Traum, Schlaf und Tod. Grenzbereiche des Bewußtseins. Der Dalai Lama im Gespräch mit westlichen Wissenschaftlern 3424013889

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Traum, Schlaf und Tod. Grenzbereiche des Bewußtseins. Der Dalai Lama im Gespräch mit westlichen Wissenschaftlern
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Francisco Varela

Traum, Schlaf und Tod Grenzbereiche des Bewußtseins Der Dalai Lama im Gespräch mit westlichen Wissenschaftlern

Aus dem Amerikanischen von Matthias Braeunig

EUGEN

DIEDERICHS

VERLAG

Die Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel Sleeping, Dreaming, and Dying

Inhalt

bei Wisdom Publications, Boston, Massachusetts

undAnerkennung Danksagung VorwortSeinerHeiligkeitdesDalaiLama

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Traum, Schlaf und Tod : Grenzbereiche des Bewußtseins; Der Dalai Lama im Gespräch mit westlichen Wissenschaftlern/ Francisco Varela. Aus dem Amerikan. übers. von Matthias Braeunig. - München : Diederichs, 1998 (New science) Einheitssacht.: Sleeping, dreaming, and dying Ich habe über etwas nachgedachtIch habe überlegtIchflog wie ein Adler und sah mein Haus unter min. Im Nicht-REM-Schlaf ist es eher ein einziger mentaler Inhalt, anstatt so etwas wie ein Film. Selbst wenn man einschläft, nimmt man manchmal kurze Bilder wahr, die hypnagoge Träume genannt werden. Solche plötzlichen Ausbrüche der Imagination, seien sie visueller oder auditiver Art, haben auch Menschen, die sich in absoluter Dunkelheit aufhalten. Es wäre also nicht ganz richtig zu sagen, daß Träume nur während des REM-Schlafs auftreten können, weil es traumähnliche Erfahrungen in allen Stadien gibt. Normalerweise treten aber lebendige, visuelle und mit einem Handlungsstrang versehene Träume nur in der klassischen REM-Phase auf. Wir befinden uns etwa zu zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent eines vollen circadianen Zyklus im REM-Schlaf. Vom Blickwinkel der Gehirnforschung aus gesehen, träumen wir also jede Nacht, obwohl wir oft auch nicht träumen. Die klassische Sequenz des Schlafmusters wiederholt sich gewöhnlich noch ein zweites Mal am Tag. Dies wird biphasischer Schlafzyklus genannt. Gegen neun Uhr morgens, nach einem guten Schlaf, braucht ein normaler, junger Erwachsener etwa fünfzehn Minuten, um noch einmal einzuschlafen. Jeder weiß aber, wie leicht es ist, um vierzehn Uhr zur Mittagszeit einzuschlafen. Auch ist die Einschlafzeit für alte Menschen typischer weise etwa fünf Minuten kürzer.« 36

Perspektive Schlafausentwicklungsgeschichtlicher »Ich möchte nun zwei Argumente für die enorme Wichtigkeit anführen, die REM-Schlaf in der geschichtlichen Entwicklung im Tierreich hat. Wäre REM-Schlaf oder Träumen ausschließlich menschlich, dann würde es bei Tieren nicht auftreten. Faszinierend aber ist, daß andere Primaten fast das gleiche Schlafmuster haben, wie die Menschen. Sie haben dieselbe Art von Zyklus und durchlaufen die gleichen Stufen. Bei unseren nächsten Verwandten, den großen Säugetieren, ist die Situation noch interessanter, da sie so gut wie alle REM- als auch Nicht-REM-Schlaf-Phasen haben.« Sofort wollte der Dalai Lama wissen, welche die Ausnahme sind. Ich sagte, daß die Ameisenbären keinen REM-Schlaf haben. »Das kommt wohl von ihrer Ernährung!« gab Seine Heiligkeit lachend zurück. »Es ist bemerkenswert, daß Menschen gewöhnlich liegend schlafen. Katzen rollen sich zusammen. Die meisten Hunde strecken sich aus. Ein Tiger legt sich gern auf einen Baum. Der Elefant schläft im Stehen und das Nilpferd unter Wasser. Kühe können mit geöffneten Augen schlafen. Delphine schwimmen sogar weiter, da nur die Hälfte ihres Gehirns schläft! Einige Tiere schlafen nur sehr kurz. Der Elefant zum Beispiel schläft im Durchschnitt nur 3,2 Stunden pro Tag. Ratten dagegen schlafen 18-20 Stunden täglich. Es gibt hier ein interessantes Verhältnis: Je kleiner ein Tier ist, desto länger schläft es. Einige Tiere, wie die Ratten, gehen sehr schnell durch die vier Stufen, und wechseln dann sehr rasch in den REM-Schlaf, wobei diese Abschnitte auch nur sehr kurz sind. Andere wiederum haben einen sehr langen REMSchlaf. Hier gibt es große Schwankungen. Obwohl also die Existenz des REM- und Nicht-REM-Schlafes unter allen Säugetieren allgemein als gesichert gilt, paßt sich die Ausprägung an ihre besondere Lebensweise an. Für den Biologen heißt das, daß die Evolution unglaubliche Anstrengungen gemacht hat, das Gehirn so umzustrukturieren, daß REM- und Nicht-REMSchlaf erhalten bleiben und die verschiedenen Erscheinungsformen zeigen können. Im Gehen, Stehen und in wechselnder Haltung: Immer finden wir REM und Nicht-REM, auch wenn das Muster variiert. Das Auftreten des gleichen grundlegenden Zustands in vielen verschiedenen Formen deutet darauf hin, daß er etwas sehr Wichtiges sein muß, weil die Evolution ihn bei allen Säugetieren - außer beim Ameisenbären - beibehalten hat. Wie sieht es für andere Tiere jenseits der Säugetiere aus? Wie weit können wir in der Evolution zurückgehen und immer noch Muster von REMund Nicht-REM finden? Sowohl Vögel als auch Säugetiere stammen von Reptilien ab. Vögel, die meistens stehend schlafen, haben REM-Schlaf. Einige Biologen vermuten, daß Zugvögel während ihres mehrtägigen Fluges in der Luft schlafen, so wie der Delphin beim Schwimmen. Sie träumen, während sie über den Planeten fliegen.« Seine Heiligkeit öffnete die Augen weit und fragte: »Ist das eine gesicherte Tatsache?« 37

»Nein, eine Vermutung. Es ist ein logischer Schluß, denn sie haben REMZyklen, und einige fliegen tagelang. Offenbar haben Vögel den REM-Schlaf unabhängig neu entwickelt, weil er bei Reptilien nicht vorzukommen scheint. Obwohl es keinen Nachweis für REM in schlafenden Reptilien gibt, liegen hier die Dinge etwas komplizierter. Wir benutzen Elektroden im Cortex, um die typischen Gehirnwellen des REM-Schlafes zu erkennen, aber Reptilien haben, wie alle Vorfahren der Säugetiere, nicht die gleiche Art von Cortex, wie wir. Die ansonsten gleichen Zellen sind in einer anderen Weise angeordnet, so daß man nicht klar sagen kann, ob REM bei Reptilien auftritt. Aber von den Reptilien an aufwärts steht es außer Frage, daß jedes Lebewesen schläft und träumt mit Mustern von REM, Nicht-REM und Wachzustand.«

A Gesamt-Schlafdauer

B REM-Schlaf

30

Warumschlafenwir?

~ 0 ~ LU

C:

Der Dalai Lama sprach den logisch nächsten Schritt an: »Weiß man denn genau, wofür REM-Schlaf, der sich in der Evolution als lebenswichtig erwiesen hat, eigentlich physiologisch steht?« »Das ist der springende Punkt: Warum schlafen und träumen wir? Zu welchem Zweck geschieht das? Es gibt in den Neurowissenschaften eine aufgeregte Diskussion darüber, grundsätzlich kann man aber in zwei Richtungen darauf antworten. Einige Leute denken, daß Schlaf eine Art Wiederherstellung oder ein Auftanken ist. Während sich das intuitiv verstehen läßt, kann aber niemand bisher genau angeben, was es ist, das wir auftanken. Man verbraucht eine Menge Energie im Schlaf; tatsächlich braucht man während der REM-Phase mehr Sauerstoff als im Wachen; deshalb ist es nicht einfach nur so, daß man >die Maschine abkühlen< läßt. Weil der REM-Schlaf solch ein aktiver Zustand ist, ist es nicht ersichtlich, wie wir auftanken, uns erfrischen oder wiederherstellen. Die andere Antwort, die ich persönlich bevorzuge, ist, daß der REMSchlaf eine grundlegende kognitive Aktivität ist. Es ist der Ort, an dem man sich einem imaginären Spiel hingeben, verschiedene Szenarios ausprobieren und neue Möglichkeiten erfinden kann; ein Raum der Erneuerung, wo neue Muster und Assoziationen auftauchen, und das Erlebte noch einmal bearbeitet werden kann. Das stimmt annähernd mit Ansichten der Psychoanalyse überein. Träumen stellt einen Raum zur Verfügung, wo man nicht einfach nur mit dem im Augenblick Gegebenen zurechtkommen muß, sondern sich alles neu ausdenken, überlegen und vorstellen kann. Es ist eine Art Probevorstellung, die einem erlaubt, mit neuen Möglichkeiten aufzuwarten. Ich würde allzu gerne wissen, ob im Buddhismus die Natur des Träumens auch so aufgefaßt wird. Für Reptilien und Insekten die nicht besonders schnell dazulernen oder ihr Verhalten ändern, ist Träumen vielleicht nicht so wichtig. Allerdings sollten wir hier sehr vorsichtig sein. Wir 38

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