"Alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde": Schellings Philosophie der Personalität [Reprint 2015 ed.] 9783050083735, 9783050040448

Die Philosophie des reifen Schelling ist zuerst und zuletzt eine Philosophie der Personalität. Personalität ist gleichsa

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"Alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde": Schellings Philosophie der Personalität [Reprint 2015 ed.]
 9783050083735, 9783050040448

Table of contents :
Einleitung
I. Was ist Person?
Grundlinien von Schellings Personbegriff
Dieser und kein anderer?. Zur Individualität der Person in Schellings„Freiheitsschrift“
Person sucht Person. Schellings personalitätstheoretischer Sonderweg
II. Die Zeit der Person
Das geschichtliche Wesen der Personalität
Person und Zeit. Bemerkungen zur „Freiheitsschrift“
III. Der Mensch als Person
Gibt es Urrechte der Person? Schelling und die Naturrechtsdebatte 1795
Prinzipien von Personalität in Schellings „Freiheitsschrift“
„Also Seele ist das Unpersönliche.“ Ein Versuch über Schellings Anthropologie
Selbstentfremdung und Gefährdung menschlichen Selbstseins. Zu einer Schlüsselfigur bei Schelling und Kierkegaard
IV. Der personale Gott
Der Grund der Persönlichkeit Gottes
Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes in Schellings „Philosophie der Offenbarung“
V. Personalia - Apersonalia
„Die Seele weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft.“ Zum Zusammenhang von Wissenschaftsund Personbegriffen bei Schelling
Sucht und Verlangen. Über den Grund der Person
Personale Desintegration. Schellings anthroprogenetische Satanologie
VI. Anhang
Vorbemerkung
Diskussion zum Vortrag von Thomas Buchheim
Diskussion zum Vortrag von Dieter Sturma
Diskussion zum Vortrag von Axel Hutter
Diskussion zum Vortrag von Temilo van Zantwijk
Diskussion zum Vortrag von Friedrich Hermanni
Diskussion zum Vortrag von Christian Danz
Diskussion zum Vortrag von Paul Ziche
Diskussion zum Vortrag von Jörg Jantzen
Zu den Autoren
Personenregister

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Thomas Buchheim / Friedrich Hermanni (Hg.)

»Alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde« Schellings Philosophie der Personalität

»Alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde« Schellings Philosophie der Personalität Herausgegeben von Thomas Buchheim und Friedrich Hermanni

Akademie Verlag

Einbandgestaltung unter Verwendung von: August von Kloeber: Schelling, Kreidezeichnung, 1842, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz

ISBN 3-05-004044-0 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2004 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden.

Lektorat: Mischka Dammaschke Satz: Julia Brauch, Berlin Einbandgestaltung: Ingo Scheffler, Berlin Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Einleitung

I.

7

Was ist Person? THOMAS BUCHHEIM

Grundlinien von Schellings Personbegriff

11

BIRGIT SANDKAULEN

Dieser und kein anderer? Zur Individualität der Person in Schellings, Jreiheitsschrift''

35

DIETER STURMA

Person sucht Person. Schellings personalitätstheoretischer Sonderweg

II.

55

Die Zeit der Person AXEL HUTTER

Das geschichtliche Wesen der Personalität

73

WILHELM G . JACOBS

Person und Zeit. Bemerkungen zur „Freiheitsschrift"

91

III. Der Mensch als Person TEMILO VAN ZANTWIJK

Gibt es Urrechte der Person? Schelling und die Naturrechtsdebatte 1795

101

CHRISTIAN IBER

Prinzipien von Personalität in Schellings , Jreiheitsschrift"

119

HERMANN BRAUN

„Also Seele ist das Unpersönliche." Ein Versuch über Schellings Anthropologie

137

6

INHALT

LORE HÜHN

Selbstentfremdung und Gefährdung menschlichen Selbstseins. Zu einer Schlüsselfigur bei Schelling und Kierkegaard

151

IV. Der personale Gott FRIEDRICH HERMANNI

Der Grund der Persönlichkeit Gottes

165

CHRISTIAN DANZ

Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes in Schellings „Philosophie der Offenbarung"

V.

179

Personalia - Apersonalia PAUL ZICHE

„Die Seele weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft." Zum Zusammenhang von Wissenschaftsund Personbegriffen bei Schelling

199

JÖRG JANTZEN

Sucht und Verlangen. Über den Grund der Person

215

PETER L . OESTERREICH

Personale Desintegration. Schellings anthroprogenetische Satanologie

227

VI. Anhang Vorbemerkung Diskussion zum Vortrag von Thomas Buchheim Diskussion zum Vortrag von Dieter Sturma Diskussion zum Vortrag von Axel Hutter Diskussion zum Vortrag von Temilo van Zantwijk Diskussion zum Vortrag von Friedrich Hermanni Diskussion zum Vortrag von Christian Danz Diskussion zum Vortrag von Paul Ziche Diskussion zum Vortrag von Jörg Jantzen

241 242 248 252 257 263 270 276 283

Zu den Autoren Personenregister

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Einleitung

Seit John Locke die Kriterien für die Identität eines lebendigen Wesens scharf von denen für die Identität einer Person getrennt hat,1 sucht man zumeist vergebens nach Konzepten, die der Person die ontologische Dignität einer bleibenden Substanz oder des identischen Wesens von Anfang bis Ende des Lebens zurückgeben. 2 Als allgemeines Prinzip der Individuation, das einem so und so beschaffenen Wesen einen besonderen Ort oder eine einmalige Position in Raum und Zeit bestimmt, machte Locke „die Existenz selbst" namhaft. 3 Je nach dem, worum es sich bei dem betreffenden Existierenden handelt, wollte er dabei jedoch die Identität auf höchst Unterschiedliches angewendet wissen:4 Während der bloß physische Körper durch die Identität seiner materiellen Teile, das Lebewesen dagegen durch die Identität des (vegetabilen) Lebens existiere,5 das sich im Wechsel der körperlichen Teile fortsetzt, existiere die Person „einzig und allein" durch die Identität ihres Bewußtseins. 6 Bezogen auf die menschliche Existenz ergibt sich daraus offenkundig eine quasi-cartesische Position. Ebenso nämlich wie sich dasselbe Leben in verschiedenen Körpern fortsetzt, kann nach Locke dieselbe Person aus mehreren denkfähigen Lebewesen gebildet werden, vorausgesetzt sie haben ein gemeinsames Erinnerungsbewußtsein. 7 Nun ist diese Position zweifellos unbefriedigend. Denn lebendig und sich seiner selbst bewußt zu sein sind aufs Innigste miteinander verknüpft, mindestens dort, wo das betreffende Lebewesen überhaupt Leistungen der Wahrnehmung oder des Denkens vollbringt. Locke hat sich über den Zusammenhang zwischen Leben und personalem Bewußtsein gänzlich ausgeschwiegen, und dieser verschwiegene Cartesianismus setzt sich bis in die aktuelle Debatte um den Personbegriff fort. Wenn aber auf der einen Seite Lebendigsein lediglich als physikalische Kohäsion eines komplexen Körpers gedeutet wird (wie es heute zumeist geschieht) und wenn andererseits erst das Selbstbewußtsein der Person eine

1

John Locke, An Essay concerning Human Understanding, ed. with a foreword by Peter Η. Nidditch, Oxford 1975 [= Essay]; das relevante Kap. II 27 findet sich zuerst in der 2. Auflage von 1694.

2 3

Exemplarisch zu diesem Problem vgl. Derek Parfit, Reasons and Persons, Oxford 1984, bes. Part III, Kap. 10-13. Locke, Essay, 330.

4 5 6 7

Ebd. Ebd., 331 f. Ebd., 335-347, passim. Vgl. ebd., z.B. 336.

8

vorderhand nicht naturalistisch zu erklärende Leistung unseres Gehirns zu sein scheint, dann ist die Kluft zwischen Personalität und körperlichem Dasein eher noch größer geworden, als sie schon bei Locke gewesen ist. Und wir dürfen nunmehr a fortiori nur dasjenige vernünftigerweise als Person betrachten, was aktuell oder zumindest der vorhandenen Kapazität nach solche selbstbewußten Leistungen vollbringt. Das große und leider wenig gewürdigte Verdienst Schellings besteht darin, den naturalen und den kognitiven Aspekt des Personseins eng miteinander verknüpft, ja regelrecht fusioniert zu haben. Wie das geschieht, wird durch die Beiträge des vorliegenden Buches im Einzelnen dargelegt. Dieses Buch ist zugleich das einzige, in dem die personalitätstheoretischen Ressourcen Schellings erschlossen und für eine systematische Klärung der Sache selbst in Anspruch genommen werden. Kein Philosoph der klassischen deutschen Philosophie von Kant bis Schopenhauer hat über das spezifische Sein und die interne Struktur personaler Existenz so gründlich nachgedacht wie Schelling. Manche nahmen zwar die Sache in Anspruch, ohne sie aber in ihrer Konstitution näher zu bedenken; manche, wie z.B. Friedrich Heinrich Jacobi, warnten sogar eindringlich davor, Personalität begrifflich durchsichtig machen zu wollen. Dies mag so lange angehen, wie das Dasein von Personen in der Anthropologie und der Ethik, in der Jurisprudenz und der Theologie unstrittige Anerkennung genießt. Dem Schwinden dieser Anerkennung jedoch kann nicht mit Denkverboten, sondern allein mit gedanklicher Durchdringung und guten Gründen begegnet werden. Solche guten Gründe sind zweifellos aus Schellings Philosophie zu gewinnen, kaum dagegen, so scheint es, aus derjenigen Kants und Hegels und schon gar nicht aus Jacobis zeitgenössisch überaus scharfsichtiger Kritik. Durch die zuletzt Genannten wird Personalität vielmehr ä la longue entweder einer cartesischen Separierung von aller Natur oder der gänzlichen Abschaffung ausgeliefert was im Kontext heutiger Debatten fast auf dasselbe hinausläuft. Natürlich hat Schelling folgerichtig mit dem umgekehrten Vorwurf zu kämpfen, er falle in eine vermeintlich unkritische und vormoderne Metaphysik des Natürlichen und der Natur zurück. Wie die einschlägige Debatte fortgeführt und ausgehen wird, kann durch dieses Buch nicht entschieden oder auch nur absehbar werden. Gleichwohl liefert die Philosophie Schellings eine Reihe von Einsichten, die heute zwar aus dem Blick geraten, für eine Klärung der Sache aber womöglich entscheidend sind. Das vorliegende Buch enthält die überarbeiteten Vorträge und Vorlagen sowie die Diskussionsergebnisse einer Tagung, die von der Ludwig-Maximilians-Universität München im Frühsommer 2003 in Zusammenarbeit mit der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, der Internationalen Schelling-Gesellschaft und der Kirchlichen Hochschule Bethel veranstaltet wurde. Die Publikation der höchst präsentablen Aufsätze und Diskussionsergebnisse erfolgt im Blick auf den 150. Todestag Schellings, der am 20. August 1854 verstarb, und als Hommage für einen der bedeutendsten Denker, dessen Philosophie der Personalität seine vielleicht größte Gabe an die Nachwelt ist. Allen, die zur gedanklichen Substanz und zur leserlichen Form des Buches beigetragen haben, sei von den Herausgebern herzlich gedankt. München und Bielefeld im Mai 2004

Thomas Buchheim und Friedrich Hermanni

I.

Was ist Person?

THOMAS BUCHHEIM

Grundlinien von Schellings Personbegriff

1. Persona non grata Wie eine Spinne im Netz (die vielleicht schon Heraklit mit der menschlichen Seele verglich) so sitzt die Person oder besser: was ihren Begriff ausmacht, im Zentrum der wichtigsten thematischen Stränge und Fäden der Schellingschen Philosophie von Anfang an. Es sind die Themen und Stränge des ,Ich\ der ,Natur', der ,Identität' und des selbstbewussten Geistes', der .Handlung' und .Sittlichkeit', nicht zuletzt der Begriff ,Gottes' oder eines ,Absoluten' der spekulativen Philosophie, die, wie der späte Schelling schwört, nur im Rahmen einer personalen Deutung geklärt werden können, und von denen auch schon der frühe begeistert wird. Aber so unsichtbar eben eine Spinne für die Fliegen und Raupen ist, die sich im Netz verfangen sollen, so unsichtbar ist für den frühen Schelling selbst der Begriff der Person als kommender Leitstern seines gesamten Philosophierens. Eher beherrscht ihn damals die Überzeugung, dass die Spinne es ist, die alles Wichtige und Erforderliche der Philosophie zu zerstören und auszuhöhlen droht, so dass umgekehrt sie „zernichtet" und gleichsam zerstampft gehört, wo immer man sie auch antreffen sollte: Im endlichen Ich ist Einheit des Bewußtseyns, d.h. Persönlichkeit. Das unendliche Ich aber kennt gar kein Object, also auch kein Bewußtseyn und keine Einheit des Bewußtseyns, Persönlichkeit. Mithin kann das lezte Ziel alles Strebens auch als Erweiterung der Persönlichkeit zur Unendlichkeit, d. h. als Zernichtung derselben vorgestellt werden. 1

Das ,Ziel alles Strebens' kann offenbar nur ein praktisches Ziel, d.h. das Ziel allen menschlichen Handelns sein. So werden von Schelling hier der Begriff des Handelns und der der Sittlichkeit gemeinsam so konzipiert, dass sie insgesamt auf die Aufhebung der Persönlichkeit und des persönlichen Bewusstseins gerichtet sind. Was am meisten die Sachen der Person und Persönlichkeit sind, das soll es am wenigsten sein und dadurch die Erkenntnis des Wahren und Unendlichen befördern. Im berühmten Brief an Hegel vom 4. Februar 1795 wird die praktische Realisierung einer Philosophie des Unpersönlichen unter fast allen Stichworten des Spinnennetzes der Person zum Programm erhoben: Gott ist nichts als das absolute Ich, das Ich, in sofern es alles theoretische zernichtet hat, in der theoretischen Philosophie also = 0 ist. (Persönlichkeit entsteht durch die Einheit des Be-

1

F.W.J. Schelling, Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795) [= Vom Ich als Prinzip], SWI, 200; AAI 2, 128.

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THOMAS BUCHHEIM

wußtseyns. Bewußtseyn aber ist nicht ohne Objekt möglich; für Gott aber d.h. für das absolute Ich giebt es gar kein Objekt, denn dadurch hörte es auf, absolut zu seyn, - mithin giebt es keinen persönlichen Gott, und unser höchstes Bestreben ist die Zerstörung unsrer Persönlichkeit, Übergang in die absolute Sphäre des Seyns, der aber in Ewigkeit nicht möglich ist; - daher nur praktische Annäherung zum Absoluten, und daher - Unsterblichkeit.2 Dasselbe philosophische Programm Schellings kehrt in fast allen von ihm damals erörterten Fragen und Problemen wieder, da es, wie er an einer Stelle schreibt, vor die „ursprünglichste Antithese aller philosophirenden Vernunft" stellt, an der sich die Geister scheiden: „Die Vernunft muß entweder auf eine objective intelligible Welt, oder auf subjective Persönlichkeit; auf ein absolutes Object, oder auf ein absolutes Subject - auf Freiheit des Willens - Verzicht thun."3 Auf welche Seite dieser Antithese schlägt sich Schelling? Die Frage ist kaum in einfacher Weise zu beantworten, auch wenn jeder weiß, auf welche Seite er sich zu schlagen bereit ist in dem Moment, wo er dieses schreibt. Doch konnte man schon den vorangehenden Zitaten entnehmen, dass auch die „subjektive Persönlichkeit", wenn sie auf ein absolutes Objekt „Verzicht thut", nach Schelling dahin tendiert, sich so zu erweitern, dass sie wiederum zugrunde geht. Beide Wege sind in Wirklichkeit verfehlt, und das ihnen vorausliegende proton pseudos ist Schelling zu dieser Zeit völlig verschlossen und unbekannt. Er brauchte buchstäblich sein ganzes philosophisches Leben, um ihm nicht nur auf die Schliche zu kommen, sondern damit so umgehen zu lernen, dass er nicht wiederum in jene Antithese zurückgeworfen wurde. Selbst im folgenden, etwa 40 Jahre späteren Text, in dem er eine Diagnose des Irrtums stellt (zwar nicht als eines Irrtums in seinem eigenen, wohl aber im Denken Jacobis), hat Schelling noch nicht ganz ausgelernt, was den angemessenen gedanklichen Umgang damit und eine mögliche philosophische Therapie des Problems betrifft: Indessen kann ich Jacobi nicht mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen als durch das Zugeständnis, dass er unter allen am lebhaftesten das Bedürfnis einer geschichtlichen Philosophie empfunden hat. Es war in ihm von Jugend auf etwas, das sich gegen ein alle Freiheit der Persönlichkeit ausschließendes System gleichsam empörte. [...] Jacobi suchte aber in der letzten Zeit nicht bloss Frieden mit dem gemeinen Rationalismus zu schließen, auch dem wissenschaftlichen suchte er sich anzunähern dadurch, dass er ,Vernunft' statt ,Gefühl* setzte. Das war vielleicht das schlimmste Geschenk, das er der Philosophie machte. [...] Das äusserst Ungereimte war, dass Gott Persönlichkeit sein sollte und die Vernunft das unmittelbar Gott Wissende. Mit einem persönlichen Wesen muss ich in einem empirischen Verhältnis stehen. Ein solches empirisches Verhältnis ist aber von der Vernunft ausge-

2 3

F.W.J. Schelling,Briefe 1 (Briefwechsel 1786-1799), AAIII 1,23. F.W.J. Schelling, Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kriticismus (1795) [= Philosophische Briefe], SWI, 338; AAI 3,109; von Schelling selbst in Anführungszeichen gesetzt.

GRUNDLINIEN VON SCHELLINGS PERSONBEGRIFF

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schlossen, wie überhaupt alles Persönliche. Was die Vernunft unmittelbar erkennt, muss daher, wie sie selbst, frei sein von allem Empirischen und Persönlichen. 4 Alles Persönliche kann nur dadurch ins Denken einbezogen werden, dass es ihm nicht ein gedachtes Objekt, sondern vielmehr dem Denkenden ein empirisches Gegenüber, d.h. eine andere Person außer ihm ist und als solche genommen wird. Es spielt keine Rolle, ob ich mein Subjekt ins Unendliche zu erweitern suche, um das Absolute in mir zu realisieren, oder aber ein unendlich mächtiges Objekt denke, dem ich bereit bin, mich zu unterwerfen. Auf beiden Wegen verschwindet die Person und mit ihr alles Geschichüiche. Und auf beiden hatte sich Schelling mehr als ein Jahrzehnt, bald auf dem einen, bald auf dem andern gehend, philosophisch umhergetrieben. Sogar noch, nachdem er den Fehler entdeckt hatte, suchte er nach anderen Methoden der Vernunft ( z . B . in der Freiheitsschrift),5 6 um der Person und des Persönlichen denkerisch habhaft zu werden. Entscheidend ist aber, dass das Denken einen Schnitt zu machen lemt zwischen dem, was aus Prinzipien erkannt werden kann, und dem, wofür es das ihm empirisch Vorkommende (das der späte Schelling ein .Positives' nennt) wirklich zu halten vermag. 7 Person und Persönliches denke ich erst, wenn ich das, was mir vorkommt, für eine Person bzw. Persönliches halte; 4 5

6

7

F.W.J. Schelling, Grundlegung der positiven Philosophie. Münchner Vorlesung WS 1832/33 und SS 1833, hg. von H. Fuhrmans, Torino 1972,251 f. Stellen aus der Freiheitsschrift werden im Folgenden außer nach SWauch nach Seite und Zeile der Ausgabe: F.W.J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, hg. von T. Buchheim, Hamburg 1997 [abgekürzt: Bu] zitiert. T. van Zantwijk, Pan-Personalismus. Schellings transzendentale Hermeneutik der menschlichen Freiheit, Stuttgart-Bad Cannstatt 2000 beschreibt eine Strecke von Schellings Ringen um eine angemessenere Begrifflichkeit der Person und des Persönlichen besonders in der Freiheitsschrift. Nicht von der Hand zu weisen ist die These Zantwijks, dass Schelling die rein begrifflichen Verfahren der „Vergegenständlichung und Abstraktion" auf diesem Weg durch eine Art von Selbsthermeneutik des Lebens abzulösen bestrebt ist (bes. 215-219), welche Elemente einer „vorbegriffliche[n] Imagination des Lebens", der „Empfindung" und Anschaulichkeit nutzbar zu machen sucht. Ich würde jedoch nicht so weit gehen wie Zantwijk, dass die Person überhaupt aus dem Kreis des gedanklich klar Erfassbaren herausfallt: „Die Persönlichkeit ist nach Schelling also nur unmittelbar anschaulich und sich selbst unmittelbar empfindlich und kein Begriff. Es kann also keine adäquate Definition von Person geben" (219). Vielmehr ist wichtig, die Person und das Persönliche von vornherein nicht nur im Modus der Selbstgegebenheit zu betrachten. Das nämlich führt in die Aporien zurück, die Schelling als einer der ersten philosophisch überwindbar machen wollte. Zur Problematik und Kunst des .positiven' Denkens bei Schelling vgl. Vf., Eins von Allem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie, Hamburg 1992, bes. 17-23; 90-107; ders., „Das Wirkliche und der Abschied vom Ganzen. Zu Schellings später philosophischer Einsicht, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 48 (1994), 192-209; ders., „Zur Unterscheidung von negativer und positiver Philosophie beim späten Schelling, in: Berliner Schelling-Studien 2, im Auftrag der Schelling-Forschungsstelle Berlin, hg. von E. Hahn, Berlin 2001, 125-145.

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THOMAS BUCHHEIM

entsprechend eine göttliche oder absolute Person erst, wenn ich das, was mir vorkommt, für eine solche Persönlichkeit halte.8 (Aber warum sollte ich?) Damit ist sozusagen stipuliert, dass die Person nicht ein Begriff ist, der von der Innenperspektive des Subjekts aus angegangen und geklärt werden kann. Person ist primär eine andere als die, die darin ein Gegenüber erkennt. 9 Für die jetzige Absicht genügt es, gestützt auf Texte Schellings nachzuvollziehen, wann und unter welchen Voraussetzungen es vernünftig ist, das Vorkommende überhaupt für personal zu halten. Was sind (nach Schellings Auffassung) die Züge und Strukturen, die es uns nahe legen, eine Person in ihnen zu erkennen? Offen bleibt dagegen, ob uns irgendetwas so vorkommt, dass wir es für eine andere oder höhere Art von Person halten, als wir selber zu sein beanspruchen können.

2. Wiederentdeckung des Personalen Wenn ein empirisches Verhältnis zu dem, was persönlich ist, benötigt wird, dann, so fügt Schelling an der zuletzt zitierten Stelle hinzu, brauchen wir eine Verbindung der Person mit dem, was ursprünglich empirisch ist; und das ist, wie Schelling sagt, die „Natal". Natur, allgemein gesprochen, ist immer die gegebene Art und Weise von etwas zu sein, egal ob man ,gegeben' allein im Sinne der ausgemachten Bestimmtheit, die dem Betreffenden zukommt, verstehen möchte oder zusätzlich die Gegebenheit für ein Bewusstsein darin denkt. In beiden Fällen ist die Natur das, woran man nicht vorbeikommt, was eben so und nicht anders ist. Und weil Natur so ist, wie sie ist, kann sie Objekt der Empirie sein. Obwohl nun die Person sich gerade nicht in einer Natur erschöpfen lässt, sondern mehr ist und als Geist sogar im Gegensatz mit ihr steht (sonst könnte sie sich nicht zu ihrer eigenen Natur verhalten, sondern wäre identisch mit der jeweiligen), ist doch gefordert, sollen wir uns auf Personen überhaupt beziehen können, dass sie in Gestalt einer Natur empirisches Gegenüber sind. An Jacobi habe sich die Vernachlässigung der Natur auf diese Weise gerächt, dass er das eigentlich von ihm Gewollte deswegen umso gründlicher verfehlt habe. Denn er habe dadurch, dass er „gleich anfangs die Natur ausgeschlossen" (ebd., 253), keine Chance mehr gehabt, durch Überwindung der empirisch gegebenen

8

Für diese Art,positiven Denkens' könnte Lukas 9, 18-21 Pate gestanden haben: „Was meinen die Leute, wer ich sei? Sie aber gaben zur Antwort: Johannes der Täufer, andere Elia, wieder andere, ein Prophet von den alten, der auferstanden sei. Aber ihr, wer meint ihr, dass ich sei? Petrus antwortete und sprach: Christus, der Sohn Gottes."

9

Treffend in diesem Sinn und sozusagen aus der Rückschau programmatisch für sein eigenes Philosophieren ist der berühmte Ausspruch Schellings in seinem letzten Werk: „Denn Person sucht Person" (F.W.J. Schelling, Einleitung in die Philosophie der Mythologie, Zweites Buch: Philosophische Einleitung in die Philosophie der Mythologie oder Darstellung der reinrationalen Philosophie [= Darstellung der reinrationalen Philosophie], SWXI, 566).

GRUNDLINIEN VON SCHELLINGS PERSONBEGRIFF

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Natur zum Persönlichen vorzudringen, sondern sei im unmittelbar Gewissen der Vernunft sozusagen stecken geblieben. Ein empirisches Verhältnis zu einer Person gibt es nach Schelling also nur durch .Überwindung' oder Überschreitung der Natur, in der sie sich darbietet. Die Empirie der Person ist deshalb nach Schelling wesentlich „Offenbarung" oder „Manifestation", nicht bloßes Phänomen oder empirische Erscheinung allein. Die Natur zeigt sich, eine Person offenbart sich - aber nur dem, der selbst in der Lage ist, Natur zu überschreiten. Es lohnt der Mühe, zwei zeitlich eng benachbarte Texte zu betrachten, in denen Schelling einen signifikanten Begriff von Offenbarung10 wiederzugewinnen versucht, nachdem er ihn als philosophietauglichen Begriff in frühester Zeit völlig preisgegeben hatte." Beide Texte stammen aus dem Jahr 1806 und sind offenbar kurz nacheinander geschrieben. Der eine, Über das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur, wurde wohl noch in Würzburg verfasst und erschien als Einleitung zur zweiten Auflage von Schellings Weltseele, während der andere, Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre, wenig später in München geschrieben 10 Nicht signifikant sind diejenigen Verwendungen des Begriffes, die ihn entweder gleichsetzen mit dem der „Erscheinung" (s. z.B. Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus. Nebst der Abhandlung über das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur oder Entwicklung der ersten Grundsätze der Naturphilosophie an den Principien der Schwere und des Lichts (1798) [= Weltseele], SWII, 382; vgl. ebenso die Abhandlung Über das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur (1806), Einleitung zur 2. Auflage der Weltseele, SW II, 378) oder aber eine nur „sukzessive" Offenbarung Gottes in der Geschichte zulassen wollen (vgl. z.B. System des transzendentalen Idealismus (1800), SWIII, 602f.; Vorlesungen über die Methode des Akademischen Studiums (1803), SWV, 281; Philosophie und Religion (1804), SWVI, 57). Die Pointe einer sukzessiven, aber außerhalb der intellektualen Anschauung niemals vollständigen Offenbarung des Absoluten liegt eben darin, dass das Absolute oder Gott selbst nach Schellings Ansicht, wie er sie in der Phase der Identitätsphilosophie vertritt, sich nicht offenbaren kann: „Es folgt daraus von selbst, dass die absolute Identität als solche überhaupt und niemals sich offenbaren kann, denn als solche ist sie ein Abgrund von Ruhe und Unthätigkeit, und in Thätigkeit gesetzt, hört sie schon auf, absolute Identität zu seyn" (Allgemeine Deduktion des dynamischen Processes oder der Kategorien der Physik, § 37, SW IV, 34). 11 Zur Preisgabe siehe Über Offenbarung und Volksunterricht (1798): „derselbe [Begriff der Offenbarung sagt] aus, dass eine individuelle Einwirkung Gottes auf die SinnenWelt und auf den menschlichen Geist geschehe; wobei, wie von selbst einleuchtet, der Begriff von Gott als einem individuellen, persönlichen Wesen - und zwar einem in der SinnenWelt wirksamen Wesen - vorausgesetzt wird, [...] Nun lässt aber eine Offenbarung, so wie sie in jener Philosophie bestimmt wird, d.h. eine reelle Einwirkung des höchsten Wesens auf den menschlichen Geist, dem letztern nichts als absolute Passivität übrig; denn das höchste Wesen ist absolut-activ, das nothwendige Correlat aber der absoluten Activität ist die absolute Passivität. Mithin ist jener Begriff der Offenbarung, den eignen Principien dieser Philosophie nach, völlig falsch; denn in theoretischer Rücksicht gestehen sie selbst, dass er ebenso wenig constructibel, als z.B. der Begriff der Hexerei; in praktischer Rücksicht aber (in Bezug auf die Freiheit) zerstört er sich selbst, weil er mit der Freiheit zusammen nicht bestehen kann." (SW 1,476f.; A A I 4 , 2 5 1 f.)

16

THOMAS BUCHHEIM

und separat publiziert wurde. Auf letzteren hielt Schelling große Stücke12 und versandte ihn an Freunde und Kollegen (darunter Hegel), um sie von gewissen neuen Gedanken, die er gefasst hatte, zu unterrichten. In der ersten von beiden Schriften wird die .Selbstoffenbarung' des Absoluten zwar mit neuer Emphase als alternativer Ausdruck für .Selbstbejahung' oder ,Selbstaffirmation' verwendet, jedoch noch ganz nach dem Schema des Identitätssystems verstanden als die gleichförmige Selbstbejahung des Unendlichen in allen endlichen Formen der Welt: Wir können das Band im Wesentlichen ausdrücken als die unendliche Liebe seiner selbst (welche in allen Dingen das Höchste ist), als unendliche Lust sich selbst zu offenbaren, nur dass das Wesen des Absoluten nicht von dieser Lust verschieden gedacht werde,13 sondern als eben dieses sich-selber-Wollen. Eben das sich-selbst-Bejahen ist, unangesehen der Form, das an sich Unendliche, welches daher nie und in nichts endlich werden kann. Das Absolute ist aber nicht allein ein Wollen seiner selbst, sondern ein Wollen auf unendliche Weise, also in allen Formen, Graden und Potenzen von Realität. Der Abdruck dieses ewigen und unendlichen sich-selber-Wollens ist die Welt.14 Von allem, was Vernunft als ewige Folge von dem Wesen Gottes erkennt, ist in der Natur nicht allein der Abdruck, sondern die wirkliche Geschichte selbst enthalten. Die Natur ist nicht bloß Produkt einer unbegreiflichen Schöpfung, sondern diese Schöpfung selbst; nicht nur die Erscheinung oder Offenbarung des Ewigen, vielmehr zugleich eben dieses Ewige selbst.15 Deutlicher kann man kaum sagen, dass die Erscheinungen der Natur, abgesehen von ihren endlichen Einschränkungen, identisch sind mit dem darin sich selbst offenbarenden Wesen. Demgegenüber stoßen wir wenige Monate später auf eine vollständige Neuetablierung des Offenbarungsbegriffs, die gerade die Verschiedenheit des Sich-Offenbarenden von dem, worin es offenbar wird, statuiert und so den Grundstein zur Schellingschen Philosophie der Personalität legt. Weil Schelling es sich nicht nehmen lässt, diesen neuen Schritt aus expliziter Selbstkritik heraus zu entwickeln, kann man kaum anders, als hier eine ausgesprochene Wende in seiner gesamten Philosophie zu erkennen: Wir haben Seyn und Erkennen auch entgegengestellt als Wesen und Form; allein auch so ist noch kein wahrer Gegensatz gegeben, denn das Positive in der Form ist selbst nur das Wesen oder das Seyn; und die Selbstbejahung ist so weit noch selbst als bloße, reine Identität begriffen. Erst mit dieser Indifferenz von Wesen und Form ist auch der Gegensatz; aber sie selbst, die Indifferenz, enthält noch keinen; dieser erste wahre Gegensatz ist dann der der Einheit und Vielheit. Wie gelangen wir zu diesem Gegensatz? - Eben nur durch die nothwendige Folge der Selbstoffenbarung, die da selber das Seyn ist, und in deren Natur wir nun noch tiefer einzudringen haben. Ein Wesen, das bloß es selbst wäre, als ein reines Eins [...], wäre nothwendig ohne Offenbarung in ihm selbst; denn es hätte nichts, darin es sich offenbar würde, es könnte eben darum nicht als Eins seyn, denn das Seyn, das aktuelle 12 Siehe F.W.J. Schelling, Briefe und Dokumente, hg. von Fuhrmans, Bd.III Bonn 1975,349. 13 Eben diese beteuerte NichtVerschiedenheit des Absoluten von seiner Natur, die jene „Lust sich selbst zu offenbaren" ist, wird in allen späteren Texten Schellings zu Fall kommen. 14 Einleitung zur 2. Auflage der Weltseele, SWI, 362. 15 Ebd., 378.

GRUNDLINIEN VON SCHELLINGS PERSONBEGRIFF

17

wirkliche Seyn, ist eben die Selbstoffenbarung. Soll es als Eins seyn, so muß es sich offenbaren in ihm selbst; es offenbart sich aber nicht, wenn es bloß es selbst, wenn es nicht in ihm selbst ein Anderes, und in diesem Anderen sich selbst das Eine, also wenn es nicht überhaupt das lebendige Band von sich selbst und einem Anderen ist. 16 A u s der Anforderung, dass eine Selbstoffenbarung stattfinden soll, wird hier auf die interne Verschiedenheit des ,Einen' selbst g e g e n ü b e r e i n e m „in i h m selbst" ursprünglich g e g e b e n e n .Anderen', in d e m e s sich offenbare, g e s c h l o s s e n . 1 7 Damit wird die aus der Freiheitsschrift

bekannte Figur des internen Dualismus 1 8 v o n Gott selbst einerseits und

der „Natur - in Gott" 1 9 andererseits: e i n e m v o n i h m „zwar unabtrennlichen, aber doch unterschiedenen W e s e n " , das e b e n s o „Grund der Existenz" w i e einer Offenbarung in ihm selbst sei, 2 0 allem A n s c h e i n nach bereits i m Jahre 1 8 0 6 z u m ersten Mal aufgestellt. 2 1 Zwar

16 F . W . J . Schelling, Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre. Eine Erläuterungschrift der ersten (1806) [= Darlegung gegen Fichte], SW VII, 54. 17 Daß das eine wahre Revolution im Denken Schellings bedeutet, bemerkt man nicht sofort. Jedoch im Kontrast mit dem typischen Verfahren der Identitätsphilosophie sieht man den Unterschied leichter; so ließe sich bspw. eine Stelle aus den Ferneren Darstellungen sehr gut kontrastieren: „Das Wesen des Absoluten an und für sich offenbart uns nichts, es erfüllt uns mit den Vorstellungen einer unendlichen Verschlossenheit, einer unerforschlichen Stille und Verborgenheit, wie die ältesten Formen der Philosophie den Zustand des Universums schildern, ehe der, welcher das Leben ist, durch den Akt seiner selbstanschauenden Erkenntniß hervorging in eigener Gestalt. Diese ewige, dem Absoluten selbst gleiche Form ist der Tag, in welchem wir jene Nacht und die in ihr verborgenen Wunder begreifen, das Licht, in dem wir das Absolute klar erkennen, der ewige Mittler, das allsehende und alles offenbarende Auge der Welt, der Quell aller Weisheit und Erkenntniß" (SW IV, 404f.). Aber bei allen Lobeshymnen auf den lebendigen Mittler ist klar, dass ,Tag' und ,Nacht' in völliger Disjunktion zu begreifen sind, d.h. der eine in keinem Sinn ,mit' dem andern zusammen ist. 18 Der Begriff ist eine treffende Prägung von Friedrich Hermanni, vgl. ders., Die letzte Entlastung. Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojektes in Schellings Philosophie, Wien 1994,73 ff. u. 85-98. 19 Als „Natur", in der Gott sich offenbare, bezeichnet es Schelling ebenfalls schon hier: Darlegung gegen Fichte, SWVII, 59; allein er trennt Gott selbst nicht als Person entschieden von dieser Natur, sondern betrachtet sie unmittelbar als sein eigenes und offenbares Dasein (s.u. Fn. 24). 20 Siehe Freiheitsschrift, SWVII, 357-359. Über diese begriffliche Neuheit Schellings (vor allem was die Freiheitsschrift betrifft) und das damit verbundene Paar von „Grund der Existenz" und „Existierendem" ist viel und z.T. Irreführendes geschrieben worden. Daher seien hier ein paar erklärende Bemerkungen eingefügt. Deutlich ist, dass jedenfalls „Existierendes" keinerlei Komplement mehr nötig haben darf, um als solches vorkommen oder existieren zu können. Jedes Existierende hat, ob wir sie kennen mögen oder nicht, irgendeine Beschaffenheit oder Natur, d.h. ist etwas bestimmtes. Das, was nichts Bestimmtes ist, kann nicht existieren. Es wäre deswegen falsch, das genannte Begriffspaar (Grund und Existierendes) so zu verstehen, als würden zwei Komplemente, die je für sich nicht existieren, zu einem existierenden Ding oder Wesen zusammengesetzt. Das eine von beiden ist vielmehr eben „Existierendes". Jedoch ist nicht genauso klar, was es mit

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ist auch im vorhergehenden Text eine Offenbarung des Einen in Vielem das Ziel der Spekulation. Aber dieses Ziel wird nicht durch die irgendwie geleistete Überbrückung einer ursprünglichen Differenz erst erreicht. Es handelt sich vielmehr um eine sich selbst ab o v o unproblematische Gegebenheit des Einen in Vielem. Dagegen wird in der nachfolgenden Schrift die Existenz der einen Seite jeweils aus der Perspektive der anderen erst als wirkliche Existenz eben davon in einer gewissen Besonderheit und damit als lebendige Entgegensetzung wahrgenommen: In dieser lebendigen Identität nun hast du zumal den Widerstreit oder das Leben, und die Einheit oder die Sänftigung des Lebens. Den Widerstreit; denn die Einheit ist in der Vielheit als in einem ewigen Gegenwurf ihrer selbst bejaht; die Einheit, denn die stille Einigkeit des Wesens bricht durch den Gegensatz oder die Vielheit und macht nur in diesem durchbrechen auch ihn selbst und zugleich sich offenbar. 22 Man wird nicht ohne weiteres behaupten dürfen, dass die Pointierung lebendiger Entgegensetzung im Begriff der Offenbarung bereits zu dieser Zeit (1806) eine volle personalitätstheoretische Ausdeutung des Gesagten rechtfertigen kann 23 Es scheint vielmehr so zu dem anderen auf sich hat, dem „Grund der Existenz". Wenn es für irgendetwas, das existiert, einen „Grund der Existenz" gibt, dann ist gewiß, dass auch der Grund seiner Existenz etwas sein muß, das existiert. Denn wie könnte etwas Existierendes in Nichtexistierendem einen Grund seiner Existenz finden? Schon bei Aristoteles' Materiebegriff ist klar, dass .Materie' etwas nur insofern genannt wird, als es zwar relativ zu einem daraus Existierenden oder Werdenden nicht ist, aber an und für sich selbst doch immer irgendein Seiendes ist, d.h. existiert; nur eben als etwas anderes als das, dessen Materie es ist. Ganz ähnlich verhält es sich mit Schellings „Grund der Existenz": Meistens ist das eine Grund der Existenz eines anderen, z.B. die Wolke Grund der Existenz von Regen. Das Besondere, worauf Schelling hinauswill, sind die Fälle, in denen der Grund der Existenz dasselbe Wesen ist wie das aus ihm Existierende. Dies sind entweder Lebewesen oder Personen. Das Lebewesen, weil es selbst die Möglichkeiten und Vermögen ist, aus denen es sich in natürlich bestimmter Weise verhält. Eine Person, weil sie die Natur, die sie an sich hat, zum Werkzeug ihrer Selbstoffenbarung in Handlungen macht. 21 Am angegebenen Ort in der Freiheitsschrift (SWVII, 357 [= Bu 30,34f.]) verweist Schelling selbst auf eine noch früher liegende Entstehung der Unterscheidung zwischen „Grund der Existenz" und „Existierendem" in Bezug auf ein und dasselbe Wesen (nämlich die Darstellung meines Systems (1801) §54 [SWIV, 146f.]); jedoch ist deutlich, dass dieselbe Unterscheidung dort noch ohne die Einschaltung ursprünglicher Andersheit in dem .Einen' als Bedingung seiner Selbstoffenbarung auskommen sollte. 22 Darlegung gegen Fichte, SWVII, 58. 23 Immerhin ist eindeutig eine letzten Endes nur personal zu realisierende Struktur hier grundgelegt: dass das eine von beiden in seiner wirklichen Existenz aus der Perspektive des andern affirmiert wird und umgekehrt. Nicht aber - wie früher bei Schelling - dass das eine sich im anderen als identisch mit diesem erkennt. Trotz dieser Eignung der begrifflichen Verhältnisse, eine personale Interpretation zu erfahren, verzichtet Schelling vorläufig darauf, eine solche Interpretation ausdrücklich durchzuführen - abgesehen von erstaunlich früh einsetzenden konzeptionellen Vorgriffen auf eine Darstellung der „Idee des Christenthums" (z.B. in der Philosophie der Kunst, SW V, 430—433 s.u.). Deshalb ist R. Shibuya, „Persönlichkeit und Selbstbildung. Niethammers Beitrag

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sein, dass Schelling die personalen Potentiale solcher Strukturen erst nach und nach bewusst geworden sind. 24 Jedoch haben wir in den hier zitierten Passagen die begrifflichen Grundlagen und Mittel fast vollständig vor Augen, die später eine solche personalitätstheoretische Deutung tragen werden. Das lässt sich zum Beispiel an dem zentralen Satz des zuerst angeführten Zitats aus der Darlegung gegen Fichte (SW VE, 54) sehr gut belegen, nämlich: „Erst mit dieser Indifferenz von Wesen und Form ist auch der Gegensatz;" - warum sperrt Schelling die Präposition „mit"?25 Deswegen weil wir, nur wenn wir die Indifferenz des Wesens als das Eine behalten und d.h. mitzählen können, der Gegensatz oder die Dualität desselben Wesens als ein zweites oder anderes gezählt zu werden vermag. Leider hat Schelling dies an relativ fern liegendem und nur wenig bekanntem Ort erklärt, nämlich mitten in der ersten Fassung der Weltalter:26 Als stillstehende Kraft ist Gott nicht zu denken [...] Ist in ihm Leben und Persönlichkeit, so ist eine fortschreitende Bewegung in ihm, worinn er jedoch nur von sich ausgehen und auch wieder in sich selbst zurückkehren kann, also zugleich Anfang und Ziel der Bewegung ist. Es ist hier keine arithmetische Progression, kein äußeres Vieles, sondern ein inneres, das aus Einem geht und auch immer Eines oder in sich bleibt. So wie ein Fortschreiten in Gott ist, muß auch eine Folge von Persönlichkeiten zugegeben werden. Denn würde die Handlung, wodurch sich das Ewige zur Schöpfung entschließt, auch als die stetigste Bewegung der Einheit in die Zweyheit vorgestellt, so ginge uns über der Zweyheit die Einheit, und so, bey dem Fortschritt vom Gegensatz zur höheren Einheit, also in die Dreyheit, die Einheit und Zweyheit über der Dreyheit verloren. Wenn des Fortschritts ohnerachtet in Gott keine Veränderung seyn soll: so muß mit der Zweyheit die Einheit und mit der Dreyheit sowohl die

zu Schellings Überwindung der Transzendentalphilosophie", in: Athenäum 13 (2003), 15-34 im Ganzen Recht zu geben, dass .Persönlichkeit' als ein positiv besetztes, philosophisches Stich wort erst seit Schellings Rezension (Anfang 1809, vgl. SWVII, 511-534) von Niethammers Schrift über den „Streit des Philanthropinismus und Humanismus", also kurz vor der Freiheitsschrift explizit wird. 24 So wird z.B. nach der Darlegung gegen Fichte die „Natur" Gottes noch gefasst als „ewige Geburt Gottes in den Dingen" und also ist „die Natur selbst nur das volle göttliche Daseyn" (SW VII, 59); damit ist sie ausdrücklich noch nicht - wie in der Freiheitsschrift - auf ewig von Gott geschieden; vgl. dort SWVII, 358f. [= Bu 31, 15-21]: „Wir erkennen vielmehr, dass der Begriff des Werdens der einzige der Natur der Dinge angemessene ist. Aber sie können nicht werden in Gott, absolut betrachtet, indem sie toto genere, oder richtiger zu reden, unendlich von ihm verschieden sind. Um von Gott geschieden zu sein zu sein, müssen sie in einem von ihm verschiedenen Grunde werden." Also muss sich, für eine Schöpfung von endlicher und werdender Natur, Gott von seiner Natur in ihm auch trennen oder distanzieren können. Das ist neu in der Freiheitsschrift. Schelling selbst hat betont, dass ihm die personale Interpretation der Verhältnisse in seinem spekulativen Ausgangsterminus erst sukzessive klar geworden sei: z.B. Philosophie der Offenbarung, SWXI, 316. 25 Vgl. ganz ähnlich, nur aus umgekehrter Perspektive formuliert in der Freiheitsschrift: „ohne Indifferenz, d.h. ohne einen Ungrund, gäbe es keine Zweiheit der Prinzipien" (SWVII, 407 [= Bu 79, 9 f.])· 26 F.W.J. Schelling, Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813 hg. von M. Schröter, München 1946 [= Weltalter 1. Fassung],

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Einheit als die Zweyheit bestehen, welches ohne verschiedne Persönlichkeiten, die jedem dieser Momente entsprechen, wohl nicht denkbar ist. 27

Nur wenn jede beteiligte Person eine andere Präsentierung derselben Natur oder desselben Wesens ist, dann kann ihr Mi/einander zugleich als die wirkliche Existenz des absolut Einen begriffen werden - so denkt sich zumindest Schelling die Sache, auch wenn noch vieles problematisch bleibt. Dennoch ist es, wie wir von uns selbst wissen, nicht völlig abwegig, verschiedenen Personen dieselbe Natur zuzuschreiben; je mehr wir fortschreiten in der Gentechnologie, umso weniger. .Dieselbe Natur' in der obigen Wendung bedeutet klarerweise keinen singulären, sondern einen generellen Terminus, d.h. eine Art zu sein oder Wesensbeschaffenheit. Wichtig ist aber, einer jeden Person überhaupt eine Natur zuzuschreiben und nicht (wie Jacobi) Person ohne Natur zu fordern; denn ohne Natur könnte die Person kein empirisches Verhältnis, d.h. keinerlei bestimmtes Auftreten gegenüber irgendeiner sie wahrnehmenden Instanz bekommen. Ebenso wichtig ist jedoch weiterhin, die Person nicht mit ihrer Natur zu identifizieren; denn sonst wäre sie nichts anderes als die Instanziierung der betreffende Natur und könnte sich nicht zu ihr verhalten, wie wir es doch jederzeit von einer Person denken. Beides zusammen - Natur zu besitzen, aber nicht identisch mit ihr zu sein - macht den Gedanken der Offenbarung - auch Selbstoffenbarung - erst möglich. So könnte man mit Schelling geradezu definieren: Person ist, was sich in einer Natur als individueller Geist offenbart. Die Individualität ist dabei nicht die eines natürlichen, d.h. allein lebendigen Individuums. Denn ein natürliches Individuum lebt einzig und allein in den Schranken seiner Natur. Die Möglichkeiten seiner Existenz sind Varianten innerhalb der Züge und Eigenschaften, die seine Natur definieren. Eine Person hingegen gibt sich oder wählt aus den Eigenschaften, die seine Natur vorsieht, diejenigen aus, mit denen sie selbst sich identifiziert und sozusagen schmückt. Deswegen unterscheiden wir auch bei uns selbst zwischen Äußerungen, die bloße Effekte unserer Natur sind (wie Husten, Schwitzen, Verdauung), und solchen, die eine Person sich selbst zulegt als Art und Weise ihrer Existenz oder ihres Auftretens. Letztere nennen wir Handlungen. Jede Person offenbart sich durch ihre Handlungen, und so deutet es Schelling im zuletzt angeführten Zitat auch für die Person Gottes an. Ein anderer wichtiger Punkt ist folgender: Wenn es zum Begriff der Person gehört, sich zu offenbaren (nicht allein zu erscheinen), dann ist klar, dass niemals nur eine Person existieren kann. Denn zu existieren heißt für personale Wesen sich zu offenbaren, wie Schelling nicht müde wird zu betonen. Jedoch kann sich, was auch immer, nicht offenbaren, ohne durch seine Natur als Person offenbar zu werden, d.h. für eine sie wahrnehmende Person eine andere zu sein, mit der zusammen sie existiert. Sobald also überhaupt Offenbarung stattfindet, sind mehrere Personen in einem Verhältnis miteinander, in dem sie sich gegenseitig als Personen wahrnehmen. Das ist es ja, was Schelling trinitätsspekulativ

27 Weltalter 1. Fassung, 67 f. Meine Hervorhebung.

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in dem oben angeführten Zitat (und vielen anderen) beschreibt. 28 Es gilt aber für alle Arten von Personen. Das bedeutet freilich nicht, dass das, was offenbarer Weise als Person existiert, nicht in sich selbst - wie Schelling sagt: als bloßes „Subjekt der Existenz" 29 schon gewesen sein könnte, auch ohne für und als eine Person offenbar zu sein. Die ganze Idee des Seins von Personen und des Verhältnisses von Natur und persönlicher Existenz ist nach Schelling - und mir scheint er damit ganz recht zu haben - eine genuin christliche Idee. Im bereits zitierten Zusammenhang aus der ersten Fassung der Weltalter schreibt Schelling dies hervorkehrend: Ueber alle Vergleichung erhaben und einzig ist aber die christliche Idee, besonders in der Art, wie sie die Mehrheit der Personen mit der Einheit des Wesens verbindet, indem dadurch offenbar wird, wie jene fortschreitende Bewegung aus demselben durch dasselbe und in dasselbe geht, also nirgends eine Verwandlung des Wesens stattfindet. Vortrefflich sagt schon ein geistvoller Lehrer der ersten Jahrhunderte: Mehrere Naturen annehmen ist hellenisch, nur Eine Person glauben jüdisch; aber die Eine Natur zur heiligen Dreyheit entfalten und die Dreyheit der Personen wieder in die Einheit des Wesens sammeln, ist die rechteste, die wahrhafteste Lehre.30 „Die Eine Natur" Gottes, die sich zur Dreiheit der Personen entfaltet, welche ist sie? Darüber herrscht auch deshalb Verwirrung,31 weil Schelling sie immer wieder als den .dunklen' Grund und etwas .Irrationales' oder ,Verstandloses' 32 in Gott bezeichnet hat. Aber was ist irrational in einem Verhältnis zwischen Personen? Auch dies hat Schelling so oft gesagt, dass man der Sache fast überdrüssig wird, nämlich es ist - im Falle Gottes - natürlich die L i e b e t die es nicht für einen Raub achtet, für sich die Totalität zu sein, und sich daher ihrer Absolutheit begibt, um absolut ffirderhin nur noch mit dem schlechthin anderen, d.h. anderen Personen sein zu können. 34 So handelt jede götüiche Person kraft

28 Vgl. zuerst in der Philosophie der Kunst (1804): „Handlung, Geschichte ist überall nur, wo Vielheit ist. Insofern also Handlung in der göttlichen Welt ist, insofern muß auch in ihr Vielheit seyn." (SW V, 436). 29 So Schelling sehr deutlich in seiner Antwort an Eschenmayer, SW VIII, 172 f. 30 Weltalter 1. Fassung, 69. 31 Stellvertretend für viele, die einer solchen Verwirrung zum Opfer gefallen sind, nenne ich die sonst sehr einschlägige Jenaer Dissertation von E. Schertel, Schellings Metaphysik der Persönlichkeit, Leipzig 1911; eine fleißige, aber nicht sehr scharfsinnige Zusammentragung von relevanten Stellen aus dem gesamten CEuvre. 32 Vgl. ζ. В. die Antwort an Eschenmayer, SW VIII, 173. 33 Ebenfalls schon in der Darlegung gegen Fichte: „Dieses ewige Band der Selbstoffenbarung Gottes, dadurch das Unendliche das Endliche, und hinwiederum dieses in jenem aufgelöst ist, ist das Wunder aller Wunder, nämlich das Wunder der wesentlichen Liebe (welche allein durch den Gegensatz zur Einheit mit sich selbst dringt), oder das Wunder der Lebendigkeit und Wirklichkeit Gottes" (SW VII, 59). 34 Zum ersten Mal von Schelling formuliert im System der gesamten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere (1804) [= Würzburger System], SWVI, 407 f. in Bezug auf die verschiedenen Geschlechter, die jeweils ganze und substantielle Wesen sind, obwohl sie nur zusammen (in-

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ihrer gemeinsamen Natur auf ihre Weise und offenbart sich als je andere gegenüber der Natur, die sie gleichwohl vereinigt. Rational wäre es gewesen - so will es wenigstens scheinen - wenn die Liebe in vollkommener Indifferenz für sich allein das einzig Absolute geblieben wäre. Doch was tut man nicht alles - aus Liebe.

3. Drei Elemente der Person Wie bereits erklärt, braucht die Person Natur, d.h. braucht einen Ursprung und Widerhalt für ihr Auftreten, der sie von anderem, das es sonst noch geben mag, unterscheidet, davon absetzt. ,Natur' bedeutet für Schelling zweierlei: zum einen gegebene Bestimmtheit, Beschaffenheit und Wesen; zum anderen Ursprung und Dasein aufgrund von Werden oder Hervortreten. Von Natur ist immer Bestimmtes an bestimmter Stelle zustandegebracht in Absetzung von anderem, das es auch noch gibt. Freilich ist auch all das andere von Natur, so daß sich die Frage stellt, was es macht, dass das eine dies und das andere das ist. Die Natur gibt von sich her keine Antwort auf diese Frage, sondern ist Ursprung von allem gleichermaßen. Aber wieso ist, wenn z.B. viele Wurzeln die Erde durchziehen, das eine Wurzel, das andere Erde, nicht beides zusammen Wurzelerde? Aber wenn Quarzadern den Felsen durchziehen, beides zusammen Gestein? In seiner früheren Zeit (bis 1806) hatte Schelling gemeint, mit der ursprünglichen Vielfalt der Natur allein genug zu haben: Wie es Eine Natur ist, die alle Dinge erzeugt und hervortreibt und in ihrer Freiheit allgewaltig beherrscht, so muß es Eine den Menschen göttlich überwältigende Grundanschauung und Ansicht des Geistes seyn, aus welcher alles, das göttlicher Art ist, in Wissenschaft und Kunst hervorgeht; was nicht aus dieser entspringt, ist eitel, ist Artefakt, ist menschliches, nicht Naturwerk. [...] Aber diese Ursprünglichkeit ist eben daher von der Persönlichkeit gänzlich verschieden; es ist keine Eigentümlichkeit des Geistes, die sich der Mensch selbst aus eiteln Gründen zu erringen vermöchte, sondern jeder, der auf diese Weise trachtet frei zu sein, ist eben dadurch ein Sklave. [...] was nicht von Natur ist, ist eitel, und was der Person angehört, soll nicht bestehen.35

Worauf glaubte Schelling damals noch Verzicht tun zu können, wenn er von einem Erkennenden nur forderte, sich ganz der göttlichen Natur und Ursprünglichkeit zu überlassen und seiner eignen Person gleichsam zu entsagen, um das Wahre zu erkennen oder zu schaffen? Was ist das andere Element der Person, das zur Natur noch hinzukommen muß, damit die sich in Verschiedenes scheidet? Wenn Sie sich als sich und daher als von allem unterschiedene Person betrachten, fühlen Sie dann nicht, dass im Grund Ihres Bewußtseyns etwas durch keinen Begriff Aufzulösendes liegt, etwas Dunkles, gleichsam als Halt ihrer Persönlichkeit? [...] Sollen wir nun sagen

sofern wie Teile) organisches Leben gewährleisten. Hier fehlt allerdings noch die Nutzbarmachung des Liebesverhältnisses für den Gedanken der Selbstoffenbarung des Einen. 35 Vorwort zu den Jahrbüchern für Medizin (1806), SW VII, 133 f.

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[...], dass uns dieses an sich Dunkle von der Natur komme oder anderswoher? Ohne Zweifel von der Natur. 36

Was uns „von der Natur kommt", ist nicht selbst noch einmal die Natur, sondern schreibt sich einerseits von ihr her und wächst andererseits nicht ihr selbst - der Natur - zu, sondern dem, das (oder der) jeweils seinen Halt darin findet. Schelling bezeichnet dies andere Element gelegentlich als „Position", während die Natur das „Seyn" oder „Wesen" bleibt.37 Im Verhältnis zu einer Natur findet die Persönlichkeit, findet jedes durch Natur bestimmte Individuum einen Halt in sich gegenüber dem, was nicht es, sondern anderes ist. Läge bloße Natur allein vor, so bestünden zwar gewisse Unterschiede des Wesens oder der Beschaffenheit, ohne dass sie jedoch die Beschaffenheit jeweils von etwas oder jemandem wären. Das ist genau die Situation noch in den oben zitierten Überlegungen aus der Darlegung gegen Fichte, obwohl Schelling hier beginnt, durch eine Integration ursprünglicher Andersheit im Absoluten und durch den Gedanken, dass Indifferenz nur eines von mehreren bezeichne, mit dem die offenbare Mannigfaltigkeit erst in Gegensatz stehen könne, eine individualisierende Positionierung vorzunehmen. Später wird dieser formale Unterschied immer deutlicher herausgearbeitet, dass also nicht allein die Differenzen der Natur, sondern erst deren Zuordnung zu zählbaren Positionen so etwas wie Individualität und persönliches Selbst gewährleisten kann. Nicht also die bloße, sondern die einem Selbst oder einer Persönlichkeit Halt gebende Natur, d.h. die positionierte Natur ist Natur von einem gewissen Individuum; genau einem einzigen, das gerade diese und keine andere Natur oder Beschaffenheit an sich bindet und in sich vereinigt. Infolgedessen meint Schelling auch nicht, dass die Natur oder das Wesen eines Individuums per se etwas ,Dunkles' zu sein hätten, sondern dunkel ist allenfalls das, was die Bindung der betreffenden Natur an ein Individuum ausmacht, nämlich solange noch eine gewisse Unentschiedenheit besteht zwischen dem, was von der ihm haltgebenden Natur dem daraus existierenden, individuellen Selbst angehört, und was nicht; was sich die Person sozusagen anverwandelt und wovon sie sich trennen wird. Durch eine jede Handlung der Person wird eine Möglichkeit aus ihrer Natur zur Existenz des Selbst adoptiert, während die Gegenmöglichkeit von der Person verabschiedet wird. Da das bei einer zeitlich existierenden Person ein ganzes Leben lang dauert, bleibt, wie Schelling sagt, immer ein Rest von Dun-

36 Clara, SWIX, 68. 37 Vgl. z.B. Stuttgarter Privatvorlesungen, SWVII, 426f.: „Die reale Einheit (die unter dem Exponenten von B) verhält sich als Seyn, die ideale (die unter dem Exponenten von A) als Position des Seyns. Nun ist aber das Seyn für sich [die Natur oder das Wesen] auch schon Position: also ist die Position des Seyns eine Position der Position, d.h. eine Position der zweiten Potenz." Diese Ausdrücke sind von Schelling mit Recht wieder verworfen oder durch immer andere ersetzt worden. Sie können aber deshalb gut zur Erläuterung dienen, weil das Motiv sie einzuführen für Schelling erklärtermaßen die Behauptung einer „reellen Unterschiedenheit" (Stuttgarter Privatvorlesungen, SWVII, 426) im Absoluten über das hinaus, was er in seiner identitätsphilosophischen Phase durch eine bloß reflexive Doublierung des Wesens in der Form zu bewerkstelligen versuchte.

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kelheit zurück;38 während da, wo eine Natur ganz entschieden und entweder in das persönliche Selbst verwandelt und ihm anverwandelt (wie Schelling sich ausdrückt: .verklärt'), oder aber endgültig abgetrennt ist, da bleibt auch keine Dunkelheit zurück.39 Es heißt darum nicht eine Dunkelheit oder Trübung eintragen, wenn laut Schelling sogar in Gott oder dem Absoluten außer dem Wesen oder der Natur (im früher allein herrschenden Sinn) als zweites Moment zur Person auch noch die Positionierung als Selbst gedacht werden muß: Alle stimmen überein, dass die Gottheit ein Wesen aller Wesen, die reinste Liebe, unendliche Mittheilsamkeit und Ausschließlichkeit ist. Doch wollen sie zugleich, dass sie als solche existiere. Aber von sich selbst gelangt die Liebe nicht zum Seyn. Seyn ist Seinheit, Eigenheit, ist Absonderung; die Liebe aber ist das Nichts der Eigenheit, sie sucht nicht das Ihre und kann darum auch von sich selbst nicht seyend seyn. Ebenso ein Wesen aller Wesen ist für sich selbst haltlos und von nichts getragen; es ist an sich selbst der Gegensatz der Persönlichkeit, also muß ihm erst eine andere auf Persönlichkeit gehende Kraft Grund machen. 40

Nur durch ein solch naturbasiertes internes Verhältnis zu sich selbst kann nach Schelling generell ein Wesen ein von jedem anderen Ding oder Individuum getrenntes, ja sogar ein von Gott unterschiedenes Wesen sein. Gott, der nach seiner früheren Philosophie eben gar nicht verschieden von jedem anderen sein konnte, da er nur als das Wesen aller Wesen begriffen wurde. Auf den Menschen angewendet, bedeutet das nun: Das aus dem Grund der Natur emporgehobene Prinzip, wodurch der Mensch von Gott geschieden ist, ist die Selbstheit in ihm, die aber durch ihre Einheit mit dem idealen Prinzip Geist wird. Die Selbstheit als solche ist Geist, oder der Mensch ist Geist als ein selbstisches, besonderes (von Gott geschiedenes) Wesen, welche Verbindung eben die Persönlichkeit ausmacht. 41

Wie das letzte Zitat deuüich macht, kommt außer den beiden vorher genannten Elementen: (1) der Natur und im Verhältnis zu ihr (2) der eigenen Position eines Selbst, ein drittes Element zur Konstitution einer Person hinzu. Denn die besagte, mehr oder weniger entschiedene Verwandlung der haltgebenden Natur in das so oder so offenbare Existieren der Person erfolgt im wesentlichen als Geist oder Bewusstwerdung ihrer selbst, also, wie das Zitat es ausdrückt, durch die Einheit der im Selbst gebundenen Natur „mit dem idealen Prinzip". Obwohl man sich aller möglichen Dinge bewusst sein kann, ist jedes be38 „Dieses ist an den Dingen die unergreifliche Basis der Realität, der nie aufgehende Rest, das, was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen lässt, sondern ewig im Grunde bleibt. Aus diesem Verstandlosen ist im eigentlichen Sinne der Verstand geboren. Ohne dies vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der Kreatur; Finsternis ist ihr notwendiges Erbteil" (Freiheitsschrift, SW VII, 359f. [= Bu 32, 17-22]). Hier liegt jedoch der Akzent eindeutig auf dem Wort „Kreatur", d.h. einem zeitlich existierenden Wesen. 39 „Gott allein - Er selbst der Existierende - wohnt im reinen Lichte, denn er allein ist von sich selbst." (Freiheitsschrift, SW VII, 360 [= Bu 32,24 ]). 40 Die Weltalter. Bruchstück (1814 oder 1815) [= Weltalter 1815], SW VIII, 210. 41 Freiheitsschrift, SW VII, 364 [= Bu 36,27-33].

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wusste Wesen doch zuerst seiner selbst bewußt, d.h. also des individuellen ,Haltes', den es aus seiner Natur (die ihm hingegen nicht oder nur undeutlich und dunkel bewusst sein kann) bezieht. Darin ist also die von der Natur gewonnene Selbstheit in Bewusstsein gefasst; und dies ist nach Schellings Terminologie „Geist" oder eine „Persönlichkeit". Dreierlei braucht demnach die Person nach Schelling: erstens Natur; zweitens eine entschiedene Position zu ihr als individuelles Selbst mit dieser Natur; drittens Bewusstsein von ihrem Selbstsein. Persönlichkeit ist eine individuell gehaltene („selbstische") Natur, die denkt oder Bewusstsein von sich hat.42 Weil die Person nicht nur durch den internen Unterschied zwischen positioniertem Selbst und Natur gekennzeichnet ist, sondern zudem (im dritten Element) ihrer selbst auch bewußt ist, kann sie dieselbe Person oder dasselbe Selbst bleiben, indem sie zugleich ihre Natur verändert oder gar wechselt. Schelling bezeichnet den Geist gerne als „das natura sua Seyende, eine aus sich selbst brennende Flamme". 43 Die Natur oder das Sein, sprich: die Beschaffenheit des Wesens ist nicht seine Bestimmung oder Definition, sondern der Fundus von Möglichkeit (,Grund'), aus dem er sich als individuell Existierendes holt und erneuert; d.h. der Fundus, aus dem er lebt. Die Natur verhält sich zum aus ihr existierenden Geist nicht nur materiell, sondern sogar instrumenteil: sie ist der Weg oder das Werkzeug seiner Existenz. „Unser Seyn ist nur Mittel, Werkzeug für uns selbst".44 Was durch seine eigene Natur lebt wie der Geist, ist einerseits in so enger Verbindung mit einer Natur, dass beide (das individuell Lebendige und seine Natur) zusammen nur ein Individuum sind. Jedoch sind sie andererseits und zugleich so unterschieden, dass er als dasselbe Leben auf eine andere Natur gleichsam umsatteln könnte (was bloß Lebendiges nicht vermag), so wie eine Flamme - die Metapher des Geistes - eben nicht nur aus sich selbst brennt, sondern auch aus ganz unterschiedlichem Brennmaterial, das sie sich fortwährend anverwandelt. Wenn es nicht möglich wäre, die genannten drei Aspekte im selben Wesen zu unterscheiden, so gäbe es keine lebendige, erst recht keine personale Individualität. Sind sie aber überhaupt unterschiedlich, so bleiben sie es auch in der völligen Koinzidenz oder „Indifferenz" als ein und dasselbe Lebendige. Die „bestimmte Natur" bildet zwar eine Begrenzung oder Limitation - sogar in Gott - aber diese wird zugleich so gedacht, dass 42 Das ist nicht allzu weit entfernt von klassischen Definitionen, etwa der des Boethius: „persona est naturae rationabilis individua substantia" (Contra Eutychen et Nestorium,

c. 3) oder des Richard

von St. Viktor: „persona est intellectualis naturae incommunicabilis existentia" (Trin. 4, 22); vgl. dazu im Einzelnen B. Kible: Artikel „Person II", in: Historisches

Wörterbuch

der

Philosophie,

Bd.7, 283-300. Schelling selbst nimmt offenbar direkt Bezug auf solche Definitionen, wenn er in den Weltaltern

1. Fassung, 52 schreibt: „Es ist in dem ersten Wirklichen ein [...] Kreaturwidriges

Prinzip, welches die eigentliche Stärke in Gott ist. [...] Es ist so nothwendig anzuerkennen als die Persönlichkeit Gottes. Wird doch schon in der Sprache älterer Philosophie die Persönlichkeit erklärt, als der letzte Akt oder die letzte Potenz, wodurch ein intelligentes Wesen unmittheilbarer Weise besteht." 43 Zum Beispiel Stuttgarter Privatvorlesungen, 44 Stuttgarter Privatvorlesungen,

SW VII, 436.

SW VII, 456; 466.

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THOMAS BUCHHEIM

sie einerseits in Deckung mit dem dadurch Existierenden ist, es andererseits jedoch dasselbe bliebe, wenn die betreffende Natur oder Beschaffenheit verändert oder ausgewechselt würde. 45 So ist nach Schelling allein der reine Geist. Denn er kann eben ganz dasselbe bleiben im Umsatteln auf andere Natur, d.h. ein völlig anderes Werkzeug seiner Existenz adoptieren. Was wir als endliche Personen ja in gewissem Maße auch können. Wir sind nicht gebunden an die uns einmal verliehene Natur. Wir können uns von ihr scheiden und uns ,neu definieren', Neues unternehmen und dennoch dieselben bleiben. Je geistiger, d . h . in je innigerer Verbindung von Selbstheit und Bewusstsein eine Person existiert, umso leichter kann sie eine einmal angenommene Natur gegen eine andersartige eintauschen. wenn Persönlichkeit nach unserer früheren Erklärung auf der Verbindung eines Selbständigen mit einer von ihm unabhängigen Basis beruht, so nämlich, dass diese beiden sich ganz durchdringen und nur Ein Wesen sind: so ist Gott durch die Verbindung des idealen Prinzips in ihm mit dem (relativ auf dieses) unabhängigen Grunde, da Basis und Existierendes in ihm sich notwendig zu Einer absoluten Existenz vereinigen, die höchste Persönlichkeit. 46 Wir bekommen damit die Situation, die Schelling immer neu beschrieben und intellektuell entfaltet hat: dass ein Ausgangspunkt des Systems, der als lebendig oder personal bezeichnet wird, d . h . einer, der als fähig erachtet wird, sein Wesen merklich zu machen oder zur Geltung zu bringen, also sich zu manifestieren, in sich nicht schlechthin einfach sein kann: Jedes Ding, um sich zu manifestieren, bedarf etwas, was nicht es selbst ist sensu stricto. (Diese Auffassung ist eigentlich nur gegen die abstrakten Begriffe von Gott als ens realissimum - illimitatissimum, Gott ist freilich nicht limitiert gegen außen, aber in sich, so gewiß er eine bestimmte Natur ist) 4 7 Erst eine Selbstabgrenzung gegenüber von anderem macht persönlich: Da es an sich kein persönliches Bewusstsein geben kann, ohne sich von einem andern zu unterscheiden, so kann das persönliche Bewusstsein Gottes nur darauf beruhen, dass ihm eben seine Nichtbesonderheit zur Besonderheit, seine Unendlichkeit zur Endlichkeit oder Individualität wird. Dieses ist nur im Verhältniß relativ oder aus einer Reflexion Gottes in sich selbst, zu denken 4 8

45 Vgl. mit wünschenswerter Deutlichkeit Initia philosophiae universae, 150: „Nicht Gott selbst wird ein Seiendes, er wird nicht seiend dadurch, dass er etwas wird, sondern dadurch, dass das andere etwas wird. Nur dadurch wird Gott Gott, dass das, was ihm gleich war, aber mit der Möglichkeit, ihm ungleich zu werden, ihm wirklich ungleich wird, damit er in seiner Lauterkeit und Blosheit sich darstelle. Nicht Gott selbst wird ein Seiendes; er bleibt in sich selbst die ewige Freiheit, zu sein: absoluter Geist". 46 Freiheitsschrift, SWVII, 394 f. [= Bu 66, 25-33]. 47 Stuttgarter Privatvorlesungen, SWVII, 435. 48 F.W.J. Schelling, Initia philosophiae universae. Erlanger Vorlesung WS 1820/21, hg. von H. Fuhrmans, Bonn 1969,151.

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Denn andernfalls, wenn es Begrenzung gegen anderes als wiederum Gott selbst wäre, wäre Gott nicht unendlich. Deshalb muß ein sich selbst offenbarender Gott oder ein Absolutes, das sich soll offenbaren können, trinitarisch oder jedenfalls mehipersonal verfasst sein. Man kann diesen Abschnitt dahingehend zusammenfassen: Die Person braucht Natur, um zu leben oder zu existieren; aber sie ist nicht Natur, sondern mittels der Natur, d.h. die Person hat oder besitzt eine Natur, aufgrund derer sie im Bewusstsein ihrer selbst lebt oder wirklich ist. Wollte man eine einfache konstitutionstheoretische Abfolge der erklärten drei Elemente der Person aufstellen, so ergeben Natur plus individuelle Position ein lebendiges Selbst; während dieses plus Bewusstsein davon die Person ausmacht. In den übrigen vier kurzen Abschnitten möchte ich, ohne weitere Berücksichtigung der zeitlichen Entwicklung von Schellings Denken, den Begriff der Person vor dem Hintergrund der anfangs aufgezählten persontypischen Hauptstränge seines Denkens schildern und jeweils anhand einiger ausgewählter Stellen zeigen, wie sich der zentrale Begriff der Person im Verhältnis zu ihnen für Schelling darstellt.

4. Person und Identität Die Person ist, wie gesehen, eine individuelle Identität durch ihre Natur, aber zugleich nicht angewiesen auf gerade die Natur, in der sie sich zuerst findet. Dies kann sie nur sein als ein Bewusstsein, das sich selbst ablöst von seiner ihm Halt verleihenden Natur und etwas anderes sein will. Persönlich nennen wir ein Wesen gerade nur, inwiefern es frei vom Allgemeinen und fiir sich ist, inwiefern ihm zusteht, außer der Vernunft nach eigenem Willen zu seyn. 4 9

Wenn man erkennt oder sagt, wer jemand ist, muss man immer auf allgemeine Kennzeichen, Charaktere und Beschaffenheiten rekurrieren, die eben die Natur der Person charakterisieren. Dennoch kann man niemanden darauf festnageln, in diesen Charakteren fortzuexistieren. Man muß vielmehr immer damit rechnen, dass ein und dieselbe Person sich zur Unkenntlichkeit verändert, sich willentlich distanziert von allem, was sie bisher gewesen, und dennoch dieselbe ist. Ihr steht, wie Schelling sagt, zu, „frei vom Allgemeinen" zu sein und außerhalb jeder vernünftigen Zuteilungen nur ihrem Willen zu folgen. Eine Person wechselt durch sich selbst (ihren Willen) ihre allgemeinen Kennzeichen und Umstände - sie hat keine naturale, sondern vielmehr eine geschichtliche Identität. Für die naturale Identität sind die allgemeinen Kennzeichen konstitutiv; für die geschichtliche Identität sind sie nur eine zurechenbare (aber nicht definierende) Spur ihrer Tätigkeiten. Die geschichtliche Identität des personalen Individuums ist also über der Natur und von der Natur unabhängig: „Gott selbst ist Uber der Natur, die Natur sein Thron, sein Unterge-

49 Darstellung der reinrationalen Philosophie, SWXI, 281.

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THOMAS BUCHHEIM

ordnetes".50 Und diese Fähigkeit, sich geschichtlich über die Bedingungen der Natur hinwegzusetzen, definiert vielleicht am meisten, was nach Schellings Auffassung .Personsein' bedeutet. Wenn also Gott sich in sich selbst geschieden hat, so hat er sich als Seyendes von seinem Seyn geschieden: was eben auch im Menschen der höchste moralische Akt ist. Unser Seyn ist nur Mittel, Werkzeug für uns selbst. Der Mensch, der sich nicht von seinem Seyn scheiden (sich von ihm unabhängig machen, befreien) kann, der ganz verwachsen ist und eins bleibt mit seinem Seyn, ist der Mensch, inwiefern er ganz in seine Selbstheit versunken ist und unfähig sich in sich selbst zu steigern - moralisch und intellektuell. Wer sich von seinem Seyn nicht scheidet, dem ist das Seyn das Wesentliche. Ebenso bliebe Gott verwachsen mit seinem Seyn, so wäre kein Leben, keine Steigerung. Darum scheidet er sich von seinem Seyn, dass es nur Werkzeug für ihn ist.51 Die Grundidee eines solchen geschichtlich-personalen Verhältnisses Gottes zur Natur fasste Schelling bereits erstaunlich früh - mitten in der Hochzeit seiner Identitätsphilosophie, nämlich 1802 im § 42 der Philosophie der Kunst, wo er mit Anregungen aus Dante und Lessing den Stoff zu einer Mythologie und damit Poesie des Christentums ,konstruiert'. Der Stoff der griechischen Mythologie war die Natur, die allgemeine Anschauung des Universums als Natur, der Stoff der christlichen die allgemeine Anschauung des Universums als Geschichte, als einer Welt der Vorsehung.52 Diese Anschauung des Universums als Geschichte ist wiederum zentriert um die Idee der „Menschwerdung Gottes" als der Handlung einer Person: Der ganze Geist des Christenthums ist der des Handelns.53 Es ist eine Menschwerdung Gottes in der Absicht, das von Gott abgefallene Endliche durch die Vernichtung in seiner Person mit Gott zu versöhnen.54 Ich kann das hier nicht weiter ausbreiten, aber der Clou im Sinne unserer Überlegungen zur personalen Identität besteht darin, dass die zweite Person Gottes, also Christus, auch nach Schelling zwar in zwei Naturen existiert, aber in keiner von ihnen, wie Schelling sagt, „eine poetische Person ist". Poetisch oder zur Poesie geeignet ist nämlich eine Person dann, wenn sie durch eine bestimmte Natur ihre eindeutige Definition und damit poetische Gestalt und Wirkungsmächtigkeit erhält. Aber Christus ist im Sinne keiner seiner Naturen wirkungsmächtig, sondern vielmehr „freiwillig leidend" oder „duldend". Selbst als Mensch genommen kann Christus doch nie anders als duldend genommen werden, weil die Menschheit bei ihm übernommene Last, nicht Natur ist, wie den griechischen Göttern.55

50 51 52 53 54

Stuttgarter Privatvorlesungen, SW VII, 437. Ebd., 436. Philosophie der Kunst, SW V, 427. Ebd., 433. Ebd., 432.

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Der handelnden Person, umso höher sie moralisch steht, ist ihr durch allgemeine Prädikate zu beschreibendes Sein nicht eigentlich „Natur", d.h. nicht erschöpfender Ursprung und komplettes Dasein, sondern freiwillig „übernommene Last" oder Aufgabe. Die Person ist nicht definiert durch die Natur, aus der sie zuerst existiert, sondern sie gibt sich selbst zu erkennen durch ihr Handeln, d.h. ihre Geschichte. Schelling ist weit entfernt, die philosophische Tragweite solcher Ideen schon zu dieser Zeit wirklich zu erkennen, geschweige denn in der Lage, sie in eine Gedankensystematik umzumünzen. Jedoch ist ganz deutlich, dass dies die ersten Vorboten seiner positiven Philosophie und aller ihrer Vorversuche seit der Freiheitsschrift sind.

5. Person und Handlung Bereits 1802 im schon erwähnten §42 der Philosophie der Kunst spricht Schelling aus, dass die Idee einer handelnden Person nur im Verhältnis mehrerer Personen, d.h. in einer gewissen „Vielheit" sinnvoll ist. Der Hauptpunkt, auf den es hier ankommt, ist, einzusehen, wie dem allgemeinen Charakter der Subjektivität und Idealität des Christenthums gemäß das Symbolische hier durchaus in das Handeln (in Handlungen) fallen müsse. Wie die Grundanschauung des Christenthums die historische ist, so ist es nothwendig, dass das Christenthum eine mythologische Geschichte der Welt enthalten müsse. Die Menschwerdung Christi ist selbst nur in Zusammenhang mit einer allgemeinen Vorstellung der Menschengeschichte denkbar. Es gibt im Christenthum keine wahre Kosmogonie. Was im A.T. davon vorkommt, sind sehr unvollkommene Versuche. Handlung, Geschichte ist überall nur, wo Vielheit ist. Insofern also Handlung in der göttlichen Welt ist, insofern muß auch in ihr Vielheit sein. 56

Schelling hat erst sehr viel später begrifflich-systematisch explizieren können, was er so früh bereits mehr geahnt als erkannt zu haben scheint, dass nämlich Handlung nicht nur als ,Ausfluß' oder .Emanation' eines ursprünglich tätigen Wesens verstanden werden kann, sondern eine echte Äußerlichkeit oder Extemalität des Handelnden gegenüber den Umständen, die er durch sein Handeln setzt oder beeinflusst, verlangt. In einer Handlung gibt sich der Handelnde zwar zu erkennen, aber zieht sich zugleich zurück auf sich oder verharrt als derselbe jenseits seiner Handlungen oder in einer gewissen Unabhängigkeit von ihr. Erst eine solche Unbetroffenheit und Überlegenheit gegenüber der eigenen Handlung belegen wir mit dem Begriff der Zurechenbarkeit zu einer Person. Der späteste Schelling definiert deshalb mit schlichten Worten: Person ist das Subjekt, dessen Handlungen eine Zurechnung zulassen.57

Die Äußerungen oder Manifestationen von Personen sind, wie früher schon hervorgehoben, Handlungen; und es gibt keine Handlungen außer von Personen. Das Besondere der 55 Ebd., 432f. 56 Ebd., 435 f. 57 Darstellung der reinrationalen Philosophie, SWXI, 536.

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Handlung im Unterschied zum Verhalten oder zur Tätigkeit und Aktivität besteht darin, dass Handlungen zugerechnet werden, aber nicht konstitutiv sind fur die Identität der handelnden Person. Während Verhaltensweisen und Aktivitäten das Leben des lebendigen Individuums konstituieren, es nicht mehr dasselbe ist ohne diese Aktivitäten. Der frühere Schelling indessen hatte dieses Element in seinen systematischen Schriften noch nicht gefasst; so z.B. in den Ausführungen des Würzburger Systems 1804: Ein Ding nun, inwiefern es der vollkommene Grund der Realität von irgendetwas ist, erscheint als handelnd. (Ich sage der vollkommene Grund; denn tritt irgend eine fremde Bestimmung hinzu, so ist das Ding insofern nicht handelnd, sondern leidend. Nur insofern die Realität des Dings rein aus seinem Wesen, d.h. aus demjenigen in ihm folgt, was keiner Bestimmung fähig ist - und dies ist überhaupt das Wesen eines Dings - nur insofern und nur insoweit können wir im strengen Sinne sagen, dass jenes gehandelt habe).58

Hier liegt die Verwechslung des Handelns mit einem statischen Emanationsverhältnis auf der Hand; der Text stellt einen klaren konzeptuellen Rückschritt gegenüber einer offenbar bereits 1802 gehegten Ansicht über die wahre Natur des Handelns dar - dass sie nämlich Vielheit und damit echte Äußerlichkeit erfordere. Jahrzehntelang verfolgte Schelling dieses Erfordernis des Handelns: nach außen zu gehen in ein Verhältnis zu anderem, während seine Ursache bei sich als dasselbe (wie ohne die Handlung) verharrt, unter dem Stichwort der „Selbstoffenbarung", die eben nur als Handlung und damit nur geschichtlich und personal gedacht werden kann. Wie aber kann Selbstoffenbarung durch eine Handlung gedacht werden, wenn ihr ein nicht offenbarer (und damit impersonaler) Zustand des Absoluten irgendwie vorauf liegt? Es war dies ein einigermaßen verzweifeltes Ringen Schellings um die richtigen Begriffe, diese Äußerlichkeit des Handelns nicht nur darzustellen, sondern durch eine Art Urhandlung - bisweilen „Contraktion" genannt - zu erzeugen, für das ich nur ein typisches Beispiel anführen möchte: Will also das Urwesen die Entzweiung der Potenzen, so muß es diese Priorität der ersten Potenz als eine wirkliche setzen (jene bloß ideale oder logische Priorität in eine wirkliche verwandeln), d.h. es muß sich selbst freiwillig auf die erste einschränken, die Simultaneität der Principien, so wie sie ursprünglich in ihm ist, aufheben. [...] In der Kraft sich einzuschließen liegt die eigentliche Originalität, die Wurzelkraft. [...] Contraktion aber ist der Anfang aller Realität. [...] Eben die[se] Herablassung Gottes ist das Größte auch im Christenthum. [...] Dieser Akt der Einschränkung oder Herablassung Gottes ist freiwillig. Es gibt also keinen Erklärungsgrund der Welt als die Freiheit Gottes. [...] von einer Handlung der absoluten Freiheit lässt sich kein weiterer Grund angeben; sie ist so, weil sie so ist, d.h. sie ist schlechthin und insofern nothwendig.59

Hier beginnt Schelling schon wieder rückfällig zu werden in seine alten Denkmuster. Denn daraus, dass irgendein Grund nicht noch einmal einen anderen Grund hat, scheint nicht seine Notwendigkeit zu folgen. Wenn meine Zuneigung zu jemand der primäre Grand meiner Sorge für ihn ist, so folgt daraus, dass diese Zuneigung nicht noch einmal einen anderen Grund hat, nicht, dass sie notwendig wäre. 58 Würzburger 59 Stuttgarter

System, SW VI, 537 f. Privatvorlesungen,

SW VII, 4 2 8 f .

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Die verlangte Äußerlichkeit des Handelns lässt sich indessen gar nicht erzeugen, sondern sie muss immer schon vorausgesetzt werden. Deshalb ist die Vielheit oder Mehrpersonalität des trinitarisch verfassten Absoluten eine so wichtige und philosophisch zündende Idee. Alle Freiheit gründet zuerst in dem Verhältnis zwischen handelnden Personen und kann diesem nicht voraufgehen. In seiner spätesten Philosophie, wie z.B. der Darstellung der reinrationalen Philosophie im schon zitierten Zusammenhang, ist dies Schelling endlich klar geworden. Der „Staat" oder besser: das tatsächliche Vorhandensein einer Gemeinschaft von Personen ist die Bedingung für Zurechenbarkeit des Handelns, damit auch für Verantwortlichkeit und Freiheit. Das bloße moralische „Gesetz" und sein subjektives Bewusstsein reicht dazu nicht hin. Denn ich muss mich beim Handeln darauf verlassen, dass das Gesetz tatsächlich solches vorschreibt, wie nicht nur ich es auffasse, und dass es einen Unterschied macht, ob ich und wer alles dieser von mir unabhängigen Vorschrift folgt oder nicht. Dies alles wäre für ein einsames subjektives Bewusstsein völlig unausführbar: Und gleichwie ich das Gesetz zu beobachten gehindert bin, wenn es nicht alle beobachten, ebenso kann ich auch nicht ausüben, was mir zusteht, z.B. mich von etwas zum Herrn zu machen, wenn nicht alle es anerkennen. Es ist also offenbar, dass vermöge des bloßen Gesetzes der Mensch vielmehr unfrei seyn würde, und das Individuum überhaupt erst frei ist, wenn unabhängig vom Willen des Einzelnen und demselben zuvorkommend die Gemeinschaft schon besteht. Dieses thatsächliche, d.h. von der Vernunft und also auch dem Gesetz unabhängige Vorhandenseyn der Gemeinschaft ist also ein praktisches Postulat der Vernunft selbst, eine Voraussetzung, ohne welche das Gesetz gar kein Verhältnis zum Einzelnen als solchen hätte, und wodurch dem Individuum eine Gesinnung erst möglich gemacht wird.60

Nur innerhalb einer Gemeinschaft von handelnden Personen kann es nach diesen Überlegungen der einzelnen Person zurechenbares, d.h. verantwortliches und somit freies Handeln geben.

6. Person und Sittlichkeit Das staatlich garantierte Gesetz und der Zustand des Handelns unter dem Gesetz ist freilich für Schelling nur ein Zwischenzustand in Richtung auf eine eigentlich personal gedachte, freie Sittlichkeit des Handelns. Ohne dies hier langwierig ausbreiten zu wollen, scheint Schelling den Gedanken zu haben, dass Personen in vollendeter Sittlichkeit gerade durch ihr Handeln oder durch die Tat die Bedingung ihrer unterschiedenen Existenz wieder aufgeben können. Dies lässt sich denken unter dem Stichwort der ,Liebe', das Schelling seit 1806 häufig bemüht hat, um den Zustand höchster Sittlichkeit - der gleichsam nur göttlichen und gottmöglichen Sittlichkeit - auszudrücken:

60 Darstellung

der reinrationalen

Philosophie,

S W X I , 535 f.

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THOMAS BUCHHEIM

Der Ungrund teilt sich aber in die zwei gleich ewigen Anfänge, nur damit die zwei, die in ihm, als Ungrund, nicht zugleich oder Eines sein konnten, durch Liebe Eins werden, d.h. er teilt sich nur, damit Leben und Liebe sei und persönliche Existenz. Denn Liebe ist weder in der Indifferenz, noch wo entgegengesetzte verbunden sind, die der Verbindung zum Sein bedürfen, sondern (um ein schon gesagtes Wort zu wiederholen) dies ist das Geheimnis der Liebe, dass sie solche verbindet, deren jedes für sich sein könnte und doch nicht ist, und nicht sein kann ohne das andere.61

Schelling bezieht sich hier selbst auf eine andere seiner Schriften zurück (Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie von 1806), in der er den gleichen Gedanken schon auf ähnliche Weise formuliert hatte. Dort fügte er hinzu, der Vergleichspunkt zur Liebe liege insbesondere darin, „dass, was für sich absolut sein möchte, dennoch es für keinen Raub achtet, es für sich zu sein, sondern es nur in und mit den andern ist".62 Die Pointe der Liebe besteht darin, dass Personen in ihr die innegehabte Möglichkeit oder Macht zu selbständig unabhängiger Existenz durch ihr Handeln aufgeben, um nicht mehr ohne einander existieren zu können. Sie begeben sich ihrer Macht und Unumschränktheit, weil sie sie „nicht für einen Raub achten", d.h. für nichts, auf dessen Besitz sie so sehr angewiesen wären, dass sie ihn nicht freiwillig für das höhere Gut des sittlichen Seins oder vollendeter Moralität drangäben. Zu Anfang des 4. Abschnitts hatte ich den Satz Schellings aus den Stuttgarter Privatvorlesungen zitiert, wonach „der höchste moralische Akt" darin besteht, sich als Person „von seinem Sein zu scheiden". Das Sein aber ist in diesem Fall (d.h. dem des Absoluten' oder Gottes) die absolute und konkurrenzlose Macht alleiniger Existenz - der „göttliche Egoismus", wie Schelling dies im selben Zusammenhang bezeichnet hat: Ebenso die Liebe ist Gott selbst, der eigentliche Gott, der Gott, der durch die andere Kraft ist. Der göttliche Egoismus dagegen ist die Kraft, die nicht selber ist, sondern wodurch nur die Liebe, d.h. der wahre Gott ist. 63

Der götdiche Egoismus wird so (d.h. durch die Entscheidung zur Liebe) zur Vergangenheit' Gottes, von der er sich trennt und verabschiedet. Damit kann auch außer Gott noch etwas anderes sein. Es ist also das Aufgeben des Alleinseins, obwohl Alleinsein in der Macht dieses individuell Existierenden steht, das - sehr natürlich - ,die Liebe' genannt wird; und die Liebe ist eine zwischen Personen, die ihr Alleinseinkönnen durch freiwilliges Handeln aufgeben, um nicht mehr ohne einander zu sein. Indem sich der Alleinseiende seines Egoismus begibt, kommt die Natur Gottes wirklich zum Vorschein, nämlich die Liebe. Wer einwenden möchte, dass dies ein Trick sei und nicht aus einem einzigen Individuum plötzlich mehrere werden könnten, die in gegenseitiger Liebe verbunden sind, der möge einerseits bedenken, wie wir es anstellen, uns zu vermehren; andererseits ins Kalkül ziehen, dass eben Gott, wenn er überhaupt existiert, nur unendlich und damit einzig, nicht neben anderem existieren kann. So muss, soll er trotzdem Liebe sein, Gott selbst als meh61 Freiheitsschrift, SW VII, 408 [= Bu 79,25-34]. 62 Aphorismen 63 Stuttgarter

zur Einleitung in die Naturphilosophie, Privatvorlesungen,

SW VII, 439.

SW VII, 174.

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rere, die sich lieben, existieren. Gottes Sohn ist Gottes Klon; und seine Liebe zu anderen Personen zugleich Selbstliebe.

7. Person und Trinität Gott selbst - in derjenigen „Besonderheit" oder „Limitation", die ihm allein zukommt kann nur als derselbe in mehreren Personen existieren. Denn er kann nichts .Besonderes' im Sinne der Verschiedenheit gegenüber von etwas oder jemand anderem sein, sonst wäre er endlich. Wenn er denn überhaupt ein Bestimmter ist, so nur in Beziehung auf sich selbst, d.h., wie Schelling schreibt, im Wege der „Reflexion"; aber einer Selbstbeziehung, die einen wirklichen oder „reellen Unterschied" in ihm selbst manifestiert. Dies - einen reellen Unterschied darzustellen - leistet in jedem Fall und ohne Möglichkeit der Reduktion auf ein Individuum (sei es beschaffen, wie es wolle) eine Mehrheit von füreinander handelnden Personen. Die Liebe besteht, wie schon gesagt, in solchen Handlungen für einander; nur bei uns nicht so vollendet und nicht so ausschließlich wie, wenn überhaupt, bei Gott. In welchen Handlungen besteht die Liebe nach Schelling? Er probiert immer wieder drei Funktionen für das Stattfinden von Liebe durch: das Zeugen, das Scheiden und das Vereinen. So ordnet er jeder Person eine von diesen Funktionen für die Errichtung des Ganzen zu: dem Erzeuger das Zeugen, dem kritischen Richter das Scheiden (der drei Personen sowohl wie der Welt von Gott wie der Guten und Bösen) und dem versöhnenden Geist die Einigung, so dass dann - dank aller dieser Funktionen oder Handlungen - die Liebe uneingeschränkt sei. Solange die drei Funktionen für sich wirken, je ihren eigenen Wirkungskreis besitzen, solange wirken sie verschiedene Zeiten oder Weltalter. Erst wenn alles vollbracht wäre, was sie zu handeln haben, hätten wir den Moment oder die Simultaneität der nicht nur in sich, sondern in allem zusammen wirkenden Liebe: wie die Schrift von Christus sagt: Er muß herrschen, bis dass er alle seine Feinde unter seine Füße lege. Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod (denn der Tod war nur notwendig zur Scheidung, das Gute muß sterben, um sich vom Bösen, und das Böse, um sich vom Guten zu scheiden). Wenn aber alles ihm Untertan sein wird, alsdann wird auch der Sohn selbst Untertan sein dem, der ihm alles untergetan hat, auf dass Gott sei Alles in Allem. Denn auch der Geist ist noch nicht das Höchste; er ist nur der Geist, oder der Hauch der Liebe. Die Liebe aber ist das Höchste. Sie ist das, was da war, ehe denn der Grund und ehe das Existierende (als getrennte) waren, aber noch nicht war als Liebe.64

Es geht nicht darum, dies für rationale Philosophie auszugeben, denn das soll sie nicht einmal sein. Vielmehr ging es darum zu zeigen, dass Schelling die formalen Erfordernisse und Strukturzüge personaler Existenz nicht nur sehr gründlich untersucht hat und in seiner Terminologie zur Darstellung bringen kann, sondern dass er sie zu benutzen weiß, um klassischen Problemen der Metaphysik (wie zum Beispiel dem der Freiheit des Menschen 64 Freiheitsschrift,

SW VII, 405 f. [= Bu 77, 15-27].

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T H O M A S BUCHHEIM

neben der Allmacht Gottes oder der zeitlichen und kontingenten Verfassung der Welt trotz Notwendigkeit und Überzeitlichkeit ihres Prinzips etc.) auf eine neuartige, nicht ganz aussichtslos scheinende Weise begrifflich zu Leibe zu rücken.

BIRGIT SANDKAULEN

Dieser und kein anderer? Zur Individualität der Person in Schellings „Freiheitsschrift"

1. Schellings neuer personalitätstheoretischer Ansatz Im aktuellen Diskurs über Personen tut man sich schwer, unter den Texten der klassischen deutschen Philosophie eine Adresse einschlägiger Erörterungen zu finden. Eine Ausnahme bildet Schelling, was wie so oft für sein problemoffenes Gespür zu sprechen scheint. Zwar steht die Person oder die „Persönlichkeit", wie Schelling vorzugsweise sagt, nicht im Zentrum seiner Philosophischen Untersuchungen Uber das Wesen der menschlichen Freiheit, sondern - dies bezeichnet schon der Titel - die Thematik der Freiheit. In diesem Kontext aber ist der Begriff der Person offenbar von entscheidendem Belang. Denn irgendwelche allgemeinen Entitäten, Prinzipien oder Gesetze handeln nicht. Akteure eines freien und als solchen zurechnungsfähigen Handelns sind vielmehr stets Personen: das gilt für Gott und ebenso für den Menschen. Mit dieser Einsicht verabschiedet sich Schelling, so sieht es jedenfalls auf Anhieb aus, von seiner bisherigen Philosophie, die sich zwar von Beginn an dem „A und O" der Freiheit verschrieben, dem Personsein dabei aber nur eine ausdrücklich negative Rolle zuerkannt hatte.1 Anstatt als Voraussetzung der Freiheit war es hier im Gegenteil als ihr Hindernis benannt, insofern das Bewußtsein, das Personen von sich haben, ihre Endlichkeit, ihre empirische Verstocktheit in die Welt der Objekte indizierte. So gefaßt, war der Begriff der Person strenggenommen ein Begriff der theoretischen Philosophie, der in Hinblick auf die absolute Freiheitsdimension des Unbedingten per se ohne Bedeutung und in praktischer Rücksicht zu überwinden war. Der tätig anzustrebenden „Zerstörung unserer Persönlichkeit" entsprach mit anderen Worten, daß das absolute Frei-Sein als persönliches zu begreifen lediglich das Relikt orthodoxer Vorurteile verriet. Unterdessen aber lesen sich die Dinge ganz anders. Im Zuge der Anbindung des Personbegriffs an das Problemfeld der Freiheit wird aus einem vormals in theoretischer Einstellung zu beschreibenden defizitären Befund die ausgezeichnete Kondition aller Praxis, deren ihrerseits veränderte Auffassung sich nicht zuletzt darin zeigt, daß das Absolute nunmehr zum persönlichen Gott mutiert. Ihm als der ,,höchste[n] Persönlichkeit" kommt

1

Vgl. zum Folgenden insbesondere den Brief Schellings an Hegel vom 4.2.1795 im Zusammenhang mit seiner Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen [= Ichschrift].

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BIRGIT SANDKAULEN

der Charakter der Person sogar in hervorragender Weise zu, während die Rede von Gott als einem ,,unpersönliche[n] Wesen" jetzt als eklatantes philosophisches Gebrechen gebrandmarkt und auf die Unzulänglichkeit der Positionen Fichtes und Spinozas bezogen wird.2 Tatsächlich lenkt Schelling damit aber nur von einem Umstand ab, der ebensosehr ihn selber in genau dem Maße betrifft, wie sich sein vormaliges Konzept der intimen Anlehnung an Spinoza und Fichte wesentlich verdankte. Was den Positionswechsel der Freiheitsschrift veranlaßt hat, soll hier nicht näher erörtert werden. Zu vermerken ist aber, daß Schellings Neueinsatz zumindest nicht ohne Hinsicht auf Jacobi denkbar ist. Dafür spricht nicht allein, daß Jacobis prominente Kritik an den Systemkonzepten Spinozas und Fichtes ihrerseits stets schon im Namen personaler Freiheit argumentiert und dabei die Tätigkeit sowohl der absoluten Substanz als auch des absoluten Ich als eine systemkonforme bloße „Actuosität oder Agilität"3 gekennzeichnet hatte, die den Ausdruck einer freien Handlung zu Unrecht usurpiert: zu Unrecht deshalb, weil es hier, sei es in Gestalt des Absoluten oder seiner endlichen Modifikationen, einen konkreten Täter nicht gibt und auch nicht geben kann, der für eine Handlung ursächlich verantwortlich ist. Für den fraglichen Einfluß spricht darüber hinaus, daß Schelling auch die auf seine eigene Natur- und Identitätsphilosophie gemünzte Stellungnahme Jacobis zur Kenntnis genommen haben dürfte, deren Stoßrichtung es war, den systemischen Monismus mit der Insistenz auf einem „Dualismus" zu konfrontieren.4 Festzuhalten ist schließlich, daß die Freiheitsschrift selber den systemkritischen Vorbehalt Jacobis zwar als eine „alte", wenngleich „keineswegs verklungene Sage" präsentiert, dabei aber den fundamentalen Einwand, wonach „der Begriff der Freiheit mit dem System überhaupt unverträglich" ist, dem Problemaufriß ihrer Ausführungen zugrundelegt.5 Vor dieser Folie gewinnt denn auch deren veränderte Positionierung offenbar ihre eigentliche Kontur. Unter Beweis zu stellen ist demnach, daß ein System der Freiheit sehr wohl möglich ist: ein System nämlich, das - in Kontinuität zu den früher erhobenen Ansprüchen - einen universalen Begründungszusammenhang thematisiert, und das zugleich - im Bruch mit früheren Optionen - die Freiheit nicht als lediglich „formelle",6 sondern als die wirkliche Freiheit personal handelnder Akteure zu integrieren versteht. Die Bestimmung menschlicher Freiheit als „Vermögen des Guten und des Bösen" hängt damit zusammen.7 Die Frage, die im folgenden zur Verhandlung steht, zielt indessen auf eben dieses Programm: hat Schelling sein Konzept wirklich oder nur dem Wortlaut nach geändert? 2 3 4 5 6 7

F.W.J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände [= Freiheitsschrift], SWVII, 395. F.H. Jacobi, Ueber die Unzertrennlichkeit des Begriffes der Freyheit und Vorsehung von dem Begriffe der Vernunft, Werke, hg. v. F. Roth u. F. Koppen, ND Darmstadt 1980 [= JW], Band II, 320. F.H. Jacobi, Drei Briefe an Koppen, in: W. Jaeschke (Hg.), Transzendentalphilosophie und Spekulation, Philosophisch-literarische Streitsachen 2.1, Hamburg 1993, 235-260,256. Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 336. Ebd., 347,349. Ebd., 352.

DIESER UND KEIN ANDERER?

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Hat er sich wirklich von spinozanischen Systemvorgaben emanzipiert oder klingt dies nur so? Anders gefragt: was genau besagt seine neue emphatische Rede von der Person?

2. Einheit und individuelle Identität der Person „Persönlichkeit", so Schelling, beruht „auf der Verbindung eines Selbständigen mit einer von ihm unabhängigen Basis". 8 Prämisse dieser Erklärung ist die zuvor angegebene Differenz, wonach ontologisch zwischen dem Grund von Existenz und dem Existierenden im Sinne von zwei Aspekten eines Wesens zu unterscheiden ist. Darauf wird im einzelnen zurückzukommen sein. Bemerkenswert ist jedenfalls schon jetzt, daß Schelling die ursprüngliche Einsicht in diese ontologische Grundverfassung dem Einsatz seiner Naturphilosophie zuschreibt und damit die These verbindet, dergestalt je schon „aufs bestimmteste von dem Wege des Spinoza" abgewichen zu sein.9 Um die Abgrenzung gegenüber Spinoza ist es entscheidend zu tun - insofern sie aber Schelüng zufolge bereits naturphilosophisch vollzogen war, soll das neue Konzept der Persönlichkeit auf diesem Fundament problemlos aufbauen dürfen. Diese Behauptung ist alles andere als klar. Was immer aber es damit genauer auf sich haben mag: im Vorgriff auf die Bestimmungen, die Schelling in die ursprüngliche Differenz zwischen Grand und Existierendem im weiteren einträgt, kann man hinsichtlich seines Personbegriffs auf Anhieb folgendes festhalten. Danach gilt erstens, daß die Struktur personaler Existenz nicht einfach, sondern in sich differenziert ist: die Einheit der Persönlichkeit übergreift eine interne Differenz. Und dies wiederum bedeutet zweitens, daß es für Personen charakteristisch ist, ein „reales" und ein „ideales" Prinzip in sich zu vereinen: realerweise sind sie natürliche und demzufolge auch verkörperte Wesen, idealerweise zeichnet sie eine spezifische intellektuelle Kompetenz aus, deren Verbindung mit der natürlichen Basis das ausmacht, was Schelling den „Geist" einer Person nennt. 10 Ins Auge zu fassen ist also ein personales Gefüge, wonach das Sein von Personen niemals nur in mentalen Zuschreibungen des Bewußtseins besteht, aber auch nicht allein als eine besondere Art von Naturphänomen verstanden werden kann. Und zu berücksichtigen ist dabei weiter, daß die Weise der Verbindung natürlicher und intellektueller Aspekte ebensowenig auf so etwas wie eine genetische Aufstufung des Intellekts im Ausgang von der natürlichen Verfassung eines Lebewesens zurückzuführen ist. Der realen Unabhängigkeit der natürlichen Basis entspricht vielmehr die ideale Selbständigkeit des Denkens. Zusammengefaßt heißt das, daß Schelling ganz offenkundig die Absicht verfolgt, die Existenz von Personen gleichermaßen gegen idealistische und doppelt naturalistische Mißverständnisse zu verwahren und sie somit als eine Existenzform sui generis zu sichern. Daß dieses Programm als solches

8 Ebd., 394. 9 Ebd., 357. 10 Ebd., 364.

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BIRGIT SANDKAULEN

durchaus vielversprechend und im Blick auf die gegenwärtigen Diskussionen auch nicht irrelevant ist, ist vorderhand nicht zu bestreiten. Der entscheidende Punkt jedoch, auf den es im folgenden ankommt, ist mit alledem noch nicht benannt. Benannt ist bislang nur, daß die spezifische Existenzform von Personen die Binnendifferenz von natürlichen und intellektuellen Aspekten übergreift. Hinreichend wäre diese Erklärung aber erst dann, wenn sie in sich einschließen würde, daß das, was für jede Person im Allgemeinen spezifisch ist, sich nicht lediglich in allen einzelnen Personen identisch wiederholt, mit der Folge, daß man keine von der anderen unterscheiden könnte, sondern im Falle jeder einzelnen Person etwas je Bestimmtes meint. Die spezifische Struktur des personalen Gefüges muß etwas ihrerseits Spezifisches sein - mit anderen Worten: was in den Begriff der Person miteingehen muß, ist die Bestimmung ihrer Individualität. Blickt man auf die komplizierte Geschichte des Personbegriffs zurück, dann war es ja in der Tat die Kennzeichnung der „individua substantia" oder genauer der „individua subsistentia", mit der ehedem Boethius einem neuen Verständnis des Ausdrucks „persona" auf die Bahn verhalf.11 Inwieweit Schelling dieser Hintergrund vor Augen steht, sei hier dahingestellt. Wichtiger ist die sachliche Frage, ob und gegebenenfalls wie er selber diesem Erfordernis Rechnung tragen will. Denn so viel ist auch schon im zeitgenössischen Diskussionskontext klar: verfolgte er im Zuge seiner Rehabilitierung der Person das Interesse ihrer individuellen Existenz nicht, bliebe die Proklamation eines Systems der Freiheit zwangsläufig hinter der Problem vorgäbe Jacobis zurück, der von Anfang an auf der Individualität der Person bestanden, genau daran aber auch die These ihrer epistemischen Unzugänglichkeit gebunden hatte.12 Wie also steht es darum bei Schelling? Seine eben zitierte Erklärung als solche gibt darüber auffälligerweise keinen Aufschluß. Angesichts der auch hier dominanten Rede von der „Persönlichkeit" könnte man sogar prima facie auf eine entindividualisierte Lesart verfallen, insofern dieser Sprachgebrauch auf denjenigen Kants zurückzugreifen scheint, der der empirisch bestimmten Person die Persönlichkeit entgegengesetzt und damit das Universale der „Menschheit" angesprochen hatte, dem sich die jeweilige Person zu unterwerfen hat.13 Andererseits ergibt diese Konstellation wenig Sinn, soll doch, was Schelling „Persönlichkeit" nennt, gerade nicht den Hiatus zwischen „Sinnenwelt" und „intelligibler Welt", sondern vielmehr die Integration der bei Kant getrennten Welten zum Ausdruck bringen. Notiert man dies, dann bleibt zwar der Sprachgebrauch nichtsdestotrotz irritierend und womöglich auch verräterisch, aber ein Indiz dafür, daß Schellings von Kant abweichendes Konzept auch auf die Individualität der Persönlichkeit zielt, hat man damit durchaus in der Hand. Tat11 A . M . S . Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, in: Die Theologischen

Traktate, hg. v. M. Elsäs-

ser, Hamburg 1 9 8 8 , 7 4 , 7 6 . 12 Vgl. dazu von Verf., „Daß, was oder wer? Jacobi im Diskurs über Personen", in: W. Jaeschke u. Birgit Sandkaulen (Hg.), Ein Wendepunkt der geistigen cobi und die klassische deutsche Philosophie, 13 I. Kant, Kritik der praktischen

Bildung der Zeit. Friedrich Heinrich

Ja-

Hamburg [im Druck].

Vernunft, Akademieausgabe Band V, 87. Vgl. Grundlegung

Metaphysik der Sitten, Akademieausgabe Band IV, 429.

zur

DIESER UND KEIN ANDERER?

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sächlich ist denn auch die Auszeichnung der sogenannten „Selbstheit" zentral. „Selbstheit als solche", so Schelling, „ist Geist".14 Bezieht man diese Aussage in die Struktur des personalen Gefuges ein, dann heißt das, daß Geist demnach sowohl die Verbindung, die übergreifende Einheit der internen Differenz, als auch die je individuelle Identität dieser Einheit meint. Mit diesem von Schelling nahegelegten Ineinsfall von persönlicher Einheit und Identität sind die Probleme jedoch nicht gelöst, sondern genau hier fangen sie allererst an. Denn im Unterschied zu der im Anschluß an Boethius auf Richard von St. Viktor zurückgehenden Tradition und im Unterschied auch zu Jacobi kann es Schellings Intention nicht sein, die wesentliche Inkommunikabilität der individuellen Person zu unterstreichen. Sein Anspruch, einen systemischen Zusammenhang zu explizieren, verlangt vielmehr, den genannten Ineinsfall in seinem Zustandekommen zu durchschauen. Wie aber macht man das? Die anstehenden Schwierigkeiten bezeichnet treffend, daß es genau besehen zwei verschiedene Operationen sind, die Schelling hier bemüht, womit einhergeht, daß er de facto zwei verschiedene Konzeptionen persönlicher Identität entwirft. Die eine, die eben genannte „Selbstheit" nämlich, steht im Kontext mit den metaphysischen Grundannahmen der Ontologie. Danach gilt, daß es nicht etwa der Geist ist, der als ein Drittes bzw. Erstes gegenüber den beiden natürlichen und intellektuellen Aspekten der Person für ihre Individuiertheit genuinerweise einstünde. Vielmehr verdankt sich das individuelle Profil einer Person Schelling zufolge einem der beiden Relate, und zwar nicht dem „idealen" Aspekt des „Selbständigen", sondern der natürlichen „Basis". Es ist dieser Gedanke, der offenbar zwischen der früheren „Naturphilosophie" und der jetzt personalitätstheoretisch modifizierten Position die Brücke bilden soll, und dementsprechend kann man die hier wie immer als „Geist" artikulierte, die „zur Geistigkeit erhobene Selbstheit"15 als diejenige eines naturalen Selbst bezeichnen. Dem steht jedoch andererseits die Identität eines moralischen Selbst gegenüber, die auf eine dem zeitlich bewußten Leben der Person vorausliegende intelligible Tat zurückgeführt wird. Einer solchen „anfänglichen Handlung" soll schließlich allererst zuzuschreiben sein, daß der Mensch „kein unbestimmtes Allgemeines", sondern „dieser und kein anderer ist".16 Das wirft im nachhinein auf das naturale Selbst des Geistes ein seltsames Licht, indem dieses demnach nicht für die unverwechselbare Identität der Person bürgt. Wofür aber dann?

14 Schelling, Freiheitsschrift, 15 Ebd., 370. 16 Ebd., 384 und 389.

SWVII, 364.

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3. Die Unterscheidung zwischen Grund und Existierendem im Rückgriff auf Spinoza Nicht die übergreifende Einheit, sondern die individuelle Identität der Person ist der sensible Punkt in Schellings Programm: das sollte mit den voranstehenden Bemerkungen deutlich geworden sein. Dem nun genauer nachzugehen, erfordert allerdings einen gewissen Anlauf, der dem Fingerzeig Schellings folgend bei der schon genannten Differenz zwischen dem Grund und dem Existierenden einzusetzen hat. Dabei soll es sich um so etwas wie eine ontologische Generalaussage handeln, die in zwei Fällen jedoch, im Falle Gottes und des Menschen, zugleich tauglich sein soll, deren Persönlichkeit zu begründen, und zwar so, daß die Verfaßtheit Gottes derjenigen des Menschen vorgängig ist. Der metaphysischen Anlage des Textes gemäß mag man diese These zunächst einmal durchaus konzedieren - genau besehen trifft sie so indessen gar nicht zu. Zwar stellt die interne Verfassung des Absoluten in der Tat die Momente bereit, die dann in die Bestimmung der menschlichen Persönlichkeit eingehen. Daß man es dergestalt aber wirklich mit einer personalen Bestimmtheit zu tun hat, dies erfährt man im Verlauf des Textes erst, nachdem im Konnex mit der göttlichen Schöpfung vom Menschen die Rede ist. Hier, in Verbindung mit dessen „Selbstheit", fällt der Ausdruck „Persönlichkeit" buchstäblich zum erstenmal, und von hier aus wird er rückwirkend auf die Verfassung des Absoluten übertragen, auf einen Gott, der dann, aber auch erst dann, als die „höchste Persönlichkeit" firmiert. Es ist klar, daß sich die Argumentation damit im Kreise dreht, in einem Kreis zudem, der im Zuge der rückwirkenden Übertragung menschlicher Persönlichkeitsmerkmale auf Gott an der Last eines durchaus indiskreten Anthropomorphismus trägt und dies durch die Einkleidung in das Gewand theosophischer Spekulation auch noch drastisch unterstreicht. Jedoch soll im folgenden weder die zirkuläre Begründung als solche noch der damit verbundene anthropomorphe Zugriff auf das Absolute im Zentrum stehen. Bemerkenswert ist der Umstand, daß Schelüng eine bestimmte Verfassung des Absoluten erst nachträglich als personenspezifisch ausgibt, vielmehr aus einem anderen Grund: er könnte ein gewichtiges Indiz dafür sein, daß die Differenz zwischen dem Grund und dem Existierenden im Sinne von zwei Aspekten eines Wesens vorderhand tatsächlich gar nichts an sich hat, was dessen personale Kennzeichnung einleuchtend und unabweisbar erscheinen ließe. Worum handelt es sich in Gestalt dieser Differenz? Nimmt man den Anspruch der Freiheitsschrift ernst, daß sie trotz ihrer „Erzählung eines Mythos"17 Überlegungen von wissenschaftlichem Format vorzutragen hat, und versucht man demzufolge, durch die theosophische Diktion gleichsam hindurch auf das Strukturgerüst zu blicken, das dem Gedankengang zugrunde liegt, dann ist allem voran evident, daß der Unterscheidung zwischen Grund und Existierendem die Bestimmung der causa sui im Rücken liegt. Spätestens das Denkmal aufJacobi gibt das explizit zu verste17 Vgl. W. Jaeschke, „Freiheit um Gottes willen", in: H.M. Baumgartner u. W. Jacobs (Hg.), Schellings Weg zur Freiheitsschrift,

Stuttgart 1 9 9 6 , 2 0 2 - 2 2 2 , 2 1 3 .

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DIESER UND KEIN ANDERER?

hen: „Gott muß Etwas vor sich haben, nämlich sich selber, so gewiß er causa sui ist."18 Den Grund in Gott, der seine Basis in dem Maße bildet, wie er Ursache seiner selbst ist, identifiziert Schelling im weiteren mit der „Atowr" in Gott, um daran sogleich die Rede von Wille und Sehnsucht des Grundes anzuschließen. 19 Indessen empfiehlt es sich, diesen hier schon ausdrücklich anthropomorph gefaßten Zuschreibungen nicht unvermittelt zu folgen, sondern bei der Eingangsbestimmung noch ein wenig zu verweilen. Denn was im Theorieraum Schellings selbstverständlich zu beachten ist, ist dies, daß die causa sui die allererste Bestimmung in Spinozas Ethik ist: „Per causam sui intelligo id, cujus essentia involvit existentiam". 20 Daß Schelling diese Initiativdefinition Spinozas vor Augen steht, sagt er nicht explizit. Daß indes genau sie die Folie dafür abgibt, zwischen dem Grund, nämlich dem Wesen, und dem Existierenden, nämlich der Existenz, zu unterscheiden, ist deutlich. Ist es aber erlaubt, diesen spinozanischen Hintergrund in die Konstellation der Freiheitsschrift einzublenden? Hat Schelling nicht ausdrücklich versichert, im Zuge seiner Unterscheidung bereits in der Naturphilosophie „aufs bestimmteste von dem Wege des Spinoza" abgewichen zu sein? Nun kann man, ohne die Folie beiseitezulegen, der von Schelling behaupteten Distanznahme durchaus einen Sinn abgewinnen. Was bei Spinoza den Charakter einer instantan gesetzten und aufgehobenen Differenz hat, dies zieht Schelling, so scheint es ja, in eine wirkliche Differenz auseinander, womit aus dem Sein Gottes sein Werden wird und die Rede von Gott in eine bewußte Zweideutigkeit gerät: durch seine Verfassung geht ein Spalt, insofern der Grund in Gott nicht „Er selbst" als actu existierender ist.21 Jedoch beeilt Schelling sich nicht zufällig sogleich, den realen Spalt in Gott nicht in eine veritable Zerspaltung zu treiben, die das Werden Gottes als causa sui zuletzt völlig unverständlich machte. Folglich ist es in Wahrheit ein „Cirkel, daraus alles wird", was hier bedeutet, daß Grund und Existierendes einander wechselseitige Voraussetzung sind.22 Daß man die Essenz nicht ohne Existenz, die Existenz aber auch nicht ohne Essenz denken kann, hatte jedoch auch die Definition Spinozas festgehalten, deren dualistische Öffnung in Hinblick auf ein reales göttliches Werden Schelling damit wieder in Klammern setzt. Ist mithin ein wirklicher Fortschritt in den Theoriegrundlagen erzielt, dem sich zudem irgend ein Anhaltspunkt für eine personale Deutung abgewinnen ließe? Daß dem nicht so ist, der Fortschritt bislang also nur in einer symbolischen - und eben deshalb theosophisch zu schildernden - Einfärbung der spinozanischen Vorgaben besteht, scheint Schelling selbst geahnt zu haben. Zwar muß man viele Seiten weiteiblättern, um den, wie er meint, endgültig zureichenden Aufschluß darüber zu erhalten, was es mit der basalen Unterscheidung des Anfangs auf sich hat. Dafür stößt man hier dann aber auch 18 F . W . J . Schelling, F.W.J.

Schellings

Denkmal der Schrift von den göttlichen

Friedrich Heinrich Jacobi und der ihm in derselben

gemachten

Beschuldigung

täuschenden, Lüge redenden Atheismus [= Denkmal auf Jacobi], SW VIII, 62. 19 Schelling, Freiheitsschrift,

SW VII, 358 f.

20 B. de Spinoza, Ethik, hg. v. W. Bartuschat, Hamburg 1999,1, Def. 1. 21 Schelling, Freiheitsschrift, 22 Ebd., 358.

SW VII, 360.

Dingen des Herrn eines

absichtlich

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auf den „höchsten Punkt der ganzen Untersuchung. Schon lange hörten wir die Frage: wozu soll doch jene erste Unterscheidung dienen, zwischen dem Wesen, sofern es Grund ist und inwiefern es existirt? Denn entweder gibt es für die beiden keinen gemeinsamen Mittelpunkt: dann müssen wir uns für den absoluten Dualismus erklären. Oder es gibt einen solchen: so fallen beide in der letzten Betrachtung wieder zusammen."23 Einen „absoluten Dualismus" zu behaupten, führte in absurde Manichäismen, während seine Aufhebung in die Denkbahn Spinozas zurücklenken würde: das ist der Stand der Dinge, wie er sich schließlich darstellt. Um so bemerkenswerter ist Schellings Versuch, aus diesem Dilemma herauszufinden, nämlich durch die These einer ursprünglichen „Indifferenz", die „vor allem Grund und vor allem Existirenden, also überhaupt vor aller Dualität", sowohl die Einheit des göttlichen Wesens garantiert als auch den „Ungrund" dafür bildet, daß aus ihm die Dualität hervorbrechen' kann, wie es hier heißt.24 Dies klingt nun so, als distanziere sich Schelling von den Grundlagen Spinozas nun nicht mehr in Gestalt einer symbolischen Dynamisierung der causa sui, sondern in Richtung auf ein schlechthin Absolutes, das der spinozanischen causa sui selber noch vorausliegt. Tatsächlich aber kehrt er damit in anderer Weise doch nur wieder zu Spinoza zurück. Denn die Indifferenz, um deren Freilegung es in dieser nicht umsonst „dialektisch" genannten „Erörterung" geht,25 stellt der Struktur nach nichts anderes als den Punkt da, auf den Schelling je schon identitätsphilosophisch geblickt und damit die göttliche Substanz Spinozas als die Einheit ins Auge gefaßt hatte, die sich in Gestalt ihrer Attribute, als extensio also und als cogitatio, je als Ganze zu verschiedenem Ausdruck bringt. Liest man den Text genau, dann sieht man, daß Schelling eben diese Struktur, die ihm zuvor den Anlaß gab, eine reaUstische Naturphilosophie und eine idealistische Geistphilosophie parallel zueinander zu entwickeln, jetzt wiederholt. Der Ungrund nämlich kann dies „nicht anders seyn, als indem er in zwei gleich ewige Anfange auseinandergeht, nicht daß er beide zugleich, sondern daß er in jedem gleicherweise, also in jedem das Ganze, oder ein eignes Wesen ist" 26 Deutlich zu erkennen ist mithin, daß die Substanz - in der Stellung

23 Ebd., 406. 24 Ebd., 4 0 6 f . 25 Ebd., 407. 26 Ebd., 408. Vgl. damit die frühere Formulierung in Philosophie

und Religion,

SWVI, 24f.: „Die

dritte Form, in welcher die Reflexion das Absolute auszudrücken liebt, und welche vorzüglich durch Spinoza bekannt ist, ist die disjunktive. Es ist nur Eines, aber dieses Eine kann auf völlig gleiche Weise jetzt ganz als ideal, jetzt ganz als real betrachtet werden: diese Form entspringt aus der Verbindung der beiden ersten; denn jenes Eine und selbe, das, nicht zugleich, sondern auf gleiche Weise, jetzt als das eine, jetzt als das andere betrachtet werden kann, ist eben deßwegen an sich weder das eine noch das andere (nach der ersten Form), und doch zugleich das gemeinschaftliche Wesen, die Identität beider (nach der zweiten Form), indem es, in seiner Unabhängigkeit von beiden, dennoch gleicher Weise jetzt unter diesem, jetzt unter jenem Attribut betrachtet werden kann." Berücksichtigt man diese wörtliche Übereinstimmung der beiden Texte, dann erscheint es um so unplausibler, den „Ungrund" als einen dem Rekurs auf Böhme sich verdankenden Neueinsatz Schellings zu lesen, mit dem der Systementwurf „in seiner Mitte gebrochen" sei: R. Ohashi,

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des Ungrundes - der Fluchtpunkt ist, auf den Schelling die der causa sui abgewonnene Binnendifferenz zwischen Grund und Existierendem bezieht, womit sich zugleich erklärt, warum die beiden „ewigen Anfänge" in das „reale Prinzip" der Natur und das „ideale Prinzip" des Verstandes auseinandergehen. Denn offenkundig bildet Schelling zusammen mit der attributiven Stellung dieser beiden Prinzipien auch die inhaltlichen Vorgaben Spinozas, die Hinsicht auf extensio und cogitatio also, mit der Folge in seinem Konzept ab, daß beide Prinzipien allerdings in engstem Zusammenhang stehen, nicht aber aufeinander zurückgeführt werden können. Der unabhängigen Basis der Natur entspricht die ideale Selbständigkeit des Denkens: das kann man - als eine urspinozanische Einsicht - festhalten. Was aber hätte all das mit der Frage nach der Persönlichkeit zu tun? Wieso rehabilitiert es den Theismus, wenn man die Dynamisierung der causa sui in das Ausdrucksgefälle einträgt, das Spinoza je schon zwischen der Substanz und ihren Attributen am Werke sah? Nun könnte es so scheinen, als sei in dieser Problembeschreibung trotz allem zweierlei nicht bedacht. Die These, daß Schelling lediglich das ihn seit je beschäftigende Strukturmuster Spinozas nunmehr als personales Gefüge Gottes rekonstruiert, hätte danach übersehen, daß erstens das Attribut extensio mit Schellings Naturbegriff erklärtermaßen nicht identisch und zweitens das einigende Prinzip der Substanz eine Unterbestimmung dessen ist, was „Geist" genannt zu werden verdient. Tatsächlich sind dies Argumente, die Schelling selber in den Stuttgarter Privatvorlesungen dem Verdacht entgegenhält, es könne das „Spinozische System" mit dem „neueren Identitätssystem [...] im Grunde ganz einerlei" sein.27 Womit er interessanterweise nicht nur bestätigt, daß ein solcher Verdacht sich nahelegen kann, sondern in der Absicht, „mein System" durch eine „Uebersicht über die neuere Philosophie" zu erklären, auch den Grund dafür kenntlich macht: den cartesischen Substanzendualismus zwischen Geistigem und Materiellem zunächst und sodann die „absolute Identität beider Principien" bei Spinoza als Bezugsfiguren in den Blick zu nicken, zeigt ja, daß er sich wirklich und nicht nur unterstelltermaßen an dieser Konstellation der Attribute orientiert.28 Um so größer aber soll schließlich der Unterschied sein, da „Spinozas Physik [...] ganz mechanisch" und die Substanz hier nur als die „leere Identität" ihrer Attribute gefaßt sei, „anstatt sie zum Hauptgegenstand zu machen. Nämlich eben an dieser Stelle, wo Spinoza nichts sucht, eben hier liegt der Begriff vom lebendigen Gott, von Gott als höchster Persönlichkeit; daher ist ganz wahr, daß Spinoza die Persönlichkeit des höchsten Wesens wenigstens ignorirt, wenn nicht positiv leugnet."29 Obwohl beide Argumente in eine unterschiedliche Richtung zielen, liegt ihr Gemeinsames offenbar darin, als Anwalt des „Lebendigen" aufzutreten und demgegenüber Spinozas Metaphysik jene tote „Starrheit" zu unterstellen, von der auch die Freiheitsschrift „Der Ungrund und das System", in: O. Höffe u. A. Pieper (Hg.), F. W.J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, Klassiker Auslegen, Berlin 1995, 235-252, 245. 27 F.W.J. Schelling, Stuttgarter

Privatvorlesungen

[= Privatvorlesungen],

SWVII, 443. Die Rede

vom „neueren Identitätssystem" darf man hier besonders bemerkenswert finden. 28 Ebd., 443. 29 Ebd., 443 f.

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spricht:30 „Der Fehler seines Systems liegt keineswegs darin, daß er die Dinge in Gott setzt, sondern darin, daß es Dinge sind - in dem abstrakten Begriff der Weltwesen, ja der unendlichen Substanz selber, die ihm eben auch ein Ding ist."31 Und wenn eben dies wirklich nur eine Unterstellung wäre, die durch ihre stereotype Wiederholung bis hin zu Heidegger nicht triftiger wird? In der Tat mutet es überaus seltsam an, daß Schelling vergessen haben sollte, was er in seiner frühen Ichschrift sogar als die „erhabenste Idee im Systeme Spinozas"32 sehr wohl hervorzuheben wußte: daß nämlich hier die essentia Gottes als potentia, als absolute Macht oder Kraft behauptet wird. „Dei potentia est ipsa ipsius essentia."33 Geht man indessen davon aus, daß Schelling so vergeßlich unmöglich war, dann muß man seine Kritik an Spinozas vermeintlich totem Dinggebilde nicht nur mit äußerster Vorsicht zur Kenntnis nehmen, sondern darf vor allem die begründete Vermutung hegen, daß es genau diese göttliche Wesenspotenz bei Spinoza ist, deren Adaption den „Grund" in Schellings Konzept so lebendig und die Natur - in ihrer attributiven Gleichsetzung mit dem Wesen - so dynamisch macht. Wenn aber dergestalt von einer „aufs bestimmteste" vollzogenen Distanzierung von Spinoza in Wahrheit gar keine Rede sein kann, dann folgt daraus, daß die naturphilosophische Fundamentierung Gottes hinsichtlich der Frage nach seiner Persönlichkeit tatsächlich nichts beitragen kann. Gott als Person müßte Schellings eigenen Überlegungen zufolge nicht nur eine naturale Basis, eine unbewußte Kraft in sich haben. Diese Kraft müßte, wiederum nach seinen eigenen Überlegungen, eine individuelle Identität aufweisen: der Grund in Gott müßte ein individuierter sein. In diesem Sinne sprechen die Privatvorlesungen allerdings von einem ,,individuelle[n] Wesen" als der Basis des idealen Allgemeinen und identifizieren diese „erste Urkraft" mit einem „Egoismus in Gott", dem gegenüber sich die göttliche Liebe offenbart.34 Was aber ist hier das individuierende Prinzip? Es ist bezeichnend, daß Schelling diese Frage ebenso wie in der Freiheitsschrift nur im Vorgriff auf „menschliche" Verhältnisse35 beantworten und dabei zugleich nicht wirklich klar machen kann, was man sich bei der Behauptung göttlicher „Selbstheit"36 eigentlich zu denken hat. Ist es der göttliche Bewußtwerdungsprozeß, der, wie es einerseits scheint, die beiden Prinzipien scheidet und darin als solche kenntlich macht, so müßte der Grund je schon individuiert gewesen sein, ohne daß dafür eine Begründung gegeben worden wäre. Ist es aber dieser Prozeß, der, wie es andererseits scheint, in der Scheidung der Prinzipien die „Contraktion" des Grundes selber erst bewirkt,37 dann bleibt erst recht unerfindlich, von welcher Art ein Wesen ist, das seine von ihm abgespaltene Identität als

30 Schelling, Freiheitsschrift,

SW VII, 350.

31 Ebd., 349. 32 Schelling, Ichschrift, SWI, 195 f. 33 Spinoza, Ethik I, prop. 34. 34 Schelling, Privatvorlesungen, 35 Ebd., 432. 36 Ebd., 438. 37 Ebd., 434.

SW VII, 438.

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seine erkennt und integriert.38 Mit anderen Worten: achtet man jenseits der anthropomorphen Rede auf die Strukturen dieser Ontologie, dann gibt es hier ebensowenig wie bei Spinoza einen Grand, das in höchstem Maße lebendige Wesen Gottes anders denn als die Einheit einer anonymen absoluten Potenz zu denken, die sich als solche - instantan oder in einem ewigen „Zirkel" - aktualisiert. Analog verhält es sich deshalb auch mit dem Einwand, wonach Spinoza es versäumte, die „Substanz" zum „Hauptgegenstand" zu machen. Dies um der lebendigen Persönlichkeit Gottes willen nachzuholen, kann nun schwerlich bedeuten, auf die ursprüngliche Indifferenz des „Ungrundes" zu verweisen, stellt er ja in seiner „Prädicatlosigkeit"39 das absolute Gegenteil einer personalen Bestimmtheit dar. Folglich bleibt nur der Gedanke der „Verbindung", von dem anläßlich der ersten Verständigung über das personale Gefiige schon die Rede war: deijenigen Verbindung der differenten Prinzipien also, die Schelling als Geist bezeichnet hat. Insofern die Einheit nicht allein der Scheidung der Prinzipien substantial zugrunde liegt, sondern sie als geschiedene geistig übergreift, insofern ist Gott Person: so Schellings flankierendes Argument, das jedoch in seinem dialektischen Aufgebot einer Identität von Identität und Differenz nicht allein die individuelle Signatur dieser Person nicht angeben kann. Als personalitätstheoretische Überbietung Spinozas ist es zudem wiederum durch dessen entschieden verkürzte Präsentation erkauft. Denn daß der Gedanke einer geistigen Verbindung der Attribute Spinoza fremd sei, kann man mit Fug bezweifeln: schließlich ist es der intellectus infinitus, der hier die formale Scheidung der Attribute objektiv übergreift, und er ist es auch, der zuletzt in Gestalt des amor Dei intellectualis die substantiate Einheit als Liebesvollzug zum Ausdruck bringt. Geist und Liebe fehlen hier mithin so wenig, wie der Gedankengang der Ethik in diesen Bestimmungen sogar gipfelt: und erneut ist es schwer zu glauben, daß Schelling dies nicht gesehen und seinem eigenen Konzept - in personalistischer Denomination - zugrundegelegt haben sollte. Im Blick auf beide Einwände bleibt ein Paradoxon zuletzt zu bedenken. Selbst wenn man konzediert, daß Schelling eine Struktur übergreifender Einheit persönlich nennen möchte, und man weiter konzediert, daß deren individuelle Identität zugleich nur anthropomorph gedacht werden kann, so ist doch die Frage, wie man beides vereinbaren kann. Was bedeutet es für die Persönlichkeit Gottes, daß dessen „wahres und eigentliches Selbst" darin bestehen soll, die naturale Selbstheit der universalen Liebe unterzuordnen? 40 Wäre dieses „Selbst" dann etwas anderes als die höchste Selbstlosigkeit - und damit neuerlich etwas, das nur nominell Persönlichkeit wäre?

38 Angesichts dieser Problematik kann deshalb auch Schellings drittes Argument gegen Spinoza nicht überzeugen, daß nämlich hier die Attribute ohne wechselseitige Beziehung gedacht seien {Privatvorlesungen,

SW VII, 443).

39 Schelling, Freiheitsschrift, 40 Schelling, Privatvorlesungen,

SW VII, 406. SW VII, 439.

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BIRGIT S A N D K A U L E N

4. Die Ontologie der Person: Naturale Selbstheit ohne Selbst „Gott, oder, genauer gesprochen, das Wesen, welches Gott ist", so schärft Schelling im Denkmal auf Jacobi ein, ist „Grund - in zweierlei Verstand": er ist Grand von sich selbst, aber er „macht sich auch zum Grand, indem er eben jenen Theil seines Wesens, mit dem er zuvor wirkend war, leidend macht".41 So ,beginnt' die Schöpfung einer von Gott unabhängig sein sollenden Welt, unabhängig deshalb, weil die Differenz in Gott die Bedingung der Möglichkeit einer Differenz außer Gott abgeben soll. Will sagen: als Ursache seiner selbst ist Gott zugleich Ursache der Welt, insofern er sich kreativ auf seinen Grund als den Grund der Welt bezieht. Nach allem scheint es müßig, und doch ist es unverzichtbar zu vermerken, daß mit diesem zentralen Theorem Schellings selbstverständlich wieder nur einer der wichtigsten Sätze Spinozas in das „neuere Identitätssystem" eingeholt wird: „eo sensu, quo Deus dicitur causa sui, etiam omnium rerum causa dicendus est". 42 Dieses „eo sensu" will Schelling offenkundig explizieren, und zwar mit dem Interesse, im Zuge dieser Explikation den Gedanken einer freien persönlichen „That" dem notwendigen Vollzug einer anonymen „Begebenheit" zu kontrastieren.43 Damit geht nun einher, daß die Differenz zwischen Grand und Existierendem eine nochmals variierte Kennzeichnung erhält: nämlich diejenige von Grund und Ursache.44 Daß das Absolute als Übergreifendes der Differenz beides, „sowohl Grand als Ursache", ist, ist folgerichtig die Botschaft, die Schelling Jacobi entgegenhält, 45 dem er das Motiv der Ursache als eines persönlichen Handlungsprinzips zweifellos verdankt, gegen dessen Monitum aber, daß Grand und Ursache nicht vermischt werden dürfen, er sich entrüstet verwahrt. Das ist in einer Hinsicht seltsam. Denn der Umstand, daß Jacobi diese Vermischung ja nicht erst in der späteren Streitschrift gegen Schelling, sondern bereits in seinem Gespräch über Idealismus und Realismus und dann in der maßgeblichen Beilage VII seiner Spinozabriefe kritisiert, bedeutet, daß die Kritik ursprünglich an die Adresse Spinozas gerichtet war. Weil dessen System, so lautete hier der Einwand, die Logik des Grundes mit der des Handelns - ratio sive causa - vermischt, geht es über das rein rationale Implikationsverhältnis von Grand und Folge einerseits hinaus und gelangt eben damit andererseits doch nur zu einem „blind actuosen Wesen", das in Ermangelung einer eigenen „individuellein] Würklichkeit" 46 die reale Differenz eines Andersseins gar nicht erhandeln kann 47 Vor diesem Hintergrund ist klar, daß Schellings vermeintliche Innovation, das 41 Schelling, Denkmal auf Jacobi, SW VIII, 71. 42 Spinoza, Ethik, I, prop. 25, scholium. 43 Schelling, Freiheitsschrift,

SWVII, 396.

44 Vgl. ebd., 365. Vgl. auch: F.W.J. Schelling, Aphorismen

zur Einleitung in die

Naturphilosophie,

SWVII, 177. 45 Schelling, Denkmal auf Jacobi, SW VIII, 71. 46 Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn,

Werke Gesamt-

ausgabe, hg. v. K. Hammacher u. W. Jaeschke, Band 1,1, Hamburg 1998, 23. 47 Ebd., 255ff. Vgl. zu diesem ganzen Komplex von Verf.: Grund und Ursache. Die Jacobis, München 2000.

Vernunftkritik

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Sowohl-als-auch von Grund und Ursache, nicht nur keine ist, sondern in eins damit Gefahr läuft, sich in derselben Problemlage wie Spinoza zu verstricken, wie Jacobi sie von vornherein diagnostizierte. In anderer Hinsicht jedoch ist es verständlich, daß Schelling diesen Zusammenhang wissentlich oder unwissentlich ignoriert. Wie im Falle der Ontologie des Absoluten kommt es auch im Falle seines Verhältnisses zur Welt darauf an, über der Integration von Personalität und ursächlichem Handeln die Explikationsmacht eines systemischen Zusammenhangs nicht zu opfern. Beides soll sein - und daß Schelling wirklich und nicht nur zum Schein beides will, soll hier auch nicht in Abrede gestellt werden. In Hinblick auf das Absolute jedoch ist die Realisierung dieser Absicht de facto gescheitert, wie in den vorangehenden Überlegungen zu zeigen war. Im Duktus systemischer Entfaltung ist die Persönlichkeit Gottes nur die Denomination einer spinozanisch-identitätsphilosophisch geprägten Struktur, die dieselbe bleibt, wenn man sie anders nennt, wobei die beschworene individuelle „Selbstheit" im Verhältnis zum „wahren Selbst" Gottes die Problematik eigentlich kenntlich machte. Wie steht es aber nun um die Verfassung menschlicher Personen? Im Rahmen der ontologischen Grundlegung stellt sich eine gravierende Schwierigkeit hier zunächst einmal nicht. Denn die hinsichtlich des Absoluten offen gebliebene Frage, welches das Prinzip der Individuation des Grundes sein könnte, wird hier durch die Schöpfung beantwortet. Sein naturales Selbst, die individuelle Bestimmtheit des Grundes, findet demnach jeder vor: es ist die „Selbstheit", die vom göttlichen Verstand „aus dem Grunde der Natur emporgehoben" wird.48 Impliziterweise, so hat man dieses Emporheben wohl zu verstehen, enthält das absolute Wesen alle einzelnen Wesen real, aber ungeschieden in sich. Insofern entstehen sie nicht durch „äußere Vorstellung", 49 aber auch nicht durch eine creatio ex nihilo, sondern durch „wahre Ein-Bildung", durch ein Hineinbilden der „Idea", das „Erweckung", 50 mithin Aktualisierung des Realen, seine aktualisierende Explikation zu etwas ,,Begreifliche[m] und Einzelne[m]" ist.51 In den Termini eines Differenzgefälles zwischen Realität und Aktualität spricht Schelling hier selber nicht. Von Spinoza stammend, helfen sie indes, sich deutlich zu machen, wie man sich den Unterschied zwischen solchem, was im (attributiven) Grund impliziert, und solchem, was aus ihm expliziert, in Schellings Formulierung „ausgesprochen" wird 5 2 zu denken hat. Insofern sieht man zugleich aber auch deutlicher, daß Schelling jetzt über früher Gesagtes wirklich hinausgehend versucht, die bei Spinoza je schon - wenn auch um den Preis der angedeuteten Aporien - thematisierte Dimension der Aktualität seinerseits einzuholen: das also, wovon es bei Schelling zuvor stets nur hieß, es komme durch „äußere Vorstellung", mithin durch „Reflexion" zustande und sei in wahrer Anschauung

48 Schelling, Freiheitsschrift, 49 Ebd., 361. 50 Ebd., 362. 51 Ebd., 361. 52 Ebd., 363.

SW VII, 364.

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gerade zu negieren.53 In diesem Kontext drängt sich deshalb aber auch noch eine weitere Parallele auf. Die Aktualisierung des modalen Wesens faßt Spinoza in Gestalt des conatus, des Strebens nach Selbsterhaltung, in dem sich die göttliche Potenz im Einzelnen zum Ausdruck bringt. Schelling spricht, um die „Selbstheit" in ihrer lebendigen Dynamik zu kennzeichnen, vom ,,Eigenwille[n] der Creatur",54 er spricht wörtlich indes auch von dem „Trieb, sich nicht nur überhaupt, sondern in diesem bestimmten Daseyn zu erhalten", und er betont dabei, daß eben dieser Trieb zeige, daß „es nicht bloß eine geometrische Nothwendigkeit ist, die hier gewirkt hat", sondern daß die Begierde „das Schaffende selber gewesen" sei.55 Dies zielt natürlich neuerlich gegen Spinozas vermeintliche Dingmetaphysik, die hier lebendig überboten werden soll. Tatsächlich hat man es aber mit ein und demselben Gedanken zu tun - und insofern ist auch evident, daß so, wie Schopenhauers Willensmetaphysik in Schellings Freiheitsschrift ihre Wurzel hat, so diese in Spinozas Ethik. Allerdings ist dabei ein Differenzpunkt wesentlich und folgenreich. Bei Spinoza geht die göttliche Wesenspotenz im Ausdrucksgefüge der Substanz den Attributen voraus mit der Konsequenz, daß sie sich in beiden Attributen gleichermaßen zum Ausdruck bringt und in der modifizierten Gestalt des conatus somit die ,Mitte' des endlichen, aus Körper und Geist bestehenden einzelnen Wesens bildet.56 Demgegenüber schreibt zwar auch Schelling beiden Prinzipien eine Willensdimension zu. Im Zuge seiner attributiven Gleichsetzung des Wesens mit der Natur verschiebt er jedoch den eigentlichen Ausdruck des Willens in Gestalt des Eigenwillens auf die Seite des realen Prinzips, und sofern er dies tut, nimmt dieser Wille und damit die „Selbstheit" überhaupt potentiell die Züge eines Egozentrismus und in der Folge davon des „Bösen" an. Hinsichtlich seiner personalitätstheoretischen Konzeption wird dies beachtliche Auswirkungen haben. Indessen wird dies eigentlich erst den Entwurf des moralischen Selbst tangieren. Wie ist dem voraus das naturale Selbst der Person genauer zu verstehen, nachdem das bisher Gesagte ja für alles Lebendige einschlägig ist? Alles Lebendige strebt, sich zu erhalten, und insofern es aus dem göttlichen Grand der Natur durch den göttlichen Verstand expliziert ist, hat es dabei auch beide Prinzipien in sich: es verfolgt seinen Eigenwillen in einem Bezug zum Ganzen. Was indes dem Menschen Schelling zufolge seine ausgezeichnete Verfassung verschafft, ist dies, daß hier einem Höchstmaß individueller Profiliertheit ein Höchstmaß an Bewußtheit im wahrsten Sinne ent-spricht. Es herrscht „völlige Consonanz", wie Schelling mit Bezug auf die beiden Aspekte des Realen und Idealen sagt.57 Nun ist man zweifellos versucht, diese Konsonanz, da sie ja die spezifische Existenz von Personen kennzeichnen soll, als ein Selbstverhältnis zu fassen: Personen vollstrecken nicht einfach, was die Gesetze ihrer Spezies ihnen auferlegen, sondern sie treten zu dem natürlichen Interesse ihrer Selbsterhaltung ins Verhältnis, sie tun bewußt, was weniger 53 54 55 56

Vgl. z.B. F. W. J. Schelling, System der gesammten Philosophie, SW VI, 181 ff. Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 363. Ebd., 376. Vgl. Spinoza, Ethik III, prop. 9, scholium.

57 Schelling, Freiheitsschrift, SW VII, 363.

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komplexe Wesen blind tun. Das könnte eine Umschreibung dafür sein, daß die Selbstheit „durch ihre Einheit mit dem idealen Princip Geist wird" 58 und in Gestalt der Persönlichkeit damit die Gefangenschaft aller anderen Wesen in der Natur transzendiert. Jedoch liegt eben hier das Problem dieser Konzeption. Um das Gefüge einer „Konsonanz" als ein Selbstverhältnis fassen zu können, müßte die individuelle Identität einer Person von der Art sein, daß sie ihre Interessen von sich unterscheiden und auf sich beziehen kann. Wo aber wäre hier ein solches ,sich'? Daß der naturale Eigenwille einer Person ihr gewiß ihre physische Lebendigkeit gibt, daß er aber keinesfalls genügt, dem Konsonanzverhältnis die Dimension einer geistigen Selbstbezüglichkeit zu verschaffen, ist Schelling offenbar selber aufgefallen, indem er das Verhältnis von idealem und realem Prinzip in Adaption eines Passus bei Jacobi mit dem von „Selbstlauter und Mitlauter" parallelisiert.59 Jedoch ist der Unterschied eklatant. Denn während Jacobi an dieser Stelle mit dem Bild des vokalen „Selbstlauts" allerdings auf die individuelle Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit der Person verweist und seinem Konzept zufolge auch verweisen kann, 60 läuft Schellings Identifizierung von Selbstlaut und idealem Prinzip ins Leere, vertritt dieses doch als solches das Gegenteil aller Selbstheit, nämlich das Allgemeine oder Universale. Mithin mögen die beiden Prinzipien in der Person durchaus zusammenstimmen, aber der Zusammenklang, der so entsteht, hat lediglich den Charakter eines im Zuge der kreativen Entfaltung des Absoluten eingetretenen Ereignisses. Als Echo der Struktur des Absoluten hat er den Klang der Einheit, nicht den einer personalen Identität.61

5. Individualität als ursprüngliche Position: Die moralische Selbstkreation personaler Identität Die Verfassung der menschlichen Person, wie sie sich im metaphysisch begründeten Zusammenklang von Natur und Intellekt im wahrsten Sinne ergeben hat, hat eine „geistig gewordene Selbstheit",62 aber sie ist kein Selbst. Sich auf die bisher entwickelte personalitätstheoretische Konzeption Schellings als zureichend verlassen zu wollen, wäre darum wenig erfolg versprechend. Unterdessen gibt der Fortgang der Untersuchung dieser Diagnose recht. Zwar ist er, der Gesamtthematik gemäß, primär am Gefalle zwischen der Möglichkeit und der Wirklichkeit des Bösen oder Guten orientiert. Aber was Schelling unter dem Titel einer bloßen Möglichkeit darlegt, beschreibt den defizitären Status der 58 Ebd., 364. 59 Ebd., 363. 60 F.H. Jacobi, Über eine Weissagung Lichtenbergs,

JW III, 235.

61 Daß Schelling mit seiner Unterscheidung zwischen Grund und Existierendem bestenfalls zum Besonderen, nicht aber zum Einzelnen gelangt, vermerkt kritisch auch R. Adolphi, .„Geschehen aber zu denken ist immer das Schwierigste'. Zu den Problemen eines Prozeßansatzes in Schellings Freiheitsphilosophie", in: Schellings Weg zur Freiheitschrift, 62 Schelling, Freiheitsschrift,

SW VII, 365.

a.a.O., 2 5 2 - 2 7 1 , 2 6 7 .

50

BIRGIT SANDKAULEN

Persönlichkeit genau: daß die beiden Prinzipien im Menschen anders als im Absoluten potentiell „zertrennlich" sind,63 besagt nämlich, daß er in diesem Zustand der Potentialität erst noch am „Scheidepunkt" steht, an einem Punkt, an dem er „aus seiner Unentschiedenheit heraustreten" muß.64 Und eben dies bedeutet ja, daß da im Zustand solcher Unentschiedenheit wirklich noch keiner ist, keiner, der jemand wäre und die Aspekte des Realen und Idealen zu sich ins Verhältnis setzen würde. Dem entspricht auf der anderen Seite, was Schelling unter dem Titel der Wirklichkeit faßt und mit einer intelligiblen Tat in Verbindung bringt: die Entscheidung nicht für diese oder jene Handlung, sondern allem voraus für das „intelligible Wesen dieses Menschen" selbst.65 Das vermißte Selbst, die individuelle Identität der Person, kommt hier also allererst und in ganz anderer Weise als das bisher allein behandelte natürliche Eigeninteresse zur Sprache, in Gestalt einer „anfänglichen Handlung, durch welche [der Mensch] dieser und kein anderer ist", wie Schelling offenbar Jacobi zitierend sagt.66 Wobei der fundamentale Unterschied allerdings darin besteht, daß Jacobi solches „Selbstseyn" sich keineswegs einer Selbstkreation verdanken läßt, sondern lediglich von einem „WesenheitsgefühF spricht, in dem sich die jeweilige Person „als dieses Wesen" „findet" 67 Nun ist der Rückzug auf einen weiter nicht zu explizierenden Fund personaler Identität womöglich die einleuchtendere Lösung. Denn der Akt einer Selbstkreation ist entweder nur eine Metapher dafür, daß dieser Identität eine Binnenperspektive zueigen ist, die durch äußerliche Zuschreibungen nicht adäquat eingeholt werden kann. Oder aber dieser Akt müßte als der absolute Akt einer causa sui verstanden und dann konsequenterweise den Explikationen unterworfen werden, die Schelling sich angefangen mit der Unterscheidung zwischen Grund und Existierendem zuvor so angelegen sein ließ. Tatsächlich begegnet man hier einer überaus seltsamen theoretischen Situation. Denn einerseits ist evident, daß Schelling in Gestalt der intelligiblen Tat wirklich an den Vollzug einer causa sui denkt, die völlig spinozanisch nicht nur als Identität von Freiheit und Notwendigkeit68 sondern auch in „eo sensu" als causa rerum zu verstehen ist. Als causa rerum nämlich hier im Sinne einer causa für eine Serie von Handlungen, die aus dem selbstkreierten Wesen mit innerer Notwendigkeit folgen und im zeitlichen Leben der Person als solche nur zur Erscheinung kommen. Geradezu verblüffend muß man es angesichts dieser Evolution einer inneren und darum frei genannten Notwendigkeit finden, daß Schelling ausgerechnet jetzt, wo es um die menschliche Freiheit zu tun sein soll, jegliche Differenz zwischen dem Täter und seiner Tat negiert und einem „Fatalismus" seinen Lauf läßt, dem er in seiner systemischen Grundlegung gerade entgegentreten wollte. 63 Ebd., 364. 64 Ebd., 374. 65 Ebd., 384. Herv.v. Verf. 66 Ebd., 389. Vgl. bei lacobi: „Ein Unvergleichbares, ein Eines für sich und ohne anderes ist der Mensch sich selbst durch seinen Geist, den eigenthümlichen,

durch welchen er der ist, der er ist,

dieser Eine und kein anderer." (Über eine Weissagung Lichtenbergs, 67 Ebd., 234. 68 Schelling, Freiheitsschrift,

SW VII, 384.

JW III, 234).

DIESER UND KEIN ANDERER?

51

Um so bemerkenswerter ist deshalb aber auch auf der anderen Seite, daß Schelling darauf verzichtet, den Akt der Selbstkreation des individuellen Wesens in irgendeiner Weise mit den Mitteln seiner Ontologie zu durchleuchten. Was der Akt der Selbstkreation förmlich herausfordert, wird offenbar dadurch, daß es sich um die Kreation von Individualität handeln soll, verhindert. In diesem Sinne betont Schelling selbst, und dies nun in explizitem Kontrast zu Spinoza, daß „der Spruch: Determinatio est negatio" von der individuellen Bestimmtheit keineswegs gilt, „indem sie mit der Position und dem Begriff des Wesens selber eins, also eigentlich das Wesen in dem Wesen ist".69 Die Formulierung zeigt an, worauf man hier in der Tat zum erstenmal stößt: nämlich nicht auf die dialektische Struktur einer übergreifenden Einheit, die ihrerseits in einem prädikatlosen „Ungrund" wurzelt, sondern auf die Bestimmtheit einer ursprünglichen Position. „Dieser und kein anderer" - eben dieser fällt damit aus allen bisher von Schelling entwickelten Überlegungen radikal heraus und hat insofern auch, wie wohl zu beachten ist, in der Verfaßtheit der „göttlichen Persönlichkeit" keinerlei ontologisches Vorbild. Aus diesem Befund könnte man nun konsequenterweise den Schluß ziehen, daß Schelling, am Punkt einer ursprünglichen Position angelangt, seine systemischen Intentionen eigentlich einer radikalen Befragung hätte unterziehen müssen. Indessen hat er das nicht getan. Und das wiederum bedeutet, daß die Position individueller Identität nicht nur sogleich mit der eben skizzierten Logik spinozanischer Notwendigkeit ineinsgedacht wird.70 Es bedeutet vor allem auch, daß die Selbstkreation des Wesens mit der Kreation eines moralischen Selbst zusammenfällt, das in die ontologische Grundlegung in dem Maße eingepaßt wird, wie es sich zum Guten oder Bösen und demnach für eine jeweilige Konstellation der beiden Prinzipien zu entscheiden hat. Der „Böse" und der „Gute"71 werden damit zu den Figuren, an denen sich zeigt, was es heißt, entweder das reale Prinzip des Eigenwillens oder das ideale Prinzip des Universalwillens dem je anderen überzuordnen. Hätte Schelling emsthaft in Erwägung gezogen, worauf er mit dem Hinweis auf eine ursprüngliche Position des Selbst gestoßen war, hätte er jetzt erläutern müssen, wie sich dieses Selbst zum Gefüge der übergreifenden Einheit der beiden Prinzipien selber noch einmal verhält. Stattdessen gewinnt im Duktus der bisherigen Überlegungen die Leitfigur der naturalen „Selbstheit" von neuem die Oberhand, so daß das Selbst des „Bösen" eben darin besteht, den natürlichen Selbsterhaltungstrieb, anstatt ihn „zur Basis" zu machen, vielmehr zum Egoismus eines „Allwillen zu erheben", 72 während das Selbst des „Guten" umgekehrt darin besteht, die Selbstheit zu überwinden, sie „aus der Aktivität zur Potenti-

69 Ebd., 384. 70 Mit der These von Schellings präreflexivem Freiheitsbegriff hebt auch D. Sturma die Relevanz dieser ursprünglichen Position des individuellen Selbst hervor, dabei nimmt er jedoch an der internen Notwendigkeit der Selbstbestimmung keinen Anstoß: D. Sturma, „Präreflexive Freiheit und menschliche Selbstbestimmung", in: Schelling, Klassiker Auslegen, a.a.O., 149-172. 71 Schelling, Freiheitsschrift,

SW VII, 386.

72 Ebd., 389. Die Anspielung auf Jacobis Roman Allwill ist hier nicht zu übersehen.

BIRGIT SANDKAULEN

52

alität" zurückzubringen.73 Der Eigensinn der ursprünglichen Position verschwindet mit anderen Worten in der entschieden konsonanten Ordnung oder der entschieden dissonanten Verkehrung der Prinzipien, mit der Folge, daß der „Gute" nun nicht allein wieder seinen wohlbestimmten Ort in der Ontologie der göttlichen Verfassung findet, sondern, indem er seine naturale Selbstheit zu einer ganz im Sinne des Universalen wirkenden Kraft depotenziert, paradoxerweise als „dieser und keiner anderer" sich dafür entscheidet, durchaus kein „dieser", sondern der zu sein, der dazu beiträgt, daß in „ferner Zukunft [...] Gott Alles in Allem" sein wird.74

6. Die unpersönliche Aufhebung der Person So kann und muß man schließlich zusammenfassend sagen, daß Schelling einerseits - offenkundig verleitet durch Jacobi, dessen Name in der Freiheitsschrift im Unterschied zu anderen wie es scheint mit Absicht nicht genannt wird75 - in Form der ursprünglichen Position personaler Identität den Finger durchaus auf den entscheidenden Sachverhalt gelegt hat. Hier ist darum auch ein Einspruch gegen Spinoza in den Blick geraten, der überzeugt, weil er der determinatio als negatio eine wirkliche Alternative entgegenzusetzen hat. Von welcher Tragweite dies ist, wird im Verhältnis zu Hegel unmittelbar deutlich, der das ganze Unternehmen seiner Wissenschaft der Logik auch seinerseits der „Aufhebung" der spinozanischen Metaphysik widmet mit dem Ziel, dem hier herrschenden „Mangel" der „Persönlichkeit abzuhelfen. Dabei unterstellt er aber die Realisierung dieses Ziels dem ,,absolute[n] Prinzip" Spinozas, um es zu einer „sich negierende[n] Negation", zur Negation der Negation voranzutreiben.76 Indes zieht Schelling im Moment der Entdeckung den Finger von besagter Stelle andererseits auch schon wieder weg. Und wie wenig er auch nur gewillt ist, sich wirklich bewußt zu machen, worauf er hier gestoßen war, zeigt er mit seiner Formulierung an, daß jeder Mensch das „Gefühl" hat, „als sey er, was er ist, von aller Ewigkeit schon gewesen".77 Nicht was hätte er sagen müssen, sondern wer, um der Position der individuellen Identität zu ihrem adäquaten Ausdruck zu verhelfen. Ein Lapsus ist das nicht. Denn hätte er wer gesagt anstatt was, wäre es unvermeidlich geworden, das bis dahin entwickelte Konzept der Persönlichkeit grundsätzlich zu überdenken. Tatsächlich tut Schelling das Gegenteil, wie insbesondere dann die Stuttgarter Privatvorlesungen vor Augen führen. In scheinbarem Widerspruch zur Freiheitsschrift stellen 73 Ebd., 400. 74 Ebd., 404. 75 Vgl. T. Buchheim in der Einleitung zu der von ihm veranstalteten Ausgabe der

Freiheitsschrifl,

Hamburg 1997, XXI. 76 G . W . F . Hegel, Wissenschaft der Logik II, Theorie Werkausgabe, hg. v. E. Moldenhauer u. K.M. Michel, Frankfurt/M. 1970ff., Band 6 , 1 9 5 . 77 Schelling, Freiheitschrift,

SW VII, 386.

DIESER UND KEIN ANDERER?

53

sie die Seele nun sogar über den Geist, der als das „eigentlich Persönliche im Menschen" mit der ,,bewußte[n] Begierde" identifiziert und nach seiner realen Seite auf die „Individualität des Menschen", seinen „Eigenwillen" nämlich, bezogen wird,78 während demgegenüber die Seele „das eigentlich Göttliche im Menschen, also das Unpersönliche, das eigentlich Seyende" ist, „dem das Persönliche als ein Nichtseyendes unterworfen seyn soll".79 Das klingt wie gesagt auf Anhieb wie ein Widerspruch, wie eine nochmalige Veränderung des ganzen Entwurfs. Bei näherem Hinsehen ändert Schelling seine Haltung aber gar nicht, vielmehr zieht er lediglich die Konsequenz, die sich aus der Anlage der Freiheitsschrift ergibt. Denn wenn man das Konzept der individuellen Persönlichkeit, wie dort geschehen, eben nicht auf die Position des „Dieses und kein anderer", sondern maßgeblicherweise auf das naturale Interesse eines bewußt verfolgten Eigenwillens stützt, dann ist es nur folgerichtig, von einer solchen Person moralisch zu verlangen, von sich selber abzusehen. Folgerichtig ist es dann aber auch, daß Schelling damit nun wirklich expressis verbis zu Kant zurückkehrt, dessen Moralphilosophie er doch personalitätstheoretisch hinter sich zu lassen schien. Den kategorischen Imperativ, von dem Kant „bloß den formellen Ausdruck" hat, sieht man jetzt in ein „.Handle der Seele gemäß'" transformiert, wonach gilt: „handle nicht als persönliches Wesen, sondern ganz unpersönlich, störe ihre Einflüsse in dir selbst nicht durch deine Persönlichkeit".80 Und wenn nun dies zuletzt auch noch an etwas anderes erinnerte? War es nicht so, daß Schelling Jahre früher schon einmal der Meinung war, nur durch die „Zerstörung unserer Persönlichkeit" würden wir frei? Trotz gegenteiligen Anscheins, so zeigt sich zum Schluß, hat Schelling auch insgesamt seine zu Anfang vertretene Überzeugung nicht geändert, sondern nur modifiziert. Von seiner vorübergehenden, aber nicht weiter fruchtbar gemachten Einsicht in die ursprüngliche Position individueller Identität einmal abgesehen, hat er lediglich die theoretische Signifikation seines Persönlichkeitskonzepts gegen eine praktische vertauscht, die Bedeutung des Ausdrucks dabei aber beibehalten. Gemeint damit war und ist - determinatio negatio est - die bestimmte Negation der Endlichkeit\81 die jetzt, im Zuge der Unterscheidung zwischen Grund und Existierendem, gleichsam vom Weltaußen in die Binnennatur des göttlichen und menschlichen Wesens eingewandert ist und hier nun wie stets zur Disposition ihrer Überwindung steht. Mit der Insistenz Jacobis auf der IrTeduzibilität der individuellen Person, für die eben nicht umsonst der Preis ihrer epistemischen Unzugänglichkeit zu entrichten ist, hat das alles ersichtlich nach wie vor nichts zu tun. Wenn aber schon im Gang eines Systems der Freiheit Endlichkeit gesetzt und wieder aufgehoben werden soll, dann könnte Hegels Einsatz der Negation der Negation wenigstens so lange das überzeugendere Verfahren sein, wie zweifelhaft, mindestens aber offen ist, ob Schellings Spätphilosophie schüeßlich eine konsistente Verbindung von Wissenschaft und Personalität zu denken erlaubt. 78 Schelling, Privatvorlesungen,

SW VII, 4 6 6 f .

79 Ebd., 468. 80 Ebd., 473. 81 Schelling, Denkmal aufJacobi,

SW VIII, 73.

DIETER STURMA

Person sucht Person. Schellings personalitätstheoretischer Sonderweg

1. Einleitung: Philosophie der Person In der gegenwärtigen Philosophie bezeichnet der Begriff der Person ein Subjekt, das prinzipiell zu selbstreferentiellen Aktivitäten fähig ist, gegenüber anderen Personen Erwartungen hegt, Ansprüche erhebt und Verpflichtungen eingeht. Personen werden dementsprechend auch als Akteure im Raum der Gründe aufgefasst. Der Raum der Gründe konstituiert wesentliche Bestimmungen der menschlichen Lebensform wie Selbstbewusstsein, Zeitbewusstsein, Intelligenz, Verstehen, Emotivität, Selbstachtung, Bildung, personale Identität und Gegenseitigkeit.1 Hinter diesem semantischen Feld verbirgt sich eine wechselvolle Begriffsgeschichte, die vor allem durch ihren diskriminatorischen Abstand von herkömmlichen anthropologischen Unterscheidungen gekennzeichnet ist. In der Begriffsgeschichte des Ausdrucks ,Person' lassen sich unter systematischen Gesichtspunkten folgende philosophiehistorische Paradigmen unterscheiden:2 a) b)

c) d) e) f)

die Lehre der vier personae der mittleren Stoa, die sich um die Bestimmungen des Wesens, der Eigenart, der Kontingenz und des Lebensplans organisiert, die Herausbildung der Metaphysik der Person in der Patristik und Scholastik, die von den Formeln tres personae - una substantia sowie persona est naturae rationabilis individua substantia ihren Ausgang nimmt, John Lockes Grundlegung der modernen Philosophie der Person sowie die Einbeziehung des egologischen Vokabulars in die personalitätstheoretische Semantik, Immanuel Kants ethische Erweiterung des Begriffs der Person, die Einführung des Anerkennungsbegriffs in die Philosophie der Person durch den deutschen Idealismus, die sprachanalytische Rekonstruktion des Personbegriffs,

1

Siehe D. Sturma, „Person und Menschenrechte", in: Ders. (Hg.), Person. Philosophiegeschichte Theoretische Philosophie - Praktische Philosophie, Paderborn 2001, 337-362. Zum Raum der Gründe siehe W. Sellars, Empiricism and the Philosophy of Mind (1956), Cambridge, Mass. 1997; J. McDowell, Mind and World, Cambridge, Mass. 1994; R.B. Brandom, Making It Explicit. Reasoning, Representing and Discursive Commitment, Cambridge, Mass. 1994.

2

Siehe D. Sturma, Philosophie der Person. Die Selbstverhältnisse Paderborn 1997,44 ff.

von Subjektivität und Moralität,

DIETER STURMA

56

g) h)

die systematische Aufwertung des Personbegriffs im neokantianischen Konstraktivismus sowie die bioethischen Infragestellungen des Begriffs der Person.

Innerhalb der Entwicklungsgeschichte der Philosophie der Person nimmt der deutsche Idealismus eine Sonderstellung ein. Sie hängt vor allem damit zusammen, dass im Gegenzug zu Locke die Semantik des Personbegriffs vom egologischen Vokabular3 wieder abgekoppelt wird. Diese Ausdifferenzierung geht auf Kant zurück, dessen erkenntniskritische Theorie des Selbstbewusstseins das egologische Vokabular in transzendentalphilosophischen Bewusstseinsanalysen einsetzt, die sich auf epistemologische Konstitutionsverhältnisse beziehen und keine faktischen Bewusstseinszustände beschreiben. Während bei Kant aber zumindest noch mittelbar der Bezug zu Bewusstseinszuständen und Bewusstseinsvollzügen von Personen nachvollziehbar bleibt, nehmen Reinhold und Fichte die kantische Transformation zum Anlass, den Bereich der Tatsachen des Bewusstseins konstruktiv bzw. spekulativ in einer Weise zu überschreiten, mit der die Spuren faktischer Bewusstseinsprozesse verblassen. Der deutsche Idealismus erschließt mit dem egologischen Vokabular eine Dimension von Reflexionsverhältnissen, in der inferentielle Begriffszüge konstruierbar und rekonstruieibar sind. Selbstveihältnisse von Personen treten in dieser Dimension nicht mehr auf. Der deutsche Idealismus bringt auch zwei eigene konzeptionelle Ansätze zur Philosophie der Person im engeren Sinne hervor: Fichtes und Hegels Rekonstruktion der Anerkennungsverhältnisse von Personen im sozialen Raum sowie Schellings Versuch, Personalität als bewusste Endlichkeit zu deuten. Während Fichtes und Hegels Überlegungen zum Anerkennungsbegriff zu prominenten Untersuchungsfeldern der Idealismusforschung gehören und Eingang in neuere sozialphilosophische Debatten gefunden haben, ist Schellings personalitätstheoretischem Sonderweg philosophiehistorisch und systematisch nur wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden. Deshalb soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, Schellings personalitätstheoretischen Ansatz vor dem Hintergrund möglicher systematischer Wiedererwägungen zu rekonstruieren.4 Die Rekonstruktion ori3

Das egologische Vokabular umfasst die mit philosophischen Bedeutungen versehenen substantivierten Formen der Ausdrücke ,ich' und .selbst' sowie die sich daraus ergebenden neuen Wortverbindungen und Possessivpronomen.

4

Schellings späte Philosophie ist den vergangenen Jahrzehnten Anlass einzelner Wiedererwägungen gewesen; siehe M. Heidegger, Schelling: ger Vorlesung

vom Sommersemester

Vom Wesen der menschlichen

Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Mangel an Sein. Schellings

Freiheit (1809).

Freibur-

1936, Frankfurt/M. 1988; W. Schulz, Die Vollendung

Hegelkritik

Schellings, Stuttgart 1955; M. Frank, Der

und die Anfänge der Marxschen

Dialektik,

des

unendliche

Frankfurt/M.

1975; M. Theunissen, „Die Aufhebung des Idealismus in der Spätphilosophie Schellings", Philosophisches

Jahrbuch

Fundamentalheuristik

83 (1976), 1-29; W. Hogrebe, Prädikation

und Genesis.

im Ausgang

Frankfurt/M. 1989; T. Buch-

von Schellings

heim, Eins von Allem. Die Selbstbescheidung

,Die Weltalter',

Metaphysik

des Idealismus in Schellings Spätphilosophie,

als Ham-

burg 1992. Diese Arbeiten gehen keinen personalitätstheoretischen Fragestellungen im engeren Sinne nach. Allerdings hat Manfred Frank darauf aufmerksam gemacht, dass sich eine Reihe von

57

PERSON SUCHT PERSON

entiert sich über die verschiedenen Phasen von Schellings Denkweg hinweg an durchgängigen systematischen Motiven und Argumentationsstücken seiner Philosophie.

2. Die personalitätstheoretische Revision In seinen personalitätstheoretischen Überlegungen wendet sich Schelling von der neuzeitlichen Philosophie der Person ab und strebt eine Revision herkömmlicher Auffassungen zu subjektphilosophischen KonstitutionsVerhältnissen an. Während sich die neuzeitlichen Theorien vornehmlich auf Fähigkeiten und Eigenschaften von Personen konzentrieren, orientiert sich Schelling an metaphysischen Bestimmungen der prämodernen Philosophie der Person. In den neueren Diskursen ist weitgehend in Vergessenheit geraten, dass nach Abschluss der hellenistischen Phase Personalität zunächst nur als eine Eigenschaft Gottes begriffen und erst später auf das vernünftig bestimmte Individuum bezogen worden ist. Diesen Vorgang kann man dahingehend zuspitzen, dass der metaphysische Begriff der Würde konstitutionstheoretisch vom Himmel auf die Erde geholt worden ist. Die neuere Philosophie der Person stellt sich wie selbstverständlich in die Nachfolge dieses Vorgangs und behandelt Personalität durchgängig als diesseitiges' Phänomen. Schelling kündigt den Konsens mit der neueren Philosophie der Person auf. Er macht den Vorgang - unter Ausklammerung der antiken Phase - rückgängig und verlegt Grund und Wesen menschlicher Personalität von der Erde wieder in den Himmel. Auch im Fall der Philosophie der Person bleibt für Schelling die Fragestellung bestimmend, die er für das Grundproblem der Philosophie schlechthin hält: Wie kommt es zum Übergang vom Unbedingten zum Bedingten? Die Frage kann je nach methodischem Ansatz verschiedene Ausdrucksformen annehmen - wie sich etwa an Kants Frage nach den synthetischen Urteilen a priori oder an Reinholds und Fichtes Problematisierungen der Gegenläufigkeiten von Subjekt und Objekt oder Ich und Nicht-Ich zeigt.5 Der Abstand von Schellings Denkweg zur modernen Philosophie der Person ist beträchtlich. Vor allem seine Verwendungsweise des Ausdrucks ,Person' und sein Umgang mit dem egologischen Vokabular stellen im Lichte gegenwärtiger philosophischer Begründungsarbeit ein großes - möglicherweise ein zu großes - Hindernis dar. Bei aller Berechtigung sprachkritischer und begründungstheoretischer Vorbehalte sollte aber nicht übersehen werden, dass Rekonstruktionsbemühungen in Schellings Werk systematische Anlässe finden und keineswegs zwangsläufig ins Leere gehen müssen.

existenzphilosophischen Motiven und Bestimmungsstücken in Schellings Werk nachweisen lassen. Dieser Sachverhalt ist auch für die Rekonstruktion von Schellings später Philosophie der Person bedeutsam. 5

Siehe

F.W.J.

[= Philosophische

Schelling,

Philosophische

Briefe

Uber

Dogmatismus

und

Briefe], SWI, 293ff. [3. Brief]; Vom Ich als Princip der Philosophie

Ich als Princip], SWI, 172ff. [§5].

Kriticismus [= Vom

58

DIETER STURMA

In Schellings personalitätstheoretischen Überlegungen lassen sich durchaus stabile semantische Felder ausmachen. .Person' bezeichnet auch bei Schelling ein Subjekt, das Ausgangspunkt von Reflexionszuständen und Handlungen sowie Adressat von Verantwortung und Zurechenbarkeit ist. Es ist darüber hinaus seine Überzeugung, dass sich Personbegriff und egologisches Vokabular nicht darauf reduzieren ließen, ausschließlich einen Akteur im sozialen Raum zu bezeichnen, weil sie zumindest implizit immer auch ein Verhältnis zum Unbedingten anzeigten. Er setzt sich in diesem Zusammenhang auch von der personalitätstheoretischen Grandannahme ab, dass die Semantik des Personbegriffs durchgängig von Reflexions- und Vernunftbestimmungen beherrscht werde. Schelling sieht Reflexion und Vernunft nicht mehr als grundlegend für Personalität. Dem Grundzug seiner späten Philosophie entsprechend weist er der Vernunft lediglich die Funktion zu, sich selbst zu begrenzen und ihren Grund außer sich zu suchen. Schellings personalitätstheoretischer Ansatz bietet sich zumindest dem Anschein nach nicht als aussichtsreicher Kandidat für Wiedererwägungen an. Es ist kaum zu erwarten, dass die systematisch ausgerichtete Philosophie der Gegenwart von sich aus einen Zugang zu der eigentümlichen Terminologie und den ausgefallenen Theoriewegen finden wird. Vermutlich wird sie sich nicht einmal in der Lage sehen, überhaupt ein Motiv für eine Wiedererwägung auszumachen. Um Schellings Ansatz systematisch nutzen zu können, müssten zunächst seine semantischen und begründungstheoretischen Verfahrensweisen so umgeschrieben werden, dass die für die Belange der Gegenwartsphilosophie nicht mehr zuträglichen Reifizierungen und Spekulationen ohne Verlust an philosophischem Gehalt deutlich reduziert werden könnten. Der Ansatzpunkt für eine wiedererwägende Rekonstruktion dürfte in der Fluchtlinie einer Theorie bewusster Endlichkeit liegen. Von ihr ist zumindest in personalitätstheoretischer Hinsicht am ehesten zu erwarten, dass sie Schellings Sonderweg und systematische Desiderate der gegenwärtigen Philosophie der Person zur Deckung bringen kann.

3. Die Transformation des egologischen Vokabulars A m Anfang der idealistischen Theorie bewusster Endlichkeit steht die Transformation des egologischen Vokabulars. Es wird von der klassischen deutschen Philosophie insgesamt dazu aufgeboten, die Konstitutionsbedingungen menschlicher Subjektivität semantisch zu erschließen. Während Kant in diesem Zusammenhang wesentlich in den Kontexten seiner transzendentalen Erkenntnistheorie verbleibt, die bekanntlich nach den Bedingungen der Möglichkeit kognitiven Bewusstseins fragt, geht der frühe deutsche Idealismus konzeptionell entschieden weiter. Kants Ich denke, das alle meine Vorstellungen muss begleiten können wird als Setzung, als praktischer Konstitutionsakt verstanden. Für Fichte bezeichnet der Begriff des Ich das Subjekt der Tathandlung, die dem Verhältnis von Selbstbewusstsein und Gegenständen des Bewusstseins individueller Personen vorausgesetzt ist. Damit rückt das egologische Vokabular in den Theoriebereich grundlegender Konstitutionsverhältnisse.

59

PERSON SUCHT PERSON

In der frühen Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen legt Schelling die Gründe für die semantische Transformation des egologischen Vokabulars offen. Ihm zufolge gibt es nichts Denkbares für eine Person ohne ein sich im unbedingten Ich gründendes KonstitutionsVerhältnis. Dieses Ich habe zwar keine personalen Eigenschaften, gleichwohl müsse es als ein Ich gedacht werden, weil ein Ich unmöglich durch ein Nicht-Ich hervorgebracht werden könne. Von dem unbedingten Ich müsse deshalb auch als von dem Inbegriff aller Realität gesprochen werden: „Es soll die Data, die absolute Materie der Bestimmung alles Seyns, aller möglichen Realität enthalten." 6 Schelling versucht, die Konstitutionsverhältnisse des Ich auf dem Wege eines diskriminatorischen Ausschlusses zu gewinnen. Der Grund des Ich kann demnach nicht in etwas liegen, das ihm äußerlich ist, weil ansonsten der mit dem Ich verbundene Subjektgedanke vom konstruktiven Ansatz her verloren ginge. Der Subjektgedanke könne nur dann erhalten bleiben, wenn zwischen dem Grund des Ich und dem begründeten Ich zumindest eine systematische Ähnlichkeit bestehe. Innerhalb dieses internen Konstitutionsverhältnisses verfährt Schelling durchgängig monistisch. Er will keine geheimnisvollen Sprünge von einem ontologischen Bereich in einen anderen, keine kategorialen Übergänge zwischen dem Mentalen und Physischen als grundsätzlich verschiedener Elemente unterstellen. Obwohl Schelling in seiner späten Philosophie die monistische Programmatik seiner frühen Philosophie mit einer personalitätstheoretisch entscheidenden Wende versieht, wird er an der subjektphilosophischen Ähnlichkeitsthese festhalten, der zufolge die Selbstverhältnisse einer individuellen Person sich nur durch die mittelbare Beziehung zu einem unbedingten Ich konstituieren. In diesem Punkt verbleibt Schelling eindeutig auf dem Boden der Fichteschen Philosophie. Das Verhältnis von logischem oder empirischem Ich zum unbedingten Ich wird von Schelling nicht als Transzendierung, Freisetzung oder gar Vernichtung gedacht. Die Semantik, die aus der Transformation des egologischen Vokabulars hervorgeht, soll Auskunft über die endliche Existenz von Personen geben.7 Schelling macht Kants Abstieg vom ,Ich' zum ,ich' 8 rückgängig und ersetzt ihn durch einen Aufstieg vom ,ich' zum

6

F. W. J. Schelling, Vom Ich als Princip, S W I , 187.

7

Vgl. F.W.J. Schelling, Abhandlungen

zur Erläuterung

des Idealismus

der

Wissenschaftslehre,

S W I , 363: „Denn ich bin der festen Ueberzeugung, daß von keinem der Vernunft nur nicht ganz beraubten Menschen je etwas in spekulativen Dingen behauptet worden, wovon sich nicht in der menschlichen Natur selbst irgend ein Grund auffinden ließe." 8

Zum Abstieg vom ,Ich' zum ,ich' bei Kant siehe D. Sturma, Kant über Selbstbewußtsein. sammenhang

von Erkenntniskritik

und Theorie des Selbstbewußtseins,

Zum Zu-

Hildesheim 1985, 57 ff. und

D. Sturma, „Selbstbewußtsein und personale Identität. Kant über den Zusammenhang von Erkenntniskritik und Philosophie des Geistes", in: R. H i l t s c h e r / A . Georgi (Hg.), Perspektiven Transzendentalphilosophie

im Anschluß

Hintergrund der Abstiegsmetapher siehe E. Tugendhat, Selbstbewußtsein Sprachanalytische

Interpretationen,

der

an Kant, Freiburg 2002, 21 I f f . Zum sprachanalytischen

Frankfurt/M. 1 9 7 9 , 6 8 f f .

und

Selbstbestimmung.

60

DIETER STURMA

,Ich' - vom singulären Terminus zum spekulativen Begriff. Er verspricht sich von dieser Revision, dass sich so das Wesen bewusster Endlichkeit erschließt. Formal ist der Begriff des Ich bei Schelling eine Relationsbestimmung, die endliches Bewusstsein und Unbedingtes intern miteinander verbindet: Wenn eine Person den philosophischen Kunstausdrack ,Ich' auf sich bezieht, dann verwendet sie keinen singulären Terminus, sondern drückt ein Konstitutionsverhältnis aus, das den Grund ihres Selbstbewusstseins und ihrer epistemischen Bewusstseinszustände umfaßt. Semantischer Aufstieg und subjektivitätsphilosophische Ähnlichkeitsthese eröffnen einen Theorieraum, in dem sich ein Konstitutionsverhältnis zwischen Unbedingtem und Bedingtem vollziehen kann. Ihr Verhältnis wird im Einzelnen als Teilhabe struktureller Eigenschaften gedacht. Bei der Benennung dieser Eigenschaften verfängt sich Schelling schließlich in semantische Reifizierungen. Es ist nur schwer einzusehen, wie mit derartigen Eigenschaftszuweisungen Sachverhalte rechtfertigungsfähig angesprochen werden könnten, die über bloße Assoziationen hinaus irgendetwas mit dem teilen, was wir als Handlungsfreiheit einer Person begreifen. Auf der anderen Seite verbinden sich mit dem vernünftigen Individuum die Eigenschaften der Endlichkeit, Individualität und Personalität, die in dieser Form auf die Bestimmung eines Unbedingten gerade nicht anwendbar sind. Schellings Versuch, mit dem egologischen Vokabular einen konstruktiven Zusammenhang zwischen Bedingtem und Unbedingtem herzustellen, erzeugt auf der Seite der Zuschreibung von Eigenschaften und Fähigkeiten semantische Unbestimmtheit. In der Erweiterung des personalen Standpunkts durch das Verhältnis zu einem Unbedingten dürfte gleichwohl der systematische Beitrag Schellings für die gegenwärtige Philosophie der Person zu suchen sein. Sein Ansatz kann als Testfall für eine mögliche Re-Etablierung von metaphysischen Elementen des Personbegriffs angesehen werden. Dabei geht es nicht um ethische Bestimmungen einer metaphysischen Dignität der Person als Zweck an sich, die seit Kant fest in der Moralphilosophie verankert ist, sondern um grundlegende Konstitutionselemente - also Elemente, die in der gegenwärtigen Philosophie unter dem Vorbehalt stehen, nicht mehr theoriefähig zu sein. Der Vorgang des Aufstiegs vom ,ich' zum ,Ich' findet nach Schelling seinen Ausdruck in einem aparten Zustand, den er mit dem Begriff der intellektuellen Anschauung anspricht. Von der intellektuellen Anschauung sagt er, dass sie ein „geheimes, wunderbares Vermögen" sei, das uns die Möglichkeit eröffne, uns aus dem Wechsel der Zeit in unser Innerstes, von allem, was von außenher hinzukam, entkleidetes Selbst zurückzuziehen, und da unter der Form der Unwandelbaikeit das Ewige in uns anzuschauen.9

In der intellektuellen Anschauung erlebt sich die Person ausschließlich als ein Subjekt, das sich nicht zeitlich auslegt. Die Eigenschaft, ausschließlich und insofern nicht-diskursiv Subjekt zu sein, soll auch die wesentliche Bestimmung des unbedingten Ich sein. Demnach bringt die intellektuelle Anschauung Ewigkeit im Sinne von Transtemporalität 9

F.W. J. Schelling, Philosophische Briefe, SWI, 318.

PERSON SUCHT PERSON

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in das Leben der Person, die dadurch den Bezug zur Zeit verliert. Der Begriff der Ewigkeit hat in diesem Zusammenhang nicht die Bedeutung einer Dauer ohne Ende, vielmehr bezieht er sich auf die Vorstellung einer immanenten Totalität, in der sich definierte Bestimmungen diskursiver Erfahrung verflüchtigen. 10 Als psychische Verfassung wäre die intellektuelle Anschauung allerdings nicht mehr vom Tod oder Nichtsein zu unterscheiden. Schelling räumt ein, dass wir aus der intellektuellen Anschauung wie aus dem Zustande des Todes aufwachen. 11 Das Erwachen vollzieht sich auf dem Wege der Reflexion - also der Fähigkeit, die den personalen Standpunkt auszeichnet. Die intellektuelle Anschauung ist der Bestimmung nach aber kein Nichtsein, sondern der Zustand, in dem das ,ich' aus dem ,Ich' wieder hervortritt. Dieser Vorgang kann nur unter der Bedingung einer strukturellen Ähnlichkeit zwischen bedingtem und unbedingtem Ich gedacht werden. Im Anschluss an Spinoza entwickelt Schelling in diesem Zusammenhang den überaus tiefsinnigen Gedanken, dass auch unsere Vorstellungen von dem Nichtsein letztlich davon präformiert seien, wie wir uns selbst verstehen. Bei dem Gedanken an das Nichtsein unterstellen wir implizit immer schon die Fortdauer unserer Existenz - gleichsam als nichtexistierend existent. Es sei uns wohl nicht möglich, uns selbst als vernichtet zu denken, ohne uns „zugleich als existirend zu denken." 12 Nichtsein könne nur aus der Perspektive der Existenz gedacht werden. 13 In den Kontexten des alltäglichen Lebens dürfte diese Vermengung von Existenz und Nichts wohl der Grund für den existentiellen horror vacui sein.

4. Selbstbewusstsein und bewusste Endlichkeit Die Überlegungen zur intellektuellen Anschauung sowie zum Aufstieg vom ,ich' zum ,Ich' machen die Formen bewusster Endlichkeit kenntlich. Selbstbewusstsein entsteht Schelling zufolge durch Sukzession und Veränderung, die begrenzende Zeitverhältnisse ausdrücken. Selbstbewusstsein ist entsprechend selbstreferentielle Begrenzung in der Zeit. Das unbedingte Ich verbleibt demgegenüber „jenseits aller Zeit"14 wie der ursprüngliche

10 Siehe D. Sturma, „Logik der Subjektivität und Natur der Vernunft. Die Seelenkonzeptionen der klassischen deutschen Philosophie", in: G. Jiittemann/M. Sonntag/Ch. Wulf (Hg.), Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland, Weinheim 1991,243 ff. 11 Siehe F. W. J. Schelling, Philosophische Briefe, SWI, 325. 12 Ebd.,SWI,320. 13 Siehe ebd., Anm.: „Deßwegen der Gedanke an Nichtseyn nicht sowohl etwas Schreckendes, als Peinigendes hat, weil ich, um mein Nichtdaseyn zu denken, zugleich mich selbst als existirend denken muß, also in die Nothwendigkeit versetzt bin einen Widerspruch zu denken. Fürchte ich also wirklich das Nichtseyn, so fürchte ich nicht sowohl dieses, als mein Daseyn auch nach dem Nichtseyn: - ich will gerne nicht daseyn, nur will ich mein Nichtseyn nicht fühlen." 14 F.W. J. Schelling, System des transcendentalen Idealismus, SWIII, 396.

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Akt, der „Bedingung alles Begrenzt- und Bewußtseyns"15 ist. Im System des transcendentalen Idealismus legt Schelling dar, dass das Selbstbewusstsein gleichsam vom Ansatz her seine Grenze in sich trägt. In Weiterführung der Erträge von Fichtes Wissenschaftslehre rekonstruiert Schelling den Grund, durch den das Ich im Selbstbewusstsein sich selbst zum Objekt wird.16 Zwar sei das Ich „ursprünglich unendliche Tätigkeit", Selbstbewusstsein habe aber andererseits Endlichkeit und Begrenztheit zu seiner Bedingung: Das Ich also, um für sich selbst zu entstehen (um nicht nur Producirendes, sondern zugleich Producirtes zu seyn, wie im Selbstbewußtseyn), muß seinem Produciren Grenzen setzen. 17

Selbstbewusstsein ist immer schon Ausdruck des Prinzips der Endlichkeit. Es wird nicht von außen begrenzt, sondern legt sich als immanente Grenzsetzung aus. Schelling greift in diesem Zusammenhang auf den Begriff der Monade zurück, um kenntlich zu machen, dass das Ich eine in sich „beschlossene Welt"18 sei, aus der weder etwas herauskommen noch etwas von außen hereinkommen könne. Deshalb müssten Endlichkeit und Begrenztheit als etwas begriffen werden, das aus der .ursprünglichen Handlung des Selbstsetzens' hervorgehe.19 Der Ausdruck ,Ich' bezieht sich bei Schelling auf eine ursprüngliche Form der Aktivität. Die Vorgabe für diese Vorstellung entnimmt er der Struktur des Selbstbewusstseins, der im Kontext der semantischen Erfassung des Ichgedankens die temporalen Komponenten entzogen werden: Der ewige, in keiner Zeit begriffene Akt des Selbstbewußtseyns, den wir Ich nennen, ist das, was allen Dingen das Daseyn gibt, was also selbst keines anderen Seyns bedarf, von dem es getragen wird, sondern sich selbst tragend und unterstützend, objektiv als das ewige Werden, subjektiv als das unendliche Produciren erscheint. 20

In seiner unendlichen Tätigkeit müsse sich das Ich qua Akt des Selbstbewusstseins permanent gegen seine eigene Schranke richten, damit sich Bestimmtheit einstellen könne. Sie sei deshalb aber keine äußerliche Voraussetzung, denn ohne „das Ankämpfen des Ichs"21 wäre sie erst gar nicht. Anders, als gemeinhin unterstellt wird, bleiben die Überlegungen ontologisch zunächst unbestimmt, denn sie verlaufen jenseits des vermeintlichen Gegensatzes zwischen Idealismus und Realismus: Was immer auch als Realitätsgrund angenommen werde, Bestimmtheit lasse sich nur unter den Bedingungen der „Thätigkeit" des Ich denken. 15 Ebd., 395. 16 Siehe ebd., 380. 17 Ebd. 18 Ebd., 381. 19 Siehe ebd., 377 ff. 20 Ebd., 376. 21 Siehe ebd., 384f.: „Die Schranke wird also reell nur durch das Ankämpfen des Ichs gegen die Schranke. Richtete das Ich nicht seine Thätigkeit dagegen, so wäre sie keine Schranke für das Ich, d.h. (weil sie nur negativ - in Bezug auf das Ich setzbar ist) sie wäre überhaupt nicht."

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Es ist offensichtlich, dass sich der idealistische Ichgedanke nicht unmittelbar auf das Leben von Personen bezieht. Das Gefalle zwischen egologischem Vokabular und der Lebenswelt von Personen ist für die klassische deutsche Philosophie insgesamt charakteristisch. Ihre Vertreter stimmen in der Auffassung überein, dass das psychische Phänomen des Selbstbewusstseins eine Tatsache bzw. eine Tathandlung ist, in der sich bewusste Endlichkeit durch eine von anderen Bewusstseinszuständen grundsätzlich unterschiedene und auf Erfahrungsmodi der Alltagserfahrung nicht reduzierbare Weise manifestiere. In dem Phänomen des Selbstbewusstseins drückt sich der klassischen deutschen Philosophie zufolge vor allem selbstreferentielle Aktivität aus, die als formale Struktur dort Eingang in die idealistischen Systeme findet, wo es nicht um lebensweltliche Selbstverhältnisse geht. Schelling hat im Rückblick auf die Systeme des deutschen Idealismus beklagt, dass der spekulativen Verwendungsweise des Ichbegriffs zutiefst Widersprüchliches und Inkonsequentes anhafte, denn das Ich könne ja in der Erfahrung der Person gar nicht zuriickverfolgt werden. Sobald mit dem egologischen Vokabular der Bereich menschlicher Erfahrung verlassen werde, dürften durch diese Abstraktion gewonnene Bestimmungen - wie etwa reine Aktivität, Zeitlosigkeit oder Indifferenz von Subjektivem und Objektivem - eigentlich gar nicht mehr Ich genannt werden.22 Die Beziehung der Person zur sich selbst begrenzenden Tätigkeit des Ich ist Schelling zufolge mittelbar. Ihre Bewusstseinsvollzüge verliefen bereits diesseits des ursprünglichen Akts der Selbstbegrenzung, der die Dimension der Endlichkeit - der menschlichen Lebensform und personalen Standpunkte - überhaupt erst konstitutiere: Die ursprüngliche Begrenztheit, welche wir mit allen Vernunftwesen gemein haben, besteht darin, daß wir überhaupt endlich sind. Vermöge derselben sind wir nicht von andern Vernunftwesen, sondern von der Unendlichkeit geschieden 2 3

Schelling legt die diskriminatorische Funktion des Selbstbewusstseins nicht horizontal als Abgrenzung zwischen den einzelnen Personen, sondern vertikal als Differenz zwischen Grund und Begründetem aus. Ihm geht es um die Erfassung der Übergänge zwischen Unbedingtem und Bedingtem. Bewusste Endlichkeit denkt er als Ausdifferenzierung zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit. Nur indem das Ich zwischen innen und außen differenziere, sei es ihm möglich, sich durch die Entgegensetzung eines Objekts selbst zu begrenzen. 24 Innerlichkeit und Äußerlichkeit werden in der Nachfolge von Kant in zeitlicher und räumlicher Perspektive bestimmt: „Die Zeit ist nur der sich zum Objekt werdende innere Sinn, der Raum der ihm zum Objekt werdende äußere Sinn." 25 Zeit ist dem-

22 Siehe F.W.J. Schelling, Philosophische stellung der reinrationalen

Philosophie

Einleitung in die Philosophie [= Darstellung

368 ff. 23 F.W.J. Schelling, System des transcendentalen 24 Siehe ebd., 466. 25 Ebd., 470.

der Mythologie

der reinrationalen

Idealismus, SWIII, 409.

oder

Philosophie],

Dar-

SWXI,

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nach kein vom Ich unabhängiger Vorgang, sondern die Form seiner Tätigkeit.26 Schelling verbindet unabhängig von den naturphilosophischen Wendungen seiner Bewusstseinsphilosophie27 mit dem egologischen Vokabular einen Theorieraum, in dem Reflexionsstrukturen gleichsam von innen Formen bewusster Endlichkeit nachzeichnen.

5. Freiheit und Grund bewusster Endlichkeit Während Schellings Aufstieg vom ,ich' zum ,Ich' zu einem großen Teil innerhalb der reflexionslogischen Hauptströmung des deutschen Idealismus verläuft, stellt seine späte Philosophie einen tiefen Einschnitt dar, auf den nicht zuletzt auch sein personalitätstheoretischer Sonderweg zurückgeht. Die Spätphilosophie durchbricht den idealistischen Systemgedanken und nähert sich auf eigentümliche Weise der existentiellen Situation bewusster Endlichkeit. Ihre systematische Ausrichtung erhält sie durch die neue Freiheitslehre und insbesondere durch die Kritik am Formalismus der idealistischen Ethik 28 An ihr wird beklagt, dass sie nur über einen formellen Begriff der Freiheit verfuge, dem jegliche inhaltlichen Bindungen fehlten. Schelling wirft der idealistischen Ethik vor, dass sie ein Gesetz für alle Personen aufstelle und dadurch deren Individualität niederschlage.29 Das, was der einzelnen Person ihren Wert verleihen solle, sei das ihrer Besonderheit äußerliche Gesetz. Schelling entdeckt in diesem Zusammenhang das Paradoxon von Autonomie: Das Prinzip, worin die Person meint, ihre persönliche Bestimmung zu finden, weise sie gerade in ihrer Individualität zurück. Zum Ende seiner philosophischen Entwicklung wird Schelling einen Ausweg aus dieser Problemsituation suchen, indem er sich radikal von der formalen Bestimmung der Personalität durch das Gesetz abwendet. Es ist Schellings Überzeugung, dass Freiheit nur als positive Bestimmung gedacht werden könne, weil sie sich anderenfalls ins Unbestimmte verlöre. Daher definiert er Freiheit nicht als Autonomie, sondern als „Vermögen des Guten und des Bösen".30 Mit dieser Definition soll der idealistische Formalismus aufgehoben und durch einen realen und lebendigen Freiheitsbegriff ersetzt werden. Die Entschiedenheit von Schellings Ansatz zeigt sich darin, dass er sich nicht mit reduktionismuskritischen Unvollständigkeitsargumenten begnügt - wie wir sie etwa aus Kants Auflösung der dritten Antinomie kennen. Die Grenzen der Heteronomie dürfen ihm zufolge nicht mit Freiheit verwechselt

26 Siehe ebd., 466: „Die Zeit ist nicht etwas, was unabhängig vom Ich abläuft, sondern das Ich selbst ist die Zeit in Thätigkeit gedacht." 27 Siehe D. Sturma, „Schellings Subjektivitätskritik", Deutsche Zeitschrift für Philosophie

44 (1996),

429-446. 28 Siehe O. Höffe / А . Pieper (Hg.), F.W.J.

Schelling.

Über das Wesen der menschlichen

Freiheit.

Klassiker Auslegen, Berlin 1995. 29 Siehe F.W.J. Schelling, System des transcendentalen 30 F.W.J. Schelling, Philosophische die damit zusammenhängenden

Untersuchungen

Gegenstände

Idealismus, SWIII, 574. über das Wesen der menschlichen

[= Freiheitsschrift],

SW VII, 352.

Freiheit und

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werden. Wenn Freiheit als Unabhängigkeit gedacht werden solle, dann könne es sich dabei nur um die Unabhängigkeit vom Unbedingten bzw. von Gott handeln, nicht etwa nur von der Natur.31 Schelling verlässt mit seiner Freiheitslehre den engeren Theorierahmen der Ethik und umschreibt die ontologischen Konturen bewusster Endlichkeit: Die existentiell vereinzelte Person findet keine Sicherheit in der Unendlichkeit des Selbstbewusstseins und der Reflexion. Sie kann nicht im Modus ihrer Existenzweise - nicht mit Bewusstsein - aus ihren Reflexionsprozessen heraustreten und sich ihrem Grund nähern. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Egozentrik verstricke die Person nur immer tiefer in ihre grundlose „Selbstheit".32 Der Königsweg zur Freiheit könne daher nicht in obsessiver Internalisierung bestehen. Diese bestärke nur die Selbstsucht, die, weil sie sich vom Ganzen und der Einheit lossage, „immer dürftiger, armer, aber eben darum begieriger, hungriger, giftiger" 33 werde. Im Gegenzug zur Internalisierung sucht Schelling Freiheit in einer externalisierenden Wendung zu gewinnen. Diese Wendung begründet die Herausforderung von Schellings personalitätstheoretischem Sonderweg. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Vorstellungen von Freiheit und Autonomie wird von der Person verlangt, in die Gegebenheiten ihrer Existenz herauszutreten: Bewusste Endlichkeit muss den Grund ihres Daseins außer sich suchen. Die systematischen Motive für die freiheitstheoretische Externalisierung gehen aus der kritischen Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Bewusstseinsphilosophie hervor. Schelling ist überzeugt, dass man zum Verständnis der „Lebendigkeit des Seyns" nur gelange, wenn man das „Bedürfhiß einer endlichen Welt" 34 hinter sich lasse. Diesen Sachverhalt verkannt zu haben und daher von unbegriffenen Vorstellungen einer subjektivistischen Weltsicht beherrscht zu sein, wirft er vor allem Fichte vor. Der subjektive Standpunkt dürfe nicht einmal als formale Struktur in die Konstitutionsveihältnisse des Unbedingten eingehen. Werde an dem subjektiven Standpunkt als Ausgangspunkt der spekulativen Begründungsarbeit festgehalten, sei es weder in inhaltlicher noch in formaler Hinsicht möglich, über ihn hinauszugelangen. Man kann in diesem Zusammenhang geradezu von einem Endlichkeitsfehlschluss des subjektiven Idealismus sprechen. Schelling wirft den großen bewusstseinsphilosophischen Entwürfen von Descartes bis zu Fichte vor, dass sie sich von dem gleichermaßen begrenzenden wie begrenzten Phänomen des Selbstbewusstseins nicht lösen könnten. Diesen Befund bezieht er konsequenterweise auch auf seine eigenen transzendentalphilosophischen Theoriestücke. Vom 31 Siehe F. W.J. Schelling, Freiheitsschrift,

SWVII, 458: „Die Vertheidiger der Freiheit denken ge-

wöhnlich nur daran, die Unabhängigkeit des Menschen von der Natur zu zeigen, die freilich leicht ist. Aber seine innere Unabhängigkeit von Gott, seine Freiheit auch in Bezug auf Gott lassen sie ruhen, weil dieß eben das Schwerste ist." 32 Siehe ebd., 364. Für Schelling ist die Selbstheit bewusster Endlichkeit nichts anderes als die Wirklichkeit des Bösen. 33 Ebd., 390. 34 F.W.J. Schelling, Darlegung

des wahren Verhältnisses

Fichteschen Lehre, SW VII, 17.

der Naturphilosophie

zu der

verbesserten

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Standpunkt der reflektierenden Person bleibt das Selbstbewusstsein unhintergehbar. Weil sich die neuzeitliche Bewusstseinsphilosophie und Transzendentalphilosophie allein an diesem Standpunkt ausrichteten, würden sie vom Ansatz her andere Theorieoptionen ausschließen. Schelling will nach wie vor nicht in Abrede stellen, dass Selbstbewusstsein der feste Punkt sei, aus dem sich fur uns alles Weitere ergebe,35 nur müsse dabei immer bedacht werden, dass das Selbstbewusstsein das Prinzip bewusster Endlichkeit sei und trotz bzw. wegen der Geschlossenheit seines Reflexionsraums einen Grund anzeige, an dem es nur teilhabe. Zwar fülle Selbstbewusstsein für die einzelne Person den ganzen Reflexionsraum aus, deshalb sei es aber noch nicht ihr Grund. Im Selbstbewusstsein müsse das Prinzip, nicht der Grund bewusster Endlichkeit gesehen werden: „Die Ichheit ist das allgemeine Prinzip der Endlichkeit." 36 Fichte habe mit seinen entschiedenen Ausdeutungen dieses Prinzips den Grad höchster subjektivitätsphilosophischer Entfernung vom Unbedingten erreicht und damit auch den Weg zu der Einsicht gebahnt, dass der Grund des Selbstbewusstseins außer sich selbst gesucht werden müsse. Bei der Bestimmung des Grundes bewusster Endlichkeit findet Schelling in der systematischen Philosophie keinen Anhalt mehr und greift in dieser Situation auf religiöse bzw. theologische Ausdrücke wie ,Sündenfair und ,Abfall' zurück. Aus der semantischen Unbeholfenheit ist die große systematische Verlegenheit abzulesen, in die sich Schelling durch die Grundlosigkeit des Selbstbewusstseins gedrängt sieht. Er muss einräumen, dass der Abfall als solcher ein unbegreifliches Faktum bleibe. Aus dieser Unbegreiflichkeit heraus erscheine die einzelne Person als ein ewiges Fragment an der Peripherie des Seins, über der sich - wie über alles endliche Leben - der „Schleier der Schwermuth" 37 ausbreite. Was die Person nach Schelling in die Peripherie des Seins treibt, ist ihre Egoität, hinter der sich eine ursprüngliche Selbstbehauptung verbirgt. Die Selbstheit an der Peripherie des Seins verleihe der Person eine besondere Würde und sei keineswegs nur ein privativer Zustand. Die metaphysische Dignität verdanke sich aber nicht der von Kant kategorisch festgestellten Selbstzweckhaftigkeit der Person, sondern ihrem prekären Verhältnis zu Gott. Denn es sei nur die individuelle Person, die in ein derartiges Verhältnis eintreten könne. 38 In Schellings später Neubestimmung des Verhältnisses von Bedingtem und Unbedingtem verschiebt sich noch einmal das egologische Vokabular. Bestimmungen wie Individualität und Personalität, die Schelling seit der Jahrhundertwende mehr oder weniger deutlich dem Prinzip der Endlichkeit zuordnet, treten nun in ein anderes Verhältnis zum Unbedingten.

35 Vgl. F.W.J. Schelling, Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie, SWIV, 353 ff. 36 F. W. J. Schelling, Philosophie und Religion, SW VI, 42. 37 F.W.J. Schelling, Freiheitsschrift, SWVII, 399. Vgl. D. Sturma, „Präreflexive Freiheit und menschliche Selbstbestimmung", in: O. Höffe /А. Pieper (Hg.), F. W.J. Schelling. Über das Wesen der menschlichen Freiheit. Klassiker Auslegen, Berlin 1995,165 ff. 38 Diese Annahme unterscheidet Schelling grundsätzlich von Hegel.

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Individualität bleibt auch in Schellings später Philosophie die entscheidende Voraussetzung des Prozesses der „Selbstbildung" 39 der Person. Er unterstellt jedoch, dass sie sich von ihrem Sein loslösen, sich aus der Versunkenheit in ihre Selbstheit zu befreien habe. Erst dann werde es ihr möglich sein, in einem Akt der Selbstbegrenzung sich dem Grund ihrer Existenz zu nähern. Schellings späte Überlegungen zum Grund bewusster Endlichkeit bewegen sich weit außerhalb der Argumentationswege der modernen Philosophie der Person. Dieser Abstand drückt sich in der prägnanten Formel Person sucht Person aus.

6. Person sucht Person Am Anfang von Schellings später Philosophie der Person steht eine Kritik des moralphilosophischen Personbegriffs. Sie schließt an kritische Positionen der Freiheitsschrift an und richtet sich insbesondere gegen Kants Bestimmung des Verhältnisses von Person und moralischem Gesetz, die er hinsichtlich der Grundlegung von Personalität für zu abstrakt hält, um den humanen Kern und die existentiellen Bedürfhisse individueller Personen erfassen zu können. Nach Schelling kann die Grundlegung der Persönlichkeit nur aus etwas hervorgehen, was dem Wesen nach der individuellen Person gleich ist: [...] und so ist es auch das Ich, welches als selbst Persönliches Persönlichkeit verlangt,eine Person fordert, die außer der Welt und über dem Allgemeinen, die ihn vernehme, ein Herz, das ihm gleich sey. 4 0

Er wendet sich gegen ein Szenario, in dem der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir als nötigendes Allgemeines auftreten, das keinen Bezug mehr zur individuellen Persönlichkeit bewusster Endlichkeit hat, und vor allem gegen die Vorstellung, dass eine Person in einem schweigenden Universum existieren könne. Die Kritik am Formalismus in der Philosophie der Person ergänzt Schelling durch eine Analyse des Verhältnisses von Staat und Individuum. Das Individuum wird von Schelling als das über den Staat Hinausgehende bestimmt.41 Er erwägt nicht, die Person in sozialen Institutionen und Anerkennungsverhältnissen aufzuheben, und stellt sich insofern der Theorieperspektive von Fichtes und Hegels Sozialphilosophie entgegen, nach der der Personbegriff einen Akteur sozialer Anerkennungsverhältnisse bezeichnet. Schelling hält Institutionen oder institutionalisierte Anerkennungsverhältnisse für grundsätzlich ungeeignet, den ethischen Wert individuellen Lebens zu erzeugen, weil nur die einzelne Person

39 F.W.J. Schelling, Freiheitsschrift, 40 F.W.J. Schelling, Darstellung

SWVII, 434.

der reinrationalen

Philosophie,

SWXI, 569; vgl. 556: „Die Erfah-

rungen, welche das Ich im Kampfe mit dem Gesetze macht, sind vielmehr von der Art, daß es je länger je mehr den Druck des Gesetzes als einen ihm unüberwindlichen, d.h. als Fluch, empfindet, und so, völlig niedergebeugt, anfängt, das Nichts, den Unwerth seines ganzen Daseyns einzusehen." 41 Siehe ebd., 553.

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ein internes Verhältnis zum Gesetz haben könne: „Dem Staat ist niemand verfallen, aber dem Moralgesetz jeder unbedingt."42 Der „Zweck des Gesetzes" ist Schelling zufolge die „Negation des Ich". Die Person könne nicht umhin, „den Druck des Gesetzes als einen ihm unüberwindlichen" zu empfinden. Dieses Ausgeliefertsein stellt für Schelling einen Wendepunkt dar. Zwar sei es für die selbstbewusste Person nicht möglich, sich als Ich43 aufzuheben, sie könne sich aber immerhin als „ Wirkendes" aufgeben und in einem selbstreferentiellen Rückzug sich ihrer Selbstheit begeben. Die Aufgabe der Selbstheit müsse sich in einem reflexiven Akt vollziehen, anderenfalls wäre sie nichts anderes als Selbstverlust. Lebenspraktisch ist sie „der Schritt aus dem thätigen ins contemplative Leben". Das kontemplative Leben lege eine innere Dimension frei, die von den Zwängen des Äußerlichen wie der Selbstheit unberührt bleibe und insofern eine Annäherung an Gott ermögliche: „Der Geist nämlich, der sich in sich selbst zurückzieht, gibt der Seele Raum, die Seele aber ist ihrer Natur nach das was Gott berühren kann."44 Der Eintritt in das kontemplative Leben ist Schelling zufolge die Wiederannäherung an Gott als Idee. Das Resultat der negativen Philosophie bestehe zunächst darin, dass die Idee noch nicht das .wahrhaft Seyende' sei. Sie verfüge lediglich über einen Gottesbegriff, „der in der Idee, der in die Vernunft eingeschlossen" ist, „in welcher er sich nicht bewegen kann" 45 Das Ich befinde sich dementsprechend in der schwierigen Situation, von dem beschaulichen Leben Abschied genommen zu haben, ohne sich wirklich von der „Eitelkeit des Daseyns" lösen zu können. Es verharre in einem Zustand letzter Verzweiflung, weil die Idee noch nicht imstande sei, den Abfall - „das außer-Gott-Seyn"- aufzuheben. Der terminologische und begründungstheoretische Zuschnitt von Schellings Darlegungen ist nicht mehr geeignet, Zugang in die gegenwärtigen Diskurse der systematischen Philosophie der Person zu finden. Zu offensichtlich sind die semantischen Reifizierungen und Kategorien Verwechslungen. Selbst wenn man bereit wäre, metaphorische Verwendungsweisen zuzugestehen und einen sehr weiten Begriff von systematischer Rekonstruktion ins Spiel zu bringen, könnte kaum das Oszillieren zwischen Begriffs- und Sachebene hingenommen werden - der Begriff Gottes bewegt sich nicht, und ein existierender persönlicher Gott würde sich durch keinen Begriff in seiner Bewegungsfreiheit einschränken lassen. Die große Distanz Schellings zu den Verläufen der gegenwärtigen Philosophie sollte gleichwohl nicht darüber hinwegtäuschen, dass er mit einer systematischen Problemstellung befasst ist. Er setzt Ausdrücke wie ,Sündenfair oder , Abfall' ein, um den Grund bewusster Endlichkeit identifizieren zu können. Aus den herkömmlichen semantischen Operationen des deutschen Idealismus, die im Wesentlichen auf Wechselbeziehungen zwi42 Ebd., 553. 43 Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal daran erinnert, dass unter dem Begriff des Ich die ganze Struktur des Selbstbewusstseins zu verstehen ist. 44 F. W. J. Schelling, Darstellung der reinrationalen Philosophie, SWXI, 556. 45 Ebd., 566f.

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sehen ,Ieh' und ,Nicht-Ich' oder ,Sein' und ,Nichts' hinauslaufen, wird dieser Grund nicht verständlich. Schellings positive Philosophie kann durchaus so verstanden werden, dass der idealistische Systemgedanke noch einen Argumentationsschritt vor dem Punkt, an dem die Projekte von Fichtes Wissenschaftslehre und Hegels Logik den Anfang machen, buchstäblich auf die Spitze getrieben werden soll. Schelling kritisiert an Fichte und Hegel, dass sie entgegen eigenem Bekunden überaus voraussetzungsvoll ansetzen. Sie sind für ihn typische Ausdrucksformen negativer Philosophie, weil sie vom konstruktiven Ansatz her im Bereich abstrakter Reflexionsverhältnisse verbleiben. Wenn der Grund bewusster Endlichkeit nicht in der abstrakten Idee liegen kann, bleibt für Schelling nur noch eine theoretische Option: Die Faktizität des Abfalls muss zu einem ,thatsächlichen' Unbedingten in Beziehung stehen, das er mit dem Begriff des ,Herrn des Seyns' anspricht. Der ,Herr des Seyns' handelt, begründet eine Vorsehung und kann „als ein selbst thatsächlicher dem Thatsächlichen des Abfalls entgegentreten" 46 Der Ausdruck ,Herr des Seyns' markiert die semantische Transformation des Unbedingten in die supramundane Persönlichkeit. In einem radikalen Schritt der Selbstbegrenzung verzichtet Schelling auf die herkömmliche Vorgehensweise, das höchste Gut in der Idee oder der Vernunft zu begründen. Das persönliche Ich verlange nach einem Grund, der nicht abstrakte Allgemeinheit, sondern auch Persönlichkeit ist. In Vernunft und Gesetz kämen lediglich abstrakte Strukturen zum Ausdruck. Die Person wolle sich in ihrer Verzweiflung aber nur von einem „Herz, das ihm gleich sey",47 beruhigen lassen. Sie wolle einen aktiven Gott, der nicht nur Idee ist. Von ihm erwartet Schelling ein Glück, das keine Spuren mehr von Eigenheit und Moralität aufweist. Mit dieser Forderung setzt er sich von seinen identitätsphilosophischen Überlegungen ab, nach denen die Person irgendwie Anteil an der Geschichte des Absoluten hat: „die erwartete Seligkeit würde mir getrübt, wenn ich sie noch als (wenigstens mittelbares) Erzeugniß meines Thuns betrachten müßte."48 Weil der Schritt zum Unbedingten zum ,Herrn des Seyns' führe, sei er auch kein Selbstverlust - wie etwa das Versinken in der intellektuellen Anschauung. Die endliche Person strebe danach, sich rückhaltlos einer anderen Person anzuvertrauen. Die existentiellen Abgriinde bewusster Endlichkeit sind deshalb flir Schelling nur durch eine unbedingte Persönlichkeit zu überwinden: Person sucht Person.49

46 Ebd., 566. 47 Ebd., 569. 48 Ebd., 567. 49 Siehe ebd., 566f.: „Ihn, Ihn will es haben, den Gott, der handelt, bei dem eine Vorsehung ist, der als ein selbst

thatsächlicher

dem Thatsächlichen

des Abfalls entgegentreten

kann, kurz der der

Herr des Seyns ist (nicht transmundan nur, wie es der Gott als Finalursache ist, sondern supramundan). In diesem sieht es allein das wirklich höchste Gut. Schon der Sinn des contemplativen Lebens war kein andrer, als über das Allgemeine zur Persönlichkeit durchzudringen. Denn Person sucht Person. Mittels der Contemplation jedoch konnte das Ich im besten Falle nur die Idee wieder finden, und also auch nur den Gott, der in der Idee, der in die Vernunft eingeschlossen, in welcher

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Schelling bemüht sich in seiner späten Philosophie überaus angestrengt, die Person in ihrer individuellen Eigentümlichkeit zu erfassen. Der Individualitätssinn wird ihm zufolge verfehlt, wenn das Gesetz als Kern der Person ausgewiesen wird. Mit der Allgemeinheit des Gesetzes ließen sich keine individuellen Züge verbinden, weil sie allen Personen in gleicher Weise gegenüberträte. In diesem Zusammenhang entdeckt Schelling nicht zuletzt auch einen gravierenden Fehler in Kants Postulatenlehre: Es sei nämlich nicht die praktische Vernunft, die nach Glückseligkeit verlange, sondern die Person in ihrer Individualität als Individualität. Es hat allerdings den Anschein, als sei die Formel Person sucht Person von Schelling nicht entschieden genug bedacht worden. Der Endlichkeitsfehlschluss vom Bedingten auf das Unbedingte, den er zu Recht Fichte vorrechnet, tritt nämlich auch in seiner späten Philosophie der Person auf. Das Verlangen nach einer höheren Persönlichkeit muss sich letztlich immer in den Bestimmungen ausdrücken, die auch dem eigenen Selbstverständnis zugrunde liegen - eben ablesbar an der Formel Person sucht Person oder an der Suche nach ,einem Herz, das ihm gleich sei'. Das Unbedingte als Persönlichkeit ist aber ersichtlich eine Extrapolation von Vorstellungen zum Selbstverständnis von Personen und ihren existentiellen Bedürfnissen. Die bewusste Endlichkeit muss die irritierende Erfahrung machen, dass sie in dem Grund, den sie ursprünglich außer sich gesetzt hat, sich selbst begegnet. Was bleibt von Schellings später Philosophie der Person angesichts des Umstands, dass sie herkömmlichen Theorietypen nicht einmal entfernt ähnelt? Unabhängig von der Tragfähigkeit seiner positiven Philosophie ist die Kritik an der Grundlosigkeit der modernen, an Reflexions-, Vernunft- und Handlungsfähigkeit ausgerichteten Philosophie der Person auch aus der Sicht der gegenwärtigen Philosophie bedenkenswert. Schelling glaubt, dass personales Leben nur in einer Art Protopersonalität ihren Grand haben könne. Der Großteil der Vertreter der neueren systematischen Philosophie der Person wird die Vorstellung von einer Protopersonalität wohl für zu phantastisch halten. Auf diesen Vorbehalt hätte Schelling entgegnen können, dass die Annahme eines schweigenden Universums, in dem gleichwohl Personen existieren, ihrerseits zu bizarr sei. Um die Theorieperspektive von Schellings personalitätstheoretischem Sonderweg mit Aussicht auf systematischen Gewinn weiterverfolgen zu können, wäre es zunächst vonnöten, die Frage zu beantworten, ob das Leben einer Person über einen Grund verfügen müsse, um als ein solches geführt werden zu können. Es gereicht der gegenwärtigen Philosophie der Person sicherlich nicht zum Vorteil, dass sie nicht einmal im Ansatz die Bereitschaft erkennen lässt, über diese Frage nachzudenken.

er sich nicht bewegen kann, nicht aber den, der außer und über der Vernunft ist, dem also möglich, was der Vernunft unmöglich, der dem Gesetz gleich, d.h. von ihm frei machen kann."

II.

Die Zeit der Person

AXELHUTTER

Das geschichtliche Wesen der Personalität

1. Unpersönlichkeit oder Persönlichkeit des Absoluten? Schellings Philosophie der Person und ihr systematisches Zentrum, die Einsicht in das geschichtliche Wesen der Personalität, sind - wie die folgende Darstellung zu zeigen versucht - von großer sachlicher Bedeutung und aktuellem Interesse. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, daß sich Schellings philosophische Anfänge durch ein explizites Desinteresse am Begriff der „Persönlichkeit" auszeichnen. So schreibt Schelling in seiner frühen Schrift Vom Ich als Prinzip der Philosophie aus dem Jahr 1795: Im endlichen Ich ist Einheit des Bewußtseins, d.h. Persönlichkeit. Das unendliche Ich aber kennt gar kein Objekt, also auch kein Bewußtsein und keine Einheit des Bewußtseins, Persönlichkeit. Mithin kann das letzte Ziel alles Strebens auch als Erweiterung der Persönlichkeit zur Unendlichkeit, d.h. als Zernichtung derselben vorgestellt werden.1

Persönlichkeit im Sinne einer synthetischen „Einheit des Bewußtsein" ist demnach nur dem endlichen Bewußtsein zuzuschreiben, nicht aber dem unendlichen Bewußtsein, das als eigentliches Thema und Prinzip der Philosophie begriffen werden muß. Ein „persönliches" Bewußtsein kann daher umgekehrt nur als ein mangelhaftes, eingeschränktes Bewußtsein verstanden werden. Die Denkbewegung der Philosophie läßt sich deshalb für den frühen Schelling pointiert als „Zernichtung der Persönlichkeit" bestimmen, d.h. als Erweiterung des endlichen Bewußtseins zur Unendlichkeit. Diesen Gedanken entwickelt Schelling in einem Brief an Hegel aus demselben Jahr noch etwas deutlicher: „Persönlichkeit entsteht durch Einheit des Bewußtseins. Bewußtsein aber ist nicht ohne Objekt möglich, für Gott aber, d. h. für das absolute Ich gibt es gar kein Objekt, denn dadurch hörte er auf absolut zu sein. - Mithin gibt es keinen persönlichen Gott, und unser höchstes Bestreben ist die Zerstörung der Persönlichkeit, Übergang in die absolute Sphäre des Seins".2 Hier wird das unendliche Bewußtsein mit dem Begriff Gottes zusammengedacht, der genau deshalb als absolutes Ich zu bestimmen ist, weil er

1 2

F.W.J. Schelling, Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, SW 1,200. Brief Schellings an Hegel vom 4. Februar 1795, in: G.L. Pütt, Aus Schellings Leben. In Briefen, 3 Bde., Leipzig 1869-70, Bd. 1,77.

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ein unpersönliches Ich ist. Der Begriff eines persönlichen Gottes ist für den frühen Schelling deshalb eine contradictio in adjecto. Für das endliche und somit persönliche Bewußtsein ergibt sich daraus das Ziel einer „Zerstörung" der eigenen Persönlichkeit; für die Philosophie hingegen die programmatische Konsequenz, sich möglichst rein in einer „absoluten Sphäre des Seins" zu erhalten, der jede Personalität und jede positive Vermittlung zum Endlichen fremd ist.3 Durch diese kurze Vorerinnerung wird die systematisch grundlegende These der Schellingschen Freiheitsschrift aus dem Jahr 1809, Gott sei „die höchste Persönlichkeit",4 erst in ihrer ganzen Tragweite deutlich. Bemerkenswert ist nämlich nicht nur ihr scharfer Kontrast zu den zitierten Thesen des frühen Schelling; bemerkenswert ist vor allem, daß Schellings neues Verständnis von Personalität keineswegs bloß ein bestimmtes Teilgebiet der Philosophie betrifft. Denn die bei Schelling von Anfang an zu beobachtende systematische Verbindung des philosophischen Verständnisses von Personalität mit dem philosophischen Verständnis Gottes macht unmittelbar deutlich, daß die mit der Freiheitsschrift einsetzende Neuorientierung das Seinsverständnis als solches verändert und daher sämtliche Hauptthemen der Philosophie betreffen und in einen neuen systematischen Gesamtzusammenhang rücken muß. In diesem Sinne werden die folgenden Überlegungen zunächst das neue Verständnis von Personalität in Schellings Freiheitsschrift exponieren. Im Anschluß daran soll dann schrittweise der zeitliche und geschichtliche Charakter der von Schelling neu begriffenen Personalität herausgearbeitet werden. Das Neue des Schellingschen Ansatzes läßt sich nämlich - so die hier verfolgte These - genau in dem Maße auf den Begriff bringen, in dem es gelingt, das genuin geschichtliche Wesen der von Schelling thematisierten Personalität zu verstehen. Durch ein solches Vorgehen wird zudem Schellings eigene Entwicklung von der Freiheitsschrift zu den Weltalter-Fragmenten und zur Spätphilosophie nachvollzogen. Denn es wird sich zeigen, daß Schelling die erstmals in der Freiheitsschrift anvisierte Geschichtlichkeit der Person erst in den späteren Texten ganz eindeutig zur Darstellung bringt.

3

So heißt es in Schellings Schrift Philosophie und Religion (1804): „vom Absoluten zum Wirklichen gibt es keinen stetigen Übergang, der Ursprung der Sinnenwelt ist nur als ein vollkommenes Abbrechen von der Absolutheit, durch einen Sprung, denkbar". Die „Philosophie hat" daher „zu den erscheinenden Dingen ein bloß negatives Verhältnis, sie beweist nicht sowohl, daß sie sind, als daß sie nicht sind: wie kann sie ihnen also irgend ein positives Verhältnis zu Gott geben?" (F. W. J. Schelling, Philosophie und Religion, SWVI, 38).

4

F.W. J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände [= Freiheitsschrift], SW VII, 395 (vgl. 444).

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2. Grund von Existenz - Existierendes - Existenz Das allgemeine Wesen der Personalität wird in Schellings Freiheitsschrift dahingehend bestimmt, daß „Persönlichkeit" stets „auf der Verbindung eines Selbständigen mit einer von ihm unabhängigen Basis beruht, so nämlich, daß diese beiden sich ganz durchdringen und nur Ein Wesen sind".5 Das Wesen der Personalität beruht für Schelling also nach wie vor auf einer eigentümlichen Synthese - allerdings nicht länger auf der synthetischen Einheit von Subjekt- und Objektbewußtsein, sondern auf der noch näher zu bestimmenden „Verbindung" eines „Selbstständigen" mit einer von ihm unabhängigen „Basis". Dieser neue Ansatz bei einer inneren Differenz, die jeder personalen Einheit einbeschrieben ist, führt in der Freiheitsschrift auf die grundlegende „Unterscheidung" zwischen „dem Wesen, sofern es existiert, und dem Wesen, sofern es bloß Grund von Existenz ist".6 Die personale Identität kommt demnach für Schelling nicht trotz, sondern aufgrund einer zentralen Nichtidentität zustande, aus der die genuin persönliche Synthese des „Einen Wesens" überhaupt erst - als Verbindung - hervorzugehen vermag. Schelling kann deshalb sagen, „das allgemeine Fundament" seiner Freiheitsschrift liege in der systematischen „Unterscheidung zwischen dem Existierenden und dem, was Grund von Existenz ist".7 Allerdings macht die Unterscheidung zwischen „Existierendem" und „Grund von Existenz" schon von sich aus darauf aufmerksam, daß sie begrifflich nicht vollständig ist. Denn offenkundig bezieht sich der Grund von Existenz nicht auf Existierendes, sondern auf Existenz (eine feine, aber entscheidende Differenz). Vor dem Hintergrund des bisherigen Gedankengangs läßt sich daher vermuten, daß Schelling mit „Existenz" genau jene eigentümliche Synthese oder Verbindung von „Existierendem" und „Grund von Existenz" zu Einem Wesen bezeichnet, die zwar einerseits nicht unabhängig von der ihr vorauszusetzenden Unterscheidung zu denken ist, die sich jedoch andererseits in ihrer näheren Bestimmung nicht unmittelbar aus dieser Unterscheidung ableiten läßt. Daß diese Vermutung einen unzweideutigen Rückhalt im Text der Freiheitsschrift findet, läßt sich nicht zufällig an der zentralen Passage zeigen, in der Schelling die Grundthese seiner Freiheitsschrift, Gott müsse als „höchste Persönlichkeit" gedacht werden, genauer expliziert. Nach der bereits zitierten Bestimmung, das allgemeine Wesen der „Persönlichkeit" sei die Verbindung eines Selbstständigen mit einer von ihm unabhängigen Basis zu Einem Wesen, fährt Schelling nämlich fort: „so ist Gott durch die Verbindung des idealen Prinzips in ihm mit dem (relativ auf dieses) unabhängigen Grunde, da Basis und Existierendes in ihm sich notwendig zu Einer absoluten Existenz vereinigen, die höchste Persönlichkeit".8 Hier wird also von Schelling ganz expüzit zwischen Grund (von Existenz), Existierendem und Existenz unterschieden: Existenz ist die synthetische Verbindung von Basis (bzw. Grund) und Existierendem, und zwar dergestalt, daß eine solche

5

Ebd., 394 f.

6

Ebd., 357.

7

Ebd., 373.

8

Ebd., 395.

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Verbindung des näheren als persönliche Existenz oder als Existenz der Persönlichkeit zu verstehen ist. Die fundamentale Unterscheidung zwischen Grund von Existenz und Existierendem umschreibt demnach nur die systematische Voraussetzung für ein angemessenes Verständnis von Personalität, aus der sich das gesuchte Verständnis keineswegs „von selbst" ergibt. Denn der spezifisch „persönliche" Charakter, der die Personalität erst zu dem macht, was sie ist, läßt sich weder dem Existierenden noch dem Grund von Existenz zusprechen, weil er für Schelling allein aus der Verbindung beider Prinzipien hervorgehen kann. Keines der beiden Prinzipien, die Schelling auch als ideales und reales Prinzip unterscheidet,9 kann also je für sich zur Begründung einer Philosophie ausreichen, in der das Absolute als höchste Persönlichkeit begriffen wird. Daher muß jeder Versuch, die Philosophie ausschließlich auf dem realen oder auf dem idealen Prinzip zu begründen, konsequenterweise zur Idee eines apersonalen Absoluten führen. Für Schelling ist es deshalb kein Zufall, daß „der Gott des reinen Idealismus, so gut wie der des reinen Realismus, notwendig ein unpersönliches Wesen ist, wovon der Fichtesche und Spinozische Begriff die klarsten Beweise sind".10 Die eigentümliche Synthese zweier Prinzipien macht freilich in der Freiheitsschrift nur die allgemeine Existenzweise der Persönlichkeit aus, während der besondere Charakter der Persönlichkeit erst durch die für ihn spezifische Art und Weise dieser Verbindung bestimmt wird. Daher ist die besondere Persönlichkeit Gottes nur deshalb die höchste Persönlichkeit, weil die Art und Weise, wie in ihm die beiden Prinzipien verbunden sind, vollkommen oder „absolut" ist. Schelling drückt das Absolute dieser absoluten Existenz auch so aus, daß - wenn die „lebendige Einheit" der Prinzipien als Geist bestimmt wird „Gott, als das absolute Band derselben, Geist im eminenten und absoluten Verstände" ist.11 Der als Geist begriffene Gott ist demnach nicht deshalb die „höchste Persönlichkeit", weil das ideale Prinzip in ihm oder dessen reale Basis einzigartig sind, sondern deshalb, weil die Art ihrer Verbindung, das „Band" zwischen ihnen einzigartig, nämlich absoluter Geist ist. Die persönliche Existenz ist somit in ihrem Wesen weder vom Existierenden noch vom Existenzgrund aus eindeutig zu bestimmen. Sie ist zwar formal als Verbindung der beiden genannten Momente bestimmt, doch läßt diese Bestimmung das spezifische Wesen des „Bandes" gerade offen. Die Verbindung gewinnt hier eine Eigenmacht gegenüber den beiden Prinzipien, die sie verbindet; eine Eigenmacht, die Schelling in der Freiheitsschrift als Geist oder als Freiheit begreift. Die Eigentümlichkeit dieser geistigen Freiheit, deren Wesen philosophisch auf den angemessenen Begriff zu bringen ist, besteht aber für Schelling darin, daß ihre Unbedingtheit nur in Verbindung mit einer Bedingtheit gedacht werden kann. Denn in dieser bedingten Unbedingtheit, deren Begriff auf den ersten Blick paradox anmuten muß, besteht gerade die Personalität der geistigen Freiheit. Deshalb

9 Vgl. ebd., 405. 10 Ebd., 395. 11 Ebd.

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kann Schelling pointiert sagen: „Alle Existenz fordert eine Bedingung, damit sie wirkliche, nämlich persönliche Existenz werde. Auch Gottes Existenz könnte ohne eine solche nicht persönlich sein".12 Hier wird das Provozierende und zugleich Riskante von Schellings Neuansatz, d.h. seines neuen Begriffs der geistigen Personalität und insbesondere seines neuen Begriffs der göttlichen Personalität, unmittelbar deutlich. Denn der zuletzt angeführte Gedanke provoziert geradezu den Einwand, daß Gottes Existenz niemals von einer „Bedingung" abhängig gemacht werden kann, weil dies dem absoluten oder unbedingten Charakter der Göttlichkeit widerstreitet. Schelling begegnet diesem Einwand, indem er erläuternd hinzufügt, daß Gott die Bedingung seiner Existenz „in sich, nicht außer sich hat". 13 Mit dieser nicht sofort verständlichen Erläuterung wird eine Abhängigkeit von der Bedingung der eigenen Existenz bestritten, die in der Tat mit dem Begriff der göttlichen Existenz unvereinbar wäre, weil sie, wie sich zeigen wird, für den Begriff der menschlichen Existenz kennzeichnend ist. Der Gedanke einer Nichtabhängigkeit Gottes von der Bedingung seiner persönlichen Existenz kann deshalb nur verständlich gemacht werden, indem die besondere Auszeichnung der göttlichen Personalität im Unterschied zur menschlichen Personalität näher bestimmt wird. Es wird dabei zu erwarten sein, daß sich die spezifisch menschliche Personalität durch eine andere Art der Verbindung zwischen Existierendem und Grund von Existenz bestimmen läßt, in der sich zugleich die für den Menschen charakteristische Abhängigkeit zu erkennen gibt. Denn die Abhängigkeit ist für den späteren Schelling stets das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zwischen göttlicher und menschlicher Personalität: Verlangen wir einen Gott, den wir als ein ganz lebendiges, persönliches Wesen ansehen können, dann müssen wir ihn eben auch ganz menschlich ansehen, wir müssen annehmen, daß sein Leben die größte Analogie mit dem menschlichen hat, daß in ihm neben dem ewigen Sein auch ein ewiges Werden ist, daß er mit einem Wort Alles mit dem Menschen gemein hat, ausgenommen die Abhängigkeit.14

3. Die abhängige Freiheit des Menschen Die Differenz zwischen götüicher und menschlicher Personalität wird von Schelling in einem ersten Anlauf dahingehend bestimmt, daß die synthetische Einheit der Prinzipien, „die in Gott unzertrennlich ist, [...] im Menschen zertrennlich sein" muß; wäre nämlich „im Geist des Menschen die Identität beider Prinzipien ebenso unauflöslich als in Gott, so wäre kein Unterschied".15 Die zentrale Unterscheidung zwischen absolutem Geist (Gott) 12 Ebd., 399. 13 Ebd. 14 F. W . J. Schelling, Stuttgarter

15 Freiheitsschrift, SWVII, 364.

Privatvorlesungen,

SW VII, 432.

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und endlichem Geist (Mensch) stützt sich hier also tatsächlich nicht auf einen Unterschied in den fundamentalen Prinzipien, sondern allein auf einen Unterschied in der Art und Weise, wie diese Prinzipien jeweils zur geistigen Existenz der Person verbunden sind. Die spezifische Endlichkeit des menschlichen Geistes wird demnach am Leitfaden der Frage aufzuklären sein, wie sich die „Zertrennlichkeit", d.h. die „Auflösung der in Gott unauflöslichen Prinzipien"16 konkret bestimmen läßt. Für Schellings Vorgehen in der Freiheitsschrift ist somit der Gedanke leitend, daß das spezifisch Menschliche der menschlichen Personalität allein im explikativen Kontrast zu einer absoluten Personalität dargestellt werden kann, was aber auch umgekehrt bedeutet, daß sich für Schelling die Eigenart der „höchsten" Persönlichkeit Gottes nur im explikativen Kontrast zur endlichen Persönlichkeit des Menschen erhellen läßt. Die Freiheitsschrift entfaltet nun diesen endlichen Charakter des menschlichen Geistes vermittels einer systematischen Engführung mit dem endlichen Charakter der menschlichen Freiheit. Das „Bestimmte der menschlichen Freiheit" besteht aber Schelling zufolge darin, „daß sie ein Vermögen des Guten und des Bösen" ist.17 Die konkrete Gestalt, zu der hier die für die menschliche Personalität charakteristische Zertrennlichkeit der Prinzipien fortbestimmt wird, ist demnach die den Menschen kennzeichnende Doppelmöglichkeit des Guten und des Bösen. Deshalb lautet der oben nur teilweise wiedergegeben Satz vollständig: „Diejenige Einheit, die in Gott unzertrennlich ist, muß also im Menschen zertrennlich sein - und dieses ist die Möglichkeit des Guten und des Bösen".18 Im Umkehrschluß muß somit die für die „höchste Persönlichkeit" charakteristische Unzertrennlichkeit der beiden Prinzipien als Freiheit des absoluten Geistes bestimmt werden, die ausschließlich ein Vermögen des Guten ist und sich in dieser Eindeutigkeit grundlegend von der zweideutigen Doppelmöglichkeit des Guten und Bösen unterscheidet.19 Schelling wendet sich freilich gegen die nahe liegende Auffassung, die Zertrennlichkeit der Prinzipien und die mit ihr einhergehende Abhängigkeit der menschlichen Freiheit sei als etwas rein Negatives, d.h. als ein bloßer Mangel oder eine Einschränkung der menschlichen Existenz zu verstehen. „Denn schon die einfache Überlegung, daß es der Mensch, die vollkommenste aller sichtbaren Kreaturen ist, der des Bösen allein mächtig ist, zeigt, daß der Grund desselben keineswegs in Mangel oder Beraubung liegen könne". 20 Das Spezifische der menschlichen Freiheit muß daher ganz im Gegenteil nicht als Einschränkung, sondern als zweideutige Entschränkung eines abhängigen Geistes be16 Ebd., 365. 17 Ebd., 352. 18 Freiheitsschrift,

SW VII, 364 (Hervorhebung: A.H.).

19 Ein solches absolutes Vermögen des Guten, das nicht zugleich ein Vermögen des Bösen wäre, ist zwar für den Menschen begrifflich bestimmbar, aber nicht konkret vorstellbar. In diesem Versagen der menschlichen Vorstellungskraft, die sich nur eine Freiheit zum Guten und Bösen oder gar keine Freiheit vorstellen kann, tritt die Endlichkeit des menschlichen Geistes besonders prägnant hervor. 20 Freiheitsschrift,

SW VII, 368.

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griffen werden. Die Abhängigkeit des Menschen gründet dergestalt nicht in einem Mangel der menschlichen Existenz, sondern gerade in ihrer positiven Bestimmung: in dem Erhobensein des menschlichen Selbstseins in die Freiheit. Das spezifische Wesen der menschlichen Freiheit muß daher für Schelling so lange unerkannt bleiben, so lange die Philosophie keinen angemessen „Begriff der Persönlichkeit, d.h. der zur Geistigkeit erhobenen Selbstheit" entwickelt hat und statt dessen „nur die abgezogenen Begriffe des Endlichen und des Unendlichen" kennt.21 Schelling erläutert diesen zentralen Gedanken einer im Menschen zur Geistigkeit erhobenen Selbstheit folgendermaßen: „Das aus dem Grunde der Natur emporgehobene Prinzip, wodurch der Mensch von Gott geschieden ist, ist die Selbstheit in ihm, die aber durch die Einheit mit dem idealen Prinzip Geist wird". Der Mensch, so Schelling, ist demnach „Geist als ein selbstisches, besonderes (von Gott geschiedenes) Wesen, welche Verbindung eben die Persönlichkeit ausmacht. [...] Dadurch, daß sie Geist ist, ist also die Selbstheit frei von beiden Prinzipien".22 Der Geist wird hier erneut als Einheit des idealen Prinzips mit dem realen, „aus dem Grunde der Natur emporgehobenefn] Prinzip" bestimmt. In dieser synthetischen Einheit wird das reale Prinzip idealisiert und das ideale Prinzip zugleich realisiert - eine Verbindung, die „eben die Persönlichkeit ausmacht". Die Persönlichkeit ist somit eine vergeistigte Selbstheit und ein „selbstischer" Geist. Oder anders gewendet: „Das Band unserer Persönlichkeit ist der Geist".23 Als Geist wird die persönliche Existenz frei von den beiden Prinzipien und gewinnt ihnen gegenüber eine Eigenmacht, die sich weder vom Realen noch vom Idealen her unmittelbar bestimmen läßt. Zugleich liegt in der zur Geistigkeit erhobenen Selbstheit aber auch eine implizite Norm, wie die beiden Prinzipien aufeinander zu beziehen sind. Denn die Selbstheit ist Schelling zufolge „nur dadurch Geist", daß sie „zwar (als Eigenwille) im Grunde noch bleibt (weil immer ein Grund sein muß)", „aber bloß als Träger und gleichsam Behälter des höheren Prinzips".24 In der vergeistigten Selbstheit soll also das Moment der Selbstheit nur als „Grund" oder als „Träger" des höheren Prinzips Bedeutung erlangen, so daß sich die Allgemeinheit des idealen Prinzips in seiner realen Besonderung als geistige Allgemeinheit erhalten kann. Die „Zertrennlichkeit" der Prinzipien ist demnach nicht buchstäblich als die Möglichkeit einer Trennung der Prinzipien zu verstehen, weil eine solche Trennung die Verbindung der Prinzipien und mit ihr die Freiheit der persönlichen Existenz auflösen würde. Vielmehr ist die „Zertrennlichkeit" des näheren als die Möglichkeit einer Verkehrung des internen Verhältnisses der beiden Prinzipien zu fassen. Wenn nämlich die menschliche Freiheit ein Vermögen des Guten und des Bösen ist, dann kann das Gute des seinsollenden Verhältnisses von besonderer Selbstheit und allgemeiner Geistigkeit verkehrt werden in das Böse der nichtseinsollenden Dominanz der Selbstheit über die Geistigkeit. Die „allgemeine Möglichkeit des Bösen" besteht deshalb Schelling zufolge darin, „daß der 21 Ebd., 370 f. 22 Ebd., 364. 23 Ebd., 414. 24 Ebd., 364.

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Mensch seine Selbstheit, anstatt sie zur Basis" zu machen, zum „herrschenden und zum Allwillen zu erheben, dagegen das Geistige in sich zum Mittel zu machen strebt".25 Und Schelling ist überzeugt, damit den „allein richtigen Begriff des Bösen" gefunden zu haben, „nach welchem es auf einer positiven Verkehrtheit oder Umkehiung der Prinzipien beruht".26 Die zur Geistigkeit, d.h. zur Persönlichkeit erhobene Selbstheit des Menschen wird von Schelling dergestalt in einem sehr genauen Sinne als Gipfelpunkt und zugleich als Krise in der Evolution des Lebens begriffen. Denn im Menschen ist das lebendige Band zwischen Naturbasis und selbständig Existierendem zur völligen Freiheit entfaltet. „Der Mensch ist" für Schelling „auf jenen Gipfel gestellt, wo er die Selbstbewegungsquelle zum Guten und Bösen gleichsam in sich hat: das Band der Prinzipien in ihm ist kein notwendiges, sondern ein freies. Er steht am Scheidepunkt" 27 Im Menschen gewinnt somit das Leben eine gänzlich neue Qualität, indem der Mensch sich nunmehr frei zum Grund seiner Existenz verhalten kann. Zwar bekommt der abhängige Mensch die Bedingungen seiner Existenz „nie in seine Gewalt", doch gehört es für Schelling gerade zum Wesen der menschlichen Freiheit, daß er „im Bösen danach strebt" 28 In seiner Freiheit kann sich der Mensch zu dem Verhältnis von Existierendem und Grund von Existenz, das seine persönliche Existenz bedingt, noch einmal bewußt verhalten; in seiner Abhängigkeit muß sich der Mensch aber auch zu diesem Verhältnis immer wieder aufs neue verhalten 29 Beide Momente der endlichen Freiheit zusammengenommen ergeben die Möglichkeit zum Guten und zum Bösen, weil sie dem Menschen die Versuchung eröffnen, die Bedingungen seiner Existenz „in seine Gewalt" bekommen zu wollen, um so die Abhängigkeit zu tilgen. Dieser gewaltsame Versuch, sich des eigenen Existenzgrundes zu bemächtigen, schlägt aber vermittels einer eigentümlichen Dialektik in die Ermächtigung des Grundes um, dem der Mensch im Bösen verfällt. Diese überaus komplexe Beziehung zwischen der abhängigen Freiheit des Menschen und der zweideutigen Möglichkeit des Guten und Bösen versucht Schelling an einer besonders aufschlußreichen Stelle seiner Freiheitsschrift durch eine Analogie zu jener eigentümlichen Zweideutigkeit zu erhellen, die dem Schwindelgefühl eigen ist. Denn „wie den, welchen auf einem hohen und jähen Gipfel Schwindel erfaßt, gleichsam eine geheime Stimme zu rufen scheint, daß er herabstürze",30 so liegt in der Freiheit des auf dem 25 Ebd., 389. 26 Ebd., 366. 27 Ebd., 374. 28 Ebd., 399. 29 Kierkegaard hat diesen Gedanken - sicherlich nicht unabhängig von Schelling - in die markanten Sätze gefaßt: „Der Mensch ist Geist. Aber was ist Geist? Geist ist das Selbst. Aber was ist das Selbst? Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, oder ist das am Verhältnis, daß das Verhältnis sich zu sich selbst verhält; das Selbst ist nicht das Verhältnis, sondern daß das Verhältnis sich zu sich selbst verhält" (S. Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, übersetzt von L. Richter, Frankfurt/M. 1984,13). 30 Freiheitsschrift, SW VII, 381.

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kritischen Gipfel des Lebens stehenden Menschen eine Zweideutigkeit, die der menschlichen Existenz die Möglichkeit zu eröffnen scheint, sich der eigenen Existenzbasis zu bemächtigen. Die Unverfügbarkeit des Grundes übt dergestalt für den endlichen Geist einen beständigen „Sog" aus (die „geheime Stimme" der Tiefe), dem sich die menschliche Freiheit im Bösen überlassen kann, aber nicht muß - so wie der Schwindelnde fallen kann, aber nicht muß. Durch diese permanente Schwerkraft des unverfügbaren Grundes erhält die abhängige Existenz des Menschen bei Schelling ihre grundsätzliche Struktur und Orientierung, welche die menschliche Freiheit nicht einschränkt, sondern überhaupt erst möglich macht. Denn der Sog des Grundes scheint den Menschen zwar ständig mit geheimer Stimme aufzufordern, sich der falschen Unendlichkeit der eigenen Tiefe anheimzugeben, doch hebt dieser Schein keineswegs - wie die Analogie des Schwindeins zeigt - die Gegenmöglichkeit auf, dem Sog zu widerstehen, also im wahrsten Sinne des Wortes „Stand zu halten". 31 Das Gute läßt sich für Schelling deshalb nur im Hinblick auf die negative Möglichkeit des Bösen verstehen, nämlich als gelungener Widerstand, der den Sog in die Tiefe überwindet, indem er ihm stets von neuem die Kraft zum Gegenteil abgewinnt. Es ist bemerkenswert, daß Schelling in den Weltalter-Fragmenten aus dieser besonderen Einsicht in das Wesen der menschlichen Freiheit eine allgemeine Methodologie entwickelt: „Nicht von oben herab", sondern „von unten hinauf geht der Weg lebendiger Wissenschaft". 32 Deshalb besteht für Schelling ein Hauptmangel der „neueren Philosophie" darin, daß sie „die leitende Verbindung mit diesem dem Unteren gänzlich" aufhob: „Sie schämte sich, von der Erde anzufangen; an der Kreatur als einer Leiter aufzusteigen". Die Folgen einer solchen Scham, von der Erde anzufangen, für eine Philosophie, die das Obere unter Absehung vom Unteren thematisieren will, können aber keinem Zweifel unterliegen. Denn „mit der irdischen Schwerkraft" verliert sie, so Schelling, zugleich das Vermögen, sich zum Himmel zu erheben. Denn nicht jene aufgeben oder wegwerfen, sondern sie behalten und überwinden, das ist das Große, wie die Kraft des Adlers im Flug nicht darin besteht, daß er keinen Druck der Luft empfindet, sondern daß er ihn überwindend selbst zum Mittel seiner Erhebung macht. 33

4. Priorität und Superiorität Der bisherige Gedankengang läßt sich anhand einer bemerkenswerten Passage zusammenfassen und zugleich fortführen, die sich am Ende der Freiheitsschrift findet. Die Passage, die zunächst vollständig zitiert werden soll, lautet:

31 Ebd., 390. 32 F.W.J. Schelling: Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813. Hg. von Manfred Schröter. München 1979 [= Weltalter 1. Fassung], 197. 33 Die Weltalter 1. Fassung, 196.

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so hoch wir auch die Vernunft stellen, glauben wir doch z . B . nicht, daß jemand aus reiner Vernunft tugendhaft, oder ein Held, oder überhaupt ein großer Mensch sei; ja nicht einmal, nach der bekannten Rede, daß das Menschengeschlecht durch sie fortgepflanzt werde. Nur in der Persönlichkeit ist Leben; und alle Persönlichkeit ruht auf einem dunkeln Grunde, der also allerdings auch Grund der Erkenntnis sein muß. Aber nur der Verstand ist es, der das in diesem Grunde verborgene und bloß potentialiter enthaltene herausbildet und zum Aktus erhebt. 34

Hier treten die bislang erörterten Aspekte des Schellingschen Neuansatzes in der Freiheitsschrift zu einer komplexen Gedanken zusammen. Das ideale Prinzip der reinen „Vernunft" wird von Schelling zwar „hoch" gestellt, doch ist sie nicht das Höchste. Denn das Höchste, um dessen zureichende Bestimmung es in der Freiheitsschrift geht, kann gar nicht aus einem einzigen Prinzip heraus verstanden werden, da es vielmehr als das verbindende „Band" zweier Prinzipien, d.h. als Geist begriffen werden muß. Genuin geistige Phänomene in diesem Sinne sind aber das Sittliche, wie die Tugend und der Mut, und das Lebendige.35 Beiden Grundphänomenen eignet aber für Schelling ein persönlicher Charakter, so daß er sagen kann, nur in der Persönlichkeit sei Leben und - wie man unschwer ergänzen kann - nur in der Persönlichkeit sei Tugend und Mut. Das zentrale Moment, welches die geistige Persönlichkeit zu dem macht, was sie ist, ist jedoch das Moment der Erhebung (das zugleich die Verbindung zu der oben zitierten Stelle aus den Weltaltern herstellt). Deshalb macht die genuin geistige Bewegung der Erhebung auch allein verständlich, warum „alle Persönlichkeit" auf einem „dunkeln Grunde" ruhen muß. Dieser Grand bildet nämlich den entscheidenden Widerhalt, der die Gegenbewegung der Erhebung überhaupt erst in ihrer inneren Logik möglich macht. Für einen Geist, der absolut ist, ist die Erhebung eine eindeutige Bewegung, die immer an ihr Ziel kommt und daher in gewissem Sinne immer schon an ihr Ziel gelangt ist.36 Für einen Geist, der endlich ist, ist die Erhebung hingegen eine Anstrengung und eine Leistung, die - wie jede Leistung - gelingen oder mißlingen kann. Allerdings ist die spezifische Anstrengung der geistigen Erhebung nicht irgendeine beliebige Leistung, sondern die konstitutive Leistung der persönlichen Existenz, so daß hier auch das Gelingen und Mißlingen kein beliebiges ist, sondern das Gelingen und Mißlingen menschlicher Freiheit. Dadurch wird aufs neue deutlich, warum die göttliche Freiheit eine Freiheit zum Guten, die menschliche Freiheit dagegen eine Freiheit zum Guten und zum Bösen ist. 34 Freiheitsschrift, SWVII, 413f. - Mit der „bekannten Rede" verweist Schelling auf Goethe und sein Distichon: „Fortzupflanzen die Welt, sind alle vernünftigen Diskurse / Unvermögend; durch sie kommt auch kein Kunstwerk hervor." (vgl. den entsprechenden Kommentar von T. Buchheim in: F.W.J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, Hamburg (Meiner) 1997,166). 35 Daß das Leben, insofern es als Geist begriffen werden kann, für Schelling über die „reine" Vernunft hinausgeht, zeigt auch der folgende Satz: „In dem göttlichen Verstände ist ein System: aber Gott selbst ist kein System, sondern ein Leben" (Freiheitsschrift, SWVII, 399). 36 Deshalb sagt Schelling: „Gott ist in einer beständigen Erhebung" (F.W.J. Schelling, Die Weltalter. Bruchstück. Aus dem handschriftlichen Nachlaß (Fassung von 1814 oder 1815) [= Weltalter 3. Fassung], SW VIII, 261).

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Freilich wird an der angeführten Passage vom Ende der Freiheitsschrift auch deutlich, daß Schelling die innere Logik der geistigen Erhebung, die für ihn das Wesen der menschlichen Freiheit bestimmt, nur unzureichend und eher suggestiv zu bestimmen vermag. Das liegt nicht zuletzt daran, daß Schelling das zentrale Moment der geistigen Erhebung, welches sich nicht ausschließlich auf „reine Vernunft" zurückführen läßt, in anschaulichen Modellen zu fassen sucht, die sich zunächst in erster Linie an räumlichen Verhältnissen orientieren. So deutet der „dunkle Grund", auf dem alle Persönlichkeit ruht, in die räumliche Tiefe 37 und die Bewegung der Erhebung spielt sich notwendig zwischen einem Unteren und einem Oberen ab. Die weitere Entwicklung Schellings wird nun diese eher vage Raumlogik zu einer präziseren Zeitlogik fortbestimmen. Dadurch wird aber die räumliche Leitdifferenz zwischen einem Unteren und einem Oberen zur genuin zeitlichen Leitdifferenz zwischen einem Früheren und einem Späteren transformiert. Diese für Schellings voll entfalteten Begriff der menschlichen Personalität schlechthin zentrale Transformation führt als erstes zu der grandlegenden Einsicht, daß für den menschlichen Willen ein absolut erstes Wollen nicht möglich ist: der bewußte Wille kommt hierfür immer zu spät, da er entdeckt, daß er immer schon unbewußt gewollt hat. Solch ein unbewußter oder „natürlicher" Wille hebt die Freiheit des bewußten menschlichen Willens aber nicht auf, sondern bildet im Gegenteil den Grund, die Basis menschlicher Freiheit. Daher kann Schelling in den Weltalter-Fragmenten sehr bestimmt sagen: „Ohne einen vorangehenden natürlichen Willen gäbe es keine Freiheit. Die Zweiheit im Willen entsteht nur dadurch, daß ein Wille schon vorhanden ist und ein anderer Wille ihm angemutet wird. Die Notwendigkeit geht also stets und in jeder Handlung der Freiheit voran". 38 Das Wesen der menschlichen Freiheit ist somit als eine wesentlich zeitlich verfaßte Erhebung zu bestimmen, die zu einer Überwindung der Anfangsbedingungen führt. Diese Überwindung des Anfänglichen hält freilich das Überwundene zugleich fest, indem sie es zum Grund der eigenen, personalen Existenz verwandelt. Die Freiheit konfrontiert den Menschen somit mit der auf den ersten Blick überaus paradox anmutenden Forderung, „daß er seinen Charakter überwinde, nicht aber daß er ohne Charakter sei".39 Schelling erläutert den Sinn dieser Forderang erneut mit seiner zentralen Einsicht in die geschichtliche Zeitlogik der menschlichen Freiheit. Denn eben weil der Charakter „überwunden, aufgeschlossen, gesteigert werden soll, muß er eher sein als das Überwindende". Diese „entschiedne Priorität" des Charakters „in allem Handeln" 40 macht ihn zum Grund menschlicher Freiheit, die sich gerade in dem Vermögen zeigt, die Priorität des anfänglichen Charakters zu überwinden, um ihn zu verändern und zu steigern. Die wahrhaft freie Person ist somit die, welche sich in der Folge frei über ihre unverfugbaren Anfangsbedingungen erhebt. Die Abhängigkeit von einem unverfügbaren Grund der Exi37 Schelling macht selbst ausdrücklich darauf aufmerksam, daß der Begriff des „Grundes" von sich aus „nach unten, in die Tiefe" weist (F.W.J. Schelling, Denkmal Dingen, SW VIII, 58). 38 Die Weltalter 1. Fassung, 101. 39 Ebd., 94. 40 Ebd.

der Schrift von den

göttlichen

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Stenz hebt deshalb die Selbständigkeit und Freiheit der persönlichen Existenz nicht auf, sondern macht sie - als Form der geistigen Erhebung - überhaupt erst möglich. Die eigentümliche Abhängigkeit der menschlichen Personalität steht für Schelling somit durchaus nicht im Widerspruch zur menschlichen Freiheit. Denn „Abhängigkeit", so heißt es schon in der Freiheitsschrift, „hebt Selbständigkeit, hebt sogar Freiheit nicht auf. Sie bestimmt nicht das Wesen, und sagt nur, daß das Abhängige, was es auch immer sein möge, nur als Folge von dem sein könne, von dem es abhängig ist; sie sagt nicht, was es sei, und was es nicht sei".41 Hier blitzt die zeitliche Verfassung der von Schelling thematisierten Personalität gleichsam zum ersten Mal auf.42 Selbständigkeit und Freiheit sind nämlich nur deshalb mit Abhängigkeit vereinbar, weil die Abhängigkeit allein den zeitlichen Folgecharakter des Abhängigen betrifft, nicht aber sein geistiges Wesen, das sich im zeitlichen Verlauf überhaupt erst frei herausbildet, indem es sich über seine Anfangsbedingungen erhebt. Die freie Persönlichkeit ist daher gegenüber den sie ermöglichenden Anfangsbedingungen stets das Spätere - und gerade als Späteres ein Freies. Die Einsicht in die konstitutive Abhängigkeit der menschlichen Freiheit von einem ihr vorausgehenden Existenzgrund ist freilich nicht nur philosophisch schwer zu fassen, sie stößt zudem auch auf eine unmittelbare Abwehr des menschlichen Bewußtseins: „Der Eigendünkel des Menschen sträubt sich", so Schelling, „gegen diesen Ursprung aus dem Grunde, und sucht sogar sittliche Gründe dagegen a u f . Dieser „sittliche" Protest ist für Schelling freilich nur ein völliges Mißverständnis menschlicher Sittlichkeit. Denn Schelling kennt „nichts, das den Menschen mehr antreiben könnte, aus allen Kräften nach dem Lichte zu streben, als das Bewußtsein der tiefen Nacht, aus der er ans Dasein gehoben worden". Die „Klagen", daß „das Verstandlose zur Wurzel des Verstandes" gemacht werde, drücken deshalb für den Schelling der Freiheitsschrift nur den Grandirrtum „heutiger Philosophien aus",43 dem er mit seinem Neuansatz bei einem „dunkeln Grund" entgegentritt, auf dem „alle Persönlichkeit" notwendigerweise ruhen muß. Das Unvermögen der traditionellen Philosophie, das Wesen der Personalität im allgemeinen und das Wesen der spezifisch menschlichen Freiheit im besondern zu verstehen, beruht für Schelling deshalb vor allem auf der irrigen „Meinung: das allem Vorauszusetzende müsse auch das Vortrefflichste" sein.44 Schelling findet für diesen Grandirrtum den prägnanten Ausdruck einer systematischen „Verwechslung von Priorität und Superiorität" 45 Dieser fatalen Verwechslung tritt Schellings Neuansatz kritisch entgegen, indem er die genau „entgegengesetzte Richtung" einschlägt und sich dergestalt von dem Leitge41 Freiheitsschrift,

SW VII, 346 (Hervorhebung: A.H).

42 Diese Einsicht kann sich jedoch in der von räumlichen Vorstellungen dominierten

Freiheitsschrift

noch nicht entfalten. Statt dessen greift Schelling auf Kants Lehrstück einer außerzeitlichen „intelligiblen Tat" zurück (Freiheitsschrift, SWVII, 383 ff.), auf das er sich in den zeitlogischen Texten, die auf die Freiheitsschrift

folgen, nicht mehr beziehen wird - und aus systematischen Gründen

auch nicht mehr beziehen kann. 43 Freiheitsschrift,

SWVII, 360.

44 Die Weltalter 1. Fassung, 212. 45 Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen, SW VIII, 61.

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danken bestimmen läßt: „ D i e Priorität steht im umgekehrten Verhältnis mit der Superiorität". 46 Je „früher" und „anfänglicher" etwas ist, j e mehr es also als „Grund" oder „Fundament" für ein Späteres verstanden werden kann, desto weiter ist es v o m „Höchsten" entfernt. Schelüngs neuer Begriff der geistigen Personalität führt demnach zu der systematischen Konsequenz, daß der traditionelle metaphysische „Positivismus", für den das Erste zugleich das Höchste, d.h. das wahrhaft Positive ist, von einem metaphysischen „Negativismus" abgelöst werden muß, für den das Erste nur das Niedrigste, d.h. das Negative ist, das in der F o l g e überwunden und zum Grund der geistigen Existenz herabgesetzt wird. Dadurch erhält aber die gesamte Wirklichkeit eine geschichtliche Dimension. Für Schelling ist deshalb in „der Welt, wie wir sie jetzt erblicken", zwar „alles Regel, Ordnung und Form; aber immer liegt noch im Grunde das Regellose, als könnte es einmal wieder durchbrechen, und nirgends scheint es, als wären Ordnung und Form das Ursprüngliche, sondern als wäre ein anfänglich Regelloses zur Ordnung gebracht worden". 47 Dem „Jetzt" des gegenwärtigen Bewußtsein liegt also eine Vergangenheit voraus, die in der geregelten Ordnung der Gegenwart nur noch als „Grund" und als latente Gefahr präsent ist, daß das anfänglich Regellose, das in der Gegenwart „zur Ordnung gebracht worden" ist, „einmal wieder durchbrechen" könnte. Hier wird erneut und mit besonderer Schärfe deutlich, daß sich Schelling in der Freiheitsschrift

immer wieder dazu anschickt,

die begriffs- und raumlogische Rede v o m „Grund" auf eine zeiüiche Logik hin zu überschreiten, in der der „Grund" zu einem Früheren wird, das einer späteren Gegenwart „zu Grunde" liegt. Der Wahrheitsgehalt von Schelüngs Philosophie der Person wird sich also genau in dem Maße aufklären lassen, in dem es gelingt, die bislang nur im Ansatz deutlich gewordene Zeitlogik seiner Überlegungen vollständig zu entfalten. Im Zuge dieser Entfaltung wird sich aber zugleich die zeitliche Differenz des Früheren und Späteren zur geschichtlichen Differenz zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vertiefen.

5. Der Aktus der Persönlichkeit Schellings voll entfaltete Philosophie der Person läßt sich systematisch um ein Grundphänomen anordnen, das von Schelling als „Aktus der Persönlichkeit" bezeichnet wird. Dazu heißt es bei ihm, daß jedes „sittliche Wesen, eben um ein solches zu sein, und um sich als solches zu unterscheiden (worin eben der Aktus der Persönlichkeit besteht), einen Anfang seiner selbst in sich selbst haben" muß, „der nicht sittlich ist". 48 Der Aktus der Persönlichkeit beginnt demnach nicht mit einer Verbindung, sondern mit einer Unterscheidung,

46 Die Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 311.

47 Freiheitsschrift, SW VII, 359 f. 48 Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen, S W V I I I , 66. - In einer Anmerkung setzt Schelling erläuternd hinzu, daß ein „nicht sittlicher" Anfang sehr genau von einem „unsittlichen" Anfang zu unterscheiden ist.

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AXEL HUTTER

und zwar mit einer Unterscheidung der Person von sich selbst. Erst aufgrund dieser ursprünglichen Unterscheidung kann sich dann die persönliche Existenz als „zertrennliche" Verbindung des nunmehr Unterschiedenen in einem Prozeß des Bewußtwerdens ihrer selbst bilden: „Von dem Augenblick an", so Schelling, „daß wir die zwei Prinzipien in uns in gewahr werden, daß wir uns in uns selbst scheiden, uns uns selbst entgegensetzen, uns mit dem besseren Teil von uns selbst über den niedrigeren erheben - von dem Augenblick fängt das Bewußtsein an". 49 Schelling spürt hier das zentrale Moment der geistigen Erhebung im elementaren Phänomen des menschlichen Bewußtseins selbst auf. Denn jedes Bewußtsein muß strenggenommen als ein Bewußtwerden verstanden werden, in dem sich das Bewußte über seine unbewußten Anfangsbedingungen erhebt. Dieser genuin geistige Akt der Erhebung ist aber für Schelling nichts anderes als der Akt der Persönlichkeit selbst, so daß auch jedes Personsein strenggenommen als ein Personwerden verstanden werden muß. Auf den genuin geschichtlichen Sinn des dergestalt begriffenen Bewußt- und Personwerdens macht Schelling selbst explizit aufmerksam, wenn er sagt: „Es gibt kein Bewußtwerden (wie eben darum auch kein Bewußtsein), ohne ein Vergangenes zu setzen".50 Der Akt der Persönlichkeit konkretisiert sich damit in zeitlich-geschichtlicher Hinsicht zu einem Bildungsprozeß des Bewußtwerdens, durch den sich ein Bewußtsein als Bewußtsein vergegenwärtigt und dadurch zugleich eine unbewußte Vergangenheit von sich selbst unterscheidet. In diesem Sinne hat für Schelling „alles Bewußtsein das Bewußtlose zum Grund", das „im Bewußtwerden selbst", d.h. im Aktus der Persönlichkeit, „als Vergangenheit gesetzt" wird.51 Das angemessene Verständnis dessen, was Schelling als den „Aktus der Persönlichkeit" bezeichnet, hängt somit zum großen Teil davon ab, daß Schellings Begriff der „Vergangenheit" richtig verstanden wird. Denn offenkundig ist die zuletzt angesprochene Vergangenheit keine, die sich durch den zeitlichen Ablauf „von selbst" ergibt und damit auch irgendwie „von selbst" versteht. Vielmehr muß die Vergangenheit im Akt der Persönlichkeit eigens gesetzt werden. Deshalb kann Schelling sagen: „Nur der Mensch, der die Kraft hat, sich von sich selbst (dem Untergeordneten seines Wesens) loszureißen, ist fähig sich eine Vergangenheit zu erschaffen; eben dieser genießt auch allein einer wahrer Gegenwart, wie er einer eigentlichen Zukunft entgegensieht". 52 Im Akt der Persönlichkeit, in dem die Person sich bewußt von sich selbst unterscheidet, unterscheidet sie demnach zugleich die Zeit von sich selbst, indem sie die anfanglich ungeschiedene Zeit in die bewußt gesetzten Unterschiede zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft differenziert. Aus „diesen sittlichen Betrachtungen" geht für Schelling unmittelbar hervor, „daß keine Gegenwart möglich ist, als die auf einer entschiedenen Vergangenheit ruht, und keine Vergangenheit, als die einer Gegenwart als Überwundenes zu Grunde liegt".53 49 50 51 52 53

Stuttgarter Privatvorlesungen, SW VII, 433. Die Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 262. Ebd. Ebd., 259. Ebd.

DAS GESCHICHTLICHE WESEN DER PERSONALITÄT

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Diese Vergangenheit, die zum Überwundenen einer Gegenwart geworden ist, hat also selbst eine Vergangenheit: die anfängliche Ungeschiedenheit der Zeiten. Deshalb kann Schelling sagen: „Der Mensch der nicht sich selbst überwunden, hat keine Vergangenheit, oder vielmehr kommt nie aus ihr heraus, lebt beständig in ihr".54 Die von der Gegenwart und Zukunft geschiedene Vergangenheit wird nämlich nur von dem gesetzt, der sich von sich selbst im Aktus der Persönlichkeit unterscheidet; derjenige hingegen, der die geistige Erhebung über sich selbst nicht leistet, lebt in der Vergangenheit der Vergangenheit, d.h. in der zeitlichen Ungeschiedenheit. Denn alles, „was noch in der Ungeschiedenheit lebt und so weit es noch in ihr lebt, lebt in der Vergangenheit". 55 Die anfängliche Ungeschiedenheit bleibt also auch nach der Scheidung der Zeiten erhalten: Sie bildet den verborgenden Grund der gegenwärtigen Zeit, liegt ihr als Überwundenes zu Grunde, doch so, daß die Ordnung der Gegenwart stets von der anfänglichen Regellosigkeit bedroht bleibt. Von hier aus wird nun im Rückblick vollends deutlich, daß die überwiegend räumliche Metaphorik in Schellings Freiheitsschrift nur angemessen zu verstehen ist, wenn sie auf die genuin geschichtlichen Verhältnisse hin transparent gemacht wird, die ihren sachlichen Sinn verbürgen. So ist die „dunkle Tiefe" des Grundes von Existenz als die unbewußte Vergangenheit der bewußten Existenz zu verstehen. Ebenso ist die häufige Verbindung des Existenzgrundes mit der Natur aufzufassen, denn die „Natur" ist für Schelling „ein Abgrund von Vergangenheit". 56 Vor allem aber ist der „Sog" der Tiefe, der den Schwindelnden erfaßt und dem sich der Mensch im Bösen anheimgibt, nicht als räumlicher Fall in den Abgrand, sondern als zeitliche Regression in die begründende Vergangenheit zu begreifen. In der Regression wird nämlich das Bewußtsein von einem wieder akut gewordenen Unbewußten, d.h. von der Macht einer wieder zur Gegenwart gewordenen Vergangenheit überwältigt. Schelling kann deshalb die Basis der Existenz auch als dasjenige bezeichnen, was in der Existenz „nicht zum Vorschein kommen" soll, d.h. aber als dasjenige, was „nicht aktualisiert werden soll".57 Daß der „Abgrund der Vergangenheit" die Existenz eines endlichen Geistes auf diese Weise begründen und zugleich „von Grund a u f gefährden kann, läßt sich weder durch ein begrifflogisches noch durch ein raumlogisches Verständnis des „Grundes" deutlich machen. Denn erst durch das zeitlogische Verständnis des „Grundes" als einer Vergangenheit, die einer Gegenwart als Überwundenes zu Grunde liegt, wird die eigentümliche Latenz des Grundes bestimmbar. Das im Grund der Vergangenheit Verborgene ist nämlich die anfängliche Ungeschiedenheit, die im Akt der Persönlichkeit überwunden wird, indem die Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geschieden wird. Die dergestalt überwundene Ungeschiedenheit behält aber immer die verborgene Möglichkeit, „einmal wieder durchzubrechen" und die zeitliche Differenzierung, die das geschichtliche Wesen der Personalität konstituiert, zu tilgen.

54 Ebd. 55 Die Weltalter

1. Fassung, 85.

56 Die Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 243. 57 Stuttgarter

Privatvorlesungen,

SW VII, 470.

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AXEL HUTTER

Der Akt der Persönlichkeit besteht also nicht nur in einer anfänglichen Scheidung der Zeiten, sondern mehr noch in einer immer wieder zu leistenden Anstrengung, die verhindert, daß die Person vom Überwundenen überwunden wird.

6. Geschichte als Verzeitlichung der Zeit Die grundlegende Einsicht, daß die Zeit ursprünglich im „Aktus der Persönlichkeit" in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dimensioniert wird, führt bei Schelling schließlich zu einer aufschlußreichen Kritik am gängigen Zeit- und Weltverständnis, das sich für Schelling gerade durch die Auffassung kennzeichnen läßt, daß es nur eine Zeit gibt, nämlich „die mit dieser Welt gesetzte Zeit". Eine solche Auffassung hat nämlich zur unmittelbaren Konsequenz, daß die Zeit eine „absolute" Zeit sein muß, „nämlich eine Zeit, die keine Zeit außer sich hat, gegen welche sie zur Vergangenheit werden kann". Dergestalt sieht sich aber das übliche Nachdenken über die Zeit „genötigt, sie selbst zur Ewigkeit zu machen" - eine Verewigung der Zeit, die für Schelling gleichbedeutend ist mit dem Ausschluß der Möglichkeit, „jene eine Zeit als eine selbst zeitige, d.h. als etwas Vorübergehendes" zu denken.58 Für ein Zeitverständnis, in dem die unterschiedlichen Zeitdimensionen zur Linearität der einen Zeit vergleichgültigt sind, müssen Vergangenheit und Zukunft zu unselbständigen Momenten einer kontinuierlich fortschreitenden Weltzeit werden. Daher ist Schelling zufolge „nach allen bis jetzt stillschweigend oder ausdrücklich erklärten Ansichten" die „Vergangenheit ebenso wie die Zukunft eine gleichmäßig ins Unendliche fortgehende, durch nichts in sich selbst unterschiedene und begrenzte Zeit".59 Eine solches Zeit- und Weltverständnis ist jedoch prinzipiell unvereinbar mit der Wirklichkeit der persönlichen Freiheit, so daß diese nur dann angemessen zu begreifen ist, wenn jenes kritisch destruiert wird. „Das ganze Gebäude der Zeit muß" deshalb für Schelling „abgetragen werden, um auf den Grund zu kommen".60 Die schlechte Immanenz der Weltzeit läßt sich Schelling zufolge als „stete Wiederholung" von Α verdeutlichen, also als „Reihe A+A+A und so fort ins Unendliche" - eine Reihe, die „wir für gewöhnlich Zeit nennen".61 Diese statische Selbstwiederholung macht jedoch gerade die Negativität der „gewöhnlichen" Zeit aus: „daher die alte Klage, daß unter der Sonne", so Schelling, „sich nichts Neues ereignet, ein Tag wie der andere, heute wie morgen, morgen wie heute ist, alles in einem traurigen Zirkel einförmig wiederkehrender Erscheinungen umläuft".62 Vor dem „traurigen Zirkel" der Erscheinungswelt war 58 F.W.J. Schelling, Grundlegung der positiven

Wissenschaft, hg. von H. Fuhrmans, Torino 1972,

88. 59 Ebd. 60 F.W.J. Schelling, System der Weltalter, hg. von S. Peetz, Frankfurt/M. 1990,13. 61 Grundlegung der positiven Wissenschaft, 477. 62 F.W.J. Schelling, Philosophie der Offenbarung, SWXIV, 109.

DAS GESCHICHTLICHE WESEN DER PERSONALITÄT

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die traditionelle Metaphysik in die überzeitliche Ewigkeit einer intelligiblen Welt ausgewichen; Schelling begreift die sich selbst beständig wiederholende Weltzeit hingegen als nur scheinbare Zeit, der er deshalb nicht das Zeitlose, sondern die wahre Zeit entgegensetzt: die „scheinbare Zeit, die in sich weder eine wahre Vergangenheit, noch eine wahre Zukunft hat, ist nicht die wahre Zeit. Denn die wahre Zeit ist nicht Eine, sich immer wiederholende Zeit, sondern selbst eine Folge von Zeiten". 63 Die Weltalter-Fragmente entwerfen deshalb „ein System der Zeiten, von welchem die gegenwärtige, mit allem was in ihr vergangen, gegenwärtig oder zukünftig sein mag, nur ein einziges großes Glied ausmacht". 64 Die sachliche Begründung für die Negativität der Weltzeit ist demnach bei Schelling im Vergleich zur metaphysischen Tradition eine völlig andere, in gewisser Hinsicht sogar eine genau entgegengesetzte: Für das traditionelle Denken bestand die Nichtigkeit des Zeitlichen in der Veränderlichkeit, der deshalb konsequenterweise das „wahrhaft" Unveränderliche entgegengesetzt wurde; für Schelling besteht die Negativität der Weltzeit hingegen gerade in der UnVeränderlichkeit einer steten, zirkelhaften Wiederholung, der deshalb konsequenterweise die Veränderung einer „wahrhaft" fortschreitenden Zeit entgegengesetzt wird. Diese Einsicht, daß der traditionelle Begriff einer zeitlosen, absolut unveränderlichen Ewigkeit nicht der positive Gegenbegriff zur Weltzeit, sondern gleichsam der Inbegriff ihrer Negativität ist, muß aber zur weiteren Konsequenz haben, daß das traditionelle Verständnis von Personalität ebenfalls völlig verändert werden muß, demzufolge die Person primär als „unveränderliche", sich selbst gleichbleibende „Identität" zu begreifen ist. Wenn nämlich die Natur in einem „traurigen Zirkel eingeschlossen" bleibt und dergestalt „ein stillstehendes Ganzes" ist, dann ist Schelling zufolge „alle Beweglichkeit" in „den Menschen übergetreten", d.h. „in eine geistige und ideelle Welt".65 Oder anders formuliert: allein in der personalen Freiheit des Menschen ist noch „der offene Punkt", 66 der aus dem Immergleichen der Naturzeit hinausführt. Schellings Überlegungen zu einem „System der Zeiten" führen also zu einer erneuten Vertiefung seines neuen Verständnisses von Personalität. Bestand nämlich für die Tradition die Würde der Person vor allem darin, daß sie inmitten der veränderlichen Welt ein Unveränderliches darstellte, so besteht demgegenüber die Würde der Person für Schelling darin, daß sie aus dem Naturzirkel der Wiederholung herauszutreten und im geistigen „Aktus der Persönlichkeit" etwas Neues zu initiieren vermag. Der Geist der Person ist somit das Veränderliche gegenüber der schlechten Unveränderlichkeit des Naturzirkels: er scheidet die ungeschiedene Kontinuität der Naturzeit in die genuin geschichtlichen Dimensionen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. „Die Geburt des Geistes ist" deshalb „das Reich der Geschichte", 67 in dem sich die Geschichte des endlichen Geistes mit einer Geschichte des absoluten Geistes verbindet. Denn die gegenwärtige Geschichte des 63 Philosophie der Offenbarung, SWXIV, 109 f. 64 Die Weltalter 1. Fassung, 188. 65 System der Weltalter, 210. 66 F. W. J. Schelling, Erlanger Vorträge, SWIX, 224. 67 Freiheitsschrift,

377.

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AXEL HUTTER

menschlichen Geistes, in der die Zirkularität der Naturzeit zu einer überwundenen Vergangenheit geworden ist, mündet bei Schelling am Ende in einer zukünftigen Geschichte, in welcher „der Lebensprozeß in der Natur und der Geschichte" nichts „anderes als der Prozeß der vollendeten Bewußtwerdung, der vollendeten Personalisierung Gottes" sein wird.68

Zusammenfassung Schellings genuin geschichtliches Verständnis der menschlichen Personalität läßt sich in sechs untereinander verbundene Thesen zusammenfassen: 1. 2. 3. 4.

5. 6.

In systematischer Hinsicht läßt sich die persönliche Existenz als geistige Verbindung zwischen dem Grund von Existenz und dem Existierenden bestimmen. Der absolute Geist ist als Freiheit zum Guten zu unterscheiden vom endlichen Geist als Freiheit zum Guten und zum Bösen. Die Priorität steht im umgekehrten Verhältnis zur Superiorität. Die zeitlogische Präzisierung des systematischen Ansatzes führt zu der Einsicht, daß die geistige Verbindung zwischen Existenzgrund und Existierendem konkret zu denken ist als die Verbindung einer Gegenwart, die auf einer entschiedenen Vergangenheit ruht, mit einer Vergangenheit, die einer Gegenwart als Überwundenes zu Grunde liegt. Der geistige Charakter der menschlichen Personalität vermittelt das geschichüiche Wesen der je einzelnen Person mit dem ebenfalls geschichtlichen Wesen des Seins. Das Sein ist als eine Folge von Zeiten zu verstehen, in der sich eine Bewußtwerdung und Personalisierung des absoluten Geistes vollzieht.

68 Stuttgarter

Privatvorlesungen,

SW VII, 433.

WILHELM G . JACOBS

Person und Zeit. Bemerkungen zur „Freiheitsschrift"

1. Die Identität der Person Der Begriff der Person steht in der Freiheitsschrift in unmittelbarem Zusammenhang mit dem der Sittlichkeit und damit der Freiheit. Nur ein Wesen, das der Sittlichkeit fähig und damit notwendig frei zu denken ist, wird Person genannt, nur diesem wird Persönlichkeit zugesprochen, und zwar insofern es als solches begriffen werden muß. Schelling beginnt seine Abhandlung „mit der Berichtigung wesentlicher Begriffe". 1 Dabei erkennt er als Leistung Kants an, daß dieser in „seiner Kritik der praktischen Vernunft Unabhängigkeit von der Zeit und Freiheit wirklich als correlate Begriffe behandelt hatte".2 Kant hatte deshalb die Freiheit mit Unabhängigkeit von der Zeit in eins gesetzt, weil alles, was in der Zeit geschieht, gemäß der Kritik der reinen Vernunft kausalgesetzlich bestimmt ist. Dies gilt auch für die Handlungen der Menschen, die alle, wenn man sie als Erscheinungen betrachtet, durch Motive erklärbar sind. Gegen diese Sicht der menschlichen Handlungen kann man nicht das Fehlen von Motiven anführen; denn die Tatsache, daß man kein Motiv erkennt, heißt noch nicht, daß keines vorhanden ist. Somit ist der Mensch, wenn er in der Zeit betrachtet wird, mit Kants Worten eine Erscheinung, die durch Kausalität bestimmt ist. Will man den Menschen frei denken, so muß man ihn gemäß Kants Einsicht als Ding an sich, d.i. außer Zeitbedingungen denken. Wird aber die Freiheit außerhalb von Zeit gedacht, fällt sie auch nicht in Zeitmomente auseinander. Freiheit ist eine, und zwar eine Tat. Dieses Lehrstück Kants ist es, welches Schelling anerkennt: „Der Mensch ist in der ursprünglichen Schöpfung [...] ein unentschiedenes Wesen [...] nur er selbst kann sich entscheiden. Aber diese Entscheidung kann nicht in die Zeit fallen; sie fällt außer aller Zeit und daher mit der ersten Schöpfung (wenn gleich als eine von ihr verschiedene That) zu1

F.W.J. Schelling. Philosophische die damit zusammenhängenden

Untersuchungen Gegenstände

über das Wesen der menschlichen

[= Freiheitsschrift],

mit Anmerkungen versehene Ausgabe der Freiheitsschrift Interpretation der Freiheitsschrift phische

Untersuchungen

genden Gegenstände',

über das Wesen der menschlichen

Freiheitsschrift,

Freiheit, Berlin 1995.

SW VII, 352. Vgl. 383 f.

und

von T. Buchheim, Hamburg 1997. Zur Wilhelm Joseph Schellings Freiheit und die damit

,Philoso-

zusammenhän-

Darmstadt 2001. S. ferner O. Höffe und A. Pieper (Hg.), F. W.J.

Über das Wesen der menschlichen 2

s. J. Hennigfeld, Friedrich

Freiheit

SW VII, 357. Vgl. die reichlich

Schelling.

92

WILHELM G . JACOBS

sammen."3 Der erste der beiden zitierten Sätze ist unproblematisch; wenn der Mensch frei ist, dann kann nur er selbst sich entscheiden. Man kann auch noch, mit Schelling Kant folgend, verstehen, daß die Entscheidung nicht in die Zeit fällt. Schelling wehrt - auch das ist verständlich - durch den eingeklammerten Satzteil den möglichen Einwand ab, daß die Entscheidung nicht als die des Geschöpfs, sondern als die des Schöpfers verstanden würde; denn dann wäre das Geschöpf, der Mensch, nicht frei. Schwieriger wird es, zu verstehen, daß diese Entscheidung mit der ersten Schöpfung zusammenfällt. Schelling erläutert: „Der Mensch, wenn er auch in der Zeit geboren wird, ist doch in den Anfang der Schöpfung (das Centrum) erschaffen."4 Unerachtet, daß alle Menschen ein Geburtsdatum haben, sind sie nach Schelling in den Anfang, bzw. das Zentrum der Schöpfung geschaffen. Sie sind nicht in dem, sondern in den Anfang geschaffen. Der Akkusativ gibt eine Zielrichtung an, wie es vielleicht im Wort „Zentrum" deutlicher wird. Der Mensch, das freie Wesen, ist der Mittelpunkt, der Zweck, welches Wort ursprünglich den Mittelpunkt der Zielscheibe bedeutet.5 Insofern also ist der Mensch in den Anfang geschaffen. Um den Menschen also geht es, er ist das ursprünglich Gewollte. Wenn er aber dieses ist, so kann sein Freiheitsvollzug ebenfalls nur ursprünglich, anfänglich gedacht werden. Es kann seiner Entscheidung nichts vorhergehen, was ihn festlegte. Wenn der Mensch aber als Geschöpf verstanden wird, so muß sein Freiheitsvollzug in den Anfang der Schöpfung hinein gedacht werden. Dieser Anfang ist nicht als erster Schöpfungstag zu verstehen, er ist überhaupt nicht zeitlich zu verstehen. „Die That [...] gehört selbst nicht der Zeit, sondern der Ewigkeit an: sie geht dem Leben auch nicht der Zeit nach voran, sondern durch die Zeit (unergriffen von ihr) hindurch als eine der Natur nach ewige That."6 Die Zeit kann die Tat nicht ergreifen, sie verändern, wohl aber kann das zeitliche Geschehen auf die Tat bezogen werden, geht sie doch durch die Zeit hindurch, nicht ihr vorher. Sie ist dasjenige, was in den einzelnen Handlungen zur Erscheinung kommt, selber aber in keiner aufgeht. Indem jede in der Zeit erscheinende Handlung auf sie bezogen wird, sie selbst aber nicht in diesen Handlungen aufgeht, ist sie der identische Bezugspunkt alles Handelns. Sie dürfte in Analogie zur transzendentalen Apperzeption zu verstehen sein. Wie diese der Bezugspunkt für jegliches Urteilen und damit für jegliche Erkenntnis ist, so ist die unzeitliche Tat der Bezugspunkt für jedes Handeln, bzw. jede Willensbestimmung. Diese Behauptung Schellings ist nicht so ungewöhnlich, wie sie sich im philosophischen Kontext anhört. Dem alltäglichen Bewußtsein jedenfalls ist sie nicht fremd. Wenn man z.B. im Rückblick auf das Leben eines Menschen sagt, sein ganzes Leben sei Sorge für die Familie, oder Liebe zur Kunst usw. gewesen, so faßt man in solche Redensarten diejenige Willensbestimmung eines Menschen, die sein Leben auszeichnet. Man kennzeichnet jene Grundhaltung des Menschen, die durch seine Lebenszeit hindurchgeht. 3 4

Ebd., 385. Ebd.

5

Vgl. H. Brockard, „Zweck", in: H. Krings, H.M. Baumgartner, Ch. Wild (Hg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd.3, München 1974,1817.

6

Freiheitsschrift, SW VII, 385f.

PERSON UND ZEIT

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Schelling ist auch nicht der erste Philosoph, der eine jenseits des Erdenlebens gefällte Entscheidung über das irdische Leben lehrt. Diese Lehre steht schon am Beginn der Philosophie in Griechenland. Im Mythos des Er, mit dem Piaton das zehnte Buch der Politeia beschließt,7 wählen die Seelen ihren Dämon, das ist ihr Lebensschicksal. Die Wahl des Dämons ist total bestimmend bis hin zur leiblichen Gestalt, die den Menschen und damit seinen Charakter wenigstens andeutet. Bevor die Seelen an die Wahl gehen, spricht ein Prophet zu ihnen und weist ausdrücklich darauf hin, daß sie die Wahl selbst vollziehen: „Nicht euch wird der Dämon erlosen, sondern ihr werdet den Dämon wählen." 8 Die freie Wahl bestimme notwendig das Leben. Jeder wähle „die Lebensbahn, in welcher er dann notwendig verharren wird." 9 Der Prophet beschließt seine kurze Rede mit einem erneuten Hinweis auf die Verantwortung des Wählenden: „Die Schuld ist des Wählenden; Gott ist schuldlos." 10 Der Mensch wählt in Freiheit, was er aus dieser notwendig lebt. Die Nähe dieser Lehre zu der Piatons dürfte vielleicht Kant, sicher aber Schelling nicht entgangen sein. Schelling argumentiert - natürlich nicht in Piatons mythischer, sondern in seiner eigenen Sprache - ganz ähnlich; er identifiziert die innere Notwendigkeit des Wesens der Person mit der Freiheit selbst: „Notwendigkeit und Freiheit stehen ineinander, als Ein Wesen, das nur von verschiedenen Seiten betrachtet als das eine oder andere erscheint, an sich Freiheit, formell Notwendigkeit ist."11 Die Grundhaltung eines Menschen hat Konsequenzen. Wer sich beispielsweise entschließt zu studieren, wird folgerichtig dieses und jenes tun, anderes lassen. Man wird notwendigerweise Vorlesungen besuchen, Bücher lesen etc. Der Entschluß zeitigt Konsequenzen, die notwendig aus ihm folgen. Die Übernahme dieser Konsequenzen, in Schellings Worten: die formelle Notwendigkeit, erfolgt aber aus dem freien Entschluß und sie wird auch nicht als Heteronomie wahrgenommen, sondern als Erfüllung des autonomen Entschlusses; denn im Entschluß ist das Ziel anvisiert, das in den einzelnen zu ihm führenden Schritten verfolgt wird. Was im Beispiel des Studiums für eine Lebensphase gilt, denkt Schelling für das ganze Leben. Schelling bestimmt, indem er sich Kants Lehre von der unzeitlichen Tat anschließt, die Person als schlechterdings unzeidich: Der wesentliche Grund für diese Bestimmung liegt darin, daß Schelling mit Kant annimmt, daß alles, was in der Zeit geschieht, kausal bedingt und damit unfrei ist. Gegen diese Bestimmung könnte angeführt werden, daß die Natur längst nicht mehr nur nach Kausalgesetzen verstanden wird, daß also nicht um der Behauptung der Freiheit willen die Freiheit außer der Zeit gesetzt werden müßte. Wenn dieses Argument auch trifft, so bleibt doch die Behauptung der Identität der Person zu bedenken. Diese ist, wenn die Person wesentlich sittliche Person ist, Identität der Willensbestimmung. Wie nun in allem je vollzogenen Urteilen das Urteilen dasselbe ist, so ist das 7 Piaton, Politeia, 614 b-621 d. 8 Ebd., 617 d - e . Hier und im folgenden ist die Übersetzung von F. Schleiermacher zitiert nach Piaton, Werke, hg. v. G. Eigler, B d . 4 , Darmstadt 1990, 865. 9 Ebd., 617 e. 10 Ebd. 11 Freiheitsschrift,

SW VII, 385.

94

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Wollen einer und derselben Person nicht denkbar, wenn nicht das Wollen in allem einzelnen Wollen von Bestimmtem identisches Wollen wäre. Diese Identität des Wollens wird ebenso durch die Zeit hindurchgehend gedacht werden müssen wie die Identität des Urteilens.

2. Das Urwollen Schelling geht noch einen Schritt weiter. Im Zusammenhang der hier erörterten Stelle stimmt er Fichte darin zu, daß das Ich „seine eigne That"12 sei. „Bewußtseyn ist Selbstsetzen [...] das Ich ist [...] eben das Selbstsetzen selber."13 Fichte aber erkenne nicht, kritisiert Schelling, daß sein Begriff von Ich nur ein theoretischer sei. Schelling argumentiert so: „Dieses Bewußtseyn aber, inwiefern es bloß als selbst-Erfassen oder Erkennen des Ich gedacht wird, ist nicht einmal das Erste, und setzt wie alles bloße Erkennen das eigentliche Seyn schon voraus."14 Dieses Sein denkt Schelling allerdings nicht als tote Substanz; dann hätte er auch kein Recht, Fichte zu kritisieren, er fiele vielmehr hinter ihn zurück. Schelling bestimmt dieses Sein als „reales Selbstsetzen",15 also nicht rein ideales Selbstsetzen, ein Wissen des Wissens, wie es das Selbstbewußtsein bei Fichte ist. Schelling bestimmt es als „ein Ur- und Grundwollen, das sich selbst zu etwas macht und der Grund und die Basis aller Wesenheit ist."16 Das Wollen bestimmt sich zu dem, was es sein will; es gibt sich selbst sein Wesen. Erst indem dieses Wollen sich zum Erkennen bestimmt, ist Selbstbewußtsein. Es ist zu beachten, daß Schelling diesen Willen in und nicht außerhalb der Selbstsetzung denkt; denn für ihn ist „der Verstand eigentlich der Wille in dem Willen";17 denn nach dem Verstand sehnt sich der Wille, der ohne ihn „nicht selbständiger und [auch nicht] vollkommener Wille"18 ist; der Wille bedarf, um Wille zu sein, des Verstandes. Dieses Wollen denkt Schelling als Grund und Basis, man könnte auch sagen als Fundament des jeweiligen Willensentschlusses. Es ist das Bleibende und Währende, das durch die Zeit hindurch die Wesenheiten trägt, so wie ein Haus abgetragen werden kann und auf dem bleibenden Fundament ein neues erbaut werden kann. Das Beispiel hinkt, insofern das Fundament auch eines abgerissenen Hauses in der Zeit bleibt, hier aber Grund und Basis als zeitlos, die Zeit erst ermöglichend, gedacht werden. Diejenige Zeit, die das erkennende Bewußtsein infolge seines Selbstbewußtseins als Anschauungsform generiert, ist selbst ermöglicht durch das hier genannte Urwollen. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Ebd. 16 Ebd. 17 Ebd., 359. 18 Ebd.

PERSON UND ZEIT

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Schelling spricht vom Urwollen; grammatisch ist dieser Ausdruck als substantiviertes Verb zu verstehen. Schelling nimmt das Wollen als Tätigkeit, was auch daraus hervorgeht, daß er die Identität des Wollens nicht in Inhalte setzt. Würde er sie in Inhalte setzen, so wäre die Bekehrung des Saulus zum Paulus unmöglich. Zu einer inhaltlichen Bestimmung, zu einer Wesenheit, kann das Wollen erst kommen, wenn es durch den Verstand erhellt ist. Das Wollen kann nicht das Selbstbewußtsein überspringen und sich gleichsam auf eigene Faust äußern. Wirkliches Wollen und Selbstbewußtsein bedingen sich gegenseitig, wobei insofern eine Priorität bei dem Urwollen liegt, als ohne dessen Spontaneität das Bedingungsverhältnis gar nicht ergriffen werden könnte.

3. Abstrakte Zeit und Geschichtszeit Bisher wurde versucht, die Person durch die unzeitliche Tat zu begreifen. Diese Tat ist selbstverständlich keine äußere Handlung, vielmehr eine Willensbestimmung, und zwar gemäß dem Allgemeinwillen oder gemäß dem Eigenwillen und damit gegen den Allgemeinwillen. Eine Willensbestimmung läßt sich aber nur so denken, daß eine Unbestimmtheit bestimmt wird. Damit werden zwei unvereinbare Behauptungen von demselben Willen vorgebracht, einmal ist er unbestimmt, zum anderen ist er bestimmt. Beide Behauptungen widersprechen sich. Widersprechende Aussagen von einem und demselben (logischen) Subjekt sind nur dadurch möglich, daß sie auf verschiedene Zeiten bezogen werden. Kant hatte in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft schon festgestellt: „Nur in der Zeit können [...] kontradiktorisch-entgegengesetzte Bestimmungen in einem Dinge, nämlich nacheinander, anzutreffen sein."19 Folglich ist die unzeitliche Tat als Metapher für eine immer schon vollzogene Bestimmung zu verstehen, oder sie ist zeitlich zu verstehen. An die erste Möglichkeit denkt weder Kant noch Schelling, sie denken gerade einen FreiheitsVollzug. Somit bleibt nur die zweite Möglichkeit übrig. Diese zweite Möglichkeit führt entweder zu einem Selbstwiderspruch oder zu einer Neuinterpretation. Der Selbstwiderspruch bestünde darin, daß einerseits die Zeit von der ursprünglichen Tat abgehalten wird, andererseits aber behauptet werden muß. Die Neuinterpretation muß gerade von diesem Widerspruch ausgehen, um ihn zu vermeiden. Dies ist nur dadurch möglich, daß der Begriff der Zeit nicht univok genommen wird. Schelling nimmt ihn auch nicht so. Er unterscheidet diejenige Zeit, in der die Naturwesen, auch die Menschen als Naturwesen, zu denken sind, von jener Zeit, die in der Ewigkeit gedacht werden muß. Diese Unterscheidung deutet sich aber in der Freiheitsschrift höchstens an. Sie tritt erst in den Weltalterfragmenten deutlich hervor. 19 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, В 4 8 f . Der junge Schelling zitiert nach Paragraphen, welche die erste Auflage nicht, wohl aber die späteren Auflagen enthalten. Vgl. F.W.J. Schelling, Historisch-kritische

Ausgabe.

Hg. von H . M . Baumgartner, W . G . Jacobs, J. Jantzen, H. Klings und H.

Zeltner, Werke, Bd. 1 (= Α Α Ι , Ι ) , hg. von W . G . Jacobs, J. Jantzen und W. Schieche, Stuttgart 1976,265 und 291.

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WILHELM G . JACOBS

Diese Unterscheidung wird aber von Schellings FreiheitsVerständnis aus notwendig. Die im Sinne Kants als Anschauungsform gedachte Zeit läuft gleichmäßig aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Sie hat keinen Anfang und kein Ende, und dieses nicht nur im rein zeitlichen Sinn, sie hat auch - lateinisch gedacht - kein Principium und kein Finis, oder griechisch keine Arche und kein Telos. Freiheit aber ist ohne diese Bedeutungen, die in den klassischen Sprachen hervortreten, nicht zu denken. Sie ist Ursprung aus sich selbst und geht auf ein Ziel aus. Die Momente der Bestimmungslosigkeit, der Bestimmtheit und der Erfüllung können nur in Differenz zueinander gedacht werden.20 Dies erfordert eine zeitliche Differenzierung. Eine Differenzierung aber, die den Charakter von Principium und Finis tilgte, würde dem hier zu Denkenden nicht gerecht. Schelling denkt daher Zeit als der Freiheit entspringend und von anderer Qualität als diejenige Zeit, die als Anschauungsform begriffen werden kann. Es ist der Charakter von Freiheit, der ein eigenes Denken von Zeit und Ewigkeit erfordert, welches Denken die Anschauungsform der Zeit als ein Abstractum mit allen jenen Defiziten, die ein Abstractum an sich hat, erscheinen läßt.21 Zeit wird von Schelling begriffen als erfüllte Zeit, erfüllt durch Freiheit. Zeit aber bedeutet in diesem Verständnis nicht das gleichgültige Nacheinander. Für die abstrakte Zeit ist es völlig gleichgültig, was in ihr geschieht, ob die Sonne auf- oder untergeht, ob ein Mensch geboren wird oder stirbt, dazu verhält sich die abstrakte Zeit gleich-gültig. Gar nicht gleichgültig aber ist es, ob Caesar nun den Rubikon überschreitet oder nicht. Durch diese Tat beginnt etwas Neues. Die Tat läßt sich datieren, nämlich auf die Nacht vom 10. zum 11. Januar des Jahres 49 v. Chr. Sie erscheint in der abstrakten Zeit; aber als die Tat, die sie ist, geht sie nicht in der Datierung auf. Das Neue läßt sich nicht durch das Datum, das nicht umsonst Datum, Gegebenes heißt, verstehen. Es möchte im Sinne Schellings bezeichnend sein, daß wir dasjenige Leben, das die Zeitenwende ausmacht, das Leben Jesu von Nazareth, nicht genau datieren können. Dieses Leben aber wendet die Zeit dadurch, daß es das Bewußtsein der Freiheit derart zur Vollendung bringt, daß das Böse „zu seinem Selbstbewußtseyn erst durch das Eintreten des Gegensatzes erhoben wird." 22 Das Neue und die Zeit Wendende wäre auch nicht besser faßbar, wenn wir die Akten Jesu mit Geburts- und Todesdatum hätten. Zeit, die nicht abstrakt, sondern als Zeit der Freiheit gedacht wird, ist Anfang. In ihr läuft nicht einfach etwas ab, es geschieht etwas; diese Zeit ist Geschichtszeit. Diese Zeit aber gehört zur Freiheit hinzu. Freiheit muß sich bestimmen, von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit übergehen können. Daher ist Zeit Differenz und Einheit in einem. Schelling führt diesen Gedanken bei der Darlegung der Konstitution Gottes aus. Die geschaffenen Dinge haben ihren Grund in dem, „was in Gott nicht Er Selbst ist, d.h. in dem, was Grund seiner Existenz ist." 23 Die Differenz in Gott hebt seine Identität nicht 20 Vgl. С. A. Scheier: „Schelling - Denker der Differenz", in: R. Marszatek und E. Nowak Juchacz (Hg.), Rozum jest wolny, wolnosc - rozumna, Warszawa 2 0 0 2 , 1 3 5 - 1 4 7 , bes. 143 f. 21 Hierzu s. die Ausführungen am Ende von A. Hutters Beitrag in diesem Bande. 22 Freiheitsschrift, 23 Ebd., 359.

SW VII, 388.

PERSON UND ZEIT

97

auf. In einer Fußnote zu dem hervorgehobenen Wort „ist" sagt er dezidiert: „Es ist dieß der einzig rechte Dualismus, nämlich der, welcher zugleich eine Einheit zuläßt."24 Die Differenz, welche die Geschichtszeit zeitigt, ist die Ermöglichung des Freiheitsvollzuges, in dem der Wille sich mit sich selbst und in eins damit die Person als sie selbst identifiziert. Diese Identifikation setzt notwendig eine Grenze und damit Differenz zu möglichem Anderen. Sie eröffnet dadurch zugleich die Möglichkeit der Hinwendung zu anderen Personen. Freiheit setzt Differenz um Identität zu stiften.

Zusammenfassung Schelling denkt Person, göttliche wie menschliche, als sittliche Person, damit als frei. Als freie muß die Person so gedacht werden, daß sie einmal als wollend und zum anderen mit sich identisch ist. Dieser Gedanke setzt die Person außer derjenigen Zeit, die wir mit der Uhr messen können. Dieses Außerhalb nennt Schelling auch Ewigkeit. Diese aber ist um der Freiheit, des Wollens willen nicht als nunc stans zu denken, sondern als Bewegung. Dieser Gedanke führt zur Konzeption der Ewigkeit als Geschichtszeit. Die Person erscheint in der abstrakten Zeit, sie lebt in der Geschichtszeit.

24 Ebd.

III. Der Mensch als Person

TEMILO VAN ZANTWIJK

Gibt es Urrechte der Person? Schelling und die Naturrechtsdebatte 1795

Der Personbegriff bei Schelling erschließt sich nicht nur unter dem Aspekt der Theorie der Subjektivität und ihrer metaphysischen Umgestaltungen, in denen ,Ich' und ,Natur', .Freiheit' und .Notwendigkeit' mit Bezug zur personalen Existenz des Menschen auf einander bezogen werden sollen. Es geht ebenso um die Person als die Erscheinungsweise des Menschen in der Öffentlichkeit und damit um die Dimensionen des Politischen und der Geschichte im allgemeinen. Dabei ist nicht nur an wiederum theoretische Spekulationen über das Verhältnis von .Freiheit' und ,Geschichte' zu denken. Schelling hat auch die Relevanz des menschlichen Selbstverständnisses als einer Person für politische Handlungsoptionen im Blick. Die Freiheitsschrift bezieht sich implizit auf die politische Konstellation des Jahres 1809. Hervorzuheben ist demnach der umfassende Charakter von Schellings Verständnis der Person, das all diese Aspekte, von schöpfungstheologischer Spekulation bis zur Beurteilung der politischen Lage, umfaßt. Schellings Verständnis der Person in der Freiheitsschrift ist somit von Bedeutung für sein Verständnis von Philosophie überhaupt, in welchem die Esoterik metaphysischer Spekulation und die Exoterik öffentlich-lebensweltlicher Wirksamkeit nicht voneinander getrennt werden sollen. In der Fluchtlinie dieser These ist der Punkt zu ermitteln, an dem Esoterik und Exoterik der Philosophie in Schellings Verständnis der Person zusammenhängen. Dazu ist die Freiheitsschrift zu Schellings Naturrechtsschrift von 1795 in Beziehung zu setzen, in der das Verhältnis von Privatwillen und allgemeinem Willen, das für Schellings Verständnis der Personalität konstitutiv ist, bereits formuliert wird.

1. Politische Konnotationen der Freiheitslehre 1809 ,,[S]oll die Sache der Selbständigkeit und Unabhängigkeit fallen, welchen Wert hat noch das Leben, und wird sie siegen, wie rühmlich ist es daran mitgewirkt zu haben", schreibt der Freiherr vom Stein am 10. Juni 1809 aus seinem Brünner Exil.1 Die Worte des Preußen belegen, wie eng in jenen Tagen die Vorstellung politischer Unabhängigkeit mit der 1

Karl vom und zum Stein, Briefe und amtliche Schriften, bearbeitet von E. Botzenhart, neu hg. von W. Hubatsch, Band 3, In Brünn und Prag. Die Krise des Jahres 1811 in Moskau und Die große Wendung: (1809-1812),

Stuttgart 1961,149.

Petersburg.

102

TEMILO V A N ZANTWIJK

Frage nach dem Sinn des Lebens verbunden sein konnte. Eine deutsche Erhebung gegen Napoleon unter Führung Österreichs war mit dem Einmarsch österreichischer Truppen in Bayern und der vorübergehenden Besetzung Münchens vorstellbar geworden. Die Worte Steins fallen in die Zeit zwischen dem Erfolg der Österreicher bei Aspern am 21. und 22. Mai und der Niederlage bei Wagram am 5. und 6. Juli, die allen Hoffnungen ein Ende machte. Schellings Freiheitsschrift wird am 11. April 1809 fertiggestellt, dem Tag der österreichischen Intervention. Einer der Schlüsselsätze dieser Abhandlung lautet: „Aber Abhängigkeit hebt Selbständigkeit, hebt sogar Freiheit nicht auf'. 2 Dieser Satz ist Teil der Erläuterungen zum Begriff des Pantheismus und gehört vordergründig in den Zusammenhang des Spinoza-Streits und seiner Nachwirkungen. Schelling interpretiert das Verhältnis zwischen Substanz und Modus bei Spinoza als logische Beziehung zwischen Grund und Folge und entwickelt von diesem Ausgangspunkt aus seine These, daß die rechtverstandene Idee der All-Einheit mit der rechtverstandenen Idee der menschlichen Freiheit entgegen vorherrschender Auffassung verträglich ist. Mit .Abhängigkeit' ist die Eingebundenheit des Menschen in das Ganze der Natur gemeint. Abhängig ist der Mensch, so die Lehre der Freiheitsschrift, jedoch ausschließlich dem Grand seiner Existenz nach; seine Existenz selbst ist von „Persönlichkeit und Geist" bestimmt, die dem Menschen ein freisetzendes Sichverhalten zum Grunde seines Seins ermöglichen. Dieser Zusammenhang schließt jedoch nicht aus, in den Worten .Selbständigkeit' und .Abhängigkeit' auch politische Konnotationen mitzulesen. Bedenkt man die politische Situation, so wird man diesen Bedeutungsnuancen kein geringes Gewicht zuweisen. Bayern steht auf der Seite Napoleons. Schelling, vom Anbeginn seiner Laufbahn als philosophischer Schriftsteller eine öffentliche Person, ist spätestens seit seiner Münchener Zeit als Inhaber bedeutender Ämter mit Zugang zum Hof ein Repräsentant der offiziellen Politik. Etwa besucht er am 12. April die Akademie, „um das Denkmal des Königs nebst der Büste Napoleons von dem Bildhauer Spalla zu sehen".3 Nach dem Abzug der Österreicher formuliert er eine „Dankadresse an den König" (23. bis 29. April).4 Dieses öffentliche Auftreten spiegelt Schellings wahre Gesinnung bestenfalls halb wider, nämlich insofern es seine Treue zum bayerischen König zum Ausdruck bringt. In Wirklichkeit sympathisiert er mit Österreich, wie aus einer Auseinanderstezung zwischen ihm und Karl Friedrich von Rumohr am 3. Mai hervorgeht, der, wie Schelling berichtet, „mit größter Herzensleichtigkeit über die österreichische Niederlage redet. Den andern Tag (4.) ist er bei mir, zieht sich aber wahrscheinlich von heute an zurück, da ich ihm wegen mehrerer

2

F.W.J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände [= Freiheitsschrift], hg. von T. Buchheim, Hamburg 1997,18.

3

F.W.J. Schelling, Philosophische Entwürfe und Tagebücher 1809-13. Philosophie der Freiheit und der Weltalter [= Philosophische Entwürfe], hg. von L. Knatz, H.J. Sandkühler und M. Schraven, Hamburg 1994,16. Philosophische Entwürfe, 20 f.

4

G I B T ES URRECHTE DER PERSON?

103

Dinge scharf widerspreche". 5 Wie Schelling empfinden offenbar viele. Am 26. April besucht er das bayerische Heerlager und notiert sich: „Ein Soldat sagt: Wir haben wohl müssen (Wien schlagen); der nämliche sagt, daß ihnen vor der Affaire Branntwein in Kesseln gegeben worden". 6 Schellings esoterische Freiheitslehre von 1809, die sich in der apolitischen literarischen Gattung einer Gelehrtenabhandlung präsentiert, führt einige exoterische, speziell politische Konnotationen mit. Um diese Winke zu verstehen, braucht man lediglich soziale Abhängigkeitsbeziehungen, die in der Sphäre des Rechts und der Politik erfahren werden, als Teilaspekt der naturalen Bedingungen menschlicher Existenz aufzufassen. Ich unterstelle demnach, daß Schelling, wenn er vom ,Grund' der Existenz des Menschen spricht nicht nur ,die' Natur im allgemeinen, sondern auch die sozialpolitisch organisierte Natur mitmeint. Die Vorstellung vom Staat als Antwort auf die natürlichen Anforderungen, die das menschliche Leben zu bewältigen hat, ist ein verbreiteter Topos: „Die Natur will unwiderstehlich eine Republik", heißt es etwa in Kants Zum ewigen Frieden? Daß Schelling den Satz ,Aber Abhängigkeit hebt Selbständigkeit, hebt sogar Freiheit nicht auf bewußt politisch verstanden wissen will, läßt sich natürlich nicht nachweisen, ebensowenig, ob damalige Leser politische Winke darin gefunden haben. Dennoch: Zieht man die Zwangslage, in der sich Schelling im Frühjahr 1809 befand, und die überaus aufregenden politischen und militärischen Ereignisse jener Monate in Betracht, so wird man auf die Ambivalenz des Schellingschen Satzes aufmerksam und ist versucht, ihn als Ausdruck einer .inneren Emigration 4 zu beurteilen. Abhängigkeit, so scheint Schelling seinen Zeitgenossen zu versichern, ist unentrinnbar; besinnt euch auf euer intelligibles Wesen als Personen, das jeglicher Abhängigkeit enthoben ist. So besehen läßt diese Annäherung an den Begriff der menschlichen Freiheit sich als politische Alternative zu Steins verzweifeltem Ruf nach nationaler Selbstbestimmung auffassen, der unausweichlich den bewaffneten Widerstand zur Konsequenz hat. Bei Beginn der Offensive unterstreicht Stein in diesem Sinne die Alternativlosigkeit des österreichischen Vorgehens: Den 10. April ist also das Trauerspiel begonnen [ . . . ] über den Erfolg entscheidet der Herr der Heerscharen. Ist er unglücklich, soll ,nur ein einziger Wille herrschen, gegen ihn keine Zuflucht und Rettung sein, sollen alle nur Einem dienen', so hat das Leben allen Reiz verloren, so ist es ein Zirkel von tierischen Genüssen und sklavischen Bemühungen, sein Brot ruhig fressen zu können. Ein solches Leben hat im 52ten Jahr wenig Wert mehr. 8

Schelling legitimiert demgegenüber implizit die Handlungsweise des Königs, der das geringere Übel der fremden Hegemonie dem größeren Übel eines höchst unsicheren Waffengangs vorgezogen hat. Die zentralen Gedanken der Freiheitsschrift lassen sich in diesem Sinne politisch .übersetzen'. Selbstbestimmung per se ist für Schelling mit dem Egoismus identisch. Dabei scheint der Mensch sich völlig vom Grunde seiner Existenz zu

5 6

Ebd., 21. Ebd., 20 (Hervorhebung im Original).

7

I. Kant, Zum ewigen Frieden, Α Α, VIII, 367.

8

Karl vom und zum Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd. 3, 118.

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TEMILO VAN ZANTWUK

lösen. In Wirklichkeit holt diesen ihn jedoch dialektisch ein, indem der Egoismus gewissermaßen nur die ins Geistige umgeschlagene Schwerkraft ist und sich als verwandt mit der Kraft des Grundes in der Natur erweist. Wo der Mensch sich völlig frei wähnt, indem er die Prinzipien des Grundes und der Existenz im Bösen verkehrt, erliegt er für Schelling demnach einer „falschen Imagination" und ist nirgends fremdbestimmter als dort.9 Radikale Selbstbestimmung ist in sich zum Scheitern verurteilt, in diesem Sinne „Sünde", die „mit Schrecken und Horror", nicht bloß mit „Bedauern" endet.10 Politisch betrachtet ist dies eine Absage an den radikalen Nationalismus jener Tage. Bestimmen wir ferner im Sinne der Freiheitsschrift die Person des Menschen als individuierten Geist, als das Wesen, das sich zum Verhältnis zwischen Grund und Existenz noch einmal verhält und insofern Konstitutionsprinzip des Willens im Intervall partikularen und universalen Interesses ist, so erkennen wir in Schellings Metaphysik der Person eine Verteidigung der politischen Urteilskraft gegen den Gesinnungsaktionismus der Nationalen, welche die Befreiungstat um jeden Preis, zur Not auch Leib und Leben, fordern. Es wäre allerdings übertrieben, die Freiheitsschrift als einen Text der politischen Philosophie aufzufassen. Sie läßt sich unter zwei möglichen Blickwinkeln, die für Schelling letztlich ineinsfallen, als Abhandlung zur Anthropologie oder zur Metaphysik bestimmen. Dabei ist die Übertragung der anthropologischen Grundbegriffe ,Sehnsucht', ,Verstand' und ,Wille' in einen metaphysischen Zusammenhang leitend: „Die Bestimmung des Grundes als Sehnsucht verweist auf die grandlegende Ebene des Gefühls; die Beschreibung der erwachenden Reflexion zeigt die Dimension des Verstandes auf; die innere Triebkraft des Seins schließlich ist der Wille, der sich im gegen wendigen Streben äußert als Eigen- und Universalwille".11 Metaphysik und Anthropologie sind demnach für Schelling miteinander identisch; nicht nur erklärt er die menschliche Freiheit durch eine Metaphysik der menschlichen Person; er vertritt zugleich eine personalistische Auffassung der Metaphysik, erläutert also das Sein im Verhältnis zum Seienden mittels der menschlichen Person abgelesenen Grundbegriffen. Dies sei unbestritten. Meine These ist lediglich, daß Schellings metaphysische Spekulation auf die realgeschichtliche politische Situation anspielt. Diese Überlegung ist aber relevant für die Frage, warum eine Metaphysik der Person überhaupt herausgebildet werden soll. In Anbetracht des Entstehungskontextes ist es zu einseitig, ausschließlich Gewicht auf den Einfluß Jacobis und das damit zusammenhängende Spinozismus-Problem zu legen, obwohl diese Faktoren mit Recht betont worden sind.12 Im folgenden möchte ich einen weiteren Aspekt herausstellen: Es gibt durchaus ein 9 Freiheitsschrift,

62. Vgl. zu den bedeutenden begriffsgeschichtlichen Bezügen dieser Ausdrucks-

weise den Kommentar des Herausgebers, 151. 10 Ebd. 11 J. H e n n i g f e l d , Friedrich Wesen der menschlichen

Wilhelm Joseph Freiheit

Schellings

philosophische

und die damit zusammenhängenden

Untersuchungen

über

das

Gegenstände1,

Darmstadt

Konzept der

Rationalität,

2001,73. 12 Vgl. S. Peetz, Die Freiheit im Wissen. Eine Untersuchung Frankfurt/M. 1 9 9 5 , 1 1 .

zu Schellings

G I B T ES URRECHTE DER P E R S O N ?

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Feld, auf dem sich Politik und Metaphysik berühren, das Recht. Und Schelling ist Mitte der 1790er Jahre auch auf diesem Terrain aktiv gewesen. Bei Schellings Metaphysik der Person handelt es sich, wie ich im folgenden zeigen möchte, auch um metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Es läßt sich zeigen, daß bereits Schellings Naturrechtskonzeption von eben den anthropologischen und metaphysischen Voraussetzungen abhängt, die Schelling in der Freiheitsschrift erläutert und miteinander konsistent zu machen versucht. An der Naturrechtsliteratur im Umfeld der Rechtsschrift Schellings läßt sich weiter verdeutlichen, daß die von Schelling in der Freiheitsschrift verfolgte Frage nach den Prinzipien der Konstitution des menschlichen Willens, die im Zentrum seiner Metaphysik steht, genau den Nerv der Diskussion um die Rechtsbegründung trifft.

2. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre Schelling ist sich darüber im Klaren, daß seine Rechtsschrift Teil einer umfangreichen deutschsprachigen Naturrechtsliteratur um 1795 ist, die ihm zum Teil bekannt gewesen sein dürfte. 13 In diesem Sinne versichert er, daß „die neuesten Bearbeitungen des Naturrechts, die er bei dieser Arbeit noch nicht benutzen konnte, ihm reichen Stoff zu reiferen Betrachtungen und vielfache Veranlassung, seine Grundsätze vollständiger zu entwickeln, geben werden". 14 Die Philosophie Kants, dessen Rechtsphilosophie 1795/96 noch aussteht und die viele Autoren vorwegnehmen möchten, sowie das Erscheinen der ersten demokratischen Verfassungen und Menschenrechtserklärungen und nicht zuletzt das plötzliche Umschlagen des französischen Rechtsstaats in die Dikatur 1793 lösen eine Flut deutschsprachiger Naturrechtsliteratur aus. Dabei ist der Begriff ,Naturrecht' nicht festgelegt und kann daher als Deckmantel allerlei reformpolitischer Ansätze verwendet werden. Zunächst meint Naturrecht nur überpositives Recht, im Unterschied zum positiven (Staats- und Privatrecht). In diesem engen Sinne ist das Naturrecht etwa für den einflußreichen G. Hufeland lediglich die Wissenschaft, „welche die Rechte des Menschen [...] im Naturstande lehrt", etwa das Recht, die Natur zu beherrschen, wobei das Staatsrecht ausdrücklich ausgenommen wird.15 Zwar ist nach Hufeland der Zweck des Naturrechts „die Rechte der Menschen im Staate darnach zu urtheilen", aber nicht jedes Recht, das dem Menschen von Natur zukommt, soll ihm auch im Staat eingeräumt werden. 16 Die staatsrechtliche und politische Relevanz des überpositiven Rechts wird hier also einge-

13 Vgl. W.G. Jacobs, „Editorischer Bericht", in: F.W.J. Schelling, Neue Deduction des Naturrechts [= Neue Deduction], Historisch-Kritische Ausgabe, Werke Band 3. Hg. von H. Buchner, W.G. Jacobs und A. Pieper, Stuttgart 1982,115-136. 14 F.W.J. Schelling, Neue Deduction, SWI, 280. 15 G. Hufeland, Lehrsätze des Naturrechts und der damit verbundenen Wissenschaften zu Vorlesungen [= Lehrsätze], Jena 1795 2 , §33, 16; vgl ferner § 31, 15, wo Hufeland in diesem Sinne festsetzt: „Naturstand (status naturalis) ist hier dem bürgerlichen Stande (status civilis) entgegen gesetzt". 16 Hufeland, Uhrsätze, ξ35,17.

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Temilo v a n Z a n t w i j k

schränkt. J.С. Hoffbauer klammert staatsrechtliche und politische Fragen sogar ganz aus. 17 Anderen Autoren, wie Heydenreich, kommt es hingegen geradezu darauf an, „dass man doch endlich einmahl den richtigen Gesichtspunkt der Wissenschaft und ihr Verhältnis zu den Verfassungen der wirklichen Welt mit Bestimmtheit fassen möchte". 18 Naturrecht wird hier geradezu zu „Metapolitik", welche die Prolegomena zum Staatsrecht enthalten soll. 19 Von zentraler Bedeutung ist die Frage der Rechtsbegründung, von der die Möglichkeit des Naturrechts als philosophischer Disziplin selbst abhängig gemacht wird. Hufeland und C. Ch. E. Schmid vertreten die Konzeption der Ableitung des Naturrechts aus dem Sittengesetz, einen vermeintlich Kantischen Ansatz. 20 Hufeland stellt als einer der ersten die These auf, daß Kants Sittengesetz nicht ausschließlich das individuelle Gewissen anspricht, sondern interpersonale, rechtliche Verhältnisse begründet. Das Sittengesetz begründe demnach unsere „Befugnis in bezug auf andere": „Das Sittengesetz des andern begründet für ihn in Verhältnis auf mich: 1) Erlaubnis zu Handlungen, wodurch meine Befugnis eingeschränkt; 2) Verbindlichkeit gegen mich, wodurch meine Befugnis erweitert wird". 21 Der Grandgedanke ist einfach: Wenn das Sittengesetz bestimmte Handlungen und Unterlassungen gebietet, erlaubt es dann nicht auch, Verstöße gegen ihre Gebote zu verhindern? Zu diesem Ergebnis, daß das Sittengesetz eine ganze Sphäre von Handlungen erlaubt, die auch Zwangsmaßnahmen gegen andere einschließt, unter der Bedingung nämlich, daß diese anderen gegen das Sittengesetz verstoßen, gelangt auch Schmid: „Es ist also keinem allgemeinen Gesetze zuwider, daß ein Vemunftwesen das andere an der Störung seiner Rechte hindere, d . h . physische Gewalt anwende, um sein eignes Recht gegen fremden Eingriff zu schützen. - Das Recht zu zwingen". 22 In Niethammers Journal lieferte Salomon Maimon eine scharfe Kritik dieser Ansätze, die den Auftakt zu einer Naturrechtsdebatte gab, an der sich neben Schelling vor allem Fichte beteiligte. Maimon: „Aeußerer Zwang, an sich betrachtet, ist dem Moralgesetz zu wider. Dieses gebietet Allgemeingültigkeit des Willens. Jenes hingegen giebt dem Zwingenden die Befugniß, seinen Willen, ungeachtet der Wille des zu Zwingenden demselben entgegen ist, in Ausübung zu bringen". 23 Dieser Auffassung hat sich Fichte angeschlossen, nicht ohne sie zugleich zu radikalisieren. Rechtliche Erlaubnis und Verpflichtung lassen sich nach Fichte nicht aus dem Sittengesetz deduzieren. Sie entstehen erst „durch den 17 J. С. Hoffbauer, Naturrecht aus dem Begriffe des Rechts entwickelt. Merseburg 18254 (1793). 18 K.H. Heydenreich: Grundsätze des Staatsrechts und seiner Anwendung nebst einem Anhange staatsrechtlicher Abhandlungen, Leipzig 1795, Einl., iii. 19 Ebd., 44ff. 20 Kant hat den Ansatz nicht übernommen. Vgl. aber seine wohlwollende Rezension AAVIII, 125-130. 21 Hufeland, Lehrsätze, § 22,10. 22 C.Ch.E. Schmid, Grundriss des Naturrechts, Jena 1795, § 106,44. 23 S. Maimon, „Über die ersten Gründe des Naturrechts", in: Gesammelte Werke, hg. von G. Verra, Band 6. Hildesheim 1971, 327-360, hier 329; außerdem in: Philosophisches Journal, hg. von I. Niethammer, Bd.I, 2,1795,141-174.

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willkührlichen Entschluß, mit anderen in Gesellschaft zu leben", einen Entschluß, den jedermann genausogut nicht fassen kann. 24 Das Rechtsverhältnis ist für Fichte nur dann legitimiert, wenn dieser Entschluß, in es einzutreten, begründet ist. Damit wird die Perspektive von der Ableitung von Regeln aus dem Sittengesetz auf die Angabe eines Verständigungsverfahrens zur Fassung eines Entschlusses gelenkt. Dabei handelt es sich um soziale Bedingungen der Freiheit und des Selbstbewußtseins, die Fichte in seiner Lehre von der Anerkennung in den Paragraphen drei und vier seiner Rechtslehre entwickelt.25 Würden wir, so lautet Fichtes Argument, ein einsames ursprüngliches Subjekt annehmen, so würde es sich zwangsläufig als determiniert ansehen, da es nicht in der Lage wäre, die Objekte seiner sinnlichen Erkenntnis selbst hervorzubringen. Nur wenn angenommen wird, daß andere Subjekte mich zur Bestimmung der Objekte auffordern, kann ich das Bewußtsein meiner Freiheit haben. Dies allerdings setzt voraus, daß ich sie als freie Subjekte anerkenne und folglich in ein Rechtsverhältnis zu ihnen eintrete. Als ein solches Verständigungsverfahren läßt sich ein natürliches Rechtsverhältnis, das auf gegenseitige Anerkennung gegründet ist, nach Fichte also allerdings begründen. Damit sind die Hauptfronten nachgezeichnet. Versetzen wir uns nun in den Zusammenhang der Naturrechtsschrift Schellings. Zu welchen ,reiferen Betrachtungen' gibt die Naturrechtsdebatte Anlaß? Anders als die , Kantianer' und gewissermaßen mit Maimon und Fichte verwirft Schelling die Idee, das Rechtsverhältnis aus dem Sittengesetz abzuleiten. Allerdings schlägt er einen anderen Weg als diese ein, indem er die Moral und das Recht als zwei einander nebengeordnete Disziplinen auffaßt, von denen die eine das Sollen, die andere das Dürfen thematisiert, die beide aber von einer übergeordneten Disziplin, der Ethik, abhängig sind, deren Normen das Zusammenbestehen aller Individuen ermöglichen sollen.26 Vom Naturrecht unterscheidet sich die Ethik dadurch, daß sie das Zusammenbestehen der Freiheit vieler in einem Reich moralischer Wesen erläutert, während das Recht von der Unbestimmtheit des individuellen Willens ausgeht.27 Insgesamt sind diese Überlegungen Fichte aber näher als den Kantianern. Schelling bringt aber im Gegensatz zu Fichte die Frage der Rechtsbegründung auf die Bahn der Metaphysik, indem er sie als die Frage nach der Konstitution des rechtmäßigen menschlichen Willens auffaßt. Dabei nimmt er den Begriff des allgemeinen Willens auf. Der Ausdruck ,Allgemeinwille' wird in der deutschen Rechtsliteratur des späten 18. Jahrhunderts durchaus als Übersetzung von Rousseaus volonte generale verwendet 28 Der rechtmäßige individuelle Wille ist der, der den Allgemeinwillen repräsentiert. In diesem Sinne fordert Schelling, daß der individuelle und allgemeine Wille Wechselbegriffe werden sollen. Ist der allgemeine Wille bloß der Wille eines Einzelnen, dann fällt die gefor24 J.G. Fichte, Grundlage Naturrechts],

des Naturrechts

nach Principien

der Wissenschaftslehre

[= Grundlage

des

Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von R. Lauth

und H. Jacob, Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, Band 1/3, 322. 25 Fichte, Grundlage des Naturrechts,

350ff.

26 F.W.J. Schelling, Neue Deduction,

§ 31,145.

27 Neue Deduction,

§ 7 2 , 154.

28 Etwa bei Heydenreich, Grundsätze

des Staatsrechts,

103.

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TEMILO VAN ZANTWIJK

derte Allgemeinheit dem absolut gesetzten Willen dieses Einzelnen, z.B. eines absoluten Monarchen, zum Opfer. Ist der allgemeine Wille hingegen Wille aller Einzelnen, d.h. ist er bloß die Summe aller Willen, dann wird die Individualität des Willens in eine abstrakte Allgemeinheit aufgelöst. In beiden Fällen ist nicht gewährleistet, was das Naturrecht nach Schelling gerade gewährleisten soll, daß die Freiheit des Einzelnen durch den allgemeinen Willen zwar eingeschränkt, aber zugleich auch garantiert wird. Diese Forderung ist nur dann erfüllt, wenn der individuelle Wille jeden beliebigen Willen repräsentiert: „Ich soll nicht handeln, wie die übrigen alle handeln; sondern, wie ich handle, sollen alle übrigen handeln. Aber damit alle übrigen handeln, wie ich handle, soll ich handeln, wie alle übrigen handeln können." 29 Nur unter der Bedingung, daß jedermann meine Handlung wollen könnte, bzw. daß mein Wille die Allgemeinheit repräsentiert, kann ich demnach vernünftigerweise fordern, daß mein Wille allen andern unantastbar sei, oder daß ich ein Recht an meiner Handlung habe. Was läßt sich aus der Sicht der Rechtsschrift über die Konstitution des Willens sagen? Allgemeinheit und Individualität bedingen sich nach Schelling gegenseitig. Wenn ,etwas wollen' heißen soll, sich verstandesmäßig klar darüber sein, daß man will, dann kann wollen nach Schelling nie reiner Eigensinn sein. Durch die Klarheit über sich als Wille ist der Wille bereits Teil einer Allgemeinheit und kann daraufhin befragt werden, ob er beanspruchen kann, jedermanns Wille zu sein. Zugleich ist die Allgemeinheit nie Willenssubjekt. Das Allgemeine will nichts. Jeder Wille ist Wille eines Individuums, das ihn trägt. Unter der Voraussetzung, daß wir das Bewußtsein von unserer Individualität nie bis zur vollständigen Deutlichkeit entwickeln können, bleibt der Wille immer an etwas gebunden, was sich seiner Klarheit über sich selbst entzieht, nämlich das zu sein, was gerade dieses Individuum will. An diesem Punkt greift die Metaphysik der Freiheitsschrift. Auch hier wird die gegenseitige Verwiesenheit von Eigenwille und Universalwille betont. Ein reiner Eigenwille wäre nur als blinder Wille, wie Schelling sagt, bloße Sehnsucht, möglich. In dieser Hinsicht bezeichnet Schelling den Universalwillen auch als Urwillen; der Begriff des Eigenwillens setzt ihn immer schon voraus. Zugleich ist der Allgemeinwille zwangsläufig Wille eines Individuums. Der Allgemeinwille ist demnach nur möglich, wenn er unmittelbar zugleich Wille eines Einzelnen ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Eigenwille stellvertretend für jeden Einzelwillen steht: Das Prinzip, sofern es aus dem Grunde stammt und dunkel ist, ist der Eigenwille der Kreatur, der aber, sofern er noch nicht zur vollkommenen Einheit mit dem Licht (als Prinzip des Verstandes) erhoben ist (es nicht faßt), bloße Sucht oder Begierde, d.h. blinder Wille ist. Diesem Eigenwillen der Kreatur steht der Verstand als Universalwille entgegen, der jenen gebraucht und als bloßes Werkzeug sich unterordnet. Wenn aber endlich durch fortschreitende Umwandlung und Scheidung aller Kräfte der innerste und tiefste Punkt der anfänglichen Dunkelheit in einem Wesen ganz in Licht verklärt ist: so ist der Wille desselben Wesens zwar, inwiefern es ein Einzelnes ist, ebenfalls ein Partikularwille, an sich aber, oder als

29 Neue Deduction, §41, 147.

G I B T ES URRECHTE DER P E R S O N ?

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das Centrum aller andern Partikularwillen, mit dem Urwillen oder dem Verstände Eins, so daß aus beiden jetzt ein einiges Ganzes wird.30 Was leistet nun die Freiheitsschrift über die Rechtsschrift hinaus? Sie liefert eine Interpretation der Individualität des Menschen (sowie aller Kreaturen), während die Rechtsschrift die Individualität des Menschen als nicht weiter interpretierbare Gegebenheit hinnimmt. Die Freiheitsschrift entwirft ein Spannungsfeld, das Individualität und Allgemeinheit in wechselseitiger Verwiesenheit gemeinsam und gewissermaßen zugleich konstituiert. Dieser Ansatz war in der Rechtsschrift noch nicht vorhanden. Dort setzt Schelling eine bestimmte Interpretation der Unbedingtheit speziell des menschlichen Eigenwillens und seiner Fähigkeit, an der Allgemeinheit teilzuhaben, voraus. Im menschlichen Willen scheint der Gegensatz zwischen Individualität und Allgemeinheit für den frühen Schelling bereits a priori ausgeglichen zu sein. Zu einem Konflikt im Willen des Menschen kann dieser Gegensatz jedenfalls nicht führen, da die Möglichkeit des radikalisierten reinen Eigensinns hier nicht vorgesehen ist. Entsprechend weist Schelling ausdrücklich alle vertragstheoretische Rechtstheorien zurück, bei denen die Einwilligung in den Gesellschaftsvertrag aus rein egoistischen Gründen erfolgen kann.31 Das Spannungsfeld existenzbegründender Kräfte in der Freiheitsschrift sieht mit ihrer Konzeption des Bösen hingegen sehr wohl die Möglichkeit (und auch die Wirklichkeit) der Vernichtung des Universalwillens durch den Partikularwillen vor. Damit wird der Aspekt der Individualität kreatürlicher Existenz interpretierbar. Dringen wir tiefer in die Interpretation der obigen Textstelle ein, so sehen wir, daß Schelling dem Verhältnis von Eigenwillen und Universalwillen zwei analoge Interpretationen gibt: zum einen als Beziehung zwischen Sucht oder Begierde und Verstand, zum anderen als Beziehung zwischen Dunkelheit oder Schwere und Licht. Das Verhältnis zwischen Eigenwillen und Universalwillen ist demnach gleichermaßen anwendbar auf Natur und Geist. So wird die Möglichkeit eröffnet, menschliche Individualität unter verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Dazu wendet Schelling das Grandverhältnis zwischen beiden Willenskräfte nacheinander auf Natur und Geist an. Unter dem Gesichtspunkt der Naturzugehörigkeit ist der Eigenwille der Kreatur nach Schelling nur .Werkzeug' des Verstandes und demnach dem Universalwillen stets untergeordnet. Damit ist aber bereits eine zweite Perspektive eröffnet. Es herrscht nicht nur in der Natur ein Verhältnis zwischen Eigenwillen und Universalwillen (in jeder Kreatur), die Natur insgesamt verhält sich noch einmal als Eigenwille zu einem Uni versalwillen, der diesen gestaltet. Die Natur ist demgemäß Schöpfung eines Universal willens. Die Schöpfung ist eine fortschreitende .Verklärung' der Kreaturen durch .fortschreitende Umwandlung und Scheidung aller Kräfte' (s.o.). Dabei soll das Verhältnis von Eigenwillen und Uni versalwillen in einer Kreatur verwirklicht werden. Verfolgen wir die Passage weiter, so sehen wir, daß diese Realisierung des Verhältnisses den Menschen von allen anderen Kreaturen unterscheidet: „Diese Erhebung des allertiefsten Centri in Licht geschieht in keiner der uns sichtbaren Kreaturen außer im Men-

30 Freiheitsschrift, SW VII, 363 (Buchheim-Ausgabe, 35). 31 Neue Deduction, §85 Anm., 157.

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sehen".32 Zwei Bestimmungen begründen die Sonderstellung des Menschen in der Natur: Erstens ist er der Mikrokosmos, dasjenige Individuum, das als ein besonderes Wesen die ganze Schöpfung repräsentiert. Alle Bestimmungen des Menschen sind daher pars pro toto zu lesen: Was für das menschliche Individuum gilt, gilt für die Natur im Ganzen. Zweitens ist der Mensch „der in der Tiefe verschlossene göttliche Lebensblick", das heißt „Ebenbild Gottes".33 Diese ist als Gottähnlichkeit zu verstehen. Die Ähnlichkeit besteht darin, daß Gott und Mensch Geistwesen sind, die sich zu sich selbst (zu den konstituierenden Prinzipien ihres Willens) verhalten. Der Unterschied zwischen Gott und Mensch besteht in der Möglichkeit des Bösen, die nur dem Menschen gegeben ist durch „eine Auflösung der in Gott unauflöslichen Prinzipien".34 Stehen Universal- und Partikularwille in Gott im Verhältnis der Subordination, ohne daß jedoch der eine den anderen vertilgt, sodaß „der Geist der Liebe in ihm waltet", so ergibt sich für den Menschen die Möglichkeit einer „Erhebung des Eigenwillens", die „das Böse" ist.35 Das Wesen des Menschen ist daher für Schelling insgesamt uneindeutig: Menschliche Existenz ist naturbedingt und zugleich „frei oder über der Natur"; der Mensch ist gottähnlich und kann zugleich diese Ähnlichkeit im Bösen dissimulieren.36 Die Unbestimmtheit der geistig-individuellen Existenz ist für Schelling die Persönlichkeit: „der Mensch ist Geist als ein selbstisches, besonderes (von Gott geschiedenes) Wesen, welche Verbindung eben die Persönlichkeit ausmacht."37 Dazu ist anzumerken, daß Schelling wohl mit Absicht von der Persönlichkeit' und nicht der ,Person' des Menschen spricht. In der Freiheitsschrift wird der Ausdruck Person' ausschließlich mit Bezug auf Gott gebraucht. Man kann daher im Sinne der Anthropologie und Metaphysik der Freiheitsschrift sagen, daß der Mensch als Persönlichkeit existiert, der es aufgegeben sei, Person zu werden. Anthropologie und Metaphysik schließen demnach wieder eine ethische Dimension ein, wobei Schelling allerdings skeptisch hinsichtlich der Überwindung des Bösen in der Geschichte ist, wie aus seinen weiteren Untersuchungen zur Wirklichkeit des Bösen hervorgeht. Für meine Fragestellung ist nunmehr entscheidend, ob die Rechtsschrift spezieller eine Metaphysik der Personalität, wie sie die Freiheitsschrift bietet, voraussetzt. Dazu gehe ich auf die Begründung der Urrechte des Menschen in der Rechtsschrift und ihr literarisches Umfeld ein.

32 Freiheitsschrift,

SW VII, 363 (Buchheim-Ausgabe, 35).

33 Ebd., 363 f. (Buchheim-Ausgabe, 35 f.). 34 Ebd., 365 (Buchheim-Ausgabe, 37). 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Ebd., 364 (Buchheim-Ausgabe, 36).

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3. Die Urrechte der Person Die Jenaer Naturrechtsdebatte 1795 geht vordergründig über die Frage, wie sich das Recht und seine Wissenschaft begründen lassen: durch Ableitung aus dem Sittengesetz (Hufeland und Schmid), oder durch Ableitung aus dem transzendentalen Ich als gemeinsamem Prinzip von Recht und Moral (Fichte), wobei das Recht von der Moral unabhängig bleiben soll (Maimon). Zunächst weist die Debatte daher gar keinen Bezug zu metaphysischen Fragestellungen auf. Besonders angesichts der internationalen politischen Situation war es aber nicht weniger wichtig zu entscheiden, ob das Naturrecht einen Bereich individueller Lebensgestaltung gegen Eingriffe durch den Staat schützen könne oder nicht. Diese Frage, ob es einen Bereich unbedingt schutzwürdiger ,Urrechte' des Menschen geben soll, hängt engstens mit der Frage, wer Träger solcher Urrechte sein soll, und deshalb mit dem Begriff der Person zusammen. Unter diesem Aspekt zeigt sich, daß Hufeland und Schmid ihre moralphilosophische Rechtsbegründung mit der Forderung der Urrechte verbinden. Problematisch ist jedoch, daß die Urrechte sich nicht zwanglos aus dem formalen Begriff des Rechts ergeben, sondern nur unter zusätzlichen metaphysischen und anthropologischen Annahmen über den Menschen als Person gewinnen lassen. Schmids Naturrecht enthält in diesem Sinne ein „Allgemeines Urrecht", welches das „Recht der persönlichen Freyheit"; ein „Recht auf Sachen"; das „Recht auf die Natur, sie zu beherrschen" und das ,Дес1и der persönlichen Gleichheit" umfaßt. 38 Ferner kennt Schmid ,angewandte Grundrechte'. Dazu gehören u.a. das unveräußerliche „Recht der menschlichen Persönlichkeit" sowie das „Recht der Menschheit", als Person in der Sinnenwelt zu erscheinen (gemeint ist hier das Recht auf objektive Bedingungen menschlicher Existenz, d.i. psychische und physische Kräfte und ihre Ausübung). 39 Nicht ganz so barock grassieren die Unrechte bei Hufeland. Er macht die Unrechte von grundlegenden Fähigkeiten des Menschen abhängig, deren Erhaltung er als „die objektiven Güter des Menschen" ansieht.40 Es geht hierbei um die „Kräfte und Anlagen des Menschen an sich selbst", d.h. seine Persönlichkeit, um die Fähigkeit, „Handlungen zu Zwecken vorzunehmen" und um die Fähigkeit „Mittel zu Zwecken zu gebrauchen". 41 Besonders interessant ist es nun, daß die Urrechte auch in Hufelands Sicht nur unter Zuhilfenahme anthropologischer Zusatzannahmen aus dem Sittengesetz hergeleitet werden können. In diesem Sinne legt er fest: „Das Vermögen eines Wesens, sich Zwecke für seine Handlungen vorzusetzen, heisst die Persönlichkeit und ein mit diesem Vermögen begabtes Wesen die Person" 42 Noch deutlicher die metaphysischen, damit meine ich hier die Stellung des Menschen im Ganzen der Wirklichkeit betreffenden, Rahmenbedingungen solcher Annahmen herausstellend, hat der Hallenser Kantianer J.H. Tieftrunk bereits

38 Schmid, Grundriss des Naturrechts, § 138-141,61 ff. 39 Ebd., § 178, 83; §189, 86.

40 Hufeland, Uhrsätze, § 111,66f. 41 Ebd., § 116,69f. 42 Ebd., §90,55.

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1791 betont, daß „Freiheit und Vernunft, in einem transcendentalen Grande, in der Persönlichkeit des Menschen, wesentlich vereinigt sind".43 Er betont, daß damit nicht lediglich die Enthobenheit des menschlichen Geistes von der Natur gemeint sei, sondern „ausser diesem Negativen bezeichnet die Freiheit noch etwas Positives und Reelles; nämlich dass sich der Mensch, durch seine Vernunftexistenz selbst der einzige und alleinige Grund der Thätigkeit ist, diese also von weiter nichts als allein von ihm entspringt".44 Anthropologie und Metaphysik werden entsprechend, wie bei Hufeland und Schmid, über zusätzliche Prämissen in die Versuche, die Urrechte aus dem Sittengesetz zu gewinnen, eingeführt. Daß dies für die Beteiligten ein Problem hätte sein müssen, wird klar, wenn man sich vor Augen führt, daß die Versuche, das Naturrecht auf ,Kantische' Weise zu begründen, gerade von der Voraussetzung ausgingen, daß das Naturrecht nun nicht mehr von inhaltlichen Annahmen über den Naturzustand des Menschen abhängen dürfe. Der Naturzustand sollte nur noch den Menschen als ausschließlich moralisches Wesen, abstrahiert von den realen Lebensverhältnissen des bürgerlichen Standes bezeichnen 45 Fichte, der die Unabhängigkeit des Rechts von allerlei moralischem und metaphysischem Regelwerk viel radikaler auffaßt als die Kantianer, lehnt die positive Festschreibung von Unrechten insgesamt ab. Urrechte haben für ihn lediglich einen ,idealen' Sinn: „Es giebt keinen Stand der Urrechte und keine Urrechte des Menschen".46 Die Rede von Urrechten verführt nach Fichte zu einer verfälschenden Vergegenständlichung des Naturrechts. Alle Rechte gründen für ihn in einem Legitimations verfahren. Das transzendentale Ich präsupponiert die Intersubjektivität nach Fichte; es impliziert sie nicht logisch. Subjekte sollen einander demzufolge anerkennen, aber sie müssen es nicht. Die Rechtsbegründung ist hier ein Verfahren der Vergewisserung von Präsuppositionen der Subjektivität. Dies führt zu der weitreichenden Konsequenz, daß Fichte radikal zwischen Naturrecht und positivem Recht unterscheidet und die Prüfung des Rechts nicht freien Bürgern, sondern einem Verwaltungsinstitut, dem Ephorat, überträgt. Fichte konzipiert demnach ein metaphysikfreies Naturrecht, in dem es keinen Platz für Grundrechte gibt. Betrachten wir nun Schellings Rechtsschrift so zeigt sich, daß Schelling mit den Kantianern an die Sphäre der Urrechte festhält, andererseits aber auch nicht in den Widerspruch Schmids und Hufelands verfallt, da er ausdrücklich an metaphysischen Anfangsgründen des Rechts festhält. Die Begründung der Urrechte bei Schelling hängt von einigen eigentümlichen Unterscheidungen ab, die vorbereitend zu beleuchten sind. Schelling unterscheidet zwischen der Form und der Materie des Willens. Die Interpretationslage ist etwas schwierig, weil Schelling diese Begriffe fast im Vorbeigehen in bezug auf das Verhältnis von individuellem und allgemeinem Willen einführt und nicht eigens definiert. Ihrer Bedeutung ist einigermaßen beizukommen, indem man vom Unterschied zwischen 43 J.H. Tieftrunk, Über Staatskunst und Gesetzgebung zur Beantwortung der Frage: Wie kann man gewaltsamen Revolutionen am besten vorbeugen, oder sie, wenn sie da sind, am besten heilen? Berlin 1791,25. 44 Ebd., 24. 45 Hufeland, Lehrsätze, §32,15. 46 Fichte, Grundlage des Naturrechts, 403.

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dem Begriff eines Willenssubjektes und dem eines Objektes des Wollens ausgeht. Es dürfte unmittelbar einleuchten, daß die Fragen: ,Wer will?' und: ,Was will er oder sie?' zu kategorial verschiedenen Antworten führen. Jedenfalls gründet Schelling seine Unterscheidung auf die These, daß kein Willenssubjekt unter den möglichen Objekten des Wollens vorkommt, weil Objekt nur sein kann, was gegenständlich in unserer Erfahrung vorkommt, das Ich sich aber jeder Bestimmung als Gegenstand entzieht. Von hieraus gewinnt Schelling den Begriff der Form des Willens. Sie ist die Subjektivität, oder wie Schelling sagt, die .Freiheit überhaupt'. Was er als ,Form' bezeichnet, ist also nicht das, was man gewöhnlich ,formal' nennen würde, wie die Eigenschaften einer Struktur. Gemeint ist, daß der Begriff ,Wille' den Begriff ,Ich' präsupponiert, d.h. etwas voraussetzt, was sich nicht als Objekt bestimmen läßt und insofern schlechterdings nicht .material' oder objektiv ist. Der Begriff der Materie des Willens ist demgemäß alles, was Objekt des Willens sein kann. Für den Willen ist in Schellings Auffassung also stets ein Objekt erforderlich, auf das der Wille gerichtet ist. Der eigentümliche Begriff der Form des Willens soll das Willenssubjekt, das als ,Ich' prinzipiell kein Objekt sein kann, zumindest soweit auszeichnen, daß dieses Subjekt dennoch zur Materie des Willens gemacht werden kann. Das ganze Problem, wie der Wille eines Einzelnen mit dem allgemeinen Willen identisch sein kann, löst sich in der Naturrechtsschrift dadurch auf, daß die Form des Willens, den Schelling als Ausdruck für die Unbedingtheit und Spontaneität des Ich verwendet, mit der Materie des allgemeinen Willens gleichgesetzt wird. Wie gesagt, kann man in Schellings Sinne streng genommen natürlich nicht sagen, daß der allgemeine Wille etwas will, d.h. eine Materie hat: „Der allgemeine Wille ist bedingt durch den individuellen, nicht der individuelle durch den allgemeinen". 47 ,Wer' hier etwas will, ist der Einzelwille, der sich aber, indem er die Form seines Willens zur Materie macht, zum allgemeinen Willen erhebt. Schelling sagt auch, daß der Wille durch diesen Akt „absoluter Wille" wird.48 Der Ausdruck ,Allgemeinwille' hat also den Sinn, die Unbedingtheit des individuellen Willens unter der Bedingung der Anerkennung der Unbedingtheit jedes individuellen Willens zu sichern: „ich höre auf, meine Freiheit der Freiheit anderer moralischer Wesen entgegenzusetzen" 49 Alle Handlungen, welche die Gleichberechtigung anderer Rechtssubjekte zumindest nicht verletzen, sind, wie Schelling im obersten Rechtsgrundsatz festhält, in diesem Sinne rechtens: „Ich habe ein Recht zu allem, wodurch ich die Individualität meines Willens der Form nach behaupte". 50 In diesem Grundsatz sind die Urrechte enthalten. Gegen den allgemeinen Willen hat jeder erstens ein Recht auf die „Selbstheit des Willens".51 Die Form des allgemeinen und individuellen Willens sind nicht äquivalent. Der allgemeine Wille ist eingeschränkt auf die Möglichkeit des Zusammenbestehens aller Willen. Die Form des allgemeinen Willens 47 Neue Deduction, §33,145. 48 Ebd., §45,148. 49 Ebd., §46, 148. 50 Ebd., §68,153. 51 Ebd., § 105,162.

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ist deshalb eine inhaltlich bestimmte Spontaneität, die sich durch ein Gesetz ausdrücken Iäßt. Die Form des individuellen Willens ist nach Schelling hingegen unbestimmte Unbedingtheit, die mit jeder beliebigen Materie (alles, was mögliches Objekt des Begehrens ist) inhaltlich gefüllt werden kann.52 Dabei kann Fremdbestimmung stattfinden, so daß der Wille durch eine von außen wirkende Ursache auf ein Objekt geführt wird, oder Selbstbestimmung, wenn das Willenssubjekt sich spontan Objekte zum Zweck seines Handelns macht. Da nun der allgemeine Wille, wie gezeigt, durch die Form des individuellen Willens bedingt ist, kann er nach Schelling die Materie des individuellen Willens nicht einschränken, insofern diese durch die Form des individuellen Willens, also spontan gesetzt wird, wenn das Recht sich nicht schon in seinem Grundsatz widersprechen soll.53 Folglich hat jedermann für Schelling ein Urrecht auf moralische Freiheit, d.h. auf Willensfreiheit sogar in bezug auf gesetzwidrige Handlungen 54 Die beiden anderen Urrechte, die Schelling formuliert, ergeben sich zum einen aus der Möglichkeit, daß Einzelwillen untereinander kollidieren. Hier hat kein Individuum das Recht, die Form oder Materie eines anderen individuellen Willens einzuschränken. Lediglich der allgemeine Wille hat ein unvollkommenes Recht gegenüber der Materie des individuellen Willens, so daß ihm nach Schelling jegliche Sanktionsgewalt obliegen muß, wobei allerdings die Befugnis zur Gewaltanwendung auf ein äußerstes Minimum beschränkt ist. Drittens hat jedes Individuum ein Utrecht an erscheinenden Objekten, also das Urrecht des Besitzerwerbs. Deutlich wird, daß Schelling die Urrechte aus der Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit des Zusammenbestehens der Freiheit aller hervorgehen läßt. Er bleibt nun aber nicht bei diesem im Naturrecht gebräuchlichen Verfahren stehen, sondern expliziert die darin vorausgesetzte Metaphysik der Freiheit. Er betrachtet die Rechtsbegründung erst dann als abgeschlossen, wenn der Mensch sich als dasjenige Individuum erweist, das die Bedingungen der Möglichkeit des Zusammenbestehens der Freiheit aller verwirklicht. Für Schelling lassen sich die Urrechte eben nicht begründen, ohne auch einen Träger dieser Urrechte im Ganzen des Seienden auszumitteln. Mit Fichte ist dieser Weg nicht zu gehen: Wenn man mit der Idee, daß die Freiheit das Unbedingte sei, Ernst macht, kann man für Fichte nicht damit anfangen, dieses Unbedingte irgendwo in der Welt verwirklicht sehen zu wollen. Freilich kann man dann auch keine Urrechte des Menschen, welche die Verwirklichung des Unbedingten gerade im Menschen voraussetzen, behaupten. Mit Fichte und Schelling gelangt die Naturrechtstheorie demnach an einen Scheideweg: Entweder sind metaphysische und anthropologische Anfangsgründe des Rechts zu akzeptieren, oder die sogenannten Urrechte haben einen lediglich positivrechtlichen Sinn in den demokratischen Verfassungen, ohne naturrechtlich legitimierbar zu sein.55 52 Ebd., §98,160. 53 Ebd., §101 und 102,161. 54 Ebd., § 140, 170. 55 Vgl. E.J. Sieyes, Einleitung zur Verfassung. Anerkennung und erklärende Darstellung der Menschen· und Bürgerrechte (1789), Politische Schriften 1788-1790, hg. von E. Schmidt und R. Reichardt, München und Wien 1981, 239-258. Sieyes macht kein Geheimnis aus der theoretischen

GIBT ES URRECHTE DER PERSON?

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Verfolgen wir nun den von Schelling aufgezeigten Weg weiter, so läßt sich das Problem der Konstitution eines vernünftigen Willens als metaphysisches Restproblem der Rechtsbegründung bei Schelling aufweisen. Schelling knüpft im § 8 der Rechtsschrift an Kants Freiheitsantinomie und an Jacobis Interpretation und Auflösung dieser Antinomie an: „Soll ich in der Welt der Erscheinungen herrschen, und die Natur nach moralischen Gesetzen regieren, so muß die Causalität der Freiheit durch physische Causalität sich offenbaren". 56 Der Bezug zur dritten Antinomie ist in der Konzeption einer zweifachen Kausalität, einer Kausalität der Natur und einer Kausalität der oder vielleicht besser: aus Freiheit, zu sehen. Die Auflösung, daß die Freiheit sich in physischen Kausalbeziehungen .offenbaren' müsse, ist ein Jacobi-Zitat, das Schelling auch ausdrücklich als solches kennzeichnet. Zum gesperrt gesetzten Ausdruck offenbaren' sagt Schelling in einer Anmerkung: „Der eigentliche Ausdruck der hierher gehört! [...] Wer Jacobi verstanden hat, dem kann er nicht fremd sein".57 Schellings Zitat stellt eine Verbindung her zu Jacobis Buch Über die Lehre des Spinoza. Der Ausdruck ,Offenbarung' steht dort im Zusammenhang mit der Frage nach der menschlichen Gewißheit von der Realität der Außenwelt: „Durch den Glauben wissen wir, daß wir einen Körper haben, und daß außer uns andre Körper und andre denkende Wesen vorhanden sind. Eine wahrhafte, wunderbare Offenbarung!" 58 Jacobis Auffassung ist hier, daß unser Wissen von Körpern Präsuppositionen beinhaltet, die uns nicht zugleich auch im epistemischen Modus des Wissens verfügbar sind. Der Gebrauch des Ausdrucks .Wissen' in bezug auf eine Tatsache setzt die Verfügbarkeit von zureichenden Gründen für das Vorliegen dieser Tatsache voraus, z.B. die Erkenntnis ihrer Ursachen. Gehen wir nun von einer beliebigen Proposition, die wir wissen, d.h. für die wir zureichende Gründe ihres Wahrseins angeben können, aus, so kommen wir irgendwann an einem Punkt, an dem keine weiteren Gründe mehr verfügbar sind, z.B. wenn wir auf die Gewißheit stoßen, daß wir einen Körper haben. Folglich hängt Wissen für Jacobi letztlich von unmittelbar gegebenen, gewissermaßen ,geoffenbarten' Gewißheiten ab. Schelling bezieht Jacobis Ausdruck .Offenbarung' auf die Erkenntnis der Freiheit. Die Erkenntnis der Freiheit ist die Erkenntnis des Unbedingten in uns und läßt sich nicht im Modus des Wissens erreichen. So wie die Realität der äußeren Dinge selbst nicht begründet und gewußt werden kann, aber sich in unserem Wissen in bezug auf die Körper .offenbart', so soll nach Schelling die Freiheit, die sich selbst nicht erklären läßt, in unserer Naturerkenntnis, in der Kausalerklärungen stattfinden, .offenbart' werden. Die Analogie zwischen Erkenntnis der Außenwelt und der Freiheit findet allerdings ihre Grenze darin, daß Schelling im Anschluß an Kant keine theoretische, sondern ausschließlich praktische Erkenntnis der Freiheit annimmt. Die Bezüge zu Kant und zu Jacobi zusammen lassen erkennen, daß Schelling die Freiheitserkenntnis als unmittelbare praktische Gewißheit konUnbegründbarkeit der Menschenrechtskonvention: Sie wird auf die „Bedürfnisse" der Menschen gegründet. 56 Neue Deduction, § 8, 140 f. 57 Ebd., 141. 58 F.H. Jacobi, Über die Lehre des Spinoza, Werke Bd. 1,1, Schriften zum Spinozastreit, hg. von K. Hammacher und I.-M. Piske. Hamburg/Stuttgart 1998 [= Über die Lehre des Spinoza], 116.

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zipiert. Sie wird erreicht, wenn ich, wie Schelling sagt, im Handeln „das Unbedingte realisire".59 Hierzu reicht es für Schelling nun wiederum nicht hin, daß wir die Stimme der Vernunft in unserem Gewissen vernehmen und das Sittengesetz eine Tatsache unserer praktischen Vernunft sei. Die Freiheit soll auch für die Naturerkenntnis real sein, wenn sie überhaupt real sein soll. Er fordert demgemäß - Kants Unterscheidung der praktischen und theoretischen Vernunft hinter sich lassend - eine Identität des Sittengesetzes in mir mit dem Kausalprinzip außer mir, das die Natur bestimmt: „Ich muß das Letzte, das allem Existierenden zu Grunde liegt, das absolute Seyn, das in jedem Daseyn sich offenbart, als identisch mit mir selbst, mit dem Letzten, Unveränderlichen in mir denken".60 Damit zeichnet sich der Zusammenhang von Recht, Freiheit und Metaphysik bei Schelling ab. Der Grundgedanke Schellings ist, daß das Recht ebensowenig als die Moral die Freiheit wirklich machen kann. Der Rechtsgrundsatz und das Sittengesetz liefern Gründe des richtigen Gebrauchs der Freiheit; sie sind nicht Ursachen dieses Gebrauchs. Schelling interpretiert diesen Befund für das Recht so, daß dieses nicht nur die Freiheit bereits voraussetzt, sondern zudem aus Freiheit, letztlich durch den Entschluß, die Welt als Analogon des Sittengesetzes zu betrachten, verwirklicht werden muß. Bei Schelling führt der Begründungsweg also vom Recht über die Freiheit zur Metaphysik. Bei Jacobi findet sich eine interessante Parallele zu dieser Problematik. In der Beilage zur zweiten Auflage des Spinozabuchs von 1789 findet sich eine Vorrede mit dem Titel Ueber die Freyheit des Menschen, in der Jacobi seine Auffassung vertritt, daß ein Rechtsverhältnis sich durchaus ohne Bezug zur Freiheitsidee begründen läßt. Der Mensch müsse nur das Prinzip aufsuchen, das seinen vielen Begierden Einheit gibt und diese als „Modificationen einer einzigen ursprünglichen Begierde" betrachten.61 Die widerspruchsfreie durchgängige Bestimmtheit aller Begierden würde bereits ein „innerliches Recht der Person" konstituieren, dessen „Abbildung" das „äußerliche Recht" der bürgerlichen Gesellschaft sei.62 Die Parallele zu Schelling besteht darin, daß auch Jacobi betont, daß das Rechtsverhältnis nur durch den vernünftigen Willen der an ihm beteiligten Individuen konstituiert werden könne und nicht umgekehrt: „Alle Grundsätze ruhen auf Begierde und Erfahrung, und setzen, in so ferne sie wirklich befolgt werden, eine anderswoher schon bestimmte Thätigkeit zum voraus: sie können nie der Anfang oder die erste Ursache einer Handlung sein".63 Demnach kann man sich zwar fragen, ob man die Rechtsphilosophie nicht auch ohne Freiheit begründen kann. Da der Eintritt in ein Rechtsverhältnis nicht a priori geboten ist, stellt sich jedoch immer die Frage, was den Menschen dazu bestimmt, in es einzutreten. Allgemeiner formuliert geht die Frage, was den vernünftigen Willen konstituiert, der Frage, was das Recht konstituiert, voraus.

59 Neue Deduction, 139. 60 Ebd. 61 Jacobi, Über die Lehre des Spinoza, 160. 62 Ebd., 161. 63 Ebd.

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Zusammenfassung Schellings metaphysische Anthropologie der Freiheitsschrift interpretiert den Menschen als Persönlichkeit, die im Horizont der Möglichkeit vernünftiger Willenskonstitution existiert, wobei sich allerdings zeigt, daß sich Möglichkeit und Wirklichkeit der Verfehlung des vernünftigen Willens im Bösen nicht endgültig überwinden lassen. So betrachtet begründet die Theorie der Persönlichkeit die Möglichkeit eines Rechtsverhältnisses, aber auch nicht mehr als diese. Dieser Befund wirkt sich auf die Rechtsphilosophie aus und läßt den Begriff ,Naturrecht' prekär werden, der das Recht im Wesen des Menschen verankert. Im Horizont von Schellings Verständnis von Personalität ist dem Menschen der Entschluß, in ein Rechtsverhältnis einzutreten, immer möglich, aber nie selbstverständlich, d.h. dieser Entschluß folgt nicht aus seiner ,Natur'.

CHRISTIAN IBER

Prinzipien von Personalität in Schellings „Freiheitsschrift"

„Täglich erkenne ich mehr, daß alles weit persönlicher und unendlich lebendiger zusammenhängt, als wir uns vorzustellen vermögen".1

Ein „System, worin die Vernunft sich selbst wirklich erkennte" - sagt Schelling am Ende der Freiheitsschrift - muß „alle Anforderungen des Geistes wie des Herzens, des sittlichsten Gefühls wie des strengsten Verstandes vereinigen".2 Wenn man die Vernunft von den Forderungen des Gefühls und des Herzens entblößt und auf „reine Vernunft" 3 reduziert, hat man sich um die Möglichkeit gebracht, dem philosophischen Problem der Persönlichkeit auf den Grund zu gehen. Reine Vernunft reicht zum Verständnis lebendiger Persönlichkeit nicht aus. Persönlichkeit ruht auf einem dunklen Grund auf, den primär das Gefühl gibt. Doch damit dieses grundgebende Gefühl zur Klarheit über sich selbst kommen kann, bedarf es des wissenschaftlich-dialektischen Verstandes. „Das Band unserer Persönlichkeit ist der Geist", 4 der beide Prinzipien - grundgebendes Gefühl und Verstand - verbindet. Schellings Verständnis von Personalität orientiert sich in erster Linie nicht am Begriff der Person, sondern an dem der Persönlichkeit. Gegenüber Person ist für Schelling wie für Kant und Hegel Persönlichkeit der höhere, reichere Begriff, der nicht nur eine Seite des Menschen, seine Rechtsfähigkeit, sondern den gesamten Umfang seines Menschseins umfaßt. 5 Das Wesen des Menschen konzentriert sich für Schelling in seiner religiösen Be-

1

F.W.J. Schelling, „Brief an E . S . Georgii vom Februar 1811", in: Briefe über den Tod vom 2. Oktober 1809 an I. Niethammer,

2

F.W.J. Schelling, Philosophische die damit zusammenhängenden

3

Ebd.

4

Ebd., 414.

5

Carolines

hg. v. J.L. Döderlein, Stuttgart-Bad Cannstatt 1975.

Untersuchungen Gegenstände

über das Wesen der menschlichen

[= Freiheitsschrift],

Freiheit

und

SW VII, 413.

Durch die Autonomie, die die Person im moralischen Gesetz erreicht, wird sie bei Kant zur Persönlichkeit (vgl. I. Kant, Kritik der praktischen

Vernunft, in: Werke in zwölf Bänden,

hg. v. W.

Weischedel, Frankfurt/M. 1968ff., Bd. VII, A 155f.; zitiert wird nach den dort angegebenen Paginierungen der Originalausgaben). Für Hegel ist der Begriff der Person, der die Rechtsfähigkeit aller Menschen bezeichnet, erst der Beginn der Verwirklichung der Persönlichkeit des Willens (vgl.

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Stimmung zur Moralität. Dementsprechend meint Persönlichkeit basal das zur Moralität bestimmte menschliche Subjekt. Entsprechendes gilt für die Personalität Gottes. Dessen Sein in seinem Insgesamt faßt sich zusammen in seiner Bestimmung als verantwortlich handelnder persönlicher Schöpfergott. Im folgenden soll den Prinzipien, die Personalität in Schellings Freiheitsschrift konstituieren, in sechs Schritten nachgegangen werden. In einem ersten Schritt wird die prinzipientheoretische Fundierung von Personalität in der Grundunterscheidung zwischen Grund von Existenz und Existierendem erörtert. In einem zweiten Schritt werden im Rückgriff auf Schellings schöpfungstheologisch fundierte Anthropologie die konstituierenden Merkmale der personalen Geistverfassung des Menschen thematisiert. Die Profilierung des Begriffs der menschlichen Freiheit und Personalität vor dem Hintergrund des Begriffs des Bösen im dritten Schritt sowie der Blick auf die Theorie der allgemeinen Wirklichkeit des Bösen als schöpfungstheologische Bedingung menschlicher Freiheit im vierten Punkt dient der Auslotung der materialen Tiefenschicht von Schellings Begriff menschlicher Personalität. In einem fünften Schritt werden die Konsequenzen, die dem Begriff menschlicher Freiheit und Personalität aus Schellings Theorie der transzendentalen Tat erwachsen, kritisch erörtert. Abschließend wird sechstens ein Blick auf die religiöse Bestimmung des menschlichen Subjekts zur Moralität und auf Schellings interpersonales Liebesideal geworfen.

1. Prinzipientheoretische Fundierung von Personalität in der Unterscheidung zwischen Grund von Existenz und Existierendem Schellings Gedanke der Personalität Gottes und des Menschen basiert auf der universalontologischen Grandunterscheidung „zwischen dem Wesen, sofern es existirt, und dem Wesen, sofern es bloß Grund von Existenz ist".6 Der Grund der Existenz ist der möglichmachende Boden für die Existenz eines existierenden Wesens. Unter Grund ist also nicht der rationale Beweisgrund mit dem Gegenbegriff der Folge zu verstehen. Schelling verwendet ihn vielmehr im Sinne von „Grundlage", „Fundament", „Basis", „Unterlage" oder „Natur". Der Grund der Existenz hat den Charakter der begrifflichen Undurchdringlichkeit. Er ist das dem Denken Widerstrebende an den Dingen, das, „was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen läßt".7 Was da existiert, das existierende Wesen selbst, vermag nur dadurch zu existieren, daß es seinen Grund als die Gesamtheit seiner Existenzbedingungen aktualisiert. Von hier aus läßt sich auch der Grand von Existenz

G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Werkausgabe in 20 Bänden, hg. v. E. 6 7

Moldenhauer u. M. Michel, Frankfurt/M. 1969ff., Bd.7, § 34 Zusatz). Freiheitsschrift, SW VII, 357. Ebd., 360.

PERSONALITÄT IN SCHELLINGS „FREIHEITSSCHRIFT"

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als Individuationsprinzip des Existierenden verstehen. Er ermöglicht durch die Kraft seiner Kontraktion, daß das existierende Wesen als es selbst, als individuelles Wesen in das intelligible Licht der vorprädikativen hermeneutischen Ais-Struktur des Verstehens heraustritt.8 Das existierende Wesen selbst ist im Wortsinne nicht nur das vorhandene Wesen, sondern das aus seinem Existenz- und Individuationsgrund in den Horizont des Verstehens heraustretende Subjekt. Es ist das intelligibel Einsehbare am Wesen in seiner Subjektivität. Im Unterschied zu den endlichen Dingen, die durch einen von ihnen verschiedenen Grund werden, hat Gott seinen Existenzgrund in sich selbst. Das bedeutet nicht, daß Gott im Sinne der spinozistischen Tradition causa sui ist. Zwar ist Gott als der Existierende selbst „von sich selbst",9 aber nur auf dem Boden des ihn möglich machenden Grundes, den Schelling mit Böhme und Oetinger gefühlstheoretisch als Sehnsucht Gottes faßt, „sich selbst zu gebären". 10 Willenstheoretisch ist die Sehnsucht Wille, aber verstandloser, den Verstand nur ahnender Wille, also Wille ohne Stand. Gott ist als Sehnsucht die Suche nach sich selbst als einem verständigen Wesen. Da der Verstand „der Wille in dem Willen"11 ist, wird die Sehnsucht erst durch die Synthesis mit dem Verstand der „selbständige[n] und vollkommenefn] Wille" 12 des Schöpfergottes. Schelling reformuliert also den internen Dualismus zwischen Grund von Existenz und Existierendem in Gott als Verhältnis von Sehnsucht und Verstand. In Gott als verständigem Wesen erzeugt sich eine „innere reflexive Vorstellung", durch die „Gott sich selbst in einem Ebenbilde erblickt".13 Die Sehnsucht, die Gott empfindet, sich selbst zu gebären, bringt zwar nicht die innere reflexive Gottesvorstellung hervor, aber regt sie an, ermöglicht und veranlaßt sie. Umgekehrt beruht die Selbsterzeugung Gottes in der reflexiven Vorstellung auf der Sehnsucht Gottes, sich selbst zu gebären. Mit dem Ausdruck „innere reflexive Vorstellung" deutet Schelling den Anfang der immanenten Trinität an, derzufolge Gott in der Person des Vaters die zeugende Ursache seiner selbst in der Person des Sohnes ist. Die Sehnsucht des Grundes und die innere reflexive

8 Zum hermeneutischen „Als" des Verstehens im Unterschied zum apophantischen „Als" der Aussage vgl. M. Heidegger, Sein und Zeit, 15. Aufl. Tübingen 1979, 149ff. Schelling reformuliert hier in gewisser Weise die Definitionen von Boethius: „persona est rationalis naturae individua substantia" [„Person ist die individuelle Substanz einer vernünftigen Natur"] (Liber de persona et duabus naturis contra Eutychen et Nestorium c. 3, in: Boetii opera omnia, ed. J.-P. Migne, Paris 1891, 1323) und von Richard von St. Viktor: „[...] persona divina [est] divinae naturae incommunicabilis existentia" [„Die göttliche Person ist die nichtmitteilbare Existenz einer göttlichen Natur"] (De Trinitate IV, c. 22, in: Richardi a Sancto Victore opera omnia, ed. J.-P. Migne, Paris 1880,943). 9 10 11 12 13

Freiheitsschrift, SWVII, 360. Ebd., 359. Ebd. Ebd. Ebd., 360 f.

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Vorstellung Gottes sind also gleichursprüngliche und korrelativ aufeinander bezogene Momente. Die Synthese von Sehnsucht und Verstand durch den Geist, der das Wort der Sehnsucht ausspricht, konstituiert den Willen Gottes als personalen Schöpfergott. Doch nur von der Liebe bewogen spricht der Geist das Wort aus. Der wahre Ursprung der Synthesis von Sehnsucht und Verstand durch den Geist ist die Liebe, die noch den göttlichen Geist übersteigt und dessen normativen Gehalt ausmacht. Der Wille der Liebe erweist sich als das alles Umgreifende des göttlichen Offenbarungsgeschehens. Schelling wendet sich gegen den abstrakten, unpersönlichen Gott Spinozas und Fichtes, weil Gott nur dann theodizeefähig ist, wenn er sich als moralisches Wesen zu seiner Offenbarung verhält. Und diese Voraussetzung erfüllt Gott, insofern er als Persönlichkeit gedacht wird. Zugleich bekommt die Persönlichkeit Gottes im Rückgriff auf die Trinitätslehre eine radikal interpersonale Komponente. Schelling unterscheidet scharf zwischen dem Grund, insofern er die Existenzermöglichung von Gott als Existierendem selbst ist und insofern in Gott selbst die tragende Rolle spielt, und dem Grund, insofern er der Grund der weltlichen Dinge ist. Die endlichen Dinge sind von Gott „toto genere"14 unterschieden, weil sie aus einem von Gott „verschiedenen Grunde werden".15 Wenn aber außer Gott nichts ist, Gott somit Grand von allem ist, so kann der von Gott verschiedene Grand der Dinge nur in Gott sein. Die Dinge können also ihren Grund nur in dem haben, „was in Gott selbst nicht Er Selbst'16 ist, d.h. dem Grund seiner Existenz.

2. Die personale Geistverfassung des Menschen oder der Mensch als selbstischer Geist Die Schöpfungslehre ist zwischen christlicher und Platonischer Konzeption der Weltschöpfung angesiedelt. Wie in der Gotteslehre rekurriert Schelling hier auf die Metaphernsprache einer durch Böhme, Oetinger und v. Baader inspirierten Theosophie. Die Schöpfung beginnt mit dem Aussprechen des göttlichen Wortes in den regellosen Naturgrand, um das Regellose zur ordnenden Einheit zu erheben. Dabei bewirkt der göttliche Verstand durch die Scheidung der Kräfte des Grandes, daß die göttliche Einheit aus dem Naturgrund hervorgehoben wird. Die Sehnsucht des Grandes wirkt der Scheidung seiner Kräfte entgegen, so daß die durch die Verstandesscheidung bewirkte göttliche Einheit des Geschiedenen sich nur allmählich entwickeln kann. Die Schöpfung geht also in einem in Stufen gegliederten Prozeß vor sich. Die universalontologische Grundunterscheidung durchzieht auch den Schöpfungsprozeß selbst. Jedes Geschöpf ist Resultat und Einheit zweier Prinzipien, des dunklen Prin14 Ebd., 359. 15 Ebd. 16 Ebd.

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zips der Sehnsucht des Grandes und des Lichtprinzips des Verstandes. Zwar sind die Naturwesen durch das Prinzip des Grundes von Gott unterschieden. Doch ist die Schöpfung eine „Verklärung" 17 des dunklen Prinzips in das Licht. Entscheidend ist der Grad, in welchem das dunkle Prinzip gelichtet ist. Willenstheoretisch faßt Schelling die beiden Prinzipien als Eigen- und Universalwille. Solange die völlige Verklärung des dunklen Prinzips in das Lichtprinzip noch aussteht, d.i. in den bloßen Naturwesen, sind Eigen- und Universalwille derart getrennt, daß der Eigenwille nur als untergeordnetes Werkzeug des Universalwillens fungiert. Indem jedes Naturwesen nur seiner Selbsterhaltung folgt, realisiert es zugleich gleichsam hinter seinem Rücken den Universalwillen. Im Unterschied zum Naturwesen ist der Mensch eine ausgezeichnete Synthese von Eigen· und Universalwille, weil in ihm das dunkle Prinzip nicht nur partiell, sondern völlig gelichtet ist. Da mit der Lichtung des dunklen Prinzips in das Licht des Verstandesprinzips ein Widerstreben des dunklen Prinzips einhergeht, bemißt sich die Stärke des Eigenwillens eines Naturwesens nach dem Grad, in welchem sein dunkles Prinzip gelichtet ist. Da im Menschen das dunkle Prinzip ganz gelichtet ist, ist. zugleich in ihm die ganze Selbstbehauptungskraft des dunklen Grundprinzips manifest: „Im Menschen" - sagt Schelling - „ist die ganze Macht des finstern Prinzips und in eben demselben zugleich die ganze Kraft des Lichts. In ihm ist der tiefste Abgrand und der höchste Himmel, oder beide Centra". 18 Indem das dunkle Prinzip im Menschen ganz gelichtet ist, geht ein höheres Prinzip in ihm auf, der Geist, in welchem Gott sich offenbart. Der als Geist bestimmte Mensch ist aber nicht nur in Gott, sondern zugleich auch von Gott radikal unterschieden. Der personale Geist des Menschen ist im Unterschied zum personalen Geist Gottes selbstischer Geist. Das, wodurch der Mensch von Gott geschieden ist, ist das aus dem Grunde der Natur emporgehobene Prinzip, die Selbstheit oder Eigensucht, die durch ihre Einheit mit dem idealen Prinzip des Verstandes Geist wird. Es ist der Eigenwille oder die Selbstheit, die im Menschen dadurch zum personalen Geist wird, daß sie ein Bewußtsein über sich selbst erlangt. Die Selbstheit als solche ist im Menschen bewußte Selbstheit und damit personaler Geist. Als selbstischer Geist ist der Mensch zugleich frei von der Natur. Während in der Natur der Eigenwille dem von ihm getrennten Universalwillen dienend untergeordnet ist, kann sich der qua Geist bewußt gewordene Eigenwille ebenso in Distanz zu seiner eigensüchtigen Zentriertheit bringen, wie er auch der Dominanz des Universalwillens nicht mehr unterworfen ist. Die zum Geist erhobene Selbstheit oder der selbstische Geist ist damit das Prinzip der Zertrennlichkeit der Prinzipien im personalen Geist des Menschen. Mit dieser von Gott und der Natur radikal unabhängigen Freiheit des Menschen zielt Schelling auf einen Begriff von menschlicher Personalität im spezifisch neuzeitlichen Sinne ab.

17 Ebd., 362. 18 Ebd., 363.

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3. Profilierung des Begriffs menschlicher Freiheit und Personalität vor dem Hintergrund des Begriffs des Bösen Der Geist gewordene Eigenwille ist insofern das Vermögen des Guten und des Bösen, als er grundsätzlich über zwei Modi der Freiheit verfügt. Das bedeutet auch, daß der Mensch als personal-geistiges Wesen selbst dafür sorgen muß, nämlich durch das Tun des Guten, daß sein Geist in Gott ist. Gut ist der menschliche Eigenwille, der mit Hilfe des göttlichen Geistes der Liebe freiwillig die Subordination seiner selbst unter den Universalwillen vollzieht. Umgekehrt kann der frei gewordene Eigenwille, wenn der ,,Geist[es] der Zwietracht"19 in ihm waltet, die göttliche Prinzipienordnung umkehren. Das Böse entsteht durch die frei vollzogene Erhebung des Eigen- über den Universal willen. Es ist also die Zertrennlichkeit der Prinzipien Partikular- und Universalwille im selbstischen Geist des Menschen, die die Möglichkeit des Bösen impliziert. Die Einheit der Prinzipien ist im personalen Geist des Menschen eine freie und zertrennliche, während sie im personalen Geist Gottes eine notwendige und unzertrennliche ist. Die Möglichkeit des Bösen erklärt sich also aus dem spezifisch selbstischen Geist des Menschen, der seine Persönlichkeit ausmacht. Obgleich der Geist des Menschen vom Geist Gottes ist, ist er als selbstischer Geist von Gott unabhängig, ein potentiell gottwidriges Wesen. Der Mensch ist Eben- und zugleich Gegenbild Gottes. Ein wesentlicher Aspekt von Schellings Theorie des Bösen ist, daß zur Bosheit selbstischer Geist oder Persönlichkeit gehört. Daher kann ein Blick auf die Theorie des Bösen seinen Begriff von menschlicher Freiheit und Personalität verdeutlichen. Die Erhebung des Eigenwillens über den Universal willen hebt die geistige Einheit, die der Mensch ist, nicht auf, sondern bewirkt eine falsche geistige Einheit. Im Bösen wird die göttliche Ordnung der Prinzipien verkehrt, die alles kreatürlich Seiende konstituiert. Und die Bosheit des Bösen besteht in dieser positiven Verkehrtheit der Prinzipien. Das Böse ist nicht als Mangel an Vemunftherrschaft über die Sinnlichkeit aufzufassen, sondern als positive Verkehrung der Vernunft in sich selbst. Es ist kein Geistdefizit, sondern im Gegenteil ein Maximum des Geistes zu seiner zerstörerischen Kraft. Im Bösen ist die lebendige Einheit nicht einfach zerfallen, sondern falsch zusammengesetzt und disharmonisch vereinigt. Die Bestimmung des Bösen als Privation des Guten ist nach Schelling bedingt durch einen falschen Begriff des Positiven und einen mangelhaften Begriff des Negativen. Das Gute ist als positive Einheit lebendiger Kräfte das Positivwertige: das Positive im Sinne der seinsollenden göttlichen Liebe. Das Böse ist als falsche, aber gleichwohl positive Einheit das Negativwertige im Sinne der nichtseinsollenden widergöttlichen Zwietracht, die das „Band der Creatürlichkeit"20 zerstört und daher die Tendenz zur Selbstdestruktion hat. Das Materiale ist im Guten und Bösen also dasselbe, die Kräfte bzw. Prinzipien des Lebendigen in der Schöpfung. Das Formale, die Einheitsbildung, ist in beiden ganz ver19 Ebd., 365. 20 Ebd., 391.

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schieden. Dieses Formale kommt von dem Wesen oder Positiven selber, das Schelling als zur Geistigkeit erhobene Selbstheit faßt, als die er die Persönlichkeit des Menschen konzipiert. Nur der zum Geist gewordene Eigenwille des Menschen hat die Fähigkeit zur richtigen oder falschen Einheitsbildung. Der Gegensatz von gut und böse ist also in erster Linie nicht dem Materialen, sondern der Formbestimmtheit des bewußten Eigenwillens und damit der Persönlichkeit des Menschen geschuldet. Schelling stellt heraus, daß der „Grund des Bösen" nicht nur „in etwas Positivem überhaupt", sondern in dem „höchsten Positiven", das die „Natur enthält", liegt, nämlich im „Urwillen des ersten Grundes". 21 Es bedarf „etwas Positives", das im Bösen angenommen werden muß, das zugleich die „Wurzel der Freiheit"22 ist. Der Grund des Bösen ist also zugleich der Grund der Freiheit, jener von Gott selbst unterschiedene Grund der Natur, der allein die Persönlichkeit des Menschen erklären kann. Obgleich der Grund des Bösen mit dem Willen des Grundes zusammenfällt, ist das Böse fur Schelling nicht identisch mit der geistigen Selbstheit, sondern mit der falsch aktivierten geistigen Selbstheit. Ja, die geistige Selbstheit ist es auch, die im Guten wirkt. Daher gibt es, wie es einen „Enthusiasmus zum Guten" gibt, eine „Begeisterung des Bösen". 23 Zur Bosheit gehört also selbstischer Geist und Persönlichkeit. Die defizitären Vorstellungen vom Bösen beruhen nach Schelling auf der rationalistischen Auffassung der Freiheit als Herrschaft des intelligiblen Prinzips über die Sinnlichkeit, die auf die Leugnung des Bösen als Freiheitsmodus hinausläuft. Im Zentrum von Schellings Kritik steht daher Kants Identifizierung des freien Willens mit dem unter dem selbstgegebenen Sittengesetz stehenden Willen in der Grundlegung der Metaphysik der Sitten 24 Kant spricht dem durch die sinnliche Begierde bestimmten Willen die Qualität der Freiheit ab, so daß die moralisch böse Handlung zum Naturgeschehen wird, das der moralischen Qualifikation entzogen ist.25 Zwar hat Kant in der Religionsschrift seinen Freiheitsbegriff korrigiert, die Identifikation von Freiheit und Sittengesetz aufgegeben und sich mit der These vom Vernunftursprung des Bösen gegen die Erklärung des Bösen aus der menschlichen Sinnlichkeit gewandt. 26 Doch geht Schelling darin über Kants Religionsschrift hinaus, daß er die menschliche Freiheit und Personalität in den Kontext einer schöpfungstheologisch begründeten Anthropologie stellt. Das rationalistische Freiheitsverständnis Kants als Herrschaft des intelligiblen Prinzips über die Sinnlichkeit ist auch bei Jacobi wirksam, der daher Schellings Lehre vom positiven Bösen als einem aus Freiheit herrührenden Mißbrauch ablehnt und damit das Böse als Modus der Freiheit leugnet.27 Jacobis rationalistischer Freiheitsbegriff verweist nach 21 Ebd., 369. 22 Ebd., 371. 23 Ebd., 372. 24 Vgl. I. Kant, Grundlegung

der Metaphysik

der Sitten, Werke VII, BA 98, BA 104f.

25 Vgl. ebd., BA 113.1. Kant, Kritik der praktischen

Vernunft, Werke VII, A 59.

26 I. Kant, Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft, Werke VIII, В 41 f. 27 Vgl. J.F. Jacobi, Über gelehrte

Gesellschaften

ihren Geist und Zweck, in: ders., Werke, hg. v. F.

Roth /F. Koppen, Leipzig 1812-1825, Repr. Darmstadt 1968, Bd. VI, 59.

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Schelling auf dessen defizitäre Gottesvorstellung. Wenn ein nicht verharmlosendes Freiheitsverständnis die Differenz zwischen Grand von Existenz und Existierendem in Gott erforderlich macht, dann beruht die Leugnung des Bösen als Freiheitstat und die Unterbestimmung der Freiheit letztlich auf einer Verkennung des Grundes oder der Natur in Gott. Jacobi hält am persönlichen Gott fest, ohne zu erkennen, durch welche philosophischen Prinzipien die Persönlichkeit Gottes konstituiert ist.28 Das rationalistische Freiheitsverständnis ist bereits in Leibniz' Privationstheorie des Bösen vorgezeichnet, die das freie Handeln mit dem vernünftigen, auf das Gute bezogene Handeln identifiziert. Das Böse resultiert dann aus dem Mangel an Vernunft und kann dem Menschen nicht als schuldhaft zugesprochen werden, was „den Verstand und das sittliche Bewußtsein gleich unbefriedigt"29 läßt. Schelling weist zugleich auf den Zusammenhang zwischen defizitärem Verständnis von Bösem und Freiheit und den ontotheologischen Voraussetzungen bei Leibniz hin, demzufolge der Verstand in Gott der Ursprung des Bösen, der Wille in Gott dagegen nur auf das Gute ausgerichtet ist.30 Zwar sieht Schelling in Leibniz' Gotteslehre seine eigene Konzeption des internen Prinzipiendualismus in Gott vorgezeichnet, der jedoch gleichsam unter verkehrten Vorzeichen steht. Die Privationstheorie des Bösen wurzelt in einer unangemessenen Deutung des Grandes in Gott, den Leibniz nur als idealen Grand des Verstandes denkt, der hinter Gottes gutem Willen zurückbleibt. Nach Schelling hingegen liegt der Grund des Bösen „in dem höchsten Positiven"31 überhaupt, nämlich im von Gott selbst unterschiedenen Willen des Grandes. So läßt sich zusammenfassend sagen: Nur aus dem internen Prinzipiendualismus in Gott ist dessen Personalität und nur aus der Wirksamkeit des Prinzipiendualismus in der Schöpfung ist die spezifisch menschliche Freiheit und Personalität erklärbar, die als Vermögen des Guten und Bösen eine von Gott selbst unabhängige Wurzel haben muß. Genauso wie das pantheistische Konzept der Fundierung der menschlichen Freiheit in Gott ist das rationalistische Freiheitsverständnis unzureichend zur Erklärung von Personalität, weil in beiden das Böse als authentischer Ausdruck der Freiheit des Menschen entfällt.

28 Vgl. F. W. J. Schelling, Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen, in: SW VIII, 69 ff., 81 f. 29 Freiheitsschrift,

SW VII, 367.

30 Vgl. G . W . Leibniz, Die Theodizee, 31 Freiheitsschrift,

SW VII, 369.

übers, v. A. Buchenau, Hamburg 21968, § 1 4 9 , 2 1 2 .

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4. Die Theorie der allgemeinen Wirklichkeit des Bösen als schöpfungstheologische Bedingung menschlicher Freiheit und Personalität Von der Erklärung des Begriffs und der Möglichkeit des Bösen ist die Erklärung der allgemeinen Wirklichkeit oder Wirksamkeit des Bösen strikt zu unterscheiden. Die Theorie der Möglichkeit des Bösen erklärt, wie der Mensch als ein von Gott zum moralisch Guten bestimmtes Wesen überhaupt amoralisch böse werden kann. Die Möglichkeit des Bösen liegt in der Zertrennlichkeit der Prinzipien im personalen Geist des Menschen und das Böse besteht in der falschen Einheitsbildung der Prinzipien, wodurch eine konträre Gegenordnung zur Ordnung des Guten etabliert wird. Welche Aufgabe hat nun die Theorie der allgemeinen Wirklichkeit des Bösen für Schellings Verständnis von menschlicher Freiheit und Personalität? Die Theorie der allgemeinen Wirklichkeit des Bösen erklärt das Hervorbrechen der Prinzipiendifferenz zwischen Gutem und Bösem in der Schöpfung. Die Profilierung dieser moralischen Alternative im Schöpfungsprozeß, nicht das Wirklichwerden des Bösen im Menschen ist notwendige Bedingung der Offenbarung Gottes. Wäre zwischen dem personalen Geist Gottes und dem des Menschen keine Differenz, so „wäre keine Offenbarung und Beweglichkeit der Liebe". 32 Die Liebe Gottes muß ein ihr Widerstreitendes haben, an dem sie sich offenbart. Der moralische Prinzipiengegensatz, mit dem der personale Geist des Menschen konfrontiert ist, ist also notwendige Bedingung der Offenbarung Gottes und der Beweglichkeit der Liebe. Schellings geschichtsphilosophische Eschatologie ist durch die Johanneische Liebestheologie angeleitet, wonach die Verwirklichung der Liebe das letzte Ziel der Offenbarung Gottes ist.33 Die göttliche Schöpfung beinhaltet die Notwendigkeit für den Menschen, sich selbst für eine der moralischen Alternativen entscheiden zu müssen. Das Gestelltsein vor diese Alternative nennt Schelling den „Scheidepunkt". 34 Im Unterschied zur Freiheit Gottes, die sich von Ewigkeit her zur Liebe und Güte entschieden hat, muß sich die menschliche Freiheit der Herausforderung stellen, selbst das Gute zu vollbringen, indem sie sich gegen das Böse entscheidet. Jedenfalls ist dem Menschen nicht vergönnt, in der Unentschiedenheit zwischen gut und böse zu verbleiben, also keine Entscheidung treffen zu müssen. Daß Unentschiedenheit kein haltbarer Zustand ist, ist eine von Schellings Grundthesen seiner Persönlichkeitstheorie seit der Freiheitsschrift,35

32 Ebd., 373. 33 Vgl. Joh. 3 , 1 6 . 34 Freiheitsschrift,

SW VII, 374.

35 Vgl. F.W.J. Schelling, Philosophische heit und die damit zusammenhängenden

Untersuchungen Gegenstände,

über das Wesen der menschlichen

Frei-

hg. v. T. Buchheim, Hamburg 1997, Anm.

202, 141. Die Einleitung und die Anmerkungen des Herausgebers werden als T. Buchheim (1997) zitiert.

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(ΓΗΝ^ήαν IBER

Schelling spricht davon, daß es einen „allgemeine[n] Grund der Sollicitation, der Versuchung zum Bösen" 36 geben muß, damit der Mensch sich der moralischen Alternative bewußt wird. Doch der Grund erregt nur „das mögliche Prinzip des Bösen, nicht jedoch als Böses selber, noch zum Bösen". 37 Durch das „Anziehen des Grundes", 38 durch das die Kräfte des Grundes geschärft und die Dinge der Schöpfung in Bestimmtheit versetzt werden, wird die Kluft zwischen dem Prinzip des Guten und Bösen aufgerissen, die keine Unentschiedenheit der Freiheit erlaubt. Der Eigenwille wird nicht deshalb erregt, damit der Mensch das Böse wähle, vielmehr ist die Versuchung des Bösen die Voraussetzung dafür, daß er das Gute selbst tut, also die Versuchung überwindet. Alle persönliche Existenz fordert als Bedingung ihrer Lebendigkeit das Wirkenlassen des Grundes. Auch im Begriff Gottes als moralisch gutem Wesen liegt, daß er sich als Überwindung von Widerständen konstituiert. Doch unterscheidet sich die Persönlichkeit Gottes von der des Menschen darin, daß Gott die Bedingung seiner Lebendigkeit und Persönlichkeit, den Willen des Grundes, von Ewigkeit her durch den Willen der Liebe überwunden hat, während der Mensch ihn nie ganz in seine Gewalt bekommt, was sich im Überwiegen des Gefühls der Schwermut und der Melancholie, das auch die gesamte Natur durchzieht,39 über das der Freude bemerkbar macht. Auf diese Weise wirkt der Wille des Grandes im Menschen als Sollizitation des Bösen fort und zwingt den Menschen zur Entscheidung zwischen dem Bösen und dem Guten. Die allgemeine Wirklichkeit des Bösen ist also die kosmisch verankerte Versuchung der menschlichen Freiheit durch die allgemeine Erweckung des Prinzips des Bösen, nicht das allein im Menschen wirklich werdende Böse selbst. Die Theorie der allgemeinen Wirklichkeit des Bösen erklärt nicht das Wirklichwerden des Bösen selbst, sondern nur den ,,natürliche[n] Hang des Menschen zum Bösen". 40 Die Persönlichkeit des Menschen ist nicht so verfaßt, daß sie dem göttlichen Ansinnen, der Versuchung des Bösen zu widerstehen und das Gute zu tun, ohne weiteres gewachsen wäre. Mit der Erweckung des Eigenwillens wird notwendig die Bedrohung seiner Kreatürlichkeit durch den Willen der Liebe spürbar, was sich in der „Angst des Lebens" 41 niederschlägt, die beim Menschen das grundgebende Gefühl ist. Die Angst des Lebens ist Angst vor und um das Leben. Die Angst vor dem Leben ist die Angst des Eigenwillens vor Selbstverlust bzw. die Angst, der Eigenwille werde mit der der Freiheit zugemuteten Entscheidung zum Guten in der Einheit mit dem Universalwillen untergehen. Als solche ist sie zugleich Angst um den Eigenwillen, also Angst um das kreatürliche Leben. Sie veranlaßt den Menschen vor dieser Zumutung auszuweichen und seine Kräfte zur eigensüchtigen Selbstbehauptung seines Eigenwillens einzusetzen. Und so erscheint es fast unausweichlich, daß der Mensch aufgrund seiner emotionalen Verfaßtheit der Versuchung 36 Freiheitsschrift, 37 Ebd., 401. 38 Ebd., 379. 39 Vgl. ebd., 399. 40 Ebd., 381. 41 Ebd.

SW VII, 374.

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des Bösen erliegt. Dennoch zwingt ihn die Angst keineswegs dazu, das Böse zu tun, denn dieser „allgemeinen Nothwendigkeit ohnerachtet, bleibt das Böse immer die eigne Wahl des Menschen". 42 So läßt sich zusammenfassend sagen: Für Schelling ist der Ursprung des Bösen im Menschen unerforschlich, solange nicht die veranlassenden Gründe freigelegt sind, die zwar nicht zur Entscheidung zwingen, aber doch diese nahelegen. Die Theorie der allgemeinen Wirklichkeit des Bösen liefert die veranlassenden externen Gründe für den Übergang von der Unentschiedenheit des Wollens zu seiner Entschiedenheit zum Bösen. Die Versuchung des Bösen ist zwar in der Schöpfung im Wirkenlassen des Grundes begründet, zugleich müssen die internen Gründe in der personalen Verfassung des Menschen freigelegt werden, die den Menschen dazu bewegen, der Versuchung des Bösen nachzugeben. Diese internen motivationalen Gründe sucht Schelling in seiner Theorie der Schwermut und der Angst auf. Sie sind also emotionaler Natur.

5. Der Begriff menschlicher Freiheit und Personalität in Schellings Theorie der transzendentalen Tat Um das Wirklichwerden des Bösen im Menschen zu erklären, präsentiert Schelling seinen eigenen Begriff vom „formellen Wesen der Freiheit",43 nachdem er zuvor die materialen Aspekte menschlicher Personalität erörtert hat. Die Frage ist, ob Schelling mit seiner Theorie der transzendentalen Tat nicht wieder in den transzendentalen Idealismus zurückfällt, den er in der Freiheitsschrift überwinden möchte.44 Zunächst kritisiert Schelling den „gewöhnlichen Begriff der Freiheit"45 im Sinne der empirischen Willkürfreiheit, die im Sprachgebrauch der damaligen Zeit gleichbedeutend mit Wahl- oder Entscheidungsfreiheit ist. Zwar gesteht er der Theorie der Willkürfreiheit wegen der in ihr liegenden Idee der ,,ursprüngliche[n] Unentschiedenheit des menschlichen Wesens" 46 ein Wahrheitsmoment zu, verwirft sie jedoch, insofern sie empirisch „auf die einzelne Handlung" 47 Anwendung findet. Dieser Theorie zufolge besteht die menschliche Freiheit darin, von zwei entgegengesetzten Handlungsalternativen die eine oder die andere ohne bestimmende Gründe ergreifen zu können. Schelling kritisiert dieses Argument mit dem Verweis darauf, daß aus der Unkenntnis bestimmter Gründe nicht auf deren Abwesenheit geschlossen werden dürfe. Wer das aber tut, liefert sich der völligen Zufallsbestimmtheit seiner Handlungen aus. Das 42 Ebd., 382. 43 Ebd., 282. 44 Diesen Vorwurf erhebt M. Theunissen, „Schellings anthropologischer Ansatz", in: Archiv flir Geschichte der Philosophie 47 (1965), 174-189, bes. 181. 45 Freiheitsschrift, SW VII, 282. 46 Ebd. 47 Ebd.

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Argument widerstreitet dem Leibnizschen Satz vom zureichenden Grand und führt dazu, daß Freiheit mit dem Zufall gleichgesetzt wird. Die Handlung wird als eine begriffen, die sowohl der Naturkausalität enthoben als auch unabhängig von allen Vernunftgründen vollzogen wird. Willkürfreiheit ist also eine Freiheit, die ohne alle Gründe etwas will, also etwas willkürlich, d.h. zufällig will bzw. in der Wahl, etwas zu tun, dem Zufall ausgesetzt ist. Doch der Begriff des Zufalls kann den Begriff der Freiheit nicht erklären. Die Alternative des empirischen Determinismus vor allem in der von Leibniz verbesserten Version 48 versteht die freie Handlung als durch Motive und Absichten determiniert, die den Handelnden zwar nicht nötigen, aber doch geneigt machen. Doch das Argument des Determinismus ist nach Schelling zweifelhaft, weil hier jeder Handlungsgrund die Willensfreiheit widerlegt. Die Theorie der Willkürfreiheit und der Determinismus treffen sich in der Theorie des stärksten Motivs, wonach bei gleichgewichtigen Motiven der Wille zu keiner Entscheidung kommt. 49 Nach Schelling hat erst der Idealismus mit seiner Unterscheidung zwischen empirischem und intelligiblem Wesen dem Begriff der Freiheit einen verständlichen Sinn gegeben. Denn erst die Annahme eines außerzeitlichen und kausalitätsunabhängigen intelligiblen Wesens könne die Fehldeutungen der Freiheit im Sinne des nicht oder äußerlichen Bestimmtseins widerlegen. Schelling nimmt also den intelligiblen Charakter zum Ausgangspunkt seiner Theorie, derzufolge die freie Handlung unmittelbar aus dem intelligiblen Charakter des Menschen folgt. Doch ist nach Schelling ein intelligibler Indeterminismus, wonach ein als unbestimmt gedachtes intelligibles Wesen ohne bestimmende Gründe dezisionistisch eine bestimmte Handlung vollzieht, ebenso defizitär wie die Theorie der empirischen Willkürfreiheit. Denn es gibt keinen Übergang vom „absolut-Unbestimmten zum Bestimmten". 50 Mit Kant nimmt Schelling an, daß das die bestimmte Handlung bestimmende intelligible Wesen selbst schon ein bestimmtes sein muß, freilich nicht ein äußerlich, sondern ein charakterlich in sich selbst bestimmtes Wesen. Frei ist, wer seiner eigenen Natur gemäß handelt, d.h. wenn die Handlung „aus seinem Innern nur nach dem Gesetz der Identität und mit absoluter Notwendigkeit" 5 1 folgt. Damit nähert sich Schelling Spinozas Freiheitsdefinition an, wonach frei allein das ist, was aus der Notwendigkeit seiner eigenen Natur heraus existiert, eine Freiheit, die Spinoza zufolge allein für Gott reserviert bleibt.52 Der intelligible Determinismus im Geiste Spinozas, der die freie Handlung des Menschen mit Notwendigkeit aus seinem intelligiblen Wesen hervorgehen läßt, muß nach Schelling durch Fichtes Theorie der Tathandlung ergänzt werden. Denn wäre der die

48 Vgl. G.W. Leibniz,Die Theodizee, §325,345. 49 Vgl. P. Bayle, Art. „Buridan" C. In: Historisches und Critisches Wörterbuch [Dictionaire, dtsch.]. Übers, v. J. Ch. Gottsched, Leipzig 1741,726. 50 Freiheitsschrift, SW VII, 384. 51 Ebd. 52 Vgl. Spinoza, Ethik I, 7. Def., in: Spinoza, Opera / Werke, lat.-dt., Bd.2. Hg. v. K. Blumenstock, Darmstadt 4. Aufl. 1989, Bd.2, 89; vgl. auch Ethik I, Lehrsatz 17, ebd., 117.

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Handlung bestimmende intelligible Charakter ein Vorgefundenes, dann wäre „Zurechnungsfähigkeit und alle Freiheit aufgehoben". 53 Doch wird die transzendentale Tat nicht wie bei Fichte als Akt eines bloßen Ichbewußtseins oder als bloß ideales Selbstsetzen,54 sondern als ein „reales Selbstsetzen" oder als „Ur- und Grundwollen, das sich selbst zu etwas macht", 55 verstanden. Sie wird als ein dem bloßen Ichbewußtsein vorausliegendes voluntatives Sich-zur-Entschiedenheit-Bringen begriffen. Die Schellingsche intelligible Tat ist ein zwischen dem bewußten Sein des Menschen und dem bewußtlosen Sein der Natur liegendes präreflexives Sich-selbst-Wollen. Sie ist keine bewußte Selbstwahl des eigenen Wesens, sondern das nichtgewählte Ausgerichtetsein des Wollens, kraft dessen sich der Mensch in seinem Wesen zur entschiedenen Bestimmtheit bringt. Damit trifft Schelling einen entscheidenden Punkt, der für die Konstitution der praktischen Identität einer Person wesentlich ist, nämlich wie sie ein als in ihren einzelnen Handlungen durch die Zeit hindurch mit sich identischer Akteur sein kann, eine Identität, die darin besteht, daß die Person es als für sich wesentlich ansieht, auf bestimmte Weise zu handeln. Im Unterschied zu Fichte faßt Schelling Freiheit und Personalität nicht als bewußte praktische Selbstbestimmung im Wollen, sondern als ein emotional motiviertes bewußtbewußtloses Sich-selbst-Wollen, und im Unterschied zu Kant wird Freiheit nicht mit dem unter dem selbstgegebenen Sittengesetz stehenden Willen, d.h. mit Vernunftautonomie gleichgesetzt, sondern der Moral vorausliegend gefaßt. Schelling schließt sich damit in modifizierter Weise Reinholds Lehre vom sich selbst aus Freiheit bestimmenden, und zwar entweder zur Moralität oder Amoralität bestimmenden Willen an. 56 Schelling bricht in der Freiheitsschrift mit der Tradition der Kantischen Lehre von der Vernunftautonomie des Willens, in deren Kontinuität auch Fichtes Konzeption der transzendentalen Tat steht und die er im System des transzendentalen Idealismus mit seiner Konzeption der praktischen Selbstbestimmung der freien Intelligenz im Wollen selbst noch vertreten hatte.57 Gemäß seiner schöpfungstheologisch begründeten Ethik legt Schelling die Normativität des ursprünglichen Wollens nicht in die bloße Form des Willens, wie es bei Kant und Fichte geschieht, sondern in seinen Gehalt, den göttlichen Geist der Liebe, durch den er sich bestimmen läßt.

53 Freiheitsschrift,

SW VII, 385.

54 Vgl. etwa J.G. Fichte, Grundlage

der gesamten

Wissenschaftslehre

(1794), in: Fichtes Werke, hg.

ν. I. Η. Fichte, Berlin 1971, Bd. 1, 96. 55 Freiheitsschrift,

SWVII, 385.

56 Vgl. C.L. Reinhold, Briefe über die Kantische

Philosophie

(1790/92), 2. Bde., hg. v. R. Schmidt,

Leipzig 1923, Bd.2, 502. 57 Vgl. F.W.J. Schelling, System des transzendentalen

Idealismus,

SWIII, 5 3 2 f f . Vgl. dazu J. Stol-

zenberg, „Autonomie. Zu Schellings Begründung der praktischen Philosophie im System des transzendentalen Idealismus von 1800", in: System als Wirklichkeit. des transzendentalen 2001, bes. 4 9 - 5 5 .

Idealismus",

200 Jahre Schellings

„System

hg. v. Ch. Danz, C. Dierksmeier u. Ch. Seysen, Würzburg

132

CHRISTCAN IBER

Schelling stellt sich in die Nachfolge von Kants in der Religionsschrift entwickelten Theorie der transzendentalen Tat, durch die der Mensch außerhalb aller Zeitbedingungen stehend seine Gesinnung immer schon bestimmt hat.58 Die transzendentale Selbstbestimmung sei eine durch die Zeit unergriffen von ihr hindurchgehende ewige Freiheitstat, die mit dem Anfang der Schöpfung zusammenfällt und bis an ihr Ende reicht. Die transzendentale Tat wird also nicht in der Vorzeit einmal vollzogen, um dann hinter ihrem Produkt in der Vergangenheit zurückzubleiben, vielmehr färbt sie den Charakter des Menschen von Anfang an und begleitet ihn durch sein gesamtes zeitliches Dasein hindurch. Schellings Theorie der transzendentalen Tat beansprucht, sowohl die moralische Zurechnungsfähigkeit der einzelnen Handlungen als auch ihre Unumgänglichkeit verständlich zu machen. Die bestimmte Handlung ist notwendige Folge des intelligiblen Wesens des Menschen und erfolgt dennoch nicht gegen seinen freien Willen, ist ihm also als schuldhaft zuzurechnen. Schellings Verständnis von Personalität faßt sich zusammen in der Idee moralischer Verantwortlichkeit. Verantwortlich ist der Charakter einer Person für bestimmte Handlungen nur dann, wenn er keine vorgegebene Verfassung darstellt, sondern durch die Ausgerichtetheit ihres Willens selbst bestimmt ist. Neben und getrennt vom unmittelbar handlungsbezogenen Willen gibt es also einen Willen höherstufiger Ordnung, durch dessen Ausrichtung jemand über die Qualität seines Charakters selbst entscheidet. Schelling schließt keineswegs den Gedanken einer moralischen Entwicklung oder Umwendung aus, womit er sich zugleich Kants Lehre von der durch intelligible Tat vollziehbaren Revolution in der Gesinnung"59 anschließt. Stets steht mit der transzendentalen Selbstbestimmung des Charakters zur Entscheidung, ob der Mensch entweder die Liebe Gottes annehmen oder im eigennützigen Hang zum Bösen existieren will.60 Schellings Begriff der menschlichen Freiheit und Personalität kommt an ihre Grenzen, weil mit der Theorie der transzendentalen Tat die Verantwortlichkeit des Menschen überlastet wird.61 Denn näher besehen ist der Mensch gar nicht für seine bestimmten Handlungen verantwortlich, sondern nur für die Qualität seines Charakters insgesamt, aus dem seine konkreten Handlungen mit determinierender Notwendigkeit fließen. Zugleich dehnt Schelling den Bereich der Verantwortlichkeit über den bösen Charakter hinaus auch auf die physischen Übel in der Welt aus. Sogar für „die Art und Beschaffenheit seiner Corporisation"62 soll der Mensch verantwortlich sein. Wenn der Mensch aber für alles moralisch verantwortlich ist, dann ist er paradoxer Weise für gar nichts Bestimmtes mehr verantwortlich. Die Hypermoralisierung der transzendentalen Tat führt zur Entmoralisie58 I. Kant, Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft, Werke VIII, В 25 f. 59 Ebd., В 54. 60 Vgl. Т. Buchheim (1987), 148 f., 181 f. 61 Die Überlastung der Verantwortlichkeit des Menschen durch die Lehre von der transzendentalen Tat und ihre negativen Folgen arbeitet F. Hermanni, Die letzte Entlastung.

Vollendung und Schei-

tern des abendländischen

Wien 1994, 143-157,

Theodizeeprojektes

254ff. heraus. 62 Freiheitsschrift,

SW VII, 387.

in Schellings

Philosophie,

PERSONALITÄT IN SCHELLINGS „FREIHEITSSCHRIFT"

133

rung moralrelevanter Handlungsbereiche. Zum einen ist der Mensch voll verantwortlich für seine Handlungen, zum anderen kann er im Grunde gar nichts dafür, weil die transzendentale Tat die Handlungen in ihrer Notwendigkeit verständlich macht. Der Widerspruch ist, daß durch die den intelligiblen Charakter des Menschen bestimmende transzendentale Tat die bestimmte empirische Handlung einerseits ein moralisch zurechenbarer, andererseits ein moralisch nicht zurechenbarer Akt ist. Dieser Widerspruch gründet in Schellings Affirmation des Kantisch-Fichteschen Dualismus zwischen empirischem und intelligiblem Wesen des Menschen, auf dessen Boden er auf eine Synthese von Freiheit und Notwendigkeit, von Fichteschem Freiheitsbegriff und Spinozistischem Determinismus abzielt. Wirklich frei ist nur die transzendentale Selbstbestimmung des Charakters, während die je konkreten Handlungen mit determinierender Notwendigkeit aus diesem folgen. Die Überlastung der Freiheit und Verantwortlichkeit schlägt sich auch darin nieder, daß Schelling den Sündenfall philosophisch verfehlt. Sünde kann er nicht als Einheit von Seins- und Tatschuld begreifen wie es Paulus tut, weil er sie auf eine aus der transzendentalen Tat notwendig erwachsende Tatschuld einebnet. Während Schuld individuelle Zurechnungsfähigkeit einschließt, ist Sünde eine tiefe geschichtliche Verstricktheit des Menschen. Schuld wird zur Sünde als Abweichung des Menschen von Gott, in der der Mensch hinter sich selbst zurückbleibt. Paulus' Definition der Sünde lautet: „Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will, sondern was ich hasse, das tue ich." 63 Der Widerspruch zwischen Tun und Wissen ist ein Widerspruch zwischen Tun und Wollen, der letztlich ein schuldhafter Selbstwiderspruch des Wollens ist. Paulus sagt nicht, ich tue nicht, was ich soll. Deshalb muß der Widerspruch zwischen Tun und Wollen als Selbstwiderspmch des Wollens gedeutet werden, in dem der Mensch sich selbst verfehlt, insofern er im Sündenfall der imago dei verlustig geht.64 Korrelativ zur Sünde steht das Heil. Ihm zufolge kann sich der Mensch nicht allein durch sich selbst, sondern nur mit Hilfe des göttlichen Gnadenakts aus dem status corruptionis befreien. Demgegenüber muß bei Schelling der Mensch sein prinzipielles Hinter-den-Anforderungen-Gottes-Zurückbleiben als sein eigenes Schuldigwerden auf sich nehmen. Es ist seine eigene gewollte, wenn auch nicht voll bewußte transzendentale Tat. Deshalb steht es auch nur beim Menschen selbst, ob er die Hilfe Gottes zur Rückkehr in Gottes Liebe annimmt oder nicht. Damit verankert Schelling die schöpfungstheologisch begründete Anthropologie der Personalität in der Transzendentalität einer sich selbst erschaffenden Persönlichkeit des 63 Rom. 7,15. 64 Vgl. Gen. 1, 27. Was Paulus unter dem Titel der Sünde diskutiert, wird in der Antike unter dem Begriff der nicht aus Überstürztheit, sondern aus Schwäche hervorgehenden akrasia (vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers, u. hg. v. Olof Gigon Zürich /München 3 1978, Buch VII, 8-11) erörtert und in der heutigen Handlungstheorie unter dem Stichwort Willensschwäche behandelt (vgl. T. Spitzley, Handeln wider besseres Wissen. Eine Diskussion klassischer Positionen, Berlin 1992, 125 ff.). Zumeist wird dieses Phänomen in ein Defizit im Wissen über das Richtige überführt.

134

CHRISTIAN IBER

Menschen. Diese Transzendentalisierung der menschlichen Freiheit, die Schelling aus Theodizeegründen vornimmt, welche zugleich die Theodizee zum Scheitern verurteilt, steht in Konkurrenz zu seinem Entwurf einer personal verstandenen menschlichen Subjektivität, die im Kontext einer auf einen personal gedachten Schöpfergott ausgerichteten lebendigen Schöpfungsordnung steht.

6. Religiöse Bestimmung des menschlichen Subjekts zur Moralität und ihre eschatologische Erfüllung im interpersonalen Liebesideal Eine Wahl- oder Entscheidungsfreiheit für das Tun des Bösen oder Guten kann es für Schelling nicht geben. Der Mensch läßt sich vielmehr entweder vom Geist der Zwietracht oder vom Geist der Liebe in seinem Willen bestimmen. Das „in-sich-handeln-Lassen des guten oder bösen Princips ist die Folge der intelligiblen Tat, wodurch sein Wesen und Leben bestimmt ist".65 Das moralisch Gute läßt sich nach Schelling daher nicht wie bei Kant als „selbstbeliebige oder aus Selbstbestimmung hervorgegangene Sittlichkeit vorstellen".66 Schelling vertritt eine religiös, d.h. in der klaren Erkenntnis Gottes begründete Gewissensmoral und kritisiert Konzepte der Ethik ohne Religiosität. Indem die Religion Moralität begründend ist, ist sie zugleich die Instanz, die wahre Verbindlichkeit, Gemeinschaftlichkeit und im idealen Extremfall Liebe stiftet. Moralität ist also echte Religionsausübung. Der aus religiöser Gewissenhaftigkeit heraus Handelnde hat „keine Wahl zwischen Entgegengesetzten". Das Wissen um Gottes Offenbarung und ihr Eschaton begründet vielmehr „die höchste Entschiedenheit für das Rechte, ohne alle Wahl".67 Die moralische Tugend bedarf des Beistands der höheren Macht Gottes, damit der Mensch mit Entschiedenheit die Kräfte seiner Person für das Gute in der Welt zum Einsatz bringen kann. Moralität ist zugleich Glaube im Sinne von pistis, eine das handelnde Leben anleitende religiöse Grundüberzeugung. Während sich bei Hegel der Übergang zur Religion in der Dialektik von Schuldbekenntnis, Verzeihung des Bösen und der Tilgung von Schuld durch den versöhnenden, intersubjektiven Geist vollzieht68 bleibt bei Schelling der mit Entschiedenheit für das Gute eintretende Mensch im Kampf mit dem Bösen begriffen. Der Mangel von Schellings 65 Freiheitsschrift, SW VII, 389. Schelling kommt in seiner Philosophie der Persönlichkeit sehr nahe der klassischen Ableitung von Person von ,personare', durchtönen, das Sprechen durch die Schauspielermaske, eine Etymologisierung, die wegen der unterschiedlichen Betonung von ,persona' und ,personare' fragwürdig ist (vgl. Art. „Person", in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. VIII, hg. v. J. Ritter u. K. Gründer, Basel 1989, Sp. 269). 66 Freiheitsschrift, SW VII, 392. 67 Ebd. 68 Vgl. G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1988,433-442.

PERSONALITÄT IN SCHELLINGS „FREIHEITSSCHRIFT"

135

Ethikkonzeption ist, daß er die im Liebesbegriff liegenden Potentiale für den Begriff einer versöhnenden Interpersonalität nicht ausschöpft. Er entwickelt kein Konzept, wie das Böse, der sich auf sich versteifende Eigenwille, der sich über den Universalwillen erhebt, durch Schuldbekenntnis und Verzeihung des Bösen überwunden werden kann. An die Stelle der interpersonalen Überwindung des Bösen tritt bei Schelling der Gedanke der Selbstzerstörung des Bösen, dem dieses im Laufe der geschichdichen Offenbarung auf lange Sicht anheimfällt. Auch wenn Schelling wie Hegel die christliche Religion als Religion der Liebe begreift, setzt er ihre interpersonalen Potentiale nicht zur Überwindung des Bösen ein. Es bleibt beim Kampf zwischen dem Guten und Bösen, zwischen dem Geist der Liebe und dem Geist der Zwietracht in der Geschichte. Das christliche Liebesbegriff selbst wird zu einem eschatologischen Ideal herabgesetzt.69 Schelling definiert die Liebe folgendermaßen: „[...] dies ist das Geheimnis der Liebe, daß sie solche verbindet, deren jedes für sich sein könnte und doch nicht ist, und nicht sein kann ohne das andere". 70 Liebe wird hier so beschrieben, daß sie die Bedürftigkeit derer ist, die jeweils selbständig für sich sein könnten, also nicht aufeinander angewiesen sind, diese Selbständigkeit aber von sich aus aufgeben, weil sie doch nicht sind und nicht sein können ohne den anderen. Schelling zeichnet damit die Interpersonalität, das Personsein im relationalen Sinne normativ aus. Wahre menschliche Personalität besteht darin, die substantielle Selbständigkeit und das transzendentale Aus-sich-Sein zugunsten einer konstitutiven Verbundenheit aufzugeben. Nun könnte es zwar so scheinen, daß diese relationale Konzeption menschlicher Personalität der Eigenständigkeit und der Selbstbestimmung der Person gar nicht widerstreitet. Und sie erfahrt ja auch nur dadurch eine normative Auszeichnung, daß sie auf dem Boden der freiwilligen Preisgabe des Für-sich-Seins eintritt. Dem steht jedoch bei Schelling die eschatologische Endstellung der Liebe entgegen, die das erste und zugleich letzte Prinzip ist. Weil von Anfang der Schöpfung an die göttliche Liebe den Prozeß der geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes umfaßt, durchwaltet und übersteigt, hat das Böse, der sich auf sich versteifende Eigenwille der Person, eschatologisch gesehen keine Chance. Daher ist mit dem Bösen auch die substantielle Eigenständigkeit der Person keineswegs in der „absoluten Identität"71 des Eschatons wie auch immer als .Moment' einbegriffen, sondern von der geistigen Liebeseinheit Gottes ewig ausgeschlossen. Damit zeichnet sich ein weiteres Defizit in Schellings Konzeption menschlicher Personalität ab. Schelling begreift menschliche Personalität nicht als spannungsvolle Gegensatzeinheit von substantieller Selbständigkeit und Relationalität, von Absolutheit und Endlichkeit. Der substantiell autonome und der relationale Aspekt im Personbegriff fallen bei ihm dualistisch auseinander. Diese Kluft befestigt sich dadurch, daß er die substanti69 Vgl. Ch. Iber, „Religiös begründete Moral in Hegels Phänomenologie und Schellings Freiheitsschrift", in: Hegel-Jahrbuch

2001, Erster Teil, hg.v. A.Arndt, K.Bai u. H. Ottmann, Berlin 2002,

225-231. 70 Freiheitsschrift,

SWVII, 408. Vgl. auch Schellings Liebesdefinition in den Aphorismen

tung in die Naturphilosophie, 71 Freiheitsschrift,

SW VII, 409.

SWVII, 174.

zur Einlei-

136

CHRISTIAN IBER

eile Eigenständigkeit der Person in der Lehre von der transzendentalen Tat transzendentalphilosophisch überformt. Schellings Konzeption menschlicher Personalität nimmt damit eine zweideutige Zwischenstellung zwischen einer relationalistischen Position, die das Personsein in einem In-Beziehung-Sein lokalisiert, und einer absolutistischen Position ein, die das Personsein in der zur Autarkie tendierenden Autonomie des Willens verankert.72 Das Produktive der Konzeption Schellings besteht darin, menschliche Personalität als spannungsvolle Einheit von vernunftgeleitetem Wollen und emotionaler Handlungsmotivation gefaßt und deren widersprüchliche Tiefendimension zwischen selbstsüchtiger Zentriertheit und uneigennütziger moralischer Offenheit für andere ausgelotet zu haben. Vor dem Hintergrund seiner schöpfungstheologisch fundierten Anthropologie ist zu vermuten, daß Schelling die Erzielung einer inneren Einheit der handelnden Person für unmöglich hielt, solange nicht die eschatologische Herrschaft Gottes auf Erden, in der die Liebe „Alles in Allem"73 sein wird, eingetreten ist.

Zusammenfassung Der Beitrag untersucht die Prinzipien, die Personalität in Schellings Freiheitsschrift konstituieren. Erörtert wird die prinzipientheoretische Fundierung der Personalität in der fundamentalontologischen Unterscheidung zwischen Grund von Existenz und Existierendem. Sodann werden im Rückgriff auf Schellings schöpfungstheologisch fundierte Anthropologie die Momente der spezifisch menschlichen Persönlichkeit thematisiert. Vor dem Hintergrund des Begriffs des Bösen sowie im Blick auf die schöpfungstheologischen Rahmenbedingungen der menschlichen Freiheit wird die materiale Tiefenschicht von Schellings Begriff menschlicher Personalität ausgelotet. Die kritische Darstellung der Lehre Schellings von der transzendentalen Tat sowie seiner religiös begründeten, auf ein eschatologisches Liebesideal abzielende Ethik versucht deutlich zu machen, daß Schellings Begriff menschlicher Personalität durch eine unaufgelöste Spannung zwischen einem relationalen und einem substantiellen Personbegriff gekennzeichnet ist.

72 Der unaufgehobene Dualismus zwischen Relationalität (M. Buber u.a.) und autonomer Selbständigkeit (M. Scheler, R. Guardini u.a.) im Begriff der Person ist nach Theunissen kennzeichnend auch für den modernen anthropologischen Personalismus. Dagegen ist der spezifisch christliche Personbegriff durch die erwähnte Gegensatzeinheit geprägt, die sich im Rekurs auf den theatralischen Ursprung des Personbegriffs in der Antike verdeutlichen läßt. Person (griech. prosopon) meint zunächst Maske, dann den maskentragenden Schauspieler selbst. Ihr einheitliches phänomenologisches Fundament haben diese Bedeutungen im Selbstbewußtsein des Schauspielers, der sich weder nur als Rolle noch nur als Rollenträger versteht. Vgl. M. Theunissen, „Skeptische Betrachtungen über den anthropologischen Personbegriff', in: Die Frage nach dem Menschen, hg. v. H. Rombach, Freiburg 1966,461-490, bes. 463 ff. 73 Freiheitsschrift, SW VII, 408. Vgl. 1. Kor. 15,28.

HERMANN B R A U N

„Also Seele ist das Unpersönliche." Ein Versuch über Schellings Anthropologie

Was soll mir euer Hohn Über das All und Eine Der Professor ist eine Person Gott ist keine.1

1. Einleitung Der Titelsatz hat logisch die Form einer Konklusion; seinem Gehalt nach wirkt er - gemessen an der geläufigen Bedeutung des Wortes „Seele" - befremdlich. Wenn uns etwas „in der Seele weh tut", meinen wir damit ein intensives Bedauern, ein persönliches Mitgefühl. Unpersönliche Verhaltensweisen erscheinen uns eher seelenlos. Solche Konnotationen des Wortes sind geprägt von einer Tradition, die Seele mit Selbstbewußtsein und persönlicher Identität gleichsetzt und eine Seele nur den Angehörigen der Gattung Mensch zuspricht. Beides: den Personalismus und die Seelenlehre, mit ihren tiefliegenden anthropologischen Vorurteilen, stellt der Titelsatz in Frage. In meinem Referat möchte ich seine Prämissen und seinen theoretischen Kontext untersuchen und dabei die Revision einiger Urteile über Schellings Lehre vom Menschen vorschlagen. Das Wort „Also" wirft die Frage nach den Prämissen auf. Dieser Frage möchte ich im ersten Teil meines Beitrags nachgehen. Im Kontext des Titelsatzes, in den sogenannten Stuttgarter Privatvorlesungen von 1810, findet sich das Stich wort „Anthropologie".2 Schelling bestimmt dort ihr wissenschaftliches Aufgabenfeld. In den Teilen II-IV meines Beitrages frage ich, wie Schellings Lehre von Personalität im Zusammenhang von Naturphilosophie und Anthropologie einzuschätzen ist. Abschließend (TeilV) mache ich auf Schellings letzte Analyse der anthropologischen Problematik aufmerksam, die mir in ihrer durchgängig spinozistischen Tendenz anschlußfähig an gegenwärtige Diskurse erscheint. Bevor ich damit beginne, möchte ich Rechenschaft geben über die Problemstellung und die Intention, die mich zur Wahl des Titels geführt haben. Ich kann mich dabei auf die Notizen von Thomas Buchheim zu Schellings Personbegriff beziehen. Sie sind von der These geleitet, daß die für Schellings Denken wichtigen Themenkreise (Natur, Identität, Handlung, Sittlichkeit und göttliche Trinität) von Anfang an auf den Begriff der Person

1 2

J.W. v. Goethe, Zahme Xenien, Siebentes Buch, 49-52. F.W.J. Schelling, Stuttgarter Privatvorlesungen (aus dem handschriftlichen Nachlaß) (1810) [= Stuttgarter Privatvorlesungen], SW VII, 457; der Satz über die Seele: ebd. 469.

138

HERMANN BRAUN

hin tendieren. Diese Tendenz habe Schelling erst in seinem „reiferen Denken", seit der Freiheitsschrift, wirklich erkannt. Buchheim schlägt vor, die spätere Philosophie Schillings als „Philosophie der Person" zu bezeichnen. Schellings Denken finde nämlich erst mit dem Personbegriff zu ihrem latent vorgegebenen Zentrum und damit zu einem Grundmotiv, das für den philosophischen Diskurs der Gegenwart von Belang sei. Dieser Ansatz erscheint mir in beidem: der Schelling-Interpretation und der Gegenwartsrelevanz fragwürdig. Sollen wir annehmen, Schelling wäre, wenn er das Personale ins Zentrum seines Systembegriffs rückt, endlich am Ziel? Wenn er also den Spinozismus los geworden und zu einer im Christlichen verankerten, geschichtlich orientierten Philosophie zurückgefunden hat? Und selbst wenn es so wäre, was könnten wir daraus heute von ihm lernen?

2. Der Titelsatz und seine frühen Prämissen Der Satz: „Also Seele ist das Unpersönliche" verlangt geradezu nach Kontext. Ich möchte zeigen, daß er aus einer Vorgeschichte in Schellings Denken erschließbar ist, die bis in die Anfänge im Tübinger Stift zurückreicht. Im Brief an Hegel von 1795 werden erstmals die Prämissen greifbar, die den Denkweg Schellings bestimmen werden. Er berichtet seinem Freund von einer Entscheidung, die lebenslang wirksam bleibt. Schelling sagt, er sei Spinozist geworden - und er verbindet dieses Credo mit der Vorwarnung: „staune nicht". Er weiß, daß Hegel das SpinozaBüchlein Jacobis kennt; und im Hinblick darauf ist Schellings Bekenntnis zum Spinozismus mit der gleichzeitigen Versicherung: „Das Α und О der Philosophie ist Freiheit" eine überraschende Konsequenz.3 Denn Jacobi ließ Spinoza als Protagonisten einer wissenschaftlichen Philosophie auftreten, die zwangsläufig zum Determinismus führt und Jacobi existentiell in die Enge treibt, aus der er sich nur durch einen Salto mortale des Intellekts rettet, um sein Freiheitsbedürfnis als Person zu wahren. Schelling hingegen erklärt sich zum Spinozisten - um der Freiheit willen. Wie ist das möglich? Die Begründung dafür, wie er zum Spinozisten geworden sei, die er dem Freund brieflich vorträgt, liest sich widersprüchlich. „Spinoza'n war die Welt (das Objekt schlechthin, im Gegensatz gegen das Subjekt) - alles, mir ist es das Ich. Der eigentliche Unterschied der kritischen und dogmatischen Philosophie scheint mir darin zu liegen, daß jene vom absoluten (noch durch kein Objekt bedingten) Ich, diese vom absoluten Objekt, oder Nicht-Ich ausgeht. Die letztere, in ihrer höchsten Konsequenz führt auf Spinozas System, die ersteie aufs Kantische. Vom Unbedingten muß die Philosophie ausgehen." Die alles entscheidende Prinzipienfrage über den künftigen Weg der Philosophie ist dann, worin das Unbedingte liege, im Ich oder Nicht-Ich. Schelling läßt keinen Zweifel, daß er sich für das Ich als Ort des Unbedingten entscheidet. Nach dem zuvor dargelegten eigentlichen Unterschied zwischen dogmatischer und kritischer Philosophie müßte er sich 3

F.W.J.

Schelling, Briefe

1 (Briefwechsel

1786-1799),

AAIII 1, Stuttgart 2001,20-23.

139

E I N V E R S U C H ÜBER SCHELLINGS ANTHROPOLOGIE

als Kantianer „in höchster Konsequenz" bekennen. Jedoch - wahrlich staunenswert - ruft er sich zum Spinozisten aus. Wie er Spinozist geworden sei, werde Hegel bald hören (das ist eine Anspielung auf die im selben Jahr erscheinende Arbeit: Vom Ich oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen). Spinozist zu werden, war im Sinne Schellings nicht die Entscheidung für das System Spinozas, wie der Autor es verstand. Er setzte die Substanz als das eine und umfassende, ewig aus sich bestehende Wesen aller Dinge: „Man bewies ihm nicht, daß diese unbedingte, unwandelbare Urform alles Seyns nur in einem Ich gedenkbar sey [...]. Im Ich hat die Philosophie ihr en kai pan gefunden, nach dem sie bisher als dem höchsten Preis des Sieges gerungen hat". 4 Was Spinoza suchte, woraufhin er das Denken ausrichtete in seiner Letztbegriindung und systematischen Grund Verfassung, das ist nicht selber wieder in einer umfassenden Dinglichkeit (substantia) zu finden, sondern es ist von der Struktur des Sich-selber-setzens im Ich und erhält den ontologischen Fundamentalstatus der Alleinheit. Das absolute Ich ist von dem Bewußtseins- und damit objektbezogenen Selbstbewußtsein zu unterscheiden, mit dem wir uns als Ich-sager gegenüber Anderen identifizieren. Dieses „empirische" Ich wird beim Wegfall der Subjekt-Objekt-Verfaßtheit im absoluten Ich aufgezehrt. Der Mensch, wie er leibt und lebt, verschwindet in seinem eigenen Wesen. Spinozist zu werden - nach der Entscheidung in der basalen Alternative Welt oder Ich für das Subjekt - heißt mit dem absoluten Ich sich von der Philosophie der Subjektivität abzulösen. Das cartesische Denkmuster, seit Hegel in der Geschichte der Philosophie die Heimkehr des Denkens auf das Festland der Vernunft, christlich betrachtet ins protestantische Prinzip,5 ist auf Selbstsicherung der Subjektivität ausgerichtet. Das cogito sum erbringt das ersehnte fundamentum inconcussum. Der Preis für die Selbstvergewisserung des Denkens ist die Spaltung der Wirklichkeit in die res cogitans und die res externa. Sich selbst sichernd, macht das Denken sich vom Körper los. Bekanntlich gehen aus dieser Operation die Kriterien der Rationalität: claritas und distinctio hervor. Ciaritas ohne distinctio ergibt ein konfuses Bild, in dem nichts Bestimmtes zu erkennen ist. Die Position Schellings, der sich zu einem Spinozismus des Ich bekennt, setzt die Rationalität in eine prekäre Problemlage.6 Der Ausdruck: „intellektuelle Anschauung" steht dafür ein, ohne eine Lösung zu erbringen. Zur Überwindung der cartesischen Zwei-Substanzen-Lehre er4

F.W.J. Schelling, Vom Ich als Prinzip der Philosophie

oder über das Unbedingte

im

menschli-

chen Wissen (1795) [= Vom Ich als Prinzip], S W I , 193. 5 6

G . W . F . Hegel, S W X V , 328. Birgit Sandkaulen hat in einer eindringlich und souverän argumentierenden Arbeit die Aporien nachgezeichnet, in die sich Schellings Prinzipienforschung durch den Spinozismus verwickelt, mit dem er sich - so ihre These - von Jacobi abhängig mache, ohne jedoch Jacobis Einsicht in die Uneinholbarkeit des unbedingten Systemgrundes zu akzeptieren (B. Sandkaulen, Ausgang bedingten.

Über den Anfang in der Philosophie

Schellings,

vom Un-

Göttingen 1990). Daß Schelling in der

Frage der Letztbegriindung scheitert, schließt aber nicht aus, daß der Spinozismus mit der Grundidee der Alleinheit zu sachlicher Einsicht in das Verhältnis von Mensch und Welt befähigt - und sei es in der Art einer heuristisch fruchtbaren Fiktion.

140

HERMANN BRAUN

scheint sie unentbehrlich; es gelingt aber niemandem zu sagen, was auf solche Weise „intellektuell" anzuschauen wäre.7 Warum bringt sich der junge Schelling in diese Lage? Als Motiv fällt im Briefwechsel mit Hegel die Auseinandersetzung mit der Tübinger Theologie ins Auge. Lessing, wie ihn Jacobi in seinem Spinozabüchlein als Spinozisten darstellt, wird zum Verbündeten gegen die orthodoxe Theologie. Der Kritikpunkt ist der Begriff eines persönlichen Gottes. Der Ausdruck „persönlicher Gott" ist doppelsinnig. Er kann verstanden werden als Gottesprädikat (Gott ist eine Person, hat Persönlichkeit), aber auch so: Gott begegnet mir als Person, sozusagen von Person zu Person - und dann bedeutet der Ausdruck die Relation Gott-Mensch, bzw. Mensch-Gott. Das erste ist Voraussetzung des zweiten: Nur wenn Gott selbst Persönlichkeit hat, kann ich in eine persönliche Beziehung zu ihm treten, andernfalls wäre diese Beziehung eine sachliche. Von Lessing berichtet Jacobi, daß er eine „persönliche Gottheit" sich allenfalls als die „Seele des Alls" vorstellen wollte - und das Ganze „nach der Analogie eines organischen Körpers". Jacobi kommentiert: „Diese Seele des Ganzen wäre also [...] als Seele, nur Effect."8 Er meint damit nicht eine materialistische Seelen Vorstellung, sondern beschreibt den Begriff der Seele als Entelechie. Diese Auslegung des aristotelischen Grundbegriffs ist für Jacobis Position erhellend. „Seele nur Effect" - das heißt: der Seele wird die Substantialität abgesprochen, der Charakter einer „denkenden Kraft überhaupt". Jacobis kritischer Standpunkt ist cartesianisch. Der metaphorische Kontrast von Auge der Seele und den Augen des Leibes wird ebenfalls auf cartesischer Grundlage ins Feld geführt. Sehr früh, im November 1783, hatte Jacobi den ersten Brief an Mendelsohn über sein Gespräch mit Lessing handschriftlich an Herder geschickt.9 Herder greift sofort das Problem der Personalität Gottes kritisch auf. Er nennt Jacobi einen „extramundanen Personalisten". Eingeschränkte Personalität passe nicht auf das unendliche Wesen; Personalität sei nur durch Einschränkung, als eine Art modus oder „als ein mit dem Wahn der Einheit wirkendes Aggregat von Wesen" denkbar. „In Gott fällt dieser Wahn weg; er ist das höchste lebendigste, tätigste eins - nicht in allen Dingen, als ob die was außer ihm wären, sondern durch alle Dinge, die nur als sinnliche Darstellung für sinnliche Geschöpfe erscheinen. Das Bild ,Seele der Welt' ist wie alle Gleichnisse mangelhaft; denn fur Gott ist die Welt nicht Körper, sondern ganz Seele." Herder bekräftigt Gott als en kai pan. In der zweiten Auflage seiner Schrift Gott von 1800 hat Herder dann die Untauglichkeit des Personbegriffs für das unendliche Wesen sprachgeschichtlich fundiert und gezeigt, warum die Gleichsetzung von Personalität und Selbstbewußtsein sachlich nicht haltbar ist. Der eben zitierte Einwand, im Brief vom 6. Februar 1784, bezieht sich auf die Logik des Gottesbegriffs. Im Brief an Jacobi vom 20. Dezember 1784 bringt er einen zweiten Einwand vor, aus der existentiellen Bedürfhislage: „Du willst Gott in Menschengestalt, 7 8 9

Vgl. zu dem Problem „unentbehrlicher", aber nicht ausweisbarer Begriffe für das Verstehen Ernst Tugendhats Überlegungen in: Ders., Philosophische Aufsätze, Frankfurt/M. 1992,261 ff. Heinrich Scholz (Hg.), Die Hauptschriften zum Pantheismusstreit zwischen Jacobi und Mendelsohn [= Hauptschriften zum Pantheismusstreit], Berlin 1916,93 f. Scholz, Hauptschriften zum Pantheismusstreit, XCff. Vgl. Arthur Henkel, Entsagung. Eine Studie zu Goethes Altersroman, Tübingen 2 1964,119 f.

EIN VERSUCH ÜBER SCHELLINGS ANTHROPOLOGIE

141

als einen Freund, der an Dich denket. Bedenke, daß er alsdann auch menschlich, d.i. eingeschränkt an Dich denken muß und wenn er parteiisch für Dich ist, es gegen andre sein wird."10 Aus etymologischen Gründen wendet Herder sich in der zweiten Auflage von Gott gegen die Gleichsetzung von Einheit des Selbstbewußtseins mit Personalität. Persönlichkeit bleibe diesem Begriff ein „fremdes, aufgemaltes Wort". Person: ursprünglich Larve, Maske eines Schauspielers, markiert einen Charakter, immer in Abstechung gegen andere. Person heißt Apparenz, Figuration. Das passt nicht auf das Wesen des Selbstbewußtseins, es ist eine Nebenerscheinung zu ihm - und es passt schon gar nicht auf ein unendliches Wesen, auf Gott.11 Heider bringt in seiner sachlichen Auseinandersetzung mit Jacobi im Ausgang von Spinoza triftige Argumente vor. Sie sind vergleichbar mit heutigen Analysen von Dieter Henrich, der Selbstbewußtsein unterscheidet als zentralen Verankerungspunkt der wissenden Weltbeziehung von Person, die eine Entität der Welt ist (dabei könne immer gefragt werden, ob eine solche Person in der wirklichen Welt existiert). Subjekt sein heiße: ich weiß von mir, unterscheide mich von einer Welt und kann mich in dieser Welt lokalisieren. „Der unhintergehbare Personsinn ist direkt vom Subjektsinn her verfügbar. Aber der Subjektsinn faßt nicht die Wirklichkeit dessen, auf den er geht, unter der Beschreibung seiner Personalität." Jedes Subjekt könne sich im „grundsätzlichen Sinn" fraglich werden, ob es selbst diese Person ist. Personen können ihre Kenntnis von ihrer eigenen Personalität zu sich selbst in Distanz bringen. „Das aber, von woraus diese Distanz eingerichtet werden kann und wird, ist die Person als Subjekt. Amnetische Personen sind nicht im Koma, sondern ,bei sich', wenngleich ohne Kenntnis davon, welcher Weltbürger sie wirklich sind."12 Der cartesisch-rationale Zugriff auf die Dinge, von dem sich Jacobi in seinem Salto mortale abhebt und ihn damit voraussetzt, von dem er in die geglaubte Unmittelbarkeit eines persönlichen Gottesbezugs einspringt, ist ein Akt, der trennt und verbindet, der auslegt und zusammenfaßt, aber niemals das Eine und Ganze des Wesens der Dinge vor sich bringt. Schellings Denken ist anders ausgerichtet. Seine Grundoperation ist das Loslassen, die Selbstaufgabe, um der Freiheit der Denkens willen, das sich auch noch der conservatio sui, dem anthropologisch verankerten Grundmotiv der Moderne, verweigert. Die cartesische Selbstsicherung ist die erfolgreiche epistemologische Ausprägung dieses Motivs und sie wirkt auf die Selbstbehauptung und Selbsterhöhung des Typus Mensch bekräftigend zurück.13 „Spinozismus", die früh gefundene Parole ist in Schellings Denken der Emanzipationsakt von dieser anthropologischen Bindung geblieben. „Also selbst Gott muß der lassen, 10 Scholz, Hauptschriften

zum Pantheismusstreit,

XCIV.

11 J.G. Herder, Werke, Auswahl in XV Teilen, hg. von Emst Naumann, Berlin o. J., IV. Teil, 210. 12 D. Henrich, Fluchtlinien. Philosophische

Essays, Frankfurt/M. 1982, 141 ff.

13 Zur These von der wechselseitigen Implikation von Selbsterhaltung und Selbstbewußtsein vgl. Dieter Henrich, „Die Grundstruktur der modernen Philosophie", in: Hans Ebeling (Hg.), Subjektivität und Selbsterhaltung. bes. 97 ff.

Beiträge zur Diagnose

der Moderne,

Frankfurt/M. 1976, 9 7 - 1 2 1 , ins-

142

HERMANN BRAUN

der sich in den Anfangspunkt der wahrhaft freien Philosophie stellen will. Hier heißt es: wer es erhalten will, der wird es verlieren, und wer es aufgibt, der wird es finden. Nur derjenige ist auf den Grund seiner selbst gekommen und hat die ganze Tiefe des Lebens erkannt, der einmal alles verlassen hatte, und selbst von allem verlassen war, dem alles versank, und der mit dem Unendlichen sich allein gesehen: ein großer Schritt, den Piaton mit dem Tode verglichen". 14 In seiner Frühschrift Vom Ich als Prinzip der Philosophie sieht sich Schelling - er ist noch Student im Tübinger Stift - aufgefordert, an einer Revolution in der Philosophie mitzuwirken. Diese Revolution, die er als zweite mögliche in der Geschichte der Philosophie ankündigt, sei auf das Wesen des Menschen selbst gegründet, heißt es.15 Das klingt so, als sei die Reduktion der Philosophie auf Anthropologie, wie sie Ludwig Feuerbach im 19. Jahrhundert nach dem Ende der Metaphysik und ihrer spekulativen Erneuerung durch Hegel auch kritisch gegen die christliche Theologie verkündet hatte bereits eingeleitet. In Wahrheit ist es ein Kontrastprogramm zu diesem historischen Ablauf. Die erste Revolution im Gebiet der Philosophie sei gewesen, erklärt Schelling, daß man als Prinzip des Wissens „Erkenntnis der Objekte" aufgestellt habe. Der Fortgang in der Philosophie sei danach ein Weg von einem Objekt zum andern gewesen. In dieser Denkart hat zum Beispiel Karl Löwith als „Leitfaden" für den Weg der abendländischen Philosophie formuliert: sie führe von der griechischen Kosmo-theologie über die christliche Anthropotheologie zur Emanzipation des Menschen. „Die Philosophie wird im selben Maß anthropologisch, wie sich der Mensch von dem göttlichen Kosmos der Griechen und dem überweltlichen Gott der Bibel emanzipiert und schließlich die Erschaffung der Menschen weit selbst übernimmt". 16 Die Revolution, die im Menschen vom Bewußtsein seines Wesens ausgeht, ist in den Augen des jungen Schelling für die Geschichte der Menschheit relevant, aber nicht im Sinne einer zunehmenden Anthropologisierung. Da sie zur Einsicht bringt, daß das Wesen des Menschen nur in Einheit und durch Einheit besteht, müßten „Einheit des Wollens und Handelns" dem Menschen natürlich werden. Von da aus entwirft er eine wissenschaftspolitische Utopie: aus verschiedenen Wissenschaften müßte am Ende Eine werden - und die „Wege und Abwege, die das Menschengeschlecht bis jetzt durchlaufen hat", würden „endlich in Einem Punkte zusammenlaufen, an dem sich die Menschheit wieder sammeln und als eine vollendete Person demselben Gesetze der Freiheit gehorchen werde." 17 Die Menschheit wird in diesem Überschwang des Einheitsgedankens zu einem „gigantischen

14 Aus der im Winter 1821 gehaltenen Vorlesung Über die Natur der Philosophie

als

Wissenschaft,

SWIX, 217 f. 15 Vom Ich als Prinzip, SWI, 156. 16 Karl Löwith, „Das Verhältnis von Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes und Kant", in: Sitzungsberichte

der Heidelberger

Heidelberg 1964, 5. 17 Vom Ich als Prinzip, S W 1 , 1 5 8 f .

Akademie der Wissenchaften, Jahrgang 1964, 3. Abh.

143

E I N VERSUCH ÜBER SCHELLINGS ANTHROPOLOGIE

Massenindividuum". 18 Die abstrakte Einheitsparole läßt alle Verhältnisse, die das menschliche Leben real bestimmen, außer acht. Es ist, als werde eine Menschheit in Alleinheit beschworen, die nicht mehr von dieser Welt ist. Bemerkenswert ist übrigens, daß Löwith seinerseits der ausführlichen Darstellung von „Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche" einen „historisch unzeitgemäßen Abschluß" gibt, mit einem Kapitel über Spinoza, als Indiz dafür, daß die „wahre Erkenntnis der einen und immer gleichen Natur alles Seiende" dem vermeintlichen Fortschritt in der Geschichte des neuzeitlichen Denkens überlegen ist.19 Spinozas Denken fügt sich dem durch Descartes erstmals methodisch begründeten Fundamentalstatus der Subjektivität, dem durch Kant transzendental gesicherten Erfahrungsbegriff, dem moralisch versicherten Vorrang der Persönlichkeit des Menschen und dem damit geförderten Anthropozentrismus der Neuzeit nicht ein. Dem Anthropozentrismus in der Philosophie entspreche das Christentum, sagt Löwith unter Berufung auf Jacobi. Es sei „wesentlich anthropozentristisch", im Unterschied zum „cosmotheistischen" Heidentum.20 Wenn Jacobis Diagnose, die Löwith zitiert, richtig ist, dann wird plausibel, weshalb Feuerbach die Vergegenständlichung menschlicher Wesenszüge in der Analyse christlicher Dogmen aufweisen und Theologie als Anthropologie zu entlarven vermochte.

3. Das Leib-Seele-Problem: Spinozismus contra Cartesianismus Früh stand Schelling psychologischer bzw. anthropologischer Forschung skeptisch gegenüber. Er sah sie als Verwalterinnen cartesischen Erbes. In seinen Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums von 1803 (die er 1813 in zweiter und dann 1830 in dritter Auflage drucken ließ) bezeichnete er die Psychologie als sogenannte Wissenschaft, die auf der „angenommenen Entgegensetzung der Seele und des Leibes" beruhe. Dadurch werde etwas zum Gegenstand der Nachforschung, was nicht existiere, nämlich eine dem Leib entgegengesetzte Seele.21 Von der Psychologie müsse eigentlich bei der Physik die Rede sein; aber die Physik betrachte - man müßte ergänzen: nachcartesisch - das bloß Leibliche und die Natur als tot. „Wahre Naturwissenschaft" könne nicht aus „Trennung", sondern aus „Identität der Seele und des Leibes aller Dinge (d.h. aus der Idee) hervorgehen (denn was in allen Dingen der Natur lebt, ist ebenso nur die Idee, wie das, was in der Seele lebt)". „Wahre Naturwissenschaft" - darin liegt ein ähnlicher Akzent wie später bei der Orientierung an „ächter Philosophie"; der antimodernistische Grundzug kündigt sich

18 So Hannah Arendt, Denktagebuch,

hg. von Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann, München 2002,

Erster Band, 80. Die Notiz ist dort auf Marx gemünzt. 19 Karl Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik

von Descartes

bis zu Nietzsche

[= Gott,

Mensch und Welt], Göttingen 1967,7 sowie Kap. IX: „Spinoza. Deus sive Natura", 197 ff. 20 Löwith, Gott, Mensch und Welt. 248 f., Anm. Vgl. Jacobi, Werke IV, 1, XLVII f. 21 F. W.J. Schelling, Vorlesungen gen über die Methode],

über die Methode des akademischen

SW V, 270 f.

Studiums (1803) [= Vorlesun-

144

HERMANN BRAUN

in der Konzeption der philosophischen Wissenschaften bereits an. Mit einem versteckten Hinweis auf Aristoteles sagt Schelling, eigentlich gehöre die Psychologie zur Physik. Aber im modernen Zuschnitt der Wissenschaften fühlt das sofort zu einem materialistischen Ansatz der Psychologie, sofern der cartesische Dualismus herrschend bleibt. Schelling beschreibt diese wissenschaftshistorische Problemlage als „Entfernung der Wissenschaft von der Spekulation".22 Er macht diese Beobachtung bei Gelegenheit der Moralisierung, Psychologisierung, ja Oekonomisierung des Christentums. Und er klagt demgegenüber eine „wahre Wissenschaft des Menschen" ein. Sie könne nur aus, bzw. an der „wesentlichen und absoluten Einheit der Seele und des Leibes, d.h. in der Idee des Menschen, also überhaupt nicht in dem wirklichen und empirischen Menschen, der von dieser (von der Idee) nur eine relative Erscheinung ist, gesucht werden."23 Das ist ein Votum gegen Anthropologie, die als etablierte Disziplin unter den Verdacht cartesianischer Prämissen gestellt wird.

4. Alleinheit: die Seele als integratives Lebensprinzip Peter Oesterreich spricht von Schellings „makroanthropologischer Theorie des menschlichen Geistes"; der Geist sei korrumpierbar, die Seele nicht. Das ist eine zutreffende Beobachtung. Aber die Begründung, die Schelling dafür gibt, ist nicht anthropologisch. Das Aufblähen der Anthropologie zur Makroanthropologie stellt die Lehre vom Mikrokosmos auf den Kopf. Der Autor ist auf Anthropologisches fixiert und auf die These, daß mit Schelling der Aufstieg der Anthropologie zur Fundamentalphilosophie ä la Feuerbach beginne 24 Der thematisch einschlägige Sammelband von Jantzen und Oesterreich will durchgängig die „Präsenz anthropologischer Reflexion" in der Philosophie Schellings herausstellen.25 Der systematische Ort für die Einfuhrung anthropologischer Reflexionen ist aber in Schellings Vorlesung über das System der gesamten Phibsophie und der Naturphilosophie insbesondere von 1804 die Lehre vom „Weltbau". Schelling legt dar, daß im Weltbau ein besonderer Organismus auftritt, in dem das „Wesen des Weltkörpers, d.h. die unendliche Substanz selbst" sich ausprägt.26 Dies könne weder ein bloß tierischer noch ein bloß pflanzlicher Organismus sein. Denn in diesen Organismen verfolge die Natur unter dem allgemeinen Exponenten der Identität verschiedene Richtungen. In den Pflanzen

22 Ebd., 303. 23 EM., 270. 24 P. Oesterreich, „Schellings philosophische Anthropologie", in: Jörg Jantzen, Peter L. Oesterreich (Hg.), Schellings philosophische Anthropologie, Schellingiana 14, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, 39 f. 25 So im Vorwort von Jantzen, VIIf. 26 F. W. J. Schelling, System der gesammten Philosophie und der Naturphilosophie dem handschriftlichen Nachlaß) (1804), SW VI, 478 f.

insbesondere (aus

145

E I N VERSUCH ÜBER SCHELLINGS ANTHROPOLOGIE

bilde sich das Verhältnis des Weltkörpers zum Zentrum, im Tier umgekehrt das Verhältnis des Centri zum Weltkörper aus. Den Menschenorganismus zu konstruieren, wäre die Sache einer eigenen Wissenschaft, die noch nicht existiere - etwas ganz anderes als das, was man bisher Anthropologie genannt habe. Sie sollte eigentlich „Anthroposophie" heißen.27 Im Anschluß daran gibt Schelling skizzenhaft einige Beobachtungen, die in einer „Anthroposophie" auszuarbeiten wären; der aufrechte Gang des Menschen, wie die Pflanze, als Centrifugenz, also selbstisch - und zugleich im Menschen Centripetenz ausgeprägt, also von Selbstbezogenheit weg auf das Wesen der unendlichen Substanz hin orientiert. Mag auch die abstrakte Symbolik dieser Relationen von Gravitation und Organisation uns verstiegen erscheinen, so ist doch die leitende Perspektive bemerkenswert: in der Abstufung der Lebewesen und im Menschen zur Vollendung ausgeprägt die Affinität zum Kosmos. Schelling hat, soweit ich sehe, den Begriff „Anthroposophie", den er 1804 vorschlug, später nicht mehr gebraucht. In den Stuttgarter Privatvorlesungen von 1810 weist er - wieder unter dem geläufigen Titel - dieser Wissenschaft die Frage zu: „Warum nur im Menschen das absolut Ideale [...] aktuell gesetzt werde, sonst aber bloß potentiell." Durch diese Aufgabe sei der Begriff der Anthropologie definiert. 28 Auch hier deutet Schelling die möglichen Antworten durch Verweis auf die kosmische Affinität des menschlichen Organismus an: Nun ist aber das absolut Subjektive nur da, wo auch das absolut Objektive in seiner Vollendung, seiner Totalität. Dies ist nur im Menschen, nach dem alten Spruch, daß der menschliche Leib die Welt im Meinen, Mikrokosmos sey. Es gibt nur eine einzige Art von Wesen, von welchen das Nämliche gesagt werden könnte, von jenen großen Ganzen nämlich, die weil sie Körper und zugleich Welten sind,,Weltkörper' genannt werden [...]. 2 9

Nicht zufällig sinnverwandt hat Herder - man denke an seine frühe Auseinandersetzung mit Jacobi um den Spinozismus - den Gedanken des Mikrokosmos aufgegriffen. Zwar übersetzt auch er diesen Topos in eine Bildsprache, die den singulären Rang des Lebewesens Mensch als „Krone der Organisation", als „Sohn aller Elemente und Wesen, ihren erlesensten Inbegriff' metaphorisch bekränzt, aber sogleich folgt der Abgesang auf einen etwaigen Anthropozentrismus im Angesicht der Naturwelt. „Wenn die Sonne einmal die

27 Der Artikel „Anthroposophie" im Historischen

Wörterbuch der Philosophie

von Witzenmann gibt

als Erstbeleg für dieses Wort das Buch des Schellingschülers Troxler, Naturlehre

des

menschli-

chen Erkennens, von 1828 an. Hans Rudolf Schweizer, der Herausgeber dieser Arbeit von Troxler (Naturlehre des menschlichen Erkennens, oder Metaphysik),

Hamburg und Oberwil bei Zug, 1965,

291, Anm. 8, macht darauf aufmerksam, daß der Begriff „Anthroposophie" sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen lasse. Er verweist auf die Basier Diss, von Peter Heusser, Der Arzt und Philosoph

J.P.V.

Troxler, seine Philosophie,

Anthropologie

1983, 333 f. Diese Arbeit war mir leider nicht zugänglich. 28 Stuttgarter Privatvorlesungen, 29 Ebd.

SW VII, 457.

Schweizer

und Medizintheorie,

Basel

146

HERMANN BRAUN

alternde Kraft [...] der Erde in ihren brennenden Schoß zöge, so geschehe nur, was nach ewigen Gesetzen der Weisheit und Ordnung geschehen mußte."30

5. Die Lehre vom Instinkt als Probierstein „ächter Philosophie" Den Tieren die Seele abzusprechen, ist nach Descartes fundamentalontologisch gerechtfertigt. Aristotelisch gedacht, ist es abwegig. Denn schon in den Pflanzen ist Seele (psyche) - als ernährende Seele - das Prinzip organischen Lebens. Bis in die Goethezeit war das Werk von Johann Arnos Comenius: Orbis sensualium pictus als Schulbuch gebräuchlich, ein volkspädagogischer Unterstrom zu dem in der akademischen Philosophie und Wissenschaft herrschenden Cartesianismus, der die aristotelische Seelenlehre weitertrug („Die Seele ist des Leibes Leben, einig in dem gantzen, Allein - eine wachsthümliche in den Pflanzen, zugleich eine Sinnliche in den Thieren, auch eine Vernünftige in den Menschen")·31 Dieser Seelenbegriff verbürgt der Lehre vom Menschen die Anschlußfähigkeit an die Naturphilosophie. Verstellt wird dieser Anschluß durch das hermeneutische Leitwort .Anthropologie", in dem sich ein cartesisch inspirierter Anthropozentrismus breit macht. Bei Schelling ist in der Zeit der Emanzipation aus der Vormundschaft Fichtes um 1796 die Befreiung zu einem neuen Naturverhältnis in der Bildsprache spürbar („jede Pflanze ist, so zu sagen, der verschlungene Zug der Seele"). Der Autor spricht sich beim Verlassen der transzendentalen Vorsichtsregeln Mut zu: „Es ist [...] kein Grund mehr, in Behauptungen furchtsam zu seyn. An dem, was täglich und vor unseren Augen geschieht, ist kein Zweifel möglich. Es ist produktive Kraft in Dingen außer uns."32 Im Zusammenhang mit den Überlegungen, die Schelling in Stuttgart 1810 zur Unpersönlichkeit der Seele vorgetragen hat, weist er der Lehre von den Instinkten der Tiere eine Schlüsselrolle zu: „Es sind keine anderen als die Erscheinungen des thierischen Instinktes, die für jeden nachdenkenden Menschen zu den allergrößten gehören - wahrer Probierstein ächter Philosophie".33 Um zu ermessen, welche Umorientierung dieser Hinweis auf „ächte Philosophie" impliziert, mag ein Blick auf die philosophische Grundstellung Kants helfen. Ich beziehe mich der Kürze und Prägnanz wegen auf den Beschluß der Kritik der praktischen Vernunft. Einheit des Bewußtseins - Selbstbewußtsein - und damit „Persönlichkeit", das war in Kants Denkart die Auszeichnung des Menschen, die ihn vom Natür30 S. den Art. „Welt" vom Verf., in: GG, Band 7, 479. Quellenangaben zu Herder daselbst. Zu „Microkosmos" bei Paracelsus, 453 f. 31 Vgl. dazu vom Verf. „Säkulare Spiritualität", in: Wort und Dienst,

Jahrbuch

der

Kirchlichen

Hochschule Bethel, 25 (1999), 334-336. 32 F.W.J. Schelling, Abhandlungen

zur Erläuterung

(1796/97), SWI, 386 und 388. 33 Stuttgarter Privatvorlesungen,

SW VII, 455.

des Idealismus

der

Wissenschaftslehre

147

E I N VERSUCH ÜBER SCHELLINGS ANTHROPOLOGIE

liehen seiner Animalität „unendlich" unterschied. Im bestirnten Himmel über uns ist der Planet Erde ein Punkt im Weltall, woraus wir materiell genommen sind, als thierische Geschöpfe. In der Ehrfurcht vor dem Weltall, die unmittelbar mit meiner Existenz verknüpft ist, wird „meine Wichtigkeit" vernichtet. Aber da ist ein zweites: das moralische Gesetz in mir; ebenso erhaben und in der Ehrfurcht verknüpft mit dem Bewußtsein meiner Existenz. In mir heißt: in meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit. Da weiß ich mich als Bürger einer Welt von wahrer Unendlichkeit - nur dem „Verstände spürbar" - und dieser Welt allgemein und notwendig verbunden, nicht kontingent wie ein tierisches Geschöpf in der Sinnenwelt. Das moralische Gesetz offenbart uns ein von Tierheit und Sinnen weit unabhängiges Leben. Also: die Persönlichkeit wird in der Vergegenwärtigung des Weltalls vernichtet - in der intelligiblen Welt hingegen wird sie in unvergleichlichem Maße erhöht.34 In Kants Anthropologie („in pragmatischer Hinsicht abgefaßt") wird dieser unvergleichliche Status des Menschen bekräftigt: „Daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn unendlich über alle andere auf Erden lebende Wesen. Dadurch ist er eine Person und vermöge der Einheit des Bewußtseins bei allen Veränderungen, die ihm zustoßen mögen, eine und dieselbe Person, d.i. ein von Sachen dergleichen die vernunftlosen Thiere sind, mit denen man nach Belieben schalten und walten kann, durch Rang und Würde ganz unterschiedenes Wesen, selbst wenn er das Ich noch nicht sprechen kann, weil er es doch in Gedanken hat". 35 Einen Anhaltspunkt für die Problemlage, mit der Schelling sich auseinandersetzt, bietet das Zitat eines Spruchs „der Alten": Deus est anima brutorum. Dieser Spruch ist ein Indiz dafür, daß Schelling sich auf das damalige Standardwerk zum Thema bezieht, die Allgemeinen Betrachtungen Uber die Triebe der Tiere, hauptsächlich über ihre Kunsttriebe, zum Erkenntniß des Zusammenhangs der Welt, des Schöpfers und unserer selbst, von Hermann Samuel Reimarus. Ich zitiere den Titel in voller Länge, weil er zugleich über die physikotheologischen Intentionen des Autors informiert.36 Reimanis spielt auf den besagten Spruch der Alten an. Er fragt sich, ob es bei der Betrachtung von Spuren göttlicher Weisheit in den Werken der Natur nötig sei, das „göttliche Wesen selbst in die Natur zu versenken" - so als würde man sagen, daß des Künstlers Seele in der Uhr wohne. Jedenfalls sei der Satz: Deus est anima brutorum vielleicht nicht so arg gemeint, aber doch „sehr anstößig" gesagt.37 Obwohl er hier die konventionelle Uhrmetapher beizieht, ist Reimarus in seinem zoologischen Ansatz kein Cartesianer. Daß Tiere Maschinen seien,

34 AAIV, 161 f. 35 AAVLI, 127. 36 Das Werk von Hermann Samuel Reimarus (Allgemeine Betrachtungen hauptsächlich

über ihre Kunsttriebe,

über die Triebe der Thiere,

zum Erkenntniß des Zusammenhangs

und unserer selbst [= Allgemeine Betrachtungen])

der Welt, des

Schöpfers

ist 1762 in Hamburg erstmals erschienen. Jür-

gen Kempski hat es in zwei Bänden neu herausgegeben (Göttingen 1982). Zum Denkansatz von Reimarus s. das Geleitwort von Ernst Mayr zur Neuausgabe, Bd.l, insbes. lOf. 37 Reimarus, Allgemeine Betrachtungen,

§ 111,299 f. (Orig. Ausg. 223 f.).

148

HERMANN BRAUN

nennt er eine „widersinnige Hypothese".38 Seine Vorbehalte gegen den Satz über die Seele der Tiere sind von dem gewiß zutreffenden Eindruck motiviert, daß dadurch der Physikotheologie der Boden entzogen werde. Für Schelling ist bezeichnend, daß er den Spruch der Alten „ganz richtig" findet. Das Göttliche beseele die Tiere und handle potentiell in ihnen, als wäre es selbst ein Geistiges. „Beim Menschen hingegen ist dieß nicht der Fall. Nicht das Göttliche ist seine Seele, sondern er ist selber seine Seele."39 In der Vorlesung von 1804 über das System der gesamten Philosophie hat Schelling seine Lehre von den Instinkten der Tiere am ausführlichsten darlegt, mit vielen Detailbeobachtungen (Zugvögel, Begattung bei Fischen, Bienen beim Zellenbau, Vögel beim Nestbau und beim Singen - tierische Künste in Architektur und Musik, ebenso zu den anorganischen Vorstufen des Kunsttriebes bei Kristallen). Von Interesse ist bei unserer Thematik die Frage nach dem „Probierstein ächter Philosophie". Sie erhält hier eine Antwort. Die Reflexion auf den Status des Instinkts und seine vielfältigen Phänomene hätte - so Schelling 1804 - längst zur „Anerkennung absoluter Identität des Objektiven und des Subjektiven führen können". Das zweckmäßige Verhalten der Tiere in ihrer Welt sei für die bloß „mechanische Ansicht der Natur" das „Unerklärbarste".40 Dies ist aber keineswegs so einleuchtend, wie es Schelling darstellt. Die Beobachtungen instinktiver Handlungen von Tieren waren die Hauptindizien für das physikotheologische Argument. Kant nahm sie zum Anlaß, den „Leitfaden einer besonderen Einheit, deren Prinzip außer der Natur ist", anzunehmen. Diese Idee eines „höchsten Urhebers" erbringe im regulativem Gebrauch bei empirischer Naturforschung Erweiterung der Erkenntnis. Obwohl Kant ohne weiteres die Quelle für Finalität in der Natur außematürlich ansetzt, bleibt er im Hinblick auf Gottesprädikate skeptisch. Wer oder was Gott als außerweltliches Einheitsprinzip ist, bleibt in der physikotheologischen Argumentation unbestimmt. Was darüber gesagt werden kann, sind „Verhältnisvorstellungen" - die Relation Gott-Mensch betreffend: „höchste Weisheit bleibt relativ auf die geringe Weisheit der Menschen". Solche Aussagen sind unabhängig von der demonstrativen Kraft des Argumentes als solchen, die Kant ja widerlegt hat - nicht hinreichend für ein Prinzip der Theologie, bzw. für die Grundlegung natürlicher Religion.41 Schelling zieht diese ehrenwerte Tradition metaphysischer Theologie überhaupt nicht in Betracht, sondern arbeitet von vornherein mit der spinozistischen Leithypothese der Alleinheit. Früh hat er den physikotheologischen Klärungsweg verschmäht: „Wir schenken euch zum Voraus alle Erklärungen, wie eine [...] zweckmäßige Natur außer uns wirklich geworden. Denn diese Zweckmäßigkeit daraus erklären, daß ein göttlicher Ver-

38 Ebd., § 109, 287f. (Orig. Ausg. 211). 39 Stuttgarter Privatvorlesungen,

SW VII, 456.

40 F. W. J. Schelling, System der gesammten Philosophie dem handschriftlichen Nachlas) (1804), SWVI, 461. 41 KrV, В 656, А 628.

und der Naturphilosophie

insbesondere

(aus

EIN VERSUCH ÜBER SCHELLINGS ANTHROPOLOGIE

149

stand ihr Urheber sey, heißt nicht philosophieren, sondern fromme Betrachtungen anstellen", schreibt er in den Ideen zu einer Philosophie der Natur von 1797,42

6. Seele und Geist: Schellings letzte Auskunft Zu den Fragen, die der Begriff „Seele" und seine Semantik in der Wissenschaft des Menschen aufwirft, hat Walter E. Ehrhardt einen Brief des alten Schelling an König Maximilian von Bayern veröffentlicht.43 Es ist Schellings letzter Brief an seinen königlichen Schüler, abgeschickt am 16. Januar 1854. Der König hatte ihn um eine schriftliche Mitteilung über die Seelenkräfte gebeten. Aus diesem Brief erfahren wir: Schellings Seelenbegriff ist insofern aus „ächter Philosophie" geschöpft, als es der aristotelische ist. Er weiß, daß er damit in der Mitte des 19. Jahrhundert unzeitgemäß denkt. Wer beim Wort „Seele" lacht, fällt hinter die Zeit Piatos und Aristoteles' zurück Er denkt nicht modern, sondern antediluvianisch. Wahre Moderne wäre nicht nachcartesisch, sondern postmodern im Rückgang auf „Ächtheit" des griechischen Philosophierens. Der Brief von 1854 an Maximilian ist das letzte Wort Schellings über Seele und Geist. Darin trägt er vor: Die Seele ist nichts Übernatürliches, sondern ein Prinzip natürlicher Funktionen. Den Materialisten hält Schelling die Seelenlehre des Aristoteles entgegen (In den Pflanzen; die wachstümliche, in den Tieren die bewegende und sensitive, in den höheren Tieren die noetische Seele - sonst wäre es nach Schelling gar nicht möglich, Tiere zu bestimmten Aufgaben anzuleiten, wenn sie nicht urteilen könnten). Unter allen Seelen ist die menschliche die einzige, die ein ursprüngliches Verhältnis zu Gott hat. „Dieses Verhältnis ist [...] ein Verhältnis des nicht-selbst-Seins gegen Gott". Das aktiv gewordene Selbst der Seele ist der Geist. Dieser Aktus „Geist" ist weder aus der Natur ableitbar, noch von Gott veranlaßt. Er ist „übernatürlich" und er ist gottesfern. Das Los von Gott und die Rückkehr zu ihm, der unselige und der selige Geist - beides aus freiem Willen, die „Selbstheit". Aber sich gegen Gott, „wieder zu Seele" (selbstlos) machen, wäre Seligkeit des Geistes. Praktisch ist sie hienieden nicht zu erreichen, aber kontemplativ sich zur Selbstlosigkeit der Seele machen in der Wissenschaft des Wissens - das heißt in der Philosophie - das ist Vernunft im höchsten Sinn, „wie auch allein der Mensch sie hat." Damit kehrt Schelling zu dem zurück, was er in den Stuttgarter Privatvorlesungen skizziert hatte. Er wiederholt die Botschaft von der Unpersönlichkeit der Seele mit anderen Worten. Seele, so verstanden, hebt den Anthropozentrismus mit seiner dualistischen Grundlage auf, integriert den Menschen in die Natur. Der Brief an Maximilian greift die These vom Unpersönlichen der Seele auf. Selbstlosigkeit, als frei erstrebte, ist nicht mehr Passivität oder Potentialität der Seele. Selbstlosig42 F. W. J. Schelling, Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium der Wissenschaft (1797), SWII, 55. 43 Walter E. Ehrhardt (Hg.), Schelling Leonbergensis und Maximilian II. von Bayern. der Philosophie, Schellingiana 2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989,119-122.

Lehrstunden

150

HERMANN BRAUN

keit, die nur möglich ist als aus dem Ich frei ergriffene, ist moderater, etwas christlicher gedacht als jene „Vernichtung der Persönlichkeit" im Überschwang des Aufbruchs zum Unbedingten im Tübinger Stift. Der alte Schelling beruft sich auf den biblischen Begriff der Buße („Gott, sagt die Schrift, verlangt nicht den Tod - die Vernichtung - des Sünders, sondern daß er sich bekehre, d.h. umkehre"). Schellings Denken ist in seiner Lehre von der Persönlichkeit sachlich wenig ergiebig. Das phänomenologische Niveau, das Herder in seiner Kritik des extramundanen Personalisten Jacobi erreicht hat, sucht man bei Schelling - auch in der Freiheitsschrift - vergebens. Anders steht es in seiner Seelenlehre, welche die Größe des Menschen nicht in seinem nach Herrschaft über die Natur strebendem Geist, sondern in der kontemplativen Selbstvergessenheit erkennt. Würde sein Denken in eine Wende zur Anthropologie einmünden, so wäre er dem 19. Jahrhundert verhaftet. Er bliebe eine historische Variante zu seinem zeitgenössischen Anthropologen Feuerbach. So aber ist er für gegenwärtiges Denken relevant. Ernst Tugendhat hat gerade eine anthropologische Studie vorgelegt: Egozentrizität und Mystik. Er geht darin aus von dem mystischen Gefühl der Alleinheit, die vom Menschen aus einem Bedürfnis nach Seelenfrieden gesucht werde, im Unterschied zu anderen Tieren, Menschen als „Ich-Sager" sind fähig, sich in Distanz zu sich selber zu setzen, sachzugewandt und weltoffen - und damit zum Seelenfrieden in Selbstlosigkeit. Es ist ein mystisches Lebenskonzept nicht aus dem Selbstbezug, sondern in der Zuwendung zur nichtpersonalen Alleinheit und es öffnet den Dialog mit östlicher, mit buddhistischer Mystik, mit dem Taoismus. 44 Helmuth Plessner zitiert am Ende seines Vortrages über „Das Identitätssystem" aus Goethes „Wahlverwandtschaften": „Mit den Bäumen, die um uns blühen, mit jeder Staude, an der wir vorbeigehen, mit jedem Grashalm, über den wir hinwandeln, haben wir ein wahres Verhältnis, sie sind unsere echten Kompatrioten." Darin spreche sich nicht nur ein franziskanisches Gefühl, sondern eine bis heute ungehobene Erkenntnis aus.45 Bei Plessner und in Tugendhats anthropologischer Studie: wir und die anderen Tiere, der Ich-Sager und seine Sachlichkeit, die Ich sagt und in Distanz zu sich treten kann, so daß die Geringfügigkeit des Menschen im Universum die Unruhe des Ich-Sagens in Seelenfrieden aufgehen läßt, ohne der kompensatorischen Erhöhung über alles Animalische im sittlichen Existenzbewußtsein der Persönlichkeit im Sinne Kants zu bedürfen - da deuten sich Konvergenzen an, die den Spinozisten Schelling zu einem aktuellen Gesprächspartner werden lassen.

44 Ernst Tugendhat, Egozentrizität

und Mystik. Eine anthropologische

45 Helmuth Plessner, „Das Identitätssystem", in: Studio Philosophica,

Studie, München 2003, 137 f. Vol. XIV, Basel 1954, 84.

LORE H Ü H N

Selbstentfremdung und Gefährdung menschlichen Selbstseins. Zu einer Schlüsselfigur bei Schelling und Kierkegaard

Kierkegaards Interesse an Schellings Abhandlung Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809) ist wesentlich um einen Begriff zentriert, um den Begriff der Angst. Mit diesem Begriff hat Kierkegaard in seiner gleichnamigen, 1844 veröffentlichten Abhandlung eine ausgezeichnete psychologische Disposition im Blick, welche zugleich das ganze Spektrum menschlicher Freiheitserfahrungen ihren Möglichkeiten und Gefährdungen nach antizipierend in sich befasst. Und in der Tat ist die motivgeschichtliche Herkunft von der Schellingschen Freiheitsschrift und deren kosmologischer Schlüsselmetapher von der „Angst des Lebens"2 zu offenkundig, als dass sie ernsthaft je bestritten worden wäre. Nicht von ungefähr hat der Däne seinerseits es für angebracht gehalten, auf das von Schelling bevorzugte Metaphernfeld der „Angst",3 des „Schleiers) der Schwermuth",4 der „allem endlichen Leben anklebende(n) Traurigkeit"5 und der „tiefe(n) unzerstörliche(n) Melancholie alles Lebens"6 als seine philologisch einschlägige Bezugsquelle zu verweisen. Zudem hat er keinen Zweifel daran hat aufkommen lassen, dass er mit den Substantialisierungen jener kosmologisch überzeichneten Metaphern durch seinen philosophischen Mentor anderes und sehr viel weitreichenderes im Sinn hat, als etwa nur den universalen Geltungsanspruch jener Metaphern einzugrenzen, d.i. auf einen existenzdialektisch neu zu vermessenden, jedenfalls sehr viel engeren Rahmen zu beschränken und dergestalt zu übersetzen. Wie auch immer es um diese Übersetzungen in der Selbsteinschätzung Kierkegaards bestellt gewesen sein mag, die aufgeworfene Frage nach den motivgeschichtlichen Einflüssen wäre nicht der Erwähnung wert, ginge es nur um die Klärung philosophiegeschichtlicher Abhängigkeiten und um die Rangordnung innerhalb einer Erbnachfolge.7

1 2 3 4 5 6 7

F . W . J . Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände [= Freiheitsschrift], SW VII, 331-416. Freiheitsschrift, SW VII, 381. Ebd. Ebd., 399. Ebd. Ebd. Vgl. J. Hennigfeld: „Die Freiheit der Existenz. Schelling und Kierkegaard". In: Zeit und Freiheit. Schelling, Schopenhauer, Kierkegaard und Heidegger, hg. v. I.M. Feher u. W.G. Jacobs, Budapest 1999,83-93.

152

LORE HÜHN

Das philologisch nachweisbare Interesse Kierkegaards an Schellings Freiheitsabhandlung hat natürlich auch sehr viel tiefere Wurzeln als die, die bei aller Kongenialität seiner Lektüre der dänische Kritiker selber angibt und ausdrücklich verzeichnet.8 Und eine Untersuchung, der es um die Freilegung dieser Wurzeln geht, kann, sofern es ihr wirklich ernst ist, es selbstredend bei einem Vergleich geistesgeschichtlicher Gestalt nicht belassen, etwa dass der Deutsche schon die existenzdialektischen Themen anschlägt, die dann der Däne in eigener Sache ausbaut und zu Ende führt; oder dass umgekehrt Kierkegaard sich noch in den idealismuskritischen Bahnen jener Argumente bewegt, welche die Handschrift des Leonbergers nachweislich tragen.

1. Die tragische Dialektik des Bösen Kierkegaard vor dem Hintergrund Schellings zu lesen meint vielmehr, so die hier in erster Linie verfolgte Intention, den Ursprungsort einer negativistischen Entfremdungskritik freizulegen. Diese bezieht ihre Evidenz grundlegend daraus, sich - entschiedener als alle vergleichbaren Theorien des Spät- und Nachidealismus zusammengenommen - dem sündentheologischen Erbe des neuzeitlichen Autonomiegedankens ausgesetzt zu haben. Eben diesem Umstand verdankt jene Kritik schließlich ganz wesentlich ihren radikalen Impuls, das mit dem Autonomiegedanken untrennbar verbundene freiheitstheoretische Projekt der Moderne mit den verdrängten Potentialen seiner eigenen Herkunft konfrontieren zu können; und letzteres mit der Folge, dieses schon von seiner Konstitution her intern auf fundamentale Weise gleichermaßen gefährdete wie gefährlich werdende Projekt derart weitgehend in Frage stellen zu können, dass es schließlich als Freisetzungsprozess entziffert werden kann. Es ist der von Schelling und Kierkegaard gemeinsam getragene Befund, dass diese Freisetzung von Anfang an in geradezu pathologische Verzerrungen der Selbstgefährdung und Selbstzerstörung unseres menschlichen Selbstseins überzugehen droht. In den einschlägigen Worten der Freiheitsschrift: „Es ist im Bösen der sich selbst aufzehrende und immer vernichtende Widerspruch, daß es creatürlich zu werden strebt, eben indem es das Band der Creatürlichkeit vernichtet, und aus Uebermuth, alles zu seyn, ins Nichtseyn fällt."9 Schelling ist insbesondere darin der Wegbereiter Kierkegaards und dessen Theorie menschlichen Selbstseins, dass er diese genuin mit dem Begriff des Bösen verbundene Dialektik radikalisiert und jenen „sich selbst aufzehrende(n) und immer vernichtende(n) Widerspruch" als Folie aufspannt, vor welcher der Begriff menschlichen Selbstseins - aus der Sicht Kierkegaards - in allein gültiger Weise explizierbar wird. Der existentielle Selbstvollzug des Menschen ist für ihn von vorneherein und nicht erst nachträglich mit 8

Vgl. Tonny Aagaard Olesen: „Kierkegaards Schelling. Eine historische Einführung". In: Kierkegaard und Schelling. Freiheit, Angst und Wirklichkeit. Berlin/New York 2 0 0 3 , 1 - 1 0 2 .

9

Freiheitsschrift,

SW VII, 390 f.

Hg. Jochem Hennigfeld und Jon Steward.

SELBSTENTFREMDUNG UND GEFÄHRDUNG MENSCHLICHEN SELBSTSEINS

153

einer tiefgreifenden Gefährdung konfrontiert. Hierin konvergiert der Kierkegaardsche Impuls einer existentiellen Auslegung menschlichen Selbstseins mit der Stoßrichtung des Ansatzes von Schellings Theorie des Bösen. Denn Schelling hat diese Gefährdung als eine ursprüngliche Dimension nicht nur der Persönlichkeit des Menschen, vielmehr in einem sehr viel weiteren Sinne als die der Sphäre unserer „Creatürlichkeit expliziert. Schelling ist aber noch aus einem anderen Grund der Wegbereiter. Schließlich ist er in seiner Freiheitsschrift der erste unter den idealistischen Zeitgenossen, der die tragische Dialektik jenes „sich selbst aufzehrende(n) und immer vernichtende(n) Widerspruch(s)" 10 bis in die Paradoxien eines sich entfremdenden und sich in dieser Entfremdung ethisch begreifenden menschlichen Selbstseins zur Darstellung gebracht hat. Es sind die traditionell stark besetzten Paradoxien der Lutherischen Satanologie, zumal die des „umgekehrtein) Gotte(s)" 11 und diejenigen der Logik schlechter Unendlichkeit („Hunger der Selbstsucht", 12 „in sich selbst laufende Rad der anfänglichen Geburt"13), die Schelling bewusst einsetzt, um jene Dialektik bis in die tiefsten, zumal affektiven Filiationen menschlichen Selbstseins in ihrer ganzen Tragik ausbuchstabieren zu können. 14

10 11 12 13

Ebd. Ebd., 390. Ebd. Vgl. F.W.J. Schelling, Die Weltalter. Bruchstück (Aus dem handschriftlichen Nachlaß) (1814 oder 1815) [= Weltalter 3. Fassung], SW VIII, 337. 14 Es ist die durch Luthers Satanologie wirkmächtig gewordene Metapher vom „umgekehrte(n) Gott" (Freiheitsschrift, SWVII, 390), an welcher nicht nur Schelling, vielmehr auch Kierkegaard seinen Versuch orientiert, den zum Äußersten gespannten Bogen zwischen abgrundtiefer Gottesverlassenheit und Gottesnähe in einer einzigen, paradox gebrochenen Grundkonstellation unterzubringen, die beides auf sich in einer nur schwer ausmachbaren Weise vereint. Der in dieser Metapher verzeichnete Selbstwiderspruch des Bösen - d.i. in den Worten Schellings „der sich selbst aufzehrende und immer vernichtende Widerspruch, daß es [das Böse, L.H.] creatürlich zu werden strebt, eben indem es das Band der Creatürlichkeit vernichtet, und aus Übermuth, alles zu seyn, ins Nichtseyn fällt" (SWVII, 390 f.) - ist nämlich zugleich der Selbstwiderspruch, welcher der latenten Suchtstruktur zugrunde liegt, die in den Augen des Dänen die Unruhe in der „Verzweiflung, verzweifelt man selbst sein zu wollen", im Trotz (Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, GW1, 17, 67 ff.; SV 1 XI, 178 ff.) ausmacht und dort als Form dämonischer Verschlossenheit sich äußert: „Diese Verstecktheit ist gerade etwas Geistiges, und eines der Vorbeugungsmittel, um sich gleichsam hinter der Wirklichkeit den Besitz einer Eiη Schließung zu sichern, einer Welt ausschließlich für sich selbst, einer Welt, in der das verzweifelte Selbst rastlos und tantalisch damit beschäftigt ist, es selbst sein zu wollen." (Ebd., 73f.; SV 1 XI, 184).

154

LORE H Ü H N

2. Die sündentheologische Signatur der Dialektik Für die strukturelle Nähe zu Kierkegaard spricht vor allem, dass Schelling der tragischen Dialektik jener Selbstentfremdung eine explizit theologische Signatur gegeben hat. Es ist das Vorzeichen der Sündentheologie, unter deren Dach der Idealist diese Dialektik zur Entfaltung bringt. Für Schelling nicht anders als für Kierkegaard liegt der erste Gebrauch menschlicher Freiheit in deren tragischer Selbstverfehlung, - einer Selbstverfehlung, die beide als nicht nur in einem verantwortungsethischen Sinne als Schuld, vielmehr bewusst als Sünde deuten. Kierkegaard geht bekanntlich in seiner Angstabhandlung so weit, dass er die Setzung des „eigentliche(n) Selbst" mit Sünde gleichsetzt.15 „Der Begriff Sünde und Schuld setzt eben den Einzelnen als den Einzelnen." 16 Und ferner: „Aber das eigentliche ,Selbst' ist erst gesetzt im qualitativen Sprunge. In dem vorhergehenden Zustande kann nicht davon die Rede sein. Wenn man daher die Sünde aus dem Selbstischen erklären will, so verwickelt man sich in Unklarheiten, da es ja umgekehrt erst durch die Sünde und in der Sünde zum Werden des Selbstischen kommt." 17 Es ist die von mir vertretene These, dass Kierkegaard die Fäden der sündentheologischen Tradition bewusst und bezeichnenderweise im ständigen Gespräch mit Schelling aufnimmt. 18 Schließlich hat der um achtunddreißig Jahre Ältere es sich seinerseits schon nicht nehmen lassen, im Horizont des sündentheologischen Erbes seine Enttäuschungen darüber zu verarbeiten, dass ausgerechnet mit der Radikalisierung des neuzeitlichen Freiheitsimpulses dort die Selbstentfremdung des Menschen am größten geworden ist, wo dieser Impuls über den Gedanken einer unbedingten, rein geltungstheoretisch begründeten Selbstanfänglichkeit argumentativ abgefedert wird.19 Doch um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen: So sehr man davon ausgehen kann und ausgehen muss, dass Kierkegaard sich in seiner sündentheologischen Lesart des Autonomiegedankens an den Vorgaben Schellings orientiert, so wenig ist mit der Aufdeckung der genetischen Herkunft dieser Lesart freilich etwas über deren Geltung ausgesagt und bewiesen. 20 Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass die Oberflächensemantik der Angstabhandlung 15 Kierkegaard, Der Begriff Angst, GW 1 , 7 , 7 9 f . ; SV 1 IV, 347 f. 16 Ebd., 100; IV, 367. 17 Ebd., 80; IV 348. 18 „So ist denn der Anfang der Sünde, daß der Mensch aus dem eigentlichen Sein in das Nichtsein, aus der Wahrheit in die Lüge, aus dem Licht in die Finsternis übertritt, um selbst schaffender Grund zu werden, und mit der Macht des Centri, das er in sich hat, über alle Dinge zu herrschen. [...] Übrigens erfüllt die offenbare Sünde nicht wie bloße Schwäche und Unvermögen mit Bedauern, sondern mit Schrecken und Horror, ein Gefühl, das nur daher erklärbar ist, daß sie das Wort zu brechen, den Grund der Schöpfung anzutasten und das Mysterium zu profaniren strebt." (Freiheitsschrift, SW VII, 390 f.). 19 Vgl. F. Hermanni, Die letzte Entlastung. zeeprojektes

in Schellings Philosophie

Vollendung und Scheitern des abendländischen

20 Vgl. Ch. Danz, Religion als Freiheitsbewusstsein. stitutionsbedingungen

individueller

Theodi-

[= Die letzte Entlastung], Wien 1994,143ff. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Kon-

Subjektivität bei Paul Tillich, Berlin/New York 2000, 182 ff.

SELBSTENTFREMDUNG UND GEFÄHRDUNG MENSCHLICHEN SELBSTSEINS

155

Kierkegaards von Begriffen und Metaphern Schellings förmlich durchzogen ist und er selber in zahlreichen Kontexten ausdrücklich auf die Freiheitsschrift des Idealisten als den entscheidenden Referenzpunkt seiner Existenzdialektik hingewiesen hat.21 Kein Zweifel schließlich, dass es Schelling ist, der die freiheitstheoretische Inversion des sündentheologischen Erbes gewissermaßen in statu nascendi nachzeichnet. Damit lässt er die Motive, Fragerichtungen und leitenden Intentionen desjenigen Prozesses in besonderer Deutlichkeit hervortreten, nach dessen Maßgabe sich die neuzeitliche Definition vom Wesen unserer menschlichen Freiheit geradewegs herausgebildet hat. Entgegen allen verflachenden Theorien einer nur säkularisierenden Wiederaufnahme dieses Erbes betont Schelling die förmlich organisierende Wirkmächtigkeit der Sündentheologie inmitten des freiheitstheoretischen Projektes selber. Hierin liegt der Kern seiner Auseinandersetzung mit dem Jenaer Fichte, - eine Auseinandersetzung, die bereits 1804 in dem berühmt-berüchtigten Vorwurf gegen die Konstruktion der Fichteschen Tathandlung gipfelte, diese bringe das neuzeitliche „Prinzip des Sündenfalls" 22 förmlich in Reinform zur Darstellung.

3. Sündentheologie: Die Dialektik einer Wiederkehr des Verdrängten Es ist letztlich die Dialektik einer Wiederkehr des Verdrängten, an der Schelling die bindende und strukturierende Präsenz der Wirkmächtigkeit des sündentheologischen Erbes anschaulich zu machen versucht. Für diese Dialektik ist kennzeichnend, dass sie in den Formen der Wiederkehr auf ungleich radikalerem Niveau, zumal in den Modi extremer Entfremdung, dem zur Wirklichkeit verhilft, was aus den Fundamenten der Idee unbedingter Selbstanfänglichkeit menschlicher Freiheit ja erklärtermaßen durchgestrichen und eliminiert werden sollte. Was geschieht, wenn man - um der Flurbereinigung einer von jedwedem historischen Antrieb befreiten Selbstanfänglichkeit menschlicher Freiheit willen - noch die förmlich letzte Spur einer ontologisch vorgelagerten Gottesbeziehung aus eben dieser Selbstanfänglichkeit zu tilgen sucht, ohne an deren Recht auch nur mit einer Zeile festzuhalten, bezeugen nach der bekannten Maxime der Dialektik diese Modi auf ihre höchst unzweideutige Weise. Sie tragen nicht umsonst allesamt und über jede sonstige Differenz hinweg den Index einer misslungenen und stets misslingenden Ablösung, wobei dieser Index freilich alles andere als von ahistorischer und ethisch indifferenter Natur ist. Zum Misslingen dieser Ablösung trägt aber nicht nur die offenkundig ungeklärte Frontstellung zu einer ontotheologischen Tradition bei, die sich in dem Maße wieder zu Wort meldet, wie sie auf der verbalisierten Oberfläche für obsolet erklärt wird. Kennzeichnend für die völlig falsche Weise, wie diese Tradition hinter sich gelassen und entsprechend falsch auch ihr Erbe angetreten wird, ist vor allem die Bewusstlosigkeit über 21 Vgl. J. Hennigfeld, F.W.J.

Schellings

„Philosophische

menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden 22 Vgl. Schelling, Philosophie und Religion, SW VI, 43.

Untersuchung

über das Wesen

Gegenstände ", Darmstadt 2001, 11 ff.

der

156

LORE HÜHN

den eigenen Selbstvollzug, - eine Bewusstlosigkeit, die sich gleichermaßen auf den Akt des Ausgrenzens selber wie auf die intentional in diesem Akt ausgegrenzte Beziehung auf ein Anderes erstreckt. Dieses Andere hat Schelling bekanntermaßen als den in Gott hinterlegten Grund der Ermöglichung unserer menschlichen Freiheit gedeutet, - einen Grund, der zwar von Gott, sofern er existiert - so der bekannte theodizeekonforme Kern der Freiheitsschrift - wohl unterschieden werden muss, selbst wenn er - theismusgemäß in ihm liegt. Kein Zweifel auch, dass es die Stärke des Strukturmodells einer Wiederkehr des Verdrängten ist, sich ausdrücklich und seit jeher an der Logik ruinöser Selbstausgrenzungen orientiert zu haben und in der Folge dann auch dazu prädestiniert zu sein, einen Explikationsrahmen dafür anzubieten und bereitzustellen, Entfremdungsphänomene ihrer ganzen abgründigen Negativität nach zu analysieren. Dieses Strukturmodell ist indes philosophischen Ursprungs.23 Lange bevor es auf den verschlungenen Wegen der Tradition der Philosophie des Unbewussten zur Psychoanalyse Freud'schen Typs gelangte und darüber zur Schlüsselfigur einer Dialektik der Aufklärung unserer Tage avancierte, diente es als philosophische Leitvorstellung, welche die Entfremdungskritiken des 18. Jahrhunderts strukturierte. Schelüng und in seiner Nachfolge Kierkegaard dürften das Ihre zur Karriere eines Modells beigetragen haben, das am Ende seiner weitverzweigten Geschichte in dem Maße an Bedeutung zu gewinnen scheint, in dem man den allgemeinen Entfremdungszusammenhang der Moderne schlicht für so unentrinnbar erklärt, dass selbst noch der naive Versuch, ihm zu entkommen, von ihm - so der negativistisch verschärfte Giundzug dieser Figur - ereilt und eingeholt zu werden droht.24 Der argumentationsstrategische Gewinn dieses Modells dürfte insbesondere vor dem Hintergrund einer Tradition auf der Hand liegen, welche im zeitgeschichtlichen Horizont Schellings beinahe geschlossen dazu neigte, Entfremdungsphänomene keineswegs als nur nichtseinsollende Randerscheinungen abzutun und als privativ zu marginalisieren. Mit Schelling weiß Kierkegaard sich nicht nur darin einig, dass die sündentheologische Tradition ein gewissermaßen neuzeitresistentes Entwicklungspotential in sich birgt, das sich auch unter den Bedingungen ihres Plausibilitätsverlustes, ja mehr noch unter denen ihrer Diskreditierung bewährt. Die noch so beharrlich betriebene Diskreditierung dieser Tradition - so die gemeinsame Ausgangslage - hat deren Erfahrangs- und Wahrheitsgehalte nicht nur nicht zum Verschwinden bringen können, die Hartnäckigkeit ihres Überlebens drängt sich im Gegenteil als ein explicandum auf, das umgekehrt förmlich die Deutung herausfordert. Lange bevor Kierkegaard davon überhaupt hat Notiz nehmen können, hatte Schelling - in Parteinahme für die Argumente Jacobis in den Streitsachen um den Vorwurf des Atheismus gegen den Jenaer Fichte - immer wieder und insbesondere im Jahre 1809 en detail den Beweis dafür anzutreten versucht, inwieweit diese Diskreditierung von ihrem eigenen Verdikt eingeholt wird. Diese Diskreditierung lebt nicht nur in 23 Vgl. E. Angehrn, Die Überwindung des Chaos. Zur Philosophie der Mythos, Frankfurt/M. 1996, 77 ff. 24 G. Figal, „Kulturkritik, Aufklärung und hermeneutische Kehre", in: G. Figal, Der Sinn des Verstehen, Stuttgart 1996,83 ff.

157

SELBSTENTFREMDUNG UND GEFÄHRDUNG MENSCHLICHEN SELBSTSEINS

Verkennung ihrer Herkunft von einem sündentheologischen Apriori, sondern setzt es vielmehr in einem die klassischen Hamartiologie weit hinter sich lassenden Sinne - so die These - selber frei. Wie gesagt, für die ganze Zwiespältigkeit dieses Freisetzungsprozesses steht in der acht Jahre nach dem Atheismusstreit verfassten Freiheitsschrift die Auseinandersetzung mit Fichte und der in erster Linie kritisch an seine Adresse gerichteten Metapher des „umgekehrten Gottes" ein. „Der umgekehrte Gott", welcher als Folge der prometheischen Hybris des Menschen, „selber schaffender Grund zu werden", an „die Stelle, da Gott seyn sollte",25 tritt, gibt die Dialektik für einen Prozess vor, welcher Gott nicht wahrhaft und wirklich, sondern nur in der Weise ausgrenzt, als dieser im Modus der Verdrängung - genauer im Modus bloßer Umkehr - fortan gegenwärtig bleibt.26 Diese Diskreditierung bringt demnach jene auf den Menschen in Gestalt einer universalen Selbstentfremdung zurückschlagende, verkehrte Gottesbeziehung selber hervor mithin die Beziehung, welche sie als solche nun aber gerade aufzuheben beansprucht; und wie gesagt dies gerade in dem Maße, wie sie - um einer von jedwedem historischen Antrieb befreiten Selbstanfänglichkeit willen - noch die letzte Spur einer vorgelagerten Gottesbeziehung aus eben diesen Anfang gestrichen zu haben vorgibt. Unter den bekannten Auspizien dieser freiheitstheoretischen Inversion dürfte es kaum überraschen, dass die Verkehrung jener Gottesbeziehung, für die der religiöse Begriff der Sünde von jeher ja nur eine abkürzende Redeweise gewesen ist, einen grundlegenden und womöglich sogar paradigmatisch zu nennenden Bedeutungswandel an sich erfährt: Stellt die Verkehrung jener Gottesbeziehung ihrem historisch angestammten Wortsinn nach einen bloß privativen Akt dar, so verwandelt er sich durch diese Inversion zu einem positiven - mithin zu dem Akt einer solchen Verkehrung, die nicht nur die Peripherie, vielmehr das Ganze dieser Verhältnisstruktur vom Zentrum her ergreift und umstülpt.27 Es ist der Ansatz einer schöpfiingstheologischen Anthropologie, der Schelling schreiben lässt: Die Angst des Lebens selbst treibt den Menschen aus dem Centrum, in das er erschaffen worden; denn dieses als das lauterste Wesen alles Willens ist jeden besonderen Willen verzehrendes Feuer; um in ihm leben zu können, muß der Mensch aller Eigenheit absterben, weshalb es ein fast notwendiger Versuch ist, aus diesem in die Peripherie herauszutreten, um da eine Ruhe seiner Selbstheit zu suchen. Daher die allgemeine Notwendigkeit der

25 Freiheitsschrift,

SW VII, 390.

26 Was es heißt, die Anwesenheit Gottes im Modus extremer Verkehrung innerweltlich zu bezeugen, selbst da, wo die Präsenz seiner Anwesenheit bis hin zur Unkenntlichkeit verdeckt scheint, hat Schelling exemplarisch vorgeführt. Den Nachweis dafür habe ich an anderer Stelle zu erbringen versucht. Vgl. Lore Hühn, „Die intelligible Tat. Zu einer Gemeinsamkeit Schellings und Schopenhauers", in: Christian Iber u. a. (Hg.), Selbstbesinnung kritischen Hermeneutik ihrer Grundbegriffe,

der philosophischen

Moderne. Beiträge

zur

Cuxhaven 1988, 55-94.

27 Vgl. P.L. Oesterreich, „.Positive Verkehrtheit'. Die Figur des Bösen bei Schelling und Machiavelli", Philosophisches 79 ff.

Jahrbuch 102 (1995J, 249-260; ferner F. Hermanni, Die letzte

Entlastung,

158

LORE HÜHN

Sünde und des Todes, als des wirklichen Absterbens der Eigenheit, durch welches aller menschlicher Wille als ein Feuer hindurchgehen muß, um geläutert zu werden. 28

Zugespitzt formuliert: In dem Maße, in dem die positive Verkehrung total wird, in dem Maße gerät die geschlossene Logik von selbstverschuldeter, (aktiv) herbeigeführter Verkehrung und (passiv) widerfahrener Entfremdung zu einem Zwangszusammenhang, der die ganze Tragik des neuzeitlichen Freiheitsbegriffes auf sich in nuce vereint.29 Es ist für die Pointe der hier zur Debatte stehenden sündentheologischen Lesart des Autonomiegedankens aber in erster Linie gar nicht einmal so erheblich, dass Täter und Opfer dergestalt zusammenfallen. Entscheidend ist vielmehr, dass diese Lesart den Begriff der Sünde in einem so engen Sinne an den unserer menschlichen Freiheit bindet, dass die Sünde auf einmal selbst zu einem im starken Sinne des Wortes ursprünglichen und positiven Freiheitsgeschehen gerät - einem Geschehen, das man weder vermeiden noch einfach überwinden kann, gerade weil es von seinem Ursprung her gar keine Alternativen zulässt. Zweifellos spricht es für die Modernität des Modells einer Wiederkehr des Verdrängten, dass es sich einer rückhaltlosen und nicht nur nachträglich vermerkten Anerkennung negativistischer Härten stellt und dafür öffnet, diese Härten in der grundlegenden Verfassung unseres Daseins intern angelegt und ursprünglich veranlasst zu sehen. Diese Negativität wird hier beileibe nicht nur abstrakt beschworen, vielmehr findet dieses Modell seine äußerste Spitze darin, die Aporetik eines destruktiv gegen sich selbst ausschlagenden Gebrauchs der menschlichen Freiheit als einen im ursprünglichen Vollzug eben dieser Freiheit fundierten und verankerten Selbstwiderspruch transparent zu machen. Doch wer diese Fundierungsoption einseitig nur als Stärke dieses Strukturmodells zu rühmen geneigt ist, übersieht allzu leicht die grundlegende Schwierigkeit, dass ja dieses Modell zunächst einmal die Probe auf die eigene Tragfähigkeit machen und bestehen muss. Denn wann immer eine Analyse die Deutung negativistischer Entfremdungsphänomene in ihre buchstäblich letzten Konsequenzen treibt und als prinzipiell misslingende Selbstverfehlungen vergegenwärtigt, steht immer auch der philosophische Wahrheitsgehalt eben dieser Deutung selber stets mit auf dem Spiel. Evidentermaßen liegt es im ureigensten Interesse der Deutung, Hinsichtsunterscheidungen parat zu haben und angeben zu können, die sie vor dem nahe liegenden Verdacht schützen, von dem eigenen Verdikt hinterrücks eingeholt zu werden, d.i. der inneren Logik des von ihr diagnostizierten Entfremdungszusammenhangs - wie subtil auch immer - zu erliegen. Man muss jedoch nicht immer gleich die nur allzu bekannten Paradoxien einer ins Extrem gewendeten universalen Entfremdungskritik bemühen und einmal mehr ihre ruinösen Folgen ausbuchstabieren, um die Schwierigkeiten zu ermessen, die eine dem starken Wortsinne nach sündentheologische Lesart des neuzeitlichen Autonomiegedankens von Hause aus mit sich bringt.30 Schließlich geht diese in all ihren facettenreichen Nuancie-

28 Freiheitsschrift,

SW VII, 381.

29 Vgl. A. Pieper, „Die Wurzel des Bösen im Selbst", in: O. Höffe und A. Pieper (Hg.), Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, Berlin 1995,95 ff. 30 Vgl. P. Tillich, Systematische

Theologie, Bd.II, Stuttgart 1958,43 ff.

F.W.J.

SELBSTENTFREMDUNG U N D GEFÄHRDUNG MENSCHLICHEN SELBSTSEINS

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rungen doch davon aus, dass der Gebrauch unserer Freiheit von Anfang an in ihrem Missbrauch liegt.31 Es ist die Grundannahme des hier in Rede stehenden sündentheologischen Modells, dass der erste Vollzug unserer Freiheit bereits eine schuldhafte und obendrein sündhafte Verfehlung dieser selbst ist. Und es ist im Grunde bereits gesagt, dass die Glaubwürdigkeit einer solchen Lesart letztlich damit steht und fällt, dass sie ein Differenzkriterium wirklich geltend machen kann, das erlaubt, den Freiheitsgebrauch als solchen von dem seiner sich selbst entfremdeten und pervertierten Gestalt zu unterscheiden. Zudem kann von einer immanenten Selbstverfehlung menschlicher Freiheit nur dann die Rede sein, wenn man auf die eine oder andere Weise die ihrerseits gar nicht mehr zur Disposition stehende Forderung immer schon anerkannt hat, dass ein jeder Freiheitsvollzug sich dem eigenen Imperativ noch einmal selber unterwirft, dem nämlich, dass er ein sich selbst bestimmender und sich auf die Ermöglichung seiner Genese hin auslegender sein soll. Die Annahme, dass der erste Vollzug unserer Freiheit zu einer schuldhaften Verfehlung ihrer selbst gerät, fordert schließlich die Frage nach den ermöglichenden und maßstäblichen Bedingungen in dieser Selbstverfehlung förmlich heraus. Kierkegaard ist darin der Nachfolger des mittleren Schelling, dass er diese Frage weder einfach nur offen lässt, noch sie mit einer in ihrer eigenen Selbstvoraussetzung sich erschöpfenden Tautologie beantwortet. Vielmehr unterbreitet er den Befund einer mit sich selbst zerfallenen Moderne in einer Form, welche sich aus längst profanisierten Quellen der sündentheologischen Überlieferung speist. Dies aber tut er, ohne sich darüber zu betrügen, dass der Abstand, der dieser Überlieferung gegenüber eingehalten und begründet werden muss, noch von deren normativen Gehalten lebt und von deren Überzeugungskraft zehrt. Kein Zweifel besteht ferner, dass der 38 Jahre jüngere Däne das Schellingsche Erbe auch insofern antritt, als er weder ungeschützt noch naiv nur mit einer sündentheologischen Lesart des neuzeitlichen Autonomiegedankens aufwartet, so als ob die bindende und strukturierende Kraft dieses ontotheologischen Ordnungsgefüges ungebrochen und in selbstverständlicher Kontinuität in Dienst genommen und dergestalt erworben werden könnte.

4. Die Revision des neuzeitlichen Autonomiebegriffs Es ist die Grundüberzeugung, die über alle Differenzen und Akzentverschiebungen hinweg der Däne mit dem Idealisten teilt, nach der die Sündentheologie regelrecht den Schlüssel zum Innersten sich selbst entfremdeter Grandkonstellationen menschlichen Selbstseins liefere und auch die Hermeneutik an die Hand gebe, mit der man diese Konstellationen gleichermaßen analysieren wie kritisieren könne. Zudem bringt bereits der Leonberger in eigener Sache zu Bewusstsein, dass zunächst einmal der Wahrheitsgehalt der sündentheologischen Tradition in die philosophische Sprache des freiheitstheoretisch ambitionierten Systemdenkens idealistischer Provenienz übersetzt werden muss, bevor eine 31 M. Theunissen, Der Begriff Verzweiflung.

Korrekturen

an Kierkegaard,

Frankfurt/M. 1 9 9 3 , 5 7 ff.

160

LORE HÜHN

solche Tradition überhaupt Aussicht hat, Gehör und vor allem einen Resonanzboden zu finden. Diese Übersetzung ist indes die Kehrseite und Antwort zugleich auf den in erster Linie gegen Fichte gehegten Argwohn, es sei eine Sackgasse des neuzeitlichen Projektes insgesamt gewesen, das sündentheologische Erbe an den Rand gedrängt, ja mit dem erklärten Ziel seiner restlosen subjektivitätstheoretischen Inversion letzten Endes seiner Suspendierung das Wort geredet zu haben. Und wie gezeigt: Dass diese Suspension nach der vertrauten Maxime der Wiederkehr des Verdrängten - gründlicher gar nicht hätte misslingen können, ja dass sie eine Wirklichkeit heraufbeschwört, deren Gewicht schwerer wiegen dürfte als all das, was sie längst für obsolet und erledigt erklärt, ist der Kern eines sensibilisierten Autonomiebewusstseins, das - auch ganz unabhängig von der christologischen Semantik, in der es sich anfänglich artikuliert - seinen Weg in die philosophischen Debatten des Nachidealismus gefunden haben dürfte. Nicht viel anders als für Schelling steht für den jüngeren Dänen völlig außer Frage, dass allein aus dem Bewusstseins des Scheitems heraus begonnen werden kann, an die freiheitstheoretische Inversion der Sündentheologie anzuknüpfen und diese dergestalt zu reformulieren. Nur einem oberflächlichen Blick kann schließlich entgehen, dass dasjenige, was ursprünglich von Schelling in einer inneridealistischen Kontroverse um die nach Maßgabe der causa sui verfassten Selbstsetzungsfiguren radikaler Anfänglichkeit als (antifichtescher) Treibsatz gedacht war, unversehens sich in einen Sprengsatz verwandelt, insofern nämlich, als Kierkegaard in seinem existentiell geschärften Blick für die Gefährdungen, die jene misslungene Form einer Ablösung der Sündentheologie zeitigt, die Spuren der ganzen Kontroverse gar nicht mehr eigens verzeichnet, vielmehr von diesen rundweg ausgeht. So anthropologisch neutralisierend und entzeitlicht die mit Erbsündenmetaphern durchzogene symbolische Redeweise Kierkegaards, zumal die des Trotzes (suberbia) und die der Verzweiflung (desperatio), sich bisweilen auch anhört, hinter dieser Rede steht der modernitätskritische Befund, wonach das neuzeitliche Autonomieverständnis in der Option voraussetzungslosen Aus-und-durch-sich-selbst-Seins unentwegt das ausschließt, worin es in seinem freigegebenen Ermöglichtsein durch einen in Gott hinterlegten Grund charakterisiert und definiert ist. Dass die Stabilität eines solchen freiheitstheoretischen Selbstvollzuges nur in einem beständigen Selbstwiderspruch mit sich aufrechterhalten werden kann, indem jener in derselben Hinsicht ausschließt, worüber er sich geradewegs definiert - dies macht die Unruhe in einer sich selbst ermächtigenden Dynamik aus. In den Augen Kierkegaards liegt sie nicht zufällig allen prometheisch-hybriden Formen der Selbstermächtigung, zumal denen in Gestalt verzweifelten, trotzigen Selbstseinwollens32 im Letzten zugrunde. Der Kopenhagener ist auch insofern der Nachfolger Schellings, als er die der Logik einer solchen Ermächtigung innewohnende Verdrängungsleistung - zumal wenn sie im Gewand einer zu zeitloser und apriorischer Geltung gelangten Selbstsetzung auftritt und damit als solche womöglich gar nicht mehr kenntlich sein sollte - tatsächlich auch als eine solche Verdrängungsleistung philosophisch zur Sprache bringt.

32 Vgl. ebd. 80f. und 120ff.

SELBSTENTFREMDUNG UND GEFÄHRDUNG MENSCHLICHEN SELBSTSEINS

161

Hatte Schelling diese Verdrängungsleistung schon in einem strikt verantwortungsethischen Sinne als Schuld und in einem hamartiologisch geschärften und sündentheologisch abermals radikalisierten Sinne als Selbstverfehlung einer unvordenklichen Gottesbeziehung gedeutet, so erst recht der Däne. Dieser spitzt die sündentheologische Verschärfung förmlich noch einmal zu, indem er sie zum Vorzeichen gewissermaßen schon vor der Klammer macht, innerhalb deren er die von ihm in den Blick genommenen vielfachen Weisen des Scheiterns eines in seinen Augen von vorneherein gefährdeten und labilen Selbstverhältnisses des Menschen glaubt unterbringen zu können. Es handelt es sich, um im Bilde zu bleiben, um ein Vorzeichen, das er vor ein bereits in sich verstelltes und verkehrtes Koordinatensystem setzt, wobei die Art und Weise, wie er der in diesem Vorzeichen eingetragenen Spannung innerweltlich Präsenz verleiht, zugleich den existenzdialektischen Nerv seiner Analysen verzweifelten Selbstseinwollens widerspiegelt. Diese Analysen können nämlich Gehalt und Reichweite des Programms verdeutlichen, dem der dänische Nachfolger mit seiner auf das Ganze ausgreifenden Rede „verzweifelt man selbst sein wollen" Ausdruck verleihen will. In den einschlägigen Worten des Dänen hört sich dies so an: Ein solches abgeleitetes Verhältnis ist des Menschen Selbst, ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält, und, indem es sich zu sich selbst verhält, zu einem Andern sich verhält. Daher kommt es, daß für eigentliche Verzweiflung zwei Formen möglich werden. Hätte des Menschen Selbst sich selber gesetzt, so könnte nur von einer Form die Rede sein, von der, nicht man selbst sein zu wollen, sich selbst los werden zu wollen, aber es könnte nicht davon die Rede sein, daß man verzweifelt man selbst sein will. Letztere Formel ist nämlich der Ausdruck für die Abhängigkeit des ganzen Verhältnisses (des Selbst), der Ausdruck dafür, daß das Selbst durch sich selber nicht zu Gleichgewicht und Ruhe gelangen oder darinnen sein kann, sondern allein dadurch, daß es, indem es sich zu sich selbst verhält, zu demjenigen sich verhält, welches das ganze Verhältnis gesetzt hat.33

Freiheit ist für Schelling, nicht anders als für Kierkegaard, Freiheit unter einem Maßstab, wobei es ihre gemeinsame Grundintuition ist, dass dieser Maßstab nirgendwo einfach gegeben, vielmehr erst vor dem Erfahrungshintergrund der geschichtlichen Situiertheit des Menschen in einer Moderne zu ermitteln sei, - einer Moderne, die - so der zeitdiagnostische Befund - gerade dasjenige von sich glaubt ausschließen zu müssen, wessen sie, wie gesagt, in ihrer Option voraussetzungslosen Aus-und-durch-sich-selbst-Seins am meisten bedarf: der Erinnerung an die Herkunft, die bezogen auf das Weltverhältnis des Menschen diesen in der Gegebenheitsweise seiner Faktizität so begreift, dass die Anerkennung eben dieser Abhängigkeit zum Kern einer Revision des neuzeitlichen Autonomiebegriffs selber wird. Diese Revision hat Kierkegaard als Ausdruck dafür gewertet, „daß das Selbst durch sich selber nicht zu Gleichgewicht und Ruhe gelangen oder darinnen sein kann, sondern allein dadurch, daß es, indem es sich zu sich selbst verhält, zu demjenigen sich verhält, welches das ganze Verhältnis gesetzt hat."34 Schelling hat diese Bestimmung des Verhältnisses menschlichen Selbstsein mit seiner Konstruktion eines internen Dualismus in Gott 33 Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, GW 1, 17,9; SV 1 XI, 128. 34 Ebd.

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LORE HÜHN

wohl vorbereitet: der Unterscheidung zwischen einem Gott, sofern er existiert35 und einem davon wohl zu unterscheidenden Grund von Existenz,36 der gleichwohl in Gott zu sein beansprucht.37 Die Revision des neuzeitlichen Autonomiebegriffs vollzieht sich hier wie dort - so lässt sich zusammenfassen - unter dem Vorzeichen einer anthropologischen Kehre,38 welche bis in ihre terminologischen Prägungen hinein theologisch überformt ist. Denn tatsächlich bezieht sie nachweislich ihre maßgebliche Semantik aus dem christlichen Erfahrungshorizont einer Rede über ein Selbstverhältnis des Menschen, das den Grund seiner Existenz in sich und darin zugleich in Gott hat.

35 Freiheitsschrift, SWVII, 358. 36 Ebd. 37 Vgl. F. Heimanni, Die letzte Entlastung. 38 Vgl. M. Theunissen, „Schellings anthropologischer Ansatz", Archiv für Geschichte der Philosophie, 41 (1965), 174-189.

Der personale Gott

FRIEDRICH HERMANNI

Der Grund der Persönlichkeit Gottes

Das „Daseyn Gottes als persönlichen Wesens ist Gegenstand - recht eigentlich der Wissenschaft, und nicht nur überhaupt, sondern ihr höchster, letzter Gegenstand, das Ziel ihres Strebens, nach dem sie zu allen Zeiten gerungen hat, und das sie gerade zu der Zeit erreicht, da Hr. Jacobi noch Einmal es vor ihren Augen hin wegreißen will".1 Diesen erst vor kurzem erzielten Erfolg, den Schelling in seiner Streitschrift gegen Jacobi vermeldet, schreibt er mit sichtlichem Stolz seiner eigenen, drei Jahre zuvor erschienenen Freiheitsschrift zu. Dort habe er nämlich „den Begriff [...] der Persönlichkeit des höchsten Wesens nicht nur erklärt, sondern objektiv zu begründen gesucht". 2 Durch die Unterscheidung zwischen Gott selbst als Existierendem und dem Grund seiner Existenz, die ich kurz als Internen Dualismus bezeichne, sah sich Schelling im Besitz der theoretischen Mittel, um die in der zeitgenössischen Philosophie umstrittene Frage, ob Gott ein persönliches Wesen sei, begründetermaßen zu bejahen. Denn „solange nicht in Gott eine wirkliche Zweiheit erkannt" 3 sei, könne er nicht als ein persönliches Wesen gedacht werden. Daher ist es nach Schelling konsequent, wenn Spinoza und Fichte, die nur ein ontologisches Prinzip kennen, die Persönlichkeit Gottes bestreiten.4 Jacobi dagegen verwickele sich in einen Widerspruch, weil er einen von Gott selbst unterschiedenen Grund in Gott leugne und dennoch an seinem Bekenntnis zu einem persönlichen Gott festhalte. Wer sich die Denkbarkeit eines persönlichen Gottes von vornherein verbaut, dem könne nachher auch kein Salto mortale mehr helfen. 5 Meine folgenden Überlegungen gliedern sich in zwei Abschnitte. Bevor ich im zweiten Abschnitt dem Begründungszusammenhang zwischen dem Internen Dualismus und einem personalen Gottesverständnis im Einzelnen nachgehe, werde ich im ersten, kürzeren

1

F.W.J. Schelling, Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen ec. des Herrn Friedrich Heinrich Jacobi und der ihm in derselben gemachten Beschuldigung eines absichtlich täuschenden, Lüge redenden Atheismus [= Jacobi-Streitschrift], SW VIII, 82.

2

3 4

Jacobi-Streitschrift, SW VIII, 36, vgl. F.W.J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände [= Freiheitsschrift], SWVII, 412. Jacobi-Streitschrift, SW VIII, 73. Vgl. Freiheitsschrift, SW VII, 395 sowie Jacobi-Streitschrift, SW VIII, 62 und 73 f.

5

Vgl. ebd.

166

FRIEDRICH HERMANNI

Abschnitt zunächst darlegen, welchen Reim ich mir auf Schelling Internen Dualismus mache.

1. Schellings Prinzipienlehre In der Freiheitsschrift differenziert Schelling bekanntlich „zwischen dem Wesen, sofern es existirt, und dem Wesen, sofern es bloß Grund von Existenz ist."6 Was mit dieser Unterscheidung gemeint ist, möchte ich in vier Schritten erläutern. Erster Schritt: Der Interne Dualismus ist der Entwurf einer ontologischen Prinzipienlehre, die das Seiende überhaupt betrifft und deshalb für Gott wie für die Dinge gleichermaßen gültig sein soll. Nach diesem Konzept muß bei jedem Seienden zwischen dem „Grund der Existenz" und dem „Existierenden", also dem, was da existiert, unterschieden werden. Bei einer bestimmten Pflanze etwa ist das Existierende eben diese bestimmte Pflanze selber, der Grund der Existenz dagegen ist das Insgesamt der Bedingungen, ohne die sie nicht existieren könnte. Schelling will mit seiner Unterscheidung nicht auf die Differenz zwischen Daß und Was hinaus. Der Grand von Existenz ist nicht das Daß, sondern er ist das Prinzip des Daß, welches an sich selbst betrachtet nicht die „nackte Existenz", sondern ein durchaus Bestimmtes ist. Das, was da existiert, das Existierende, sei es nun ein Baum, ein Tier oder ein Gott, vermag sich selbst seine Existenz weder zu schaffen noch zu sichern. Dazu bedarf es einer Aktualisierungsbedingung, die die Basis dafür liefert, daß es in die Wirklichkeit hinaustreten, existieren kann. Kurzum: Der Grund von Existenz ist das von einem Seienden selbst zu unterscheidende Wirklichkeits- oder Existentialprinzip. Diese Unterscheidung eines existierenden Seienden von dem, was seine Existenz ermöglicht, wird von Schelling auch auf Gott angewandt. Auf dem Hintergrund der Geschichte der Ontotheologie muß Schellings Gotteslehre deshalb als Rückführung Gottes in die „ontologische Normalität" interpretiert werden. Von Gott selbst kann sowenig wie von einem geschaffenen Wesen behauptet werden, seine Existenz ergebe sich aus seinem Begriff. Denn auch er bedarf einer von ihm selbst unterschiedenen Basis, um zu existieren. Der ontologische Ausnahmezustand, den die klassische Ontotheologie Gott dadurch bescheinigt hat, daß sie einen Schluß von seinem Wesen auf seine Existenz für möglich hielt, wird bei Schelling aufgehoben. Gegen den ontologischen Gottesbeweis wird nicht erst in Schellings späten Vorlesungen, sondern bereits im ersten Weltalterentwurf von 1811 ein Einwand geltend gemacht, der auf der Unterscheidung zwischen gedachter Existenz und Existenz in der Sache selbst beruht. Diesem Einwand zufolge wird im ontologischen Beweis nicht die Wirklichkeit Gottes bewiesen, sondern lediglich gezeigt, daß im Begriff Gottes auch der Gedanke seiner Existenz mitgedacht werden muß. Der ontologische Beweis bringt „nur die Idee eines Wesens zu Stande, dem das Seyn innerlich ist, von

6

Freiheitsschrift, SW VII, 357.

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dem es aber schlechthin nicht äußerlich ausgesagt werden kann." 7 Die Metaphysik habe den Beweis dadurch verdorben, daß sie meinte, durch ihn „ein wirklich Existirendes" 8 zu erlangen. In Wahrheit zeige der ontologische Beweis, wie Schelling in seinen späten Vorlesungen ausführlich darlegt, lediglich auf welche Art und Weise Gott existiert, wenn er denn überhaupt existiert. Zweiter Schritt: Schellings Grund wurde im ersten Schritt als Wirklichkeits- oder Existentialprinzip bestimmt. Nun existiert aber nur das numerisch Einzelne. Das Existentialprinzip ist somit zugleich dasjenige Prinzip, in dem das Einzelnsein des Einzelnen gründet. Schellings Grund muß deshalb zweitens als Individuationsprinzip gedeutet werden. Während die Freiheitsschrift diese Funktion des Grundes nur andeutet, 9 wird sie in den Stuttgarter Privatvorlesungen deutlich hervorgehoben: So sind also auch nach dieser Ansicht zwei Principien in Gott. Das erste Princip oder die erste Urkraft ist die, wodurch er als ein besonderes, einzelnes, individuelles Wesen ist. Wir können diese Kraft die Selbstheit, den Egoismus in Gott nennen. Wäre diese Kraft allein, so wäre nur Gott als einzelnes, abgeschnittenes, besonderes Wesen [...]. 1 0

Weil der Grund dasjenige Prinzip ist, wodurch etwas zu einem Einzelnen wird, wird verständlich, warum Schelling ihn in den Stuttgarter Privatvorlesungen und den Weltalterentwürfen als „contraktives", „zusammenziehendes" Prinzip deutet, dem das zweite Prinzip als ein „expansives", „ausquellendes" Prinzip gegenübersteht. 11 Individuationsgründung ist nämlich in gewisser Weise immer zugleich ein Akt der Kontraktion. Denn insofern etwas ein Dieses-da ist, ist es von allem anderen abgezogen, auf sich selbst zurückgezogen und beschränkt. Durch das erste ontologische Prinzip kündigt ein Seiendes allem anderen Seienden gewissermaßen die Gemeinschaft auf. Deshalb spricht Schelling hinsichtlich dieses Prinzips auch vom „Egoismus". Aufgrund des zweiten Prinzips hingegen hat ein Seiendes eine inhaltliche Bestimmtheit, die es mit anderem Seienden, zum Beispiel derselben Art, teilt. Das zweite Prinzip verbindet somit ein Seiendes mit anderem und wird von Schelling deshalb auch als „Liebe" bezeichnet. Wäre etwas nur das, was es mit anderem teilt, dann wäre es nicht ein numerisch Einzelnes. In Bezug auf Gott hat Schelling diesen Gedanken in den Weltaltern so formuliert: Alle stimmen überein, daß die Gottheit ein Wesen aller Wesen, die reinste Liebe, unendliche Mittheilsamkeit und Ausfließlichkeit ist. Doch wollen sie zugleich, daß sie als solche existire. Aber von sich selbst gelangt die Liebe nicht zum Seyn. Seyn ist Seinheit, Eigenheit; ist Absonderung; die Liebe aber ist das Nichts der Eigenheit, sie sucht nicht das Ihre und kann darum auch von sich selbst nicht seyend seyn. Ebenso ein Wesen aller Wesen ist für sich selbst haltlos und von nichts getragen; es ist an sich selbst der Gegensatz der Persön7 F.W.J. Schelling, Die Weltalter. Fragmente. In den Urfassungen von 1811 und 1813, hg. von M. Schröter, zweiter Nachdruck der Auflage von 1946, München 1979 [= Weltalter 1. Fassung], 105. 8 Ebd. 9 Vgl. Freiheitsschrift, SW VII, 361. 10 F.W.J. Schelling, Stuttgarter Privatvorlesungen (Aus dem handschriftlichen Nachlaß) (1810) [= Stuttgarter Privatvorlesungen], SW VII,438. 11 Vgl. ebd., 439; Weltalter 1. Fassung, 18 f.

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lichkeit, also muß ihm erst eine andere auf Persönlichkeit gehende Kraft Grund machen. Eine ebenso ewige Kraft der Selbstheit, der Egoität wird erfordert, daß das Wesen, welches die Liebe ist, als ein eignes bestehe und für sich sey. 12

Schellings Unterscheidung zwischen einem Seienden selbst und seinem Existential- und Individuationsprinzip wendet sich gegen die ontologische Konzeption der Fichteschen Wissenschaftslehre, die er als die idealistische Version einer reduktionistischen Ontologie versteht.13 Während schon der Leibnizsche Intellektualismus alles auf die Vorstellungskräfte von Monaden reduzierte, denen allerdings auch außerhalb der menschlichen Vorstellungskraft Existenz eingeräumt wurde, eliminiert Fichte jedwedes unabhängig vom Denken bestehende Sein. Nach Schelling ist diese Position grundsätzlich nicht in der Lage, das Seiende, das nur als radikal Einzelnes ein Sein besitzt, zu verstehen. Denn indem sie alles Seiende ins Denken zurücknimmt, muß sie dasjenige Prinzip leugnen, das die Wirklichkeit des Seienden ermöglicht und ihm sein für das Denken unauflösliche Einzelnsein verleiht. In den Weltaltern heißt es: „Ohne dieses dem Denken widerstehende Princip wäre die Welt vielleicht wirklich schon in Nichts aufgelöst; nur dieser unüberwindliche Mittelpunkt erhält sie gegen die Stürme des nie ruhenden, beweglichen Geistes."14 Fichtes ontologischer Reduktionismus ist für Schelling kein isoliertes Phänomen, sondern Teil einer kulturellen Gesamttendenz, die auch in der Spiritualisierung der Gotteslehre zum Ausdruck kommt. Das zentrale Bestreben moderner Theologie besteht nach Schelling darin, aus Gott alles zu entfernen, was „Macht und Kraft" ist, und seine höchste „Lebensäußerung in Denken oder Wissen"15 zu setzen. Ohne eine von Gott selbst unterschiedene „Kraft der Existenz"16 aber kann Gott ebensowenig existieren wie andere Seiende. Dem Theismus Jacobis, der einen von Gott selbst unterschiedenen Grund zur Existenz in Gott ausschließt, hat Schelling deshalb vorgeworfen, „die Hauptquelle alles wirklichen Atheismus"17 zu sein. Dritter Schritt: Schellings Grund wurde in den ersten beiden Schritten als Existentialund Individuationsprinzip gedeutet. Nun wird ein Seiendes durch seine Wirklichkeit und sein radikales Einzelnsein zum Gegen-stand im Sinne eines für das Denken unauflöslichen Gegenübers. Das existenzgründende und individuierende Prinzip muß somit auch dasjenige sein, durch das die begriffliche Undurchdringlichkeit eines Seienden bedingt ist. Schellings Grund ist deshalb drittens als Prinzip der Unbegreifoarkeit zu verstehen. Es erklärt das dem Denken Widerstrebende an den Dingen, dessen Begriff „darin besteht,

12 F.W.J. Schelling: Die Weltalter. Bruchstück. Aus dem handschriftlichen Nachlaß (Fassung von 1814 oder 1815) [= Weltalter 3. Fassung], SW VIII, 210f.; vgl. Stuttgarter Privatvorlesungen, SW VII, 438 f. 13 14 15 16 17

Vgl. Stuttgarter Privatvorlesungen, SW VII, 445; Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 342. Weltalter 1. Fassung, 52. Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 342. Weltalter 1. Fassung, 21. Jacobi-Streitschrift, SW VIII, 68.

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nicht im Begriff aufzugehen". 18 Dieses Prinzip ist - wie die Freiheitsschrift sich ausdrückt - für das verantwortlich, „was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen läßt". 19 Schelling bewegt sich damit durchaus in den Bahnen der klassischen Ontologie. Durch den Grundsatz „Individuum est ineffabile" wurde zum Ausdruck gebracht, daß sich das Seiende, insofern es radikal Einzelnes ist, dem Erkennen prinzipiell entzieht. Das individuierende Prinzip ist somit auch dasjenige, aufgrund dessen sich ein Seiendes gegen seine begriffliche Erfassung sperrt. Vierter und letzter Schritt: In den ersten drei Schritten wurde der Grund als Existential-, Individuations- und Unbegreiflichkeitsprinzip gedeutet. Dabei wurde kein Unterschied gemacht, ob von Gott oder von den Dingen die Rede ist, denn diese Bestimmungen treffen auf Seiendes als solches zu. Daraus scheint sich zu ergeben, daß Schellings Interner Dualismus zureichend gedeutet ist, wenn man ihn im Sinne einer allgemeinen Ontologie versteht. Schellings philosophische Theologie wäre dann lediglich ein Anwendungsfall, in dem die allgemeine Ontologie auf ein bestimmtes Seiendes, nämlich auf Gott, appliziert wird. Eine derartige Verhältnisbestimmung von Ontologie und Theologie hätte Schelling freilich nicht akzeptiert, und zwar schon deshalb nicht, weil er den Pantheismus im Sinne der Immanenz der Dinge in Gott für unabdingbar hielt.20 Wenn es um Gott geht, dann geht es nicht nur um ein bestimmtes Seiendes, sondern zugleich um das Seiende im Ganzen. Denn nach Schelling ist Gott nicht nur „individuelles Wesen", sondern auch „allgemeines Wesen aller Dinge".21 Schellings Interner Dualismus ist deshalb zugleich allgemeine Ontologie, das heißt Lehre von der Struktur des Seienden als solchem, die auch auf Gott, insofern er ein bestimmtes Seiendes ist, zutrifft, und Theologie im Sinne einer Lehre von Gott, durch die das Seiende im Ganzen thematisiert wird. In der Freiheitsschrift zeigt sich dieser Doppelcharakter dadurch, daß einerseits die ontologische Unterscheidung zwischen Grund zur Existenz und Existierendem auf Gott angewendet wird, andererseits aber im Zuge der Behandlung der internen Differenz in Gott das Seiende im Ganzen zur Sprache kommt.22 Schon aus diesen Überlegungen folgt, daß der Grund, insofern er Grund zur Existenz Gottes ist, bei Schelling eine Sonderrolle spielt. Weil mit Gott das Ganze des Seienden zum Thema wird, hat der Gmnd Gottes nicht nur die dreifache Bedeutung als Existential-, Individuations- und Unbegreiflichkeitsprinzip, die er auch in Bezug auf jedes andere Seiende hat. Er hat vielmehr darüber hinaus eine Bewandtnis für das Ganze, die in meiner bisherigen Deutung noch unberücksichtigt blieb. Der Grund, insofern er Grund Gottes ist, ist nach Schelling nämlich auch der Grund der Welt. Diese weitere, auf die Welt bezogenen Bedeutung des Grundes muß von derjenigen unterschieden werden, wonach sich der Grund in der angegebenen dreifachen Weise auf Gott selbst bezieht. In seiner Streitschrift gegen Jacobi hat Schelling diesen Unterschied klar zum Ausdruck gebracht: 18 Briefwechsel mit Eschenmayer, SW VIII, 164. 19 Freiheitsschrift,

SW VII, 360.

20 Vgl. Freiheitsschrift, 21 Stuttgarter

SW VII, 339.

Privatvorlesungen,

22 Vgl. Freiheitsschrift,

SW VII, 438.

SW VII, 3 5 7 f . und 358 ff.

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Gott, oder, genauer gesprochen, das Wesen, welches Gott ist, ist Grund - in zweierlei Verstand, der wohl unterschieden werden muß. Einmal ist er Grund - von sich selbst nämlich, sofern er sittliches Wesen ist [...]. Aber Gott macht sich auch zum Grund, indem er eben jenen Theil seines Wesens, mit dem er zuvor wirkend war, leidend macht [...]. Wie kann sich Gott herablassen, als, indem er sich, nämlich einen Theil (eine Potenz) von sich, zum Grunde macht, damit die Creatur möglich sey, und wir das Leben haben in ihm? 23

Soviel zu Schellings Prinzipienlehre, die es ihm ermöglicht, ein personales Gottesverständnis zu entwickeln. Davon soll nun im zweiten Hauptabschnitt die Rede sein.

2. Die Persönlichkeit Gottes und der Grund in Gott 2.1. Schelling und die zeitgenössische Problemlage In seinem Aufsatz Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung von 1798 zog Fichte die religionsphilosophischen Konsequenzen aus seiner Wissenschaftslehre. Gott wurde dort mit jener moralischen Weltordnung identifiziert, die als Bedingung für die Sinnhaftigkeit des Sittengesetzes angenommen werden muß. Nach Fichte muß ich in demselben Akt, in dem ich einen sittlichen Zweck ergreife, zugleich seine Realisierbarkeit annehmen und damit eine moralische Weltordnung, die die Einheit von Sittengesetz und Wirklichkeit garantiert. Der Glaube an Gott ist lediglich die Gewißheit, „dass jede wahrhaft gute Handlung gelingt".24 Aus diesem Grund aber kann Gott nicht als besonderes, mit Persönlichkeit und Bewußtsein ausgestattetes Wesen gedacht werden. Gegen ein solches personales Gottesverständnis spricht nach Fichte noch etwas weiteres. Da sich die Begriffe „Persönlichkeit" und „Bewusstsein" nicht „ohne Beschränkung und Endlichkeit" denken lassen, können sie nicht auf Gott angewendet werden. Fichte schreibt: „Ihr macht sonach dieses Wesen durch die Beilegung jenes Prädicats zu einem endlichen, zu einem Wesen eures Gleichen, und ihr habt nicht, wie ihr wolltet, Gott gedacht, sondern nur euch selbst im Denken vervielfältigt."25 Für die Verabschiedung des Begriffs einer Persönlichkeit Gottes hatte zuvor schon der junge Schelling plädiert. In seinen Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kriticismus brach er mit der Kantschen Ethikotheologie und ihrer Rezeption im Tübinger Supranaturalismus. Im Briefwechsel mit Hegel wurde er noch deutlicher. Auf Hegels Frage, ob man mit dem moralischen Gottesbeweis zu einem persönlichen Wesen gelange,26 ant23 Jacobi-Streitschrift,

SW VIII, 71.

24 J.G. Fichte, „Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung", in: Fichtes Werke, hg. von I.H. Fichte, Bd. V, Berlin 1971,188. 25 Ebd., 187. Vgl. F. Wagner, Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel, Gütersloh 1971 [= Gedanke], der die Fichtesche Kritik am Gedanken der Persönlichkeit Gottes interpretiert und ihre systematischen Gründe in Fichtes früher Wissenschaftslehre (1794) aufsucht. 26 Vgl. F.W.J. Schelling, Briefe und Dokumente, Band I—III, hg. von H. Fuhrmans, Bonn 1962, 1973 und 1975 [= Briefe und Dokumente], Bd. II, 63.

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wortet er: „Auch für uns sind die orthodoxen Begriffe von Gott nicht mehr."27 Da Persönlichkeit und Bewußtsein nicht ohne Objekt möglich sind, letzteres aber der Absolutheit Gottes widerspricht, folgert Schelling: „Mithin giebt es keinen persönlichen Gott".28 Der junge Schelling sieht sich darin als Nachfolger Lessings, der sich in dem berühmten Gespräch mit Jacobi in ähnlicher Weise, wenngleich vorsichtiger, geäußert hatte: „Die orthodoxen Begriffe von der Gottheit sind nicht mehr für mich; ich kann sie nicht genießen. Hen kai Pan! Ich weiß nichts anders." 29 Aufgrund dieses Lessingvotums sowie durch die spätere Schellingsche und Fichtesche Kritik am Gedanken der Persönlichkeit Gottes wurde Jacobi in seiner Meinung bestärkt,30 daß systematische Philosophie, konsequent verfolgt, zwangsläufig zum Spinozismus und Atheismus führen müsse. Demgegenüber suchte Jacobi seinen Glauben an „eine verständige persönliche Ursache der Welt"31 durch seinen berüchtigten „Salto mortale" zu retten, den schon Lessing seinen „alten Beinen" und seinem „schweren Kopfe nicht mehr zumuten" wollte.32 In der Tat ist schwer zu sehen, wie Jacobis Bekenntnis zum persönlichen Gott gegenüber der Fichteschen Kritik Abhilfe schaffen soll, wenn sie auf einer bloßen Versicherung beruht.33 Schleiermacher hat aus Fichtes Kritik am Gedanken der Persönlichkeit Gottes die religionphilosophischen Konsequenzen gezogen. In seiner Reden über die Religion von 1799 verzichtet er auf den Begriff „Gott"34 und deutet Religion als „Anschauung" und „Gefühl" des „Universums". Demgegenüber wurden in der klassischen deutschen Philosophie zwei Versuche unternommen, die Prämissen von Fichtes Kritik zu unterlaufen. Hegel entwickelte in seinen Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Religion einen Begriff der Persönlichkeit, der der Unendlichkeit Gottes adäquat ist.35 Schelling dagegen akzeptiert Fichtes These, daß durch den Personbegriff Endlichkeit impliziert wird. Er bestreitet aber, daß dadurch der Gedanke eines persönlichen Gottes unmöglich werde. In der Freiheitsschrift versucht Schelling vielmehr zu zeigen, daß der Interne Dualismus, den er

27 Ebd., 65. 28 Ebd. Fichte dagegen konnte noch 1796 von einer Persönlichkeit Gottes im eigentlichen Sinne sprechen, vgl. F. Wagner: Gedanke,

37.

29 F.H. Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn briefe], hg. von M. Lauschke, Darmstadt 2000, 22. In seiner Jacobi-Streitschrift

[=

Spinoza-

hat Schelling die

Position Lessings später differenzierter und angemessener interpretiert: „Lessing war nicht schlechthin - gegen eine persönliche Ursache der Welt, er wollte sich nur alles natürlich

ausgebe-

ten haben" (SW VIII, 45). 30 Vgl. F.H. Jacobi, Von den göttlichen

Dingen

und ihrer Offenbarung

(Hg.), Der Streit um die Göttlichen Dinge (1799-1812), 31 F.H. Jacobi, Spinozabriefe,

(1811), in: W. Jaeschke

Hamburg 1999, Quellenteil, 2 0 2 f .

26.

32 Ebd., 36. 33 Ebenso urteilt auch F. Wagner in seinem Exkurs über Jacobis Apologie eines persönlichen Gottes, vgl. F. Wagner, Gedanke,

113-131.

34 Vgl. F. Schleiermacher, Über die Religion. von H.-J. Rothert, Hamburg 1 9 5 8 , 6 8 - 7 2 . 35 Vgl. dazu F. Wagner, Gedanke,

133-288.

Reden an die Gebildeten

unter ihren Verächtern,

hg.

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aus anderen Gründen entwickelt, zwingend zu einem personalen Gottesverständnis fuhrt.36 Dieser Zusammenhang wird dann in den Stuttgarter Privatvorlesungen, die Schelling vor einem theistisch gesinnten Hörerkreis hielt, und in der Streitschrift gegen Jacobi als eigenes Argument für den Internen Dualismus expliziert. Der Grund für diese Umkehrung der Argumentationsrichtung läßt sich unschwer erraten. Wenn über die Personalität Gottes Konsens besteht, dann läßt sich aus dem notwendigen Zusammenhang zwischen personalem Gottesverständnis und Internem Dualismus auf eine interne Differenz in Gott zurückschließen. Dieser Rückschluß, den Schelling in zwei Versionen durchführt, ist Thema des folgenden Abschnitts.

2.2. Persönlichkeit Gottes und Interner Dualismus In der Freiheitsschrift wird der Persönlichkeitsbegriff, der später auf Gott angewendet wird,37 zunächst im Zusammenhang der Anthropologie eingeführt. Schelling schreibt: Das aus dem Grunde der Natur emporgehobene Princip, wodurch der Mensch von Gott geschieden ist, ist die Selbstheit in ihm, die aber durch ihre Einheit mit dem idealen Princip Geist wird. Die Selbstheit als solche ist Geist, oder der Mensch ist Geist als ein selbstisches, besonderes (von Gott geschiedenes) Wesen, welche Verbindung eben die Persönlichkeit ausmacht.38

Persönlichkeit ist demnach durch die Verknüpfung zweier Elemente bedingt, nämlich dadurch, daß ein besonderes Wesen mit jenem idealen Prinzip, das zuvor als „Verstand" bezeichnet wurde, eins wird. Als besonderes Wesen, in dem es zur Einheit mit dem Verstand kommt, durch den die Welt geschaffen wird, ist der Mensch eine Person. Mit diesem zweistufigen Verständnis von Personalität folgt Schelling der berühmten und folgenreichen Definition des Boethius, wonach eine Person das ist, was erstens eine vernünftige Natur besitzt und zweitens ein Einzelwesen ist. Persona est „naturae rationabilis individua substantia."39 Personalität ist die spezifische Weise, wie sich rationale Naturen individuell konkretisieren. Unter Voraussetzung dieses Verständnisses von Personalität läßt sich aus dem Personsein Gottes auf eine interne Differenz in ihm zurückschließen. Der Rückschluß kann sowohl vom ersten wie vom zweiten Element der Persondefinition ausgehen, und er findet sich bei Schelling in der Tat in beiden Versionen. (a) Zunächst zur ersten Version. Um im definierten Sinne Person zu sein, muß Gott eine individuelle Existenz besitzen. Daher muß neben jenem Prinzip, durch das Gott das „Wesen aller Wesen"40 ist, ein anderes Prinzip in ihm angenommen werden, „wodurch er 36 37 38 39

Vgl. Freiheitsschrift, SW VII, 394f. Vgl. ebd. Ebd., 364. A.M.S. Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, in: Ders., Die Theologischen Traktate, lat.-dt., übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von M. Elsässer, Hamburg 1988,74. 40 Stuttgarter Privatvorlesungen, SW VII, 439.

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als ein besonderes, einzelnes, individuelles Wesen ist."41 Wer dieses existenzgründende und individuierende Prinzip in Gott leugnet, möge sich fragen, „ob eine Intelligenz so blank und bloß auf sich selber, als Intelligenz, beruhen - als bloße Intelligenz seyn könne, da doch das Denken der gerade Gegensatz des Seyns, und gleichsam das Dünne und Leere ist, wie dieses das Dicke und Volle."42 Nach Schelling ist das nicht möglich. Als Intelligenz kann Gott nur bestehen, wenn er ein von sich als Intelligenz unterschiedenes Prinzip in sich hat, das ihm Seinsschwere verleiht. Bei diesem existenzgründenden und individuierenden Prinzip aber handelt es sich, wie wir sahen, um den Grund in Gott. Nun hat aber der Grund noch eine weitere, dritte Bedeutung. Er fungiert nicht nur als Existenz- und Individuationsprinzip, sondern auch als Prinzip, durch das die begriffliche Undurchdringlichkeit des Einzelnen bedingt ist. Auch diese Bedeutung des Grundes ist in unserem Zusammenhang relevant. In den Weltalterentwürfen hat Schelling nämlich eine präzisierte Persondefmition eingeführt, von der man ebenso ausgehen kann, um von der Persönlichkeit Gottes auf eine interne Differenz in ihm zurückzuschließen. Mit Berufung auf die Begriffsbestimmung „älterer Philosophie" wird Persönlichkeit definiert als der „letzte Akt [...] wodurch ein intelligentes Wesen unmittheilbarer Weise besteht." 43 Damit spielt Schelling, wenn ich recht sehe, auf die Persondefinition des Richard von St. Viktor an, die später zum Beispiel von Duns Scotus und der Sache nach auch von Thomas von Aquin aufgegriffen wurde. Aus Gründen der Trinitätslehre, die bekanntlich die drei göttlichen Personen von der einen göttlichen Substanz unterscheidet, kritisiert Richard die Verwendung des Begriffs „Substanz" bei Boethius. Stattdessen definiert e r „persona est intellectualis naturae incommunicabilis existentia" 44 In dieser Definition wird der Boethianische Ausdruck „individuelle Substanz" durch den Ausdruck „unmittteilbare Existenz" ersetzt. Der Grund für diese Präzisierang der Persondefinition ist der folgende: Der Ausdruck „individuelle Substanz" könnte im Sinne des Allgemeinbegriffs „Individuum" mißverstanden werden, unter den alles numerisch Einzelne fällt. „Person" aber ist nach Richard kein allgemeiner Gehalt, der verschiedene Konkretionen zuläßt, sondern steht für eine Eigentümlichkeit (proprietas), die stets nur einem einzigen Individuum zukommen kann. Nun stehen aber dem Denken nur allgemeine Beschreibungen zur Verfügung, und daher ist Personalität eine nichtmitteilbare Existenzweise. Der Rückschluß von der Personalität Gottes auf einen von Gott selbst unterschiedenen Grund in Gott könnte natürlich

41 Ebd., SW VII, 438. 42 Jacobi-Streitschrifi, SWVIII, 66, vgl. VIII, 65: „[...] wie sollte er [Gott] doch selbst, mitsammt seiner Weisheit und Güte, bestehen ohne Stärke, da Stärke eben das Bestehen und hinwiederum alles Bestehen Stärke ist. Wo keine Stärke ist, da ist auch kein Charakter, keine Individualität, keine wahre Persönlichkeit, sondern eitel Diffluenz, wie wir an charakterlosen Menschen täglich gewahr werden." 43 Weltalter 1. Fassung, 52 und Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 343. 44 Richard von St. Viktor, De trinitate, 4, 22, zitiert nach: B.T. Kible, Artikel „Person, II. Hoch- und Spätscholastik, Meister Eckhart, Luther", in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.7, Darmstadt 1989, Spalte 283-300, hier: 284.

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auch von dieser präzisierten Persondefinition ausgehen. Denn der Grund fungiert ja, wie wir sahen, als das Prinzip, wodurch sich etwas der Mitteilbarkeit entzieht. Gegenüber Jacobi hat sich Schelling für seinen Internen Dualismus ausdrücklich auf das beiderseits akzeptierte personale Gottesverständnis berufen. Schelling schreibt: Solange der Gott des modernen Theismus das einfache, rein wesenhaft seyn sollende, in der That aber wesenlose - Wesen bleibt, das er in allen neueren Systemen ist; solange nicht in Gott eine wirkliche Zweiheit erkannt, und der bejahenden, ausbreitenden Kraft eine einschränkende, verneinende entgegengesetzt wird: solange wird die Leugnung eines persönlichen Gottes - wissenschaftliche Aufrichtigkeit seyn, die Behauptung eines solchen - Mangel an Aufrichtigkeit, die der wahrhaft redliche Kant gerade in diesen Dingen so sehr beklagte. 45

Schelling gibt damit den Vorwurf der Lüge, den ihm Jacobi gemacht hatte, an diesen zurück. Wer nämlich wie Jacobi die Fichtesche Kritik am Gedanken der Persönlichkeit Gottes akzeptiert, gleichwohl aber in fideistischem Trotz an der Personalität Gottes festhält, ist nach Schelling intellektuell unwahrhaftig. Aber nicht nur das. Ein Theismus, der die These von einer von Gott selbst unterschiedenen Natur in Gott bestreitet, entzieht sich die Voraussetzung seiner Denkbarkeit. Denn ohne einen Internen Dualismus ist „kein System möglich [...], welches Bewußtseyn, Intelligenz und freien Willen in Gott behauptet'146 Wer wie Jacobi eine von Gott selbst unterschiedene Natur in Gott bestreitet, hat nach Schelling kein Recht von einem persönlichen Gott zu reden und leistet dem Atheismus wider Willen Vorschub. (b) Ich hatte gesagt, daß Schelling sowohl vom ersten wie vom zweiten Element des Personbegriffs ausgehen kann, um von der Personalität Gottes auf den Internen Dualismus zurückzuschließen. Der ersten Version des Rückschlusses zufolge muß Gott, wenn ihm Personalität zukommt, einen von sich selbst unterschiedenen Grand in sich haben, durch den er ein existierendes Einzelwesen ist, das sich als solches nicht begreifen läßt. Jetzt zur zweiten Version. Sie geht von dem anderen Element der Persondefinition aus, wonach ein Individuum nur dann eine Person ist, wenn es sich um ein intelligentes, bewußtes und sittliches Wesen handelt. Nun setzt aber Bewußtsein und Sittlichkeit aus Gründen, die ich sofort nenne, eine Selbstunterscheidung voraus. Folglich kann vom Personsein Gottes auf eine interne Differenz in ihm zurückgeschlossen werden. Bereits in der Freiheitsschrift heißt es, daß Gott, „um persönlich zu werden, die Licht- und die finstre Welt schied."47 Was damit gemeint ist, wird von Schelling in den folgenden Jahren genauer dargelegt. Den Stuttgarter Privatvorlesungen zufolge beginnt Bewußtsein in dem Augenblick, in dem man sich von sich unterscheidet, sich als Subjekt sich selbst als Objekt entgegensetzt und den einen Teil seines Selbst über den anderen erhebt 48 Um Gott als bewußtes, mithin persönliches Wesen verstehen zu können, muß deshalb angenommen werden, daß Gott zwei Prinzipien in sich unterscheidet. 45 Jacobi-Streitschrift,

SW VIII, 73.

46 Ebd., 69. 47 Freiheitsschrift, SW VII, 403. 48 Vgl. Stuttgarter Privatvorlesungen,

SW VII, 433 f.

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Das Höhere in Gott drängt gleichsam das Niederere von sich hinweg, mit dem es bisher in Indifferenz oder Mischung war, und umgekehrt, das Niederere sondert durch seine Contraktion sich selbst von dem Höheren ab - und dieß [ist] wie im Menschen so auch in Gott der Anfang seines Bewußtseyns, des Persönlich Werdens.49 V o m Anfang des Persönlich Werdens spricht Schelling deshalb, weil die gänzliche Personalisierung Gottes sich erst dadurch vollzieht, daß Gott aus dem, was er von sich selbst weggedrängt hat, aus dem „was nicht Er selber ist", 50 das ihm Ähnliche und Gleiche heraufbildet. Deshalb ist „der ganze Proceß der Weltschöpfung [...] nichts anderes als der Proceß der vollendeten Bewußtwerdung, der vollendeten Personalisirung Gottes". 5 1 Auch in der Streitschrift gegen Jacobi schließt Schelling aus dem zweiten Element des Personbegriffs sowie aus der zwischen ihm und Jacobi unstrittigen Annahme der Personalität Gottes auf eine interne Differenz in Gott zurück. Ein existierendes Einzelwesen ist nur dann eine Person, wenn es sich um ein sittliches Wesen handelt. Das Prädikat „sittlich" ist aber nur auf ein Wesen anwendbar, das sich in bestimmter Weise zu sich selbst als natürlichem Wesen ins Verhältnis gesetzt hat. Als sittliches Wesen kann man sich nicht vorfinden, sondern nur durch eine Unterscheidung von seiner eigenen Natur setzen. Schelling schreibt deshalb: „Denn es muß doch auch das sittliche Wesen, eben um ein solches zu seyn, und um sich als solches zu unterscheiden (worin eben der Actus der Persönlichkeit besteht), einen Anfang seiner selbst in sich selbst haben, der nicht sittlich ist." 52 „Wohl zu unterscheiden von unsittlich", wird in der Fußnote präzisiert. Nach Schelling ist Jacobis Position deshalb konfus, weil sie zwar einerseits die Persönlichkeit Gottes behauptet, andererseits aber jene Natur in Gott bestreitet, von der Gott sich absetzen muß, u m persönlich zu sein. Nebenbei bemerkt: Die religionsphilosophische Diskussionslage zwischen Schelling, Jacobi und Eschenmayer gleicht auf verblüffende Weise derjenigen zwischen Cleanthes, Philo und Demea, den drei Gesprächspartnern in David Humes Dialogen über natürliche Religion. Cleanthes und Schelling vertreten beide einen wissenschaftlichen Theismus, der das Personsein Gottes mit Argumenten zu begründen und in Analogie zur Personalität des Menschen begreiflich zu machen versucht 5 3 Diesem Versuch wird von Demea und Eschenmayer, die beide auf der Unbegreiflichkeit göttlicher Personalität bestehen, eine illegitime Projektion menschlicher Lebensäußerungen und Gemütsprozesse auf Gott vorgeworfen. Ähnlich wie Cleanthes Demea gegenüber hat auch Schelling in seiner Antwort auf Eschenmayer, den er nach dem Streit mit Jacobi gleichsam als Nachtisch verspeisen wollte, diesen Anthropomoiphismus ausdrücklich bekräftigt. Die Personalität Gottes zu behaupten und zugleich die Analogie zwischen Gott und Mensch zu bestreiten sei widersprüchlich. Man habe nur folgende Wahl:

49 50 51 52 53

Ebd., 434. Ebd. Ebd., 433. Jacobi-Streitschrifi, SW VIII, 66. Vgl. Freiheitsschrift, SWVII, 412.

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Entweder überall keinen Anthropomorphismus, und dann auch keine Vorstellung von einem persönlichen, mit Bewußtseyn und Absicht handelnden Gott (welches ihn ja schon ganz menschlich macht), oder einen unbeschränkten Anthropomorphismus, eine durchgängige und (den einzigen Punkt des notwendigen Seyns ausgenommen) totale Vermenschlichung Gottes. 54

Die Position Jacobis schließlich scheint mir in vieler Hinsicht derjenigen Philos zu gleichen, durch den Hume wohl am ehesten seine Ansichten zum Ausdruck bringt. Die Annahme eines intelligenten und sittlichen Weltuihebers ist nach Philo nicht durch Argumente zu rechtfertigen, sondern gründet in einem natürlichen Glauben, jenem Glauben an die Realität der Außenwelt ähnlich, der dem Treatise of Human Nature zufolge für den Menschen natürlich ist.

2.3. Schöpfungsfreiheit und Interner Dualismus Mit dem Problem der Personalität Gottes ist dasjenige der göttlichen Schöpfungsfreiheit eng verknüpft. Ist die Schöpfung der Welt ein Ereignis, das mit blinder und bewußtlosen Notwendigkeit erfolgt, oder ist es die freie und bewußte Tat einer Person? Diese „höchste Frage"55 der Freiheitsschrift beantwortet Schelling bekanntlich in letzterem Sinne: Die Schöpfung ist keine Begebenheit, sondern eine That. Es gibt keine Erfolge aus allgemeinen Gesetzen, sondern Gott, d.h. die Person Gottes, ist das allgemeine Gesetz, und alles, was geschieht, geschieht vermöge der Persönlichkeit Gottes; nicht nach einer abstrakten Nothwendigkeit, die wir im Handeln nicht ertragen würden, geschweige Gott. 56

Wiederum ist es der Interne Dualismus, der es Schelling erlaubt, eine solche Annahme begründetermaßen vertreten zu können, was er allerdings erst mit der Zeit eingesehen hat. Nach dem Kriterium des dritten Weltalterentwurfes ist die Schöpfungsfreiheit Gottes nur dann denkbar, wenn sich zwischen der Möglichkeit göttlichen Schaffens und ihrer Aktualisierung unterscheiden läßt. Diese Unterscheidung ist wiederum nur dann berechtigt, wenn zwischen beidem eine Zeit verstreicht und die Schöpfungstat selbst sich in der Zeit vollzieht. Denn die Verwirklichung einer Möglichkeit, die ihrer Wirklichkeit nicht zeitlich vorausgeht, wäre notwendig. Wer wie Jacobi in seiner Schrift Von den Göttlichen Dingen annimmt, „daß Gott nothwendig von Ewigkeit her erschaffen habe",57 ist deshalb nach Schelling nicht berechtigt, die Schöpfung der Welt als freien Akt einer Person zu betrachten.58 54 55 56 57

Antwort an Eschenmayer, SWVIII, 167. Freiheitsschrift, SW VII, 394. Ebd., 396. F.H. Jacobi, Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung (1811), in: W. Jaeschke (Hg.), Der Streit um die göttlichen Dinge (1799-1812), Quellenteil, 224, vgl. Schellings Streitschrift gegen Jacobi, SW VIII, 92. 58 Vgl. Weltalter 3. Fassung, SWVIII, 306-308, vgl. auch die Argumentation in Philosophie der Offenbarung, SWXIII, 306-309.

D E R G R U N D DER PERSÖNLICHKEIT GOTTES

177

Mit dieser These, daß sich das göttliche Schaffen in der Zeit vollzogen haben muß, wenn es als freies begreifbar sein soll, steht Schelling nicht nur gegen Jacobi, sondern gegen die philosophisch-theologische Tradition von Augustin bis Schleiermacher. Diese Tradition hatte aus gutem Grund behauptet, daß „die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit" geschaffen sei.59 Daß die Zeit nicht das Medium des göttlichen Schaffens, sondern ihr Ergebnis sei, schien aus dem Gottesgedanken zu folgen. Denn hätte sich Gott im Verlauf der Zeit dazu entschlossen, die Welt zu schaffen, dann wäre er dem zeitlichen Nochnicht und Nichtmehr, der Veränderung, unterworfen. Ein sich verändernder Gott aber könnte nicht ewig im gleichen und höchsten Maße vollkommen sein und verdiente daher nicht Gott genannt zu werden. Schelling wendet sich gegen diese Tradition. Gemessen am Kriterium des dritten Weltalterentwurfes, ist sie nicht berechtigt, die Weltschöpfung als einen von Gott in Freiheit vollzogenen Akt zu deuten. Dasselbe Verdikt trifft nun aber auch, wenn ich recht sehe, Schellings Stuttgarter Privatvorlesungen, die sich bei der Frage der Zeitlichkeit der Schöpfung nahtlos in die philosophisch-theologische Tradition einreihen. Durch die göttliche Schöpfungstat wird - so heißt es dort - „nur ein Anfang der Zeit, aber nicht ein Anfang in der Zeit gesetzt. Gott selbst ist darum nicht in die Zeit gesetzt."60 Trotzdem behauptet Schelling in den Stuttgarter Privatvorlesungen wie schon in der Freiheitsschrift: „Es gibt also keinen Erklärungsgrund der Welt als die Freiheit Gottes." 61 Beide Behauptungen sind nach dem Kriterium des dritten Weltalterentwurfs nicht vereinbar. Schelling hat also in der Freiheitsschrift und in den Stuttgarter Privatvorlesungen zwar angenommen, der Schöpfungsakt sei die freie Handlung einer Person, mangels einer entsprechenden Zeittheorie war er aber noch nicht in der Lage, diese Annahme auch berechtigterweise zu vertreten. Wer die Schöpfung als freien Akt der Persönlichkeit Gottes denken will, scheint vor folgendem Dilemma zu stehen: Einerseits kann Gott selbst nicht der Zeit unterworfen sein, wenn er als ein Wesen gedacht werden soll, das immer im gleichen und höchsten Maße vollkommen ist. Daraus aber scheint zu folgen, daß die Welt nicht in der Zeit, sondern zusammen mit der Zeit geschaffen ist. Andererseits aber kann das Schaffen der Welt sich nur in der Zeit vollzogen haben, wenn es als ein freies gedacht werden soll. Demnach scheint man vor der Alternative zu stehen, entweder den Gedanken der unübertrefflichen Vollkommenheit Gottes oder den Gedanken einer freien Weltschöpfung aufgeben zu müssen.

59 A. Augustinus, De civitate

dei - Vom Gottesstaat,

2 Bde., übersetzt von W. Thimme, eingeleitet

und erläutert von C. Andresen, Zürich /München 2. Auflage 1978, XI, 6, vgl. F. Schleiermacher, Der christliche gestellt.

Glaube nach den Grundsätzen

der evangelischen

Kirche im Zusammenhange

dar-

Auf Grund der zweiten Auflage und kritischer Prüfung des Textes neu herausgegeben und

mit Einleitung, Erläuterungen und Register versehen von M. Redeker, 2 Bde., Berlin, 7. Auflage 1960,Bd. 1 , 1 9 8 - 2 0 3 (§41). 60 Stuttgarter

Privatvorlesungen,

61 Ebd., 429, vgl. Freiheitsschrift,

SW VII, 430. SW VII, 3 9 4 f f .

178

FRIEDRICH HERMANNI

Schelling will beides nicht. Durch seinen Internen Dualismus glaubt er im Besitz der theoretischen Mittel zu sein, um dieses scheinbar unvermeidliche Dilemma zu vermeiden. Spätestens seit dem dritten seiner Weltalter-Entwürfe hat Schelling erkannt, daß der Interne Dualismus zum Aufbau eines Gedankens in der Lage ist, der den beiden sich scheinbar widersprechenden Anforderungen an eine Schöpfungstheorie genügt: Er kann erstens durch das Konzept einer creatio in tempore die göttliche Schöpfungsfreiheit sichern. Zugleich aber ist er zweitens nicht zu der Annahme gezwungen, Gott selbst sei der Zeit und Veränderung unterworfen - eine Annahme, die den Gedanken eines höchst vollkommenen Gottes zerstören würde. Im dritten Weltalterentwurf stellt Schelling die Frage, „was denn Gott beschäftiget, eh' er die Welt erschaffen".62 Man ist versucht zu antworten, Gott habe sich damals Strafen für Leute ausgedacht, die solche Fragen stellen. Schelling beantwortet die Frage indes mit einer spekulativen Deutung eines alttestamentlichen Textes, nämlich von Sprüche 8. Dort wird bekanntlich erzählt, daß vor dem Erschaffen der Welt die Weisheit an Gottes Seite war und allezeit vor ihm spielte. Schelling interpretiert den Text wie folgt: Vor der Schöpfung der Welt habe in dem von Gott selbst unterschiedenen Grund seiner Existenz eine ständige Ideenprozession stattgefunden, durch deren Wiederholung die Zeit habe gemessen werden können. In dieser Prozession tauchen vor dem göttlichen Auge die Gestalten einer möglichen künftigen Welt auf. Sie ermöglicht Gott deshalb ein Voraussehen dessen, was werden wird, wenn er sich zur Schöpfung der Welt entschließt,63 und garantiert auf diese Weise die Freiheit Gottes im verantwortungsethischen Sinne, die schon die Freiheitsschrift Gott zugeschrieben hatte.64 Auf eine nähere Charakterisierung der Ideenprozession kann hier verzichtet werden, entscheidend ist in unserem Zusammenhang nur folgendes: Die Zeit, die vor der Schöpfung der Welt vergeht, wird von Schelling nicht in Gott selbst angesetzt, sondern sie verläuft in dem von Gott selbst unterschiedenen Grund seiner Existenz und steht zu Gott selbst und seiner Ewigkeit im Verhältnis der Koexistenz.65 Die theoriestrategische Bedeutung des Internen Dualismus ist offensichtlich. Durch ihn wird es denkbar, daß der Schöpfungsakt Gottes ein zeitlicher und deshalb freier Akt ist, ohne daß Gott selbst ein der Zeit unterworfenes und deshalb minder vollkommenes Wesen sein muß.

62 63 64 65

Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 307. Vgl. ebd., 289. Vgl. Freiheitsschrift, SW VII, 396f. Vgl. Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 306f.

CHRISTIAN D A N Z

Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes in Schellings „Philosophie der Offenbarung"

Als am 17. Dezember 1853 der bayerische König Maximilian II. bei Schelling anfragte, ob dieser ihm ein „philosophisches Buch bezeichnen" könne, „worin Ich Erbauung und Aufrichtung finden könnte", 1 ließ der Berliner Philosoph mit einer Antwort nicht lange auf sich warten. Schon zwei Tage später schrieb Schelling nach München: Es existieren: Reden über die Religion von Schleiermacher, ein seiner Zeit berühmtes Werk und rhetorisches Meisterwerk, aber fern vom Christentum und fern von dem Gott, zu dem ein persönliches Verhältnis möglich ist, das einzige, in welchem unsre Seele Ruhe und Aufrichtung in Leiden findet, wenn alles allgemeine uns verlassen hat.2 Schleiermachers Reden Über die Religion von 1799, eine Schrift, deren Rang für die neuere Theologiegeschichte schwerlich zu überschätzen ist, gehörte nicht zu den Büchern, welche Schelling seinem königlichen Schüler in München zur „Erbauung und Aufrichtung" empfahl. Es kann hier unberücksichtigt bleiben, daß Schelling die Reden Schleiermachers zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch positiv zu würdigen wußte, 3 ebenso, daß der junge Schelling durchaus Fichtes Kritik4 an dem Gedanken der Persönlichkeit Gottes teilte. 5

1

2 3

4

5

Brief von Maximilian II. an Schelling vom 17.12.1853, in: W.E. Ehrhardt, Schelling Leonbergensis und Maximilian II. von Bayern. Lehrstunden der Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, 115. Brief Schellings an Maximilian II. vom 19.12.1853, in: W.E. Ehrhardt, Schelling Leonbergensis, 117. Nachdem Schelling Schleiermachers Reden zunächst eher abschätzig beurteilte, brachte er 1801 in einem Brief an August Wilhelm Schlegel seine Verehrung für Schleiermachers Schrift zum Ausdruck. Vgl. den Brief Schellings an A.W. Schlegel vom 03.07.1801, in: G.L. Plitt, Aus Schellings Leben. In Briefen, Leipzig 1869, 345. Zu Fichtes Kritik an dem Gedanken der Persönlichkeit Gottes siehe J.G. Fichte, „Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung", in: ders., Fichtes Werke Bd.V. Zur Religionsphilosophie, hg. v. I.H. Fichte, Berlin 1845/46 (ND Berlin 1971), 175-189, hier 187. Siehe hierzu F. Wagner, Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel, Gütersloh 1971; F. Wittekind, Religiosität als Bewußtseinsform. Fichtes Religionsphilosophie 1795-1800, Gütersloh 1993 und zum Atheismusstreit K.-M. Kodalle /М. Ohst (Hg.), Fichtes Entlassung. Der Atheismusstreit vor 200 Jahren, Würzburg 1999. Vgl. den Brief Schellings an Hegel vom 04.02.1795, in: F.W.J. Schelling, Historisch-kritische Ausgabe III/l (Briefwechsel 1786-1799), hg. von I. Möller/W. Schieche, Stuttgart-Bad Cannstatt

180

CHRISTCAN DANZ

Einschlägiger für den hiesigen Zusammenhang ist Schellings Bestreitung der Christlichkeit von Schleiermachers Reden, die in einem inneren Zusammenhang mit der Frage nach der Persönlichkeit Gottes steht. Sie unterstellt nämlich Schleiermachers Religionsverständnis Spinozismus. Dieser Verdacht, den der späte Schelling in seinem Brief an Maximilian II., wenn auch nur implizit, an den frühen Schleiermacher richtet, bezieht sich nicht auf eine Verabsolutierung des Endlichen, sondern die Vernichtung der Freiheit des Menschen. Es entbehrt freilich nicht der Ironie, daß gerade Schelling den Vorwurf des Spinozismus und der damit verbundenen Unchristlichkeit an Schleieimacher richtet, wo er doch selbst nicht nur ein frühes Bekenntnis zum Spinozismus ablegte,6 sondern auch sich selbst zeitlebens dem Vorwurf des Spinozismus und der mit diesem verbundenen Bestreitung sowohl der Persönlichkeit Gottes sowie der des Menschen ausgesetzt sah.7 Der das 19. Jahrhundert in regelmäßigen Abständen seit dem Atheismusstreit um Fichte erregende Streit um die göttlichen Dinge war vor allem ein Streit um die Selbstdeutung des Menschen infolge einer sich verändernden gesellschaftlichen und sozialen Wirklichkeit.8 Hierin gründet das Interesse an der Persönlichkeit Gottes, welches die theologischen und philosophischen Diskussionen in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts beherrschte. Nur mit einem persönlichen Gott, so das Argument der Befürworter der Persönlichkeit Gottes, lasse sich die individuelle Freiheit des Menschen vereinbaren.9 Die Pan2001, 23: „Gott ist nichts als das absolute Ich, das Ich, in sofern es alles Theoretische zernichtet hat, in der theoretischen Philos[ophie] also = 0 ist. (Persönlichkeit entsteht durch die Einheit des Bewußtseyns. Bewußtseyn aber ist nicht ohne Objekt möglich, für Gott aber d.h. für das absolute Ich, giebt es gar kein Objekt, denn dadurch hörte es auf, absolut zu seyn - mithin giebt es keinen persönlichen Gott, und unser höchstes Bestreben ist die Zerstörung unsrer Persönlichkeit, Übergang in die absolute Sphäre des Seyns, der aber in Ewigkeit nicht möglich ist - daher nur praktische Annäherung zum Absoluten, und daher - Unsterblichkeit." 6

Siehe hierzu den Brief Schellings an Hegel vom 04.02.1795, in: F.W.J. Schelling, Historischkritische Ausgabe III! 1,22.

7

So würdigt W. Herrmann, Die speculative Theologie in ihrer Entwicklung durch Daub, Hamburg / Gotha 1847, VI, Schelling und Schleiermacher als Hauptrepräsentanten des Pantheismus. Zum Streit um die göttlichen Dinge siehe W. Jaeschke (Hg.), Religionsphilosophie und spekulative Theologie. Der Streit um die göttlichen Dinge (1799-1812), Hamburg 1994. Zu Schellings Debatte mit Jacobi siehe v. Vf., „Atheismus und spekulative Theo-logie. Fichte und Schelling", in: K.-M. Kodalle/M. Ohst (Hg.), Fichtes Entlassung. Der Atheismusstreit vor 200 Jahren, Würzburg 1999,159-174.

8

Vgl. hierzu F.W. Graf, „Der Untergang des Individuums. Ein Vorschlag zur historisch-systematischen Rekonstruktion der theologischen Hegel-Kritik", in: ders. /F. Wagner (Hg.), Die Flucht in den Begriff. Materialien zu Hegels Religionsphilosophie, Stuttgart 1982, 274—307. Hier zahlreiche Belege aus der zeitgenössischen Diskussion.

9

Exemplarisch sei hier nur auf Ch.H. Weiße, Ueber den gegenwärtigen Standpunct der philosophischen Wissenschaft, in besonderer Beziehung auf das System Hegels, Leipzig 1829, 149, 252 und I.H. Fichte, „Speculative Philosophie", in: Heidelberger Jahrbücher der Literatur 26 (1833), 880-907, 978-1010, bes. 979, verwiesen. Siehe aber auch A. Staudenmeier, „G.W.F. Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion (Erste Auflage 1832)", in: F.W. Graf/F. Wagner

DER GEDANKE DER PERSÖNLICHKEIT GOTTES

181

theismuskritik, welche die Philosophien Schellings und Hegels in einem hohen Maße auf sich zogen, bezog ihr Pathos aus dem Interesse an der Wahrung der individuellen menschlichen Freiheit, welche die Kritiker in den Systemen Schellings und Hegels der Allgemeinheit des Denkens geopfert sahen. Auf diesem hier nur angedeuteten problemgeschichtlichen Hintergrund ist es schwerlich als Zufall zu bezeichnen, daß der Gedanke der Persönlichkeit Gottes gerade in der Schrift Schellings zum beherrschenden Thema wurde, welche sich explizit der Frage der menschlichen Freiheit zuwandte, nämlich der Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände10 von 1809. Auch Schellings späte Fassung des Gedankens der Persönlichkeit Gottes, wie sie insbesondere in der Philosophie der Mythologie und der Philosophie der Offenbarung vorliegt, ist verbunden mit dem Interesse an einer philosophischen Begründung der menschlichen Freiheit. Schellings Stellung in dem Streit um die Persönlichkeit Gottes läßt sich auf die These zuspitzen, daß der Gedanke der Persönlichkeit Gottes nur dann Aussicht auf Plausibilität beanspruchen kann, wenn er im Rahmen eines philosophischen Gesamtprogramms begriffen wird. Mit der bloßen Behauptung der Persönlichkeit Gottes und der Auskunft, diese sei dem philosophischen Denken entzogen, ist es folglich noch nicht getan, da eine „völlig unbegriffene und zugestandenermaßen auch nicht begreiflich zu machende Persönlichkeit [...] um nicht viel besser als eine völlig geleugnete" sei." Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes kommt somit erst dann über den Status einer bloßen Behauptung hinaus, wenn er als solcher begriffen ist. Diese These, welche Schelling bereits in seiner Auseinandersetzung mit Jacobi geltend machte,12 erfahrt in der Philosophie der Offenbarung eine geschichtsphilosophische Auslegung. Dadurch wird der Gedanke der Persönlichkeit Gottes mit der Frage nach dem angemessenen Begriff der Freiheit sowie deren geschichtlicher Realisierung verbunden. In diesem Problemkontext fokussiert sich nicht weniger als das Gesamtprogramm der Schellingschen Spätphilosophie. Denn der

(Hg.), Die Flucht in den Begriff. Materialien 97-113.

zu Hegels Religionsphilosophie,

Stuttgart 1982,

10 F.W.J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände [= Freiheitsschrift], SW VII, 331-416. 11 F.W.J. Schelling, Philosophische Entwürfe und Tagebücher 1846. Philosophie der Mythologie und reinrationale Philosophie [= Tagebücher 1846], hg. v. L. Knatz/H.J. Sandkühler/М. Schraven, Hamburg 1998,184. 12 Vgl. F.W.J. Schelling, F.W.J. Schellings Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen des Herrn Friedrich Heinrich Jacobi und der ihm in derselben gemachten Beschuldigung eines absichtlich täuschenden, Lüge redenden Atheismus [= Denkmal], SWX, 47: „Aber solange die wissenschaftlichen Begriffe so beschaffen sind, daß selbst diejenigen Philosophen, welche für die Persönlichkeit Gottes streiten, sich zu dem Bekenntniß gezwungen sehen: nach wissenschaftlichen Begriffen sey die Persönlichkeit Gottes unbegreiflich, so lange hat auch dieser Vorwurf [sc. der Leugnung der Persönlichkeit Gottes durch Spinoza] keine Kraft." Eine wissenschaftliche Begründung des Theismus ist auch das Anliegen Schellings in seiner Auseinandersetzung mit Jacobi. Siehe hierzu v. Vf., „Atheismus und spekulative Theo-logie", 161-163.

182

CHRISTIAN D A N Z

Begriff der Persönlichkeit Gottes, so wird im Folgenden zu zeigen sein, kann in den späten Texten Schellings geradezu als Synonym für den Begriff der Freiheit sowie ihrer geschichtlichen Realisierung gelten.13 Wenn im Folgenden Schellings in der Philosophie der Offenbarung ausgeführter Gedanke der Persönlichkeit Gottes rekonstruiert werden soll, dann sind zunächst dessen systematische Voraussetzungen zu klären. Im Anschluß an diese prinzipientheoretischen Überlegungen ist Schellings Gottesbegriff näher zu untersuchen, und abschließend wird Schellings religionsgeschichtliche Konstruktion des Gedankens der Persönlichkeit Gottes zu würdigen sein.

1. Die systematischen Voraussetzungen von Schellings Gottesgedanken Zu den grundlegenden Einsichten von Schellings später Philosophie gehört die Unterscheidung zwischen dem Begriff des Absoluten und dem Gottesbegriff.14 Ja, man kann sagen, daß deren Nichtunterscheidung für Schelling geradezu zum Signum einer ihrer Grenzen selbst unbewußten Philosophie wurde. So sehr nun beide Begriffe zu unterscheiden sind, so sehr sind sie aber auch aufeinander verwiesen. Ohne einen Bezug zum Begriff des Absoluten ist auch der Gottesbegriff, wiewohl er mit diesem nicht zusammenfällt, nicht zu explizieren.15 Dieser Begriff des Absoluten ist zunächst in seinen Grundzügen zu erörtern. Schellings in München gehaltene Vorlesung über Philosophie der Offenbarung zeichnet sich gegenüber der Berliner Fassung der Philosophie der Offenbarung durch die Eigenheit aus, daß sie die Explikation des Begriffs des Absoluten mit einer prinzipientheoretischen Bestimmung des Philosophiebegriffs verbindet.16 Die Philosophie

13 Vgl. hierzu Tagebücher 1846,66. 14 Dies wurde bereits von P. Tillich, „Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung" [1912], in: ders., Frühe Hauptwerke, Stuttgart 2 1959, 79ff., hervorgehoben. So auch W.G. Jacobs, Gottesbegriff und Geschichtsphilosophie in der Sicht Schellings, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993,265. 15 Vgl. hierzu F.W.J. Schelling, Ueber die Quelle der ewigen Wahrheiten, SWXI, 587. Aufschlußreich für den Zusammenhang zwischen dem Begriff des Absoluten und dem Gottesbegriff ist auch die Deutung der Schellingschen Philosophie und ihres Verhältnisses zu Kants Lehre vom transzendentalen Ideal, die Schellings Sohn, K.F.A. Schelling, Protestantismus und Philosophie, Hamburg/Gotha 1848, 124ff., gibt. Da Schelling selbst diese Schrift seines Sohnes korrigiert hat, kommt dieser Darstellung der Schellingschen Philosophie geradezu der Status einer Selbstdeutung zu. Zu Schellings Arbeit an dem Buch seines Sohnes siehe F.W.J. Schelling, Das Tagebuch 1848. Rationale Philosophie und demokratische Revolution, hg. v. H. J. Sandkühler, Hamburg 1990, 46, 77. 16 So auch jüngst T. v.Zantwijk, Pan-Personalismus. Schellings transzendentale menschlichen Freiheit, Stuttgart-Bad Cannstatt 2000, 234.

Hermeneutik

der

183

DER GEDANKE DER PERSÖNLICHKEIT GOTTES

wird von Schelling hier als „die schlechthin von vorne anfangende Wissenschaft" 17 bestimmt. Ihr obliege die Aufgabe, „das Sein von vorneherein" 18 zu erklären. Im Zuge der Erörterung dieses Philosophiebegriffs expliziert Schelling seine Potenzenlehre 19 sowie einen Begriff des Geistes, welcher ausdrücklich nicht mit dem Gottesgedanken zusammenfallen soll, sondern lediglich als Übergang zu diesem fungiert. Er beinhaltet das, was Schelling mitunter eine Natur in Gott nannte. Die Funktion der von Schelling gewählten Verfahrensweise ist darin zu sehen, daß sich die philosophische Reflexion in ihrem Aufbau von Bestimmtheit selbst durchsichtig werden soll. Schellings Bestimmung der Aufgabe der Philosophie verbindet zwei Einsichten. Zunächst die, daß sich der Denkvollzug nicht unmittelbar aufklären läßt, sondern nur durch einen Umweg über den Anfang. Und zum anderen trägt Schellings Reflexion des Anfangs der Forderung nach methodischer Rationalität Rechnung, insofern die Explikation des Geistes an die Einsicht des Denkenden zurückgebunden bleibt. Die reflexive Selbstvergewisserung der Philosophie als ein freier Vollzug kann nicht von irgend einem Sein ausgehen. Denn ihre Aufgabe soll es ja gerade sein, das Sein als ein frei gesetztes zu erklären. Der erste Schritt auf dem Wege zu einer reflexiven Selbstvergewisserung der Philosophie über sich selbst besteht deshalb in dem Vollzug einer totalen Abstraktion von allem Sein. „Nur dadurch, daß sie sich über dieses Sein hinaussetzt, und das Unbestimmte setzt, setzt sie sich in ein freies Verhältnis zum künftigen Sein."20 Das Resultat dieser methodischen Abstraktion wird von Schelling als das Unbestimmte beschrieben. Dieses Unbestimmte soll als das, was sein wird, festgehalten werden.21 Da dieses Unbestimmte sich als Resultat einer Negation einstellte, ist es auf das Negierte bezogen und als Möglichkeit des Seins zu bestimmen. „Was sein wird, können wir nicht denken ohne unmittelbares Verhältnis zum Sein, d.h., wir können nicht umhin, es als unmittelbare Möglichkeit des Seins eines Seins zu denken, in welchem es sich nicht gleich bleibt, sondern ein anderes wird."22 Aus diesem Grund bezeichnet Schelling diese Möglichkeit des Seins, welche sich zunächst auf dem Weg der reflexiven Selbstdurchdringung der Philosophie einstellt, als „das sein Könnende". 23 Dieses erste Resultat ist jedoch mit der Schwierigkeit behaftet, daß es sich nicht unmittelbar als solches festhalten läßt. Schellings Gedanke ist der, daß die Abstraktion von allem Sein auf das Denken als Produzent aller Bestimmungen führt. Die Produktivität des Denkens besteht jedoch darin, 17 F.W.J. Schelling, Urfassung

der Philosophie

der Offenbarung

[= Urfassung],

hg. v. W . E . Ehr-

hardt, Hamburg 1992,19. 18 Urfassung, 57. 19 Zu der Potenzenlehre des späten Schelling siehe T. Buchheim, Eins von Allem. Die dung des Idealismus

in Schellings Spätphilosophie,

Selbstbeschei-

Hamburg 1 9 9 2 , 1 1 6 f f .

20 Urfassung, 57. 21 Vgl. ebd.: „Die erste Aufgabe der Philosophie ist also, sich selbst in den Stand zu setzen, dieses Unbestimmte als das, was sein wird, festzuhalten - es als ein Bleibendes zu begreifen, und es vor dem blinden Übergang ins Sein zu bewahren." 22 Ebd. 23 Ebd.

184

CHRISTIAN D A N Z

daß sie Bestimmungen hervorbringt. Daher ist das Sein-Können einem „unvermeidlichen Umsturz ausgesetzt",24 nämlich dem in Bestimmungen. Den Denkvollzug als solchen zu durchdringen, ist also gleichbedeutend mit der Aufgabe, das Sein-Können als solches zu denken und es losgelöst von allen Bestimmungen festzuhalten. Nach Schelling ist dies nur dann möglich, wenn das Sein-Können in einem zweiten Schritt als „rein Seiendes" bestimmt wird.25 Diese zweite Bestimmung dessen, was vor dem Sein ist, stellt eine Revision der ersten Bestimmung dar 26 Durch sie wird nämlich das, was vor dem Sein ist, nicht mehr als Produktivität gedacht, sondern als Bestimmtheit. Die Bestimmtheit des Denkens ist jedoch die „Negation des Könnenden".27 In ihr ist das festgehalten, in das die Produktivität des Denkens sonst unvermeidlich oder, wie Schelling auch sagt, blindlings umschlägt.28 Die Selbstdurchdringung des Anfangs der Philosophie führt auf zwei distinkte Strukturmeikmale des Denkens, das Sein-Könnende einerseits und das Rein-Seiende andererseits. Beide Merkmale sind Bestimmungen desselben, nämlich des Denkens 29 Sie verhalten sich zueinander wie Denkvollzug und Bestimmtheit des Denkens. Da jede der bisherigen Bestimmungen nur das ist, was die andere nicht ist, kann die Selbstdurchdringung des Denkens noch nicht als abgeschlossen gelten. Denn keine der bisherigen Bestimmungen dessen, was vor dem Sein ist, ist „um seiner selbst willen".30 Aus diesem Grund geht Schelling zu einer dritten Bestimmung der Struktur des Denkens über, die er das „unzertrennliche Subjekt-Objekt" nennt.31 Dieses dritte Strukturelement zeichnet sich dadurch aus, daß es nicht auf die beiden anderen zu reduzieren ist und somit ein eigenes Strukturelement bildet. In ihm ist nämlich weder das Sein-Können noch das Rein-Seiende festgehalten, sondern deren Verhältnis. „Das Dritte, als das von beiden Einseitigkeiten Freie, kann nur das sein, in welchem der actus nicht die Potenz, und die Potenz nicht den actus ausschließt, oder welches im Vergleich mit dem sein Könnenden nicht aufhört, Sein zu sein."32 Mit dieser dritten Bestimmung ist die Explikation der Strukturmomente des Denkens abgeschlossen, da jeder weitere Explikationsschritt diese Struktur nur wiedelholen würde. Die Selbstdurchdringung des Denkens führt somit auf eine triadische Struktur, und diese

24 Ebd. 25 Ebd. 26 Vgl. hierzu T. Buchheim, Eins von Allem, 121 ff. 27

Urfassung,5%.

28 Vgl. ebd., 63. 29 Ebd., 57: „Wir dürfen dieses Verhältnis nicht bestimmen als eine Zweiheit, sondern vielmehr als eine Doppelheit. Das sein Könnende und das rein Seiende sind ihrem Wesen nach das eine und selbe; aber jenes ist nicht dieses, und dieses ist nicht jenes." 30 Ebd., 58. 31 Ebd., 59. 32 Ebd. Vgl. hierzu auch W. Hogrebe, Prädikation

und Genesis. Metaphysik

stik im Ausgang von Schellings „Die Weltalter", Frankfurt/M. 1989,73.

als

Fundamentalheuri-

D E R G E D A N K E DER PERSÖNLICHKEIT GOTTES

185

nennt Schelling Geist und identifiziert sie mit dem Absoluten.33 Im Begriff des Absoluten erfaßt sich das Denken in der ihm eigenen differenzierten Struktur, welche bei dem Aufbau jeglicher bestimmter Gedanken bereits in Anspruch genommen ist. Aber mit diesem so gewonnenen Begriff des Absoluten ist Schellings prinzipientheoretische Explikation noch nicht abgeschlossen. Das Resultat der bisherigen Erörterung des Anfangs der Philosophie besteht darin, daß das, „was sein wird, als solches festgestellt" und damit gesetzt ist, „als Freiheit, auch nicht zu sein" 34 Das, was vor dem Sein ist, ist durch die Konstruktion des Geistes gegen seine eigene Zukunft sicher gestellt, so daß es nicht blindlings ins Sein übergehen muß. Mit dem Begriff des Geistes tritt ein Perspektivenwechsel in der Argumentation ein.35 Die von Schelling vorgenommene Konstruktion des Geistes kann nur als eine hypothetische angesprochen werden, da sie auf die Selbstvergewisserung der Philosophie über ihren eigenen Anfang bezogen ist. Die drei Strukturmomente des Denkens werden als für das Denken unhintergehbare Momente erwiesen. Die Pointe der Konstruktion Schellings ist daher eine doppelte. Einerseits stellt sie eine Explikation der differenzierten Verfaßtheit des Denkens dar, und andererseits ist mit ihr die Einsicht des Denkens in seine eigene Faktizität verbunden. Es erzeugt für sich die Einsicht, daß es immer schon ist, wenn es sich selbst zu durchdringen versucht. „Der Geist ist also grundlos, er ist ohne vorausgehende Notwendigkeit. Daß der Geist ist, das eben ist der wahre Anfang."36 Ein Beweis des Geistes kann nicht „von der Philosophie, sondern nur durch die Philosophie gegeben werden".37 Eben dadurch, daß es das Denken unternimmt, seinen eigenen Vollzug zu ergründen, nimmt es den Geist als absolute Freiheit schon in Anspruch, ohne ihn jedoch selbst anders als in einem hypothetischen Sinne rekonstruieren zu können. Der absolut freie Geist kommt nicht mit der Bestimmtheit des Denkens zur Deckung, gleichwohl die Bestimmtheit des Denkens die Wirklichkeit des Geistes darstellt. Damit ist der Begriff des Absoluten in seinen Grundzügen umrissen. Er kann als eine Strukturtheorie des Absoluten angesprochen werden.38 Sie stellt die Grundlage von Schellings Erläuterung des Gottesgedankens dar.

33 Vgl. Urfassung, 61. 34 Ebd., 63. 35 Ebd.: „Aber mit dem Begriff des Geistes findet eine völlige Umkehrung statt, wie leicht einzusehen ist. [...] Das, was sein wird, ist als solches festgehalten, also selbst als ein Seiendes, selbst als Gegenwart gesetzt. Jetzt hat der wollende Geist nicht mehr nötig, aus sich herauszugehen, weil er in sich beschlossen ist. Insofern kann er nicht

bloß als mögliche Quelle eines künftigen Seins, son-

dern muß als selbst Seiendes bestimmt sein, und kommt nur noch in bezug auf sich selbst in Betrachtung."

36 Urfassung, 69. 37 Ebd. 38 Ebd., 61: Das Absolute sei „in sich selbst ein Endliches, durchgängig bestimmtes, und doch Unendliches, weil es keiner einzelnen Form Untertan ist, die eine andere ausschlösse, weil es nach außen völlig frei ist".

186

CHRISTIAN DANZ

2. Der Begriff Gottes als absoluter Persönlichkeit Schelling hat verschiedentlich darauf hingewiesen, daß der Ort des Gottesgedankens die Religionsgeschichte sei.39 Gott ist ein bloßes Wort, und nur der Sprachgebrauch kann entscheiden, auf welchen Begriff es eigentlich anwendbar sei. [...] Über die richtige Anwendung dieses Wortes gibt es wohl keine urkundlichere Erklärung, als die Gott selbst dem Gesetzgeber Israels erteilt hat. Mose fragt: ,Wie soll ich dich dem Volk nennen?' - und es wird geantwortet: ,Nenne mich: Ich werde sein, der ich sein werde: dies ist mein Name. 40

Nach der zitierten Stelle aus der Philosophie der Offenbarung ist das Wort Gott nur dann angemessen verwendet, wenn damit auf eine Instanz Bezug genommen wird, von der gilt, daß sie sein kann, was sie sein will. Das Wort Gott markiert folglich eine Differenz zu einer begrifflichen Bestimmung. Sein Gehalt ist ein gleichsam begriffsüberschüssiges Moment.41 Gott ist daher für Schelling nicht primär ein Begriff, sondern ein Name. Weil es keine Erkenntniß des wahren Gottes ohne Unterscheidung gibt, darum ist der Name so wichtig. Die Verehrer des wahren Gottes sind die, die seinen Namen kennen; die Heiden, die seinen Namen nicht kennen, sie kennen den Gott nicht überall nicht (nämlich auch nicht der Substanz nach), sie kennen nur nicht seinen Namen, d.h. sie kennen ihn nicht in der Unterscheidung 4 2

Schelling ersetzt die begriffliche Fassung Gottes durch den Namen. Der Name unterscheidet ein Individuum von einem anderen, ohne es vollständig zu fixieren, so daß es eben sein kann, was es will. Mit dem Namen ist somit eine solche Form der Referenz ausgesagt, welche die Selbstauslegung des Betreffenden zwar von anderen unterscheidet, diese jedoch nicht determiniert.43 Diese mit dem Namen zum Ausdruck gebrachte Differenz gegenüber der begrifflichen Bestimmtheit hat Schelling auch in seinem Verständnis von Persönlichkeit festgehalten. Der Begriff der Persönlichkeit markiert gleichsam die „Gewalt jedes Lebens", wie Schelling einmal formulierte, „eine Vergangenheit auszu-

39 Vgl. etwa F.W.J. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, SWIII, 603; ders., Philosophie und Religion, SW VI, 57. 40 Urfassung, 88. 41 Ebd., 89: „Der vollkommene Geist, inwiefern er ist, der sein wird, der nicht an sich gebunden ist, sondern von sich ausgehen kann, also lebendiger Geist ist, kann allein, urkundlichem Sprachgebrauch gemäß, Gott genannt werden." 42 F.W.J. Schelling, Historisch-kritische Einleitung in die Philosophie der Mythologie [= Einleitung], SW XI, 165. 43 Vgl. ebd., 146: „[...] wer bei einem Namen gerufen wird, wird eben dadurch unterschieden". Zu Schellings mit dem Namen verbundener Konzeption einer vokativen Identität und deren Differenz zu einer begrifflichen Fassung von Identität siehe T. Buchheim, Eins von Allem, 99-107. Vgl. auch A. Hutter, Geschichtliche Vernunft. Die Weiterflihrung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, Frankfurt/M. 1996, 345.

D E R GEDANKE DER PERSÖNLICHKEIT GOTTES

187

schließen, die vor ihm nicht mehr zur Wirklichkeit hervorzutreten vermag". 44 Eine Vergangenheit zurücktreten zu lassen und einen neuen Anfang zu setzen, kann geradezu als das zentrale Bestimmungsmerkmal der Persönlichkeit gelten. Dieses Merkmal entspricht, wie unschwer zu erkennen ist, dem Gehalt von Schellings Freiheitsgedanken 45 An dem angedeuteten Gedanken ist auch Schellings Einführung des Gottesgedankens in der Philosophie der Offenbarung orientiert. Der Übergang von dem Begriff des Geistes zu Gott liegt genau dort, wo der Geist als Anfang einer neuen Bewegung in den Blick genommen wird. Und eben an dieser Stelle führt Schelling den Gedanken der Persönlichkeit Gottes ein. Daher kann gesagt werden, daß Schellings Begriff der Persönlichkeit für den Geist als Anfang eines neuen Prozesses steht, genauer des Schöpfungsprozesses als einem durch den Geist frei gesetzten Anfang. 46 Für Schellings Begriff der Persönlichkeit sind folglich zwei Momente konstitutiv, aus deren Zusammenhang sich erst der Begriff der Persönlichkeit ergibt: Einmal die strukturellen Bestimmungen des Geistes. Diese stehen für diejenige Bestimmtheit, ohne die Freiheit nicht gedacht werden kann 47 Daher setzt auch die Explikation Gottes als Freiheit oder als Persönlichkeit Bestimmtheit voraus. Schelling nannte dies bisweilen Natur und verband damit die These, daß eine wissenschaftliche Darstellung der Persönlichkeit Gottes ohne die Voraussetzung einer Natur in Gott nicht zu haben ist. Pantheismus, so Schelling in seiner Streitschrift gegen Jacobi, sei gerade die Voraussetzung des wahren Theismus bzw. des lebendigen Gottes 48 Und zum anderen enthält Schellings Begriff der Persönlichkeit den unableitbaren Vollzug dieser Struktur, durch die diese zum Anfang einer neuen Bewegung wird. Die begriffliche Bestimmtheit erschöpft folglich nicht die Persönlichkeit, gleichwohl es auch nicht möglich ist, diese durch einen Verzicht auf begriffliches Denken zu erfassen. Die Persönlichkeit, so Schelling, „ist nur erkennbar, inwiefern sie sich durch Äusserungen kundgibt. Aber sie selbst können wir ihrem wahren Inneren nach eigentlich nicht sehen."49

44 F. W. J. Schelling, Philosophie 45 Vgl. Urfassung,

der Offenbarung,

SWXIII, 428.

78f.: „Der absolute Geist geht über alle Formen hinaus. Er ist der von seinem

Geist sein freie Geist - das Geist sein ist ihm nur eine Form des Seins. Diese Freiheit von sich selbst gibt ihm erst die überschwängliche Freiheit, die - sozusagen - aller Gefäße unseres Denkens und Erkennens so ausfüllt und ausdehnt, daß wir fühlen, daß wir am Höchsten stehen - daß wir fühlen, daß wir erreicht haben, worüber nichts Höheres mehr ist. Freiheit

ist unser und der Gott-

heit Höchstes." 46 Vgl. hierzu auch W . E . Ehrhardt, Schelling Leonbergensis,

37, bes. Anm. 33.

47 Siehe hierzu v. Vf., „Atheismus und spekulative Theo-logie", 164f. 48 Vgl. hierzu Denkmal,

SW VIII, 69: „Indem ich übrigens eine solche lebendige Verknüpfung beider

Systeme behaupte, so verstehe ich unter Naturalismus nicht irgend ein auf die äußere Natur sich beziehendes System, sondernd das System, welches eine Natur in Gott behauptet. ses auch kein System möglich sey, welches Bewußtseyn,

Intelligenz

und freien

- Daß ohne dieWillen in Gott be-

hauptet, habe ich bei dem vorigen Satze gezeigt - bewiesen also auch, daß Naturalismus (in dem eben bestimmten Sinn) die Grundlage, 49 F.W.J. Schelling, Grundlegung SS 1833 [= Grundlegung],

das nothwendig

der positiven

Vorausgehende

Philosophie.

Münchner

hg. v. H. Fuhrmanns, Torino 1972,95.

des Theismus ist." Vorlesung

WS 1832/33

und

188

CHRISTIAN D A N Z

Der bisher explizierte Begriff der Persönlichkeit entspricht in seiner formalen Struktur dem Begriff der Persönlichkeit, den Schelling in einem um 1837 verfaßten Psychologischen Schema50 konzipierte. Der Begriff des Menschen wird hier von Schelling als eine in sich differenzierte Einheit dreier Momente bestimmt, die Schelling in diesem anthropologischen Kontext Wille, Verstand und Geist nennt. Es ist leicht zu sehen, daß diese drei anthropologischen oder psychologischen Momente, wie Schelling im gegenwärtigen Kontext sagt, der in sich differenzierten Struktur entsprechen, welche er in der Philosophie der Offenbarung insgesamt vollkommener Geist nennt. Von dieser in sich differenzierten Struktur unterscheidet Schelling den Begriff der Persönlichkeit.51 Diese drei Elemente alles geistigen Seins sind so gegeneinander gestellt, daß es Aufgabe des Menschen ist, sie im rechten, ihrer Natur gemäßen Verhältnis zu vereinigen. Diese Vereinigung ist der Inhalt eines Prozesses, durch den er sich selbst bildet, sich zur bestimmten Persönlichkeit gestaltet. 52

Die Persönlichkeit ist also nicht schon die in sich differenzierte Struktur, so sehr sie freilich die Bedingung der Möglichkeit der Realisierung der Persönlichkeit ausmacht. Vielmehr ist die Persönlichkeit eine Aufgabe, die jeweils nur auf individuelle und damit notwendig differente Weise wahrgenommen werden kann. Als Persönlichkeit realisiert sich der Mensch erst dann, wenn er die Einheit, welche er ist, in seine selbstgesetzte verwandelt und somit das, was er ist, zum Anfang einer neuen Bewegung macht. „Freie In-einsbildung von Willen, Verstand und Geist. Nur in dieser erscheint der Mensch selbst als die über den drei Elementen stehende, frei mit ihnen zu schaffen berufene Macht. Nur in dieser ist der Mensch eine bestimmte Persönlichkeit, ein Ganzes, ein Charakter,"53 Der Begriff der Persönlichkeit steht also für die individuelle Realisierung der Einheit der drei Momente Wille, Verstand und Geist. Aber die Persönlichkeit ist nicht identisch mit dieser Einheit, sondern von dieser unterschieden. Er impliziert eine spezifische Form von Transzendenz, welche gerade in dem Überschreiten der begrifflichen Bestimmtheit liegt. Die genannten zwei Aspekte, Selbstbestimmung einerseits und strukturelle Einheit andererseits, sind auch für Schellings Verständnis der Persönlichkeit Gottes konstitutiv. Die Anwendung des Persönlichkeitsbegriffs auf den Gottesgedanken ist für Schelling eine Zuschreibung.54 Dabei steht der Begriff der Persönlichkeit für den bestimmten Begriff der 50 F.W.J. Schelling, „Das Psychologische Schema", in: W.E. Ehrhardt, Schelling Leonbergensis [= Schema], 16-22. Vgl. auch ders., Anthropologisches Schema, S W X , 289-294. Siehe hierzu J. Hennigfeld, „Der Mensch im absoluten System. Anthropologische Ansätze in der Philosophie Schellings", in: J. Jantzen /P.L. Österreich (Hg.), Schellings philosophische Anthropologie, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002,1-22, bes. 4-13. 51 Urfassung, 422: „Der Geist des Menschen ist, je mächtiger er wirkt, desto unabhängiger von seiner Persönlichkeit." 52 Schema, 17. 53 Ebd., 20. Zum .Charakter' als Merkmal von Schellings Verständnis von Personalität siehe T. Leinkauf, Schelling als Interpret der philosophischen Tradition. Zur Rezeption und Transformation von Piaton, Plotin, Aristoteles und Kant, Münster 1998,162ff. 54 So ausdrücklich Urfassung, 422.

DER GEDANKE DER PERSÖNLICHKEIT GOTTES

189

Freiheit und beinhaltet eine spezifische Form der Transzendierung. Daher stellt die Anwendung des Persönlichkeitsbegriffs auf Gott keine Verendlichung Gottes dar, wie Fichte meinte, sondern gerade eine angemessene Bestimmung Gottes. Denn Gott konstituiert sich als absolute Persönlichkeit allein durch den Vollzug einer Selbstüberschreitung, in der er die Strukturmomente seines Geist-seins als Ausgangspunkt eines neuen Prozesses setzt. Der Gott, in cujus potestate omnia sunt, ist der ganze Gott - nicht eine Gestalt Gottes, sondern Gott in absoluter, vollkommener Persönlichkeit, bei der alles steht, penes quam omnia sunt, die allein was anfangen kann (ich bediene mich gern der populären Ausdrücke. Man sagt von einem Menschen, der unvermögend ist, - er kann nichts anfangen). Diese absolute Persönlichkeit können wir, eben weil sie das alles Anhebende, Urhebende ist, den Vater auch philosophisch nennen. Dieser Vater ist schon ganzer Gott. 55

Dieser Prozeß, der hier nicht im Einzelnen rekonstruiert werden kann, hat nach Schelling die Funktion, die Einheit, die Gott ist, in eine selbstgesetzte freie Einheit zu transformieren.56 Schellings hypothetische Rekonstruktion dieses Prozesses verbindet die Explikation des trinitarischen Gottesbegriffs mit dem Schöpfungsprozeß, der in der Konstitution des Bewußtseins des Menschen kulminiert.57 Durch diese Verbindung verknüpft Schelling den Gedanken der Persönlichkeit Gottes mit der Konstruktion des menschlichen Bewußtseins. Jenes Prinzip, welches in der ganzen Schöpfung Gegenstand der Überwindung im Bewußtsein des Menschen, oder eigentlich in der Entstehung des Menschen, da der Mensch seinem Wesen nach nur Bewußtsein ist, überwunden ist, und der Moment seines Überwundenwerdens eben der Moment des Menschwerdens, der Geburt des Menschen ist - dieses Prinzip ist dem Menschen zur Bewahrung übergeben, um es in seinem Ansich zu erhalten.58

Erst im menschlichen Bewußtsein als dem „Ende der Schöpfung" 59 ist die Einheit Gottes verwirklicht. Es ist die Erscheinung der Einheit Gottes. Daher kann gesagt werden, daß das Wesen des menschlichen Bewußtseins für Schelling die Realisierung der Persönlichkeit Gottes ist. Denn dieses war, so Schelling, „mit dem göttlichen Bewußtsein verbunden - j a das Urbewußtsein könnte man sagen - ist das göttliche Sein selbst gewesen". 60 Damit ist der Gedanke der Persönlichkeit Gottes nicht nur an das menschliche Bewußtsein zurückgebunden. Vielmehr wird das menschliche Bewußtsein von Schelling als die Reali55 Ebd., 156. 56 Ebd., 136: „Er will nur die Einheit, aber damit diese als frei erscheint, muß er das Gegenteil, die Nicht-Einheit setzen." 57 Zu Schellings Fassung des dreieinigen Gottes siehe v. Vf., „,Der Vater ist nicht wirklich ohne den Sohn'. Erwägungen zu Schellings Auseinandersetzung mit Athanasius von Alexandrien", in: R. Adolphi /J. Jantzen (Hg.), Das antike Denken in der Philosophie Schellings, Stuttgart-Bad Cannstatt 2004, 465-482. Zur Trinitätslehre Schellings vgl. auch P. Trawny, Die Zeit der Dreieinigkeit. Untersuchungen zur Trinität bei Hegel und Schelling, Würzburg 2002, 164-183. 58 Urfassung, 229 f . 59 Ebd., 158. 60 Ebd., 10.

190

CHRISTIAN D A N Z

sierung der Persönlichkeit Gottes behauptet. Auf diese Weise verbindet Schelling in dem Gedanken der Persönlichkeit Gottes die Freiheit des Menschen mit dem Gottesgedanken.61 Mit der bisherigen Rekonstruktion kann Schellings Fassung des Gedankens der Persönlichkeit Gottes noch nicht als abgeschlossen gelten. Denn das Bewußtsein, von dem bisher die Rede war, ist lediglich das Wesen des Bewußtseins, nicht jedoch das wirkliche Bewußtsein. Seine Pointe hat Schellings Fassung der Persönlichkeit Gottes aber gerade in seiner religionsgeschichtlichen Durchfiihrang.

3. Die religionsgeschichtliche Konstruktion der Persönlichkeit Gottes Erst in der Offenbarung, so Schelling, erscheint Gott dem Menschen als persönlicher Gott und steht dem Menschen wie ein Mensch gegenüber, und was von Moses gesagt wird, Gott habe mit ihm, nicht, wie mit den Propheten, durch Visionen, sondern von Angesicht zu Angesicht gesprochen, dies kann in der Offenbarung überhaupt gesagt werden; er stellt sich dem Menschen, wie eine Person der Person, entgegen. 6 2

Mit dieser Behauptung verbindet Schelling die These, daß sich der Mensch erst durch die Offenbarung als freie Persönlichkeit konstituiert. „Die Offenbarung selbst ist jenes Verhältnis zu Gott im Geist, das, was erst sein soll."63 Die Religionsgeschichte ist für Schelling die Geschichte der Realisierung sowie des Bewußtwerdens der freien Persönlichkeit. Schellings Gedanke der Persönlichkeit Gottes kann daher als eine Ausdrucksgestalt der sich selbst durchsichtig gewordenen endlichen Persönlichkeit verstanden werden. Diese These soll im Folgenden erläutert werden. Schellings Begriff der Religion hat seine Eigenart darin, daß er ein von der Vernunft unabhängiges Prinzip der Religion behauptet.64 Mit Schellings Religionsphilosophie ist somit eine Kritik an der Vernunftreligion der Aufklärung sowie deren - in Schellings Augen vorgenommene - Fortführung in der Religionsphilosophie Hegels verbunden. Der Philosophie der Mythologie obliegt daher die Funktion des Nachweises eines Prinzips der Religion, welches vom Denken und der Vernunft unabhängig ist.65 Die Religion fußt nach 61 Ebd., 215: „Denn gerade in diesem Begriff der Schöpfung müssen die Mittel liegen, die Freiheit des Menschen mit der göttlichen Kausalität, mit der göttlichen Allmacht, zu vereinigen." 62 Ebd., 423. 63 Tagebücher

1846,120.

64 Zu Schellings Begriff der Religion und der mit diesem verbundenen Kritik an der Vernunftreligion der Aufklärung siehe auch D. Korsch, Der Grund der Freiheit. Eine Untersuchung zur schichte der positiven

Philosophie

und zur Systemfunktion

des Christentums

Problemge-

im Spätwerk F. W.J.

Schellings, München 1980,199-203. 65 F.W.J. Schelling, Philosophie

der Mythologie.

Nachschrift

der letzten Münchener

Vorlesung

1841, hg. v. A. Roser/Н. Schulten, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996, 191: ,,[A]ls Voraussetzung die-

D E R G E D A N K E DER PERSÖNLICHKEIT GOTTES

191

Schelling auf einem realen Verhältnis des Menschen zu Gott. Dieses reale Verhältnis des Menschen zu Gott deutet Schelling als die Substanz des menschlichen Bewußtseins und identifiziert diese mit der Freiheit. Erst in diesem eigentümlichen Prinzip der Religion findet Schellings Behauptung ihre Begründung, daß die Religionsgeschichte der Prozeß des sich selbstdurchsichtig Werdens der menschlichen Freiheit darstellt. In dem wesentlichen Bewußtsein oder, wie Schelling auch sagt, dem Uibewußtsein, liegen die das Bewußtsein konstituierenden Potenzen ineinander. Daher ist es nicht nur Gott setzendes Bewußtsein, sondern auch das Gott als Persönlichkeit setzende Bewußtsein. Das wesentliche Bewußtsein ist jedoch kein wirkliches Bewußtsein. Es ist die Bedingung der Möglichkeit des Bewußtseins überhaupt und somit übergeschichdich 66 Diesem Bewußtsein kommt das Merkmal der Unbedingtheit zu, jedoch so, daß diese nicht für das Bewußtsein ist. Für das Bewußtsein kann der Unbedingtheitsbezug des Bewußtseins nur durch einen Aktus sein. Erst durch diesen Aktus, der als ein Selbstvollzug des Bewußtseins verstanden werden muß, konstituiert sich das wirkliche Bewußtsein. Dieser Vollzug ist so beschaffen, daß das Ineinander der Strukturmomente des Bewußtseins und somit die Einheit, welche den Kern des Persönlichkeitsgedankens ausmacht, auseinander tritt. Mit der Aktualisierung des durch den Schöpfungsprozeß in seine Potentialität zurückgeführten Sein-Könnens durch den Menschen wird, so Schelling, „die höhere Persönlichkeit, die eben in dem überwundenen Prinzip sich ganz verwirklicht hat, von seinem Wesen wiedei" ausgeschlossen und „als negiert in Bezug auf sich" gesetzt, „denn sie vernichten, oder auch nur das Prinzip, das in ihm selbst wieder wirkend geworden ist, zu jener höhern Persönlichkeit ganz außer Bezug setzen kann er nicht."67 Durch die Selbstkonstitution des Bewußtseins, die als ein Akt der Freiheit nicht a priori konstruiert, sondern nur als Tatsache konstatiert werden kann, tritt der Eigenwille des Menschen an die Stelle des Universalwillens. Die das Bewußtsein konstituierenden Prinzipien werden durch den Selbstvollzug des Bewußtseins aus ihrer Einheit gesetzt, so daß das Bewußtsein, da es als solches die es konstituierenden Prinzipien nicht los werden kann, nun diesen unterworfen ist. Damit ist das Bewußtsein einer Bewegung unterworfen, „an der Denken und Wollen, Verstand und Freiheit keinen Theil mehr haben". 68 Der Mensch konstituiert sich durch die Realisierung seiner Freiheit als einer selbstgesetzten erst als ein wirkliches Bewußtsein, aber nicht als Persönlichkeit. Denn eine bestimmte Persönlichkeit realisiert der Mensch allein dadurch, daß er die sein Bewußtsein konstituierenden Prinzi-

ser von Vernunft und Philosophie unabhängigen Religion blieb uns nur das natürlich Gottsetzende des Bewußtseyns übrig, ein allem Denken und selbst der Vorstellung vorausgehendes, mithin wesentliches

Verhältniß zu Gott, aus dem das Bewußtseyn nicht heraustreten kann, ohne einem Pro-

zeß unterworfen zu werden, der sich als theogonischer verhält." 66 Vgl. Einleitung, S W X I , 184f. 67 Urfassung, 230. 68 Einleitung,

S W X I , 192. Vgl. auch ebd.: „Das Bewußtseyn ist in diese Bewegung unversehens, auf

eine ihm jetzt selbst nicht mehr begreifliche Weise verwickelt. Sie verhält sich zu ihm als ein Schicksal,

als ein Verhängniß,

gegen das es nichts vermag. Es ist eine gegen das Bewußtseyn

reale, d.h. jetzt nicht mehr in seiner Gewalt befindliche Macht, die sich seiner bemächtigt hat."

Οηκκήαν DANZ

192

pien als eine innere Einheit verwirklicht. Dem mythologischen Bewußtsein korrespondiert daher, daß dessen Götter keine Persönlichkeiten sind, sondern seiende Götter.69 Schelling rekonstruiert die geschichtlich vorliegende Mythologie als einen natürlichen Prozeß der Wiederherstellung der Einheit des Bewußtseins. Die Prinzipien des Bewußtseins wirken im mythologischen Bewußtsein lediglich als natürliche Potenzen. So ist der Prozeß der Mythologie ein bloß natürlicher, an dem die Gottheit als solche keinen Theil hat, von dem sie sogar ausgeschlossen ist. Dennoch ist dieser Proceß, inwiefern durch ihn das Gott Setzende des Urbewußtseyns wiederhergestellt werden soll, ein theogonischer, Gott (im Bewußtseyn) erzeugender zu nennen; die Mächte, welche Ursachen des Processes, sind als theogonische Mächte anzusehen.70

Die Grenze des mythologischen Prozesses liegt darin, daß durch das natürliche Wirken der Prinzipien des Bewußtseins der Grund des Auseinandertretens der Prinzipien des Bewußtseins nicht aufgehoben wird. Das mythologische Bewußtsein ist ein sich selbst nicht durchsichtig gewordenes geschichtliches Bewußtsein. Daher ist die „Versöhnung im Heidentume [...] bloß subjektiv, weil sie nicht den eigentlichen und wahren Grund der Trennung von Gott, sondern nur die Folgen des göttlichen Unwillens im Bewußtsein überwand."71 Der Durchbruch des Persönlichen durch das Natürliche bildet das bestimmende Merkmal von Schellings Offenbarungsbegriff. Die Negation des Unmittelbaren ist Schellings Leitmetapher für den Offenbarungsbegriff.72 Jahwe erscheint im Bewußtsein als der wahre Gott allein durch eine Negation des unmittelbaren Gottes des Bewußtseins, des Elohim. Jede Offenbarung setzt ein Medium voraus, etwas, wodurch sie das erscheinen läßt, was sie offenbar machen will. Dieses Medium, in welchem sie den wahren Gott Jehova erscheinen läßt, ist für die zweite Persönlichkeit eben jenes widerstrebende Prinzip, welche sie gleichsam als ein unabhängig von ihr vorhandenes bloß benützt, als dieses Medium der Erscheinung des wahren Gottes.73

Der unmittelbare Gott des Bewußtseins muß also negiert werden, damit der wahre Gott an diesem erscheinen kann. Das Persönliche kann sich somit nur als Negation an dem Natürlichen zur Geltung bringen. Dadurch wird das Natürliche zum Medium des Persönlichen, an dem dieses sich darstellen kann. Mythologisches und christlich-religiöses Bewußtsein unterscheiden sich somit nicht schon durch ihre Inhalte, sondern allein durch die Stellung des Bewußtseins zu seinen Inhalten. Erst dem Offenbarungsbewußtsein wird seine eigene Reflexivität so durchsichtig, daß es seine Inhalte als Medium des Persönlichen erfaßt. Aus diesem Grand kann Schelling den Offenbarungsgedanken sowohl mit der Konstitution der

69 Vgl. Einleitung, SWXI, 165. 70 Philosophie

der Offenbarung,

SWXIII, 369.

71 Urfassung, 551.

72 Vgl. ebd., 490. 73 Ebd., 489. Vgl. Einleitung, SWXI, 165.

DER GEDANKE DER PERSÖNLICHKEIT GOTTES

193

Persönlichkeit des Menschen wie der der Persönlichkeit Gottes verbinden. Korrelat des Offenbarungsbewußtseins ist der persönliche Gott. Er konstituiert sich als Negation des unmittelbaren Gottes des Bewußtseins. Dies ist jedoch nur im Horizont der Zeit möglich. Hieraus resultiert Schellings geschichtsphilosophische Auslegung des Persönlichkeitsgedankens. Sie nimmt in der Philosophie der Offenbarung die Gestalt einer Christologie an.74 Denn der Inhalt der Offenbarung ist keine Lehre, sondern eine Person.75 Das Faktum der Offenbarung entspricht dem Faktum des Falls des Menschen 76 Die Person des Christus wird von Schelling strikt geschichtlich ausgelegt.77 Sie ist nicht nur die geschichtliche Realisierung wahrer menschlicher Persönlichkeit, sondern auch die geschichtliche Realisierung der Persönlichkeit Gottes. Schellings materiale Entfaltung der Christologie, welche hier nicht im Einzelnen verfolgt werden kann, orientiert sich an den dogmatischen Gehalten der christlichen Theologie, jedoch so, daß sie diese durch den Gedanken der Selbständigkeit des Sohnes nicht unerheblich verändert. Die Gestalt, die sich in der Geschichte als die Person des Christus manifestiert, reicht nicht nur bis in den Anfang zurück,78 sie wirkt auch schon in der Mythologie, wenn auch nur als natürliche, die von dem mythologischen Bewußtsein noch nicht durchschaut wird. Der Grundgedanke von Schellings Auslegung der Gestalt des Christus ist der Gedanke einer Selbstnegation, durch die sich die zweite Potenz, welche in der Mythologie nur als natürlich-kosmische Potenz wirkte, in ihrer Selbständigkeit negiert und dadurch als Persönlichkeit konstituiert.79 74 Zur Christologie Schellings siehe vom Vf., Die philosophische

Christologie

F.W.J.

Schellings,

Stuttgart-Bad Cannstatt 1996. 75 Vgl. Philosophie

der Offenbarung, S W X I V , 35: „Unter der Offenbarung nämlich, welche wir als

Gegensatz der Mythologie oder des Heidenthums betrachten, verstehen wir nichts anderes als das Christenthum; [...] Der eigentliche Inhalt des Christenthums ist aber ganz allein die Person Christi; [...] In einer Philosophie der Offenbarung handle es sich allein oder doch nur vorzüglich darum, die Person Christi zu begreifen." 76 W.G. Jacobs, Gottesbegriff

und Geschichtsphilosophie

in der Sicht Schellings,

266: „Wie das

Böse ein Faktum, zu dessen Erklärung die transzendentale Prinzipienreflexion nicht zureichend ist, darstellt, so führt die Reflexion der positiven Philosophie auch auf ein Faktum, auf Christus. Wenn aber nur Persönliches Persönliches heilen kann, so ist hier auf persönliche Anerkennung rekurriert." Vgl. auch Tagebücher 1846, 218. 77 Vgl. Urfassung, 606f.: „Der eigentliche Inhalt des Christentums ist Christus selbst und seine Geschichte, nicht die äußere seiner Taten und Leiden während der Zeit seiner sichtbaren Menschheit, sondern die höhere Geschichte, in welcher sein Leben als Mensch selbst nur Übergang, ein Teil ist." 78 Vgl. hierzu Kants Bestimmung des Urbildes eines Gott wohlgefälligen Menschen. Dieser sei nicht nur in Gott „von Ewigkeit her", sondern „die Idee desselben geht von seinem Wesen aus; er ist sofern kein erschaffenes Ding, sondern sein eingeborner Sohn". Auch nach Kant ist „jenes Urbild vom Himmel zu uns herabgekommen".

I. Kant, Die Religion

innerhalb der Grenzen der

bloßen

Vernunft, В 73 f. 79 Philosophie

der Offenbarung,

SWXIV, 37: „Der Sohn konnte unabhängig von dem Vater in eig-

ner Herrlichkeit existiren, er konnte freilich außer dem Vater nicht der wahre Gott, aber er konnte

CHRISTIAN DANZ

194

Als Persönlichkeit konstituiert sich die zweite Gestalt dadurch, daß sie ihre durch den Fall des Menschen erlangte Selbständigkeit sowie ihre durch den mythologischen Prozeß erlangte Herrschaft über das Bewußtsein negiert. Auch die zweite Gestalt kann nur durch die Negation ihrer unmittelbaren Selbständigkeit Persönlichkeit sein. Aus diesem Grund ist Schelling an den Theologumena der Menschwerdung, des Kreuzestodes und der Auferstehung Christi interessiert. Er deutet sie insgesamt als den Prozeß der Konstitution und der Realisierung wahren Menschseins. Christus realisiert das Urbewußtsein als geschichtlicher individueller Mensch, und zwar dadurch, daß seine unmittelbare Selbstbestimmung zum Medium des Göttlichen wird.80 Nur in seinem Menschsein kommt seine göttliche Gesinnung zur Darstellung. Diese Gesinnung deutet Schelling als eine Willensbestimmung, in der der allgemeine Wille zum Bestimmungsgrund des individuellen Willens wird.81 „Das Göttliche ist das die menschliche Natur als solche Setzende, und diese, die menschliche Natur, verhält sich daher als das durch das Göttliche Gesetzte."82 Vermöge seiner Einheit mit Gott, welche in seiner Gesinnung besteht, realisiert Christus das Gute in der Geschichte. Er ist die geschichtliche Selbstrealisierung des sittlich Guten unter den Bedingungen der Entfremdung des Menschen vom Guten. Sein Wille ist so in Einheit mit dem allgemeinen Willen, daß der Individualwille nicht diesem übergeordnet ist. Daher durchbricht in der Gestalt dieses Subjekts das Persönliche das Natürliche.83 Die Geschichte des Christus ist die Geschichte der Konstitution der geschichtlichen Persönlichkeit. Als eine geschichtliche Persönlichkeit konstituiert sich der Christus durch seine Menschwerdung, seinen Tod und seine Auferstehung, welche Schelling als Darstellung der göttlichen Gesinnung am Ort des Individuellen deutet. In ihm wird das Individuelle zum Medium des Göttlichen. Indem Christus seine unmittelbare Selbständigkeit gegenüber Gott zur Materie der Verwirklichung der Gottheit macht, kann auch die dritte Gestalt des Bewußtseins aus ihrer Negation negiert werden. Menschwerdung und Tod des Christus sind so nicht nur der Übergang zur Geburt des Geistes,84 sondern auch die Verwirklichung der Persönlichkeit Gottes. Damit realisiert Christus, indem er sich als sittliche

doch außer und ohne den Vater Gott, nämlich Herr des Seyns, zwar nicht dem Wesen nach, aber doch actu Gott seyn. Diese Herrlichkeit aber, die er unabhängig von dem Vater haben konnte, verschmähte der Sohn, und darin ist er Christus. Das ist die Grundidee des Christenthums." 80 Urfassung,

574: „Die Bedingung der Erscheinung des Göttlichen ist eben das Menschgewordene

Sein der bloßen Substanz; das Göttliche ist nicht vor der Menschwerdung da, sondern Christus ist erst in der Menschwerdung Gott und Mensch zugleich in einer Person. War er nicht wirklicher Mensch, so konnte er auch nicht als Gott erscheinen. Dies ist die Bedingung." 81 Zum Gesinnungsbegriff Schellings siehe Urfassung, 587. 82 Ebd., 542. 83 Ebd., 471: „[...] das Persönliche Christi ist mit seiner Erscheinung im Fleische erklärt, denn erst da ist er als vom Vater unabhängige, wiewohl im innigsten Einverständnisse mit ihm seiende, Persönlichkeit erklärt. Von diesem Augenblicke an ist er ihm [sc. dem Evangelisten Johannes] erst eine entschiedene Persönlichkeit, und darum hatte er vorher ganz abstrakt gesprochen." 84 Vgl. ebd., 563.

DER GEDANKE DER PERSÖNLICHKEIT GOTTES

195

Person verwirklicht, zugleich die Persönlichkeit Gottes, welche in der Einheit der drei Potenzen besteht. Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes wird von Schelling mit der geschichtlichen Offenbarung verbunden. Nur in der Offenbarung erscheint Gott dem Menschen persönlich. Anschaubar ist dies an der Geschichte des Christus. Indem Christus die Persönlichkeit Gottes realisiert, ist er zugleich für Schelling die geschichtliche Realisierung wahren individuellen Menschseins. 85 Er realisiert in der Geschichte das Gott setzende Urbewußtsein. Allein mit diesem ist Schellings Gedanke der Persönlichkeit Gottes verbunden.

Zusammenfassung In seinen späten Vorlesungen über Philosophie der Offenbarung bestimmt Schelling Gott als einen persönlichen Gott. Die Eigentümlichkeit von Schellings Fassung der Persönlichkeit Gottes liegt darin beschlossen, daß sie eine Theorie der geschichtlichen Realisierung der Freiheit beinhaltet. Daher ist der Gedanke der Persönlichkeit Gottes für Schellings Spätphilosophie nicht peripher, sondern in ihm fokussiert sich das Gesamtanliegen von dessen später Philosophie. Der Gottesgedanke setzt eine Strukturtheorie des Absoluten voraus, mit der er nicht zusammenfällt. Gleichwohl der Gottesgedanke der begrifflichen Bestimmtheit nicht entbehren kann, enthält er ein begriffsüberschüssiges Moment. Dieses entspricht dem Freiheitsgedanken Schellings. Zwar expliziert die Gotteslehre der Philosophie der Offenbarung Gott schon als absolute Persönlichkeit. Diese Konstitution Gottes als absoluter Persönlichkeit ist jedoch zurückgebunden an die Konstitution des menschlichen Bewußtseins als einem Gott setzenden Bewußtsein. Die geschichtliche Realisierung dieses Gott setzenden Bewußtseins liegt nach Schelling in der Offenbarung vor, deren Inhalt die Geschichte des Christus darstellt. Deshalb erscheint Gott erst in der Offenbarung als ein persönlicher Gott. Mit der geschichtlichen Offenbarung verbindet Schelling die Konstitution des Menschen als einer freien Persönlichkeit.

85 Christus sei „erst der wahre, der eigentliche Mensch [ . . . ] , da der erste Mensch nur der Ansatzpunkt dazu war". Tagebücher tenberg 1845,263.

1846, 52, mit Bezug auf R. Rothe, Theologische

Ethik Bd.II, Wit-

V.

Personalia - Apersonalia

PAULZICHE

„Die Seele weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft." Zum Zusammenhang von Wissenschafts- und Personbegriffen bei Schelling1

1. Anthropozentrische Wissenschaftsbegründung Die Frage nach der adäquaten Thematisierung von Personalität hat die kritische Diskussion von Schellings Philosophie bereits früh zu begleiten begonnen. Die überaus kritische Rezension von Schellings Vom Ich als Princip der Philosophie in der Allgemeinen Literatur-Zeitung - die Rezension stammt von J.B. Erhard - wendet gegen Schelling ein, dieser mystifiziere das „Gefühl unserer Persönlichkeit", das „in der That etwas Großes" habe, „gegen das alle Naturkraft unwirksam erscheint". Schellings Fehler bestünde darin, die Persönlichkeit zum Gegenstand des Wissens zu machen, anstatt sie im moralischen Handeln zu betrachten.2 Aus heutiger Sicht kann ein anderer Sachverhalt größere Schwierigkeiten bereiten, nämlich Schellings ausdrücklicher Verzicht darauf, an manchen systematisch gewichtigen Stellen seiner Philosophie überhaupt Personalität in Anspruch zu nehmen. Die aktuelle philosophische Debatte sieht eine Person als etwas absolut Werthaftes, ein Lebewesen, das mit auszeichnenden Fähigkeiten wie Willen, Freiheit, Erkenntnis oder Selbstbewußtsein begabt ist.3 Vor diesem Hintergrund enthalten Schellings Schriften eine Provokation. Ab 1807 findet sich bei Schelling wiederholt ein Argument zur Begründung von Wissenschaftlichkeit, das eindeutig eine unpersönliche Instanz, nämlich die Seele - gemäß der Passage, die der Titelformulierung vom Zusammenhang von Seele und Wissenschaft unmittelbar vorhergeht: „Also Seele ist das Unpersönliche" 4 - , allen Instanzen im Menschen, die eines Wissens fähig sind und die zugleich mit seiner Personalität assoziiert

1

Das Titelzitat aus den Stuttgarter Privatvorlesungen (1810) in SWVII, 469. - Der vorliegende Text ist gegenüber der Vortragsversion erweitert und revidiert worden; die abgedruckten Diskussionsbeiträge erörtern aber Fragen, die auch die revidierte Version betreffen.

2

Die Rezension (Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr. 319, 11.10.1796, Sp.89-91) ist in F.W.J. Schelling, Historisch-kritische Aus gäbe, Bd.1,3, Stuttgart-Bad Cannstatt 1982, 180-183, abgedruckt; die Zitate 182. Schelling reagiert darauf mit einer Antikritik (a.a.O., 191-195).

3

Eine pointierte Liste solcher Merkmale bei G. Mohr, „Was ist eine Person? Begriffsgeschichte und aktuelle philosophische Diskussion", in: Ders. (Hg.), Was ist eine Person?, Bremen 2002,9-29. F.W.J. Schelling, Stuttgarter Privatvorlesungen (aus dem handschriftlichen Nachlaß) (1810) [= Stuttgarter Privatvorlesungen], SWVII, 469.

4

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sind, überordnet.5 Angesichts von Schellings beispielsweise in der Freiheitsschrift vorgetragener Kritik an einer unpersönlich-abstrakten, unlebendigen Auffassung unter anderem von Gott verdient dieser Befund besondere Beachtung. Schelling selbst stellt heraus, daß die Unpersönlichkeit der Seele keineswegs einen Verzicht auf epistemische Ansprüche impliziert. In den Stuttgarter Privatvorlesungen folgt auf die Unpersönlichkeitsbehauptung in Bezug auf die Seele unmittelbar eine Identitätsbehauptung, die Seele und Wissenschaft identifiziert: „die Seele weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft".6 Dieser Satz liest sich zunächst als unmittelbare - wenn auch nicht explizit als solche vorgestellte - Folgerung aus der Unpersönlichkeit der Seele. Schelling führt hierdurch ein klassisches begründungstheoretisches Problem (die Unterscheidung von Prinzip und Prinzipiiertem, die genau analog in anderen Grundfragen der Schellingschen Philosophie wie der nach der Offenbarung Gottes oder nach der wissenschaftlichen Begründung einer Wissenschaft, etwa der Philosophie, auftritt) in die interne Strukturierung des menschlichen Geistes nach unterschiedlichen Schichten, deren eine die Seele bildet, ein. Der Geist erweist sich als stratifiziert in einer Weise, die seine Abgrenzung nach oben (gegen die Seele als Unpersönliches) wie nach unten (gegen das Gemüt bzw. gegen das Verstandeslose, den „Wahnsinn"7) problematisch macht. Genau hierin scheint der entscheidende Akzent von Schellings Überlegungen zum Verständnis von Persönlichkeit wie auch von Wissenschaft zu liegen: Beides kann nicht isoliert von demjenigen, gegen das es gegenüberstellend abgegrenzt werden muß, verstanden werden (vgl. dazu Abschnitt ΠΙ.3). Zugleich ist die Verbindung zwischen Wissenschaft und Unpersönlichem auch für Analysen zum Thema Personalität bedeutsam. Man verliert nach Schelling nämlich den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit keineswegs, wenn man den Bereich des Personalen verläßt, im Gegenteil: nur so kann man, nach der Passage der Stuttgarter Privatvorlesungen, zu wahrhafter Wissenschaftlichkeit gelangen. Schelling verbindet in der angeführten Passage die Wissenschaft und das Unpersönliche, unter der offenkundigen Absicht einer Sicherung wissenschaftlicher Ansprüche. Die Sicherung von „Wissenschaftlichkeit"8 ge5

In früheren Texten hatte Schelling dem absoluten Ich, das als Grundlage eines Systems der Philosophie dienen sollte, ausdrücklich die Personalität abgesprochen. Vgl. F.W.J. Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795), in: Ders.: Historisch-kritische Ausgabe, Bd.I,2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, 128 (SWI, 200). Vgl. dazu auch den Beitrag von Axel Hutter. - Die Motive für die Abweisung eines personalen Prinzips scheinen denjenigen zu entsprechen, die Schelling die Wissenschaft als unpersönlich auffassen lassen; Personalität ist zu stark besondert, um eine Prinzipientheorie und Wissenschaftlichkeit zu ermöglichen. Wichtig an den Überlegungen der Stuttgarter Privatvorlesungen wird aber, daß eine Betonung von Unpersönlichkeit nun in einem Kontext vorgetragen wird, in dem Schelling sich von wichtigen Aspekten seiner früheren Personalitätskritik verabschiedet hat.

6 7

Stuttgarter Privatvorlesungen, Ebd.

8

Dieser - keineswegs selbstverständliche - Terminus tritt bei Schelling im Zusammenhang mit der Begründung eines realisierbaren Systems von Wissenschaften in den Vorlesungen über die Me-

SW VII, 469.

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hört zu den zentralen Anliegen von Philosophie, und zwar sowohl die Sicherang ihrer eigenen Wissenschaftlichkeit als auch derjenigen anderer Wissenschaften. Dieses Anliegen hat selbst eine Geschichte, die engstens mit der nachkantischen Philosophie verbunden ist. Hatte Kant noch auf paradigmatische Wissenschaften wie die Mathematik oder die „reine Naturwissenschaft" verwiesen, nicht um die Philosophie darauf zu reduzieren, sondern um aus ihnen Maßstäbe und konkrete Verfahrensregeln für die Wissenschaftlichkeit auch der Philosophie zu gewinnen, wird im Anschluß an Kant bei Reinhold, Fichte, Schelling oder Hegel, d.h. im Zuge der Ausbildung eines sich auf Kant berufenden, aber durch durchgehende Systematizität ausgezeichneten Philosophierens, noch direkter als bei Kant gefordert, daß Philosophie diejenige Fundamentalwissenschaft sei, die alle anderweitigen Wissenschaftlichkeitsansprüche zu begründen hat. Formuliert man zunächst ohne Rückgriff auf den Begriff der Person, dann ist bei den Nachfolgern Kants das Problem der Wissenschaftsbegründung engstens mit einem Prinzip von Subjektivität verbunden, nämlich mit einem reinen Ich, d.h. einem Ich, das jedem individuellen Ich im Rückgang auf das rein Innere zugänglich ist, zugleich aber, aufgrund seiner Reinheit, in jedem Ich in gleicher Weise vorauszusetzen oder zu fordern ist. Schelling hatte jedoch für Philosophie und Wissenschaftsbegründung sehr bald ein Prinzip angesetzt, das „jenseits des Bewußtseyns" liegen müsse. 9 Im System des transscendentalen Idealismus nimmt er ein „allgemein Vermittelndes"10 an, wodurch das Zusammenkommen von gewußtem Gehalt und wissendem Subjekt aus einem Prinzip jenseits des Bewußtseins - hier mit „Geist" bezeichnet - begründet werden sollte. Nur so könne nämlich die im Wissen erreichte Subjekt-Objekt-Identität nochmals in einer Weise fundiert werden, die beiden Seiten dieser Identität ihr Recht zukommen lasse und nicht eine auf die andere reduziere. Die Berufung auf ein Unpersönliches in den Stuttgarter Privatvorlesungen erinnert an diese Funktion eines Vermittelnden jenseits des Bewußtseins. Da die Seele oberste Potenz im menschlichen Geist ist, wird das unpersönliche Prinzip im Menschen selbst greifbar, auch wenn Schellings Verständnis von Seele in diesen Zusammenhängen nicht mit dem Konzept individueller Seelen zusammenfallen muß. Eine derartige Form von Wissenschaftsbegründung kann man als depersonal bezeichnen, wobei allerdings immer noch - wie in der Berufung auf ein reines Ich - ein anthropozentrischer Aspekt als Ausweitung der Subjektorientierung der idealistischen Frühschriften Schel-

thode des akademischen Studiums 1803 wiederholt auf. Vgl. auch den folgenden Beleg aus Schellings Fichte-Kritik von 1806, der Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen Lehre: Schelling wirft Fichte vor, bei diesem ginge es „mit aller Wissenschaftlichkeit zu Ende", was daran liege, daß Fichte kein geeigneter „Verbindungsbegriff' zur Verfügung stehe (SWVII, 9). Schelling will nun Philosophie als „Wissenschaft des Göttlichen" verstehen; dies erfordere eine Darstellung des Lebens Gottes in der Natur, was „ohne Zweifel die letzte Synthese des Idealen mit dem Realen, des Erkennens mit dem Seyn, und daher auch die letzte Synthese der Wissenschaft" sei (SWVII, 34). 9 F.W.J. Schelling, Allgemeine Uebersicht der neuesten philosophischen Literatur (1797/98), in: Ders., Historisch-kritische Ausgabe, Bd. 1,4, Stuttgart-Bad Cannstatt 1988,150 (SW1,423). 10 F.W.J. Schelling, System des transscendentalen Idealismus (1800), SWIII, 353.

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lings erhalten bleibt, 11 ja in der sehr starken Behauptung der Identität einer Potenz im menschlichen Geist - der Seele - mit der Wissenschaft sogar massiv hervorgehoben wird. Schelling führt in seinem Werk ab 1807 noch (mindestens) an drei weiteren Orten mehr oder weniger wörtlich wiederholend - neben etlichen weiteren, strukturell parallelen Stellen 12 - die Überlegung von der Seele als selbst nicht wissend, aber die Wissenschaft seiend an. Diese Wiederholungen, in der Sache unverändert und in der Bewertung nicht modifiziert, können als Indiz dafür gelten, daß hierin ein für Schelling wesentlicher Grundgedanke benannt ist und daß es ihm wichtig war, diese Überlegung als eine solche auszuweisen, die in unterschiedlichen Sachgebieten zum Tragen kommen muß. Im folgenden wird versucht, die gegenseitige Verwiesenheit von Person- und Wissenschaftsbegriffen bei Schelling am Leitfaden dieser wiederholten Formulierungen darzustellen und abschließend systematisch auszuwerten.

2. Kontexte der Unterscheidung von Wissenschaft und Wissen 2.1. Stuttgarter Privatvorlesungen: Wissenschaft, Person, Charakter Die einschlägige Passage aus den Stuttgarter hang:

Privatvorlesungen

lautet im Zusammen-

Also Seele ist das Unpersönliche. Der Geist weiß, aber die Seele weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft. Der Geist, weil er auch die Möglichkeit zum Bösen in sich hat, kann nur gut seyn, d.h. Theil haben an der Güte, die Seele aber ist nicht gut, sondern ist die Güte selbst. 13

11 Daß etwa in der Freiheitsschrift oder in den Stuttgarter Privatvorlesungen der Mensch in neuer Weise ins Zentrum der Philosophie tritt, ist vielfach konstatiert worden. Zum Thema Anthropologie bei Schelling vgl. z.B. J. Jantzen/P. Oesterreich (Hg.), Schellings philosophische Anthropologie, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002. Vgl. auch die Analyse der Freiheitsschrift unter dem Terminus „Pan-Personalismus" bei T. van Zantwijk, Pan-Personalismus. Schellings transzendentale Hermeneutik der menschlichen Freiheit, Stuttgart-Bad Cannstatt 2000. 12 Aus dem direkten Umkreis der Stuttgarter Privatvorlesungen sei verwiesen auf den Briefwechsel mit Eschenmayer; Eschenmayer zitiert eine Passage aus den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie (SW VII, 149) und wendet ein: „In den Jahrbüchern heißt es: Die Vernunft hat nicht die Idee Gottes, sondern sie ist diese Idee selbst und nichts außerdem. In diesem Satze, in welchem die Vernunft der Idee Gottes gleich gesetzt ist, können die Stammbegriffe des Verstandes von Grund und Folge usw. keine Anwendung mehr finden, weil die Einheit nicht die Allheit auszumessen vermag, und die Vernunft als das universelle Organ nicht wieder rückwärts in den Verstand als dem particulären Organ kann aufgenommen werden." (SW VIII, 146) 13 SWVII, 469. Zum Stichwort „Seele" vgl. auch Schellings Schrift Philosophie und Religion (1804), SW VI, 39, mit der Auffassung, bei den Griechen sei die Seele das gefallene Göttliche im Menschen.

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Diese Passage gehört zur Behandlung dreier „Potenzen" im „menschlichen Geist", nämlich Gemüt, Geist und Seele („Geist" tritt zweimal auf, einmal als Bezeichnung des übergeordneten Ganzen, zum anderen als einzelne Potenz). Der Geist scheint somit so konstituiert zu sein, daß er auch nicht-Geistiges in sich enthält, und spezifischer sogar solches, das - wie die Seele - nicht mehr persönlich ist.14 Die drei Potenzen markieren eindeutig eine Stufenfolge. Die Seele steht höher als der Geist, dieser wiederum höher als das Gemüt. Entsprechend ist das Wissenschaft-Sein höher anzusetzen als das Wissen, das dieGüte-Sein höher als das „gut seyn". Daß die Seele nun als unpersönlich aufzufassen ist, kann in einem ersten Schritt erläutert werden aus einem Gemeinverständnis von Seele und von Wissenschaft. Sowohl in der traditionellen Auffassung von der Seele als unsterblich als auch in der Annahme einer Weltseele liegen Konzeptionen vor, die eine Seele zumindest nicht auf zeitlich existierende Lebewesen einschränken; und im Anspruch von Wissenschaften - ebenso von moralischen und ästhetischen Urteilen - auf Objektivität wird ebenfalls ein Überschreiten von subjektiven Individualauffassungen gefordert. Selbstverständlich werden auch die einzelnen Wissensakte des Geistes diesem Objektivitätsanspruch zu genügen haben. Schelling scheint jedoch der Meinung zu sein, daß solche Akte objektiven Wissens noch nicht hinreichen, „die" Wissenschaft, von der er im emphatischen Singular spricht, zu bestimmen. Er läßt dabei unentschieden, ob er jede Wissenschaft schlechthin meint oder aber die abstrakte Qualität der Wissenschaftlichkeit überhaupt. Jedenfalls ist Wissenschaft in diesem Sinne zu unterscheiden von einer Sammlung von Wissensbeständen. Bereits in den Stuttgarter Privatvorlesungen macht Schelling klar, daß mindestens in drei Bereichen dieselbe Struktur auftritt, nämlich bei den Verhältnissen Persönlichkeit/Unpersönlichkeit, Wissen/Wissenschaft, gut sein/Güte sein. Die drei Verhältnisse treten dabei allerdings als leicht unterschiedlich akzentuierte Formen einer Beziehung eines Begründeten zu seinem Grund auf. Es ist keineswegs direkt evident, daß das Verhältnis von Unpersönlichem zu Persönlichem (wobei Schelling dem Unpersönlichen der Seele gar nicht direkt eine Person oder das Persönliche gegenüberstellt, sondern eben den Geist oder den Geist in seiner doppelten Ausprägung als Verstand und Vernunft 15 ) genauso zu denken ist wie das von Wissenschaft zu einzelnen Akten des Wissens. Das praktische Problem eines Verhältnisses von gut sein und „die Güte selbst sein" ist wiederum in seiner Struktur anders angelegt. Schelling unterscheidet bei letzterem nicht zwischen der Güte als allgemeiner Qualität und einzelnen Akten des guten Handelns, sondern zwischen Güte und der umfassenden charakterlichen Wertung, die einen Menschen (genauer wieder: einen Geist) als gut kennzeichnet. Bereits hier deutet sich an, daß die von Schelling parallelisierten Gegenüberstellungen nicht nach dem Modell von Entgegensetzungen verstanden werden dürfen. Ungeachtet der Ungleichartigkeit der behandelten

14 Der Begriff „Geist" spielt bereits in der Allgemeinen

Uebersicht

eine zentrale Rolle; vgl. dort

85-88, 109f. (SWI, 366-370, 381-383). 15 Schelling möchte die seit Kant etablierte Unterscheidung von Verstand und Vernunft zurücknehmen und eine eher gradweise Unterscheidung vornehmen (SW VII, 472).

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Fälle scheint Schelling zudem davon auszugehen, daß in allen Fällen eine identische Struktur zugrundeliegt. Das Schichtenmodell des menschlichen Geistes hat für Schelling eine bedeutsame methodische Konsequenz. Am Anfang der Weltalter-Texte und in den Erlanger Vorträgen Ueber die Natur der Philosophie als Wissenschaft gestattet und fordert diese Vervielfältigung von unterschiedenen Instanzen innerhalb des menschlichen Geistes es, Philosophie in Form des Gesprächs, nach dem Modell einer „inneren Unterredungskunst", zu entwikkeln: „Diese Scheidung, diese Verdoppelung unsrer selbst, dieser geheime Verkehr, in welchem zwey Wesen sind, ein fragendes und ein antwortendes, ein wissendes oder vielmehr das die Wissenschaft selber ist, und ein unwissendes nach Klarheit ringendes, diese innere Unterredungskunst, das eigentliche Geheimniß des Philosophen".16 Da durch die Seele auch diejenige Instanz, die Wissenschaft repräsentiert, in den menschlichen Geist eingeschrieben ist, hat eine solche gesprächsbasierte Methode der Philosophie wiederum nicht zur Folge, daß Philosophie auf Wissenschaftlichkeit zu verzichten hätte.17

2.2. Seele, Erkenntnis, Kunst, Erhebung über die Selbstheit: „Die Rede Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zur Natur" von 1807 Wohl zum erstenmal bei Schelling tritt die Unterscheidung zwischen Wissenschaft-Sein und Wissen in der Rede Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur von 1807 auf. Schelling verweist später selbst ausdrücklich auf diese Passage.18 Die einschlägige Stelle entspricht durchgehend fast wörtlich derjenigen in den Stuttgarter Privatvorlesungen, fügt aber eine weitere Vergleichsebene hinzu: Die Seele ist also im Menschen nicht das Princip der Individualität, sondern das, wodurch er sich über alle Selbstheit erhebt, wodurch er der Aufopferung seiner selbst, uneigennütziger Liebe, und, was das Höchste ist, der Betrachtung und Erkenntniß des Wesens der Dinge, eben damit der Kunst, fähig wird. Sie ist nicht mehr mit der Materie beschäftigt, noch ver16 F.W.J. Schelling, Die Weltalter. Fragmente, hg. v. M. Schröter, München 1946, 5; vgl. die Passage in den Erlanger Vorträgen, SWIX, 238. - Zum methodischen Modell des Gesprächs vgl. die Einleitung von T. Buchheim zu F.W.J. Schellings Freiheitsschrift (F.W.J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, hg. v. T. Buchheim, Hamburg 1997, XXVII). 17 Schelling verwendet im Zitat aus den Weltalter-Fragmenten eine gegenüber den Stuttgarter Privatvorlesungen und den weiteren i.f. herangezogenen Passagen insofern abweichende Terminologie, als er diejenige Seite, die für „Wissenschaft" steht, auch - allerdings nicht ohne dies sofort zurückzunehmen - als „wissend" bezeichnet und hier nun als Gegenüberstellung zur Wissenschaft eine „unwissende" Instanz annimmt. In der Sache wird man jedoch diese aufeinander verwiesenen, aber einander gegenüberstehenden Seiten mit dem identifizieren dürfen, was er in anderen Texten als „Wissenschaft" und „wissend" unterscheidet. - Die Version dieser Passage in SW(SWVIII, 201) formuliert noch einmal anders; sie unterscheidet „ein unwissendes, das aber Wissenschaft sucht, und ein wissendes, das aber sein Wissen nicht weiß". 18 Vgl. SWXI, 519.

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kehrt sie unmittelbar mit ihr, sondern nur mit dem Geist, als dem Leben der Dinge. Auch im Körper erscheinend, ist sie dennoch frei von dem Körper, dessen Bewußtseyn in ihr, in den schönsten Bildungen, nur wie ein leichter Traum schwebt, von dem sie nicht gestört wird. Sie ist keine Eigenschaft, kein Vermögen, oder irgend etwas der Art insbesondere; sie weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft, sie ist nicht gut, sondern sie ist die Güte, sie ist nicht schön, wie es auch der Körper seyn kann, sondern sie ist die Schönheit selber.19

Sehr viel ausführlicher als die Passage der Privatvorlesungen umschreibt Schellings Rede den überindividuellen Aspekt der Seele. Auch hier wird deren Unpersönlichkeit direkt mit einer epistemischen Leistung, nämlich der der Wesenserkenntnis, verbunden. Anhand der Kunst, die Schelling bereits im System des transscendentalen Idealismus in ihrer Zwischenstellung zwischen individueller Produktion bzw. individuellem Produkt einerseits, allgemeiner Bedeutsamkeit und unendlichem Gehalt andererseits erörtert hatte, läßt sich diese tiberindividuelle Leistung gut exemplifizieren. Schelling nutzt diese Merkmale von Kunst im weiteren Verlauf seiner Rede, wenn er die Perspektive der Betrachtung von Kunstwerken weiterführt und nun den Künstler thematisiert. Dessen Seele ist es, die im Kunstwerk sichtbar werden soll, als „Urkraft des Gedankens [...] oder als einwohnende, wesentliche Güte". 20 Man kann hierin ein konkretes Beispiel eines individuenübergreifenden „Rapports" (wie Schelling, erstmals in der Freiheitsschrift, dann immer wieder unter Verwendung einer z.B. im Kontext des Mesmerismus belegten Metapher aus dem Bereich direkter, nicht-rationalisierbarer - un- und unterbewußter - zwischenmenschlicher Beziehungen sagt21) sehen: Der Mensch erkennt, mit Hilfe seiner Seele, im Kunstwerk die Seele eines anderen Menschen, und zwar in Form nicht eines Abdrucks der Individualität des Künstler, auch nicht in einem Auffassen von dessen Gedanken bzw. seiner individuellen moralischen Qualität, sondern auf der überpersönlichen Ebene der „Urkraft" oder der „wesentlichen Güte". In der Rede von 1807 wird ein zweiter Aspekt ausgesprochen, der in den Stuttgarter Privatvorlesungen nicht direkt erkennbar war, nämlich die Frage nach dem ontologischen Charakter der Seele. Die Seele ist in zweifacher Weise der Materialität enthoben. Was sie zur Erkenntnis bringt (man kann nicht sagen, daß sie etwas eikennen würde!), nämlich die „Urkraft des Gedankens", ist ein nicht-materieller Sachverhalt. Zum zweiten wird die Seele, selbst wenn sie in einem Körper erscheint, dadurch doch nicht zu einem Körperlichen. Schelling charakterisiert die Seele vor diesem Hintergrund durch negative Prädikate: Sie ist keine Eigenschaft, die erst an etwas anderem existent würde, und sie ist kein Vermögen, das nur in seiner Ausübung realisiert würde. Analog kann Wissenschaft nicht als Eigenschaft oder Vermögen einer Person beigelegt werden.

19 F.W.J. Schelling, Ueber das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur (1807), SW VII, 312. 20 Ueber das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, SW VII, 312. 21 Freiheitsschrift, SWVII, 380.

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2.3. „Weltalter": Ein neuer Begriff von Wissenschaft und das „Verstummen der Wissenschaft" aufgrund ihrer Personalität Schellings Weltalter-Projekt ist eng auf eine Analyse von Problemen und Möglichkeiten der geistigen Lage bezogen, wie Schelling sie in seiner Zeit erlebte. Auch dabei übernimmt eine Betrachtung zum Begriff der Wissenschaft eine tragende Funktion. Ein wesentlicher Ansatz für eine mögliche Erneuerung der geistig-kulturellen Lage liegt nach Schelling nämlich genau im Aufkommen eines neuen Wissenschaftsbegriffs, der deutliche Wurzeln bei Kant und in Schellings Naturphilosophie hat, aber auch darüber hinausweisende geschichts- und religionsphilosophische Aspekte enthält: Die bisher geltende Vorstellung von der Wissenschaft war, daß sie eine bloße Folge und Entwickelung eigener Begriffe und Gedanken sey. Die wahre Vorstellung ist, daß es die Entwickelung eines lebendigen, wirklichen Wesens ist, die in ihr sich darstellt. Es ist ein Vorzug unserer Zeiten, daß der Wissenschaft das Wesen wiedergegeben worden, und zwar, wie wohl behauptet werden darf, auf eine Art, daß es sie nicht leicht wieder verlieren kann. 22

Der Grand dieser Errungenschaft liegt nach Schelling im „dynamischen Geist", der zu einem irreversiblen Fortschritt nicht nur in der Naturphilosophie, sondern in der Philosophie überhaupt geführt habe. Diese dynamische Betrachtungsweise führt auf ein „Urlebendiges" als ein Ältestes, das sich entwickelt. In der Lebendigkeit einer Wissenschaft, die dieses Urlebendige betrachtet, ist wiederum ein Rückbezug auf dynamische oder organische Wissenschaftsauffassungen gegeben. Auch hier nun unterscheidet Schelling zwischen Wissenschaft und Gewußtem, wenn er fragt: „Warum kann das Gewußte auch der höchsten Wissenschaft nicht mit der Geradheit und Einfachheit wie jedes andere Gewußte erzählt werden?"23 In diesem Zusammenhang fällt die bereits bekannte Aussage: Aus der Quelle der Dinge geschöpft und ihr gleich, hat die menschliche Seele eine Mitwissenschaft der Schöpfung. In ihr liegt die höchste Klarheit aller Dinge, und nicht so wohl wissend ist sie als selber die Wissenschaft. 24

Die Seele verfügt mithin über eine „Mitwissenschaft" - sicher auch als wörtliche Eindeutschung von con-scientia zu verstehen - der ganzen Schöpfung („aller Dinge"). Die Wahl dieses Terminus macht aber aufgrund der Unterscheidung von Wissenschaft und Wissen klar, daß die Seele deshalb noch nicht über ein Wissen verfügt, weder von den Einzelheiten der Schöpfung noch von der Schöpfung insgesamt. Ihre Mitwissenschaft wird nicht erzeugt, sondern simultan mit-gegeben; um in Wissen überführt zu werden, ist ein weiterer Schritt erforderlich.

22 F.W.J. Schelling: Die Weltalter. Bruchstück. Aus dem handschriftlichen Nachlaß (Fassung von 1814 oder 1815) [= Weltalter 3. Fassung], SW VIII, 199. 23 Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 200. 24 Ebd.

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Bis hierher stehen die Überlegungen der Weltalter in guter Übereinstimmung mit denen der Stuttgarter Privatvorlesungen. Am Ende des ersten Weltalter-Drucks findet sich jedoch eine bekannte Stelle, die einen anderen Akzent setzt. Schelling bekennt sich hier zu einem ungewandelt beibehaltenen Interesse an Wissenschaft, sieht aber die Notwendigkeit, daß Wissenschaft in einer als durchgängig personalisiert erkannten Welt verschwinden müsse: Und so sehr ich jederzeit die Rechte der Wissenschaft vertheidiget habe und mein ganzes Leben hindurch vertheidigen werde, möchte ich [...] sagen, [...] wie weit näher, als die Meisten wohl begreifen können, ich jenem Verstummen der Wissenschaft bin, welches dann nothwendig eintreten muß, wenn wir erkennen, wie alles so unendlich persönlich zugeht, daß es unmöglich ist, irgend etwas eigentlich zu wissen. 25

Ex negatione bestätigt sich hier, daß Wissenschaft stets ohne Personalität auskommen muß bzw. daß eben dort, wo Persönlichkeit herrscht, keine Wissenschaft mehr möglich ist. Allerdings scheint Schelling nun die Unterscheidung von Wissenschaft und Wissen aufzuheben, da mit der Wissenschaft zugleich auch das Wissen verschwinden werde. Auch dieser Gedanke läßt sich aber in die bisher vorgestellte Auffassung von Wissenschaft einbeziehen. Was aufgelöst wird, wenn der von Schelling beschriebene Zustand eintritt, ist genau die Unterscheidung zwischen einem unpersönlichen Grund von Wissen und demjenigen Wissen, das von Personen getragen wird. Wird dieser Zusammenhang dadurch aufgelöst, daß man durchgehend von einem persönlichen Erkenntnisgrund ausgeht, so werden genau dann sowohl Wissenschaft als auch Wissen zugleich unmöglich, wenn beide korrelativ aufeinander bezogen sind. Genau diese wechselseitige Verwiesenheit von Wissen und Wissenschaft deutet sich aber auch in den bisher behandelten Passagen an.

2.4. „Reinrationale Philosophie": Seele, Wissenschaft, Potentialität In den letzten Texten Schellings findet sich ein weiterer Hinweis auf die Überlegung zur Seele als nicht wissender Wissenschaft, soweit ich sehe der einzige derartige Hinweis, der ausdrücklich einen Rückbezug auf eine frühere Formulierung (die in der Rede von 1807) herstellt. In der 22. Vorlesung der Darstellung der reinrationalen Philosophie faßt Schelling den Ertrag seiner in diesem Text vorangegangenen Erörterungen zum Begriff der Seele und insbesondere den Ertrag seiner Auseinandersetzung mit Aristoteles dahingehend zusammen, nun sei „Erklärt, wenigstens von Einer Seite, das bei anderer Gelegenheit und unabhängig von Aristoteles gesprochene Wort: die Seele weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft. Sie ist die unausgesprochene, die bloß materiell vorhandene, nicht zur Wirklichkeit erhobene Wissenschaft." 26 Im folgenden erörtert Schelling dann, wieder 25 Weltalter. Fragmente, 103; gleichlautend in SW VIII, 200. 26 SWXI, 519. - Allerdings stellt Schelling gerade durch diese Betonung seiner eigenen Unabhängigkeit von Aristoteles den Bezug auf diesen ausdrücklich her. Dies bedürfte eingehenderer Diskussion. Schellings Anspruch, mit seiner Einsicht in die Identität von Seele und Wissenschaft ver-

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entsprechend den früheren Diskussionen zu diesem Thema, den Geist und führt genauer aus, was dieser nicht kann: „Im Geist ist nichts bloß der Materie oder Potenz nach; er ist daher nicht Wissenschaft, sondern nur wissend: wissend aber nur durch sein Verhältniß zu der Seele."27 Das Begriffspaar Potentialität-Wirklichkeit gestattet eine neue Bestimmung des Verhältnisses von Wissenschaft und Wissen: Wissenschaft ist durchgängig bloße Potentialität, während Wissen immer aktualen Vollzug meint.28

3. Wissenschaft und Person: Eine depersonale Wissenschaftstheorie Das Bild von Wissenschaft, das sich im Überblick über die angeführten Passagen gewinnen läßt, erweist sich trotz der mehr oder weniger wörtlichen Wiederholungen als spannungsvoll. Drei Aspekte sind zusammenzudenken: Wissenschaft ist ein Ideal, an dem Schelling festhält; Wissenschaft ist durchgängig durch das Prädikat der Unpersönlichkeit bestimmt; Schelling bemüht sich - etwa in der Freiheitsschrift - um eine durchgehende Personalisierung mit der in den Weltaltern benannten Gefahr, daß Wissenschaft dabei verlorengeht. In drei Schritten soll im folgenden versucht werden, Schellings Wissenschaftsverständnis anhand der herangezogenen Passagen zusammenzufassen und die Folgerungen für das eng mit der Frage nach der Wissenschaft verbundene Problem der Personalität zu ziehen. Gefragt werden soll: 1. 2.

Wie vollzieht sich Wissenschaft unter den genannten Gegebenheiten für den Menschen? Welche Folgerungen für die wissenschaftliche Behandlung von Personalität lassen sich ziehen?

trete er eine Aristotelische Idee, dürfte so zu deuten sein, daß er hier die Aristotelischen Auffassungen, die Wissenschaft sei der Potenz nach alle unter sie fallende Gegenstände (De Anima, 430al9, 431Ы), und die Seele sei ebenso der Möglichkeit nach mit allen von ihr zu erfassenden Gegenstände zu identifizieren (De Anima, 431b21), zusammenführt. 27 SWXI, 520. 28 Vgl. auch SWXI, 453: Schelling bringt hier das Verhältnis von Wissenschaft und wissenschaftserzeugender Tätigkeit als „Gleichnis" für den Aristotelischen Begriff der Entelechie vor; vgl. auch folgende allerdings kaum transparente Passage (SWXI, 454): „die Seele [ist] Actus, aber nicht als Actus, intelligent, aber der Sache nach; materiell, ohne sich als intelligent zu wissen." Vgl. weiter die Erlanger Vorträge, SWIX, 243: „In der Philosophie ist nicht der Mensch der Wissende, sondern er ist das dem eigentlich Wissenerzeugenden widerstrebende, durch beständigen Widerspruch es anhaltende - reflektirende - , aber eben darum für sich gewinnende freie Denken. Jenes Wissenerzeugende aber vermag alles, denn es ist der Geist, der durch alles geht, die ewige Magie [i.S. von Schellings Etymologie, die „Magie" von „mögen" ableitet, P.Z.], die Weisheit, die aller Kunst Meister ist."

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3.

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Welche Logik ist hinter der Gegenüberstellung von Wissenschaft und Wissen erkennbar?

3.1. Wissenschaftliche Tätigkeit als Rezeptivität gegenüber höheren Eingebungen Schellings Überlegung unterstützt ein Wissenschaftskonzept, das in seinen epistemischen Ansprüchen insofern konservativ ist, als es überpersönliche Objektivität für wissenschaftliche Aussagen in Anspruch nimmt. Eine unpersönliche Wissenschaft, die allen einzelnen Wissensakten zugrundeliegt, soll dies sichern. Die unpersönliche Wissenschaft - die Seele - allein kann aber, wie Schellings Erläuterung durch die Potentialität-Wirklichkeit-Terminologie in der Darstellung der reinrationalen Philosophie noch einmal aufzeigt, kein Wissen generieren. Die Umkehrung gilt genauso: Wissenschaft ist nicht als Agglomerat einzelner Wissensakte aufzubauen. Es wäre demnach ein Grundfehler, analog zur Verabsolutierung des Eigenwillens in der Freiheitsschrift, wenn man annähme, eine Person selbst könne Wissenschaft betreiben im Sinne eines eigengenerierten Hervorbringens von Wissenschaft, oder genauer noch: sie könnte Wissenschaft generieren, indem sie ihre Personalität einbringt (vgl. die zitierte Weltalter-Passage, in der Schelling ausdrücklich ablehnt, Wissenschaft als Entwicklung „eigener Gedanken" zu verstehen). Schelling selbst skizziert einen Weg, der von der Seele, also der Wissenschaft, zum Wissen führt; dem umgekehrten Weg scheint er hingegen keine Relevanz beizumessen. In den Stuttgarter Privatvorlesungen schildert er diesen Übergang folgendermaßen: Um von der Wissenschaft zum Wissen zu gelangen, muß die Seele mit dem Geist in Beziehung treten. Als „Probierstein der Wahrheit" 29 ist es die Vernunft - sie gehört zum Geist als der zweiten der drei Potenzen im menschlichen Geist, ist also der Seele untergeordnet - , die diesen Übergang wesentlich bestimmt. Die Vernunft erhält „Eingebungen" von der Seele, und je nachdem, ob sie diese aufnehmen kann oder nicht, sind sie wahiheitsfähig oder nicht. Die Vernunft verhält sich gegenüber der Seele als ein empfangendes, leidendes Vermögen; Schelling definiert sie als „Submission unter höhere Beweggründe", so daß in ihr „offenbar etwas Hingebendes, Leidendes liegt".30 Ihre Leistung als Probierstein der Wahrheit kennzeichnet Schelling im Rückgriff auf eine methodische Prozedur, die von ihm bereits in früheren Schriften zur Klärung der Methode der Philosophie herangezogen wurde, nämlich die Konstruktion in der Mathematik: „Sie ist in dieser Beziehung für die Philosophie das, was der reine Raum für den Geometer. Was in der Geometrie falsch ist, einen unrichtigen Begriff, nimmt der Raum nicht an, stößt es zurück", und genauso die Vernunft, die in sie nicht Aufnehmbares, aber tentativ an sie Herangetragenes repeliierend abweist. Das Unpersönliche wird hier als aktiv beschrieben, die niedere Instanz der Vernunft bietet demgegenüber nur die Folie, auf der die Seele ihre Eingebungen verzeichnen 29 Die folgenden Zitate aus SW VII, 472. 30 Vgl. auch entsprechende Passagen z.B. in der Fichte-Kritik von 1806 (SWVII, 46): „wahre Wissenschaft" fordert ,,ruhige[s] Geltenlassen".

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kann. Bereits durch diese aktive Verfaßtheit ist das Unpersönliche von einer leeren Allgemeinheit unterschieden. Personalität kommt in dieser Konzeption dann ins Spiel, wenn Schelling eine Begründung für die Irrtumsmöglichkeit im Erkennen sucht. Es ist nämlich nicht so, daß die Vernunft in dem Sinne Probierstein der Wahrheit wäre, daß sie kraft eigener Diskriminationsfähigkeit diejenigen Eingebungen der Seele, die nicht wahrheitsfähig sind, aussortieren würde. Vielmehr sind alle Eingebungen, wenn sie nur aus der Seele kommen, wahrheitsfähig, und umgekehrt: „Was die Vernunft nicht annimmt, was sie zurückstößt, was sie nicht in sich verzeichnen läßt, das ist nicht von der Seele eingegeben, das kommt aus der Persönlichkeit."31 Wozu braucht es dann einen Probierstein überhaupt? Es werden keine inhaltlichen Kriterien sichtbar, aufgrund derer die Vernunft entscheiden könnte, ob eine an sie herangetragene Eingebung in ihr verzeichnet werden kann oder nicht. Dennoch konstituiert sie, in ihrer passiv empfangenden Tätigkeit, eine Scheidung in das, was in sie aufgenommen werden kann und was nicht. In ihr berühren sich also Persönliches und Unpersönliches, und in ihr werden sie zugleich geschieden. Zudem ist nur durch eine solche Instanz, die an einem anderen Ort aufnehmen oder zurückweisen kann, ein zur-Wirklichkeit-Kommen der bloß potentiellen Wissenschaft möglich; ohne eine solche Instanz gibt es keine existente Wahrheit, auch wenn aufgrund der Quelle bereits feststehen wird, wie sich diese Instanz zu entscheiden haben wird. Weiterer Diskussion bedürftig ist damit die Frage, ob die Vernunft (und damit auch der Verstand, der ja für Schelling, nur mit der Aspekt-Unterscheidung, im Vergleich zur passiven Vernunft eher aktiv zu sein, mit der Vernunft identisch ist) selbst als persönlich oder als unpersönlich zu kennzeichnen ist. Die Unterscheidung einer Wissenschaft, die unpersönlich ist, von einem Wissen, das in der Vernunft stattfindet, legt nahe, sie als persönlich zu kennzeichnen. Irrtümer ergeben sich dann, wenn sich die Vernunft auf sich selbst bezieht, wenn sie zugleich aktiv und passiv zu sein versucht, oder aber wenn sie sich auf eine im Schichtenmodell unterhalb ihrer liegende Ebene bezieht. An dieser Stelle ist ein Blick auf die Definition von Personalität bei Schelling hilfreich, wie Schelling sie in der Freiheitsschrift gibt. Personalität entsteht, im Falle Gottes, „durch das Band Gottes mit der Natur", „durch die Verbindung des idealen Princips in ihm mit dem (relativ auf dieses) unabhängigen Grunde, da Basis und Existirendes in ihm sich nothwendig zu Einer absoluten Existenz vereinigen".32 In diesem Sinne verstanden, kann die Persönlichkeitsauffassung der Freiheitsschrift mit dem (Un-)Personalitätskonzept der Stuttgarter Privatvorlesungen in Deckung gebracht werden: Persönlichkeit ist nicht einfach eine Eigenschaft, die als solche und in Form eines eigenständigen Wesenszugs demjenigen, was durch sie ausgezeichnet werden soll, beigegeben werden kann. Sie konstituiert sich allererst, indem ein Zusammenhang, eine „Verbindung" (etwa von Grund des 31 SW VII, 472. - Gefragt werden könnte hier allerdings, wie und in welcher Form dann eine falsche Erkenntnis überhaupt denkbar sein kann. Wenn fehlerhafte Eingebungen überhaupt nicht in die Vernunft eingetragen werden können: wie kann ich mich dann überhaupt irren? 32 Ebd., 395. - Vgl. auch F. Moiso, „Gott als Person", in: O. Höffe/А. Pieper (Hg.), Klassiker Auslegen: F. W.J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, Berlin 1995,189-220.

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211

Existierenden und Existenz) hergestellt wird. In diesem Sinn kann dann auch der Geist (Vernunft/Verstand), als Ort des Zusammentreffens der unterschiedlichen Formen von Eingebungen, als persönlich verstanden werden (wobei dann wieder die Persönlichkeit in zwei Formen auftritt, einmal als dieser Ort des Zusammentreffens, zum anderen als die irrtumsanfällige Quelle von Eingebungen). Persönlichkeit und Wissen bzw. die menschliche Realisierung von Wissenschaft werden jeweils als Formen von Verbindung bestimmt, sie definieren sich wesentlich über eine Funktion, nämlich die, Verbindungen zwischen voneinander grundlegend unterschiedenen Ebenen herzustellen. Immer noch trägt diese Konzeption von Wissenschaft in vielem - jedenfalls was die eher wissenschaftstheoretischen Aspekte angeht - durchaus herkömmliche Züge und kann von daher auch als Analyse des etablierten Wissenschaftsbegriffs verstanden werden. Nicht nur das Abzielen auf Objektivität und der (in anderer Form auch in jeder empiristischen Wissenschaftsauffassung implementierte) Anspruch eines bloß empfangenden Verhaltens bleiben erhalten. Ein dritter Aspekt erscheint bedeutsam: In jeder Wissenschaft hat man Zugang zum Unpersönlichen (letztlich sogar: man muß jede wahrhaft wissenschaftliche Aussage als Eingebung des Unpersönlichen verstehen). Dieser Zugang zum Unpersönlichen vollzieht sich aber gerade nicht, indem man im Unpersönlichen aufzugehen versucht und hat auch kein solches Aufgehen zur Folge. Die Unterscheidung von Wissendem und Wissenschaft muß gewahrt bleiben, und die Vernunft als das aufnehmende Organ ist selbst ein Prinzip, das diese Unterscheidung sichert. Wenn die Seele ohne diese vermittelnde Instanz wirken könnte, betriebe man nicht Wissenschaft, sondern begäbe sich in die Sphäre der Religion: „Dieses unbedingte Walten der Seele ist Religion, nicht als Wissenschaft, sondern als innere und höchste Seligkeit des Gemüths und Geistes" (genannt werden an dieser Stelle nur die beiden unteren Potenzen des menschlichen Geistes, weil die Seele eben das Wirkende ist).33 Im Unterschied dazu formiert sich der Bereich der Wissenschaft, und zwar jeglicher Wissenschaft; nach Schelling kommt es nicht darauf an, mit welcher Art von Gegenständen sich eine Wissenschaft befaßt. Seien diese noch so erhaben oder noch so niedrig, entscheidend ist lediglich das Woher ihres Gegebenseins.

33 SW VII, 473. - Vgl. als Parallele F. Schleiermacher, Über die Religion. unter ihren Verächtern

[1799], in: Ders., Kritische

Gesamtausgabe,

Reden an die

Gebildeten

Bd.1/2, Berlin / New York

1984, 212: „Die Moral geht vom Bewußtsein der Freiheit aus, deren Reich will sie ins Unendliche erweitern, und ihr alles unterwürfig machen; die Religion athmet da, wo die Freiheit selbst schon wieder Natur geworden ist, jenseits des Spiels seiner besondem Kräfte und seiner Personalität faßt sie den Menschen, und sieht ihn aus dem Gesichtspunkte, w o er das sein muß was er ist, er wolle oder wolle nicht." - Bei Schelling vgl. insbesondere die kritischen Einwände Eschenmayers, auf die Schelling in Philosophie

und Religion antwortet.

212

P A U L ZICHE

3.2. Person, Wissenschaft, Reduktion Der Anspruch, den die angeführten Überlegungen Schellings in den Stuttgarter Privatvorlesungen tragen, ist enorm. Der Mensch, und das heißt: jeder Mensch, soll als ein „Mittler"34 erwiesen werden, der zwischen Gott und der Natur vermittelt. Die Stellung und Aufgabe des Menschen entspricht damit ganz analog derjenigen des klassischen „Mittlers" der christlichen Religion und Theologie, Jesus, der zwischen Gott und Mensch zu vermitteln hat. Begrifflich sind dazu - wie Schelling z.B. in seiner Fichte-Kritik von 1806 anmerkt (vgl. Anmerkung 8) - geeignete „Verbindungsbegriffe" erforderlich. Schellings Analyse des Verhältnisses von Wissenschaft und Wissen liefert einen solchen Verbindungsbegriff, der sich dahingehend formulieren läßt, daß der Mensch zwar als Person weiß, nämlich durch Eintragen von Eingebungen aus der unpersönlichen Seele in seinen Geist, daß er aber nicht durch seinen Geist weiß. In diesen Konzeptionen hätte dann auch die Lösung für das eingangs benannte Problem zu liegen, daß man - im Anschluß an Kant - nach einer subjektzentrierten, aber eben nicht empirischen und von daher ebenfalls als unpersönlich zu kennzeichnenden Wissenschaft vom Menschen suchen mußte. Zwar ist die Seele unpersönlich und aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung gegenüber den anderen Potenzen des menschlichen Geistes zugleich mit Begründungsleistungen für diese befaßt. Das heißt aber noch nicht einfach, daß sie Personen fundieren würde. Schelling schildert einen sehr viel komplexeren Zusammenhang. Die Seele fundiert Akte des Wissens, schöne Produktionen sowie deren Rezeption und einen guten Charakter (Schelling spricht zumindest nicht ausdrücklich von guten Taten). Wenn man annimmt, daß Personalität von einem Unpersönlichen aus zu begründen ist, müßte man also folgern, daß Personen sich im Schnittpunkt solcher Leistungen konstituieren. Damit ist man wiederum sehr nahe beim Kanon der klassischen Defmientia von Personalität, allerdings stets unter dem Akzent, daß solchermaßen konstituierte Personen keinen absoluten Ausgangsoder Bezugspunkt bilden, sondern von etwas anderem abhängig bleiben. Dies nun macht eine Frage dringlich, die auch in aktuellen Diskussionen um den Personbegriff, und insbesondere über seinen Zusammenhang mit den Wissenschaften, zentral ist. Inwiefern nämlich, müßte man fragen, sind Personen dadurch, daß sie unter ein Höheres fallen, in ihrem Bestand gefährdet? Konkreter: Ist es nicht möglich, daß gerade in einer wissenschaftlichen Behandlung die auszeichnenden Qualitäten von Personen wegfallen (das wäre das Problem der Reduktion einer erwünschten Qualität durch deren Erklärung aus einer anderen, diese Qualität nicht aufweisenden Erklärungsgrundlage)? Formuliert man das Reduktionsproblem in dieser Weise und versucht so, die unmittelbare Apprehension gegen eine mögliche Reduktion von Personalität zu berücksichtigen, sieht man, daß Personen jedenfalls im Rahmen der Schellingschen Wissenschaftskonzeption nichts zu befürchten haben. Der Rekurs auf das Unpersönliche soll bei Schelling nämlich simultan zwei Ziele verfolgen, die in typischen reduktiven Theorien auseinanderzufallen

34 Stuttgarter Privatvorlesungen,

SW VII, 463.

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drohen: Die Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis soll gesichert werden, und zugleich sollen die werthaften Prädikate von Personen überhaupt erst begründet werden.35 Wie ein fernes Echo klingen in dieser Konzeption von Persönlichkeit und ihrem Verhältnis zur Wissenschaft noch die Vorwürfe an, die Erhard gegen Schellings Vom Ich erhoben hatte. Für Erhard war Personalität gerade dadurch ausgezeichnet, kein möglicher Gegenstand des Wissens zu sein; zudem verkenne Schelling auch den wahren Grad des in der Personalität liegenden Geheimnisses: dieses sei nicht größer als dasjenige, das man in jeder mathematischen Konstruktion finde.36 Schellings spätere Überlegungen zum Zusammenhang von Personalität und Wissenschaft weisen nach, daß das, was Erhard hier gegeneinander ausspielt, nämlich Wissen und Moral, mathematische Konstruktion und Personalität, notwendig aufeinander verwiesen ist. Personen sind durch eine Verbindungsleistung ausgezeichnet, die sogar das ihnen selbst nicht Zugängliche noch zusammenbringen kann.

3.3. Die Logik der Unterscheidung von Wissen und Wissenschaft „Unpersönliches" und „Wissenschaft" erläutern sich jeweils in Entgegensetzung, einmal gegen „Persönliches", zum anderen gegen „Wissen". Schelling setzt der Wissenschaft also gerade nicht das Unwissenschaftliche entgegen. In Analogie dazu muß man annehmen, daß die Gegenüberstellung von Persönlichem und Unpersönlichem ebenfalls weder als kontradiktorischer noch als konträrer Gegensatz aufzufassen ist. Ebenso wie Wissenschaft und Wissen aufeinander verwiesen sind, keines ohne das andere real vorliegen kann, werden auch die Person und das Unpersönliche als untrennbar zu behandeln sein. Genauso wie echtes Wissen nur in und durch Wissenschaft möglich ist, wird Personalität nur in durchgehendem Bezug aufs Unpersönliche möglich. Genausowenig wie man „einfach", aus individueller Vollkommenheit heraus, wissen kann, kann man „einfach" Person sein. Jeder echte Akt des Wissens ergibt sich im Hinblick auf Wissenschaft. Entsprechend muß jede Konstitution von Personalität auf das Unpersönliche bezogen sein. Personen konstituieren sich durch eine Funktion der Verbindung zwischen personalen und unpersönlichen Ebenen, wobei zu letzteren nicht nur ein dunkler Untergrund, sondern ebenso ein darüberliegender, durch Kennzeichnungen wie „Wissenschaft", „Güte", „Schönheit" charakterisierter Bereich gehört. Personen müssen, um in der Metaphorik der Schichten zu bleiben, nach oben und nach unten austariert werden. Die Analogie zum Verhältnis Wissenschaft-Wissen beleuchtet die eine Seite dieser Stellung von Personen und macht insbesondere deutlich, daß die Unterscheidung der Ebenen nicht einfach als Gegensatz zu denken ist; Verbindungen zwischen den Ebenen und mithin Personalität sowie, gleichzeitig damit, auch gelingende Wissenschaft bleiben möglich.

35 Zum Nicht-Reduktionismus von Schellings Subjektivitätstheorie vgl. D. Sturma, „Schellings Subjektivitätskritik", Deutsche Zeitschriftßr Philosophie, 44 (1996), 429-446. 36 Erhard, Rezension, in Schelling, Historisch-kritische Ausgabe, Bd.1,3, 182.

JÖRG JANTZEN

Sucht und Verlangen. Über den Grund der Person

1. Der innere Umtrieb des Lebens Die Welt steht eigentümlich still. Nichts Neues entsteht. Woher dieser Stillstand, läßt sich nicht erklären, aber der Anblick der Welt überzeugt uns von demselben. Der regelmäßige Lauf der Gestirne, der stets wiederkehrende Zirkel der allgemeinen Erscheinungen deutet auf ihn. Die Sonne geht auf, um unterzugehen, sie geht unter, um wieder aufzugehen. Das Wasser läuft ins Meer, um wieder aus ihm zu kommen. Ein Geschlecht kommt, das andere geht, alles arbeitet, um sich aufzureiben und zu zerstören, und es kommt doch nichts Neues.1 So Schelling in dem Erlanger Vortrag „Über die Natur der Philosophie als Wissenschaft". Der Fortschritt des absoluten Subjekts, der ewigen Freiheit - über dessen Voraussetzung hier nichts weiter gesagt sein soll - ist auf denkwürdige Weise gehemmt und aufgehalten. Denn der Blick auf die Welt und das weltliche Geschehen läßt sehen, was dem (absoluten) Subjekt anfänglich zugemutet wurde: „Durch alles durchgehen und nichts seyn, nämlich nichts so seyn, daß es nicht auch anderes seyn könnte - dieses ist die Forderung." 2 Und in der Tat: Das absolute Subjekt „[bleibt] in nichts, [zerstört] jede Form wieder, aber was sie an die Stelle der zerstörten setzt, ist nur wieder dieselbe Form. Also darin ist kein Fortschritt, vielmehr Hemmung zu erkennen." 3 Die ewige Freiheit, deren Bewegung ein Suchen ihrer selbst ist, scheitert - sofern sie sich objektiv sucht.4 „Darum liegt sie dem Menschen an, sie in sein Inneres aufzunehmen". 5 Sie sucht sich subjektiv in unserem, menschlichen Bewußtsein bzw. als dies Bewußtsein, das also ein Selbsterkennen der ewigen Freiheit wäre. Im Menschen, in uns, wendet die ewige Freiheit sich um aus dem Objektiven ins Subjektive. Die Umwendung geschieht in uns. Wir selbst sind die „aus dem Objekt ins Subjekt wiederhergestellte Freiheit".

1 2 3 4 5

F.W.J. Schelling, Erlanger Vorträge in den Jahren 1821-1825 [= Erlanger Vorträge], SWIX, 224. Erlanger Vorträge, SWIX, 215. Ebd., 224. Ebd. Ebd., 225.

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„Vor diesem Gedanken dürfen wir nicht erschrecken".6 Aber wir tun ebendies. Denn der Gedanke fordert uns auf, sich außer uns zu setzen, fordert ekstasis - mindestens aber thaymazein? Und so bringt er uns in den Widerspruch: Der Mensch, „indem er jene ursprüngliche Freiheit sich zum Objekt macht, es mit ihr zum Wissen bringen will",8 will die ewige Freiheit als Freiheit wissen und empfinden, aber indem er sie zum Gegenstand macht, wird sie ihm unter der Hand zur Nichtfreiheit, und doch sucht und will er sie als Freiheit. Er will sich ihrer als Freiheit bewußt werden, und macht sie doch in eben diesem Anziehen zu nichte. Es entsteht daher im Innern des Menschen ein Umtrieb, eine rotatorische Bewegung, indem der Mensch beständig nach der Freiheit sucht, diese aber ihn flieht.9

Das, was er will, macht der Mensch eben durch sein Wollen schon längst zunichte. So entsteht jene „innere umtreibende Bewegung, indem das Suchende das, was es sucht, gleichsam in einer beständigen Flucht vor sich her treibt".10 Jene Umwendung (Schelling spielt offenbar mit dem platonisch-christlichen Begriff der periagoge11) verlangt wohl zuviel; denn dem natürlichen Wissen absterben zu sollen, bedeutet das Verlangen; eine Krisis ist gefordert zugunsten eines freien, d.h. nicht ins Wissen gebundenen Denkens, das im wahrsten Sinn Skepsis ist, eines Denkens, das alles läßt, um lauter zu sein. So will Schelling in dem Erlanger Vortrag Philosophie begründen: als Projekt von Lauterkeit oder doch wenigstens als Einrede gegen „das Treibende, gleichsam unaufhaltsam nach Wissen Verlangende".12 Aber dies Treibende ist unvermeidlich. Denn das menschliche Bewußtseyn kann einmal nicht dabei stehen bleiben, das stille Innere, das bloß Tragende der ewigen Bewegung, der Bewegung der ewigen Freiheit selbst zu seyn. Nicht eben gezwungen, aber doch nothwendig und unausbleiblich wird der Mensch sich die ewige Freiheit, die er ist, anziehen, sie für sich wollen, um eigenmächtig mit ihr zu wirken. Denn es ist nicht zu denken, als wäre dies bloß im Anfange der Dinge geschehen. Jedes einzelne menschliche Bewußtseyn ist wieder ein Zusichkommen der ewigen Freiheit. Aber in jedem menschlichen Bewußtsein geschieht wieder dieselbe Anziehung. So würde also, könnte man sagen, jeder Mensch von Natur sich in jener innern umtreibenden Bewegung befinden? - Aber ist denn dem nicht auch so, und müssen wir nicht gestehen, daß der größte Theil der Menschheit in einem besinnungslosen Zustande dahin wandelt? 13

Jeder Mensch, so wird man sagen müssen, lebt in jener inneren umtreibenden Bewegung. Und dies gilt zumal und durchaus tragisch für das sich über sich selbst aufklärende und

6 7 8 9 10 11 12 13

Ebd., 227. Ebd., 230. Ebd. Ebd., 231. Ebd., 235. Ebd., 243. Ebd., 238. Erlanger Vorträge, SWIX, 240. Zu den Erlanger Vorträgen vgl. insgesamt: Lore Hühn, Fichte und Schelling. Oder: Über die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart 1994.

SUCHT UND VERLANGEN

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ins Reine kommende Bewußtsein: das philosophische Bewußtsein. Denn Philosophie ist Bild - oder besser: wegen der Zweideutigkeit des Wortes - Darstellung der ewigen Freiheit und ihres ewigen Einschlusses in ein Sein und eine Gestalt und des gleich ewigen Verzehrs der „Form, in die sie sich eingeschlossen". 14 Schelling hat das Bild des Vogels Phönix vor Augen, der sich im Tod erneuert, um den Inhalt der Philosophie als höchster Wissenschaft zu benennen; das Bild ist zugleich das Bild des sich verzehrenden Feuers, das in eben diesem Verzehren wirklich ist. Dies ist ein Büd, auf das als Gegenbild zu jenem anderen Bild des Wirbels hingewiesen sei, den eine Hemmung als erstes Sein und erste Gestalt im gestaltlosen bloßen Fluß erzeugt.

2. Überblick Auch wenn der Begriff „Sucht" im Erlanger Vortrag nicht fällt, so wird der Sachverhalt doch als rotatorische, umtreibende Bewegung genau verhandelt, in der das Subjekt sich als solches zugleich sucht und verliert, sich nicht festhalten kann (wie auch?). Und es ist kein Zufall, daß Schelling diese Verhandlung anhand einer Überlegung zur Philosophie als höchster Wissenschaft führt, die alles Wissen ekstatisch transzendiert. Die Sucht-Thematik ist längst präsent. Zunächst keimt sie sozusagen in den frühen transzendentalphilosophisch geprägten Überlegungen zur Begründung und Wirklichkeit von Wissen durch das Ich und im Ich. Zweitens geht sie, um im Bild zu bleiben, 1809 und 1810 in der durch die Unterscheidung von Grund und Existenz desselben Wesens geprägten Freiheitsphilosophie auf. „Das Dunkelste und darum Tiefste der menschlichen Natur ist die Sehnsucht, gleichsam die Schwerkraft des Gemüths, daher in ihrer tiefsten Erscheinung Schwermuth."15 Drittens gewinnt die Sucht-Thematik systematische Bedeutung in den Weltalter-Überlegungen. Sucht, auch in der Milderung zur Sehnsucht, ist eigentlicher Motor (bzw. „bleibende Unterlage") des welthistorischen Geschehens. 16 Dies zeigt sich - komplementär zur begrifflichen Konstruktion, wenn man so will - in seiner, von Schelling so begriffenen und dargestellten Selbst-Erzählung. Die kabirischen,

14 Erlanger Vorträge, SWIX, 221. 15 F.W.J. Schelling, Stuttgarter Privatvorlesungen (1810) [= Stuttgarter Privatvorlesungen], SWVII, 465. Hier zum ersten Mal die Rede von „Sucht, Begierde, Hunger nach dem Seyn" (466f.). Vgl.: „Das Dunkelste aller Dinge, ja das Dunkel selbst nach einigen, ist die Materie", F.W.J. Schelling, Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus. Nebst einer Abhandlung über das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur oder Entwicklung der ersten Grundsätze der Naturphilosophie an den Prinzipien der Schwere und des Lichts. Zweite Auflage 1806, SWII, 359. 16 F.W.J. Schelling, Die Weltalter. Bruchstück. Aus dem handschriftlichen Nachlaß (Fassung von 1814 oder 1815) [= Weltalter 3. Fassung], SW VIII, 239; 241.

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die pelasgisch frühen Gottheiten stellen den Rapport mit dem Göttlichen von unten nach oben her - hungrig und süchtig nach Sein.17 Diese Unvergleichlichen Wollen immer weiter, Sehnsuchtsvolle Hungerleider Nach dem Unerreichlichen spottet Goethe, um das Entscheidende zu benennen, in der Walpurgisnacht,18

3. Ursprüngliches Wollen und Sucht nach Sein 3.1. Allgemeine Übersicht, System In der Allgemeinen Übersicht zunächst, dann im System spielt der Begriff des Wollens eine zentrale Rolle, und Schelling wild auf sie immer wieder zurückkommen. Durch sie denkt er Wirklichkeit bzw. den Übergang in Wirklichkeit. Denn die transzendentale Vorgeschichte des Bewußtseins, die in der Allgemeinen Übersicht entworfen und im System systematisch vorgetragen wird, schreitet zwar in Epochen voran, aber findet nicht aus sich heraus, d.h. nicht zum Urteil. Sie bewegt sich wie in einem „magischen Kreis", Subjekt und Objekt setzen sich wechselseitig voraus und bringen sich so nicht wirklich hervor.19 Erst der radikale Bruch mit dem theoretischen Ansatz, die radikale Lösung von jeglichem Objektbezug, bedeutet Wirklichkeit. Der Geist (um Schellings Ausdruck in der Allgemeinen Übersicht aufzunehmen) bricht den Zirkel, indem er sich selbst frei bestimmt, d.h. wirklich ist. Jene SelbstBestimmung des Geistes heißt Wollen. Der Geist will, und er ist frei. Daß er will, dafür lässt sich kein weiterer Grund angeben [...] Die Frage war: Wie der Geist seines Handelns unmittelbar sich bewusst werde. Die Antwort war: dadurch, daß er sich vom Object losreißt; was wieder nicht geschehen kann, ohne daß er schlechthin handle. Schlechthin handeln aber heißt Wollen. Also wird der Geist nur im Wollen seines Handelns unmittelbar bewußt, und der Act des Wollens überhaupt ist die höchste Bedingung des SelbstBewusstseyns [...] Der Geist ist ein ursprüngliches Wollen,20

17 F.W.J. Schelling, Über die Gottheiten von Samothrake. Vorgelesen in der öffentlichen Sitzung der bayerischen Akademie der Wissenschaften am Namenstage des Königs den 12. October 1815. (Beilage zu den Weltaltern), SWVIII, 345^4-23; zur Herstellung des Rapports mit dem Göttlichen durch Sehnsucht vgl. auch Weltalter 3. Fassung, SWVIII, 240. 18 J.W. v.Goethe, Faitff II. 2. Akt; Münchner Ausgabe 18.1,223. 19 F.W.J. Schelling, Allgemeine Übersicht der neuesten philosophischen Literatur (1798) [= Allgemeine Übersicht], AA14, 121. 20 Ebd., 121 f.

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Mit dem Begriff oder vielmehr: der Sache des Wollens hat Schelling 1797 den archimedischen Punkt gewonnen, von dem aus - eben weil er nicht theoretisch, d.h. in der Welt gefunden wurde - die Welt als Ganzes zu erblicken ist.21 „Denn als die Gränze alles unsers Wissens und Thuns ist es [das Wollen] nothwendig auch das einzige Unbegreifliche, Unauflösliche - seiner Natur nach Grundloseste, Unbeweisbarste, ebendeswegen aber Unmittelbarste und Evidenteste in unserm Wissen." 22 Das Wollen als Selbstbestimmung der Intelligenz (wie es im System heißt) bringt die Vorgeschichte in die höhere Potenz von Wirklichkeit und Gegenwart. Und das heißt, daß es die Vorgeschichte als solche gleichsam entläßt - in die Vergangenheit, freilich eine wirkliche Vergangenheit. Etwas anders gesagt: Das Ich wird sich jetzt (mit der Ausdrucksweise des Systems gesprochen) als das, was es schon ist: als Ich zum Objekt. Genauer: Als Ich, das Einheit ist oder Zugleich von Subjekt und Objekt. 23 Dafür kann man mit Schelling auch und gerade Natur sagen. Das Ich, das sich in jenem grundlegenden Akt des reinen Wollens vom Objekt praktisch freigesetzt und sich so allererst als Subjekt inauguriert hat, sieht - thetisch gesagt seine transzendentale Vergangenheit als wirkliche Vergangenheit, d.h. als wirkliches Objekt. Dieser Sachverhalt spiegelt sich im übrigen darin wider, daß Schelling das Wollen - d.h. jenen den wirklichen Blick auf das Objekt eröffnenden Akt - wesentlich auch „als letzten potenzierenden Akt" gleichsam einer Erhebung begreifen kann (1809).24 Aber das ist nun von größter Bedeutung (und auch ohne den Vorgriff auf 1809 ersichtlich): Mit jenem grandlegenden Akt des Wollens wird ein vollkommen neuer Blick auf eben die Natur eröffnet (dies die eigentliche Leistung in der Allgemeinen Übersicht, daß und wie dazu die von Kant übernommenen Grundprobleme der Konstruktion von Materie und des Begreifens von Organismus gehören, muß hier nicht weiter erörtert werden): Die Natur erkennend, erkennt das Subjekt sich selbst. Das ist das eine. Das andere aber ist dies: Die Natur erkennend, erkennt das Subjekt sich durchaus auch nicht. Oder anders - mit den oben zitierten Ausdrücken - gesagt: Es erkennt sich als Unbegreifliches, Unauflösliches, Grundlosestes. Es ist klar, wohin die Rede geht. Die Naturphilosophie, wie Schelling sie in der Allgemeinen Übersicht inauguriert, ist auch und nicht unwesentlich eine Suchtgeschichte. (Ganz parallel dazu geht die tragische Geschichte des Ich, das zwanghaft in Potenzierung befangen doch ewig Stückwerk der Freiheit ist, dem die Natur verschlossen bleibt: „Doch könnte das Rätsel sich enthüllen, würden wir die Odyssee des Geistes darin erken-

21 Ebd., 127. Vgl. auch Kant, Vornehmer Ton, A 420. 22 Allgemeine

Übersicht,

A A I 4, 127.

23 Hier das Modell der Unterscheidung vom Wesen als Grund und Existenz, die Schelling 1801 in der Darstellung

meines Systems der Philosophie

einführt und 1809 in der Freiheitsschrift

grundle-

gend ausführt. 24 F. W. J. Schelling, Philosophische die damit zusammenhängenden

Untersuchungen Gegenstände

über das Wesen der menschlichen

(1809) [= Freiheitsschrift],

SW VII, 350.

Freiheit

und

220

JörgJantzen

nen, der wunderbar getäuscht sich selber suchend, sich selber flieht".25 Schon früh also verfolgt Schelling der Gedanke des rotatorischen, des prinzipiell verfehlenden Umtriebs, den wir eingangs in dem Erlanger Vortrag gefunden haben.)26 Zurück zur Naturphilosophie als einer Suchtgeschichte: Vornehmer und nicht im Winkel eines späteren Blicks ausgedrückt, geht es um Natur als das Doppelte von natura naturans und natura naturata. Die Natur ist beides. Aber das heißt nun auch, daß sie in keinem Produkt zum Stillstand, sozusagen zu sich kommt, sondern vielmehr ewig Unruhe ist und Kampf (der „Erste Entwurf" macht dies eindringlich deutlich): Die Natur kennt keine Permanenz, jedes ihrer Produkte, jede Fixierung ist bloß scheinbar, bloßes Übergangsmoment in kontinuierlicher, letztlich zielloser Evolution, ein vorübergehender Tod. „Die Natur ist schlechthin tätig, wenn in jedem ihrer Producte der Trieb einer unendlichen Entwicklung liegt."27

3.2. Freiheitsschrift 1809 Das Identitätssystem fügt Naturphilosophie und Transzendentalphilosophie, die Gänge von Notwendigkeit und Freiheit, in gewisser Weise also die beiden gleich ewigen Anfänge zusammen. Oder in der hier gewählten Terminologie: Die Suchtgeschichte und die Erzählung der Potenzierung des Ich sollen zur Übereinkunft gebracht werden. Das gelingt nur in einem spinozistischen System und nur dann, wenn dies ein wirkliches, ein lebendiges System ist. Schelling legt es 1809 mit der Schrift Über das Wesen der menschlichen Freiheit vor.28 Die tiefgreifende Veränderung des Ansatzes macht Schelling schnell deutlich. 1796/1797 und 1800 dachte Schelling den grundlegenden und zugleich grundlosen Akt des Wollens als den Akt, durch welchen das Subjekt sich für sich und darum als wirkliches oder als solches setzte. Jetzt ist dieser Akt an den Anfang zurückverlagert, um Wirklichkeit schlechthin zu denken. Sie kennen die berühmten Sätze: „Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein anderes Seyn als Wollen. Wollen ist Urseyn, und auf dieses allein passen alle Predicate desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit, Selbstbejahung."29 Das Wollen durchzieht (wie das stoische pneyma) alle Wirklichkeit, und darum kann Schelüng gelegentlich und mit genauem Sinn von einer „Reduktion der Naturgesetze auf Gemüth, Geist und Willen" sprechen.30 Der veränderte Ansatz stellt den Gang der Natur, d.i. die erste göttliche Selbstoffenbarung, nicht zufällig nun auch explizit unter die Be25 26 27 28

F.W. J. Schelling, System des transzendentalen Idealismus, SWIII, 628. Erlanger Vorträge, SWIX, 231. F.W.J. Schelling, Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799), AAI 7, 83. Sozusagen der liegengebliebene ideelle Teil des ganzen Systems: Freiheitsschrift, SWVII, 334; 350. 29 Ebd., 350, vgl. auch 385. 30 Ebd., 396.

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grifflichkeit von Sucht und - moderater - Sehnsucht. Die Dinge, um von ihnen auszugehen, haben ihren Grund in Gott, genauer: in dem, „was in Gott selbst nicht Er Selbst ist, d.h. in dem, was Grund seiner Existenz ist."31 Das muß nicht mehr weiter besprochen werden.32 „Wollen wir uns dieses Wesen [Grund seiner Existenz] menschlich näher bringen, so können wir sagen: es sey die Sehnsucht, die das ewige Eine empfindet, sich selbst zu gebären." 33 Die Sehnsucht will Gott, will wirkliche Einheit gebären. Sie ist Wille, ohne Verstand, aber auf ihn bezogen; seine Sehnsucht und Begierde: „nicht ein bewußter, sondern ein ahndender Wille, dessen Ahndung der Verstand ist."34 Das liegt zurück, verdrängt durch das Höhere; aber im Grunde liegen noch immer Sehnsucht und Begierde, „das Regellose, als könnte es einmal wieder durchbrechen". 35 Wenn Schelling von dem zurückgelassenen und doch gegenwärtigen Grund spricht, nimmt sein Vokabular eigentümliche Züge an, deren Herkunft nicht weiter erörtert sei. Von einer „unergreiflichen Basis der Realität", einem „nie aufgehenden Rest" 36 ist die Rede, der sich der Auflösung durch den Verstand widersetzt, aber aus dem der Verstand geboren ist - aus Dunkel und tiefer Nacht. „Alle Geburt ist Geburt aus Dunkel ans Licht [...] Der Mensch wird in Mutterleibe gebildet; und aus dem Dunkeln des Verstandlosen (aus Gefühl, Sehnsucht, der herrlichen Mutter der Erkenntnis) erwachsen erst die lichten Gedanken." 37 Die Sehnsucht erzeugt in Gott Reflexion, d.h. ein Ebenbild oder eine Vorstellung, in der Gott allererst wirklich ist. Das ist zugleich die Wirklichkeit von Verstand, und Sehnsucht und Verstand treiben die Offenbarung nun als „allmächtiger Wille" voran. Sie stellen in der Natur wieder die Unterscheidung von Grund und Existenz dar, und zwar so daß die anfängliche Natur jenen ewigen Grund zur Existenz Gottes wiederholt. Aber darin eingeschlossen ist nun ein göttlicher Lebensblick, den die Sehnsucht für sich ergreift, den der Verstand freilich ans Licht holt: „so entsteht auf diese Art zuerst etwas Begreifliches und Einzelnes". 38 Das müssen wir nicht weiter verfolgen. Denn hier wichtig ist dies: die Sehnsucht ist in der Tat nicht zurückgelassen oder gar überwunden, sondern ist eben im Grunde, d.h. in der Natur als solcher und bestrebt, jenen göttlichen Lebensblick (jene Reflexion, das

31 Ebd., 359. 32 Vgl.: „Dieser Grund seiner Existenz, den Gott in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d.h. sofern er existirt; denn er ist ja nur der Grund seiner Existenz, Er ist die Natur - in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterschiedenes Wesen." Freiheitsschrift, 33 Freiheitsschrift,

SW VII, 358.

SW VII, 359.

34 Ebd. 35 Ebd. 36 S. Zizek, The Indivisible Remainder. 37 Freiheitsschrift,

An Essay on Schelling and Related Matters, London 1996.

SWVII, 360.

38 Ebd., 361, d.h. Ordnung und Regel, vgl. Piaton, Timaios.

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Ebenbild) sozusagen für sich zu behalten und „in sich selbst zu verschließen, damit immer ein Grand bleibe".39 Die Sehnsucht beginnt - in der (von ihr verantworteten!) Wirklichkeit der Natur und ihrer Dinge - sich zur Sucht zu verkehren. Das hängt mit der tiefen Zweideutigkeit alles Kreatürlichen zusammen, das von Gott geschieden (bloß im Grunde) ist, aber doch von jenem Lebensblick göttlicher Existenz getroffen und verklärt ist. Das kann im Menschen, der ist, was alle andere Natur sein will, in dem Gott sich ein zweites Mal offenbart und in dem allein er die Welt geliebt - das kann im Menschen zur Katastrophe führen.40 „In ihm ist der tiefste Abgrund und der höchste Himmel, oder beide Centra."41 Aber darin liegt nun auch die Möglichkeit, daß der Abgrund sich an die Stelle des Himmels setzt und daß die Sehnsucht in ihrer Verkehrung tatsächlich „bloße Sucht oder Begierde, d.h. blinder Wille"42 ist und sich als Eigenwille dem Universalwillen des Verstandes verschließt. Wir können hier abbrechen. Daß das kreatürliche Leben seinem Grande nach in der Struktur der Sucht konstituiert ist, ist deutlich geworden 43 Leben bedeutet Sucht und stellt Sucht dar. Es ist auf seine Weise vergeblich; 1809 findet Schelling dafür den dann berühmt gewordenen Ausdruck von der „tiefen und unzerstörlichen Melancholie alles Lebens", die „als Schleier der Schwermuth über die ganze Natur ausgebreitet ist."44 Im Erlanger Vortrag von 1821/25, der freilich nicht so sehr über die Dinge als vielmehr über das Sprechen über sie handelt, wird an die Stelle der Schwermut ihr jüngerer Bruder treten - der ennui des rotatorischen Umtriebs. 1809 aber macht sich (vielleicht auch angesichts der geschichtlichen Situation) wohl auch ein Erschrecken geltend: Der „Hunger der Selbstsucht" 45 die Verschließung des Eigenwillens gegen den Allgemeinwillen, die Umkehrung der Sehnsucht in sich selbst usw. bedeuten das wirkliche Bild (oder nach 1804 besser - das Gegenbild) Gottes und Seines Hungers nach Sein.

3.3. Die Weltalter 1815, Über die Gottheiten von Samothrake 1815 In den Weltaltern heißt es einmal, daß in dem süchtigen, „in jenem ewig anfangenden Leben selbst der Wunsch [liegt], aus der unwillkürlichen Bewegung und dem Drangsal zu entkommen [...] gleichsam magisch weckt das Höhere in ihm das Sehnen nach der Freiheit. Die Sucht mildert sich zur Sehnsucht [,..]." 46 39 Ebd., vgl. damit Hegels Rede vom Grund (Wissenschaft der Logik 1813, GA321). J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts (1943), 1993, 576f.: Der Körper als unmittelbare Vergangenheit des Be40 41 42 43 44 45 46

wußtseins. Freiheitsschrift, SW VII, 363. Ebd. Freiheitsschrift, SW VII, 363. Vgl. zum Suchtbegriff: Piaton, Gorgias, 493dff. Freiheitsschrift, SW VII, 399. Ebd., 390; 361. Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 239.

223

SUCHT UND VERLANGEN

Noch einmal variiert Schelling seinen Grundgedanken. Sucht bedeutet nicht Perversion, sondern ist der Anfang und insofern ein Eigenes. Der Anfang, d.i. die Vergangenheit oder das „Urwesen" ist trinitarisch konstituiert: als ewige Verneinung (Kontraktion), ewige Bejahung (Expansion) und ihre Einheit.47 Wir sehen sie [die erste Natur] gleich ursprünglich in drei Mächte gewissermaßen zersetzt. Jede dieser Mächte kann für sich sein; denn die Einheit ist Einheit für sich, und jedes der Entgegengesetzten ist ganzes vollständiges Wesen; doch keines kann sein, ohne daß die andern auch sind, denn nur zusammen erfüllen sie den ganzen Begriff der Gottheit. 48

Aber ein solches Zusammen ergibt sich nicht. Denn ,jedes dieser drei hat gleiches Recht, das Wesen, d.i. das Seyende zu seyn. Also findet sich, daß die erste Natur von sich selbst im Widerspruch ist."49 Der Widerspruch bedeutet einen Zirkel, ein ewig in sich selbst kreisendes Leben, das zum Dasein drängt, aber doch nur ein alternierendes Setzen ist, ein beständiger Umtrieb. Die erste Natur, in jenen drei Prinzipien gedacht, ist „ein unablässiges Rad, eine nie stillstehende rotatorische Bewegung, in der keine Unterscheidung ist. Auch der Begriff des Anfangs wie der des Endes hebt sich in diesem Umlauf wieder auf." 50 „Ein Geschlecht kommt, das andere geht", heißt es hier wie dann im Erlanger Vortrag. Die erste Natur kennzeichnet, der unablässige Drang zu sein, aber sie kann nicht sein. Sie bleibt in der Begierde stehen, „als ein unablässiges Suchen, eine ewige, nie gestillte Sucht zu seyn."51 Die ewig beginnende, sich suchende und nicht findende Natur wird durch keine Potenz ihrer selbst „erlöst". Befreiung und Erlösung können nur durch ein ganz Anderes kommen, das außer und über aller Potenz ist, das nicht Sucht, nicht Begierde oder Natur ist. Das nicht notwendig wirklich und überhaupt nicht wirklich, aber doch auch kein Nichtwiikliches ist.52 Schelling konzipiert dafür den Begriff einer lauteren Freiheit, das ist ein Wille, der nichts will - der von keinem außer ihm bewegt oder angestoßen wird, aber selbst sozusagen bewegt: „In der größten Unruhe des Lebens, in der heftigsten Bewegung aller Kräfte ist doch immer der Wille, der nichts will, das eigentliche Ziel."53 Ihm, dem Naturlosen, dessen die ewige Natur begehrt, dem lauteren Willen unterwirft sich die blinde erste Natur oder hat sich längst unterworfen, genötigt durch ihre Not, wie Schelling Römer 8, 20 versteht, aber doch auch freiwillig 54 (Die Freiwilligkeit ist übrigens systematisch problematisch: „Aber durch die Kraft von oben nimmt die Natur gleichsam sich selbst gefangen und überwindet ihre eigne Notwendigkeit, freiwillig der Scheidung sich hingebend und dadurch die ewige Lust und Lebensfreude der an sich nicht 47 Ebd., 217; zu Kontraktion und Expansion vgl. Allgemeine zieht sich hier auch auf Lessing. 48 Weltalter 3. Fassung, SW VIII, 217. 49 Ebd., 218 f. 50 Ebd., 229 51 Ebd., 232. 52 Ebd., 234. 53 Ebd., 235. 54 Ebd., 236.

Übersicht,

A A I 4, 123; Schelling be-

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JÖRG JANTZEN

seyenden und unergreiflichen Gottheit.")55 Sonst wäre die Unterwerfung nichts wert. Wichtiger noch: Die Freiwilligkeit - auf ihre Weise Bild des lauteren Willens! - schließt die Möglichkeit der Rücknahme ein. Die erste Natur gibt sich nicht auf. Wie sollte sie auch? Sie ist Unterlage, subiectum, schlechthin. In der Krankheit des organischen Wesens und seines Geistes zumal erregt es sich: Wenn die Abgriinde des menschlichen Herzens im Bösen sich aufthun, und jene schrecklichen Gedanken hervorkommen, die auf ewig in Nacht und Finsterniß begraben seyn sollten: dann erst wissen wir, was im Menschen der Möglichkeit nach liegt, und wie eigentlich seine Natur für sich oder sich selber überlassen beschaffen ist [...] dann können wir nicht zweifeln, daß die Gottheit über einer Welt von Schrecken throne, und Gott nach dem, was in ihm und durch ihn verborgen ist [ . . . ] im eigentlichen Sinne der Schreckliche, der Fürchterliche heißen könne. 5 6

So endigt sich die Konstruktion der Idee Gottes, bzw. des ewigen Lebens der Gottheit. Mit ihr ist die Möglichkeit eröffnet, die Gegenwart von Natur und Geist, d.i. Geschichte, das natürliche und geistige Leben also zu begreifen. Das ist ein Begreifen von Angst, Mißmut, Unruhe, Schrecken, Leiden, Melancholie und immer wieder der süchtigen Rotatorik, des vergeblichen Suchens und Kreisens.57 Die Konstruktion begreift eine erste Existenz, konstruiert sie. Die Freiheitsschrift von 1809 unterscheidet das Wesen, sofern es existiert, von dem Wesen, sofern es Grund seiner Existenz ist. Das ist grundlegend, aber noch mißverständlich: Existenz und Grund von Existenz könnten als Prädikate (und sei es in einer internen Differenz) mißverstanden werden, als Prädikate eben eines Wesens, einer Substanz. Aber ein solches, substantielles Wesen läßt sich nach Kant - aber eigentlich schon seit Descartes, Spinoza und Leibniz - nicht mehr denken. Gleichwohl läßt sich Anfängliches denken: als Urform des Denkens oder Erkennens selbst (wie sie emphatisch zumal vom frühen Schelling geltend gemacht wird, zusammen mit Fichte) - eben nicht außerhalb des Denkens! Die Urform ist - dies die grandlegende Einsicht des frühen Idealismus - relational verfaßt.58 Die relationale Verfassung, in der das Anfängliche sich dem frühen idealistischen Denken erschließt, gilt auch in dessen späterer Fassung, d.h. der Konstruktion der Idee Gottes. Wir können - kurz gesagt - die Bedeutung von „Existenz" dann und nur dann denken, wenn wir sie im Widerspruch zu Nicht-Existenz denken. Der Gedanke der Existenz be-

55 Ebd., 268 f. 56 Ebd., 268. 57 Selbst erschreckend und man weiß nicht wohin verweisend, ist bisweilen Schellings Text selbst, z.B. Weltalter 3. Fassung, SWVIII, 322; es könnte lohnend sein, Schellings Texte der Jahre 1809 bis 1815 als verborgene Reden über sich selbst zu lesen. 58 F.W.J. Schelling, Über die Möglichkeit

einer Form der Philosophie

überhaupt

(1794), A A I 1,

294. Es ist im übrigen diese Grundverfaßtheit von Relationalität, die nach Hermann Klings die Aussicht auf eine Transzendenzrelation legitimiert. Vgl. dazu auch F.W.J. Schelling, Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen

Wissen (1795), A A I 2 , 1 4 7 .

SUCHT UND VERLANGEN

225

steht im Gedanken des Widerspruchs zur Nicht-Existenz. Der Widerspruch ist die Existenz. Und er ist die Voraussetzung der Existenz. „Wir begreifen, daß die erste Existenz der Widerspruch selber ist, und umgekehrt nur in Widersprach die erste Wirklichkeit bestehen kann", und dann wird es sogleich pathetisch: „Alles Leben muß durchs Feuer des Widerspruchs gehen; Widerspruch ist des Lebens Triebwerk und Innerstes."59 Aber hier soll die Rede sich nun selbst beendigen, um nicht ihrerseits zum Beweisstück rotatorischen Umtriebs zu werden. Das Beste freilich bleibt draußen: Die Wirklichkeit. Das sind in unserem Fall die samothrakischen, die ganz frühen pelasgischen, recht eigentlich urigen Gottheiten. Wenn sie dies: Gottheiten überhaupt sind! Denn recht eigentlich sind sie nicht, sondern haben ihr Sein (oder ihre Existenz?) im Mangel, in der Bedürftigkeit und äußersten Armut, also zugleich in Sehnsucht, in Hunger nach Wesen, im Schmachten, in Sucht, in bloßer Sucht; denn der Hunger nach Wesen kann sich auch gleichsam gegen sich selbst wenden und verzehren.60 In den Gottheiten von Samothrake von 1815 (Beilage zu den nicht publizierten WA) erzählt Schelling die Konstruktion der WA. Er erzählt sie als eine wirkliche. Die Erzählung besteht ebenso - wie die Rede selbst - für sich. Im übrigen bestätigt, wenn man so will, die neuere Archäologie Schellings Deutung der Kabiren.61 Sie zeigt uns - als etrurische Grabgaben - heilige Krüge und Kruggötter, an denen Creuzer seine Freude hätte - war er es doch gewesen, der in der kabirischen Sache aus den literarischen Quellen den Zusammenhang hergestellt hatte zwischen Krug und Zwerg und zwischen Topf und Tropf. 62 Hier war auch Schelling mit ihm einig (nur in der großen Sache der Emanationsthese nicht). Vor allem kommt uns - oder Schelling - ein Aischylos-Fragment zu Hilfe, das ein besonderes Verhältnis der Kabiren zu Krug und Krügen verrät:63 Die Kabiren lassen den Wein, so heißt es, nicht zu Essig verkommen. Sie sind Trinker, der Trunksucht ergeben, um unser Thema ein letztes Mal anzuschlagen.

59 F.W. J. Schelling, Weltalter 3. Fassung, SWVIII, 321. 60 Tagebücher 1815 in denen eine obsessive Häufung des Sucht-Vokabulars zu beobachten ist. 61 Katalog „The Etruscans", hg. von V. Tonelli, Venedig 2000, No. 132. 62 F. Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, 4 Bde., Leipzig 1810-1812, Bd. l , 2 6 f . 63 Aischylos, Tragödien und Fragmente, hg. und übersetzt von O. Werner, München 1969 2 ,631.

PETER L . OESTERREICH

Personale Desintegration. Schellings anthroprogenetische Satanologie

Es ist die .dunkle Nachtseite' der Schellingschen Personalitätslehre, die hier unter dem Titel .Personale Desintegration' angesprochen werden soll. Sie tritt zunächst mit der maliziösen Kehrseite der menschlichen Freiheit, die in der Freiheitsschrift bekanntlich auch als .Vermögen des Bösen' definiert wird, hervor. Schellings Theorie des Bösen ist in der letzten Zeit bereits ausgiebig interpretiert und kommentiert worden.1 In der ,pan-personalen' 2 Perspektive Schellings zieht der Missbrauch der menschlichen Freiheit mit seinen korruptiven Folgen das gesamte Universum in Mitleidenschaft. Neben der Freiheitsschrift betonen deshalb auch die Stuttgarter Privatvorlesungen und das Gespräch Clara, dass vom Menschen im Modus der .positiven Verkehrtheit' eine depotenzierende Wirkung ausgeht, die sowohl die natürliche Umwelt als auch die soziale Mitwelt 3 betrifft. Im Menschen selbst erregt die perversio positiva eine .Partikulaikrankheit', die durch den „eigensüchtigen Bewahrungsversuch des fragilen Lebens" 4 nur gesteigert wird. Die fortschreitende Korruption des eigenen personalen Potenzengefüges endet schließlich - „mit Schrecken und Horror" 5 - in der Selbstzerstörung.6

1

2

Siehe u.a. J. Jantzen (Hg.), „Die Möglichkeit des Guten und des Bösen", in: O. Höffe /А. Pieper (Hg.), F.W.J. Sehelling. Über das Wesen der menschlichen Freiheit, Berlin 1995, 61-90; W.G. Jacobs, „Die Entscheidung zum Bösen oder Guten im einzelnen Menschen", a.a.O., 125-148 u. R. Breuninger, „Das Böse in der Philosophie Schellings", in: R. Breuninger/P.Welsen (Hg.), Religion und Rationalität, Würzburg 2000,69-83. Vgl. T. v. Zantwijk, Pan-Personalismus. Schellings transzendentale Hermeneutik der menschlichen Freiheit, Stuttgart-Bad Cannstatt 2000.

3

Zu den desintegrativen Folgen für das menschliche Naturverhältnis und die Gemeinschaftsbildung s. F. Hermanni, Die letzte Entlastung. Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojektes in Schellings Philosophie, Wien 1994, 229-240. Zur Isolation des desintegrierten menschlichen Geistes von der ,Geisterwelt' s. meinen Aufsatz „Die Freiheit, der Irrtum, der Tod und die Geisterwelt. Schellings anthropologischer Übergang in die Metaphysik", in: Schellings philosophische Anthropologie, hg. v. J. Jantzen /P.L. Oesterreich, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 23-50.

4

T. Buchheim, „Einleitung", in: F.W.J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, Hamburg 1997, XXXI. F.W.J. Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände [= Freiheitsschrift], SW VII, 391.

5

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Die folgenden Überlegungen wollen nun auf eine weitere personale Deviation aufmerksam machen, die sich in Schellings Philosophie der Offenbarung findet. Gemeint ist das negative Gegenstück zur Christologie: Die Lehre vom Satan.7 Im Rahmen seiner anthroprogenetischen Satanologie vertritt Schelling die These, dass die Entstehung des Teufels als Folge der Desintegration menschlicher Personalität zu verstehen ist.

1. Schellings Verteidigung der ,höheren Realität' des Diabolischen Die Thematisierung des Teufels innerhalb seiner Philosophie der Offenbarung bedeutet für die Reputation des philosophischen Lehrers Schelling kein unbeträchtliches Risiko. Öffentlich vom Teufel zu reden, könnte sein Ethos als wissenschaftlicher Philosoph gefährden oder ihn in die Nähe eines Theosophen wie Jakob Böhme oder gar eines .Geistersehers' wie Swedenborg rücken. Deshalb betont Schelling in der Eingangspassage seiner Satanologie ausdrücklich die wissenschaftliche Seriosität seiner Untersuchung. Er gehöre gerade nicht zu denjenigen, „welche in der Wissenschaft auf Abenteuer ä la Don Quixote"8 gehen. Stattdessen kündigt er gleich zu Anfang eine .kritische und historische Untersuchung' des Themas ,Satan' an. Zugleich erweckt Schelling im Exordium seiner Satanologie die gespannte Aufmerksamkeit seines Publikums, indem er vorweg auf den innovativen und unorthodoxen Charakter seiner Lehre verweist. Die gewöhnliche' oder ,orthodoxe' Vorstellung vom Teufel, gegen die sich Schelling richtet, bezieht sich auf den metaphysischen Lucifer-Mythos, demgemäß der Teufel mit dem gegen Gott rebellierenden und gefallenen Engel Lucifer identifiziert wird. Diese orthodoxe Vorstellung vom Teufel als ,Haupt alles Bösen', lässt sich nach Schelling folgendermaßen beschreiben: „Sie denkt sich diesen Satan als einen zwar mächtigen, aber doch keineswegs unbeschränkten individuellen, erschaffenen Geist, als einen ursprünglich guten Engel, der aus Hochmuth sich über Gott erheben wolle, sich ihm widersetzt habe, hierauf - von Gott ausgestoßen und seiner eignen Verkehrtheit

6

7

8

Vgl. J. Hennigfeld, F.W.J. Schellings ,Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände', Darmstadt 2001, 86-113. Während die Christologie bis in die jüngste Zeit ein wichtiges Thema der Schelling-Forschung ist (vgl. Ch. Danz, Die philosophische Christologie F.W.J. Schellings, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1996), bildet die Satanologie noch immer ein wenig erschlossenes Gebiet. Eine bemerkenswerte Ausnahme aus neuerer Zeit ist der Versuch von A. Franz, „Die philosophische Idee des Bösen. Zur Satanologie Schellings und Dantes", in: Trierer Theologische Zeitschrift 99 (1990), 81-94. F.W.J. Schelling, Urfassung der Philosophie der Offenbarung, Bd.2, hg. v. W.E. Ehrhardt, Hamburg 1992,616.

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überlassen - nun, wie Abtrünnige zu thun pflegen, alles aufgeboten habe, um auch andere, besonders die Menschheit, von Gott abzuziehen und sie von sich abhängig zu machen." 9 Schelling findet diesen Lucifer-Mythos in seiner modernen dichterischen Umdeutung, die von Miltons Paradise Lost und Klopstocks Messias ausgeht, in der zeitgenössischen Öffentlichkeit vor. Der Teufel wird hier nicht mehr, wie noch in Dantes Divina commedia, als zottiges, menschenfressendes Ungeheuer geschildert, sondern als intelligenter, stolzer Rebell. „Milton und Klopstock haben sich alle Mühe gegeben, dem Satan nach der gewöhnlichen Vorstellung eine gewisse Erhabenheit zu geben, aber selbst der classisch gebildete Milton hat es nicht vermocht." 10 Die neueren Dichter, die den orthodoxen Lucifer-Mythos derart ästhetisch positivieren, sind nach Schelling eifrige advocati diaboli, die zwar dem Teufel eine neue Würde zubilligen, aber andererseits den alten metaphysischen Realismus noch vertiefen. Durch die detaillierte dichterische Darstellung als konkrete individuelle Person depotenzieren sie zugleich die Erhabenheit des Diabolischen als eines unfassbaren, universellen Geistprinzips. Dabei richtet sich Schellings Kritik am metaphysischen Realismus nicht generell gegen die Positivierungstendenz der modernen Dichtung. Im Gegenteil: Gleich zu Anfang macht Schelling seinen Hörern klar, dass er dem Satan eine „noch höhere Realität und eine noch höhere Bedeutung" 11 zuzuschreiben gedenkt. Schellings sich daran anschließender Entwurf einer eigenen und, wie sich zeigen wird, anthroprogenetischen Satanologie gliedert sich in einen kritischen Teil, der die orthodoxe Vorstellung des Teufels destruiert, und einen positiven Teil, der dann seine eigentliche philosophische Bedeutung' herausstellt.

2. Vom transpersonalen Charakter des Satanischen In seinem kritischen Teil der Satanologie widerlegt Schelling mit fünf Argumenten und Hinweisen zum Alten und Neuen Testament die orthodoxe Vorstellung von der individuellen Geschöpflichkeit des Satans. Der erste etymologische Hinweis bezieht sich auf den hebräischen Namen satan, aus dessen griechischer Übersetzung diabolos schließlich das deutsche .Teufel' entstanden ist. Schelling erinnert daran, „daß in dem Namen ,Satan' schlechthin nichts speciell Bezeichnendes liegt, daß er vielmehr von möglichst allgemeiner Bedeutung ist. Der Name ist bekanntlich aus dem Hebräischen, wo er eben nur Widersacher im A l l g e m e i n e n bedeutet".12 Insofern ,Satan' nur ganz allgemein ,Widersacher' heißt, liegt in ihm - wie Schelling bemerkt - zwar die Andeutung eines allgemeinen Geistes, aber nicht einer individuellen, erschaffenen Person. Schon dieser etymologische Hinweis auf einen transpersonalen Charakter des Satanischen stellt somit die orthodoxe Vorstellung des Teufels als individuelles Geschöpf infrage. 9 10 11 12

F.W. J. Schelling, Philosophie der Offenbarung, SWXIV, 242. Ebd., 246. Ebd., 243. Ebd.

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Die zweite Bemerkung weißt zunächst darauf hin, dass es im Alten und Neuen Testament keine einzige Stelle gibt, in der gesagt wird, dass der Teufel erschaffen worden sei. Im Gegenteil wird ihm im Neuen Testament eine Erhabenheit zugebilligt, die sich mit der Vorstellung von einer endlichen, erschaffenen und individuellen Person nicht vereinbaren lässt. Er wird als ,Fürst dieser Welt' und bei Paulus sogar als ,Gott dieser Welt' bezeichnet. Nur indem Satan derart als eine über alles Individuelle erhabene, außer- und übergeschöpfliche Macht dargestellt wird, kann er - so Schelling - den würdigen Gegenpart zu Christus spielen. Dies sei für die Bogomilen sogar der Anlass, Satan den „älteren Bruder Christi"13 zu nennen. Bei aller zugestandenen Erhabenheit stellt aber die Bibel den Satan insgesamt nicht als ein eigentlich böses Prinzip dar. Der kritische Blick auf die Quellenlage im Alten und Neuen Testament weist sowohl die gewöhnliche Vorstellung vom Satan als individuellem Geschöpf, als auch die manichäistische Vorstellung eines gottgleichen bösen Prinzips zurück. Der Schlüssel zur biblischen Grandbedeutung des Satans lässt sich dagegen - so Schellmgs dritte Bemerkung - im Buch Hiob finden. Hier wird Satan zunächst ausdrücklich zu den ,Söhnen Gottes' gezählt. Ferner wird er im Buch Hiob keineswegs als eigentliche Ursache des Bösen oder als direkter Feind Gottes vorgestellt. Satan tritt hier nicht als das originale Böse, sondern als der von Gott selbst zugelassene Versucher auf. Er verkörpert somit ein zur göttlichen Ökonomie selbst gehöriges und von Gott anerkanntes Prinzip. Damit hat Schelling die positive Grundbedeutung des Satans als Macht der Versuchung, die das Innere und die Gesinnung der Menschen in Zweifel zieht und auf die Probe stellt, exponiert. Demnach ist der Satan die Macht, die „ohne selbst böse zu seyn, dennoch das verborgene Böse hervor- und an den Tag bringt, damit es nicht unter dem Guten verborgen bleibe".14 Der Teufel erfreue sich an dem hervor- und an den Tag gebrachten Bösen nur deshalb, weil es die Bestätigung seines Zweifels an der frommen Gesinnung des Menschen sei. Damit wird er systematisch gerade nicht mit dem „absolut Bösen"15 identifiziert. Eine Pointe der Satanologie Schellings besteht in dieser, angesichts der gewöhnlichen Teufelsvorstellung paradoxal anmutenden ethischen Positivierung des Satanischen: Im Rückgriff auf das Buch Hiob gewinnt der Satan innerhalb der göttlichen Ökonomie die legitime, mäeutische Aufgabe, das im Menschen bereits latent vorhandene Böse zu entbinden und an den Tag zu bringen. Schellings viertes, exegetisches Argument weist ferner die orthodoxe Vorstellung vom Teufel mit dem Hinweis auf die Versuchungsgeschichte Christi zurück: „Ist Satan ein 13 Ebd., 245. 14 Ebd., 248. 15 C. Daub, Judas Ischariot oder das Böse in Verhältniß zum Guten, Erstes Heft, Heidelberg 1816, 155. Daub stellt ein systematisches Kontrastprogramm zu Schellings anthroprogenetischer Satanologie dar. Er greift zwar das in Schellings Freiheitsschrift vertretene Gedankenmotiv vom aktiven, positionellen Charakter des Bösen als perversio positiva auf, aber nur, um mit seiner Hilfe die traditionelle, dogmatische Vorstellung vom Satan als Figur des ,absolut Bösen' in potenzierter Form zu wiederholen.

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b l o ß e s Geschöpf, so sind die Worte absurd, die er zu Christus sagt, die Worte: Diese ganze Macht und Herrlichkeit ist mein, ich gebe sie, wem ich will! Ist aber Satan ein Princip, und zwar, das schon fühlt, daß ihm bald nur noch das äußere Weltreich angehören wird [...], so sind diese Worte ganz consequent." 16 Wäre der Teufel nur als endliches, beschränktes Individuum vorgestellt, so wäre nicht nur speziell die Versuchungsgeschichte Christi unglaubwürdig. Ganz allgemein könnte er im Drama der Heilsgeschichte keinen adäquaten Gegenpart zu Christus spielen. Gegen die Vorstellung einer endlichen, individuellen Person spricht fünftens vor allem die Allgegenwart, die Satan zugeschrieben wird. Demgemäß besitzt der Teufel einen immer und überall gegenwärtigen Einfluss. Diese ubiquitäre und alles durchdringende Macht und Gewalt kann nicht von einem einzelnen Individuum ausgehen, da Individuelles sich gegenseitig ausschließt, sondern nur von einem allgemeinen kosmischen Prinzip. Von dieser Art eines universellen geistigen Prinzips sei Satan, der „überall und immer um, ja in dem Menschen ist und jeden Augenblick ihm sich nicht nur vorstellen oder darstellen, sondern auch ihm sich insinuiren kann". 17 Mit diesem fünften Kontra-Argument aus der Allgegenwärtigkeit des satanischen Prinzips endet Schellings Refutation der gewöhnlichen Vorstellung vom Teufel. Vorausblickend lässt schon der kritische Teil zwei Grandtendenzen der Schelling'schen Satanologie erkennen. Das Diabolische wird als allgemeines Prinzip erstens ethisch positiviert, d.h. in die göttliche Ökonomie einbezogen und zweitens transpersonal infinitisiert, d.h. als allgegenwärtiges und ubiquitäres Prinzip verstanden. Ferner macht dieser fünfte Hinweis deutlich, wie Schelling die Einwirkung des Teufels auf den Menschen versteht. Der Satan vermag nicht direkt den menschlichen Willen zu okkupieren, sondern besitzt lediglich eine indirekte Vorstellungs- und Darstellungsmacht, durch die er die Menschen verführt. Gleichsam als versierter Rhetor verfugt er dabei über alle Mittel persuasiver Simulation, Suggestion und Insinuation.

3. Personale Desintegration und satanische Progenese Nach der kritischen Destruktion der gewöhnlichen Vorstellung gibt Schelling im positiven Teil seiner Satanologie eine eigene philosophische Erklärung des Teufels. Die von Schelling hier entwickelte .eigentliche Idee des Satans' entsteht auf dem Boden des geschichtlichen Denkens seiner Spätphilosophie. Als Resultat enthält sie den Gedanken, dass der Teufel zwar kein ewiges und unerschaffenes, sondern ein vom Menschen ausgehendes geschichdiches Prinzip darstellt. Dabei erweist sich die geschichtliche Progenese des Satanischen als Folge der Korruption und Desintegration menschlicher Personalität. Der satanische Geist stellt sich als ein Abspaltungsprodukt desintegrierter menschlicher Subjektivität heraus. 16 Philosophie der Offenbarung, SWXIV, 254. 17 Ebd., 255.

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In Schellings Erklärung des Satans verbindet sich die anthropozentrische Perspektive seiner Stuttgarter Privatvorlesung mit der Grund-Existenz-Ontologie der Freiheitsschrift. Demnach beruht alle menschliche Persönlichkeit auf einem »dunklen Grund'. Jenes dunkle B-Prinzip, das die Möglichkeit der geschichtlichen Entwicklung des Satanischen enthält, wird innerhalb des menschlichen Bewusstseins vor dem Sündenfall durch das göttliche Α-Prinzip beherrscht und in Schranken gehalten. Erst durch die ,unvordenkliche Tat' der menschlichen Freiheit im Sündenfall wird das vorher in Schranken gehaltene В-Prinzip entfesselt, sodass es aus der integrierten Seinsverfassung des Menschen als reiner negativer Geist hervortritt. So entsteht der Satan als ein zwar aus dem Menschen selbst hervorgegangenes, aber dann schrankenlos, transpersonal und allgegenwärtig gewordenes geistiges Prinzip. Der Teufel erweist sich nach dieser Erklärung somit als ein vom Menschen erregter, .gewordener' Geist, der, nachdem er ursprünglich im individuellen, menschlichen Bewusstsein integriert war, dieses entfesselt, transzendiert und es schließlich aufzuheben droht. Für Schelling hat die genealogische Erklärung der Existenz des Teufels somit eine dezidiert anthropologische Basis. Die Entstehungsgeschichte des Satans beginnt mit dem Menschen. Aufgrund der im Sündenfall-Mythos symbolisierten ,unvordenklichen' Tat der Freiheit geht der satanische Geist aus dem Menschen hervor. Diese Progenese transzendiert allerdings die endliche Form menschlicher Personalität und führt zur transpersonalen Verselbstständigung des diabolischen Geistes als ein universell wirkendes Realprinzip. Einmal entfesselt und freigesetzt, existiert der Teufel als ein „universelles Princip, ein Leben eigner Art zwar, ein falsches Leben, eines, das nicht seyn s o l l t e ,aber doch i s t , und einmal erregt, nicht wieder, wenigstens nicht unmittelbar wieder zurückgebracht werden kann".18 Als dererart verselbständigte und schrankenlos gewordene Potenz bedroht das diabolische Prinzip schließlich auch den Menschen selbst. Die schon im kritischen Teil anklingende Tendenz zur Positivierung des Teufels findet femer im positiven Teil der Schelling'schen Satanologie ihre Fortsetzung. Auch hier betont Schelling, dass der Satan selbst nicht böse sei, sondern lediglich eine „das Böse im Menschen a h n e n d e und es hervor, an den Tag zu bringen suchende Macht"19 sei. Der Teufel ist somit wiederum nicht als sich gegen Gott empörender und zum Bösen pervertierter gefallender Engel zu sehen, sondern als eine zur göttlichen Ökonomie gehörige und von Gott selbst anerkannte Macht der Versuchung zu verstehen. Seine Natur ist es, „das Verbotene, das nicht seyn Sollende in Möglichkeit zu stellen, damit das eigentlich Böse, das nur in der Gesinnung liegt, offenbar werde".20 Als gottgewollte Macht der Versuchung in der gefallenen Welt ist somit der Satan, wie Schelling zugespitzt formuliert, sogar das ,eigentliche Mysterium Gottes'. Bei der näheren Bestimmung des Satanischen greift Schelling ferner auf die vom jungen Friedrich Schlegel konzipierte Gedankenfigur der romantischen Ironie zurück. Schon

18 Ebd., 257. 19 Ebd., 260. 20 Ebd., 261.

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den rhetorischen Tropus Ironie prägen Antithese und Zweideutigkeit. So äußert der Ironiker das Gegenteil von dem, was er innerlich meint. Beim frühen F. Schlegel wird nun der auf einzelne Redewendungen beschränkte rhetorische Tropus (ironia verbi) zur unbeschränkten philosophischen Figur einer existenziellen Ironie (ironia vitae) und sogar zur universellen Ironie (ironia entis) erweitert.21 Diese infinite romantische Ironie bildet für Schlegel das produktive Prinzip jener ,ewigen Agilität', die das .unendlich volle Chaos' des Universums ermöglicht. Der späte Schelling greift diese frühromantische Gedankenfigur in seiner Satanologie wieder auf und lässt das diabolische Prinzip geradezu als Inbegriff infiniter Ironie erscheinen. Der tropologisch durch unendliche Ironie definierte Teufel avanciert beim späten Schelling zu einer hintergründigen Hauptfigur. Das Definitionsproblem, das der Topos von der unfasslichen Vielgestaltigkeit und Ortlosigkeit des Teufels als „transpersonaler Macht" 22 artikuliert, erklärt sich auch aus seiner ironischen Natur. Aus der schon von F. Schlegel hervorgehobenen ironischen ,Wechselbestimmung' wird hier in Schellings Philosophie der Offenbarung die Versatilität und der unerschöpfliche ,Rollenwechsel' des Satans. Er ist „seiner Natur nach versatil und nie sich selbst gleich; unerschöpflich in seiner Natur wechselt es die Rollen". 23 Angesichts seiner ironischen Natur verwundert es nicht, dass das Satanische für uns zunächst in einer verwirrenden Ambivalenz erscheint. Es trägt gleichsam ein doppeltes Gesicht: Einerseits zeigt es sich als Ursache von Zwietracht und allem Bösen. Auf der anderen Seite erscheint es als ein wohlgelittenes, zur göttlichen Haushaltung gehöriges und sogar ,mit Majestät bekleidetes Prinzip'. Als Inbegriff infiniter Ironie wird das Satanische bei Schelling zu einem produktiven Prinzip erhoben, das die Momente des kreativen Chaos und der ,ewigen Agilität' im geschichtlichen Universum repräsentiert. Die Positivierung des Satanischen durch die romantische Gedankenfigur der infiniten Ironie gipfelt in Schellings Bestimmung der .eigentlichen philosophischen Idee des Satans'. Demgemäß ist es „das nothwendige primum movens aller Geschichte". 24 Demnach beginnt erst mit dem Sündenfall und der Progenese des im Menschen angelegten diabolischen Prinzips die Menschheitsgeschichte, die sich nach Schelling in zwei Epochen gliedert. In der ersten Epoche des Heidentums und der Mythologie herrscht das Diabolische auch in der Religionsgeschichte. Auch in der zweiten Epoche, die mit dem Sieg Christi über den Satan anbricht, ist die Macht des Diabolischen nicht aus der Welt verschwunden. Der ,Fürst dieser Welt' - so Schellings These hat sein Wirkungsfeld lediglich vom religiösen auf das politische Feld verlagert. Die moderne politische Geschichte bildet somit „ein neues Theater der Wirkungen des Satans, die nicht minder blutbedeckte Schaubühne" 25 Für Schelling beweist dieser geschichtliche Rollenwechsel und das Überspringen vom religiösen auf das politische Gebiet die uner21 Zum Begriff der infiniten Ironie bei F. Schlegel vgl. Romantik-Handbuch, Stuttgart 1994,351-365. 22 J. Track, „Teufel VI. Systematisch-theologisch", in: TREXXXIH, 136. 23 Philosophie der Offenbarung, SWXIV, 269. 24 Ebd., 271. 25 Urfassung der Philosophie der Offenbarung, a.a.O., 639.

hg. v. H. Schanze,

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schöpfliche Kreativität des Satanischen, die in seiner ironischen und versatilen Natur gründet. Eindrücklich schildert Schelling den zumeist unbewussten Einfluss des diabolischen Geistes auf den Menschen. Dabei besteht die Macht des Satans über den Menschen nicht in einer unmittelbaren Willensbestimmung, sondern in seinem persuasiv vermittelten suggestiven Einfluss, der in der Vorspiegelung verführerischer Möglichkeiten besteht: „Jener Geist ist im Besitz des Menschen, noch ehe dieser es ahndet oder weiß, und, an sich unendliche Möglichkeit, die nie völlig verwirklicht ist, spielt er in allen Formen, Farben und Gestalten [...] Als diese unerschöpfliche Quelle von M ö g l i c h k e i t e n , die je nach Umständen und Verhältnissen andere, neue und wechselnde sind, ist dieser Geist der immerwährende Erreger und Beweger des menschlichen Lebens, das Princip, ohne das die Welt einschlafen, die Geschichte versumpfen, stillstehen würde. Dieß ist die eigentliche philosophische Idee des Satan."26 Die eigentliche Seinsmodalität des Diabolischen ist demnach nicht die Wirklichkeit, sondern die Möglichkeit. Der Satan verkörpert nach Schelling das Prinzip infiniter Potentialität, das als bloße Allmöglichkeit nur durch den Willen des Menschen zur Wirklichkeit gelangen kann. Daher wird die an Möglichkeiten unerschöpfliche Natur des diabolischen Geistes zugleich von einem ,ewigen Hunger nach Wirklichkeit' getrieben. Gleichsam als hungriger Löwe sucht der Versucher nach Gelegenheiten, das, was in ihm bloß Potentialität ist, durch den menschlichen Willen zu realisieren. Er geht umher „und sucht, welchen er verschlinge in seiner ewigen Sucht, seinem nie ersättigten Bedürfnis, das, was in ihm als bloße Möglichkeit ist, durch den menschlichen Willen zu verwirklichen".27 Dabei stehen ihm alle Möglichkeiten der visuellen und verbalen Suggestion zur Verfügung. Die indirekte, ideelle Gewalt, die das Diabolische über den Menschen besitzt, ist vor allem die der persuasiven Simulation, d.h. der täuschenden Darstellung von verlockenden Möglichkeiten menschlicher Selbstverwirklichung. Wenn Schelling in diesem Zusammenhang den Satan als .Sophisten' im eigentlichen Sinne bezeichnet, knüpft er an Piatons Kritik der sophistischen Rhetorik an, die eine Trugbildnerei durch Worte sei. Durch die ,falsche trügerische Magie' von vorgestellten Möglichkeiten, die den menschlichen Willen anlockend an sich zieht, gewinnt das universelle diabolische Prinzip seine ideelle, persuasive Macht über den Willen des Menschen. Für das scheinbar unbegrenzte Reich diabolischer Simulation gilt ein für die Spätphilosophie Schellings grandlegender Begriffszusammenhang: „Möglichkeit, Macht, Magie sind immer beisammen."28 Insofern die diabolische Macht lediglich eine ideelle ist, die sich an die innere Imagination und geistige Vorstellungsfähigkeit des Menschen wendet, bedroht sie weniger die ,grob materiellen Naturen', sondern vorzüglich die intelligenten und außerordentlich begabten. Gerade die geistigen Naturen stehen in Gefahr, dem Einfluss diabolischer Vorspiegelungen und Simulationen zu erliegen. Damit wiederholt Schelling in

26 Philosophie der Offenbarung, SWXIV, 270f. 27 Ebd., 271. 28 Ebd., 259.

PERSONALE DESINTEGRATION

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seiner Philosophie der Offenbarung den schon in seiner Freiheitsschrifi angesprochenen Topos. Er beinhaltet die allgemeine Auffassung von der besonderen Anfälligkeit der genialischen Natur für diabolische Verfuhrung, die literarisch z.B. in Goethes Faust und später in T. Manns Dr. Faustus ausgestaltet worden ist. Auch bei Schelling werden gerade die besonders Befähigten viel öfters vom Bösen als vom Guten begleitet.29 Hohe Intelligenz und Imaginationsgabe scheinen zugleich mit dem Horizont schöpferischer Invention auch den Umkreis verführerischer und abseitiger Möglichkeiten zu erweitem.

4. Die Figur der produktiven Nicht-Identität Insgesamt versucht Schelling der alten religiösen und metaphysischen Rede vom Teufel einen neuen Sinn zu geben. Durch seine kritische Destruktion des orthodoxen LuziferMythos bekämpft Schelling jenen metaphysischen Realismus, den nicht nur die moderne Dichtung, sondern auch die heutige mediale Darstellung des Teufels noch vertritt. Auf der anderen Seite ist für ihn das Diabolische keine bloß subjektive Fiktion oder intersubjektive Projektion, sondern ein universell herrschendes Geistprinzip, das zwar ursprünglich vom Menschen ausgeht, aber innerhalb der Geschichte eine selbstständige Existenz und transpersonale, geistige Realität gewinnt. So kann der Standpunkt der Schelling'schen Satanologie als anthioprogenetischer Realismus bezeichnet werden. Insofern die Progenese des Satanischen zwar das menschliche Sein radikal transzendiert, aber doch als Folge menschlicher personaler Desintegration erklärt wird, bildet Schellings Satanologie eine moderne Rekonstruktion des alten metaphysischen Realismus auf anthropologischer Basis. Schellings anthroprogenetische Satanologie bedeutet dabei zunächst eine vielleicht paradoxal erscheinende, ethische Positivierung des Diabolischen. Entgegen der gewöhnlichen Vorstellung ist demnach der Satan selbst nicht böse, sondern lediglich eine Macht der Versuchung, die den Menschen auf die Probe stellt. Böse im eigentlichen Sinne kann nur - wie schon die Freiheitsschrift betont - der freie Wille des Menschen sein. Der diabolische Geist treibt lediglich das im Menschen schon latent vorhandene Böse hervor und bringt es zutage. Zweitens wird das Diabolische durch Schelling entindividualisiert und infinitisiert. Es gewinnt den Charakter eines allgegenwärtigen, transpersonalen geistigen Prinzips, das als primum movens die menschliche Geschichte bewegt. Durch diese Infinitisierung schützt und befreit Schelling das diabolische Prinzip zugleich vor seiner modernen literarischen, medialen und doxalen Fixierung, die bis zu seiner endgültigen Depotenziemng in der Form der Karikatur führen kann. Indem Schelling den Satan als Objekt der Literatur und der gewöhnlichen Meinung kritisiert, rettet er seine an sich ungegenständliche, gleichsam numinose Allgegenwart als universelles Prinzip.

29 EM., 368.

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Die dritte Haupttendenz der Schelling'schen Satanologie ist schließlich ihr Grundzug zur anthropologischen Refundierung. Das Diabolische ist keine völlig fremde, dämonische Macht, sondern gründet ursprünglich in der Person des Menschen selbst. Es ist ein aus ihm selbst entsprungenes, sich dann verselbstständigendes und sich geschichtlich gegen ihn wendendes Prinzip. Die Progenese des universellen satanischen Geistes erklärt sich aus einer personalen Desintegration, die durch den korruptiven Missbrauch der menschlichen Freiheit verursacht wird. Die anthroprogenetische Satanologie in der Philosophie der Offenbarung bildet damit einen ergänzenden und vertiefenden Beitrag zur modernen Selbsterkenntnis menschlicher Freiheit. Schellings Satanologie verdeutlicht vor allem den anthropologischen Grund für die Anfälligkeit der menschlichen Freiheit gegenüber dem Bösen: die an sich positive Fähigkeit zur freien Imagination unendlicher Möglichkeiten, die in verselbstständigter Form die menschliche Freiheit zum Bösen verführen kann. Es ist die entfesselte Macht des ironischen Alteritätsprinzips, d.h. des potentiell infiniten Anderssehen-, Andersdeuten- und Andershandelnkönnens, durch die das Satanische den menschlichen Willen anzuziehen und zu verleiten vermag. Das Einfallstor für das Diabolische ist somit der moralisch indifferente Möglichkeitssinn des Menschen, der gleichermaßen die ,guten' wie auch ,bösen' Möglichkeiten der Selbstverwirklichung vor Augen führt. Dass Schelling selbst dem produktiven Aspekt des Satanischen ,als primum movens aller Geschichte' den Vorzug einräumt, macht am Ende auch ihn zu einem advocatus diaboli. Dabei ist ihm durchaus bewusst, dass das Spiel mit dem Alteritätsprinzip sowohl die Chance zu fruchtbarer Innovation als auch das Risiko diabolischer Veriming birgt. Dennoch nimmt Schelling selbst das von ihm thematisierte, risikoreiche Alteritätsprinzip für den Vollzug seiner philosophischen Rede selbstbewusst in Anspruch. In überzeugender retorsiver Übereinstimmung demonstiert er die philosophische Freiheit des Andersdeutenkönnens, wenn er selbstbewusst feststellt: „Wir haben die Bedeutung des Satans anders bestimmt f...]." 30 So gewinnt Schellings ethische Positivierung des Diabolischen und seine Exposition als produktives Prinzip am Ende auch einen ganz persönlichen Sinn. Das thematische Interesse Schellings am Thema des Teufels entspringt nicht zuletzt der Angst vor dem Versagen seiner eigenen philosophischen Produktivität, die ihn insbesondere in der Krisenzeit des Scheiterns seines großangelegten We/га/ггг-Projektes nach 1809 quälte. Mit seiner anthroprogenetischen Satanologie versichert sich Schelling in seiner Spätphilosophie aber - offensichtlich erfolgreich - aufs Neue der Möglichkeitsbedingung seiner eigenen philosophischen Kreativität. So scheint schließlich das .geschichtliche primum movens' auch Schellings eigene philosophische Biographie zu bewegen. Zusammenfassend kann Schellings anthroprogenetische Satanologie auch als Beitrag zur allgemeinen Philosophie der Person31 gelesen werden, der die diabolische Schatten-

30 Ebd., 649. 31 Vgl. D. Sturma (Hg.), Person. Philosophiegeschichte. sophie, Paderborn 2001.

Theoretische Philosophie. Praktische Philo-

PERSONALE DESINTEGRATION

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seite menschlicher Personalität in der geschichtlichen Welt transparent macht. Generell vertritt Schellings Philosophie der Person einen relationalen Dynamismus, der die Person nicht als Substanz, sondern als Potenzengefüge begreift. Damit gewinnt Schelling die gedankliche Möglichkeit, durch variable Konfigurationen personaler Potenzen eine ganze Reihe unterschiedlicher Persönlichkeitsformen zu verdeutlichen. In diesem Zusammenhang wird das Satanische als desintegriertes Abspaltungsprodukt korrumpierter menschlicher Personalität sichtbar. Der satanische Geist bildet demnach das unabtrennliche alter ego der menschlichen Person in der Geschichte. Dabei geht er einerseits als Abspaltungsprodukt aus personaler Desintegration hervor und bildet in dieser Hinsicht den geschichtlichen Ausdruck menschlicher Nicht-Identität. Auf der anderen Seite vermag er dem Menschen aber auch das entgrenzte Andere seiner selbst und damit seine bisher ausgegrenzten produktiven Potentiale vor Augen zu fuhren. Als dergestalt ambivalente Figur produktiver Nicht-Identität bildet das Satanische für Schelling das ,primum movens aller Geschichte'.

VI. Anhang

Vorbemerkung

Alle Aufsätze des vorliegenden Bandes gehen auf Vorlagen zurück, die für eine Tagung im Frühsommer 2003 geschrieben wurden. Aus Zeitgründen konnten allerdings nur einige dieser Vorlagen auch mündlich vorgetragen und zum Ausgangspunkt einer Diskussion werden. Gleichwohl haben sich fast alle Autoren an den Diskussionen beteiligt und ihre Sicht der Dinge dargelegt. Die nachfolgende Dokumentation bietet daher nicht nur konstruktive und kritische Kommentare zu einzelnen Beiträgen, sondern stellt zugleich vielfältige Verbindungen zwischen allen Beiträgen her und trägt dadurch zur Weiterführung und Vertiefung der Gesamtthematik bei.

Diskussion zum Vortrag von Thomas Buchheim

Iber: 1) Buchheim hat offenbar vier unterschiedliche Bedeutungen von Person herausgearbeitet: Person erstens als natürliche Individualität und zweitens als geistige Individualität, die dann als geschichtliche Identität gefaßt wurde. Drittens wurde ausgeführt, die Person sei etwas Eigenständiges, Substantielles, und viertens wurde Person als etwas Relationales verstanden. Da in der vierten Bedeutung die Selbständigkeit also wieder aufgegeben wird, besteht zwischen der dritten und vierten Bedeutung offensichtlich ein Widerspruch. Einerseits liegt nach dieser Analyse das Personsein in der substantiellen Individualität, andererseits bestehe Schelling zufolge das wahre Menschsein in einer Relation. 2) Die zweite Frage bezieht sich auf den Übergang von naturaler zu geschichtlicher Identität. Es ist richtig, daß die geschichtliche Identität darin liegt, daß wir einer Person Handlungen zurechnen können. Andererseits hat Buchheim plausibel machen wollen, daß diese zurechenbaren Handlungen nicht konstitutiv sind für die Identität. Das würde ja bedeuten, daß der Begriff einer geschichtlichen Identität noch gar nicht geklärt ist, sondern vorausgesetzt wird. 3) In der Perspektive des Gedankens, daß die geschichtliche Identität der Person in der Reihe ihrer Handlungen liegt, scheint Schelling doch ein wenig zu übertreiben, wenn er in der Erörterung der .transzendentalen Tat' dem Menschen sogar die Verantwortung für seine ,Korporisation' zuschreibt. Wenn man diese Konzeption Schellings nicht mitmacht, dann bleibt es bei dem anderen Widerspruch, daß Schelling das Personsein einerseits in die substantielle Selbständigkeit, andererseits in die Aufgabe der Eigenständigkeit und damit in eine Relation verlegt. Buchheim: Ad 1) Von den vorgeführten vier Bedeutungen des Personseins ist die erste nach meiner Meinung zunächst zu streichen. Denn natürliche ist eben gerade nicht personale Individualität, sondern geht nur bis zur Lebendigkeit, d.h. bis zu einem bestimmten Grad der Einheit von Selbst und Natur. Erst wenn diese Selbstheit Bewußtsein von sich selbst hat, beginnt personale Identität, weil erst dann denkbar ist, daß die Person ihre Identität bewahrt, während sich ihre Züge, ihre Beschaffenheit, ihr Auftreten wandeln. Tiere, die ihr Verhalten völlig ändern, sind andere Tiere. Für den Menschen gilt hingegen, daß er trotz völlig verändertem Verhalten immer noch derselbe ist, eben weil Natur und Selbstheit im Bewußtsein eins geworden sind. Ad 2) Diese Einheit ist also zugleich der Ansatzpunkt für eine personal verstandene Individualität, die dann insoweit geschichtlich ist, als sie durch eigenes Handeln ihre Existenz (als dieselbe) fortsetzt. Man kann demnach sagen, daß die Handlungen das ausma-

VORTRAG VON T H O M A S BUCHHEIM

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chen, was sich eine Person als ihre künftige Beschaffenheit, ihr Weiterexistieren erst zulegt. Je weniger natürlich die Personen sind, desto unabhängiger würden sie von den Vorgaben der Natur. Die göttliche Person ist deswegen maximal geschichtlich, weil sie durch und im Handeln rückhaltlos ihre Existenz offenbart und unverwandt fortsetzt. Wenigstens ein bißchen können auch wir als geschichtlich handelnde Personen uns von den Vorgaben freimachen. Aber erst auf letzter Stufe wird die Selbständigkeit in ein so hohes Maß an Unabhängigkeit nicht nur von den Vorgaben, sondern auch von sich selbst getrieben werden, daß in der Unabhängigkeit von sich selbst die Eigenständigkeit aufgegeben werden könnte im Interesse eines gemeinsam erhandelten Aggregatzustandes, den Schelling als ,Liebe' bezeichnet. Dies ist meines Erachtens nur die Steigerung eines systematischen Grundgedankens von Schelling bezüglich des Begriffs der Person, nämlich jenes Gedankens der Freisetzung ihrer Identität von den ihr gewachsenen Vorgaben. Einen latenten Widerspruch entdecke ich in dieser Idee nicht, sondern finde es durchaus nachvollziehbar, wenn man sagt, geschichtliche Identität erkennt man nur an der Geschichte, die sie sich durch ihr zurechenbares Handeln als ihre offenbare Seite zulegt, aber sie bildet sich nicht durch dieses Handeln als dasselbe Subjekt von Handlungen. Das wird z.B. bei Ausfällen des Bewußtseins deutlich. In solchen Fällen muß entweder ein anderes Bewußtsein einspringen, das sich erinnert, oder aber man weiß eben nicht mehr, wer man ist, obwohl man noch derselbe ist, der man vorher war. Das bedeutet jedoch nicht, daß der Handelnde konstituiert wird durch die geschichtlichen Handlungen. Er hätte ja auch ganz anders handeln können und wäre dennoch derselbe gewesen. Ad 3) Auch mir scheint Schelling in Bezug auf uns als endliche Personen mit natürlicher Verfassung, d.h. mit Korporisation, zu einer gewissen Übertreibung zu neigen, obwohl wir, wenn wir uns z.B. im Sinne eines bestimmtes Körperideals zurichten, tatsächlich unsere Korporisation wenigstens ein bißchen bestimmen. Eine Ahnung von dem Gemeinten könnte man also durchaus haben. Ziehe: 1) Person oder Persönlichkeit ist in teils unterschiedlichen Kontexten auf zweierlei Weise eingepaßt: Einmal durch Bezug auf eine Natur, aus der die Persönlichkeit von unten hervorgeht, zum anderen gelangt man auch über einen Weg von oben her auf die Ebene der Person, etwa durch den Zusammenhang von Wissenschaft und Seele, aber auch im Zusammenhang mit der Selbstoffenbarung Gottes oder dem Verhältnis von Gottvater und Gottsohn. Zu fragen ist, wie diese Doppelbezogenheit von Person verstanden werden kann. Es scheint so zu sein, daß die Person auf eine Natur und zugleich das Höhere auf eine Person bezogen sein müssen, um jeweils als individuell existieren zu können. 2) Eine andere Frage bezieht sich auf die Formulierung „Personen besitzen Geist": Wenn Geist einerseits die Wechseldurchdringung von Natur und Selbstsein sein soll und andererseits Person selbst durch diese Wechseldurchdringung wesentlich gekennzeichnet sein soll, dann wird die Konstitutionsform von Person als in dieser Person nochmals enthalten gedacht. Ist eine derartige Struktur plausibel? 3) Außerdem ist zu fragen, ob der Begriff der Struktur im Zusammenhang mit Schellings Personenverständnis angesichts der Notwendigkeit, daß Strukturen immer konkret gefüllt sein müssen, ohne weitere Spezifikation schon sachhaltig tragend ist.

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DISKUSSION

Buchheim: Ad 1) Die Natur ist nicht per se unten, sondern sie wird erst nach unten gebracht, wenn sie Individuen Halt gibt; sonst könnte sie ja auch nicht früher für Schelling das Alles in Allem gewesen sein. Natur gibt es sozusagen in jeder Höhe. Die höchste Natur ist die Liebe, denn diese ist die Beschaffenheit des höchsten Wesens. Die ganze Orientierung von Oben und Unten wird also erst im Bildungsprozess der Person erzeugt. In der .Schiebung' von etwas (als Grund) nach unten und von etwas anderem als zu Erreichendem nach oben besteht der Aufgabecharakter der Personalisierung. Manche Werkzeuge oder Potentiale dafür stehen der so konstituierten Person bereits zur Verfügung, anderes ist jeweils erst noch eine Aufgabe ihres Handelns. Im Falle Gottes endet dies damit, daß er das ,Alles in Allem' ist. Ad 2) Zur Frage in Beziehung auf ,Geist' ist es wohl besser zu formulieren „Personen (im Plural) sind Geist". Indem nämlich eine Person Geist ist, ist sie hinaus über ihre isolierte Singularität. Schon die Erhebung der Selbstheit in das ideale Prinzip bedeutet ja, daß Geist Notiz nimmt, ordnet, sich auf anderes bezieht, d.h. in einem Geßge existiert. Geist nennt man eben solche Gefüge, die auf einzelne Individuen gestützt sind, sich in einem Einzelnen aber nicht erschöpfen. Geist bei Schelling meint einerseits die Existenz von Personen, andererseits eben auch den Zusammenhang, in dem sie ihre geistige Existenz exekutieren. Ad 3) Die Frage nach der Struktur zielt vor allem auf die differenten Glieder in Schellings Konzept des internen Dualismus. Diese Differenz ist jedenfalls keine zwischen zwei unterschiedlichen Charakteren. Es handelt sich vielmehr um eine formale Differenz innerhalb des Charakters oder Seins eines Individuums, nämlich seine jeweilige Natur oder Beschaffenheit einerseits, und eine Art individueller Bündelung oder Bindung davon andererseits. Die Natur ist darin (in dem entsprechenden Existierenden oder Seienden) also jeweils der prädikative Anteil, d.h. das Allgemeine, die „Position" oder individuelle Bindung dagegen der sozusagen substantivische Anteil im Wirklichen. Sturma: Mich interessiert ebenfalls die Frage, wie man mit dem Begriff des Geistes im Zusammenhang mit dem Personenbegriff umgehen soll. Hier hat Buchheim mit der Rede von einem Gefüge, an dem dann das Individuum teilhat, einen guten Ansatz geliefert. Fraglich ist aber, wie wir ein derartiges Gefüge näher zu charakterisieren haben. So ist zu fragen, ob es sich beispielsweise um eine selbstreferentielle Ordnung handelt. Außerdem ist klar zu machen, daß sich das Gefüge in irgendeiner Hinsicht entwickeln und Menschen eine besondere Beziehung zu ihm aufnehmen können müssen. Buchheim: Ich denke mir ein derartiges ,Geist'-Gefüge in erster Linie als ein kommunikatives, d.h. als ein Gefüge des Austausches. Als Beispiele könnte man das Spiel und gegenseitige Übernehmen von Rollen nennen. Hierin liegt durchaus auch deutlich das Element der Selbstreferentialität. Wenn mein Gegenüber einen bestimmten Zuge macht, dann weiß ich, wie es ist und was es bedeutet, einen solchen Zug zu machen. Indem ich einen Gegenzug mache, verhält es sich vice versa genauso. Das ist in der Tat eine Minimalforderung für geistige Gefüge. Ein Paradebeispiel dafür ist natürlich die Sprache.

VORTRAG VON THOMAS BUCHHEIM

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Jacobs: Meine Frage bezieht sich auf den Begriff der Natur, den Schelling für sein Verständnis von Person in jedem Fall zugrunde legen muß: Die Natur, an der die Person nach Schelling Halt findet, ist ja nicht unser Chromosomensatz. Denn dann verhielten wir uns immer zu einer Notwendigkeit, die wir nicht erklären können. Genau das denkt Schelling aber nicht. Was er meint, wird vielmehr deutlich, wenn man die Grandstruktur ,Natur in Gott',,Logos in Gott' oder Genialität, Kunst im Sinne von Können und Machen im Auge hat. Dann nämlich ist Natur ein Moment in uns, das jeweils zu einer Ordnung kommen will, diese aber nicht von selbst erreicht. Wir dürfen Natur also nicht als etwas gewissermaßen objektiv fix und fertiges denken, sondern als ein konstitutives Moment der Person. Dieses Moment wird auch als ,Wahnsinn' bezeichnet, d.h. als etwas, das völlige Unordnung, aber zugleich ungebändigte Kraft an sich hat. Eben darin finden wir als Person den Halt. Hier muß man sehen, daß die Natur im Selbst ihren notwendigen Platz hat, also nicht einfach dazukommt. Diese Natur nun verlangt, damit etwas aus ihr werde, daß sie ihren Ausdruck findet. Daher gebraucht Schelling in der Freiheitsschrift bei der Konstitution Gottes den Ausdruck logos, wobei der Vernunftbegriff, den Schelling dort einfuhrt, ein in Nuancen anderer ist als der von Kant und Fichte. Er geht wohl eher in die Richtung, daß die Vernunft dasjenige ist, was das, was in uns zur Ordnung gebracht werden will, zum Ausgesprochensein bringt, wie im analogen Fall der Künstler ins Bild oder ins Wort bringt, was er in sich spürt, aber zunächst nur als treibende Kraft empfindet. Buchheim: Im Prinzip stimme ich völlig zu, daß die von Schelling gemeinte ,Natur' als ein konstitutives Moment im Sein von Personen zu begreifen ist, das durch Entscheidungen erst noch zu einem bestimmten Ausdruck (oder Handeln) gebracht werden muß. Allerdings ist klar, daß auch dann die Natur schon immer zunächst etwas sein muß, das eben durch das Handeln der Person zu einer bestimmten Ordnung gebracht wird. So fuhren wir z.B. eine Aktion auf Basis einer naturalen Verfassung, etwa der Aktionspotentiale unserer Muskeln durch. Schelling meint also solche naturalen Verfassungen, auf Basis derer sich Individuen so oder so verhalten. Wir nutzen diese Vorgaben und fügen ihnen Ordnung hinzu. Im personalen Bereich können wir uns dann sogar fast gänzlich von solchen vorgegebenen Verfassungen lösen und andere Ressourcen unseres Handelns auftun. Und im Falle Gottes ist die Natur so zu denken, daß sie zur Gänze in die Art und Weise seines Handelns aufgenommen wird, so daß kein dunkler, sozusagen unaufgeräumter ,Rest' an ihm zurückbleibt. Hühn: Die Figur des Aufgebens eigener Selbständigkeit im Handeln der Person hat Schelling in der Tradition der annihilatio auch als Selbstvemichtung gefaßt, genauer als Selbstvemichtung des Ichs im Erfahren eines Anderen. Das kommt in Ausdrücken wie Fahrenlassen, Ekstase, Ekstasis des Ichs in den Erlanger Vorlesungen zum Ausdruck. Schelling denkt im Duktus dieser Tradition die Negativität des ersten Anfangs. Wenn ich von meiner Person loslassen muß, dann muß ich von etwas loslassen, das so, wie es ist, nicht sein soll. Das Nicht-sein-sollende, der erste Anfang, muß also überwunden werden. Dieses Erste wird in den Weltaltern durch die Radmetaphorik und in den Erlanger Vorlesungen durch die erste Potenz des Sein-könnenden gefaßt. Schelüng muß dann einen

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DISKUSSION

zweiten Anfang denken, wobei nach dem Fortwirken des ersten im zweiten Anfang zu fragen ist. Dieser zweite Anfang wird 1809 als Transmutation, in den Weltaltern als Scheidung seiner von sich, später als Ekstasis gedacht. Man findet also bei Schelling Strukturen radikaler Zäsuren. Der erste Anfang muß in einem zweiten durchsichtig gemacht werden. Zugleich muß in diesem etwas korrigiert werden, was uns im ersten Anfang in die Misere der Negativität gebracht hat. Buchheim: Am Beispiel des Kreislaufs kann man erläutern, daß die Radmetaphorik meiner Auffassung nicht unbedingt zuwiderläuft. Der Witz der Rotation liegt ja gerade darin, daß sie dann einsetzt, wenn das Können leerläuft, d.h. wenn keine geordnete Aktion aus dem Vermögen zustande kommt. So könnte auch unser Kreislauf, wenn er nicht für bestimmte Aktionen genutzt wird, als ein solch leeres Rotieren verstanden werden, sozusagen das ,nicht-sein-sollende' pure Dasein unseres Könnens und Vermögens. Die Frage, wie sich die Ordnung auf diesem rotierenden Vermögen etabliere, kann nicht einfach so aufgelöst werden, daß man die Ordnung schon voraussetzt und sie sozusagen von außen aufpappt. Irgendwie muß die Ordnung aus einer relativ unterbestimmten Verfassung heraus Platz greifen. Eine solche Etablierung der Ordnung auf dem unordentlichen Vermögen wurde von Schelling bisweilen als ,Blitz' oder .Schlag' beschrieben. Vielleicht kennen wir dergleichen aus unseren .kreativ' genannten Produktionen. Aber womöglich sollte man im Falle Gottes die Rotation gar nicht als ein abtrennbares Vorstadium der Schöpfung oder Produktion denken, sondern als bloß gedachtes Ingredienz, d.h. daß das Rotieren, wie vorher Jacobs sagte, für Schelling nur in Gottes Handeln als Moment eingeschrieben ist als etwas, das Gott können muß, um zu tun, was er tut. Dann wäre darin also nicht notwendig so etwas wie ,annihilatio' oder ,Selbstvernichtung', sondern nur reines, seiner selbst sicheres Handeln. Schelling ist hier zugegebenermaßen recht schwankend und uneindeutig. Hutter: Meine Frage zielt auf das anfängliche Chaos, die Natur. In der Freiheitsschrift heißt es, daß „jetzt" alles Ordnung und Form sei, immer aber noch im Grande das Regellose liege, als könnte es einmal wieder durchbrechen, und nirgends sei Ordnung und Form das Ursprüngliche. Holzschnittartig kann man zwar in Beziehung auf Gott sagen, daß er in einer Art Uroffenbarung aus der Rotation hervorkommt und ein für allemal Ordnung schafft. Für den Menschen aber gilt, und darin liegt seine Abhängigkeit, daß immerfort real die Gefahr besteht, daß das Regellose wieder durchbrechen kann. Insofern gibt es für den Menschen eine Natur, die im personal-geschichtlichen Prozeß zum Grund gemacht wird, und dann aber noch Natur in einem anderen Sinn, die wir nie in den Griff bekommen, die wir also nicht zu unserem Werkzeug machen können. Vielmehr ist das gerade der böse Wille, der die Natur auch in diesem Sinn zum Werkzeug machen will. Man muß also zwischen einem gleichsam harmlosen Grund, der Werkzeug ist oder werden kann, und einem noch darunter liegenden Grund unterscheiden, der nur in Gott, aber nicht im Menschen Werkzeug ist. Mit diesem Grand kommt die Problematik des Bösen und des Wahnsinns ins Spiel. Angesichts dieser dämonischen Natur bedarf der Mensch der „göttlichen Hilfe", d.h. des Einbezogenseins in das geistige Gefüge der Prinzipien, um der

VORTRAG VON THOMAS BUCHHEIM

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Übermacht des Grundes nicht zu verfallen. Wenn er hingegen diesen Grund bloß als Werkzeug für eigene Zwecke will, dann verfällt er gerade seiner Macht. Nur so läßt sich verstehen, warum der Mensch bei Schelling buchstäblich „von Grund a u f gefährdet ist. Buchheim: Reicht es denn nicht aus zu sagen, daß wir eben nicht alles zum Werkzeug machen könnten, etwa weil es sich uns widersetzt? Es gibt sowohl für uns unerreichbare Bezirke des Natürlichen als auch innerhalb dessen, was wir zum Werkzeug zu bändigen suchen, einen unausrottbaren Restbestand an Gefährdung. Die von Dir als Abkapselung und curvatio in seipsum beschriebene Haltung besteht dann auch und gerade in dem Glauben, alles in den Griff bekommen zu haben. Das sei derselbe Effekt des Bösen. Hutter: Als Schellinginteipretation scheint mir die Rede von „einem unausrottbaren Restbestand an Gefährdung" nicht radikal genug zu sein. Man sieht das beispielsweise am Modell des Wahnsinns. Der Wahnsinn ist eben durch und durch eine Zerrüttung der Person. Eben weil wir nicht nur punktuell in einzelnen Handlungen, sondern in einem fundamentalen Sinne gefährdet sind, bedürfen wir des Widerhalts in der Hilfe. Ohne sie würden wir mit dem Grund nicht nur von Fall zu Fall nicht fertig, sondern eben überhaupt nicht. Protokoll: Oliver Florig

Diskussion zum Vortrag von Dieter Sturma

Oliveira: 1) Wie definiert Sturma systematisch die Begriffe Person und Subjekt? Über weite Strecken des Vortrages schien der Begriff der Person in der gleichen Bedeutung verwendet worden zu sein wie der Begriff des Subjekts in der modernen Subjektivitätsdebatte. Wie genau lautet das Argument zur Unterscheidung von Subjekt und Person? 2) Bedeutet ,Person sucht Person' (a), daß Person 1 Person 2 sucht bzw. Person 1 den Grund in Person 2 sucht? Oder (b) daß Person 1 den Grund in sich als Person sucht, also die Person 1 in sich als Person den sie übersteigenden Grund sucht? Sturma: Ad 1) Der Anlaß der Irritation über die Begrifflichkeit war erwünscht: Ich wollte mich möglichst lange in semantischen Feldern bewegen, die sowohl auf den Begriff der Person der gegenwärtigen Philosophie als auch den Schellings zutreffen. Die erste von mir eingesetzte Persondefinition lautet: Der Begriff der Person bezeichnet einen Akteur bzw. ein Subjekt im ,Raum der Gründe' (nach Wilfrid Sellars); diese - allgemein gehaltene - Formulierung würde auch Schelling akzeptieren können, da das Prinzip der Subjektivität, der epistemischen Reflexionsverhältnisse und das Prinzip der Zurechenbarkeit, wie anhand einschlägiger Textstellen gezeigt, auch im Rahmen seiner Theorie bewußter Endlichkeit gelten. Wobei ich hier lediglich über den Begriff der menschlichen Person gesprochen habe. Bei Schelling tritt dann nämlich noch die Dimension des Unbedingten hinzu, weshalb die analytische Philosophie schon längst ihre Gefolgschaft aufgekündigt hätte. Schelling selbst würde freilich an den modernen Definitionen nichts wirklich stören, außer der Tatsache, daß sie und die sie betreffenden Diskussionen letztendlich die wirklichen Fragen des Lebens unberührt lassen. Schelling bietet demgegenüber im Nagelschen Sinne ein ,erweitertes' Verstehen des Personbegriffs an - das letztlich kosmologische Ausmaße annimmt. Ad 2) Die Person sucht die Person Gottes. Es geht nicht mehr um den Grund; über die Suche nach dem Grund ist die Person verzweifelt. Die Person sucht eine Person außer sich, die eben Gott ist. Sie will kein abstraktes Prinzip mehr, sie will den Gott der Vorsehung. Danz: Ist für eine Theorie bewußter Endlichkeit der Unbedingtheitsbezug, eine Theorie des Absoluten, konstitutiv, weil sich die bewußte Endlichkeit nur in ihrer Selbstunterscheidung vom Absoluten als eine solche erfassen kann? Sturma: Der Begriff des Unbedingten ist aus Schellings Projekt nirgends herauszuhalten. Doch bleibt die Frage zu stellen, ob man, wenn man eine Theorie und eben nicht eine Metaphysik der Endlichkeit entwickeln will, ohne den Begriff des Unbedingten auskom-

VORTRAG VON DIETER STURMA

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men kann. Auch wenn wir tatsächlich einräumen müssten, daß eine Theorie bewußter Endlichkeit nicht aus sich selbst verstanden werden kann, möchte ich persönlich nicht mit einem positiven Begriff des Unbedingten operieren. Buchheim: Schellings Hauptanliegen ist offenbar, die Person im Verhältnis zum Unbedingten zu denken, und trotzdem entwirft er seine Persontheorie als Theorie bewußter Endlichkeit. Die entscheidende Frage lautet deshalb, wie beides im Personenbegriff in irgendeiner Weise verbunden werden kann. Aber bevor das weiter zu erörtern ist, habe ich eine Verständnisfrage zum Vortrag. Worauf stützt sich Ihre Charakterisierung der intelligiblen Tat als ,präreflexive' Tat? Sturma: Der Terminus ,präreflexiv' bezieht sich auf die Theorie der Selbstbestimmung aus der Freiheitsschrift, die ich als Theorie präreflexiver Freiheit interpretiere: Es gibt dort ein Modell eines Anfangs, der unter dem Titel der Selbstbestimmung firmieren kann, der aber epistemisch und moralisch nicht zugänglich ist. Die Rede von ,präreflexiv' spielt an auf Formulierungen von Manfred Frank, der öfter Prä-Formeln einsetzt, um die epistemische Unzugänglichkeit zu bezeichnen. Hermanni: Hat Schelling den begriffsgeschichdichen Einschnitt bei Locke zur Kenntnis genommen und in bewußtem Gegenzug auf Boethius und Richard von St. Viktor zurückgegriffen, oder war dies außerhalb seines Blickfeldes? Sturma: Vermutlich war dies außerhalb seines Blickfeldes. Allerdings würde es sich lohnen, zu untersuchen, wie präsent Schelling die Begriffsgeschichte gewesen ist, denn man kann sich fragen, warum er ausgerechnet den bereits säkularisierten Personbegriff übernimmt, um ihn dann auf Gott zu übertragen. Warum nimmt er nicht den ganz alten Personbegriff und überträgt diesen auf Gott? Denn dann hätte er keinen internen Dualismus gebraucht, sondern gleich eine Substanz gehabt. Jacobs: Man kann sich fragen, warum Schelling gleichsam in poetischer Sprache von ,Person sucht Person' spricht, warum seine Ausführungen wie gesprächsweise erfolgen und nicht im Rahmen einer prinzipientheoretischen Argumentation. Kant hatte den Freiheitsbegriff doppelt bestimmt, nämlich einerseits als Autonomie der praktischen Vernunft, andererseits als Anfangenkönnen. Letzteres Moment jedoch kommt in seiner Prinzipienreflexion nicht zur Geltung. Schelling verfolgt nun gerade das Ziel, die Freiheit in vollem Umfang in die Reflexion aufzunehmen, und das bedeutet, auch das Anfangenkönnen der Prinzipien zu denken. Prinzipien können nicht selber anfangen; deshalb denkt Schelling das Setzen der Prinzipien. Gesetze, die aus einer abstrakten Notwendigkeit folgen, könnten wir nicht ertragen; deshalb denkt Schelling die Freiheit als radikales Anfangenkönnen, und dies macht den Kern seines Personbegriffs aus. Sturma: Schelling drückt sich klarer aus als moderne Kantkritiker, wie z.B. Charles Taylor. Er benennt, warum wir mit allgemeinen Prinzipien nicht zufrieden sein können, nämlich gar nicht aus Gründen von Frömmigkeit, sondern weil wir, wenn wir mit dem Personbegriff eine Individualitätsbestimmung wirklich identifizieren wollen, das mit den Kantischen Begriffen nicht tun können.

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DISKUSSION

Hutter: Wenn man Personsein als Anfangenkönnen versteht, kommt man in die von Kant her bekannte Schwierigkeit, daß die Person im Rahmen eines „normalen" Zeitverständnisses durch die vergangene Zeit unfrei gemacht wird. In der Kritik der praktischen Vernunft heißt es dazu lapidar: Wir sind nur frei, insofern wir nicht unter den „notwendig machenden Bedingungen der vergangenen Zeit" stehen. Das ist bei Schelling seit den „Weltaltern" offenbar anders (in der Freiheitsschrift bezieht er sich noch zustimmend auf Kant). Allerdings ist seine neue Leitvorstellung von einer Person, die nicht trotz, sondern aufgrund ihrer zeitlichen Verfassung frei ist, nicht leicht zu verstehen. Sturma scheint darauf zu vertrauen, daß eine Rekonstruktion des Begriffes der Person möglich ist, ohne dabei die zeittheoretischen Aspekte, die bei Schelling ja vorhanden sind, ins Zentrum zu stellen. Geht das oder müßte man nicht, gerade in Orientierung an existenzphilosophischen Debatten, der Meinung sein, daß zunächst eine Revision des Zeitbegriffes zu erfolgen hat? Und wenn letzteres, wo wäre eine solche Revision anzusetzen? Sturma: Bei Schelling findet sich durchaus eine ,kleine' Revision des Zeitbegriffs: Ihm zufolge wird die Zeit durch die Ausdifferenzierung von Innerlichkeit und Äußerlichkeit konstituiert. Die Zeit läuft nicht unabhängig vom Ich ab, sondern das Ich selbst ist die Zeit in Tätigkeit gedacht. Ähnliches findet man in Heideggers Sein und Zeit: Die Art und Weise, wie das Selbstbewußtsein verfaßt ist, schließt Zeitlichkeit ein. Ob hieraus jedoch eine Revision der Philosophie der Person abzuleiten ist, möchte ich offen lassen. Angesichts der Gefahr, daß der aus dem Blickwinkel einer von außen herangetragenen Fragestellung rekonstruierte Schelling nicht mehr wiedererkennbar sein könnte, besteht meine eigentliche Sorge darin, daß sich in diesem Zusammenhang offenkundig niemand für Schelling interessiert. Man müßte darüber nachdenken, welche Anreize man für eine adäquate Schelling-Rezeption anbieten könnte; ob ausgerechnet die Zeitverhältnisse hier in Frage kommen, ist zu bezweifeln. Mein Ausdruck der bewußten Endlichkeit steht denn auch nicht für das spezielle Anliegen einer Revision einer Zeittheorie, sondern für das Anliegen der Veränderung des theoretischen Blicks: Es geht darum, das Faktum personalen Lebens durch Schellings Augen zu sehen. Dazu gehört der Blick auf unsere Unterscheidung zwischen Bedingtem und Unbedingtem, zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit usw., aber auch die Einsicht, daß die Art und Weise, wie wir mit Subjektivität umgehen, untrennbar mit der Philosophiegeschichte verbunden ist (wenn Schelling beispielsweise zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit differenziert, dann geht diese Differenzierung natürlich auf Augustinus zurück). So hat Wilfrid Seilars darauf aufmerksam gemacht, daß wir mit Selbstverständlichkeit Begriffe verwenden - und das betrifft insbesondere das egologische Vokabular, Begriffe wie ,Ich' und .Selbst' - , die von bestimmten Philosophen geprägt worden sind, und unser Selbstverständnis entscheidend von den grammatikalischen und semantischen Modellen, die wir benutzen, bestimmt ist. Auch die Tradition der Augustinischen Sichtweise der Subjektivität in Zusammenhang mit Zeitlichkeit ist kulturgeschichtlich kontingent. Was den konkreten Einsatz des egologischen Vokabulars angeht, läßt sich nun aber gerade aus Schelling sehr viel herausholen, zum einen, weil er bezüglich der Zeitverhältnisse expliziert, was bei anderen nur verklausuliert vorkommt (man vergleiche Hegels

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Logik), zum anderen, weil beispielsweise mit den Begriffen von Zeitlosigkeit oder Zeitneutralität Dinge angesprochen werden, die wir auch aus der analytischen Philosophie kennen. Allerdings: Wenn Schelling über Zeitlosigkeit nachdenkt, denkt er an ein Protophänomen, während ein analytischer Philosoph hier bloß Prädikations Verhältnisse im Blick hat.

Protokoll: Anne Sophie Meincke

Diskussion zum Vortrag von Axel Hutter

Hermanni: Kann die zur Personalität geschaffener Wesen gehörende Zeitlichkeit ohne weiteres auf Gott übertragen werden? Wenn Schelling in den Stuttgarter Privatvorlesungen beispielsweise vom Prozeß der Schöpfung als dem Prozeß der vollendeten Personalisierang Gottes spricht, vertritt er dann einen dynamischen Pantheismus, der Kosmogonie und Theogonie miteinander identifiziert? Meines Erachtens ist das nicht der Fall: Gott selbst als Existierender ist nach Schelling nicht der Zeit unterworfen. Hutter: Zur Zeitlichkeit in Beziehung auf die Personalität Gottes ist zu sagen, daß der Begriff der Personalität, wie Schelling ihn faßt, ein Abtragen des Gebäudes der Zeit erfordert. Damit muß aber auch ein neues Verständnis des Verhältnisses der Zeit bzw. des Systems der Zeiten zur Ewigkeit einhergehen. Fest steht immerhin der negative Befund, daß Schelling die Vorstellung einer zeitlosen Ewigkeit kritisiert. Zur Frage, was an ihre Stelle treten soll, möchte ich die These vorbringen, daß Schelling „Zeit" im umfassendsten Sinne als eine vermittelte Einheit des Systems der Zeiten mit einer von diesem System zu unterscheidenden Ewigkeit denkt, die gleichwohl zeitlich ist. Oder kürzer: Zeit ist für Schelling die in sich vermittelte Einheit von „zeitiger" Zeit und „ewiger" Zeit. Auf diese Weise erhält man einen Vorbegriff dessen, was Gott ist. Im Gottesbegriff hat man nämlich Gott selbst, dem man die Ewigkeit zusprechen muß, zu unterscheiden von einem Werden in Gott, welches die zeitige Zeit darstellt. Gott ist demnach nicht in der Zeit, sondern er ist die Zeit, und sowohl die ewige wie die zeitige Zeit. Die Frage nach der Einheit Gottes in seinen Aspekten läßt sich mit dieser Überlegung transponieren in die Frage nach der Einheit der Zeit in ihrer ewigen und zeitigen Dimension. So läßt sich vielleicht die schlechte Alternative vermeiden, der zufolge Gott entweder vollständig einem Werden unterliegt oder überhaupt nicht. Buchheim: Wie könnte Gott in einer derartigen Doppelgesichtigkeit, etwa der von großer Zeit und Ewigkeit, wiederum eins sein? Eine solche Einheit ist nach meiner Meinung, wenn überhaupt, nur in Form von Handlungen herzustellen. Handeln ist nicht nur als zeitliches möglich. Hutter hat seine zeitliche Reinterpretation der Verfassung Gottes genau an der Stelle der Freiheitsschrift angesetzt, wo strenggenommen keine Zeitlichkeit impliziert ist. Die angesprochene Stelle, der zufolge Abhängigkeit Selbständigkeit nicht aufhebt, meint nämlich nur, daß eine Folge trotz ihrer Abhängigkeit oder Herkünftigkeit dem Grund gegenüber selbständig sein kann. Hier ist keinerlei zeitliches Nacheinander angesprochen. Es gibt viele Sachverhalte, die einen solchen inneren Folgecharakter besitzen, ohne daß Zeitlichkeit involviert ist. Man denke etwa an eine Konklusion im logischen Sinne oder auch an das .Richten', ,Urteilen', ,Kommunizieren'. Die geistige

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Handlung der Konklusion impliziert zwar einen gewissen Vorlauf von Prämissen, aus dem sie folgt. Dieser Vorlauf ist aber keineswegs zeitlich zu verstehen. Dasselbe gilt z.B. auch für eine Handlung der Versöhnung, für die zwar ebenfalls ein Vorlauf nötig ist, der aber wiederum kein zeitlicher sein muß. Geht man nicht von einer grundsätzlichen Zeitlichkeit von Handlungen aus (für die mir wenig zu sprechen scheint), so könnte man sagen, daß im Handeln (auch etwa in dem Gottes) manchmal durch Scheidung von einer Vergangenheit ein zeitliches Nacheinander gestiftet wird, während andere Handlungen eben nicht zeitstiftend wirken, sondern nur jeweils etwas Höheres oder Übergeordnetes entstehen lassen, was das Ziel der Handlung ist. Hutter: Ich meine, daß Schelling in der Freiheitsschrift durchaus eine Zeitlichkeit des Folgeverhältnisses in Anspruch nimmt, auch wenn sie dort noch nicht vollständig ausgearbeitet ist. Das läßt sich meines Erachtens an Schellings Kritik am unpersönlichen Charakter des Absoluten bei Spinoza erkennen, die sich im Ansatz bereits in der Freiheitsschrift findet. In der späteren Ausarbeitung dieser Spinoza-Kritik sagt dann Schelling, der Spinozismus entstehe genau dann, wenn Folgeverhältnisse nur logisch, d.h. zeitlos verstanden werden. Schelling belegt das z.B. durch Spinozas Diktum, die Welt folge aus Gott genau in dem Sinne, wie die Winkelsumme von 180 Grad aus der Natur des Dreiecks folge. Denn hier wird die zeitliche Folge einer Handlung (d.h. der Schöpfung) auf die unzeitliche Folge einer logischen Implikation reduziert. Insofern ist es ganz richtig, daß die Folge, die in jeder Handlung impliziert ist, auch unzeitlich gedeutet werden kann. Schellings Philosophie der Person setzt jedoch exakt mit einer Kritik an dieser Deutung an, da eine unzeitlich begriffene Handlung für Schelling notwendigerweise eine unpersönliche Handlung ist. Buchheim: Man kann hierauf entgegnen, daß man natürlich nicht das Ziehen einer Konklusion durch uns (was ein zeitlicher Akt ist) gleichsetzen darf mit dem Verhältnis der Folgerung, etwa des Schlußsatzes in einem mathematischen Beweis, aus seinen Prämissen; letztere ist sicher nicht zeitlich, sondern nur logisch, aber dennoch so etwas wie eine (zeitfreie) Zuspitzung oder Pointierung im logischen Raum. Als derartige Zuspitzungen könnten vielleicht auch gewisse Handlungen gelten. Hutter: Meines Erachtens würde Schelling an dieser These das kritisieren, was er schon an ähnlichen Thesen bei Spinoza und Fichte kritisiert hat: eine zeitlose Handlung der Logik kann keine genuin persönliche Handlung sein, da in ihr die geschichtliche Dimension jeder persönlichen Existenz zum Verschwinden gebracht ist. Hühn: Meine Frage zielt auf das Verhältnis der scheinbaren zur linearen Zeit: Auf der einen Seite steht die Linearität, auf der anderen Seite ist in dieser eine Tiefendimension anzusetzen, die auf die lineare Zeit ständig durchschlägt. Hier stellt sich die Frage nach der Einheit des Zeitbegriffs. Zu fragen ist auch, ob die scheinbare Zeit nur als eine Folie zur Etablierung des wahren Zeitbegriffs dient. In diesem Zusammenhang ist auf die Vorstellung von W. Wieland (vgl. W. Wieland, Schellings Lehre von der Zeit. Grundlagen und Voraussetzungen der Weltalterphilosophie, Heidelberg 1956) zu verweisen. Meine Gegenthese zu der von Heidegger inspirierten Arbeit Wielands ist, dass die scheinbare

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Zeit nicht einfach eine radikal andere Zeit, sondern in erster Linie eine verkehrte Konfiguration der tieferen, wahren Zeit darstellt. Hutten Die scheinbare Zeit sitzt sozusagen parasitär auf einer tieferen Zeitstruktur auf. Die scheinbare Zeit ist die, die wir aus unserem „gewöhnlichen" Leben kennen. Unser Leben ist nämlich in der Epoche der Gegenwart anzusetzen. Aufgrund einer Hemmung beim Übergang zum Geist beginnt die Zeit jedoch erneut zu rotieren, so daß unsere Zeiterfahrung durch ständige Wiederholungen gekennzeichnet ist. Mit Wieland ist zu sagen, daß die Negativität der bloßen Wiederholung nur zur Existenz kommt und nur verständlich ist, weil sie auf einer tieferen Zeitstruktur aufruht, die in ihr pervers zum Ausdruck kommt. Das Leiden daran zeigt, daß diese Zeit nicht die einzige sein kann. Diese Zeittheorie wird von Schelling gerade in der Beschreibung des sittlichen Aktes mit Inhalt gefüllt. In diesem verhalten wir uns zu der Spannung der zwei Zeiten, wodurch der sittliche Akt trotz seines privaten Charakters mit der Weltgeschichte vermittelt ist. Iber: Hutter führt aus, daß wir nach Schelling die lineare in die dimensionierte Zeit transformieren müssen. Hier stellt sich aber die Frage, ob man nicht noch unterscheiden müßte zwischen einer Strukturierung von linearer Zeit durch ihre Dimensionierung einerseits und einer gänzlichen Überwindung von linearer Zeit in die dimensionierte Zeit andererseits. In dem Glauben, die lineare Zeit könne in die dimensionierte Zeit so transformiert werden, daß die lineare Zeit zur bloßen Scheinzeit herabgesetzt wird, liegt vielleicht die Grenze eines absoluten kosmologischen Personalismus der Schellingschen Art. Hutter: Die These Schellings, die Weltzeit könne als ganze aufgehoben werden, kann wohl nur theologisch verstanden werden: Die Überwindung der Weltzeit geschieht in einer Heilsgeschichte, an der wir partizipieren, ohne sie von uns aus hervorbringen zu können. Dergestalt wird in der Geschichte Gottes die ursprüngliche Dimensionierung der Zeit geleistet, die wir im sittlichen Akt mitvollziehen. Unser Verständnis menschlicher Sittlichkeit und Geschichte ist für Schelling demnach nur dann angemessen, wenn wir die in ihr implizite Dimension des absoluten Geistes mitdenken. Es kommt hier also zu einer Theologisierung der menschlichen und zu einer Anthropologisierung der göttlichen Handlung. Durch meine zeittheoretischen Überlegungen ist es vielleicht möglich, diese Vermittlung zwischen endlichem und absolutem Geist transparenter zu machen. Sandkaulen: Ich frage mich, ob man Schelling überhaupt so weit entgegenkommen kann, daß er - ob für Gott oder auch nur den Menschen - einen neuen an Veränderung legitim orientierten Zeitbegriff entwickelt hat. Denn ausgehend von der Unterscheidung von Ewigem und Veränderlichem in der alten Metaphysik und Schellings neuem Angebot, die Naturzeit als lineare Wiederholung gegenüber einem triftigen Konzept der Veränderung abzusetzen, stellt sich das Problem, in welcher Zeit diese Scheidung der Zeiten stattfindet. Wenn wir sie in die Gegenwart legen, so ist das ungenügend, denn wenn ich mich in der Gegenwart auf die Vergangenheit beziehe, muß ich dies als jemand tun, der diese Vergangenheit als seine integrieren kann. Insofern kann ich mich nicht nur in einem Gegenwartspunkt befinden. Soll ich, anders gesagt, jemand sein, der in der Zeit einen Anfang setzt, so muß ich über eine Identität verfügen, die jedoch nicht jene gleichbleibende Iden-

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tität sein kann, die Hutter in der alten Metaphysik erkennt. Allerdings ist anzumerken, daß es etwa bei Augustinus eine solche starre Identität auch nicht gibt. Augustinus entdeckt vielmehr eine in der Zeit handelnde Person, die eben deswegen durch zeitübergreifende Identität gekennzeichnet ist. Eine solche Identität ist nötig, um in der Zeit einen Anfang setzen zu können. Insofern stellt sich das Problem nicht nur in Bezug auf Gott, sondern in veränderter Weise auch mit Bück auf die endliche Person. Schelling hingegen scheint in dieser Phase mit einem Konzept von Veränderung zu arbeiten, dem kein solcher Identitätsgedanke entspricht, mit der paradoxen Folge, daß er Zeit selbst in Gestalt eines ewigen Werdens verliert. Nicht von ungefähr versucht er dann ab 1827/28, über die Zeit grundlegend von neuem nachzudenken. Hutter: Die Schwierigkeit sehe ich auch. Aber die sachliche Grundfrage, wie die Einheit einer geschichtlich konstituierten Person zu denken ist, ohne sie in eine zeidose „Struktui" zu verflüchtigen, scheint mir genau diejenige zu sein, die Schelling interessiert. Die Frage kann auch so formuliert werden: Wie ist Identität anders denn als eine substantielle Identität zu denken? Die Bedeutung der Schellingschen Philosophie der Person besteht zunächst einmal darin, die Berechtigung dieser Sachfrage vor Augen zu führen. Schellings eigene Antwort geht m. E. in die Richtung, daß man das unbedingte oder absolute Moment, das jeder Person und jeder persönlichen Entscheidung eigen ist, nur indirekt vermittels der Erörterung des zentralen Aktes einer zeitlichen Scheidung thematisieren kann: als implizite Bedingung seiner Möglichkeit. Sturma: Meine Frage bezieht sich auf einen anderen im Vortrag behandelten Punkt, nämlich den der möglichen menschlichen Freiheit trotz im Prinzip gegebener Abhängigkeit des Menschen. Kann man die Anfangsbedingungen, unter denen wir antreten, vollständig aufheben, gibt es eine innere Notwendigkeit oder bleiben wir womöglich nicht von den Anfangsbedingungen abhängig? Hutter: Da wir uns von unseren Anfangsbedingungen nicht lösen können, müssen wir uns zu unserem Verhältnis zum Ursprung immer wieder neu verhalten. In diesem stets neuen Verhaltenmüssen zum Ursprungsverhältnis besteht unsere eigentliche Abhängigkeit. Aus ihr folgt aber nicht eine rein negative Einschränkung, sondern gerade das positive Wesen der menschlichen Freiheit. Die Anfangsbedingungen sind deshalb in dem genauen Woitsinne „aufzuheben", auf den Hegel aufmerksam macht: Sie sind nicht einfach zu vernichten, sondern müssen ebensosehr bewahrt und „erhoben" werden. Dieser Gedanke läßt sich am Ende wohl nur auf dem Wege einer zeitlogischen Explikation verständlich machen. Zantwijk: Meine Frage betrifft ebenfalls das Verständnis der Aussage Schellings, Abhängigkeit hebe Selbständigkeit nicht auf. Hier besteht aus Schellings Sicht eine bestimmte Beziehung zur Logik. In diesem Zusammenhang stellen sich zwei Probleme, nämlich erstens: Gibt es bei Schelling ein logisches Wesen der Personalität; läßt sich also das Verhältnis von Grund und Folge in der Person logisch anhand des Urteils erläutern? Das zweite ist, ob und wie man von hier zur Geschichtlichkeit der Person kommt.

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Mit dem ersten Problem hängt die schon bei anderer Gelegenheit angesprochene Frage zusammen, ob und wie man bei Schelling in Beziehung auf das Verhältnis zwischen Gmnd und Existierendem von einer bestimmten Struktur zu sprechen habe. Auch für den Vergleich Schellings mit Spinoza und Hegel ist diese Frage von Belang. Bei Hegel etwa widersprechen sich Geschichtlichkeit und Logik nicht. Schelling führt diesbezüglich aus, daß das Subjekt das .Eingewickelte', das Objekt das ,Ausgewickelte', die Copula aber das Band sei. Wie aber steht diese Auffassung vom Urteil zu seiner Aussage, daß Abhängigkeit Selbständigkeit nicht aufhebt, wie läßt sich dies auf die Termini .eingewickelt' und ,ausgewickelt' beziehen, so daß vielleicht eine Logik im Sinne Schellings gedacht werden kann, die das Wesen der Person erläutern könnte? Hutten Eine Logik der Personalität kann es meines Erachtens so lange nicht gegen, so lange unter „Logik" ein zeitloser „Strukturzusammenhang" verstanden wird. Beim späteren Schelling findet sich einmal die Äußerung, daß die scheinbar ewigen Wahrheiten, die wir in der Logik formulieren, nur Ausdruck unseres geschichtlichen Weltzustandes sind. Es besteht hier offenbar eine systematische Parallele zum Verhältnis von scheinbarer und wahrer Zeit: Die scheinbar überzeitliche Logik ruht auf geschichtlichen Verhältnissen auf, ohne sich dessen bewußt zu sein. Vielleicht kann man sagen, daß es für Schelling wie für Hegel das zentrale Problem der Philosophie war, wie ein Primat der Geschichte vor einer „statischen" Logik durchgeführt werden kann, ohne dabei die Logik zu verlassen. In diesem Sinne soll mein paradoxer Begriff einer „Zeitlogik" darauf hinweisen, daß es neben der traditionellen, d.h. zeitlosen Logik auch dort eine Logik neu zu entdecken gibt, wo man nicht von zeitlichen Verhältnissen abstrahieren darf. Danz: Meine Wortmeldung zielt auf die Einheit der Prinzipien, die ja laut Freiheitsschrift in Gott unauflöslich, im Menschen aber auflösbar ist. Hieraus resultiert die höhere Personalität. Hutter hat dies nun mit den Weltaltern zeitlich interpretiert. Zu fragen ist, ob nicht in der Spätphilosophie die Auflöslichkeit der Einheit noch radikalisiert wird, indem sie sogar in Gott stattfindet. Christus hat ja nicht tun müssen, was er getan hat. Andernfalls aber wäre auch die Einheit und Persönlichkeit Gottes nicht restituiert worden. Hutter: Ich glaube nicht, daß man die Zertrennlichkeit der Prinzipien mit der göttlichen Trinität verbinden kann. Die Zertrennlichkeit meint ja in der Freiheitsschrift die Möglichkeit einer Verkehrung der Prinzipien, d.h. die Möglichkeit des Bösen. Von hier aus sehe ich keinen Weg zu einer Deutung der Trinität. Protokoll: Oliver Florig

Diskussion zum Vortrag von Temilo van Zantwijk

Sandkaulen: Sie sagten, daß Schelling die Jenaer Naturrechtsdebatte um 1795 nicht zur Kenntnis genommen und dies bedauert habe. Das bedeutet, daß die Schelling selbst veranlassende Frage nach wie vor völlig offen ist. Deshalb wundert mich, warum Sie den Namen Spinoza nicht erwähnten, der mir zwingend hierher zu gehören scheint. Schelling ist ab 1795 nach explizitem Selbstbekenntnis ein Spinozist, freilich in transformierter Weise („Wir fangen mit dem Ich an und nicht mit der Substanz"). Aus diesem Grunde finden Sie sowohl in der Ich-Schrift als auch in den Briefen über Dogmatismus und Kritizismus eine Distanzierung von Kants Moralphilosophie zugunsten der Ethik Spinozas. Bezieht man sodann Spinozas politische Theorie mit ein, klärt sich Schellings Positionierung in der Naturrechtsschrift, auch das, was Sie als Prinzip seines Rechts überhaupt angeben: das absolute Sein, welches in jedem Dasein sich offenbart (das ist nämlich Jacobis Formulierung für Spinozas Metaphysik). Zum Beispiel Ihr Zitat: „Ich habe ein Recht zu allem" finden Sie wörtlich bei Spinoza. Wenn Sie nun diesen spinozistischen Rahmen berücksichtigen, verschwindet auch Ihr Metaphysikproblem; denn Spinozas politische Theorie ist ja gerade durch seine Metaphysik fundiert, d.h. ein Recht auf alles habe ich genau in dem Maße, wie mein Conatus eine Modifikation der göttlichen Potenz ist. Damit ist Metaphysik zwangsläufig im Spiel, und zwar in einer Art und Weise, welcher man insofern mit Kant nicht beikommen kann, als die ganze Fundierungsproblematik eine ganz andere ist. Berücksichtigt man dieses, so ergibt sich in der Folge auch ein Zusammenhang mit der Freiheitsschrift (so wie Sie es angedeutet haben, aber, wie ich meine, auf stringentere Weise). Diese stellt demnach einen Versuch dar, Spinoza vor dem Hintergrund der vielen Probleme, welche sich für die Identitätsphilosophie diesbezüglich ergaben, von Neuem abzuarbeiten und dadurch zu einem Personenkonzept überhaupt erst zu gelangen. Insofern ist es nicht nötig, die Motivation der Freiheitsschrift darin zu sehen, zu einem begründeten Rechtsverständnis zu kommen. Der Kläningsbedarf liegt vielmehr im metaphysischen Horizont der Schellingschen Philosophie selbst. Zantwijk: Dieser letzte Punkt ist unbestritten. Das war gewissermaßen auch meine These. Sie weisen natürlich zu Recht darauf hin, daß die Lage schon philologisch betrachtet ungünstig ist, da ja Schelling selbst sagte, daß er die Debatte nicht wahrgenommen hätte. Andererseits gesteht er aber zugleich deren Relevanz explizit ein. Die Frage ist also, wie man hermeneutisch arbeitet: Ich habe zum einen nicht nur eine große terminologische Ähnlichkeit, sondern wirklich auch denselben Begriff „Allgemeinwille" in der Hand (daß es dabei eben um denselben Sachverhalt geht, beanspruche ich herausgearbei-

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tet zu haben); zum anderen habe ich den Kontext der Debatte, welche Schelling nach einem Selbstzeugnis zwar nicht direkt beeinflußte, welche für sein Thema aber eigentlich relevant war. Nun verstehe ich noch nicht, warum man von Spinoza stringenter dorthin kommen soll. Denn plausibel wird das aus meinem Ansatz doch auch. Nichtsdestotrotz gestehe ich Ihnen die Fruchtbarkeit Ihres Hinweises auf Spinoza zu. Der Grund der Meinungsverschiedenheit ist also nur perspektivisch, nicht substantiell. Ich ging von der Naturrechtsdebatte aus, weil ich mich im Rahmen meines Forschungsbereiches damit befasse, in welchem der Spinozastreit zwar auch eine Rolle spielt, doch ungleich mehr das Umfeld Herders, der Theologie und natürlich auch der Grundsatzphilosophie zum Tragen kommt. Sandkaulen: Ich möchte Ihre These, daß es Ansatzpunkte gibt, von der Naturrechtsdebatte aus zur Freiheitsschrift zu gelangen, unterstützen. Ziehen wir aber von vornherein Spinoza hinzu, so bekommen wir die Problemdimension, die Schelling ab 1809 bewegt, präziser ins Visier. Die Freiheitsschrift ist nicht bloß ein doxographisches Abarbeiten Spinozas, sondern ein systematisch-struktureller Aufriss dessen, was die ganze Wissenschaftsproblematik, die ganze Systemproblematik grundiert. Führen Sie sich nur vor Augen, daß Schelling ununterbrochen mit Jacobi ringt, der den Personbegriff von vornherein als einen wissenschaftlich nicht vollends einholbaren mit ins Spiel gebracht hatte. Um an dieses Kernthema von Schellings Philosophie ab 1809 zu kommen, ist es daher sinnvoll, sogleich mit dem Spinoza-Streit anzufangen. Zantwijk: Die Naturrechtslinie ist sicher nicht die einzige, welche den Weg Schellings zur Metaphysik der Person erklärt. Ich wollte nur sagen, daß sie eine wenig gewürdigte, aber dennoch vorhandene Linie ist. Andererseits gab es auch in der Schellingforschung viele Diskussionen darüber, ob Schellings Angaben aus den 90er Jahren: „Ich bin indessen Spinozist geworden" ironisch sind und ob sie sich wirklich auf eine Auseinandersetzung mit Spinoza beziehen. Jacobis Einfluß steht außer Frage, und über Jacobi steht Spinoza natürlich auch im Raum. Aber dasselbe philologische Problem, welches mein Ansatz aufweist, besteht für die andere Linie eigentlich auch. Sandkaulen: Nun finden wir die Ethik aber ständig zitiert. Jacobs: Nicht aber die Rechtsphilosophie. Aus diesem Grunde würde ich Ihre Vermutung unterstützen, aber eben nur als Vermutung. Sturma: Ich glaube auch, daß der Spinoza-Aspekt eher für die neunziger Jahre entscheidend ist. Das hängt ja auch ganz stark damit zusammen, wie wir die Schellingsche Theorie begreifen. Ich gehe davon aus, mag es auch von manchen bestritten werden, daß das Theorieprogramm der neunziger Jahre im Ganzen ein anderes ist als nach 1800. Und daher glaube ich, daß Ihre Parallele nicht diese Theorie-Asymmetrie abbildet. Warum nicht? - weil die neunziger Jahre doch im Wesentlichen von dem spinozistischen Programm getragen werden, d.h. übrigens auch für den Allgemeinwillen, der seinen Ursprung in Rousseau hat, in dem es darum geht, eine Symmetrie zwischen Allgemeinwille und Einzelwille

VORTRAG VON TEMILO VAN ZANTWIJK

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zu entfalten. Aber das ist doch gerade das Programm, das in der Freiheitsschrift ganz bestimmt nicht mehr verfolgt wird. Die Freiheitsschrift muß man so lesen, daß die Person weder über sich noch über ihren Grand verfügt und daß von daher, zumindest in dem Sinne, wie die neunziger Jahre das im Blick hatten, von einem angemessenen Selbstverständnis doch gar keine Rede mehr sein kann. Zantwijk: Ist es wirklich so, daß das Verhältnis von Eigenwille und Allgemeinwille in der Freiheitsschrift per se kein harmonisches sein kann, kommen doch der „heilige Wille" und die „Begeisterung für das Gute", darin das Allgemeine und das Individuelle identisch sind, vor? Im Blick auf die späteren Schriften, z.B. die Weltalter und die Stuttgarter Privatvorlesungen, ist das Interessante der Freiheitsschrift doch gerade ihre Brüchigkeit: Sie steht irgendwo in der Mitte zwischen Schellings Früh- und Spätphilosophie. Das Konzept eines gelungenen Person-Seins, wonach die die Person konstituierenden, widersprüchlichen Kräfte austariert werden können, damit der Mensch dem allgegenwärtigen Bösen nicht hilflos ausgeliefert ist, halte ich für einen Kerngehalt der Freiheitsschrift. Anderenfalls gäbe es doch auch den Heiligen, die Begeisterung für das Gute und den guten Willen nicht. Wir befänden uns in einer völlig dunklen Welt, in der die Vernunft keinen Platz hätte. Ich glaube nicht, daß das Schellings Position ist. Das Problem der Freiheitsschrift ist vielmehr, beide Momente in Übereinstimmung zu bringen. Und gerade dadurch - das ist meine inhaltliche These - kann man auch die Freiheitsschrift zur Rechtsschrift zurückverfolgen. Erheben wir nämlich zum Prinzip, daß Allgemeinwille und Einzelwille Wechselbegriffe werden sollen (wovon der Rechtsgrundsatz abhängt), so stellt sich das Problem, wie der Einzelwille sich zum Allgemeinwillen erheben kann. Mit diesem Problem ist die Fragestellung der Freiheitsschrift gegeben. Bei Ihnen hört es sich so an, als würden Sie dem Autor von vornherein eine Inkonsistenz unterstellen. Es sollte vielmehr ein Prinzip hermeneutischer Billigkeit sein, wenn Schelling 1796 von Eigenwille und Allgemeinwille spricht und 1809 sich terminologisch und der Sache nach sehr ähnüch äußert, ihm erst einmal Konsistenz zuzugestehen. Die Begründungslast liegt daher bei dem Interpreten, für den es sich um verschiedene Ansätze handelt. Buchheim: Sie haben auf eine möglicherweise sehr wichtige Quelle von Schellings Personenbegriff hingewiesen. An Ihrem Vortrag vermisse ich aber eine Darlegung, inwiefern diese für Schellings Personenbegriff konstitutiv ist. Welche Züge muß man hervorheben, um sich in Richtung eines solchen Personenkonzeptes bewegen zu können? Außerdem wollte ich die Skepsis Sturmas, daß der Universalwille in der Freiheitsschrift der Allgemeinwille Rousseauschen Ursprungs sei, noch einmal vertiefen. Das Verhältnis zwischen Form und Materie des Wollens, die Tatsache nämlich, daß in der Erhebung des Einzelwillens zum Allgemeinwillen die Form selbst zur Materie des Wollens wird, ist in der Kantischen Moralphilosophie konstitutiv für den moralisch guten Willen. In der Freiheitsschrift geht es bei der Kombination von Einzelwille und Universalwille aber vielmehr um die Konstitution des Willensvermögens überhaupt. Der Universalwille wird dabei wiederholt als Verstand bezeichnet, ist also scheinbar etwas völlig anderes als

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dasjenige, wovon Kant in der Kritik der praktischen Vernunft handelt und was Rousseau mit seinem „volonte generale" meinte. Das Problem in der Naturrechtsdebatte ist eines von Sozialität, Moralität und Zusammenleben, welches in der Freiheitsschrift im Vergleich zur Konstitution des freien Willens überhaupt nur sekundär ist. Mir leuchtet noch nicht ein, wie aus der bloßen Konsonanz des Wortes eine so starke These zu ziehen ist. Zantwijk: Ich hatte zwischen dem esoterischen und dem exoterischen Aspekt der Personentheorie unterschieden, wobei meine These sich auf den letzteren einschränkt. Es ist klar, daß die Konstitution des guten Willens etwas anderes ist als die Konstitution des Willens Vermögens, gleichwohl es einen Zusammenhang zwischen diesen Fragen geben kann. In der Freiheitsschrift geht es aber auch um die Bedingungen des guten Willens. Wenn Universalwille und Partikularwille in dem richtigen Verhältnis der Subordination stehen, haben wir einen guten Willen. Dieses Subordinationsverhältnis im guten Willen kann aber auch (auf der Ebene der Konstitution des Willensvermögens überhaupt) als Repräsentationsverhältnis bezeichnet werden, insofern der Einzelwille niemals reiner Einzelwille ist, sondern immer an einer Allgemeinheit partizipiert. In diesem Sinne ist auch die Frage nach der in der Struktur des Willensvermögens angelegten Möglichkeit der Konstitution des guten Willens in der Freiheitsschrift vorhanden, obwohl sie durch das Reizthema des Bösen nicht in den Vordergrund tritt. Hierzu gibt es wichtige Bezüge auch zu anderen Schriften Kants, namentlich der These vom radikal Bösen im Menschen in der Religionsschrift. Mit meiner These wollte ich sagen (und in dieser Hinsicht ist sie nun wiederum nicht so stark), daß es diesen Aspekt aus der Naturrechtsdebatte auch gibt. Bei Ihnen hört es sich so an, als vertrügen sich diese Ansätze überhaupt nicht miteinander. Buchheim: Beim moral- und rechtsphilosophischen Problem des rechten Willens geht es immer um ein Subordinationsverhältnis im bereits konstituierten Willen oder Geist, während es in der Freiheitsschrift darum erst in sekundärer Hinsicht gehen kann, weil vorher der Geist oder das menschliche Willensvermögen als zertrennliche Einheit von Einzelund Allgemeinwille erst überhaupt errichtet werden muß. Die konstitutive Gründung des begrifflichen Zusammenhangs beider Willen kann aber nicht identifiziert werden mit einer bestimmten Version der vom Menschen dann erst vermochten Subordination zwischen beiden. Zantwijk: Warum sollten wir nicht sagen, daß dieses Subordinationsverhältnis, worum es beim Guten und Bösen ja geht, nach Schelling eben dadurch bedingt ist, daß sich ein Willens vermögen überhaupt konstituieren kann? Damit ist doch leicht einzusehen, daß die Freiheitsschrift eine Antwort auf (metaphysische) Voraussetzungen gibt, die ungedeckt schon in den Frühschriften und eben auch in der politischen Diskussion (deshalb betone ich die ganze Zeit „exoterisch") vorhanden sind, dort aber nicht aufgelöst werden. Darin liegt auch die Relevanz der Diskussion der Kantianer über das Naturrecht in den neunziger Jahren: Schellings Lesart von Kants Problematik ist nicht ungewöhnlich. Unter seinen Zeitgenossen und Kritikern ist diese Lesart vielmehr gang und gäbe und auch daraus er-

VORTRAG VON TEMILO VAN ZANTWIJK

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hellt, daß dieser Weg der Metaphysik Schellings nichts Außergewöhnliches ist, d.h. im Einklang mit der natunechtlichen Diskussionslage steht. Jacobs: Wie verhält sich die Naturrechtsschrift von 1795 zur Freiheitsschrift im Hinblick auf die Individualität? In der Freiheitsschrift besitzt die Individualität Züge, die 1795 nicht zu entdecken sind. Sie setzt Individualität im Sinne der alten Selbsterhaltungstheorie als das Bestreben, sich selbst im Dasein zu erhalten. Das geht soweit, daß das Individuum Angst vor dem Allgemeinwillen bekommt. Es besteht also zunächst einmal kein Ausgleich, sondern ein harter Gegensatz. Angst wird gedeutet als das Gefühl, welches mit der Forderung, die Selbsterhaltung aufzugeben, entsteht. Solche Züge sind in der Schrift von 1795, die gerade den naturphilosophischen Zug der Individualität noch nicht kennt, nicht auszumachen. Wie kommen Sie von dem einen zu dem anderen? Zantwijk: In der Naturrechtsschrift wird das Thema der Existenz nicht behandelt, welches in der Freiheitsschrift ganz zentral ist. Die Individuen in der Rechtsschrift sollen bloß das Rechtsverhältnis konstituieren und bleiben damit abstrakt. Insofern liegt hier ein Unterschied zur Freiheitsschrift vor. Mit dem Eigenwillen, der sich gegen den Allgemeinwillen behaupten soll, und Schellings Versicherung, daß der Allgemeinwille immer durch den Einzelwillen konstituiert sein muß, erlangt die Selbstbehauptung des Individuums im Grunde genommen den Rang eines Rechtsprinzips, welches dem Individuum gewährt werden muß. Im Verhältnis zu anderen Naturrechtsschriften nimmt Schelling mit seinem Deduktionsprogramm eine besondere Stellung ein. Tieftrunk und andere müssen, um vom Sittengesetz zum Rechtsverhältnis zu gelangen, viele anthropologische Prämissen hinnehmen, welches Schelling ablehnt. Deswegen stoßen Sie hier auf einen Bereich, dessen er sich aus seinem Ansatz heraus in der Rechtsschrift enthalten muß, um nicht inkonsistent zu werden. Hühn: Ich bin gegenüber Ihrer Engfiihrung der Freiheitsschrift und der Natunrechtsdebatte von 1795 skeptisch und möchte diesbezüglich direkt an die Frage von Herrn Jacobs anknüpfen: Die unbegreifliche Basis der Realität, die sich niemals in den Verstand auflösen läßt, heißt Wille. Diese Übersetzung erfährt eine Ausweitung in der Freiheitsschrift mit den Sätzen: „Es gibt in der letzten und höchsten Instanz gar kein anderes Seyn als Wollen. Wollen ist Urseyn, und auf dieses allein passen alle Prädicate desselben: Grundlosigkeit, Ewigkeit, Unabhängigkeit von der Zeit, Selbstbejahung." (VII, 350) Dieser Begriff des Willens ist m.E. nicht mit der Rousseauschen Begriff des „volonte ge'nerale" in Einklang zu bringen. Wir haben es hier (auch wenn Schelling vom Eigenwillen der Kreatur spricht) mit einer Willenskonzeption zu tun, die nicht auf das Individuum bezogen ist, sondern als ein das Ganze durchwaltendes Prinzip gedacht ist. Zantwijk: Was wird in der Freiheitsschrift als Wille bezeichnet? Zum einen gibt es den generellen Willensbegriff („Wollen ist Urseyn"), der von Schelling ontologisch verwendet wird; zum anderen gibt es einen expliziten, sich selbst verfügbaren Willen im Unterschied zur Sucht und Begierde. Nur ein Wille, der sich über sich selbst klar ist, der verstandesmäßig durchdrungen ist, verdient es, Wille genannt zu werden. Durch dieses Bewußtwerden ist einerseits die Möglichkeit gegeben, zum Allgemeinwillen, zum Absoluten

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DISKUSSION

in ein RepräsentationsVerhältnis einzutreten, zum anderen eröffnet sich auch die Möglichkeit des Egoismus, der Perversion dieser Willenskräfte. Der erste Begriff („Wollen ist Urseyn") faßt auch die Sehnsucht, die Begierde, den blinden Willen usw. unter sich und ist ein in Bezug auf die Natur verwendeter Ausdruck, wohingegen das Verhältnis von Eigenwille und Allgemeinwille die Konstituentien der menschlichen Person verdeutlicht. Mit anderen Worten: Daß Schelling „Wille" auch in jener metaphysischen Weise verwendet, stellt m. E. kein großes Problem dar, weil dies das Verhältnis zwischen dem Einzelwillen und dem Allgemeinwillen nicht tangiert. Protokoll: Anna-Lena Müller-Bergen

Diskussion zum Vortrag von Friedrich Hermanni

Sandkaulen: Das Problem der Personalität hängt, wie durch den Vortrag Hermannis deutlich geworden ist, eng mit einer sehr grundsätzlichen epistemischen Problemlage zusammen. Ausgehend von der Personbestimmung durch Richard von St. Viktor, das Sein der Person sei eine unmitteilbare Existenz, weshalb nicht nach einem Quid, sondern nach einem Quis, nach einem Wer gefragt werden müsse, ergeben sich drei schwierig aufzulösende Fragen an die Adresse Schellings. Erstens: Wo finden wir bei Schelling eine Auszeichnung der Dimension des Wer? Zweitens: Wie ist Hermannis erste Bestimmung des Grundes als Prinzip des Daß mit der Dimension des Wer zusammenzubringen? Und drittens: Wie ist davon ausgehend das Programm eines wissenschaftlichen Theismus zu verstehen? Was ist damit eigentlich gemeint? Hermanni: Ad 1) Wenn „Person" als unmitteilbare Existenzweise eines intelligenten Wesens verstanden wird, dann ist eine Person als solche kein möglicher Gegenstand von Wissenschaft. Gleichwohl kann man nach Schelling begreifen, worin Personalität im Allgemeinen besteht und was die Konstitutionsbedingungen für die Dimension des Wer sind. Personalität wird nach Schellings These durch eine spezifische Fügung der beiden Prinzipien konstituiert, die bei jedem Seienden zu unterscheiden sind. Ad 2) Ich habe verschiedene Funktionen des Grundes unterschieden: Der Grund fungiert als Existentialprinzip, als Individuationsprinzip und als Unbegreiflichkeitsprinzip. Diese drei Funktionen hängen eng zusammen. Indem der Grund das Prinzip des Daß ist, ist er, da nur Einzelnes existiert, zugleich das Individuationsprinzip. Und da sich das Einzelne als Einzelnes nicht begreifen läßt, ist er als Individuationsprinzip zugleich das Prinzip für die Unbegreiflichkeit des Einzelnen. Nun ist aber eine Person (neben dem, was sie außerdem ist) ein existierendes und als solches nicht zu begreifendes Einzelwesen. Folglich gehört der Grund als das Prinzip des Daß zu den Konstitutionsbedingungen für die Dimension des Wer. Das Prinzip des Grundes ist demnach notwendig, um zu verstehen, worum es sich bei Personalität im Allgemeinen eigentlich handelt. Es ist allerdings nicht hinreichend. Denn Personalität wird nach Schelling, wie gesagt, durch eine spezifische Fügung zwischen dem Prinzip des Grandes und dem idealen Prinzip konstituiert. Ad 3) Wissenschaftlich ist derjenige Theismus, der in der Lage ist, die Rede von der Persönlichkeit Gottes argumentativ auszuweisen. Nun läßt sich aber nach Schelling Personalität ohne die Zweiheit besagter Prinzipien gar nicht verstehen. Folglich kann nur diejenige Philosophie, die zwischen Gott selbst als Existierendem und dem Grund seiner Existenz zu unterscheiden vermag, die Rede von einem persönlichen Gott rechtfertigen. Wer eine von Gott selbst unterschiedene Natur in Gott bestreitet, wer wie Jacobi einen

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Theismus vertritt, der den Naturalismus (verstanden als Lehre von der Natur in Gott) ausschließt, verbaut sich deshalb nach Schelling von vornherein die Möglichkeit, das Personsein Gottes auch nur denken zu können. Sturma: Vielleicht muß man zuerst ganz und gar basal die Frage stellen, was ontologisch-formal gesehen eine Person in den Augen Schellings eigentlich sein soll. Ist die Personalität von Personen für Schelling eine Relation oder eine Eigenschaft? Hermanni: Wie für Richard von St. Viktor ist „Person" für Schelling keine allgemeine Eigenschaft, die verschiedene Konkretionen zuläßt. „Person" steht vielmehr für eine Eigentümlichkeit, die stets nur einem einzigen Individuum zukommen kann. Sturma: Also ist sie vielleicht eine Relation, die eine Eigenschaft konstituiert? Hermanni: Eine Relation ist sie nach Schelling insofern, als Personalität darin besteht, sich von seinem je eigenen Selbst zu unterscheiden und sich dazu ins Verhältnis zu setzen. Personalität ist für Schelling die individuelle Existenzweise eines mit Selbstbewußtsein ausgestatteten Wesens. Iber: 1) Die Unterscheidung zwischen Grund von Existenz und Existierendem ist von Hermanni ontologisch interpretiert worden. Es gibt aber zwei Aspekte dieser Unterscheidung, die über die reine Ontologie hinausgehen, nämlich einen willenstheoretischen Aspekt und einen gefiihlstheoretischen Aspekt; beide sind sehr wichtig für den Persönlichkeitsbegriff in der Freiheitsschrift, wenn dort vom Willen des Grundes oder von der Sehnsucht, sich selbst zu gebären, und vom Willen des Verstandes usw. gesprochen wird. Wie lassen sich diese Aspekte in Hermannis Interpretation der Unterscheidung von Grund von Existenz und Existierendem einbauen? 2) Die These von Hermanni lautete: Persönlichkeit basiert auf der internen Differenz von Grund von Existenz und Existierendem. Gibt es aber nicht noch ein drittes Prinzip, nämlich den Geist, der beide Momente zusammenhält? 3) Die Antwort auf die Frage, was die Persönlichkeit Gottes ausmache, lautet nach Schelling, die Persönlichkeit zeichne sich dadurch aus, daß sie von Bedingungen abhänge, über die sie nicht wirklich vollständig souverän verfüge. Wie es scheint, entwirft Schelling Gott gerade in Gegenlinie zur causa sui: Gott ist zwar von sich selbst, aber nicht durch und aus sich selbst. Bedeutet dies nicht, daß Gott durch den Internen Dualismus depotenziert wird? Hermanni: Ad 1) Bei den beiden Prinzipien handelt es sich in der Tat um Bestrebungen. Der Grund fungiert in der Freiheitsschrift insofern als individuierendes Prinzip, als er der Bewegung des Verstandes, die nur darauf zielt, den Prozeß der Kräftedifferenzierung voranzutreiben, widerstrebt und dadurch jene Haltepunkte schafft, ohne die nichts Einzelnes zustande käme. Wenn Sie das mit dem willenstheoretischen Aspekt meinen, bin ich Ihrer Ansicht. Ad 2) Auch beim zweiten Punkt stimme ich mit Ihnen überein. Der Geist ist ein Drittes, in dem der Universalwille und der Partikularwille eines sind. Diejenigen Einzelwesen, bei denen es zu dieser Einheit kommt, sind Personen.

VORTRAG VON FRIEDRICH HERMANNI

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Ad 3) In der Streitschrift gegen Jacobi rekurriert Schelling explizit auf den Begriff der causa sui, und zwar gerade, um aus diesem Begriff den Internen Dualismus zu folgern. „Gott muss", so heißt es dort, „Etwas vor sich haben, nämlich sich selber, so gewiß er causa sui ist." (VIII, 62). Ähnlich äußert sich Schelling auch in der Freiheitsschrift·. „Da nichts vor oder außer Gott ist, so muss er den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. Das sagen alle Philosophien; aber sie reden von diesem Grund als einem bloßen Begriff, ohne ihn zu etwas Reellem und Wirklichem zu machen." (VII, 357f.) Schelling ist nicht der Ansicht, er entwerfe sein Gottesverständnis im Gegenzug zum causa sui Gedanken, sondern gebe diesem Gedanken durch den Internen Dualismus erst den rechten Sinn. Wenn Sie mit Depotenzierung meinen, daß Gott nach Schellings Meinung einen Grund seiner Existenz hat, der von ihm selbst als dem Existierenden zu unterscheiden ist, dann haben Sie natürlich recht. Ich würde allerdings zögern, dies als eine Depotenzierung Gottes zu bezeichnen, weil Gott diesen Grund in sich und nicht wie die geschaffenen Dinge außer sich hat. Ziehe: Da die formale Struktur des Internen Dualismus bei Schelling in verschiedenen Kontexten wichtig ist, fragt sich, was jeweils in die Form der Differenz eintreten kann, um der Leistung zu entsprechen, die der Struktur des Internen Dualismus abverlangt wird. Man vergleiche folgende Kandidaten von Differenzen: Grund und Existenz, Persönliches und Unpersönliches, Endliches und Unendliches, Sein und Nicht-Sein. Welche kommen in Frage? Hermanni: Nur die erste der genannten Differenzen kommt in Frage. Allerdings unterscheidet Schelling nicht zwischen Grund und Existenz, sondern zwischen dem Grund zur Existenz und dem Existierenden, wie er Eschenmayer gegenüber ausdrücklich betont. „Allein ich habe überhaupt nicht von einem Unterschied zwischen der Existenz und dem Grande zur Existenz gesprochen, sondern von einem Unterschied zwischen dem Existirenden und dem Grund zur Existenz; welches, wie Sie selbst sehen, ein bedeutender Unterschied ist." (Vin, 164) Nach Schellings Intention ist das erste Prinzip nicht der Grund des zweiten (des Existierenden), sondern der Grund dafür, daß dieses existiert. Andernfalls wären beide Prinzipien nicht gleichursprünglich, was Schelling aber ausdrücklich behauptet. Ziehe: Wie aber ist die Differenz konkret zu füllen? Gilt für jedes Existierende, d.h. beispielsweise auch für Lebendiges und Nichtlebendiges, dieselbe Form von Unterscheidung? Ist insbesondere an die Stelle des Grundes jeweils dasselbe zu setzen oder jeweils in verschiedenen Fällen Unterschiedliches? Hermanni: Weder noch, sondern dasselbe in verschiedenen Modifikationen. In der Freiheitsschrift besteht die Aktivität des zweiten Prinzips, das auch als „Verstand" bezeichnet wird, darin, im Grunde zur Existenz die Kräfte zu differenzieren. Durch diese Kräftedifferenzierung wird jene im Grund verborgene Einheit zwischen den Kräften entfaltet, die „Seele" und später „Partikularwille" genannt wird. Der Partikularwille ist eine durch die Aktivität des zweiten Prinzips entwickelte Modifikation des Grandes. Je weiter die Kräftedifferenzierang fortgeschritten ist, desto größer wird die Integrationsleistung des Parti-

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DISKUSSION

kularwillens, um die Kräfte zu einer Einheit zusammenzubinden. Es ist stets dasselbe Prinzip, was die Einheit zwischen den Kräften stiftet, dieses Prinzip unterscheidet sich in den verschiedenen Naturwesen aber durch den Grad der erbrachten Integrationsleistung. Beim' Menschen muß der Partikularwille die höchste Integrationsleistung erbringen, deshalb wird er dort mit dem zweiten Prinzip, dem Verstand oder dem Universalwillen, eins. Durch dieses Einswerden kommt es zur Persönlichkeit. Hutter: 1) Der Interne Dualismus betrifft Schelling zufolge das Seiende überhaupt. Die einschlägigen Beispiele der Pflanze, des Baumes etc. weisen jedoch darauf hin, daß die Unterscheidung zwischen Grund von Existenz und Existierendem dem lebendigen Seienden abgeschaut ist. Frage: Umfaßt der Interne Dualismus wirklich den gesamten Bereich des Seienden und, wenn ja, wie läßt sich seine Gültigkeit auch für das Nichtlebendige, beispielsweise für einen Stein plausibel machen? 2) Behauptet Schelling die Endlichkeit Gottes, oder handelt es sich um interne Strukturen, die gerade nicht an Endlichkeit denken lassen? Hermanni: Ad 1) Der Interne Dualismus ist der Entwurf einer allgemeinen Ontologie, die Seiendes als solches betrifft und daher sowohl für Lebendiges wie für Nichtlebendiges gültig sein soll. Auch bei einem Stein sind nach Schelling zwei ontologische Prinzipien zu unterscheiden. Aufgrund des zweiten Prinzips hat ein Stein eine inhaltliche Pointierung, die ihn zum Stein macht und die er mit anderen Steinen teilt. Aufgrund des ersten Prinzips, des Grundes, dagegen kündigt er gewissermaßen anderen Steinen die Gemeinschaft auf, erweist sich als undurchdringlich, verwehrt anderem, seinen Platz einzunehmen, „besteht" sozusagen darauf, genau dieser und kein anderer zu sein. Ad 2) Schelling akzeptiert Fichtes These, daß Persönlichkeit und Bewußtsein nicht ohne Beschränkung und Endlichkeit möglich sind. Um Gott als ein persönliches Wesen zu denken, muß deshalb „eine wahrhafte Endlichkeit'' (УШ, 73) in Gott angesetzt werden. Für Schelling ist Gott freilich nicht in dem Sinne endlich, wie es die geschaffenen und voneinander unterschiedenen Dinge sind; denn der Pantheismus, verstanden als Lehre von der Immanenz der Dinge in Gott, ist für Schelling unabdingbar. Endlich ist Gott nicht „nach außen", sondern „nach innen", d.h. dadurch, daß er sich selbst von dem unterscheidet, was in ihm nicht er selbst, was seine Natur, was der Grund seiner Existenz ist. Danz: 1) Die Debatte der dreißiger und vierziger Jahre dreht sich um die Freiheit des Menschen; die These lautet, nur ein als Persönlichkeit gedachter Gott könne die individuelle Freiheit des Menschen begründen. Ist es angesichts dessen nicht sinnvoller, Schellings Fassung der Persönlichkeit Gottes im Ausgang vom Freiheitsgedanken zu rekonstruieren, anstatt, wie Hermanni es in seinem Vortrag gemacht hat, von der Personalität auf die interne Dualität zu schließen? 2) Zum Verhältnis von Personalität Gottes und Offenbarung: Ist es nicht so, daß Gott nur in der Offenbarung persönlich wird, daß er nur in der Offenbarung auch endlich wird? Hermanni: Ad 1) Die beiden Rekonstruktionen schließen sich nicht aus. In der Freiheitsschrift stellt Schelling zwischen dem Begriff der materialen menschlichen Freiheit, dem

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Internen Dualismus und dem Gedanken der Persönlichkeit Gottes einen Begründungszusammenhang her. Um menschliche Freiheit als Vermögen zum Guten und zum Bösen innerhalb eines Systems der Philosophie denken zu können, das von Gött ausgeht, muß in Gott eine interne Differenz angesetzt werden. Diese Unterscheidung zwischen Gott selbst und dem Grund seiner Existenz führt wiederum dazu, Gott als ein persönliches Wesen, ja als höchste Persönlichkeit zu verstehen. Der notwendige Zusammenhang zwischen dem Internen Dualismus und dem Gedanken der Persönlichkeit Gottes wird nun in den Stuttgarter Privatvorlesungen und in der Streitschrift gegen Jacobi als eigenes Argument für den Internen Dualismus expliziert, und zwar deshalb, weil zwischen Schelling, seinen Stuttgarter Hörern und Jacobi das Personsein Gottes unstrittig war. In meinem Vortrag habe ich mich auf diesen Aspekt konzentriert. Natürlich könnte man ebenso in der von Ihnen vorgeschlagenen Weise ansetzen. Denn nach Schelling kann nur in einem als Persönlichkeit gedachten Gott, da in ihm eine interne Differenz anzusetzen ist, die menschliche Freiheit als Vermögen zum Guten und zum Bösen gründen. Ad 2) In der Freiheitsschrift und in den Stuttgarter Privatvorlesungen wird zwischen zwei Schritte des Persönlichwerdens Gottes unterschieden. Der Anfang der göttlichen Personalisierung besteht darin, daß sich Gott von seiner Natur unterscheidet und sie zum Grund seiner Existenz macht. Die vollendete Personalisierung Gottes dagegen vollzieht sich dadurch, daß Gott in seiner Schöpfung und Offenbarung aus dem, was nicht er selbst ist, aus seinem Grund, das ihm Ähnliche heraufbildet. Würde Gott erst im Verlauf der Offenbarung zu einem persönlichen Wesen, dann wäre die Offenbarung - entgegen der Schellingschen Annahme - kein freier Akt. Hühn: Zu den zeittheoretischen Überlegungen am Ende des Vortrages: Wenn zu unterscheiden ist zwischen einem Anfang der Zeit und einem Anfang in der Zeit (Schöpfungsakt), um einerseits die Freiheit Gottes gegenüber seiner Schöpfung, andererseits seine Vollkommenheit zu garantieren, wie kann man die immanente Präsenz des ersten Anfangs, des Anfangs aller Anfange, in dem zweiten Anfang beschreiben, da doch ein Zusammenhang zwischen beiden Anfangen bestehen muß? Ist der zweite Anfang eine Selbstmodifikation des ersten? Worin liegt der Primat des ersten Anfangs, der doch immer mehr sein muss als jener? Hermanni: Es ging mir lediglich darum zu zeigen, inwiefern Schelling mit seinem Internen Dualismus ein zeittheoretisches Dilemma glaubt aufzulösen zu können. Das Dilemma ist das folgende: Einerseits muß man, um die Schöpfung als freien Akt denken zu können, annehmen, die Welt sei in der Zeit und nicht (wie die Tradition behauptete) zusammen mit der Zeit geschaffen worden. Andererseits aber darf Gott selbst nicht der Zeit unterworfen sein, da er sonst nicht als Wesen gedacht werden könnte, das immer im gleichen und höchsten Maße vollkommen ist. Schelling glaubt, mit seinem Internen Dualismus dieser Schwierigkeit Herr werden zu können. Die Zeit, die vor der Schöpfung der Welt vergeht und in der sich der Schöpfungsakt vollzieht, wird von Schelling nämlich nicht in Gott selbst, sondern in dem davon unterschiedenen Grund seiner Existenz angesetzt.

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DISKUSSION

Diese im Grand verlaufende Zeit soll zu Gott selbst und seiner Ewigkeit im Verhältnis der Koexistenz stehen. Nun kann man natürlich noch weiter fragen, nämlich nicht nur nach den Anfang der Welt in der Zeit, sondern nach dem Anfang der Zeit selbst oder nach dem Anfang der Dualität und Koexistenz von Zeit und Ewigkeit. Diese weitere Frage stellt sich, weil Schelling einen externen Dualismus als „System der Selbstzerreißung und Verzweiflung der Vernunft" (VII, 354) zurückweist und stattdessen einen Internen Dualismus vertritt. In der Freiheitsschrift versucht Schelling die Frage bekanntlich durch seine Lehre vom Ungrund zu beantworten, der sich in zwei gleich ewige Anfänge teilt. Zur Art der Präsenz des Ungrundes in den beiden Anfängen bemerkt er dort, daß der Ungrund nicht beide zugleich, sondern in jedem „gleicherweise, also in jedem das Ganze, oder ein eignes Wesen ist." (VII, 408) Jacobs: Der Begriff der Vollkommenheit wird m. E. von Schelling eliminiert, weil er nämlich als höchsten Begriff den der Freiheit ansetzt. Wenn Freiheit gedacht werden kann, muß gedacht werden können, daß die Freiheit sich noch zu etwas macht, das sie noch nicht ist. Der Begriff der Vollkommenheit scheint demnach um des Begriffes der Freiheit willen so aus Schellings Gotteslehre herauszufallen wie der Begriff der Vollkommenheit um des Begriffes der Freiheit willen aus der Kantischen Ethik, oder nicht? Hermanni: Gegenfrage: Am Schluß des Kapitels in den Münchner Vorlesungen Zur Geschichte der neueren Philosophie, wo Schelling darlegt, was ihn veranlaßt habe, sein Identitätssystem als negative Philosophie zu interpretieren, heißt es, es sei ein Widerspruch zu den religiösen Begriffen, Gott als Produkt eines Prozesses oder als selber im Prozeß befindlich zu verstehen. Aus diesem Grunde müsse das Identitätssystem als eine negative Philosophie begriffen werden, die sich nur auf Bereich des Denkmöglichen bezieht. Ist dies nicht eine klare Abgrenzung gegenüber dem Konzept eines werdenden und deshalb noch nicht vollkommenen Gottes? Zugegeben: Es gibt einige Texten, die isoliert gelesen in eine andere Richtung zu deuten scheinen, z.B. die von mir zitierte Stelle in den Stuttgarter Privatvorlesungen, wonach der Prozeß der Weltschöpfung der Prozeß der vollendeten Personalisierung Gottes ist, oder die prominente Stelle in der Freiheitsschrift, wonach ohne den Gedanken eines leidenden Gottes die Geschichte der Welt unverständlich sei. An diesen Stellen scheint Schelling Kosmogonie und Theogonie miteinander zu identifizieren. Gleichwohl bin ich aufgrund anderer Äußerungen Schelling der Meinung, daß er keineswegs einen dynamischen Pantheismus vertritt. Werden findet im Grund der göttlichen Existenz statt, Gott selbst dagegen wird nicht, sondern er ist. Denn andernfalls verdiente er nicht Gott genannt zu werden, weil sich dann etwas Vollkommeneres denken ließe. Oesterreich: Zur Theorie des Bösen: Von Gegnern der Schellingschen Theorie könnte das Argument vorgebracht werden, das besagt, Gott besitze eine defizitäre Persönlichkeit, weil er der Freiheitsschrift zufolge nicht das Vermögen habe, böse zu sein. In Gott sind die Prinzipien des Universalwillens und des Partikularwillens ja unauflöslich verbunden, folglich kann Gott nicht frei verfugen über das Verhältnis ihrer Subordination. Im Ver-

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gleich zur göttlichen sei die menschliche Personalität also besser ausgestattet und stärker „durchpersonalisiert", weil sie auch die Potenz des Vermögens zum Bösen besitze. Zeigt dieses Argument nicht, daß das Konzept des Internen Dualismus sich für die Bestimmung der Persönlichkeit Gottes in dieser Hinsicht als ergänzungsbedürftig erweist? Hermanni: Vermutlich würde Schelling darauf erwidern, daß die Möglichkeit des Bösen als Grenzbestimmung auch in Gott angesetzt werden muß. Im Unterschied zum Menschen ist die Verwirklichung dieser Möglichkeit von Gott aber immer schon ausgeschlossen und damit zur Unmöglichkeit geworden. Wenn aber die Unmöglichkeit des Bösen nicht logischer, sondern faktischer Art ist, kann daraus nicht auf eine mangelnde „Durchpersonalisierung" Gottes geschlossen werden. Im Gegenteil: Gott ist insofern höchste Persönlichkeit, als es sich bei ihm um eine Person handelt, bei der die Pervertierung jener Prinzipienordnung, durch die Personalität konstituiert wird, von jeher zu einer „unmöglichen Möglichkeit" geworden ist. Protokoll: Anne-Sophie Meincke

Diskussion zum Vortrag von Christian Danz

Iber: Mit der Spätphilosophie haben wir gleichsam das „letzte Wort" Schellings in Bezug auf unser Thema „Person" vor uns. In der Diskussion zum Vortrag von Jantzen wurde von einem normativen Personbegriff bei Schelling gesprochen. Dieser scheint mir hier in der Negation der Selbständigkeit gegeben zu sein. Dadurch, daß Christus sich zum Knecht Gottes macht, kommt ihm die Personalität in einem normativ ausgezeichneten Sinne zu. In der gestrigen Diskussion standen im Wesentlichen zwei Personbegriffe im Raum: (a) Person als substantielle Selbständigkeit, als bewußter Eigenwille, und (b) Person als Aufgeben der Selbständigkeit in Bezug auf andere (vgl. den Text von Buchheim und die anschließende Diskussion). Jetzt wird meines Erachtens deutlich, daß sich Schelling gegen jenen neuzeitlichen Personbegriff im Sinne von substantieller Selbständigkeit und Aus-sich-Sein entscheidet, der z.B. in der Freiheitsschrift - man denke an das Theorem der transzendentalen Tat - leitend war. Demgegenüber vertritt Schelling nun die Ansicht, daß wahres Personsein eigentlich im In-Beziehung-Sein zu Gott liegt. Danz: In der Darstellung der Christologie geht es in der Tat um einen normativen Persönlichkeitsbegriff. Dieser Persönlichkeitsbegriff beinhaltet aber keine Aufhebung der Selbständigkeit oder Selbstbestimmung überhaupt, sondern nur die Aufhebung einer bestimmten Form von Selbstbestimmung. Die Konstruktion läuft bei Schelling so, daß die Selbständigkeit, die der Mensch durch den mythologischen Prozeß erhalten hat, also die Unmittelbarkeit oder „natürliche Individualität", von Schelling negiert wird. Die unmittelbare Form von Selbstbestimmung wird aufgehoben, um sich als vermittelte Selbstbestimmung zu konstituieren. Insofern würde ich nicht sagen, es gehe hier um die Aufhebung von Selbständigkeit. Der Persönlichkeitsbegriff in der Spätphilosophie beinhaltet jedoch sehr wohl eine relationale Konzeption. Ich habe versucht, deutlich zu machen, daß der Persönlichkeitsbegriff bei Schelling, näherhin der Begriff der Persönlichkeit Gottes, an das menschliche Bewußtsein rückgebunden ist. Es geht um die Anwendung des Persönlichkeitsbegriffs: Was rechtfertigt diese? Meines Erachtens ist es das Moment der Transzendierung, des Überschreitens, des Anfangen-Könnens, welches für Schelling die Rechtfertigung der Übertragung darstellt. Van Zantwijk: Wir hatten mehrfach das Problem erörtert, wie eigentlich die Semantik des Personbegriffs bei Schelling aussieht. Der mittlere Teil Ihres Vortrages enthält dazu meines Erachtens einige Hinweise. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß man den Personbegriff nicht definieren kann; die Persönlichkeit ist keine allgemeine Bestimmung, sondern folgt einer ganz anderen Semantik. In die Terminologie von Kants Lehre von der Urteilskraft übersetzt, gehört der Umgang mit der „Person" nicht in die bestimmende,

VORTRAG VON CHRISTIAN DANZ

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sondern in die reflektierende Urteilskraft. Wir gehen immer vom Besonderen aus. Wenn Schelling sagt, daß wir Gott eigentlich nur aus der Religionsgeschichte kennenlemen können, scheint das für die Erkenntnis einer Persönlichkeit folgendes zu bedeuten: Wir können eine Persönlichkeit eigentlich nur aus der Geschichte ihres Handelns erkennen, also an einzelnen Momenten. Wir haben immer nur einzelne Momente vorliegen und verfügen nicht über den Begriff einer bestimmten Persönlichkeit, sondern nur über den Namen, was natürlich an ihrer Individualität liegt. Das Individuum ist nach Schelling ineffabile. Die vorliegenden einzelnen Momente verallgemeinern wir, d.h. wir folgen einer Semantik, die vom Besonderen zum Allgemeinen aufsteigt. Deshalb ist unsere Erkenntnis von Personen stets auf die Geschichte und die Namen, unter denen diese auftreten, angewiesen. Diese Rekonstruktion umfaßt sicher noch nicht das ganze Problemfeld. Sie gibt aber meines Erachtens doch einige Anhaltspunkte für die Semantik des Personbegriffs. Danz: Der Hinweis auf die Bedeutung des Namens und die mit dem Namen verbundene Konzeption der vokativen Identität stammt von Buchheim (vgl. Thomas Buchheim, Eins von Allem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie, Hamburg 1992, 99-107). Für unseren Zusammenhang bietet sich das bei einem Blick auf die Religionsgeschichte geradezu an. Die Identität des Judentums als Religion hängt am Gottesnamen. Der Name stiftet Identität, ohne sie festzulegen. Hutter: Eine Assoziation zu .Judentum" und „Name": Ein jüdischer Philosoph, der Schelling gelesen hat, ist Franz Rosenzweig. Er hat eine sehr interessante Überlegung zum Namen Gottes. Die drei Dimensionen der Wirklichkeit - Welt, Ich, Gott - lassen sich auch so fassen, daß wir für weltliche Dinge viele Begriffe, für Personen hingegen je einen Eigennamen haben. Gott ist derjenige, der sowohl einen Namen als auch einen Begriff haben müßte, weil er sowohl Person als auch Wirklichkeit ist. Dennoch haben wir für ihn weder einen Namen noch einen Begriff. Rosenzweig würde mit guten Gründen darauf hinweisen, daß der Name Gottes im Unterschied zu den Namen der Menschen ein Problem sui generis darstellt. Dies nur als Warnung vor einer zu großen Analogisierung. Nun zu meiner Frage: Gibt es eine systematische Analogie zwischen der religionsphilosophischen Überwindungsfigur „Offenbarung versus Mythologie/Heidentum" und der je eigenen Lebensgeschichte? Kann man also sagen, daß wir in unserer Lebensgeschichte, in der wir diese Überwindung leisten, ein inhaltlich analoges Geschehen (die Überwindung der Mythologie) wiederholen? Oder ist das nur strukturell analog und hat mit den mythologischen bzw. heidnischen Inhalten und den Inhalten der Offenbarung gar nichts zu tun? Danz: Es war in der Tat meine These, daß der Gottesbegriff sozusagen die Selbstdurchsichtigkeit unseres Persönlichkeitsbewußtseins spiegelt, und ein Bewußtsein, welches sich nicht als ein solches durchsichtig geworden ist, also kein Endlichkeitsbewußtsein hat, ein mythologisches Bewußtsein darstellt. Insofern stimme ich Ihnen vollkommen zu, daß dies eine Wiederholung in der eigenen Geschichte ist. Im Prinzip ist die Religionsgeschichte der Prozeß des Sich-Durchsichtigwerdens des Bewußtseins. Genau dieser Durchsichtig-

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keit entspricht der Gedanke der Persönlichkeit Gottes. Das ist seine systematische Funktion. Zu Ihrem Hinweis auf Franz Rosenzweig: Es ist nicht verwunderlich, daß Rosenzweig und andere zu Beginn des 20. Jahrhundert auf Schelling zurückgegriffen haben, denn in den damaligen philosophischen und theologischen Debatten ging es unter anderem um das Problem der Rettung der individuellen Persönlichkeit angesichts einer zunehmenden Industrialisierung, Kollektivierung und Modernisierung. Der zeitdiagnostische Bezug auf unser Thema ist hier überdeutlich: In diesen Debatten spielte der Persönlichkeitsgedanke eine zentrale Rolle und wurde unter den radikalisierten Bedingungen im Rückgriff auf solche Konzepte reflektiert. Buchheim: Ich bin mir nicht sicher, ob sich meine Irritation gegen Schelling oder gegen Ihre Darlegung richtet. Auf der einen Seite führen Sie den Begriff der Persönlichkeit zur Bezeichnung eines freier Initiative fähigen Individuums ein. Andererseits ist nach Ihrer These erst im menschlichen Bewußtsein als dem ,Ende der Schöpfung' die Einheit Gottes verwirklicht und das Wesen des menschlichen Bewußtseins die Realisierung der Persönlichkeit Gottes. Das wird dann von Ihnen nochmals bekräftigt, indem Sie sagen, daß nach Schelling das menschliche Bewußtsein die Realisierung der Persönlichkeit Gottes sei. Wie passt das nun zusammen - oder bleiben hier unvereinbare Differenzen zwischen unterschiedlichen Persönlichkeitsbegriffen übrig? Mir ist aufgefallen, daß Sie sich auf die Urfassung der Philosophie der Offenbarung beziehen, nicht aber auf die späte Fassung. Ich weiß nicht, ob sich beide in dieser Hinsicht wirklich gleich äußern. Verwendet Schelling den Persönlichkeitsbegriff im zweiten Sinne in seiner Spätphilosophie tatsächlich immer so? Danz: Ihr gestriger Vorschlag, die trinitarischen Personen als Handlungstypen zu begreifen, hat mir sehr zugesagt. Dabei stellt sich jedoch das exegetische Problem, daß Schelling an verschiedenen Orten von „Persönlichkeit" spricht. Ich hatte die Stelle zitiert, an der es um den Beginn des Schöpfungsprozesses geht. Dort spricht er von Persönlichkeit. Wenn Sie die Darstellung der Trinitätslehre betrachten, werden Sie feststellen, daß Schelling keine geringe Mühe darauf verwendet, von drei selbständigen Personen reden zu können. Zu diesem Zweck muß er gewissermaßen alle Häresien mit aufnehmen. Wenn man nur die dogmatische Formulierung der Trinitätslehre zugrunde legt, dann kommt man nach Schelling nie zu einem nachvollziehbaren Gedanken. Man muß den Modalismus ebenso mit aufnehmen wie den Tritheismus. Schelling spricht in jedem Kontext von „Person". Die Frage ist, ob der Personbegriff überall denselben Sinn hat. Wie unterscheiden sich diese verschiedenen „Personen" auf den verschiedenen Explikationsebenen? Mein Vorschlag war, Schelling konsequent so zu lesen, daß der Persönlichkeitsgedanke in der Tat erst dann ins Spiel kommt, wenn von der Konstitution des menschlichen Bewußtseins die Rede ist. Das gilt auch für den Gottesgedanken: Der Vater ist die Einheit der Struktur, sobald diese sich realisiert hat, und erst am Ende der Schöpfung kommt diese Potenzentrias wieder zur Einheit. Nun erst ist die Persönlichkeit Gottes realisiert, und das fällt mit der Konstitution des Bewußtsein zusammen. Dann geht Schelling aber

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noch einen Schritt weiter, indem er sagt, nur in der Offenbarung werde Gott geschichtlich. Dies könnte man als einen Zuwachs an Persönlichkeit deuten und sagen, die Struktur werde dann eben „noch persönlicher". Buchheim: Möglicherweise ist der Begriff der Handlung in diesem Zusammenhang hilfreich. Wir hatten schon einmal in diese Richtung gedacht, als Hutter sagte, Gott müsse sozusagen in zwei Aggregatzuständen existieren, einmal in dem des „Sich-nicht-Rührens" und einmal in dem des „Sich-Enwickelns" (vgl. Diskussion zum Vortrag von Hutter). Dann erhebt sich die Frage, wie diese beiden Aggregatzustände zu verbinden sind. Mein Vorschlag wäre, daß beide in Form einer Handlung Zusammensein können, und zwar so, daß es dieselbe Handlung ist, die auf der einen Seite vollkommen unzeitlich ist, also keine Zeitlichkeit braucht, und auf der anderen Seite eine solche, die Zeit konstituiert. In dieser Handlung existiert Gott dann einerseits als ewig in der Verfassung, in der er existiert (dreipersonal usw.), andererseits ist die Geschichte, der ganze Heilsplan, sozusagen in diese Handlung eingeschrieben. Um sich als Persönlichkeit zu konstituieren, müßte er dann nicht mehr darauf warten, wie die Geschichte ausgeht. Vielmehr würde dies auf der einen Seite „auf einmal" fertig sein und sich auf der anderen Seite gleichsam aufblättern in die Vielheit der endlichen Personen, die auf irgendeine Weise in das Ergebnis dieser Handlung, nämlich in die Liebe, die alles in Allem ist, aufgenommen werden. Wie dieser Weg verläuft, das „kümmert" sozusagen Gottes ewige Existenz nicht. Danz: Bei der Diskussion zum Vortrag von Hutter hatte auch ich daran gedacht, daß es eine Lösung des Problems sein könnte, wenn man über den Handlungsbegriff und dann von geschichtlicher Identität spricht, die nicht festliegt. Nur stellt sich dann die Frage, für wen diese Personen vor der Schöpfung denn sind. Für wen ist der persönliche Gott vor der Schöpfung? Für sich. Dann verstehe ich aber nicht, warum Schelling das gerade so konzipieren sollte. Deshalb habe ich mich auf die Urfassung der Philosophie der Offenbarung bezogen, weil dort meines Erachtens deutlich wird, daß der Gottesgedanke oder diese Konstruktion des Absoluten auf eine Instanz rückbezogen ist, die diesen Gedanken denkt. Ein weiterer Punkt ist, daß dies - wie auch Sie immer wieder betonen - eine hypothetische Konstruktion ist, die von jemandem durchgeführt werden muß. Dieser Konstrukteur ist Schelling. Hutter: Zu dem Vorschlag, die Frage nach der Einheit Gottes in seinen Aspekten vom Begriff der Handlung aus anzugehen, folgendes: Wäre es nicht besser zu sagen, daß das unveränderliche Moment, in dem Gott bei sich selbst bleibt und sich nicht in die Geschichte begibt, nicht „außerzeitlich", sondern „ewig" ist? Das ist meines Erachtens eine wichtige Differenz, weil sie die - in der Geistesgeschichte auch immer wieder ergriffene Möglichkeit bietet, Ewigkeit nicht als Außerzeitlichkeit denken zu müssen. Wenn man etwas „außerzeitlich" nennt, setzt man eine gerade nicht beabsichtigte, schlechte Kettung an die „gewöhnliche" Zeit, indem man diese bloß abstrakt negiert. Das Festhalten am Begriff der „Außerzeitlichkeit" erschwert somit unnötigerweise die Vermittlungsprobleme. Man braucht daher einen „offeneren" Begriff der Ewigkeit, der zwar eine Differenz zur

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„gewöhnlichen" Zeit markiert, aber nicht außerzeitlich ist und dergestalt eine Vermittlung zur Zeit ermöglicht. Iber: Hegel unterscheidet in seiner Religionsphilosophie die ewige Geschichte des absoluten Geistes von seiner zeitlichen Geschichte und differenziert zwischen immanenter und ökonomischer Trinität. Das Problem bei Schelling scheint mir zu sein, daß er die Trinität im Ganzen geschichtlich denken will. Die Gefahr dabei ist, daß man das gleichsam linkshegelianisch liest und sagt, die Verwirklichung der Persönlichkeit Gottes sei nichts anderes als die Verwirklichung des Selbstbewußtseins des Menschen. Würde Schelling ausdrücklich die Unterscheidung zwischen immanenter und ökonomischer Trinität machen, wäre dieses Problem meines Erachtens hinfällig. Es gibt aber auch einen positiven Aspekt an der radikal geschichtlich gedachten Trinität, denn Schelling sagt, das Motiv der Weltschöpfung sei nichts anderes, als daß Gott durch den Menschen als Gott erkannt werde. Das heißt, es kommt durch diese Konzeption in den Gottesbegriff ein kommunikatives Moment hinein. Auch hier wird deutlich, daß Gott nicht nur der autonom Handelnde ist, sondern daß er auch auf das menschliche Bewußtsein bezogen ist, wie das umgekehrt auch für die menschliche Person gilt. Das ist für mich das neue und vielleicht produktive Moment an dem radikal geschichtlich gedachten Trinitätsbegriff. Danz: Bei Schelling gibt es durchaus eine immanente Trinitätslehre. In den Abschnitten der Philosophie der Offenbarung, in denen er den Trinitätsgedanken darstellt, spricht er von drei Stadien: Einmal gibt es das unentfaltete Moment, dann das Moment der Heteronomie und dann erst die Homoousie. Die Frage ist, ob dieser Dreischritt die immanente oder die ökonomische Trinitätslehre darstellen soll. Besieht man sich aber z.B. die Skizze Maximilians II., dann stellt man fest, daß es dort in der Tat eine Aufteilung gibt: Dort findet sich die Heteronomie erst an der Stelle, an der es um die ökonomische Trinitätslehre geht, und die Homoousie, also die verwirklichte Trinität, ist erst eschatologisch, also das, was sein soll. Aber auch bei Hegel ist die immanente Trinitätslehre die Logik des Begriffs, und der Persönlichkeitsgedanke kommt erst über die Gemeinde ins Spiel. Bei Schelling gibt es also meines Erachtens durchaus eine immanente Trinitätslehre, nämlich in der Potenzenlehre oder an den Stellen, wo er von „Zeugung" spricht. Überhaupt wird das gesamte traditionelle Vokabular der Trinitätslehre von Schelling aufgenommen wie auch die Aporien der Trinitätslehre. Beispielsweise hat man, wenn man von „Zeugung" spricht, eine Subordinierung in der Relation, die eigentlich nicht sein sollte. Deswegen legt Schelling an dieser Stelle das Augenmerk darauf, daß der Sohn den Vater verwirklicht, um das einseitige Abhängigkeitsverhältnis durch ein gegenläufiges Verhältnis zu korrigieren. Jacobs: Der Deutsche Idealismus versteht das Wesen von Bewußtsein nicht als eine Substanz, die dann auch irgendwann denkt und will. Vielmehr konstituiert erst das Wollen oder Denken jene Substanz, von der wir dann sagen, sie will oder denkt. Mir scheint nun, daß auch der Begriff der Person entsprechend zu verstehen ist; denn die Person ist nicht einfach, sondern sie soll sein. Wenn das der Fall ist, dann würde ich fragen, ob man über-

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haupt noch sagen kann: „Es gibt Gott." Ich glaube, diese Behauptung wäre schlicht falsch. Man könnte auf dieser Grundlage höchstens sagen: „Gott soll sein." Das würde dann bedeuten, daß alle Fragen, die sich etwa auf einen Vollzug Gottes beziehen, wegfallen. Denn Gott kann sich vollziehen. Ich knüpfe damit an einen Gedanken an, über den wir während der Tagung bereits gesprochen haben, den Gedanken der Vollkommenheit. Das, was Gott von Anfang an ist, ist sein eigener Vollzug und nichts anderes. So verstanden kann man meines Erachtens auch von Überlegungen zur „Ewigkeit Gottes", in der er immer dieselbe Substanz bleibt, absehen und Gott als Vollzug verstehen. Das heißt wiederum umgekehrt für den Begriff „Person", durch den wir uns als Menschen begreifen, daß er höchstens als Rechtsbegriff jemanden, auf den man zeigen kann, bezeichnet. Der philosophischen Sache nach bezeichnet dieser Begriff dann nicht etwas, das ist, sondern das, was wir in unserem Leben realisieren. Solange wir leben, hören wir nicht auf, uns zu realisieren. Insofern ist der Persönlichkeitsbegriff nicht mehr einer, den man gewissermaßen feststellen kann. Alle Feststellung, wie sie etwa das Recht braucht, ist demgegenüber sekundär. Sie ist zwar nicht falsch - im Bereich des Rechts muß man mit ihr operieren - , aber sie ist der philosophischen Sache nach sekundär. Personalität ist dann etwas, das von jenem Grundgedanken des Deutschen Idealismus her, wonach die Aktualität vor jeder Verfestigung steht, zu verstehen ist. Deshalb meine ich, man könne nicht sagen: „Es gibt Gott." Danz: Ich kann Ihnen völlig zustimmen und das von Ihnen Gesagte nur unterstreichen. Man kann in diesem Zusammenhang auf den frühen Schelling verweisen, der ausdrücklich sagt, daß es Gott im Sinne von etwas Substantiellem in seiner außerzeitlich gedachten Ewigkeit nicht gibt. Davon ist nach Schelling vielmehr gerade abzusehen, wenn Freiheit gedacht werden soll. Es geht dabei um die theoretische Explikation des Geistes. Auf die Bestimmtheit dieses Geistes kann man freilich auch beim Freiheitsgedanken nicht verzichten, wenn man eine bestimmte Freiheit denken will. Aber letztendlich hängt das alles am Gedanken der Freiheit, und die ist nicht. Insofern sagt auch der junge Schelling, daß Gott nicht existiert, gar nicht existieren kann.

Protokoll: Alexander Maser

Diskussion zum Vortrag von Paul Ziehe

Van Zantwijk: Meine Frage bezieht sich auf das am Anfang aufgeworfene Problem: Wie kann eine Wissenschaft die Wissenschaftlichkeit ihrer selbst begründen? Wie sieht nach den Überlegungen Schellings zum Verhältnis von Seele und Wissenschaft einerseits und Persönlichkeit andererseits eine Antwort auf diese Frage aus? Meine These lautet: Aus Schellings Überlegungen ergibt sich, daß die Philosophie als Wissenschaft nicht möglich ist und daß sie eine andere Darstellungsform als die, die sie selber als wissenschaftlich qualifiziert, annehmen muß. Der Grund ist folgender: Schelling sagt einerseits, daß die Wissenschaft, um „ein wirkliches lebendiges Wesen" zu werden, der Persönlichkeit bedarf; die Persönlichkeit ist aber zugleich der Hinderungsgrund der Wissenschaft, die Quelle der Irrtümer in ihr. Die Persönlichkeit ist auch der Faktor, der dafür sorgt, daß dieses „lebendige wirkliche Wesen" sich nie ganz verwirklichen kann, sondern immer an etwas gebunden bleibt, was die Wissenschaft letztlich überwinden müßte, aber nicht überwinden kann, weil es ihr Konstituens ist. Wenn wir diese Grundkonstellation haben, dann stellt sich schon die Frage, ob es überhaupt Wissenschaften gibt. Aber für die Philosophie wird die Lage besonders prekär, weil sie dieses Verhältnis kommentiert. Dieser Kommentar kann selbst aber kein Teil der Wissenschaft sein, sonst wäre die ganze Konstruktion in sich hoffnungslos zirkulär. So hat es Schelling auch sicherlich nicht gemeint. In den Weltaltern betrachtet Schelling die Darstellungsform der Dialektik, des inneren Gesprächs mit sich selber, eines Wissenden mit einem Unwissenden, das zur Wissenschaft gebracht werden muß, als die Form der Philosophie. Diese auf Aristoteles bezogene Überlegung spricht dafür, daß Schelling die Philosophie selbst konsequenterweise eigentlich nicht mehr als Wissenschaft in seinem Sinne betrachten kann. Ziehe: In der Frage sind zwei Probleme enthalten: 1. Unabhängig von der Frage nach dem Status der Philosophie als Wissenschaft läßt sich grundsätzlich fragen: Wie ist vor dem Hintergrund der Schellingschen Konzeption überhaupt eine Wissenschaft realiter möglich? In einem einzelnen Subjekt sind immer nur einzelne Akte des Wissens realisiert, die zu unterscheiden sind von der Wissenschaft als dem Überpersönlichen. Nicht nur in Bezug auf die Seele unterscheidet Schelling zwischen Wissenschaft und Wissen („die Seele weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft", SW VII, 469), sondern er betont auch, daß für den Geist, d.h. für den persönlichen Menschen, nur ein Wissen möglich ist, daß er aber nicht die Wissenschaft selbst sein kann. In diesem „nur" liegt eine Einschränkung der Möglichkeiten des wissenden Geistes. Wenn man diese Konzeption radikal ernst nimmt, kann es eigentlich überhaupt keine Wissenschaft an sich geben, sondern immer nur ein-

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zelne realisierte Akte des Wissens, die sich zwar systematisch zusammenordnen lassen, die jedoch sicher nicht die Wissenschaft selbst als Unpersönliches sind. Natürlich ist damit das Problem verbunden, was man überhaupt als eine Realisierung von Wissenschaft akzeptieren würde. Vor dem Hintergrund der Schellingschen Konzeption ist es offensichtlich, daß sich die Seele als unpersönliche Wissenschaft nicht ohne Abstriche persönlich realisieren kann. Dennoch ist Schelling der Meinung - und die ganze Tendenz seiner Überlegungen zur Wissenschaft geht dahin - , daß es sehr wohl möglich ist, zumindest den traditionellen Anspruch an Wissenschaftlichkeit in dieser Konzeption einzuholen. So kann man beispielsweise Objektivität als überindividuelle Verpflichtung zur Beistimmung in einem solchen Ansatz retten. Schelling muß dann natürlich klären, wie sich Wissenschaft auf der Ebene persönlicher Erkenntnisleistung realisiert. Er tut dies in einer Form, die genau dem von Ihnen Angedeuteten entspricht. Es gibt Passagen, die auf eine innere Dialogizität hindeuten. Zwar kann ich die Wissenschaft nicht einfach aus dem Bereich des Unpersönlichen in den des Persönlichen transferieren, aber im Bereich des Persönlichen ist mehr möglich, als nur einzelne Akte des Wissens aneinanderzureihen. Ich kann eine Art von Verbindung zwischen beidem herstellen. Das Zitat sei hier nochmals ausdrücklich angegeben: „Diese Scheidung, diese Verdoppelung unsrer selbst, dieser geheime Verkehr, in welchem zwey Wesen sind, ein fragendes und ein antwortendes, ein wissendes oder vielmehr das die Wissenschaft selber ist, und ein unwissendes nach Klarheit ringendes, diese innere Unterredungskunst, [...]" (Die Weltalter. Fragmente, hg. von M. Schröter, München 1979, 5, vgl. Erlanger Vorträge, SWIX, 238). Schellings Lösungsvorschlag scheint folgender zu sein: Man kann versuchen, in der „inneren Unterredungskunst" die beiden Instanzen, die jeweils in der menschlichen Person zusammentreffen, die Seele und die Vernunft, in Beziehung zu bringen. Sie werden zwar nicht zusammenfallen können, aber man kann sie immer wieder in ein Wechselspiel setzen. Diese Lösung führt dann allerdings dazu, daß es ein geschlossenes, formulierbares System der Wissenschaft eigentlich nicht geben kann. 2. Der letzte Halbsatz des Zitats ist die Antwort auf den anderen Teil der Frage, die man von Schelling aus geben könnte. Die „innere Unterredungskunst" ist nach Schelling nämlich „das eigendiche Geheimniß des Philosophen" {Die Weltalter. Fragmente, 5). Das heißt: Es ist speziell die Aufgabe des Philosophen, diese innere Unterredungskunst in ihrer Notwendigkeit zu durchschauen und in ihrer inneren Dynamik so weit wie möglich zu verstehen. Man hat dann letztlich - auch dies ist wiederum eine von Schelling ganz klar vertretene Konzeption - eigentlich nur eine Wissenschaft. Wissenschaft ist immer eine solche innere Dialogizität, und dies ist eigentlich nur vom Philosophen zu leisten. Damit scheint der Einzelwissenschaftler dem Philosophen eindeutig nachgeordnet zu sein. Auch dies könnte man dadurch traditionell zu lösen versuchen, daß man sagt, der Philosoph sei typischerweise damit befaßt zu klären, was Wissenschaftlichkeit schlechthin ist. Es ist ein begriffsgeschichtlich erstaunlicher Befund, daß Schelling den Begriff „Wissenschaftlichkeit" ausdrücklich erörtert und verstehen möchte, was Wissenschaft überhaupt als Wissenschaft qualifiziert. Darauf aufbauend, können dann die Einzelwissenschaftler, ohne den Status ihrer Wissenschaften weiter problematisieren zu müssen, fortschreiten.

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DISKUSSION

Noch ein Hinweis, der ebenso interessant ist: Wenn Schelling hier von „Geheimnis" spricht, ist das genau wieder der Terminus, den Erhard ihm in der Diskussion von 1795 vorhält. Es gibt, obwohl die Beziehungen so klar sind, d. h. obwohl z.B. die Analogie zur geometrischen Konstruktion vorliegt (die auch Schelling zugesteht), immer noch ein Geheimnis. Erhard würde sagen, daß es hier, wenn man das mit der geometrischen Konstruktion analogisiert, kein Geheimnis mehr geben kann. Nach Schelling dagegen liegt genau hier immer noch ein Geheimnis, das durch das Problem gegeben ist, wie dieses Unpersönliche in das Persönliche eingetragen werden kann. Auch bei der Begründung von Wissenschaftlichkeit im strengsten Sinne bleibt also ein Moment des Geheimnisses bestehen. Dieses Motiv findet man im Kontext der Freiheitsproblematik oder der Selbstoffenbarung Gottes strukturanalog oder in ähnlicher Weise wieder. Pointiert formuliert Schelling: „Bei der höchsten Klarheit der Wissenschaft bleibt immer noch dieses Moment des Geheimnisses, wenn man sie in die innere Verdoppelung überführt." Buchheim: Es ist schwierig, überhaupt zu verstehen, wie Schelling diese Dinge verstanden haben möchte und ich will daher den Versuch einer eigenen Rekonstruktion unternehmen. Erstens fallen mir solche Redewendungen wie „Das ist eine Wissenschaft für sich" ein. Hier wird das Wort „Wissenschaft" nicht für die ausgeübte Wissenschaft gebraucht, sondern für die errungene Wissenschaft, die irgendwie geordnet, in Büchern niedergelegt ist und dergleichen mehr. Hat Schelling hier zunächst dem reinen Wortgebrauch nach ein solches objektivistisches Verständnis von „Wissenschaft"? Die zweite Idee, die ich hätte, gilt der Frage, wie es zu der Identifikation mit „Seele" kommt. In diesem Zusammenhang wäre eher Piaton als Aristoteles zu berücksichtigen, besonders der Timaios, wo auch von einer Seele die Rede ist, die „Weltseele" ist. Dann sagt Piaton etwas m.E. sehr Interessantes, das oft nicht im Bewußtsein ist, nämlich daß dank der Weltseele logoi das Weltall durcheilen. Alles ist in dieser Weise „logisch" geordnet. Nun ist der logos ja so etwas wie eine Wissenschaft. Also könnte man hier einen Quellgedanken für die Schellingsche Identifikation finden. Ein drittes Element käme hinzu, wenn man sich überlegt, wie diese logoi an uns kommen als den Personen, die wissen können, die eine Wissenschaft haben können. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die Doktrin von den ideae innatae. Leibniz versetzt die logische Struktur des Universums in jede Monade, die dann, in sich dieses tragend, dennoch durch eigene Tätigkeit erst darauf kommen muß, wie sich die Dinge verhalten. Hier muß man „Vernunft" etwa so verstehen, wie Schelling dies beschreibt, nämlich als Probierstein. Es gäbe dann zum einen die Weltstruktur der Seele und die logoi, sodann die Einbettung davon in jedem geistigen Subjekt und schließlich die Entdeckungsaufgabe. Ziehe: All dem kann ich grundsätzlich zustimmen. Zunächst zum zweiten Problem: Man muß natürlich die Frage stellen, wie Schelling zu dieser Identifikation mit „Seele" kommt, und der Weltseeleaspekt ist mit Sicherheit ein Motiv dafür. Weltseelen sind überpersönlich (wenigstens in Bezug auf die einzelnen, persönlich gedachten Menschen), und Welt-

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seelen haben offensichtlich etwas mit einer durchgehend erkennbaren Struktur des Universums zu tun. Zum ersten Punkt: Die Frage, was denn für Schelling überhaupt eine Wissenschaft ist, ist eine sehr interessante. Das Problem beschäftigt ihn von Anfang an: Wie ist das Verhältnis der Philosophie als allgemeinster, grundlegendster Wissenschaft zu den einzelnen Wissenschaften zu denken? Schelling hat genau die Terminologie, die wir auch heute verwenden: Einzelne/spezielle Wissenschaften und deren Verhältnis zur Wissenschaft überhaupt. Das diskutiert er von Anfang an, und das steht natürlich auch hier im Hintergrund, wenn gefragt wird, wie man die Wissenschaftlichkeit unserer Wissensvollzüge begründen kann. Interessant an den Überlegungen in diesen Zusammenhängen ist nun, daß Schelling hier genau nicht mehr zwischen vielen einzelnen Wissenschaften und der Wissenschaft überhaupt unterscheidet, wie er das früher getan hat, etwa in fur die Identitätsphilosophie typischen Formulierungen, sondern hier nur noch von „der Wissenschaft" spricht. Das heißt, die Idee, die er auch vorher schon hatte, daß es genau eine begründende Wissenschaft gibt und dann letztlich beliebig viele spezielle Wissenschaften, wird dahingehend zugespitzt, daß es genau eine Wissenschaft gibt und daß alles andere dann nur Akte des Wissens sind. Daher müßte man das, was Schelling hier „die Wissenschaft" nennt, eher als die alle Wissenschaftlichkeit begründende Wissenschaft oder als die „absolute Wissenschaft" zu verstehen versuchen. Das hat insofern einen Bezug zu den real vorliegenden Wissenschaften, als die Philosophie (zumindest in der nachkantischen Philosophie) immer wieder als die Instanz gedacht worden ist, die genau das leistet; Philosophie wäre dann sozusagen die Spezialwissenschaft, die diese Allgemeinfunktion zu übernehmen hat. Zum dritten Problem der ideae innatae: Das wäre ein weiterer Vorschlag, wie man sich die Sache vorstellen könnte. Zum Beispiel könnte die Idee der ursprünglichen Mitwissenschaft mit dem Universum insgesamt so aufgefaßt werden. Allerdings kann man sich fragen, ob die Rede von den Eingebungen, die man aus der Seele bekommt, nicht doch den Akzent darauf legt, daß nicht alles von Anfang an da ist, sondern sich auch in der Zeit entwickelt oder verändert. In der Grandstruktur der Sicherung des einzelnen Wissensaktes ändert sich damit aber m. E. nichts. Es muß in jedem Fall - egal, ob das von Anfang an als angeboren beigegeben ist oder zu einem späteren Zeitpunkt kommt - diese Verdoppelung von unpersönlicher Begründung und persönlichem Nachvollzug geben. Da Schelling den Begriff der „Eingebungen" so betont, scheint es freilich so zu sein, daß er nicht unbedingt von dem Modell ausgehen möchte, wonach alles schon von Anfang an mitgegeben ist. Hutten Ich habe auch einen Versuch, mir das zurechtzulegen. Vermutlich verstehe ich einige Schellingsche Äußerungen, über die Sie gesprochen haben, anders. Das liegt daran, daß Sie die Stelle aus den Stuttgarter Privatvorlesungen, von der Sie ausgegangen sind, relativ kontextfrei interpretiert haben. Sie steht dort im Kontext mit der Frage nach dem Wahnsinn. Zwar haben Sie gesagt, es gebe eine Dreiteilung, doch haben Sie sich im weiteren Verlauf weitgehend an Zweiteilungen orientiert. Ich will nur einen Satz aus dem Kontext vorlesen, wo Schelling den eigentlichen Faden nochmals aufnimmt. „Was ist der Geist des Menschen? Antwort: Ein Seyendes, aber aus dem Nichtseyenden, also der

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DISKUSSION

Verstand aus dem Verstandlosen. Was ist also die Basis des menschlichen Geistes in dem Sinn, in welchem wir das Wort Basis nehmen? Antwort: Das Verstandlose. Und da sich der menschliche Geist auch zu der Seele wieder als relativ Nichtseyendes verhält, so auch zu ihr wieder als Verstandloses. Das tiefste Wesen des menschlichen Geistes also, NB. wenn er in der Trennung von der Seele und also von Gott betrachtet wird, ist der Wahnsinn. [...] Die Basis des Verstandes selbst also ist der Wahnsinn." (SW VII, 469f.) Schelling sagt dann, deswegen seien die Menschen ohne Wahnsinn die Menschen von leerem, unfruchtbarem Verstand. Hier im direkten Kontext könnte man sagen: Die Eingebungen kommen aus dem Grunde, also aus dem Verstandlosen. Auf diese ganze dunkle Seite sind Sie gar nicht eingegangen, sondern Sie haben daraus einen dualen Verkehr mit der höheren Seele gemacht. Das scheint mir die Schellingsche Wissenschaftstheorie in der Freiheitsschrift und den Weltaltern um ein entscheidendes Moment zu verkürzen. Dann landet man wieder bei 1795. Denn dann hat man eine Dualität von Endlichem und Unendlichem, und man hat sozusagen eine Wissenschaft, die trotz der Persönlichkeit funktionieren muß, aber nicht aufgrund der Persönlichkeit. Mir scheint folgendes wichtig zu sein: Bei Schelling gibt es offenbar zwei Modelle. Das eine haben Sie stark gemacht. Das andere besagt, daß alles, was im Wissen vom Verstand reflektierend thematisiert wird, aus einem Grund erhoben wird. Es kommt von unten, nicht von oben. Das Grundierende, das Begründende - hier ist Schelling sehr exakt - kommt von unten. Insofern ist bei Schelling nie die Seele Begründungsinstanz, sondern das Verstandlose. Nun könnte man sagen, dies seien zwei nicht gut miteinander harmonierende Modelle. Ich würde den Vorschlag machen, bei dem Grundmodell von unten anzusetzen (wie es auch in den Stuttgarter Privatvorlesungen in diesem Kontext geschieht), und dann so interpretieren, daß der Verstand, wenn er sich mit dem Verstandlosen auseinandersetzen muß, einen hilfreichen Orientierungspunkt braucht, um daraus gesund hervorgehen zu können. Dann kommt die Seele ins Spiel. Wir haben also eine Dreiteilung, die dann Sinn macht, wenn man gerade nicht bei der Seele beginnt, sondern sagt, Verstand und Gemüt müssen sich auseinandersetzen. In dieser Auseinandersetzung, wo das Höhere das Schwächere ist, wo es ständig bedroht ist, vom Grunde überwältigt zu werden, hat das höchste Prinzip seine eigentliche Funktion, nämlich die, in besagter Auseinandersetzung dem Menschen die eigentliche Hilfe zu geben. Diese Funktion des höchsten Prinzips (der Seele) wird aber nur deutlich, wenn man diese Dreiheit so versteht, wie ich es beschrieben habe. Ziehe: Das ist in der Tat eine notwendige Weiterführung. Ich habe nur einen Ausschnitt des Problems behandelt, und zwar deshalb, weil ich mich auf die Konzeption von Wissenschaft konzentriert habe. Es scheint so zu sein, daß, wenn es um die Konzeption von Wissenschaft geht, das, was im Verstand gedacht wird, gerade nicht von unten kommt, sondern daß es von oben kommt. Daher würde ich sagen, daß es hier eine echte Spannung zwischen dem „Von-unten-Kommen" und dem „Von-oben-Kommen" gibt. Wenn es um die Realität von Personen geht, muß dies in irgendeiner Weise zusammengebracht werden. Aber diese Idee, daß alles, was in den Verstand aufgenommen werden kann, von oben kommen muß, ist in den Stuttgarter Privatvorlesungen genauso eindeutig formuliert

VORTRAG VON P A U L ZICHE

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wie daß es den Grund im Verstandeslosen gibt (genauer müßte man sagen: im unterliegenden Verstandeslosen, da die Seele letztlich auch verstandeslos ist). Man müßte dann fragen, wie diese beiden Fragestellungen, nämlich die nach der Rettung vor dem Wahnsinn durch die Eingebung von oben und die nach der Begründung von Wissenschaft, zusammenhängen und ob sie so separierbar sind, wie ich das gemacht habe. Aber es ist, zumindest wenn es um Wissenschaft geht, auch klar, daß diese nicht aus dem Grund hergeleitet werden kann. Der Grund muß natürlich, wenn es um einzelne Personen geht, da sein, aber er verbürgt nicht Wissenschaft. Hutten Nein, er verbürgt sie nicht. Aber ohne Verstandloses gibt es überhaupt nichts, und in der Auseinandersetzung mit dem Verstandlosen kommt dann diese Wissenschaft ins Spiel, aber nur so. Wenn man das herausnimmt, kommt das Spiel nicht zustande. Jantzen: Ich würde vorschlagen, die Überlegungen zur Philosophie als Wissenschaft in den Erlanger Vorlesungen unbedingt heranzuziehen, denn dort wird gerade Philosophie als Wissenschaft im Gegensatz zum einzelnen Wissen definiert. Wissenschaft wird dort definiert als „Fallenlassen" jedes einzelnen, besonderen Wissens. Der Philosoph wird geradezu aufgefordert, sich von allem zu lösen, auch von Gott und insbesondere von allem einzelnen Wissen. Dieses Sich-Lösen bestimmt Schelling als „Wissenschaft". Dahinter steckt so etwas wie ein skeptisches Modell: Der Skeptiker gibt auf, und dann ist das Wissen in Form von Wissenschaft da. Dies schiene mir für diese Differenzierung unmittelbar einleuchtend, zumal dann in dieser Wissenschaft sich in der Tat das Personale im engeren Sinne als Personales aufgibt. Darin besteht ja gerade der Sinn dieses Vorgehens. Dies nur als ergänzender Hinweis. Oesterreich: Der Bezug zu Piaton ist m.E. in dem von Ihnen Gesagten ganz deutlich. Die persönliche Aneignung des Wissens heißt Partizipation an der Wissenschaft, die durch die Seele repräsentiert wird. Ich möchte nun in diesem Zusammenhang eine kritische Frage bezüglich des von Ihnen verwendeten Begriffs „depersonale Wissenschaftstheorie" stellen. Dieser Titel (vgl. den Aufsatz von Ziche, S. 208, 3. Wissenschaft und Person: Eine depersonale Wissenschaftstheorie) weist m. E. auf eine Zweideutigkeit des Personalitätsbegriffs bei Schelling hin. Das wird in den Stuttgarter Privatvorlesungen deutlich. Der endliche Geist des Menschen wird hier einerseits generell als ein Gefüge von drei Potenzen, andererseits speziell als eine separate Potenz, d.i. als selbstbewußtes Ich definiert. Das heißt, je nachdem, wie man sich entscheidet, den Begriff der Personalität festzulegen, wird man von einer depersonalen Wissenschaftstheorie sprechen oder nicht. Vielleicht kann man von der „Person" in der Dreiheit der Potenzen sprechen, die „Persönlichkeit" bezieht sich aber auf das selbstbewußte Ich, auf das Selbstbewußtsein, also auf „Geist" im speziellen Sinne. Die Frage ist, wie Sie sich entscheiden: Liegt bei Schelling nun eine depersonale oder eine personale Wissenschaftstheorie vor? In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß Schelling durchaus aktuell argumentiert. Ich glaube nämlich, daß der Schellingsche Text eine bestimmte Synthese herstellt: Er ist der Versuch der Rekonstruktion des antiken theoretischen Wissenschaftsbegriffs auf dem Boden moderner Subjektivität. Dies geschieht anthropologisch, nämlich

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DISKUSSION

durch eine Theorie des Zusammenspiels personaler Potenzen. Man könnte hier von einem ,relationalen Dynamismus' der Potenzen in Schellings Persönlichkeitslehre sprechen. Aus den Modi der Integration, Separation, Inversion oder Desintegration ergeben sich jeweils andere Potenzen-Konfigurationen und Persönlichkeitstypen. So beschreiben die Stuttgarter Privatvorlesungen z.B. die Vernunft keineswegs als Substanz, sondern als relationales Produkt, in dem sich die anschauliche Intuition von Seiten der ,Seele' mit der begrifflichen Konstraktion von Seiten des ,Verstandes' verbindet. Dieser Vernunftbegriff Schellings versucht - vertreten durch die Seelen-Potenz - sowohl dem antiken Anspruch auf echte Anschauung und theoria als auch - repräsentiert durch die Verstandes-Potenz dem neuzeitliche Prinzip methodischer Konstraktion und damit den modernen Ansprüchen auf Rekonstruierbarkeit und intersubjektive Nachvollziehbarkeit gerecht zu werden. Ziehe: Ihrer Schlußüberlegung kann ich voll zustimmen. Ich würde aber einen anderen Akzent setzen bei der Frage, wie man die Tatsache auslegt, daß „Geist" wie auch „Persönlichkeit" doppelt besetzt sind. „Geist" ist insgesamt durch diese drei Potenzen konstituiert, kommt selbst aber darin vor. Genauso scheint es hier mit der „Person" oder „Persönlichkeit" zu sein. Es kommen z.B. aus der Persönlichkeit Eingebungen, die aber wieder in die Person aufgenommen werden sollen, die auch ihren Bezug zum Unpersönlichen hat. Man muß sich m.E. gar nicht dafür entscheiden, diese strukturell problematische Verdoppelung dadurch zu lösen, daß man einen dieser zwei Faktoren irgendwie ausklammert oder einen besonders hervorhebt. Es scheint notwendig zu sein, daß es bei Schelling immer wieder diese Doppelstruktur gibt, daß also in irgendeiner Weise die Person in sich selbst enthalten ist nebst anderem, was nicht persönlich ist, genauso wie der Geist in sich selbst enthalten ist nebst anderem, was nicht Geist ist. Dies führt sofort zu Problemen, wenn man fragt, ob nun irgendetwas, das damit zu tun hat, „persönlich" oder „unpersönlich" ist, ob der Geist „persönlich" oder „unpersönlich" ist. Diese eindeutigen Charakterisierungen scheinen, wenn man diese Struktur zugrunde legt, nicht möglich zu sein. Von daher haben Sie recht, daß ich eigentlich nicht behaupten kann, Schelling entwickele eine „persönliche" oder „unpersönliche" Theorie von Wissenschaft. Es muß notwendig beides zusammenhängen. Dieser Titel kommt nur daher, daß „Seele" als identifiziert mit Wissenschaft unpersönlich ist. Sobald Wissenschaft realisiert wird, geht das nur in dieser Struktur, in der es diese eigenartigen Verdoppelungen gibt, die eine eindeutige Aussage, etwas Bestimmtes sei persönlich oder unpersönlich, unmöglich machen. Daß eindeutigen Zuordnungen nicht mehr möglich sind, gehört wesentlich zu dem, was Schelling mit diesen Strukturmodellen beabsichtigt.

Protokoll: Alexander Maser

Diskussion zum Vortrag von Jörg Jantzen

Hühn: Ich habe eine Frage zur Suchtstruktur, die in den Erlanger Vorlesungen im Blick auf die erste Potenz, das Sein-Könnende prägnant herausgearbeitet wird. Sie tritt dort als eine Anfangsgestalt des absoluten Subjekts auf, welches sich ewig verfehlt, indem es sich sucht, und in dem Übermut, alles zu sein, in das Nicht-Sein fällt. Die Sucht täuscht also nach Schelling eine Selbststeigerung nur vor. In Wahrheit ist sie aber nur die schlechte Wiederkehr des immer Gleichen. Pointiert ausgedrückt, ist sie eine Struktur perennierenden Selbstverfehlens, in der sich etwas ausdrückt, was nicht für sich steht. In ihr wird etwas gesucht und verfehlt; und indem diese Verfehlung als Leiden erscheint, ist in der Suchtstruktur eine Tiefendimension präsent, die in pervertierter Weise zur Darstellung kommt. Diese Überlegung liefert zugleich den Brückenschlag zu dem Referat von Hutter, zumal Schelling diese Struktur perennierenden Selbstverfehlens als scheinbare Zeit auslegt: Ähnlich wie ich Hutter in Bezug auf die Zeit fragte, bitte ich Sie nun, im Blick auf die Sucht etwas zu der zugrunde liegenden Tiefenstruktur zu sagen, weil hier eine parallele Konstruktion zu dem Verhältnis von scheinbarer und wahrer Zeit vorliegt. Jantzen: Die Suchtstruktur oder die Wirklichkeit der Sucht haben etwas Eigentümliches an sich: Die Freiheit sucht sich und verfehlt sich immer. Das bedeutet Leiden. Darin spiegelt sich (für die süchtige Person vielleicht gar nicht zu durchschauen) jener allgemeine Wille - der Wille ist aber nichts, er will nur sein. Das ist das eigentliche Problem. Der Süchtige, der sich selbst sucht, steht in der unausgesprochenen Annahme, jener allgemeine Wille zu sein. Und man wird auch einräumen müssen, daß er eben jener bloße Wille auch tatsächlich ist. Das macht die Tiefe und eben dann noch einmal potenzierte Unruhe des Lebens (bis hin zur Philosophie als Bewußtsein dieser Situation) aus: daß nämlich das Leben und die Person sich ihrer selbst nicht sicher sein können. Der Ausstieg aus der rotatorischen Zeit ist, jedenfalls wenn es um Sucht geht, keineswegs so einfach. In den Erlanger Vorlesungen bietet Schelling zur Lösung des Problems den Begriff der Ekstasis, gleichsam des Ausstiegs, an. Aber auch der ist schwierig, denn selbst die philosophische Wissenschaft, die dazu aufgefordert ist, alles zu lassen und durch alles hindurchzugehen, ist eben in diesem Durch-alles-Durchgehen und nichts Bleiben-Können und nichts Bleiben-Sollen selbst wieder mit der Suchtstruktur eins. Dieses Verhältnis ist ein auch existenziell außerordentlich schwieriges. Das hängt damit zusammen, daß die Wirklichkeit, von der Schelling handelt, eine zweideutige ist; denn die rotatorische Bewegung der Suchtstruktur will sich von der wahren Struktur kaum unterscheiden lassen.

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DISKUSSION

Ziehe: Die Beziehung von Sucht und Suche lädt dazu ein, das Komplement des Findens zu befragen, welches eine mögliche Motivparallele zu den früheren Texten Schellings (etwa im System von 1800, wobei Finden hier immer, z.B. in der Empfindung, ein Finden von Fremdartigem ist) herstellt. Welche Relation sehen Sie zwischen Sucht und Finden? Damit hängt aber noch etwas anderes zusammen. Verfolgt man diese Beziehung, so kommt man zu einem passiven, aufnehmenden Vermögen, in das hinein etwas gefunden werden kann, was auch beim späteren Schelling tragende Bedeutung erhält. Durch den Bogen, den Sie von den früheren zu den späteren Texten schlugen, erhebt sich also die Frage, was strukturell noch alles mit der Suche verbunden ist, was dann auch zu einer Aufhebung der Sucht führen könnte. Jantzen: Das von Ihnen angesprochene Aufnehmen scheint mir in der Tat ein Finden sein zu können. Ich habe das Bild des pyrrhonischen Skeptikers vor Augen, der die Suche nach Wahrheit radikal aufgibt. Die Erlanger Vorlesungen zeigen, daß in der radikalen epoche, in der radikalen Aufgabe der Suche nach einzelnem Wissen, das Finden liegt. Um sich (wobei dieses „sich" schon so gar nicht mehr auszudrücken ist) finden zu können, muß man von sich selbst Abstand nehmen. Aber auch dieses Abstand-nehmen-Können kann nur zu schnell wiederum die Form des Rotatorischen annehmen, dieses Durch-allesDurchgehen und Nichts-sein. Das kann sowohl die Bewegung einer Sucht, die nicht zu sich kommt, als auch die Bewegung des Findens sein. Dazwischen zu unterscheiden ist wohl das Problem. Iber: Der Begriff der Personalität kommt in den Erlanger Vorlesungen meines Wissens gar nicht vor. Vielleicht liegt der Grund dafür in Schellings Konzept der Ekstasis, welches der Zernichtung der Persönlichkeit in den frühen Schriften ähnelt. Das bedeutet, daß man aus der endlichen Suchtstruktur nur herauskommt, wenn man sich in Lauterkeit aufhebt. Eine ganz andere Konzeption lag noch in den Weltaltern mit dem nichts wollenden Willen am Anfang vor, der auch reine Lauterkeit genannt wurde. Aus dieser Struktur folgte dann im Zusammenspiel mit dem Willen der Existenz das wahnsinnige Rad der Geburt, dessen Zustand nur durch die Selbstscheidung und die Konstitution von Personalität überwunden werden konnte. Wie würden Sie dieses auf unser Thema Personalität beziehen? Macht Schelling in den Erlanger Vorlesungen diesbezüglich einen Vorschlag? Jantzen: Die Personalität ist bei Schelling immer in einer außerordentlich fragilen Position. Sie ist zum einen von unten bedroht (von dem Dunkel der Nacht). Sobald sie sich aber dieser Bedrohung entzieht, ist sie es gewissermaßen von oben. Sie entgeht dem Dunklen und der Sucht nur, indem sie sich freiwillig dem allgemeinen Willen unterwirft. Dann ist sie aber in einem strengen Sinn auch nicht mehr Person. So gelingt es in den Erlanger Vorlesungen dem Philosophen, sich aus dem Rotatorischen zu befreien, indem er ekstatisch aus sich herausgeht. Das heißt aber zugleich, daß die Reflexion über sich nicht mehr gegeben ist, denn es ist eben die reflektierende Bewegung, die den Reflektierenden an sich festhalten läßt. Insofern geht die Person einen sehr gefährlichen Weg zwischen dem Unten und dem Oben. Um auf dem engen Grat zu sich zu kommen, bedarf es der

VORTRAG VON JÖRG JANTZEN

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freiwilligen Unterwerfung (Weltalter, 3. Fassung), d.i. der Aufgabe des Widerspruchs einerseits, der Ekstase andererseits. Jacobs: Was ist eigentlich mit Sucht gemeint? Wenn wir im normalen Sprachgebrauch von Sucht sprechen, dann meinen wir etwas, das durch ihr Objekt wenigstens zeitweilig gestillt wird. Dieses Modell passt hier nicht, weil die Erfüllung prinzipiell nicht in dem Milieu gefunden wird, in dem die Suche stattfindet. Es ist also keine Sucht gemeint, die durch ihr Objekt erfüllt werden könnte. Diese Sucht scheint mir nur dadurch erfüllt zu werden, daß ein völlig anderes Moment, das manchmal Logos genannt wird, ihr gegenüber auftritt. Warum wird dieses sinnlose Treiben trotzdem Sucht genannt? Vielleicht versucht Schelling durch den Begriff der Sucht zu zeigen, daß dasjenige, was er als den Grund von Person setzt, etwas ist, das sich von sich aus zwar nicht aus diesem Grund zu lösen vermag, welches aber dennoch nach einer Lösung verlangt. Deshalb scheint mir in dem Begriff der Sucht noch jenes Moment von Identität gewahrt zu sein, welches über der Differenz, die Schelling sonst zwischen der Natur- und der Vernunftseite eröffnet, festgehalten wird. Jantzen: Dem würde ich zustimmen. In der Sucht ist jenes Einheitsmoment festgehalten; denn in dem ursprünglichen Akt des Wollens ist die erste Existenz, das Zugleich von Freiheit und Sein. Auf der einen Seite birgt dieses Einheitsmoment die Gefahr vollkommener Verfehlung, auf der anderen Seite die Möglichkeit vollkommenen Gelingens: auf der einen Seite nämlich, wenn die Freiheit zum Sein strebt, was sie ja auch ist, wenn sie sein will; auf der anderen Seite, wenn sie das, was sie sein will, aber eigentlich gar nicht wollen kann, weil sie es schon ist, nämlich Freiheit. Diese abgrundtiefe Zweideutigkeit läßt sich nicht überspielen. Es ist zugleich die erste und letzte Existenz in allen möglichen Formen von Wirklichkeit, vermutlich auch nach dem Tode, welches in der Geisterwelt am Ende der Weltalter deutlich wird. Liest man die Weltalter nicht als das, was sie vorgeben zu sein: die Konstruktion der Idee Gottes bzw. des ewigen Lebens der Gottheit, dann gewinnt man den Eindruck, daß dort jemand über etwas spricht, was er sich in anderer Ausdrucksform nicht zu sagen traut oder zu sagen vermag. Da spricht jemand über sich selbst, über die Schwierigkeit, die Weltalter zu schreiben, die Problematik zu produzieren, zum Sein zu kommen. Die Weltalter sind doch in gewissem Sinne selbst ein Ausdruck von Sucht, und zwar einer mißlungenen Sucht. Sturma: Was bedeutet der Ausdruck „Grund" bei Schelling, da er offensichtlich weder den Ursprung noch ein Element in einem logischen Verhältnis darstellt? Jantzen: Wenn wir mit Schelling (und eigentlich schon mit Parmenides) von Existenz sprechen, dann grenzen wir Existenz oder Sein gegen etwas anderes ab. Aber insofern wir es gegen etwas anderes abgrenzen, müssen wir mit Schelling dieses Andere auf dasjenige, was wir Existenz nennen, zurückbeziehen. Das tut er, indem er dazu „Grund" sagt. Parmenides hatte das me on genannt und verboten, auch nur ein weiteres Wort darüber zu verlieren; denn von jenem, was nicht ist, kommt keine Kunde. Aber auch er befand sich in der Schwierigkeit, Sein oder Existenz gegen ein anderes abzugrenzen, worüber man nicht

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DISKUSSION

reden kann. Dieser Grundgedanke setzt sich bei Schelling (etwa in dem ersten Paragraphen der Darstellung von 1801) fort. Das von ihm späterhin eingeführte Verhältnis von Grund und Existierendem als eine auf sich verweisende Relation (d.h. wenn wir Existierendes denken, dann müssen wir zugleich einen Grund dazu denken; wenn wir einen Grund denken, müssen wir zugleich denken, wovon es Grund ist) rührt aus der ursprünglichen Thematisierung des Wollens von 1796/97 her. Denn mit dem Begriff des Wollens wird zweierlei, aufeinander Bezogenes gedacht: einerseits die Freiheit und andererseits das Sein dieser Freiheit. Buchheim: Ich meine, daß es eine relativ einfache Erklärung für die Bedeutung von Grund gibt, welche zum einen logisch, zum anderen als Ursprungsverhältnis interpretiert werden kann. Grund ist immer dasjenige, woher etwas kommt. Im logischen Zusammenhang kommt ein Satz aus den Prämissen. In der Natur kommt alles, was es gibt, aus etwas anderem, aus bestimmten Faktoren, die es in gewisser Weise gibt, sozusagen selber wieder existierende Gegenstände oder Sachverhalte. Ich billige Schelling zu, daß er ein auch heute noch zulässiges Konstrukt zwischen Kausalität und logischer Folgerungsbeziehung bildete. Zöller: Ich möchte an die vorangegangenen Äußerungen anknüpfen: Sie bringen das Problem ganz in die Nähe der alten Bedeutung von Grund als Ratio im Kontext des Prinzips vom zureichenden Grund. Aber mit der Negation im Rückgriff auf Parmenides ging es Jantzen darum, diese Art von minimaler Rationalität von jenem Verhältnis fernzuhalten: Wäre nicht der Gedanke vom unzureichenden Grund, also gerade die Negation des schlüssigen Rationalitätsprinzips, angebracht, um dieses diskrepante Verhältnis auszudrücken? Jantzen: Ihrer zweiten Variante würde ich eher zustimmen. Das Verhältnis von Grund und Existierendem geht auf ein Wollen zurück. Es gibt in dem Sinne keinen zureichenden Grund. Auch die philosophische Reflexion ist nach Schelling immer ein freier Akt, eine freie Nachahmung der ursprünglichen Tat. Wo es keinen zureichenden Grund zu denken gibt, da muß der zureichende Grund sich selbst erst in Wirklichkeit setzen, und das kann er zunächst nicht anders als in dieser minimalen Fassung, beides zugleich zu sein. Mit der ersten Existenz kann alles als in Bewegung gesetzt, in Wirklichkeit seiend gedacht werden. Hermanni: Die Beantwortung der Frage, ob Schellings Grund ein zureichender oder unzureichender Grund ist, hängt meines Erachtens davon ab, worauf die Frage bezogen wird. Schellings Grand ist offenkundig kein zureichender Grund dafür, daß es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts. Denn alles, was ist, wird nach Schelling eben durch zwei Prinzipien konstituiert, von denen der Grund nur eines ist. In anderer Hinsicht ist der Schellingsche Grund dagegen ein zureichender Grand. Er ist beispielsweise zureichend dafür, daß es innerhalb des Entwicklungsprozesses der Natur, der vom idealen Prinzip vorangetrieben wird, zu Haltepunkten kommt, ohne die alles im Nu verlaufen würde und ohne die es deshalb nicht zu einzelnen Naturwesen käme.

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In Leibniz' Satz vom zureichenden Grund ist mit dem Ausdruck „Grund" mindestens zweierlei gemeint. Je nach Anwendungsbereich des Satzes versteht Leibniz unter „Grund" eine Ursache oder die vernünftige Begründung für eine Aussage. Auch Schelling verwendet den Ausdruck „Grund" in beiden Bedeutungen. Er deutet seinen Grund zum einen als Materialursache, als causa ex qua. Zum anderen verwendet er den Ausdruck „Grund", beispielsweise in der Streitschrift gegen Jacobi (vgl. VIII, 57 ff.), im epistemischen Sinne. Da die Philosophie der immanenten Entwicklung der Sache folgen müsse, werde ihr der Grund der Sache zum Beweisgrund. Hülm: Ich würde die Bestimmung des Grundes nicht auf Überlegungen über den zureichenden Grund zurückführen, sondern viel Schelling-immanenter verstehen, nämlich als eine Instanz, die für das Individuationsprinzip, für Eigenheit einsteht. Aber es handelt sich hier nicht einfach um Eigenheit im Sinne der Selbsterhaltung, sondern um eine in das Geistige erhobene Eigenheit. Eigenheit für sich genommen, bei der ein Subjekt oder Geschöpf allen anderen die Gefolgschaft versagt, ist eine hypostasierte und zugleich pervertierte Eigenheit. Dieses hypostasierte Individuationsprinzip wird durch die Metaphern „Hunger der Selbstsucht" und „umgekehrter Gott" (VII, 390) zur Darstellung gebracht. Das ist nicht Gott, sondern - um den traditionellen Ausdruck zu verwenden - eine Form der Superbia, durch die der Mensch „sich an die Stelle, da Gott seyn sollte" (ebd.), setzt. Das ist die höchste Form der Eigenheit, in der die Subjektivität, also das Individuationsprinzip, nicht nur das andere verdrängen will, sondern alle Prädikate, welche die Tradition Gott zuschreibt, in einer grandiosen Selbstüberforderung für sich beansprucht. Hutter: Bei Schopenhauer gibt es ein Modell, das wir eher aus den Frühschriften Schellings kennen: Persönlichkeit in einem konkreten Sinne gehört eindeutig auf die Seite des Problems, auf der Seite der Lösung aber steht eine Entindividualisierung, ein Aufgehen in einem Allgemeinen. Das ist ein Modell mit einer langen Geschichte. In der Freiheitsschrift gibt es offensichtlich dort, wo Schelling mit dem Höchsten die Persönlichkeit verbindet, ein ganz anderes Modell, in dem der Begriff der Personalität nicht das Problem, sondern ganz im Gegenteil die Lösung bezeichnet. Wir entkommen genau dann der Sucht, wenn wir Person werden, so daß das Person-Sein und das Süchtig-Sein nicht auf einer Seite stehen, sondern einander entgegengesetzt sind. Das Problem ist, daß wir die verschiedenen Personalitätsmodelle noch nicht so präzise fassen können, daß wir einen Personbegriff als Gegenbegriff zur Suchtstruktur von einem anderen Personbegriff als eine Variation zum Gedanken der Sucht unterscheiden können. Könnten Sie erklären, wie Person als Gegenentwurf zur Suchtstruktur zu denken wäre? Jantzen: Man könnte mit Blick auf die bereits erwähnte Stelle in den Weltaltern (vgl. Vni, 321) versuchen, die Person als jenen Widerspruch zu denken, durch den nach Schelling alles Lebendige wie durch ein Feuer hindurchgehen muß, um dann endgültig zur Ekstase zu gelangen. Man könnte versuchen, die Widersprüchlichkeit, die offensichtlich Wirklichkeit und Erleben konstituiert, ihrerseits im Personenbegriff zu denken: Einerseits ist das, was wir Person nennen, immer der Gefährdung (durch sich selbst) ausge-

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DISKUSSION

setzt; wird diese Gefährdung aber ausgeschlossen, dann fällt es schwer, überhaupt noch von Person zu sprechen. Hutter: Aber das wäre doch genau die Perspektive: Man müßte ganz klar zwischen der Möglichkeit, d.h. der Suchtgefährdung, und der Wirklichkeit, d.h. dem faktischen Verfallen an die Sucht, unterscheiden. Da kündigen sich folgende Differenzierungsmöglichkeiten an: zum einen ist eine allgemeine Gefährdung für die positive Entfaltung von Person notwendig, zum anderen zeigt sich in der Suchtstruktur nicht nur die Gefährdung, sondern auch ihre Aktualisierung.

Protokoll: Anna-Lena Müller-Bergen

Zu den Autoren

BRAUN, HERMANN, geb. 1932, Professor em. der Philosophie an der Kirchlichen Hochschule Bethel. Wichtigste Veröffentlichungen: Realität und Reflexion - Studien zu Hegels Philosophie der Natur (1960). Natur und Geschichte, (hg. gemeinsam mit Manfred Riedel), Festschrift Karl Löwith, 1967. Mitarbeit am Historischen Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland: Geschichtliche Grundbegriffe. Arbeiten zur Philosophie des Deutschen Idealismus, zur Ethik und Rechtsphilosophie, zu hermeneutischen Fragen der Religionsphilosophie. BUCHHEIM, THOMAS, Prof. Dr. phil., geb. 1957, Professor der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mitherausgeber des Philosophischen Jahrbuchs der Görresgesellschaft. Mitglied der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Wichtigste Veröffentlichungen: Die Sophistik als Avantgarde normalen Lebens, Hamburg 1986; Eins von Allem. Die Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie, Hamburg 1992; Die Vorsokratiker. Ein philosophisches Porträt, München 1994; Aristoteles, Freiburg 1999; Herausgeber: Gorgias von Leontinoi: Reden, Fragmente, Testimonien, Griechisch-Deutsch, Hamburg 1989; Destruktion und Übersetzung. Zu den Aufgaben von Philosophiegeschichte nach Martin Heidegger, Weinheim 1989; F.W.J. Schelling: Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, Hamburg 1997; Potentiaütät und Possibilität. Modalaussagen in der Geschichte der Metaphysik, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001; Kann man heute noch etwas anfangen mit Aristoteles?, Hamburg 2003. (www.thomas-buchheim.de) DANZ, CHRISTIAN, Prof. Dr. theol., geb. 1962, seit 2002 Professor für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Wichtigste Veröffentlichungen: Die philosophische Christologie F.W.J. Schellings, StuttgartBad Cannstatt 1996; Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich, Berlin / New York 2000, sowie als Herausgeber: Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Religionstheorie Paul Tillichs, Münster 2004. Mitherausgeber: F.W.J. Schelling, Philosophie der Mythologie in drei Vorlesungsnachschriften (München 1837 und Berlin 1842), München 1996; Fichtes Entlassung. Der Atheismusstreit vor 200 Jahren, Würzburg 1999; System als Wirklichkeit. 200 Jahre Schellings „System des transzendentalen Idealismus", Würzburg 2001.

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HERMANNI, FRIEDRICH, PD Dr. phil., geb. 1958, Dozent für Systematische Theologie und Philosophie an der Kirchlichen Hochschule Bethel; Lehrstuhlvertretungen in München, Bielefeld und Neuendettelsau. Wichtigste Veröffentlichungen: Die letzte Entlastung. Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojektes in Schellings Philosophie, Wien 1994; Das Böse und die Theodizee. Eine philosophisch-theologische Grundlegung, Gütersloh 2002; Mitherausgeber von: Philosophische Orientierung, München 1995; Die Wirklichkeit des Bösen. Systematisch-theologische und philosophische Annäherungen, München 1998; Der leidende Gott. Eine philosophische und theologische Kritik, München 2001; Leibniz und die Gegenwart, München 2002; Der freie und der unfreie Wille. Philosophische und theologische Perspektiven, München 2004. HÜHN, LORE, geb. 1956, Professorin für Philosophie mit dem Schwerpunkt Deutscher Idealismus und Ethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Vorstandsmitglied der Schopenhauer-Gesellschaft (Frankfurt); Organisatorische Leiterin des Philosophischen Kamingesprächs der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft (Berlin). Wichtigste Veröffentlichungen: Fichte und Schelling oder: Über die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart / Weimar 1994; Der Übergang. Zu einem Strukturproblem der Philosophie Schopenhauers und Kierkegaards im Ausgang von der Philosophie des deutschen Idealismus, Tübingen 2004; Zahlreiche Aufsätze zur Philosophie des Deutschen Idealismus, zur Anthropologie, zur praktischen Philosophie und Ethik des 19. und 20. Jahrhunderts. HUTTER, AXEL, PD Dr. phil., geb. 1961, seit 1998 Wiss. Mitarbeiter am Hegel-Archiv in Bochum, seit 2003 Privatdozent für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum. Wichtigste Veröffentlichungen: Geschichtliche Vernunft. Die Weiterführung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, Frankfurt am Main 1996; Das Interesse der Vernunft. Kants ursprüngliche Einsicht und ihre Entfaltung in den transzendentalphilosophischen Hauptwerken, Hamburg 2003. IBER, CHRISTIAN, geb. 1957, lehrt als Privatdozent am Institut für Philosophie der FU Berlin. Gastprofessuren in Prag, Jena und Berlin. Wichtigste Veröffentlichungen: Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln von Hegels Wesenslogik (1990); Das Andere der Vernunft als ihr Prinzip. Grundzüge der philosophischen Entwicklung Schellings mit einem Ausblick auf die nachidealistischen Philosophiekonzeptionen Heideggers und Adornos (1994); Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus (1999); Mitherausgeber: Dialektischer Negativismus (1992); Selbstbesinnung der philosophischen Moderne. Beiträge zur kritischen Hermeneutik ihrer Grundbegriffe (1998); Hegels Seinslogik. Interpretationen und Perspektiven (2000); Der Sinn der Zeit (2002). JACOBS, WILHELM G., Prof. Dr. phil., geb. 1935, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, z. Zt. Gastprofessor an der Universität Wroclaw.

Z u DEN AUTOREN

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Wichtigste Veröffentlichungen: Trieb als sittliches Phänomen. Eine Untersuchung zur Grundlegung der Philosophie nach Kant und Fichte, Bonn 1967; zusammen mit Hans Michael Baumgartner: J.G. Fichte-Bibliographie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1968; Johann Gottlieb Fichte in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1984. 3. Aufl. 1998 (Übersetzung ins Chinesische 1987); Zwischen Revolution und Orthodoxie? Schelling und seine Freunde im Stift und an der Universität Tübingen. Texte und Untersuchungen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989; Gottesbegriff und Geschichtsphilosophie in der Sicht Schellings, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993. JANTZEN, JÖRG, Prof. Dr. phil, geb. 1942, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Geschäftsführender Herausgeber der Historisch-kritischen Ausgabe der Werke Schellings bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Wichtigste Veröffentlichungen: 1972 Promotion mit einer Dissertation über Parmenides. Zum Verhältnis von Denken und Sprache (1985). Habilitation mit einer Schrift über Idee und Eigenschaft. Untersuchungen zum platonischen Begriff des Wirklichen. Zahlreiche Veröffentlichungen zur antiken und idealistischen Philosophie und zur Wissenschaftsgeschichte Zuletzt: „Außer der Vernunft ist nichts, und in ihr ist alles." Ein philosophischer Essay, Weilrod 2002. OESTERREICH, PETER L., Prof. Dr. phil., geb. 1954, seit 1995 Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie an der Augustana-Hochschule zu Neuendettelsau. Wichtigste Veröffentlichungen: Philosophie, Mythos und Lebenswelt. Schellings universal-historischer „Weltalter"-Idealismus und die Idee eines neuen Mythos (1984); Fundamentalrhetorik. Untersuchungen zu Person und Rede in der Öffentlichkeit (1990); Philosophen als politische Lehrer. Beispiele öffentlichen Vernunftgebrauchs (1994); Das gelehrte Absolute. Metaphysik und Rhetorik bei Kant, Fichte und Schelling (1997); Rhetorik und Philosophie (Hg.) (1999); Rhetorica movet. Studies in Historical and Modern Rhetoric. In Honour of Heinrich F. Plett (Mhg.) (1999); Schellings philosophische Anthropologie (Mhg.) (2002); Philosophie der Rhetorik (2003). SANDKAULEN, BIRGIT, Prof. Dr. phil., geb. 1959, seit 2000 Professorin für Philosophie mit Schwerpunkt auf dem Gebiet des deutschen Idealismus an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Wichtigste Veröffentlichungen: Ausgang vom Unbedingten. Über den Anfang in der Philosophie Schellings, Göttingen 1990; Macht und Meinung. Die rhetorische Konstitution der politischen Welt (zus. m. P. Ptassek, J. Wagner u. G. Zenkert), Göttingen 1992; Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis, München 2000; Herausgeberin zus. m. W. Jaeschke: Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit. Friedrich Heinrich Jacobi und die klassische deutsche Philosophie, Hamburg [im Druck], STURMA, DIETER, Prof. Dr. phil., geb. 1953, seit 1997 ordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Duisburg-Essen und Direktor am Institut für Wissenschaft und Ethik in Bonn.

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Wichtigste Veröffentlichungen: Kant über Selbstbewußtsein. Zum Zusammenhang von Erkenntniskritik und Theorie des Selbstbewußtseins, Hildesheim u. a. 1985; Philosophie der Person. Die Selbstverhältnisse von Subjektivität und Moralität, Paderborn 1997; Jean-Jacques Rousseau, München 2001; Robotik. Perspektiven für menschliches Handeln in der zukünftigen Gesellschaft, Berlin 2001 (Koautor). Herausgeber: Person. Philosophiegeschichte - Theoretische Philosophie - Praktische Philosophie, Paderborn 2001, Mitherausgeber: The Modern Subject. Conceptions of the Self in Classical German Philosophy, Albany, New York 1995; Kants Ethik. Beiträge aus der angloamerikanischen und kontinentaleuropäischen Philosophie, Paderborn 2004. VAN ZANTWUK, TEMILO, Dr. phil., geb. 1966, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800" an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Wichtigste Veröffentlichungen: Panpersonalismus. Schellings transzendentale Hermeneutik der menschlichen Freiheit. Stuttgart-Bad Cannstatt 2000; Mitautor von: Anthropologie und empirische Psychologie um 1800. Ansätze einer Entwicklung zur Wissenschaft. Köln / Weimar 2001. ZLCHE, PAUL, PD Dr., geb. 1967, Mitarbeiter der Kommission zur Edition der Schriften Schellings an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Privatdozent am Philosophie-Department der Ludwig-Maximilians-Universität München. Wichtigste Veröffentlichungen zur Philosophie und Wissenschaft um 1800: Mathematische und naturwissenschaftliche Modelle in der Philosophie Schellings und Hegels, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996; (mit Georg Eckardt, Matthias John und Temilo van Zantwijk): Anthropologie und empirische Psychologie um 1800. Ansätze einer Entwicklung zur Wissenschaft, Köln/ Weimar/Wien 2001, sowie als Herausgeber: Band 1,7 (mit W.G. Jacobs) und 1,9 (mit Harald Korten) der Historisch-kritischen Schelling-Ausgabe; (mit G. Müller und K. Ries) Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800, Stuttgart 2001; (mit O. Breidbach) Naturwissenschaften um 1800. Wissenschaftskultur in Jena-Weimar/Weimar 2001.

Personenregister

Adolphi,R.,49 Aischylos, 225 Angehrn, E., 156 Arendt, H „ 143 Aristoteles, 1 8 , 1 3 3 , 1 4 4 , 146,149,207,276,278 Augustinus, Α., 177, 250, 255 Baader, F. X. von, 122 Bayle, P., 130 Boethius, A . M . S . , 25, 38-39,121,172-73, 249 Böhme, J., 4 2 , 1 2 1 - 2 2 , 2 2 8 Brandom, R. В., 55 Braun, H „ 146,289 Breuninger, R „ 227 Brockard, H., 92 Buber, M., 136 Buchheim, Т., 8 , 1 3 , 5 2 , 56,82,91,127,132, 137-38,183-84,186, 204,227,242,244-47, 249,252-53,259-60, 270-73,278,286,289 Caesar, 96 Clean thes, 175 Comenius, J. Α., 146 Creuzer, F., 225 Dante Alighieri, 229 D a n z , C h „ 154, 180-81, 187,189,193,228,248, 256,266,270-75,289 Daub, С., 230 Demea, 175 Descartes, R., 7 - 8 , 4 3 , 6 5 , 139-44,146-47,149, 224 Duns Scotus, 173

Ehrhardt, W. E., 149, 179, 187-88 Elia, 14 Erhard, J. В., 1 9 9 , 2 1 3 , 2 7 8 Eschenmayer, С. Α., 21, 169,175-76,202,211, 265 Feuerbach, L., 1 4 2 - 4 4 , 1 5 0 Fichte, I. Η., 180 Fichte, J . G . , 1 5 , 1 9 , 2 3 , 36,56-59,62,65-67, 69-70,76,94,106-07, 111-12,114,122, 130-31,133,146, 155-57,160,165,168, 170-71,174,179-80, 189,201,209,212,224, 245,253,266 Figal.G., 156 Florig, О., 247, 256 Frank, M „ 5 6 , 2 4 9 Franz, Α., 228 Freud, S „ 156 Goethe, J . W . von, 8 2 , 1 3 7 , 140,146,150,218,235 Graf, F. W., 180 Guardini, R., 136 Hegel, G. W . F . , 8 , 11, 16, 35,52-53,56,66-67, 69,73,119-20,134-35, 138-40,142,170-71, 179-81, 1 9 0 , 2 0 1 , 2 2 2 , 2 5 0 , 2 5 5 - 5 6 , 274 Heidegger, M „ 4 4 , 5 6 , 1 2 1 , 250 Henkel, Α., 140 Hennigfeld, J . , 9 1 , 1 0 4 , 151,155,188,228 Henrich, D., 141 Heraklit, 11

Herder, J . G . von, 140^11, 145-46,150,258 Hermanni, F., 8 , 1 7 , 1 3 2 , 154,157,162,227,249, 252,263-69,286,290 Herrmann, W., 180 Heusser, P., 145 Heydenreich, К. H., 106-07 Hoffbauer, J . C . , 106 Höffe, O., 91 Hogrebe,W.,56,184 Hufeland, G „ 105-06, 111-12 Hühn.L., 157,216,245, 253,261,267,283,287, 290 Hume, D., 175-76 Hutter, Α., 9 6 , 1 8 6 , 2 0 0 , 246-47,250,252-56, 266,271,273,279,281, 283,287-88,290 Iber, C h „ 1 3 5 , 2 4 2 , 2 5 4 , 264,270,274,284,290 Jacobi, F. H., 8 , 1 2 , 1 4 , 2 0 , 36,38-40,46-47, 4 9 - 5 3 , 1 0 4 , 115-16, 125-26,138-41,143, 145,150,156,165, 168-69,171-72, 174-77,180-81,187, 257-58,263,265,267, 287 Jacobs, W . G . , 105,182, 193,227,245-46,249, 258,261,268,274,285, 290 Jaeschke, W., 3 6 , 4 0 , 1 7 1 , 176,180 Jantzen, J., 1 4 4 , 2 0 2 , 2 2 7 , 270,281,283-87,291

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Jesus Christus, 14,28-29, 33,96,193-95,230-33, 256,270 Johannes (Evangelist), 194 Johannes der Täufer, 14 Kant, I., 8, 38,53,55-60, 63-64,66-67,70,84, 91-93,95-96,103, 105-06,112,115-16, 119,125,130-34,138, 142-43, 146-48, 150, 174,182,193,201,203, 206,212,219,224,245, 249-50,257,260,268, 270 Kempski, J., 147 Kible, В., 25 Kierkegaard, S„ 80, 151-56,159-61 Klopstock, F. G., 229 Kodalle, K.-M., 179 Korsch, D„ 190 Krings, H„ 92, 224 Leibniz, G. W„ 126,130, 168,224,278,287 Leinkauf, Т., 188 Lessing, G. E„ 28,140, 171,223 Locke, J„ 7-8,55-56, 249 Löwith, K„ 142-43 Luther, M„ 153 Maimon, S., 106-07,111 Mann, Т., 235 Marx, К., 143 Maser, Α., 275,282 Maximilian II., König von Bayern, 8,149,179-80, 274 Mayr, E„ 147 McDowell, J„ 55 Meincke, A. S., 251,269 Mendelsohn, Μ., 140 Milton, J., 229 Mohr, G„ 199 Moiso, F., 210 Moses, 186 Müller-Bergen, A.-L., 262, 288

PERSONENREGISTER

Napoleon Bonaparte, 102 Niethammer, F. I., 18-19, 106 Nietzsche, F., 143 Oesterreich, P. L., 144, 157,202,227,268,281, 291 Oetinger, F. Ch., 121-22 Ohashi, R.,42 Ohst,M„ 179 Olesen.T. Α., 152 Paracelsus, P. A. Th., 146 Parfit, D„ 7 Parmenides, 285-86 Paulus, 95,133,230 Peetz, S., 104 Petrus, 14 Philo, 175-76 Pieper, Α., 91,158 Piaton, 93,122,142,149, 216,221-22,234,278, 281 Plessner, Η., 150 Reimarus, Η. S., 147 Reinhold, С. L., 56-57, 131,201 Rosenzweig, F., 271-272 Rothe, R„ 195 Rousseau, J.-J., 107, 258-61 Rumohr, K. F. von, 102 Sandkaulen, В., 38,139, 254,257-58,263, 291 Sartre, J.-P., 222 Scheier, C. Α., 96 Scheler, Μ., 136 Schelling, К. F. Α., 182 Scheitel, Ε., 21 Schlegel, F., 179,232-33 Schleiermacher, F., 93, 171,177,179-80, 211 Schmid, C. Ch. E., 106, 111-12

Schopenhauer, Α., 8,48, 157,287

Schulz, W„ 56 Schweizer, H.R., 145 Sellars, W., 55,248,250 Shibuya, R., 18 Sieyes, E. J., 114 Spalla, G., 102 Spinoza, В. de, 36-37, 40-48,51-52,61,76, 102,115-16,121-22, 130,133,137-41,143, 165,181,224,253, 256-58 Spitzley,T„ 133 St. Viktor, R. von, 25, 39, 121,173,249,263-64 Staudenmeier, Α., 180 Stein, K. vom und zum, 101,103 Stolzenberg^., 131 Sturma, D., 51,55,59,61, 64,66,212,236,244, 248-50,255,258,264, 285,291 Swedenborg, E., 228 Taylor, Ch., 249 Theunissen, M., 56,129, 136,159,162 Thomas von Aquin, 173 Tieftrunk, J. H., 111-12, 261 Tillich, P., 154,158, 182 Track,J„ 233 Trawny, P., 189 Troxler, J. P. V., 145 Tugendhat, E., 59,140, 150 Wagner, F., 170-71,179 Weiße, Ch.H., 180 Wieland, W„ 253-54 Wittekind, F., 179 Zantwijk, T. van, 13,182, 202,227,255,257-61, 270,276,292 Ziehe, P., 243,265,276, 278,280-82,284,292 Zizek, S., 221 Zöller, G., 286