickelt, die Begriffe werden synonym verwendet.99 Hierunter ist die ärztliche „Beratung über ein therapierichtiges Verhalten zur Sicherstellung des Behandlungserfolgs und zur Vermeidung möglicher Selbstgefährdungen des Patienten“100 zu verstehen; zur Sicherung des Behandlungserfolgs notwendige Schutz- und Warnhinweise sind zu erteilen.101 Daneben dient sie der Sicherstellung „der erforderlichen Nach-/Weiterbehandlung“.102 Die therapeutische Aufklärung gehört nach Ansicht der Rechtsprechung zu den selbstverständlichen ärztlichen Behandlungspflichten103 und stellt eine vertragliche Nebenpflicht dar.104 bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB Gem. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB hat der Arzt dem Patienten sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf zu erläutern. Dem hat der Arzt unabhängig von einer etwaigen Nachfrage des Patienten nachzukommen. Sinn und Zweck des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB soll der Gesetzesbegründung zufolge die Sicherung des Heilungserfolgs sein, auch nach Beendigung der Therapie soll der Patient über die für ein therapiegerechtes Verhalten und die Vermeidung von Selbstgefährdungen relevanten Informationen verfügen.105 Bei einem folgsamen und kooperativen Patienten, durch die sog. Compliance des Patienten, vergrößern sich die Chancen auf einen Behandlungserfolg.106 Insoweit stellt die Gesetzesbegründung auf die zuvor unter dem Stichwort „therapeutische Aufklä99 Siehe u. a. BGH, NJW 1989, 2320 (2320); BGH, NJW 2004, 3703 (3704); BGHZ 162, 320 (324); BGH, NJW 2008, 2846 (2949); OLG Hamm, VersR 2005, 837 (837); OLG Köln, VersR 2013, 237 (237 ff.); OLG Köln, BeckRS 2014, 17668; OLG München, NJW-RR 1988, 609 (609); LG Regensburg, 4 O 1943/12. Auch der Begriff der therapeutischen Beratung wurde verwendet, vgl. u. a. BGHZ 126, 386 (388); BGH, NJW 1989, 2320 (2320). 100 BGH, NJW 2004, 3703 (3704); BGHZ 162, 320 (324); BGH, VersR 2005, 227 (228). 101 OLG Köln, BeckRS 2014, 17668 m. w. N. 102 OLG Brandenburg, 12 U 152/11; OLG Karlsruhe, 7 U 183/05. 103 BGH, NJW 2009, 2820 (2822); BGHZ 107, 222 (227). 104 OLG München, NJW-RR 1988, 609 (609); OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001, 959 (960). 105 BT-Drs. 17/10488, 1 (21) unter Hinweis auf BGH, VersR 2005, 227 (228) = BGH, NJW 2004, 3703 (3704); ebenso Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (25). 106 Heyers, BRJ 2012, 135 (140); Wagner, VersR 2012, 789 (792); MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 11, der kritisiert, dass der Aspekt der Compliance im Gesetz deutlicher hätte hervorgehoben werden sollen.
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes
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rung“ bzw. „Sicherungsaufklärung“ von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ab. cc) Bewertung Aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB ergeben sich keine Unterschiede zu den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung, sodass diese unverändert fortgelten können. Bei diesen Grundsätzen handelt es sich um adäquate Regelungen, sodass die Qualität des Gesetzes in dieser Hinsicht nicht zu kritisieren ist. b) Gegenstand und Umfang Es wird zunächst der Gegenstand bzw. Umfang der therapeutischen Informationspflicht nach der bisherigen Rechtsprechung dargestellt. Sodann wird der Gegenstand nach der gesetzlichen Regelung ermittelt und auf etwaige Änderungen zur Rechtsprechung geprüft, bevor dann auf die generelle Abgrenzung von therapeutischer Information und Selbstbestimmungsaufklärung eingegangen wird. Abschließend wird die Qualität der Regelung bemessen. aa) Richterrecht Der Gegenstand der therapeutischen Information und die zu beachtende Sorgfalt richten sich nach dem zur Zeit der Behandlung vorhandenen Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft.107 Dem Patienten sind die erhobenen Befunde mitzuteilen, damit eine etwaig erforderliche Nachbehandlung gesichert werden kann.108 Auf sich aus dem Befund ergebende notwendige Maßnahmen ist sodann hinzuweisen,109 ebenso auf
107
OLG Hamm, NJW-RR 2000, 1266 (1267); OLG Koblenz, VersR 2009, 1077 (1078). OLG Köln, VersR 1992, 1231 (1231); BGHZ 107, 222 (222, 226); OLG Köln, NJW 1990, 772 (772). 109 OLG Köln, VersR 1992, 1231 (1231); OLG Köln, NJW-RR 2001, 92 (93) (Probeexzision zur histologischen Abklärung); BGH, NJW 1991, 748 (749) (weitere Untersuchungsmaßnahme zur Abklärung); OLG Braunschweig, VersR 1998, 459 (460); KG, GesR 2005, 251 (252) (Röntgenaufnahme); OLG Düsseldorf, VersR 1995, 339 (340) (Bluttest zur Abklärung einer HIV-Erkrankung); BGH, NJW 2009, 2820 (2822) sowie OLG Köln, VersR 2011, 760 (761 f.) (beide bezüglich einer Krankenhauseinweisung); BGH, NJW 1986, 2367 (2368); OLG Saarbrücken, GesR 2016, 691 (691). Im Falle des Unterlassens des Hinweises zu erforderlichen diagnostischen Maßnahmen kann es sich auch um einen Befunderhebungsfehler handeln, vgl. OLG Köln, VersR 2015, 1173 (1174). Die genaue Abgrenzung zwischen therapeutischer Information und Befunderhebungsfehler kann im Einzelfall schwierig sein, ist jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit. 108
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
sich aus der Behandlung ergebende notwendige Nachbehandlungen,110 auf notwendige Kontroll-111 und Vorsorgeuntersuchungen112 sowie die Gefahren im Falle des Unterlassens notwendiger Maßnahmen,113 wobei allgemein bekannte Gefahren nicht erwähnt werden müssen.114 Auf die Notwendigkeit der Maßnahmen kann eindringlich hinzuweisen sein.115 Auch auf die Dringlichkeit116 bzw. Fristgebundenheit117 der Maßnahmen ist hinzuweisen. Im Falle des unterbliebenen Hinweises auf die Dringlichkeit sowie die Gefahren im Falle des Unterlassens liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit im „Unterlassen von Warnhinweisen zum Zwecke der Sicherstellung des Behandlungserfolgs“ und nicht in einer unterlassenen Befunderhebung.118 Ist es bei der Behandlung zu Komplikationen gekommen und ergeben sich hieraus neue Gesundheitsgefahren, ist der Patient hierauf hinzuweisen, sog. posttherapeutische Aufklärung.119 Darüber hinaus kann der Patient darauf aufmerksam zu machen sein, dass er im Falle des Auftretens oder Fortschreitens bestimmter Symptome einen (bestimmten) Arzt aufsuchen soll120 oder das zur 110
OLG Köln, NJW-RR 2001, 91 (91) (Nachbehandlung im Anschluss an Notfallbehandlung). 111 BGH, NJW 1995, 2407 (2408); OLG Hamm, VersR 1993, 484 (485); OLG Hamm, VersR 2002, 1562 (1563) (alle drei hinsichtlich der Erforderlichkeit eines Spermiogramms); BGH, NJW 2005, 427 (428); OLG Brandenburg, NJW-RR 2003, 1383 (1385) (sonographische Hüftkontrolle). Wird auf Kontrolluntersuchungen nicht hingewiesen, so kann dies einen groben Behandlungsfehler darstellen, OLG Oldenburg, NJW-RR 1994, 1054 (1054); OLG Brandenburg, NJW-RR 2003, 1383 (1385 f.). 112 OLG Hamm, MedR 2014, 103 (104); vgl. LG München I, NJW-RR 2009, 898 (900) hinsichtlich eines Aids-Tests während der Schwangerschaft. 113 BGHZ 107, 222 (226 f.); BGH, NJW 1991, 748 (749); BGH, NJW 1987, 705 (705); BGH, NJW 2009, 2820 (2821); OLG Oldenburg, NJW-RR 1994, 1054 (1054); OLG Braunschweig, VersR 1998, 459 (460); OLG Stuttgart, VersR 1997, 700 (700); KG, GesR 2005, 251 (252); OLG Köln, VersR 2011, 760 (761 f.); OLG Köln, VersR 1996, 1021 (1022); vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1997, 1402 (1402 f.) (Verlassen des Krankenhauses entgegen ausdrücklicher Empfehlung); OLG Saarbrücken, GesR 2016, 691 (691). 114 OLG Schleswig, NJW 2002, 227 (227). 115 OLG Schleswig, NJW 2002, 227 (227). 116 BGH, NJW 2016, 563 (564); BGHZ 107, 222 (225 f.); BGH, NJW 1997, 3090 (3091); OLG Braunschweig, VersR 1998, 459 (460); OLG Köln, VersR 2011, 760 (761 f.) sowie OLG Celle, VersR 1985, 346 (346) (beide bezüglich einer Krankenhauseinweisung); OLG Karlsruhe, 7 U 183/05; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1333 (1335); OLG Saarbrücken, GesR 2016, 691 (691) (bereits bezugnehmend auf § 630c Abs. 2 S. 1 BGB). 117 BGH, NJW 1987, 705 (705). 118 BGH, NJW 2016, 563 (564 m. w. N.); kritisch dazu Nußstein, VersR 2016, 641 (642 f.). 119 OLG Koblenz, NJW 2000, 3435 (3436). 120 BGH, NJW 2009, 2820 (2821); BGH, NJW 2005, 427 (428 m. w. N.); OLG Stuttgart, VersR 1995, 1353 (1355).
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Abklärung bestehender Verdachtsmomente ein bestimmter Facharzt zu kontaktieren ist.121 Bestehen Möglichkeiten zur ergänzenden Befunderhebung, bspw. durch eine Fruchtwasseruntersuchung, so ist der Patient hierauf hinzuweisen, sofern für eine solche hinreichender Anlass besteht;122 diesbezügliche Fragen sind ordnungsgemäß zu beantworten.123 Auch eine Information über Versagerrisiken ist im Rahmen der therapeutischen Aufklärung geboten.124 Außerdem sind Hinweise auf therapierichtiges Verhalten geboten, beispielsweise über den zulässigen Grad körperlicher, insbesondere auch sportlicher Belastung125 oder Verhaltensmaßgaben zum Schutz bestrahlter Hautstellen vor Kombinationsschäden.126 Derartige Hinweise sind auch bei einer ungesicherten Diagnose erforderlich, um eine Verschlimmerung einer möglichen Erkrankung zu verhindern und eine Heilung nicht zu erschweren.127 Besteht die Gefahr einer Ansteckung Dritter, so ist über Vorsichtsmaßnahmen zu deren Vermeidung zu belehren.128 Weist der Arzt den Patienten an, bestimmte Hilfsinstrumente zu nutzen, bspw. Gehhilfen, so muss er sich vergewissern, ob der Patient den Umgang mit diesen beherrscht, andernfalls muss er ihn in deren Benutzung schulen.129 Als weitere Beispiele können das Untersagen selbstständigen Aufstehens,130 der Hinweis, während der Taxifahrt die Wirbelsäule mit Kissen zu stützen sowie diese fachgerecht, nicht durch den Patienten selbst, zu positionieren,131 genannt werden. Auch ein Hinweis auf geeignete Zahnpflege und eine etwaige notwendige Änderung der Reinigungsgewohnheiten kann im Einzelfall geschuldet sein.132 Der Patient ist über die Dringlichkeit der Befolgung sowie über Gefahren im Falle der Nichtbefolgung zu informieren.133 121
OLG Brandenburg, NJW-RR 2003, 1383 (1385). Vgl. OLG München, NJW-RR 1988, 609 (609). 123 BGHZ 89, 95 (99 ff.). 124 BGH, NJW 2008, 2846 (2849); BGH, NJW 1981, 2002 (2003 f.); vgl. auch BGH, NJW 1981, 630 (632); OLG Oldenburg, NJW-RR 2000, 240 (241); OLG Hamm, VersR 2002, 1562 (1563); OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001, 959 (960); LG Regensburg, 4 O 1943/12 (Rdnr. 19 f.) (Risiko der Refertilisation). 125 OLG Köln, VersR 1992, 1231 (1231); OLG Bremen, VersR 1999, 1151 (1151) hinsichtlich des Hinweises, das Bein zwar nicht komplett zu belasten, aber auch nicht komplett ruhigzustellen. 126 BGH, NJW 1972, 335 (336). 127 OLG Köln, VersR 1992, 1231 (1231). 128 BGHZ 126, 386 (388). 129 OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 828 (829); a. A. OLG München, NJW 1994, 1599 (1599). 130 OLG Koblenz, VersR 2011, 225 (226). 131 OLG Frankfurt, VersR 1999, 1544 (1545). 132 OLG Düsseldorf, 8 U 120/06. 133 OLG Köln, VersR 1992, 1231 (1231). 122
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
Der Behandelnde muss den Patienten im Falle der Verschreibung von Medikamenten auf die Einzelheiten hinsichtlich der Einnahme,134 unter anderem auch auf eine etwaige maximale Gesamtmenge oder -dauer der Einnahme,135 hinweisen. Erforderlich ist außerdem eine Information über die Nebenfolgen und Wechselwirkungen einzunehmender Medikamente.136 Auch auf besondere, auf einer Medikamentenumstellung beruhende Gefahren ist hinzuweisen.137 Zur Erfüllung der Informationspflicht kann auch eine Wiedereinbestellung des Patienten geboten sein.138 Ist der Patient ordnungsgemäß informiert worden, so darf der Behandelnde grundsätzlich auf die Befolgung dieser Hinweise durch den Patienten vertrauen, solange keine Anzeichen für ein unvernünftiges Verhalten des Patienten vorliegen.139 Befolgt der Patient Therapie- und Kontrollanweisungen des Arztes nicht, so kann dies ein Mitverschulden begründen.140 Einschränkungen der therapeutischen Informationspflicht sind in noch geringerem Maße möglich als bei der Selbstbestimmungsaufklärung, da hier „weniger Anlaß zu der ärztlichen Sorge, den Patienten gesundheitlich nicht über Gebühr zu beschweren, durch belastende Hinweise zu schädigen oder von dem Gebotenen abzuhalten“,141 besteht. Zudem kann ein einfacher ärztlicher Hinweis schwerste Schädigungen verhindern.142 So bejahte der Bundesgerichtshof eine Hinweispflicht auch bei einem ganz seltenen Ansteckungsrisiko von lediglich 1:15,5 Millionen.143 Hinweise, die grundsätzlich der Selbstbestimmungsaufklärung zugeordnet werden, können ausnahmsweise dem Bereich der therapeutischen Information unterfallen, wenn die Erteilung im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung nicht möglich war, sogenannte nachträgliche Sicherungsaufklärung.144 Da die therapeutische Aufklärung ebenso wie die Selbstbestimmungsaufklärung Risikokomponenten beinhalten kann, kann im Einzelfall eine genaue Abgrenzung erforderlich sein, welche sich nach dem Zweck und nicht dem Zeitpunkt der Aufklärung zu richten hat.145 Haftet das Risiko dem Verhalten des Pa134
OLG Köln, VersR 1992, 1231 (1231). BGH, NJW 1970, 511 (512). 136 BGH, NJW 1987, 705 (705). 137 OLG Köln, VersR 2013, 237 (237). 138 BGH, NJW 1991, 748 (749); OLG Frankfurt, MedR 1987, 187 (188). 139 OLG Koblenz, VersR 2011, 225 (226); OLG Karlsruhe, 7 U 183/05. 140 OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1333 (1335), ausführlicher dazu oben unter F. I. 1. b). 141 BGHZ 126, 386 (390). 142 BGHZ 126, 386 (390). 143 BGHZ 126, 386 (388 ff.). 144 BGHZ 163, 209 (217) hinsichtlich des Risikos der HIV-Infektion bei Bluttransfusionen. 145 OLG Stuttgart, VersR 2008, 927 (927). 135
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes
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tienten und nicht der Behandlung an, so dient die Information ausschließlich dazu, den Patienten zur Mitwirkung zu bewegen und unterfällt folglich der therapeutischen Aufklärungspflicht.146 In einigen Fällen hat die Rechtsprechung auch eine Überschneidung für möglich gehalten, mithin einen Umstand als sowohl im Rahmen der therapeutischen Information als auch der Aufklärung geschuldet angesehen.147 Bereits anhand der Rechtsprechung zeigt sich, dass das hinsichtlich der therapeutischen Information häufig herausgestellte Ziel der Sicherung des Behandlungserfolgs und der Vermeidung etwaiger (Selbst-)Gefährdungen zu kurz greift. Als Beispiel kann die Information über den erhobenen Befund dienen. Diese hat mit der Sicherstellung des Behandlungserfolgs streng genommen nichts zu tun, eine derartige Information befähigt den Patienten auch (noch) nicht zur Vermeidung etwaiger Gefährdungen. Deswegen ist es konsequent, zumindest auch die Sicherstellung der erforderlichen Nach-/Weiterbehandlung als Zweck mit aufzunehmen, wie dies bereits von einigen Oberlandesgerichten148 erfolgt ist. bb) 630c Abs. 2 S. 1 BGB Beispielhaft werden im Normtext die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen genannt. Dass es sich dabei nicht um eine abschließende Aufzählung handelt, wird durch die Verwendung des Adverbs „insbesondere“ deutlich. In der Gesetzesbegründung werden als weitere Beispiele die „Erörterung der Anamnese, möglicher Untersuchungen sowie der Notwendigkeit von Be funderhebungen“ und die Information über die Dosis einzunehmender Medikamente, deren Nebenfolgen, etwaige Unverträglichkeiten, die Häufigkeit eines Verbandswechsels oder der Medikamenteneinnahme genannt.149 Auch diese Aufzählung ist nicht abschließend. Der Umfang soll sich stets nach den Umständen des Einzelfalls richten.150 Auch die Eingrenzung im Wortlaut auf „sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände“151 macht deutlich, dass es stets auf die konkrete Behandlung ankommt, mithin nicht allgemein ein bestimmter Pflichtenumfang statuiert werden kann. 146
OLG Stuttgart, VersR 2008, 927 (927). BGHZ 162, 320 (324 f.); vgl. BGH, NJW 1981, 630 (632). 148 Siehe dazu die Nachweise in Kap. F. Fn. 102. 149 BT-Drs. 17/10488, 1 (21); ebenso Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (25). 150 BT-Drs. 17/10488, 1 (21); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (25). 151 Hervorhebung durch die Verfasserin. 147
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
Der Gesetzgeber stellt in der Gesetzesbegründung ausdrücklich klar, dass die Informationspflichten des Abs. 2 S. 1 inhaltlich mit den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der therapeutischen Aufklärung bzw. Sicherungsaufklärung identisch seien und diese damit fortgälten.152 In der Literatur wird dies kontrovers beurteilt, vertreten wird sowohl ein Entsprechen der bisherigen Rechtsprechung153 als auch eine (weit) darüber hinausgehende Regelung.154 Deswegen ist zunächst zu prüfen, ob alle vom Gesetzgeber in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB sowie der Gesetzesbegründung genannten Inhalte auch von der bisherigen Rechtsprechung der therapeutischen Aufklärung zugeordnet wurden oder ob der Gesetzgeber über die bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze hinausgegangen ist. Dies ist im Wege einer genauen Normanalyse und -auslegung zu ermitteln. Der Terminus „Diagnose“, der sich im Wortlaut des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB wiederfindet, wird in der ständigen Rechtsprechung so nicht verwendet. Allerdings stellt die Rechtsprechung wiederholt auf Befunde ab. Unter einem Befund ist ein „nach einer Untersuchung, Prüfung festgestelltes Ergebnis, festgestellter Zustand“ zu verstehen; als Synonym führt der Duden für den Bereich der Medizin ausdrücklich das Wort „Diagnose“.155 Dies könnte dafür sprechen, dass der Gesetzgeber unter „Diagnose“ diejenigen Informationen versteht, die die Rechtsprechung zuvor als „Befund“ bezeichnet hat, sodass sich insofern keine Veränderungen zur bisherigen Rechtslage ergeben würden. Dagegen spricht aus systematischer Sicht jedoch, dass das Gesetz in § 630f Abs. 2 S. 1 BGB die Begriffe Befund und Diagnose nebeneinander nennt, was wiederum nahelegt, dass der Gesetzgeber die beiden Begriffe sehr wohl unterscheidet. Schließlich wurden in der Rechtsprechungspraxis auch die Fallgruppen des Diagnosefehlers (bzw. -irrtums) und des Befunderhebungsfehlers (jetzt: § 630h Abs. 5 S. 2 BGB für den groben Befunderhebungsfehler) unterschieden,156 was gegen ein einheitliches Begriffsverständnis von Befund und Diagnose spricht, auch wenn die Begriffe dem Duden zufolge synonym verwendet werden können. Letztlich stellt ein Befund ein gefundenes Ergebnis bzw. einen festgestellten Zustand dar, was sich insoweit mit der Bedeutungsbeschreibung des Dudens deckt. Eine Diagnose geht 152 BT-Drs. 17/10488, 1 (21); ebenso Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (25). 153 Siehe dazu bereits oben, insbesondere die Nachweise in Kap. F. Fn. 90. 154 MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 13; Spickhoff, VersR 2013, 267 (273); Deutsch/ Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 549. 155 Https://www.duden.de/rechtschreibung/Befund (Stand: 08.07.2018). 156 Siehe dazu u. a. BGHZ 188, 29 (35); BGH, NJW 2003, 2827 (2827 f.); BGH, NJW-RR 2007, 744 (744 ff.); BGH, NJW 2016, 1447 (1448). Zur Abgrenzung siehe auch Ziegler, GesR 2014, 647 (647 ff.).
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes
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jedoch darüber hinaus, sie interpretiert den Befund im Hinblick auf eine sich daraus ergebende Krankheit.157 Die systematische und teleologische Auslegung sprechen somit gegen ein synonymes Begriffsverständnis von Befund und Diagnose. Da der Gesetzeswortlaut ausdrücklich die Diagnose nennt, die Rechtsprechung dagegen nicht, scheint das Gesetz über die bisherige Rechtsprechung hinauszugehen. Ob dem Gesetzgeber dies bewusst war, ist nicht zu ermitteln. Dagegen spricht, dass die Gesetzesbegründung nicht auf diese Änderung, sondern vielmehr darauf hinweist, dass die Regelung inhaltlich mit den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen identisch sei.158 Deswegen ist jedenfalls davon auszugehen, dass ein Hinweis auf die Befunde entsprechend der bisherigen Rechtsprechung auch nach wie vor geschuldet wird, auch wenn dieser Umstand nicht ausdrücklich im Gesetz genannt ist. Das in der Gesetzesbegründung genannte Beispiel der „Erörterung der Anamnese“ lässt sich dagegen der Rechtsprechung zur Mitteilung erhobener Befunde zuordnen, denn die Anamnese stellt lediglich die Erfassung des aktuellen Gesundheitszustands dar und beinhaltet noch keine fachliche Interpretation. Unter „Therapie“ ist die „Heilbehandlung“ zu verstehen.159 Insoweit scheint der Gesetzgeber an die von der Rechtsprechung benannten Umstände der sich aus dem Befund ergebenden notwendigen Maßnahmen, Nachbehandlungen etc. anzuknüpfen. Auch die in der Gesetzesbegründung angeführten Beispiele der „mögliche[n] Untersuchungen sowie der Notwendigkeit von Befunderhebungen“ sind dem zuzuordnen. Unter die im Wortlaut angeführten „zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen“ lassen sich diejenigen Informationen subsumieren, die auf ein therapierichtiges Verhalten abzielen, mithin die „zur Sicherstellung des Behandlungserfolgs und zur Vermeidung möglicher Selbstgefährdungen des Patienten“ erforderlichen Maßnahmen und damit die klassisch unter den Begriff der therapeutischen Aufklärung subsumierten Pflichten. Dies wäre deutlicher geworden, wenn der Gesetzgeber an die aus der Rechtsprechung bekannte Terminologie angeknüpft hätte, er hätte so mehr Klarheit und „Laienverständlichkeit“ schaffen können. Zwar nennt die Gesetzesbegründung das Ziel der Sicherung des Heilungserfolgs,160 aus dem Wortlaut geht dies jedoch nicht klar hervor. Die in der Gesetzesbegründung genannten Beispiele der Information „über die Dosis, etwaige Unverträglichkeiten und Nebenfolgen“ der Medikation, die Häufigkeit eines 157
Ähnlich auch der Duden zum Begriff „Diagnose“: „Feststellung, Bestimmung einer körperlichen oder psychischen Krankheit (durch den Arzt)“, https://www.duden.de/rechtschrei bung/Diagnose (Stand: 08.07.2018). 158 BT-Drs. 17/10488, 1 (21). 159 Https://www.duden.de/rechtschreibung/Therapie (Stand: 08.07.2018). 160 BT-Drs. 17/10488, 1 (21).
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
Verbandswechsels oder der Medikamenteneinnahme unterfallen diesem Bereich und entsprechen der bisherigen Rechtsprechung. Schließlich findet sich im Gesetzeswortlaut noch der Unterpunkt der „voraussichtliche[n] gesundheitliche[n] Entwicklung“. An welche Rechtsprechung der Gesetzgeber hiermit genau anknüpfen möchte, ist nicht ganz klar. Der Anschluss dieses Kriteriums unmittelbar an die Diagnose legt nahe, dass damit die gesundheitliche Entwicklung ohne weitere Behandlung gemeint ist. Hätte der Gesetzgeber auf die Entwicklung im Falle der Vornahme der empfohlenen Maßnahmen abstellen wollen, so hätte er dieses Kriterium in Anschluss an das Kriterium der „zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen“ anführen sollen. Deswegen ist davon auszugehen, dass dieses Kriterium an die Rechtsprechung zur Information über die Gefahren im Falle des Unterlassens notwendiger Maßnahmen anknüpft. Somit lässt sich zunächst festhalten, dass sich bis auf die Diagnose alle im Gesetzeswortlaut sowie in der Gesetzesbegründung aufgezählten Konstellationen mit der bisherigen Rechtsprechung decken, das Gesetz hier also allenfalls in einem Punkt über die bisherige Rechtsprechung hinausgeht. cc) Änderungen zur bisherigen Rechtsprechung hinsichtlich der Zuordnung zur Selbstbestimmungsaufklärung bzw. zur therapeutischen Information Im Wege der Auslegung ist zu ermitteln, ob durch die beispielhaften Aufzählungen in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB sowie § 630e Abs. 1 S. 2 BGB Änderungen zur bisherigen Rechtsprechung im Hinblick auf die Zuordnung einzelner Kriterien zu der Selbstbestimmungsaufklärung bzw. der therapeutischen Information herbeigeführt wurden. Hier kommen drei Änderungspunkte in Betracht: die Information über Diagnose und Therapie, über die Dringlichkeit sowie über die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung (mithin die Gefahren im Falle des Unterlassens einer Behandlung). (1) Diagnose und Therapie Kritisiert wird, dass mit der Information über Diagnose und Therapie klassische Bestandteile der Selbstbestimmungsaufklärung geregelt worden seien,161 sodass es statt einer klaren Abgrenzung zu einer „unglückliche[n]“ Pflichtendoppelung komme.162 161 Thurn, MedR 2013, 153 (155); Spickhoff, ZRP 2012, 65 (67); Katzenmeier, NJW 2013, 817 (818); Katzenmeier, MedR 2012, 576 (580); BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630c, Rdnr. 9. 162 Spickhoff, ZRP 2012, 65 (67); Katzenmeier, NJW 2013, 817 (818); Katzenmeier, MedR 2012, 576 (580); BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630c, Rdnr. 9; ähnlich Martis/Winkhart-Mar tis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. P 18; vgl. GDV, Stellungnahme zum Gesetzesent-
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Hinsichtlich der Information über die Therapie wurde bereits erläutert, dass sich diese mit der Rechtsprechung zu den notwendigen Maßnahmen, Nachbehandlungen etc. deckt. Dies gilt jedoch nicht für die Diagnose. Wie bereits gezeigt, hat die Rechtsprechung die Information über Befunde bisher wiederholt der therapeutischen Aufklärung zugewiesen. Zwar entsprechen sich die Begriffe Befund und Diagnose, wie soeben erläutert, nicht, jedoch baut die Diagnose auf den Befund auf und folgt unmittelbar aus diesem, sodass zwischen beiden ein enger Zusammenhang besteht. Allerdings hat die Rechtsprechung die Aufklärung über die Diagnose vereinzelt auch der Selbstbestimmungsaufklärung zugewiesen,163 insgesamt existiert jedoch kaum Rechtsprechung zur Information bzw. Aufklärung über die Diagnose. In der Literatur wird, angeblich anknüpfend an die Rechtsprechung, die Diagnoseaufklärung häufig als Unterfall der Selbstbestimmungsaufklärung angesehen,164 wobei die Rechtsprechungsanalyse das von der Literatur vermittelte Bild nicht stützt.165 Der Gesetzgeber hat die Information über die Diagnose jedoch ausdrücklich in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB geregelt, sodass sie im Rahmen der therapeutischen Information in Zukunft zweifellos geschuldet ist. Ob darüber hinaus auch im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung ein Hinweis auf die Diagnose geboten ist, wie dies insbesondere die Literatur nahelegt, sodass es insofern also tatsächlich zu einer Überschneidung der beiden Pflichten käme, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. In § 630e Abs. 1 S. 2 BGB sind im Gegensatz zu § 630c Abs. 2 S. 1 BGB (nur) die „Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose“166 genannt, sodass der Wortlaut für eine eindeutige Zuordnung zur therapeutischen Information und für eine klare Abgrenzung von der Selbstbestimmungsaufklärung, mithin gerade gegen eine „Pflichtendoppelung“ spricht. Dies deckt sich auch mit der systematischen und historischen Auslegung. Der enge Regelungszusammenhang beider Normen sowie die Regelung in einem einheitlichen Gesetzgebungsverfahren sprechen für einen klaren Willen des Gesetzgebers zu einer eindeutigen Abgrenzung, ansonsten hätte er den Begriff in beiden Normen aufgezählt. Dies ist letztlich unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der beiden Pflichten konsequent. Im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung geht es um eine bestimmte vorzunehmende Maßnahme (oder verschiedene Alternativen); wurf, 1 (3); a. A. Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2013), Rdnr. 117, die die Doppelung für „weit weniger ‚neu‘“ halten. 163 So BGH, NJW 2005, 1718 (1719); ebenso OLG Frankfurt, 8 U 25/14 (bereits zur neuen Regelung des § 630e BGB). 164 Siehe dazu die Nachweise in Kap. E. Fn. 30. 165 Siehe dazu oben unter E. II. 1. a). 166 Hervorhebung durch die Verfasserin.
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
eine solche kann sich aber erst ergeben, wenn überhaupt eine Diagnose gestellt und darauf aufbauend eine Therapie vorgeschlagen wurde.167 Geschildert werden die Risiken, Erfolgschancen, Folgen etc. einer konkreten Therapiemaßnahme. Deswegen ist die Information über die Diagnose, ebenso wie der Hinweis auf eine notwendige Maßnahme, der Selbstbestimmungsaufklärung vorgeschaltet, jedoch kein Element dieser. Schließlich spricht für eine Zuordnung zur therapeutischen Information, dass eine Information über die Diagnose unabhängig davon geschuldet sein sollte, ob ein Eingriff vorgenommen werden kann oder nicht, denn nur wenn ein solcher möglich ist, kommt es überhaupt zur Selbstbestimmungsaufklärung. Dieses Argument überzeugt jedoch nur, wenn im Rahmen der therapeutischen Information stets eine Information über die Diagnose geschuldet ist, unabhängig davon, ob ein Behandlungserfolg erzielt werden kann oder Gefährdungen bestehen, die vermieden werden müssen, also über das „klassische“ Verständnis des Sinn und Zwecks der therapeutischen Information hinausgegangen wird. Das Oberlandesgericht Köln geht davon aus, dass bei Fehlen von Therapiemöglichkeiten keine Information über die Diagnose im Rahmen der therapeutischen Information nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB geschuldet sei.168 Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm jedoch nicht zwingend. Zudem kann es zu erheblichen Gefahren führen, wenn der Patient über die erhobenen Befunde im Ungewissen gelassen wird, dies kann gravierende psychische Folgen haben.169 Schließlich muss auch dem nicht therapierbaren Patienten die Möglichkeit gegeben werden, sich auf die Folgen seiner Erkrankung einzustellen und Maßnahmen für die ihm verbleibende restliche Zeit sowie Regelungen bezüglich seiner Finanzen, seines Testaments etc. treffen zu können. Deswegen sollte unabhängig davon, ob Therapiemöglichkeiten bestehen, stets aufgrund der therapeutischen Informationspflicht aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB auf die Diagnose hingewiesen werden.170 Schließlich hat der Patient aus seinem Selbstbestimmungsrecht und seiner personalen Würde ohnehin einen Anspruch auf Kenntnis seiner Diagnose, er darf gerade nicht zum bloßen Objekt der Behandlung degradiert werden.171 Zwar ließe sich argumentieren, dass der Patient zur Informationserlangung Einsicht in die Patientenakte nehmen könne (§ 630g Abs. 1 BGB), in welcher gem. § 630f Abs. 2 S. 1 BGB insbesondere auch die Diagnose festzu-
167 Es sei denn, es handelt sich um einen rein diagnostischen Eingriff, dann steht jedoch auch noch gar keine Diagnose fest, über die aufgeklärt oder informiert werden könnte. 168 OLG Köln, BeckRS 2014, 17668; OLG Köln, VersR 2015, 455 (456); siehe dazu auch unter F. II. 5. a). 169 Dies sieht auch das OLG Köln als Möglichkeit, OLG Köln, BeckRS 2014, 17668. 170 Siehe dazu auch unter F. II. 5. b) bb) (4). 171 Siehe dazu bereits unter C. I. 1., 5.
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halten ist,172 sodass es keiner Information über § 630c Abs. 2 S. 1 BGB bedürfe. Da typischer Hauptgegenstand eines Behandlungsvertrags jedoch die Ermittlung der Ursachen bestimmter Beschwerden und somit die Stellung einer Diagnose mit eventuell darauffolgender Behandlung ist, entspricht es dem Wesen des Behandlungsvertrags, dem Patienten diese Information mitzuteilen, unabhängig von einer Therapiemöglichkeit. Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Köln sind insofern nicht überzeugend. Auch die teleologische Auslegung spricht somit dafür, dass im Rahmen der therapeutischen Information stets die Mitteilung der Diagnose geschuldet wird. Schließlich hat die konkrete Diagnose auch keine Auswirkungen auf den Abwägungsprozess, den § 630e Abs. 1 BGB ermöglichen soll. Für die Entscheidung für oder gegen die konkrete Maßnahme sind die dieser spezifisch anhaftenden Faktoren wie Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen, Risiken, Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten relevant sowie der Krankheitsverlauf im Falle des Unterlassens einer Behandlung, nicht dagegen die konkrete Diagnosestellung an sich. Zudem ist auch nicht ersichtlich, warum es „nicht im Sinne der Patienten“ sein sollte, wenn im Rahmen der Aufklärung nicht die Aufklärung über die Diagnose geschuldet ist,173 denn die Information wird nach wie vor über § 630c Abs. 2 S. 1 BGB geschuldet und ist dem Patienten auch zeitlich vor der Selbstbestimmungsaufklärung zu erteilen, da letztere darauf aufbaut. Es ist somit konsequent, die Information über die Diagnose der therapeutischen Information zuzuordnen und aus der Selbstbestimmungsaufklärung auszuklammern, auch wenn große Teile der Literatur anderer Meinung sind.174 Ob der Gesetzgeber sich dieser entgegenstehenden Literatur und vereinzelt entgegen stehenden Rechtsprechung beim Erlass der Regelung bewusst war, kann dahinstehen. Hinsichtlich der Diagnose ist somit eine klare Abgrenzung zwischen § 630c BGB und § 630e BGB möglich. Gleiches gilt hinsichtlich der Therapie, mithin der zu ergreifenden notwendigen Maßnahmen.175 Hier muss nach Sinn und 172 Das Recht auf Einsichtnahme in die Patientenakte ist Ausdruck des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten, siehe dazu unter C. I. 5. 173 So Thurn, MedR 2013, 153 (155). 174 Siehe dazu die Nachweise in Kap. E. Fn. 30. A.A. auch OLG Frankfurt, 8 U 25/14, das davon ausgeht, dass im Rahmen von § 630e BGB eine Aufklärung über die Diagnose geschuldet sei (der zugrunde liegende Fall ereignete sich noch vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes, das OLG Frankfurt nimmt aber bereits Bezug auf § 630e BGB). 175 Rehborn/Gescher sind der Ansicht, dass die Information über die Therapie Bestandteil der Selbstbestimmungsaufklärung sei und durch die Aufnahme in die therapeutische Information deutlich werden solle, dass der Patient in die Heilbehandlung einzubeziehen ist, Erman/ Rehborn/Gescher, § 630c, Rdnr. 7. Warum gerade die Informationspflicht über die Therapie dies verdeutlichen soll, ist nicht ersichtlich. Bereits durch das Erfordernis der umfassenden
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Zweck der Information Identisches gelten wie für die Diagnose. Der Hinweis auf eine überhaupt notwendige Maßnahme an sich ist Voraussetzung der Selbstbestimmungsaufklärung, ohne diesen kann es nicht zur Selbstbestimmungsaufklärung kommen. Die Selbstbestimmungsaufklärung befasst sich darauf aufbauend dann mit den der Maßnahme konkret anhaftenden Risiken etc. Deswegen ist die bloße Information über die Therapie ausschließlich der therapeutischen Information zuzuordnen. (2) Dringlichkeit Welcher Pflicht der Hinweis auf die Dringlichkeit zuzuordnen ist, ist ebenfalls im Wege der Auslegung zu ermitteln. In einigen Entscheidungen wurde diese der therapeutischen Aufklärung,176 in anderen Entscheidungen dagegen der Selbstbestimmungsaufklärung zugeordnet.177 Im Gesetzeswortlaut des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB ist die Dringlichkeit nicht aufgeführt, dagegen jedoch im Wortlaut des § 630e Abs. 1 S. 2 BGB. Auch in der Gesetzesbegründung wird sie nur im Rahmen der Ausführungen zu § 630e BGB genannt. Dies könnte dafür sprechen, dass die Dringlichkeit in Zukunft nur im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung zu thematisieren ist.178 Aufgrund der nicht abschließenden Aufzählung („insbesondere“) lässt sich aber auch argumentieren, dass ein Hinweis auf die Dringlichkeit, entsprechend der bisherigen Rechtsprechung, zusätzlich im Rahmen der therapeutischen Information geschuldet wird, es sich mithin dort um einen ungeschriebenen Umstand handelt, der zu den ausdrücklich aufgeführten Umständen hinzukommt. Allerdings ist wenig überzeugend, warum der Gesetzgeber, der die Dringlichkeit ganz offensichtlich als relevanten Umstand gesehen hat, diesen nur in einer Norm ausdrücklich genannt hat, wenn er ihn in der anderen Norm ebenfalls zum Inhalt zählt. Wortlaut, Historie und Systematik legen Selbstbestimmungsaufklärung (jetzt § 630e BGB) war schon vor dem Erlass des Patientenrechtegesetzes anerkannt, dass gerade kein Paternalismus, also eine alleinige Entscheidung des Arztes für eine bestimmte Behandlung orientiert am Wohl des Patienten, vorherrscht, sondern vielmehr der Patient in die Krankheitsgeschichte, Behandlungsmethoden, Therapiemaßnahmen etc. einzubeziehen ist und eine autonome Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Behandlung zu treffen hat. Darüber hinaus weist auch die Regelung des § 630c Abs. 1 BGB bereits ausdrücklich darauf hin, dass Arzt und Patient zusammenwirken sollen, der Patient also an der Behandlung mitwirken und folglich auch in diese einbezogen werden soll. Schließlich war auch bereits durch die von der Rechtsprechung entwickelte therapeutische Aufklärungspflicht eine Einbeziehung des Patienten in die Behandlung gewährleistet, sodass es nicht nachvollziehbar erscheint, warum eine Einbeziehung des Patienten erst durch die Informationspflicht über die Therapie deutlich werden soll. 176 Siehe dazu Kap. F. Fn. 116. 177 Siehe dazu Kap. E. Fn. 73. 178 Dort zählt die Dringlichkeit zu den Aufklärungsgegenständen, siehe unter E. II. 1. a), b).
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somit eine klare Abgrenzung nahe, sodass in Zukunft über die Dringlichkeit nur im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung zu informieren wäre. Dies ist aus teleologischer Sicht jedoch nicht überzeugend. Über die Dringlichkeit der Befolgung von Hinweisen zu therapierichtigem Verhalten, beispielsweise der Häufigkeit der Medikamenteneinnahme, kann zwangsläufig nur im Rahmen der therapeutischen Information informiert werden, denn bei Hinweisen zu therapierichtigem Verhalten handelt es sich grundsätzlich nicht um einwilligungsrelevante Maßnahmen, sodass die Selbstbestimmungsaufklärung dabei nicht zum Tragen kommen kann. Insofern muss die bisherige Rechtsprechung im Rahmen des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB fortgelten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber dies ausschließen wollte, schließlich hat er ausdrücklich erklärt, an die bisherige Rechtsprechung anknüpfen zu wollen. Aus teleologischer Sicht muss die Dringlichkeit etwaiger zu ergreifender Maßnahmen sinnvollerweise der therapeutischen Information zugeordnet werden, denn die Selbstbestimmungsaufklärung erfolgt erst, wenn die Vornahme einer bestimmten Maßnahme konkret im Raum steht, sodass auch erst dann über die Dringlichkeit dieser Maßnahme informiert werden könnte. Wird dem Patienten im Anschluss an die Befunderhebung und Diagnosestellung mitgeteilt, dass notwendige Maßnahmen ergriffen werden müssen, und wird er nicht auf die Dringlichkeit dieser Maßnahmen hingewiesen, so kann es sein, dass der Patient davon ausgeht, sich erstmal in Ruhe an die Diagnose „gewöhnen“ zu können, sich Gedanken zu machen und erst dann zu einem Arzt zu gehen, um weitere Maßnahmen zu ergreifen. Je nach Dringlichkeit und Dauer des Findungsprozesses des Patienten kann es dann allerdings bereits zu spät für die Maßnahme sein, sodass es nicht mehr zur Selbstbestimmungsaufklärung käme. Dies würde sowohl dem Interesse des Patienten am Schutz seiner Gesundheit als auch dem Interesse des Arztes am Wohle seines Patienten zuwiderlaufen. Es ist jedoch gerade Sinn und Zweck der therapeutischen Information, (zumindest auch) den wohlverstandenen Gesundheitsinteressen des Patienten zu dienen,179 sodass die Information über die Dringlichkeit zwingend der therapeutischen Information zuzuordnen ist, unabhängig vom konkreten Zeitrahmen der Dringlichkeit. Denn auch wenn eine Behandlung beispielsweise innerhalb der nächsten fünf Jahre erfolgen kann, ist dieser Umstand für den Patienten relevant, damit er sich spätestens zum Ende der fünf Jahre überlegen kann, ob er die Maßnahme in Erwägung ziehen möchte oder nicht. Im Rahmen der therapeutischen Information besteht somit grundsätzlich eine Pflicht zur Information über die Dringlichkeit. Es könnte zusätzlich auch im Rahmen des § 630e Abs. 1 S. 2 BGB eine Aufklärung über die Dringlichkeit geschuldet sein. Für eine derartige Auslegung 179
Siehe dazu oben unter B. III.
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sprechen sowohl der Wortlaut als auch die Historie. Auch der Sinn und Zweck der Aufklärung, die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts, spricht dafür, dass, je nach Umständen des Einzelfalls, über die Dringlichkeit der konkreten Maßnahme aufzuklären ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Dringlichkeit der Maßnahme für die Entscheidung des Patienten für oder gegen den Eingriff, mithin für die Wahrnehmung seines Selbstbestimmungsrechts, wesentlich ist. Zu einer Relevanz kann es beispielsweise dann kommen, wenn die Maßnahme überhaupt nicht dringlich ist und ohne besondere Gefahren zunächst abgewartet werden kann. Ist die Dringlichkeit im Einzelfall dagegen irrelevant für die Entscheidung des Patienten, so ist hierüber nicht aufzuklären. Je nach Umständen des Einzelfalls ist somit eine Überschneidung von therapeutischer Information und Aufklärung hinsichtlich der Dringlichkeit möglich. (3) Gefahren im Falle des Unterlassens der Behandlung Die Gefahren bzw. Folgen im Falle des Unterlassens der Behandlung sind wie bereits erläutert180 Bestandteil der therapeutischen Information, diese sind mit der „voraussichtliche[n] gesundheitliche[n] Entwicklung“ im Wortlaut gemeint. Da ein Hinweis auf die Folgen im Falle des Unterlassens der Behandlung auch im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung geschuldet ist,181 kann es somit auch in diesem Bereich zu einer Überschneidung zwischen therapeutischer Information und Selbstbestimmungsaufklärung kommen. dd) Generelle Abgrenzung therapeutische Information – Selbstbestimmungsaufklärung Durch das Patientenrechtegesetz wurde die therapeutische Information durch die neue Begrifflichkeit sowie durch die separate Regelung deutlich von der Selbstbestimmungsaufklärung getrennt. Diese Trennung wird zum Teil als konsequent und aufgrund der unterschiedlichen Rechtsfolgen als notwendig,182 zum Teil als systematisch verfehlt und impraktikabel183 angesehen. Problematisch und nach wie vor nicht eindeutig geklärt ist, wie genau die therapeutische Informationspflicht von der Selbstbestimmungsaufklärung abzugrenzen ist. In der Literatur werden beide zum Teil vermengt, zum Teil klare Bestandteile der Selbstbestim180
Siehe unter F. II. 2. b) bb). Siehe dazu oben unter E. II. 1. b). 182 Thole, MedR 2013, 145 (146); Katzenmeier hält die Unterscheidung für „durchaus sinnvoll“, BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630c, Rdnr. 9. 183 BÄK/KBV, Stellungnahme zum RefE, 1 (11 f.); für eine einheitliche Regelung auch GDV, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, 1 (3); für problematisch und auslegungsbedürftig haltend PGV, Stellungnahme zum RefE, 1 (6). 181
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mungsaufklärung als Bestandteile der therapeutischen Informationspflicht ausgewiesen.184 Aus der bisherigen Rechtsprechung ergeben sich Schnittmengen zwischen beiden,185 eine klare Abgrenzung ist bisher nicht erfolgt.186 Auch durch das Patientenrechtegesetz wurde diese Problematik keiner Lösung zugeführt; eine klare, handhabbare Abgrenzung hat nicht stattgefunden.187 Vereinzelt wird dem Gesetzgeber sogar vorgeworfen, er habe „keinen Mut“ zur Abgrenzung gehabt.188 Allerdings wurde auch in der wissenschaftlichen Diskussion bisher kein befriedigendes Ergebnis erzielt.189 Aufgrund der beweisrechtlichen Unterschiede bei Aufklärungs- und Informationsfehlern ist die Zuordnung zur Aufklärungsoder Informationspflicht von erheblicher Bedeutung, sodass es einer klaren Maßgabe bedarf. Schließlich kann die Verteilung der Beweislast entscheidenden Einfluss auf den Ausgang des Rechtsstreits haben; ihr kommt im Arzthaftungsrecht eine noch größere Bedeutung zu als in vielen anderen Rechtsgebieten, was auch der eigene Paragraf zur Beweislast, § 630h BGB, verdeutlicht. Deswegen ist zu ermitteln, wie die beiden Pflichten voneinander abgegrenzt werden können und welche Schnittmengen es gibt. Werden Überschneidungen angenommen, so hat dies zur Folge, dass wegen des Unterlassens des Hinweises auf einen bestimmten Umstand zwei Pflichtverletzungen, also eine Informationssowie eine Aufklärungspflichtverletzung bestehen können. Geht es um den gleichen Schaden, so führt dies zwar nicht dazu, dass der Arzt den Schaden doppelt zu ersetzen hat. Jedoch kann sich ein derartiges Normverständnis durchaus signifikant auswirken, wenn es infolge der doppelten Pflichtverletzung zu doppelten Beweisnachteilen für den Arzt kommt: So ist es durchaus möglich, dass sowohl 184
Siehe z. B. MAH-MedR/Terbille, § 1, Rdnr. 561 ff. Von Schnittmengen ausgehend auch Spickhoff, JZ 2015, 15 (20); Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2013), Rdnr. 117; eine „gewisse Überschneidung“ sehen auch Reu ter/Hahn, VuR 2012, 247 (250); Thole spricht von einer „gewisse[n] Überschneidung im Einzelfall“, Thole, MedR 2013, 145 (146). 186 So auch Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 451. 187 Ähnlich Spickhoff, JZ 2015, 15 (20) („alles andere als trennscharfe[…] Unterscheidung“); Wenzel/Steinmeister sprechen davon, dass das chaotische Pflichtenfeuerwerk zu einer sachgerechten Differenzierung wenig beitrage, Wenzel/Steinmeister, BuGBl 58 (2015), 23 (26). Jaeger zufolge wurde in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB „ein Einheitsbrei normiert […], der mehr verwirrt, als klärt“, Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 99; Wagner zufolge wurde die Unterscheidung „verdunkelt“, MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 14; vgl. auch BeckOKBGB/Katzenmeier, § 630c, Rdnr. 9; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 451; Katzenmeier, NJW 2013, 817 (818); eine klare Abgrenzung für nicht möglich haltend und daher für eine einheitlich Regelung plädierend GDV, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, 1 (3). 188 Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 549; Spickhoff, VersR 2013, 267 (273). 189 Vgl. Spickhoff, VersR 2013, 267 (273). 185
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
die Beweiserleichterung des § 630h Abs. 2 BGB als auch diejenige des § 630h Abs. 5 BGB zugunsten des Patienten greift. Ist dagegen der im Rahmen beider Pflichten geschuldete Hinweis vom Arzt im Rahmen einer Pflicht erteilt und nur bei der anderen Pflicht unterlassen worden, so kann es unter Umständen an der Kausalität dieser Unterlassung für den Schaden fehlen, weil sich der Arzt auf einen hypothetischen Kausalverlauf berufen kann. Zur Abgrenzung werden zunächst verschiedene vertretene Positionen beleuchtet, bevor dann eine eigene Stellungnahme erfolgt. (1) Vertretene Positionen Mansel begründet eine Überschneidung damit, dass die erweiterte Information über eigentlich originär aufklärungsrelevante Umstände dazu diene, dem Patienten die Notwendigkeit sowie die Wirksamkeit des therapiegerechten Verhaltens zu verdeutlichen und ihn zur Mitwirkung i. S. d. Abs. 1 zu bewegen.190 Während dieses Argument im Grundsatz nachvollziehbar ist, erscheint es zum einen nicht der Intention des Gesetzgebers zu entsprechen und zum anderen die Pflichten des Arztes zu überspannen. Schließlich wird immer wieder die Autonomie des Patienten hervorgehoben, der Arzt soll gerade nicht paternalistisch zum Patientenwohl handeln, ohne diesen in die Behandlung einzubeziehen; die Mündigkeit des Patienten wird regelmäßig betont.191 Dem mündigen Patienten sollte es jedoch genügen, die relevanten Informationen entweder im Rahmen der Aufklärung oder der therapeutischen Information zu bekommen (sofern sie nicht für beide Pflichten elementar notwendig sind, dazu sogleich). Darüber hinaus liegt die Mitwirkung des Patienten in dessen eigenem Interesse und es sollte nicht nur vom Arzt verlangt werden, diese einzufordern. Vielmehr sollte eine gewisse Eigenständigkeit und Initiative vom mündigen Patienten erwartet werden können. Es wäre widersprüchlich, die Mündigkeit und Autonomie des Patienten zu betonen und ein paternalistisches Handeln zu verurteilen, gleichzeitig aber kaum Verantwortung und eigenständige Mitwirkung des Patienten einzufordern. Mit dieser Argumentation kann somit keine pauschale Überschneidung begründet werden. Für eine zwingende Überschneidung von § 630c Abs. 2 S. 1 BGB und § 630e Abs. 1 BGB wird zudem die Existenz von § 630c Abs. 4 BGB und dessen Ähnlichkeit zu § 630e Abs. 3 BGB vorgebracht.192 Auch dies ist nicht überzeugend. Eine Entbehrlichkeit von Informationen i. S. d. §§ 630c Abs. 2 und 3 BGB ist 190
Jauernig/Mansel, § 630c, Rdnr. 5. die Gesetzesbegründung stellt wiederholt auf den mündigen Patienten ab, BT-Drs. 17/10488, 1 (1, 9, 22, 23, 26). Siehe dazu auch oben unter B. I. 192 So Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 13; Spickhoff, VersR 2013, 267 (273); vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 549. 191 Auch
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sehr wohl auch dann vorstellbar, wenn die Fallgruppen der Selbstbestimmungsaufklärung aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB ausgeklammert werden. Beispielsweise können ausführliche Informationen zu therapiegerechtem Verhalten zu Beginn der Behandlung entbehrlich sein, wenn die Behandlung unaufschiebbar ist. Der Patient kann, unabhängig von § 630e BGB, auch auf die Information über die Kosten verzichten. Die für eine pauschale „Doppelung“ der Pflichten vorgebrachten Argumente überzeugen somit nicht. Für eine Abgrenzung zwischen beiden wird vorgebracht, dass sich diese daraus ergebe, dass § 630c Abs. 1 BGB unabhängig davon eingreife, ob es zu einem Eingriff komme oder nicht.193 Dies überzeugt jedoch ebenfalls nicht, denn auch die Selbstbestimmungsaufklärung gem. § 630e BGB hat zwingend vor einem etwaigen Eingriff stattzufinden und kann zur Folge haben, dass ein Eingriff gerade nicht vorgenommen wird, beispielsweise weil dem Patienten die damit verbundenen Risiken zu groß sind. Schließlich soll die Selbstbestimmungsaufklärung dazu dienen, dem Patienten eine Entscheidung zu ermöglichen, unabhängig davon, wie diese ausfällt. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat vorgebracht, dass Risiken, die dem Verhalten des Patienten und nicht der Behandlung anhaften, zwingend nur der therapeutischen Aufklärungspflicht (jetzt: Informationspflicht) unterfielen, da sie ausschließlich dazu dienten, den Patienten zur Mitwirkung zu bewegen.194 Auch dies stellt jedoch kein taugliches Abgrenzungskriterium dar. Risiken aus einer bestimmten Verhaltensanforderung können durchaus entscheidungserheblich hinsichtlich der konkreten Maßnahme sein, mithin einwilligungsrelevant. Darf der Patient nach der Behandlung drei Monate nicht schwer heben und besteht beispielsweise das Risiko eines erneuten Bandscheibenvorfalls in diesen drei Monaten nur dann, wenn er schwer hebt, so kann dies für den Patienten unter Umständen durchaus entscheidungserheblich sein, beispielsweise wenn er einen Beruf ausübt, bei dem er regelmäßig schwer hebt und dies zu einer Berufsunfähigkeit führen würde. Allein das Abstellen darauf, ob das Risiko der Maßnahme oder dem eigenen Verhalten anhaftet, kann somit nicht eine ausschließliche Zuordnung in die eine oder die andere Richtung begründen. Der Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart kann nicht gefolgt werden. Zum Teil wird auch vertreten, dass die Selbstbestimmungsaufklärung einen Teilausschnitt der therapeutischen Information darstelle,195 sodass sämtliche auf193 So Walter, Das neue Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 105; BeckOGK/Walter, § 630c, Rdnr. 18. 194 OLG Stuttgart, VersR 2008, 927 (927). 195 Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 451, 549; Spickhoff, VersR 2013, 267 (273).
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klärungsrelevante Umstände auch im Rahmen der therapeutischen Information geschuldet würden. Die therapeutische Information wäre demnach „Aufklärung plus x“. Bildlich lässt sich dies durch konzentrische Kreise ausdrücken: Der kleinere innere Kreis wäre demnach die Selbstbestimmungsaufklärung, während die therapeutische Information den äußeren Kreis bilden würde. Dies kann jedoch nicht überzeugen. Es gibt Bereiche, die stets nur der einen und nicht der anderen Pflicht unterfallen. Zum einen sind die Informationen über Befunde, Diagnose und Therapie wie bereits gezeigt196 ausschließlich der therapeutischen Information zuzuordnen. Dagegen sind das konkrete Risikoprofil, Art, Umfang, Durchführung und zu erwartende Folgen der Maßnahme ausschließlich aufklärungsrelevant, da dies alles Umstände sind, die nur im Zusammenhang mit der konkreten Maßnahme relevant werden und somit für die Gesundheit des Patienten auch erst mit Erteilung der Einwilligung Bedeutung erlangen. Vereinzelt wird vorgebracht, dass die therapeutische Information nur eine Basis-Information darstelle197 und § 630e BGB spezieller und vorrangig sei.198 Anhand der umfangreichen Rechtsprechung sowie der in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB aufgezählten Umstände zeigt sich jedoch, dass es sich bei der therapeutischen Information keineswegs um eine bloße Basisinformation handelt. Ein Verhältnis lex specialis – lex generalis im Bereich der Überschneidungen kann vor der unterschiedlichen Schutzrichtung der Normen ebenfalls nicht überzeugen. Die vorgebrachten Überschneidungs- bzw. Abgrenzungsvorschläge überzeugen somit nicht. (2) Eigener Ansatz Die Zuordnung einzelner Pflichten zu § 630c Abs. 2 S. 1 BGB oder zu § 630e Abs. 1 BGB hat sich daran zu orientieren, welchem Sinn und Zweck die einzelne Information bzw. Aufklärung dient.199 Dient sie ausschließlich den wohlverstandenen Gesundheitsinteressen des Patienten, so kann sie nur der therapeutischen Information unterfallen. Dient sie der Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts, so muss sie zwingend der Selbstbestimmungsaufklärung unterfallen. Dazwischen besteht ein je nach Einzelfall größerer oder kleinerer Überschneidungsrahmen, da einzelne Aspekte, die der Wahrung der Selbstbestimmung dienen, auch der therapeutischen Information unterfallen können, denn letztere 196
Siehe dazu unter F. II. 2. b) bb), cc) (1). Walter, Das neue Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 104. 198 Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 11; Walter, Das neue Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 104. 199 Ebenso Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. (2014), Kap. B Rdnr. 97; dies im Ausgangspunkt zumindest in Bezug auf Risikokomponenten ebenso einschätzend OLG Stuttgart, VersR 2008, 927 (927), dann jedoch unzutreffend. 197
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dient neben den wohlverstandenen Gesundheitsinteressen auch Autonomiegesichtspunkten,200 zudem kann ein und dieselbe Information wie bereits gezeigt gleichzeitig sowohl Autonomiegesichtspunkten als auch dem wohlverstandenen Gesundheitsinteresse des Patienten dienen. Überschneidungen sind wie bereits erläutert bei der Dringlichkeit sowie den Gefahren im Falle des Unterlassens möglich. Gleiches gilt auch für Verhaltenshinweise. Je nach Art des Hinweises kann dieser auch Bedeutung für die konkrete Entscheidung des Patienten entfalten (beispielsweise das Verbot des Führens eines Fahrzeugs im Straßenverkehr über einen längeren Zeitraum, vorübergehendes Berufsausübungsverbot o. Ä.). Schwerwiegende Einschnitte in das posteriore Behandlungsgeschehen können für die Einwilligung wesentliche Umstände darstellen; einfache Einschnitte, wie bspw. einen Tag das Bein hochzulegen, stellen dagegen in der Regel keinen wesentlichen Umstand dar. Verhaltenshinweise sind stets im Rahmen der therapeutischen Information geschuldet, können je nach den Umständen des Einzelfalls aber zusätzlich auch im Rahmen der Aufklärung geschuldet sein. Je nach Art der Hinweise führt dies dazu, dass der Bereich der Überschneidungen kleiner oder größer ist. Auch auf notwendige Nach- oder Kontrollbehandlungen ist stets im Rahmen der therapeutischen Information hinzuweisen. Fallen sie nach den Umständen des Einzelfalls auch für die Entscheidung des Patienten ins Gewicht, so können sie auch im Rahmen der Aufklärung geschuldet sein. Gleiches gilt für Nebenfolgen und Wechselwirkungen von Medikamenten. So kann die Unverträglichkeit mit einem bestimmten Verhalten, welches der Patient ohnehin nicht an den Tag legt, für seine Entscheidung irrelevant sein, während eine bei einer bestimmten Handlung sogar zum Tode führende Wechselwirkung dagegen erhebliche Entscheidungen auf die Einwilligung in die Medikamenteneinnahme haben kann. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei allen Fallgruppen, die zu einer Überschneidung führen können, zwingend der Hinweis im Rahmen der therapeutischen Information geboten ist. Lediglich in von den Umständen des Einzelfalls abhängenden Konstellationen kann ausnahmsweise zusätzlich eine Information im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung geboten sein. In den Überschneidungsbereichen ist der Anwendungsbereich der therapeutischen Information somit stets größer oder zumindest genauso groß wie der der Aufklärung, während der der Aufklärung kleiner oder ebenso groß wie der der therapeutischen Information ist. Somit gibt es Bereiche, bei denen therapeutische Information und Aufklärung klar voneinander abgegrenzt werden können. Zudem gibt es einen Teilausschnitt der therapeutischen Informationen, der im Einzelfall zusätzlich auch aufklä200
Siehe dazu oben unter B. III.
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
rungsrelevant sein kann, sodass es in diesem Bereich zu Überschneidungen kommen kann. Ob eine solche erfolgt, kann allein davon abhängen, ob die Informa tion für die Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten relevant ist oder nicht. Es hat eine Einzelfallentscheidung zu erfolgen, die sich ähnlich der Entscheidung hinsichtlich des Aufklärungsumfangs im Rahmen des § 630e Abs. 1 BGB vollzieht. Bei der Selbstbestimmungsaufklärung orientiert sich der Umfang des Aufklärungsgesprächs beispielsweise auch an der Dringlichkeit und Schwere des Eingriffs.201 Je nach Einzelfall kann die Größe der Überschneidung differieren. Bei kleineren, unbedeutenderen Eingriffen ist es dagegen auch möglich, dass keine Überschneidungen zwischen beiden Pflichten vorliegen. Dieses Ergebnis deckt sich grundsätzlich mit der bisherigen Rechtsprechung, die sowohl einen eigenständigen Anwendungsbereich des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB gesehen hat als auch Überschneidungen zwischen beiden.202 Zwar lässt sich diesem Abgrenzungsergebnis entgegenhalten, dass es sehr dynamisch ist und folglich wenig Rechtssicherheit bietet. Allerdings ergeben sich ähnliche Probleme bei der generellen Feststellung des Aufklärungsumfangs i. S. d. § 630e Abs. 1 BGB, zudem bei der Figur des groben Behandlungsfehlers i. S. d. § 630h Abs. 5 BGB, sodass ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit dem Arzthaftungsrecht bereits immanent ist. Es ist somit erforderlich, dass die Rechtsprechung sich dieser Abgrenzungsproblematik annimmt, denn wie gezeigt ist der Wortlaut des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB unglücklich gewählt sowie die Gesetzesbegründung widersprüchlich, sodass im Rahmen einer teleologischen Gesetzesauslegung eine Problemlösung zu erfolgen hat. All dies ändert nichts an der möglichen Wechselwirkung zwischen Informations- und Aufklärungspflicht, wie sie beispielsweise bei der Einnahme von Arzneimitteln besteht: Im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung sind die typischen Risiken sowie mögliche Nebenwirkungen zu erläutern, während im Rahmen der Informationspflicht auf die Verhaltensmaßnahmen einzugehen ist, welche das Eintreten von etwaigen Nebenwirkungen vermeiden oder jedenfalls in ihrer Wahrscheinlichkeit oder Schwere verringern sollen. Grundsätzlich bietet es sich deshalb an, in der Praxis Information und Aufklärung möglichst in einem Gespräch durchzuführen und aufeinander zu beziehen. Wandelt sich eine originäre Selbstbestimmungsaufklärungspflicht in eine nachträgliche therapeutische Informationspflicht um, weil die Selbstbestimmungsaufklärung vor dem Eingriff aufgrund Bewusstlosigkeit o. Ä. nicht mög-
201 202
Siehe dazu oben unter E. II. 1. Siehe dazu oben unter F. II. 2. b) aa).
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lich war, so handelt es sich hierbei nicht um eine Überschneidung, sondern um eine Verschiebung. ee) Zusammenfassung der Ergebnisse Im Wege der Auslegung ergibt sich, dass § 630c Abs. 2 S. 1 BGB keine Einschränkungen gegenüber den bisherigen Grundsätzen der Rechtsprechung vornimmt, sodass alle von der Rechtsprechung der therapeutischen Information zugeordneten Gegenstände auch weiterhin geschuldet werden und die Rechtsprechung an ihrer bisherigen Linie festhalten kann. Der Begriff der Diagnose ist nicht identisch mit dem Begriff der Befunde. Auch wenn der Begriff der Befunde nicht ausdrücklich im Gesetz genannt ist, ist auch weiterhin über die Befunde zu informieren. Eine Information über die Diagnose und Therapie ist ausschließlich im Rahmen der therapeutischen Information geschuldet, nicht dagegen im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung. Diesbezüglich sind beide Pflichten klar voneinander abzugrenzen. Über die Diagnose ist auch dann zu informieren, wenn es keine Behandlungsmöglichkeiten mehr gibt. Im Rahmen der therapeutischen Information ist grundsätzlich auch auf die Dringlichkeit hinzuweisen. Die Dringlichkeit lässt sich im Wege der Auslegung unter § 630c Abs. 2 S. 1 BGB subsumieren, diese kann als ein „für die Behandlung wesentliche[r] [Umstand]“ angesehen werden, der neben die beispielhaft aufgezählten Umstände tritt. Da ein Hinweis auf die Dringlichkeit grundsätzlich auch im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung geschuldet ist, kann es hier zu Überschneidungen zwischen beiden kommen. Gleiches gilt für die Folgen im Falle des Unterlassens der Behandlung. Die Abgrenzung zwischen therapeutischer Information und Selbstbestimmungsaufklärung hat nach dem Sinn und Zweck der einzelnen Information bzw. Aufklärung zu erfolgen. Dient sie ausschließlich den wohlverstandenen Gesundheitsinteressen des Patienten, so kann sie nur der therapeutischen Information unterfallen. Dient sie der Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts, so muss sie zwingend der Selbstbestimmungsaufklärung unterfallen. Dazwischen besteht ein je nach Einzelfall größerer oder kleinerer Überschneidungsrahmen. In den Überschneidungsbereichen ist der Anwendungsbereich der therapeutischen Information stets größer oder zumindest genauso groß wie der der Aufklärung. Es hat stets eine Abgrenzung im Einzelfall zu erfolgen. Unabhängig davon können auch Wechselwirkungen zwischen therapeutischer Information und Aufklärung bestehen.
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ff) Bewertung Durch den weit gefassten Wortlaut sowie die nicht abschließende Aufzählung wesentlicher Umstände ist sowohl gewährleistet, dass grundsätzlich auch sonstige bisher durch die Rechtsprechung entwickelte Informationspflichten hierunter subsumiert werden können, als auch, dass in Zukunft die Möglichkeit besteht, bereits bestehende Pflichten weiter zu konkretisieren sowie neue Pflichten als Ausfluss dieser Norm zu begründen.203 Dies erfüllt zumindest das Ziel des Gesetzgebers, der Rechtsprechung weiterhin genügend Spielraum für sach- und interessengerechte Entscheidungen im Einzelfall zu überlassen.204 Der im Gesetzeswortlaut genannte Begriff der „zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen“ entspricht den Hinweisen auf ein therapierichtiges Verhalten zur Sicherstellung des Behandlungserfolgs und zur Vermeidung möglicher (Selbst-)Gefährdungen des Patienten, die das klassische Verständnis der therapeutischen Information darstellen. Im Sinne von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hätte der Gesetzgeber die Anknüpfung an diesen Grundsatz deutlicher machen sollen. Die Ausführungen zur Sicherstellung des Behandlungserfolgs und zur Vermeidung möglicher (Selbst-)Gefährdungen sind zwar etwas lang und nicht notwendig, sie würden die Übersichtlichkeit der Regelung erschweren. Allerdings hätte durch das Abstellen auf Verhaltensmaßnahmen der Bezug zu diesem Grundsatz verdeutlicht und das Begriffsverständnis somit vereinfacht und klarer gemacht werden können. Hierdurch würde die Regelung auch nicht verkompliziert oder unübersichtlich. Auch der Begriff der „voraussichtliche[n] gesundheitliche[n] Entwicklung“ ist nicht präzise genug. Die genaue Bedeutung ergibt sich erst durch Auslegung. Hier hätte der Gesetzgeber entweder auf die Folgen im Falle der Nichtbehandlung abstellen können oder seine Begrifflichkeit durch den Zusatz „ohne Behandlung“ präzisieren können. Dies würde für mehr (Laien)Verständlichkeit und Rechtssicherheit sorgen. Die ausschließliche Zuordnung der Information über Diagnose und Therapie zur therapeutischen Information und nicht (zusätzlich) zur Selbstbestimmungsaufklärung überzeugt unabhängig davon, ob sich der Gesetzgeber der Tragweite seiner Regelung bewusst war. Auch im Rahmen von § 630c Abs. 2 S. 1 BGB ist zu kritisieren, dass der Gesetzgeber die gesetzgeberische Figur der Generalklausel mit anschließender Nennung von Einzeltatbeständen nicht korrekt anwendet. Bei den Einzeltatbeständen werden Befunde und die Dringlichkeit nicht ausdrücklich genannt. Wie Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 8; Olzen/Lilius-Karakaya, BtPrax 2013, 127 (128); Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 547. 204 BT-Drs. 17/10488, 1 (9). 203
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gezeigt gehören diese jedoch grundsätzlich zum geschuldeten Gegenstand der therapeutischen Information. Vor dem Hintergrund, dass ein nicht im Gesetz genannter Einzeltatbestand für die Einordnung unter die Generalklausel eines erhöhten Begründungsaufwands bedarf,205 ist es misslich, dass diese beiden Umstände nicht ausdrücklich aufgeführt werden; dies schmälert die Qualität des Gesetzes erheblich. Zudem führt es zu Rechtsunsicherheit und vor allem hinsichtlich der Dringlichkeit zu Widersprüchen innerhalb des Gesetzes, denn die Dringlichkeit ist in § 630e Abs. 1 S. 2 BGB ausdrücklich genannt. Dass die Dringlichkeit in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB nicht genannt wird, ist irreführend und unverständlich. So kann weder für Transparenz noch für Rechtssicherheit gesorgt werden. Durch eine präzisere Regelung hätten Unsicherheiten und Widersprüche vermieden sowie der erforderliche Auslegungsaufwand erheblich reduziert werden können. Schließlich klärt der Gesetzgeber auch nicht die genaue Abgrenzung von therapeutischer Information und Selbstbestimmungsaufklärung. Diese war bisher sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur ungeklärt. Hier hätte der Gesetzgeber einen Fortschritt durch die Klärung offener Rechtsfragen schaffen können. Dem hat er sich jedoch nicht angenommen. c) Art und Weise Hinsichtlich der Art und Weise der Informationserteilung werden zunächst die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung dargestellt. Sodann wird die Rechtslage nach der gesetzlichen Regelung ermittelt. Dabei wird insbesondere auf ein etwaiges Erfordernis sowie auf das Problem sprachunkundiger Patienten eingegangen. Abschließend erfolgt eine Bewertung. aa) Richterrecht Die therapeutische Aufklärung kann grundsätzlich mündlich erfolgen. Liegen jedoch besondere Umstände vor (bspw. eine Schwerhörigkeit des Patienten), so kann ausnahmsweise eine schriftliche Information geboten sein.206 Die Information hat in verständlicher Art und Weise zu erfolgen.207 Gibt der Arzt dem Patienten besondere Verhaltensregeln an die Hand, so muss er sich klar ausdrücken und sich vergewissern, dass der Patient diese auch richtig verstanden hat.208 Je nach 205
Siehe dazu unter A. III. 1. c). BVerfGK 4, 203 (209); eine solche aufgrund der Umstände des Einzelfalls ebenfalls annehmend OLG Köln, MedR 1996, 564 (566). 207 BGHZ 89, 95 (100); OLG Köln, VersR 2011, 760 (761 f.). 208 OLG Bremen, VersR 1999, 1151 (1151); zu Verhaltensmaßregeln auch BGH, NJW 1972, 335 (336). 206
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Sachlage kann ein eindeutiger und klarer, auf die konkrete Situation bezogener Hinweis geboten sein.209 Die Information kann im Einzelfall auch mit allem Ernst, klar, deutlich und nachdrücklich zu erteilen sein.210 Insbesondere dem medizinischen Laien sind die Informationen mit der nötigen Deutlichkeit zu vermitteln, ein in medizinischer Fachsprache gehaltener Hinweis kann unter Umständen nicht ausreichen.211 Es kann dagegen auch geboten sein, den Patienten schonend zu informieren, beispielsweise über die Diagnose.212 Ist der Patient der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig, so muss nicht zwingend ein Dolmetscher hinzugezogen werden, sofern eine Verständigung durch Personal des Krankenhauses, bspw. Ärzte oder Pflegepersonal, gewährleistet ist.213 bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB Hinsichtlich der Art und Weise sowie der Mittel der Information statuiert § 630c Abs. 2 S. 1 BGB lediglich, dass die Information „in verständlicher Weise“ zu erfolgen habe, weitere Anforderungen enthält das Gesetz nicht. Dass der Verständlichkeit erhebliche Bedeutung zugemessen wird, verdeutlicht die Umstellung im Wortlaut im Vergleich vom Regierungsentwurf zum Referentenentwurf.214 Der Bundesrat hatte, ebenso wie bei § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB, darüber hinaus gefordert, dass eine Ergänzung des Wortlauts um „und im Bedarfsfall in Leichter Sprache“ erfolgen solle,215 dem ist der Gesetzgeber nicht nachgekommen. Dies ist jedoch nicht als Zeichen dafür zu verstehen, dass dem Gesetzgeber die Verständlichkeit nicht wichtig sei, sondern vielmehr dahin, dass eine derartige Ergänzung nicht erforderlich war, da sie sich bereits aus dem Verständlichkeitserfordernis ergibt. Die Intensität der Information soll sich stets nach den Umständen des Einzelfalls richten.216 Besteht beispielsweise eine Neigung des Patienten zur Verharmlosung, so hat der Arzt deutliche Worte zu finden.217
209 210
me.
211
OLG Köln, VersR 2011, 760 (762). OLG Karlsruhe, 7 U 183/05 hinsichtlich der Dringlichkeit einer Untersuchungsmaßnah-
BGH, NJW 1995, 2407 (2408). OLG Köln, NJW 1988, 2306 (2306). 213 OLG Oldenburg, MedR 2012, 332 (334) (Anamnesegespräch). 214 Olzen/Uzunovic, JR 2012, 447 (447). 215 BR-Drs. 312/12, 1 (4). 216 BT-Drs. 17/10488, 1 (21); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (25). 217 Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. (2014), Kap. B Rdnr. 98. 212
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(1) Kein Formerfordernis Anders als bei der Selbstbestimmungsaufklärung gem. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB ist es bei § 630c Abs. 2 S. 1 BGB nicht zwingend vorgeschrieben, dass die Information mündlich zu erfolgen hat, sodass unter Umständen auch eine schriftliche Information genügen kann, sofern sie dem Patienten zugeht.218 Die Rechtsprechung hat sich zwar dahingehend geäußert, dass die Information grundsätzlich mündlich erfolgen könne, s.o., was jedoch nicht als Pflicht zur Mündlichkeit, sondern als Befreiung von einem Schriftformerfordernis zu interpretieren ist, sodass insofern keine Unterschiede zur Rechtsprechung implementiert worden sind. Im Interesse des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient ist zwar eine mündliche Information wünschenswert, aber eben nicht zwingend geschuldet. Ebenso wenig ist eine Information in Textform auf Verlangen des Patienten geboten.219 Der Behandelnde ist auch nicht zur Aushändigung der Information in Textform verpflichtet. Der Bundesrat hatte (zumindest für drei Konstellationen) gefordert, dass dem Patienten die Information in Textform auszuhändigen sei (Patientenbrief),220 dem ist der Gesetzgeber jedoch nicht nachgekommen. Zwar würde eine solche Pflicht dem Informationsinteresse des Patienten dienen, da ihm so die Möglichkeit gegeben würde, sich den Inhalt der Information jederzeit erneut in das Gedächtnis zu rufen.221 Allerdings würde ein weiteres Formerfordernis dazu führen, dass der ohnehin bereits immense Bürokratieaufwand für den Arztes weiter anwachsen würde und ihm noch weniger Zeit für den Patienten bliebe.222 Dass ein derartiges Formerfordernis dagegen die Therapietreue fördern würde,223 ist allenfalls eine Hoffnung, eine zwingende Korrelation besteht hier nicht. Gleiches gilt hinsichtlich einer Verbesserung des eigenen Krankheitsverständnisses sowie der Therapiesicherheit.224 Zuzugeben ist, dass im Falle einer Aushändigung möglicherweise ein besserer Umgang mit Komplikationen erreicht werden könnte.225 Berücksichtigt man, dass durch die Dokumentations218 Walter, Das neue Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 108 Fn. 59. Weidenkaff hält dagegen in der Regel ein mündliches Gespräch für erforderlich, Palandt/Weidenkaff, § 630c, Rdnr. 5. 219 Dies hatte der Bundesrat gefordert, es sollte in einem neuen Abs. 2a geregelt werden, BR-Drs. 312/12, 1 (7). 220 „Die Informationen sind dem Patienten auf Verlangen sowie bei der Erstellung von neuen oder veränderten Diagnosen oder der Anwendung von Therapieschemata in verständlicher Sprache sowie bei Bedarf in Leichter Sprache in Textform auszuhändigen“, BR-Drs. 312/12, 1 (4 f.). 221 Olzen/Uzunovic, JR 2012, 447 (448). 222 Olzen/Uzunovic, JR 2012, 447 (448); ähnlich PWW/Schneider, § 630c, Rdnr. 6. 223 PWW/Schneider, § 630c, Rdnr. 6; BR-Drs. 312/12, 1 (5). 224 So BR-Drs. 312/12, 1 (4). 225 So BR-Drs. 312/12, 1 (5).
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pflicht aus § 630f BGB sowie das Einsichtsrecht des Patienten gem. § 630g BGB ohnehin gewährleistet ist, dass der Patient jederzeit „sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse“ einsehen kann, so sollte dem Informationsinteresse des Pa tienten dadurch genügt sein. Schließlich hat der Gesetzgeber sich dafür entschieden, eine solche Aushändigungspflicht nicht zu regeln. Dies ist auch interessengerecht, denn es kann nicht gerechtfertigt sein, dem Arzt aufgrund seines über legenen Wissens immer mehr Bürokratiepflichten aufzuerlegen, ohne den mündigen Patienten selbst in die Pflicht zu nehmen. Denn jedem Patienten steht es frei, sich während oder im Anschluss an die Information durch den Arzt selbst Notizen zu machen, sowie bei Unsicher- oder Unklarheiten noch einmal nachzufragen. Zudem ist es auch im Sinne des Patienten, wenn der Arzt mehr Zeit für den Patienten selbst und dessen Behandlung im eigentlichen Sinn aufwenden kann, sodass auch dies dafür spricht, eine zusätzliche Aushändigung in Textform nicht zu implementieren.226 Dass durch einen derartigen Patientenbrief der Behandelnde die Erfüllung seiner Informationspflicht beweisen könnte,227 ist zwar grundsätzlich richtig, kann jedoch kein Grund für die Implementierung einer solchen Pflicht sein. Zum einen ist im Rahmen der Dokumentationspflicht anerkannt, dass diese gerade nicht aus Beweisgründen geboten ist,228 zum anderen würde es für eine derartige Beweisführung dann bereits ausreichen, einen Vermerk in der Patientenakte vorzunehmen, statt einen eigenständigen Patientenbrief zu schreiben und diesen dem Patienten auszuhändigen. (2) Problem: Sprachunkundige Patienten Parallel zur Selbstbestimmungsaufklärung229 können sich Probleme ergeben, wenn der Patient der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist. Die Gesetzesbegründung geht hierauf nicht ein, aufgrund der Vergleichbarkeit der Interessenlage kann jedoch auf die Grundsätze im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung Bezug genommen werden.230 Da der Behandelnde den Patienten nach der Rechtsprechung in einer für letzteren verständlichen Art und Weise zu informieren hat, muss er sicherstellen, dass der Patient ihn auch sprachlich verstehen Ähnlich auch Olzen/Uzunovic, JR 2012, 447 (448). So BR-Drs. 312/12, 1 (5). 228 Ausdrücklich BGH, NJW 1999, 3408 (3409); OLG Oldenburg, NJW-RR 2009, 32 (33); OLG Hamm, VersR 2005, 412 (413). Siehe dazu auch bereits oben unter E. VIII. 1., insbesondere Kap. E. Fn. 525. 229 Siehe unter E. III. 2. c) bb). 230 So verweist zum Beispiel auch Spickhoff in seiner Kommentierung zu § 630c BGB schlicht auf die Ausführungen seiner Kommentierung zu § 630e BGB, Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 8. 226 227
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kann. Dies kann, parallel zur Selbstbestimmungsaufklärung, durch den Patienten begleitende Personen, Krankenhauspersonal oder einen hinzugezogenen (Berufs-)Dolmetscher sichergestellt werden. Zur Kostentragung äußert sich die Gesetzesbegründung im Rahmen von § 630c Abs. 2 S. 1 BGB, anders als bei § 630e BGB, nicht, sie geht generell nicht auf das Problem sprachunkundiger Patienten ein. Allerdings besteht auch im Rahmen der therapeutischen Information keine Pflicht der Krankenkassen zur Übernahme der Dolmetscherkosten, eine solche sollte aus den im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung ausgeführten Gründen auch nicht implementiert werden.231 Ob der Behandelnde oder der Patient für Dolmetscherkosten im Rahmen der therapeutischen Information aufkommen muss, ist ungeklärt. Für eine Übernahme der Dolmetscherkosten durch den Behandelnden könnte sprechen, dass der Fokus bei der therapeutischen Information auf dem gesundheitlichen Wohl des Patienten und nicht wie bei der Aufklärung auf dessen Selbstbestimmungsrecht liegt. Aufgrund des Behandlungsvertrags verpflichtet sich der Behandelnde, für das Wohl des Patienten zu sorgen, sodass damit einhergehen könnte, dass er auch die Kosten für einen Dolmetscher tragen muss, wenn er dem Patienten andernfalls die dessen Wohl dienenden Informationen nicht verständlich machen kann. Dagegen spricht jedoch, dass das Risiko der Sprachunkundigkeit ausschließlich der Sphäre des Patienten entspringt und für den Behandelnden nicht beeinflussbar ist. Es ist nicht einzusehen, warum ein in Deutschland tätiger Behandelnder dafür aufkommen sollte, seine Landessprache in eine andere Sprache übersetzen zu lassen. Dies würde zudem dazu führen, dass Behandelnde es generell (sofern möglich) vermeiden würden, sprachunkundige Patienten zu behandeln, was wiederum nicht im Interesse des Patienten liegt. Es ist deswegen vielmehr als eine Obliegenheit des Patienten im Rahmen des Behandlungsvertrags (§ 630c Abs. 1 BGB) anzusehen, dafür zu sorgen, dass er Informationen in der Landessprache aufnehmen und geben kann. Tut er dies nicht, so können sich daraus Nachteile für ihn ergeben, beispielsweise in Form von Dolmetscherkosten. Deswegen ist parallel zur Selbstbestimmungsaufklärung davon auszugehen, dass der Patient für im Rahmen der therapeutischen Information anfallende Dolmetscherkosten aufkommen muss. Dann müssen auch die gleichen Grundsätze für die Haftung für fehlerhafte Übersetzungen gelten, sodass auf die dort gemachten Ausführungen verwiesen werden kann.232 231 Siehe unter E. III. 2. c) bb) (1). A.A. Spickhoff, der genau wie bei der Selbstbestimmungsaufklärung der Ansicht ist, dass die gesetzliche Krankenkasse für die Kosten aufkommen sollte, denn es handele sich um einen Bestandteil der notwendigen Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V, Spickhoff, MedR 2015, 845 (850). 232 Siehe dazu unter E. III. 2. c) bb) (2).
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Ist der Patient nicht in der Lage, die Kosten eines Dolmetschers zu tragen und auch sonst niemand (Krankenhauspersonal, Angehörige etc.) zugegen, der übersetzen könnte, so ist danach zu unterscheiden, an welchem Punkt der Behandlung sich die Parteien befinden. Hat die Behandlung gerade erst begonnen und geht es um die Anamnese, so sollte der Behandelnde eine weitere Behandlung ablehnen und den Behandlungsvertrag nach § 627 Abs. 2 BGB kündigen (sofern kein Notfall vorliegt), denn ansonsten läuft er Gefahr, aufgrund einer unzureichenden Anamnese einen Behandlungsfehler zu begehen und sich haftbar zu machen.233 Hat der Behandelnde dagegen bereits Maßnahmen vorgenommen und geht es um die Mitteilung von Befunden, Diagnosen, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und/oder zu und nach der Therapie zu ergreifende Maßnahmen, so kann der Behandelnde nicht einfach den Behandlungsvertrag kündigen. Unterlässt er eine gebotene therapeutische Information des Patienten, so begeht er einen Behandlungsfehler und läuft Gefahr, sich haftbar zu machen. Deswegen sollte er in eigenem Interesse für eine Übersetzung sorgen und die Kosten tragen, da die Kosten eines Dolmetschers letztlich wohl deutlich geringer ausfallen dürften als die saus einer etwaigen Haftung in Form von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen resultierenden Kosten. Die Möglichkeit eines Informationsverzichts hilft hier anders als bei der Selbstbestimmungsaufklärung nicht weiter,234 denn es ist fernliegend, dass ein Patient auf Informationen verzichten würde, die seinem gesundheitlichen Wohl dienen und ohne die er wohlmöglich nicht in der Lage wäre, drohende gesundheitliche Gefahren abzuwenden. Etwas anderes würde sich nur dann ergeben, wenn aufgrund der Obliegenheit des Patienten, dafür zu sorgen, dass er in deutscher Sprache gegebene Informationen verstehen kann, ein etwaiger Schadensersatzanspruch wegen unverstandener therapeutischer Information abgelehnt würde. Es dürfte dann entweder nicht als Pflichtverletzung angesehen werden, wenn der Behandelnde nicht dafür sorgt, dass der Patient die ihm gegebenen therapeutischen Informationen auch versteht, oder ein Schadensersatzanspruch müsste aufgrund des Obliegenheitsverstoßes reduziert oder ganz ausgeschlossen werden. Eine solche Lösung ist vor dem Hintergrund vorzugswürdig, dass den Behandelnden sonst in der Konsequenz dazu geraten werden müsste, die Behandlung sprachunkundiger Patienten abzulehnen (sofern kein Notfall vorliegt), damit sie nicht auf etwaigen Dolmetscherkosten sitzen bleiben. Eine derartige Behandlungsablehnung kann jedoch 233 So hat das KG ausdrücklich entschieden, dass der Behandelnde die Behandlung ablehnen kann, wenn der Patient nicht „in der Lage ist, die für eine ordnungsgemäße Behandlung erforderlichen Angaben zu machen“, KG, VersR 2008, 1649 (1650). 234 A.A. Spickhoff, VersR 2013, 267 (275); Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 567.
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nicht im Interesse sprachunkundiger Patienten sein. Zudem würde die Möglichkeit der Behandlungsablehnung nicht weiterhelfen, wenn es sich um einen Notfall handelt, da der Behandelnde dann zur Behandlung verpflichtet ist. Dann wären vor der Durchführung der Maßnahme zwar sowohl die Selbstbestimmungsaufklärung als auch die therapeutische Information aufgrund von Unaufschiebbarkeit entbehrlich, allerdings wäre der Behandelnde dann zur nachträglichen Sicherungsaufklärung verpflichtet und es würden sich nach der Maßnahme dann auch originäre Pflichten zur therapeutischen Information ergeben, sodass sich das Problem der Übersetzung in Verbindung mit den dadurch entstehenden Kosten wiederum stellen würde. Dann wäre der Behandelnde benachteiligt, weil er sich nicht frei dafür entscheiden konnte, die Behandlung abzulehnen, in der Konsequenz aber für Dolmetscherkosten aufkommen müsste, um nicht einen Behandlungsfehler zu begehen. Nach der aktuellen Rechtslage ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Rechtsprechung bei fehlender Übersetzung eine Pflichtverletzung des Behandelnden ablehnen oder die Haftung aufgrund der Obliegenheitsverletzung des Patienten ausschließen würde. Deswegen sollten Behandelnde eine Behandlung sprachunkundiger, nicht zahlungsfähiger Patienten in den Grenzen des Zulässigen ablehnen, wollen sie nicht Gefahr laufen, die Kosten für einen Dolmetscher selbst tragen zu müssen. (3) Zusammenfassung der Ergebnisse Die therapeutische Information muss nicht zwingend mündlich erfolgen. Eine Aushändigung der Information in Textform ist nicht geschuldet. Etwaige Dolmetscherkosten hat der Patient zu tragen. Hinsichtlich der Haftung für fehlerhafte Übersetzungen gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Aufklärung. Ist der Patient nicht in der Lage, die Kosten zu tragen, so hilft, anders als bei der Aufklärung, die Möglichkeit des Informationsverzichts nicht weiter. Hat die Behandlung gerade erst begonnen, sollte der Behandelnde die weitere Behandlung ablehnen und den Behandlungsvertrag kündigen. Geht es dagegen bereits um Informationen zu Befunden, Diagnosen, der voraussichtlichen gesundheitlichen Entwicklung, der Therapie oder zu und nach der Therapie zu ergreifender Maßnahmen, so sollte der Behandelnde im eigenen Interesse für eine Übersetzung sorgen und die Kosten tragen, damit er keinen Behandlungsfehler begeht. Vorzugswürdiger wäre es zwar, eine Haftung mangels Pflichtverletzung abzulehnen oder den Schadensersatzanspruch aufgrund von Mitverschulden auszuschließen, ein solches Vorgehen ist nach aktueller Rechtslage jedoch nicht ersichtlich.
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
cc) Bewertung Es ergeben sich durch § 630c Abs. 2 S. 1 BGB keine Unterschiede zur bisherigen Rechtsprechung, sodass diese fortgelten kann. Für die therapeutische Informa tion wird im Gegensatz zur Selbstbestimmungsaufklärung nicht ausdrücklich Mündlichkeit gefordert, sodass sie auch schriftlich erfolgen kann. Dass der Gesetzgeber keine Pflicht zur Aushändigung der Information in Textform implementiert, ist zu begrüßen. Allerdings hätte sich der Gesetzgeber der Problematik von sprachunkundigen Patienten annehmen und durch klare Grundsätze für Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Verlässlichkeit sorgen sollen, wie er dies auch beabsichtigt hatte. Dies hat er jedoch nicht getan. d) Zeitpunkt Zunächst wird untersucht, wann die therapeutische Information nach der bisherigen Rechtsprechung zu erfolgen hatte. Sodann wird die gesetzliche Regelung untersucht, wobei insbesondere auf die Auslegung des Wortlauts, das Nachwirken der Pflicht über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus sowie die zeitliche Begrenzung des Nachwirkens eingegangen wird. Abschließend wird die Qualität der Regelung bewertet. aa) Richterrecht Hinsichtlich des genauen Zeitpunkts der therapeutischen Information gibt es keine Rechtsprechung. Aus der Rechtsprechung ergeben sich aber folgende Besonderheiten: War vor der Behandlung eine Information des Patienten nicht möglich, so ist der Arzt zur nachträglichen Information verpflichtet; auch eine vor dem Eingriff nicht mögliche Risikoaufklärung kann sich dann in eine nachträgliche Sicherungsaufklärung, mithin nach der neuen Terminologie in eine therapeutische Informationspflicht, wandeln.235 Ergeben sich während der Operation Komplikationen, aufgrund derer unvorhergesehene Maßnahmen angewandt werden, welche wiederum besondere Gefahren mit sich bringen, so ist der Patient im Anschluss an die Operation hierüber zu informieren (sog. posttherapeutische Information).236 Ähnliches gilt, wenn der Eingriff misslingt oder Zweifel an seinem Erfolg bestehen.237 Hat der Behandelnde die rechtzeitige Information unter-
235
BGHZ 163, 209 (217). Siehe dazu bereits unter F. II. 2. b) aa). OLG Koblenz, NJW 2000, 3435 (3436). 237 OLG Hamm, VersR 1984, 91 (91). 236
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lassen, so besteht grundsätzlich die Möglichkeit der Nachholung.238 Zudem kann es erforderlich sein, eine bereits erfolgte therapeutische Information später zu ergänzen, sollte sich aufgrund weiterer Befunde die Sachlage ändern.239 Grundsätzlich muss der Arzt den Patienten nicht an vereinbarte Termine, empfohlene Kontroll- bzw. Vorsorgeuntersuchungen etc. erinnern; ist jedoch nach der Empfehlung einer erneuten Vorstellung des Patienten ein neuer, für die Gesundheit des Patienten bedeutsamer und ihm unbekannter Befund festgestellt worden, so hat der Arzt den Patienten trotz Nichterscheinens zum empfohlenen Termin über diesen Befund zu informieren.240 Diese Ausführungen lassen darauf schließen, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, dass die Information grundsätzlich vor Durchführung der konkreten Behandlungsmaßnahme zu erfolgen habe. bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB Gem. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB sind alle wesentlichen Umstände bereits zu Beginn der Behandlung (was nicht zwingend mit dem Zeitpunkt des Behandlungsvertragsschlusses übereinstimmen muss) zu erläutern.241 Zwar sind wesentliche Umstände auch im Verlauf der Behandlung zu erläutern, sofern dies erforderlich ist – aus dieser Einschränkung wird somit jedoch deutlich, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass grundsätzlich der Großteil der wesentlichen Umstände bereits bei Behandlungsbeginn erläutert werden kann und soll. Eine spätere Information soll folglich eher die Ausnahme darstellen, beispielsweise beim Auftreten zusätzlicher, unerwarteter Erkenntnisse. Diese Ausnahmeregelung führt dazu, dass die Informationspflicht während des Verlaufs der gesamten Behandlung beund entstehen kann.242 (1) Auslegung des Zeitpunkts „zu Beginn der Behandlung“ Wie bereits gezeigt243 ist der Begriff der Behandlung weit zu verstehen, er umfasst nicht bloß die Vornahme einer Maßnahme, sondern unter anderem bereits Vgl. BGHZ 163, 209 (217); Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. (2014), Kap. B Rdnr. 95. 239 OLG Saarbrücken, GesR 2016, 691 (691). 240 BGH, NJW 1985, 2749 (2750). 241 Wenzel/Steinmeister halten dies für „etwas Unmögliches“, Wenzel/Steinmeister, BuGBl 58 (2015), 23 (26). Schmidt geht, ohne Bezug auf den Wortlaut zu nehmen, davon aus, dass die Pflicht „i.d.R. erst nach Vornahme des Eingriffs bzw. der sonstigen Behandlungsmaßnahme“ einsetze, JurisPK-BGB/Schmidt, § 630c, Rdnr. 9; ähnlich Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. A 581. 242 Vgl. NK-BGB/Voigt, § 630c, Rdnr. 5. 243 Siehe dazu oben unter D. IV. 238
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das Anamnesegespräch. Eine strenge Orientierung an diesem Wortverständnis würde dazu führen, dass der Behandelnde schon beim Anamnesegespräch zur therapeutischen Information verpflichtet wäre. In der Regel wird der Arzt zu Beginn der Behandlung noch gar keine umfassende Kenntnis von der Erkrankung des Patienten und den möglichen Therapien haben, sodass er ihn zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht umfassend informieren kann. So muss der Arzt in der Regel zunächst eine Anamnese erheben und Untersuchungen vornehmen, um eine Diagnose stellen zu können. Zu Beginn der Behandlung über die Diagnose zu informieren, ist somit kaum möglich.244 Auch eine hinreichend fundierte Einschätzung der voraussichtlichen gesundheitlichen Entwicklung ist zu einem derart frühen Zeitpunkt oft nicht möglich.245 Ebenso wenig können konkrete Verhaltensanweisungen zur Sicherung des Behandlungserfolgs gegeben werden, da meist noch nicht klar ist, was genau das Behandlungsziel überhaupt ist und wie dieses erreicht werden soll. Dem Arzt jegliche therapeutische Informationspflichten bereits zu Beginn der Behandlung aufzuerlegen, ist somit sehr bedenklich – der Arzt kann diese faktisch kaum erfüllen und auch für den Patienten ist eine derart frühe Informationspflicht wenig sinnvoll, er wird in der Regel vage oder nicht hinreichend fundierte Aussagen erhalten, mit denen er nicht viel anfangen kann; er wird dadurch eher verunsichert oder schätzt seine Lage falsch ein. Darüber hinaus kann es für den Patienten durchaus sinnvoll sein, Hinweise zur Sicherung des Behandlungserfolgs erst zeitnah zur tatsächlichen Vornahme der Behandlungsmaßnahme zu erhalten, denn es ist durchaus möglich, dass zwischen Beginn und Abschluss der Behandlung mehrere Wochen oder Monate liegen können, das erfolgssichernde Verhalten aber erst mit Abschluss der Behandlung Bedeutung erlangt. Dann kann es zur Vermeidung einer Verdrängung oder eines Vergessens des Patienten geeigneter sein, ihm die Informationen zeitnah zu dem Zeitpunkt zu geben, zu dem sie Relevanz entfalten. Dementsprechend wird in der Literatur (auch nach Inkrafttreten des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB) verschiedentlich vertreten, dass die Informationspflicht regelmäßig erst nach Vornahme des ärztlichen Eingriffs bzw. der sonstigen Maßnahme einsetze246 bzw. auch postoperativ möglich sei.247 Anhand des Sinn und Zwecks des Gesetzes wird deutlich, dass dem Gesetzgeber daran gelegen ist, dass der Patient die Informationen frühzeitig erhält. Nur 244 Ähnlich Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 97; Wenzel/Steinmeister, BuGBl 58 (2015), 23 (26). 245 Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 98. 246 Ratzel/Luxenburger/Jung/Lichtschlag-Traut/Ratzel, Kap. 13 Rdnr. 70. 247 Dies schließt nicht aus, dass eine Information bereits vor dem Eingriff geboten sein kann, bspw. über eine Diät o. Ä., vgl. Glatz, Der Arzt zwischen Aufklärung und Beratung, 1998, 237.
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so ist zu erklären, dass das Gesetz auf einen derart frühen Zeitpunkt abstellt. Deswegen ist die Ansicht, nach der die Information regelmäßig erst nach der ärztlichen Maßnahme zu erfolgen habe, mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren und abzulehnen. Nur in Ausnahmefällen, beispielsweise wenn eine frühere Information aufgrund besonderer Umstände nicht möglich war, kann eine solche späte Information ausreichend sein. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber durch eine Anknüpfung, die schon Anamnese etc. erfasst, eine Pflicht implementieren wollte, die der Arzt zum einen faktisch nicht erfüllen und die zum anderem dem Informationsinteresse des Patienten nicht effektiv dienen kann. Angesichts der soeben geschilderten Probleme, die sich aus einer derart frühen Verpflichtung ergeben, ist zudem davon auszugehen, dass eine solche Pflicht, die eine Berufsausübungsregelung i. S. d. Art. 12 Abs. 1 GG248 darstellt, einer Verfassungsprüfung nicht standhalten würde. Zur Rechtfertigung einer Berufsausübungsregelung muss diese einem Gemeinschaftsgut dienen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein. Kann der Arzt bei einer derart frühen Pflicht die geschuldeten Informationen nicht oder zumindest nicht mit der nötigen Sicherheit erbringen, so ist die Pflicht schon nicht geeignet, das Ziel der dem Wohl des Patienten dienenden Information zu fördern. Zudem scheint es nicht erforderlich, dem Patienten zu diesem frühen Zeitpunkt ungesicherte Informationen zu liefern, denn durch eine etwas spätere, aber dafür gesicherte und fundierte Information wäre dem am gesundheitlichen Wohl ausgerichteten Informationsinteresse des Patienten zum einen besser gedient, zum anderen würde dies eine für den Arzt mildere Pflicht darstellen. Darüber hinaus ist es nicht angemessen, dem Arzt eine derart frühe Pflicht aufzuerlegen, da die Interessen des Patienten weder verletzt noch gefährdet werden, wenn der Zeitpunkt der Information etwas nach hinten verschoben wird. Deswegen ist davon auszugehen, dass eine so verstandene Informationspflicht verfassungswidrig wäre. Ist eine Auslegungsmöglichkeit einer Norm verfassungswidrig, so ist einer anderen möglichen Auslegungsvariante der Vorzug zu geben, sofern diese verfassungskonform ist (sog. verfassungskonforme Auslegung).249 „Zu“ Beginn der Behandlung lässt sich auch so verstehen, dass nicht zwingend während des ersten Behandlungsgeschehens eine Information geschuldet ist. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber offenbar eine möglichst frühe Pflicht implementieren wollte, jedoch auch davon auszugehen ist, dass diese Pflicht dem Behandelnden sowohl fachlich möglich sein als auch dem Patienten sinnvolle, valide Informationen bieten soll, ist das Gesetz so auszulegen, dass der Arzt den Patien248 249
Siehe dazu oben unter C. II. 1. Siehe dazu oben unter A. III. 1. e).
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ten zu informieren hat, sobald er weitestgehend gesicherte Erkenntnisse hat und dem Patienten darauf aufbauend eine fundierte therapeutische Information geben kann. Dies kann dazu führen, dass aufgrund der Unterschiedlichkeit der nach § 630c Abs. 2 S. 1 BGB geschuldeten Informationen, deren Zielsetzung sowie der zeitlichen Relevanz Teile der therapeutischen Information nach und nach, abhängig von ihrem Bekanntwerden, und damit zeitlich versetzt geschuldet werden. Festzuhalten bleibt schließlich, dass die strengen Grundsätze, die im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Aufklärung gelten,250 nicht auf die therapeutische Information übertragbar sind.251 Dies muss allein schon vor dem Hintergrund gelten, dass die beiden Pflichten unterschiedlichen Zielen dienen. Bei der Selbstbestimmungsaufklärung ist stets darauf zu achten, dass der Patient sein Selbstbestimmungsrecht noch frei und ohne zeitlichen Druck ausüben kann, während die therapeutische Information primär den Gesundheitsinteressen des Patienten dient252 und nicht eine bestimmte Maßnahme konkret vorbereitet. (2) Nachwirken der Pflicht über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus Im Wege der Auslegung ist zu ermitteln, ob die Pflicht zur therapeutischen Information mit Beendigung des Behandlungsvertrags erlischt oder ob sie auch über dessen Ende hinaus bestehen kann. Auch nach dem Ende eines Vertragsverhältnisses können nachwirkende Pflichten bestehen, die grundsätzlich aus § 242 BGB hergeleitet werden (sog. culpa post contrahendum).253 Wenn dies sogar aus § 242 BGB möglich ist, so muss dies erst recht für ausdrücklich normierte Nebenpflichten gelten, sodass die therapeutische Informationspflicht auch noch nach Beendigung des Behandlungsvertrags bestehen könnte. Zwar ist im Rahmen der therapeutischen Information auch nur auf dasjenige hinzuweisen, was im Zeitpunkt der Behandlung dem allgemein anerkannten fachlichen Standard (§ 630a Abs. 2 BGB) entspricht, mithin auf das, was ein durchschnittlicher Facharzt des entsprechenden Fachgebiets erkannt hätte. Stellen sich beispielsweise drei Jahre nach der Behandlung neue wissenschaftliche Ergebnisse heraus, die im Zeitpunkt der Behandlung noch nicht bekannt waren, so können diese nachträglichen Erkenntnisse den Be250
Siehe dazu oben unter E. IV. Ebenso Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 10, der die Anforderungen an die Rechtzeitigkeit im Rahmen von § 630e BGB für strenger hält als bei § 630c Abs. 2 S. 1 BGB. A.A. wohl BeckOGK/Walter, § 630c, Rdnr. 24; Walter, Das neue Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 109. 252 Siehe dazu oben unter B. III. 253 Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 41. Aufl. (2017), § 7 Rdnr. 11. 251
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handelnden nicht zu einer nachträglichen Information verpflichten. Eine solche kann jedoch dann relevant werden, wenn gewisse Umstände zwar nach dem objektiven Facharztstandard auch im Zeitpunkt der Behandlung bereits geschuldet waren, weil ein Durchschnittsarzt diese erkannt und dementsprechende Hinweise erteilt hätte, der tatsächlich behandelnde Arzt diese dagegen subjektiv nicht erkannt hat. Erkennt er diese Umstände nach dem Abschluss der Behandlung, beispielsweise weil er nochmal in die Patientenakte schaut, so wäre er auch nachvertraglich noch zur Information des Patienten hierüber verpflichtet, sofern ein Fortgelten über das Ende des Behandlungsverhältnisses hinaus angenommen wird. Dies kann zwar den vorherigen Verstoß nicht rückgängig machen, kann aber unter Umständen ein größeres Schadensausmaß verhindern, indem nachträglich noch gesundheitliche Gefahren vom Patienten abgewendet werden. Sollte der Behandelnde trotz nachvertraglichen Erkennens den Patienten nicht informieren, so würde er zudem neben der fahrlässigen Pflichtverletzung im Zeitpunkt der Behandlung nun eine vorsätzliche Pflichtverletzung begehen, welche sich beispielsweise im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung erhöhend auswirken könnte. Aus dem Wortlaut lässt sich ein Nachwirken der Pflicht zunächst nicht ableiten, auch die Gesetzesbegründung gibt hier keinen eindeutigen Hinweis. Allenfalls insofern, als sie betont, dass der Patient „auch nach der Therapie über alle Umstände informiert sein [soll], die für sein eigenes therapiegerechtes Verhalten und zur Vermeidung einer möglichen Selbstgefährdung erforderlich sind“,254 ließe sich begründen, dass dann auch nach Beendigung der Behandlung noch zu informieren ist, sofern die Umstände erst dann bekannt werden. Aus systematischer Sicht lässt sich anführen, dass hinsichtlich der Pflicht zur Einsichtsgewährung in die Patientenakte (§ 630g BGB) anerkannt ist, dass diese auch nach Beendigung des Behandlungsverhältnisses noch besteht.255 Wenn ein Nachwirken bereits für eine Pflicht aus dem Behandlungsvertrag anerkannt ist, so spricht dies dafür, dass es auch für andere Pflichten des Behandlungsvertrags gelten kann, sofern es dort sinnvoll erscheint. Im Rahmen einer teleologischen Auslegung ergibt sich, dass es zur Sicherung des Behandlungserfolgs und zur Vermeidung etwaiger (Selbst-)Gefährdungen ebenso wichtig wie sinnvoll ist, den Patienten auf derartige Umstände auch noch nach Beendigung des Behandlungsvertrags hinzuweisen. Schließlich hängt es oft vom Zufall ab, ob der Behandlungsvertrag unmittelbar nach Durchführung der Maßnahme endet, beispielsweise weil ein anderer (niedergelassener) Arzt die Nachbehandlung übernimmt oder eine solche 254
BT-Drs. 17/10488, 1 (21). Vgl. BGHZ 85, 327 (327 ff.); Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 41. Aufl. (2017), § 7 Rdnr. 11. 255
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grundsätzlich nicht erforderlich ist, oder ob er noch weiter andauert, weil weitere Folgemaßnahmen von Anfang an geplant waren. Es darf aber nicht vom Zufall abhängen, ob der Arzt den Patienten über ihm nach der Durchführung der Maßnahme bekanntwerdende Umstände zur Sicherung des Behandlungserfolgs und zur Vermeidung etwaiger Gefahren noch informieren muss oder nicht. Deswegen ist es sachgerecht, die Pflicht zur therapeutischen Information nicht formal mit dem Ende des Behandlungsvertrags untergehen, sondern sie auch darüber hinaus fortwirken zu lassen, da so ein besserer Schutz des Grundrechts des Patienten auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG,256 gewährleistet werden kann. Die Pflicht zur therapeutischen Information kann somit über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus fortgelten.257 (3) Zeitliche Begrenzung der nachvertraglichen Pflicht – analoge Anwendung des § 630f Abs. 3 BGB Eine zeitlich unbegrenzte Geltung der nachvertraglichen Pflicht wäre im Sinne des Patienten, weil es seine gesundheitlichen Interessen bestmöglich schützt. Allerdings ist zu beachten, dass ein Fortwirken vertraglicher Pflichten grundsätzlich die Ausnahme darstellt und insofern bereits den Behandelnden benachteiligt. Würde sie dann noch zeitlich unbegrenzt fortwirken, so würde dieser unangemessen benachteiligt. Zudem spricht gegen eine unbegrenzte Geltung, dass der Gesetzgeber die Aufbewahrungspflicht der Patientenakte auf zehn Jahre beschränkt hat, vgl. § 630f Abs. 3 BGB. Insofern wird deutlich, dass er nach zehn Jahren die gesundheitlichen Interessen des Patienten nicht mehr für schützenswert hält, sodass auch im Rahmen der therapeutischen Aufklärung nicht von einem zeitlich unbegrenzten Schutzbedürfnis der Patienteninteressen ausgegangen werden kann. Deswegen kann die therapeutische Pflicht nachvertraglich nicht unbegrenzt fortwirken. Da der Gesetzgeber bereits die Problematik des Fortwirkens über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus nicht gesehen hat, liegt es nahe, dass er auch kein Bedürfnis für eine Regelung zur zeitlichen Begrenzung einer solchen nachwirkenden Pflicht gesehen hat, sodass diesbezüglich eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Um eine anderweitig geregelte Frist analog heranziehen zu können, müsste zudem eine vergleichbare Interessenlage zu einer anderen Konstellation bestehen. Zur Begrenzung könnte auf den Zeitpunkt der Verjährung abgestellt werden. Unabhängig von einer Kenntnis des Patienten verjähren Ansprüche, die auf der 256
Siehe dazu oben unter C. I. 2. So bereits OLG Koblenz, NJW 2000, 3435 (3436); BeckOK-BGB/Katzenmeier, § 630c, Rdnr. 8; Spickhoff, NJW 2002, 1758 (1763). 257
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Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, erst 30 Jahre nach der Pflichtverletzung, § 199 Abs. 2 BGB. Dieser Zeitraum ist jedoch zu lang, die Interessen des Patienten können eine nachvertragliche Pflicht zulasten des Arztes nicht derart lange rechtfertigen. Eine andere Möglichkeit wäre es, an die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB anzuknüpfen und die therapeutische Informationspflicht noch drei Jahre nach dem Ende des Behandlungsvertrags fortwirken zu lassen. Alternativ ließe sich auf die Frist von zehn Jahren abstellen, die gem. § 630f BGB grundsätzlich auch für die Aufbewahrung der Patientenakte gilt. Da die Frist von drei Jahren des § 195 BGB grundsätzlich abhängig von der Kenntnis bzw. der grob fahrlässigen Unkenntnis des Patienten ist, § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, und ein Anknüpfen an diese ohne Vorliegen letztgenannter Voraussetzungen eigentlich systemwidrig wäre, liegt es näher, sich an der Frist des § 630f Abs. 3 BGB zu orientieren. Dies gilt vor allem auch vor dem Hintergrund, dass die Regelung des § 630f Abs. 3 BGB gerade und ausschließlich für den Behandlungsvertrag gilt, sodass hier ein vergleichbares Regelungsinteresse besteht. In der Regelung des Abs. 3 macht der Gesetzgeber deutlich, dass er Patienteninteressen grundsätzlich nach einem Ablauf von zehn Jahren nicht mehr für schützenswert hält, sodass nicht ersichtlich ist, warum er im Rahmen des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB eine größere Schutzbedürftigkeit sehen sollte. Eine analoge Anwendung des § 630f Abs. 3 BGB erscheint somit angemessen. Deswegen wirkt die therapeutische Informationspflicht zehn Jahre nach dem Ende des Behandlungsvertrags fort, sodass der Behandelnde den Patienten in diesem Zeitraum noch informieren muss, sofern ihm Umstände bekannt werden, die dem Gegenstand der therapeutischen Informationspflicht unterfallen. Ist dies der Fall, so hat er den Patienten zu kontaktieren und ihn hierüber zu informieren. Allerdings besteht keine Pflicht des Arztes, Nachforschungen anzustellen, sollte er den Patienten unter der ihm bekannten Adresse bzw. Telefonnummer nicht mehr erreichen, beispielsweise weil der Patient verzogen ist. Dies würde die Pflichten des Arztes erheblich überspannen. Ihm kann allenfalls noch zugemutet werden, bei Kenntnis den Hausarzt anzurufen.258 Im Übrigen obliegt es dem mündigen Patienten, seinen Arzt über eine wechselnde Anschrift oder Telefonnummer zu informieren, sollte er wünschen, dass der Behandelnde ihn auch weiterhin noch erreichen kann. (4) Zusammenfassung der Ergebnisse Die therapeutische Information ist nicht bereits mit Beginn der Behandlung (in der Regel das Anamnesegespräch) geschuldet, sondern erst dann, wenn der Behandelnde weitestgehend gesicherte Erkenntnisse hat und dem Patienten eine 258
Ähnlich OLG Koblenz, NJW 2000, 3435 (3436).
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fundierte Information geben kann. Die einzelnen Inhalte der therapeutischen Information können somit nach und nach und damit zeitlich versetzt geschuldet werden. Die strengen Grundsätze, die hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Aufklärung gelten, sind nicht zu übertragen. Im Wege der Auslegung ergibt sich, dass die therapeutische Informationspflicht über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus fortwirken kann. Diese nachvertragliche Pflicht ist analog § 630f Abs. 3 BGB auf zehn Jahre nach dem Ende des Behandlungsvertrags begrenzt. Der Arzt muss allerdings keine Nachforschungen anstellen, wenn die Adresse und Telefonnummer des Patienten nicht mehr korrekt sind. Insofern obliegt es dem mündigen Patienten, seinen Arzt zu informieren, sollte er wünschen, auch weiterhin noch vom Behandelnden informiert werden zu können. cc) Bewertung Die Regelung des Zeitpunkts der Information ist völlig missglückt. Das Abstellen auf „zu Beginn der Behandlung“ stellt kein handhabbares Kriterium dar, das für Transparenz und Rechtssicherheit sorgt. Vor dem Hintergrund der Weite des Behandlungsbegriffs ist ein Anknüpfen an diesen misslich. Nur durch klare Begriffe und einen verständlichen Ausdruck kann (Laien-)Verständlichkeit und Rechtssicherheit geschaffen werden. Der erhebliche erforderliche Auslegungsaufwand zeigt, dass dies hinsichtlich des Zeitpunkts der therapeutischen Information nicht gelungen ist. Auch die Verfassungswidrigkeit einer Auslegungsvariante spricht für sich. Die Möglichkeit des Fortwirkens der therapeutischen Informationspflicht über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus sowie die Notwendigkeit der zeitlichen Begrenzung einer nachvertraglichen Pflicht hat der Gesetzgeber nicht gesehen, sodass es einer umfassenden Auslegung sowie der Lückenschließung durch Analogie bedarf. Aufgrund der primären Ausrichtung der therapeutischen Information am gesundheitlichen Wohl des Patienten sowie des Fortwirkens der Pflicht zur Aufbewahrung der Patientenakte und Einsichtsgewährung hätte der Gesetzgeber diese Problematik jedoch durchaus sehen und einer Regelung zuführen können, sodass der Auslegungsaufwand reduziert und die Erforderlichkeit der Lückenschließung durch Analogie vermieden worden wäre. Zugleich hätte dadurch mehr Transparenz und Rechtssicherheit geschaffen werden können. e) Informationspflichtiger Es wird zunächst untersucht, ob es nach der bisherigen Rechtsprechung besondere Grundsätze in Bezug auf den Informationspflichtigen gab. Sodann wird die
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Rechtslage nach dem Patientenrechtegesetz untersucht und abschließend die Qualität der Regelung bewertet. aa) Richterrecht Hinsichtlich der Person des Informationspflichtigen ergeben sich aus der Rechtsprechung keine besonderen Grundsätze. Die Rechtsprechung unterscheidet meist nicht explizit zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung. Ist der Vertragspartner nicht die tatsächlich behandelnde Person, so prüft sie in der Regel eine Haftung des Vertragspartners sowie des tatsächlich Behandelnden wegen Verstoßes gegen die therapeutische Informationspflicht.259 bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB Verpflichtet ist dem Wortlaut nach der Behandelnde i. S. d. § 630a Abs. 1 BGB, also der Vertragspartner. Er kann die Pflicht zur therapeutischen Information jedoch durch seine Angestellten erfüllen, die dann als Erfüllungsgehilfe i. S. d. § 278 BGB tätig werden. Dies entspricht den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, nach denen stets der Vertragspartner zu sämtlichen (Behandlungs-) Leistungen verpflichtet ist, diese jedoch durch seine Erfüllungsgehilfen erbringen kann. Ist der Behandelnde nicht die die Behandlung tatsächlich durchführende Person, so ist der tatsächlich tätig werdende Arzt zudem deliktisch zur Sicherungsinformation verpflichtet.260 Im Rahmen der therapeutischen Information führt weder die Gesetzesbegründung noch die Literatur näheres zu zahlreichen Punkten aus, die im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung diskutiert werden, obwohl diese in ähnlicher Weise auch bei der therapeutischen Information Relevanz entfalten können. So muss zunächst auch hier gelten, dass der Behandelnde nur insoweit zur Information verpflichtet ist, wie sein eigenes Fachgebiet berührt ist; das heißt auch er muss sich grundsätzlich darauf verlassen dürfen, dass sein Kollege über die aus seinem Fachgebiet resultierenden Maßnahmen zur Sicherung des Behandlungserfolgs sowie zur Vermeidung von Selbstgefährdungen zutreffend informiert. Zudem stellt sich parallel zu § 630e BGB die Frage, ob und wenn ja an welche Personen die therapeutische Information delegiert werden kann. Im Gegensatz zu § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB enthält § 630c Abs. 2 S. 1 BGB diesbezüglich keine besondere Regelung. Dies könnte dafür sprechen, dass die therapeutische Informationspflicht uneingeschränkt delegierbar ist. 259 260
Vgl. bspw. BGH, NJW 2009, 2820 (2820 ff.). Jauernig/Mansel, § 630c, Rdnr. 7.
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Auch im Rahmen des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB muss eine Delegation auf andere Ärzte, auch auf solche, die sich noch in der Facharztausbildung befinden und nicht über die notwendige Erfahrung zur Durchführung der im Rahmen der therapeutischen Information angeratenen Maßnahmen verfügen, zulässig sein, wenn dies schon im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung zulässig ist. Hinsichtlich der notwendigen Anweisungen und Kontrolle gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Selbstbestimmungsaufklärung, die Verantwortung für die ordnungsgemäße Organisation verbleibt beim Vertragspartner.261 Im Gegensatz zu § 630e BGB muss bei § 630c Abs. 2 S. 1 BGB jedoch gelten, dass die Information dem Facharztstandard im Sinne von § 630a Abs. 2 BGB gerecht werden muss, denn die therapeutische Information ist Bestandteil der Behandlungspflichten, die an eben jenem Standard gemessen werden und die bei einem Verstoß einen Behandlungsfehler darstellen. Dies gilt unabhängig davon, wer die Information tatsächlich erteilt. Die Information durch nichtärztliches Personal oder durch Studierende im Praktischen Jahr könnte, ebenso wie im Rahmen von § 630e BGB,262 unzulässig sein. Dagegen kann im Wege eines argumentum e contrario angeführt werden, dass der Gesetzgeber bei der Selbstbestimmungsaufklärung eine ausdrückliche Einschränkung für erforderlich erachtet hat, während dies bei § 630c BGB nicht der Fall ist. Da es hierzu auch keine eindeutige ständige Rechtsprechung gibt, könnte dies dafür sprechen, dass eine Delegation im Rahmen von § 630c Abs. 2 S. 1 BGB uneingeschränkt möglich sein soll. Wird eine Information durch diesen Personenkreis zugelassen, so könnte dies signalisieren, dass der Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten höher angesiedelt werde als dessen Gesundheitsschutz. Die Gefahren, die dem Patienten bei einem Aufklärungsfehler drohen würden, sind auch nicht stets größer als die aus einer Informationspflichtverletzung resultierenden Gefahren, sodass auch dieser Aspekt keine höheren Anforderungen im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung rechtfertigen kann. Es lässt sich jedoch argumentieren, dass das Wissen der informierenden Person für eine Selbstbestimmungsaufklärung wesentlich umfangreicher sein muss als jenes für die therapeutische Information, die Selbstbestimmungsaufklärung demnach wesentlich komplexer ist. Schließlich ist im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung die Schilderung des Für und Wider einer Maßnahme, die damit verbundenen Risiken, der Verlauf, die Erfolgsaussichten etc. erforderlich, während im Rahmen von § 630c Abs. 2 S. 1 BGB oftmals die bloße Nennung einer Diagnose, einer notwendigen Maßnahme, deren Dringlichkeit und/ Walter, Das neue Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 106; Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 10. 262 Siehe dazu oben unter E. V. 2. b) bb), dd). 261
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oder eines Verhaltenshinweises ausreicht. Selbst wenn auf die Notwendigkeit einer (Folge-)Maßnahme hingewiesen wird, so ist in diesem Rahmen keine ausführliche Schilderung der Umstände, Risiken etc. dieser Folgebehandlung erforderlich, eine solche wird vielmehr erst als Selbstbestimmungsaufklärung geschuldet, sollte die Durchführung dieser Maßnahme konkret im Raum stehen. Es lässt sich somit argumentieren, dass aufgrund des in der Regel deutlich überschaubareren Umfangs der therapeutischen Information diese auch von nichtärztlichem Personal oder Studierenden im Praktischen Jahr zu überblicken ist. Berücksichtigt man, dass nach der Rechtsprechung im Falle der Verordnung von Hilfsmitteln unter Umständen auch der Umgang mit diesen geschult werden muss, so lässt sich darüber hinaus argumentieren, dass dies wesentlich besser vom nichtmedizinischen Personal als vom Arzt erbracht werden könnte. Angesichts der fehlenden Einschränkung im Wortlaut und in der Gesetzesbegründung sowie des systematischen Vergleichs mit der Regelung des § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB ist davon auszugehen, dass auch nichtärztliches Personal und Studierende im Praktischen Jahr die therapeutische Information vornehmen dürfen. cc) Bewertung Zur therapeutischen Information kann nur der Vertragspartner verpflichtet werden, andernfalls würde es sich um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter handeln. Deswegen ist es auch konsequent, dass im Anschluss an die Legaldefinition in § 630a Abs. 1 BGB vom Behandelnden gesprochen wird. Nach wie vor ist die Legaldefinition jedoch aufgrund ihrer nicht notwendigen Abweichung vom allgemeinen Sprachgebrauch zu kritisieren. Sie sorgt dadurch für Verwirrung und verkompliziert, statt zu vereinfachen. Rechtssicherheit und (Laien)Verständlichkeit können auf diese Weise nicht gewährleistet werden. Der Thematik der Delegation hätte sich der Gesetzgeber zumindest in der Gesetzesbegründung annehmen sollen, um hinsichtlich der Unterschiede zur Selbstbestimmungsaufklärung für Transparenz und Rechtssicherheit zu sorgen. f) Informationsempfänger Wer nach der bisherigen Rechtsprechung Adressat der therapeutischen Information war, wird zunächst dargestellt, bevor die Rechtslage nach dem Patientenrechtegesetz ermittelt wird. Sodann wird die Qualität der gesetzlichen Regelung bewertet.
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aa) Richterrecht Adressat der Information ist grundsätzlich die zu behandelnde Person, sie ist selbst zu informieren. Die Information naher Angehöriger ist grundsätzlich263 nicht geeignet, das direkte Gespräch mit dem Patienten zu ersetzen.264 Ist der Patient minderjährig oder betreut, so können (zusätzlich) auch der oder die Sorgeberechtigte(n) bzw. die gesetzlichen Vertreter zu informieren sein.265 Es kann aufgrund besonderer Umstände geboten sein, zusätzlich zum Patienten auch Dritte zu informieren, beispielsweise Angehörige oder Ehegatten.266 In den Schutzbereich der therapeutischen Information können auch Personen einbezogen sein, die im Zeitpunkt der Behandlung noch nicht bekannt waren.267 Allerdings gilt bei der Information Dritter, dass eine Rechtspflicht nur dann besteht, wenn nicht gesichert ist, dass der Patient selbst für die gebotenen Schutzmaßnahmen sorgt.268 Dann darf der Arzt die ihm obliegende Schweigepflicht zum Schutz des Lebens und der Gesundheit akut gefährdeter Dritter durchbrechen.269 Es handelt sich um die Konstellation eines rechtfertigenden Notstands.270 Zusätzlich kann es geboten sein, den Hausarzt zu informieren, um etwaige Komplikationen rechtzeitig erkennen und behandeln zu können, bspw. bei einer vorzeitigen Klinikentlassung.271 bb) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB Zunächst wird ermittelt, wer unter dem Patienten im Rahmen des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB zu verstehen ist. Anschließend werden eine analoge Anwendung der § 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB sowie des § 630e Abs. 5 BGB geprüft. Schließlich wird noch auf eine etwaige Information Dritter eingegangen.
263
OLG Koblenz, BeckRS 2010, 12150. BGHZ 107, 222 (226). 265 Vgl. BGH, NJW 1970, 511 (512 f.) hinsichtlich einer gebotenen Information der Eltern bei Verordnung eines Medikaments mit Giftcharakter; OLG Köln, VersR 2002, 1285 (1286) hinsichtlich der Information der Personensorgeberechtigten (Eltern, § 1626 Abs. 1 BGB), dort war der Betreuer nicht der richtige Adressat. 266 Beispielsweise bei Gefahr der Ansteckung mit Aids, BGHZ 163, 209 (220); OLG Frankfurt, NJW 2000, 875 (876) oder mit Lebendviren einer Schutzimpfung gegen Kinderlähmung, BGHZ 126, 386 (394). 267 BGHZ 163, 209 (220). 268 OLG München, 1 U 5625/95. 269 OLG München, 1 U 5625/95. 270 Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Aufl. (2018), § 203, Rdnr. 89; BPS/Gaidzik, §§ 203–205 StGB, Rdnr. 13. 271 BGH, NJW 1981, 2513 (2513). 264
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(1) Begriff des Patienten Die Problematik hinsichtlich des Begriffs des Patienten wurde bereits im Vorkapitel näher erläutert.272 Mit Patient kann zum einen der Vertragspartner gemeint sein (Wortverständnis 1), zum anderen die tatsächlich behandelte Person (Wortverständnis 2) oder beide. Welches Verständnis des Patienten der Gesetzgeber im Rahmen der therapeutischen Informationspflicht zugrunde gelegt hat, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Auch hier wird zuvor für die Fallkonstellationen 2–4273 durchgespielt, welches Ergebnis sich ergibt, wenn Wortverständnis 1 oder 2 oder eine Kumulation beider zugrunde gelegt wird. In der Fallkonstellation 2 (Beispiel: Die sorgeberechtigten Eltern schließen einen Vertrag zugunsten ihres 16-jährigenKindes ab, das zwar noch nicht voll geschäftsfähig [§ 106 BGB], jedoch einwilligungs- und informationsbefolgungsfähig ist) kommen als Patient sowohl die Eltern als auch das 16-jährige Kind in Betracht. Hat der Gesetzgeber beide Wortverständnisse zugrunde gelegt, so wären sowohl das 16-jährige Kind als auch die Eltern i. S. d. Abs. 2 S. 1 zu informieren. Geht der Gesetzgeber vom Wortverständnis 1 aus, so wären nur die Eltern als Vertragspartner zu informieren. Hat der Gesetzgeber dagegen Wortverständnis 2 zugrunde gelegt, so wäre nur das 16-jährige Kind zu informieren, welches aufgrund seiner Informationsbefolgungsfähigkeit auch in der Lage wäre, diese Informationen aufzunehmen und dementsprechend zu handeln. Der Behandelnde müsste allerdings auch berechtigt sein, die Eltern zu informieren. Andernfalls würde er (ohne Vorliegen einer Schweigepflichtentbindung) eine Schweigepflichtverletzung gem. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB begehen. Da die Schweigepflicht aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts resultiert,274 ist die tatsächlich behandelte Person und damit der Minderjährige der Geheimnisträger i. S. d. § 203 Abs. 1 StGB. Zwar ließe sich noch argumentieren, dass allgemein gehaltene Informationen über therapierichtiges Verhalten, die jeder Person mit der konkreten Erkrankung unabhängig von individuellen Eigenschaften erteilt würden, keinen Verstoß gegen die Schweigepflicht darstellen. Allerdings ist es oft möglich, aufgrund der Hinweise einen Rückschluss auf die konkrete Erkrankung zu ziehen, sodass dann doch Privatgeheimnisse offenbart würden. Zudem soll die therapeutische Information individualisiert und auf den konkreten Patienten bezogen werden, sodass auch dies das Offenbaren von Privatgeheimnissen nahelegt.
272
Siehe dazu unter D. III. Die Fallkonstellationen wurden oben eingeführt und näher erläutert, siehe dazu unter D. III. 3. b). 274 Siehe dazu oben unter C. I. 5. 273
280
F. Informationspflichten und -obliegenheiten
Die Information der Eltern müsste jedoch auch unbefugt i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfolgen würde. Grundsätzlich besteht die Schweigepflicht auch gegenüber Familienangehörigen.275 Der Schutz der Vertrauenssphäre geht der Personensorge vor und wird grundsätzlich nicht durch diese eingeschränkt.276 Allerdings haben die Eltern eines Minderjährigen auch ein Informationsrecht aus ihrem Erziehungsrecht, welches jedoch mit wachsender Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen gegenüber dessen Geheimhaltungsinteresse zurücktritt.277 Unbeachtlich muss im Rahmen dieser Betrachtung sein, dass die Eltern den Behandlungsvertrag geschlossen haben.278 Bereits im Rahmen der Aufklärung279 wurde dargestellt, dass das Geheimhaltungsinteresse überwiegt, wenn der Minderjährige einwilligungsfähig ist. Da Einwilligungs- und Informationsbefolgungsfähigkeit den gleichen Voraussetzungen unterliegen und somit parallel verlaufen,280 muss hier Identisches gelten. Ist der Minderjährige informationsbefolgungsfähig, so tritt das Informationsrecht der Eltern aus ihrem Erziehungsrecht gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse zurück. Eine Information der Eltern ohne Schweigepflichtentbindung des Minderjährigen würde dann ein unbefugtes Offenbaren von Privatgeheimnissen und demnach eine Schweigepflichtverletzung i. S. d. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB darstellen. Eine Durchbrechung der Schweigepflicht kommt allenfalls nach den Grundsätzen des § 34 StGB in Betracht.281 Die pauschale Verpflichtung des Behandelnden zur Information des Vertragspartners ohne Einschränkungen aufgrund der Schweigepflicht kann somit gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB verstoßen und wäre dann gem. § 134 BGB nichtig. Da in der Regel davon auszugehen ist, dass der Behandlungsvertrag auch ohne die nichtige Informationspflicht geschlossen worden wäre, käme es gem. § 139 BGB nur zu einer Teilnichtigkeit der Informationspflicht, während der Behandlungsvertrag im Übrigen wirksam wäre. In der Fallkonstellation 3 (Beispiel: Die sorgeberechtigten Eltern schließen einen Vertrag zugunsten ihres sechsjährigen Kindes ab, das weder einwilligungsnoch informationsbefolgungsfähig ist) kommen als Patient sowohl die Eltern als auch das sechsjährige Kind in Betracht. Hat der Gesetzgeber beide Wortverständnisse zugrunde gelegt, so wären sowohl das sechsjährige Kind als auch die Eltern zu informieren, wobei aufgrund des Alters und der Informationsbefolgungsunfähigkeit des Kindes fraglich ist, inwieweit es die Informationen tat275
Siehe dazu bereits die Nachweise in Kap. E. Fn. 426. Siehe dazu bereits den Nachweis in Kap. E. Fn. 427. 277 Siehe dazu bereits die Nachweise in Kap. E. Fn. 428. 278 Siehe dazu bereits die Nachweise in Kap. E. Fn. 429. 279 Siehe dazu oben unter E. VI. 2. a). 280 Siehe dazu oben unter D. I., II. 281 Siehe dazu bereits die Nachweise in Kap. E. Fn. 432. 276
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sächlich aufnehmen, verstehen und sich dementsprechend verhalten könnte. Geht der Gesetzgeber vom Wortverständnis 1 aus, so wären nur die Eltern als Vertragspartner zu informieren. Hat der Gesetzgeber dagegen Wortverständnis 2 zugrunde gelegt, so wäre nur das sechsjährige Kind zu informieren, wobei sich aufgrund des Alters und der Informationsbefolgungsunfähigkeit hier wieder dieselbe Problematik stellt. Wie bereits im Rahmen der Aufklärung ausgeführt, überwiegt in Fällen der Einwilligungsunfähigkeit das Informationsrecht der Eltern aus ihrem Erziehungszweck.282 Gleiches muss aufgrund der identischen Voraussetzungen auch in Fällen der Informationsbefolgungsfähigkeit gelten. Deswegen liegt in der Information der Eltern keine Schweigepflichtverletzung, sodass die Pflicht zur Information der Eltern als Vertragspartner auch nicht gem. §§ 134, 139 BGB nichtig wäre. In der Fallkonstellation 4 (Beispiel: Die Großmutter schließt einen Vertrag zugunsten ihres sechsjährigen Enkelkindes ab, das weder einwilligungs- noch informationsbefolgungsfähig ist, Personensorgeberechtigte i. S. d. § 1626 Abs. 1 BGB sind jedoch die Eltern) kommen als Patient sowohl die Großmutter als auch das sechsjährige Enkelkind in Betracht. Hat der Gesetzgeber beide Wortverständnisse zugrunde gelegt, so wären sowohl das sechsjährige Kind als auch die Großmutter zu informieren, wobei aufgrund des Alters und der Informationsbefolgungsunfähigkeit des Enkelkindes fraglich ist, inwieweit es die Informationen tatsächlich aufnehmen, verstehen und sich dementsprechend verhalten könnte. Geht der Gesetzgeber vom Wortverständnis 1 aus, so wäre nur die Großmutter als Vertragspartner zu informieren. Hat der Gesetzgeber dagegen Wortverständnis 2 zugrunde gelegt, so wäre nur das sechsjährige Enkelkind zu informieren, wobei sich aufgrund des Alters und der Informationsbefolgungsunfähigkeit hier wieder dieselbe Problematik stellt. In diesem Fall würde die Information der Großmutter gegen § 134 BGB i. V. m. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB verstoßen (es sei denn es liegt eine Schweigepflichtentbindung vor), da sie nicht sorgeberechtigt ist, sodass die derartige Pflicht gem. §§ 134, 139 BGB nichtig wäre. Im Wege einer Auslegung ist nun zu ermitteln, welches Wortverständnis der Gesetzgeber bei § 630c Abs. 2 S. 1 BGB zugrunde gelegt hat. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass „der Patient […] auch nach der Therapie über alle Umstände informiert sein [soll], die für sein eigenes therapiegerechtes Verhalten und zur Vermeidung einer möglichen Selbstgefährdung erforderlich sind“.283 Durch das Abstellen auf sein eigenes therapiegerechtes Verhalten und insbesondere durch den Hinweis auf Selbstgefährdungen wird deutlich, 282 283
Siehe dazu oben unter E. VI. 2. a). BT-Drs. 17/10488, 1 (21).
282
F. Informationspflichten und -obliegenheiten
dass hier unter dem Patienten nur die tatsächlich behandelte Person verstanden werden kann (Wortverständnis 2). Weiter führt der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung aus, dass der Patient „etwa darüber zu unterrichten [ist], wie oft er einen Verband wechseln oder Medikamente einnehmen muss“.284 Da die Medikamente sinnvoll nur die tatsächlich behandelte Person einnehmen kann und nicht der Vertragspartner, kann der Gesetzgeber auch an dieser Stelle nur von dem Wortverständnis 2 ausgegangen sein. Schließlich spricht auch die Tatsache, dass eine Information gegenüber dem Vertragspartner in Einzelfällen gegen § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB verstößt und dann gem. §§ 134, 139 BGB nichtig ist, gegen eine Informationspflicht gegenüber dem Vertragspartner. Zudem wäre eine derartige Pflicht wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der tatsächlich behandelten Person (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung285 verfassungswidrig und dementsprechend ebenfalls nichtig. Im Rahmen der Gesetzesauslegung gilt jedoch der Grundsatz der verfassungskonformen Gesetzesauslegung, nach welchem von verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten einer solchen der Vorrang einzuräumen ist, die nicht gegen die Verfassung verstößt.286 All dies spricht somit dafür, im Rahmen des § 630c Abs. 2 S. 1 BGB davon auszugehen, dass der Gesetzgeber Wortverständnis 2 zugrunde gelegt hat und dementsprechend ausschließlich eine therapeutische Information der tatsächlich behandelten Person anordnen wollte. (2) Analoge Anwendung der §§ 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB In den Konstellationen, in denen die tatsächlich behandelte Person informationsbefolgungsunfähig ist, könnte in analoger Anwendung der Vorschriften §§ 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB der (Sorge-)Berechtigte zu informieren sein. Die analoge Anwendung einer Vorschrift setzt das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke sowie einer vergleichbaren Interessenlage voraus.287 Somit müsste zunächst eine planwidrige Regelungslücke vorliegen. Gegen das Vorliegen einer solchen spricht zunächst, dass der Gesetzgeber die parallele Problematik der Einwilligungs(un)fähigkeit, welche mit der Aufklärungspflicht des Arztes (§ 630e BGB) korreliert, sehr wohl gesehen und in einem eigenen, auf den § 630c BGB folgenden Paragrafen (§ 630d BGB) geregelt hat. Hat der Gesetzgeber das Bedürfnis für eine Regelung nur einen Paragrafen später gesehen, so spricht dies zunächst dafür, dass er es im Paragrafen zuvor gerade nicht regeln 284
BT-Drs. 17/10488, 1 (21). Siehe dazu oben unter C. I. 5. 286 Siehe dazu oben unter A. III. 1. e). 287 Siehe dazu bereits oben unter A. III. 2. 285
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wollte, es sich also um eine beabsichtigte Lücke handelt. Schließlich hat der Gesetzgeber die Informationspflichten auch bewusst von der Aufklärungspflicht getrennt. Für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke spricht jedoch zum einen, dass der Gesetzgeber die Konstellation des Vertrags zugunsten Dritter offensichtlich nicht vor Augen hatte, als er das Gesetz geschaffen hat. Dies verdeutlicht zunächst die unglückliche Verwendung des identischen Wortes „Patient“ für zwei verschiedene Bedeutungen, welche sich im 2-Personen-Verhältnis nicht auswirkt, jedoch wie gezeigt zu erheblichen Unterschieden im 3-Personen-Verhältnis führt. Darüber hinaus erwähnt der Gesetzgeber auch in seiner Gesetzesbegründung zu § 630a BGB nicht die Möglichkeit eines Vertragsschlusses zugunsten Dritter. Dies legt nahe, dass er sich ausschließlich mit dem 2-Personen-Verhältnis beschäftigt hat. Zum anderen spricht für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, dass die Problematik der Einwilligungsunfähigkeit in Rechtsprechung und Literatur seit Jahrzehnten präsent ist (sogar die bedeutende „erste“ Entscheidung des Reichsgerichts betraf eine Minderjährige)288 und sowohl fortwährend in der Literatur thematisiert wird als auch regelmäßig in höchstrichterlichen Entscheidungen Bedeutung erlangt, während die Problematik der Informationsbefolgungsunfähigkeit in Rechtsprechung und Literatur nahezu überhaupt nicht behandelt wird.289 Dies erklärt, warum der Gesetzgeber die Problematik der Einwilligungsunfähigkeit geregelt hat, während er die Problematik der Informationsbefolgungsunfähigkeit schlicht nicht gesehen hat. Hätte er hier ganz bewusst von einer Regelung abgesehen, so wäre es naheliegend gewesen, darauf mit einem Satz in der Gesetzesbegründung einzugehen. Schließlich spricht der Wille des Gesetzgebers, an die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der „therapeutischen Aufklärung“ anzuknüpfen,290 dafür, dass er eine Information gegenüber den Sorgeberechtigten nicht gänzlich ausschließen wollte, denn wie gezeigt gab es hierzu vereinzelt Rechtsprechung. Alles in allem ist somit davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diese Problematik nicht gesehen hat, sodass eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Des Weiteren müsste eine vergleichbare Interessenlage bestehen. In Fällen der Einwilligungsunfähigkeit ist der Berechtigte entsprechend § 630e Abs. 1 bis 3 BGB aufzuklären (§ 630e Abs. 4 BGB) und hat gem. § 630d Abs. 1 S. 2 BGB die Einwilligung zu erteilen. Dies ist vor dem Hintergrund erforderlich, dass der 288
RGSt 25, 375 (375 ff.). Dies mag zum einen daran liegen, dass die Bedeutung von Aufklärungsrügen mehr und mehr zugenommen hat, u. a. aufgrund der dem Arzt obliegenden Beweislast, zum anderen daran, dass bei der Einwilligungsfähigkeit die Rechtmäßigkeit des Eingriffs an sich bereits in Frage steht, während es bei einem Informationsverstoß, welcher einen Behandlungsfehler darstellt, um die Rechtmäßigkeit der Art und Weise der Behandlung geht. 290 BT-Drs. 17/10488, 1 (21). 289
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
Behandelnde ohne Einwilligung eine rechtswidrige Körperverletzung sowie eine Vertragsverletzung begeht. Damit in den Fällen, in denen die behandelte Person selbst einwilligungsunfähig ist, eine Behandlung nicht vollständig ausgeschlossen wird, steht das Recht der Erteilung einer Einwilligung dem Berechtigten zu. Berechtigter ist etwa der Vormund, Betreuer, gesetzlicher Vertreter oder der rechtsgeschäftlich Bevollmächtigte.291 Damit er dieses Recht auch wirksam wahrnehmen kann, ist es erforderlich, dass er dann auch in dem gem. § 630e Abs. 1 bis 3 BGB bestehenden Umfang aufgeklärt wird. Denn gem. § 630d Abs. 2 BGB ist eine Einwilligung nur wirksam, wenn zuvor ordnungsgemäß aufgeklärt wurde. Diese Situation müsste mit der der Informationsbefolgungsunfähigkeit vergleichbar sein. Ein Unterschied besteht insofern, als die therapeutische Information keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung ist. Allerdings dient die therapeutische Information ebenso wie die Aufklärung den Grundrechten der tatsächlich behandelten Person. Während die Aufklärung das Selbstbestimmungsrecht schützt, schützt die therapeutische Information primär das Leben und die Gesundheit der tatsächlich behandelten Person.292 Sowohl die therapeutische Informations- als auch die Aufklärungspflicht liegen somit im Interesse der tatsächlich behandelten Person. Folglich liegt es auch in ihrem Interesse, dass in den Fällen, in denen sie selbst nicht in der Lage ist, diese Interessen wahrzunehmen und dadurch ihre Grundrechte zu schützen, der Berechtigte (also ihr gesetzlicher Vertreter, Betreuer etc.) diese Interessen für sie wahrnimmt. Ohne die therapeutische Information besteht die Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand der tatsächlich behandelten Person verschlechtert, ihr geschadet wird oder zumindest eine Besserung ihres Zustands verhindert wird. Demgegenüber erfolgt ohne eine Aufklärung und Einwilligung eine rechtswidrige Körperverletzung. Schließlich würde es auch dem Vertragszweck, welcher sich an medizinischen Gesichtspunkten orientiert, zuwiderlaufen, wenn in den Fällen der Informationsbefolgungsunfähigkeit der tatsächlich behandelten Person schlichtweg niemand, der die therapeutischen Informationen erfassen und befolgen kann, diese erhalten würde. Die therapeutische Information liegt darüber hinaus auch im Interesse des Behandelnden, da er nur durch diese eine ordnungsgemäße Mitwirkung und Erfüllung seiner Verhaltensanweisungen veranlassen kann. Dem Behandelnden ist hieran gelegen, da nur so ein bestmöglicher Erfolg seiner Behandlung erzielt werden kann und es seinem Leitbild entspricht, zum Wohle seines Patienten zu handeln.293 Demgegenüber liegt die umfassende Aufklärung 291
BT-Drs. 17/10488, 1 (23). Siehe dazu bereits oben unter B. III. 293 Siehe dazu bereits in Teil B. I. zum Genfer Gelöbnis etc., vgl. auch das der MBO-Ä vorangestellte Gelöbnis. 292
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes
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nicht zwingend im Interesse des Arztes, da diese dazu führen kann, dass der Berechtigte sich gegen einen notwendigen Eingriff entscheidet, sodass der Arzt seinem grundsätzlichen Ziel, dem tatsächlich Behandelten durch die bestmöglichen Behandlungen zu helfen, nicht nachkommen kann. Demnach muss, wenn schon in Fällen der Einwilligungsunfähigkeit der Berechtigte aufzuklären ist, Gleiches erst recht für die therapeutische Informationspflicht gelten. In Fällen der Informationsbefolgungsunfähigkeit der tatsächlich behandelten Person ist somit analog §§ 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB der Berechtigte zu informieren.294 Dann ist aber auch nur dieser gem. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB zu informieren, denn § 630e Abs. 4 BGB regelt nicht, dass der Berechtigte zusätzlich, sondern statt der tatsächlich zu behandelnden Person aufzuklären ist. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 630e Abs. 5 BGB. Da die Analogie zu §§ 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB nicht über diese hinausgehen kann, muss folglich Identisches für § 630c Abs. 2 S. 1 BGB gelten. (3) Analoge Anwendung des § 630e Abs. 5 BGB Zusätzlich ist zu prüfen, ob in diesen Fällen auch eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 630e Abs. 5 BGB erfolgen sollte. Dieser regelt, dass im Falle der Einwilligungsunfähigkeit auch die tatsächlich behandelte Person entsprechend ihres Verständnisses aufzuklären ist, soweit sie aufgrund ihres Entwicklungsstandes und ihrer Verständnismöglichkeiten zur Aufnahme dieser Erläuterung in der Lage ist. Bei einer analogen Anwendung wären in den Fällen der Informationsbefolgungsunfähigkeit dann auch der tatsächlich behandelten Person entsprechend ihres Verständnisses die therapeutischen Informationen zu erteilen. Dies setzt wieder das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke sowie einer vergleichbaren Interessenlage voraus. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Wenn der Gesetzgeber schon die Problematik der Informationsbefolgungsunfähigkeit in Verbindung mit der Information des Berechtigten nicht gesehen hat, so konnte er auch die Notwendigkeit, in derartigen Fällen die tatsächlich behandelte Person entsprechend ihres Verständnisses zu informieren, nicht erkennen. Es liegt hier somit im Wege eines Erst-Recht-Schlusses eine planwidrige Regelungslücke vor. Eine vergleichbare Interessenlage liegt ebenfalls vor, denn sowohl therapeutische Information als auch Aufklärung betreffen wie bereits erläu294 Diese Problematik der Informationsbefolgungsunfähigkeit kann auch im 2-Personen-Verhältnis eintreten, beispielsweise wenn das Kind mit Zustimmung der Eltern einen Vertrag im eigenen Namen schließt (§§ 107, 108 BGB). Auch Olzen/Lilius-Karakaya sind der Ansicht, dass der Betreuer zu informieren sei, sie leiten dies jedoch nicht über eine Analogie her und stellen fälschlicherweise auf die Einwilligungsfähigkeit ab, zu diesem Ergebnis kommen sie für alle Informationspflichten des § 630c Abs. 2–4 BGB, Olzen/Lilius-Karakaya, BtPrax 2013, 127 (129 f.).
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tert die Grundrechte des tatsächlich Behandelten. Zudem kann er aus den Inhalten der Aufklärung keinerlei Handlungsmöglichkeiten ableiten, die Einwilligung nimmt der Berechtigte für ihn war. Aus den Inhalten der therapeutischen Information ergeben sich für ihn dagegen möglicherweise sogar Verhaltensanforderungen, die er versuchen kann zu erfüllen, auch wenn er selbst (noch) nicht umfassend informationsbefolgungsfähig ist. So kann beispielsweise auch ein Sechsjähriger schon verstehen, was es bedeutet, sein Bein hochzulegen, auch wenn er vielleicht noch nicht in der Lage ist, in dem erforderlichen Umfang selbst darauf zu achten. Er wird aber zumindest ab und zu vielleicht selbst daran denken und kann dann zur Therapietreue beitragen. Darüber hinaus kann er dadurch vielleicht verstehen, warum er sich in einer gewissen Art und Weise verhalten soll, sodass er eher geneigt sein wird, den Hinweisen und Erinnerungen seines Sorgeberechtigten zu folgen. Deswegen ist der Informationsbefolgungsunfähige erst recht entsprechend seines Verständnisses in therapeutischer Sicht zu informieren, wenn dies schon für den Einwilligungsunfähigen hinsichtlich der Aufklärung gilt.295 § 630e Abs. 5 BGB ist in Fällen der Informationsbefolgungsunfähigkeit des Patienten analog anzuwenden. (4) Zusätzliche Information Dritter Informationspflichten gegenüber Dritten, wie sie von der Rechtsprechung statuiert wurden, vgl. oben, ergeben sich aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB dagegen nicht. Da zu diesen Personen kein Behandlungsverhältnis besteht, ergeben sie sich nur als deliktische Pflichten. Zwar ließe sich über eine Informationspflicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nachdenken. Bei einem solchen hat allein der Gläubiger einen Anspruch auf die (Haupt-)Leistung des Vertrags, der Dritte kann jedoch bei der Verletzung von vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einen Schadensersatzanspruch geltend machen, wenn er wirksam in diese drei Pflichten einbezogen ist.296 Allerdings setzt ein solcher voraus, dass eine Leistungsnähe besteht, der Dritte muss mit der Leistung des Behandelnden bestimmungsgemäß in gleicher Weise in Berührung kommen
295 Im Ergebnis ähnlich Olzen/Lilius-Karakaya, die dies zwar nicht über eine Analogie herleiten und eine zusätzliche Information von dem Zustand des Patienten abhängig machen und fälschlicherweise auf seine Einwilligungsunfähigkeit abstellen; sie gehen von dieser Annahme für alle Pflichten des § 630c Abs. 2–4 BGB aus, Olzen/Lilius-Karakaya, BtPrax 2013, 127 (130). 296 BGHZ 193, 297 (301); BAG, NJW 2016, 2204 (2205); vgl. BGHZ 49, 350 (353 f.); Palandt/Grüneberg, § 328, Rdnr. 13.
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wie der Patient.297 Dies ist in der Regel jedoch nicht der Fall,298 der Dritte kommt nicht mit der konkreten Behandlungsleistung selbst in Berührung, sondern mit Risiken, die sich aus dieser ergeben. Etwas anderes gilt jedoch in den Fällen, in denen es beispielsweise um die Geburtsdurchführung (dann ist auch das Kind geschützt)299 oder um Sterilisation, Schwangerenberatung etc. geht.300 (5) Zusammenfassung der Ergebnisse Unter Patient i. S. d. § 630c Abs. 2 S. 1 BGB ist die tatsächlich behandelte Person zu verstehen. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechungslinie. Ist der Patient informationsbefolgungsunfähig, so ist analog §§ 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB der Berechtigte zu informieren. Auch dies entspricht der vereinzelt vorzufindenden Rechtsprechung. In derartigen Fällen ist der Patient zudem analog § 630e Abs. 5 zu informieren. Eine Information Dritter ist aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB nicht geschuldet. cc) Bewertung Der erforderliche Auslegungsaufwand zur Ermittlung des Informationsempfängers ist immens. Dieser wäre vermeidbar gewesen. Bereits im Rahmen der Aufklärungspflicht301 wurde ausgeführt, dass die vom Gesetzgeber im Rahmen des § 630a Abs. 1 BGB geschaffene Unklarheit hinsichtlich des Begriffs des Patienten einen eklatanten Mangel darstellt, der die Qualität des gesamten Gesetzes schmälert, weil er sich durch das gesamte Gesetz zieht und stets eine umfassende Auslegung zur Ermittlung des Bedeutungsgehalts des Begriffs in der konkreten Regelung erfordert. Hinsichtlich der weiteren diesbezüglichen Kritik kann auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden; die Kritik gilt hier gleichermaßen. Zudem wären die Lücken im Gesetz mit der Folge der Notwendigkeit der Schließung durch die beiden Analogien vermeidbar gewesen. Der Gesetzgeber hat die Aufklärungs- und Informationspflichten bewusst getrennt. Ganz bewusst hat er auch die neue Rechtsprechung zur Aufklärung des Einwilligungsunfähigen in § 630e Abs. 5 BGB berücksichtigt. Dann war es ihm jedoch auch möglich, 297 Zur Leistungsnähe siehe Staudinger/Klumpp, § 328, Rdnr. 111 ff.; MüKo-BGB/Gott wald, § 328, Rdnr. 181; Palandt/Grüneberg, § 328, Rdnr. 17. Zu den Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter siehe auch BAG, NJW 2016, 2204 (2205 m. w. N.); BGHZ 176, 281 (291). 298 Ebenso MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 24. Generell skeptisch zur Einbeziehung „schutzbefohlener Dritter“ in den Vertrag Köndgen, in: Lorenz (Hrsg.), Einbeziehung Dritter in den Vertrag, 1999, 3 (41 ff.). 299 OLG Düsseldorf, 8 U 24/12. 300 Vgl. Staudinger/Klumpp, § 328, Rdnr. 194 m. w. N. aus der Rspr. 301 Siehe dazu unter E. VI. 3.
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sich über die Konsequenzen dieser neuen Regelung sowie der ausdrücklichen Trennung von Aufklärungs- und Informationspflichten klar zu werden. Er hätte durchaus erkennen können, dass auch im Rahmen der Informationspflichten das Bedürfnis für eine dem § 630e Abs. 5 BGB entsprechende Regelung besteht. Schließlich hätte er auch über ein der Einwilligungsfähigkeit vergleichbares Institut bei den Informationspflichten nachdenken können, denn das Problem von minderjährigen Patienten stellt sich nicht nur im Rahmen der Aufklärung. Hätte der Gesetzgeber präziser gearbeitet, wäre ein erheblicher Auslegungsaufwand sowie die Notwendigkeit der zweifachen Lückenschließung vermieden worden. Zudem wäre für wesentlich mehr Transparenz und Rechtssicherheit gesorgt worden. Das Gesetz wäre in sich konsistenter und nachvollziehbarer, die Parallelen und Unterschiede zwischen den Aufklärungs- und Informationspflichten würden deutlicher. Da die Lücken vermeidbar waren, schmälert dies die Qualität des Gesetzes erheblich. g) Ausnahmen Die Ausnahmen von der therapeutischen Informationspflicht werden am Ende der Informationspflichten des Arztes gesammelt betrachtet, da diese auch gemeinsam in § 630c Abs. 4 BGB für alle Informationspflichten des Arztes geregelt sind. h) Dokumentation Zunächst werden die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung dargestellt und danach die nach der gesetzlichen Regelung geltenden Grundsätze untersucht. Sodann wird die Qualität der Regelung bewertet. aa) Richterrecht Eine generelle Pflicht zur Dokumentation der therapeutischen Aufklärung ist von der Rechtsprechung nicht statuiert worden. Allerdings sind die wichtigsten dia gnostischen sowie therapeutischen Maßnahmen aufzuzeichnen, beispielsweise die Medikation, Anweisungen zur Behandlungspflege oder ein bestimmtes Verhalten hinsichtlich der Lebensführung.302 Begründet wird dies mit dem Erfordernis der Patientensicherheit in der Behandlung, der Rechenschaftspflicht diesem gegenüber sowie der Wichtigkeit derartiger Informationen für den nachbehandelnden Arzt.303 Auch der Hinweis auf die Notwendigkeit einer Kontrolluntersu302 303
OLG Köln, VersR 1992, 1231 (1232). OLG Köln, VersR 1992, 1231 (1232).
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chung ist dokumentationspflichtig,304 ebenso der Hinweis auf die mit eingetretenen Komplikationen verbundene Gefahrenlage.305 Zu dokumentieren ist zudem die Weigerung des Patienten, eine notwendige Untersuchung oder Behandlung vorzunehmen; andernfalls obliegt dem Arzt der Beweis der Weigerung.306 Gleiches gilt für ein Verlassen des Krankenhauses gegen ärztlichen Rat.307 Nicht dokumentationspflichtig ist dagegen der Hinweis auf die Dringlichkeit einer Maßnahme.308 Generell gilt für Dokumentationsverstöße im Rahmen der therapeutischen Aufklärungspflicht, dass die Nichtaufzeichnung einer dokumentationspflichtigen Maßnahme deren Unterlassen indiziert und folglich dem Arzt der Beweis des Gegenteils obliegt,309 obwohl grundsätzlich der Patient die therapeutische Aufklärung zu beweisen hat.310 Gelingt dem Arzt der Beweis nicht, so kann das indizierte Unterlassen zur Annahme eines Behandlungsfehlers führen.311 bb) § 630f Abs. 2 BGB Ob eine Dokumentation der therapeutischen Information durch den Arzt zu erfolgen hat, richtet sich nach § 630f Abs. 2 BGB. In der beispielhaften Aufzählung des § 630f Abs. 2 S. 1 BGB werden zwar auch die in § 630c Abs. 2 S. 1 BGB aufgeführten Merkmale der Diagnose sowie der Therapie genannt, im Gegensatz zur Aufklärung (§ 630e BGB) wird die Information (§ 630c BGB) jedoch nicht ausdrücklich genannt. Auch das Merkmal der zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen, welches das klassische Merkmal der therapeutischen Information darstellt, ist in § 630f Abs. 2 S. 1 BGB nicht genannt. Dies könnte zunächst gegen eine Pflicht zur Dokumentation der therapeutischen Aufklärung sprechen, zumindest gegen eine umfassende Dokumentationspflicht. Da es sich bei der Aufzählung in § 630f Abs. 2 S. 1 BGB jedoch nicht um eine abschließende Aufzählung handelt („insbesondere“), ist zur Klärung der Erforderlichkeit einer Dokumentation maßgeblich darauf abzustellen, ob es sich bei therapeuti304
OLG Oldenburg, NJW-RR 1994, 1054 (1054). OLG Koblenz, NJW 2000, 3435 (3437). 306 BGHZ 99, 391 (395). Gelingt ihm dieser Beweis nicht, so kommt ein Befunderhebungsbzw. sicherungsfehler in Betracht, OLG Oldenburg, MedR 2011, 163 (164); OLG Bamberg, NJW-RR 2005, 1266 (1266) (grober Behandlungsfehler). 307 BGH, NJW 1987, 2300 (2301). 308 OLG Köln, VersR 2015, 1173 (1174) (dies zwar offen lassend, jedoch darauf hinweisend, dass dies bisher von der Rechtsprechung nicht als dokumentationspflichtig angesehen wurde). 309 OLG Köln, VersR 1992, 1231 (1232); vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 1994, 1054 (1054); BGH, NJW 1987, 2300 (2301). 310 Dazu sogleich unter F. II. 2. i) aa) (1). 311 Vgl. BGH, NJW 1987, 2300 (2301); BGHZ 99, 391 (395). 305
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schen Informationen um „aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentliche[…] Maßnahmen“ handelt (§ 630f Abs. 2 S. 1 BGB).312 Eine pauschale Antwort kann hier nicht getroffen werden, es ist stets für den konkreten Gegenstand der therapeutischen Informationspflicht im Einzelfall zu prüfen, ob dieser gem. § 630f Abs. 2 S. 1 BGB zu dokumentieren ist. Anhand der Rechtsprechung sowie der Bedeutung, die beispielsweise die Kenntnis der genauen Medikamentenverordnung oder der Verhaltensanweisungen für einen Nachbehandelnden haben kann, ist jedoch davon auszugehen, dass ein Großteil der im Rahmen der therapeutischen Information geschuldeten Hinweise für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlich und damit dokumentationspflichtig ist.313 Zu dokumentieren ist grundsätzlich jedoch nur der konkrete Informationsinhalt, nicht dagegen die Art und Weise der Informationserteilung.314 Laufs geht davon aus, dass der Arzt dokumentationspflichtig sei, weil die Unterweisung Teil der Behandlung ist.315 Allerdings ist nicht die gesamte Behandlung dokumentationspflichtig, sondern lediglich die „aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen“, sodass dies kein Argument für eine umfassende Dokumentationspflicht ist. Eine Dokumentation der gesamten Behandlung würde darüber hinaus weder im Interesse des Patienten noch des Arztes liegen; zum einen würde es den Aufwand der Ärzte deutlich erhöhen, zum anderen würde die Patientenakte erheblich umfangreicher und der Blick auf das Wesentliche dadurch erschwert. Dass eine vollständige Dokumentation von therapeutischen Informationen aus forensischer Sicht sinnvoll sein kann, ändert nichts daran, dass nach dem Gesetz jedenfalls keine umfassende Pflicht dazu besteht.316 Deswegen dürfen dem Arzt auch keine Nachteile erwachsen, sofern er eine therapeutische Information, die aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung nicht wesentlich ist, nicht dokumentiert. Unterlässt der Behandelnde jedoch eine ihm obliegende Dokumentation der therapeutischen Information, so gilt sie zugunsten des Patienten als nicht erteilt, § 630h Abs. 3 BGB, sodass der Behandelnde für deren Erbringung beweisbelastet ist. Bergmann zufolge stelle dies den Regelfall dar, sodass der Unterschied zur Selbstbestimmungsaufklärung im Rahmen der Beweislast (grundsätzlich obliegt dem Patienten der Nachweis eines Verstoßes gegen die therapeutische Aufklärungspflicht)317 regelmäßig nicht zum Tragen kom312 Ähnlich auch die bisherige Rechtsprechung, vgl. BGH, NJW 1989, 2330 (2331); BGH, NJW 1993, 2375 (2376). 313 Skeptischer insoweit Hausch, VersR 2007, 167 (170 f.). 314 Dies offen lassend Hausch, VersR 2007, 167 (171). 315 Laufs/Kern/Laufs, § 58 Rdnr. 17. 316 Ähnlich Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 10. 317 Dazu sogleich unter F. II. 2. i) aa).
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me.318 Dies kann aber kein Argument sein, die Anforderungen an die Dokumentation oder die Rechtsfolgen bei mangelhafter Dokumentation zu ändern, vielmehr sollte die Ärzteschaft mehr Wert auf die Dokumentation der therapeutischen Information legen. Allerdings darf auch keine über die medizinische Notwendigkeit hinausgehende Dokumentation verlangt werden oder gar zur Regel werden, um den Beweisschwierigkeiten des Patienten zu begegnen,319 denn dies würde der Zielsetzung der Dokumentation, wonach diese gerade nicht aus Beweisgründen erfolgen soll, zuwiderlaufen. Schließlich darf auch eine über die medizinische Notwendigkeit hinausgehende Dokumentationspraxis nicht dazu führen, dass diese als „Standard“ angesehen und deswegen unabhängig von der medizinischen Notwendigkeit generell zu einer Dokumentationspflichtigkeit führt.320 cc) Bewertung Hinsichtlich der Dokumentation der therapeutischen Information knüpfen die gesetzlichen Regelungen an die bisherige Rechtsprechung an, sodass diese fortgelten kann. Es ist konsequent, dass § 630f Abs. 2 S. 1 BGB die therapeutische Information nicht ausdrücklich nennt, dies ist nicht erforderlich. Das Abstellen auf sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen ist ausreichend, um damit anhand des konkreten Einzelfalls eine Dokumentationspflicht beurteilen zu können. Zudem entspricht die Regelung des § 630h Abs. 3 BGB der bisherigen Rechtsprechungslinie. Dass die Regelungen des § 630h BGB eigentlich in die ZPO gehören, wurde bereits ausgeführt,321 allerdings ist es aus Gründen der Übersichtlichkeit und Transparenz durchaus sinnvoll, die Beweislastregeln speziell für das Arzthaftungsrecht im Anschluss an die übrigen Pflichten zu regeln. i) Rechtsfolgen eines Verstoßes Zunächst werden die zivilrechtlichen Rechtsfolgen sowie die Beweislast betrachtet, bevor dann auf strafrechtliche Konsequenzen eingegangen wird.
Bergmann, VersR 2014, 795 (799). Hausch, VersR 2007, 167 (170). 320 Siehe dazu Hausch, VersR 2007, 167 (171). 321 Siehe dazu oben unter E. IX. 1. c). 318 319
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aa) Zivilrechtliche Rechtsfolgen und Beweislast Es werden erst die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung dargestellt. Danach wird ermittelt, ob sich durch die gesetzlichen Regelungen diesbezüglich Änderungen ergeben und die Qualität der Regelungen bewertet. (1) Richterrecht Ein Verstoß gegen die therapeutische Aufklärungspflicht stellt einen Behandlungsfehler dar, sodass der Patient für einen solchen beweisbelastet ist.322 Allerdings dürfen „keine unbillig scharfen Anforderungen“ an die Beweisführung gestellt werden.323 Auch der Beweis der Kausalität zwischen dem Verstoß gegen die therapeutische Informationspflicht und dem eingetretenen Schaden obliegt dem Patienten.324 Bei auf bestimmte Verhaltensweisen ausgerichteten Informationen besteht eine Vermutung für ein informationsgerechtes Verhalten des Patienten,325 sodass sich der Arzt nicht ohne Weiteres darauf berufen kann, der Patient hätte seine Anweisungen ohnehin nicht befolgt, er muss die Vermutung vielmehr erschüttern.326 Im Gegensatz zur Selbstbestimmungsaufklärung genügt es bei einem Verstoß gegen die therapeutische Informationspflicht nicht, dass der Patient darlegt, er hätte im Fall der ordnungsgemäßen Information vor einem Entscheidungskonflikt gestanden, er muss vielmehr nachweisen, dass er sich bei erfolgter Information anders entschieden hätte.327 Wird die Pflichtverletzung als grober Behandlungsfehler eingestuft, kommt es zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich 322
Vgl. BGH, NJW 2004, 3703 (3704); BGHZ 162, 320 (324); BGH, VersR 2005, 227 (228); BGH, NJW 1981, 2002 (2003); OLG Hamm, VersR 2005, 837 (837); OLG Düsseldorf, VersR 1995, 542 (543); OLG München, NJW-RR 1988, 609 (609); OLG Oldenburg, NJW-RR 1994, 1054 (1954); OLG Hamm, VersR 2002, 1562 (1563). Dies wird von Spickhoff kritisiert, er ist der Ansicht, nicht jeder Fall der fehlerhaften therapeutischen Aufklärung solle pauschal als Behandlungsfehler angesehen werden, Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 13. 323 BGH, NJW 1981, 2002 (2003); OLG München, NJW-RR 1988, 609 (609). 324 OLG Stuttgart, VersR 1989, 632 (632 f.). 325 OLG Köln, VersR 2013, 237 (239); OLG Oldenburg, MedR 2011, 163 (165); OLG Stuttgart, VersR 1996, 979 (979); OLG Köln, VersR 2011, 760 (761 f.); OLG Köln, VersR 2002, 1285 (1285); vgl. auch BGHZ 107, 222 (228); LG München I, NJW-RR 2009, 898 (900). Vgl. Jauernig/Mansel, § 630c, Rdnr. 6; BPS/Wever, § 630c BGB, Rdnr. 5. Insofern besteht ein Anscheinsbeweis, „daß derjenige, der einen anderen wegen seiner besonderen Sachkunde um Rat fragt, sich beratungsgemäß verhalten hätte“, OLG Braunschweig, VersR 1998, 459 (460 m. w. N.). Kritisch dazu Hausch, der erläutert, dass die Rate der Non-Compliance aus verschiedensten Gründen erstaunlich hoch sei (S. 169), sodass keine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, „wie sich der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung [jetzt: Information] verhalten hätte“ (S. 171), Hausch, VersR 2007, 167 (169 ff.). 326 Vgl. OLG Köln, VersR 2013, 237 (239); OLG Köln, VersR 2011, 760 (761). 327 OLG Brandenburg, 12 U 152/11.
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der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden (jetzt gem. § 630h Abs. 5 BGB).328 Eine solche Einordnung kann nicht pauschal getroffen werden, sondern hat anhand der Umstände des Einzelfalls zu erfolgen.329 Liegen mehrere Verstöße vor, so hat eine Gesamtbetrachtung dieser hinsichtlich der Einordnung als einfacher oder grober Fehler zu erfolgen.330 Grundsätzlich ist, parallel zur Selbstbestimmungsaufklärung,331 dem Vorbringen des Arztes zu glauben, dass die Information in der im Einzelfall gebotenen Weise erfolgt ist, sofern einiger Beweis hierfür erbracht worden ist.332 (2) § 630c Abs. 2 S. 1 BGB Das Gesetz geht auf die Rechtsfolgen nicht ein, ebenso wenig die Gesetzesbegründung. Deswegen ist davon auszugehen, dass die bisherige Rechtsprechung insofern uneingeschränkt fortgilt. Ein Verstoß gegen die therapeutische Information kann über die §§ 280 ff. BGB zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen. Entsprechend der üblichen Beweislast ist der Patient für die Pflichtverletzung, also den Verstoß gegen die therapeutische Informationspflicht, sowie für die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden beweisbelastet. Die Sonderkonstellation des groben Behandlungsfehlers ist nun in § 630h Abs. 5 S. 1 BGB geregelt. (3) Bewertung Es ist konsequent, an die allgemeinen Regeln des Schuldrechts anzuknüpfen und einen Anspruch über § 280 Abs. 1 BGB nach den generellen Beweislastregeln zu konstruieren. Dadurch wird die Gesamtsystematik des BGB stringent fortgeführt. Der Erlass anderer, separater Regelungen war nicht erforderlich. Die spezielle Beweislastregel des § 630h Abs. 5 S. 1 BGB gehört dogmatisch zwar grundsätzlich in die ZPO, ist aus Gründen der Übersichtlichkeit jedoch im Anschluss an die übrigen Pflichten im Behandlungsvertrag zu begrüßen. 328
Sofern der Fehler geeignet ist, den Schaden zu verursachen; er muss ihn jedoch nicht wahrscheinlich machen, BGHZ 159, 48 (56); BGH, NJW 2005, 427 (428 m. w. N.); vgl. auch BGH, NJW 1987, 705 (705); OLG Hamm, MedR 2014, 103 (104); OLG Köln, VersR 2011, 760 (761); OLG Brandenburg, NJW-RR 2003, 1383 (1386); OLG Köln, VersR 2002, 1285 (1286). 329 BGH, NJW 2009, 2820 (2821); vgl. BGH, NJW 2016, 563 (564) hinsichtlich des Hinweises auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer diagnostischen Maßnahme; vgl. BGHZ 107, 222 (225 ff.). 330 BGH, NJW 2005, 427 (429). 331 Siehe dazu unter E. IX. 1. a). 332 OLG Köln, VersR 1995, 967 (968); ebenso Laufs/Kern/Laufs, § 58 Rdnr. 17.
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bb) Strafrechtliche Konsequenzen Da ein Verstoß gegen die therapeutische Informationspflicht als Behandlungsfehler eingeordnet wird, besteht auch die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen (fahrlässiger) Körperverletzung oder sogar Tötung, §§ 212, 222, 223 ff. StGB. j) Zusammenfassung zur therapeutischen Informationspflicht Im Wege der Auslegung ergibt sich, dass § 630c Abs. 2 S. 1 BGB keine Einschränkungen gegenüber der bisherigen Rechtsprechung vornimmt. Auch wenn der Begriff der Befunde nicht ausdrücklich im Gesetz genannt ist, ist weiterhin über diese zu informieren. Über die Diagnose und Therapie ist ausschließlich im Rahmen der therapeutischen Information zu informieren. Die Information über die Diagnose ist auch dann geschuldet, wenn keine Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Zum Inhalt der therapeutischen Information zählt grundsätzlich auch die Dringlichkeit. Im Bereich der Dringlichkeit sowie der Folgen im Falle des Unterlassens kann es zu Überschneidungen zwischen Aufklärung und der therapeutischen Information kommen. Die Aufklärung und die therapeutische Information sind nach dem Sinn und Zweck der einzelnen Information bzw. Aufklärung abzugrenzen. In den Überschneidungsbereichen ist der Anwendungsbereich der therapeutischen Information stets größer oder zumindest genauso groß wie derjenige der Aufklärung. Die therapeutische Information muss nicht zwingend mündlich erfolgen. Eine Aushändigung der Information in Textform ist nicht geschuldet. Etwaige Dolmetscherkosten hat der Patient zu tragen. Der Patient ist zu informieren, sobald der Behandelnde weitestgehend gesicherte Erkenntnisse hat und dem Patienten eine fundierte Information geben kann. Die strengen Grundsätze hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Aufklärung sind nicht zu übertragen. Die Pflicht kann analog § 630f Abs. 2 BGB bis zu zehn Jahre über das Ende des Behandlungsvertrags hinaus fortwirken. Der Behandelnde kann die Pflicht auf angestellte Ärzte, nichtärztliches Personal und Studierende im Praktischen Jahr delegieren. Adressat der therapeutischen Information ist die tatsächlich behandelte Person. Ist diese informationsbefolgungsunfähig, so ist analog §§ 630d Abs. 1 S. 2, 630e Abs. 4 BGB der Berechtigte zu informieren. Die tatsächlich behandelte Person ist zusätzlich analog § 630e Abs. 5 BGB zu informieren. Eine Information Dritter ist nicht geschuldet. Eine etwaige Dokumentationspflicht richtet sich gem. § 630f Abs. 2 BGB stets danach, ob diese aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung erforderlich ist.
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k) Zwischenfazit zur Qualitätsbewertung Der Gesetzgeber hätte sich an einigen Stellen präziser ausdrücken und damit für mehr Transparenz und Rechtssicherheit sorgen können. Das Begriffsverständnis hätte vereinfacht werden können. So hätte hinsichtlich der zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen deutlich gemacht werden sollen, dass es dabei um die Verhaltensanforderungen nach dem klassischen Verständnis der therapeutischen Information geht. Hinsichtlich der voraussichtlichen gesundheitlichen Entwicklung hätte verdeutlicht werden sollen, dass es um die Folgen im Falle der Nichtbehandlung, also die Entwicklung ohne Behandlung geht. Dies hätte für mehr (Laien-)Verständlichkeit der gesetzlichen Regelungen und für mehr Rechtssicherheit gesorgt. Die Regelung hinsichtlich des Zeitpunkts der therapeutischen Information ist unpräzise und führt zu Rechtsunsicherheit. Der Gesetzgeber hat kein handhabbares Kriterium geschaffen. Das Anknüpfen an den weiten Behandlungsbegriff ist misslich. Es ist ein erheblicher Auslegungsaufwand erforderlich, um zu einem verfassungskonformen Ergebnis zu kommen. Die Begriffe des Behandelnden und des Patienten sind missverständlich gewählt. Die Legaldefinitionen weichen ohne Grund von dem allgemeinen Sprachgebrauch ab und führen zu Rechtsunsicherheit und Verwirrung. Sie verkomplizieren die gesetzlichen Regelungen. Laienverständlichkeit ist damit nicht zu erreichen. Insbesondere der Auslegungsaufwand zur Ermittlung des Informationsempfängers ist immens. Dieser hätte vermieden werden können, wenn die Legaldefinition des Patienten in § 630a Abs. 1 BGB unterblieben wäre. Die Lücken im Gesetz mit der Folge der Notwendigkeit der Schließung durch die beiden Analogien wären vermeidbar gewesen, der Gesetzgeber hätte die Notwendigkeit der Regelungen erkennen können. Er hätte mehr Transparenz und Rechtssicherheit schaffen und das Gesetz dadurch auch konsistenter und nachvollziehbarer gestalten können. Die Vermeidbarkeit der Lücken schmälert die Qualität erheblich. Auch im Rahmen der therapeutischen Information ist die Verwendung der gesetzgeberischen Figur der Generalklausel mit anschließender Nennung von Einzeltatbeständen ebenfalls missglückt. Die Gegenstände der Befunde und Dringlichkeit hätten ausdrücklich genannt werden sollen, damit für diese im Regelfall der Information unterfallende Punkte nicht ein derart großer Begründungsaufwand erforderlich ist, um sie unter die Generalklausel zu subsumieren. Zudem hätte erheblicher Auslegungsaufwand erspart und Widersprüchlichkeiten und Rechtsunsicherheit vermieden werden können. Der Gesetzgeber nutzt auch nicht die Chance zur Klärung offener Rechtsfragen. Er nimmt sich nicht der Unklarheiten hinsichtlich der genauen Abgrenzung
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von therapeutischer Information und Aufklärung an, ebenso wenig der Probleme hinsichtlich sprachunkundiger Patienten.
3. Fehlerinformationspflicht § 630c Abs. 2 S. 2 BGB enthält die ausdrückliche Verpflichtung des Behandelnden, den Patienten auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren über für ihn erkennbare Umstände, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, zu informieren. Dies gilt sowohl für eigene als auch für fremde Behandlungsfehler, was sich aus einem Umkehrschluss zu § 630c Abs. 2 S. 3 BGB ergibt. Die Regelung des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB wird von einigen Stimmen als „Novum“ des Gesetzes bezeichnet, eine Fehlerinformationspflicht des Arztes habe vor Erlass des Patientenrechtegesetzes nicht bestanden.333 Dies erscheint insofern überraschend, als der Gesetzesbegründung zufolge alle in den §§ 630a–h BGB dargelegten Pflichten „bereits durch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Arzthaftung, durch das Grundgesetz, durch die Berufsordnung der Ärzte sowie durch weitergehende besondere Gesetze geregelt“ seien, sodass es sich „methodisch im Wesentlichen um rein formale Änderungen der Gesetzesgrundlage ohne eine inhaltliche Änderung handel[e], da diese Pflichten in der alltäglichen Praxis bereits umfangreiche Anwendung [fänden]“.334 Ob eine derartige Pflicht nach altem Recht tatsächlich nicht bestand, soll als erstes untersucht werden, bevor dann im Anschluss die Neuregelung analysiert wird. a) Existenz einer Fehlerinformationspflicht vor Erlass des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB Die Herleitung einer Fehlerinformationspflicht des Arztes kam vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes unter verschiedenen Gesichtspunkten in Betracht. Eine solche konnte aufgrund der Rechtsprechung bestehen, aus einem Vergleich mit der Rechtslage bei Rechtsanwälten oder aus anderen Grundsätzen hergeleitet werden.
Wagner, VersR 2012, 789 (794 f.); Gutmann, in: Steinmeyer/Roeder/Eiff (Hrsg.), Medizin – Haftung – Versicherung, 2016, 59 (60); vgl. MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 27, 31 („wesentliche inhaltliche Reformleistung“, „Novum“); Müller, GuP 2013, 1 (5); Spickhoff, JZ 2015, 15 (15) („eine von wenigen Neuerungen“); Lechner, MedR 2013, 429 (431); GDV, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, 1 (4); a. A. Ulsenheimer, Anaesthesist 2014, 98 (100). 334 BT-Drs. 17/10488, 1 (13). 333
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aa) Implementierung durch die Rechtsprechung In der Begründung des Regierungsentwurfs zum Patientenrechtegesetz wird angeführt, die Regelung des § 630c Abs. 2 S. 2 BGB schließe an die bisherige geltende Rechtsprechung an.335 Welche Rechtsprechung dies sein soll, ist jedoch nicht erkennbar. Es gibt nur wenige Entscheidungen, die das Thema der Fehler information anschneiden. Eine generelle Verpflichtung des Arztes zur Offenbarung eigener oder fremder Behandlungsfehler hat die Rechtsprechung bisher nicht anerkannt, sie schweigt nahezu gänzlich.336 Nach der Rechtsprechung erscheint eine Offenbarungspflicht kaum erforderlich.337 In den wenigen Fällen, in denen die oberinstanzliche Rechtsprechung eine Informationspflicht des Arztes angenommen hat,338 hat sie diese jedoch auf eine wertneutrale Information über das Geschehene beschränkt. Zwar dürften keine dem Behandelnden „bekannte, für die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs relevante Tatsachen vorenthalten“ und der Behandlungsverlauf nicht falsch dargestellt oder verschleiert werden.339 Eine Pflicht zur Bewertung im Sinne eines Fehler- und Schuldeingeständnisses bestehe nicht; es sei nicht treuwidrig, ein schuldhaftes Fehlverhalten zu leugnen, sofern weder Tatsachen verschwiegen noch darüber getäuscht werde.340 Die Rechtsprechung hat es vielmehr als Regelfall angesehen, dass der Vorwurf eines schuldhaften Behandlungsfehlers abgewehrt werde und dies gebilligt.341 Schließlich bestehe kein allgemeiner Auskunftsanspruch, um einen vom Behandelnden zu vertretenden Fehler als Anspruchsgrund vorprozessual zu klären; über das Einsichtsrecht hinaus gebe es keine Auskunftspflichten.342 Dementsprechend lässt sich aus der Rechtsprechung keine Pflicht zur Bewertung des eigenen Fehlverhaltens herleiten, sondern lediglich zu einer Tatsacheninformation. Hinsichtlich fremden Fehlverhaltens wurde darauf hingewiesen, dass der Hausarzt verpflichtet sei, dem Patienten „ernste Zweifel an der Richtigkeit der Krankenhausbehandlung und der dort […] gegebenen ärztlichen Ratschläge“ 335 BT-Drs. 17/10488, 1 (21, 53); ebenso Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (26). 336 Taupitz, NJW 1992, 713 (713); Wagner, VersR 2012, 789 (795); ähnlich Spickhoff/ Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 15; Erman/Rehborn/Gescher, § 630c, Rdnr. 11. 337 Dann, MedR 2007, 638 (640); BGH, NJW 1984, 661 (661 f.); BGH, NJW 1989, 2330 (2331). 338 Vgl. etwa OLG Stuttgart, VersR 1989, 632 (632 f.); OLG München, VersR 2002, 985 (985 f.) – beide Fälle bezüglich des Belassens einer abgebrochenen Bohrerspitze im Knochen. 339 BGH, NJW 1984, 661 (662). 340 Vgl. BGH, NJW 1984, 661 (662); OLG Hamm, NJW 1985, 685 (685). 341 BGH, NJW 1984, 661 (662). 342 OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 410 (411). Deswegen ist Spickhoff der Ansicht, dass die Norm über die bisherige Rechtsprechung hinausgehe, Spickhoff, MedR 2015, 845 (849).
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mitzuteilen.343 Kein Arzt dürfe „sehenden Auges eine Gefährdung […] hinnehmen, wenn ein anderer Arzt seiner Ansicht nach etwas falsch gemacht [habe] oder er jedenfalls den dringenden Verdacht haben [müsse], es [könnte] ein Fehler vorgekommen [seien]“.344 Hier statuiert der Bundesgerichtshof somit eine Offenbarungspflicht für die Konstellation der Abwendung gesundheitlicher Gefahren, ohne jedoch darauf einzugehen, was genau der Kollege zu offenbaren hat. bb) Vergleich mit Rechtsanwälten Der Bundesrat führt an, eine derartige Pflicht sei im Haftungsrecht keine Neuheit, sondern bestehe in ähnlicher Form bereits bei Architekten.345 Auch für Rechtsanwälte346 und Steuerberater347 ist eine uneingeschränkte Selbstbelastungspflicht anerkannt. Diese besteht nicht nur in der Darlegung von Tatsachen, sondern auch in der Bewertung des eigenen Verhaltens als fehlerhaft.348 In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass eine Gleichbehandlung mit Ärzten geboten sei und diesen folglich die gleiche Pflicht obliegen sollte.349 Dies setzt eine vergleichbare Interessenlage voraus. Deswegen wird in einem ersten Schritt die Rechtslage bei Rechtsanwälten dargestellt,350 bevor in einem zweiten Schritt ermittelt wird, ob diese mit der Situation im Arzt-Patient-Verhältnis vergleichbar ist. (1) Rechtslage bei Rechtsanwälten Eine explizite gesetzliche Regelung zur Offenbarungspflicht des Rechtsanwalts besteht nicht, diese ist richterrechtlich entwickelt worden.351 Bereits das Reichs343
BGH, NJW 1989, 1536 (1538). BGH, NJW 1989, 1536 (1538). 345 BT-Drs. 17/10488, 1 (39); vgl. auch BGHZ 71, 144 (148 f.); BGHZ 92, 251 (258 f.); BGH, VersR 1985, 474 (475). 346 BGHZ 94, 380 (386); BGH, NJW 1994, 2822 (2824); BGH, NJW 1994, 1472 (1473); BGH, NJW 1992, 836 (837); Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung, 5. Aufl. (2014), § 49 Rdnr. 43 ff.; Heyers, BRJ 2012, 135 (146 m. w. N. (Fn. 108)). 347 BGHZ 83, 17 (22 ff.); BGH, NJW 1982, 1532 (1533); BGH, NJW 1982, 2256 (2257). 348 Vgl. RGZ 158, 130 (135). 349 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1749). 350 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird hier nur die Situation des Rechtsanwalts betrachtet. 351 Vgl. u. a. RGZ 158, 130; BGH, VersR 1967, 979 (979 f.); BGHZ 83, 17 (25 f.). Wird die Entwicklung des Richterrechts in erster Linie als Korrektur der gesetzlichen Verjährungsfristen angesehen, so begegnet diese durchaus verfassungsrechtlichen Bedenken. So sei fraglich, ob überhaupt eine planwidrige Regelungslücke vorgelegen habe. Als der Gesetzgeber § 51b BRAO im Jahr 1959 geschaffen habe, sei ihm die Problematik der Verjährung aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts bekannt gewesen, auch habe er die bereits vorhandene Regelung des § 852 I BGB a. F. gekannt. Dies könnte darauf schließen lassen, dass der Gesetzgeber im 344
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gericht führte im Jahr 1938 aus, dass der Anwalt auch gegen ihn selbst gerichtete Ansprüche zu prüfen und durchzusetzen habe, der Mandant sei ansonsten ungerechtfertigt schlechter gestellt.352 Dies wurde dahingehend erweitert, dass der Anwalt den Mandanten über eine mögliche Schadensersatzpflicht unterrichten müsse, damit dieser weitere Schritte einleiten könne.353 Um eine solche Pflicht begründen zu können, muss im Rahmen einer Abwägung das Interesse des Mandanten auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens das Interesse des Anwalts auf Selbstschutz überwiegen. Das Anwalt-Mandant-Verhältnis ist durch ein Wissensgefälle und ein daraus resultierendes Abhängigkeitsverhältnis geprägt, welches dem Mandanten eine eigenständige Prüfung unmöglich macht.354 Dem Rechtssuchenden als juristischem Laien bliebe als Kontrollmöglichkeit lediglich die Konsultation eines anderen Anwalts.355 Das eigene Interesse habe folglich hinter dem Interesse des Mandanten zurückzutreten, da der Anwalt seine Expertenstellung ansonsten missbräuchlich ausnutzen könne.356 Bereich der Anwaltshaftung bewusst eine andere Regelung habe treffen wollen. Außerdem greife die Pflicht zur Selbstbelastung in die Grundrechte der Anwälte aus Art. 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG ein, sodass nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes sowie der Wesentlichkeitstheorie der Gesetzgeber anstelle der Gerichte hätte tätig werden müssen; vgl. dazu Kleu ser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 61 ff.; ebenfalls kritisch zur Art und Weise der Herleitung der Offenbarungspflicht durch die Rechtsprechung Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 41. Münscher hält die richterliche Rechtsfortbildung jedoch für zulässig. Der Zweck des § 51b BRAO bestehe nicht allein darin, Anwälte nur vor unangemessen lange drohenden Ansprüchen, sondern auch vor Beweisschwierigkeiten zu schützen. Dies sei bei Ansprüchen, die lange nach Ende des Mandats geltend gemacht würden, schnell der Fall. Während eines Mandats seien Beweisschwierigkeiten dagegen eher unwahrscheinlich. Folglich sei die Schutzrichtung des § 51b BRAO durch die Hinweispflicht nicht tangiert, vgl. Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 68 f. Terbille/SchmitzHerscheidt halten die Selbstbezichtigungspflicht dagegen nicht für eine Voraussetzung der Korrektur der Verjährungsregelungen, sondern für deren Rechtsfolge, vgl. Terbille/Schmitz-Her scheidt, NJW 2000, 1749 (1750). 352 RGZ 158, 130 (134). 353 Vgl. RGZ 158, 130 (134); BGH, VersR 1967, 979 (980); BGHZ 83, 17 (25 f.). 354 BGHZ 83, 17 (25); Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 56 ff.; Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 64. 355 BGHZ 83, 17 (26); Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 60 f. 356 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung
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Außerdem besteht zwischen Anwalt und Mandant ein besonderes Vertrauensverhältnis. Aus § 3 BRAO folgt, dass der Anwalt der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten ist. Diese besondere Stellung schließt einerseits andere Personen von der Rechtsberatung aus und deutet zum anderen darauf hin, dass es sich um eine längere Vertragsbeziehung handelt.357 Insbesondere bei auf Dauer angelegten Vertragsverhältnissen besteht eine besondere Treuepflicht.358 Mit dem besonderen Vertrauen kann einhergehen, dass das Verhalten des Vertragspartners in geringerem Umfang geprüft wird, unter anderem auch, um das Vertrauensverhältnis nicht zu belasten.359 Darüber hinaus ist der Rechtsanwalt nicht nur parteiischer Interessenvertreter, sondern auch Organ der Rechtspflege, vgl. § 1 BRAO, was eine besondere So zialpflichtigkeit sowie eine erhöhte Pflichtenstellung begründet.360 Der Bundesgerichtshof führt auch die allgemeine Berufspflicht des § 43 BRAO als Grundlage für eine Hinweispflicht des Anwalts an.361 Eine erhöhte Sozialpflichtigkeit lässt sich außerdem aus der Einordnung als freier Beruf und der damit einhergehenden Verpflichtung für das Allgemeinwohl begründen, welche wiederum eine Ausweitung der Berufspflichten legitimiert.362 Als Hauptargument für die richterliche Rechtsfortbildung wurde jedoch der Ausgleich der Verjährungsregelungen angesehen.363 Bevor die Regelung des § 51b BRAO im Jahr 2004 aufgehoben wurde,364 galt nach dieser Regelung eine der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 55 ff.; BGH, VersR 1967, 979 (980). 357 Vgl. Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 71. 358 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 57 unter Hinweis auf die sog. Typizität des Dauerschuldverhältnisses; vgl. auch OLG Hamm, NJW 1985, 685 (685). 359 Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 71 f. 360 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 57. 361 Vgl. BGHZ 109, 260 (268 m. w. N.). 362 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 58 f. 363 Vgl. BGH, NJW 1975, 1655 (1656); BGHZ 94, 380 (385); MüKo-BGB/Wagner, § 823, Rdnr. 866; Taupitz, NJW 1992, 713 (714); Brüggemeier, Haftungsrecht, 2006, 482; Prütting, in: Kern/Wadle/Schroeder u. a. (Hrsg.), Humaniora Medizin – Recht – Geschichte, 2006, 1009 (1013, 1015); anders dagegen Terbille/Schmitz-Herscheidt, die dies lediglich als Folge der Offenbarungspflicht, nicht dagegen als Grund der richterlichen Rechtsfortbildung ansehen, vgl. Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1750). 364 Seit 2004 gelten nun wieder die allgemeinen Verjährungsregeln, sodass von einigen Stimmen davon ausgegangen wird, die Rechtsprechung zur Selbstanzeigepflicht des Rechtsan-
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kenntnisunabhängige dreijährige Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche (drei Jahre nach Anspruchsentstehung bzw. spätestens drei Jahre nach Beendigung des Auftrags). Diese verhältnismäßig kurze Verjährungsfrist (verglichen mit den Regelungen der §§ 195 ff. BGB oder der des § 852 BGB) wurde als unbillige Privilegierung des Anwalts angesehen, welcher die Fehleroffenbarungspflicht entgegenwirken sollte.365 Verletzt der Anwalt seine Offenbarungspflicht (nebenvertragliche Schutzpflicht) und verjährt infolgedessen der Primäranspruch (Schaden aufgrund einer schuldhaften Sorgfaltspflichtverletzung), erlangt der Mandant einen Sekundäranspruch (Schaden durch eingetretene Verjährung). Der Rechtsanwalt kann sich somit faktisch nicht auf den Eintritt der Verjährung berufen, wenn er einen Hinweis auf sein eigenes Fehlverhalten schuldhaft versäumt hat.366 Ein weiteres Argument für die Fehleroffenbarungspflicht stellt die Zielsetzung des Vertrags zwischen Mandant und Anwalt dar. So geht es dem Mandanten vordergründig um die Wahrung seiner Vermögensinteressen, das wirtschaftliche Ergebnis dürfte ihm wichtiger sein als die Art und Weise, wie dieses rechtlich erlangt wird.367 Für den Anwalt ist dies auch erkennbar, er unterliegt folglich neben einer Rechts- auch einer Vermögensbetreuungspflicht.368 Das Mandat verpflichtet den Anwalt außerdem zur optimalen und umfassenden rechtlichen Interessenwahrnehmung, welche letztlich auch Ansprüche gegen den Anwalt selbst beinhaltet.369 Im Rahmen einer Interessenabwägung lässt sich somit mit guten Gründen vertreten, dass die Interessen des Mandanten höher zu gewichten seien als die des walts sei folglich überholt und aufzugeben, vgl. Borgmann, NJW 2005, 22 (30); Mansel/Bud zikiewicz, NJW 2005, 321 (323 f.); Diller/Beck, ZIP 2005, 976 (979 f.); Prütting, in: Kern/ Wadle/Schroeder u. a. (Hrsg.), Humaniora Medizin – Recht – Geschichte, 2006, 1009 (1016). A.A. dagegen (jedenfalls soweit § 51b BRAO noch anzuwenden ist) Fahrendorf/Mennemeyer/ Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl. (2010), Rdnr. 1235 ff. 365 BGH, NJW 1975, 1655 (1656); BGHZ 83, 17 (25 f.). 366 Vgl. RGZ 158, 130 (136 f.); BGHZ 94, 380 (385); Windeknecht, Die Verjährung des gegen den Rechtsanwalt gerichteten Schadensersatzanspruchs – Berechtigung des Sekundäranspruchs, 1990, 22 ff.; Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 34 ff.; Taupitz, NJW 1992, 713 (714); nähere Ausführungen vgl. Rinsche, VersR 1987, 239 (239 ff.). 367 Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 68. 368 Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 68 f. 369 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 59; Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 62 f., 68 f.; Rinsche, VersR 1987, 239 (239).
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Anwalts und die Offenbarungspflicht aus einem gerechten Interessenausgleich zur Annäherung eines vertraglichen Gleichgewichts folge.370 (2) Vergleichbare Interessenlage Rechtsanwalt – Arzt? Zunächst lassen sich einige Gemeinsamkeiten zwischen der Situation des Rechtsanwalts und der des Arztes feststellen. Hier besteht gleichermaßen ein Interessenkonflikt zwischen der Wahrung des eigenen Schutzes einerseits und dem Informationsinteresse des Patienten andererseits, sodass ebenfalls eine Interessenabwägung vorzunehmen ist. Auch der Arzt befindet sich dem Patienten gegenüber in einer Expertenstellung, es liegt ein Wissensgefälle Arzt – Patient vor.371 Dass dieser Wissensvorsprung des Arztes größer sein solle als jener des Rechtsanwalts und somit die Fehleroffenbarungspflicht dem Arzt erst recht auferlegt werden sollte,372 erscheint jedoch nicht plausibel. Terbille/Schmitz-Herscheidt begründen dies mit einem Unterschied in der Tatsachenkenntnis, die beim Mandanten in gleichem Maße bestehe wie beim Anwalt, beim Patienten dagegen im Verhältnis zum Arzt geringer sei, da dieser Ausschnitte des Behandlungsverlaufs oft nicht wahrnehmen könne, z. B. aufgrund von Narkose.373 Dies ist zwar grundsätzlich richtig, jedoch nützt dem Mandanten die Tatsachenkenntnis bei mangelnder Rechtskenntnis wenig zur Erkennung und Durchsetzung seiner Ansprüche, sodass seine Situation nicht besser ist als diejenige des Patienten. Dass sich von rechtlichen Grundlagen eher Kenntnis verschafft werden könne als von medizinischen Grundlagen, ist nicht ersichtlich. Die Vielzahl der gesetzlichen Regelungen, die oftmals nur in Kenntnis der juristischen Arbeitsweise und Methodik sowie der Rechtsprechung korrekt ausgelegt und verstanden werden können, stellen einen juristischen Laien vor eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Kleuser argumentiert, der Umfang des medizinischen Wissens verdoppele sich alle zehn Jahre, sodass der Trend zur Spezialisierung und folglich die Exper370 Vgl. Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 62 ff. 371 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 69; Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1752). 372 So jedoch Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 69; Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1752); ein verstärktes Wissens- und Kompetenzgefälle halten auch Kett-Straub/Sipos-Lay zumindest für möglich, Kett-Straub/Si pos-Lay, MedR 2014, 867 (869). 373 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1752); ähnlich Kett-Straub/Sipos-Lay, MedR 2014, 867 (869).
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tenstellung immer größer werde.374 Jedoch gilt dies gleichermaßen für den Rechtsanwalt. Hier existiert eine Fülle von Rechtsnormen, welche sich stetig ändern und erweitern; außerdem ein enormes Maß an Rechtsprechung, deren Kenntnis zur korrekten und umfassenden Mandatsbearbeitung unumgänglich ist. Die Tendenz geht hier ebenfalls immer mehr zur Spezialisierung, worauf unter anderem auch die Erweiterung des Fachanwalts-Katalogs des § 1 FAO hindeutet (mittlerweile gibt es 23 Fachanwaltsgebiete). Eine umfassende Rechtskenntnis kann von einem Rechtsanwalt genauso wenig erwartet werden wie eine umfassende medizinische Kenntnis von einem Arzt. Ebenso wird der Mandant als juristischer Laie kaum mehr von der Materie verstehen als der Patient als medizinischer Laie; er wird somit gleichermaßen unbeholfen, überfordert und abhängig sein wie der Patient. Genauso wenig vermag es zu überzeugen, dass die Kontrollmöglichkeiten des Patienten gegenüber denen des Mandanten erschwert seien.375 Zwar können Fälle auftreten, die nur von Spezialisten eines bestimmten Fachgebiets, welches nur von wenigen Ärzten beherrscht wird, beurteilt werden können. Dies dürfte allerdings die Ausnahme sein. Die Mehrzahl der Haftungsfälle tritt nicht bei hochspezialisierten Behandlungen auf, sondern bei „alltäglichen“ Behandlungen im ambulanten oder stationären Bereich. Diese Fälle sind genauso von zahlreichen Kollegen beurteilbar wie Rechtsfälle. Grundsätzlich lässt sich sowohl für Kon trollen gegenüber Rechtsanwälten als auch gegenüber Ärzten sagen, dass für eine Zweitmeinung ein Kollege mit gleicher Spezialisierung kontaktiert werden sollte. Dies erscheint unabhängig davon sinnvoll, dass es für einen Gutachter im medizinischen Bereich ohnehin geboten ist.376 Es ist auch nicht ersichtlich, warum eine Kontrolle im medizinischen Bereich grundsätzlich höhere Kosten verursachen sollte als im juristischen Bereich.377 Das Einsichtsrecht des Patienten in seine Behandlungsunterlagen ist unstreitig, es ergab sich bisher aus § 810 BGB, nun ist es außerdem in § 630g BGB kodifiziert; die Dokumentationspflicht des Arztes ergibt sich aus § 630f BGB. Der Patient kann auch Kopien der Unterlagen verlangen (auf seine Kosten) und diese dem anderen Arzt vorlegen. Zwar können Untersuchungen als Grundlage des Gutachtens erforderlich sein, auch das Gut374 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 69. 375 So jedoch Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 69 ff. 376 Ratzel/Luxenburger/Wölk, Kap. 25 Rdnr. 46; MedR-Komm/Jaeger, § 823 BGB, Rdnr. 319 ff.; vgl. auch Ratzel/Luxenburger/Jung/Lichtschlag-Traut/Ratzel, Kap. 13 Rdnr. 38. 377 So aber Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 70.
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achten selbst wird Kosten verursachen. Gleiches gilt aber ebenso für das Gutachten eines Rechtsanwalts. Handelt es sich um einen komplexen Fall, so wird sich auch der Rechtsanwalt über einen längeren Zeitraum in den Fall einarbeiten und möglicherweise Register einsehen, Ortsbesichtigungen etc. vornehmen müssen. Diese Kosten können die eines medizinischen Gutachtens sogar übersteigen. Es lässt sich folglich nicht sagen, dass die Kosten für ein medizinisches Gutachten generell deutlich höher ausfallen würden als die Kosten für ein rechtliches Gutachten. Außerdem hat der Patient die Möglichkeit, ein kostenloses Gutachten bei den den Ärztekammern angegliederten Gutachterkommissionen bzw. Schlichtungsstellen einzufordern. Derartige kostenfreie Möglichkeiten bestehen für einen Mandanten dagegen nicht. Zweifellos besteht auch zwischen Arzt und Patient ein enges Vertrauensverhältnis. Dies mag zwar aufgrund der Betroffenheit höchstpersönlicher Rechtsgüter wie Leben, Körper und Gesundheit im Verhältnis zur Anwalt-Mandant-Beziehung noch gesteigert sein,378 jedoch erwarten sowohl Mandant als auch Patient vom Experten eine bestmögliche Interessenwahrnehmung unabhängig davon, wie schützenswert das jeweils betroffene Rechtsgut ist. So oder so käme es ohne das Vertrauen in den Vertragspartner nicht zum Vertragsverhältnis. Allerdings ist das Vertrauensverhältnis nicht schon dann belastet, wenn der Arzt nicht zur unaufgeforderten Offenbarung jedes Fehlverhaltens verpflichtet ist, denn das Vertrauen besteht vielmehr darin, dass Inhalt sowie Ziel des Vertrags bestmöglich wahrgenommen und verfolgt werden. Diese betreffen beim Behandlungsvertrag grundsätzlich die Abwendung gesundheitlicher Gefahren sowie die Herstellung des bestmöglichen Gesundheitszustands, welche der Arzt auch ohne Offenbarung eigener Fehler erfüllen kann. Anders liegt dies dagegen beim Anwaltsvertrag. Hier ist Zielsetzung die Durchsetzung jeglicher Schadensersatzansprüche, welches auch Ansprüche gegen den Anwalt selbst umfasst. Die Fehleroffenbarung ist in dieser Konstellation folglich zur bestmöglichen Vertragserfüllung unumgänglich. Allein aus dem ähnlichen Wortlaut verschiedener Vorschriften des anwaltlichen sowie des ärztlichen Berufsrechts (z. B. § 43 BRAO, § 2 Abs. 2 MBO-Ä) lässt sich nicht auf eine identische Verpflichtung schließen, es muss für jeden Berufsstand gesondert das konkrete Vertrauen bestimmt werden.379 378 Vgl. Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, Rdnr. 671; Francke/Hart, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, 1987, 65 f., 70 f.; Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 72 f.; Taupitz, NJW 1992, 713 (714). 379 Anders dagegen Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 75 f.
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Unterschiede ergeben sich darüber hinaus im Bereich des Schadens selbst. So handelt es sich bei Schäden im Anwaltshaftungsprozess um reine Vermögensschäden, welche in der Regel auf eine feste, sich nicht verändernde Summe beziffert werden können.380 Im Arzthaftungsprozess treten dagegen verschiedene Schadensposten auf, unter anderem Vermögensschäden durch Folgebehandlungskosten, Verdienstausfall etc., zum anderen aber auch Schmerzensgeld. Darüber hinaus kann sich ein durch Behandlungsfehler verursachter Schaden am menschlichen Organismus vergrößern und weiterentwickeln, es handelt sich insofern um einen „dynamischen“ Schaden.381 Auch die Beweissituation des Patienten kann bei unterlassener Fehleroffenbarung erschwert sein. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren umgehend Maßnahmen eingeleitet werden müssen, die den Schaden beheben. Ist der ursprüngliche Zustand dann nicht durch Fotos, Gutachten o. Ä. dokumentiert worden, so kann der Patient Probleme haben, einen Behandlungsfehler nachzuweisen, der bereits behoben wurde.382 Dies würde dafür sprechen, dem Arzt erst recht eine Pflicht zur Fehleroffenbarung aufzuerlegen. Andererseits ist jeder Arzt zur umfassenden Dokumentation verpflichtet (vgl. § 630f Abs. 2 BGB), was unter anderem auch Befunde und Diagnose miteinschließt. Außerdem können im Rahmen der Folgebehandlung hinzugezogene Ärzte als Zeugen aussagen. Diese Möglichkeiten stehen dem Patienten auch ohne Selbstbezichtigung des Arztes offen. Darüber hinaus sprechen insbesondere die unterschiedlichen Verjährungsregelungen gegen eine Übertragbarkeit der Selbstbezichtigungspflicht des Anwalts auf den Arzt. Im vertraglichen Bereich gelten mangels spezieller Regelung die allgemeinen Verjährungsregeln der §§ 195 ff. BGB. Der Beginn der Verjährungsfrist ist hier abhängig von der subjektiven Kenntnis des Patienten (§ 199 Abs. 1 BGB), die Anforderungen der Rechtsprechung hinsichtlich dieser Kenntnis sind hoch.383 Im deliktischen Bereich gilt gem. § 852 BGB eine Frist von zehn bzw. 380 Selbstverständlich abgesehen von einer Verzinsung, vgl. Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 78. 381 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 78. 382 Vgl. Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 79 f.; ausführlich zur restitutio ad integrum Uhlenbruck, in: Heberer/Opderbecke/Spann (Hrsg.), Ärztliches Handeln – Verrechtlichung eines Berufsstandes, 1986, 150 (150 ff.). 383 Thurn, MedR 2013, 153 (155 m. w. N.); zu Einzelheiten vgl. etwa Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. (2014), Kap. D Rdnr. 4; Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl. (2018), Rdnr. 534 ff.; Wagner, VersR 2012, 789 (795); BGH, NJW-RR 2010, 681 (681 ff.); ausführlich zur Verjährung Katzenmeier, VersR 2002, 1066 (1069 ff. m. w. N.).
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dreißig Jahren. Folglich ist auch bei spätem Bekanntwerden eines Behandlungsfehlers der Anspruch nur in äußerst seltenen Fällen bereits verjährt.384 Eine Umgehung der Verjährungsfristen durch eine Selbstbezichtigungspflicht ist im Arzthaftungsrecht somit nicht erforderlich.385 Auch hinsichtlich des vertraglichen Dauermoments ist die Situation des Arztes nur bedingt mit der des Rechtsanwalts vergleichbar. Insbesondere wenn sich der Patient in eine stationäre Behandlung begibt, besteht nach Beendigung eben dieser Behandlung oft zunächst kein weiterer Kontakt zwischen Arzt und Patient. Folglich kann ein Verschweigen zumindest im Rahmen von stationären Behandlungsverhältnissen nicht missbräuchlich sein, da das Dauermoment fehlt.386 Allerdings liegt auch im Verhältnis zum Hausarzt kein Dauerschuldverhältnis vor; es wird bei jedem erneuten Kontakt ein eigener, neuer Behandlungsvertrag geschlossen.387 Es handelt sich beim Vertrag mit dem Hausarzt nicht um einen auf unbestimmte Dauer abgeschlossenen Behandlungsvertrag, der mit jeder erneuten Inanspruchnahme wieder auflebt.388 Außerdem kann der Mediziner sein Verhalten als juristischer Laie in der Regel nicht korrekt juristisch einordnen.389 Selbst wenn der Arzt zweifelsfrei eine Unterscheidung des Ist- vom Sollzustand feststellen kann, so kann er nicht zwingend juristisch bewerten, ob dies auf einer schuldhaften Pflichtverletzung beruht.390 Der Anwalt kann dagegen aufgrund seiner Rechtskenntnisse in der Regel erkennen, ob der Mandant aufgrund eines eigenen Fehlers eine Vermögensschädigung erlitten hat.391 Grundsätzlich hat auch der Arzt eine Berufshaftpflichtversicherung (vgl. § 21 MBO-Ä, gem. § 30 Nr. 4 HeilBerG besteht eine Pflicht zum Abschluss der Be-
384 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 77. 385 MüKo-BGB/Wagner, § 823, Rdnr. 866. 386 Vgl. OLG Hamm, NJW 1985, 685 (685). 387 Laufs/Kern/Kern, § 40 Rdnr. 16; Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. III D Rdnr. 31 Fn. 135; vgl. Luig, in: Gitter (Hrsg.), Vertragsschuldverhältnisse, 1974, 223 (242). 388 Laufs/Kern/Kern, § 40 Rdnr. 16; vgl. Luig, in: Gitter (Hrsg.), Vertragsschuldverhältnisse, 1974, 223 (242). 389 Vgl. dazu näher die Ausführungen unter F. II. 3. b) cc). 390 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 81; vgl. auch Hübner, NJW 1989, 5 (7) („Kunstfehler und Operationsrisiko liegen nicht selten nahe beieinander“); Taupitz, NJW 1992, 713 (719). Siehe dazu später nochmal unter F. II. 3. b) cc). 391 BGHZ 94, 380 (386); van Venrooy, DB 1981, 2364 (2372); Münscher, Schadensersatz wegen unterlassenen Hinweises auf eigene Pflichtverletzungen, 1992, 39, 64.
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rufshaftpflichtversicherung392), welche im Schadensfall für ihn einsteht; insoweit ist die Situation des Arztes mit der des Rechtsanwalts (vgl. § 51 BRAO) vergleichbar. Dem Arzt droht im Gegensatz zum Rechtsanwalt jedoch die Gefahr der Strafverfolgung,393 bei fehlerhaftem Verhalten kann er sich der (fahrlässigen) Tötung bzw. Körperverletzung strafbar gemacht haben. Aufgrund dieser dem Arzt drohenden Konsequenzen, die im Vergleich zur Situation des Rechtsanwalts deutlich schwerer wiegen, lässt sich die Risikoverteilung nicht derart leicht zulasten des Arztes verlagern. Ein weiterer großer Unterschied liegt im Vermögensbezug. Der Behandlungsvertrag richtet sich primär auf ärztliche Leistungen zur Widerherstellung des körperlichen Wohlbefindens, er ist dagegen nicht auf eine Vermögensbetreuung gerichtet, wie es beim Anwaltsvertrag der Fall ist. Nur die Heilbehandlung wird vom Arzt als vertragliche Hauptpflicht geschuldet, nicht dagegen eine Betreuung in wirtschaftlichen Angelegenheiten; folglich muss er dem Patienten auch nicht die Geltendmachung wirtschaftlicher Vorteile erleichtern.394 Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass zwar einige Gemeinsamkeiten mit dem Beruf des Rechtsanwalts bestehen, welche unter anderem aus der Einordnung beider als freier Beruf sowie ihrer jeweiligen Expertenstellung folgen. Hinsichtlich des Wissensgefälles ist der Patient zwar grundsätzlich schutzbedürftig, aufgrund der elementaren Unterschiede insbesondere bezüglich der Verjährung, welche im Bereich der Anwaltshaftung als Hauptargument für die Selbstbezichtigungspflicht angesehen wird, der Einschätzbarkeit des eigenen Verhaltens sowie hinsichtlich des Vermögensbezugs der Vertragspflicht ist eine Gleichbehandlung zwischen Arzt und Rechtsanwalt jedoch nicht geboten. cc) Herleitung aus anderen Grundsätzen? Zwar führt der Vergleich mit Rechtsanwälten nicht dazu, im Arzthaftungsrecht eine Parallele zur die Rechtsanwälte treffende Pflicht zur Bewertung und Offenbarung eigenen Fehlverhaltens anzunehmen. Möglicherweise lässt sich eine 392
Das Heilberufsrecht ist Ländersache, deswegen ist in die jeweiligen Heilberufsgesetze der Länder zu schauen, beispielhaft wird hier die Regelung des HeilBerG NRW genannt. 393 Vgl. Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1750). 394 Vgl. Solbach, JA 1986, 419 (421 f.); Taupitz, Die zivilrechtliche Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, 1989, 53 f.; ähnlich Rieger, DMW 1986, 234 (234); Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1751). Anders als Terbille/Schmitz-Herscheidt behaupten (Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1752)), wird die fehlende umfassende Vermögensbetreuungspflicht nicht als reines Ausschlusskriterium für eine Offenbarungspflicht angesehen. Lediglich in der Gesamtschau aller Argumente, zu denen auch die Unterschiede in der Vermögensbetreuungspflicht zählen, ist eine Offenbarungspflicht allein aufgrund des Vergleichs Rechtsanwalt-Arzt abzulehnen.
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Pflicht zur Selbstbelastung jedoch bereits aus den von der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes entwickelten (medizin-)rechtlichen Grundsätzen herleiten. (1) Therapeutische Aufklärung Die durch die Rechtsprechung entwickelte therapeutische Aufklärung soll den Patienten über ein therapiegerechtes Verhalten zur Sicherung des Heilerfolges und zur Vermeidung möglicher Selbstgefährdungen informieren395 und ist somit einerseits an medizinischen Gesichtspunkten orientiert und andererseits grundsätzlich auf die Zukunft gerichtet; die Vergangenheit sowie der aktuelle Zustand sind nur insoweit von Bedeutung, als sie für die weitere Behandlung oder das weitere Verhalten des Patienten medizinisch relevant sind (z. B. Veränderung des Essverhaltens, Rauchen etc.).396 Aus der Ausrichtung an medizinischen Gesichtspunkten folgt wiederum, dass auch nur die Aufklärung über eben solche geschuldet sein kann. Zwar ist es meist erforderlich, die konkrete Ursache für eine Erkrankung zu kennen, um die Art und Weise sowie Notwendigkeit einer Folgetherapie und damit einhergehend auch das erforderliche therapiegerechte Verhalten richtig beurteilen zu können. Dies gilt insbesondere dann, wenn die unmittelbare Ursache Hinweise auf besondere Krankheitsfolgen oder spezifische Behandlungsmethoden aufwirft.397 Zur Sicherung des Heilerfolgs sowie zur Abwehr zukünftiger gesundheitlicher Gefahren kommt es jedoch nicht darauf an, ob sich ein eingriffsimmanentes Risiko verwirklicht hat oder ob ein Fehlverhalten des Behandelnden die Ursache ist.398 Es genügt, wenn der Arzt den Patienten wahrheitsgemäß über alle für den Zustand des Patienten und die sachgerechte Folgebehandlung relevanten Tatsachen informiert. Es muss zum Beispiel darauf hingewiesen werden, dass der vorgenommene Eingriff (teilweise) misslungen oder fehlgeschlagen ist und der Patient deswegen sein Verhalten dementsprechend anpassen muss (z. B. weitere vier Wochen das Bein hochlagern). Auch auf im Körper zurückgebliebene Gegenstände, bspw. Bohrerspitzen, ist hinzuweisen.399 Ob dies aufgrund einer Behandlung, die nicht lege artis, also nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgte, eingetreten ist, muss dagegen nicht erläutert werden, eine Bewertung der Tatsa395
Siehe oben unter F. II. 2. a). Taupitz, NJW 1992, 713 (715). 397 Taupitz, NJW 1992, 713 (715). 398 Siehe dazu auch unter F. II. 3. b) aa). 399 OLG München, VersR 2002, 985 (986); OLG Stuttgart, VersR 1989, 632 (632) (beide bezüglich einer abgebrochener Bohrerspitze); OLG Oldenburg, NJW-RR 1995, 345 (345) (abgebrochener Nadelrest). 396
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chen ist nicht erforderlich. Der Patient muss so aufgeklärt werden, als würde er in seinem aktuellen Zustand erstmalig einen Arzt aufsuchen.400 Aufgrund der Orientierung der Sicherheitsaufklärung an der Zukunftsperspektive ist eine Offenbarung eigenen oder fremden Fehlverhaltens somit nicht geboten, dem Schutzzweck der therapeutischen Aufklärung401 lässt sich dies nicht entnehmen. Somit wird aus der therapeutischen Information lediglich die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Offenbarung der Tatsachen geschuldet, die zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren erforderlich sind, nicht jedoch eine Bewertung dieser als fehlerhaft. (2) Wirtschaftliche Aufklärung Die Pflicht zur wirtschaftlichen Aufklärung bezieht sich nach der Rechtsprechung auf die Frage der Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten. Sollte dem Arzt bekannt sein, dass die Behandlungskosten möglicherweise nicht übernommen werden, so muss er dies dem Patienten mitteilen.402 Die wirtschaftliche Aufklärung schützt als vertragliche Nebenpflicht das Vermögens des Pa tienten. Zum Teil wurde vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes argumentiert, wenn schon über die Kostenübernahme der Krankenversicherung aufgeklärt werden müsse, dann gelte dies auch für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, der die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches begünstige.403 Ein Vergleich zwischen diesen beiden Situationen ist jedoch nicht ohne weiteres möglich. Die Informationspflicht hinsichtlich der Kostenübernahme entstand, weil der Patient aufgrund des deutschen Gesundheitssystems grundsätzlich zunächst davon ausgeht, dass die Kosten seiner Behandlung von der Krankenkasse übernommen werden.404 Weiß der Arzt, dass bestimmte Behandlungskosten nicht übernommen werden, muss er den Patienten vor der Behandlung darüber informieren. Die bestehende überlegene Sachkenntnis des Arztes hinsichtlich der Kostentragung führt zu einem Wissensvorsprung, welcher beseitigt werden muss, um Behandelnden und Patient auf Augenhöhe zu bringen.405 Die Pflicht zur wirtschaftlichen Aufklärung besteht jedoch nur in engen Grenzen; der Arzt Vgl. dazu mit weiteren Beispielen und Nachweisen Taupitz, NJW 1992, 713 (715 f.). Siehe dazu auch oben unter B. III. 402 Siehe dazu unter F. II. 4. b) aa). 403 Vgl. Taupitz, NJW 1992, 713 (716); a. A. Krüger/Helml, GesR 2011, 584 (586). 404 Siehe dazu unten unter F. II. 4. b) bb), insbesondere die Nachweise in Kap. F. Fn. 972. 405 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 126; OLG Koblenz, NJW-RR 1991, 876 (877). Krüger/Helml geben allerdings zu bedenken, dass ein Informationsvorsprung auch nach der wirtschaftlichen Aufklärung noch bestehe, sodass damit 400
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hat keine Nachforschungen anzustellen, ob bestimmte Kosten (nicht) übernommen werden.406 Schließlich ist der Arzt primär medizinischer und nicht wirtschaftlicher Fachmann.407 Ihn darüber hinaus noch zur Information über mögliche Schadensersatzansprüche zu verpflichten, erscheint fragwürdig. Schließlich erfordert die wirtschaftliche Aufklärung über die Kostentragung durch die Krankenversicherung keine Wertung des Arztes, auch enthält sie keinen Vorwurf, der sogar zu einem Strafprozess führen kann. Außerdem ist zu beachten, dass die wirtschaftliche Aufklärung derart, wie sie von der Rechtsprechung anerkannt und wie sie auch in § 630c Abs. 3 BGB kodifiziert wurde, eine prognostische Beratung beinhaltet. Es wird vor der Behandlung über Kosten informiert, die bei Durchführung des Eingriffs entstehen würden. Die wirtschaftliche Aufklärung stellt somit zwar eine begrenzte Vermögensbetreuungspflicht des Arztes dar,408 die sich jedoch nur auf eine der Behandlung vorgelagerte Informationserteilung und nicht auf durch zurückliegende Fehler entstandene Schadensersatzansprüche bezieht.409 Daran kann sich auch in den Fällen nichts ändern, in denen die Kosten einer nur aufgrund des Behandlungsfehlers erforderlichen Folgebehandlung nicht übernommen werden und der Patient diese selbst zu tragen hat.410 Auch in einem solchen Fall muss nur über die Selbsttragung der zukünftigen Behandlungskosten informiert werden, nicht dagegen über mögliche Schadensersatzansprüche aufgrund eines zurückliegenden Behandlungsfehlers, durch welche dann auch die zukünftigen Behandlungskosten gedeckt würden. Dem Arzt obliegt aufgrund der Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Aufklärung gerade keine Pflicht zur umfassenden Wahrung jeglicher Vermögensinteressen des Patienten.411 Somit ergibt sich aufgrund der wirtschaftlichen Aufklärung weder eine Pflicht zur Information über behandlungsfehlerrelevante Tatsachen noch zu einer Bewertung dieser.412 nicht die Pflicht bzw. deren Reichweite begründet werden könne, Krüger/Helml, GesR 2011, 584 (586). 406 Siehe dazu unten unter F. II. 4. c) bb) (5), insbesondere die Nachweise in Kap. F. Fn. 1044. 407 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 128; auch Füllgraf merkt an, dass der Behandelnde kein Jurist oder Wirtschaftswissenschaftler sei, sodass die wirtschaftliche Informationspflicht nicht so weit reichen könne wie bei derartigen Verträgen, Füllgraf, NJW 1984, 2619 (2620). 408 Taupitz, NJW 1992, 713 (716); Baden, NJW 1988, 746 (748 f.); Füllgraf, NJW 1984, 2619 (2619 f.); Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (509); Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1754). 409 Taupitz, NJW 1992, 713 (716). 410 Anders jedoch Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1754). 411 Vgl. dazu unter F. II. 4. b) aa); c) bb) (5), insbesondere auch Kap. F. Fn. 928. 412 A.A. Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2013), Rdnr. 35.
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(3) Selbstbestimmungsaufklärung Diese Aufklärungspflicht ergibt sich aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten; sie soll sicherstellen, dass der Patient selbstbestimmt über seine Behandlung entscheiden und wirksam in den Eingriff einwilligen kann. Aufzuklären ist nicht über jedes kleinste (medizinische) Detail, sondern über alle wesentlichen Umstände.413 Vertreten wird zum einen, dass im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung über jegliche Fehler zu informieren sei, sofern eine erneute Einwilligung in einen Eingriff erforderlich sei; zum anderen, dass nur bei groben Fehlern eine Information geschuldet werde. Diese beiden Positionen werden nacheinander auf ihre Schlüssigkeit geprüft. (a) Offenbarung jeglicher Fehler Sollte die Selbstbestimmungsaufklärung auch eine Pflicht zur unaufgeforderten Fehleroffenbarung einschließen, so müsste es sich hierbei um einen „wesentlichen Umstand“ im Sinne der Rechtsprechung handeln. Dagegen spricht bereits die Systematik der neuen gesetzlichen Regelungen, auch wenn hier eine Herleitung unabhängig von den gesetzlichen Regelungen des Patientenrechtegesetzes auf Grundlage der bereits zuvor bestehen Grundsätze geprüft wird. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die Rechtsprechung die Fehleroffenbarung als Unterfall der Selbstbestimmungsaufklärung angesehen habe, so hätte er diese in § 630e BGB und nicht bei den Informationspflichten des § 630c BGB geregelt. Schließlich will er die „richterrechtlich entwickelten Grundsätze des Arzthaftungs- und Behandlungsrechts“ kodifizieren.414 Zum Teil wird jedoch vertreten, die Offenbarung von Fehlern sei geboten, um eine wirksame Einwilligung in einen erneuten Eingriff zu erlangen.415 Ist die Behandlung aufgrund eines Fehlers des Arztes fehlgeschlagen und will er deswegen einen weiteren Eingriff vornehmen, so müsse er über den vorgefallenen Fehler aufklären. Unterlasse er dies, so habe der Patient nicht wirksam eingewilligt und der Eingriff stelle folglich eine Körperverletzung dar. Aufgrund der hochrangigen und verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG)416 ginge die Aufklärungspflicht besonders weit, folglich sei auch das bisherige eingriffsrelevante Verhalten besonders bedeutsam und damit ein „wesentlicher Umstand“. 413 Ausführlich
zur Aufklärung siehe unter E. BT-Drs. 17/10488, 1 (9). 415 Vgl. Taupitz, NJW 1992, 713 (717); Solbach, JA 1986, 419 (421 f.); Francke/Hart, Ärztliche Verantwortung und Patienteninformation, 1987, 62 f. 416 Siehe dazu oben unter C. I. 2. 414
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Zu unterscheiden sind hier zwei Konstellationen: Ein vorangegangener Fehler bei einem anderen Patienten sowie ein vorangegangener Fehler bei dem identischen Patienten. (aa) Eigener Fehler bei einem anderen Patienten Für den Patienten kann es von Bedeutung sein, ob der Arzt bei der konkret vorzunehmenden Behandlungsmethode schon bei anderen Patienten Fehler gemacht hat. Weniger wichtig kann die Information über ein Fehlverhalten bei einer vorherigen Behandlung des betroffenen Patienten selbst sein, sofern es sich bei der Folgebehandlung um einen andersartigen Eingriff als denjenigen der Erstbehandlung handelt. Der Arzt kann jedoch nicht verpflichtet werden, über ihm bei anderen Patienten unterlaufene Fehler aufzuklären.417 Die Selbstbestimmungsaufklärung umfasst gerade nicht eine schonungslose Aufklärung über alle erdenklichen allgemeinen Risiken; auch die allgemeine Gefahr eines Behandlungsfehlers stellt keinen aufklärungsbedürftigen Umstand dar.418 Zudem gebieten die „Höchstpersönlichkeit“ der Rechtsgüter sowie die „personal-prospektiv“ ausgerichtete Fehleraufklärung, dass nur über solche Fehler aufzuklären ist, die in enger Beziehung zum Patienten stehen.419 Ist dem Arzt bei der identischen Behandlungsmethode bei einem anderen Patienten bereits ein Fehler unterlaufen, so ist über diesen Umstand nicht zu informieren, da die persönlichen Rechtsgüter des konkreten Patienten nicht tangiert sind.420 Schließlich erkundigen sich Patienten in der Regel auch nicht über die bisherige „Fehlerrate“ eines Arztes, sondern vertrauen vielmehr darauf, dass der hinzugezogene Arzt über die erforderliche Qualifikation und Befähigung für den vorzunehmenden Eingriff verfügt.421 Der Behandelnde ist ohnehin gem. § 630a Abs. 2 BGB verpflichtet, den Patienten nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu behandeln; der Grundsatz des „Facharztstandards“ galt auch bereits vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes.422 Zudem kommt es zu Beweisnachteilen, wenn der BehanTerbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1753 f.); Taupitz, NJW 1992, 713 (717). Siehe dazu bereits unter E. II. 1. a) aa), insbesondere die Nachweise in Kap. E. Fn. 72. 419 Taupitz, NJW 1992, 713 (717). 420 Taupitz, NJW 1992, 713 (717). 421 Vgl. Dann, MedR 2007, 638 (641). 422 „Der Arzt muß diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden“, BGH, NJW 1995, 776 (777); BGH, NJW 1999, 1778 (1779); vgl. BGH, NJW-RR 2014, 1053 (1054); den Begriff des Facharztstandards verwendend bspw. auch BGH, NJW 1993, 2989 (2990); BGH, NJW 1998, 2736 (2737). 417 418
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delnde eine Behandlung übernommen hat, für die er nicht befähigt war (§ 630h Abs. 4 BGB), sog. Übernahmeverschulden. Auch dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung.423 Im Rahmen von Vertragsverhandlungen wird generell nicht erwartet, dass unaufgefordert Aussagen zur eigenen persönlichen Zuverlässigkeit gemacht werden, es sei denn, es liegen außergewöhnliche Umstände vor, die dann gegebenenfalls auch zur Unfähigkeit der Berufsausübung führen.424 Eine Pflicht zur allgemeinen Auskunft über Kompetenz und fachliche Vertrauenswürdigkeit besteht nicht. Durch die Anforderung des Facharztstandards sowie die drohende Haftung für Behandlungsfehler ist der Patient ausreichend geschützt.425 Es ist somit weder eine Information über behandlungsfehlerrelevante Tatsachen, die bei der Behandlung anderer Patienten vorlagen, noch eine Würdigung dieser im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung geschuldet. (bb) Eigener Fehler bei dem identischen Patienten Im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung kann konsequenterweise somit höchstens dann eine Pflicht zur Selbstbezichtigung bestehen, wenn der Arzt den Patienten, bei dem ihm ein Fehler unterlaufen ist, selbst fortbehandeln möchte.426 Eine Aufklärung über Fehler bei anderen Patienten wurde soeben abgelehnt und ohne beabsichtigte Weiterbehandlung durch denselben Arzt bestünde kein Erfordernis, eine erneute Einwilligung einzuholen.427 Ist die Folgebehandlung (nur) aufgrund eines Fehlers des Arztes erforderlich, so kann dem Patienten das nötige Vertrauen in die Fähigkeiten des Arztes fehlen, sodass er sich nicht noch einmal von diesem behandeln lassen möchte.428 Im Rahmen der Entscheidungsfindung zur Einwilligung spielt zwar das Vertrauen 423 Vgl. BGHZ 88, 248 (257); BGH, NJW 1985, 2193 (2193); BGH, NJW 1992, 1560 (1561); BGH, NJW 1993, 2989 (2990 f.); BGH, NJW 1998, 2736 (2737). 424 Vgl. Taupitz, NJW 1992, 713 (717). 425 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1753 f.); Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 134; vgl. auch Pauge/Offenloch, Arzthaftungsrecht, 14. Aufl. (2018), Rdnr. 412. 426 Vgl. Schwarz, JR 2008, 89 (92); Kleuser geht für diesen Fall von einer Offenbarungspflicht aus, vgl. Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 136. 427 Nicht zuletzt würde eine Anerkennung im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung dazu führen, dass derjenige, bei dem der Schaden nicht mehr durch einen Folgeeingriff behebbar ist, schlechter gestellt würde, obwohl in dieser Konstellation das Fehlverhalten noch schwerer wiegt. 428 Vgl. Dann, MedR 2007, 638 (641).
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des Patienten in den Arzt eine Rolle, welches bei Kenntnis eines Behandlungsfehler vermutlich subjektiv belastet wäre; ein dem Arzt unterlaufener Fehler sagt jedoch nicht zwangsläufig etwas über die Kompetenz des Arztes im Allgemeinen sowie für den Folgeeingriff aus.429 Nur weil ihm einmal ein Fehler unterlaufen ist, heißt dies nicht, dass ihm bei einer weiteren Behandlung ebenfalls ein Fehler unterlaufen wird. In der Regel wird es sich bei der notwendigen Folgebehandlung auch um einen anderen als den ursprünglichen (fehlerhaften) Eingriff handeln, bei dem der Arzt sogar über weitaus bessere Fähigkeiten als andere Kollegen verfügen kann. Folglich handelt es sich nicht um eine vergleichbare Behandlungssituation mit „Wiederholungsgefahr“, sodass kein objektiv schützenswertes Interesse an einer Offenbarung vorliegt.430 Außerdem wird ein Arzt, dem bei einer Behandlung ein Fehler unterlaufen ist, in der Folge noch vorsichtiger und genauer darauf bedacht sein, dass ihm bei der Weiterbehandlung nicht erneut ein Fehler unterläuft. Er wird mit erhöhter Sorgfalt bemüht sein, den begangenen Fehler so gut wie möglich auszubessern. Darüber hinaus können bei jeder Tätigkeit Fehler unterlaufen, dies liegt in der Natur des Menschen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine besonders „gefahrgeneigte“ Tätigkeit handelt.431 Über allgemein bekannte Risiken ist im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung jedoch nicht aufzuklären,432 sodass auch über einen unterlaufenen Behandlungsfehler nur zu informieren ist, sofern er sich „spezifisch risikoerhöhend auf die Weiterbehandlung auswirkt“.433 Dass bei einem unterlaufenen Behandlungsfehler ein größeres Risiko für einen darauf folgenden weiteren Behandlungsfehler besteht, ist jedoch durch keinerlei Erfahrungssätze bestätigt.434 Außerdem ist die Selbstbestimmungsaufklärung keine rückblickende Informationspflicht, sondern auf die Zukunft gerichtet und soll unter anderem über die Risiken des Folgeeingriffs aufklären. Diese sind durch das vorherige Fehlverhalten des Arztes grundsätzlich jedoch nicht verändert, sodass im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung auch hinsichtlich eigener Fehler bei dem identischen Patienten weder eine Pflicht zur Offenbarung von Tatsachen noch zu einer Bewertung dieser besteht. 429 Vgl. Dann, MedR 2007, 638 (641). Selbst wenn es sich um einen identischen Eingriff handeln sollte, wird der Arzt besonders wachsam und bedacht sein, den Fehler nicht erneut zu begehen, vgl. Schwarz, JR 2008, 89 (92). 430 Dann, MedR 2007, 638 (641). 431 Vgl. Taupitz, NJW 1992, 713 (718). 432 Siehe dazu oben unter E. II. 1. a) aa), insbesondere Kap. E. Fn. 70. 433 Schwarz, JR 2008, 89 (92); zur Maßgeblichkeit der Risikoerhöhung vgl. Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 133. 434 Schwarz, JR 2008, 89 (92).
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(b) Offenbarungspflicht nur bei groben Fehlern? Die Ansicht von Taupitz,435 es bestehe eine eingeschränkte Offenbarungspflicht für grobe Pflichtverletzungen, kann nicht überzeugen. Taupitz argumentiert, im Falle eines groben Behandlungsfehlers überwögen die Interessen des Patienten das Geheimhaltungsinteresse des Arztes. Außerdem seien z. B. Dauerverträge erst bei schweren Pflichtverletzungen kündbar, sodass der Schutz des Vertragspartners bei leichten Pflichtverletzungen überwiege. Im Rahmen des Arztrechts werde die Differenzierung zwischen einfachen und groben Fehlern außerdem hinsichtlich der Beweislast für die Kausalität sowie bei der Bemessung des Schmerzensgeldes relevant. Wenn das Kriterium der Schwere in zahlreichen anderen Bereichen Rechtfertigung für Differenzierungen sei, so könne dieses auch für die Offenbarungspflicht herangezogen werden. Im Rahmen dieser Argumentation werden jedoch wichtige dem Arztrecht innewohnende Aspekte verkannt. So ist die Beurteilung eines Fehlers als „grob“ eine rein juristische Wertung436 und dem Arzt selber somit gar nicht möglich, sodass diese Einschränkung schon an ihrer Praktikabilität scheitert. Die Differenzierungen bei Beweislast sowie Schmerzensgeldbemessung erfolgen außerdem erst nach der Einschätzung des Fehlers als grob durch das Gericht und sind folglich mit der Situation des Arztes bei der Selbstbezichtigung nicht vergleichbar. Auch zielt eine Offenbarungspflicht im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung nicht auf die etwaige Kündigung eines Vertrags ab, sondern beeinflusst lediglich die Einwilligung in einen erneuten Eingriff. Schließlich kann der Patient den Vertrag ohnehin gem. § 627 BGB jederzeit kündigen. Unabhängig von dem Vorliegen eines Behandlungsfehlers kann ein Patient nicht zur Einwilligung gezwungen werden, sodass auch die Vergleichbarkeit zu einer Kündigungssituation nicht gegeben ist. Darüber hinaus sagen die Beurteilungskriterien des einfachen bzw. groben Fehlers nichts über die Kompetenz des Arztes im Allgemeinen und insbesondere bei der folgenden Behandlungsmethode aus. Somit besteht auch bei groben Fehlern im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung weder eine Pflicht zur Offenbarung von Tatsachen noch zu einer Bewertung dieser. (4) Allgemeine Leistungstreuepflicht Grundsätzlich hat im Zivilrecht jede Partei ihre Interessen selbst zu wahren (Prinzip der Eigenverantwortlichkeit).437 Taupitz, NJW 1992, 713 (718 m. w. N.). Die Einschätzung als „grob“ erfolgt durch eine Gesamtbetrachtung des Geschehens durch das Gericht unter Berücksichtigung der medizinischen Ausführungen eines Sachverständigen, BGH, NJW 2001, 2794 (2794 f. m. w. N.); BGH, NJW 1997, 798 (798). 437 Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (510). 435 436
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
Eine Selbstbezichtigungspflicht in Form der Würdigung von Tatsachen als Folge eigenen fehlerhaften Verhaltens könnte sich jedoch als Nebenpflicht aus Treu und Glauben gem. § 242 BGB ergeben. Danach sind die Vertragsparteien verpflichtet, den Leistungserfolg bestmöglich vorzubereiten und zu bewirken, ihn nicht zu gefährden und der jeweils anderen Partei die nötige Unterstützung zu gewähren.438 Kollidieren die Interessen der Parteien, so könnten eigene Interessen zurückzustellen oder deren Beeinträchtigung gar selbst herbeizuführen sein.439 Die Rechtsprechung hat sich diesbezüglich unterschiedlich geäußert. So heißt es in einer Entscheidung, dass ein Zusammenwirken nur insoweit zumutbar sei, wie es ohne die Preisgabe der eigenen Interessen möglich sei.440 Dagegen schränkt der Bundesgerichtshof in einer anderen Entscheidung ein, dass dies lediglich bei gleich- oder höherrangigen eigenen Interessen gelte.441 Dies deutet auf eine Interessen- und Güterabwägung hinsichtlich der Unterstützungspflicht hin; die unterschiedliche Positionierung der Rechtsprechung lässt sich mit der Unterschiedlichkeit der betrachteten Rechtsbeziehungen erklären.442 Letztlich muss somit immer das konkrete Schuldverhältnis betrachtet werden. Eine generelle Informationspflicht besteht aus § 242 BGB nicht.443 Handelt es sich beispielsweise um einen Kaufvertrag, also ein reines Austauschverhältnis, so haben die Parteien grundsätzlich gegensätzliche Interessen, sodass die Durchsetzung eigener Interessen im Vordergrund steht, während die Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Vertragspartei grundsätzlich nicht erwartet wird (oder zumindest nur in dem Rahmen, wie es für das Zustandekommen eines Vertrags erforderlich ist).444 Eine Pflicht zur Unterstützung fremder und Beeinträchtigung der eigenen Interessen kann somit nicht angenommen werden. Jede Partei kann zwar selber entscheiden, die eigenen Interessen in einem gewissen Umfang zurückzustellen, um den von ihr gewünschten Vertrag überhaupt zu ermöglichen; eine Pflicht hierzu besteht jedoch nicht.
438 Vgl. Palandt/Grüneberg, § 242, Rdnr. 27, 31; BGH, NJW 1983, 998 (998); BGH, NJW 1978, 260 (260); vgl. auch Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 14. Aufl. (1987), § 10 II e). 439 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1755). 440 BGH, NJW-RR 1989, 1393 (1395). 441 BGH, VIII ZR 118/67; Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1755); ebenso Palandt/Grüneberg, § 242, Rdnr. 31. 442 Eine Entscheidung bezog sich auf einen Bürgschaftsvertrag, die andere auf ein Pachtverhältnis o. Ä., vgl. Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1755 Fn. 71). Für eine Interessenabwägung auch Prütting, in: Kern/Wadle/Schroeder u. a. (Hrsg.), Humaniora Medizin – Recht – Geschichte, 2006, 1009 (1020). 443 Prütting, in: Kern/Wadle/Schroeder u. a. (Hrsg.), Humaniora Medizin – Recht – Geschichte, 2006, 1009 (1020). 444 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1755).
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes
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Anders liegt dies bei fremdnützigen Tätigkeiten, wie z. B. denjenigen der Ärzte oder Rechtsanwälte. Diese Tätigkeiten sind gerade darauf gerichtet, die Interessen der anderen Vertragspartei zu wahren und zu fördern, sodass gegebenenfalls auch die Rückstellung eigener Interessen erwartet werden kann.445 Fremdnützige Tätigkeiten zeichnen sich gegenüber reinen Austauschverhältnissen durch ein erhöhtes Vertrauensverhältnis aus, welches bei einem Wissensgefälle der Parteien noch verstärkt wird. Folglich lässt sich argumentieren, dass die Verpflichtung zur Hintanstellung eigener Interessen umso umfassender ist, je größer das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien ist.446 Primär beziehen sich diese Grundsätze auf die Unterstützung zur Erreichung des Vertragszwecks.447 Somit würden im Behandlungsverhältnis zunächst nur Fälle erfasst, bei denen die Offenbarung zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren erforderlich wäre. Die Offenbarung erforderlicher Tatsachen ist bereits durch die therapeutische Aufklärungspflicht erfasst. Fälle, in denen eine Würdigung zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren erforderlich ist, sind jedoch nicht ersichtlich.448 Gleichzeitig muss jedoch bedacht werden, dass an die Stelle des ursprünglichen Hauptanspruchs ein Schadensersatzanspruch tritt, wenn das ursprünglich vereinbarte Vertragsziel aufgrund des Fehlverhaltens nicht mehr erreicht werden kann.449 Derjenige, der durch pflichtwidriges Verhalten dazu beigetragen hat, dass der ursprüngliche Vertragszweck unerreichbar geworden ist, darf nicht privilegiert werden, sodass die obigen Ausführungen grundsätzlich auch zur Unterstützung eines etwaigen Schadensersatzanspruchs gelten.450 (a) Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung Nun ist jedoch zu beurteilen, ob bei der Tätigkeit des Arztes das Informationsinteresse des Patienten das Geheimhaltungsinteresse des Arztes überwiegt.451 Es wird vertreten, dass zumindest bei einem fortdauernden Behandlungsverhältnis das Informationsinteresse stets das Geheimhaltungsinteresse des Arztes überwiege, sodass sich eine Offenbarungspflicht aus einer Leistungstreuepflicht ergebe.452 Dem wird jedoch entgegengehalten, dass es Grenzen durch das allgemeine Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1755 m. w. N.). Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1755). 447 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1755). 448 Ausführlich dazu unten unter F. II. 3. b) aa). 449 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1755). 450 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1755). 451 Vgl. Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1755). 452 Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (510). Bei einem Arztwechsel fehlt das erforderliche „Dauermoment, durch das ein Verschweigen erst missbräuchlich […] wird“, vgl. OLG Hamm, NJW 1985, 685 (685). 445 446
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
Persönlichkeitsrecht gebe und niemand erwarten könne, dass solche persönlichen Informationen preisgegeben würden, die besonders negativ seien.453 Zwar handelt es sich beim Behandlungsverhältnis um eine fremdnützige Tätigkeit, welche sich aufgrund des Wissensvorsprungs des Arztes durch ein besonderes Vertrauensverhältnis auszeichnet. Jedoch ist auch das Geheimhaltungsinteresse des Arztes, welcher durch eine Selbstbezichtigung strafbare Handlungen offenbaren müsste, in eine Abwägung mit einzubeziehen. Werden zudem die zahlreichen Besonderheiten des Behandlungsverhältnisses berücksichtigt, welche sich unter anderem aus der Komplexität des menschlichen Organismus und der Schwierigkeit der Einschätzung eines Verhaltens als fehlerhaft ergeben,454 sowie die Tatsache, dass zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren eine Würdigung in der Regel nicht erforderlich ist,455 so lässt sich aus einer allgemeinen Leistungstreuepflicht keine Pflicht zur uneingeschränkten Offenbarung herleiten; eine Ausnahme vom Prinzip der Eigenverantwortlichkeit ist nicht geboten.456 Wie bereits gezeigt lässt sich dies auch nicht aus einem Vergleich mit der Interessenlage zwischen Rechtsanwalt und Mandant herleiten. Im Rahmen einer Interessenabwägung, die das besondere Vertrauensverhältnis und den Wissensvorsprung des Arztes berücksichtigt, lässt sich lediglich eine Verpflichtung des Arztes zur Offenbarung jeglicher objektiver Tatsachen, die zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren erforderlich sind, feststellen. Er hat den Patienten über Komplikationen, Gesundheitsrisiken und Gesundheitsschäden etc. zu informieren. Eine Würdigung dieser Tatsachen als Folge fehlerhaften Verhaltens kann jedoch nicht verlangt werden. (b) Pflicht zur Offenbarung auf Nachfrage Bezüglich der Frage, wie der Arzt auf eine konkrete Nachfrage des Patienten nach dem Vorliegen eines Behandlungsfehlers zu reagieren hat, existierte bisher ebenfalls keine gesetzliche Regelung.457 Teile der Literatur waren vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes der Ansicht, dass der Arzt kein Recht zur Lüge habe.458 Dies sei mit dem besonderen Vertrauensverhältnis, welches in der Arzt-Patient-Beziehung herrscht, nicht zu 453 Prütting, in: Kern/Wadle/Schroeder u. a. (Hrsg.), Humaniora Medizin – Recht – Geschichte, 2006, 1009 (1021). 454 Vgl. unten unter F. II. 3. b) cc). 455 Vgl. unten unter F. II. 3. b) aa). 456 Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (510). 457 Da der Arztvertrag nach h.M. kein Geschäftsbesorgungsvertrag ist, gelten die §§ 666, 675 BGB nicht unmittelbar, vgl. Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1752 Fn. 38). 458 Weltrich, RhÄBl 2001, 18 (18); Dann, MedR 2007, 638 (639); Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (510); Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1752); der Arzt darf
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vereinbaren.459 Vertreten wurde jedoch auch, dass der Arzt zulässigerweise eine direkte Antwort umgehen könne.460 Die Rechtsprechung hatte sich jedoch dahingehend geäußert, dass es nicht treuwidrig sei, ein schuldhaftes Fehlverhalten zu leugnen, sofern weder Tatsachen verschwiegen noch darüber getäuscht werde.461 Daraus ergibt sich, dass auf Nachfrage zumindest die Tatsachen wahrheitsgemäß offenbart werden müssen. Insofern muss dem Behandelnden auch kein Schweigerecht zustehen, da behandlungsrelevante Tatsachen gem. § 630f Abs. 2 BGB ohnehin zu dokumentieren sind und der Patient ein Recht zur Einsichtnahme in die Krankenunterlagen aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hat462 (vgl. jetzt § 630g Abs. 1 BGB), sodass dem Behandelnden auch die Pflicht auferlegt werden kann, dem Patienten diese Informationen auf Nachfrage persönlich mitzuteilen.463 Zu prüfen ist jedoch, ob sich aus § 242 BGB tatsächlich keine Pflicht zur Bewertung ergibt. Aus § 242 BGB ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Auskunftsrecht, wenn „a) der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, b) er sich die zur Vorbereitung und Durchführung seines Zahlungsanspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann, c) der Verpflichtete sie unschwer zu geben vermag und d) zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten eine besondere rechtliche Beziehung besteht“.464
Hinsichtlich der Bewertung des eigenen Verhaltens als fehlerhaft passen diese Grundsätze nicht. Zwar ist der Patient über das Vorliegen eines Behandlungsfehlers im Ungewissen und kann diese Einschätzung nicht selbst vornehmen. Allerdings kann sich der Patient die Auskünfte auch durch Einsichtnahme in die Pa tientenakte sowie die Konsultation eines Rechtsanwalts oder der Gutachterkommission beschaffen; zudem ist der Behandelnde nicht unschwer in der Lage, eine solche Information zu geben, da es dem Behandelnden nicht unbedingt leicht möglich ist, sein eigenes Verhalten als fehlerhaft einzuordnen.465 Deswegen kann sich auch auf Nachfrage nur die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Tatsacheninformation ergeben, eine Bewertung des Geschehens i. S.e. Fehlerzwar leugnen, aber nicht die Tatsachen verschweigen oder verdrehen, OLG Hamm, NJW 1985, 685 (685). 459 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1752). 460 Dann, MedR 2007, 638 (639). 461 Vgl. BGH, NJW 1984, 661 (662); OLG Hamm, NJW 1985, 685 (685). 462 Siehe dazu oben unter C. I. 5. 463 Terbille/Schmitz-Herscheidt, NJW 2000, 1749 (1753). 464 BGH, NJW-RR 1987, 1296 (1296 m. w. N.); ähnlich OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 410 (411). 465 Siehe dazu unter F. II. 3. b) cc).
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und Schuldeingeständnisses kann nicht verlangt werden. Auch das Oberlandesgericht Koblenz hat bereits entschieden, dass der Patient zur Klärung des Haftungsgrundes und zur Vorbereitung von Ersatzansprüchen keine über die Dokumentation sowie sein Einsichtsrecht hinausgehenden Auskunftsansprüche gegen den Arzt habe.466 Ein Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben ist somit auch bei ausdrücklicher Nachfrage nur auf eine Tatsacheninformation gerichtet, eine Würdigung ist nicht geschuldet.467 (5) Zusammenfassung der Ergebnisse Aus der therapeutischen Aufklärungspflicht lässt sich lediglich die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Offenbarung der Tatsachen, die zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren erforderlich sind, herleiten, nicht dagegen zur Bewertung der Behandlung als fehlerhaft. Aus der wirtschaftlichen Aufklärung lässt sich weder eine Pflicht zur Information über behandlungsfehlerrelevante Tatsachen noch zu einer Bewertung dieser herleiten. Gleiches gilt für die Selbstbestimmungsaufklärung. Aus der allgemeinen Leistungstreuepflicht ergibt sich, ebenso wie aus der therapeutischen Aufklärung, nur eine Pflicht zur Offenbarung behandlungsfehlerrelevanter Tatsachen, nicht dagegen zu einer Bewertung der Behandlung als fehlerhaft. dd) Zwischenergebnis Eine Pflicht zur Bewertung des eigenen Verhaltens als fehlerhaft ließ sich vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes weder aus der Rechtsprechung noch aus einem Vergleich der Interessenlagen von Rechtsanwalt und Arzt noch aus (medizin-)rechtlich anerkannten Grundsätzen herleiten. Es bestand lediglich eine Pflicht zur Offenbarung von Tatsachen zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren aus der therapeutischen Informationspflicht und aus Treu und Glauben sowie auf Nachfrage aus Treu und Glauben. b) Neuregelung des § 630c Abs. 2 S. 2, 3 BGB Durch das Patientenrechtegesetz könnte sich de lege lata jedoch etwas anderes ergeben. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB regelt, dass der Behandelnde den Patienten zu informieren hat, wenn für ihn Umstände erkennbar sind, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen. Über diese hat er den Patienten in zwei Fallkon466
OLG Koblenz, NJW-RR 2004, 410 (411). Ebenso Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (510); Gutmann, in: Steinmeyer/Roeder/ Eiff (Hrsg.), Medizin – Haftung – Versicherung, 2016, 59 (64); Dann, MedR 2007, 638 (639 f.). 467
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stellationen zu informieren: zum einen auf Nachfrage, zum anderen zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren.468 Darüber hinaus hat der Behandelnde den Patienten auch über Umstände zu informieren, die die Annahme eines Behandlungsfehlers durch einen Kollegen begründen. Dies ergibt sich aus § 630c Abs. 2 S. 3 BGB, welcher klarstellt, dass bei Informationen über eigene Behandlungsfehler ein strafrechtliches Verwertungsverbot besteht. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass der vorangehende S. 2 einen weiteren Anwendungsbereich hat; dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung.469 Somit werden gem. § 630c Abs. 2 S. 2 BGB zwei Situationen gleichbehandelt, die jedoch gar nicht gleich sind.470 Für denjenigen, der über fremde Behandlungsfehler aufklärt, besteht kein eigener Interessenkonflikt, da er sich nicht selbst belastet. Das Argument, die Regelung sei Ausdruck der „Abwägung zwischen den Interessen des Behandelnden am Schutz seiner Person und dem Interesse des Patienten am Schutz seiner Gesundheit“,471 welches die Gesetzesbegründung im Rahmen ihrer Ausführungen zu § 630c Abs. 2 S. 2 BGB anführt, greift hier nicht durch.472 Rechtfertigt der Gesetzgeber die Beschränkung der Informationspflicht auf zwei Fallkonstellationen ausschließlich mit den Interessen des Behandelnden am Schutz seiner Person, so müsste die Beschränkung entfallen, wo diese Interessen zur Rechtfertigung nicht mehr herangezogen werden können. Es erscheint deswegen nicht nachvollziehbar, warum die Informationspflicht über fremde Behandlungsfehler denselben Einschränkungen (auf Nachfrage bzw. zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren) wie diejenige über eigene Behandlungsfehler unterliegt; konsequenterweise müsste sie uneingeschränkt bestehen.473 Da der Gesetzgeber dies jedoch nicht anordnet, sondern sie ebenso wie die Information hinsichtlich eigener Fehler den Voraussetzungen der Nachfrage sowie der Abwendung gesundheitlicher Gefahren unterwirft, kann 468 Das APS hatte eine generelle Informationspflicht des Behandelnden gefordert; er solle den Patienten stets unaufgefordert informieren, unabhängig von gesundheitlichen Gefahren, APS, Stellungnahme zum RefE, 1 (7 f.); auch der Bundesrat hatte für eine Streichung der beiden Varianten plädiert, da der Behandelnde aus „Gründen der medizinischen Ethik immer und unverzüglich zu informieren“ habe, BR-Drs. 312/12, 1 (5). Dieser Forderung ist der Gesetzgeber nicht nachgekommen. Olzen/Uzunovic halten die Beschränkung auf zwei Konstellationen „weder systematisch noch wertungsmäßig [für] überzeugend“; auch sie sind der Ansicht, dass die Pflicht uneingeschränkt bestehen sollte; sie stellen ebenfalls auf die „medizinische Ethik“ ab, Olzen/Uzunovic, JR 2012, 447 (448); dies als „überlegenswert“ ansehend PWW/Schneider, § 630c, Rdnr. 9. 469 Vgl. BT-Drs. 17/10488, 1 (21). 470 Wagner, VersR 2012, 789 (795); MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 36. 471 BT-Drs. 17/10488, 1 (21); Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (26). 472 Ebenso BR-Drs. 312/12, 1 (5); MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 36. 473 Wagner, VersR 2012, 789 (795 f.); MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 36.
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eine uneingeschränkte Pflicht zur Information über Umstände fremder Fehler nicht geschuldet sein. Sowohl für eigene als auch für fremde Fehler besteht die Beschränkung auf die beiden Varianten „auf Nachfrage“ und „zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren“. Letztlich ist dies auch richtig, es muss nur anders begründet werden, als dies die Gesetzesbegründung tut; das ausschließliche Abstellen auf die Interessenabwägung zwischen den Interessen des Behandelnden am Schutz seiner Person und dem Interesse des Patienten am Schutz seiner Gesundheit greift zu kurz. Dem Behandelnden sollen keine überzogenen Pflichten auferlegt werden, denn seine Vertragspflichten stellen sich nicht primär in Form von Informationspflichten, sondern in Form von Behandlungspflichten dar. Deswegen soll er nicht über Gebühr mit Informationspflichten belastet werden. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Information über eigene als auch über fremde Behandlungsfehler. Im Rahmen der genauen Analyse werden die Pflicht zur Information über eigene Fehler und die Pflicht zur Information über fremde Fehler grundsätzlich zusammen analysiert. Ergeben sich Unterschiede zwischen beiden, so wird darauf hingewiesen, in Teilbereichen erfolgt auch eine separate Analyse der Pflichten. aa) Gegenstand der Informationspflicht Anhand des Wortlauts der Norm „sind für den Behandelnden Umstände erkennbar, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, hat er den Patienten über diese […] zu informieren“ wird deutlich, dass der genaue Gegenstand dieser Informationspflicht nicht eindeutig ist. In Betracht kommt zum einen, dass der Behandelnde lediglich über Tatsachen informieren muss, zum anderen, dass er sein Verhalten darüber hinaus auch als fehlerhaft bewerten muss. Was genau Gegenstand der geschuldeten Information ist, ist im Wege einer Auslegung zu ermitteln. Dem Wortlaut der Norm zufolge ist über Umstände zu informieren, welche die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen – dieser objektive Anknüpfungspunkt erweckt den Anschein, dass bloß eine Information über Tatsachen geschuldet ist.474 Schließlich wird der Begriff „Umstand“ auch synonym für den Begriff „Tatsache“ verwendet.475
474 So auch Gutmann, in: Steinmeyer/Roeder/Eiff (Hrsg.), Medizin – Haftung – Versicherung, 2016, 59 (64). 475 Http://www.duden.de/rechtschreibung/Umstand (Stand: 08.07.2018). Ähnlich Parzel ler/Gaede/Dettmeyer u. a., Rechtsmedizin 2014, 263 (266).
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes
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Der Behandelnde hat „über diese“ zu informieren. Dies bezieht sich auf die erkennbaren Umstände und nicht auf die Annahme des Behandlungsfehlers,476 denn bei dem Nebensatz „die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen“ handelt es sich um einen die Umstände konkretisierenden Einschub, während sich „über diese“ auf den Hauptsatz davor und somit auf die Umstände bezieht. Dies lässt sich auch anhand der Formulierungsänderung gegenüber dem Referentenentwurf, der noch die Information „über […] Behandlungsfehler“ normierte, begründen.477 Auch dies spricht dafür, dass lediglich über Tatsachen zu informieren ist. Der Wortlaut der Norm spricht jedoch auch ausdrücklich vom Begriff des Be handlungsfehlers. Ein solcher liegt bei einem vorwerfbaren Verstoß gegen den Facharztstandard vor, also wenn der Arzt bei der Behandlung die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft unter den jeweiligen Umständen objektiv erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat.478 Dies würde folglich nicht lediglich die Offenbarung eines Unterschieds zwischen Ist- und Sollzu stand bedeuten, sondern zugleich eine Einordnung dieses eingetretenen Zustands als Folge eines vorwerfbaren eigenen Verstoßes gegen den zu erbringenden Facharztstandard. Auch die Gesetzesbegründung stellt wiederholt eindeutig auf die Information eines Behandlungsfehlers ab.479 Allerdings weist die Gesetzesbegründung auch darauf hin, dass die Norm an die geltende Rechtsprechung anknüpfen solle. Da es hinsichtlich einer derartigen Informationspflicht kaum nennenswerte Rechtsprechung gibt, ist dieses Argument zwar nicht besonders aussagekräftig; vor dem Hintergrund, dass die wenige vorhandene Rechtsprechung keine Pflicht zur Bewertung implementiert hat, spricht allerdings auch dies für eine bloße Tatsacheninformation.480 Auch die BÄK und die KBV hatten bereits Kritik an der Verwendung des Begriffs des Behandlungsfehlers geäußert.481 Die Gesetzgebungsgeschichte spricht dafür, dass lediglich eine Tatsachen information geschuldet ist. Im Referentenentwurf fand sich noch die Formulie476 Ebenso Jauernig/Mansel, § 630c, Rdnr. 7; ähnlich Erman/Rehborn/Gescher, § 630c, Rdnr. 16; Walter, Das neue Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 114; BeckOGK/Walter, § 630c, Rdnr. 28; NK-BGB/Voigt, § 630c, Rdnr. 8; Osmialowski, ArztR 2013, 201 (202). 477 Ebenso Osmialowski, ArztR 2013, 201 (202). 478 Vgl. Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. (2018), Rdnr. B 24a f. 479 BT-Drs. 17/10488, 1 (21 f.). Auch in der Gegenäußerung der Bundesregierung wird ausdrücklich von einer „Informationspflicht über Behandlungsfehler“ gesprochen, vgl. Regierungsentwurf zum Patientenrechtegesetz, BT-Drs. 17/10488, 1 (53). 480 Vgl. dazu bereits oben unter B. I. Noch stärker in dieser Hinsicht Schelling/Warntjen, die eine Pflicht zur Bewertung des eigenen Verhaltens unter anderem damit ablehnen, dass eine derartige Rechtsprechung nicht bestehe, vgl. Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (511). 481 BÄK/KBV, Stellungnahme zum RegE, 1 (2); ähnlich Ulsenheimer, Anaesthesist 2014, 98 (100).
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rung, dass der Behandelnde „über erkennbare Behandlungsfehler“ zu informieren habe.482 Durch die Formulierungsänderung während des Gesetzgebungsverfahrens in „[erkennbare] Umstände […], die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen“, lässt sich schließen, dass gerade keine Bewertung, sondern die Information über objektive Umstände geschuldet ist.483 Als systematisches Argument lässt sich für eine Pflicht zur Bewertung anführen, dass sich die Variante „zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren“ bei einer reinen Tatsacheninformation bereits vollständig aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB ergibt, also Gegenstand der therapeutischen Informationspflicht ist; eine eigenständige Bedeutung ergibt sich nur dann, wenn eine Würdigung geschuldet ist.484 Dass auch die Einordnung als vorwerfbares Fehlverhalten geschuldet ist, wird systematisch zudem gestützt von der Regelung des S. 3. Eine erfolgte Information über einen eigenen Behandlungsfehler darf ohne Zustimmung im Straf- oder Bußgeldverfahren nicht verwendet werden. Die Privilegierung des S. 3 wäre nicht erforderlich, wenn S. 2 lediglich eine Tatsacheninformation verlangen würde.485 Denn die Tatsachen ergeben sich in der Regel bereits aus der Dokumentation des Behandelnden, zu welcher er gem. § 630f BGB verpflichtet ist und welche der Patient jederzeit einsehen kann, § 630g BGB. Auch lassen sich diese in der Regel durch Begutachtung eines Sachverständigen ermitteln. Dass objektive Tatsachen noch kein Indiz für einen vorwerfbaren Fehler des Behandelnden sind, macht bereits der Fall der „abgebrochenen Bohrerspitze“486 deutlich. Im Zurückbleiben einer Bohrerspitze im Körper des Patienten liegt zweifellos eine Abweichung des Ist- vom Soll-Zustand. Dennoch kann dies passieren, ohne dass den Behandelnden diesbezüglich eine Schuld trifft.487 Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach betont, dass ein allgemeiner Rückschluss von einem Misserfolg oder Zwischenfall auf ein Fehlverhalten des Behandelnden aufgrund der Eigen482 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (5). 483 Ähnlich BPS/Wever, § 630c BGB, Rdnr. 9; ebenso Erman/Rehborn/Gescher, § 630c, Rdnr. 16; Osmialowski, ArztR 2013, 201 (202); Middendorf, ZMGR 2012, 324 (325). Rehborn/ Gescher sind aber insoweit nicht konsequent, als sie dennoch verlangen, dass die Information derart zu erfolgen habe, dass der Patient daraus die Schlussfolgerung ziehen könne, die Behandlung sei möglicherweise nicht lege artis erfolgt, Erman/Rehborn/Gescher, § 630c, Rdnr. 17. 484 Reuter/Hahn, VuR 2012, 247 (250). 485 Ebenso Gutmann, in: Steinmeyer/Roeder/Eiff (Hrsg.), Medizin – Haftung – Versicherung, 2016, 59 (64). 486 Vgl. OLG München, VersR 2002, 985 (985 f.); OLG Stuttgart, VersR 1989, 632 (632). 487 Vgl. OLG München, VersR 2002, 985 (985); OLG Stuttgart, VersR 1989, 632 (632); anders dagegen Taupitz, der bereits den Vergleich zwischen Ist- und Soll-Zustand als Wertung einordnet, vgl. Taupitz, NJW 1992, 713 (715).
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gesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus nicht zulässig ist.488 Aussagen über objektive Tatsachen einem Verwertungsverbot zu unterziehen, scheint jedoch nicht erforderlich, denn diese begründen noch keine Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit. Wirft man bei der teleologischen Auslegung einen Blick auf die Zielsetzung des Gesetzes, so findet man in der Begründung ausdrücklich (nur) das Ziel der Abwendung gesundheitlicher Gefahren.489 Fraglich ist, ob zur Erreichung dieses Ziels eine Tatsacheninformation ausreichend oder ob zusätzlich eine Würdigung erforderlich ist. Dies wäre dann der Fall, wenn eine Konstellation denkbar ist, in der dem Patienten aufgrund eines Behandlungsfehlers ein weiterer Schaden droht, welcher nicht durch eine bloße Tatsacheninformation, sondern lediglich durch eine zusätzliche Würdigung der vorangegangenen Behandlung als fehlerhaft behoben werden könnte. Eine derartige Konstellation scheint kaum ersichtlich.490 Wird dem Patienten mitgeteilt, dass es unerwartet zu einer Komplikation gekommen ist, aufgrund derer ein weiterer Eingriff zur Schadensabwendung erforderlich ist, so wird dies genügen, um dem Patienten ein zutreffendes Bild von der Situation zu vermitteln. Ob diese Komplikation durch eine schicksalhafte Verkettung von Umständen oder einen Behandlungsfehler hervorgerufen wurde, ändert an der Indikation und Durchführung einer Folgebehandlung nichts.491 Bei einer bestimmten Erkrankung wird der Patient nicht anders behandelt, wenn diese durch einen Fehler entstanden ist, als wenn sie aufgrund eines behandlungsimmanenten Risikos entstanden wäre. Den Behandelnden treffen die gleichen Pflichten zur Abwehr der Gefahr. Verbleibt beispielsweise bei einer Operation ein Tupfer im Körper des Patienten, so genügt es zur Abwehr der daraus resultierenden Gefahr, wenn der Behandelnde dem Patienten dies mitteilt und ihn über Notwendigkeit, Risiken und Verlauf eines erneuten Eingriffs aufklärt. Dass der Tupfer aufgrund eines Fehlers im Körper zurückgeblieben ist, ist dagegen zur Abwehr der gesundheitlichen Gefahren nicht darzulegen. Dem Patienten bleibt es unbenommen, aus dieser Tatsache eigene Schlüsse zu ziehen.492 488 BGH, NJW 1978, 1681 (1681); BGH, NJW 1984, 661 (661); Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (507). 489 Demnach sei die Regelung Ausdruck der Abwägung mit dem Interesse des Patienten am Schutz seiner Gesundheit, vgl. BT-Drs. 17/10488, 1 (21); so auch Gutmann, in: Steinmeyer/ Roeder/Eiff (Hrsg.), Medizin – Haftung – Versicherung, 2016, 59 (65). 490 Ebenso Wagner, VersR 2012, 789 (795); Spickhoff, JZ 2015, 15 (21); ähnlich Reuter/ Hahn, VuR 2012, 247 (250); MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 30. 491 Vgl. Taupitz, NJW 1992, 713 (715). 492 Kleuser, Die Fehleroffenbarungspflicht des Arztes – unter besonderer Berücksichtigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach einem Behandlungszwischenfall, 1995, 122.
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F. Informationspflichten und -obliegenheiten
Somit ist es weder ungefragt noch auf Nachfrage zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren notwendig, die Tatsachen bzw. Umstände als Sorgfaltspflichtverstoß und/oder Behandlungsfehler zu bewerten, zumindest ist keine derartige Fallkonstellation ersichtlich.493 Deswegen wird vertreten, der Gesetzgeber wolle mit der Neuregelung keine Bewertung des Ereignisses durch den Behandelnden verlangen, der Schutz wirtschaftlicher Patienteninteressen sei gerade nicht bezweckt.494 Wird die einzige Zwecksetzung der Norm im Gesundheitsschutz gesehen, so ergibt sich, wie gerade gezeigt, dass eine Bewertung nicht geschuldet ist. Dies würde jedoch dazu führen, dass die Variante „auf Nachfrage“ gegenstandslos und damit unnütz wäre, denn über Maßnahmen zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren müsste der Behandelnde immer informieren.495 Da dies auch bereits aus der therapeutischen Informationspflicht aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB,496 aus § 242 BGB,497 seiner Garantenstellung, dem Rechtsgedanken des § 254 Abs. 2 BGB (Schadensminderungspflicht)498 sowie seiner berufsrechtlichen Verpflichtung folgt, wäre eigentlich die gesamte Regelung redundant. Schließlich ist nicht erkennbar, dass die therapeutische Informationspflicht um diesen Gesichtspunkt reduziert werden sollte.499 Dies könnte dafür sprechen, dass neben dem Gesundheitsschutz noch eine andere Zwecksetzung besteht. Es lässt sich argumentieren, § 630c Abs. 2 S. 2 BGB habe zumindest den Sekundärzweck, dem Patienten die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu erleichtern.500 Dann ist es nicht abwegig, von eiEbenso Gutmann, in: Steinmeyer/Roeder/Eiff (Hrsg.), Medizin – Haftung – Versicherung, 2016, 59 (65); vgl. auch Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (508); Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, 132 ff. 494 Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (508 ff.). 495 Ebenso Gutmann, in: Steinmeyer/Roeder/Eiff (Hrsg.), Medizin – Haftung – Versicherung, 2016, 59 (64). 496 Siehe dazu oben unter F. II. 3. a) cc) (1). So hatte bspw. das OLG Stuttgart die Aufklärung über die Existenz eines Fremdkörpers bereits der therapeutischen Aufklärung zugeordnet, OLG Stuttgart, VersR 1989, 632 (632); ebenso Spickhoff, JZ 2015, 15 (21 f.); Osmialowski, ArztR 2013, 201 (202); JurisPK-BGB/Schmidt, § 630c, Rdnr. 22; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 558; MedR-Komm/Jaeger, § 630c BGB, Rdnr. 22, 27. 497 Siehe dazu oben unter F. II. 3. a) cc) (4). 498 JurisPK-BGB/Schmidt, § 630c, Rdnr. 22. 499 Spickhoff, JZ 2015, 15 (21). 500 So (zumindest für die Variante „auf Nachfrage“) Erman/Rehborn/Gescher, § 630c, Rdnr. 17; Spickhoff, JZ 2015, 15 (21 f.); MüKo-BGB/Wagner, § 630c, Rdnr. 30 (dies auch im Rahmen der Variante „zur Abwehr gesundheitlicher Gefahren“ als Sekundärzweck ansehend); Jaeger, Patientenrechtegesetz, 2013, Rdnr. 140; Heyers, BRJ 2012, 135 (146); Wagner, VersR 2012, 789 (794 f.); Kett-Straub/Sipos-Lay, MedR 2014, 867 (874 f.); Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 7. Aufl. (2014), Rdnr. 558; a. A. Jauernig/Mansel, § 630c, Rdnr. 7; BeckOK-BGB/ 493
II. Informationspflichten und -obliegenheiten des Arztes
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nem Beruhen auf „ökonomischen Grundlagen“ zu sprechen.501 Dem Behandelnden allein mit dieser Begründung eine Pflicht zur rechtlichen Bewertung aufzuerlegen, scheint insbesondere hinsichtlich der kenntnisabhängigen Verjährung bedenklich. Zwar bezieht sich der Gesundheitsschutz dem Wortlaut nach nicht auf die Variante „auf Nachfrage“. Die Ausführungen in der Gesetzesbegründung, die Norm sei Ausdruck der Abwägung mit „dem Interesse des Patienten am Schutz seiner Gesundheit“,502 beziehen sich jedoch auf beide Varianten des S. 2. Zudem weist die Gesetzesbegründung darauf hin, dass den Behandelnden lediglich eine Pflicht zur gesundheitlichen Sorge und nicht eine umfassende Fürsorgepflicht treffe,503 eine Zwecksetzung zur Erleichterung der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzesbegründung. Hätte der Gesetzgeber eine derartige wirtschaftliche Zwecksetzung gewollt, so wäre es konsequent gewesen, die Informationspflicht auf Aufklärungsfehler zu erstrecken, dies hat er jedoch nicht getan504 und auch nicht planwidrig vergessen.505 Zudem ist der Behandelnde nicht Rechtsberater des Patienten.506 Auch aus der wirtschaftlichen Informationspflicht, die als einzige Pflicht des Behandelnden einen Vermögensbezug aufweist, ließ und lässt sich eine Pflicht zur Bewertung nicht herleiten,507 sodass auch dies dafür spricht, dass die Berücksichtigung vermögensrechtlicher Interessen des Patienten auf die Inhalte der wirtschaftlichen Information beschränkt ist. Hätte der Gesetzgeber eine vermögensrechtliche Zwecksetzung beabsichtigt, so wäre es konsequenter gewesen, zumindest die Variante „auf Nachfrage“ im Rahmen des § 630c Abs. 3 BGB und nicht im Anschluss an die therapeutische Information aus Abs. 2 S. 1, welche primär Gesundheitsinteressen und nicht Vermögensinteressen dient,508 zu regeln. Eine vermögensrechtliche Zwecksetzung der Fehlerinformationspflicht ist deshalb abzulehnen. Katzenmeier, § 630c, Rdnr. 12; Schelling/Warntjen, MedR 2012, 506 (511); BRAK, Stellungnahme Nr. 12/2012, 1 (5); Spickhoff/Spickhoff, § 630c BGB, Rdnr. 28; PWW/Schneider, § 630c, Rdnr. 10; Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl. (2015), Kap. V Rdnr. 18. 501 Heyers, BRJ 2012, 135 (146). 502 BT-Drs. 17/10488, 1 (21). 503 BT-Drs. 17/10488, 1 (21); ebenso Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesministeriums für Gesundheit, 1 (26). 504 Siehe dazu unter F. II. 3. b) bb). Ebenso Gutmann, in: Steinmeyer/Roeder/Eiff (Hrsg.), Medizin – Haftung – Versicherung, 2016, 59 (65). 505 Siehe dazu unter F. II.