Der Folkwang Verlag - Auf dem Weg zu einem imaginären Museum [Reprint 2016 ed.] 9783110937770, 9783598249013

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Der Folkwang Verlag - Auf dem Weg zu einem imaginären Museum [Reprint 2016 ed.]
 9783110937770, 9783598249013

Table of contents :
Inhalt
Vorwort und Dank
Einleitung
1. Voraussetzungen und Vorgeschichte: Das Folkwang-Netzwerk
2. Frühgeschichte
3. Der Folkwang-Verlag. Von der Gründung bis zu Osthaus’ Todesjahr – Konturen des Verlags-programms (1919–1921)
4. Der Folkwang-Verlag nach dem Tod von Karl Ernst Osthaus (1921–1923)
5. Von der Photographien– und Diapositivzentrale des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe< zum Karl Ernst Osthaus-Bildarchiv (1910–1933)
6. Der Auriga-Verlag (1923–1925)
7. Heimatlos (1926–1927)
8. Der Folkwang-Auriga Verlag (1928–1935)
9. Das Ende der verlegerischen Unternehmungen und die Emigration Ernst Fuhrmanns
10. Versuch einer kulturgeschichtlichen Einordnung: Der Folkwang-Verlag als Fortführung des Museums mit anderen Mitteln
Verzeichnis der benutzten und zitierten Literatur
Der Folkwang-Verlag und seine Nachfolger – ein Werkverzeichnis sämtlicher erschienener Publikationen
Anhang
Register

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Rainer Stamm: Der Folkwang-Verlag - Auf dem Weg zu einem imaginären Museum

ARCHIV FÜR GESCHICHTE DES BUCHWESENS Studien Band 2 Herausgegeben von der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V.

Buchhändler-Vereinigung G m b H Frankfurt am Main

Rainer Stamm

Der Folkwang-Verlag - Auf dem Weg zu einem imaginären Museum

1999 Buchhändler-Vereinigung G m b H Frankfurt am Main

HERAUSGEBER Ordentliche Mitglieder der Historischen Kommission: Prof. Dres. h.c. Klaus G. Säur, München, Vorsitzender; Prof. Dr. Reinhard Wittmann, Oberachau, Stellv. Vorsitzender; Prof. Dr. Hans Altenhein, Bickenbach; Prof. Dr. Stephan Füssel, Mainz; Wilhelm Hohmann, Stuttgart; Prof. Dr. Georgjäger, München; Dr. h.c. Gerhard Kurtze, Hamburg; Dr. Wulf D. von Lucius, Stuttgart; Prof. Dr. Peter Vodosek, Stuttgart. Korrespondierende Mitglieder der Historischen Kommission: Prof. Frederic Barbier, Paris; Dr. Hans-Erich Bödeker, Göttingen; Günther Christiansen, Hamburg; Dr. Volker Dahm, München; Prof. Dr. Bernhard Fabian, Münster; Prof. Dr. Ernst Fischer, Mainz; Prof. Dr. John Flood, London; Prof. Dr. Herbert G. Göpfert, Stockdorf; Prof. Dr. Hans-Joachim Koppitz, Mainz; Prof. Dr. Dieter Langewiesche, Tübingen; Dr. Mark Lehmstedt, Berlin; Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard, Frankfurt am Main; Prof. Dr. Alberto Martino, Wien; Prof. Dr. Ulrich Ott, Marbach/N.; David L. Paisey, London; Prof. Dr. Günther Pflug, Frankfurt am Main; Lothar Poethe, Leipzig; Dr. Karl H. Pressler, M ü n chen; Prof. Dr. Dres. h.c. Paul Raabe, Wolfenbüttel; Prof. Dr. Helmut Rötzsch, Leipzig; Prof. Dr. Walter Rüegg, Veytaux-Chillon; Heinz Sarkowski, Dossenheim; Herta Schwarz, Frankfurt am Main; Gerd Schulz, Neu-Isenburg; Prof. Dr. Wolfram Siemann, München; Friedrich Wittig, Staufen; Prof. Dr. Dres. h.c. Bernhard Zeller, Marbach/N. Redaktion: Dr. Monika Estermann, Prof. Dr. Reinhard Wittmann

Die Deutsche Bibliothek - ClP-Einheitsaufnahme Stamm, Rainer: Der Folkwang-Verlag - Auf dem Weg zu einem imaginären Museum / Rainer Stamm. - Frankfurt am Main : Buchhändler·Vereinigung, 1999 (Archiv fur Geschichte des Buchwesens : Studien ; Band 2) ISBN 3-7657-2188-3

ISBN 3-7657-2188-3 © 1999 Buchhändler-Vereinigung G m b H Frankfurt am Main Satz und Druck: Herbert Back, Frankfurt am Main Umschlaggestaltung: Ulrich Schmidt Printed in Germany

Inhalt Vorwort und Dank

3

Einleitung

5

1

Voraussetzungen und Vorgeschichte: Das Folkwang-Netzwerk

13

1.1

Das Folkwang-Netzwerk. Z u r Genese einer Idee

13

1.2

Das Folkwang-Museum

15

1.3

Kein Museum, »das dasteht und wartet«

17

1.4

Reformkultur - die >Brücke zum Menschern

19

2

Frühgeschichte

22

2.1

.Folkwangs Verlag< (1904)

22

2.2

Die Gründung des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe (1909)

24

Verlegerische Kooperationsversuche mit Eugen Diederichs und Reinhard Piper (1910-1912)

25

2.3 2.4

Die Monographien deutscher Reklamekünstler (1911-1914)

28

2.5

Die »Hagener Verlagsanstalt< (1918)

30

3

Der Folkwang-Verlag. Von der Gründung bis zu Osthaus' Todesjahr - Konturen des Verlagsprogramms (1919-1921)

33

3.1

Die Schriften von Osthaus

35

3.2

Das >Taut-Werk
Geist, Kunst und Leben Asiens
FolkwangKulturen der Erde
Vermittlung< ist zu einem zentralen Begriff geworden, der als Sammelbegriff verschiedene Spielarten bewußt wahrgenommener Gelenkstellenfunktionen zwischen Produzenten und Rezipienten der Kunst zusammenbindet; er umfaßt die Tätigkeit von Galeristen, Kuratoren, Mäzenen, Sammlern und Publizisten. Die Sammlungs- und Vermittlungsgeschichte ist damit längst zu einem festen Bestandteil der Kunstgeschichtsschreibung geworden; in Publikationen und Ausstellungen werden die Knotenpunkte zwischen >Avantgarde und Publikum< ausgeleuchtet, und vielleicht stößt dieser Ansatz gerade heute auf so großes Interesse, weil er es ermöglicht, Kunstgeschichte als Kulturgeschichte zu betreiben: künstlerische Positionen und Phänomene werden nicht mehr nur als isolierte Äußerungen herausragender Einzelpersönlichkeiten wahrgenommen, sondern als kulturelle Beiträge, die kaum ohne die sie rezipierende Öffentlichkeit denkbar sind. Sammler und Mäzene, Museen und Galerien, Publizisten und Verleger bilden für das Verhältnis zwischen Künstler und Rezipient die entscheidenden Scharniere des Kunstbetriebs. »Die U n t e r s u c h u n g der Bedingungen, unter denen Kunst von einem Publikum w a h r g e n o m men wird, hat sich mittlerweile einen eigenen Platz in der Forschung erobert. Diese neue Sichtweisc richtet sich auf die Institutionen der Kunstvermittlung, sei es die Kirche oder das fürstliche Schloß, die bürgerliche Privatsammlung oder die kommerzielle Galerie, die Kunstausstellung oder die Kunstzeitschrift. Sie erstreckt sich auf die Träger u n d Akteure dieser Institutionen ebenso wie auf das Publikum, das diese Vermittlungsangebote jeweils genutzt hat.« 3

Gerade in jüngster Zeit wurden bedeutende Vermittlerpersönlichkeiten der Moderne umfangreich gewürdigt. Verwiesen sei zum Beispiel auf die monographischen Aus-

1 Vgl. Wick/Wick-Kmoch 1979; hier besonders das Kapitel »Kunstvermittlung« mit den Aufsätzen von Hans Pctcr T h u m (Zur Soziologie der Kunstmuseen und des Kunsthandels) und Gerhard Grohs (Wandlungen der sozialen Rolle des Kunstkritikers). 2 Kcmp 1985, S. 21. 3 Joachimidcs 1995, S. 9.

5

Einleitung Stellungen, die das Vermittlungswerk der Galeristen Alfred Flechtheim (Düsseldorf 1987), Herwarth Waiden (Berlin 1991) u n d D a n i e l - H e n r y Kahnweiler (Düsseldorf 1994/95), der Sammler Rosy und Ludwig Fischer (Frankfurt 1990), Iwan Morosow und Sergej Schtschukin (Essen 1993) und Albert Bames (Washington; Paris; Tokio; M ü n c h e n 1994/95) oder der engagierten Museumskuratoren Walter C o h e n (Düsseldorf 1993) u n d H u g o von Tschudi (Berlin; M ü n c h e n 1996/97) würdigten. N e u e r e Sammelwerke zur Rezeptions- und Vermittlungsgeschichte wie Avantgarde und Publikum. Zur Rezeption avantgardistischer Kunst in Deutschland 1905-19334 und Sammler, Stifier und Museen. Kunstforderung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert5 versuchen darüber hinaus Uberblicke über das T h e m a zu geben. Arbeiten über den Gustav Kiepenheuer Verlag 1917-1932 6 oder die f ü r die Rezeption der modernen Kunst in Deutschland wegweisende Zeitschrift Das Kunstblatt7 w i d m e n sich dem publizistischen Zweig der Kunst- und Kulturvermittlung. Als einer der wichtigsten Sammler, Mäzene und Vermittler der M o d e r n e in Deutschland gilt Karl Ernst Osthaus (1874-1921), der 1902 in Hagen das private FolkwangM u s e u m eröffnete und es zum Z e n t r u m eines einzigartigen kulturpolitischen N e t z werkes machte. 8 Seine herausragende Bedeutung fur die Kunstgeschichte ist gesichert, und viele Bereiche seines weitreichenden kulturpolitischen Engagements w u r den bereits umfassend gewürdigt. 9 Von herausragender Bedeutung war Osthaus insbesondere als Mäzen und M u s e umsreformer. 1 0 Schon 1922 bemerkte der Kunsthistoriker u n d Direktor des Düsseldorfer K u n s t m u s e u m s Karl Koetschau in seinem in der Zeitschrift Museumskunde erschienenen N a c h r u f auf Osthaus, daß sich an den N a m e n des Hagener M u s e u m s gründers dereinst »der Mythos vom bürgerlichen Mäzen knüpfen« werde. 1 1 Walter Grasskamp stellte in seiner Studie zur Sozialgeschichte des K u n s t m u s e u m s z u d e m deutlich heraus, daß es Osthaus in seinen mäzenatischen B e m ü h u n g e n nicht d a r u m ging, allein ein Denkmal seines Reichtums zu errichten, sondern - im Kontext der Kunsterziehungsbewegung - kulturpolitische Prozesse zu initiieren:

4 5 6 7 8

6

Junge 1992. Mai/Paret 1993. Thema Stil Gestalt 1984. Windhöfel 1995; vgl. auch: Hartmann 1967; Paas 1976. Der Begriff »Netzwerk« wird hier nicht im Sinne einer soziologischen Beschreibungskategorie verwandt, sondern im metaphorischen Wortsinn verstanden als Geflecht breitgefächerter Aktivitäten, die untereinander verbunden sind; wenn sich aus heutiger Sicht bei dem gewählten Begriff Assoziationen an das >world wide web< des Internet und die damit implizierte Vision von Reproduzierbarkeit und Enträumlichung aufdrängen, so liegt dieser Gedanke den musealen Utopien eines Osthaus oder van de Velde nicht fern, erträumte sich letzterer - im Einklang mit diesem - doch bereits 1913 die Schaffung eines »imaginären Museums der reinen Form«, das in der Lage sein sollte, »mit der ganzen Welt, die räumlich nicht in der Lage ist, das Museum zu besuchen, Fühlung zu schaffen«; vgl. van de Velde 1929; s. auch Kap. 10. 9 Vgl. Karl Emst Osthaus 1971; Grasskamp 1981;Westdeutscher Impuls 1984; Lahme-Schlenger 1992. 10 Vgl. Hünekc 1985; Köster 1985; Luckow 1987; Renda 1993. 11 Koetschau 1922, S. 53.

Einleitung »An Osthaus läßt sich demonstrieren, was einen reichen Industriellen, der sein Geld fur die Kunst ausgibt, erst zum Mäzen macht: die Bereitschaft, sein Geld nicht für Produkte sondern auch und vor allem für Projekte auszugeben.« 12

Z u den weitreichenden Projekten des Hagener Mentors, die von Museumsgründungen bis zur Kleidungsreform, von der Förderung des zeitgenössischen Tanzes bis zur Gründung einer Reformschule reichten, gehörte auch der 1919 gegründete Folkwang-Verlag, der - gestützt auf ein einzigartiges Bildarchiv - über den frühen T o d des Initiators 1921 hinaus (ebenso wie etwa der Gustav Kiepenheuer Verlag) während der gesamten Zeit der Weimarer Republik als publizistische Vermittlungsinstanz tätig war. Dennoch taucht der Verlag in den bisherigen Arbeiten zu Karl Ernst Osthaus und seiner Folkwang-Idee so gut wie gar nicht auf, und, falls er doch Erwähnung findet, bleibt dessen Erscheinung als Institution häufig nebulös, wenn nicht gar fehlerhaft. Im Zusammenhang anderer T h e m e n findet der Verlag bisweilen ansatzweise interessierte Erwähnung, war bislangjedoch nie Gegenstand zentralen Interesses; so etwa in der Literatur über den Schriftsteller und Philosophen Ernst Fuhrmann, der von 1919 bis 1935 das Verlagsunternehmen leitete, oder in Karla Bilangs Arbeit über den Einfluß der sogenannten >primitiven Kunst« auf die Kunst und Künstler der Moderne. Aus dieser Studie wird deutlich, daß der Folkwang-Verlag eine bedeutende Vermittlungs- und Verbreitungsinstanz von Abbildungen exotischer Kunst war. 13 Mehr und mehr kristallisiert sich auch die herausragende Bedeutung des Verlages für die Geschichte der modernen Fotografie heraus: durch die fotografischen Arbeiten im Geiste Ernst Fuhrmanns und die Mitarbeit Albert Renger-Patzschs am Aufbau des verlagseigenen Bildarchivs bildete der Folkwang-Verlag eine Wiege der Fotografie der N e u e n Sachlichkeit. Vintage prints aus dem Folkwang-Verlag bzw. AurigaVerlag haben in den letzten Jahren Eingang in die fotografischen Sammlungen von Museen in Essen, Hamburg, Bonn, Zürich und Berlin gefunden. Vor dem Hintergrund dieser disparaten Einzelaspekte galt es daher, die Spuren des Folkwang-Verlages zu sichern und zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Die vorliegende Arbeit stellt somit den ersten umfassenden Versuch dar, die Entwicklungsgeschichte des Folkwang-Verlages nachzuzeichnen und die heterogenen Aspekte seiner Bedeutung in einen chronologischen und inhaltlichen Z u s a m m e n hang zu bringen. Im Rahmen einer Institutionengeschichte war es freilich unerläßlich, sich auf Schwerpunkte zu konzentrieren. So konnte etwa nicht dezidiert auf sämtliche Bände, die in dem beschriebenen Verlag erschienen sind, eingegangen und ihre fachwissenschaftliche Bedeutung bzw. Qualität diskutiert werden, zumal das inhaltliche Spektrum der Veröffentlichungen Dichtung und Ethnologie, Kunstgeschichte und Reisebeschreibung, sprachwissenschaftliche Werke und esoterische Texte umfaßt. Die

12 Grasskamp 1981, S. 103. 13 Bilang 1989, S. 63.

7

Einleitung Gesamtheit der Buchproduktion wird jedoch im Anhang dieser Arbeit in der als Werkverzeichnis angelegten Bibliographie ausfuhrlich dokumentiert. Bei der Auswahl thematischer Schwerpunkte hatten kunsthistorische Gesichtspunkte den Vorrang. Der Beleuchtung bislang unbekannterer Aspekte wurde dabei ein höherer Stellenwert beigemessen, als der Wiederholung bereits in der fachwissenschaftlichen Literatur hinlänglich beschriebener Zusammenhänge. 14 Als Motto der vorliegenden Arbeit mag gelten, was der Kulturhistoriker Gangolf Hübinger in einem einleitenden Essay seiner Geschichte des Eugen Diederichs Verlages vorangestellt hat: die Lesart einer »Verlagsgeschichte als Kulturgeschichte«. 13 Was dem Diederichs Verlag als kulturreformerischer Wurzelgrund »Kunstwart« und »Dürerbund« waren, war dem Folkwang-Verlag die aus dem Geist der Kunsterziehungsbewegung erwachsene Sammlung von Karl Ernst Osthaus; wo der Eugen Diederichs Verlag gegen Ende der Weimarer Republik eine kulturpolitische Verzweigung im nationalistischen Tjf-Kreis fand, 16 bildete der Kreis um Franz Jungs anarcho-sozialistische Zeitschrift Gegner 1931/32 ein letztes publizistisches Bezugsfeld für Ernst Fuhrmann, den spiritus rector der Folkwang-Verlagsunternehmungen. Obwohl dieser Arbeit ein monographischer Ansatz zugrunde liegt, geht es mir darum, den Folkwang-Verlag nicht als singulare Erscheinung zu behandeln und zu dokumentieren; statt dessen war es mein Anliegen, die Aktivitäten und Publikationen des Verlages im Kontext ihrer Zeit darzustellen und Einzelaspekte der Verlagsgeschichte mit parallelen und verwandten Phänomenen in Verbindung zu setzen, so daß sich die dargelegten Einzelthemen - im Idealfall - in das Panorama einer Kulturund Vermittlungsgeschichte der Weimarer Republik einzufügen vermögen. Das gewählte Untersuchungsfeld mag hinsichtlich dieses hohen Anspruchs zunächst etwas abgelegen erscheinen, und doch meine ich, daß gerade die Nachzeichnung kulturgeschichtlicher Nebenwege ein Mittel der Erkenntnis für größere Zusammenhänge bilden kann; ich teile darin den Standort Carlo Ginzburgs, der die >MorelliMethode«, Nebenthemen als Charakteristikum zu beschreiben - oder wie Sigmund Freud es formulierte, »aus geringgeschätzten oder nicht beachteten Zügen, aus dem Abhub - dem >refuse< - der Beobachtung, Geheimes und Verborgenes zu erraten«, 17 fur seine Methode kunst- und kulturhistorischer >Spurensicherung< fruchtbar gemacht hat: »Die Entwicklung einer Methode der Interpretation, die sich auf Wertloses stützt, auf Nebensächlichkeiten, die jedoch für aufschlußreich gehalten werden.« 18 Für Ginzburg sind hippokratische Medizin und Historiographie gleicherma-

8

14 Dies mag etwa für Bruno Taut und seine Werke im Folkwang-Vcrlag gelten, da über dieses T h e m a bereits eine Monographie vorliegt; vgl. Schulte 1994. 15 Vgl. den gleichlaufenden Essay von Gangolf Hübinger, in: Hübinger 1996, S. 9-23. 16 Vgl. Hanke/Hübinger, Von der >TatTatGeschichte< der einzelnen Krankheiten präzis herauszuarbeiten, w e n n m a n alle S y m p t o m e a u f m e r k s a m beobachtet u n d mit größter Genauigkeit registriert: die Krankheit an sich sei unerreichbar.« 1 9

Die Strategie des Historikers ist - vergleichbar der des Mediziners - somit zutiefst individualisierend. U n d doch öffnet das ausgebreitete Indizienwissen, jene »kleinen Erkenntnisse«, die schon Winckelmann zu einem umfassenderen Verständnis der Antike führten, 2 0 den Blick für größere Zusammenhänge. Die Anwendung indizienorientierter Rationalität wird zu einem semiotischen Verfahren, das die Welt aus den Zeichen lesbar werden läßt. »Die Darstellung w e h e n d e r G e w ä n d e r bei d e n florentinischen Malern des 15. J a h r h u n d e r t s , die N e o l o g i s m e n von Rabelais u n d die H e i l u n g der Skrofulosekranken im Auftrag der Könige von Frankreich u n d England sind n u r einige Beispiele d a f ü r , daß m i n i m a l e Indizien i m m e r wieder dazu benutzt w u r d e n , allgemeine P h ä n o m e n e zu e n t h ü l l e n : die W e l t a n s c h a u u n g einer sozialen Klasse, eines Schriftstellers oder einer ganzen Gesellschaft.« 2 1

Carlo Ginzburg geht es bei seiner historischen Spurensicherung daher ganz ähnlich wie Siegfried Kracauer, der bereits 1927 in seinem Essay über Das Ornament der Masse erkannte, daß sich »der Grundgehalt einer Epoche und ihre unbeachteten Regungen« 22 wechselseitig erhellen. Ziel eines minutiösen und unablässigen Parallelisierens der facta< (Jacob Burckhardt) ist den Spurensicherern damals wie heute somit die »Rekonstruktion des verwickelten Netzes mikroskopischer Beziehungen«. 23 In seinen epochemachenden Erkundungen über Piero brachte Ginzburg die Tragfähigkeit und Aussagekraft dieser Methode exemplarisch zur Anschauung. Gerade der Diskurs der Postmoderne hat den Blick zudem auf die Kraft der »kleinen Erkenntnisse« und bisweilen heuristisch verlaufenden Spurensuche gelenkt. Der postmoderne Semiotiker Umberto Eco beginnt seinen epochemachenden RosenRoman nicht zufällig mit einer Anlehnung an ein klassisches Beispiel der Fährteniesekunde. Der Protagonist des Romanes, William von Baskerville, führt sich als »Zeichendeuter und Spurensucher« 24 ein, indem er - wie einst Voltaires Zadig - aus den Spuren eines Pferdes dessen Erscheinung und sogar den Namen erschließt, ohne 19 Ginzburg 1979, S. 92; will man Ginzburgs Methode der >Spurcnsichcrung< als spezialisierte Form der >Gegenstandssicherung< sehen, so läßt sich diese durchaus in den Kanon des klassischen kunsthistorischen Methodenrepertoires integrieren. Vgl. etwa Sauerländer 1988; auf S. 47 vergleicht Sauerländer hier die Technik der kunsthistorischen Gegenstandssicherung »mit der Kriminalistik, die Spuren sichert, Gegenstände und Zeitabläufe prüft, um einen im Dunkel liegenden Tatzusammenhang zu rekonstruieren. Auch der Kunsthistoriker ist in gewissem Sinne ein Spurensicherer.« - Daß es sich bei diesem Vergleich keineswegs um eine rhetorische Floskel handelt, belegte die hilfrcichc Unterstützung, die meine Arbeit durch die erkennungsdienstliche Ermittlungsstelle der Wuppertaler Kriminalpolizei erfuhr, die die Identität eines abgebildeten Fotografen mit E m s t F u h r m a n n eindeutig auszuschließen wußte. 20 21 22 23

Vgl. Ginzburg 1979, S. 105. Ginzburg 1979, S. 115. Kracauer 1927, S. 50. Ginzburg 1981, S. 22.

9

Einleitung es j e gesehen zu haben, und seinen Eleven Adson von Melk - nicht zufällig spielt der N a m e auf Sherlock Holmes Gegenüber Watson an - unterweist der Fährtenleser darin, »die Zeichen zu lesen, mit denen die Welt zu uns spricht wie ein großes Buch.« 25 Systematische hermeneutische Methoden verlieren zugunsten assoziativer Brücken an Bedeutung. »Spurensicherung ist in gewisser Hinsicht genau das Gegenteil von Rasterfahndung: Es ist eben ein Unterschied, ob im Nachhinein Spuren gelesen werden, oder ob im Vorhinein ein Raster angefertigt wird.« 26 »Pluralität, Diskontinuität, Antagonismus, Partikularität dringen jetzt in den Kern des wissenschaftlichen Bewußtseins ein. Monopolismus, Universalität, Totalität, Ausschließlichkeit werden ausgeschieden. [...] Das heutige Bewußtsein der Wissenschaft ist durch die Vielfalt von Modellen, die Konkurrenz der Paradigmen und die Unmöglichkeit einheitlicher und endgültiger Lösungen geprägt.« 27

Im Rahmen einer postmodernen Kunstgeschichte zeigt sich dies etwa in der Bedeutung des Ansatzes von Horst Bredekamp und einer neu einsetzenden, begeisterten Rezeption der unsystematischen Systematik Aby Warburgs und seiner Bildatlanten, die sicherlich auf Warburgs Handhabung der Kunstgeschichte als Kulturwissenschaft zurückzufuhren ist. Bredekamp verdeutlicht den Erkenntniswert assoziativer Brücken durch seine Geschichte der Kunstkammer, die er schon im Titel mit einem Verweis auf die »Zukunft der Kunstgeschichte« versah. In seinem »Nachwort zur Gegenwart« heißt es: »Reflexe des in den Kunstkammern geschulten Denkens blieben in der Stilgeschichte, der Psychoanalyse und der Ikonologie lebendig: überall dort, w o die Erkenntnis, daß der Geist, wenn er schöpferisch sein will, spielen m u ß und daß das Wesen, der Kern einer Anstrengung oder einer Person nicht im Z e n t r u m oder dem geradlinigen Weg dorthin, sondern in den freien, von vordergründigen Zwecken fernen Begleiterscheinungen zu erfassen ist, bewahrt blieb.« 28

Während meiner Spurensuche, deren Ergebnis hiermit vorliegt, habe ich mich somit entschlossen, mich auch auf Nebenwege und Begleiterscheinungen einzulassen. Überschneidungen und korrelierende Verweise sind daher weder zufällig noch erzwungen, sondern Bestandteil der gewählten Perspektive. Die Exkurse, die die Geschichte der untersuchten Institution mit den zeitparallelen Geistesströmungen und Phänomenen zu verknüpfen versuchen, dienen dem E n t w u r f j e n e s kulturgeschichtlichen Panoramas, ohne das die Geschichte des Folkwang-Verlages nicht verständlich ist, dessen integraler Bestandteil diese jedoch zugleich auch ist. Wenn seiner Ge24 Eco 1980, »Dramatis Personae«, Beilage zur deutschsprachigen Ausgabe des »Namen der Rose«; zur Rezeption des Romans als postmodernes Werk für Spurensucher und Fährtenleser vgl. auch: Stamm 1996a. 25 Eco 1980, S. 34. 26 Hauber 1980, S. 158. 27 Welsch 1991, S. 78. 28 Bredekarnp 1993a, S. 99; Bredekamp bezieht sich u.a. auf Ginzburg und Morelli, vgl. S. 117, Anm. 138; Freud verwies bereits 1914 auf die Verwandtschaft der Methode Morellis mit der Technik ärztlicher Psycholanalyse; vgl. Freud 1914, S. 207.

Einleitung schichte eine Einführung in die Gedankenwelt des Folkwang-Impulses vorangestellt ist, so um die Antriebswelle und die Inspirationsquelle der Institution zu beschreiben; wenn von Fuhrmanns esoterischem Denken die Rede ist, so entspricht dies mit Hans Holländer zu sprechen - auch einem Paradigmenwechsel in der modernen Kulturgeschichte: »Moderne ist eine >ernste SacheGeschichte< entsprechend, zu einer konsistenten Erzählung zusammenzubinden; »das Erzählen ist die Operation, durch die aus den unzähligen Daten, die das durchgängige Gewebe des menschlichen Lebens bilden, eine Reihe ausgewählt wird, der man einen Sinn und einen Plan unterlegt: Indizien und Spuren eben einer Geschichte mit einem Anfang und einem Ende, eines bestimmten existenziellen Weges, eines Schicksals.«33 Als bedeutsame Anregungen für die vorliegende Arbeit sei ferner auf zwei Werke verwiesen: die Fidus-Monographie von Janos Frecot, Johann Friedrich Geist und Diethart Kerbs (1972) und die Bloßfeldt-Monographie Gert Mattenklotts (1981). 34

29 Holländer 1987, S. 19. 30 Holländer 1994, S. 87. 31 Thiel 1987, S. 223; daß Thiels Forschungsvorschlag inzwischen nicht wirkungslos geblieben ist, belegen Publikationen wie der von Beat Wyss 1993 herausgegebene Sammelband »Mythologie der Aufklärung. Geheimlehren der Moderne«, der wiederum nicht ohne einen Hinweis auf Sherlock Holmes auskommt (vgl. S. 73-84), oder Loers 1995. 32 Ginzburg 1982, S. 24. 33 Calvino 1980, S. 162: Dieses wie auch das vorangegangene Zitat Karl Friedrich Haubers ist den Diskussionsbeiträgen im »Freibeuter« (S. 149-163) zu Ginzburgs »Spurensicherung« e n t n o m men. 34 Frecot/Geist/Kerbs 1972 (die Arbeit erschien 1997 als Neuauflage mit einem Vorwort von Gert Mattenklott und einer Forschungsübersicht von Christian Weller); Mattenklott 1981.

Einleitung Beide Werke wählen die monographische Perspektive als Ausgangspunkt, und beide wachsen über ihren Anlaß weit hinaus. Die Fidus-Studie mit dem Untertitel »Zur ästhetischen Praxis bürgerlicher Fluchtbewegungen« ist - über ihre Bedeutung als Künstlerbiographie und Werkverzeichnis hinaus - längst zu einem Klassiker geworden, der mit Beiträgen zur Geschichte von Vegetarismus und Siedlungsbewegung, Freikörperkultur und Anpassungsstrategien an totalitäre Regime eine Subgeschichte kultureller und kunsthistorischer Phänomene liefert, die für ungezählte weitere Arbeiten wichtiges Quellen- und Verweismaterial bereithält. Frecot, Geist und Kerbs waren sich darüber einig, mit ihrer exemplarischen Spurensicherung anhand des Werkes und der Vita von Fidus, i.e. Hugo Höppener, Aussagen über komplexe Z u sammenhänge möglich zu machen: »Seine Werke und Selbstzeugnisse, die Geschichte seines Lebens als eines Schnittpunktes vielfältiger gesellschaftlicher Strömungen belegen die Bewußtseinslage großer Teile des deutschen Kleinbürgertums zwischen Kaiserreich und Hitlerzeit, - der Epoche also, in der die Weichen für die deutsche Gegenwart gestellt wurde.« 35 Ebensowenig begnügte sich der Komparatist Gert Mattenklott mit einer biographischen Einführung in das Werk Karl Bloßfeldts, sondern läßt dieses - getreu der Maxime »weiter auszuholen ohne Angst sich zu verlaufen« 36 - in einem breiten Beziehungsgeflecht zwischen »Kunst, Natur und Technik um 1900«, Ernst Haeckel, der Biosophie Ernst Fuhrmanns oder dem surrealen Naturalismus Max Emsts aufleuchten; - beide Werke handeln somit zunächst vom Konkreten und Singulären, ergänzen das Indizienwissen jedoch zu einem umfassenden Panorama, meinen im Besonderen dadurch stets auch das Allgemeine und verlieren die Zusammenhänge nicht aus den Augen. Kunsthistorische Fakten werden zum Ausdrucksträger eines kulturgeschichtlichen Gedächtnisses.

35 Frecot/Geist/Kerbs 1972, S. 9. 36 Mattenklott 1981, S. 12.

1

Voraussetzungen und Vorgeschichte: Das Folkwang-Netzwerk

1.1

Das Folkwang-Netzwerk. Zur Genese einer Idee

Am 9. Juli 1902 wurde in Hagen, am Rande der Innenstadt, das private FolkwangMuseum des Sammlers und Mäzens Karl Ernst Osthaus eröffnet. Kaum ein anderes Museum ist so sehr zur Legende geworden wie eben diese Institution, die zwischen 1902 und 1922 zu einem Zentrum der europäischen Avantgarde geworden war. »Bahnbrechender hat im ganzen Bezirk des deutschen Reiches keine zum Nutzen der Öffentlichkeit organisierte Kunstsammlung gewirkt als diese private Veranstaltung, die ebensosehr aus heller Einsicht und kühnem Wagemut, wie aus reinem und selbstlosem Enthusiasmus entstanden ist«,1 urteilte der Kunstkritiker Franz Servaes (1862-1947), und Emil Nolde erinnerte sich 1934: »Das Folkwangmuseum in Hagen war den jungen Künstlern und Kunstgelehrten wie ein Himmelszeichen im westlichen Deutschland erstanden. Sie sahen dort ein Ideal, das ihnen ein führendes Beispiel schien.«2 Das Karl Ernst Osthaus-Museum, als lokale Nachfolgeinstitution, bezieht sich heute auf seinen Vorgänger als auf ein »weltweit erstes Museum für zeitgenössische Kunst«.3 Diese Einschätzung ist insofern richtig, als das Folkwang-Museum das erste Museum überhaupt war, welches Bilder von van Gogh und Matisse zeigte, und Osthaus der erste deutsche Sammler, der ein Gemälde Gauguins erwarb. Die wegweisende Aktualität, die die Sammlung aus heutiger Sicht zu einem Museum für >Gegenwartskunst< machte, war jedoch nicht das einzige oder primäre Anliegen des Museums Folkwang. Osthaus hat sein Institut vielmehr als >Volksbildungsstätte< gesehen. Der pädagogische Impetus war das Leitmotiv, das sowohl alle Vorüberlegungen zur Museumsgründung durchzog, wie auch jeglichen späteren Aktivitäten der Institution als Hintergrund diente. Aufgewachsen in einer großbürgerlichen und äußerst wohlhabenden Familie hatte der Bankierssohn Osthaus schon als 18jähriger nach einem unbefriedigenden kaufmännischen Lehrjahr in einem Spinnereikontor in einem Brief an seine Großmutter sein zukünftiges Lebensziel formuliert, Professor der Ästhetik zu werden. Sein Engagement plante er, ganz in den Dienst der Erforschung des Guten und Wahren zu stellen.4 Derart vom Geist des Idealismus durchdrungen, nahm Osthaus ein Studium der Literatur, Ästhetik und Philosophie auf; er studierte in Kiel, München, Berlin, Straßburg und Wien und erweiterte seine Studienfächer um Architektur, Archäologie, Kunstgeschichte, Musik- und Naturwissenschaft. Selbstbewußt und unter dem Einfluß deutschnationaler Kreise schrieb der junge Student 1894 aus Berlin, daß die von ihm »vertretene Sache dem Glücke des Volkes und der Erhaltung des Wertes dient, 1 2 3 4

Servaes 1920, S. 39. Nolde 1934, S. 75. Hagener Impuls 1994, o. Pag. Hesse-Frielinghaus 1971b, S. 119.

1 V o r a u s s e t z u n g e n u n d Vorgeschichte: Das F o l k w a n g - N e t z w e r k

wie d e n n alle w a h r e K u n s t d u r c h die M a c h t , die sie a u f die G e m ü t e r ausübt, ein w e s e n t l i c h e r Faktor i m volkswirtschaftlichen Leben sein kann u n d sein soll.« 3 In w e n i g e n W o r t e n f i n d e n sich hier also sehr f r ü h s c h o n die K e m g e d a n k e n der K u n s t g e w e r b e b e w e g u n g vereint, die sich e r h o f f t e , d u r c h eine u m f a s s e n d e G e s c h m a c k s e r z i e h u n g die ästhetische Q u a l i t ä t d e u t s c h e r P r o d u k t e verbessern u n d so d e n Absatz kunsthandwerklicher

und

in-

dustrieller P r o d u k t i o n im I n u n d Ausland steigern zu k ö n nen. Mehr und mehr

verfestigten

sich in der Folgezeit die volkserzieherischen

Gedanken

des

j u n g e n S t u d e n t e n . Gleichzeitig verstärkte O s t h a u s auch seine kunsthistorischen Studien u n d ließ sich d u r c h M u s e u m s b e s u che in K o p e n h a g e n u n d W i e n beeindrucken. materielle die d e n

1896 k a m

Grundlage bislang

Überlegungen

die

hinzu,

angedachten

dazu

verhalf,

realisierbar zu w e r d e n , u n d alle späteren Projekte erst m ö g l i c h machte: durch Großeltern

den Tod

erbte

der

Osthaus,

22jährig, drei M i l l i o n e n M a r k , was nach h e u t i g e m W e r t m e h r als einer drittel Milliarde D M entspricht - e i n e der g r ö ß t e n S u m m e n , die j e e i n e m M ä z e n der N e u z e i t z u r V e r f ü g u n g geAbb. 1: Karl Emst Osthaus (um 1910).

standen hat. F ü r O s t h a u s stand fest, daß er -

i m S i n n e seiner volkserzieherischen A m b i t i o n e n - zwei Drittel des e r e r b t e n V e r m ö gens f ü r das A l l g e m e i n w o h l einsetzen wollte; k o n k r e t reiften n u n die Pläne f ü r d e n Bau eines M u s e u m s heran. U n k l a r blieb h i n g e g e n ( u n d b e z e i c h n e n d e r w e i s e ) der Inhalt des M u s e u m s . D i e S a m m l u n g e n des j u n g e n Volkserziehers u m f a ß t e n z u n ä c h s t hauptsächlich n a t u r w i s senschaftliche O b j e k t e : präparierte S c h n e c k e n , Käfer, S k o r p i o n e u n d Fossilien, bild e t e n d o c h die F o r m e n der N a t u r nach klassischer Ü b e r z e u g u n g die U r f o r m e n , aus d e n e n jegliche m e n s c h l i c h e Artefakte n u r abgeleitet sind. V o n d e m b e f r e u n d e t e n 14

5 Karl Ernst Osthaus, Brief v. 9. 12. 1894; zit. nach: Hesse-Fnelmghaus 1971b, S. 119.

1.2 Das Folkwang-Museum und entfernt verwandten Düsseldorfer Schlachtenmaler Rudolf Theodor Rocholl ließ Osthaus sich dann zum Kauf deutscher Malerei vorrangig aus dem Umkreis der Düsseldorfer Malerschule anregen. Auf Reisen, vornehmlich in den Orient und nach Nordafrika, erwarb er darüber hinaus Kunstgewerbe, das ihm vor Ort gefiel: Stickereien, Teppiche, Töpferwaren, Münzen, Waffen, Silberwaren und Textilien. 6 Zeitweilig spielte Osthaus sogar mit dem Gedanken an ein Islamisches Museum, das in Hagen die erworbenen Kostbarkeiten des Orients aufnehmen und zur Schau stellen sollte. Rocholl versuchte jedoch, ganz nach dem Vorbild der im benachbarten Barmen entstehenden >RuhmeshalleStyle Nouveau< übernehmen konnte. Zudem entwarf van de Velde Möbel, Schmuck, Silber, Geschirr, Kleider und Monogramm für Osthaus und dessen Frau. Darüber hinaus wurde van de Velde zur treibenden Kraft der Ankaufspolitik der folgenden Jahre. Hatte Rocholl den Hagener Sammler noch vor dem Ankauf fremder, das heißt nicht-deutscher, zeitgenössischer Kunst eindringlich gewarnt, so machAbb. 2: Gebäude des Folkwang-Museums. Außenbau von Carl te van de Velde den Mäzen nun Gerard im Slil der Neoremissance. mit den neuesten Kunstströmungen der Niederlande, Belgiens und Frankreichs bekannt. Der flämische Mentor führte Osthaus bei den Kunsthändlern Ambroise Vollard und Paul Cassirer ein, und »in weniger als einem Jahr hatte er Werke von Monet, Renoir, Seurat, Signac, Cross, van Gogh, Gauguin und Skulpturen von Minne, Rodin und Constantin Meunier erworben.« 11 Vergleicht man diese Namen mit den Künstlerkreisen, in denen van de Velde sich bis dahin bewegt hatte, 12 so kann der Einfluß van de Veldes auf Osthaus und seine Ankaufspolitik kaum hoch genug eingeschätzt werden. Als 1902 das Folkwang-Museum eingeweiht und der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, spiegelten sich in der Architektur und in den Sammlungen die heterogenen Einflüsse, denen Osthaus bislang unterworfen war. Von außen zeigte sich das Muse-

16

9 10 11 12

Vgl. Meier-Graefe 1898/99. Osthaus 1920b, S. 21. Van de Velde 1986, S. 217-218. Vgl. hierzu auch: Hesse-Fnelinghaus 1987. Vgl. etwa: Hesse-Frielinghaus 1992; Daloze 1992.

1.3 Kein M u s e u m , »das dasteht u n d wartet«

u m s g e b ä u d e im eklektizistischen Repräsentationsstil der J a h r h u n d e r t w e n d e . »Aber im Innern ist Revolution«, 1 3 urteilte der polyglotte Journalist u n d Schriftsteller N o r bert Jacques .über die b a h n b r e c h e n d e Innenraumgestaltung von van de Velde. Im U n t e r g e s c h o ß des Gebäudes war n u n die naturkundliche S a m m l u n g mit 45.000 Käfern u n d rund 7.000 Schmetterlingen untergebracht, das Erdgeschoß zeigte europäisches u n d außereuropäisches Kunstgewerbe aus nahezu allen kunsthistorischen E p o chen, u n d im O b e r g e s c h o ß waren n e b e n den Meisterwerken vorrangig zeitgenössischer Malerei u n d Plastik Ostasiatica zu sehen. Als >Volksbildungsstätte< vereinte die S a m m l u n g somit vorbildliche Glanzstücke aus N a t u r u n d Kunst der verschiedensten Z e i t e n und Gegenden. D e r N a m e »Folkwang« war programmatisch d e n altnordischen M y t h e n der Edda e n t n o m m e n , w o er in engerem Sinne d e n Palast der Fruchtbarkeitsgöttin Freya bezeichnet, die gleichzeitig als Schutzgöttin der Künste fungierte. Im weiteren Sinne m e i n t »Folkwang« j e d o c h auch den Volksanger als öffentlichen O r t der V e r s a m m l u n g u n d Begegnung.

1.3

Kein Museum, »das dasteht und wartet«

O s t h a u s war es j e d o c h nicht u m eine statische Ruhmeshalle zu E h r e n der Kunst gegangen, sondern u m ein lebendiges Institut, das als Vermittlungsstelle wirken sollte. H i e r z u dienten die vielfältigen Wechselausstellungen, die in den R ä u m e n des M u s e u m s veranstaltet w u r d e n , 1 4 e b e n s o wie die Vortragsveranstaltungen im eigens h i e r f ü r von d e m Architekten u n d Designer Peter Behrens geschaffenen Vortragssaal. W ä h r e n d in d e n Ausstellungssälen wechselnde Arrangements alter u n d zeitgenössischer Kunst zu sehen waren, fanden hier kunsthistorische Vorträge statt, Vortragsveranstaltungen über R e f o r m k l e i d u n g u n d Körperkultur oder literarische Lesungen, etwa von T h e o d o r Däubler, H e i n r i c h M a n n oder Else Lasker-Schüler. 1 5 Darüber hinaus organisierte O s t h a u s A u f f ü h r u n g e n m o d e r n e r Ausdruckstänzer, musikalische Darbietungen u n d theaterreformerische Experimente. U n d damit nicht genug: eine Malschule, geleitet von Christian Rohlfs, sollte j e d e r m a n n offenstehen, w ä h r e n d Handfertigkeitsseminare u n d die »Hagener Silberschmiede« z u m Ziele einer ästhetischen Verbesserung der Produkte mit Hagener Gewerbebetrieben kooperieren sollten; 1 6 schon f ü r die Arbeiten an der Innenausstattung des M u s e u m s unter der Leitung van de Veldes waren b e w u ß t heimische H a n d w e r k e r herangezogen w o r d e n , die somit »gewissermaßen einen praktischen Meisterkurs durchmachten«. 1 7 D u r c h Künstlerberufungen sollten Laien u n d künst-

13 14 15 16 17

Zit. nach: Schulte 1992a, S. 91. Vgl. Hessc-Frielinghaus 1971a. Vgl. Ittershagen 1992; vgl. auch: Stamm 1996b. Vgl. Blum 1995a; Die Hagener Silberschmiede 1982. Osthaus 1903, S. 59.

1 Voraussetzungen und Vorgeschichte: Das Folkwang-Netzwerk lerisch arbeitende Menschen der Region in praktischer Anschauung von dem neuen Geist angeregt werden. So lebten und wirkten die niederländischen Künstler J. L. M. Lauweriks, Johan Thorn-Prikker und Frans Zwollo sr. zeitweise in Hagen, ebenso der russische Bildhauer Moissey Kogan, die Bildhauerin Milly Steger, sowie die Maler Emil Rudolf Weiss und Christian Rohlfs. Diese knappen Hinweise mögen nur andeutungsweise belegen, wie sehr das FolkwangNetzwerk von einem didaktischen Sendungsbewußtsein inspiriert war. Osthaus' erklärtes Ziel war es, »einen Stützpunkt künstlerischen Lebens im westlichen Industriebezirk zu schaffen« und »den Menschen die Augen zu öffnen«. Auf der für die Kunsterziehungsbewegung wegweisenden Tagung der Centralstclle für Arbeitcr-Wohlfahrtscinrichtungen zum Thema Die Museen

als

Volksbildungsstätten

formulierte Osthaus markant sein volkserzieherisches Credo: »Uberhaupt, meine ich, sollten die Museen nicht Oasen in der Wüste unserer modernen Städte sein, sondern ein frischer Quell, dessen Wellen das ganze Leben reinigend und erfrischend überströmen.«'' J Er steht hiermit ganz in der Tradition Alfred Lichtwarks, des Nestors der Kunsterziehungsbewegung, der anläßlich Abb. 3: Fotkwang-Museum,

Hagen. Blick in das Treppenhaus von

Henry ran de Velde.

s e i n e r A n t r i t t s r e d e als D i r e k t o r der

Hamburger

Kunsthalle

schon 1886 gefordert hatte: »Wir wollen nicht ein Museum, das dasteht und wartet, sondern ein Institut, das thätig in die künstlerische Erziehung unserer Bevölkerung eingreift.« 20 In den praktischen Konsequenzen aus diesen so ähnlichen Postulaten ging Osthaus, allein schon ermöglicht durch seinen immensen ökonomischen Hintergrund, deutlich weiter als Lichtwark, dehnte er doch schließlich die Impulse der von ihm be-

18

18 Zit. nach: Scrvacs 1920, S. 39. 19 Osthaus 1903, S. 60. 20 Lichtwark 1886, S. 29.

1.4 Reformkultur - die >Brücke zum Menschen< gründeten Volksbildungsstätte über die Kunstvermittlung hinaus auf Körpererziehung und Theaterreform und bis hin zu Städtebauprogrammen und schulreformerischen Experimenten aus. Lichtwark selbst stand diesem expansiven Verständnis kulturpädagogischer Arbeit eher skeptisch gegenüber, es sei denn, man wolle seinen zurückhaltenden Kommentar zu den Hagener Unternehmungen, den er in seinen Reisebriefeti an die Kommission der Hamburger Kunsthalle verfaßte, aus einem gewissen Neid auf die unbegrenzt erscheinenden Möglichkeiten des Hagener Mäzens erklären. In seinem Bericht schrieb Lichtwark 1910: »Endlich habe ich den langersehnten Blick in Dr. O s t h a u s ' Thätigkeit gethan. [...] Dr. O s t h a u s stellt einen eigenen T y p u n t e r d e n M u s e u m s g r ü n d e r n dar. Er ist Hagener und S o h n eines Großindustriellen, hat studirt [!], gereist und war, als er zurück kam, entsetzt über die Hoffnungslosigkeit der K u l t u r z u s t ä n d e der H e i m a t h . [...] In der B e r ü h r u n g mit der Wirklichkeit des Lebens ist D r . O s t h a u s n u n über die M u s e u m s g r ü n d u n g weit hinausgegangen. Z u n ä c h s t hat er, da es in H a g e n w e d e r K u n s t h a n d l u n g noch Kunstverein gab, mit seinem M u s e u m ein A u s s t e l l u n g s u n t e r n e h m e n v e r b u n d e n . [...] D a n n w u r d e O s t h a u s wie alle Welt von Stadtcbaugedanken gepackt. U n d seit Jahren gehört er ihnen n u n ganz. Sein M u s e u m ist darüber ins Stocken gerathen. [...] D r . O s t h a u s hat oberhalb der Stadt ein großes Gelände gekauft u n d ist dabei, dort eine Stadt zu bauen. [...] Die Straßenanlagen w e r d e n so schön wie ihre N a m e n . Eine, die u m d e n Kopf eines Hügels gelegt ist, wird Stirnband heißen. Eine andere Ackerlehne und so fort. A u f d e m H ü g e l ist ein F o r u m geplant mit Lichtbad, N a t u r t h e a t e r , Tanzakademic: Dalcrozc zieht hin.« 2 '

1.4

Reformkultur - die >Brücke zum Menschern

Lichtwarks Randbemerkung über Dalcroze anläßlich seiner Besichtigung des Hagener Neubaugeländes steht zudem beispielhaft für die steten und stets scheiternden Versuche von Karl Ernst Osthaus, namhafte Vertreter der Reformbewegung dauerhaft an Hagen und das Folkwang-Netzwerk zu binden. 2 2 Der Schweizer Musiklehrer und Tanzpädagoge Emile Jaques-Dalcroze war der Erfinder der >Rhythmischen Gymnastikästhetischen Durchdringung des ganzen Industriebezirks( geworden. Bereits 1907 hatte er die amerikanische Propagandistin der Heilgymnastik Bess Mensendieck zu einem Vortrag ins Folkwang-Museum geladen, bei dem sie über »Ästhetische Selbsterziehung« sprach, und aufgrund des großen Erfolges des Vortrags bot Mensendieck einige Gymnastikkurse in Hagen an. Gemeinsam mit Peter Behrens plante Osthaus dann die Errichtung eines Freilufttheaters im Stadtteil Hagen-Eppenhausen und schließlich einer Tanzakademie. Als Jaques-Dalcroze vorgeschlagen wurde, mit seiner Schule nach Hagen überzusiedeln, wurde ihm hierfür eigens die Errichtung einer iPalästra. Schule für Tanz und Rhythm i k in Aussicht gestellt. Nachdem sich der Schweizer Tanzpädagoge jedoch dafür entschieden hatte, nach Hellerau zu gehen, bemühte sich Osthaus mehrfach, den russischen Tänzer Alexander Sacharoff aus dem Münchener Blauen Reiter-Umkreis dauerhaft an Hagen zu binden. Auch SacharofFkam jedoch lediglich zu einigen Gastspielen, von denen Osthaus schwärmte, »vor diesem Tanze wurde mir klar, daß der

1.4 Reformkultur - die >Brücke zum Menschen< echte Tanz zu einer Sprache der Seele werden kann, so rein und unmittelbar wie Poesie, Musik und jegliche Bildhauerei«. 23 Seither war das Interesse von Osthaus für den modernen Ausdruckstanz vollends entflammt. Zu Vorträgen lud er den Leiter der Elizabeth Duncan-Schule Max Merz nach Hagen, und 1914 kam Elizabeth D u n can anläßlich eines Hagener Festakts zur Kölner Werkbundausstellung mit ihrem Ensemble zu einem Gastspiel ins Hagener Stadttheater, wo - auf Einladung von Osthaus - die gesamte per Sonderzug aus Köln angereiste Werkbund-Prominenz dem Ereignis beiwohnen konnte. Noch 1916 bemühte sich der Mäzen, das auf der Grundlage der Anthroposophie RudolfSteiners (1861-1925) gegründete Seminar für klassische Gymnastikaus T h ü ringen zu einer Ubersiedlung nach Hagen zu bewegen, und versprach der von H e d wig von Rohden und Louise Langgard geleiteten Institution ein eigenes Haus »in schönster Lage unserer Künstlervillenkolonie«. 24 Doch auch dieser Plan scheiterte, und als um 1920 die Projekte zur Gründung einer, verschiedene künstlerische und kunsthandwerkliche Gattungen vereinigenden, Folkwang-Schule reiften, waren diese - durch den Tod Osthaus' im Jahr 1921 - bereits dazu verdammt, Fragment zu bleiben. In einem grandiosen Nachruf resümierte der ehemalige Folkwang-Assistent Karl With zusammenfassend die entscheidende Bedeutung, die die Körperkultur im »Werkorganismus von Karl Ernst Osthaus« hatte: »Die Brücke zum Menschen vollzog sich [...] auf dem Wege über Theater und Tanz. Schon früh inszenierte er mit E. R. Weiß, Behrens und Rohlfs Stücke von Eulenberg und Hartleben. 2 5 M e h r Spielerei als Tat; dann aber bedeutete SacharofF ihm die Entdeckung lebendiger physisch-plastischer Expression; im Tanz und Gestus fand er die lebendige Plastik. [...] In der Duncanschule glaubte er zuerst eine Vollendung in diesem Sinne zu finden - bis sich später u m ihn neue Kräfte zu einer Folkwangschule sammelten, die er wesentlich als eine rhythmische Gestaltung und freie geistige Entfaltung aller innewohnenden - von Zwangsläufigkeit befreiten - Triebkräfte ansah.« 26

23 Hier nach: Erben 1971, S. 64. 24 Karl Emst Osthaus, Brief an Hedwig von Rohden v. 20. 1. 1917. Hier nach: Kaldewei 1990, S. 259. 25 Vgl. Wrede 1984. 26 With 1921, S. 168.

2

Frühgeschichte

2.1

Folkwangs Verlag (1904)

Eine weitere Ausbreitung j e n e r Gedanken, die den Hagener Museumskonzeptionen zugrunde lagen, versprach sich Osthaus von der Gründung einer eigenen Verlagsabteilung. Schließlich schien es naheliegend, die Vermittlungstätigkeit des Museums auch durch eigene Veröffentlichungen zu unterstützen und voranzutreiben, erlauben es doch gerade gezielte Publikationen, die eigenen Überzeugungen zielgerichtet darzustellen und zu multiplizieren. So hat Osthaus selbst Zeit seines Lebens die M ö g lichkeit genutzt, durch Aufsätze in Büchern, Fachzeitschriften und Zeitungen seine Ideen zu erläutern und zu verbreiten. 1 D o c h auch das Folkwang-Museum als Institution sollte ein eigenes Sprachrohr erhalten. Als erste Publikation des Hauses erschien schon 1904, also bereits zwei Jahre nach Ö f f n u n g des Museums, die Radierungsmappe Alte Bauten der Stadt Hagen i. W. und ihrer näheren Umgebung des eher unbedeutenden Malers und Radierers Heinrich Reifferscheid ( 1 8 7 2 - 1 9 4 5 ) . Das großformatige Werk erschien in einer limitierten Auflage von 130 Exemplaren, von denen 3 0 als Vorzugsausgabe auf hochwertigem Japanbütten gedruckt waren (Ausgabe A). Die Radierungen Reifferscheids präsentieren Hagener Fachwerkhäuser, städtische Bürgerhäuser des Rokoko, historische Grabsteine, Bauern- und Gutsgehöfte der näheren U m g e b u n g oder das Schloß auf dem Burgberg des nahegelegenen Städtchens Hohenlimburg. Die ausgewählten architektonischen Sujets werden dabei zumeist im Kontext des städtischen bzw. ländlichen Ambientes gezeigt oder von Naturausschnitten eingerahmt, was vielen Blättern eine malerische Stimmung verleiht. Aus heutiger Sicht wird die Herausgabe des Werkes bisweilen als heimattümelnder Irrweg von Osthaus gewertet. Doch dem war nicht so: diese erste, biedere Veröffentlichung des M u s e u m s ist vielmehr als Trojanisches Pferd zu sehen, das die großbürgerlichen Familien der Stadt sich ins Haus holen sollten. Nachvollziehbar wird der Stellenwert des Werkes über die Alten Bauten Hagens erst durch die aufmerksame Lektüre des Begleittextes, den Osthaus den Radierungen beigegeben hatte. D e n n dieser Essay weist voraus auf die architekturkritischen Initiativen von Osthaus und ist nur im Zusammenhang mit der zeitgeschichtlichen Situation zu verstehen: 1904 war die historisierende Gründerzeit noch nicht überwunden. Allerorten regierte der Stileklektizismus, und doch war eine Zeit der Reformen und Neubewertungen angebrochen: »Man war der ewigen Wiederholung der historischen Stilformen endlich müde geworden und wollte zum Wesentlichen zurückkehren [,..].« 2 S o wie Osthaus mit der Öffnung des Folkwang-Museums in der Ausgestaltung von van de Velde den wahrhaft zeitgenössischen Stil der beginnenden Moderne vorgeführt hatte, so zeigte er mit den 2 5 Radierungen, die Reifferscheid nach exakter An1 Eine umfassende Bibliographie der Schriftcn von Karl Ernst O s t h a u s steht bislang aus. 2 P o s e n e r 1 9 8 9 b , S. 7.

2.1 Folkwangs Verlag (1904)

gäbe der u m z u s e t z e n d e n Motive vor O r t ausgeführt hatte, mustergültige historische Beispiele stilgerechter, authentischer Architektur, die in H a g e n nahezu d e m Verfall preisgegeben waren, da sie noch weitgehend als R u d i m e n t e ü b e r w u n d e n e r K u l t u r stufen mißachtet w u r d e n . Erst im Erscheinungsjahr der Reifferscheid-Mappe 1904 w u r d e in Dresden als reformerische Antwort auf die - auch städtebaulichen - Folgen der Industrialisierung der Deutsche B u n d Heimatschutz gegründet, eine erste Vereinigung f ü r Denkmalpflege. Parallel zu dieser Wiederentdeckung traditioneller Werte in der Architektur zitierte O s t h a u s die lokalen Vorbilder aus alten Zeiten u n d beschrieb diese in ihrer u r t ü m lichen Schlichtheit u n d gestalterischen Rationalität als beispielhafte »Anregung zu n e u e m Schaffen«: 1 »Dem C h a os unseres Bauwesens stellen sie eine Welt voll stiller H a r m o nie gegenüber.« 4 Aus der vorbildlichen Gestalt u n g der ausgewählten Baud e n k m ä l e r sprechen »Ment e t © t a f t J p a g e n Vs& schen zu uns, denen das H ä ß u n d tj)rer n a t i e v m ^ m g e b u n o ^ / liche. U n w a h r e unerträglich ^ R a f o r t t } i m 0 e i t t r i $ £Reifferji|riHellas - ewig unsere LiebeHagener Bohemebarfüßige Prophet< M a x S c h u l z e - S ö l d e a n s c h a u l i c h in seiner A u t o b i o g r a p h i e Ein Mensch dieser Zeit

(1930)

berichtet. Ernst F u h r m a n n u n d seine Frau Elisabeth w u r d e n s c h n e l l z u d e m Z e n t r u m e i n e s v i r u l e n t e n Künstlerkreises. »Sie w o h n t e n in e i n paar D a c h k a m m e r n des H o h e n h o f s , aber der Z a u b e r ihres W e s e n s erfüllte d i e s e R ä u m e in e i n e r W e i s e , daß d a g e g e n die ganze H e r r l i c h k e i t des O s t h a u s s c h e n Palastes verblaßte [...]«, erinnerte sich S c h u l z e - S ö l d e , u n d ähnlich w i e H e r m a n n Bahr fährt er fort: » Z u F u h r m a n n s G e d a n k e n w e l t hatte ich w e n i g B e z i e h u n g e n . Ich freute m i c h nur, d a ß er alles, aber a u c h alles a u f d e n K o p f stellte, u n d m i t e i n e r v o n i n n e n her g e w a c h s e n e n u n e r s c h ü t -

38 Hugo Hertwig (monographisches Typoskript über Ernst Fuhrmann), Archiv der Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang, Essen, S. 2f.; im Kontext dieser Auseinandersetzung und in Hinblick auf die Freistellung vom Kriegsdienst regte Graef eine Untersuchung von Fuhrmanns Geisteszustand an; hiervon zeugt ein aufschlußreicher Brief Ernst Fuhrmanns an Ernst Hardt vom 16. 1. 1916: »Sehr geehrter Herr Hardt! Es sind zwei Monate her, seit Prof. Graef eine Untersuchung meines Geisteszustandes durch milit[ärischc]-Autoritäten veranlasste. [...] Die Untersuchung ergab, dass ich normal bin, was in Wirklichkeit hoffentlich nie geschehen wird. [...] Sie werden für die Einzelheiten meiner Arbeit wohl sowenig Interesse haben, wie Graef, der nach zehn Worten urteilte, während ich etwa 2000 Druckseiten ungedruckt liegen habe; aber es liegt auch ganz ausserhalb meiner Macht, meine Arbeiten irgendeinem Menschen vorzulegen, da sich niemand die Arbeit genauen Studiums machen wird, bevor nicht ein offizieller Druck vorliegt, und das wird noch Jahre dauern, wahrscheinlich aber erst nach meinem Tode (...) möglich werden. Die [OJfFentlichkeit hat fiir ein sehr grosses Werk ja auch den Nachteil grosser Störung und so werde ich es als Schicksal ansehen, wenn sich nicht ungezwungen die Hände bieten zur Veröffentlichung meiner neuen Werke, in denen ich nun seit 1 1/2 Jahren mit immer wachsendem Erfolg fortfahre [...]. Die Möglichkeit, zu drucken, hat damals gelitten, aber ich habe kein Gefühl des Nachtragens gegen Graef, weil ich weiss [,] wie sehr mich eines Tages meine Arbeiten rechtfertigen werden; solange aber diese nicht ans Licht kommen, brauche ich auch nicht Recht zu behalten und es kann mir unendlich gleichgültig bleiben, ob Sie, Herr Ludwig v. Hofmann etc. mich fiir grössenwahnsinnig halten. Dieses Urteil wollen wir der Geschichte überlassen. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, eine kältere und ruhiger überlegende Kraft als meine ist in den Literaturen der Welt selten am Werk gewesen, und gilt nicht ein uneingeschränktes Fieber fur Wahnsinn? O b meine Berechnungen mich weit bringen werden oder nicht, das kann ich selbst nicht beurteilen, aber auch als Torso wird meine Arbeit später noch einmal eine Achtung wert sein, die man nicht durch militärische Normalitätsuntersuchungen zu bekunden braucht. [...]«(Deutsches Literaturarchiv Marbach, A: Hardt, 62.381).

3 Der Folkwang-Verlag

terlichen Sicherheit Behauptungen aufstellte, die allen bisherigen Ergebnissen wissenschaftlicher F o r s c h u n g hohnsprachen.« 3 9 G e m e i n s a m mit d e m Verein » N e u e Schule« setzten sich O s t h a u s u n d F u h r m a n n in Hagen auch f ü r die G r ü n d u n g einer reformorientierten Versuchsschule ein, die u n ter der Leitung des Reformpädagogen Fritz Klatt f ü r kurze Z e i t im >HohenhofMinotauros< sucht ein M e n s c h in f ü n f G e s p r ä c h e n seinen F r e u n d e n u n d d e m Volk zu erklären, dass er zwar als O p f e r f u r den M i n o t a u r o s b e s t i m m t w u r d e u n d nach Kreta gehen soll, dass er aber nicht geopfert w e r d e n kann, weil er sich selbst opfert, dass er sein Schicksal selbst wählt u n d deshalb frei ist u n d nicht des Schicksals machtloses Objekt.« 4 2

Vielleicht u n t e r d e m Eindruck des M y t h o s von Langemarck, sicherlich »aber aus aktueller historischer E r f a h r u n g hat 1919Ernst F u h r m a n n in einem lyrischen Drama den M y t h o s des M i n o t a u r u s n e u gedeutet«. 4 3 A n o n y m erschien F u h r m a n n s deutsche Fassung des D r a m a s Sakuntala des großen indischen Schriftstellers Kalidasa (wohl Ende 4./Anfang 5. J h . n. Chr.). 4 4 Obgleich

39 Schulze-Sölde 1930, S. 60. 40 Baumann 1987, S. 95. 41 Z u d e m hatte Ernst Fuhrmann ohne Absprache mit Osthaus den Druck einer Veröffentlichung seiner Frau veranlaßt und in das Verlags-Programm aufgenommen (Elisabeth Fuhrmann, »Leben sagenhaft«. Dichtungen, Hagen 1920); hierfür leistete F u h r m a n n in einem Brief an den Mäzen nachträglich Abbitte: »Ich habe vergessen Ihnen zu sagen, dass ich vor einiger Zeit einen Band Gedichte meiner Frau als Privatdruck in Auftrag gab. Da die Kosten für 300 Ex[emplare], die wir ungefähr an Bekannte absetzen, sehr hoch sind, lasse ich jetzt 1000 druckcn und habe schon von Frau Dr. D[eetjcn] die Erlaubnis, den N a m e n des Verlages darauf zu setzen. Hoffentlich sind Sie nicht böse, aber man kann dann leichter die übrigen Ex[emplare] unterbringen. Finanziell soll der Verlag nicht damit belastet werden, denn ich bezahle bei B[ald] und Krüger [der Druckerei des Bandes] erst, wenn ungefähr entsprechende Eingänge da sind«; Ernst Fuhrmann an Karl Ernst Osthaus, Brief v. 31. 3. 1920, Karl Emst Osthaus-Archiv: P2 179/10. 42 Peter Pesel (d.i. Günther Mehren), »Wer war Emst Fuhrmann? Versuch einer Beschreibung von Leben und Werk«, undatiertes Typoskript zu einem Funkessay, Karl E m s t Osthaus-Archiv: Ρ 679/1-16, S. 3.

3 . 3 Ernst F u h r m a n n u n d s e i n e Schriften

die P u b l i k a t i o n als >neue d e u t s c h e Fassung< tituliert war u n d s o m i t impliziert w u r d e , daß es sich u m eine n e u e U b e r s e t z u n g h a n d e l n m ü s s e , verstand F u h r m a n n m i t S i c h e r h e i t k e i n Sanskrit, u n d s o >enttarnte< der Orientalist H e l m u t h v o n G l a s e n a p p d i e N e u e r s c h e i n u n g als »Paraphrase der w o h l b e k a n n t e n Ü b e r t r a g u n g von H e r m a n n Camillo Kellner, welche 1890 in Reclams Universal Bibliothek erschienen ist. Daß der U r h e b e r der >neuen deutschen Fassung< das Sanskrit-Original nicht gekannt hat, sondern lediglich Kellners U b e r s e t z u n g umschreibt, ergibt sich aus vielen Einzelheiten, w o er in d e m Bestreben, d e n Ausdruck bei Kellner etwas zu ändern, aber doch sklavisch von ihm abhängig, den Sinn des Originals verkehrt wiedergibt,« 45 S o m i t ist a u c h dieses W e r k e h e r als freie lyrische B e a r b e i t u n g des Stoffes, d e n n als k u l t u r w i s s e n s c h a f t l i c h f u n d i e r t e N e u a u s g a b e z u w e r t e n . G l e i c h z e i t i g steht F u h r m a n n s F a s s u n g in der T r a d i t i o n des J e n e n s e r Graef-Kreises, in d e m e t w a auch d e r D i c h t e r R e i n h a r d J o h a n n e s S o r g e ( 1 8 9 2 - 1 9 1 6 ) , der F u h r m a n n sein G e d i c h t Die

Brü-

der g e w i d m e t hatte, 4 6 s e i n Indisches Lied verfaßt hat. 4 7 D e r dritte B a n d F u h r m a n n s , der 1 9 1 9 i m F o l k w a n g - V e r l a g erschien, ist das e b e n f a l l s a n o n y m publizierte, o p u l e n t ausgestattete W e r k Schwedische Felsbilder von Göteborg bis Strömstadt,

das er als A u t o r u n d Verlagsleiter m i t d e m R e i h e n t i t e l Werke der

nen, Schriften zum Wiederaufbau

der alten nordischen Kulturen v e r s e h e n hatte.

Neben

sprachtheoretischen

einem

kultur- u n d

Essay F u h r m a n n s

Urgerma-

enthält

der

Band 5 8 teils m e h r f a c h ausfaltbare T a f e l n , a u f d e n e n d i e prähistorischen Z e i c h e n u n d Z e i c h n u n g e n exakt w i e d e r g e g e b e n s i n d . 4 8 Kind s e i n e r Z e i t , v e r s u c h t e F u h r m a n n d u r c h seine spekulativen F o r s c h u n g e n a n hand v o n S c h i f f s d a r s t e l l u n g e n u n d S o n n e n k u l t e n , M y t h e n u n d v e r m e i n t l i c h e n S p r a c h e n t w i c k l u n g e n n a c h z u w e i s e n , daß die a b e n d l ä n d i s c h e Kultur, ja a u c h d i e k u l turelle E n t w i c k l u n g Mittelamerikas, ihren U r s p r u n g i m n o r d e u r o p ä i s c h e n R a u m habe.

43 Mattcnklott 1982, S. 198; eine Deutung des Fuhrmannschen Erlösungsdramas liefert Mattcnklott 1987, S. 222: »Minotauros, das mythische Ungeheuer, sei das angehäufte Leid, dem der Mensch allzu lange aus dem Wege gegangen sei. Der dies erkennt, m u ß handeln: sich selbst zum Opfer bringen wie Theseus, rücksichtslos gegen dieses Selbst, gegen die Nachkommen, gegen Staat, Besitz und persönliches Glück: [...] So erhält hier der Voluntarismus einer kulturrevolutionären Intelligenz ohne Auftrag, diese Selbstermächtigung brachliegenden Emeuerungswillcns, seine eigene Mythologie, die eines rituellen Opferganges der Eliten für ein Volk, das in den Dingen des Lebens kraftlos geworden sei.« 44 Als weiterer Hinweis auf die Kalidasa-Rezeption der Moderne sei daran erinnert, daß der Expressionist Ernst Ludwig Kirchner bereits 1905 eine fünfteilige lithographische »Sakuntala-Folge« geschaffen hatte. O b Fuhrmann, etwa durch den Botho Graef-Kreis, dieser Zyklus bekannt war, läßt sich jedoch kaum nachweisen. 45 Glasenapp 1920. 46 Datiert auf den 15. 8. 1911, vgl. Deutsches Literaturarchiv Marbach, A: Sorge, 69.1850. 47 1910; vgl. Sorge 1962, S. 206. 48 Der Folkwang-Verlag hatte sich zum Nachdruck einen Band von Baltzers »Fels-Zeichnungen, hg. u m 1876« (Lauritz Baltzer, Hällristningar frSn Bohuslän, Göteborg 1881-1890) vom H a m burger Völkerkundemuseum entliehen (Karl Ernst Osthaus-Archiv: FV 53, 1-2).

3 Der Folkwang-Verlag » F u h r m a n n s Sprachtheorie, in der er das >Ende d e r Universitätssprachforschung< ausrief, ist die phantastische Spekulation einer sämtliche Zivilisationssprachen u m f a s s e n d e n Etymologie. Er findet u n d erfindet W u r z e l n , W o r t s t ä m m e u n d M o r p h e m e , die das Aztekische mit d e m Arabischen, das Indogermanische mit d e n ostasiatischen Sprachen verbindet. Er konstruiert eine germanische U r s p r a c h e , in der das G r i e c h i s c h e u n d Lateinische als Dialekte v o r k o m m e n u n d weist nach, daß die Odyssee aus d e n Liedern im Rheintal ansässiger W i n z e r e n t s t a n d e n ist. H e r m a n n [sie !] W i r t h s >Heilige U r s c h r i f t d e r M e n s c h h e i t ( ist hier antizipiert, was n u r heißt, daß die zwanziger J a h r e nicht a r m w a r e n an derlei abenteuerlicher P s e u d o w i s s e n schaft.« 4 9

Während der Schriftsteller und ebenso unkonventionelle Denker Johannes Schlaf (1862-1941) in Fuhrmanns kommentierter Ausgabe der schwedischen Felszeich-

49 Gronius 1983, S. XI. »Das Ende der Universitäts-Sprachforschung« postulierte Fuhrmann auf dem Titelblatt seiner Zeitschrift »Zweifel«, 2. Jg., Η . 1 v. April 1927, die abschließende Bemerkung von Gronius bezieht sich insbesondere auf F u h r m a n n s Schrift »Die französische Sprache, ein deutscher Dialekt«, Hagen und Darmstadt 1923. Herman Wirth (1885-1981), früher Nationalsozialist und Begründer des Forschungsinstituts fur Geistesgeschichte und schließlich des Deutschen Ahnenerbcs ist der vielleicht bekannteste bzw. berüchtigtste Vertreter der völkischen und schließlich nationalsozialistischen Ausprägung des pscudo-wissenschaftlichen Pan-Gcrmanismus. Z u seinen Zielsetzungen gehörte die Wiederbelebung einer germanischen Ur-Rcligion; zum Pan-Gcrmanismus der zwanziger Jahre vgl. etwa: Strohmeyer 1993; in der von Eugen Diedcrichs 1929 ins Leben gerufenen H c r m a n Wirth-Gesellschaft wurden u.a. Josef Strzygowski u n d Johannes Schlaf aktiv (s.u.); interessant im Z u s a m m e n h a n g unserer Untersuchung ist auch der schwärmerische Hinweis Kurt Liebmanns auf Herman Wirths Hauptwerk »Der Aufgang der Menschheit. Untersuchungen zur Geschichte der Religion, Symbolik und Schrift der atlantisch-nordischen Rasse« (Jena 1928), in dem er u.a. auf die Bedeutung von Wirths Germanen-Forschungen fur ein erneuertes, positives Verständnis des deutschen Expressionismus verweist (»Wir wissen heute durch Wirth, daß die Anfänge dieser Geistesbewegung das H e r a u f k o m m e n eines Nordisch-Lichthaftcn war, das gegen den mechanischen Naturalismus sich erhob und geistige, abstrakte, entstofflic'nte Kunst wollte. Van Gogh war auch Niederländer wie Wirth. Das ungeheuere Geistige und Tathaftc, das aus dem [sie ! ] von Franz Marc veröffentlichten S a m m l u n g >Der blaue Reiten strahlte, hat man vergessen«, vgl. Liebmann 1928, S. 191). Ähnliches sah Johannes Schlaf 1920 bereits in bezug auf Fuhrmanns Edition der schwedischen Felsbilder, von denen er meinte, diese müßten »gerade die heutigen expressionistischen Bestrebungen ansprechen«; vgl. Schlaf 1920; zur Affinität zwischen Expressionismus und Pan-Germanismus vgl. auch: Peter Ulrich Hein, Die mordischen Expressionisten«, in: Hein 1992, S. 119-131; neben Wirth ist etwa auch der Anthroposoph und Kunsthistoriker Gottfried Richter dem pangermanischem Spektrum zwischen Wissenschaft und Ideologie zuzuordnen, vgl. G. Richter, Die G e r m a n e n als Wegbahner eines kosmischen Christentums, Breslau 2 1936. Ernst Fuhrmann selbst äußerte sich - nicht o h n e Neid auf die Unterstützung Wirths durch Eugen Diederichs - abfällig über Wirth, wenngleich er dessen Anschauung und Methode in Grundzügen teilte. So schrieb er 1929 über Wirths »Aufgang der Menschheit«: »Das Buch Wirth habe ich mehreren Menschen der Reihe nach geliehen u n d habe versucht, irgendwelche positiven Äusserungen darüber einmal von andrer Seite zu hören, da ich befangen sein könnte. [...] Meine eigne Meinung aber bleibt, dass Wirth, abgesehen davon, dass er viel Material beschafft hat, das ich immer nur in verschiedenen Quellen sah oder auch gelegentlich nicht sah, mit einer Bewältigung nicht annähernd fertig w u r d e und werden kann, denn das ist nicht der gangbare Weg, den er hat. Ich glaube, sehr viel mehr Nützliches in dieser Forschung getan zu haben und halte es nur durchaus nicht für meine Sache, gegen dieses Buch Stellung zu nehmen. Hätte mir jemals ein Mensch aber solche Mittel zur Verfugung gestellt und Diederichs sich für mich entschieden,

3 . 3 Ernst F u h r m a n n u n d s e i n e S c h r i f t e n

n u n g e n A n r e g u n g e n findet, d i e »von e b e n s o scharfsichtiger, e i n d r i n g l i c h e r triebsicherer Wissenschaftlichkeit w i e v o n genialem synthetischen V e r m ö g e n zeugen«,50 b i l d e n F u h r m a n n s K o m m e n t i e r u n g e n für d e n R e z e n s e n t e n der Wiener

prähistorischen

Zeitschrift L e o n h a r d Franz lediglich >wüsten SchundLand u n d das feste Wissen in Stücke zu schlagen u n d zu quirlen, bis kein M e n s c h sich m e h r sicher auf diesem Boden fühlt.c Ich glaube, Sie zu verstehen u n d versage Ihren Absichten m e i n e höchste A c h t u n g nicht. Aber die Aufgabe, von der ich I h n e n sprechen muss, ist der Art, dass sie die Möglichkeit einer Konsolidierung unseres Lebens im Geiste der Hingabe u n d Schönheit voraussetzt.« 5 2 D a s k u r z e Briefzitat zeigt, w i e hier der R e v o l u t i o n ä r u n d der bedächtige R e f o r m e r i m D i e n s t e i n e s ä s t h e t i s c h e n I d e a l i s m u s a u f e i n a n d e r t r e f f e n . O s t h a u s als d i s t i n g u i e r ter G r o ß b ü r g e r war e i n e r e c h t e n w i s s e n s c h a f t l i c h e n o d e r p o l i t i s c h e n A u f l e h n u n g nicht fähig, u n d d o c h z e i g e n die b i s w e i l e n i n t e n s i v e n Kontakte z u m aktionistischen

dann wäre etwas Nützlicheres, Klareres und Aufbauendcrcs zu Stande gekommen. Das alles werde ich noch schaffen und so beschäftigt mich Wirth nicht sehr, es ist auch nichts darin, was ich für meine Denkweise benutzen kann. [...] Ich habe [...] auch von andren Menschen noch nicht die kleinste vernünftige, reale Äusserung über das Buch erhalten können, obwohl es mich für den Verfasser und den Verleger freuen würde, denn auch der ganzen Sache alter Forschung ist mit diesem Buche nicht gut gedient. [...] Vergessen Sic nun nicht, dass Diederichs dieses Buch gerade gegen mich herausgegeben hat, so bin ich nun schon kaum in der Lage, etwas sehr Nützliches dazu zu sagen, wenn ich auch immer gut von Diederichs Verlag denke.« (Ernst Fuhrmann an Maria Tiemann, Brief v. 17. 1. 1929, Deutsches Literaturarchiv Marbach, A: Litzmann; Hervorhebungen im Original.) 50 Schlaf 1920; Korrespondenz zwischen Johannes Schlaf und dem Folkwang-Verlag, Ernst Fuhrmann, aus den Jahren 1919/20 bewahrt das Karl Ernst Osthaus-Archiv; Schlaf und Fuhrmann erwogen, die antikopemikanische Schrift »Kosmos und kosmischer Umlauf« des Weimarer Schriftstellers und Ex-Naturalisten in dem Hagener Verlag erscheinen zu lassen. Tatsächlich erschien der Band jedoch erst 1927 im Verlag des Literarischen Institutes Hilmar Doetsch in Weimar; eine Besprechung des Bandes durch Fuhrmann oder einen seiner Mitarbeiter erschien im Jahr darauf in dem von Herbert Nette herausgegebenen »Grundstock einer Bibliothek« (Friedrichssegen/Lahn 1928, S. 129f.). Im Teilnachlaß Johannes Schlafs im Stadtarchiv Halle haben sich darüber hinaus drei Postkarten Fuhrmanns an Schlaf erhalten, die aus der Zeit um 1928 stammen. 51 Franz 1922. 52 Karl Emst Osthaus an Ernst Fuhrmann, Brief v. 14.7.1919, Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky Hamburg, Nachlaß Fuhrmann.

3 Der Folkwang-Verlag Arbeitsrat für Kunst, zu Bruno Taut, Ernst Fuhrmann, Heinrich Vogeler und Hugo Hertwig wie sehr Osthaus auch von den Gedanken an eine gesellschaftliche Umwälzung der bestehenden Zustände angezogen gewesen sein muß. Durch das Wirken Fuhrmanns und das teilweise sich kraß antibürgerlich gebärdende Leben der >Hagener Boheme< um Fuhrmann und Hertwig fand diese >Umwertung aller Werte< zumindest auf dem Gebiet der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Konventionen statt, und nicht zuletzt gehören Fuhrmanns assoziative Schriften, wie der Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott in seinem Beitrag von 1984 nachweist, zu den apokryphen Schriften der Moderne. Auf die Künstler und Schriftsteller seiner Zeit übten Fuhrmanns Werke offenbar eine ähnliche Faszination aus wie die Schriften Leadbeaters, Besants, Blavatskys, Steiners oder Ο. Ζ. A. Hanishs auf Künstler wie Kandinsky, Klee und Itten. 33 U n d doch: Durch die anarchischen Züge im Denken Fuhrmanns und den hohen Stellenwert, den er in seinen Betrachtungen dem Widerspruch und dem Zweifel beimaß, blieb seine esoterische Lesergemeinde davor bewahrt, zu einer dogmatischen Sekte verschmolzen zu werden.

3.4

Buchkünstlerische Arbeiten: Einbandgraphik von Johannes Karl H e r r m a n n

Im Sinne der Förderung junger Talente und der Propagierung vorbildlicher Gestaltungsmöglichkeiten sollte der Folkwang-Verlag nach dem Willen von Osthaus auch dem künstlerischen Nachwuchs offenstehen. Gelungene Beispiele für die Partizipation junger Künstler bilden etwa die Einbandgestaltungen des jungen Bauhäuslers Johannes Karl Herrmann (1893-1962) für den Folkwang-Verlag, sowie das Werk Johannes Auerbachs. Herrmann, geboren in Wernshausen an der Werra, hatte nach einer abgeschlossenen Bildhauerlehre seit 1911 die Bildhauerklasse der Kunsthochschule Weimar besucht und seine Studien nach Absolvierung des Kriegsdienstes 1919 am neugegründeten Weimarer Bauhaus bei dem Bildhauer Richard Engelmann fortgesetzt. Die Frühzeit des Bauhauses war noch keineswegs durch klaren sachlichen Funktionalismus in der Gestaltung geprägt, sondern stand gerade in jenem Gründungsjahr unter dem Einfluß der geistigen und kulturellen Erneuerungsbewegungen in Folge des beendeten Weltkriegs, der Novemberrevolution von 1918 und einer hoffnungsreich erscheinenden politischen Situation.

53 Vgl. die Beiträge von Beat Wyss und Sixten Ringbom in: Wyss 1993, S. 15-72; über Mazdaznan und Ο . Ζ . A. Hanish äußerte sich Fuhrmann äußerst abfällig, vgl. Ernst Fuhrmann, >Bambino Bcssari< (Rezension), in: Zweifel, 1. Jg., H. 5 v.Juli 1926, S. 157f. Sein entschuldigender Kommentar (ebd., S. 160) weist d a r a u f h i n , daß Fuhrmann mit Mazdaznan-Anhängcrn befreundet gewesen sein muß; dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, in harten Worten sein Unverständnis für die esoterische Sekte und deren manisches Reinlichkeitsbedürfnis zu äußern. Schließlich brachte Fuhrmann seine M e i n u n g in einem bitteren, gereimten Zweizeiler zum Ausdruck: »Ich glaube, Mazdaznan ist großer Mist, / wenn man ganz bei Sinnen ist.« (ebd.)

3.4 Buchkünstlerische Arbeiten: Johannes Karl H e r r m a n n

Hochsensibel reagierten die Künstler der f r ü h e n Weimarer Republik auf diese U m wälzungen: B r u n o T a u t hatte 1918 den Arbeitsrat f ü r Kunst gegründet, ein F o r u m für visionäre Kunst u n d gesellschaftliche U t o p i e n mit so p r o m i n e n t e n Mitgliedern wie Lyonel Feininger, Erich Heckel, Ludwig Meidner, Emil N o l d e , Max Pechstein oder Karl S c h m i d t - R o t t l u f f u n d den Architekten Walter Gropius, H a n s Scharoun und den G e b r ü d e r n Luckhardt. Im Jahr darauf ü b e r n a h m G r o p i u s den Vorsitz des Arbeitsrats u n d gründete in Weimar aus d e m Z u s a m m e n s c h l u ß der ansässigen Kunstgewerbeschule u n d der Hochschule f ü r bildende Kunst das Staatliche Bauhaus. Das hohe Niveau dieser Kunsthochschulen, das noch auf den Einfluß von H e n r y van de Velde z u r ü c k z u f ü h r e n war, u n d der Aktionismus der künstlerischen A u f b r u c h s t i m m u n g nach der Novemberrevolution waren die G r u n d s t e i n e für die reformorientierte N e u g r ü n d u n g . Die bedeutendsten Werke, die sich auf diesem N ä h r b o d e n entwickelten, standen zunächst noch im Zeichen eines dynamischen Expressionismus, der d e n M u t zu radikaler Abstraktion g e f u n d e n hatte. Die buchkünstlerische Produktion j e n e r Zeit beschränkte sich im wesentlichen auf die Drucke von aktionistischen Pamphleten oder Manifesten. So illustrierte etwa Feiningers b e r ü h m t e r Holzschnitt Kathedrale im April 1919 das Titelblatt zu d e m Manifest u n d P r o g r a m m des Staatlichen Bauhauses. Holzschnitte von Feininger u n d Pechstein illustrierten im selben Jahr auch die Flugschriften des Arbeitsrates. Doch längst nicht alle buchkünstlerischen Arbeiten dieser Zeit gehören zu den bekannten Raritäten des B u c h - und Kunstmarktes. Die Einbandgraphiken H e r r m a n n s f ü r den Folkwang-Verlag mögen hierfür ein Beispiel sein. Johannes Karl H e r r m a n n u n d die j u n g e n Bauhäusler J o h a n n e s Ilmari Auerbach (1899-1950) u n d Karl Peter Röhl (1890-1975) hatten sich w ä h r e n d ihres ersten Bauhaus-Semesters mit J o h a n n e s Molzahn (1892-1965; vgl. Kap. 6.2) u n d H u g o H e r t WIJ (1891-1959) zu einem Freundeskreis z u s a m m e n g e f u n d e n . Röhl erinnerte sich: »IV.olzahns Atelier wurde unser Treffpunkt. Es entstanden seine großen Bilder, Manifestationen Molzahns, die man nicht wieder vergißt. Molzahn war für uns der deutsche Boccioni! H e r bereitete sich etwas N e u e s vor. Wir schlossen uns zu einer kleinen neuen Gruppe zusammen. Der Bildhauer Her[r]mann, Johannes Molzahn und ich.« 54

Im F r ü h j a h r 1919 bildeten die drei einen N u k l e u s der neu erwachenden Avantgarde in Weimar, die f ü r die G r ü n d u n g des Bauhauses von entscheidender B e d e u t u n g werden sollte. M o l z a h n , H e r r m a n n u n d Röhl hatten sich dabei entschieden der n e u e r Zeit zugewandt; wie Harry Graf Kessler erinnert, suchten sie >den n e u e n M e n scien«, 33 u n d in vollem Bewußtsein der historischen Aufbruchsituation datierten sie ihre Werke des Jahres 1919 gemeinsam auf das Jahr >1Tabu< beginnt mit der Beschwör u n g reinen Glücks: die badenden j u n g e n M ä n n e r u n d M ä d c h e n im Wasserfall des Dschungels, b l ü h e n d e Körper, b l u m e n g e s c h m ü c k t zwischen üppigem G r ü n : das Musterbild eines >locus amoenusGeist, Kunst und Leben Asiens< war ich glücklich, wieder in meiner Heimat zu sein. N u r einmal in meinem Leben kam ich in ein Land, a u f eine Insel wo ich mich schließlich nach längerem Aufenthalt gewaltsam losreißen mußte, um nach Europa zurückzukehren ... es war a u f Bali.« 121

In den dreißiger Jahren folgten die Fotografen Fritz Henle (1909-1993) 1 2 2 und Gotthard Schuh (1897-1969), dessen Bildband über die Inseln der Götter bis 1960 zwölf Auflagen und drei Ubersetzungen erlebte. 123 1942 legten Gregory Bateson und Margaret Mead ihre ethnographische Feldforschung über den >balinesischen Charakter« in Form einer fotografischen Analyse« vor, für die die beiden »25000 Leica stills and about 22000 feet o f 16mm. film« angefertigt hatten, aus denen sie 759 ausgewählte Fotografien publizierten. 124 Ende der vierziger Jahre nahm Henri Cartier-Bresson (*1908) - wie schon zuvor Krause und Bernatzik - balinesische Tänze auf, 125 1953 fotografierte derMagnum-Fotograf George Roger (*1908) auf Bali, 1960 bereiste Josef Breitenbach (1896-1984) und in den siebziger Jahren durchstreifte der Reisefotograf Hans Helfritz (1902-1995) die Insel. 126 Zusammenfassend ist feststellbar, daß Krauses Bali-Fotografien, deren Rezeption nahezu einhellig verlief, nicht nur einen Reiseboom in die Südsee mitveranlaßt haben, der namentlich von eskapistischen und kulturpessimistisch orientierten Bürgern und Intellektuellen getragen wurde, sondern zudem einer nahezu homogenen Ikonographie hinsichtlich des europäischen Bali-Bildes Vorschub geleistet hat, wie die nachfolgenden Buchpublikationen von Kreutzberg, Bernatzik oder Schuh deutlich zeigen. Krauses >glückliche Tropen« vermeinen eine Welt vor dem Sündenfall zu zeigen; zugleich zeugen sie von einer populärwissenschaftlichen Ethnologie, die der Trauer darüber noch nicht gewahr ist, daß der Blick auf das Fremde nicht ohne den Widerhall des Betrachters denkbar ist - von einer Ethnologie, die in den Reflexionen von Victor Segalen und Claude Levi-Strauss sich ihrer bewußt wurde und mit dieser Erkenntnis selbst die Unschuld paradiesischer Betrachtungen verloren hat. 127 Für Krauses BaliBuch gilt somit, was Doris Byer angesichts Hugo Adolf Bernatziks Fotografien f r e m der Frauen« exemplarisch vorgeführt hat: »In diesem Buch sind Frauen fremder Kulturen abgebildet. Sie vermitteln uns Inhalte, die ihre Welt betreffen. Ihre Bilder sind jedoch gleichermaßen Symbole unserer Kultur. Im Antagonismus von Ihr und Wir liegt die Ethnologie seit d e m 18. Jahrhundert begründet: >Wir« erforschen >sie< und entdecken >uns«.«128

121 122 123 124 125

Bernatzik 1935, S. 142. Vgl. Fritz Henle 1994, S. 15. Schuh 1940; Schuh 1967; Schuh 1982. Bateson/Mcad 1942, S. 49. Antonin Artaud/Beryl de Zoete »Danscs ä Bali« erschien in Deutsch unter dem Titel: Henri Cartier-Bresson »Bali. Tanz und Theater«; Krause hatte den Tänzen auf Bali nicht nur einen großen Teil des zweiten Bandes des Bali-Werks gewidmet, sondern bereits in der niederländischen Zeitschrift Wendingen hierzu publiziert; vgl. Krause 1919.

126 Helfritz 1977. 127 Vgl. Segalen 1904/18; Levi-Strauss 1955. 128 Byer 1985, S. 7.

3 Der Folkwang-Verlag

3.5.3

Die Kontroverse um Fuhrmanns Chinabuch

D e r 1921 erschienene Band Fuhrmanns über China. Das Land der Mitte. Ein Umriss löste eine folgenschwere Kontroverse zwischen Karl With und Ernst Fuhrmann aus. Hatte With noch im Frühjahr 1921 von d e m »überragenden geistigen Phänomen Ernst Fuhrmanns< geschwärmt, 1 2 9 so sah er sich bereits wenige Monate später veranlaßt, sich öffentlich von ihm und d e m China-Band zu distanzieren, den Fuhrmann innerhalb der v o n With herausgegebenen Reihe hatte erscheinen lassen. In den renommiertesten fachwissenschaftlichen Periodika, der Kunstchronik und d e m Cicerone, erschien Withs Einspruch gegen das Chinabuch von Emst Fuhrmann: »Wegen der U n s u m m e von Sachfehlem und falschen Beschriftungen, sowie des ganz zufallig zusammengetragenen Bildmaterials in dem Buch >China, das Reich der Mitte< von Emst Fuhrmann gehen mir dauernd Zuschriften zu, die gegen diese Publikation Protest einlegen, da das Buch als Band 4 der von mir herausgegebenen Schriftenserie >Gcist, Kunst und Leben Asiens< bezeichnet ist. Ich muß aber hiermit erklären, daß ich mit der Herausgabe dieses Buches nichts zu tun habe, sondern daß der Leiter des Verlages, der zugleich Autor dieses Chinabuches ist, eigenmächtig seine Arbeit als von mir herausgegeben bezeichnet hat.«' 30 Fuhrmann hatte das Werk des China-Reisenden Bernd Melchers u m einen Band ergänzt, in d e m er glaubte, den Ausführungen über den Tempelbau im Land der Mitte einige allgemeine Anschauungen vorwegschicken zu können. So hatte Fuhrm a n n sich Platz geschaffen für seine sprachwissenschaftlichen Spekulationen über die chinesische Bildschrift und die »phonochinesische Sprache«. Ernst Fuhrmanns autodidaktischer und spekulativer Ansatz mußte in Fachkreisen auf Ablehnung stoßen, und so folgten prompt die Verrisse des Bandes durch den Assistenten am Kölner M u s e u m für Ostasiatische Kunst, Alfred Salmony, 1 3 1 und den streitbaren Publizisten Carl Einstein, »der freilich nicht lange darauf in Paul Westh e i m s Orbis-Pictus-Reihe eine gleichfalls unbestreitbar dilettantische Interpretation v o n japanischer Holzschnittkunst gab.« 132 Einstein hatte Fuhrmanns Werk mit äußerst scharfen Worten abgeurteilt und sich v e h e m e n t gegen den assoziativen Zugriff Fuhrmanns verwehrt: »Peinlich, an solchem Buch Kritik zu üben: diese gerät zur Exekution. Man trifft in abgetrennten Ecken isolierter Provinz pensionierte Sekretäre und mutierende Gymnasiasten, die an ihrer unerkannten Genialität sich chloroformieren. Ahnlich der Fuhrmann. Gewiß, wir gewöhnten uns, Chinesisches durch kindische Literaten genotzüchtigt zu sehen; ich vermutete jedoch nicht, daß in solch lächerlicher Art einer an China sich vergriffe. Sowenig Fuhrmann von Chinesischem weiß, ebensowenig von deutscher Syntax, wiewohl er auf ethymologischem [sie !] Karren einherholpert.« 133 129 130 131 132

With 1921, S. 168. With 1922a; With 1922c. Salmony 1922b. Mattenklott 1986, S. 245; vgl. Einstein 1923; zudem hatte auch Einsteins Erstauflage der »Ncgerplastik« von 1915 zahlreiche haarsträubende Fehler enthalten, was der epochcmachenden Wirkung des Werkes dennoch nicht im Wege stand; als Beispiele zeitgenössischer fachwissenschaftlicher Kritik an Einsteins xNegerplastik« vgl.: Sascha Schwabacher; Salmony 1917; zur neueren Rezeption vgl. Herrmann 1951 oder Baacke 1990 und 1992. 133 Einstein 1922.

3.5 >Geist, Kunst und Leben Asiens< Fuhrmanns leichtfertiger Umgang mit Bildern und Fakten hatten Verlag und Schriftenreihe in Mißkredit gebracht. Letztlich spiegelt die Kontroverse um Fuhrmanns China-Bind jedoch zwei Polaritäten, die innerhalb der Publikationen des FolkwangVerlages aufschienen; zum einen waren hier ambitionierte Publikationen einer neuen Schule der Kunstwissenschaft zu finden, die auf dem Gebiet der ostasiatischen bzw. ethnographischen Kunstgeschichte teilweise wegweisend waren und Pionierarbeit zu leisten vermochten. Auf der anderen Seite waren da Fuhrmanns weniger fachwissenschaftliche Ambitionen, die im Sinne eines assoziativ oder synkretistisch organisierten Weltverständnisses in eher poetischerWeise darauf bedacht waren, Fiktionen und Erklärungen zur Weltkultur und der Interdependenz der Einzelkulturen zu entwickeln. Der Leser, der die Bücher des Verlages erwarb, ohne die Autoren und deren Hintergrund einschätzen zu können, war somit freilich kaum in der Lage abzusehen, was ihn - außer dem hervorragenden und einmaligen Bildmaterial - erwartete, und zugleich mußte das behandelte Sujet dem Laien oftmals so fremd und exotisch erscheinen, daß er sich kaum ein Urteil über den wissenschaftlichen Gehalt des Geschriebenen wird erlaubt haben dürfen. Das Problem, zwischen assoziativen kulturphilosophischen Überlegungen und fachwissenschaftlichen Darlegungen innerhalb der Folkwang-Publikationen unterscheiden zu können, wurde dem Publikum zudem dadurch verkompliziert, daß Fuhrmann seine Schriften bisweilen als Bestandteile kunsthistorischer Publikationsprojekte >tarnteGelehrteneifer< im Stile klassischer universitärer Gelehrsamkeit brandmarkte der bereits mehrfach zitierte ausgewiesene F u h r m a n n Gegner Alfred Salmony Fuhrmanns Schriften als esoterisch und antiaufklärerisch und verweist in diesem Zusammenhang auf die bisweilen verwandt erscheinenden Schriften des Begründers der Anthroposophie Rudolf Steiner oder des Begründers de: Darmstädter >Schule der WeisheitRückfall von Aufklärung in Mythologie< 136 beschrieben haben. Wie viele seiner Zeitgenossen, von Strindberg bis hin zu Vertretern der konservativen Revolutions arbeitete Fuhrmann mit daran, ganzheitliche Denkmodelle zu entwickeln, die den Zergliederungstendenzen positivistischer Wissenschaften entgegengesetzt werden konnten. So ist sein Ansatz zugleich Teil der janusköpfigen Moderne, für die die Tendenzen der Analyse ebenso charakteristisch scheinen wie jene des synthetisierenden Denkens.

136 Adorno/Horkheimer 1947, S. 3, S. 6.

4

Der Folkwang-Verlag nach dem Tod von Karl Ernst Osthaus (1921-1923)

A

m 2 7 . M ä r z 1921 w a r Karl E r n s t O s t h a u s in M e r a n 47jährig gestorben. A u f g r u n d

seiner k r a n k h e i t s b e d i n g t e n A b w e s e n h e i t e n v o n d e m H a g e n e r Z e n t r u m d e r

F o l k w a n g - U n t e r n e h m u n g e n hatte O s t h a u s die P l a n u n g der Aktivitäten seines N e t z -

w e r k e s j e d o c h s c h o n f r ü h z e i t i g delegiert u n d in d e r Z e i t nach d e m Krieg fast gänzlich aus d e n H ä n d e n gegeben. Als künstlerischer Leiter des H a g e n e r F o l k w a n g - M u s e u m s hielt Karl W i t h bis z u m Mai 1922 ein anspruchsvolles A u s s t e l l u n g s p r o g r a m m a u f r e c h t , u n t e r a n d e r e m m i t Ausstellungen v o n W e r k e n Laszlo M o h o l y - N a g y s , Alexej v o n Jawlenskys, G u s t a v W i e t h ü c h t e r s o d e r der Architekten Erich M e n d e l s o h n u n d Fritz Kaldenbach, 1 w ä h r e n d F u h r m a n n - in Vernachlässigung des D e u t s c h e n M u s e u m s f ü r K u n s t in H a n d e l u n d G e w e r b e - seine Aktivitäten ganz a u f d e n Folkwang-Verlag k o n z e n t r i e r t e . O s t h a u s hatte g e m e i n s a m m i t W i t h u n d F u h r m a n n w e g w e i s e n d e I m p u l s e gegeben. D u r c h das g e m e i n s a m e E n g a g e m e n t u n d mit d e m M ä z e n als A n t r i e b s m o t o r w a r aus der S a m m l u n g des M u s e u m s F o l k w a n g das H e r z einer Volksbildungsstätte g e w o r d e n , ein Z e n t r u m kulturellen Austausche, eine lebendige Institution der V e r m i t t lung. O s t h a u s selbst w a r die e i n i g e n d e Kraft gewesen, die d e n k o m p l e x e n »Werkorganismus« 2 z u s a m m e n g e h a l t e n hatte. M i t s e i n e m T o d zerfiel die erstrebte E i n h e i t >der s c h a f f e n d e n Triebe