Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts: Teil 3 2. Lesung: Allgemeiner Teil. Besonderer Teil [Schutz des Volkes. - Schutz der Volkskraft: Angriffe auf die Lebenskraft des Volkes sowie auf die sittliche und seelische Haltung des Volkes. - Schutz der Volksordnung: Angriffe auf ... [Reprint 2016 ed.] 9783110898354, 9783110123524

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Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts: Teil 3 2. Lesung: Allgemeiner Teil. Besonderer Teil [Schutz des Volkes. - Schutz der Volkskraft: Angriffe auf die Lebenskraft des Volkes sowie auf die sittliche und seelische Haltung des Volkes. - Schutz der Volksordnung: Angriffe auf ... [Reprint 2016 ed.]
 9783110898354, 9783110123524

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Protokolle der Amtlichen Strafrechtskommission. 2. Lesung
56. Sitzung vom 22. 3. 1935
57. Sitzung vom 23. 3. 1935
58. Sitzung vom 25. 3. 1935
59. Sitzung vom 26. 3. 1935
60. Sitzung vom 27. 3. 1935
61. Sitzung vom 28. 3. 1935
62. Sitzung vom 29. 3. 1935
63. Sitzung vom 30. 3. 1935
64. Sitzung vom 2. 5. 1935
65. Sitzung vom 3. 5. 1935
66. Sitzung vom 4. 5. 1935
67. Sitzung vom 6. 5. 1935
68. Sitzung vom 7. 5. 1935
69. Sitzung vom 6. 5. 1935
70. Sitzung vom 9. 5. 1935
71. Sitzung vom 10. 5. 1935
72. Sitzung vom 11.5. 1935
73. Sitzung vom 20. 6. 1935
Anwesenheitslist
74. Sitzung vom 21.6. 1935
75. Sitzung vom 22. 6. 1935
76. Sitzung vom 24. 6. 1935
77. Sitzung vom 25. 6. 1935
78. Sitzung vom 26. 6. 1935
79. Sitzung vom 27. 6. 1935
80. Sitzung vom 26. 6. 1935
81. Sitzung vom 29. 6. 1935
82. Sitzung vom 1.7. 1935
83. Sitzung vom 2. 7. 1935
84. Sitzung vom 3. 7. 1935
Anhang: Anträge
I. Anträge der Kommissionsmitglieder und Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zur 2. Lesung
II. Vorschläge der Unterkommissionen zur 2. Lesung
Register zu den Protokollen der amtlichen Strafrechtskommission
Personenregister
Sachregister

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Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts

Herausgegeben von

Werner Schubert, Jürgen Regge, Peter Rieß und Werner Schmid

w DE

G 1990 Walter de Gruyter - Berlin - New York

II. Abteilung NS-Zeit (1933—1939) — Strafgesetzbuch Band 2 Protokolle der Strafrechtskommission des Reichsjustizministeriums 3. Teil 2. Lesung: A llg e m e in e r Teil. B e s o n d e re r Teil (Schutz des Volkes. — Schutz der Volkskraft: Angriffe auf die Lebenskraft des Volkes sowie auf die sittliche und seelische Haltung des Volkes. — Schutz der Volksordnung: Angriffe auf die Reichsregierung und Bewegung, auf die öffentliche Ordnung sowie auf die Rechtsordnung)

Herausgegeben von

Jürgen Regge und Werner Schubert

w DE

G 1990 Walter de Gruyter - Berlin • New York

@ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

C/P-Tite/aufnahme der Deutschen Bibliothek Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts /

hrsg. von Werner Schubert... — Berlin; New York: de Gruyter. Abt. 2, NS-Zeit (1933—1939) — Strafgesetzbuch. NE: Schubert, Werner [Hrsg.] Bd. 2. Protokolle der Strafrechtskommission des Reichsjustizministeriums / hrsg. von Jürgen Regge u. Werner Schubert. Teil 3. 2. Lesung: Allgemeiner Teil, Besonderer Teil. — 1990 ISBN 3-11-012352-5 NE: Regge, Jürgen [Hrsg.]; Deutschland (Deutsches Reich) / Strafrechtskommission

© Copyright 1990 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer­ halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: H. Heenemann GmbH & Co, Berlin 42 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin 61

Inhalt VORWORT

.......................................................................................................................

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS................................................ PROTOKOLLE DER AMTLICHEN STRAFRECHTSKOMMISSION. 2.LESUNG....................

XI XIII 1

56.

Sitzung vom 22. 3. 1935 (Geltungsbereich der Strafgesetze: Strafgesetz als Grundlage der Bestrafung; materielles Unrecht und A n a lo g ie )..............................

57.

Sitzung vom 23. 3. 1935 (Geltungsbereich der Strafgesetze: Strafgesetz als Grundlage der Bestrafung; Auslegungsfrage — Wahlfeststellung — Zeitliche Geltung)

33

Sitzung vom 25. 3. 1935 (Geltungsbereich der Strafgesetze : Räumliche Geltung. Sprachgebrauch — Verjährung — Die Schuld: Zurechnungsfähigkeit)..................

57

59.

Sitzung vom 26. 3. 1935 (Schuldlehre: Schuldformen).............................................

99

60.

Sitzung vom 27. 3. 1935 (Schuldlehre: Schuldfähigkeit — Ausschluß von Unrecht und Schuld; Notwehr, N otstan d)................................................................................

58.

1

123

61.

Sitzung vom 28. 3. 1935 (Ausschlußvon Unrecht und Schuld; Notwehr, Notstand) .

147

62.

Sitzung vom 29. 3. 1935 (Übertretungsstrafrecht)

...................................................

167

63.

Sitzung vom 30. 3. 1935 (Die Straftat; Täterschaftsformen).......................................

209

64.

Sitzung vom 2. 5. 1935 (Die Straftat; Täterschaftsformen).......................................

233

65.

Sitzung vom 3. 5. 1935 (Die Straftat; Täterschaftsformen: Beihilfe, Anstiftung, Versuch)

275

66.

Sitzung vom 4. 5. 1935 (Die Straftat; Täterschaftsformen: Beihilfe, Anstiftung, Versuch — Unterlassung — Tätige Reue — Strafbegründende Eigenschaften und Verhältnisse; Bestrafung nach dem Maß der Schuld) ...............................................

297

67.

Sitzung vom 6. 5. 1935 (Die Straftat; Täterschaftsformen: Bestrafung nach dem Maße der Schuld — Vertreterhaftung) .......................................................................

329

Sitzung vom 7. 5. 1935 (Ausschluß von Unrecht und Schuld: Notwehr, Notstand — Die Strafen: Strafarten; Todesstrafe)..........................................................................

367

66. 69.

Sitzung vom 6. 5. 1935 (Die Strafen: Freiheitsstrafen — Vermögensstrafen)............

391

70.

Sitzung vom 9. 5. 1935 (Die Strafen: Ersatzfreiheitsstrafe bei Verfallerklärung — Ehrenstrafen — Verlust der Amtsfähigkeit — Bekanntmachung der Verurteilung) . .

431

Sitzung vom 10. 5. 1935 (Die Strafbemessung: Im Allgemeinen — Bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung).................................................................

455

71. 72. 73.

Sitzung vom 11.5. 1935 (Die Strafbemessung bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter H andlung)............................................................................................... Sitzung vom 20. 6. 1935 (Die Maßregeln der Sicherung, Besserung und Heilung)

ANWESENHEITSLISTE........................................................................................................ 74.

Sitzung vom 21.6. 1935 (Die Maßregeln der Sicherung, Besserung und Heilung — Verwarnung mit Strafvorbehalt)...................................................................................

499 519 544 545

75.

Sitzung vom 22. 6. 1935 (Die Maßregeln der Sicherung, Besserung und Heilung — Aufbau des Besonderen Teils) ................................................................................

561

76.

Sitzung vom 24. 6. 1935 (Landesverrat, Hochverrat, Volksverrat)..............................

579

77.

Sitzung vom 25. 6. 1935 (Landesverrat, Hochverrat — Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes).....................................................................................................

603

Sitzung vom 26. 6. 1935 (Angriffe auf die Wehrkraft — Angriffe auf die Reinheit der Amtsführung — U nzucht).........................................................................................

619

79.

Sitzung vom 27. 6. 1935 (Angriffe auf Ehe und Familie — Angriffe auf die politische Führung — Störung der Beziehungen zum Ausland — Vergehen bei Wahlen und Abstimmungen — Auflehnung gegen die Staatsgewalt)..........................................

647

80.

Sitzung vom 26. 6. 1935 (Angriffe auf die Fortpflanzungskraft — Angriffe auf den Gottesglauben und die Religion — Störung derTotenruhe — Angriffe auf Rechtspflege und V e rw a ltu n g )................................................................................

665

Sitzung vom 29. 6. 1935 (Angriffe auf Rechtspflege und Verwaltung — Eidesverletzung) .....................................................................................................

669

Sitzung vom 1.7. 1935 (Analogie — Angriffe auf Gottesglauben und Religion — Eidesverletzung) .....................................................................................................

709

Sitzung vom 2. 7. 1935 (Eidesverletzung — Die Strafbemessung bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung).................................................................

735

Sitzung vom 3. 7. 1935 (Aufbau des Allgemeinen Teils; GrundsätzlicherTeil) . . . .

759

78.

61. 62. 83. 64.

ANHANG:ANTRÄGE I. Anträge der Kommissionsmitglieder und Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zur2. Lesung Antrag Nr.

B1

von Mezger zu §§ 358,362 des Entwurfs 1. Lesung.....................

773

Antrag Nr.

B2

von Dürr zu §§ 358—364 des Entwurfs 1. Lesung........................

774

Antrag Nr. B 3

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zum Abschnitt: Die Strafen (§§ 383 —407 des Entwurfs 1. Lesung) . .

Antrag Nr.

B4

von Dürr zu §§ 345—436 des Entwurfs 1. Lesung......................

Antrag Nr.

B5

von Mezgerzu mehreren Paragraphen des Allgemeinen Teils . .

791

Antrag Nr.

B7

von Reimer zu §§ 351 —357 des Entwurfs 1. L e s u n g ..................

792

Antrag Nr.

776 765

B6

von Klee zu §§ 366 —377 des Entwurfs 1. Lesung (Die Schuld) . .

794

Antrag Nr. B 10

von Leimer zu §§ 376-360des Entwurfs 1. Lesung (Der Ausschluß von Unrecht und Schuld) ................................

796

Antrag Nr. B 11

von Leimer zu §§ 408- 414 des Entwurfs 1. Lesung (Die Strafbemessung).................................................................

796

von Thierackzu §§ 358—365 des Entwurfs 1. Lesung (Die Straftat)................................................................................

797

von Mezgerzu §§ 351—355des Entwurfs 1. Lesung (Räumliche Geltung der Strafgesetze).......................................

801

Antrag Nr. B 12 Antrag Nr. B 14 Antrag Nr.

B 16

von Klee zu §§ 356—361 des Entwurfs 1. Lesung (DieStraftat) . .

802

Antrag Nr.

B 17

von Lorenz zu §§ 361,362 des Entwurfs 1. Lesung (Die Verjährung)..........................................................................

603

von Graf Gleispach zu §§ 366—376 des Entwurfs 1. Lesung (Zurechnungsfähigkeit, Schuldformen) ...................................

604

Antrag Nr. B 18

Antrag Nr. B 19

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 345 —357 des Entwurfs 1. Lesung (Allgemeine Bestimmungen: Strafgesetz als Grundlage der Bestrafung. Zeitliche und räumliche Geltung der Strafgesetze. Sprachgebrauch)............................................................................

807

Antrag Nr. B 20

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 358—365 des Entwurfs 1. Lesung (Die S tra fta t)......................

809

Antrag Nr. B 21

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 383 —407 des Entwurfs 1. Lesung (Die S tra fe n )......................

613

Antrag Nr. B 22

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 408 —414 des Entwurfs 1. Lesung (Die Strafbemessung im A llg em ein en )..................................................................................

614

Antrag Nr. B 24

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 423 —433 des Entwurfs 1. Lesung (Maßregeln der Sicherung und Besserung)...............................................................................

617

Antrag Nr. B 25

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 415—419 des Entwurfs 1. Lesung (Die Strafbemessung bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung)...................

620

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 366—371 des Entwurfs 1. Lesung (Zurechnungsfähigkeit) . .

626

Antrag Nr. B 27

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 378—380 des Entwurfs 1. Lesung (Der Ausschluß von Unrecht und S c h u ld )......................................................................

626

Antrag Nr. B 26

von Dürr zu §§ 358—365 des Entwurfs 1. Lesung (Die Straftat) . .

830

Antrag Nr. B 29

von Dürr zu §§ 427—432 des Entwurfs 1. Lesung (Maßregeln der Sicherung und B esserung)............................................................

632

Antrag Nr. B 30

von Mezgerzu dem unter Antrag B 21 Ziff. 2 vorgeschlagenen § 394c (Haftbarkeit von Personenvereinigungen)......................

634

Antrag Nr. B 31

von Nagler zu §§ 358—361 des Entwurfs 1. Lesung (Die Straftat)

634

Antrag Nr. B 32

von Nagler zu §§ 361.362 des Entwurfs 1. Lesung (Die Verjährung)...............................................................................

837

Antrag Nr. B 33

von Nagler zu §§ 415—419 des Entwurfs 1. Lesung (Die Strafbemessung bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung)...................................................................

637

von Freisler zu §§ 345, 346 des Entwurfs 1. Lesung (Das Strafgesetz als Grundlage der Bestrafung).........................

637

Antrag Nr. B 35

von Kohlrausch zur Täterschaft......................................................

636

Antrag Nr. B 36

von Grau zu §§ 378—380des Entwurfs 1. Lesung(Der Ausschluß von Unrecht und S c h u ld )................................................................

639

Antrag Nr. B 26

Antrag Nr. B 34

Antrag Nr. B 37

von Mezger zur Ergänzung des Antrags Nr. B 30 ........................

640

Antrag Nr. B 36

von Niethammer zur Täterschaft

...................................................

640

Antrag Nr. B 39

von Mezger zu §§ 415—419 des Entwurs 1. Lesung (Die Strafbemessung bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung)...................................................................

641

von Mezger zum Aufbau und Inhalt des grundsätzlichen Teils und der Allgemeinen Bestimmungen des Entwurfs ...................

643

Antrag Nr. B 40

A n tra g N r. B 41

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 1 2 5 — 144 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( A n g riffe a u f d ie R e in h e it d e r A m t s f ü h r u n g ) .............................................................................................

344

A n tra g N r. B 42

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 5 4 — 59 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( G o tte s lä s te ru n g u n d R e lig io n s v e r g e h e n ) .........................................................................................

646

A n tra g N r. B 44

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 4 1 5 — 41 9 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g (D ie S tra fb e m e s s u n g b e i T a te in h e it, T a tm e h rh e it u n d fo rtg e s e tz te r H a n d l u n g ) .......................

847

A n tra g N r. B 45

v o n N ie th a m m e r zu § § 423 —4 3 6 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g (M a ß re g e ln d e r S ic h e r u n g u n d B e s s e ru n g ) .......................................

646

A n tra g N r. B 46

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 4 2 — 49 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g (A n g riffe a u f d ie W e h rk ra ft) .......................

857

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 113 — 117 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( S tö ru n g d e r B e z ie h u n g e n z u m A u s l a n d ) .....................................................................................................

661

A n tra g N r. B 48

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 1 7 5 — 1 8 0 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( E i d e s v e r l e t z u n g ) ...............

661

A n tra g N r. B 49

v o n L e im e r z u § § 1 4 5 — 1 5 6 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( A u fle h n u n g g e g e n d ie S ta a ts g e w a lt) .............................................................................

664

A n tra g N r. B 50

v o n L e im e r z u § § 1 5 7 - 1 7 4 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g (A n g riffe a u f R e c h ts p fle g e u n d V e r w a l t u n g ) ..................................................................

665

A n tra g N r. B 51

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 6 0 — 69 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( A n g riffe a u f E h e u n d F a m i l i e ) ...................

666

v o n T h ie r a c k z u § § 52 — 69 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( G o tte s lä s te ru n g u n d R e lig io n s v e rg e h e n . S tö r u n g d e r T o te n ru h e . A n g r iffe au f E h e u n d F a m i l i e ) ...............................................

666

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 1 4 5 — 152 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( A u fle h n u n g g e g e n d ie S t a a t s g e w a l t ) .....................................................................................................

672

A n tra g N r. B 47

A n tra g N r. B 53

A n tra g N r. B 54

A n tra g N r. B 55

v o n M e z g e r zu § § 7 0 —97 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( U n z u c h t) . . .

673

A n tra g N r. B 57

v o n R e im e r zu § § 7 0 —97 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g (U n z u c h t) . . .

677

A n tra g N r. B 58

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 7 0 — 97 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( U n z u c h t) ..........................................................

676

v o n N ie th a m m e r zu § § 4 1 5 —419 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g (D ie S tr a fb e m e s s u n g b e i T a te in h e it, T a tm e h rh e it u n d fo rtg e s e tz te r H a n d l u n g ) .................................................................................

660

v o n K o h lra u s c h zu § § 424 — 435 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g (M a ß re g e ln d e r S ic h e r u n g u n d B e s s e ru n g ) .......................................

662

v o n N a g le r zu § § 4 2 - 5 1 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g (V o lk s v e rra t. A n g r iffe a u f d ie W e h rk ra ft. E r h a ltu n g d e r V o l k s k r a f t ) .......................

664

v o n K le e zu d e n A n trä g e n d e s R e ic h s g e r ic h ts a u s s c h u s s e s zu d e n § § 1 5 7 — 174 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ...............................................

365

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 3 5 — 41 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( V o l k s v e r r a t ) ......................................................

666

d e r S a c h b e a r b e ite r d e s R e ic h s ju s tiz m in is te r iu m s zu § § 50. 51 d e s E n tw u rfs 1. L e s u n g ( E r h a ltu n g d e r V o l k s k r a f t ) ...........................

666

A n tra g N r. B 60

A n tra g N r. B 61

A n tra g N r. B 62

A n tra g N r. B 63

A n tra g N r. B 64

A n tra g N r. B 65

Antrag Nr. B 66

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu § 431 des Entwurfs 1. Lesung (Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher)..............................................................

891

Antrag Nr. B 67

von Klee zu §§ 154,155 des Entwurfs 1. Lesung (Auflehnung gegen die Staatsgewalt) .......................................

892

Antrag Nr. B 69

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 107 —112des Entwurfs 1. Lesung (Angriffe auf die politische Führung) ...................................................................................

692

Antrag Nr. B 70

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 118—124des Entwurfs 1. Lesung (Vergehen bei Wahlen und Abstimmungen)..........................................................................

893

Antrag Nr. B 71

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 157 —174 des Entwurfs 1. Lesung (Angriffe auf Rechtspflege und Verwaltung)...........................................................................

693

von Freister zum Aufbau des Besonderen T e ils ............................

699

Antrag Nr. B 74 Antrag Nr. B 75

von Dahm zum Aufbau des Allgemeinen T e i l s ............................

900

Antrag Nr. B 76

von Mezgerzu § 431 des Entwurfs 1. Lesung (Entmannung). . .

901

II. Vorschläge der Unterkommissionen zur2. Lesung Vorschlag Nr. B 1

(Unterkommission I) zum Abschnitt: Das Strafgesetz als Grundlage der Bestrafung ........................................................

902

(Unterkommission II) zum Abschnitt: Persönliche und räumliche Geltung der Strafgesetze ..........................................

903

Vorschlag Nr. B 3 (Unterkommission II) zum Abschnitt: Sprachgebrauch.............

903

Vorschlag Nr. B 4 (Unterkommission III) zum Abschnitt: Die S c h u ld ......................

904

Vorschlag Nr. B 5 (Unterkommission IV) zum Abschnitt: Die S tra fta t......................

906

Vorschlag Nr. B 6 (Unterkommission V) zum Abschnitt: Die Strafbemessung im allgem einen................................................................................

908

Vorschlag Nr. B 2

Vorschlag Nr. B 7

(Unterkommission VI) zum Abschnitt: Verwarnung mit Strafvorbehalt.............................................................................

909

Vorschlag Nr. B 6 (Unterkommission VII) zum Abschnitt: Die Strafen.....................

911

Vorschlag Nr. B 9 (Unterkommission VIII) zum Abschnitt: Maßregeln der Sicherung, Besserung und Heilung ..........................................

916

Vorschlag Nr.

B 10

(Unterkommission IX) zum Abschnitt: Angriffe auf die Wehrkraft921

Vorschlag Nr.

B 11(Unterkommission X) zum Abschnitt: Angriffe auf die Ehre des deutschen V o lk e s ........................................................................

Vorschlag Nr.

B 12

(Unterkommission XI) zum Abschnitt: Vergehen bei A b stim m ungen..........................................................................

Vorschlag Nr.

B 13

(Unterkommission XII) zum Abschnitt: Auflehnung gegen die Staatsgewalt................................................................................ 925

Vorschlag Nr.

B 14

(Unterkommission XIII) zum Abschnitt: Angriffe auf die S ittlich keit...................................................................................

923 924

927

Vorschlag Nr.

B 15

(Unterkommission XIV) zum Abschnitt: Angriffe auf die Reinheit der Amtsführung ........................................................................ 932

Vorschlag Nr.

B 16

(Unterkommission XV) zum Abschnitt: Angriffe auf Ehe und Familie......................................................................................... 936

Vorschlag Nr. B 17 (Unterkommission XIV) zum Abschnitt: Störung der Beziehungen zum A u s la n d ........................................................

937

Vorschlag Nr. B 16 (Unterkommission XVI) zum Aufbau des Besonderen Teils

. . .

938

Vorschlag Nr. B 19 (Unterkommission XVII) zum Abschnitt: Verrat am deutschen V olke............................................................................................

940

Vorschlag Nr. B 20 (Unterkommission XVIII) zum Abschnitt: Angriffe auf Gottesglauben und R e lig io n .....................................................

944

Vorschlag Nr. B 21 (Unterkommission VII) zum Abschnitt:Eidesverletzung.............

945

Vorschlag Nr. B 22 (Unterkommission XIX) zum Abschnitt: Die Strafbemessung bei Mehrheit von Taten und Rechtsverletzungen..............................

946

Vorschlag Nr. B 23 (Unterkommission XX) zum Abschnitt: Angriffe auf Rechtspflege und V erw altung..........................................................................

948

Vorschlag Nr. B 24 (Unterkommission XXI) zum Aufbaudes Allgemeinen Teils . . .

953

Vorschlag Nr. B 25 (Unterkommission XXII) zum Abschnitt: Angriffe auf die Fortpflanzungskraft....................................................................

954

Vorschlag Nr. B 26 (Unterkommission XXIV) zum Abschnitt: Ausschluß der S tra fb a rke it................................................................................

955

Vorschlag Nr. B 27 (Unterkommission XXV) zum Abschnitt: Angriffe auf die Reichsregierung .......................................................................

955

REGISTER ZU DEN PROTOKOLLEN DER AMTLICHEN STRAFRECHTSKOMMISSION Personenregister..............................................................................................................

957

Sachregister

961

...................................................................................................................

Vorwort Mit diesem Teilband werden die ersten Protokolle und Materialien zur 2. Lesung der amtlichen Strafrechtskommission des Reichsjustizministeriums vorgelegt. Diese Bera­ tungen der Kommission zu einer Neukodifizierung eines deutschen Strafgesetzbuchs beziehen sich auf den Zeitraum von März bis Juli 1935. Trotz intensiver Bemühungen ist es den Herausgebern erstmals nicht gelungen, durch Kriegsverluste entstandene Lücken in der archivalischen Überlieferung der Materialien durch Rückgriff auf entsprechende Bestände bei Behörden, Bibliotheken und in privaten Nachlässen vollständig zu schließen. So konnten folgende Anträge von Kommissionsmit­ gliedern oder Sachbearbeitern des Reichsjustizministeriums zur 2. Lesung (sog. B-An­ träge) nicht mehr aufgefunden werden: Nrn. 6, 9, 13, 15, 23, 43, 52, 56. 59, 68, 72, 73. Die Herausgeber sind nach wie vor bemüht, diese Materialien aufzufinden und in einem Anhang künftiger Bände zu veröffentlichen. Wahrscheinlich dürften sie aber nur in bisher noch unbekanntem privatem Besitz aufgefunden werden können. Mit diesem Teilband sind seit 1988 in der II. Abteilung dieser Edition, die der amtlichen Diskussion um ein neues Strafgesetzbuch in der NS-Zeit der Jahre 1933— 1939 gewidmet ist, insgesamt fünf Teilbände erschienen. Ein sechster Band wird die noch ausstehenden Beratungsprotokolle der 2. Lesung der Kommission und die Schlußberatung sowie die dazugehörigen Materialien so umfassend wie irgend möglich dokumentieren und die Edition in dieser Abteilung abschließen. Wie früher schon angekündigt, wird die Einlei­ tung zu diesem Band eine erste Würdigung des rechtshistorischen und rechtsdogmati­ schen Ertrags der Arbeiten dieser Strafrechtskommission enthalten. Die Herausgeber danken den zahlreichen Rezensenten für die überwiegend positive Aufnahme und Würdigung der bisher vorgelegten Bände dieser Edition. Ihre Anregungen und Wünsche, vor allem nach einer Erweiterung der Edition auf die Reformmaterialien des Straf- und Strafprozeßrechts der Zeit vor 1918 und nach 1945 decken sich vielfach mit den schon in den ersten Bänden festgehaltenen Vorstellungen der Herausgeber. Ange­ sichts einer zunehmend zu beobachtenden beschränkten Aufnahmekapazität des juristi­ schen Buchmarktes für rechtshistorische Quelleneditionen diesen Umfangs und ihrer sich immer schwieriger zu gestaltenden Finanzierung werden solchen Wünschen jedoch schon aus diesen Gründen sehr realistische Grenzen gesetzt. Dennoch ist es inzwischen immerhin gelungen, die wichtigsten amtlichen Reformmaterialien aus der Zeit vor 1918, nämlich die Strafrechtsentwürfe von 1909 und 1913 sowie die bisher unveröffentlichten Protokolle der Kommission für die Reform des Strafgesetzbuchs aus der Zeit von 1911 — 1913 in einer gesonderten Edition vorzulegen. Diese bisher so gut wie unbekann­ ten Materialien, deren Publikation Robert von Hippel schon 1925 gefordert hatte, stehen nunmehr in der nachfolgend näher bezeichneten Reihe zur Verfügung: Protokolle und Entwürfe der Strafrechtskommission von 1911 — 1913 (Hrsg, und mit einer Einleitung versehen von Werner Schubert). Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Bearbeitet von der hierzu bestellten Sachverständigen-Kommission. Veröffentlicht auf Anordnung des Reichs-Justizamts. Berlin 1909 (Neudruck Frankfurt a. M. 1990). Protokolle der Kommission für die Reform des Strafgesetzbuches. Allgemeiner Teil.

Besonderer Teil. Berlin 1911 — 1913. Protokolle 1— 282. Mit einer Einleitung des Heraus­ gebers, 4 Bände, Frankfurt a. M. 1990. Beilagenband: a) Strafrechtskommission. Beschlüsse 1. Lesung. Allgemeiner Teil. Berlin 1911. b) Strafrechtskommission. Beschlüsse 1. Lesung. 1. Buch: Verbrechen und Vergehen. 2. Buch: Übertretungen. Berlin 1913. c) Vorläufige redigierte Beschlüsse 2. Lesung. Berlin 1913. d) Entwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch nach den Beschlüssen der Strafrechts­ kommission. Berlin 1913. e) Übersicht der Protokollstellen zu den einzelnen Bestimmungen des Entwurfs. f) Entwurf eines Einführungsgesetzes zu einem Deutschen Strafgesetzbuch. Berlin 1914. Nachdruck Frankfurt a. M. 1990. Der ebenfalls gewünschte Neuabdruck der „Denkschrift des Zentralausschusses der Strafrechtsabteilung der Akademie für Deutsches Recht“ aus dem Jahre 1934 ist ohnehin schon bei der Projektierung des dem Strafrecht gewidmeten Bandes der von den Her­ ausgebern betreuten Paralleledition zur „Akademie für Deutsches Recht 1934— 1944“ — Protokolle der Ausschüsse — vorgesehen gewesen. Ob in diesem Band auch der weiter­ hin gewünschte Neuabdruck der „Denkschrift des Preußischen Justizministers. National­ sozialistisches Strafrecht“ aus dem Jahre 1933 erfolgen kann, wird ausschließlich eine Finanzierungsfrage sein. Dagegen muß es z. Z. nach wie vor bei der auch schon früher begründeten strikten zeitlichen Begrenzung dieser Edition auf das Jahr 1939 sowie bei der Ausklammerung der Dokumentation auch der NS-Novellengesetzgebung zum Strafrecht verbleiben. Die auch insoweit häufig gewünschte Erweiterung der schon jetzt auf 19 Bände ausgelegten Edi­ tion überschreitet nicht zuletzt die derzeitige Leistungsfähigkeit der Herausgeber. Die Herausgeber danken der Bibliothek des Juristischen Seminars der Universität Kiel und der Bibliothek des Bundesgerichtshofes für die Überlassung der Druckvorlagen der Protokolle, dem Bundesarchiv in Koblenz und dem Zentralarchiv der DDR in Potsdam für die erteilten Druckgenehmigungen für die im Anhang wiedergegebenen Materialien. Kiel, im Juni 1990

Jürgen Regge und Werner Schubert

Abkürzungsverzeichnis A bs.

A b s a tz

ADR

A k a d e m ie fü r D e u ts c h e s R e c h t

a. E.

am E n d e

AG A k a d e m ie D e n k s c h rift

A m ts g e ric h t D e n k s c h rift d es Z e n tra la u s s c h u s s e s d e r S tra fre c h ts a b ­ teilu n g d e r A k a d e m ie fü r D e u ts c h e s R e c h t (H rs g . Freisle r/L u e tg e b ru n e u. a.), 1 9 34

ALR

A llg e m e in e s L a n d re c h t fü r die P re u s s is c h e n S ta a te n von

ao.

a u ß e ro rd e n tlic h

17 94 apl.

au ß erp lan m ä ß ig

AT

A llg e m e in e r Teil

Ausl.

A u fla g e

Ausg.

A usgabe au slä n d is ch

ausl. A u s lie fe ru n g s g e s e tz

D e u ts c h e s

A u s lie fe ru n g s g e s e tz

vom

2 3 .1 2 .1 9 2 9

(R G B l. I, S. 2 3 9 ) AVAVG

G e s e tz

ü b e r A rb e its v e rm ittlu n g

und

A rb e its lo s e n v e r­

sic h e ru n g i. d. F. vo m 12. 1 0 .1 9 2 9 (R G B l. I, S. 162) BA

B u n d e s a rc h iv

b ayr., b ayer.

b aye risc h

B e g r.

B e g rü n d u n g

B e g r.E n tw . 1927

B e g rü n d u n g zu m E n tw u rf e in e s A llg e m e in e n D e u ts ch en S tra fg e s e tz b u c h s 1927

BGB B in din g

B ü rg e rlic h e s G e s e tz b u c h B in din g, L e h rb u c h d e s G e m e in e n D e u ts c h e n S tra fre ch ts, B e s .T ., 1. B and, Leipzig 19 02

BNSDJ

B und N a tio n a ls o zia lis tis c h e r D e u ts c h e r Ju ris te n

BT

B e s o n d e re r Teil

DDP

D e u ts c h e D e m o k ra tis c h e P artei

DGW R

D e u ts c h e s G e m e in - und W irts c h a fts re c h t

DJ

D e u ts c h e J u stiz

DJZ

D e u ts c h e J u ris te n ze itu n g

DR

D e u ts c h e s R e ch t, A u s g a b e A

DRZ

D e u ts c h e R e c h ts -Z e its c h rift

D R W is s

D e u ts c h e R e c h ts w is s e n s c h a ft

D R iZ

D e u ts c h e R ic h te rze itu n g

D S tR

D e u ts c h e s S tra fre c h t

d t., d ie .

d e u ts c h , d e u ts c h e

D te . J u s tiz b e a m te

D e r d e u ts c h e J u s tizb e a m te

E.

E n ts c h e id u n g e n d e s R e ic h s g e ric h ts (A m tl. S am m lu n g )

ebd.

ebenda

E b e rm a y e r

E b e rm a y e r, L ob e, R o s e n b e rg : R e ic h s -S tra fg e s e tz b u c h , 4. Ausl., B erlin 1929

E n tw ., E.

E n tw u rf

Entwurf 1833 Preussen

Entwurf 1836 Preussen

Entwurf 1909

Entwurf 1919/Denkschrift

Entwurf 1925 Entwurf 1927

Entwurf 1930

Entwurf Strafvollzugs­ gesetz 1927 f. fahrl. FamRZ Fischbachauer Veröffentlichung Frank französ. Französischer StGBEntwurf 1893 FS geb. Geh. Rat GmbH Ges. Ges. z. Ordn. d. nat. Arbeit Gewohnheitsverbrecher­ gesetz gez. Gnadenordnung GoltdArch GS Hrsg., hrsg. Heimtückegesetz

Revidirter Entwurf des Strafgesetzbuches für die König­ lich-Preußischen Staaten, Berlin 1833 (Nachdruck in: „Gesetzrevision (1825— 1848)“, I. Abt. (Hrsg. J. Regge), Bd. 3, Vaduz 1984, S. 1 ff.) Revidirter Entwurf des Strafgesetzbuches für die König­ lich-Preußischen Staaten, Berlin 1836 (Nachdruck in: „Gesetzrevision (1825— 1848)“, I. Abt. (Hrsg. J. Regge), Bd. 3, Vaduz 1984, S. 765 ff.) Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Berlin 1909. Neudruck in: Protokolle und Entwürfe der Straf­ rechtskommission von 1911 — 1913, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1990 (Hrsg. W. Schubert) StGB-Entwurf 1919 nebst Denkschrift zu dem Entwurf 1919, in: Entwürfe zu einem Deutschen Strafgesetzbuch, Berlin 1920 Amtlicher Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafge­ setzbuchs (Reichsratsvorlage), Berlin 1925 Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs (1927) (Reichstagsvorlage). Drucksache des Reichstags, III. Wahlperiode 1924/27, Nr. 3390 Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1930. Drucksache des Reichstags, V. Wahlperiode 1930, Nr. 395 Amtlicher Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes, Berlin 1927 für fahrlässig Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Nationalsozialistische Leitsätze für ein neues deutsches Strafrecht (Hrsg. Hans Frank), 1935. (Vgl. Bd. 2,1, Abt. II der Edition, S. 699) Frank, Reinhard: Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 16. Ausl., Tübingen 1931 französisch Entwurf eines AT eines französischen StGB von 1893 (Revue penitentiaire 1893,151 —208) Festschrift geboren Geheimrat Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (RGBl. I, 1934, 45) Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. 11. 1933 (RGBl. I,S. 995) gezeichnet VO des Reichsministers der Justiz über das Verfahren in Gnadensachen vom 6. 2.1935 (DJ 1935, S. 203) Goltdammers Archiv für Strafrecht Der Gerichtssaal Herausgeber, herausgegeben Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Par-

i. d. F. IKV intern.

i.8. Italienisches StGB 1930

i.Vbdg. JbADR JbDR

JgJGG JR JuS JW JZ KO Komm.Entw. Komm.Entw. 1913

Kr. KV. Landesverratsnovelle 1934 Lfg. LG v. Liszt m. E. Michaelis/Schraepler

Mezger MinVO m. M. (n.) MschrKrim., MKrimP MStGB mündl., Mündl. NB NDB NF NJW NotVO Novelle v. 26. 5.1933 Novelle 1933 betr. Eidesauflockerung

tei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20.12 .1 9 3 4 (RGBl. I,S . 1269) in der Fassung Internationale kriminalistische Vereinigung international im Sinne Italienisches Strafgesetzbuch vom 19.10.1930 (Königl. Dekret Nr. 1398). Vgl. dazu: Sammlung außerdeutscher Strafgesetzbücher in deutscher Übersetzung, Bd. 90 in Verbindung Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht Jahrbuch des Deutschen Rechts Jahrgang Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Konkursordnung Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs 1933 (s. Quellen, II. Abt., Bd. 1,1, S. 79 ff.) StGB-Entwurf von 1913 (aufgestellt von der Strafrechts­ kommission), in: Entwürfe zu einem Deutschen Strafge­ setzbuch, Berlin 1920 (Neudruck Frankfurt a. M. 1990) Kreis Körperverletzung Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24.4. 1934 (RGBl. I, S. 341) Lieferung Landgericht v. Liszt/Eb. Schmidt: Lehrbuch des Deutschen Straf­ rechts, 25. Ausl., Berlin 1927 meines Erachtens Michaelis, H./Schraepier, £ .: Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945. Biograph. Register Teil I u. II, Berlin oJ (1979) M ezg er:Strafrecht. Ein Lehrbuch, 2. Ausl., München 1933 Ministerialverordnung meiner Meinung (nach) Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechts­ reform Militärstrafgesetzbuch vom 20. 6.1872, neu bekannt ge­ macht am 16. 6.1926 (RGBl. I, S. 275) mündlich notabene Neue Deutsche Biographie neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Notverordnung Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. 5. 1933 (RGBl. I, S. 295) Gesetz zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren vom 24. 11.1933 (RGBl. I,S . 1008)

NS, ns. NSRB NSV o. öster. Österreichisches Strafgesetzbuch

OLG v. Olshausen Pat.Ges. Pol. polit. Pr., Preuß. PrPVG Preuß. Denkschrift Preuß. StGB v. 1851 Preuß. Strafvollstreckungs­ und Gnadenrecht Prof. RAO RefEntw., Ref. E., RE Reform 1910 Reg.Entw. Reichserbhofgesetz Republikschutzgesetz RG RGBl. RGSt Richtlinien für das Strafverfahren RÜG RJM RStGB, StGB RV RVwBI sächs. Schäfer-Wagner-Schafheutle

SchwJZ SchwZStr.

Nationalsozialismus, nationalsozialistisch NS-Rechtswahrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ordentlicher österreichisch Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Übertretun­ gen für den ganzen Umfang des Reichs vom 27. 5.1852. (Zur Fassung 1933 vgl.: Das österreichische Strafgesetz samt Novellen und Nebengesetzen nach dem Stand vom November 1933, Hrsg. Ludwig M. Tlapek, Wien 1933) Oberlandesgericht v. Olshausen: Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 11. Ausl., 2 Bde., Berlin 1927 Patentgesetz Polizei politisch Preußisch Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz vom 1.6.1931 (PreußGS, S. 77 und 136) Denkschrift des Preußischen Justizministers. Nationalso­ zialistisches Strafrecht (1933) Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten vom 14. 4.1851 Preußisches Strafvollstreckungs- und Gnadenrecht. Ge­ setz vom 1 .8 .1 9 3 3 (PreußGS, S. 293) Professor Reichsabgabenordnung Referentenentwurf 1933 (auch: Reg.Entw.) Aschrott u. v. Liszt: Die Reform des Reichsstrafgesetz­ buchs, Berlin 1910 Entwurf eines Allgemeinen Strafgesetzbuchs 1933 (Refe­ rentenentwurf) Reichserbhofgesetz vom 29. 9.1933 (RGBl. I, S. 665) Gesetz zum Schutz der Republik vom 2 5 .3 .1 9 3 0 (RGBl. I,S. 91) Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (Amtliche Sammlung) Richtlinien für das Strafverfahren vom 13. 4. 1935. (Allge­ meine Verfügung des Reichsjustizmin. vom 13.4.1935. Amtliche Sonderveröffentlichung der DJ, Nr. 7) Reichsjagdgesetz vom 3. 7. 1934 (RGBl. I, S. 549) Reichsjustizministerium Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. 5.1871 Reichsverfassung Reichsverwaltungsblatt sächsisch Schäfer-Wagner-Schafheutle, Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Siche­ rung u. Besserung, Berlin 1934 Schweizerische Juristenzeitung Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht

SJZ Spion. Ges. 1893 Spionagegesetz 1914 Staatsnotwehrgesetz StPO Straffreiheitsgesetz v. 7. 8. 1934 u. a. m. u. A. n. UK, UnterKomm u. M. n. UWG V. D. B.

VO Vorb. VorEntw. 1909, Entwurf 1909 WeimRV württ. ZADR ZPO Zs. ZStW ZStaatW Zusammenstellung 1911

ZWehrR

Süddeutsche Juristenzeitung Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse (RGBl. 1893,205) Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse (RGBl. 1914,195) Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. 7. 1934 (RGBl. I, S. 529) Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 7. 8. 1934 (RGBl. I, S. 769) und andere mehr unserer Auffassung nach Unterkommission unserer Meinung nach Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb i. d. F. der VO vom 9. 3. 1932 (RGBl. 1,121) Vergleichende Darstellung des Deutschen und Ausländi­ schen Strafrechts (BesondererTeil), Berlin 1906 ff. Verordnung Vorbemerkung Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Berlin 1909 (Neudruck Frankfurt a. M. 1990) Weimarer Reichsverfassung württembergisch Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zivilprozeßordnung i. d. F. der Bekanntmachung vom 8. 11. 1933 (RGBl. 1,821) Zeitschrift Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zusammenstellung der gutachtlichen Äußerungen über den Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch, Berlin 1911 Zeitschrift für Wehrrecht

Strafrechtskommisston

56. Sitzung 22, März 1935 Zweite Lesung. Inhalt G e l t u n g s b e r e i c h d e r Strafgesetze. Strafgesetz a ls Grundlage der Bestrafung; materielles Unrecht und Analogie. Neichsjustizminister Dr. Gürtner 1, 8, 10, 12,13, 14, 15, 17, 25, 26, 27, 28, 29, 31 Berichterstatter Staatssekretär Dr. Freisler 1, 11, 13, 16, 17, 22, 25, 26, 27, 28, 29 Berichterstatter Professor Dr. Dahm ........................8, 15, 21 Senatspräsident Professor Dr. Klee ...................... 12, 26, 31 Ministerialdirektor Schäfer ................................ 14, 16, 24, 29 Vizepräsident G r a u ..................................................................... 15 Professor Dr. Graf G letspach.................................. 17, 26, 30 Professor Dr. Nagler ........................................................ 18, 30 Professor Dr. Kohlrausch..................................... 19, 29, 30 Professor Dr. Mezger ........................................................ 21, 29 Ministerialdirektor Dr. Dürr ........................................... 25, 28 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer .28

(Aussprache abgebrochen.)

Der Reichsjustizminister Dr. Gürtner begrüßt die Kommission zu Beginn der zweiten Lesung. E r erteilt sodann das W ort zu Ziffer 1 der Tagesordnung: „Das Strafgesetz als Grundlage der Bestrafung (88 345 / 346)" dem Generalreferenten Herrn Staatssekretär Dr. Freisler. Berichterstatter Staatssekretär Dr. Freisler: Der erste Teil meines Referats, der von der Grundlage der Bestrafung handelt, scheint mir von grundsätzlicherer Bedeutung zu sein als der zweite Teil, der von der zeitlichen Geltung der Strafgesetze spricht. Daß das der F all ist, ergibt sich auch aus unseren sehr eingehenden Erörterungen in der ersten Lesung gerade zu dem Problem, das im Hintergründe der §§ 345 und 346 des Entwurfs der ersten Lesung steht; es ergibt sich aber ferner aus der Fülle literarischer Veröffentlichungen, die zu dem Problem der materiellen Rechts- und Unrechtsauffassung, wie zu den M itteln, um der materiellen Rechts- und Unrechtsauffaffung Durchschlagskraft zu verleihen, erschienen sind.

Wir alle wissen, daß es sich hier um einen Punkt handelt, der außerordentlich umkämpft gewesen ist. Aber wir wissen auch, daß in den letzten zwei Jahren die Anschauung, daß man im Strafrecht von der formellen Unrechtsausfassung zur materiellen Unrechts­ ausfassung übergehen müsse und daß man dem Richter, weil der Gesetzgeber allein das nicht garantieren kann, die Möglichkeit geben müsse, dafür zu sorgen, daß diese materielle Rechts- und Unrechtsauffaffung auch in der Rechtspflege sieghaft werde, durchgedrungen ist. Ich wäre in der Lage, so gut wie alle literarischen Veröffentlichungen der letzten Zeit als Beweis dafür anzuführen, daß diese meine Behauptung richtig ist. Ich brauche dabei nur, um einige wenige zu nennen, auf die Ausführungen hinzuweisen, die Nichtmitglieder dieser Kommiffion gemacht haben, wie etwa die Aus­ führungen Siegerts im „Deutschen Strafrecht", Lobes im „Gerichtssaal", Schasfsteins in literarischen Veröffentlichungen und auf der Fischbachauer Tagung, Oetkers in literarischen Veröffentlichungen und in der Akademie für deutsches Recht. Und ich kann ferner darauf hinweisen, daß sämtliche Mitglieder dieses Ausschusses, die sich literarisch dazu geäußert haben, sich ebenfalls in dem Sinne ausgesprochen haben, daß die materielle Rechts- und Unrechtsauffaffung für das neue Strafgesetzbuch entscheidend sein müsse und daß dem Richter alle Möglichkeiten gegeben werden müssen, in der Rechtspflege auch tatsächlich dieser Aufsaffung Geltung zu verschaffen. Ich darf ferner darauf hinweisen, daß auch die Denkschriften mit amt­ lichem Charakter, die nach der nationalsozialistischen Machtergreifung erschienen sind, sich ausnahmslos zu demselben Grundsätze bekennen, sowohl die amtliche Denkschrift des Preußischen Justizministers, wenn auch natürlich, wie das im Charakter dieser Denk­ schrift lag, in Rudimenten, aber doch sehr deutlich erkennbar, als auch die amtliche Akademie-Denk­ schrift. Als einzige anders eingestellte literarische Veröffentlichung kann man, glaube ich, n ur die Ver­ öffentlichung von Professor Gerland in der „Deutschen Justiz" (1934, S . 226) verzeichnen. Ich glaube deshalb, daß, ganz abgesehen davon, daß eine zweite Lesung zu einer Beschränkung in der Besprechung der bereits in der ersten Lesung entschiedenen Grundsätze des neuen Strafrechts zwingt, man hier ganz bestimmt feststellen kann, daß die Aufsaffung Allgemeingut geworden ist: wir müssen den Weg für die tatsächliche Durchsetzung der materiellen Rechts- und Unrechtsaussaffung freimachen. Es fragt sich nun für unsere Überprüfung in zweiter Lesung, ob das, was wir in den §§ 345 und 346 gewollt haben, erreicht ist. W ir haben hier, um das noch einmal zusammenzufassen, das Verhältnis von Recht und Gesetz, auf das Strafrecht projiziert, zum Ausdruck bringen wollen, und zwar in dem Sinne, daß w ir davon ausgingen, daß das S itten­ gebot Quelle und Grundlage des Rechts ist und daß das Gesetz eine zwar sehr hervortretende, aber not­ wendigerweise nicht vollkommene und deshalb nicht allein brauchbare Erkenntnisquelle des Rechts dar­ stellt. Ich bin nun der Meinung, daß wir heute von

unseren Arbeiten der ersten Lesung genügend Abstand haben, um festzustellen, daß uns das, was wir mit unseren §§ 345 und 346 gewollt haben, nicht voll geglückt ist. Ich glaube, daß sich das aus dem Wege erklärt, den wir gegangen sind. W ir sind bei der Behandlung dieser Frage ausgegangen von dem Bestehenden. Davon ist insbesondere auch die Arbeit des Preußischen Justizministers ausgegangen, die in seiner amtlichen Denkschrift ihren Niederschlag ge­ funden hat, und die sehr wesentlich von dem Gedanken beeinflußt war, der übrigens auch jeder grundlegenden Novellengesetzgebung zugrunde liegen würde, daß ein wesentlicher Teil der Rechtserneuerung in dem Niederreißen von Hemmnissen, die für den Richter und seine Arbeit im Gesetz liegen, besteht. Deshalb sind wir wohl — und zwar wir alle; denn wenn ich meine Ausführungen in diesem Ausschuß und meine Veröffentlichungen zu dieser Frage betrachte, so gilt das für mich ebenfalls und ganz besonders — viel­ leicht allzusehr davon ausgegangen, daß sich heute in dem geltenden Gesetz ein Mangel befindet, und so finden wir denn auch im Ergebnis unserer Arbeiten noch sehr deutlich den Weg, den wir gegangen sind, angedeutet, obgleich wir längst ganz wo anders ange­ langt sind. Denn die §§ 345 und 346 würden jedem, der den Gang unserer Erkenntnis nicht aus eigener Arbeit kennt, als eine Konzession erscheinen, nämlich als die grundsätzliche Aufrechterhaltung des Stand­ punktes entweder der formellen Rechts- und Unrechts­ auffassung oder, weil auch das schief ist, jedenfalls als Konzession in dem Sinne, daß wir — soweit das Gesetz und die Bindung an das Gesetz Veranlassung geben, der formellen Rechts- und Unrechtsausfassung Siegkrast über die materielle Rechts- und Unrechtsaufsassung zu geben — diesen Standpunkt mit gewissen Ausnahmen aufrechterhalten haben. D as aber ent­ spricht nun meines Erachtens nicht unser aller Ein­ stellung, die sich in der ersten Lesung herausgebildet hat. Deutlich erkennbar ist die Möglichkeit eines Miß­ verständnisses in diesem Sinne, wenn w ir uns den Entwurf der ersten Lesung ansehen. Die Überschrift spricht von dem Strafgesetz als Grundlage der Be­ strafung, während nach unserer Ansicht das S traf­ gesetz nur eine allerdings sehr wichtige und zahlen­ mäßig in der Regel auch zum Zuge gelangende und die Entscheidung begründende Ausdruckssorm für die wirkliche Grundlage der Bestrafung, die dahinter steht, sein sollte. Zweitens scheint mir dieses Mißver­ ständnis, als handle es sich nur um eine Konzession, sehr leicht entstehen zu können, weil sich in dem § 345 das Wort „nur" befindet, das dem § 346 schon ohne weiteres Ausnahmecharakter zuweist, drittens aber auch deswegen, weil der § 345, selbst wenn das Wörtchen „nur" gestrichen würde, immer als die grundlegende Bestimmung erscheinen würde, während er nach unserem Gedanken nicht mehr und nicht weniger grundlegend sein soll als das, was wir im § 346 sagen. Vielmehr steht hinter und über beiden gleichmäßig ein Obersatz, der, ganz laienmäßig aus­ gedrückt, etwa sagen würde: Bestraft wird man, wenn und weil man ein Unrecht tut, von dem die Volks­

führung befiehlt, daß es bestraft wird. Solange ein Obersatz etwa dieses In h altes fehlt, solange wird, auch wenn wir das Wort „nur" im § 345 streichen, doch immer der § 346 Ausnahmecharakter haben. D as Mißverständnis in dem mehrfach von mir erwähnten Sinne wird weiter auch noch dadurch ver­ stärkt, daß der § 346 eine Bindung enthält, die den Richter, der ihn anwenden müßte, zu einer Aus­ legung zwingt, die ihn meines Erachtens auf Abwege bringen muß. Die Ursache dafür sehe ich in folgendem: Die Voraussetzungen dafür, einen Täter wegen einer T at bestrafen zu können, obgleich im Gesetz seine T at, wie sie ausgeführt ist, nicht ausdrücklich unter eine Strafdrohung gestellt ist, sind nämlich eigenartig auf­ gebaut. E s finden sich außer einer negativen Voraus­ setzung, die nicht genannt ist und von der wir uns in der zweiten Lesung auch überlegen müssen, ob wir sie nennen müssen, folgende positiven Voraus­ setzungen: a ) die Ähnlichkeit der zur Aburteilung vor­ liegenden T at mit einer im Gesetze mit S trafe bedrohten Tat, b ) das Zutreffen des Rechtsgedankens, der den Gesetzgeber veranlaßt hat, jene ähnliche T at für strafbar zu erklären, auch auf den vor­ liegenden Sachverhalt und c) die Bestrasungsforderung durch die gesunde Volksanschauung. Wenn ich soeben sagte, daß diese Kumulierung den Richter bei genauem Nachdenken auf Abwege bringen und die Meinung, es handle sich hier um eine Be­ stimmung von grundsätzlichem — nicht praktischem — Ausnahmecharakter, verstärken muß, so gründet sich das aus die Kumulierung der ersten und der zweiten der beiden positiven Voraussetzungen. W as heißt denn ähnliche T at? Der Richter, der das Gesetz anwendet, wird sich diese Frage vorlegen müssen, und er wird die Frage doppelt beantworten können. E r wird die geforderte Ähnlichkeit einmal aus das äußere Tatbild und zweitens auf den zugrundeliegenden Rechtsgedanken beziehen können. Bezieht er diese Ähnlichkeit aus das äußere Tatbild, dann haben wir nicht die geringste Garantie, daß die Handhabung dieser Bestimmung nicht zu einem andern Ergebnis gelangt, als wir es wünschen. Ich glaube fast, der denkende Richter wird gezwungen sein, die Ähnlichkeit, die hier gefordert wird, aus das äußere Tatbild zu beziehen. Denn die Ähnlichkeit im Rechtsgedanken ist ja besonders hervorgehoben, und zwar nicht nur als Ähnlichkeit, sondern als Gleichheit. Der Richter wird sich also sagen müssen: der Gesetz­ geber kann in diesem Falle die Auslegung, daß bezüg­ lich des zugrundeliegenden Rechtsgedankens eine Ähnlichkeit vorliegen müsse, gar nicht gemeint haben; denn das hat er in einem viel schärferen Grade, nämlich mit dem Erfordernis der Gleichheit dieses Rechtsgedankens, besonders zum Ausdruck gebracht. Der Richter wird also geradezu darauf hingedrängt anzunehmen, daß der Gesetzgeber die Ähnlichkeit des Tatbildes gemeint hat.

Kommt aber der Richter zu diesem Ergebnis, dann frage ich Sie, ob er z. B. die Entwendung elektrischer Kraft bestrafen könnte, wenn wir keine Sonderbestimmung für diesen Fall hatten. D as T a t­ bild des Anschließens eines Drahtes an einen anderen D raht kann man absolut anders aufsaffen als das Tatbild des Anstechens eines Kornsackes. Hier habey wir aber nun einen Fall, von dem es ganz unzweifel­ haft ist, daß niemand die Nichtanwendung des § 346 auf einen solchen Fall wünschen würde, wenn er nicht besonders geregelt wäre. W ir alle gehen davon aus, daß dieser Fall selbstverständlich nach § 346 ver­ urteilt werden müßte. Ich glaube deshalb, daß die verlangte Ähnlichkeit der T at ein weiteres Argument für meine Behaup­ tung ist, daß die Art, wie wir unser Wollen in diesen beiden Voraussetzungen zum Ausdruck gebracht haben, außerordentlich geeignet ist, das Mißverständnis zu verstärken, es handle sich hier um einen Ausnahme­ fall. Dies alles scheint mir hervorhebenswert zu sein, um klarzulegen, daß uns unser Versuch nicht geglückt ist. Ich mache den Vorschlag, diesen Mängeln in folgender Weise abzuhelfen, und zwar erstens die Überschrift dieses Abschnittes zu ändern, zweitens die Bestimmungen der §§ 345 und 346 zusammen­ zufassen und drittens sie unter einen gemeinsamen Obersatz zu stellen. Ich schlage weiter vor, an dieser Stelle gleichzeitig hervorzuheben, daß unsere materielle Unrechtsauffaffung auch nach der anderen Seite entscheidend sein soll, also nicht nur nach der Seite, daß wir dem Richter die Möglichkeit geben, auch bei Nichtvorhandensein einer ausdrück­ lichen Bestimmung im Gesetz zu verurteilen, sondern auch nach der Seite hin, daß es Fälle gibt, bei denen der Richter auch beim Vorliegen einer — ich will mich jetzt so ausdrücken — formell rechtswidrigen und aus dem Gesetz mit Strafe bedrohten T at nicht be­ strafen darf. N ur wenn wir auch das in irgendeiner Weise zum Ausdruck bringen, tritt der Grundsatz, den wir hier ausstellen, unmißverständlich hervor. Ich mache ferner den Vorschlag, an diese Be­ stimmung dann eine Vorschrift anzuhängen, die in einem besonderen Paragraphen, der die Nummer 346 bekommen würde, dem Richter eine allgemeine Aus­ legungsregel gibt und ihn anweist, nicht am W ort­ laute zu haften, sondern das Gesetz nach seinem S in n und Zweck anzuwenden. Diese Bestimmung würde sich also auf die Fälle des jetzigen § 345 — nicht des jetzigen § 346 — beziehen und würde dem Richter eine weitere Richtlinie geben, wie er diesen S in n und Zweck des Gesetzes zu erkennen hat, nämlich in dreifacher Weise: aus dem Gesetz selbst, was eine Selbstverständlichkeit ist, aus der gesunden Volks­ anschauung und aus den Kundmachungen des Führers. Ich halte mich für verpflichtet hervorzuheben, daß das nicht ein Vorschlag ist, auf den ich gekommen bin, sondern ein Vorschlag, den Siegert im „Deutschen Strafrecht" gemacht hat. Ich glaube, Herr Professor Dahm hat ihn auch einmal gemacht.

D as sind die Vorschläge, die ich zu den Be­ stimmungen der §§ 345 und 346 zu machen habe. Den Wortlaut denke ich mir etwa wie folgt: Die Überschrift würde lauten: Recht und Gesetz als Grundlage der Bestrafung. M an kann mir natürlich erwidern, daß die Neben­ einanderstellung von Recht und Gesetz nach dem, was ich vorhin selbst ausgeführt habe, nicht richtig ist. Ich persönlich bin deshalb auch vollkommen damit ein­ verstanden und halte es sogar für richtiger, wenn die Überschrift lauten würde: D as Recht als Grundlage der Bestrafung. Denn die Gebote der Sittenordnung sind, soweit sie nach den Bestimmungen, die wir nachher treffen werden, zu einer Bestrafung führen, ja Recht, wie sich daraus ergibt, daß man sich meiner Ansicht nach das Verhältnis von Recht und Sittenordnung plastisch vorstellen kann etwa an dem Bild der Erdkugel und ihrer Atmosphäre, d. h. an zwei Kugeln oder zwei Kreisen mit gleichem Mittelpunkt, wobei der Radius des einen Kreises kleiner ist als der des andern. Ich glaube mich in dieser Auffassung in Übereinstimmung zu befinden mit Ausführungen, die ziemlich zu Beginn unserer ersten Lesung Herr Professor Dahm einmal gemacht hat, als er davon sprach, daß man Gefahrenzonen um die Tatbestände herumlegen müsse, eine Idee, die nur denkbar ist, wenn w ir eben das Recht als Kern der Sittennorm in dem bildlichen Sinne auffassen, wie ich es eben erklärt habe. Dem § 345 würde ich folgende Fassung geben: Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn Recht und gesunde Volksanschauung es verlangen. Dies ist der Fall, wenn ein Gesetz die T at für strafbar erklärt; doch erfolgt keine Be­ strafung des Täters, der zwar gesetzwidrig handelte, aber nicht Unrecht tat. Bestraft wird auch, wer eine unrechte T at begeht, die zwar im Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist, nach dem einem gesetzlichen T at­ bestände zugrunde liegenden Rechtsgedanken und nach der gesunden Volksanschauung aber Be­ strafung verdient. Die Bestrafung erfolgt in diesem F all aus dem Gesetz, das der auf die T at zutreffendste Ausdruck dieses Rechtsgedankens und der die Bestrafung fordernden Bolksanschauung ist. Wenn es m ir gestattet ist, zu diesem Vorschlag noch einmal in einigen Punkten Stellung zu nehmen, soweit ich das bisher nicht getan habe, so möchte ich noch folgendes ausführen: Vom Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen ist beanstandet worden, daß hier Recht und gesunde Volksanschauung nebeneinanderstehen. Ich habe vorhin an unserem bisherigen Arbeitsergebnis das Nebeneinander der Ähnlichkeit der T a t und der Gleichheit des Rechtsgedankens beanstandet. Die Kritik an dem Nebeneinander der Gleichheit des zugrundeliegenden Rechtsgedankens und der Bestrafungsforderung der gesunden Volksanschauung

scheint mir aber nicht berechtigt zu sein. Die Kritik des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen knüpft daran an, daß dieses Nebeneinander zu der Anschauung führen könne, als bestünde zwischen der gesunden Volksanschauung und dem zugrunde­ liegenden Rechtsgedanken der Gesetzgebung der nationalsozialistischen Volkssührung eine Verschieden­ heit. Denn — so wird dort gefolgert — wenn diese Verschiedenheit nicht vorhanden wäre, hätte es der Gesetzgeber nicht nötig gehabt, beides nebeneinander zu nennen. M. E. besticht diese Argumentation nur aus den ersten Blick. Denn die Notwendigkeit, die gesunde Volksanschauung neben der Gleichheit des zugrundeliegenden Rechtsgedankens der beiden Taten, der mit Strafe bedrohten T at und der begangenen T at, anzuführen, ergibt sich aus der verschiedenen Nähe des gleichen Rechtsgedankens und der ge­ sunden Volksanschauung zu der Bestrafungsforderung. Nicht jede Verletzung eines einem Gesetz zugrunde­ liegenden Rechtsgedankens soll ja zur Bestrafung führen. Wenn w ir das zulasten wollten, würden wir uns in Widerspruch zu einer Forderung setzen, die bisher von allen Seiten aufgestellt wurde, nämlich zu der Forderung, daß die 5000 oder 10 000 Richter nicht jeder für sich zum selbständigen Gesetzgeber werden dürften; übrigens eine Forderung, die selbst­ verständlich auch der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen aufstellt. Um das zu verhindern, müssen wir einen Ausschnitt aus den Taten wählen, die den einer gesetzlichen Strafbestimmung zugrunde­ liegenden Rechtsgedanken zuwiderlaufen und die wir bestrafen wollen, obgleich sie im Gesetz nicht unter S trafe gestellt sind. W ir müssen das schon deshalb tun, weil es für die praktische Wirkung des jetzigen § 346 sehr wesentlich ist, bis auf welche Ebene der Richter emporsteigt, um die Gleichheit des Rechts­ gedankens festzustellen. Letzten Endes könnte er emporsteigen bis zu dem Rechtsgedanken: Jeder hat sein Leben gemäß dem sittlichen Postulat einzurichten, nur Teil des Ganzen zu sein; jeder hat sich ohne Abwägung z. B. seines Lebenswertes immer den Interessen der Allgemeinheit restlos zu opfern. Es ist durchaus möglich, daß ein Richter sagen würde, dieser Rechtsgedanke liege allen unseren Gesetzen zugrunde, er sei eine Art der Auffassung des Satzes: Gemeinnutz geht vor Eigennutz. Dieser Richter würde, um die Gleichheit des Rechtsgedankens festzu­ stellen — ich bleibe wieder in meinem Bilde — , bis auf die höchstmögliche Ebene emporsteigen, würde von dort auf die Fälle des Lebens Herabschauen und würde praktisch immer dann zur Bestrafung kommen, wenn jemand etwas tut, was nicht anständig ist, was man von dem M ann nicht erwartet, der an sich selbst die denkbar höchsten Anforderungen stellt. Das wäre falsch, und das wollen wir natürlich nicht. Hier würde eben jeder Richter, mindestens der, der im letzten Rechtszug zu entscheiden hat, zum Gesetzgeber, und wir hätten so viel tausend Gesetzgeber wie wir höchst- und einziginstanzlich entscheidende Richter hätten. D as ist uns allen nichts Neues. Darüber haben wir uns sehr eingehend in der ersten Lesung unter­

halten. Ich führe es nur deshalb an, um noch einmal plastisch zum Ausdruck zu bringen, daß die Einschal­ tung der gesunden Volksanschauung gerade der Regu­ lator, das Ventil sein soll, das eine Überspannung verhindern soll. Die gesunde Volksanschauung wird eben damit, wie ich mich vorhin ausdrückte, keines­ wegs in einen Gegensatz zu dem zugrundeliegenden Nechtsgedanken gebracht, sondern ist als der Förderer der Bestrafung zu betrachten, steht also in einem viel engeren Verhältnis zu der Bestrafungssorderung als der Rechtsgedanke, der an sich noch nicht in jedem Fall dazu führen muß, den S ta a t zu veranlassen, mit einer Gegenwehr der Strafrechtspflege zu antworten. Deshalb bin ich der Meinung, daß dieser Einwand aus dem Kreise des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen nicht durchschlagend ist. Fragen müssen wir uns freilich, ob wir das nähere Verhältnis der gesunden Volksanschauung zur Bestrafungsforderung irgendwie hervorheben müßen. Auch das ist m. E. nicht notwendig, weil ich mir eine andere Auffassungsmöglichkeit nicht vorstellen kann, wenn man nicht der von mir m. E. widerlegten Argumentation des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen folgte. Ich glaube deshalb, daß das Nebeneinander von, Recht und gesunder Volks­ anschauung weder in unserem bisherigen § 346 noch in meinem Vorschlag zu beanstanden sein wird. Dagegen muß ich selbst meiner Formulierung gegenüber eine Beanstandung machen. Diese Bean­ standung gilt dem neu eingeführten zweiten Satz des zweiten Absatzes: „Doch erfolgt keine Bestrafung des Täters, der zwar gesetzwidrig handelte, aber' kein Unrecht tat". Und zwar aus folgendem Grunde: Es muß sichergestellt werden, daß die Schuld- und Un­ rechtausschließungsgründe des bisherigen Rechts, die ich hier unter dem Wort Unrecht bzw. „kein Unrecht" zusammengefaßt verstehen möchte, subjektiv zu orientieren sind, weil das allein unserer Grundauffaffung vom Strafrecht entspricht. Ich habe Zweifel, ob die Formulierung: „aber kein Unrecht tat" das genügend klar zum Ausdruck bringt. Ich wollte aber hier nur eine kurze Formel vorschlagen, von der ich überzeugt bin, daß der Leser aus dem Volke sie ver­ stehen kann. Die jetzige Formulierung würde bei­ behalten werden können, wenn an anderer Stelle des Gesetzes eine Erklärung dieser Bestimmung gegeben wird. M it dieser Maßgabe halte ich trotz der Kritik, die ich selbst an diesem von mir vorgeschlagenen W ortlaut üben muß, meinen Vorschlag aufrecht. Ich schlage ferner vor, einen neuen § 346 einzu­ fügen, um damit der Siegertschen Anregung, die ich für berechtigt halte, Rechnung zu tragen: „Der Richter darf bei der Prüfung, ob eine T at nach dem Gesetz strafbar ist, wie bei der Gesetzesanwendung nicht am W ortlaut des Ge­ setzes haften, sondern muß nach dessen S in n und Zweck entscheiden. S in n und Zweck hat er außer aus dem Gesetz selbst" — was man aber auch weglassen könnte — „aus dem ihm zu­ grundeliegenden Rechtsgedanken, der gesunden

Volksanschauung und den Kundmachungen des Führers zu ermitteln." D as ist teilweise eine Auslegungsregel, die Bean­ standung wohl höchstens in dem S inne erfahren könnte, daß ihre ausdrückliche Aufnahme ins Gesetz überflüssig sei. E s ist richtig, daß heute wohl kein Richter auf die Idee kommen wird, dem W ortlaut gegenüber dem festzustellenden S in n und Zweck des Gesetzes den Vorzug bei der Auslegung zu geben. E s befindet sich darin aber auch etwas Neues, und zwar, wie ich glaube, von außerordentlicher Bedeu­ tung, nämlich die gesetzliche Erklärung, daß der S in n und Zweck der Gesetze aus Kundmachungen des Führers ermittelt werden kann, und zwar nicht etwa m it der Einschränkung, daß diese Kundmachungen -gewissermaßen als M aterialien für die Erforschung 'des Willens des Gesetzgebers herangezogen werden können — denn dann müßten sie aus der Zeit bis zum E rlaß des Gesetzes stammen —, sondern in dem Sinne, daß solche Kundmachungen des Führers auch eine Vervollständigung, Berichtigung, Klarstellung nnd Änderung des Sinnes und des Zweckes einer gesetzlichen Bestimmung bedeuten können und in tiefem S inne zu beachten sind, auch wenn sie erst nach dem Erlaß des Gesetzes ergehen. D as ist eine grundsätzliche Frage, die wissenschaftlich, natürlich nuch staatsrechtlich, zu behandeln wäre. Ich habe nun nicht die Absicht, Kundmachungen des Führers eine theoretisch-staatsrechtliche Grundlage zu geben, weil Ich meine, daß hierfür die Zeit noch nicht da ist. Ich will zur Begründung der Berechtigung meines An­ trags nur aus Tatsachen verweisen. Dabei kann ich 'eine Tatsache, die ich heranziehen wollte, nämlich den Beuthener Prozeß, loyalerweise nicht heranziehen, weil seinerzeit andere strafrechtliche Grundaussassungen gesetzlich sanktioniert waren. Ich muß mich also an Vorfälle halten, die sich nach der national­ sozialistischen Machtergreifung abgespielt haben. Diese Vorfälle beweisen, wie ich glaube, unwiderleglich, daß den Kundmachungen des Führers Gesetzeskraft zuzu­ weisen ist. Ich erinnere erstens an Richterspruch und Vollstreckungsbefehl des Führers aus Anlaß der Ereignisse vom 30. J u n i des vorigen Jah res, er­ innere daran, daß wir in dem einstimmigen Beschluß aller Gesetzgebungsfaktoren, die es damals gab — sowohl des Kabinetts wie des Reichstages — , eine Festlegung in dem Sinne finden, daß nicht etwa das, was dort geschehen ist, nachträglich mit einer Rechts­ grundlage begabt wurde, sondern es kam zum Aus­ druck, daß es durch die Entscheidung und den Befehl des Führers rechtens war. Zweitens verweise ich auf die Ernennung der acht Kreisleiter der Deutschen K rönt des Saargebiets zu Reichstagsabgeordneten durch den Führer, eine Maßnahme, von der jeder das selbstverständliche Gefühl hat, daß es zur Rechts­ beständigkeit dieser Maßnahme nicht ihrer Legali­ sierung bedarf, sondern daß diese Maßnahme als ^amtliche Führerkundmachung rechtens ist. Eines der beiden Beispiele ist aus einem Gebiete gewählt, das auch strafrechtliche Auswirkungen hat, Las in der Form eines strafrechtlichen Urteils und

einer strafrechtlichen Urteilsvollstreckung in Erschei­ nung getreten ist; das andere dieser beiden Beispiele ist gewählt aus rein staatsrechtlichem Gebiet. Beide Beispiele zeigen m. E., daß den Kundmachungen des Führers Gesetzeskraft zukommt. M an könnte mir nun erwidern: Wenn das unzweifelhaft ist, so bedarf es gar keiner Festlegung dieser Tatsache im Gesetz, dann wird schon der Richter im entsprechenden Falle entsprechend handeln. M ir scheint das aber mehr Theorie zu sein, da ich über­ zeugt bin, daß ein sehr großer Teil der Richter und Staatsanw älte zur 'Klarheit dieser Tatsache noch nicht durchgedrungen ist. E r könnte vielleicht in Ge­ fahr kommen, wenn er sich das im Einzelfalle klar­ machen muß, in einen Widerspruch zu geraten zwischen der auch von ihm bejahten und nie be­ strittenen politischen Rechtmäßigkeit und der Gesetz­ mäßigkeit. Die Gefahr, der Richter werde diesen Unterschied als angeblich notwendigen juristischen Unterschied machen, ist nicht ohne weiteres abzu­ weisen. M an kann gegenüber meinem Vorschlage nun freilich andere Einwände erheben, so z. B. den, daß man dann doch wissen müßte, wie und wo die Kund­ machungen des Führers, die als Kundmachungen in diesem Sinne anzusehen sind, ihren Ausdruck finden sollen; daß der Führer wahrscheinlich hierüber viel­ leicht höchst unersreut wäre, da man sich dann ja denken könnte, daß jedes private Gespräch, womöglich mißverstanden, dann als Führerkundmachung auf­ gefaßt werden könnte. Aber diese Schwierigkeiten brauchen nicht überschätzt zu werden. S o würde ich glauben, daß z. B. die 12 Punkte des Befehls des W hrers an den Stabschef der SA. vom 2. oder 3. J u li Kundmachungen in diesem Sinne sind, also für bestimmte Fälle als besonders erschwerende Momente für die Strafzumessung mit Gesetzeskraft verkündet worden sind. Jedenfalls dürste es nicht möglich sein, wenn man schon eine allgemeine Aus­ legungsregel in das Gesetz darüber aufnimmt, wie S in n und Zweck des Gesetzes ermittelt werden sollen, heute an Führerkundmachungen als Quelle, und zwar völlig autoritative Quelle, für diese Erkenntnis vor­ überzugehen. Ferner scheint es mir wünschenswert — und insofern weiß ich mich eins mit dem Vorschlag der Strafabteilung, über den ich ja auch als Referent meine Meinung zu sagen habe — , dem § 346 einen § 346 a anzufügen, der die wahlweise Feststellung zuläßt. Ich glaube, das gehört nicht in die Prozeß­ ordnung, sondern hierher. Der Vorschlag der Ab­ teilung geht dahin, einen Paragraphen aufzunehmen: Wahlseststellung. Steht fest, daß jemand gegen eines von mehreren Strafgesetzen verstoßen hat, ohne daß eine eindeutige Tatfeststellung möglich ist, so kann er aus dem mildesten der in Betracht kommenden Strafgesetze verurteilt werden. Ich erinnere mich wohl richtig, daß das Problem der wahlweisen Feststellung bisher, in der ersten

Lesung dieses Ausschusses, nicht behandelt worden ist. D a dieses Problem in dem bekannten irrtümlid) ver­ öffentlichten Entscheidungsentwurf eines S en ats des Reichsgerichts und in der Plenarentscheidung be­ handelt worden ist und der Unterschied der beiden Ergebnisse ja bekannt ist, und da drittens das Problem auch bekannt ist aus den Veröffentlichungen im Akademieausschuß, wo es allerdings im Strasprozeßrecht behandelt worben ist, so glaube ich, das F ü r und Wider im einzelnen hier nicht hervorheben zu sollen. Alles, was das Plenum des Reichsgerichts veranlaßt hat, für den Spezialfall des Diebstahls und der Hehlerei die wahlweise Feststellung zu gestatten, zwingt dazu, sie allgemein zu gestatten, und ich glaube, daß es lediglich ein gewisses Zurückscheuen vor dem eigenen Vormarsch zu dem als richtig erkannten Ziel des Gesetzes hin gewesen ist, was das Plenum leider veranlaßt hat, dem Entwürfe des S enats nicht zu folgen. Ich nehme deshalb zunächst einmal an, daß die Notwendigkeit der Zulassung der wahlweisen Fest­ stellung in unserem Kreis erkannt wird und daß es zu einer erheblichen grundsätzlichen Aussprache über das F ü r und Wider gar nicht kommen werde. Ich gehe deshalb sogleich aus den Vorschlag der Strafabteilung ein. Ich habe'an ihm Verschiedenes auszusetzen: Einmal die Tatsache, daß ein Fall, der allerdings anders liegt, aber in diesem Zusammen­ hang ebenfalls der Regelung bedarf, nicht geregelt ist. D as ist das bekannte Beispiel der beiden einander widersprechenden Eide, von denen man nicht weiß, welcher richtig und welcher falsch ist, wobei aber fest­ steht, daß einer unter allen Umständen falsch sein muß. Deswegen habe ich gegen die Regelung der Zu­ lassung der wahlweisen Feststellung, wie sie in dem Abteilungsentwurf vorliegt, drei Bedenken, zunächst ein sprachliches: eine „eindeutige" Tatfeststellung legt den Gegensatz zur zweideutigen Tatfeststellung dar. Eine Verschiedendeutigkeit der Feststellung können wir aber m. E. nicht zulassen; die Feststellung, die ein Gericht trifft, muß immer eindeutig sein. Das Wesentliche und Besondere dieses Falles ist nicht, daß hier eine Zweideutigkeit im Urteil zugelassen würde, sondern nur, daß ganz eindeutig vom Gericht fest­ gestellt wird, daß sich die T a t innerhalb eines Kreises ausschließlicher Möglichkeiten abgespielt haben muß; darin liegt die Eindeutigkeit. Der Entwurf meint das auch gar nicht anders. Ich glaube nun, daß gerade einer der Einwände gegen die Zulassung der wahlweisen Feststellung, nämlich der, daß man den Richter dadurch erziehe, unklar in seinen Feststellungen zu sein, dadurch etwas genährt worden ist, daß man von einer Eindeutigkeit sprach und damit im Hintergsrunde die zwei oder drei Wahldeutigkeiten erscheinen ließ. M ir scheint deshalb das W ort „wahlweise Fest­ stellung" richtiger zu sein; denn es handelt sich um eine eindeutige Feststellung, die die absolut sichere Abgrenzung nach außen enthält, aber nach innen, wahlweise den ganzen eindeutig festgestellten Bezirk ausfüllend, mehrere Möglichkeiten offenläßt.

Zweitens glaube ich, daß wir nicht davon sprechen können, daß der Täter bestraft werden l a n n , sondern daß er bestraft werden m u ß . Ich glaube, dazu bedarf es keiner weiteren Ausführungen. D rittens: M an sollte nicht vorschreiben, daß eine Bestrafung aus dem mildesten in Betracht kommenden Strafgesetz erfolgen soll. Die Bestrafung sollte viel­ mehr aus dem den T äter am gerechtesten treffenden Gesetz erfolgen. E s ist — und das ist ein Einwand, der sich gegen verschiedene andere Bestimmungen, die wir zu anderen Zeiten noch besprechen werden, genau so richtet — nicht in Übereinstimmung zu bringen m it der Grundauffaffung, die w ir im § 345, wie ich ih n vorschlage, zum Ausdruck bringen, daß wir den Richter zwingen, nach dem mildesten in Betracht kommenden Strafgesetz zu verurteilen. Unsere E in­ stellung, daß dem Richter bezüglich der Strafbarkeit und der Strafzumessung der Weg zur Durchsetzung der materiellen Rechts- und Unrechtsauffassung ge­ sichert werden soll, zwingt dazu, hier an die Stelle des mildesten in Betracht kommenden Gesetzes daK den T äter am gerechtesten treffende zu setzen. D as ist natürlich eine neue Vollmacht für den Richter, aber m. E. eine Vollmacht, die keineswegs über den Kreis^ der Vollmachten hinausgeht, die wir dem Richter bereits an anderer Stelle gegeben haben. Ich halte es für möglich, daß diese Vollmacht eine praktische Bedeutung kaum haben wird, wenn w ir unsere S tra f­ rahmenpolitik aufrechterhalten sollten. Aber das ist eine Frage, die nicht in den Rahmen meines heutigen Referats gehört. Aber mag auch die Bestimmung dann keine praktische Bedeutung haben, sie scheint m ir grundsätzlich doch richtiger zu sein. D as sind meine Änderungsanträge zu § 345 a des Antrags Nr. 1 9 zur zweiten Lesung, den ich mir im übrigen zu eigen mache. Aufgespart hatte ich mir folgenden Fall: Der über seine Vaterschaft Befragte beeidigt, mit der Kindes­ mutter verkehrt zu haben, und im zweiten Rechtszug beeidigt er, mit der Kindesmutter nicht verkehrt zu haben. Denkbar ist, daß die erste Aussage richtig ist, denkbar ist auch, daß die zweite richtig ist. Die Kindesmutter ist eine derartig liederliche Person mtt> auch schon einmal wegen Meineids vorbestraft, daß das Gericht dieser einzigen Zeugin keine Durchschlags­ kraft bezüglich ihres Zeugnisses gibt. D as Gericht kann sich nicht zur Feststellung durchringen, ob nun der erste oder der zweite Eid richtig war, zumal Anzeichen dafür sprechen, daß der Täter das erste­ mal so gehandelt haben kann, um einem Freunde zu helfen, das zweitemal aber Furcht bekommen haben kann, als Vater in Anspruch genommen zu werdenIch glaube, es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß dieser M ann bestraft werden muß, und ich glaube ferner, daß die Vorschriften über die wahlweise Fest­ stellung, die w ir soeben besprochen haben, diesen F a lt nicht treffen. W ir müssen ihn deshalb in einem be­ sonderen zweiten Absatz hervorheben, etwa in ber Weise und mit dem W ortlaut: Steht fest, daß der T äter gegen ein bestimmtes Strafgesetz verstoßen hat, kann jedoch nicht fest-

gestellt werden, welche von mehreren in Frag e kommenden und feststehenden Handlungen dieses Strafgesetz verletzt hat, so erfolgt die Bestrafung aus dem verletzten Strafgesetz. D e r Unterschied scheint m ir gegenüber dem vorigen T a lle gerade der zu sein, daß hier die Handlungen feststehen, während sie ja im vorigen F a lle nicht fest­ stehen. D a steht es nicht fest, ob der M a n n , bei dem m an den gestohlenen D ia m a n trin g findet und der -über die Herkunft des Ringes keine Auskunft gibt, selbst der Einbrecher w a r oder der Hehler gewesen ist. E s steht n u r fest: er kann entweder das eine oder das Ändere getan haben. H ie r steht aber fest, daß der D ä te r zweierlei getan hat. Deshalb ist der F a ll ein Änderer und bedarf der besonderen Regelung. N u n ist m ir natürlich klar, daß sich daran eine Reihe von Problem en knüpft. Nehmen w ir z. B . an: bei einer der Handlungen ist der T ä te r unzurech­ nungsfähig gewesen. M i t diesem P roblem könnte m a n noch am ehesten fertig werden, ohne daß es einer gesetzlichen Bestimmung bedarf. Nehmen w ir aber an, tn das Strafgesetzbuch würde eine allgemeine S t r a f ­ m ilderung bei verm inderter Zurechnungsfähigkeit als Kannvorschrift aufgenommen werden, so entstände hier wieder ein Problem . M a n könnte dann meiner Ansicht nach den T ä te r n u r so bestrafen, als ob die T a t , bei deren Begehung er verm indert zurechnungs­ fähig w a r, der M eineid gewesen w äre; von solchen F ra g e n tauchen im Anschluß an diese Regelung eine ganze M enge auf. Ic h w ill nu r diese Beispiele erwähnen, denn ich glaube, daß w ir das ruhig dem S chrifttum und der Rechtsprechung überlassen können, nn d sehe keine Gefahr, wenn w ir nähere B e ­ stimmungen darüber, wie in solchen F ä lle n zu ent­ scheiden ist, nicht treffen. Abschließend erlaube ich m ir zu diesem ersten T e il meines R eferats als Hauptargum ent fü r meine A b­ änderungsvorschläge noch einm al zusammenfassend hervorzuheben, daß w ir dam it zw ar im wesentlichen -unseren Wunsch aus der ersten Lesung ändern, daß m ir aber in einer M ißdeutungen nicht so sehr aus­ gesetzten Weise unsere eigene Einstellung klarer und w ah re r zum Ausdruck bringen. Ic h bin insbesondere de r M ein u n g , daß es ein V o rte il ist, wenn w ir an dieser S te lle , wo w ir von der materiellen Rechts­ und Unrechtsausfaffung sprechen, sie nach beiden S e ite n hin festlegen, und daß die Tatsache, daß das seinerzeit nicht geschehen ist, ein M a n g e l w a r. Ic h gehe dabei, w ie übrigens auch der Referent in Fisch­ bachau, davon aus, daß Schuld- und Unrechtaus­ schließungsgründe entweder als eins oder mindestens gleich behandelt werden, w e il n u r so mein Vorschlag überhaupt zu verstehen ist. D abei muß ich die Aus­ nahme einer Anmerkung erbitten, daß die subjektive Ausrichtung des Unrechttuns an anderer S telle des Gesetzes klargestellt w ird. Außerdem muß ich die Vormerkung machen, daß diese Bestimmungen ein gangbarer W eg fü r die Durchsetzung der m ateriellen Rechts- und UnrechtsÄuffassung in der Rechtspflege n u r dann sind, wenn

außerdem die norm ativen Tatbestandselemente bzw. Generalklauseln in ausreichendem M a ß e im Gesetz verwandt werden und wenn w ir ferner zentrale Strastatbestände als Grundtatbestände einzelner K apitel des Besonderen T e ils haben werden. Ic h möchte aber in dieser Richtung n u r eine Vormerkung machen und denke, daß die zweite Lesung des B e ­ sonderen T e ils ja jedesmal Veranlassung gibt, fest­ zustellen, ob bei den einzelnen K apiteln diesen E r ­ fordernissen Genüge geleistet ist. Endlich gehe ich davon aus — und würde vor­ schlagen, das auch als erklärende Anmerkung auf­ zunehmen — , daß besondere Kautelen gegen den Mißbrauch der Analogie nicht in die Strafprozeß­ ordnung aufgenommen werden, und zw ar deshalb nicht, weil die Aufnahme solcher besonderen Kautelen m. E . eine kaum zu überbietende Unterstreichung eines Ausnahmecharakters wäre, den w ir ja nicht wollen. Ic h kann m ir aber denken, daß man Vorschlägen folgt, die zeitlich vor m ir S ieg ert, unabhängig von ihm aber auch ich an verschiedenen S tellen gemacht haben, und die daraus hinausgehen, allgemeine Kautelen zur Sicherung der Rechtseinheit in die Strafprozeßordnung einzubauen. D ies könnte in der Weise geschehen, daß die Staatsanwaltschaft die M ö g ­ lichkeit erhält, in F ä llen von grundsätzlicher Bedeutung eine Revision an ein zentrales Gericht, sei es nun das jetzige Reichsgericht, sei es ein Reichsstrafgericht, zu bringen, und daß m an der Reichsanwaltschaft das Recht gibt, ihre eigene M e in u n g zu dieser Revision positiv vor dem Reichsgericht zu vertreten und dort F ä lle von grundsätzlicher Bedeutung auch von sich aus an eine Einrichtung zu geben, die den Zwecken der jetzigen Plenarentscheidungen dienen soll und für die es jetzt gleichgültig ist, w ie w ir sie uns ausgebaut denken. D a n n haben w ir eine allgemeine Sicherheit für die Aufrechterhaltung der Rechtseinheit, die dann natürlich Anwendung finden kann wie überall so auch einm al dort, wenn eine V erurteilu ng aus Grund des § 345 Absatz 3 meines Vorschlags eingetreten ist. D a s scheint m ir absolut erträglich und auch wünschenswert zu sein. Ic h glaube, dam it als Referent zu diesen Fragen zugleich auch die der Kommission zugegangenen A b änderungsanträge mitbehandelt zu haben, insbe­ sondere die A nträge, die aus der S trafabteilung des Hauses heraus gestellt worden sind, und ferner auch den A ntrag des H errn M inisterialdirektor D ü rr, der sich ja im wesentlichen in der Richtung des Vorschlags der Abteilung bewegt. Auch gegen diesen Vorschlag wende ich ein, daß in ihm das fehlt, w as ich vorhin den Obersatz nannte; im übrigen scheint er m ir in kleiner, gewisser Nuancierung eine Einschränkung zu bedeuten. Ic h habe dam it ferner behandelt die A n ­ regungen des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen, die meines Wissens sich n u r grundsätzlich in der Richtung der Zulassung der Analogie bewegen, aber den E inw and machen, daß das Nebeneinander vonVolksanschauung und Rechtsgrundsatz nicht möglich sei, worüber ich mich eingehend ausgesprochen habe. Endlich glaube ich mich recht zu erinnern, daß auch

bei den Beratungen in Fischbachau irgendwelche anderen von mir hier nicht behandelten Gedanken oder Einwände zu diesen Fragen nicht geltend ge­ macht worden sind. Ich habe damit den ersten Teil meines Referats erledigt. Reichsjustizminister D r. Gürtner: E s handelt sich also um drei Probleme, wovon zwei, gemessen am ersten, jedenfalls im Umfang, kleiner sind. D as erste: Grundlage der Bestrafung, das zweite: Frage der Auslegung der Gesetze, das dritte: die sogenannte wahlweise Feststellung. Das sind die drei Themen, die jetzt zur Diskuffion stehen. D arf ich nur zur Orientierung eine einzige Frage stellen? Die Konzeption über die Grundlage der Bestrafung würde, wenn ich das recht verstanden habe, etwa so aussehen: Bestraft wird, wer Unrecht tut; Unrecht tut der und der. Und wenn man hier nun die Notwehr hinzunimmt, müßte das so angehängt werden: Es ist kein Unrecht, wenn einer sich verteidigt. Ich wäre dankbar, wenn diese drei Themen gut auseinandergehalten würden. Berichterstatter Professor D r. Dahm: Die Aufgabe, deren ich mich nach diesem Referat zu entledigen habe, ist undankbar, um so mehr, als ich im Grundsätzlichen, unabhängig von Herrn Staatssekretär Dr. Freister, zu demselben Ergebnis gekommen bin wie er. Auch ich bin der Meinung, daß wir zwar sachlich an den Ergebnissen der bis­ herigen Beratung im wesentlichen festhalten müssen, daß aber die Formulierung bisher noch nicht gelungen ist. Gegenstand dieses Referats ist die Frage der Bindung des Richters an das Gesetz. Diese Frage ist seit der nationalsozialistischen Revolution nicht zur Ruhe gekommen, und auch heute ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen und keine volle Klarheit erzielt. D as Ziel unserer Bemühungen ist eine Lösung, die dem völkischen Gemeinschaftsdenken ent­ spricht und gleichzeitig die Bindung des Richters an den Willen des Führers zum Ausdruck bringt. Alle unsere Überlegungen kreisen um die beiden Pole Volksgemeinschaft und Führung. W ir wollen zwar eine Bindung des Richters, aber diese Bindung hat einen neuen S inn bekommen. E s ist die Aufgabe des neuen Gesetzes, diesen neuen S in n der Bindung deutlich zum Ausdruck zu bringen. Ich bin in Über­ einstimmung mit Herrn Staatssekretär D r. Freister der Meinung, daß uns das bisher nicht gelungen ist. Die §§ 345 und 346 unseres Entwurfs haben, so scheint mir, schon auf den ersten Blick eine bedenk­ liche Ähnlichkeit mit dem heute geltenden Strafgesetz­ buch und mit den jüngsten Entwürfen. D as zeigt schon die Überschrift: „D as Strafgesetz". Dann weiter: „Erster Abschnitt: D as Strafgesetz als Grund­ lage der Bestrafung". Dabei sind wir doch heute alle darüber einig, daß die eigentliche Grundlage der Bestrafung eben nicht das Gesetz ist, sondern die völkische Gemeinschaftsordnung, die hinter dem

Gesetz steht und das Gesetz trägt. Weiterhin die unglückliche Formulierung des § 345: § 345 kenn­ zeichnet negativ die Voraussetzungen, unter benett n i c h t bestraft wird. Dieser Eindruck verstärkt sich durch die Worte „nur" und „ausdrücklich" in § 345* und durch die enge Fassung des § 346; dazu fommt die einseitige Betonung des milderen Gesetzes im § 348. Aber bevor wir eine neue Formulierung ver­ suchen, müssen wir zunächst unseren grundsätzlichen Standpunkt noch einmal neu überprüfen. Zwer Grundgedanken sind es, die man gegeneinander ab­ wägen muß. Auf der einen Seite die Überlegung, daß das völkische Rechtsdenken das formale Gesetz, als Rechtsquelle von untergeordnetem Rang er­ scheinen läßt, die Einsicht, daß die eigentliche Quelle der Rechtsgeltung nicht das staatliche Gesetz iftr sondern das innere Gesetz der Gemeinschaft und baär was w ir die gesunde Volksanschauung genannt haben. Diese Erwägung legt eine Lockerung der Bindung desRichters nahe. Und auf der anderen Seite die Über­ zeugung, daß der Richter an die Grundentscheidungen der politischen Führung gebunden ist, ein Grundsatz, der eine Einengung des richterlichen Ermessens nahe­ legt. Diese Grundgedanken müssen im Vorspruch des Gesetzes ihren Ausdruck finden. Eine endgültige Entscheidung ist damit aber noch, nicht getroffen. Denn, wie Herr Staatssekretär D r. Freisler kürzlich des näheren dargelegt hat, ergibt sich innerhalb dieses Rahmens eine Vielheit von Lösungen, die sich zwischen zwei Extremen bewegen: auf der einen Seite strenge Bindung des Richtersan das Gesetz im Sinne des geltenden Strafgesetz­ buchs, auf der anderen Seite Verzicht aus Tatbestände überhaupt nach Art des Entwurfs Krylenko ober Benutzung der Tatbestände lediglich zur Verdeut­ lichung umfassender Zentraltatbestände; eine Lösung, die insbesondere Herr Oberstaatsanwalt Krug im. letzten Heft der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht vertreten hat. Ich muß offen bekennen, daß ich in der Annahme hierhergekommen bin, diese letztere These würde auch Herr S ta a ts ­ sekretär Dr. Freister vertreten. Nach seinem Referat kann ich mich aber sehr viel kürzer fassen, als ich. ursprünglich vorgesehen hatte. Ich glaube, daß die genannten Radikallösungen für uns n ic h t in Betracht kommen. Es entspricht nicht der politischen Grundauffassung und den strafrechtlichen Grundanschau­ ungen, die sich heute insoweit schon gefestigt haben, daß wir den Richter von allen Bindungen befreien. Die bei der ersten Beratung vorgebrachten Beweis­ gründe haben ihr Gewicht behalten, namentlich der Hinweis aus die Gefahren der justizsörmigen Politik, der Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung, bie Gefahr einer Erstarrung der Rechtspflege im P rä judizienkult, die notwendig mit einer solchen Lösung verbunden wäre. An die Stelle des Gesetzgebers würde das Reichsgericht treten, und gerade d ir jüngste Vergangenheit hat ja gezeigt, wie bedenklich ein solches Typisierungsverfahren auf dem Umwege über die Rechtsprechung wäre. E s sei nur an die Rechtsprechung zu § 263 und § 266 und an die Aus---

legung erinnert, die der Begriff des Volkswohls in der jüngsten Rechtsprechung gesunden hat, oder man denke an die bekannte Rechtsprechung zum übergesetz­ lichen Notstand oder an die Auslegung des Begriffs „Wahrnehmung berechtigter Interessen", alles Fälle, in denen das Reichsgericht den Gesetzgeber vertreten und feste Maßstäbe entwickelt hat. Diese Recht­ sprechung bindet den Richter praktisch nicht minder als das Gesetz. ,M an darf aber der P raxis nicht alles überlassen und keinesfalls ganz aus Tatbestände verzichten. Doch möchte ich schon hier einen Vorbehalt machen. Ich glaube, wir werden im „Besonderen Teil" in sehr viel größerem Umfang, als das bisher vor­ gesehen war, zu Generalklauseln kommen. D as Haupt­ beispiel sind die Verrats- und Treubruchdelikte, die sich meiner Überzeugung nach einer tatbestandlichen Typisierung weitgehend entziehen. S o brauchen wir insbesondere eine Generalklausel für den Landes­ verrat, ähnlich wie wir sie schon für den Hochverrat gesunden haben. Darüber ist später zu sprechen. Hier bleiben zunächst theoretisch zwei Möglich­ keiten: Strenge Bindung und Analogie. Ich habe nun keineswegs die Absicht, die alten Argumente für die Zulassung der Analogie zu wiederholen, die schon in der ersten Lesung vorgebracht wurden. Ich möchte nur noch einmal mit Nachdruck davor warnen, es etwa doch bei der Regelung des § 2 des geltenden S tra f­ gesetzbuchs bewenden zu lassen. W ir alle — und ich darf sagen: gerade wir Jüngeren — empfinden den § 2 des Strafgesetzbuchs und alles, was ihm ähnlich sieht, als das Bollwerk und Symbol des liberalen Strafrechts und als Ausdruck eines individualistischen und rationalistischen Denkens. Auch bei der Form u­ lierung gerade dieser Bestimmungen ist die Symbol­ kraft und die psychologische Fernwirkung solcher Regeln in Rechnung zu stellen. Wir müssen uns vom alten § 2 völlig freischwimmen und klar zum Aus­ druck bringen, daß wir uns in einer ganz anderen geistigen Welt bewegen. Also Analogie, und zwar — da stimme ich Herrn Staatssekretär Dr. Freister völlig zu — Analogie ohne besondere Vorkehrungen in Gestalt einer besonderen Revision, einer Anklageerhebung vor einem besonderen Gericht, einer Vorentscheidung ober was dergleichen Möglichkeiten mehr sind. Die Folgen wären verhängnisvoll. Die Analogie würde damit von vornherein diffamiert, als Ausnahme hingestellt und der Richter ermahnt, die Analogie wenn irgend möglich zu vermeiden. Zugleich würden wir wieder in den unfruchtbaren S treit über die Abgrenzung von Zweckauslegung und Analogie hineingeraten, denn die Gerichte würden sich dann natürlich scheuen, offen von Analogie zu sprechen, und die Analogie als Zweckauslegung bezeichnen. Wie können w ir nun den Gedanken, der uns hier vorschwebt, richtig zum Ausdruck bringen? Zunächst schließe ich mich der Kritik an, die an § 345 unseres Entwurfs geübt worden ist. Die Vorschläge der Sach­ bearbeiter stellen eine gewisse Verbesserung dar. Sie bringen nämlich positiv zum Ausdruck, daß bestraft wird, wer sich gegen das Gesetz vergangen hat, und

vermeiden damit die negative und einschränkende Fassung der ersten Lesung. Aber als die eigentliche Grundlage der Bestrafung erscheint doch auch nach den Vorschlägen der Sachbearbeiter des Reichsjustiz­ ministeriums das Gesetz, und damit wird eben doch etwas Unrichtiges zum Ausdruck gebracht. W ir müssen uns doch wohl zunächst einmal klar macken, daß die Grundfrage, die uns hier beschäftigt, keine spezifisch strafrechtliche Frage ist. Denn auf das Verhältnis von Recht und Gesetz stoßen wir ja nicht nur im Strafrecht, sondern auch im bürgerlichen Recht und auf anderen Rechtsgebieten, aus denen man aus­ drückliche Bestimmungen dieser Art nicht für nötig hält. Der allgemeine liberale Grundsatz hat im § 1 des Gerichtsverfaffungsgesetzes seinen Niederschlag gefunden, und deshalb muß meiner Meinung nach überlegt werden, ob das Strafgesetzbuch sich überhaupt mit der Bindung des Richters befassen solle. D as kann meiner Meinung nach nur im Vorspruch ge­ schehen. Dabei kommt es entscheidend darauf an, daß die Bindung des Richters im Zusammenhang mit der Anerkennung der materiellen Rechtswidrigkeit er­ scheint. Der Richter ist an das materielle Recht gebunden, und das Gesetz hat Bedeutung nur als Ausdruck des materiellen Rechts. Es müßte dem Sinne nach etwa gesagt werden, daß das Verbrechen bestraft wird als eine T at und als eine Willensbe­ tätigung, die sich zur gesunden Volksanschauung und zur völkischen Rechtsordnung in Widerspruch setzt. Alsdann muß zum Ausdruck kommen, daß darüber, was gegen die völkische Grundordnung verstößt, in erster Linie der Wille der Führung entscheidet, und daß das Gesetz nur den Ausdruck — allerdings den bedeutendsten Ausdruck — des Führerwillens enthält. D araus ergibt sich die Folgerung, daß das Gesetz nach seinem S in n und nach seinem Grundgedanken im Einklang mit der gesunden Volksanschauung und mit dem Willen der Führung auszulegen ist. Auch das wäre im Vorspruch zu sagen. Dann erst würde die Analogievorschrift folgen. Damit komme ich zu dem § 346 der ersten Lesung und zu § 345 Absatz 2 nach den Vorschlägen der Sach­ bearbeiter des Reichsjustizministeriums. Ich halte auch diese Vorschläge nicht für völlig befriedigend, und zwar für besonders unbefriedigend den § 345 Absatz 2 nach den Vorschlägen der Sachbearbeiter. Diese Bestimmung nämlich ist noch viel ängstlicher als die Vorschrift des § 345 der ersten Lesung. Wenn wir die Bindung an den Willen des Führers im Vorspruch zum Ausdruck bringen, so brauchen wir nicht noch einmal zu sagen, daß Analogie zulässig sei, „sofern die Bestrafung dem erklärten Willen des Gesetzgebers nicht widerspricht". D as ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, braucht also nicht beson­ ders betont zu werden. Die besondere Hervorhebung wirkt psychologisch nicht weniger hemmend, als etwa besondere Sicherungsvorkehrungen gegen die Ana­ logie in Gestalt der Revision oder dergleichen. Sodann nehme ich Anstoß daran, daß hier nach Art eines Lehrbuchs von einem gesetzlich geregelten

Tatbestand gesprochen wird. Begriff und Wort „T at­ bestand" sind an sich schon anstößig. Der Tatbestand ist em typischer Lehrbuchbegriff. E s kommt hinzu, daß das W ort „Tatbestand" hier ja auch in einem anderen S in n verwendet wird, als es sonst in der S tra f­ rechtsdogmatik der F all ist, nämlich nicht auf den ä u ß e r e n Tatbestand beschränkt, sondern als Aus­ druck für die Einheit des ganzen Verbrechens. Endlich kann man nicht sagen, daß der Rechtsgedanke dem Tatbestand zugrunde liegt, sondern man dürfte nur vom Grundgedanken des Gesetzes sprechen. D as alles sind meiner Meinung nach starke Be­ denken gegen den § 345 Absatz 2 in der jetzt vor­ liegenden Fassung. Darum würde ich mich eher für eine Bestimmung nach Art unseres alten § 346 ent­ scheiden, der im Zusammenhang mit der grundsätz­ lichen Anerkennung der materiellen Rechtswidrigkeit zu erscheinen hätte. W ir haben endlich die Frage zu prüfen, ob wir im § 346 von der ähnlichen T at sprechen sollen. Hier­ zu hat Herr Staatssekretär Freister überzeugende Argumente vorgebracht. Der Begriff „ähnlich" dürste nicht etwa naturalistisch auf das äußere Tatbild bezogen werden, sondern er könnte nur rechtlich ver­ standen werden. D as W ort „ähnlich" weist dann wiederum auf den zugrundeliegenden Rechtsgedanken hin, und das soll ja ohnehin zum Ausdruck kommen. Darum können wir auf den Zusatz „ähnlich" neben dem Hinweis auf den zugrundeliegenden Rechts­ gedanken verzichten. Durch die Entlastung von solchen Beschränkungen wird die Analogievorschrist auch äußerlich für die Erwähnung an hervorragender Stelle, nämlich im Borspruch, geeignet. I n diesem Zusammenhang bedarf es auch einer Hervorhebung des Führerwillens. Allerdings habe ich dabei eine andere Vorstellung als Herr S ta a ts­ sekretär Freister. Ich würde den Führerwillen als die maßgebende Richtlinie für die Auslegung des Gesetzes erwähnen, aber nicht den Führerwillen als selbständige Rechtsquelle neben das Gesetz stellen und als solche ausdrücklich nennen. Natürlich ist der Führerwille eine wirkliche Rechtsquelle. Den Führer­ willen ohne den Rückhalt des Gesetzes zur Geltung zu bringen, ist aber Sache des Führers selbst und nicht etwa der sogenannten ordentlichen Gerichte. Alle die Fälle, die Herr Staatssekretär Freister er­ wähnt hat, waren Fälle, in denen der Führer selbst von der ihm zustehenden Richtermacht Gebrauch gemacht hat. Die Würde dieses Gedankens müßte beeinträchtigt werden, wenn das Gesetz jetzt den Richter veranlassen wollte, den Willen des Führers etwa aus politischen Handlungen festzustellen. Dazu ist der Richter oft gar nicht imstande. Dazu kommt eine grundsätzliche Erwägung. Der Führerwille ist die Grundlage des Gesetzes, das Gesetz ist demgegen­ über etwas Untergeordnetes. Es ist Ausdruck des Führerwillens, aber keineswegs sind Führerwille und Gesetz gleichwertige Rechtsquellen, die man neben­ einanderstellen könnte. Zum Schluß habe ich die Frage der Wahlfest­ stellung, also den § 345a nach den Vorschlägen der

Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu er­ örtern. Es scheint mir zweifelhaft, ob eine solche Bestimmung gerade in das Strafgesetzbuch und nicht in die Strafprozeßordnung hineingehört. Denn es handelt sich dabei doch um ein Problem der prak­ tischen Rechtsanwendung, also des Verfahrens. Darüber hinaus aber bedarf die Frage der P rü ­ fung, ob eine ausdrückliche Bestimmung dieses I n ­ halts überhaupt wünschenswert ist. Diese Fragen sind ja zur Zeit noch im Fluß. Der Grundgedanke der wahlweisen Feststellung hat sich in der jüngsten Recht­ sprechung Bahn gebrochen und wird sich — auch ohne Gesetz — weiterhin durchsetzen. D as ist auch zu begrüßen, aber man sollte doch nicht zu weit gehen und die Entwicklung der Rechtsprechung nicht in Bahnen lenken, die ich doch für gefährlich halte. Der § 345a geht doch wohl zu weit. E r gestattet die wahl­ weise Feststellung schlechthin, auch dann, wenn es sich um ganz verschiedenartige Straftaten handelt. Stehen Diebstahl und Hehlerei zur Wahl, so ist die Entscheidung nicht zweifelhaft. Aber sollen schlechthin wahlweise Feststellungen zulässig sein zwischen Betrug und Diebstahl, Betrug und Meineid, Beleidigung und Vornahme unzüchtiger Handlungen an M inder­ jährigen? E s bedarf hier gewisser Einschränkungen: Eine wahlweise Feststellung ist nur dann möglich, wenn die verschiedenen Straftaten im wesentlichen denselben kriminalistischen Gehalt haben, etwa dann, wenn sie dasselbe Rechtsgut verletzen. Endlich darf eine wahlweise Feststellung nur in den Grenzen des § 264 der Strafprozeßordnung zulässig sein, also nur dann, wenn es sich um ein und dieselbe T at handelt. Ohne solche Einschränkungen besteht die Gefahr, daß die Gerichte in Zukunft bei der Feststellung des Sach­ verhalts nicht mehr die nötige Sorgfalt üben. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich meine, über die Grundfrage, die uns bei Beginn unserer Arbeit so lange beschäftigt hat — freirechtliche Lösung oder normative Lösung — , sollten wir nicht sehr viel diskutieren. W ir sind ja damals alle überzeugt gewesen, daß man eine freirechtliche Lösung im deutschen S tra f­ gesetzbuch nicht geben soll, daß aber auch ein strenges Normstrafrecht, wo nur der Wille des Gesetzgebers in Betracht kommt, nicht gegeben werden soll. Ich habe in der Zwischenzeit viel mit Freunden einer sreirechtlichen Lösung diskutiert und habe dabei manchmal Glück gehabt mit dem Hinweis aus ein militärisches Bild. Der militärische Befehl: „Handeln S ie nach Lage der Sache!" ist ganz gewiß notwendig, aber er muß verhältnismäßig selten sein. M an kann mit diesem Befehl jedenfalls keinen Krieg führen, auch dann nicht, wenn jeder Soldat das innere Gesetz des Soldaten befolgt: S ei tapfer! Greise den Feind an, wo du ihn findest! Bleibe in der Verteidigung absolut unerschütterlich! Wenn man die Strafgesetzgebung als eine Kriegführung gegen das Verbrechen ansieht, kann man, so hinkend der Ver­ gleich sonst ist, einen gewissen Eindruck damit machen. Einen Punkt möchte ich besonders aus den Aus­ führungen des Kollegen Dr. Dahm festhalten. Den

Willen des Führers, die Kundmachung, wie hier gesagt worden ist, möchte er nicht als Rechtsquelle auf der gleichen Ebene wie das Gesetz ansehen, jeden­ falls dann nicht, wenn der Wille des Führers nicht die Gesetzesform hat; denn hat er die Gesetzessorm, so ist es immerhin ein Gesetz. Nun meine ich, daß w ir in der Beziehung auch nicht allzu ängstlich sein sollten, daß w ir nicht ein zu großes M ißtrauen gegen die Maschinerie der Gesetzgebung haben sollten. Ein strafrechtliches Bedürfnis läßt sich im gegenwärtigen Führerstaat rascher und leichter befriedigen, als sich ein zivilrechtliches Gutachten herstellen läßt. Wenn es also darauf ankommt, für irgendwelche Dinge eine strafrechtliche Norm zu schaffen, so ist der Wille des Gesetzgebers außerordentlich schnell bei der Hand. Es ist ja nicht mehr so, daß man mit zehn Fraktionen verhandeln muß und viele Ausschußsitzungen braucht. Also die Befürchtung, daß der Wille des Führers furchtbar schwer in Gesetzgebungsform zu bringen wäre, ist gar nicht begründet. Ich selber möchte sehr stark der Auffassung von Herrn Professor Dahm zuneigen. Als M ittel zur E r­ kenntnis des Zieles des Gesetzes und seines Inhaltes lasse ich mir jede Willenskundgebung des Führers gefallen, aber diesen Willen als koordiniert neben den in Gesetzgebungssorm gegebenen Willen au setzen, kommt mir sehr bedenklich vor, zumal die tform, in der diese außergesetzliche Willenskundgebung er­ folgt, eine Frage wäre, über die man sich auch noch einige Gedanken machen müßte. Ein wichtiger Punkt in den Ausführungen des Herrn Kollegen Dahm ist auch die Frage, wo nun das alles geregelt werden soll, im Vorspruch oder im § 345. Wenn wir bei der Einteilung des Strafgesetzes bleiben, wie wir sie jetzt in dem Entwurf haben, dann kann diese Frage auch nach meiner Meinung nicht erst im § 345 auftauchen. D as käme mir vor, als wenn man den Grundriß eines Hauses erst am Schluß machen würde. Ich stehe daher auch dem Ge­ danken sehr sympathisch gegenüber, diese grund­ legenden Sätze irgendwie vorn anzubringen. Ob das nun in einem Vorspruch geschieht oder in anderer Form , das ist eine Frage, die zunächst nicht so sehr wichtig ist. Bevor ich die Aussprache über diese wichtigen Dinge eröffne, möchte ich noch eines sagen. Ich habe in der langen Zeit, die uns von Oberhos trennt, den Entwurf oft und viel auf mich wirken lassen, und ich möchte nicht unterlassen, den Gesühlsgehalt wieder­ zugeben, der sich mir oft aufgedrängt hat. W ir müssen in das Strafgesetzbuch — ich möchte mal sagen — etwas mehr Erde und weniger Geist hineinbringen. Eine ganze Reihe von Sätzen, die da stehen, sind in einer Sprache und in einer Gedankenführung ge­ schrieben, die — wenn ich es einmal übertreiben will — kein Mensch versteht. Die Formung müssen w ir etwas entintellektualisieren, etwas erdnäher machen. W ir reden ja immer vom volksnahen Recht. D as sollten wir uns bei jedem Satz, dessen Formu­ lierung uns zur Aufgabe wird, immer wieder vor Augen halten.

Staatssekretär D r. Freister: Ich möchte nur auf drei Punkte eingehen, in denen ich teilweise mein Referat ergänzen, teilweise meine Meinung modifizieren möchte, nachdem ich das Referat von Herrn Professor Dahm gehört habe. 1. Ich habe absichtlich zu der Frage, wohin inner­ halb des Strafgesetzbuchs diese Bestimmungen ge­ hören, nicht Stellung genommen, und zwar aus folgendem Grunde: Ich sehe, daß wir unter dem Vor­ spruch Verschiedenes verstehen. Ich verstehe unter diesem Vorspruch, wenn ich z. B. an den Vorschlag erinnere, den ich am letzten Tage in Oberhos machte, gar keinen Vorspruch, sondern die allgemeinen Grund­ sätze des Allgemeinen Teils, und ich ging davon aus, daß diese allgemeinen Grundsätze als Bestandteil des Gesetzes selbst vor dem Besonderen Teil stehen sollen. Einen Vorspruch würde auch ich für zweckmäßig halten; aber dieser Vorspruch würde Bestandteil des Gesetzes nur insoweit sein, als nicht etwa an seinem Ende steht: „Deshalb hat die Reichsregierung das vorliegende Gesetz erlassen", sondern der Wortlaut müßte schon so sein, daß der Vorspruch mit zum Gesetz gehört. Ich bin mir aber klar, daß dieser Vor­ spruch doch nicht voll als Bestandteil des Gesetzes angesehen wird. Außerdem muß er kurz sein, er muß etwa auf einer halben Seite des Reichsgesetzblattes Platz haben. Außer diesem Vorspruch müßten w ir die grundsätzlichen Bestimmungen des Allgemeinen Teils an die Spitze stellen, so daß sie ganz unbestrittener­ maßen technisch Bestandteil des Gesetzes selbst sind. Wenn wir das tun, dann müssen w ir prüfen — diese Prüfung haben wir uns ja vorbehalten — , ob wir dann dasselbe, was w ir vorn gesagt haben, im Allgemeinen Teil nach dem Besonderen Teil noch einmal mit denselben oder mit anderen Worten bringen sollen oder nicht. W ir sind damals zu einer Entscheidung darüber nicht gekommen. Aber auch ich bin — darin stimme ich Herrn Professor Dahm voll­ kommen zu — nie aus den Gedanken gekommen, daß der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit nicht in den Grundsätzlichen Teil des Allgemeinen Teils und damit an die Spitze des Strafgesetzbuchs gehört. Ich glaube aber, wir tun gut, in dieser Beziehung so zu verfahren, wie wir, ohne daß das von Ihnen, Herr Minister, angeordnet war, eigentlich alle von selbst in Oberhof gehandelt haben. W ir haben die Frage, was wir in einen solchen Grundsätzlichen Teil hinein­ bringen sollen, erst am letzten Tage besprochen. Ich könnte mir also denken, daß wir auch hier nicht bei jedem Punkt fragen, wohin das gehört, sondern daß wir uns vorbehalten, am Schluß die Frage auszu­ werfen, was herausgenommen werden soll, um es evtl, vorn unterzubringen. E s ist nämlich sehr schwer, das bei der Behandlung der Einzelbestimmungen in jedem F all zu entscheiden. Deshalb bin ich daraus, wo das nachher im Strafgesetzbuch stehen soll, in meinem Referat gar nicht eingegangen. 2. W as dann die Führerkundmachung anlangt, so hatte ich mir schon gedacht, daß da eine lebhafte Kritik einsetzen werde. I n meinem formulierten Vor-

schlag habe ich bereits dem Rechnung getragen, daß ich mit meiner Anschauung kaum durchkommen werde; denn dieser formulierte Vorschlag sieht die Führerkundmachungen nur als Erkenntnisquelle für die Auslegung des Gesetzes vor. Dagegen hat nun Herr Professor Dahm nichts eingewendet, und ich meine, daß als Erkenntnisquelle für die Auslegung des Gesetzes solche Führerkundmachungen außerordent­ liche Dienste erweisen können. Wenn ich vorhin die Ernennung der acht Reichstagsabgeordneten erwähnt habe, so habe ich das nur getan, um die Gesetzeskraft von Führerbefehlen an einem Beispiel zu beleuchten. E s ist natürlich richtig, daß hier die Kundmachung und die Ausführung in einer Hand lagen, und es ist selbstverständlich, daß kein anderer die Ausführung übernehmen könnte. Was aber den Fall der 12 Ge­ bote an den Stabschef der SA . betrifft, so enthielten diese ja nicht nur Befehle — du sollst diese und jene Handlungen vornehmen — , sondern sie enthielten ganz zweifellos einen In h a lt, der sich in Befehlsform an alle richtete, nicht ganz, aber zum Teil. Insoweit würde ich doch vorschlagen, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß dieser Befehl schon vielfach von den Gerichten zur Begründung der Urteile angewandt worden ist, also letzten Endes als Erkenntnisquelle für den Gesetzesfinn und den Gesetzeszweck gedient hat. Wenn man dem von mir formulierten Vorschlag folgt, so sagt man nämlich gar nicht mehr. Ich bin mir darüber klar, daß es vielleicht gar nicht gut ist, über diese Formulierung noch hinaus­ zugehen, weil wir uns da aus einem Gebiet befinden, von dem ich selbst sagen mußte — und das war ja an sich die Hauptschwäche meiner Argumentation — , daß zu einer grundlegenden staatsrechtlich-theoretischen Fundierung vielleicht die Zeit noch nicht da ist. Wenn das so ist, kann man natürlich sehr leicht einem Vorschlag mit gutem Grund entgegentreten, der, schon ein bestimmtes Ergebnis solcher staatsrechtlich­ theoretischen Erörterungen vorwegnehmend, im Gesetz etwas anderes zum Ausdruck bringen will. Ich halte deshalb meinen Vorschlag nur insoweit ausrecht, als die Führerkundmachungen genannt werden als eine Quelle der Erkenntnis des S innes und des Zweckes des Gesetzes. 3. Was die Frage der Wahlfeststellung anlangt, und zwar in dem Sinne, ob sie, wenn man sie wünscht, nicht in die Strafprozeßordnung gehört, so möchte ich doch glauben, daß der innere Zusammenhang mit den hier behandelten Problemen, den ja Herr Professor Dahm auch selbst hervorgehoben hat, es natürlicher erscheinen läßt, diese Regelung hier mit zu behandeln. Wünschenswert scheint mir allerdings die Zulassung der Wahlfeststellung zu sein. Freilich entsteht die Frage, ob wir nicht irgend etwas darüber sagen sollen, daß die wahlweise festgestellten Hand­ lungen auf einer Ebene oder in einem Kreise zu­ sammenliegen müssen. D as bedürfte wohl noch der Erforschung. Aber ich sehe nicht ein, warum wir die Entwicklung hemmen, wenn wir auch' als Gesetzgeber etwas zur Klärung und zur Weiterführung dieser

Frage tun. Deshalb bin ich der Meinung, daß man unter diesem Vorbehalt, den ich aus Grund der Aus­ führungen Don Herrn Professor Dahm nunmehr machen muß, zu einer Vorschrift über die Zulassung der wahlweisen Feststellung kommen sollte. Die Aus­ führungen von Herrn Professor Dahm schienen mir nicht alle zugkräftig im Sinne der Ablehnung zu sein, z. B. nicht das Beispiel über die Beleidigung und die Vornahme unzüchtiger Handlungen. Hier scheint es sich vielmehr darum zu handeln, ob die rechtliche Subsumption wahlweise erfolgen kann oder nicht, während wir doch nur zulassen, daß der Sachverhalt wahlweise festgestellt wird. Deshalb glaube ich, daß das erwähnte Beispiel keine Durchschlagskraft besitzt. Zum Schluß möchte ich mir noch eine Frage an Herrn Professor Dahm erlauben. Würden Sie, falls man zu der Zulassung der wahlweisen Feststellung durch Ausnahme einer betreffenden Bestimmung im Gesetz käme, den zweiten von mir behandelten Fall auch mit zu regeln vorschlagen? (Wird bejaht.) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, es würde eine Vereinfachung sein, wenn w ir uns jetzt über den Platz, wo unsere Vor­ schriften hingeschrieben werden sollen, ob in den Vor­ spruch oder an den Ansang des Gesetzes, nicht unter­ halten. Ich bin der Meinung, daß man den Vorspruch am Schluß macht. Zweitens würde ich bitten, sich bei der jetzigen Aussprache zunächst auf den Komplex zu beschränken, den ich ausdrücken möchte mit den Worten: Bindung des Richters an das Gesetz und materielles Unrecht — dazu gehört sinngemäß die Analogie— , nicht aber von der Auslegung und nicht von der wahlweisen Feststellung zu sprechen. D as hängt zwar auch damit zusammen, aber das würde zu unübersichtlich werden. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich habe gegen die Formulierung „Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn das Recht und die gesunde Volksanschauung es verlangen" Bedenken. Es ist nämlich weiter gesagt: „Dies ist der Fall, wenn ein Gesetz die T at für strafbar erklärt". Nun ist es ja richtig, daß den Gesetzen die gesunde Volksanschauung zugrunde liegen soll und auch im allgemeinen zugrunde liegt. Es gibt doch aber positive Gesetze, die mehr aus Zweckmäßigkeitsgründen, aus technischen Gründen erlassen sind, in bezug auf die die gesunde Volksanschauung sich gewissermaßen neutral verhält. Deshalb glaube ich, daß hier etwas zu viel gesagt ist, wenn vom Recht u n d der gesunden Volksanschauung die Rede ist. Es könnte ruhig gesagt werden: „Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn d a s R e c h t es verlangt". Es muß klargestellt werden, daß wir die Worte „kein Unrecht tut" nur in dem S inne verstehen, daß einer der Unrecht- und Schuldausschließungsgründe vorliegt, die wir im Allgemeinen Teil vorsehen wollen, daß die Worte nicht etwa so zu verstehen sind,

daß hier noch ein übergesetzlicher Unrecht- oder Schuldausschließungsgrund anerkannt werden sollte, etwa in dem Sinne, daß jemand aus dem nationalen oder sozialen Zweck, den er mit seiner an sich straf­ baren T at verfolgt, herleiten könnte, daß er zwar gegen das Gesetz verstoßen, damit aber kein Unrecht getan habe. Eine solche Möglichkeit würde ich für außerordentlich gefährlich halten. Ich darf an die Erörterungen der ersten Lesung über die Unzulässig­ keit einer Notwehr zugunsten des S taates seitens eines Volksgenossen erinnern. Ferner hatte der Vorschlag der Herren Sach­ bearbeiter des Reichsjustizministeriums noch eine Klausel in den § 345 hineinbringen wollen, daß nämlich Analogie nur zulässig sein soll, wenn die Bestrafung dem erklärten Willen des Gesetzgebers nicht widerspricht. M an könnte auch so formulieren: „wenn die Bestrafung dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht offenbar widerspricht". Der Aus­ gangspunkt dieses Vorschlags ist offenbar die E r­ wägung gewesen, daß sonst im Wege der Analogie Bestrafungen herbeigeführt werden könnten, die eben mit dem Willen des Gesetzgebers nicht in Einklang stehen. Es kann allerdings im einzelnen Fall sehr zweifelhaft sein, ob ein solcher Widerspruch vorliegt oder nicht. I n der Literatur Pflegt man in diesem Zusammen­ hang namentlich den jetzigen § 175 anzuführen. W ir wollen nach wie vor die Strafbarkeit gleichgeschlecht­ licher Unzucht auf M änner beschränken. Wenn man die Formulierung, wie sie auch Herr Staatssekretär Freister gegeben hat, zugrunde legt, könnte man auf die Idee kommen, daß der gesunden Volksanschauung und dem dem Tatbestand zugrundeliegenden Rechts­ gedanken die Bestrafung auch von Frauen entsprechen würde, die sich gleichgeschlechtlich betätigen; denn auch dieser gleichgeschlechtliche Verkehr der Frauen zieht von dem natürlichen gesunden Geschlechtstrieb und Fortpflanzungstrieb ab. Einer solchen Auf­ fassung würde die vorgeschlagene Klausel vorbeugen. Ein anderes Beispiel: Es ist für einen Verführungs­ tatbestand ein ganz bestimmtes Schutzalter vorge­ sehen, sagen w ir 16 oder 18 Jahre, und ich stelle mir etwa einen F all vor, in dem die schutzbedürftige Person zwar über 16 oder 18 Jahre alt ist, aber nach ihrer ganzen geistigen oder körperlichen Verfassung des strafrechtlichen Schutzes ebenso bedürftig erscheint wie eine Person, die ziffernmäßig die Schutzalters­ grenze noch nicht erreicht hat. Ich würde es nicht für falsch halten, auch einen solchen Fall p e r analogiam unter das Gesetz zu bringen. Ich weiß aber, daß gerade nach dieser Richtung in der ersten Lesung Bedenken geltend gemacht worden sind. E s wurde gesagt, wenn der Gesetzgeber durchschnittmäßig ein bestimmtes Schutzalter aufstellt, dann kann im einzelnen Falle auch im Wege der Analogie nicht davon abgegangen werden. Will der Gesetzgeber das, so wäre es gut, wenn die Klausel eingeschaltet würde. Ich würde es aber vorziehen, die Klausel nicht aufzu­ nehmen, um dem Richter die genügende Freiheit zu

lassen. Daß er sie im Falle des § 175 mißbrauchen würde, wäre nicht zu befürchten. Was die besonderen Sicherungen gegen zu weite Anwendung der Analogie anlangt, die für das S tra f­ verfahren vorgeschlagen sind, so möchte ich mich aus den vom Herrn Berichterstatter vorgebrachten psycho­ logischen Gründen dagegen aussprechen. Anderer­ seits trete ich der Anregung bei, ganz allgemein in der Strafprozeßordnung die Möglichkeit vorzusehen, daß in Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung die Sache dem höchsten Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn ich recht verstanden habe, hat die Fassung: „Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn das Recht und die gesunde Volksanschauung es verlangen" die E in­ wendung gesunden — das haben Sie zwar nicht gesagt, aber das ist I h r Motiv — , man möge hier die gesunde Volksanschauung nicht erwähnen; denn man könne sich eine Antithese zwischen. Gesetz und gesunder Volksanschauung denken. Die gesunde Volks­ anschauung haben wir oft als eine Art Korrelativ oder Korrektiv zum ausgedrückten gesetzgeberischen Willen benutzt. Aber eine Antithese zwischen Recht und gesunder Volksanschauung aufzustellen, scheint mir nicht ganz unbedenklich zu sein. Deswegen möchte ich Ih re r Meinung beitreten. W as die zweite Frage anlangt, ob man den aus­ drücklich erklärten Willen des Gesetzgebers als Schranke für die Analogie aufrichten soll, so meine ich: Wenn der Gesetzgeber nicht will, daß man nur etwa das 14jährige Mädchen als schutzbedürstig ansieht, dann kann er das ja ausdrücken, indem er etwa sagt: wer ein unreifes Mädchen verführt. Daß das aber zweckmäßig und vor allen Dingen volks­ tümlich wäre, glaube ich nicht. Die jetzige Fassung dagegen ist absolut volkstümlich. I n München gibt es ein Sprichwort: 14 Jahre muß sie sein, sonst kommst du nach Stadelheim. D as ist absolut in das Bewußtsein des Volkes übergegangen. Das weiß jeder. Ich glaube, es wäre wieder eine Vergeistigung des Strafgesetzbuchs, wenn wir diesen primitiven Begriff 14 Jahre ersetzen würden: wer ein unreifes, nicht mannbares Mädchen anfaßt usw. Ich habe auch nicht die Befürchtung, daß man, wenn im Gesetz 14 Jahre steht, p e r analogiam 13y2 sagen würde oder 15 Jahre. Wohl aber wissen w ir aus der Praxis, daß der Reifegrad des Mädchens, das äußere Aus­ sehen usw. bei den Strafzumeffungsgründen meist eine gewisse Rolle spielt. Staatssekretär Dr. Freister: Ich muß zugeben, daß die Nennung von Recht und gesunder Volksanschauung nebeneinander Be­ denken erregen kann. Uber diese Zusammenstellung in meinem Vorschlag zu § 345 habe ich mich vorhin ziemlich eingehend geäußert. Ich muß aber sagen: Wenn ich hier von Recht spreche, dann muß ich mich

eben auf den Standpunkt stellen: D as Recht verlangt die Bestrafung in zwei Fällen, die völlig gleichberech­ tigt nebeneinander liegen, nämlich wenn das Gesetz es verlangt, und ferner wenn ein Unrecht geschehen ist, dessen Bestrafung die gesunde Volksanschauung verlangt. Deshalb sind die Worte „gesunde Volks­ anschauung" im Abs. 1 mindestens überflüssig. Sie können sogar gefährlich sein. Ich ändere deshalb meinen Vorschlag entsprechend und bitte, diese Worte zu streichen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr Senatspräsident Dr. Klee nahm auch Anstoß an der Formulierung, daß der Täter nicht bestraft wird, der zwar gesetzwidrig handelt, aber nicht Unrecht tut, und hat darauf hingewiesen, es möge nicht ein transzendenter Unrechtsbegrisf geschaffen werden. Ich habe vorher Ih re Konzeption zusammen­ zufassen versucht in das Bild, das hier im Geiste zu lesen wäre: Siehe § soundsoviel, der dann mit den Worten beginnt: Unrecht tut nicht, wer sich gegen einen Angriff verteidigt. D as war I h r Grund­ gedanke. (Senatspräsident Klee bejaht.) — D ann wäre hier Übereinstimmung. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte ein paar Worte zu den Anträgen der Sachbearbeiter sagen, die in der Richtung dessen liegen, was Herr Staatssekretär Freister und Herr Professor Dahm ausgeführt haben. Ich bin der Ansicht, daß man den Schritt der Zulassung der Analogie, wenn man ihn tut, auch ganz tun soll, mutig und ohne ängstliches Schwanken, auch ohne die Schutzmaßregeln, die wir in der ersten Lesung für die Strafprozeßordnung in Aussicht genommen hatten. Deshalb haben w ir bei der Formulierung der An­ träge zu den §§ 345 und 346 jeden Anschein ver­ mieden, als sei die Verurteilung aus Grund ent­ sprechender Gesetzesanwendung nur etwas Subsi­ diäres, möglichst zu Vermeidendes, das einen Aus­ nahmecharakter habe. W ir haben uns die Frage auch für das S tra f­ prozeßrecht überlegt und sind auch da von dem abge­ gangen, was in der ersten Lesung empfohlen wurde, und sind im Gegenteil dazu gekommen, in der S tra f­ prozeßordnung ausdrücklich auszusprechen, daß im Dienste gesunder Fortbildung des Rechts die ent­ sprechende Anwendung eines Gesetzes neben der unmittelbaren Anwendung eines Gesetzes vom Richter in allen geeigneten Fällen in Betracht zu ziehen sei. Ich darf einmal vorlesen, wie wir uns die ent­ sprechenden Paragraphen der Strafprozeßordnung denken. Zunächst ein Paragraph für die S ta a ts­ anwaltschaft: Die Staatsanwaltschaft ist berufen, der ge­ sunden Fortbildung des Rechts zu dienen. Des­ halb hat sie, wenn eine T at strafwürdig erscheint, die unter kein Strafgesetz fällt, zu prüfen, ob durch eine entsprechende Gesetzesanwendung der Gerechtigkeit zum Siege verholsen werden kann.

Und eine entsprechende Vorschrift für den Richter: Ergibt die Hauptverhandlung, daß der Ange­ klagte eine T at begangen hat, die strafwürdig ist, aber unter kein Strafgesetz fällt, so hat das Gericht zu prüfen, ob Anlaß zu einer ent­ sprechenden Gesetzesanwendung gegeben ist. Damit wird der Schritt zur Zulassung der Analogie voll und ganz getan und diese gleichsam zu einer zweiten Rechtsquelle gemacht. Auch für die Revisions­ instanz sind keine besonderen Kontrollvorschristen vorgesehen, nur eine Vorschrift zur Wahrung der Rechtseinheit, wie Herr Staatssekretär Freister sie auch andeutete. I n der Fassung ist auch vermieden, auf die ähn­ liche T at besonders Bezug zu nehmen. Ich verweise auf das, was Herr Staatssekretär Freister eben aus­ geführt hat. Ich muß anerkennen, daß die ursprüng­ liche Fassung des § 346, die nebeneinander aufführte, daß eine ähnliche T at im Gesetz mit Strafe bedroht sein müsse, und noch einmal, daß der zugrunde­ liegende Rechtsgedanke aus sie zutreffen müsse, irre­ führend sein könnte. Meiner Ansicht nach sollte damit gar nichts Verschiedenes ausgedrückt werden. D as Maßgebende ist jedenfalls das Zweite: daß der in einem Gesetz zum Ausdruck gekommene Rechtsgedanke auch auf die zur Aburteilung stehende T at zutrifft. Ich glaube, so kann man den Tatbestand verein­ fachen. Wenn ich nun auf die Fassung des Herrn S ta a ts­ sekretärs Dr. Freisler, und zwar gleich auf die be­ richtigte Fassung eingehen darf, so möchte ich mir zunächst über eines Gewißheit verschaffen. Der Abs. 1 „Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn es das Recht verlangt" soll doch seine erschöpfende Erklärung und Ausfüllung finden durch die Absätze 2 und 3, so daß er also nicht etwa die Bedeutung eines Generaltat­ bestandes hat, sondern daß die Absätze 2 und 3 den In h a lt und das Anwendungsgebiet des Abs. 1 erschöpfen. (Staatssekretär Dr. Freisler: Daher die Worte „Dies ist der Fall".) — D as könnte sich aber auch aus den dritten Absatz beziehen, und es fragt sich, ob das, was gemeint ist, in der Fassung ganz zum Ausdruck kommt. (Staatssekretär Dr. Freisler: M an könnte diese Worte „Dies ist der Fall" auch vorrücken.) — Mein Bedenken ist jedenfalls beseitigt und klar­ gestellt, daß Abs. 1 seine erschöpfende Ausfüllung durch die folgenden Absätze erhält. Nun die Frage, ob man auf die Worte „und die Bestrafung dem erklärten Willen des Gesetzgebers nicht widerspricht" bei der Fassung des Abs. 3 ganz ver­ zichten soll. Wenn sie fehlten, würde sicherlich das­ selbe gelten. Die Bedeutung der Worte ist also im wesentlichen die, den Richter auf diesen Punkt auf­ merksam zu machen. Hier schließe ich mich dem an, was Herr Senatspräsident Klee ausgeführt hat. Sachliche Meinungsverschiedenheit besteht nicht.

Bei einer Erörterung, die wir kürzlich mit dem Wirtschaftsministerium hatten, habe ich jedoch ge­ sehen, daß auch diese Worte ihre besondere Bedeutung haben. W ir müssen uns ja immer vor Augen halten, daß ein Satz über die Analogie, den wir hier in das Strafgesetzbuch einfügen, nicht nur für den Bereich des Strafgesetzbuches gilt, sondern eine allgemeine Bedeutung für das gesamte Strafrecht hat. Es hat sich nun gezeigt, daß in Wirtschaftskrisen zunächst große Bedenken gegen die Einführung der Analogie bestehen. Bei dieser Erörterung wurde auch schon der Wortlaut des Sachbearbeiterantrags zur Diskussion gestellt, und der Vertreter des Reichswirtschafts­ ministeriums erklärte uns, nachdem er diese Fassung gelesen hatte, daß allerdings durch den Zusatz „und die Bestrafung dem erklärten Willen des Gesetzgebers nicht widerspricht" seine Bedenken gegen die Analogie wesentlich gemildert würden. Der Vertreter des Wirtschaftsministeriums war der Ansicht, daß, um der Gefahr einer uferlosen Anwendung der Analogie vorzubeugen, ein solcher Zusatz wertvoll sei. Deshalb möchte ich zu bedenken geben, ob man mit Rücksicht auf das Nebenstrafrecht diesen Satz, über dessen sach­ liche Geltung wir alle einig sind, vielleicht doch lieber stehen lassen soll. Nun der Vorschlag des Herrn Staatssekretärs zu Abs. 2! Ich habe das Gefühl, daß der Zwischensatz „der zwar gesetzwidrig handelte" den Zusammenhang stört und zu Mißdeutungen Anlaß geben kann, woraus Professor Klee auch schon hingewiesen hat. Wenn er nicht sofort ähnlich ausgefüllt wird wie beispielsweise der Abs. 1 durch die Absätze 2 und 3, so fürchte ich, namentlich wenn man noch den Grundgedanken unseres Willensstrafrechts und die Lehre vom Irrtu m hinzunimmt, es könnte die Meinung entstehen, als gäbe es einen allgemeinen Unrechtausschließungs­ grund, der nicht im Gesetz geregelt sei, und das will doch auch Herr Staatssekretär Freister nicht. Die Sache liegt sofort anders, wenn man einen solchen Satz in einem andern Zusammenhang, etwa in einem Vorspruch, ausspricht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Gedanke von Schäfer geht dahin, daß wir dieselbe Konstruktionssigur, die wir beim Recht machen, auch beim Unrecht haben müßten. D as schwebte mir vor, als ich sagte: siehe Anmerkung „Weiter zu lesen im § soundsoviel!" Meine Herren, ich glaube, wir kommen allmählich in eine Zirkel­ bewegung hinein. Diese Interpretation müßte dann lauten: Unrecht ist nicht, was das Gesetz für recht­ mäßig hält oder was man bei analoger Anwendung des Gesetzes für Recht halten müßte. Ich habe das Gefühl, daß wir da zum Schluß in einer Tautologie enden. Vizepräsident Grau: M ir scheint es notwendig zu sein, daß das Gesetz an seinem Anfang ganz klar sagt, daß es von der materiellen Gerechtigkeit als der Grundlage der Be­ strafung ausgeht. D as soll natürlich nicht heißen, daß

das Gesetz selbst etwa nicht materiell gerecht sei; das Gesetz, das auf dem Führerwillen beruht, muß viel­ mehr höchster Ausdruck der materiellen Gerechtigkeit sein. Aber das Gesetz wirkt dann formal, wenn es auf Grund menschlicher Unzulänglichkeit Lücken auf­ weist. Deswegen scheint es mir richtig zu sein, im Abs. 1 etwa zu sagen: Wer Unrecht tut, wird bestraft, wie Recht und Gesetz es verlangen. Gegen den Zusatz „und die gesunde Volksanschauung" hätte ich nur das Bedenken, daß dann vielleicht die Begriffe als in einem Gegensatz stehend angesehen werden könnten. D as Bedenken, das Herr Professor Klee gegen diese Worte vorgebracht hat, kann ich jedoch nicht teilen; denn nach meiner Auffassung darf es in Zukunft keine Gesetze mehr geben, die zwar mit kriminellen Strafen ausgestattet sind, aber nach der gesunden Bolksanschauung keine kriminellen Tatbestände enthalten, die mit kriminellen Strafen nur formelles Unrecht bedrohen. Was den Abs. 2 anlangt, so scheint es mir im Gegensatz zu Herrn Ministerialdirektor Schäfer richtig zu sein, schon hier einen allgemeinen S trafau s­ schließungsgrund festzulegen und nicht etwa nur eine Vorschrift zu bringen, die auf die einzelnen im Gesetz später geregelten Strafausschließungsgründe bezug nimmt. Dieser müßte subjektiv, willensmäßig orien­ tiert sein. Ich möchte vorschlagen, eine allgemeine Strasausschließung davon abhängig zu machen, daß der Täter im Einzelsalle mit Recht glauben konnte, kein Unrecht zu tun. D as scheint mir der einzig mög­ liche Strafausschließungsgrund überhaupt zu sein. I n einem Willensstrasrecht dürfte ein Unterschied zwischen Schuld- und Unrechtausschließungsgründen nicht mehr möglich sein; in ihm kann die S tra f­ barkeit allein durch die mangelnde Schuld des T äters entfallen. Professor Dr. Dahm: Meine Bedenken liegen in derselben Richtung. Die Fassung „wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn das Recht es verlangt" ist rein formal und trägt unserem Wunsche, das Prinzip der materiellen Rechtswidrigkeit zum Ausdruck zu bringen, keines­ wegs Rechnung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Diskussionsredner scheinen die Absicht zu haben, in diesen Paragraphen schon die ganze Schuldlehre hinein zu geheimnissen. Hier handelt es sich ja doch nur um die Voraussetzungen der S tra f­ barkeit vom Standpunkt der Grundlage aus. D as ist aber nur ein Punkt der Schuldlehre. Dazu käme dann noch die Zurechnungsfähigkeit und alles mögliche andere. Aus der 'Überschrift „D as Recht als Grund­ lage der Bestrafung" ist deutlich genug ersichtlich, daß noch etwas anderes hinzukommen muß: das Wissen, der Wille, der Vorsatz, wie wir das taufen wollen. Ich habe das Gefühl, daß wir in Faustische Tiefen hinuntersteigen, wenn wir versuchen wollten, in einem Satz von biblischer Prägung gewissermaßen den E intritt zum Strafrecht zu markieren. Also dagegen habe ich große Bedenken.

I m übrigen bin ich der Meinung, daß die Worte von der Auflehnung des Verbrechers'gegen die Volks­ gemeinschaft usw., die wir hier als Scheidemünze gebrauchen, draußen keinen Kurswert haben. So etwas kann ich nicht in das Gesetz hineinschreiben. Die Fassung dagegen „Wer Unrecht tut, wird be­ straft" versteht jeder. Jedenfalls würde der Theologe keine Schwierigkeit haben. Ebenso: Wer eine Sünde begeht, wird bestraft. D as würde in einer M oral­ theologie kaum Bedenken hervorrufen. Staatssekretär Dr. Freister: Ich möchte mich bewußt auf das Thema be­ schränken, so sehr man auch versucht ist, darüber hin­ auszugreifen. Ich habe bereits in meinem Referat erwähnt, daß ich selbst an der Fassung „aber nicht Unrecht tat" eine gewisse Kritik übe, gerade die Kritik, daß die subjektive Orientierung nicht deutlich genug zum Ausdruck gekommen ist. Diese Kritik haben die Herren Vorredner in erhöhtem Maße aus­ gesprochen. Nun gibt es ja auch andere Formulierungen, die das, was ich sagen wollte, auch zum Ausdruck bringen und uns vielleicht der subjektiven Orientierung etwas näher bringen, obgleich das hier noch nicht endgültig nötig ist, weil wir das ja später an anderer Stelle sehr eingehend tun werden. M an könnte z. B. sagen: Wenn das Recht sein Tun nicht als Unrecht beurteilt. Dann würde statt von dem Substantiv T at von dem Verbum Tun die Rede sein, das der subjektiven Betrachtung etwas näher liegt. M an könnte auch sagen: „Wenn das Recht seine T at nicht als Rechts­ bruch beurteilt". Die Nuancierungen sind aber so gering, daß jemand, der die Debatte hier nicht mit­ gemacht hat, daraus nicht erkennen wird, daß diese Fassungen vorgeschlagen wurden, um die subjektive Orientierung deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Deshalb gebe ich dem Vorschlag „aber nicht Unrecht tat" den Vorzug wegen der Einfachheit und Allge­ meinverständlichkeit. E s muß aber klargestellt werden, was ich schon in meinem Referat hervorgehoben habe, wie weit wir übergesetzliche Unrechtaus­ schließungsgründe anerkennen wollen. Nun ist es sicher naheliegend zu sagen: W ir erkennen über­ gesetzliche Unrechtausschließungsgründe in demselben Umfang an, in dem wir anerkennen, daß jemand bestraft werden kann, der etwas tut, was im Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist. Aber so sehr das nahe­ liegt, möchte ich doch davon abraten. Ich darf auch da an unsere Debatte aus der ersten Lesung erinnern, an die Herr Professor Klee schon erinnert hat, und an die Erwägungen, die uns damals, wenn ich mich recht erinnere, allgemein veranlaßt haben, uns da von der Stellungnahme der nationalsozialistischen Rechts­ kämpfer aus der Revolutionszeit nicht beeinflussen zu lasten, weil die nur Geltung haben konnte gegenüber einem S taat, der einen anderen Charakter hatte, zu dem wir ganz anders standen. I n gewissem Gegensatz zu Herrn Vizepräsident G rau meine ich, wir sollten uns sehr überlegen, wie weit wir übergesetzliche Unrechtausschließungsgründe

anerkennen. W ir handeln richtig und müssen so handeln, wenn wir an einer Stelle im Gesetz deutlich sagen, ob und wie weit wir diese anerkennen wollen. Ich habe aber absichtlich die Debatte jetzt nicht darauf gebracht, wie weit wir sie anerkennen wollen, weil das in anderem Zusammenhang zwangsläufig kommen wird. Nun zur Debatte über die Fassung des ersten Absatzes: „Wenn das Recht und die gesunde Volks­ anschauung es verlangen". Ich habe das Vorstellungs­ bild, daß das Recht höher ist und die Rechtssätze umfangreicher sind als das Gesetz; das Recht deckt sich aber nicht mit den Forderungen der völkischen S itten­ ordnung. D as Kriterium des Unterschieds liegt in der gesunden Volksanschauung, die im Einzelsall die Bestrafung verlangt. Der Fall, in dem das Gesetz ausdrücklich sagt: „D as ist strafbar", ist ein Rechts­ satz; der Fall aber, in dem die völkische S itten­ ordnung ein Handeln oder Unterlassen verwirft und die gesunde Volksanschauung die Bestrafung verlangt, ist ebenfalls ein durch einen — wenn auch nicht gesetz­ lich niedergelegten — Rechtssatz gedeckter Fall. Wenn wir diese beiden Fälle als diejenigen ansprechen, in denen das Recht die Bestrafung verlangt, dann tun wir doch richtiger, hier nicht neben dem Recht noch die gesunde Volksanschauung zu erwähnen. Sie gehört dann nur in den dritten Absatz, wo die Rede davon ist, daß eben auch eine zweite Möglichkeit der Bestrafung besteht, die gleichberechtigt neben der anderen Möglichkeit gegeben wird. Wenn man in dieser Weise ausbaut, so kann man auch der vorhin gestellten Forderung Rechnung tragen klarzustellen, daß diese beiden Möglichkeiten der Bestrafung den Absatz 1 voll ausfüllen, daß also der Absatz 1 neben den Möglichkeiten der Absätze 2 und 3 keine besondere Bedeutung hat. Auch deswegen sollte man die gesunde Volksanschauung im Absatz 1 wegstreichen. Denn ließe man sie dort stehen, so würde das, was Herr Professor Dahm gewollt hat, gar nicht erreicht werden; dies könnte nur erreicht werden, wenn im Absatz 1 stünde: „Wenn das Recht o d e r die gesunde Volksanschauung es verlangt". Wenn aber dort steht: „Recht u n d die gesunde Volks­ anschauung", so kann das, was gewünscht wurde, nicht erreicht werden. Nun will ich ja dasselbe und glaube, daß wir das Ziel, wenn wir den Begriff „Recht" so auffassen, wie ich es eben darlegte, so am sichersten und besten erreichen. Ministerialdirektor Schäfer: Herr Staatssekretär, brauchen S ie im Absatz 1 und Absatz 2 das Wort „Unrecht" in demselben Sinne? Wenn ich Ih re n Absatz 1 lese: „Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn das Recht es verlangt", dann kann ich das Wort „Unrecht" nur in dem weiteren Sinne verstehen: einschließlich des moralischen Unrechts; denn es wird ja der Ausschnitt gemacht: Wer moralisch unrecht handelt, wird bestraft, wenn das Recht es verlangt. Wenn Sie dann im zweiten Absatz sagen: „Doch erfolgt keine Bestrafung des Täters, der zwar gesetzwidrig handelte, aber nicht

Unrecht tat", dann meinen Sie jetzt das Wort „Unrecht" in dem strengeren technischen Sinne, näm­ lich: der sich dabei in Einklang hält mit Gesetz plus Analogie. Staatssekretär Dr. Freisler: Absatz 2 hat ja eine verschiedene Bedeutung. E r stellt auch ein Dogma auf: Was im Gesetz als Zu­ widerhandlung mit Strafe bedroht wird, das ist Unrecht. Ich bin genötigt, dieses Dogma deshalb aufzustellen, weil ich glaube, daß es auch bei pein­ lichster Scheidung des kriminellen und des Ordnungs­ strafrechts immer Bestimmungen mit kriminellen Strafen geben wird, über die man wird sagen können, daß die Sittenordnung sich zu diesem Befehl indifferent verhält. M an kann sich da nur helfen, indem man ausdrücklich erklärt, daß Bestandteil der Ordnung auch das Gehorchen gegenüber dem Gesetz ist. Auf ganz anderer Linie liegt die Frage, ob jemand nun tatsächlich, wenn er diesem Befehl im Einzelfall zuwiderhandelt, wenn er, gemessen an diesem Befehl, zunächst einmal rechtswidrig handelt, auch Unrecht tut. D as liegt deshalb auf einer anderen Linie, weil es nichts ändert an dem Verbot für den Richter nachzuforschen, ob der gesetzliche Befehl an sich mit der Rechtsordnung in Übereinstimmung zu bringen ist oder nicht. D as darf er nicht; wohl aber muß er prüfen, ob — bei Anerkennung des gesetz­ lichen Befehls an sich als unter allen Umständen mit dem Recht übereinstimmend — der Täter ein Unrecht getan hat. Dieser Begriff des Unrechts ist derselbe wie oben, nur daß er in einem ganz anderen Zu­ sammenhang zum Zuge kommt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Formulierung ist schwierig. Wenn Sie den Nebensatz: „Aber nicht Unrecht tat" positiv aus­ drücken, heißt er: „Keine Bestrafung, wenn er zwar gesetzwidrig, aber rechtmäßig gehandelt hat". D as ist derselbe S inn. Nun die andere Schwierigkeit: Der M ann, der in der Notwehr einen anderen getötet hat, wird gar nicht zugeben, daß er gesetzwidrig gehandelt hat. E r wird sagen, ich habe gar nicht gesetzwidrig ge­ handelt. D as Gesetz lautet: Du sollst nicht töten!, das Gesetz lautet aber auch: Du darfst töten zu deiner Verteidigung. (Pause von 14 Uhr bis 17 Uhr 10 Minuten.) Professor Dr. Gras Glrispach: Herr Reichsminister! Es mag vielleicht wunder­ nehmen, daß eine Aussprache, die mit so großer Gründlichkeit und reich an Gedanken durchgeführt worden ist, zu keinem Ergebnis geführt hat, und das ist um so verwunderlicher, als sich ja alsbald heraus­ gestellt hat, daß in der Hauptsache in diesem Kreise Einigkeit besteht. Ich glaube, daß zwei Hemmnisse mit beteiligt waren; das eine ist die große Zahl der

Gegenstände, die gleich in die Aussprache mit einbe­ zogen worden sind. Aber dem ist ja vorgebeugt durch die Erklärung des Herrn Reichsministers, daß zunächst nur über die Frage nullum crim en sine lege oder vielmehr nullum crim en sine poena gesprochen werden soll. D as zweite Hemmnis, das m. E. vorliegt, ist die Unklarheit darüber, ob es sich nun darum handelt, Sätze für den Vorspruch oder — ich darf der Kürze halber so sagen — für den eigentlichen Gesetzestext aufzustellen, wobei dann noch zu unterscheiden wäre zwischen einem quasi-Vorspruch dergestalt, wie er uns in der letzten Sitzung der Tagung in Oberhof vorgeführt worden ist, oder einem eigentlichen ganz kurzen Vorspruch, wie er in der heutigen Sitzung auch angeführt wurde, der also dem Umfang nach höchstens die Hälfte einer Seite des Reichsgesetzblattes einnehmen soll. F ü r einen Vorspruch der ersten Art war in Ober­ hof ein Vorbild gegeben worden. Es war, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, noch ein Redaktions­ ausschuß eingesetzt, der diesem Vorspruch eine end­ gültige Fassung geben sollte, aber vorläufig ent­ behren wir noch des Ergebnisses des Versuchs. Nun kann man sicher sagen: es ist eine rein technische Frage, ob das hier oder dort geregelt werden soll. Ich glaube, das trifft nicht ganz zu. Die Frage, was geregelt werden soll, an welcher Stelle und auch in welcher Sprachweise, ist doch wesentlich davon bedingt, ob man nun diesen Gedanken in einen Vorspruch entweder der Form a oder b oder nur in das eigentliche Gesetz stellen will. Was wir im Gesetz zu sagen haben werden, wird wesentlich davon bedingt sein, ob über diesen ganzen Fragenkomplex — Grundlage, Quelle der Strafbarkeit — schon im Vorspruch etwas gesagt ist oder nicht. Ich würde nun zunächst davon ausgehen, es handle sich hier darum, den eigentlichen Gesetzestext zu formulieren. Da sollte mit möglichster Schärfe der Gedanke des materiellen Unrechtsbegriffs zum Ausdruck gebracht werden, mit möglichster Schärfe deshalb, weil es sich hier um einen grundsätzlichen Wandel der Auffassung handelt und weil jede neue Zeit und Gesetzgebung das selbstverständliche Be­ dürfnis hat, einen solchen Wandel stark hervor­ zuheben; sonst könnte man ja sagen, daß in den anderen Gesetzen über die Quelle des Rechts gar nichts gesagt zu werden pflegt. M an könnte auch sagen: unter der Herrschaft des neuen Geistes, der heute überhaupt vorhanden ist, werden die Richter schon die richtige Art der Auslegung eines neuen Strafgesetzbuchs finden. Aber sicherlich erwartet man eine Stellungnahme. D as halte ich auch schon als Richtlinie für die zukünftige Rechtsprechung für not­ wendig, ganz abgesehen davon, daß eben hier auch gewissermaßen ein Bekenntnis abgelegt werden soll. Dann ist es richtig, von der Frage auszugehen: Wie nimmt das geltende Recht Stellung? D as geltende Recht, das ist heute vormittag schon hervor­ gehoben worden, hat — ein ganz typisches Merkmal liberalistischer Rechtsauffassung — den Satz nullum

crim en sine lege an die Spitze gestellt. Um die eben angedeuteten Zwecke zu erreichen, ist es nun gut, im Strafgesetzbuch den gegenteiligen Gedanken, aber auch nicht mehr, möglichst scharf zum Ausdruck zu bringen. Darum würde ich, vielleicht nur äußerlich im Gegensatz zu dem Vorschlage des Herrn S ta a ts­ sekretärs, die Frage eines materiellen Unrechtaus­ schließungsgrundes hier überhaupt nicht heranziehen, sondern mich beschränken auf die Sätze, die erforder­ lich sind, um den materiellen Unrechtsbegrisf und damit also die veränderte Stellung des Richters gegenüber dem Gesetz zum Ausdruck zu bringen. Damit will ich nicht sagen, daß vielleicht über die Frage: formelle oder materielle Unrechtaus­ schließungsgründe? überhaupt nichts zu sagen sei, keineswegs aber soll das meiner Meinung nach an dieser Stelle geschehen. E s ist mir auch zweifelhaft, ob diese Sätze in das Strafgesetzbuch unter „Recht und Gesetz" oder wie man den Abschnitt nennen will, aufzunehmen seien, ob es nicht vielleicht richtiger wäre, das, was hier zu sagen wäre, in der zweiten Gruppe „D as Verbrechen" an die Spitze zu stellen. Aber das ist wohl eine Sache untergeordneter Bedeutung. Der Gedanke des materiellen Unrechts wäre doch scharf zum Ausdruck gebracht, wenn man etwa sagen würde: S trafbar ist, wer Unrecht tut — eine weitere Ausführung scheint mir hier nicht notwendig — , und daran anschließt eine Erläuterung dessen, was nun nach dem zukünftigen Recht als Unrecht anzusehen sei. Also erster Satz: S trafbar ist, wer Unrecht tut; zweiter Satz: Unrecht ist sowohl jedes Verhalten, das ein Gesetz ausdrücklich mit S trafe bedroht, als auch das einem solchen Verhalten ähnliche, insofern nur der einem Strafgesetz zugrunde liegende Rechtsaedanke auch hier S trafe verlangt oder auch dieses Verhalten als strafwürdig erkennen läßt, und die Be­ strafung nicht dem ausdrücklichen Willen des Gesetzes widerspricht. Damit ist, glaube ich, klar zum Ausdruck gebracht, daß eben das Gesetz nicht allein maßgebend ist, sondern daß einzig maßgebend ist der Unrechts­ gehalt, der entweder im Tatbestand schon hervortritt oder aber aus einem Rechtsgedanken zu erschließen ist, der in einem anderen Einzelstrafgesetz in einer Vertatbestandlichung eines bestimmten Verhaltens zum Ausdruck kommt. Damit ist eine klare Absage an den Gedanken nullum crim en sine lege gegeben und das gegenteilige Prinzip in dem Umfang, in dem wir es sachlich haben wollen, zum Ausdruck gebracht. Ich nehme dabei als selbstverständlich an, daß irgendein Satz über die zeitliche Wirksamkeit des Strafgesetzbuches hier überhaupt nicht Platz zu greifen hat. Über das Prinzip selbst — keine Rück­ wirkung — , das ich auch ablehnen möchte, wird ja später noch gesprochen werden. An der Hervorhebung, daß Las Verhalten einem ausdrücklich vertatbestandlichten ähnlich sein müsse, möchte ich doch festhalten. Die Bedenken, die Herr Staatssekretär Freister geltend gemacht hat und die auch von Herrn Professor Dahm geteilt worden sind, es würde das doch wieder mehr eine Bindung des

Richters an den Wortlaut des Gesetzes sein, würde ich nicht teilen. D a ist das Beispiel von dem sogenannten Elektrizitätsdiebstahl gebraucht worden. Ein vernünftiger Richter wird doch kaum die äußere Erscheinung der T at mit der Beschreibung im T a t­ bestand vergleichen, die Ähnlichkeit nicht in diesem Sinne verstehen, was ganz verfehlt wäre. Es wird doch gerade bei der Vertatbestandlichung auf die Typisierung der rechtlich bedeutsamen Merkmale das Hauptgewicht gelegt und nicht eigentlich aus die äußere Erscheinung. Dazu kommt aber, daß in den anderen Vor­ schlägen — und das gilt von den Vorschlägen des Herrn Staatssekretärs ebenso wie von denen der Sach­ bearbeiter des Justizministeriums — ein ähnliches Gesetz doch auch angenommen wird, zwar nicht zu­ nächst als eine Voraussetzung für die Strafbarkeits­ erklärung, aber doch, um das Strafgesetz zu gewinnen, nach dem die Strafe bestimmt werden soll. M an kann also ohne weiteres behaupten, daß auch nach diesen Vorschlägen das Vorhandensein eines ähnlichen T a t­ bestands vorausgesetzt ist, und wenn ein solcher ähn­ licher Tatbestand überharlpt nicht auffindbar sei, dann würde die Bestrafung eben daran scheitern, daß ein solches Strafgesetz nicht vorhanden ist. I n einem Vor­ schlag war das Wort ähnlich allerdings vermieden. Aber wenn von einem Gesetz gesprochen wird, in dem dieser Rechtsgedanke am besten zum Ausdruck kommt, so kommt das letzten Endes doch aus das gleiche hinaus. Es heißt dort: „............. erfolgt aus dem Gesetz, das der auf die T at zutreffendste Ausdruck dieses Rechtsgedankens und der die Bestrafung fordernden Volksanschauung ist". Nach dem Vorschlag der Sachbearbeiter des Ministeriums könnte man sich fragen, ob der einem gesetzlichen Tatbestand zugrunde liegende Rechts­ gedanke, also dieser Tatbestand, dem der Rechts­ gedanke zugrundeliegt, und der andere, der der auf die T at zutreffendste Ausdruck dieses Rechtsgedankens ist, ob das derselbe sein muß, oder ob das zwei ver­ schiedene sein sollen. Ich glaube, es ist wohl doch dasselbe. Und dann trifft es um so mehr zu, daß doch ein Tatbestand vorhanden sein muß, dem die gesetzte T at nicht schlechthin unterstellt werden kann, aber im m erhin' ähnlich wäre. Es entstehen hier keine Bedenken, aber es ist vielleicht klarer, wenn man davon spricht, daß die T at dem vertatbestandlichten Verhaltenstyp ähnlich sein müsse. Professor Dr. Nagler: Ich stimme mit Herrn Kollegen Gleispach voll­ kommen darin überein, daß wir eigentlich eine aus­ drückliche Anerkennung der Gesetzesanalogie nicht brauchen. Wenn die Analogie nicht ausgeschlossen ist, dann ist sie eben ohne weiteres zugelassen; denn sie ist das beste M ittel, das wir für die Auslegung über­ haupt zur Verfügung haben. S ie fördert ja einen bestimmten Rechtssatz, der in dem Gesetz schon sanktioniert, aber nicht wörtlich formuliert worden ist, zutage, deckt also nur schon vorhandenes Recht auf. Nach meinem Dafürhalten ist die Analogie das beste

und feinste M ittel der juristischen Auslegung, das wir überhaupt kennen, und es war eine Art Diskriminie­ rung des Strafrechts, dogmatisch gesehen, wenn das Strafrecht keine Analogie, also keine Auslegung im S in n und nach Zweck des Gesetzes zuungunsten des Angeklagten verwenden durste, während für alle an­ deren Gebiete des Rechts die Analogie absolut frei­ gegeben war. Es ist hinreichend bekannt, daß im gemeinen Recht, wo man die Analogie durchaus zuließ, mit der Analogie ausgezeichnete Erfahrungen gemacht worden sind. Der Analogie hatte es vor allem das gemeine Strafrecht zu verdanken, daß es sich organisch unter sehr schwierigen Verhältnissen weiter­ entwickeln und immer eine relativ zeitgemäße Rechts­ form für die Judikatur zur Verfügung stellen konnte. Freilich ist für die Analogie nur dort Raum, wo eine extensive, eine ausdehnende Interpretation überhaupt zulässig ist. E s gibt aber bekanntlich eine ganze Reihe von Fällen, wo das Gesetz eine extensive In terp re­ tation nicht gestattet; das sind diejenigen Fälle, wo das Gesetz erschöpfend sein wollte, wo das Gesetz selbst eine ganz feste Regelung abschließend gibt, wo das Gesetz ausschließlich gelten will. Dann gilt natürlich nur das arg u m en tu m e c o n tra rio ; die Analogie ist unter diesen Umständen ausgeschlossen, denn der Führerwille bringt zum Ausdruck: B is zu dieser Grenze und nicht weiter! Dieser Ausschluß der Analogie, weil die aus­ dehnende Interpretation unstatthaft ist, gilt in s­ besondere für die sogenannten Praktikabilitätsbestimmungen, deren typische Form das Schutzalter und ähnliche feste Altersgrenzen sind. Da ist es eben so, daß die Gesetzgebung kundgetan hat: es kommt nicht aus das Materielle des Einzelfalls an. I m Interesse der leichteren Handhabung des Gesetzes wird ein fester Einschnitt gemacht, und nach diesem Einschnitt, unbeschadet der Härten und Unstimmigkeiten, die sich im einzelnen ergeben, muß sich der Richter strikt richten, hier kann er nicht mit der Analogie arbeiten. Nehmen w ir das vierzehnte Lebensjahr als S tra f­ mündigkeitsgrenze: Wenn jemand eine halbe Stunde vor Vollendung des vierzehnten Lebensjahres ein Delikt begeht, kann man nicht sagen: es kommt auf diese halbe Stunde nicht an, p e r analogiam wollen wir strafen; oder umgekehrt: Wenn jemand eine halbe Stunde nach Vollendung des vierzehnten Lebensjahres delinquiert, so kann man auch nicht entscheiden: Ach, auf die halbe Stunde kommt es nicht an, wir lasten ihn aus jeder strafrechtlichen Ver­ folgung und Verantwortung heraus, wie wenn er das vierzehnte J a h r noch nicht erreicht hätte. Also ich meine, die Grenzen für die Zulässigkeit der Analogie sind von vornherein ganz klar. E s ist eben die Grenze, wo das Gesetz eine abschließende Regelung gegeben hat. Dann kann natürlich nach dem Willen des Gesetzes und des Führers der Richter auch nicht mit der Analogie darüber hinaus gehen. Die Analogiebestimmung aufzunehmen halte ich auch für richtig, und zwar als geschichtlichen Abschluß der bis­ herigen Entwicklung zur Orientierung des Richters, der vielleicht noch in alten Anschauungen besangen

sein könnte; dann aber auch, um die gesetzliche Analogie gegen die Rechtsanalogie festzulegen. W as nun die Fastung anlangt — es liegen uns die beiden Fastungen vor — , so bin ich der Meinung, daß im Kern — sachlich — beide übereinstimmen, sie gehen nur von verschiedenen Ausgangspunkten aus; Einzelheiten, wo sie gewiß differieren, will ich jetzt auf sich beruhen lassen. Der Entwurf der Sachbearbeiter geht von dem Gesetzesrecht aus und kommt in Abs. 2 durch Analogie zum materiellen Unrecht. Umgekehrt: Der Entwurf des Herrn Staatssekretärs Dr. Freister geht vom materiellen Unrecht aus, kommt von dort zur Gesetzesanalogie und schließt die Rechtsanalogie aus. I m Kern sind also beide Vorschläge durchaus identisch. Ich. halte dafür, daß wir beide Formulie­ rungen gebrauchen können, die Formulierung des Herrn Staatssekretärs in dem materiellen Teil, d. h. in dem grundsätzlichen Teil, den wir vorausschicken wollen. Herr Kollege Graf Gleispach hat schon darauf hingewiesen, daß wir in Oberhof einig waren: wir wollten einen Paragraphen, der das materielle Un­ recht behandelt, vorausschicken. Haben w ir das getan, dann können wir hinten, wo w ir im einzelnen den Allgemeinen Teil entwickeln, die Formulierung der Herren Sachbearbeiter durchaus gebrauchen. Was die prozessuale Frage der ausdrücklich zu­ gelassenen Revisibilität anlangt, so bin ich der Ansicht, daß wir davon absehen sollten. Denn auf anderen Rechtsgebieten wird auch die Analogie zugelassen, ohne daß wir nötig haben, die prozessuale Garantie der unbedingten Revisibilität einzuschalten. Dagegen ist der andere Gedanke ganz ausgezeichnet, daß wir die Kassation im Interesse des Gesetzes zulassen sollten. Die Franzosen haben mit diesem M ittel die Rechts­ einheit in einer besonders glücklichen Art gewähr­ leistet. Grundsätzlich sollten wir in Zukunft die Aus­ gabe des Reichsgerichts dahin stellen, daß es weniger Revisionshof als vielmehr Kassationshof sein, also in erster Linie die Aufgabe haben sollte, die Rechts­ einheit herzustellen. Innerhalb dieses Aufgaben­ kreises werden auch die Fragen, ob die Analogie richtig gezogen ist oder nicht, zur Entscheidung kommen und kommen müssen. Professor Dr. Kohlrausch: Ich habe nicht die Absicht, mich grundsätzlich über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit der Analogiezulaffung zu verbreiten. Die Entscheidung ist ja wohl gefallen. Ich habe mich damals gegen sie aus­ gesprochen. Ich bin inzwischen eingehend mit mir zu Rate gegangen, wieweit ich dabei vielleicht nur am Alten hänge; ich habe gelesen, was darüber ge­ schrieben wurde; habe mit sehr ernst zu nehmenden Persönlichkeiten gesprochen; habe das glänzende Plädoyer von Herrn Staatssekretär Dr. Freister im „Deutschen Strafrecht" auf mich wirken lassen: Zu anderer Überzeugung bin ich durch alles das nicht gekommen. Der Richter soll die Strafgesetze sinn­ gemäß auslegen. Ih m zu gestatten, sie entsprechend anzuwenden, d. h. auf Fälle, die auch bei sinngemäßer Auslegung nicht durch sie gedeckt sind, halte ich für keinen glücklichen Schritt.

E s ist mir interessant, daß sowohl unser Entwurf Was den Absatz 2 insbesondere betrifft, so ist es erster Lesung wie auch der Antrag der Herren Sach­ wieder interessant, daß Herr Staatssekretär Dr. bearbeiter von der Frage ausgehen: Wie ist der Freister sagte: hier müßten wir natürlich vorsichtig Richter zum Gesetz zu stellen?, daß aber Herr S ta a ts­ sein; es handele sich hier um den Gedanken der über­ sekretär Dr. Freister im Grunde genommen auf eine gesetzlichen Rechtfertigungsgründe; und welche andere Frage ausgeht, nämlich auf die Schaffung Gründe das seien, das müßten wir nachher genau einer neuen Rechtsquelle neben dem Gesetz. D as ist sagen. Also mit anderen Worten: eben nicht über­ eine Frage, die meiner Meinung nach tiefer liegt und gesetzliche Rechtsertigungsgründe, sondern gesetzliche mit Analogie wenig mehr zu tun hat. E s ist bezeich­ Rechtfertigungsgründe! Wenn dem aber so ist, dann nend, daß Herr Staatssekretär Dr. Freister die ist der Absatz 2 eigentlich überflüssig, und so würden Analogie als solche in seinem Aussatz nicht gerade dann übrigbleiben der Absatz 1 mit seinem Versuch, sehr liebevoll behandelt, sondern eigentlich abzielt aus den Unrechtsbegriss zu bestimmen, und der Absatz 3, einen einzigen zentralen Tatbestand. D as ist min­ der dem Richter gestattet, unter Umständen auch destens theoretisch ein interessantes Ziel. Da wir es wegen dieses materiellen Unrechts zu verurteilen. aber, worüber wir wohl einig sind, nicht erreichen D as ist dann aber im Ergebnis der Zentraltatbestand I können, muß unser Ziel sein, die einzelnen Tatbe­ Auch dem Vorschlag von Herrn Graf Gleispach: stände im Besonderen Teil so aufzulockern, zu ver­ allgemeinern und von Kasuistik zu befreien, daß der „Wer Unrecht tut, wird bestraft" kann ich nicht bei­ Richter die Krücke der Analogiezulassung nicht nötig treten. E r besagt zuviel und damit für unsere Zwecke hat. Denn die Analogiezulassung ist doch stets ein nichts. E s gibt doch auch Unrechtssormen, die nur Eingeständnis des Gesetzgebers, daß er nicht imstande zivilrechtliche Folgen nach sich ziehen, Schadenersatz­ war, zu sagen, was er sagen wollte. W ir haben ja pflicht, bloße Zwangsmaßnahmen, Disziplinarfolgen einige solcher Tatbestände schon neu ausgenommen. usw. Ich denke an den Tatbestand der gewissenlosen Also ich glaube, wir sollten hier nicht beginnen Lebensgesährdung. Sie ließen sich vielleicht ver­ mit dem Versuch einer Definition. Gerade als Aka­ mehren. Hiermit kommt man weit, ohne daß man dem demiker weiß man, wie gefährlich es ist, akademisch Richter zu gestatten braucht, die Grenzen der gesetz­ zu werden, und hier versuchen wir akademisch zu lichen Tatbestände zu überschreiten, wenn es der werden. Volksanschauung entspricht. Der Entwurf der Herren Sachbearbeiter des Wollen wir aber dem Richter die Analogieerlaub­ nis geben, dann sollten wir auch offen sagen, was Ministeriums scheint mir diesen Vorschlägen gegen­ wir tun; nämlich daß wir grundsätzlich an der Technik über das kleinste Übel zu sein. E s ist gegen ihn ein­ festhalten, zunächst die Erfüllung bestimmter, dann gewendet worden, daß er Regel und Ausnahme schief aber auch die Verwirklichung „ähnlicher" Tatbestände nebeneinander stelle. Der Einwand ist dann berechtigt, zu fordern. Dann sollten wir aber auch davon ab­ wenn man in dem Gesetz im Grunde nur eine E r­ lassen, hier im Gesetz einen sog. materiellen Unrechts- kenntnisquelle für das materielle Unrecht sieht, eine begrifs bestimmen zu wollen. Den muß die Wissen­ zweite Erkenntnisquelle aber in der gesunden Volks­ schaft später aus dem gesetzten Recht ableiten. Der anschauung. Dem ließe sich durch eine andere S ti­ Gesetzgeber würde hier vergeblich sich bemühen, nach­ lisierung Rechnung tragen. M an könnte sagen: „Be­ dem er sich entschlossen hat, an dem System des in straft wird, wer eine T at begeht, die das Gesetz für Einzeltatbeständen vertypten Unrechts festzuhalten. strafbar erklärt oder die nach gesunder Volksan­ Ich glaube deshalb, daß auch der § 345 in der schauung deshalb Bestrafung erfordert, weil der einem Fassung des Staatssekretärs Dr. Freister uns in der gesetzlichen Tatbestand zugrunde liegende RechtsaeRichtung vorläufig noch zu keiner Klarheit gebracht danke auch für sie zutrifft". hat, so anregend der Vorschlag ist. Herr S ta a ts­ Ob man ausdrücklich sagen soll, daß die Be­ sekretär Dr. Freister will das Unrecht definieren, strafung d e m e r k l ä r t e n W i l l e n d e s G e ­ materialisieren als die T at, die den Grundlagen des s e t z g e b e r s n i c h t w i d e r s p r e c h e n darf, ist völkischen Zusammenlebens zuwiderläuft. Ob sie das eine Zweckmäßigkeitsfrage. Ich halte es nicht für tue, werde im allgemeinen von einem Gesetz aus­ unpraktisch. Logisch lassen sich bekanntlich Analogie­ gesprochen werden. Aber das Gesetz sei immer nur schluß und arg u m en tu m e con trario immer aus­ ein Indiz, wenn ich ihn recht verstehe, und zwar ein tauschen. Es ist gut, den Richter daraus hinzu­ widerlegliches Indiz. E s könne sein — sagt der weisen, daß in vielen Fällen aus dem S in n des Absatz 2 — , daß das Gesetz Taten erfaßt, die Gesetzes heraus das arg u m en tu m e contrario den materiell eigentlich nicht strafwürdig sind. Es könne Vorzug verdient. Gerade die Einwendungen von aus der anderen Seite sein — das sagt der Absatz 3—, Seiten des Reichswirtschaftsministeriums wiegen hier daß das Gesetz Taten ausläßt, die materiell straf­ schwer; schwerer als die Beispiele der Sittlichkeits­ würdig sind. S o habe ich wenigstens die beiden delikte. Ich selber habe in der ersten Lesung die Bei­ Absätze 2 und 3 im Verhältnis zu Absatz 1 verstanden. spiele von dem siebzehnjährigen Mädchen und der D as ist m. E. eine Lösung des Richters vom Gesetz, widernatürlichen Unzucht unter Frauen gebracht, und zwar nach beiden Seiten hin; die Eröffnung und ich habe schon damals einen Analogieschluß, mag einer neuen, neben dem „Gesetz" einer zweiten E r­ er auch logisch durchaus möglich sein, absurd genannt. kenntnisquelle für das, was materiell „Unrecht" ist. Im m erhin hat es mich interessiert, daß selbst diese

ferner liegenden Bedenken aufgegriffen wurden, auch von einigen Länderregierungen. Aber im Wirtschafts­ strafrecht kann diese Möglichkeit in der T at sehr be­ denklich werden. Es handelt sich dabei keineswegs nur, was das Wirtschaftsministerium in den Vorder­ grund zu stellen scheint, um Nebengesetze. Auch bei vielen Tatbeständen des allgemeinen Strafgesetzbuchs sind die Bedenken die gleichen. Ich bitte, sich daran zu erinnern, wie wir uns den Kopf darüber zer­ brochen haben, wie man Erpressung, Wucher, Betrug, Hehlerei, Veruntreuung abgrenzen müsse, wie wir zwangsläufig immer wieder in Kasuistik geraten sind, weil wir uns gesagt haben: im Wirtschaftsleben müssen zwischen dem, was erlaubt, und dem, was unerlaubt ist, klare Grenzen bestehen. Wie groß die Gefahr ist, daß wir hier auf dem Wege der Analogie das Wirtschaftsleben beunruhigen und Unsicherheit in die Wirtschaft hineintragen, können wir uns, glaube ich, gar nicht ernst genug vorstellen. Ich bedaure, daß die berufene wirtschaftliche Stelle hieraus nicht ein­ gegangen ist. Mindestens also muß dieses kleine Sicherheitsventil angebracht werden, und zwar in einem besonderen Satz: „Die Bestrafung darf dem erklärten Willen des Gesetzgebers nicht wider­ sprechen". Dann noch eine Bemerkung, wenn sie auch etwas vorgreift. W ir sprechen ja heute noch nicht über die z e i t l i c h e G e l t u n g des Strafgesetzes. Aber ich möchte jetzt schon sagen: bei der Frage der Rück­ wirkung der Gesetze müssen wir auch die R ü c k ­ wirkung einer neuen Volksanschau­ u n g ausschließen. Gerade hier kann es gefähr­ lich werden! Es kann sehr wohl sein, daß die Volksseele zu kochen ansängt über Dinge, über die sie seinerzeit, als diese sich ereigneten, keineswegs gekocht hat! Eine nachträgliche Bestrafung, wäre hier noch unerträglicher, als eine Bestrafung auf Grund eines nachträglichen Gesetzes. Professor Dr. Dahm: Ich möchte kurz einen Vorschlag begründen, den ich zusammen mit Herrn Vizepräsident Grau vor­ bringen möchte, und der der Kommission im Abzüge vorliegt. W ir möchten die Gedanken der Analogie und der Bindung an das Gesetz in unmittelbaren Zusammen­ hang mit dem Prinzip der materiellen Rechtswidrig­ keit bringen und auch in der Fassung des Gesetzes zum Ausdruck bringen, daß das Gesetz einen Aus­ druck des materiellen Rechts darstellt. Der Vorschlag, den Herr Staatssekretär Dr. Freister gemacht hat, genügt nt. E. diesen Erfordernissen nicht, vor allem dann nicht, wenn man die Worte „und gesunde Volksanschauung" wegläßt. Dann heißt es: Wer Un­ recht tut, wird bestraft, wenn das Recht es verlangt! Dieser Satz sagt gar nichts, jedenfalls bezeichnet er nicht den In h a lt der materiellen Rechtswidrigkeit. Dasselbe gilt für die etwas bessere Formel des Herrn Grafen Gleispach: „S trafbar ist, wer Unrecht tut". Auch damit ist der In h a lt der materiellen Rechts­ widrigkeit nicht näher bezeichnet. Nun sind wir uns darüber klar, daß es nicht möglich ist, den In h a lt des

materiellen Unrechts erschöpfend zu kennzeichnen. Eine solche Bestimmung bleibt notwendig bis zu einem gewissen Grade formal und abstrakt. Trotzdem sollte man nicht ganz daraus verzichten, eine Richt­ linie anzugeben und den Grundgedanken hervortreten zu lassen. Zum Ausdruck kommen muß unserer Meinung nach zweierlei: Erstens der Grundgedanke des Willensstrafrechts. Zweitens der Grundsatz, daß die Bestimmung des Unrechts sich aus dem Willen des Führers und aus der Volksanschauung ergibt. S o ist unser Absatz 1 entstanden: „Wer aus verbrecherischer Gesinnung Unrecht tut, wird bestraft, wenn der Wille des Führers und die Volksanschauung Bestrafung verlangen." I m Anschluß daran empfehlen wir weitere Be­ stimmungen über die Bindung des Richters an das Gesetz und die Analogie, nämlich: „Bestraft wird, wer gegen ein Gesetz verstößt oder wer sonst eine unrechte T at begeht, die zwar im Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist, aber nach dem Rechtsgedanken, der einem Gesetz zugrunde liegt, und nach gesunder Volksanschauung Be­ strafung verdient." Und ich würde dann fortfahren: „Die Bestrafung erfolgt in diesem Falle aus dem Gesetz, das diesem Rechtsgedanken und der Volksanschauung am besten entspricht." Professor Dr. Mezger: Sachlich bin ich mit den beiden Herren Referenten einverstanden. Ich bin ferner der Auffassung, daß eine Bestimmung über die erörterte Frage im Gesetz viel­ leicht gar nicht notwendig wäre, aber doch aufge­ nommen werden sollte, weil die P raxis aus eine Entscheidung gerade in diesem Punkte besonderen Wert legt. M it dem Verbrechen selbst und seinen ein­ zelnen Merkmalen haben die Bestimmungen, die zur Erörterung stehen, gar nichts zu tun. D as ist Sache der nachfolgenden Vorschriften. Hier handelt es sich lediglich um die Anwendung des Strafgesetzes. E s soll eine Rückkehr des Strafrechts stattfinden zu den Auslegungsregeln, die ganz allgemein in anderen Rechtsgebieten für das Gesetz gelten. Darüber ist bei­ spielsweise in der Steuergesetzgebung jetzt ausdrück­ lich Näheres ausgesprochen. Aber auch die dort erwähnten Auslegungsregeln, die auf die national­ sozialistische Weltanschauung verweisen, sind nur Ausdruck eines G r u n d g e d a n k e n s , der h e u t e s e l b s t v e r s t ä n d l i c h ist. Deshalb sollten auch die Bestimmungen der §§ 345 und 346 so einfach wie möglich gefaßt werden. Ich stimme ferner durchaus dem Verlangen zu, daß die sogenannte Analogie nicht in die Rolle der Ausnahme gedrängt werde und daß sie nach allen Seiten hin Platz greife. E s handelt sich um eine all­ gemeine Richtlinie für die Anwendung des S tra f­ gesetzes. M an kann mit dem Satz beginnen: Strafbar ist, wer Unrecht tut, und fortfahren: Die Bestrafung einer Handlung erfolgt auf Grund des Gesetzes als Richtlinie nach den zugrunde liegenden Rechtsge­ danken und nach gesunder Volksanschauung.

Damit ist die materielle Anwendung des Gesetzes auch für das Strafgesetz festgelegt. Staatssekretär Dr. Freister: Ich bin der Meinung, daß wir mit der Be­ stimmung nicht nur Auslegungsregeln geben wollen, daß vielmehr das Geben dieser Auslegungsregeln für uns der Anlaß ist, der Rechtspflege eine ganz be­ stimmte Richtung zu geben. Sonst würden wir darüber gar nicht so lange diskutieren; sonst wäre es mehr oder weniger eine technische Frage. Nun ist es richtig, daß in unseren früheren De­ batten die Analogie als solche viel mehr im M ittel­ punkt gestanden hat, weil wir nicht so sehr haben her­ vortreten lassen, daß auch diese Analogie an sich gar nichts Grundsätzliches ist, sondern nur ein technisches Hilfsmittel, um einen Grundsatz verwirklichen zu können. Insofern gebe ich Herrn Professor Kohlrausch durchaus recht, wenn er meinte, daß die Debatte sich heute eigentlich darum dreht und nicht um die Aus­ nahme eines technischen Hilfsmittels der Rechtsaus­ legung. W ir haben nun heute nachmittag einen neuen Antrag vorgelegt bekommen, den Antrag DahmRietzsch-Grau. Wenn ich diesen Antrag mit meinem Antrag von heute vormittag in der durch die Debatte bereits verbefferten Form , worin die gesunde Volksanschauung in Absatz 1 weggelaffen worden ist, vergleiche, so sehe ich das Wesentliche des neuen An­ trags in folgendem: Erstens in einem Versuch, das­ selbe, was in Absatz 1 meines Antrags gesagt ist, beffer zu sagen. Grundsätzlich soll nichts anderes gesagt werden, sondern dasselbe. Zweitens in dem Versuch, dadurch, daß der zweite und der dritte Absatz meines Antrags zu einem Absatz zusammengefaßt werden, klarer und beffer zum Ausdruck zu bringen, daß in diesen beiden Möglichkeiten das in Absatz 1 Gesagte sich erschöpft. D as sind m. E. die wesentlichen Unterschiede gegenüber meinem Vorschlag. Nun glaube ich nicht, daß dieser Absatz 1 ein besserer Ausdruck dessen ist, was mein Absatz 1 sagen will. Ich glaube vielmehr, daß er ein nicht ganz treffender Ausdruck desselben Grundgedankens ist. Denn es wird davon gesprochen, daß derjenige bestraft wird, der aus verbrecherischer Gesinnung Un­ recht tut. Ich gestatte mir, daraus hinzuweisen, daß man dabei die Frage sehr wohl auswerfen kann, ob denn damit gesagt werden soll, daß derjenige, der fahrlässig handelt, nicht bestraft wird, da es m. E. nur auf Grund einer etwas künstlichen, um nicht zu sagen gekünstelten Betrachtungsweise möglich ist, F ahr­ lässigkeit als Ausdruck verbrecherischer Gesinnung auf­ zufassen. Des weiteren scheint mir, daß der Vorschlag des Absatzes 1 insofern irreführend und bei näherer Be­ trachtung eher zu eng ist, als davon gesprochen wird, daß der T äter bestraft wird, wenn der Wille des Führers und die Volksanschauung es verlangen. Ich weiß zunächst nicht, ob das W ort „und" mit Bedacht gebraucht ist. Ich muß das annehmen. Dann würde

also der Wille des Führers nicht genügen, sondern kumulativ dazu die Volksanschauung hinzukommen müssen. W ir würden es erleben können, daß, wenn einmal ein Richter auf diese Bestimmung zurück­ reisen sollte, er sagen würde: der Wille des Führers at das zwar verlangt, aber der steht in krassem Widerspruch zur gesunden Bolksanschauung. Eine Unmöglichkeit, wenigstens des Ergebnisses, die immer peinlich bleibt, auch wenn man seine Zuflucht dazu nehmen würde, dem Richter klarzumachen, daß seine Grundeinstellung offenbar falsch sein muß, eben weil er im Ergebnis zu dieser Gegensätzlichkeit gekommen ist. Davon abgesehen aber dürfen wir nt. E. doch nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß der Wille des Führers eine Ausdrucksform des Rechts ist, daß die häufigste Ausdrucksform des Führerwillens das Gesetz ist, und es scheint mir auch aus diesem Grunde nicht gerade praktisch zu sein, dort vom Recht, dessen Erkenntnisquelle in erster Linie doch immer das Ge­ setz sein wird, nicht zu sprechen, sondern vom Führer­ willen und von der Volksanschauung. Ich glaube, daß aus diesem Grunde diese F o r­ mulierung desselben Grundgedankens nicht den V or­ zug verdient gegenüber der Formulierung, die ich vorgeschlagen habe. Ich bekenne, daß die von mir vorgeschlagene Formulierung: „Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn das Recht es verlangt" zunächst als farblos erscheinen kann. Verständlich wird sie aber, wenn man die Absätze 2 und 3 meines Vor­ schlags oder den Absatz 2 des Vorschlags DahmRietzsch-Grau hinzunimmt, und wir sind uns ja alle einig, daß dieses Hinzunehmen erforderlich ist; denn wir wollen ja gerade, daß der Absatz 1 erst durch diese Zusätze ausgefüllt und anwendbar wird. Ich darf übrigens darauf hinweisen, daß die Farblosigkeit und inhaltliche Unbestimmtheit des Absatzes 1 in Wirklichkeit nach dem, was ich vorhin ausgeführt habe, bei dem Vorschlag Dahm-RietzschGrau mindestens genau so vorliegt; denn Bestimm­ teres als mein Vorschlag enthält dieser Vorschlag auch nicht, wenn ich das streiche, was m. E. gestrichen werden muß, nämlich das Handeln aus verbreche­ rischer Gesinnung, und wenn ich aus den Erwägungen heraus, die ich eben angestellt habe, an die Stelle des Willens des Führers und der Volksanschauung etwas anderes setze. Andererseits ist mein Vorschlag wiederum bestimmter und — ich möchte doch sagen — auch richtiger als der Vorschlag von Herrn Professor Gras Gleispach, den wir heute nachmittag bekommen haben. Herr Graf Gleispach schägt vor zu sagen: „S trafbar ist, wer Unrecht tut." E s scheint mir der Einwand berechtigt zu sein, den schon Herr Professor Kohlrausch erhoben hat, daß das nicht stimmt, weil es auch vorkommen kann, daß einer, der Unrecht tut, nicht strafbar ist. Diesen Einwand kann man gegen­ über der Formulierung „Wer Unrecht tut, wird be­ straft, wenn das Recht es verlangt" nicht erheben. Demnach glaube ich, daß diese Formulierung richtiger ist als die, die Herr Professor G raf Gleispach vor­ schlägt.

Nun kommt der Abs. 2 des Vorschlags DahmRietzsch-Grau bzw. Abs. 2 und 3 meines Vorschlages. Es ist nt. E. nicht wesentlich, ob man die beiden Falle, die zusammengenommen das, was wir unter Abs. 1 verstehen, voll ausfüllen, in zwei Absätze oder in einen Absatz bringt. Ich kann mir sehr gut vor­ stellen, daß es auch in einem Absatz geht, wenn das einfacher und klarer ist. Wir muffen aber zum Aus­ druck bringen, daß das, was unter Abs. 2 des Vor­ schlags Dahm-Rietzsch-Grau und unter Abs. 2 und 3 meines Vorschlags enthalten ist, den Abs. 1 voll aus­ füllt. D as tut aber der Vorschlag Dahm-RietzschGrau nicht ganz. D as könnte man natürlich leicht andern, indem man den Abs. 2 des Vorschlags DahmRietzsch-Grau etwas weiter fassen würde, so daß das eigentlich kein wesentlicher Einwand ist. I m übrigen finde ich einen wesentlichen Unterschied zwischen dem ersten Satz des Abs. 2 des Vorschlags Dahm-RietzschG rau und den Abs. 2 und 3 meines Vorschlags im Grundsätzlichen nicht, kann deshalb auch gegen diesen Vorschlag des Abs. 2 nichts Grundsätzliches ein­ wenden. Nun kommt aber der zweite Satz dieses zweiten Absatzes. Dieser zweite Satz scheint mir nicht ganz richtig zu sein. E r heißt: „Die Bestrafung erfolgt in diesem F all aus dem Gesetz, das diesem Rechts­ gedanken und der Volksanschauung am besten ent­ spricht". D as ist nt. E. deshalb nicht richtig, weil sich Las Fordern der Bestrafung durch die Volks­ anschauung ja nicht auf das Gesetz bezieht und be­ ziehen soll, das denselben Rechtsgedanken zum Aus­ druck bringt, sondern aus die andere T at, die dem Richter zur Aburteilung vorgelegt wird. Deshalb bin ich der Meinung, daß diese Formulierung nicht richtig ist, was aber nicht besagt, daß man nicht trotzdem beide Fälle in einen Absatz zusammenziehen kann. N ur scheint es mir wiederum nicht gerade sehr schön zu sein, dann einen besonderen Hauptsatz zu wählen, der sich ja nur auf die zweite Alternative des ersten Satzes bezieht. D as ist etwas, was in gewisser Weise dafür spricht, diese Bestimmungen in zwei Absätze auseinanderzuziehen. Ich will jetzt, weil ich der Meinung bin, daß die grundsätzliche Entscheidung bereits in der ersten Lesung gefallen ist, nicht mehr auf den Einwand von Herrn Professor Kohlrausch eingehen, eigentlich be­ deute die Ausnahme der Analogie ein Eingeständnis der Schwäche des Gesetzgebers. Denn dieser Einwand würde ja gegen die grundsätzliche Entscheidung, aber nicht gegen die technische Art der Lösung geltend gemacht werden, und ich dachte, daß wir in die grund­ sätzliche Prüfung dieser Frage weiterhin nicht mehr eintreten würden. Daher gehe ich auch nicht ein auf den weiteren Einwand, daß es besser sei, Einzeltatbestände so auszustellen, daß man der Analogie nicht mehr bedürfe, zumal ich Herrn Professor Kohlrausch selbst zitieren kann, wenn er hervorgehoben hat, daß es sich jetzt eigentlich gar nicht um die Analogie, sondern um einen Grundsatz handelt, der unter Um­ ständen auch in der Anwendung des technischen Hilfs­ mittels der Analogie einen Ausdruck findet.

Ich bin auch nicht der Meinung, daß der zweite Halbsatz des zweiten Absatzes meines Vorschlags deshalb überflüssig sei, weil wir ja nach dem heute vormittag Gesagten im Grunde nur gesetzliche Unrechtausschließungsgründe haben wollen. Es ist schon richtig, daß insbesondere auch das angegriffen werden kann, was ich heute vormittag erklärt habe, daß nämlich an einer anderen Stelle des Gesetzes gesagt werden soll, wie weit wir übergesetzliche Unrechtausschließungsgründe anerkennen wollen. M an kann einwenden: wenn das im Gesetz gesagt wird, so sind das eben gesetzliche Unrechtaus­ schließungsgründe. Diesen Einwand von Herrn Professor Kohlrausch muß ich natürlich anerkennen, aber die Anerkennung dieses Einwandes zwingt doch nicht zu dem Schluß, daß hier eine solche Bestimmung überflüssig sei. S ie ist von mir gewählt und vorge­ schlagen worden, weil m. E. die materielle Unrechtsaussaffung hier nach beiden Seiten hin klargestellt werden sollte. Eine grundsätzliche Erklärung hier­ über an dieser Stelle scheint mir nicht ganz bedeu­ tungslos zu sein. Ich habe nun noch eins zu sagen zu der Frage der Einfügung der negativen Voraussetzung für die analoge Gesetzesanwendung, und da bin ich der Meinung, daß diese Frage kein grundsätzliches S treit­ objekt sein kann, weil wir ja auch, wenn wir sie nicht nennen, der Meinung sind, daß sie besteht. Sie mag deshalb auch eingefügt werden. Ich bin freilich nicht der Meinung, daß wir mit dem Vorschlage der ersten Lesung und den späteren Vorschlägen hierüber eine Abgrenzung zwischen der Zulassung der Gesetzes­ analogie und der Nichtzulassung der Rechtsanalogie getroffen haben. Wenn die Meinung bestehen sollte, daß wir diese Abgrenzung getroffen hätten, so halte ich mich für verpflichtet, daraus hinzu­ weisen, daß ich dagegen Bedenken habe. Aber ich glaube, daß eine solche Abgrenzung auch eine voll­ kommene Unmöglichkeit ist, weil man die Gesetzes­ und die Rechtsanalogie überhaupt nicht voneinander abgrenzen kann. M an müßte — um in einem Bild von heute vormittag zu sprechen — dann ganz bestimmt sagen, bis auf welche nächsthöhere Stufe der Richter emporsteigen darf, um von dort den im Gesetz zum Ausdruck gebrachten Rechtsgrundsatz darauf zu prüfen, ob er aus den abzuurteilenden Sachverhalt paßt. Da dieser Stufen Tausende oder wenigstens sehr viele zu denken sind, so ist es gar nicht möglich, die Abgrenzung zwischen der Rechts­ und der Gesetzesanalogie vorzunehmen, wie ich über­ haupt nicht glaube, daß sie im Sinne eines Gegen­ satzes besteht. Ich glaube aber, daß durch diese F or­ mulierung genügend Klarheit geschaffen ist, daß ein allzu weites Emporsteigen auf die allerhöchsten Höhen dem Richter verwehrt ist. Denn es ist immerhin nötig, daß dieser Rechtsgedanke, den der Richter da findet und von dessen Niveau er die ihm vorgelegte T at beschaut, auch in einem bestimmten — wenn auch nicht notwendigerweise ähnlichen — gesetzlich festnur nicht eine Abgrenzung zwischen der Zulässigkeit

der Gesetzes- und der Unzulässigkeit der Rechts­ analogie darzustellen. Ministerialdirektor

Schäfer:

Ich möchte der Meinung Ausdruck geben, daß der Antrag Dahm-Rietzsch-Grau nicht eine Verbesserung des Antrags Freister ist, sondern eine Ver­ schlechterung. M it dem In h a lt des Antrags des Herrn Staatssekretärs Freister bin ich durchaus ein­ verstanden. Meine Bedenken betreffen da nur die Fassung. Dagegen würde ich gegen den Antrag Dahm-Rietzsch-Grau auch sachliche Bedenken haben. Ich schließe mich zunächst der Kritik an, die Herr Staatssekretär Freister selbst daran geübt hat, und möchte noch einiges hinzufügen. Wenn ich zunächst den ersten Absatz ins Auge fasse, so ist ja das Neue daran, daß hier die ver­ brecherische Gesinnung eingefügt wird. Herr S ta a ts­ sekretär Freister hat eben schon erwähnt, daß das eigentlich zu eng ist und nur neuen Zweifeln Raum geben würde. Ob etwa die Fahrlässigkeit einer ver­ brecherischen Gesinnung entspringt, das ist mir doch schon recht zweifelhaft. Aber mir würden auch viele andere Fälle zweifelhaft sein, wo man doch unbedingt zu einer Strafe kommen müßte. M ir wäre z. B. zweifelhaft, ob etwa einer, der aus Veranlagung gegen § 175 verstößt, aus verbrecherischer Gesinnung handelt. Wenn ich ferner an die Fälle denke, in denen Geistliche in einem Gewissenskonflikt glauben, Gott mehr folgen zu müssen als dem Gesetz, und nun dem Gesetz zuwiderhandeln, so frage ich mich auch: Handeln die aus verbrecherischer Gesinnung? Aber der Ausdruck „verbrecherische Gesinnung" hat eigentlich auch noch einen ganz anderen, mehr technischen Sinn. Ich erinnere S ie daran, daß wir bei der Strafzumessung die Strafe danach bemessen, ob der Täter „aus verbrecherischer Gesinnung" ge­ handelt hat oder aus Leichtsinn, Verführung, Uner­ fahrenheit und dergl., wo wir ihn doch auch bestrafen wollen. D as zeigt schon, wie aus der Einfügung eines solchen Zusatzes sofort Zweifel erwachsen. Deshalb möchte ich glauben, daß dieser Vorschlag keine Verbesserung bedeutet, sondern eine Ver­ schlechterung. Ebenso wenig ist das Nebeneinander der Worte „Wille des Führers" und „Volksanschauung" eine Verbesserung. Der Wille des Führers ist doch gerade der vollendetste, der vollkommenste Ausdruck der Volksanschauung. Wozu soll das also nebeneinander­ gestellt werden? D as bringt nur neue Unklarheiten hinein. Deshalb möchte ich den Abs. 1 in der Fassung Dahm-Rietzsch-Grau nicht billigen. Was den Abs. 2 betrifft, so enthält er ja nicht viel Neues, sondern ist eigentlich nur die Zusammen­ fügung zweier Absätze. Insoweit habe ich nichts dagegen einzuwenden. Aber an der Fassung scheint mir doch manches nicht gelungen zu sein. Wenn es zunächst heißt: „Bestraft wird, wer gegen ein Gesetz verstößt", so scheint mir gerade die Hauptsache zu

fehlen; es muß nämlich ein Gesetz sein, das Strafe androht. Auch der zweite Satz des zweiten Absatzes scheint mir nicht gelungen und schief zu sein. E r bezieht sich überhaupt nur aus einen Teil des vorangegangenen ersten Satzes, und selbst für diesen Teil trifft er nicht ganz zu. Ich weiß auch nicht recht, was es bedeuten soll, wenn gesagt wird: „das diesem Rechtsgedanken und der Volksanschauung am besten entspricht". Auch hier führt das Nebeneinander, glaube ich, nur zu Unklarheiten in der Praxis. An der Fassung des Antrags des Herrn S ta a ts­ sekretärs Freister gefällt mir zweierlei nicht: die Hineinbringung des Unrechtausschließungsgrundes überhaupt, weil ich der Ansicht bin, daß einmal hier nicht der Platz dafür ist und daß zweitens eine so allgemeine Fassung ohne sofortige Ausfüllung nur zu leicht geeignet wäre, Irrtü m er hervorzurufen. Wenn wir den Paragraphen so fasten würden, wie es Herr Staatssekretär Dr. Freisler vorschlägt — also in einem ersten Absatz etwas über das materielle Unrecht und in einem weiteren Absatz auch schon etwas über die Unrechtausschließungsgründe sagen — , fbtrb es uns so gehen, wie es uns mit unserer ersten Fassung der Analogie gegangen ist. Herr Staatssekretär Dr. Freisler hat das vorhin so treffend ausgeführt, und ich habe selbst das gleiche Gefühl gehabt: uns ist es bei der ersten Fassung so gegangen, daß nach der Zurücklegung des Weges, den wir gegangen sind, dem Paragraphen immer noch die Eierschalen seiner Geburt angehangen haben. Von dem, was uns damals bewegte, sind wir frei­ gekommen, von der Ängstlichkeit und Zaghaftigkeit, und jetzt tritt plötzlich in den Vordergrund unserer Gedanken der Wunsch, die Idee der materiellen Gerechtigkeit hier besonders zum Ausdruck zu bringen. Weil wir von diesem Gedanken herkommen, wollen w ir nun in diesen Paragraphen, der von den Rechts­ quellen handelt, auch etwas von der materiellen Unrechtslehre mit hineinbringen. Ich habe durchaus den Wunsch, den Gedanken der materiellen Gerechtig­ keit irgendwo zum Ausdruck zu bringen, aber das gehört nach meiner Meinung ganz lapidar in den Vorspruch ober in den ersten, grundsätzlichen Teil und sollte nicht verquickt werden mit dieser Festlegung der Rechtsquellen. (Staatssekretär Dr. Freisler: Sprechen Sie von Abs. 1 oder von Abs. 2?) — Ic h spreche von dem Abs. 1 und auch von dem

zweiten Satz des Abs. 2. Danach würde ich mehr dazu neigen, daß man sich auf das beschränken sollte, was in dem Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 des Antrags des Herrn Staatssekretärs Dr. Freisler oder in dem Abs. 2 des Antrags Dahm-Rietzsch-Grau zum Aus­ druck gekommen ist. D as deckt sich inhaltlich mit dem, was in den beiden Absätzen des Antrags der Sach­ bearbeiter und im wesentlichen auch in den Vor­ schlägen, die die Herren Gleispach und Kohlrausch gemacht haben, zum Ausdruck gekommen ist. Wir sollten uns darauf beschränken, die beiden Rechts-

quellen für den Richter zum Ausdruck zu bringen: das Gesetz und die Analogie völlig gleichwertig nebeneinander.

erklärt ist, die aber nach der gesunden Volks­ anschauung bestraft werden muß. D as müßte unbe­ dingt die Grundlage der ganzen Materie sein.

Ministerialdirektor D r. Dürr: Aus der bisherigen Debatte habe ich gleichfalls die Überzeugung gewonnen, daß es nicht möglich ist, an dieser Stelle aufzunehmen, was Herr S ta a ts­ sekretär Dr. Freisler hier geregelt haben will: das materielle Unrecht als Grundlage der Bestrafung. Dem sachlichen Ergebnis der heutigen Aussprache stimme ich vollkommen zu. Die Analogie muß dem Gesetz viel mehr gleichgestellt werden, als in dem uns vorliegenden ersten Entwurf geschehen ist. Aber daraus sollte man sich an dieser Stelle beschränken. Wenn wir in der ersten Lesung beschlossen haben, den Allgemeinen Teil dem Besonderen Teil nach­ folgen zu lassen und an die Spitze kurze grundsätz­ liche Ausführungen zu stellen, die den Laien in die Gedanken des Gesetzes einführen sollen, so haben wir uns schon damals zu der Erkenntnis durchgerungen, daß der Allgemeine Teil für den Laien immer schwer verständlich sein wird; denn er muß systematisch auf­ gebaut werden. I n meinen Anträgen habe ich da­ gegen Stellung genommen, daß im § 358 der Schuld­ begriff vorweggenommen wird. Heute geht es um etwas Ähnliches. M an versucht immer wieder, an einer Stelle alle Elemente des Verbrechensbegrisfs zusammenzufassen. D as ist bei einem systematischen Ausbau nicht zu empfehlen. W as zu Beginn der Nachmittagsaussprache Gras Gleispach und vorhin auch Herr Ministerialdirektor Schäfer ausgeführt haben, ist das einzig Richtige, nämlich sich hier auf die vollständig gleichwertige Gegenüberstellung von Gesetz und Analogie zu beschränken und das andere den grundsätzlichen Ausführungen im Vorspruch oder in dem Teil, der dem Vorspruch nachfolgt, vorzu­ behalten.

Ich kann den Eindruck nicht unterdrücken, als ob die aufgestaute Arbeitsenergie eines halben Jahres sich nun dahin entladen wollte, in diesen Abschnitt gar alle Voraussetzungen der Strafbarkeit hinein­ zuschreiben. Die Überschrift dieses Abschnittes lautet aber: D as Recht als Grundlage der Bestrafung. D as heißt: Unter den vielen Voraussetzungen, unter denen ein Mensch bestraft werden kann, muß auch die sein, daß die Strafe auf einem rechtlichen Boden steht, (a. Gesetz, b. nicht Gesetz.) Aber der Versuch, in diesen Abschnitt gar alle Voraussetzungen der Bestra­ fung hineinzuschreiben, muß unbedingt scheitern. Ich habe mir sehr durch den Kopf gehen lassen, ob an dieser Stelle irgendwie eindrucksvoll ein Bekenntnis zum Willensstrafrecht geschaffen werden kann. Ich glaube das nicht. Denn hier sollen wir nur feststellen: Die Strafe muß als Boden, aus dem sie steht, das Recht haben, und w ir wollen zum Ausdruck bringen, daß dieser Boden eben nicht bloß das Gesetz ist, wie es im alten Strafgesetzbuch der Fall war, sondern auch ein Recht, das wörtlich im Gesetz nicht enthalten ist, das aber hieraus in einer Weise destilliert werden kann, über die wir uns ziemlich einig sind.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn ich die bisherige Aussprache auf mich wirken lasse, so sehe ich architektonisch folgendes Bild: Zunächst eine Art Programm für das Strafrecht überhaupt, formuliert in den Worten: Strafbar ist, wer Unrecht tut, und ein Zweites, das gedanklich so konstruiert sein muß: Demnach wird bestraft. Nun möchte ich auch einer ganz klaren Nebenein­ anderstellung folgender Dinge das Wort reden: 1. „Wer eine T at begeht, die das Gesetz mit Strafe bedroht", oder: „Wer gegen ein Gesetz verstößt". D as ist natürlich nur eine flüchtige Skizze. 2. Daß jemand, der eine T at begeht, die das Gesetz nicht mit Strafe bedroht, trotzdem bestraft werden muß. D as ist der Grundausbau dieser Skizze. Die Frage, wie der allgemeine Dachsatz lauten soll, führt in philo­ sophische Gebiete hinein. Da handelt es sich nicht um eine juristische Fassung. Dann kommt die weitere Fortsetzung: Demnach wird bestraft. Also ein Unrecht begeht erstens der, der ein Gesetz verletzt, das eine Strafdrohung enthält, und zweitens der, der eine T at begeht, die im Gesetz zwar nicht für strafbar

D as Schwierigste für mich ist trotz der lebhaften und interessanten Diskussion die Vorstellung, wie der erste Satz lauten soll, und ich glaube, daß alle Herren diese Schwierigkeit empfinden. Ich möchte Ihnen nur empfehlen, einmal einem M ann draußen zu sagen: Jetzt gib Obacht, der erste Satz des neuen Strafgesetzbuches lautet: Wer Unrecht tut, wird be­ straft, wenn das Recht es verlangt. Ich fürchte, daß die Forderung einer volkstümlichen Ausdrucksweise im Gesetz, die wir immer wieder erhoben haben^ damit nicht erfüllt wird. Vorläufig bin ich aber nicht in der Lage, einen besseren Text vorzuschlagen. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich würde diesem Manne sagen: Lies weiter, und du findest sofort im zweiten und dritten Satz vollkommene Klarheit! Soviel kann man doch ver­ langen, daß jemand wenigstens den Paragraphen zu Ende liest. F ü r sich allein besagt der Satz für einen, der nicht Bescheid weiß, nicht viel. M it den beiden nächsten Sätzen zusammen besagt er alles; dann ist er jedermann verständlich. Ich gebe nun zu, daß es vielleicht schwerer zu verstehen ist, warum noch der Zwischensatz dasteht: Doch erfolgt keine Bestrafung des Täters, der zwar gesetzwidrig handelte, aber nicht Unrecht tat. D as habe ich von vornherein zugegeben und betont, daß die Aufnahme dieser Bestimmung voraussetzt, daß man an einer andern Stelle des Gesetzes klar sagt, daß sie eine selbständige Bedeutung nicht hat. M an könnte sie also auch weglassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn man sich hier auf die Beantwortung der Frage beschränkt, auf welcher Grundlage überhaupt eine Bestrafung ausgesprochen werden kann — vom

Rechte her gesehen, nicht vom T äter her gesehen —, dann müßte man diesen Satz an eine ganz andere Stelle setzen. Professor Dr. Graf Gleispach: Herr Reichsminister, ich gehe von Ihrem Aus­ spruch aus, daß der Abs. 1 die größten Schwierig­ keiten bereitet. Eine mögliche Lösung wäre natürlich, ihn wegzulassen, so daß es nur hieße: „Bestraft wird, wer eine Handlung begeht, die das Gesetz ausdrücklich m it Strafe bedroht, aber auch dann" usw. Mehr muß hier eigentlich nicht gesagt werden. Wenn man sich das Gesetz noch mit einem Borspruch versehen vorstellt, so könnte ja dort Näheres ausgeführt werden, um den materiellen Unrechtsbegriff in der Sprache des Volkes auszudrücken. D as scheint mir ein durchaus möglicher Ausweg. Den Einwand, daß mein Vorschlag: „Bestraft wird, wer Unrecht tut" zu weit gehe, habe ich erwartet. M an könnte hier natürlich auch sagen: wer schweres Unrecht tut. Ich halte den Einwand nicht für durch­ schlagend, weil nur gesagt ist, daß das Unrechttun eine notwendige Voraussetzung für die Bestrafung ist, nicht aber, daß jeder, der Unrecht tut, bestraft werden muß. Aber wenn man dem Einwand begegnen will, könnte man vielleicht unterscheiden: Schweres Unrecht zieht S trafe nach sich, anderes Unrecht hat nur zivilrecht­ liche Folgen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: S ie kommen also auf Ih re n ursprünglichen Vor­ schlag zurück: Bestraft wird erstens, wer gegen das Gesetz handelt, zweitens, wer eine T at begeht usw. Ich möchte noch anmerken: dieses Erstens müssen wir nur deswegen aussprechen, weil wir das Zweitens aussprechen wollen. Denn daß derjenige bestraft wird, der eine gesetzliche Strafdrohung gegen sich wirksam macht, ist selbstverständlich. D as brauchen wir mit dem allgemeinen Satz nicht abzustempeln. Aber wir brauchen die Ziffer 1, weil die Ziffer 2 da steht wegen der Antithese oder Synthese: Gesetz und neben dem Gesetz noch das andere. Staatssekretär Dr. Freisler: W ir brauchen die Ziffer 2 auch deshalb, weil wir bei den Gesetzesverletzungen nicht auch noch den Umstand zur Voraussetzung der Bestrafung machen, daß die gesunde Volksanschauung die Bestrafung erfordert. W ir bringen sehr schön und klar zum Aus­ druck, daß für uns das Recht die Grundlage der Bestrafung ist, und niemand kann sagen, daß dieser Satz etwas schadet, nämlich dann nicht, wenn die Absätze 2 und 3, wie es der Herr Minister eben auch gefordert hat, sich anschließen mit den Worten: dem­ nach wird bestraft. Dadurch kommt zum Ausdruck, daß es weitere Grundlagen der Bestrafung dann allerdings nicht mehr gibt. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich meinte nur: wenn man hierin große Schwierigkeiten sieht, könnte man die Bestimmung auch weglassen. Ich könnte mir die Formulierung

auch so vorstellen, im Anschluß an das geltende Recht, aber doch in klar ersichtlichem Gegensatz dazu: N ur wer Unrecht tut, kann bestraft werden, und dann käme: Unrecht ist usw. a) und b ). Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Fassung lautet jetzt: Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn das Recht es verlangt. Lapidar ist die Fassung nicht. Dann wäre noch die Unterfrage wegen der Abgrenzung: Gegen den erklärten Willen des Gesetzgebers. S ie Meinung scheint im allgemeinen dahin zu gehen, daß die sachliche Notwendigkeit nicht sehr groß ist, weil auch ohne diesen Zusatz wahr­ scheinlich nichts passiert. D a aber von seiten der Wirtschastsressorts großes Gewicht auf diesen Zusatz gelegt wird, wird niemand etwas dagegen haben, daß wir diese Abgrenzung auch im Gesetz zum Ausdruck bringen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich würde es doch für bedenklich halten, das allgemein auszusprechen. Wenn auf den erklärten Willen des Gesetzgebers abgestellt wird, dann könnte man beispielsweise bei der Hehlerei in der jetzt geltenden Fassung des Tatbestandes aus die Idee kommen, der erklärte Wille des Gesetzgebers be­ schränke sich auf die durch die Vortat erlangte Sache elbst und verbiete es daher dem Richter, auch vom Erlös der gestohlenen Sachen Hehlerei als möglich anzunehmen. Ich würde es also für ein Hemmnis vernünftiger Analogie halten, wenn die Klausel ein­ gefügt würde. Ich gebe aber zu, daß die Eigenart der Materie des Nebenstrafrechts, insbesondere des W irt­ schaftsstrafrechts, übrigens auch der Übertretungen, verlangt, daß die Analogie irgendwie ausgeschlossen wird. Nähere Ausführungen darf ich mir für mein späteres Referat über die Übertretungen vorbehalten. Ich kann mir in der T at nicht vorstellen, daß eine Polizeiverordnung über Milchwirtschaft und der­ gleichen analog angewandt werden soll. D ann weiß man überhaupt nicht mehr, wonach man sich zu richten hat. Ebenso ist es int Wirtschaftsstrafrecht. Die Devisengesetzgebung ist von der Menge der dem Deutschen Reich zur Verfügung stehenden Devisen abhängig, sie wird daher für gewisse Devisenverkehrs­ arten bald eine Genehmigung verlangen, bald daraus verzichten. Nun kann natürlich der Richter nicht ein­ fach analog die Genehmigung in einem Fall fordern, wenn sie das Gesetz selbst nicht verlangt. Hier steht die N atur der M aterie der analogen Anwendung entgegen. Hinsichtlich des § 345 trete ich all dem bei, was gegen die Vorschläge Dahm-Rietzsch-Grau geltend­ gemacht worden ist. I m übrigen stelle ich mich prinzipiell auf den Boden des Vorschlages Freisler, allerdings mit der Maßgabe, daß im Abs. 2 der zweite Satz gestrichen wird. Ich bin gleichfalls der Ansicht, daß es sich hier nur um die Rechtsquelle der Bestrafung handelt. Herr Staatssekretär Freisler hat seinen Zusatz damit begründet, daß auch nach der negativen Rich­ tung ein Bedürfnis vorhanden sei, die materielle

Auffassung des Rechts zur Geltung zu bringen. Wenn aber das Gesetz selbst erklärt „wenn du in Notwehr handelst, dann handelst du nicht rechtswidrig, sondern rechtmäßig", so bleibt hier für das materielle Recht nichts Besonderes übrig. Formelles Gesetz und materielles Recht sind hier identisch. Wenn wir also nur die Unrechtausschließungsgründe meinen, die wir im Gesetz selbst ausdrücklich anerkennen wollen, dann ist dieser Absatz überflüssig. Lassen wir ihn stehen, dann wird man vermutlich sagen, daß hier ein über­ gesetzlicher Schuldausschließungsgrund gemeint ist, den w ir doch nicht anerkennen wollen. Ich möchte dann noch einen formellen Abänderungsantrag stellen. Ich gehe davon aus, daß aus­ dehnende Auslegung und analoge Anwendung nur durch eine flüssige Grenze getrennt sind, wenn sie auch im Grunde etwas Verschiedenes sind. § 346 muß sich daher an § 345 Abs. 2 Satz 1 logisch anschließen; erst dann wäre zur Analogie überzugehen. Es hätte also zu heißen: Demnach wird bestraft, wer ein Gesetz verletzt, das die T at für strafbar erklärt. F o rt­ zufahren wäre mit der Anweisung an den Richter, die Frage, ob ein Gesetz verletzt ist, nach S in n und Zweck des Gesetzes zu prüfen. Erst dann käme die Vorschrift über die analoge Anwendung; sie baut sich logisch aus der ausdehnenden Auslegung auf. Solange der Richter das Gesetz auf einen Fall bei sinngemäßer Auslegung anwenden kann, bedarf es nicht der Analogie; sie ist subsidiär. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ergibt sich wohl auch aus dem W ortlaut des Antrags. Hier ist wahrscheinlich mit Absicht der gleiche Text gewählt. Oben heißt es: D as ist der Fall, wenn ein Gesetz die T at für strafbar erklärt. D ann geht es weiter: Der Richter darf bei der Prüfung, ob eine T at strafbar ist, nur soundso verfahren. Ich hätte dagegen den anderen Einwand, daß der § 346 die etwas lapidare Architektur des § 345 stört; denn w ir wollen in § 345 nicht mehr hineinschreiben als die Aufzählung der beiden Rechtsgründe. Dann möchte ich noch etwas anderes andeuten. Beim Lesen des Gesetzes und dem Deuten seines Sinnes wird ganz allgemein der § 346 gelten. Ich glaube, man wird auf die M ittel des § 346 auch dann hinweisen können, wenn der Richter deficiente lege nach einem analog anwendbaren Gesetz suchen muß. Auch da wird er mit der Brücke der ra tio legis einen Weg finden müssen. Deswegen meine ich nicht, daß die Verbindung gar zu scharf bloß an der Ziffer 1 des § 346 hängt. Meine Herren, wenn ich der Meinung bin, daß wir über diese Frage sehr aus­ führlich und lang sprechen müssen, dann habe ich meinen guten Grund. Hier handelt es sich um Dinge, die w ir in ungegorenem Zustand nicht einer Formulierungskommiffion geben können. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich lasse den Abs. 2 Satz 2 fallen; materiell wird dadurch nichts geändert. Ich halte es aber nicht für richtig, dem Abs. 2 den § 346 folgen zu lassen. Wenn

die Ansicht von Herrn Professor Klee richtig wäre, müßte hier dann auch der § 346a folgen, und was für ein Bild dann herauskäme, bedarf keiner weiteren Erörterung. § 345 behandelt die Grundlage der Be­ strafung und § 346 die Auslegungsregeln. W ir wollten aber keine Auslegungsregel, die auch als Analogie betrachtet werden könnte, wenn man sie mehr von der andern Seite, von der flüssigen Grenze zur ausdehnenden Gesetzesauslegung her an­ sieht. W ir wollen mit dem § 345 etwas ganz anderes. Ich halte es nicht für richtig, die analoge Gesetzes­ anwendung auf der ausdehnenden Gesetzesauslegung aufzubauen, sondern sie ist Rechtserkenntnis auf an­ derer Grundlage als der Grundlage des Gesetzes. E s ist ein wesentliches Kriterium der Analogie, daß sie sich nicht auf eine Rechtserkenntnis ausbaut, die un­ mittelbar aus dem Gesetz gewonnen wird. Nun ein Letztes! Die negative Voraussetzung für die Anwendung des Analogieschlusses ist in Wirk­ lichkeit gar keine solche Voraussetzung; die Beach­ tung dessen, was in dieser negativen Voraussetzung gesagt ist, ist vielmehr ein Satz, der für die Gesetzes­ auslegung überhaupt gilt. E s ist eigentlich nur der Satz: Wenn du dir ein Gesetz ansiehst, dann mußt du prüfen, ob der Gesetzgeber mit Absicht eine enge Fassung gewählt, ob er mit Absicht von mehreren gleichen Fällen nur einen getroffen hat. Der Befehl, das zu beachten, hat zunächst nichts zu tun mit der Frage, ob man mit der Analogie arbeitet. Ich halte es für überflüssig, diesen Befehl zu geben, aber ich kann nicht an der Äußerung des Wirtschastsministeriums vorübergehen, das nur dann keine Bedenken gegen die Analogie hat, wenn eine solche Klausel eingebaut wird. Warum sollen wir nicht etwas, was nichts schadet, einbauen? D ann aber nicht bei der Analogie, wo es nicht hingehört, sondern nachher bei § 346 mag ein Hinweis an den Richter erfolgen, daß er das bei der Gesetzesauslegung natürlich zu beachten hat. Ich habe keine Formulierung zur Hand, die eine so eng auf die einzelnen Tatbestände ausgerichtete Fassung zum Ausdruck bringt. S ie müßte natürlich so gefaßt sein, daß sie nachher nicht mißverstanden wird, aber eine solche Formulierung werden wir schon sertigbringen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W as mich an der Fassung Freisler stört, ist das zweimalige Vorkommen des Begriffes Unrecht — also etwas, was das Recht verneint, verwirft — und zweitens der Satz: D as Recht verlangt die Be­ strafung. Wenn ich nicht eine Scheu hätte, als S ub­ jekt für die Bestrafung die T at anzugeben — wir wollen ja den T äter bestrafen, nicht die T at —, dann könnte man sagen: Bestraft wird jede Tat, deren Bestrafung das Recht verlangt. Daß das eine unrechte T at ist, ergibt sich daraus, daß das Recht die B e­ strafung verlangt, notabene das Recht, nicht das Gesetz! (Staatssekretär Dr. Freisler: Dann haben S ie nicht das Verhältnis von völkischer Sitten­ ordnung und Recht zum Ausdruck gebracht!)

— Recht dürfen w ir überhaupt nicht als Gesetz lesen. Die Faffung des ersten Satzes habe ich heute mittag nicht verdauen können, aber ich bin nicht in der Lage, etwas Besseres zu sagen. Es geht dann weiter: „eine unrechte T at begeht, die zwar im Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist, die aber aus andern Gründen bestraft werden muß". I s t hier die Wiederholung des Wortes „unrecht" nicht ein Pleonasmus? Ich würde dafür plädieren, das Adjektiv „unrecht" hier weg­ zulassen. Dann eine andere sprachliche Angelegenheit. Es heißt hier: „ . . . die zwar im Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist, nach dem einem gesetzlichen Tatbestand Mrundeliegenden Rechtsgedanken und gesunder Bolksanschauung aber S trafe verlangt." Ob diese Faffung volkstümlich und gemeinverständlich ist? (Staatssekretär Dr. Freister: einer Strafvor­ schrift zugrundeliegenden Rechtsgedanken!) — Dann würde es heißen: Die zwar im Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist, nach dem einer gesetzlichen Strafdrohung zugrundeliegenden Rechtsgedanken usw. Is t das nicht ein Widerspruch? Ich will mich nicht daraus versteifen. Die Anregung, die Abgrenzung über den er­ klärten Willen des Gesetzgebers im § 346 zu regeln, halte ich für beachtlich. D a kann man sie unterbringen: Du sollst S in n und Zweck des Gesetzes erforschen, dabei aber vor dem erklärten Willen des Gesetzgebers Halt machen. Ministerialdirektor D r. Dürr: W ir wollen die Analogie gerade deshalb zulaffen, damit der Täter nicht in den Fällen ungestraft bleibt, in denen die gesunde Volksanschauung die Bestrafung verlangt. Nun schlagen die Herren Sachbearbeiter vor zu sagen: Obwohl die gesunde Volksanschauung die Bestrafung verlangt, darf sie nicht erfolgen, wenn das Gesetz sie verbietet. Diese Gegenüberstellung wirkt sehr unschön. Dem wird abgeholfen, wenn man nach dem Vorschlag des Herrn Staatssekretärs den Gedanken in den § 346 übernimmt. Staatssekretär Dr. Freisler: Gegen die Übernahme dieses Gedankens in § 346 könnte eingewendet werden, auf diese Weise werde die Anwendung der Analogie nicht ausgeschlossen. Dazu wäre zu sagen, daß — ohne daß wir etwas darüber bestimmen — jeder Richter zunächst einmal die am häufigsten zum Zuge kommende Quelle der Erkenntnis des Rechts, nämlich das Gesetz, anwenden wird. Dabei ist er gezwungen, diesen Satz bei der auslegenden Betrachtung des Gesetzes mit zu berück­ sichtigen. E r muß sich damit abfinden, daß er zu prüfen hat, ob der Gesetzgeber im Einzelfall die Be­ strafung nicht wollte. Ohne daß wir etwas Besonderes dazu sagen, wird wohl kein Richter erklären: Ich habe zwar festgestellt, daß der Gesetzgeber die Be­ strafung in diesem Falle nicht wollte, aber ich komme nun doch zur Bestrafung auf Grund einer Rechtser­ kenntnis, die ich von außerhalb des Gesetzes schöpfe,

zumal er dann bei den Voraussetzungen der Analogie feststellen muß, daß der gleiche Rechtsgedanke irgend­ wo im Gesetz zum Ausdruck gekommen ist. Da steht er dann wieder dieser festen Schranke gegenüber. Damit ist, glaube ich, auch für die Verurteilung auf Grund eines Analogieschluffes — wir wollen es ein­ mal so nennen — die notwendige Schranke geschaffen worden. W ir waren vorher zwar der Meinung, daß eine Schranke für die Analogie eigentlich nicht nötig sei; nun haben wir aber hier schon eine solche. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Wenn in § 346 das Negative hineingeschrieben wird, dann wird der Rechtsgedanke damit nach der negativen Seite abgegrenzt. Notwendig ist das aber nicht; denn der Rechtsgedanke wird in solchen Fällen schon in der Vorschrift selbst, deren analoge An­ wendung in Frage steht, nach der negativen Seite abgegrenzt. Wenn z. B. im Gesetz steht: Unzucht zwischen M ännern wird bestraft, dann ist der Rechts­ gedanke, den der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht hat, auf M änner beschränkt, und er kann niemals im Wege der Analogie ausgedehnt werden aus Frauen, weil eben der Rechtsgedanke in dem Gesetz seine Be­ schränkung nach der negativen Seite gefunden hat. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as kommt auch bei den Altersgrenzen zum A us­ druck. Wenn jemand das Gesetz: „Wer ein vierzehn­ jähriges Mädchen verführt, wird bestraft" nach seiner ra tio befragt, dann heißt das: Schutz des Unreifen. Wenn der Richter jetzt aus dieser ra tio das Gesetz wieder anwenden würde, könnte er versucht sein zu sagen: Die 14 Jahre sind nur der Ausdruck eines Rechtsgedankens, er trifft in meinem Falle auch zu bei der 15jährigen. Aber das wollen w ir gerade nicht. Wenn der Gesetzgeber das freigeben wollte, hätte er sagen müssen: Wer ein unreifes Mädchen verführt. Aber das ist nicht volkstümlich und nicht gut; man sollte diese Abgrenzung im § 346 regeln, wo sie sich ganz gut ausnimmt. W ir kämen ungefähr zu folgendem Bild: Die Ouvertüre beginnt mit diesem Satz, der noch in Delphi gefunden werden muß: „Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn es das Recht verlangt" oder „wenn das Recht die Bestrafung verlangt." Demnach wird bestraft, erstens: „Wer eine T at begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt", zweitens: „Wer eine T at begeht, die zwar im Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist, aber nach dem Rechtsgedanken, der einer gesetz­ lichen Strafdrohung zugrundeliegt, und nach ge­ sunder Volksanschauung Bestrafung verdient." (Staatssekretär D r. Freisler: Und zum Schluß müßte stehen die Bestrafung aus welchem Gesetz!) — D as ist zunächst der Akkord, auf den das ab­ gestimmt ist. Früher, als man von einem ähnlichen Tatbestand sprach, hat man gesagt: D as Gesetz, das bei dem ähnlichen Tatbestand steht. „D as zutreffende

oder zutreffendste" ist auch ein Ahnlichkeitsbegrisf, gerade in der Steigerung. (Staatssekretär Dr. Freister: Aber bezogen auf den Rechtsgedanken, nicht auf die T at!) Ministerialdirektor Schäfer: Warum sollen hier überhaupt mehrere Gesetze in Frage kommen? Is t das nicht noch ein Anklang an die Rechtsanalogie und nicht an die Gesetzesanalogie? Ich kann mir einstweilen noch nicht vorstellen, in­ wiefern hier die Wahl sein soll zwischen zwei ver­ schiedenen Gesetzen, die in Betracht kommen könnten, und wie man dann sagen soll: das am meisten zu­ treffende Gesetz. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es ist nicht ganz klar in dem Text.) Staatssekretär Dr. Freister: Auch § 345, wie er von den Sachbearbeitern vor­ geschlagen worden ist, muß davon ausgehen, daß der Rechtsgedanke im Gesetz verschiedentlich zum Ausdruck gekommen sein kann; denn auch er bringt das dadurch zum Ausdruck, daß er von der ähnlichen T at spricht. D as Wesentliche der Bestimmungen des letzten Satzes des dritten Absatzes im § 345 ist doch die Angabe des Strafrahm ens und der Bezeichnung für die Tat. Es könnte z. B. die Entwendung der elektrischen Kraft unter dem Gesichtspunkt der Unterschlagung oder des Diebstahls und noch viel eher unter dem Gesichts­ punkte des Betrugs betrachtet werden. Der hier analog anzuwendende Rechtsgedanke wäre eigentlich der: Dinge, auf die du kein Recht hast, hast du dir nicht heimlich zu beschaffen; wenn du das tust, heim­ lich oder unter Täuschung, dann ist das unanständig, und tust du es in dem Grade, daß die gesunde Volks­ anschauung Strafe verlangt, so mußt du auch bestraft werden! Dieser Rechtsgedanke hat seinen Ausdruck ge­ funden einmal in einer Betrugsbestimmung, zweitens in einer Diebstahlsbestimmung und eventuell noch in andern Bestimmungen; die Strafrahmen dafür sind durchaus verschieden. Nun soll der Richter doch sagen können: Der T äter wird wegen Betrugs bestraft oder wegen Diebstahls. D as brauchen wir schon für das Strafregister. Aus dem Strafrahmen, den wir ihm zur Verfügung stellen, soll er die S trafe bemessen. Deshalb glaube ich, daß derjenige Strafrahm en und die Benennung gewählt werden müssen, die der Gesetz­ geber dort gegeben hat, wo sich der aus die vorliegende T at zutreffendste Ausdruck des Rechtsgedankens, der zur Anwendung kommen soll, im Gesetz befindet. (Ministerialdirektor Schäfer: M it einem W ort: die ähnlichste Tat!) — Nein, das gerade nicht! (Erneuter Zuruf.) — J a , die passendste Strafvorschrist, das ist natürlich etwas anderes. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Sache ist nicht von sehr großer Bedeutung; denn die passendste Strafvorschrist wird häufig wahr­

scheinlich aus der Betrachtung der T at gefunden werden. Wichtiger ist es, daß wir es besser stilisieren. Alle diese Formeln: „Der auf die T at zutreffendste Ausdruck dieses Rechtsgedankens", „der die Be­ strafung fordernde Rechtsgedanke", „das Gesetz, dessen Rechtsgedanke am besten oder am nächsten zu­ trifft auf die T at nach der Anschauung des Volkes", sind ja sachlich nicht sehr verschieden. Professor Dr. Mezger: Ich halte gerade diesen Gedanken für einen F o rt­ schritt. Fälle, in denen die Wahl zwischen ver­ schiedenen Gesetzen in Betracht kommt, sind im Ge­ biet der analogen Gesetzesanwendung häufig. Ein Beispiel: D as Reichsgericht ist davon ausgegangen, daß es Fälle gibt, die zwischen den Strafbe­ stimmungen für Diebstahl und Unterschlagung in einem straflosen Zwischenraum liegen. I n diesen und ähnlichen Fällen ist es die Aufgabe erweiterter Ge­ setzesanwendung abzuwägen, nach welcher Seite hin der Fall die größte Ähnlichkeit aufweist. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Die Frage ist nur, ob man in diesem Satz noch einmal den Rechtsgedanken auftreten lassen will. D as Gesetz soll auf meine Frage als Richter antworten: Welches Gesetz soll ich anwenden? Darauf sagt das Gesetz: D u sollst das Gesetz anwenden, und zwar nicht das Gesetz, dessen Rechtsgedanke am nächsten zutrifft, sondern das Gesetz, das nach der gesunden Volksanschauung am nächsten zutrifft auf die Tat. D as Jonglieren mit dem Wort „Rechtsgedanke" ist absolut unvolkstümlich. (Staatssekretär Dr. Freister: Sie haben vor­ geschlagen: „D as Gesetz, das nach der An­ schauung des Volkes für die Beurteilung der T at am besten paßt".) —- Ich scheue mich gegen das Papierwort „Rechts­ gedanke". Das ist zwar hier eine Münze am grünen Tisch, aber draußen nicht. (Staatssekretär Dr. Freister: Nicht das Gesetz, das am nächsten, sondern das, das am gerech­ testen aus die Beurteilung der T at paßt.) — Der gewöhnliche M ann würde sagen: Ich habe kein Muster, das genau paßt, nun nehme ich das, das eben am besten paßt! Dabei meine ich unter Muster: das Gesetz. (Staatssekretär Dr. Freisler: Dann ist es richtig, so haben S ie es formuliert: Das Ge­ setz, das am besten für die Beurteilung der T at paßt.) Professor D r. Kohlrausch: Ich möchte als auf einen besonders illustrativen F all aus den des Münzfernsprechers zurückkommen und fragen, welches denn da eigentlich das „ähn­ lichste" Gesetz gewesen wäre: Betrug, Elektrizitätsentwendung, Minzdelikt? Kommt man bei den F o r­ mulierungen, die hier zur Wahl stehen, zu verschie­ denen Entscheidungen? Oder bei der einen sicherer

als bei der anderen zu einer bestimmten Entscheidung? Wie ich den Fall entscheiden würde, weiß ich nicht recht. Die Volksanschauung geht hier wohl — wenigstens war es hier immer so, wenn ich die Frage Studenten unterbreitet habe — auf den Betrug hin. Ob das auf den „Rechtsgedanken" passen würde, ist nicht so sicher. Auf ein Münzdelikt jedenfalls würde die Volksanschauung nie kommen. D as Volk sagt vielleicht: Ich sehe hier keinen Unterschied vom Betrug! (Reichsjustizminister D r. G ürtner: Am besten paßt nach Auffassung des gemeinen M annes der Betrug. E s macht keinen Unterschied, ob ich ein Zweipfennigstück am Schalter abgebe oder in den Automaten hineinwerfe, es ist gleichgültig, daß es hier nicht ein Mensch ist, der getäuscht worden ist.) Unzweifelhaft ist die Entscheidung nicht; denn auch beim Handbetrieb denkt sich das Fräulein gar nichts. Auch bereits beim Handbetrieb würde „Betrug" nur auf dem Wege der Analogie angenommen werden können. D as hat kürzlich auch Reichsgerichtsrat Zeiler treffend ausgeführt. Aber das Volk denkt in der T at wohl an Betrug. (Staatssekretär Dr. Freister: Der Betreffende denkt sich: ich täusche.) — Jaw ohl; aber keinesfalls: Ich entziehe elektrische Kraft oder: ich entwerte Münzen! (Staatssekretär Dr. Freister: „Der Täter wird in diesem Falle nach dem Gesetz bestraft, das am nächsten auf die Beurteilung der T at paßt." D as ist auch noch nicht ganz gut, aber geht immerhin.) Professor Dr. Gras Gleispach: Die letzten Ausführungen verkennen etwas den Gedanken, der der Fassung des Vorschlags Freister zugrunde liegt. Ich glaube, in dem letzten Satz des § 345 soll nicht gesagt sein: der Tatbestand ist an­ zuwenden, der nach der Volksanschauung in Betracht kommt, sondern: es ist zu untersuchen, in welchem Tatbestand die die Strafbarkeit fordernde Volks­ anschauung am besten zum Ausdruck kommt. D as ist nicht dasselbe. Wenn man aber die Fassung vielleicht zu juristisch-technisch oder zu wenig volkstümlich findet, könnte man allenfalls sagen: D er Täter wird nach dem Gesetz bestraft, dessen Tatbestand der Tat am nächsten steht. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist die alte Kontroverse zwischen Abteilung und Staatssekretär seit langem: wo sind die beiden Dinge dissim ilia. Hier ist die Meinung ver­ treten: der ähnliche Tatbestand, dort: die ähn­ liche ra tio legis. — Staatssekretär Dr. Freister: Darauf haben w ir uns damals geeinigt. — Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as würde auch in dieser etwas primitiven Fassung zum Ausdruck kommen.) Aber der Gedanke ist entscheidend. Die Ähnlichkeit des Rechtsgedankens ist schon im früheren Satz aus­

gesprochen worden. Die Bestrafung wird gegründet nicht auf die Ähnlichkeit der T at mit einem gesetz­ lichen Tatbestand, sondern darauf, daß ein in irgend­ einem Strafgesetz ausgedrückter Rechtssatz auch hier zutrifft. Damit ist die Frage der Strafbarkeit ent­ schieden. E s fragt sich nur, welches Strafgesetz habe ich anzuwenden, und da kann ich ohne Widerspruch mit der Grundaufsassung des Herrn Staatssekretärs sagen: Ich wende das Strafgesetz an, das am besten auf den F all paßt. (Staatssekretär D r. Freister: D as Gesetz, das zur Beurteilung der T at am geeignetsten ist!) Professor D r. Kohlrausch: Ich würde das Gesetz anwenden, dessen Nicht­ anwendung hier das Volk erregt hat, und das ist hier nicht das Elektrizitätsgesetz — daran denkt das Volk gar nicht — , sondern der Grundgedanke des Betrugsgesetzes. Die T at mag vielleicht, juristisch gesprochen, dem Tatbestand des Elektrizitätsgesetzes ähnlicher sehen, aber die ra tio legis, deren Nicht­ beachtung hier die Erregung verursacht hat, ist die, die dem Betrugsparagraphen zugrunde liegt. D as müßte zum Ausdruck gebracht werden. Nebenbei bemerkt würde hier eine analoge Anwendung des Elektrizitätsdiebstahlsgesetzes dem offensichtlichen gegenteiligen Willen des Gesetzes widersprechen. Hier haben wir ein gutes Beispiel für die Wichtigkeit unseres vorhin beschlossenen ausdrücklichen Hinweises darauf, daß das sog. arg u m en tu m e con trario unter Umständen der Möglichkeit eines Analogie­ schlusses vorgeht. Der Betrugsgesetzgeber wollte vielleicht derartige Fälle nicht ausdrücklich aus­ schließen; der Elektrizitätsgesetzgeber aber wollte dies zweifellos. Professor D r. Nagler: Der ursprüngliche Gedanke des Herrn S ta a ts­ sekretärs Freister, daß man auch bei der S trafe auf dasselbe Strafgesetz abheben muß, dessen Tatbestand den Grund für die Analogie bildet, trifft durchaus zu. Ich würde auch die populäre Fassung immer in diesem Sinne interpretieren. W ir dürfen doch nicht plötzlich nach einer ganz anderen Strafbestimmung als derjenigen, welche den Ausgangspunkt für die Analogie bildet, die Strafe bemessen. D as Ver­ bindungsglied ist die ratio , der Rechtsgedanke, welcher in einem konkreten Strafgesetz zum Durch­ bruch gekommen ist, das den Obersatz für die analoge Bestrafung bietet. Dieses konkrete S tra f­ gesetz muß auch den Strafrahm en bieten, das ist ganz zwangsläufig. W ir können nicht beliebig einen anderen Strafrahm en wählen. Gerade in dem Münzautomaten-Tatbestand verhielt es sich doch auch so. W ir empfinden: der F all liegt genau so, wie wenn eine betrügerische Herausgabe von einem Verkäufer durch das falsche Münzstück erzielt worden wäre. E s erscheint daher notwendig, aus diese Rechtslage voll abzustellen.

(Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as kommt ja in der Fassung zum Ausdruck!) — Aber es schien so, als ob man Plötzlich nach gesunder Volksanschauung das Strafgesetz beliebig wechseln könne. D as geht natürlich nicht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich wäre glücklich, wenn die Herren mit dem „Rechtsgedanken" vorsichtig umgehen würden in den Fassungen. Ich habe Furcht vor diesem W ort, nicht im Lehrbuch, nicht am Katheder, aber in der Gesetzes­ sprache. D as ist etwas, worunter man sich nicht viel denken kann. Aber in dieser „bäuerlichen" Fassung kommt das auch zum Ausdruck. (Staatssekretär Dr. Freisler: Aber diese Warnung vor der Benutzung des Ausdrucks „Rechtsgedanke" gilt doch nicht für die Auf­ stellung der Voraussetzungen für die Analogie!) — D as ist auch kein Verbot, sondern nur ein Aus­ rufungszeichen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich möchte da doch unterscheiden. Die Volks­ anschauung würde ich für die Frage der Strafw ürdig­ keit unbedingt maßgebend sein lassen, aber nicht für die Frage, welchem Tatbestand die Bestrafung zu

entnehmen ist. E s ist eine rein juristische Überlegung, der Rechtsgedanke welchen Strafgesetzes die analoge Bestrafung verlangt. Hier die Bolksanschauung zu Worte kommen zu lassen, würde verwirrend wirken. D as Volk sieht z. B. sehr viele Handlungen als Betrug an, die wir Juristen nur als zivilrechtliche Arglist ansehen. Die Strafwürdigkeit ist das einzige, was das Volk beurteilen kann. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist richtig, und es ist auch nicht so ausgedrückt in der Fassung. Aber wenn wir es in der „bäuer­ lichen" Fassung geben, dann sollten wir es auch mit der Bolksanschauung geben. D as Volk verlangt, daß das und das bestraft wird; du, Richter, suche dir dein Gesetz. Und welches Gesetz da in Betracht kommt, das ist ein Vorgang, der eigentlich mehr den Richter angeht. Dem Volke ist es im großen und ganzen einerlei, wie bestraft wird, es will nur, daß das und das bestraft wird. W ir wollen auch diesen Ausdruck nicht verbrauchen, wir brauchen ihn häufig genug. Ich schlage vor, heute abzubrechen und morgen um 10 Uhr fortzufahren. D as Thema „materielles Unrecht und Analogie" können wir wohl als erledigt betrachten. W ir könnten dann morgen fortfahren mit der wahlweisen Feststellung.

(Schluß der Sitzung 19 Uhr 23 Minuten.)

StrafrechkskommWon

57. Sitzung 23. März 1935 Zweite Lesung. Inhalt Geltungsbereich der Strafgesetze (Fortsetzung der

Aussprache). Strafgesetz als Grundlage der Bestrafung; Auslegungsfrage. Neichsjustizminister Dr. Gürtner .................................1, 2, 3, 4 Senatspräsident Professor Dr. K le e ................................ 1, 3, 4 Staatssekretär Dr. F reister........................................... 1, 2, 3, 4 Professor Dr. D ahm ...................................................................1, 4 Professor Dr. Mezger.................................................................2, 3 Professor Dr. Nagler........................................................................ 4 Professor Dr. Kohlrausch................................................................. 4

Wahlsestftellung. Neichsjustizminister Dr. Gürtner 5 ,7 , S, 1 1 ,1 2 ,1 3 ,1 4 ,1 5 ,1 6 ,1 7 Ministerialdirektor Schäfer.......................................5, 12, 13, 17 Professor Dr. Kohlrausch...........................................................8, 12 Senatspräsident Professor Dr. Klee......................8, 12, 13, 14 Staatssekretär Dr. Freister............................ 10, 12, 14, 16, 17 Professor Dr. Graf G leispach..................................... 12, 15, 17 Professor Dr. Nagler...................................................... 12, 13, 16 Professor Dr. D a h m ......................................................................13 Oberstaatsanwalt Dr. R eim er.....................................................14 Ministerialdirektor Dr. Dürr.........................................................16 Landgerichtsdirektor L eim er.........................................................17

Zeitliche Geltung. Neichsjustizminister Dr. G ürtner..1 7 , 18, 19, 20, 21, 22, 23 Berichterstatter Staatssekretär Dr.F r e isler ..................... 18, 22 Professor Dr. Dahm....................................................... 19, 20, 21 Professor Dr. Graf G leispach..................................... 20, 21, 22 Ministerialdirektor Schäfer......................................................22, 23 Senatspräsident Professor Dr. Klee.....................................22, 23 Ministerialdirektor Dr. D ü r r ...................................................... 23

Beginn der Sitzung 10 Uhr 10 Minuten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: W ir setzen die Debatte fort. Senatspräsident Proseffor Dr. Klee: Ich möchte vorschlagen, zu sagen: „Ob sich jemand strafbar macht, b e st i m m t das Recht." Ich

nehme Anstoß an dem W ort „verlangt". „Verlangen" klingt nach Legalitätsprinzip. D as Recht v e r l a n g t keine Bestrafung; es bestimmt nur, wann eine Hand­ lung strafbar ist. Es könnte auch heißen: „Wann ein menschliches Verhalten strafbar ist, bestimmt das Recht." Den materiellen Unrechtsgehalt an dieser Stelle anzudeuten, scheint mir nicht angezeigt zu sein, denn es handelt sich hier an dieser Stelle nur um die rechtliche Grundlage der Bestrafung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, das ist ein Versuch, den Gedanken, der in der Überschrift schon zum Ausdruck kommt, in einer ausgeglichenen Wortprägung zu fasten. Nicht nur das „ob", sondern auch das „wann" und das „wie" kommt in Betracht. „Die Strafbarkeit einer T at bestimmt sich nach dem Recht." Senatspräsident Professor Dr. Klee: Von Strafbarkeit eines V e r h a l t e n s könnte man sprechen, um damit gleichzeitig Tun und Unter­ lasten zu treffen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Was wir ausdrücken wollen, ist hinlänglich klar. D as soll die Fastungskommission zur Kenntnis nehmen. Staatssekretär Dr. Freister: W ir hatten zum Ausdruck bringen wollen, daß das Recht die Grundlage der Bestrafung ist, und ferner, daß das Recht in einer Verbindung zur Sittenordnung steht, diese aber nicht völlig ausfüllt. „Wer Unrecht tut, wird bestraft", aber nicht immer, sondern nur, wenn das Gesetz es verlangt, weil dieses eben nicht die Bestrafung j e d e n Unrechts verlangt. Daß der Gedanke noch nicht sehr schön zum Ausdruck kommt, fühlen wir alle. D er zweite und dritte Absatz soll das Mißverständnis beseitigen, als könne Abs. 1 für sich allein schon eine Bestrafungsgrundlage bilden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir kämen zur A u s l e g u n g s f r a g e . W ir sind gestern so weit gekommen, daß, wenn überhaupt eine Auslegung gegen den erklärten Willen des Gesetzgebers ins Gesetz aufgenommen werden soll, das im § 346 geschehen soll. Sonst ist der In h a lt des § 346 nicht bestritten und enthält zum größten Teil überhaupt kein neues Recht und keine neuen Gedanken. E r stellt fest, daß der Richter nicht allein an dem W ortlaut hängen soll, sondern auch nach S in n und Zweck fragen soll, und enthält ein Rezept, wie das zu ermitteln ist. Eine Grundfrage: S oll man diese Auslegungs­ rezepte überhaupt im Strafgesetzbuch niederlegen? Professor Dr. Dahm: F ü r die Entscheidung über diese Frage kommt es doch wohl auf den Ort an, an dem diese Be-

stimmung erscheinen soll. Eine Bestimmung dieses In h a lts im § 346 halte ich für unmöglich. S ie könnte nur im Borspruch des Gesetzes Platz finden. (Reichsjustizminister D r. G ärtner: Nach dem Vorbild des Erbhofgesetzes!) Jaw ohl. Ich komme überhaupt immer mehr auf den Vorschlag zurück, daß wir alle Regeln dieser Art in dem Grundsätzlichen Teil unterbringen sollten. Be­ stimmungen aber, die dort Aufnahme finden sollen, erfordern eine mehr plakatmäßige, symbolhafte Aus­ drucksweise, eine andere Technik als die Paragraphen des Strafgesetzbuchs selbst. (Reichsjustizminister D r. G ärtner: Die mehr juristisch-technischen Anforderungen gewachsen sein müssen!) Staatssekretär Dr. Freister: Ich kann nicht anerkennen, daß das Grundsätz­ liche in den Vorspruch und nur das Juristisch-Tech­ nische in das Gesetz hineingehört. Ich bin mir zwar klar, daß im Gesetz Juristisch-Technisches stehen wird, aber es muß auch Grundsätzliches in das Gesetz hinein. I n diesem Punkt würden Herr Professor Dahm und ich weniger aneinander vorbeireden, wenn w ir uns einigen würden, nicht vom Vorspruch zu sprechen, sondern vom Grundsätzlichen Teil. (Professor D r. Dahm: J a ! ) — Der Grundsätzliche Teil ist ganz zweifellos Bestand­ teil des Gesetzes. Auch das Vorbild des Reichserbhof­ gesetzes ist nicht I h r Vorbild! E s hat den Grund­ sätzlichen Teil nicht, sondern nur einen Vorspruch; das eigentliche Gesetz beginnt dort nach dem Vorspruch, und die Auslegung befindet sich im Gesetz selbst. Ich glaube, daß die §§ 345 und 346 Bestimmungen enthalten, die in den Grundsätzlichen Teil hinein­ gehören; nur dachte ich, daß wir die Eingruppierung später erledigen sollten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich darf aus folgendes Hinweisen: Innerhalb der Abteilung ist auch der Entwurf einer Strasversahrensordnung versucht worden. E r fängt an mit folgender Überschrift: „Erstes Buch. Grundsätzliches." D arunter findet sich: „Bei der Auslegung dieses Gesetzes gehört dem S in n und Zweck des Gesetzes der Borrang vor dem Buchstaben. Lücken sind im Einklang mit dem gesunden Bolksempsinden auszu­ füllen." D as ist ein Versuch, den Gedanken an der Stelle zu verwirklichen, wo er hingehört. Hier sollten wir das Wort „Borspruch" nach Möglichkeit ver­ meiden. Unter „Borspruch" könnte ich mir vorstellen, daß jemand etwa über den Zweck des Strafrechts spricht: Z ur Erhaltung der Volksgemeinschaft. Aber das, was wir meinen, sind Grundsätze auf breiter Basis, die für das Gesetz und über dieses einzelne Gesetz hinaus überhaupt für die Rechtsanwendung gelten. Dieser Weg ist versucht worden, und ich glaube, das wird richtiger sein.

Professor Dr. Mezger: I n das Gesetz selbst, auch in den grundsätzlichen Teil, gehören nur klare Befehle an den Richter. S o der Verzicht auf das Analogieverbot. Im übrigen ist die sogenannte materielle Rechtsanwendung Teil einer geistigen Bewegung, die heute die gesamte Rechtswelt ergreift, einer Bewegung, die sich als solche gar nicht in Gesetzesparagraphen fassen läßt. Von ihr kann höchstens im Vorspruch die Rede sein. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as würde also heißen: Den In h a lt des § 346 würden S ie in den Vorspruch nehmen und auch den des § 345. Professor D r. Mezger: D er Richter soll erfahren, daß er jetzt in ganz anderer Weise zum Gesetz steht als bisher nach § 2 des Strafgesetzbuches, nämlich, daß er das Gesetz zu betrachten hat als eine einzelne besondere Ausdrucks­ form des im Volke lebendigen Rechts. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as kann man natürlich sehr eindrucksvoll in einem Vorspruch programmatisch zum Ausdruck bringen. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Aber nicht in der Formulierung wie hier!) Professor Dr. Mezger: Der Grundgedanke ist der, daß das Recht der Gerechtigkeit dient. D as Gesetz ist n ur e i n M ittel, diesen Gedanken zu verwirklichen. F ü r den Richter aber soll künftig der Satz gelten: nicht n u r die ausdrückliche Gesetzesvorschrift berechtigt zur An­ wendung der Strafe. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, wir kommen praktisch nur weiter, wenn die Kommission, die das endgültig in Worte fassen soll, sich auch darüber klar wird: Wie sieht nach deiner Vorstellung die Präambel des Gesetzes aus, und wie sieht das aus, was im Grundsätzlichen Teil erscheint? Staatssekretär Dr. Freisler: Ich habe noch nicht erlebt, daß ein Vorspruch geschaffen werden konnte, ehe das Gesetz fertig war. Erst müssen w ir das Gesetz schaffen; zum Gesetz rechne ich aber auch den Grundsätzlichen Teil. Den Borspruch schaffen wir, wenn wir das Werk fertig haben. Deshalb sollten wir jetzt nicht auf den V or­ spruch eingehen, sondern uns zum Schluß erst fragen: Welches ist der Geist, der S in n und Zweck des Gesetzes? D as wird dann der Vorspruch. Die Be­ stimmungen des § 346 können wir jetzt fassen und dabei vermerken, daß sie in den etwaigen Grundsätz­ lichen Teil hineingehören. Ob wir sie dann später

noch etwas anders formulieren, ist eine Frage der Redigierung. Zunächst sollten wir aber die Be­ stimmungen selbst festlegen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte auch meinen: Wir müssen von irgend etwas ausgehen, entweder von der Überschrift oder vom In h a lt. Nun gehen wir einmal vom In h a lt aus und machen die Überschrift zum Schluß. D ann wäre der Auftrag an die Unterkommission der, diese jetzigen §§ 345 und 346 in eine solche Fassung zu bringen, wie sie als Bestandteil des Gesetzes gedacht sind. E s ist klar, was damit gemeint ist. Der § 345 verliert sich also nicht in das Gebiet der Lyrik und der programmatischen Sätze, sondern er soll Gesetzes­ technik zum Ausdruck bringen. Staatssekretär Dr. Freisler: Diese Logik trägt dem Wunsche Rechnung, alles, was von der Gesetzesanwendung zu sagen ist, in unmittelbarem Anschluß an den § 345 Abs. 2 zu sagen. S ie ist also außerordentlich folgerichtig, aber eigentlich nichts weiter als ein tektonisches Wunsch­ bild und innerlich nicht richtig, wenigstens dann nicht, wenn man den Wunsch so begründet wie Herr Professor Klee gestern, daß die Analogie sich nämlich auf der ausdehnenden Gesetzesauslegung aufbaue. D as halte ich, wie schon gesagt, nicht für richtig. D as könnten wir nur dann sagen, wenn wir von dem Standpunkt ausgingen, daß es eigentlich nur e i n e Rechtserkenntnisquelle, nämlich das Gesetz, gäbe. Dann freilich könnte man zur Analogie nur kommen als einer Art der Gesetzesanwendung. W ir haben uns aber dazu durchgerungen, daß es m e h r e r e Erkenntnisquellen des Rechtes gibt: das Gesetz und die Rechtsquelle, die im Abs. 3 des § 345 behandelt wird. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Es ist daran Anstoß genommen worden, daß ich von der ausdehnenden Gesetzesauslegung gedanklich zur Analogie hinübergeleitet habe. Ich gebe zu, daß begrifflich Analogie ein aliud ist gegenüber der Aus­ legung; aber die Grenze ist in der Praxis doch außerordentlich flüssig. Wie wird der Richter zu Werke gehen? E r wird zunächst versuchen, dadurch, daß er das Gesetz nach S in n und Vernunft auslegt, den Tatbestand darunter zu subsumieren; erst wenn er das nicht kann, wird er überlegen: Kann ich kraft der Bestimmungen über die Analogie zur Bestrafung kommen? Nun gebe ich allerdings zu, daß die Architektur des § 345 leiden würde, wenn man auch die Vorschrift über die Gesetzesauslegung in ihn hin­ einpressen würde. Dies Bedenken könnte beseitigt werden, wenn die Auslegungsregel irgendwie in dem Grundsätzlichen Teil vorweg gebracht werden könnte. Professor Dr. MeMr: Heute verwerfen wir den Gedanken des: nulla poena sine lege. Heute haben wir ein im Volke lebendiges nationalsozialistisches Recht, von dem das

Gesetz einen Teil zu formulieren versucht, der aber nie das Ganze sein kann. Die sogenannte Analogie ist nichts, das dem Gesetz entgegengesetzt wäre, sondern nur eine weitere Stufe in dem Gesamtbau des Rechts, wie es im Volke lebt und von der Führung gestaltet wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann weiß ich nicht, wie wir ein Strafgesetzbuch machen wollen! D as ist alles ganz hübsch in einer philosophischen Vorlesung; aber wir dürfen uns nicht scheuen zu sagen: Wenn du dem Befehl des Gesetz­ gebers zuwiderhandelst, dann tust du Unrecht und wirst bestraft. W ir könnten ja auch sagen: D as lebendige Recht verdient den Vorzug vor dem toten Buchstaben. Aber, meine Herren, der „tote Buch­ stabe" darf in keinem Gesetzbuch auftauchen; denn dann diskriminieren wir den Befehl des Gesetzgebers selber. W ir müssen davon ausgehen, daß der Gesetz­ geber aus derselben Quelle schöpft wie der Richter. Die Gesetzgebung ist doch kein Spiel mit Formen, sondern will dasselbe Prinzip der Gerechtigkeit ver­ wirklichen. Deshalb möchte ich nicht jemand daran gewöhnen, daß er in erster Linie fragt: W as hast du in dem Gesetz gesagt? und dann in zweiter Linie: W as hast du gewollt? Wenn man Ih re Linie bis zur letzten Konsequenz weiter verfolgte, Herr Professor Mezger, müßte man den Grundsatz „Du wirst be­ straft, wenn du dem gesetzgeberischen Befehl zuwider­ handelst" ganz fallen lassen. Professor Dr. M e M r: M it den Worten: „Die Bestrafung erfolgt auf Grund des Gesetzes als Richtlinie nach dem zugrunde liegenden Rechtsgedanken und nach der gesunden Volksanschauung", scheint mir alles Wesentliche ge­ sagt zu sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es erscheint mir unmöglich, das Gesetz von vorn­ herein als Richtlinie anzusehen. I n meinen Augen ist es geradezu eine Respektlosigkeit vor der Fähigkeit und dem Willen des Gesetzgebers, das Gesetz lediglich als Richtlinie aufzufassen. Ich wenigstens würde es mir als Justizminister verbitten, wenn jemand einen klaren Gesetzesbesehl lediglich als eine Ausdrucksform, als eine Richtlinie ansehen würde. Staatssekretär D r. Freisler: Ich bin bei meinen gestrigen Ausführungen zu dieser Frage mißverstanden worden. Ich habe nicht von zwei Rechtsquellen, nämlich dem Gesetz und dem Recht, sprechen wollen, sondern von zwei Rechtse r k e n n t n i s q u e l l e n im Abs. 2 und im Abs.3 des § 345. D as Gesetz ist die äußere und praktisch auch regelmäßige Erkenntnisquelle des Rechts. Nun gibt es aber Fälle, wo das Gesetz nicht die unmittelbare Erkenntnisquelle ist. Hier sind als Erkenntnis­ quellen heranzuziehen ein Rechtsgedanke, der im Gesetz irgendwo zum Ausdruck kommt, und ferner die gesunde Volksanschauung, die in einem bestimmten F all eben eine Bestrafung verlangt.

Zu dieser Rechtserkenntnisquelle der gesunden Volksanschauung, die eine ganz neue Erkenntnis­ quelle ist, sind w ir im Laufe unserer Diskussion über die Analogie gekommen. Die Analogie ist, genau besehen, nichts anderes als eine Krücke, die uns ge­ holfen hat, den Weg zur Volksanschauung zu finden. Von diesem Standpunkt aus, der von den Herren Professoren Klee und Mezger geteilt wird, ist die Analogie nicht eine Erweiterung der auslegenden Gesetzesanwendung, sondern etwas völlig anderes. S ie ist in einen ganz anderen Rahmen eingespannt und tut einen ganz anderen Dienst. Dies klar aus­ zusprechen scheint mir wichtiger zu sein als eine Anweisung darüber, wie der Richter an das Gesetz heranzugehen hat. M an muß daher die Auslegungs­ bestimmungen, die sich auch nur auf das Gesetz be­ ziehen, getrennt bringen. Prof. D r. Nagler: Ich sehe die Sache wesentlich anders an. Aber unsere Aufgabe hier ist es nicht, zu theoretisieren. Theorien können und werden wir nicht an diesem Tisch entscheiden; sie sind Aufgabe der Wissenschaft, die aus Grund des gesamten wissenschaftlichen M aterials die Entscheidung treffen wird. Wenn ein Gesetz einmal erlassen ist, wenn es die Autorität des Führers hat, dann wird immer zunächst die Gefahr kommen, daß man es überschätzt. Die Analogie wird nur relativ selten zur Anwendung kommen. I m übrigen dürfte § 346 sich überhaupt von selbst erledigen. Hier handelt es sich doch nicht um eine Auslegung allein für das materielle Strafrecht, sondern um eine Auslegung, die w ir für unser ge­ samtes Recht in Anspruch nehmen müssen. Wenn, wie wir hoffen, das neue Strafrecht im Herbst dieses Jah res Gesetz wird, dann wird die allgemeine recht­ liche Entwicklung schon so weit gediehen sein, daß wir offene Türen einrennen würden, wenn wir den Grundgedanken des § 346 noch ausdrücklich formu­ lieren wollten. M an sollte die rein theoretische Frage, wohin die Auslegung gehört, überhaupt zurückstellen. Wenn das Gesetz einmal ergangen sein wird, dann wird der § 346 so selbstverständlich sein, daß wir uns sehr scheuen werden, ihn überhaupt in das Gesetz auf­ zunehmen. W ir streiten uns hier lediglich über die Lozierung, und dieser S tre it ist durchaus unter­ geordneter Natur. Professor D r. Dahm: Meiner -Überzeugung nach ist diese Frage keines­ wegs von untergeordneter, sondern von grundsätz­ licher Bedeutung. Gerade aus den Darlegungen des Staatssekretärs Dr. Freister ergibt sich, daß die Analogiebestimmung hinter § 346 Platz finden muß. Zunächst ist vom Gesetz die Rede, und auf das Gesetz bezieht sich § 346. Die Analogie dagegen ist eine neue Rechtsquelle, die sich vom Gesetz unterscheidet. Daher muß die Bestimmung darüber hinter den Vor­ schriften über das Gesetz stehen.

Professor Dr. Kohlrausch: D arin stimme ich Herrn Staatssekretär Dr. Freister vollkommen zu: wenn wir schon den Schritt über die Bindung an das formelle Gesetz hinaus tun, dann sind wir auf dem Wege, eine neue Rechts­ erkenntnisquelle zu eröffnen. Die erste Rechts­ erkenntnisquelle heißt G e s e t z ; die zweite Rechts­ erkenntnisquelle heißt aber nicht Analogie, sondern V o l k s a n s c h a u u n g . W as beiden zugrundeliegt, ist jenes undefinierbare mystische Etwas, das man „Recht" nennt. D araus ergibt sich allerdings auch die Stellung: die Auslegungsregeln gehören hinter die Regeln darüber, was Recht ist und wie es in die Erscheinung tritt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Gefahr, daß § 346 sich auf die zwei Erkennt­ nisquellen beziehen könnte, besteht nach meinem Gefühl nicht. Bei der Anwendung des Gesetzes ist der W ortlaut der Interpretation zugrunde zu legen. Staatssekretär D r. Freister: M ir scheint es nunmehr unbedenklich zu sein, den § 346 später, aber nicht in unmittelbare Nachbarschaft von § 345 zu bringen. Ein Mißverständnis kann nicht obwalten; denn es heißt ja ausdrücklich: „Ist die T a t nicht ausdrücklich für strafbar erklärt . . . .". Senatspräsident Professor Dr. Klee: M ir scheint es notwendig zu sein, die Aus­ legungsgrundsätze ganz an die Spitze des Gesetzbuchs zu stellen. Denn auch die grundsätzlichen Bestimmun­ gen unterstehen ihnen. Bevor der Richter an das Gesetz herangeht und es auslegt, muß er doch die Prinzipien kennen, nach denen es auszulegen ist. Die Vorschrift gehört nicht in den Vorspruch, wohl aber an den Anfang der grundsätzlichen Bestimmungen, die für das ganze Strafgesetz maßgebend sind. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre also folgender Gedankengang: Der Gesetzgeber sagt zum Richter: Hier hast du ein Gesetz. Bevor ich über dieses Gesetz Näheres sage, will ich dir eine Richtschnur geben, wie du dieses Gesetz anwenden sollst. — Ein solcher Gedankengang läßt sich gewiß auch vertreten. Um die Kontroverse nicht ins Uferlose zerfließen zu lassen, möchte ich an folgendem festhalten: Der Ausbau des § 345 soll sein: Wer Unrecht tut, wird bestraft. Dementsprechend wird bestraft, wer ein Gesetz verletzt. Unabhängig davon wäre § 346 zu formulieren. D ann müssen wir uns darüber ent­ scheiden, ob wir den Weg gehen wollen, den S en ats­ präsident Dr. Klee vorgeschlagen hat, die Schaffung einer Art Vorbemerkung über die Auslegungsgrund­ sätze. D as ist zweifellos volkstümlich und leicht ver­ ständlich. Ich könnte mir aber vorstellen, daß eine neue Reichsverfassung einen solchen Auslegungs­ grundsatz festlegt. Dann braucht er in keinem Einzel­ gesetz mehr zu stehen. Daß der Auslegungsgrundsatz

so bleiben kann wie in der alten Reichsverfassung, -wonach der Richter nur an das Gesetz und an sein Gewissen gebunden ist, das halte ich für ausgeschlossen. Damit können wir dieses Thema verlassen. Wir kommen nunmehr zu der Frage der wahl­ weisen Feststellung. Ministerialdirektor Schäfer: Die Wahlfeststellung wurde in der ersten Lesung nicht erörtert. Die Anregung der Sachbearbeiter entspringt den Arbeiten der Strafprozeßkommission. Bei den Beratungen der Strasprozeßkommission haben wir eine ganze Reihe von Lösungen gefunden. Schließlich haben wir der Fassung den Vorzug ge­ geben, die dahin geht, in das Strafgesetzbuch eine grundsätzliche Bestimmung einzufügen, während er­ gänzende Bestimmungen in der Strafverfahrens­ ordnung vorzusehen sind. Diese Ergänzungen sind unerläßlich, um die Fassung, die wir für das S tra f­ gesetzbuch vorgeschlagen haben, voll Überblicken zu können. Ich darf sie darum näher erläutern. Zunächst haben wir uns die Frage vorgelegt, die übrigens auch Professor Dr. Dahm gestern ange­ schnitten hat: Ist überhaupt eine gesetzliche Regelung der Wahlfeststellung nötig, oder soll man die Praxis weiter arbeiten lassen? D as Reichsgericht hat in einer Plenarentscheidung festgestellt, das Gesetz enthalte in diesem Punkt eine offenbare Lücke, die die Rechtsprechung auszufüllen habe. Dieser Ausfüllung sind aber, wie die P lenar­ entscheidung feststellt, bestimmte Grenzen gezogen, die man nicht überschreiten könne. Reichsgerichtsrat Zeiler ist wohl derjenige, der sich am längsten und ausführlichsten mit dem Problem der Wahlfeststellung befaßt hat. E r vertrat bisher den Standpunkt, man könne auch de lege la ta zu einer Lösung kommen. I n einem neuerdings an mich gerichteten Brief hält er es aber für zweifelhaft, ob das Problem de lege la ta befriedigend zu lösen sei, und er würde es begrüßen, wenn man bei der Reform des Strafgesetzbuchs eine befriedigende Lösung fände. Die Strafprozeßkommission und mit ihr die Sach­ bearbeiter haben sich dieser Auffassung angeschlossen. Ausgangspunkt für die Gestaltung der Vorschrift über die Wahlfeststellung wird sein müssen, daß man an der Identität des tatsächlichen Vorgangs auch bei der Wahlfeststellung grundsätzlich festhält. Hiervon ist auch die erwähnte Plenarentscheidung des Reichs­ gerichts ausgegangen. Der Ausgangspunkt ist der heutige § 264 der S tP O . Diese Schranke ist aber nicht so ängstlich zu nehmen. E s ist auch dem S ta a ts­ anwalt freigestellt, verschiedene Anklagen zum Gegen­ stand der Strafverfolgung zu machen. Ferner ist nach der Auffassung des Reichsgerichts, der ich zustimme, daran festzuhalten, daß die Wahlfeststellung nur etwas Subsidiäres, Äußerstes sein dürfe. Denn wenn man in der Zulassung der Wahl­ feststellung zu weitherzig ist, dann entsteht in der Praxis eine gewisse Neigung zur Oberflächlichkeit in

der Tatbestandsfeststellung. M an wird dieses Be­ denken des Reichsgerichts, das auch Professor Dr. Dahm erwähnt hat, nicht unterschätzen dürfen. Dieser Gefahr muß unser Vorschlag vorbeugen. Dies ge­ schieht zweckmäßig durch die ausdrückliche Fest­ stellung im W ortlaut: „ . . . . ohne daß eine eindeutige Tatfeststellung möglich is t. . .". Dies ist eine wesent­ liche Voraussetzung für die Zulassung der Wahlseststellung. Der Gesetzgeber tut aber, glaube ich, gut daran, auch in der Strafprozeßordnung zu unter­ streichen, daß die Wahlfeststellung etwas Subsidiäres ist. Daher müssen die Urteilsgründe bei der Anwen­ dung der Wahlfeststellung ausdrücklich „dartun, warum die eindeutige Feststellung des Sachverhalts nicht möglich ist". Dies schärft das Gewissen des Richters und hält ihn zu sorgfältiger Arbeit an. Der Richter ist gehalten, eine erschöpfende Darstellung der tatsächlichen Feststellungen zu geben, und erst wenn eine eindeutige Feststellung des Sachverhalts nicht möglich ist, zur Wahlfeststellung zu schreiten. Ein zweites Bedenken gegen die Wahlfeststellung liegt in der Gefahr, daß ganz ungleichwertige Taten unter die Wahlfeststellung gebracht werden können. Hier kommen in Frage die vorsätzliche und die fahr­ lässige T at, also beispielsweise der Meineid und der Falscheid; die vorsätzliche und fahrlässige B rand­ stiftung und andere. Staatssekretär Freister hat gestern schon angeregt, Vorkehrungen dagegen zu treffen. W ir haben uns bei den Beratungen der S tra f­ prozeßkommission sehr mit dieser Frage befaßt und sind dabei auf verschiedene Lösungsmöglichkeiten gekommen. Der Vorschlag, auf die Id entität des Rechtsguts abzustellen, ist wenig glücklich, wenn er auch dem praktischen Bedürfnis zu einem wesentlichen Teil Rechnung tragen würde. Reichsgerichtsrat Zeiler erwähnt in seinem Brief an mich, er habe in seiner Sammelmappe etwa 150 Fälle, die ihm während seiner Tätigkeit beim Reichsgericht vorgekommen seien; davon beträfen ungefähr 70 Fälle'Diebstahl oder Hehlerei. Ein größerer Teil der Fälle entfalle aus die Tatbestände Diebstahl oder Unterschlagung, Diebstahl oder Betrug. Im m erhin bleiben, wie Reichsgerichtsrat Zeiler feststellt, wenn man auf die Id en tität des Rechtsguts abstellt, einige nicht un­ wesentliche Fälle übrig, die sich nicht unter diesen Gesichtspunkt einreihen lassen: Abtreibung und Be­ trug, Landesverrat und Betrug. Nehmen wir den F all Abtreibung oder Betrug, der häufiger vorkommen kann. Es steht z. B. fest, daß jemand angegangen worden ist, für 100 RM. einen Eingriff vorzunehmen, daß er auch etwas vorge­ nommen und die 100 RM. dafür bekommen hat. Nun sagt er: „Ich habe nur so getan, als ob ich etwas vornähme, habe aber gar nichts vorgenommen und die 100 R M . genommen", während die Frau, an der das vorgenommen wurde, sagt: „Der Eingriff ist auch vorgenommen worden; da ist der S tift eingeführt worden" und dergleichen. Hat er in Wahrheit den S tift eingeführt und die 100 RM . genommen, dann liegt Abtreibung vor. Hat er den S tift nicht eingeführt und die 100 RM. ge­ nommen, dann liegt Betrug und keine Abtreibung

vor. Hier stehen dann verschiedene Rechtsgüter zur Wahl, und die Strafwürdigkeit liegt auch vor. Oder nehmen wir ein Beispiel mit Landesverrat. E s ver­ langt jemand Geld oder läßt sich Geld, etwa 1000 RM ., für einen verschlossenen Briefumschlag geben, in dem angeblich ein wichtiges Geheimnis darin sein soll; er behauptet: „ I n Wahrheit ist gar nichts darin gewesen". E s läge also kein Landesverrat vor. Die 1000 RM . hat er genommen. Der andere behauptet: „Es ist etwas drin gewesen". E s laßt sich nichts feststellen; dann liegt aus alle Fälle Betrug vor. Auch hier zwei ganz verschiedenartige Rechtsgüter. D as zeigt, ganz abgesehen von den allgemeinen Be­ denken, die gegen die Betonung des Rechtsgutes und die Einführung des Begriffs „Rechtsgut" bestehen, daß diese Lösung jedenfalls zu eng sein würde. Eine andere Lösungsmöglichkeit ist gewesen — und sie deutet auch das Reichsgericht in seiner Plenar­ entscheidung indirekt an — : kann es auch nicht eines der Rechtsgüter sein, die bei den beiden in Betracht kommenden Strafgesetzen in Frage kommen, dann muß es jedenfalls etwas ungefähr Gleichwertiges sein, oder — es ist auch einmal so formuliert worden — es dürfte dann jedenfalls die Wahlfeststellung nicht Platz greisen, wenn ein großes Mißverhältnis zwischen den beiden zur Wahl stehenden Paragraphen besteht. Auch das ist immerhin eine recht unvoll­ kommene Lösung, weil die Frage, was gleichwertig ist und wann das Mißverhältnis besteht, auch recht schwer zu beantworten ist. Die Strafprozeßkommission hat sich klargemacht, daß es gut sein würde, diese besondere Schranke nicht ausdrücklich im Gesetz auszurichten und das Ermessen des Gerichts nicht weiter zu binden, aber indirekt Vorsorge dafür zu treffen, daß nicht gegen den Grund­ satz der materiellen Gerechtigkeit verstoßen wird. Sie ist aus diesem Gedanken heraus zu der Lösung ge­ kommen vorzuschlagen, daß — und das ist etwas ganz Wesentliches, was man nur aus den ergänzenden Vorschriften der Berfahrensordnung entnehmen kann — in der Urteilsformel überhaupt nur von einem Gesetz die Rede sein sollte. Es würde also in der Urteilssormel keine Wahl bestehen, sondern in der Urteilssormel müßte ein bestimmter Paragraph genannt werden, und das könne nur das mildeste Gesetz sein. Die Wahlseststellung wäre dann lediglich in die Urteilsgründe zu verweisen. Schlagwortartig ausgedrückt bedeutet dieses: eindeutige Verurteilung, wahldeutige Feststellung. Dadurch wird von vorn­ herein erreicht, daß die Anprangerung in der Urteils­ sormel nicht zu weit geht, daß sie nicht weiter geht, als es mit der materiellen Gerechtigkeit vereinbar ist. Geht man diesen Weg, dann kann man die Fassung des Gesetzes weiter spannen, dann kann man das Ermessen des Gerichts weiter Platz greifen lassen. E s ist also der Satz des § 2 b: „...........dann kann er aus dem mildesten der in Betracht kommenden Strafgesetze verurteilt werden" zu lesen: die Verur­ teilung in der Urteilsformel erfolgt nur aus diesem Gesetz, nämlich dem mildesten Gesetz. Die Ergänzung ist wiederum aus der Vorschrift der Verfahrensord­ nung zu entnehmen; dort heißt es: wird die wahl­

deutige Feststellung bejaht, dann ist der Angeklagte in der Formel des Urteils nur der Verletzung der anzuwendenden Strafgesetze schuldig zu sprechen; die Urteilsgründe müssen die als verletzt in Betracht kommenden Strafgesetze bezeichnen. Zwar liegt auch in den Urteilsgründen eine gewisse Anprangerung; sie ist aber viel geringer als in der Urteilssormel. D as hat zugleich den großen Vorzug, daß diese Formel ganz klar für die P raxis ist, z. B. insofern, als in das Strafregister auch nur dieses eine wirklich an­ gewandte Gesetz hineinkommt. M it dem Wunsche zu verhüten, daß in Fällen, in denen es nicht angebracht ist, von der Wahlseststellung Gebrauch gemacht wird, hängt weiter zusammen das Wort „kann", das sowohl von Herrn Staatssekretär Freister als auch von Herrn Professor Dahin an­ gefochten worden ist, das, wenn ich recht verstanden habe, auch bei dem Herrn Minister Bedenken aus­ gelöst hat. Dieses Wort „kann" ist nur aus dem Wunsche entstanden, den Richter nicht zu einer wahldeutigen Feststellung in völlig ungleichwertigen Fällen zu zwingen. E s schwebte uns da insbesondere auch die, wie uns schien, noch nicht ganz geklärte Frage der Praxis vor, in welchem Umfange, wenn Vorsatz oder Fahrlässigkeit in Frage stehe, von der wahldeutigen Feststellung Gebrauch gemacht werden müsse. W ir wollten, indem w ir das Wort „kann" hier einfügten, dem richterlichen Ermessen stärker Raum geben, sind aber aus der anderen Seite gar nicht besorgt, daß dieses Wort „kann" eine starke Abschwächung in dem Sinne sei, daß dann der Richter zu wenig Gebrauch von der Wahlseststellung mache; denn wir glaubten, daß es hier zunächst nach den Erfahrungen der bisherigen P raxis nur daraus an­ komme, die Bahn frei zu machen für die Möglichkeit der Wahlfeststellung, also die gesetzliche Schranke, die die Gerichte bisher als ausgerichtet betrachten, nieder­ zulegen. Die Natur der Sache wird ganz von selbst dazu drängen, von dieser Wahlfeststellung einen möglichst weiten Gebrauch zu machen; wir glauben, daß also praktisch das Wort „kann" für die Anwendung der Wahlfeststellung kaum weniger bedeute als ein „soll" oder „muß", aber immerhin eine größere Beweglichkeit für die nicht passenden Fälle offen, lasse. W ir haben auf der anderen Seite geglaubt, einen Akzent nach der Richtung der möglichsten Anwendung der Wahlseststellung trotz eines bloßen „kann" wiederum durch eine ergänzende Bestimmung der Strafverfahrensordnung zu schaffen, die vorschreibt: Steht fest, daß jemand gegen eines von mehreren Strafgesetzen verstoßen hat, so hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob eine Wahlseststellung zu treffen ist, um den Täter der notwendigen Sühne zuzuführen und so der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen. D as gibt die Richtlinie an, und ich glaube, es ist auch ganz an­ gezeigt, hier von der materiellen Gerechtigkeit, der durch die Ausfüllung der Lücke des bisherigen Rechts zum Siege verholfen werden soll, zu sprechen und sie im Gesetz besonders hervorzuheben. Der P a ra ­ graph hatte in der Verfahrensordnung und in der Novelle, von der die Rede war, die Überschrift: „Ver-

Hütung ungerechter Freisprechungen durch Zulassung der Wahlseststellung". S o sind wir also zu unserem Lösungsvorschlag gekommen, der, wie gesagt, voll ver­ ständlich erst durch die ergänzenden Bestimmungen der Strasversahrensordnung wird. Nun darf ich auf die Frage zurückkommen: Is t die Lösung im Rahmen des materiellen Rechts an­ gezeigt oder im Rahmen des Verfahrensrechts? Ich glaube, der wichtigste Satz gehört in das materielle Recht hinein; denn dieser Satz besagt schon etwas über das anzuwendende Strafgesetz. Wenn aber davon die Rede ist, welches Strafgesetz angewendet werden muß, handelt es sich um eine Bestimmung des materiellen Rechts. Deswegen schlägt die S tra f­ prozeßkommission vor, diesen Hairptsatz, diesen wichtigen Satz in das materielle Recht aufzunehmen. Wenn ich ein Bild der bisherigen Rechtslehre ge­ brauchen darf, so ist es gewissermaßen so, daß zu den Fällen der Jdealkonkurrenz und der Realkonkurrenz hier nun ein Fall der alternativen Konkurrenz hin­ zutritt, ohne daß ich damit diesem Ausdruck im übrigen das Wort reden wollte. Aber die Ergänzung ist dann, wie wir vorgeschlagen haben, bei der Prozeßordnung zu schassen. Es bleiben mir nur noch zwei kleine Fragen übrig. Zuerst möchte ich auf die Frage eingehen: Ist es richtig, hier mit dem Vorschlag der Sachbearbeiter und mit dem Vorschlag der Strasprozeßkommission von dem „mildesten Gesetz" zu sprechen oder, wie der Herr Staatssekretär Freister wollte, von dem „pasiendsten Gesetz"? (Senatsprästdent Professor Dr. Klee: Von dem „gerechtesten Gesetz"!) — Oder von dem „gerechtesten Gesetz"; das kommt auch daraus hinaus. Ich möchte glauben, daß hier die Frage anders liegt als bei der gestern behandelten Frage der Analogie. Hier ist es allerdings mit dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit nt. E. nur ver­ einbar, das mildeste Gesetz anzuwenden; denn nur für das mildeste Gesetz liegt voll das Schuldig vor, mehr nicht. Ich darf endlich auf den Fall zurückkommen, den Herr Staatssekretär Freister auch zum Gegenstände der Erörterung und zum Gegenstände eines be­ sonderen Antrages gemacht hat. E r wünschte einen Abs. 2 einzufügen, und er dachte dabei an den Fall, daß jedenfalls einer von mehreren historischen Vor­ gängen das Strafgesetz erfüllt hat. Ich möchte glauben, daß auch in diesem Falle ein Bedürfnis nach Bestrafung vorliegt. Ich bin auch der Ansicht, daß durch die Fassung, wie sie vorgeschlagen ist, eine Wahlseststellung nicht ausgeschlossen ist, obwohl ich vorangeschickt habe, daß wir bei der Formulierung davon ausgegangen sind, daß Id en tität des histo­ rischen Vorganges vorliegen müsse. Aber ich meine, es steht nichts im Wege, daß der S taatsanw alt diese beiden historischen Vorgänge zum Gegenstände der Anklage macht, und dann liegt auch die Voraus­ setzung des § 264 S tP O , noch vor. Auch die Fassung des ersten Absatzes des § 2b ermöglicht die An­

wendung der Wahlseststellung. Ich möchte aber weiter glauben, daß man, selbst wenn das nicht so zweifels­ frei sein sollte, jedenfalls mit der analogen Anwen­ dung des Paragraphen doch sicherlich zu dem Ergeb­ nis kommen könnte zu bestrafen. Ich möchte weiter glauben, daß diese Fälle praktisch ganz selten sein werden. Darum würde ich, obwohl ich sachlich mit der Regelung übereinstimme, es vorziehen, den Paragraphen nicht durch diesen zweiten Absatz zu komplizieren. Ich möchte empfehlen, die Praxis ab­ zuwarten und darauf zu vertrauen, daß die P raxis auch ohne eine derartige Bestimmung fertig werden wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte vorschlagen, in der Aussprache vor­ läufig diesen zweiten Absatz ganz wegzulassen. Es handelt sich da im wesentlichen um den F all der zwei kontradiktorischen Meineide. Ich darf bitten, diese Frage zunächst zurückzustellen; denn schon aus dem ersten Teil des Paragraphen ergibt sich eine ganze Reihe von Fragen, die ich nicht für sehr einfach halte. Ich selber bin vom Standpunkt des S ta a ts­ anwalts aus der Meinung, daß auch das geltende Recht die Bestrafung eines Menschen, der zwei kontra­ diktorische Meineide geschworen hat, durchaus ermög­ licht. Ob das etwa in einem einfacheren Verfahren möglich wäre, als es jetzt besteht, ist eine andere Frage. Aber den S taatsanw alt möchte ich sehen, der, wenn er einen Täter vor sich hat, der einmal J a und einmal Nein geschworen hat, der zurechnungsfähig ist, bei dem alles in Ordnung ist, nicht die Verurtei­ lung wegen Meineides fertig brächte! Nun würde ich also vorschlagen, zum Gegenstand der wahlweisen Feststellung das Hauptproblem zu erörtern. Ich sehe die Sache folgendermaßen an: Die wahlweise Feststellung ist ein Gedanke, der ent­ sprungen ist aus einer gewissen Mangelhaftigkeit der Erkenntnis eines Tatbestandes. Wenn wir die All­ wissenheit Gottes besäßen, würden w ir a u f , den Gedanken einer wahlweisen Feststellung niemals ab­ gekommen sein, weil wir ja dann wüßten, was der Betreffende getan hat. Der zweite Gedanke ist folgender: E s sträubt sich alles in uns, wenn wir die felsenfeste Überzeugung haben, daß der Brillantring, der im Aschenhaufen in der Kaschemme gesunden wurde, nicht aus rechte Weise dahin gekommen sein kann, deswegen nun freizusprechen, weil wir nicht in der Lage sind fest­ zustellen, mit welcher Handlung er dorthin gekommen ist. 5Mer ist der Gedanke der materiellen Gerechtigkeit richtunggebend. Nach der anderen Seite sehe ich aber auch eine gewisse Gefahr; nämlich die andere Grenze ist die, daß wir nicht ganz allmählich in die Verdachts­ strafe hineinschlittern. W ir haben ja in den Besonderen Teil ein paar sehr weitgespannte Be­ stimmungen hineingenommen — übrigens eine schon in eine frühere Novelle; ich erinnere an den Besitz des Diebeswerkzeuges — ; das ist die Linie, hinter der die reinen Verdachtsstrafen beginnen. Letztere

kann man mit der wahlweisen Feststellung nicht wollen. Diese beiden Dinge sind es, innerhalb deren sich das Problem meiner Ansicht nach abzuspielen hat. Professor Dr. Kohlrausch: Ich schließe mich den Ausführungen des Herrn Ministerialdirektor Schäfer an. Die Lage ist ja die, daß der Richter hier die Wahl hat zwischen einer unsachgemäßen Freisprechung und einer unehrlichen Feststellung, und daß er aus diesem Dilemma erlöst werden muß. Ich möchte darauf hinweisen, daß dieses Problem entstanden ist durch die frühere schwur­ gerichtliche Fragestellung, und daß das Reichsgericht damals schon die unglaublichsten Alternativsragen zugelassen hat. M it ihnen war schon jede Barriere eingerissen. Und die Frage kann nur die sein: Geht es auch ohne gesetzliche Bestimmung oder brauchen wir eine solche? Da bin ich allerdings der Meinung, daß ein gesetzliches Eingreifen gut wäre, um das Gericht auf einen Mittelweg zwischen allzu großer Ängstlichkeit und allzu laxen Feststellungen zu weisen. Herr Staatssekretär Freister hat zutreffend zwei Fallgruppen unterschieden. Dem kann durch eine kleine Änderung des W ortlautes der Herren Sach­ bearbeiter Rechnung getragen werden. Denn daß ihr Vorschlag eine Lücke enthält, glaube ich allerdings. W as die eine Gruppe betrifft, die der Vorschlag der Sachbearbeiter regeln will, so hat Herr Kollege Dahm die Frage richtig dahin gestellt: Wie weit müssen wir im Rahmen einer einheitlichen „T at" bleiben? Ich glaube, so weit, wie es der § 264 der S tP O , im Auge hat, der sich bekanntlich hier mit der Einheit des historischen Faktums im weitesten Sinne begnügt. D ann entstehen keine Zweifel in dem üblichen Fall der Alternativität zwischen Diebstahl und Hehlerei. Aber ich erwähne zwei andere Fälle, wo die Zweifel doch groß werden. Der eine Fall betrisft die Alter­ nativität zwischen Begehung eines Verbrechens oder Nichtanzeige dieses Verbrechens. D as Reichsgericht nimmt hier Identität der T at im Sinne des § 264 an. Ein M ann war angeklagt wegen Mordes, seine F rau, weil sie vom geplanten Mord gewußt, aber keine Anzeige gemacht habe. Der M ann wurde frei­ gesprochen, infolgedessen natürlich auch die F rau aus § 139. D as Urteil wurde rechtskräftig. E s stellte sich später heraus, daß die F rau den Mord begangen hatte. D as Reichsgericht hat eine Verurteilung der F rau wegen Mordes für unzulässig erklärt, denn über ihre Beteiligung an jenem Mord im weitesten S inne sei rechtskräftig entschieden. Ob das Urteil glücklich war, ist eine Frage für sich. Wenn wir es aber auf die ^m ge, die uns heute beschäftigt, über­ tragen, so kann jemand verurteilt werden mit der Feststellung, daß er entweder den Mord begangen hat oder doch von dem Vorhaben des Mordes gewußt, dieses Vorhaben aber nicht angezeigt hat. D as mag allenfalls noch angehen. Es gibt aber andere Fälle, in denen ein logisches Alternativitätsverhältnis besteht, aber so, daß die beiden Alter­ nativen ganz verschiedene Taten — nicht nur im

juristischen, sondern auch im faktischen, im „histo­ rischen" Sinne — betreffen. Nehmen wir an, ein Mädchen erzählt einer Freundin, es habe mit seinem Vater geschlechtlich verkehrt. Die Freundin erzählt es weiter. Hätte die Tochter es getan, dann wäre sie strafbar wegen Blutschande. Hätte sie es nicht getan, dann wegen Verleumdung des Vaters. Logisch ist das zwingend. Darf man sie aber mit einer Wahl­ feststellung verurteilen? Nach den uns vorgeschlagenen Fassungen wäre es geboten. Ich halte es für unzu­ lässig. Beteiligung an einer bestimmten „Tat", wenn auch im weitesten Sinne, muß die Voraussetzung der Wahlfeststellung und der Verurteilung sein. Sonst verliert die Strafe ihren S inn. Ein zweites Bedenken ist von Herrn S ta a ts­ sekretär Freister berührt worden durch seinen Hin­ weis aus die beiden alternativen Meineide. Auch dies Bedenken ist berechtigt. E s besteht zur Zeit dem § 73 gegenüber für den F all der gleichartigen Jdealkonkurrenz. Beide Bedenken lassen sich durch folgende Fassung beseitigen: Steht fest, daß jemand durch eine T at gegen eines von mehreren Strafgesetzen oder daß er durch eine von mehreren Handlungen gegen ein bestimmtes Strafgesetz verstoßen hat . . . . . Was das Wörtchen „kann" anbelangt, so halte ich es für richtig. E s ist ja nicht im Sinne der Opportunität im Gegensatz zur Legalität gemeint, sondern es wird dem Richter eine Ermächtigung gegeben, die ohne dies Gesetz nicht bestände. Es ist ähnlich wie das Wort „kann" im § 4 des Strafgesetz­ buches. Senatspräsident Professor D r. Klee: Ich weiche von den Herren Vorrednern insofern ab, als ich die Schranken, die für die wahldeutige Feststellung verlangt werden, nicht für erforderlich und auch nicht für sachlich gerechtfertigt halte. Zunächst kann kein Zweifel sein, daß der wahldeutigen Fest­ stellung Raum gegeben werden muß. Wie ist es denn heute? Die Richter, die sich nicht darüber einigen können, ob Diebstahl oder Hehlerei vorliegt, müßten eigentlich, wenn sich keine M ajorität für das eine oder andere findet, freisprechen. D as tun sie aber vernünftigerweise nicht; es findet sich in der Regel einer vom Kollegium, der aus die andere Seite über­ geht, um dieses Ergebnis auszuschließen. Es wird dann eben einfach Hehlerei festgestellt. Das ist eine bewußte Verdachtsstrafe. Dieser Zustand muß im Interesse der materiellen Gerechtigkeit beseitigt werden. Ich möchte von vornherein jeden Gedanken an eine Verdachtsstrafe bei der Wahlseststellung aus­ schließen. Es handelt sich nicht um eine Verdachts­ strafe, wenn ich feststelle, daß jemand entweder die eine oder die andere T at begangen hat. Ich stelle viel­ mehr als sicher fest, daß der Beschuldigte sich über­ haupt strafbar gemacht hat; ich kann nur nicht sicher feststellen, unter welchem Gesichtspunkte. S trafbar muß er auf alle Fälle sein, weil es außerordentlich unbefriedigend wäre, den M ann nur deshalb frei-

zulassen, weil man nicht weiß, unter welchen P a ra ­ graphen seine T at zu subsumieren ist. Die vorge­ schlagene Voraussetzung, daß jedenfalls dieselbe „Tat" nach § 264 S tP O , im Sinne desselben geschichtlichen Vorkommnisses vorliegen müsse, wie das z. B. im Verhältnis von Diebstahl und Hehlerei zutrifft, würde nt. E. der Rechtsprechung unnötige Fesseln anlegen. Herr Ministerialdirektor Schäfer hat weiter auf die ergänzende Bestimmung im Entwurf der neuen Strafverfahrensordnung hingewiesen, wonach im Interesse der Verhütung ungerechter Freisprechung der Richter von Amts wegen zu prüfen hat, ob eine wahldeutige Feststellung möglich ist; er soll aber nach dem materiellen Strafrecht nicht gezwungen sein, diese Feststellung zu treffen. M it Herrn Staatssekretär Freister bin ich der Ansicht, daß das Wort „kann" in § 345a des Antrages der Sachbearbeiter durch „ist" zu ersetzen ist. Ich kann mir bei unbeschränkter Zulassung der Wahlfeststellung keinen F all vorstellen, in dem die wahlweise Feststellung mit dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit nicht im Einklang stünde. I n dem Fall des Herrn Professors Kohlrausch (Blutschande oder Beleidigung?) würde ich es mit dem Postulat der Gerechtigkeit nicht für vereinbar halten, das Mädchen ganz frei ausgehen zu lassen. Entweder hat sie den Vater verleumdet oder sie hat Blutschande getrieben. Daß hier Tatidentität im Sinne des § 264 S tP O , nicht vorliegt, kann nicht maßgebend sein. Ein anderer Fall, in dem nt. E. gleichfalls ein Strafbedürfnis besteht: Ein Mädchen sagt zu ihrem Liebhaber, sie sei schwanger, er solle ihr 100 RM . geben, damit sie sich die Frucht abtreiben lassen könne. Es läßt sich nun nicht feststellen, ob sie abgetrieben hat oder ob sie nicht schwanger war und bloß das Geld hat erlisten wollen, also betrogen hat. D as Mädchen erscheint strafbar, mögen auch die beiden Akte zeitlich und räumlich vollkommen ausein­ anderfallen; Tatidentität im Sinne des § 264 liegt auch bei weitester Auslegung dieses Begriffs kaum vor. Ich darf noch daraus hinweisen, daß nach der Prozeßordnung auch die Möglichkeit besteht, den T äter wegen einer anderen Tat, als deretwegen er angeklagt ist, abzuurteilen. Nach dem Entwurf wird sogar nicht mehr vorausgesetzt, daß der Beschuldigte zustimmt. Von dieser Basis aus wird es uns leichter sein, die Wahlfeststellung in weitestem Umfange zu­ zulassen. Nun will der Entwurf der Strafverfahrens­ ordnung zwischen dem Tenor und den Gründen einen Unterschied machen. I m Tenor soll nämlich nur e i n Strafgesetz, aus dem sich der Angeklagte schuldig gemacht hat, genannt werden, in den Gründen können dagegen vielleicht drei bis vier Tatbestände als möglich aufgeführt werden. Ich würde es nicht für richtig halten, diese Unterscheidung zu machen und den Tenor so zu gestalten, daß der T äter wegen Verstoßes gegen ein bestimmtes, und zwar das mildeste Gesetz bestraft wird. D as würde eine Un­ wahrhaftigkeit sein. Der Richter hat in den Gründen nicht festgestellt, daß der Täter unbedingt bloß dieses mildeste Gesetz verletzt hat, sondern er hat nur fest­

stellen können, daß der Angeklagte entweder dieses oder jenes Delikt begangen hat. Ein M ann ist z. B. wegen vorsätzlicher Brandstiftung angeklagt. D as Verbrechen kann ihm nicht nachgewiesen werden. Daß auf sein Verhalten der Brand zurückzuführen ist, steht fest. Heute würde der Angeklagte in solchem Fall mangels genügenden Beweises des Vorsatzes nur wegen Fahrlässigkeit verurteilt werden, obwohl das eigentlich nicht angeht; denn man kann nicht positiv feststellen, daß der Täter bloß fahrlässig gehandelt hat, er kann ebenso gut vorsätzlich gehandelt haben. M an wählt diesen Weg aber in der Praxis, um nicht zum völligen Freispruch zu gelangen. Würde man nach dem Vorschlage der neuen Strafprozeßordnung in den Tenor hineinschreiben: der M ann wird wegen fahrlässiger Brandstiftung bestraft, so würde man also von der jetzigen Praxis, soweit der Tenor in Frage kommt, in keiner Weise abweichen. Es bliebe also bei der Verdachtsstrafe. Ein Ausweg könnte vielleicht dadurch eröffnet werden, daß man in solchem Falle einfach wegen Brandstiftung bestraft und es dahin­ gestellt läßt, ob wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Brandstiftung. Ich bin ja als Richter gar nicht gezwungen, mich im Tenor ganz genau auszudrücken. Bei den Gründen ist es allerdings anders. W ir können daher den Tenor in gewisser Weise neutral halten. (Ministerialdirektor Schäfer: Abtreibung und Betrug!) Hier ist der Tenor natürlich schwerer zu fassen. Ich wäre dann dafür zu verurteilen „wegen Abtreibung oder Betruges". (Staatssekretär Dr. Freister: Rückfall!) Dann würde ich sagen: wegen Abtreibung oder Be­ truges im Rückfall. (Staatssekretär Dr. Freister: D as nächste M al kommt der Rückfall!) Dann kann ich den Rückfall das nächste Mal eben nicht feststellen, weil ich dieses M al nicht bestimmt habe feststellen können, ob die Angeklagte Abtreibung oder Betrug begangen hat. Was nun die auszuwer­ fende Strafe betrifft, so glaube ich allerdings auch, daß man nur zur Strafe aus dem mildesten der in Betracht kommenden Strafgesetze wird kommen können. M an kann nicht die Abtreibungsstrafe ver­ hängen, wenn möglicherweise nur Betrug vorliegt. Ich bin im übrigen mit Herrn Ministerialdirektor Schäfer der Meinung, daß die Wahlfeststellung auch im materiellen Recht zu regeln ist. Auch § 73 S tG B , ist ein Gesetz, das sich darüber ausläßt, welches S tra f­ gesetz der Richter anzuwenden hat. Genau so verhält es sich auch im Falle der Wahlfeststellung. Den F all des Staatssekretärs Freister mit den sich entgegen­ stehenden Eiden würde ich so lösen wie Herr P ro ­ fessor Kohlrausch. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte bitten, beim weiteren Meinungsaus­ tausch den Fall ins Auge zu fassen: Soll wirklich

müssen wir aber unter allen Umständen vom Richter verlangen, daß er sich prüft, ob er nicht zu einer be­ stimmten Feststellung gelangen kann. Kann er das wirklich nicht, so kann der Täter nicht wegen einer möglicherweise vorsätzlich begangenen Handlung be­ straft werden. Dann kommt nur Bestrafung wegen Fahrlässigkeit in Frage, auch auf die Gefahr hin, daß der Täter nicht ganz gerecht getroffen ist. Diese Gefahr lausen wir immer; denn es wird auch ungerechte Freisprüche geben; das liegt im Mangel der Erkennt­ nis des Menschen. Bei der Wahlfeststellung handelt es sich um etwas anderes, nämlich darum, daß der Rich­ ter klar erkannt hat: der Täter hat eine strafbare Handlung begangen, und zwar stehen die strafbaren Handlungen in einem Ausschlußverhältnis zueinander in der Weise, daß nur die eine oder die andere Staatssekretär Dr. Freister: Handlung begangen sein kann, jedoch nicht in dem M . E. ist das Problem weder in den Anträgen Sinne, daß der Schuldgrad die Differenzierung be­ der Abteilung noch in meinem Antrage voll erfaßt deutet. Ich meine deshalb, daß bei einer Wahlfeststel­ und behandelt. Der Antrag der Abteilung erfaßt lung, die wir gesetzlich zulasten, ein Richter niemals, überhaupt nicht den zweiten Absatz meines Antrages. auch wenn wir nichts darüber sagen, auf den Ge­ Ich bin aber auch der Meinung, daß mein Antrag, danken kommen würde, jemanden wegen einer Tötung der das Problem zwar erfaßt, nicht allem Rechnung zu verurteilen und in den Gründen zu sagen: ob der trägt. Sie, Herr Minister, sagten gestern unter all­ Täter vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, habe seitiger Zustimmung, daß w ir so etwas wie eine be­ ich nicht feststellen können, ich habe ihn deshalb unter stimmte Ebene für die verschiedenen Möglichkeiten, Anwendung des mildesten Gesetzes wegen fahrlässiger deren eine sicher Wirklichkeit gewesen ist, ohne daß Tötung verurteilt. Ich glaube nicht, daß irgendein wir sie feststellen können, im Gesetz festlegen müssen. Richter zu diesem Ergebnis gelangen würde, daß es Nun glaube ich nicht, daß wir das im Anschluß an ihm auch nur in den S in n kommen würde, sondern er irgendwelche Rechtsgüter tun könnten, nicht nur des­ würde sagen: es spricht vieles dafür, daß der Täter halb, weil wir die Rechtsgüter an sich in diesem vorsätzlich gehandelt hat, ohne daß aber eine dahin­ Sinne nicht kennen, sondern auch, weil das gar nicht gehende Feststellung getroffen werden kann; grobe den Kern treffen würde. W ir müssen aber der Mög­ Fahrlässigkeit liegt aber sicher vor, der Täter wird lichkeit Rechnung tragen, daß die Taten, die allein deshalb wegen fahrlässiger Tötung bestraft. möglich gewesen sind, ihrer Art und ihrer gesetz­ Nun könnte man aber sagen, daß gegen die Zu­ lichen Bewertung nach ganz verschiedenartig waren. D as ist der Fall bei der Abtreibung und dem Betrüge. lassung der Wahlfeststellung überhaupt erhebliche Be­ D a ist es schlechterdings nicht möglich, mit irgend­ denken bestehen. Die Bedenken, die das Plenum des einem Rechtsgut zu kommen, auch nicht möglich, von Reichsgerichts gehegt hat, ohne bezeichnenderweise in einer Gleich- oder Verschiedenartigkeit zu sprechen; dem einen Fall, in dem das Bedürfnis dringend war, denn diese kann man nicht einfach aus der Verschieden­ aus den Bedenken die Folgerungen zu ziehen und auch heit des Strafrahm ens, den der Gesetzgeber vor­ in diesem einen Falle die wahlweise Feststellung nicht gesehen hat, entnehmen, zumal der Strafrahm en nicht zuzulassen, sind auch hier zutage getreten. E s handelt eine Art von Wertskala darstellen soll. Da handelt sich um das Bedenken, daß das Gewicht der geistigen es sich eben um eine absolute Verschiedenartigkeit. Arbeit des Richters geringer sei, wenn man ihm die Trotzdem besteht die Notwendigkeit, daß ein solcher Wahlfeststellung erlaube, und daß darin besondere Ge­ F all bestraft wird, und zwar gerecht bestraft wird. fahren lägen, insbesondere die, daß die Wahlfest­ Ich glaube fast, daß mein Vorschlag, davor: zu stellung eine Feststellung sei, die sich im Negativen er­ sprechen, daß der Täter aus dem ihn gerecht treffen­ schöpfe, und weiter die Gefahr, daß der Grad einer den Gesetz zu bestrafen ist, nicht nur der inneren Täuschungsmöglichkeit zugunsten des Angeklagten da­ Abneigung gegen die G arantie der Milde entsprungen durch in schwer erträglicher Weise erhöht werde, und ist, sondern einer unklaren, aber doch wichtigen Vor­ drittens aus dem allem folgend, daß dieses Urteil stellung, daß man im Gesetz nicht von einer am nicht die genügende Autorität genieße. M ir scheint, gerechtesten treffenden Strafe sprechen darf; denn daß mancher Wunsch, noch besondere Sicherungen die Gerechtigkeit ist nur gerecht, wenn sie einer S tei­ einzubauen, der Vorstellung entspringt, diese Be­ gerung nicht fähig ist. Wenn man die Vorstellung hat, denken seien durchschlagend. Nun ist nach meiner An­ daß ein Einbau nötig ist, der immer etwas wie eine sicht aber kein einziges dieser Bedenken durchschla­ Gleichwertigkeit garantiert, so scheint mir der An­ gend. Es ist nicht richtig, daß die geistige Arbeit des haltspunkt für diese Vorstellung darin zu liegen, daß Richters geringer ist; sie ist vielmehr ganz genau die­ man z. B. daran denkt, es sei doch unmöglich, je­ selbe, und sowohl der Entwurf der Abteilung wie auch manden wahlweise zu bestrafen, wenn man nicht weiß, mein Entwurf wollen das auch gesetzlich festlegen. Ich ob er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Hier verstehe nicht, wie man sagen kann, die geistige

zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit bei der gleichen T at eine wahlweise Feststellung ermöglicht werden? D aran hatte ich eigentlich nicht gedacht. W ir erleben es, daß in den Urteilsgründen, wenn es sich um Mord oder Totschlag handelt, gesagt wird: Die T at grenzt nahe an Mord, nur hat das Gericht die Überlegung nicht einwandfrei feststellen können und nimmt des­ halb nur Totschlag an. Ich bitte, bei der weiteren Aussprache diesen Punkt ins Auge zu fassen, ob diese Gesetzesbestimmung überhaupt eine wahlweise Fest­ stellung zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Tötung gestatten soll. D as halte ich für außerordentlich bedenklich. Die Frage, ob jemand den Tod gewollt hat oder ob er ihn aus Vernachlässigung herbeigeführt hat, kann man doch nicht wahlweise feststellen.

Arbeit sei geringer. Richtig ist nur, daß der Kreis der festgestellten Tatsachen größer ist, insofern, als es sich um zwei oder sogar um drei Tatsachen handelt, deren jede als möglicherweise begangen festgestellt wird und bezüglich deren ausdrücklich festgestellt wird, daß andere Möglichkeiten nicht bestehen. Damit ist auch gleichzeitig der zweite Einwand widerlegt. Es ist nicht richtig, daß diese Wahlseststellung sich im Negativen erschöpft. D as Positive ist das erste und die Voraussetzung, das Negative kommt nur hinzu. Das ist übrigens nicht etwas besonders Neues, denn auch sonst muß der Richter jedesmal feststellen, ob nicht noch andere Möglichkeiten bestehen, nur daß das bei der Feststellung der Dinge an sich ohne weiteres mit­ geschieht. Deshalb bin ich auch nicht der Meinung, daß die Täuschungsmöglichkeit damit irgendwie er­ höht wird, wenn man nur den Richter besonders darauf stößt, das zu tun, was er auch sonst tun muß, nämlich festzustellen und zu begründen, daß eine vierte, fünfte und sechste Möglichkeit nicht gegeben ist. Was die Autorität des Urteils betrifft, so beruht diese gar nicht darauf, daß ganz klar aus den Gründen hervorgeht „der M ann ist Dieb" oder „der M ann ist Hehler"; sondern die Autorität des Urteils beruht lediglich darauf, daß die Allgemeinheit — falls der Angeklagte ehrlich ist, auch er selbst — das Gefühl hat: der M ann ist verurteilt und hat die Strafe, die gegen ihn ausgeworfen ist, verdient. Jedenfalls scheint mir die Autorität eines solchen Urteils in keiner Weise dadurch berührt zu werden, daß in den G rün­ den nun eine Wahlfeststellung getroffen ist. Die Öffentlichkeit würde vielmehr sagen: E s ist ein Skan­ dal, daß ein Gericht in dem F all nicht zur Verurtei­ lung kommt. Und solche Fälle scheinen sich doch häu­ figer zu ereignen. Ich führe folgenden F all aus einem Brief von Herrn Reichsgerichtsrat Zeiler an: Es sind im Jahre 1932 zwei Pferde ins In lan d ge­ schmuggelt worden; man hat sie nicht mehr ermitteln können und weiß nun nicht, ob es Wallache oder Stuten waren. Wenn es Stuten waren, ist es B ann­ bruch, wenn es Wallache waren, ist es kein Bannbruch; diese konnte man einführen, da handelt es sich nur um eine Verletzung der Zollpslicht. Nun hat das Reichsgericht in diesem Fall einen Ausweg gesunden, indem es aus das Viehseuchengesetz abgekommen ist. Aber wenn dieses Gesetz nicht bestanden hätte, wäre es zur Freisprechung gekommen, obwohl diese F rei­ sprechung als offenkundig unberechtigt empfunden worden wäre. W ir stehen also vor der Tatsache, daß solche Möglichkeiten auf den verschiedensten Gebieten auftauchen können, und müssen deswegen dagegen etwas tun, ohne uns durch Bedenken zu sehr ein­ schüchtern zu lassen. W ir müssen auch hier dem Richter ein wenig vertrauen, und ich glaube nicht, daß der Richter der Gefahr unterliegen würde, etwa wahlweise festzustellen, daß Vorsatz oder Fahrlästigkeit vorliege. Nun müssen wir allerdings den Richter zwingen, in dem Urteilsspruch e i n e T at anzugeben, wegen der der betreffende Täter verurteilt wird. Den Ein­ wand, daß darin eine Unehrlichkeit liege, kann ich nicht anerkennen. Dann hätte man diesen Einwand

auch erheben müssen bei der Anwendung außergesetzlicher Erkenntnisquellen, wenn man z. B. den Dieb elektrischer Kraft im Wege der Analogie bestraft, ob­ wohl er nach dem W ortlaut des Gesetzes keinen „Diebstahl" begangen hat. W ir haben aber aus vielen technischen Gründen nötig, eine T at im Urteil fest­ stellen zu lasten, damit wir diese T at unterbringen können im Strafregister, in der Statistik und um später, wenn der Täter eine neue T at begeht, fest­ stellen zu können, ob es sich um einen Rückfall han­ delt. Aus diesen Gründen haben wir eine solche Ein­ ordnung und Einreihung in die Schubfächer unserer Strafordnung nötig. Ich vermag darin keine Unehr­ lichkeit zu finden, sondern nur ein technisches Hilfs­ mittel, von dem ich glaube, daß w ir gar nicht darum herumkommen werden. Die absolute Notwendigkeit, daß der Richter sich überlegt, begründet und fest­ stellt, daß es eine dritte, vierte und fünfte Mög­ lichkeit nicht gibt, muß sichergestellt sein. Das ist in dem Vorschlag der Abteilung durch das Wort „ohne daß" erstrebt und bei mir mit der Wendung „ist aber eine Tatsachenfeststellung nur wahlweise möglich". Andere Bedenken habe ich nicht, weil diese alle der­ art sind, daß die Rechtsprechung damit fertig werden wird. (Ministerialdirektor Schäfer: Halten Sie fest an dem „ist"?) — J a , wir mästen „ist" schreiben. Ich habe in der Debatte keinen Fall gefunden, in dem man sagen könnte, es wäre gerecht, wenn der M ann nicht be­ straft würde. E s ist richtig, Herr Direktor, daß ich mich bei einer Besprechung auch zu dem „kann" be­ kannt habe, und zwar aus den Gründen, die Sie an­ gegeben haben. Aber es scheint m ir doch nicht richtig zu sein, weil ich glaube, daß es keinen Fall gibt, in dem die Bestrafung nicht gerecht wäre. Auf alle Fälle aber muß das Verlangen, daß grundsätzlich dieser T äter bestraft werden muß, als Befehl aufgestellt werden, auch dann, wenn sich in der Debatte noch einzelne Fälle ergeben sollten, in denen die Bestra­ fung nicht angebracht wäre; dann würde ich einen be­ sonderen Ausnahmesatz anfügen. Der Grundsatz muß aber sein, daß dieser M ann zu bestrafen „ist". Was meinen zweiten Absatz anlangt, so glaube ich nicht, daß der S taatsanw alt heute sicher ist, eine Ver­ urteilung herbeizuführen in Fällen, die wir gestern erörtert haben, in denen z. B. einzige Zeugin die Kindesmutter ist und der Angeklagte zwei einander widersprechende Eide geleistet hat: „Ich habe in der Empfängniszeit mit der Kindesmutter verkehrt" und andererseits: „Ich habe nicht mit ihr verkehrt". I n diesem F all befindet sich heute das Gericht in einer schwierigen Lage und wird nicht leicht zu einer Verurteilung gelangen können. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bitte folgenden Zweifel zu klären und zum Gegenstand der Debatte zu machen: das Beispiel Blutschande und Verleumdung. E s kann nicht fest­ gestellt werden, ob die Betreffenden verkehrt haben. Im m erhin wird das als möglich angenommen. Is t

da beabsichtigt, wahlweise Feststellung zu treffen? Nach meiner Meinung schließen sich Blutschande und Verleumdung absolut aus. (Senatspräsident Prof. Dr. Klee: Ebenso wie Diebstahl und Hehlerei!) D as ist das Merkmal, das w ir bei der wahlweisen Feststellung immer haben, wenigstens bei Abs. 1. Also das Gericht soll sagen: Blutschande? n o n liq u e t! Ver­ leumdung? Da kann ich gar keine Stellung nehmen, weil schon das erste ein „non liq u et“ ist. Is t es so gedacht, daß für diesen Fall die wahlweise Feststellung möglich sein soll? Professor Dr. Kohlrausch: Durch meine Fassung habe ich das ausschließen wollen — ich halte es auch durch die kürzere Freislersche Fassung für ausgeschlossen. Zu verlangen ist Ein­ heitlichkeit des historischen Faktums oder Einheitlich­ keit des Strafgesetzes, gegen das verstoßen wird. Die sich ausschließenden Meineide können alternativ be­ straft werden. Aber nicht zwei Taten, die weder ge­ setzlich noch tatsächlich verwandt sind, wie Blutschande und Verleumdung. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich glaube, eine Formulierung, die auf die Tat abstellt, schließt nicht aus, daß ganz heterogene T at­ bestände eintreten können, z. B. Notzucht und Be­ leidigung. Professor Dr. Kohlrausch: D as ist das Verhältnis vom m aius zum minus. Es ist einfach. E s handelt sich aber auch manchmal um ein aliud. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der Zweifel, ob fahrlässiger Falscheid oder Mein­ eid vorliegt, wird unter Umständen auch zu einer alternativen Feststellung Anlaß geben können. Herr Staatssekretär Freister hält unter keinen Umständen Wahlfeststellung für zulässig, wenn in Frage kommt „Vorsatz oder Fahrlässigkeit?" und hält es für unmög­ lich, daß ein Richter auf die Idee kommen könnte, die wahlweise Feststellung auf solche Fälle anzuwenden. Dieser Auffassung kann ich nicht beipflichten. Ministerialdirektor Schäfer: Der Hauptgrund für mich, lieber „kann" als „ist" zu sagen, ist der gewesen, daß uns das Problem, ob bei der Frage „Vorsatz oder Fahrlässigkeit?" wahl­ weise Feststellung angezeigt ist oder nicht, zweifelhaft erschien und wir kein Urteil darüber abgeben wollten und uns sagten: W ir wollen abwarten, welchen Weg die Gerichte gehen werden. Professor Dr. Kohlrausch: Bei „Vorsatz oder Fahrlässigkeit?" handelt es sich um ein aliud. Aus dem Fehlen des Vorsatzes folgt noch nicht das Vorhandensein von Fahrlässigkeit. Die gegenteilige Annahme ist einer der häufigsten Fehler in den Arbeiten.unserer Studenten. Ich könnte mir vorstellen, daß er auch in der P raxis vorkommt.

Staatssekretär Dr. Freisler: Es scheint mir richtig zu sein, daß zwei Fälle einer besonderen Betrachtung bedürfen, nämlich die Wahl­ feststellung bei der Frage „Vorsatz oder Fahrlässig­ keit?" und die Wahlfeststellung in Fällen, die in ihren rechtlichen Voraussetzungen im Verhältnis vom m aius zum m inus stehen. Ich glaube zwar nicht, daß ein Richter zu einer alternativen Feststellung dieser A rt kommen würde. Wenn aber jemand doch dieser Meinung ist, dann sollte man es im Gesetz ausdrück­ lich für unzulässig erklären. Nicht richtig ist es da­ gegen, dies durch das Wörtchen „kann" zu tun. Wenn wir das Gefühl haben, daß unsere Regelung in gewissen Fällen Gefahren heraufbeschwört, die wir nicht wollen, dann müssen wir die Fassung so wählen, daß eine solche Gefahr nicht heraufbeschworen werden kann. Durch den Ausweg der Kannvorschrift geben wir dem Richter nicht deshalb eine Vollmacht, weil der Gesetzgeber in alle Einzelheiten nicht eindringen kann, sondern nur deshalb, weil w ir uns nicht voll­ kommen klar geworden sind, und das ist kein Grund, eine Vollmacht zu geben. Wenn wir der Meinung sind, der Richter könnte dazu kommen, wahlweise Vorsatz oder Fahrlässigkeit festzustellen, dann müssen wir das im Gesetz ausdrücklich verbieten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as würde heißen: Ob jemand vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, kann wahlweise nicht fest­ gestellt werden. Professor Dr. Kohlrausch: D as kann u n t e r U m s t ä n d e n wahlweise festgestellt werden! Ich wende mich nur dagegen, daß man aus dem Fehlen des Vorsatzes ohne weiteres die Fahrlässigkeit folgert. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich verstehe wohl; aber das stimmt doch mit Ihrem Gedankengang, Herr Staatssekretär, nicht überein. Staatssekretär Dr. Freisler: J a , ich bin anderer Meinung als Herr Professor Kohlrausch. Nach meiner Meinung geht es nicht an, daß man jemand verurteilt, ohne festzustellen: Du hast vorsätzlich gehandelt oder du hast fahrlässig gehandelt. Professor Dr. Nagler: W ir müssen zwei Fälle der Unsicherheit des Beweisergebniffes unterscheiden. Es handelt sich immer um Beweisschwierigkeiten, und diese können dahin führen, daß man eine ganz bestimmte T at zwar fest­ stellen, deren Modalitäten aber nicht exakt ermitteln, z. B. nicht die Frage entscheiden kann: Vorsatz oder Fahrlässigkeit? Dann tritt immer der Satz in Gel­ tung: in* dubio pro reo. Von einer Alternativtat ist hier gar keine Rede. Der zweite Fall liegt wesentlich anders. Es handelt sich hierbei um zwei verschiedene Taten. Wir können nur feststellen: eine von beiden ist verübt,

doch bleibt unsicher, welche. Dadurch ergab sich eine Lücke in unserem bisherigen Beweisrecht; sie soll aus­ gefüllt werden von der Bestimmung, die jetzt vorge­ schlagen wird. Diese Bestimmung dürfen w ir nicht auf die Modalitäten der feststehenden einheitlichen T at zurückbeziehen, sondern wir müssen für diesen zweiten Fall die Wahlfeststellung vorsehen. Es scheint m ir die Regelung, die getroffen werden soll, in unserem Kreise unbestritten zu sein. W ir alle wollen doch die Wahlfeststellung. Nun ist die Frage: Sollen wir die Formulierung wählen: „so ist er aus dem Gesetz zu treffen, welches das Gericht für gerecht hält", oder sollen wir das mildere Gesetz schlechthin für anwendbar erklären? Ich würde hier mit Herrn Staatssekretär Freister gehen, weil man nicht sicher weiß, wie sich die Dinge im einzelnen gestalten werden. I m Durchschnitt wird das mildere Gesetz das gerechtere sein; aber nicht für alle Fälle wird das zutreffen. Deshalb würde ich den Ausweg von Herrn Staatssekretär Freister für gut ansehen. Ich habe ein ganz anderes Bedenken, nämlich, ob w ir die Frage hier mitten im materiellen Strafrecht behandeln sollen, da es bloß um Beweisschwierig­ keiten geht, also eine Sache, die in den Prozeß gehört. Auch würden wir die Materie damit zerreißen: ein Teil wird im Strafprozeß geregelt werden müssen, ein Teil soll hier erledigt werden. Ich würde die vorgeschlagene Bestimmung nicht in das materielle Recht setzen. Die Lösung von Beweisschwierigkeiten hat der Prozeß zu behandeln, sie sollten deshalb im Prozeß einheitlich geregelt werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an kann auch sagen: D as muß in den Abschnitt hinein, wo es heißt: Die Grundlage jeder Bestrafung ist das Recht. Professor Dr. Nagler: W ir standen bisher oft unter der Fehlmeinung, die Wahlfeststellung sei ausgeschlossen durch § 2 Abs. 1 S tG B . D as ist eine irrige Meinung gewesen. Aber man hat die Alternativseststellung tatsächlich so be­ kämpft. Daß § 2 Abs. 1 einen zweifellos Schuldigen der Strafe entziehen könnte, ist nie die Meinung des S tG B , gewesen. Ministerialdirektor Schäfer: Bei der Frage, ob man „ist" oder „kann" sagen soll, sind wir an dem entscheidenden Punkt angelangt, nämlich an der Frage, ob eine Wahlfeststellung: „Vorsatz oder Fahrlässigkeit?" zulässig sein soll. Die Frage ist, ob wir zu einer Lösung kommen. Die Lösung ist da, wenn man sich mit Herrn S ta a ts­ sekretär Freister dafür ausspricht: Unter keinen Um­ ständen Wahlverurteilung, wenn Vorsatz oder F ah r­ lässigkeit in Frage kommen. M an kann „ist" sagen, wenn man im nächsten Satz ausspricht: „D as gilt nicht für Vorsatz oder Fahrlässigkeit". Es erhebt sich aber die Frage: Kommt die P raxis damit durch, und wird man damit der materiellen Gerechtigkeit ge­

nügend gerecht? Ich neige der Ansicht zu, die Fälle Vorsatz oder Fahrlässigkeit liegen ganz verschieden. Es gibt Fälle, in denen eine Wahlfeststellung von der materiellen Gerechtigkeit verlangt wird, und Fälle, in denen das nicht der F all ist. Wenn man das zugibt, dann kann man nicht zu einem „ist" mit nach­ folgendem Ausnahmesatz kommen, sondern muß zu einem „kann" kommen und dem Richter vertrauen. Ich habe mir noch eine andere Fassung überlegt. M an könnte sagen: E r ist zu verurteilen — und dann fortfahren „wenn die materielle Gerechtigkeit dies verlangt". Aber schön ist das auch nicht. Deshalb haben wir nach langen Erörterungen gesagt: W ir müssen hier dem Richter vertrauen. W ir können das auch ruhig tun; denn eine Gefahr für eine ängstliche Rechtsprechung liegt nicht vor; das natürliche Gewicht drängt zur materiellen Gerechtigkeit. I n 99 von 100 der Fälle würde der Richter von der „Kann­ bestimmung" Gebrauch machen. Professor D r. Dahm: Ich bin derselben Meinung wie Herr Ministerial­ direktor Schäfer. M an darf die Alternativseststellung Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht unter allen Um­ ständen ausschließen. Es kommt hier ganz auf den konkreten F all an. Ich würde daher die Alternativ­ seststellung grundsätzlich zulassen, dem Richter aber gestatten, von der Alternativfeststellung Abstand zu nehmen, wenn er dabei nicht zu einer gerechten Ent­ scheidung käme. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dieser Vorschlag ist doch sehr allgemein. Wir befinden uns noch sehr am Anfang der Lösung. Der Ausgangspunkt ist immer noch zweifelhaft. I n der Formulierung Dr. Freislers steht überhaupt nichts mehr von der Tat. Nach seinen Darlegungen hätte die Formulierung etwa zu lauten: Steht fest, daß jemand gegen eines von mehreren Strafgesetzen verstoßen hat, können aber die Tatsachen nur wahlweise festgestellt werden, so ist er aus dem milderen Gesetz zu bestrafen. Ob jemand vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, kann wahlweise nicht festgestellt werden. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich würde eine solche Fassung für bedenklich halten. Allerdings gibt es Fälle, die sich praktisch so lösen lassen, daß der Richter im Zweifel nur das M inus feststellt. Insoweit liegt ein praktisches Be­ dürfnis für eine wahlweise Feststellung sicherlich nicht vor. M an denke an den Fall, daß sich nicht fest­ stellen läßt, ob ein und derselbe Akt der Überlassung eines Schriftstückes an einen ausländischen Agenten vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt ist. Hier muß sich das Gericht entscheiden, ob Vorsatz oder Fahrlässig­ keit. I m Zweifel wird es letztere annehmen. Nun gibt es aber auch andere Fälle, z. B.: Jemand ist beschuldigt, ein Geheimnis in landes­ verräterischer Absicht selbst in Feindeshand gegeben zu haben. Die T at kann ihm aber nicht voll nach-

gewiesen werden; es besteht auch die Möglichkeit, daß er das betreffende Schriftstück fahrlässigerweise auf seinem Schreibtisch hat liegen lassen, von wo es der feindliche Agent wegnahm, ohne daß der Angeklagte es bemerkte. Es handelt sich hier um zwei getrennte, zeitlich und räumlich auseinanderliegende Akte, ob­ wohl Tateinheit im Sinne des § 264 S tP O , gegeben ist. I n solchem Falle muß vorsätzlicher und fahr­ lässiger Landesverrat alternativ festgestellt werden können. Wenn man in solchen Fällen die Wahlfest­ stellung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit aus­ schließen würde, müßte der Richter zur Freisprechung kommen. Ähnliche Fälle lasten sich auch bei der Brandstiftung denken. Ein Bauer ist angeklagt, Ver­ sicherungsbetrug durch vorsätzliche Brandstiftung be­ gangen zu haben. D as läßt sich nun nicht voll nach­ weisen. Wohl aber läßt sich feststellen, daß der Bauer nach Ausbruch des Brandes in seinem Zimmer saß, so daß er den Feuerschein unbedingt hätte wahr­ nehmen und Anstalten zur Löschung hätte treffen müssen. E s ist also zweierlei möglich: entweder hat der Bauer den Brand vorsätzlich gelegt, oder aber er hat ihn aus Fahrlässigkeit oder Unachtsamkeit nicht gelöscht, wozu er aus Grund des Versicherungs­ vertrags verpflichtet gewesen wäre. Wollte man hier die Alternativfeststellung zwischen Vorsatz und Fahr­ lässigkeit ausschließen, dann wäre Freispruch die Folge. Denn mit Sicherheit läßt sich bloße Fahr­ lässigkeit nicht feststellen. Ein solches Ergebnis wäre untragbar. Nur kurz möchte ich noch die Frage auswerfen, ob es sich nicht empfiehlt, auch dem S taatsanw alt die Möglichkeit einer wahlweisen Anklage einzu­ räumen. D as wäre nur konsequent. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte hierzu auch ein durchaus aktuelles Beispiel erwähnen. Der Tatbestand ist folgender: Ein Schriftstück existiert überhaupt nur in einem Exem­ plar. Es ist in einem Ministerium im Tresor ver­ wahrt. Nun steht fest und kann bewiesen werden, daß das Schriftstück zur Kenntnis eines anderen gekommen ist. E s ist auch klar, wer für die Verwahrung des Schriftstücks verantwortlich ist: es sind zwei Leute, die die Schlüssel zum Tresor haben. Feststeht, daß Herr £ das Schriftstück gesehen hat. Wie wäre der F all zu be­ urteilen? Wohlgemerkt: Die beiden Leute, die den Schlüssel zum Tresor haben, leugnen, das Schriftstück irgend jemand gezeigt zu haben. E s kann aber nach menschlicher Vorstellung gar nicht anders sein, als daß die Verwahrer des Schriftstücks dazu mitgewirkt haben, daß der Agent es einsehen konnte. D a gibt es viele Möglichkeiten. Eine Angestellte kann das Schriftstück gesehen haben. Der Schlüssel zum Tresor kann an einem Nagel an der T ü r hängen, der Be­ treffende könnte also den Schlüssel selber wegge­ nommen, den Tresor geöffnet und das Schriftstück an sich gebracht haben. I n solchen Fällen halte ich die wahlweise Feststellung für unbedingt erforderlich. Nun fragt sich: welcher Strafrahm en ist anzuwenden?

Senatspräsident Professor Dr. Klee: I m Zweifelsfalle muß der Richter natürlich das mildere Gesetz anwenden. Restlos befriedigend ist diese Lösung ja nicht; immerhin besteht die Möglich­ keit, den Täter überhaupt zu bestrafen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Is t das die Meinung der Herren? — Ein anderes Beispiel: M an kann nichts eruieren; das Schriftstück befindet sich an dem gewohnten Platz. Bei der Durch­ suchung liegt das Schriftstück genau da, wo es weisungsgemäß liegen muß; gleichwohl steht fest, daß ein Unberechtigter das Original des Schriftstücks gesehen hat. Wie ist der F all zu beurteilen? Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn ich unterstellen darf, daß jede andere Mög­ lichkeit, das Schriftstück zu Gesicht zu bekommen, aus­ geschlossen ist, dann ist eine Alternativfeststellung unnötig. D as Schriftstück kann dann eben nur dem Agenten ausgehändigt worden sein. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Darum habe ich sofort die Frage aufgeworfen: Aus welchem Strafrahm en wollen Sie den Täter be­ strafen? Es gibt hier nur zwei Möglichkeiten: ent­ weder eine vorsätzliche oder eine fahrlässige Landes­ verratshandlung. Nur eine dieser beiden Möglich­ keiten kann Wirklichkeit haben. Die vorsätzliche Ver­ ratshandlung konnte nicht festgestellt werden; es bleibt also nur die fahrlässige Handlung in einem derart wahrscheinlichen Grade, daß die Fahrlässigkeit sicher ist. D as Ergebnis wäre also: Bestrafung wegen Fahrlässigkeit, aber ohne Wahlfeststellung. Sehr interessant wäre es, wenn einer der an­ wesenden Herren Richter sich dazu äußern würde. Erscheint es vom Standpunkt des Richters aus not­ wendig, die wahlweise Feststellung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zuzulassen? Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Wenn ich das Beispiel richtig verstanden habe, so sollen beide Personen, die je einen der zum Aus­ schließen des Tresors erforderlichen und ergänzenden Schlüssel in Verwahrung hatten, für die Eröffnung des Tresors und die Wegnahme des Geheimschrift­ stückes verantwortlich sein, ohne daß sich jedoch eine sichere Feststellung dahin treffen läßt, ob beide vor­ sätzlich oder beide fahrlässig oder der eine von ihnen vorsätzlich und der andere fahrlässig gehandelt haben. Wenn man in diesem Falle überhaupt eine Bestrasungsmöglichkeit haben will, muß man m. E. die Wahlfeststellung zulassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S ie meinen also, ohne die wahlweise Feststellung müsse es zum Freispruch kommen. D as ist eben streitig. I n dem von Professor Kohlrausch erwähnten Fall der Verleumdung und Blutschande bleibt n ur Freispruch, denn es kann weder Vorsatz noch F ahr­ lässigkeit festgestellt werden.

M an könnte die Sache auch folgendermaßen an­ sehen: Die Schuldform ist im wesentlichen der sub­ jektive Tatbestand. Müssen wir den nicht eigentlich gerade so behandeln wie den objektiven Tatbestand? Bei dem objektiven Tatbestand geben wir das ja frei. Frage: Können wir es nicht beim subjektiven T at­ bestand auch freigeben unter Berücksichtigung der T at­ sache, daß da irgendein Unsinn nicht geschehen wird und nicht geschehen kann? Ich selbst habe dagegen Be­ denken. Sieht die Sache nicht vom Standpunkt des Volkes aus folgendermaßen aus: Die Frage, ob du ein Verbrecher bist oder ein leichtsinniger Mensch, kann nicht offen bleiben. (Zustimmung.) Die Frage wird natürlich, wenn wir die polaren Endpunkte der Schuldformen ansehen, sehr ein­ drucksvoll sein. Die Frage, ob du ein Mörder bist, oder ob du an einem verbotenen Platz geschossen hast, oder ob du fahrlässig eine Waffe gebraucht hast, kann nicht offen bleiben. Die Sache wird schon schwieriger bei dem inneren Differenzpunkt, bei der ganz groben Form der Fahrlässigkeit und der mindesten Form des dolus eventualis. D as ist solches Dämmerungsland, wo man nicht ganz sicher durchkommt. Professor Dr. Graf Gleispach: E s wurde eben gesagt, die Frage der Schuldform müsse entschieden werden; d. h. also, wenn sie nicht entschieden werden kann, dann sei der Freispruch besser als die Verurteilung wegen Fahrlässigkeit. Ich glaube allerdings, daß in der Mehrzahl der Fälle, in denen heute wegen Fahrlässigkeit verurteilt wird, die Mög­ lichkeit vorsätzlichen Handelns doch besteht. E s ist ja äußerst selten, daß ich absolut sicher sagen kann: der hat fahrlässig gehandelt, aber keineswegs vorsätzlich. Nun frage ich mich: Kann man dieses Dogma auf­ stellen, das ich keineswegs anerkennen möchte, die Schuldform müsse festgestellt sein? (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s ist kein Dogma, es ist eine Zwischensorm!) Wenn die Möglichkeit des Vorsatzes doch offen bleibt, soll dann immer freigesprochen werden? D as würde ich für verheerend halten. Was bedeutet denn der Satz: „Die Schuldsorm muß festgestellt sein"? Ich kann sie eben nicht feststellen; es ist immer eine gewisse Möglichkeit, daß der Betreffende vorsätzlich gehandelt hat, also eigentlich eine schwerere S trafe verdient. Aber meiner Auffassung nach scheidet für den Strafrichter Las, was er nicht beweisen kann, aus. E r prüft zuerst: Hat der Täter vorsätzlich gehandelt? Wenn ein wirk­ licher Beweis dafür nicht vorliegt, ist das überhaupt weiter nicht beachtlich. Jetzt prüft er: Hat er wenig­ stens fahrlässig gehandelt? Wenn er das feststellen kann, wenn positiv die Merkmale der Fahrlässigkeit vorliegen, dann wird der Betreffende wegen F ah r­ lässigkeit verurteilt. D as ist meines Erachtens keine Alternativfeststellung. Aber ich würde große Bedenken dagegen haben, daß die gerichtliche Verurteilung wegen fahrlässigen Verhaltens ausgeschlossen würde, indem man irgendeinen Satz in das Gesetz hinein­

nimmt, daß eine alternative Feststellung bezüglich der Schuldform nicht zulässig ist. Meines Erachtens kommt der Richter gar nie dazu; meiner Auffassung nach soll er auch nicht dazu kommen. E r schaltet das Nichtbeweisbare aus, und das andere bleibt eben übrig. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann würde sich die Betrachtung mehr auf die Frage der Wirkung eines solchen Gesetzes erstrecken. I h r Gedankengang ist das, was ich vorhin formu­ liert habe: „Ob du ein Verbrecher bist oder leicht­ sinnig gehandelt hast, kann vom Standpunkt der Volksgenossen aus nicht unentschieden bleiben." (Pros. Dr. G raf Gleispach: D as kann sach­ lich unentschieden sein; was nicht beweisbar ist, kommt nicht in Frage!) — Nein, Herr Graf, auch diese Frage kann für den Richterspruch nicht offen oder als Grundlage eines Urteils nicht unentschieden bleiben. Der Richter muß sich darüber klar sein, ob der M ann in die Kategorie der Verbrecher oder in die Kategorie der leichtsinnigen Menschen gehört. Prof. Dr. Graf Gleispach: Ich sehe die Sache folgendermaßen an. Wenn es zweifelhaft ist, ob der T äter ein Verbrecher ist, dann kann er als Verbrecher nicht verurteilt werden. Jetzt sehe ich von der Möglichkeit der verbrecherischen vor­ sätzlichen Betätigung ab. Wenn abgesehen davon die Fahrlässigkeit feststeht, wird der Täter als fahrlässig Handelnder verurteilt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich weiß gar nicht, wo da ein Gegensatz sein soll; das wollen wir ja alle. Die Frage ist ja auch nicht die, ob er verurteilt wird. Ich glaube, es ist ziemlich sicher festgestellt, daß er zu verurteilen ist. Die Frage ist die: S oll man in das Gesetz ein Verbot der alternativen Feststellung einer Schuldsorm hinein­ schreiben oder nicht? (Professor Dr. Graf Gleispach: D as würde ich durchaus nicht tun!) — Und dann hängt sich die zweite Frage an: Wollen S ie dann den Satz: „ .. . . so ist e r . . . . zu bestrafen" stehen lassen? Professor Dr. Graf Gleispach: Wenn ich zu der ersten Frage noch etwas sagen darf, so möchte ich folgendes hervorheben. I n der bisherigen Aussprache sind manchmal zwei Gedanken ineinandergegangen. Der eine Gedanke betrifft das, was besonders Herr Professor Kohlrausch hervor­ gehoben hat: es ist ganz falsch, aus der Nichtbeweis­ barkeit des Vorsatzes auf die Fahrlässigkeit zu schließen. Darüber besteht völlige Einigkeit; das aber im Strafgesetz irgendwie zu regeln ist ganz ausgeschlossen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wollen w ir auch nicht!)

— Die zweite Frage, die Herr Minister gestellt haben, würde ich dahin beantworten, daß ich für die zwingende Fassung wäre: die alternative Feststellung hat stattzufinden. Ich vermag nicht die Fälle zu sehen, in denen daraus irgendein Nachteil entstehen könnte. Ministerialdirektor Dr. Dürr: Auch ich möchte mich dagegen aussprechen, daß bei der Zulassung der Wahlfeststellung eine Aus­ nahme für die Schuldformen gemacht wird. Ich bin ebenfalls der Meinung, daß in der Regel infolge des Grundsatzes: „In dubio pro reo “ die alternative Feststellung bei den Schuldformen nicht in Frage kommt. Aber eine Ausnahme zu machen, dazu sehe ich keinen Grund, gerade weil auch ich den objektiven und subjektiven Tatbestand gleichstelle. Auf den Ge­ danken, für die Schuldsormen eine Ausnahme zu machen, ist man nur deshalb gekommen, weil man in Erwägung gezogen hat, bei Zulässigkeit der Wahlfest­ stellung die Verurteilung zwingend vorzuschreiben, nicht nur zuzulassen. Voraussetzung der wahlweisen Feststellung ist die Überzeugung des Richters, daß jemand eine strafbare Handlung begangen hat. Genau wie bei Diebstahl oder Hehlerei festgestellt werden muß, daß entweder alle Tatbestandsmerkmale des Diebstahls oder alle Tatbestandsmerkmale der Hehlerei vorliegen, so muß auch bei den Schuld­ formen geprüft werden, ob entweder Vorsatz oder Fahrlässigkeit gegeben ist. Es darf nicht etwa, was Herr Professor'Kohlrausch als Fehler von Kandidaten gerügt hat, gesagt werden: Weil Vorsatz nicht nachge­ wiesen werden kann, fällt dem Täter Fahrlässigkeit zur Last. Professor Dr. Nagler: Ich glaube, wir haben deshalb aneinander vor­ beigeredet, weil wir nicht genau unterschieden haben. Ich darf dies an dem Landesverratsfall exemplifi­ zieren. Der eine Fall liegt so: D as geheime Schrift­ stück ist von dem Angeklagten im Büro hingelegt worden, der Agent hat dort Kenntnis davon ge­ nommen. E s kann nun entweder so gewesen sein, daß der Beamte das Schriftstück absichtlich hingelegt hat, also mit dem Agenten unter einer Decke steckte, oder so, daß er es fahrlässig getan hat. Unter diesen Um­ ständen handelt es sich um einen einheitlichen Lebens­ vorgang, bei dem wir die M odalitäten nicht fest­ stellen können; deshalb gilt der Satz: „In dubio pro reo “ . D as sind die typischen Beispiele, von denen Herr Graf Gleispach gesprochen hat. Der zweite Fall, den der Herr Minister brachte, lag folgendermaßen: D as Schriftstück, das unter der Klausur der beiden Beamten steht, ist zweifellos dem Feinde bekannt­ gegeben worden; wie, können wir nicht ermitteln. Es bestehen also zwei Möglichkeiten: Entweder der Vor­ gang ist so gewesen, daß die Beamten dieses Schrift­ stück preisgegeben haben (vorsätzlicher Landesverrat), oder aber — ein ganz anderer Lebensvorgang — irgendwann einmal wurden die Schlüssel nicht richtig verwahrt, und es hat infolgedessen der feindliche

Agent an das Geheimnis herankommen können. D as ist der typische Fall der Alternativität. (Professor D r. Kohlrausch: Oder es ist einer eingebrochen!) — Wir wollen annehmen, daß nur diese beiden Mög­ lichkeiten gegeben sind. Der typische Fall der Alter­ nativität ist gegeben, wenn zwei verschiedene LebensVorgänge in Frage stehen. In concreto haben w ir entweder mit einer vorsätzlichen T at oder einer davon verschiedenen fahrlässigen T at zu rechnen. Hier muß. selbstverständlich die alternative Feststellung getroffen werden. Also ich meine, in dem einen wie in dem anderen Falle liegen die Dinge ganz verschieden. D as Resultat ist: W ir wollen die Fassung des Herrn Staatssekretärs annehmen, ohne daß wir zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu unterscheiden brauchen, ohne daß wir irgend etwas hinzuzufügen brauchen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir kämen dann ungefähr darauf ab, zu sagen: Steht fest, daß jemand gegen eines von mehreren Strafgesetzen verstoßen hat, können aber die Tatsachen nur wahlweise festgestellt werden, so ist er aus dem Gesetz zu bestrafen, das dem Tatbestand am meisten gerecht wird. — Nun käme die zweite Frage mit den kontradik­ torischen Meineiden. Brauchen wir dazu überhaupt hier eine Bestimmung? D as ist teils bejaht, teils verneint worden. Diejenigen, die es verneinen, be­ haupten — und ich habe mich selbst dazu gezählt — , daß man im Falle des kontradiktorischen Meineides zu einer Verurteilung auch so wird kommen müssen. (Staatssekretär D r. Freister: Aber wie? — Prof. Dr. Kohlrausch: Aber nicht nach dem Wortlaut! — Staatssekretär Dr. Freister: Auch nach dem Sinne nicht!) — Ich stelle es mir ungefähr so vor: die beiden Eide sind da und protokolliert; ihr In h a lt ist ein kontradiktorischer Gegensatz, der nicht bestehen kann; dann wird doch der Betreffende, der die beiden Eide geschworen hat, gefragt werden, was nun richtig ist, und da kann er doch nicht sagen, daß beides richtig ist. Staatssekretär Dr. Freisler: Dann wird der Angeklagte antworten: „Ich habe es gar nicht nötig, mich dazu zu äußern", oder der Verteidiger erklärt: „Ich halte das für einen sehr interessanten Rechtsfall". Die Prozeßordnung gibt dem Angeklagten ja das Recht abzuwarten, was geschieht. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann würde ich eine Anklage wegen zweier Mein­ eide erheben!) D as hätte ich auch gemacht. Der S taatsanw alt hat also wegen zweier Meineide Anklage erhoben. Damit ist m. E. schon gesagt, daß es nicht zur Verurteilung wegen zweier Meineide kommt. D as Gericht wird aber vielleicht sagen: W ir prüfen den einen Meineid und wir prüfen den anderen Meineid. Jedesm al ergibt sich ein non liquet.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich will mich dieser Erkenntnis beugen, obwohl ich überzeugt bin, daß der Fall in der Praxis nicht passieren kann. Dann müssen wir das natürlich irgendwie hineinschreiben, etwa in der Form des Herrn Professor Kohlrausch, und sagen: Steht fest, daß der Täter durch eine von mehreren Taten gegen ein bestimmtes S tra f­ gesetz verstoßen hat, . . . — ungefähr so wie in der Freislerschen Fassung — so erfolgt die Bestrafung aus dem verletzten Strafgesetz. E s bleibt offen, durch welche T at er es getan hat. Es müssen aber dann gleichartige Taten sein. (Staatssekretär Dr. Freisler: D as ergibt sich schon daraus, daß es ein bestimmtes S trafgesetz ist!) Professor Dr. Graf Gleispach: Ich frage mich, ob eigentlich die bisherige Rechts­ pflege irgendeinen Anlaß geboten hat, den dritten Fall, der jetzt noch in Betracht käme, gesetzlich zu regeln. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin der Meinung, das wäre das traurigste Zeugnis, das man der Rechtspflege ausstellen kann!) — D as ist auch meine Auffassung. Bei der.wahlweisen Feststellung, wie wir sie bisher betrachtet haben, liegt m. E. eine offensichtliche Schwierigkeit vor, die durch die Rechtspflege aufgezeigt worden ist. Aber daß Fälle der zweiten Art irgendeine Schwierigkeit be­ reiten oder eine gerechte Rechtspflege verhindert hätten, ist mir nicht bekannt. Ist eine solche Spezifi­ zierung wegen der Anklage oder des Urteils not­ wendig, die allein hier eine Schwierigkeit schafft? Ich glaube allerdings, daß die Anklage wegen zweier Meineide gewisse Gefahren in sich schließt; aber man kann doch das Verhalten dieses M annes gegenüber dem befragenden Gericht innerhalb eines bestimmten Zeitraumes in einer bestimmten causa unter Anklage stellen, und zwar unter ausreichender Spezifikation der Daten. Ebenso wird das Gericht wegen Meineids verurteilen, und in der Begründung wird gesagt: zweimal hat der M ann geschworen; die eine Aussage muß falsch sein; welche das ist, ist rechtlich ganz gleich­ gültig; er wird des Meineides schuldig gesprochen. Es ist m ir nicht bekannt, daß ein solches Urteil je vom Reichsgericht aufgehoben worden ist. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as nähert sich auch meiner eigenen Vorstellung!) Landgerichtsdirektor Leimer: S o wie Herr Graf Gleispach meint, geht die Sache nicht, wenigstens nicht immer. Ich kann mich an einen ähnlichen Fall zweier sich widersprechender Eide erinnern, bei dem im zweiten Eid ein Widerruf

des ersten lag. M an wird sich in einem solchen Fall entschließen müssen, ob man einen Strafermäßigungs­ grund zubilligt oder nicht. M an kann nicht unbedingt sagen, hier liege ein Meineid nach §§ 153, 154 S tG B , vor, es kann auch der Fall des § 157 oder des § 158 S tG B , bei dem einen Eid gegeben sein. M an muß dann entscheiden, welcher Eid falsch ist. Ich hätte kein Bedenken, den M ann zu verurteilen, der beim zweiten Eid selbst zugegeben hat, daß er das erste M al einen falschen Eid geleistet hat, auch wenn er im Strafverfahren jede Erklärung verweigert. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wir haben bisher die Wahlfeststellung überhaupt nicht im Gesetz. I n dem Augenblick, in dem wir sie in das Gesetz hineinschreiben, taucht eine andere Frage auf. Diese Frage ist bis jetzt gar nicht auf­ getaucht, weil wir uns bezüglich der wahlweisen Fest­ stellung in einem Zustand der Anfangsentwicklung befinden. Wenn wir jetzt in das Gesetz hineinschreiben: „Steht fest, daß jemand gegen eines von mehreren Strafgesetzen verstoßen hat, ist aber nur eine wahlweise Feststellung m öglich...........", so taucht die Frage auf, wie das mit den zwei Eiden sein würde; deswegen ist es eben doch nicht so ganz selbstverständlich, daß man das weglassen kann. Die gesetzliche Regelung erzeugt eben die Frage nach der Regelung verwandter und ähnlich liegender Dinge. Ich würde also für die Kommission, die das formulieren soll, vorschlagen, diesen zweiten Fall in dieser Gedankenführung mit etwas korrekterer und kürzerer Fassung als zweiten Absatz anzubringen. Staatssekretär Dr. Freisler: Nun käme die Frage, ob der F all des Abs. 1 zum Abs. 2 in Kombination treten kann, ferner die Frage, ob ein Delikt etwa vorliegt, das den Richter veran­ lassen könnte, aus Grund der Rechtserkenntnis aus § 345 Abs. 3 zu verurteilen, und ob eine andere Mög­ lichkeit gegeben sein kann, die den Richter veranlassen könnte, aus einem Paragraphen des Strafgesetzes un­ mittelbar zu verurteilen, und ob wir das regeln müssen. Ich bin der Meinung, daß wir zwar erkennen müssen, daß solche Möglichkeiten gegeben sind, daß das aber eine Expedition in ganz ferne Gegenden ist, die nicht mehr Wirklichkeit sind. W ir sollten zwar erkennen, daß wir das weggelassen haben, aber es weglassen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte dasselbe glauben. Wenn wir in der Begründung einen Satz darüber sagen, daß das kom­ biniert werden kann, daß hier Gesetz nicht nur im eigentlichen Sinne genommen werden soll, sondern daß auch die Analogie usw. gemeint ist, so ist das für die Praxis genügend. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir können dann noch den nächsten Punkt in Angriff nehmen: Zeitliche Geltung des Strafgesetzes.

IS Berichterstatter Staatssekretär Dr. Freisler: Da wir beschlossen haben, das was int Entwurf der ersten Lesung in § 345 über die zeitliche Geltung gesagt war, dort zu streichen, so müssen wir es nun­ mehr bei den Bestimmungen der §§ 347 ff. berück­ sichtigen. D as ist sehr einfach möglich, indem wir dem § 347 die Fassung geben: Strafbarkeit und Strafe bestimmen sich nach dem Recht, das zur Zeit der Tat gilt, über den Grundgedanken selbst ist hier im Rahmen der zweiten Lesung nichts mehr zu sagen, und ich habe dem früher Gesagten nichts hinzuzufügen. E s müßte sich daran eine Bestimmung anschließen, die etwa sagt: Hat sich die Auffassung von Strafbarkeit und Strafe seit der Zeit geändert, so kann der Ent­ scheidung über die T at die dem T äter günstigere oder günstigste Auffassung zugrundegelegt werden. Das bedeutet gegenüber dem § 348 des Vorschlages der ersten Lesung eine grundsätzliche Änderung nur in­ sofern, als dort gesagt ist, daß das mildere Gesetz anzuwenden ist, während es nach meiner Meinung heißen muß, daß der Entscheidung die dem Täter günstigere Ausfassung zugrunde gelegt werden kann; denn ich vermag nicht anzuerkennen, daß, selbst wenn sich die Rechtsansicht der Volksführung in der Zwischenzeit geläutert haben sollte, also selbst wenn man sollte feststellen können, daß nicht Zweckmäßig­ keitserwägungen für die Gesetzesänderung maßgebend gewesen sind, immer dies einem Täter zugute kommen m u ß , dessen Ungehorsam gegen den Rechtsbefehl des­ halb doch der gleiche geblieben ist. Daß dieser Unge­ horsam gegen den Rechtsbefehl auch nach dessen Än­ derung als genügende Grundlage für die Strafbarkeit des Verhaltens noch angesehen wird, ergibt sich ja aus der Regelung, die wir bezüglich der Zeitgesetze treffen. E s gibt aber andere Fälle, in denen der Un­ gehorsam gegen das Gesetz in gewisser Weise dadurch motiviert wurde, daß der ungehorsam Handelnde der Meinung war, daß er einer sittlichen Pflicht genüge, und daß das Gesetz diese sittliche Verpflichtung zu Unrecht nicht anerkenne. D as sind dann Fälle, in denen die Anschauung von Recht und Unrecht, die der Handelnde hatte, durch die Rechtsänderung selbst von der Volkssührung gewissermaßen als berechtigt an­ erkannt worden ist. Solche Fälle sind auch denkbar. Die Fälle können hier ganz verschieden liegen; der Grund für die Änderung des Rechtszustandes kann ein ganz verschiedener sein. Deshalb kann es in einem Falle angebracht sein, das mildere Gesetz dem Täter zugute kommen zu lasten. E s kann aber auch andere Fälle geben, wo es unangebracht ist, das strengere Gesetz anzuwenden, nämlich dann, wenn die An­ schauung über die sittliche Grundlage der gesetzlichen Regelung sich nicht geändert hat, sondern andere Zweckmäßigkeitsmomente bei der Staatsführung für die anderweitige Regelung maßgebend waren. Wir können also dem Richter nur die M ö g l i c h k e i t geben, das mildere Gesetz anzuwenden. I n der Frage des Zeitgesetzes bin ich der Meinung, daß das Wort „Zeitgesetz" im Gesetz nicht erscheinen kann, weil der Leser nichts damit anzu­ fangen weiß. W ir denken dabei an Gesetze, die von

vornherein nur mit Rücksicht aus Besonderheiten zeitlicher Verhältnisse, die als vorübergehend ange­ sehen werden, geschaffen sind. D as werden vielfach Gesetze sein, die ein Handeln mit Strafe bedrohen, das nur unter dem Gesichtspunkt überhaupt in das kriminelle Strafrecht hineinreichen kann, daß ein Zuwiderhandeln ein Dem-Volk-in-den-Rücken-Fallen bedeutet. D as ist die innere Begründung für die Strafbarkeit von Zuwiderhandlungen gegen solche Zeitgesetze. Ich finde es durchaus richtig, daß der Täter auch nach Ablauf dieser gesetzlichen Regelung wegen einer unter der Herrschaft dieses Gesetzes be­ gangenen Zuwiderhandlung bestraft wird, und zwar ganz einerlei, ob das Außerkrafttreten von vornher­ ein datummäßig oder sonstwie im voraus festgelegt war, oder ob das Gesetz als vorübergehendes Gesetz gedacht war und durch ein besonderes Gesetz wiederum außer Kraft gesetzt worden ist. Dem trägt auch § 349 des Entwurfs der ersten Lesung Rechnung. D a ich also der Meinung bin, daß das W ort „Zeitgesetz" nicht möglich ist, sondern einer Begriffsbestimmung bedarf, so würde ich etwa folgende Fassung vor­ schlagen: „W ar aber die Auffassung über Strafbarkeit und Strafe durch die Besonderheiten zeitlich ab­ gegrenzter Verhältnisse bestimmt, so ist für die Ent­ scheidung der Zeitpunkt der T at maßgebend." Damit habe ich auch dem Rechnung getragen, daß w ir im § 345 den letzten Nebensatz weggelassen haben, und auch dem, daß wir es nicht nur mit Gesetzen, sondern mit Recht überhaupt zu tun haben, obgleich ich es mir schwer vorstellen kann, daß ein Zeitgesetz äußergesetzlich entstehen und ein Rechtsschutz mit von vorn­ herein zeitlicher Abgrenzung aus der zweiten von uns anerkannten Rechtserkenntnisquelle gewährt werden könnte. Es schadet aber gar nichts, wenn man die Fassung so wählt. Zum § 350 habe ich nichts Wesentliches hervor­ zuheben. M ir scheint es auch da notwendig zu sein, die Beschränkung aus das Gesetz wegzulassen. „M aß­ nahmen zur Sicherung und Besserung sind immer nach dem zur Zeit der Entscheidung geltenden Recht anzuordnen." Daß es Maßnahmen der Sicherung geben kann, die nicht gesetzlich festgelegt sind und tat­ sächlich behördlich gehandhabt werden, ist ja Tatsache. Ich weiß deshalb nicht, warum man den § 350 auf das Gesetz beschränken sollte. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zum letzteren wäre nur zu fragen, ob die Tatsache, von der gesprochen ist, nicht eine rechtlich anfechtbare Tatsache ist. Wenn ich es kurz zusammenfasse, ging der Vorschlag darauf hinaus, den Ausdruck „Gesetz" bei dem oberen Hauptsatz — „bestimmt sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der T at gilt" — zu vermeiden und zu sagen: „bestimmt sich nach dem Recht, das zur Zeit der T at gilt". D as ist kein neuer Gedanke, sondern nur eine Folgerung aus dem, was wir uns gestern überlegt haben. Ich möchte aber wenigstens zur Erwägung geben: Werden wir in der Lage sein, das Wort „Gesetz" immer durch das Wort „Recht" zu ersetzen?

(Senatspräsident Professor Dr. Klee: Rechts­ zustand.) — D as ist aber ein schreckliches Wort. — D ann das zweite: Beim Wechsel der Rechtsauffassung soll das mildere Gesetz angewendet werden k ö n n e n statt müssen. Bezüglich des Zeitgesetzes habe ich den Eindruck gehabt, daß das zwar ein guter juristischer Ausdruck ist, daß ihn jedoch ein Nichtjurist nicht ohne weiteres versteht. Ich glaube aber, daß die Fassung in der Skizze Freister weniger klar zum Ausdruck bringt als unser gedruckter Entwurf, worum es sich hier handelt. Hier wurde gesagt, maßgebend sei der Zeitpunkt der T at. E s kommt aber auch zum Ausdruck, wenn man sagt: Es wird auch angewendet, obwohl das Gesetz ausgehoben ist. D as ist kein Widerspruch, sondern die schwierige Frage ist die: Kann ich nach einem Gesetz verurteilen, das überhaupt nicht mehr gilt? Darauf sagt der Gesetzgeber: J a , das kannst du unter der Voraussetzung, daß es sich um ein so zeitlich be­ grenztes Gesetz handelt. — Das wäre eine gröbere Fassung. Bei den Maßnahmen der Sicherung und Besse­ rung muß es ebenfalls heißen: Ist nach dem R e c h t zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt. Daß maßgebender Zeitpunkt die Entscheidung in der Revisionsinstanz sein soll, ist nicht beanstandet worden. Professor Dahm: Ich möchte einmal meine Bedenken gegen die ein­ seitige Rückwirkung des milderen Gesetzes vorbringen. Es entspricht dem neuen Rechtsdenken, daß die neue und geläuterte Rechtsanschauung nach beiden Seiten hin — sowohl zugunsten wie zuungunsten des T äters zur Geltung kommt. Ich verkenne durchaus nicht die prak­ tischen Bedenken und Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können. Insbesondere läßt sich schwer fest­ stellen, ob die Handlung schon vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes rechtswidrig war, ob sie damals mit der Volksanschauung in Einklang zu bringen war oder nicht. Ich halte diese Schwierigkeiten aber nicht für unüberwindbar. Auch für die Beurteilung dieser Frage kommt es daraus an, ob dem T äter nach unserer geläuterten Rechtsanschauung unter den damaligen Verhältnissen ein anderes Verhalten zu­ gemutet werden konnte oder nicht. Diese Feststellung ist möglich. Ungerechtigkeiten kann man dadurch ver­ meiden, daß die Verfolgung von Straftaten, die vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes begangen waren, in das Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt werden, insoweit also das Legalitätsprinzip durch die Oppor­ tunitätsmaxime ersetzt wird. Was die Neufassung des § 347 angeht, so stimme ich Herrn Staatssekretär Dr. Freister zu. D as Wort „Gesetz" ist durch das Wort „Recht" zu ersetzen. Die Kommission hat in der ersten Lesung die Frage offen gelassen, inwieweit die Rückwirkung sich auf rechts­ kräftige Urteile erstrecken soll. Nach'meiner Meinung dürfen rechtskräftige Urteile durch die Rückwirkung überhaupt nicht betroffen werden. Ich halte die ab­

weichende Lösung des italienischen Strafgesetzbuches für wenig glücklich. D as Zeitgesetz muß näher umschrieben werden. Ich habe aber Bedenken gegen den Vorschlag des Herrn Staatssekretärs Freister, der es darauf an­ kommen läßt, ob die Rechtsauffassung durch die Beson­ derheiten der zeitlichen Verhältnisse bedingt ist. Damit wird die Grenze zwischen Zeitgesetzen und anderen Gesetzen völlig verwischt. Denn alle Gesetze sind durch die Besonderheiten der Verhältnisse bedingt, unter denen sie erlassen worden sind. W ir müssen hier auf eine zwar äußerliche, aber doch halbwegs eindeutige Fassung abkommen. Zeitgesetze sind solche, die auf bestimmte Zeit erlassen sind. Dabei kommt nichts daraus an, ob die Begrenzung aus dem In h alt des Gesetzes zu entnehmen oder ob ausdrücklich gesagt ist, das Gesetz tritt dann und dann außer Kraft. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bezüglich der Rückwirkung war, wenn ich mich recht erinnere, der Standpunkt der Kommission dieser: Wenn der Gesetzgeber die Rückwirkung eines S tra f­ gesetzes will, das er selbst erläßt, so soll er das aus­ sprechen. D as haben wir auch praktisch schon gemacht. I m übrigen soll die Rückwirkung nicht als allgemeine Rechtsnorm in das Gesetz hineinkommen. Das war damals unser Standpunkt. Damals haben Sie schon erklärt: Dann geht es auch nicht mit dem milderen Strafgesetz; denn man kann es nicht einseitig rück­ wirkend machen. Diesem Gedanken kommt der Vor­ schlag der Kann-Bestimmung hier entgegen. Professor Dahm: Vielleicht können wir den Vorschlag des Herrn Staatssekretärs Freister für das mildere Gesetz mit meinem Vorschlag verbinden, nämlich eine KannBestimmung einführen, die es dem Ermessen der Staatsanwaltschaft überläßt, ob sie Handlungen, die vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes begangen sind, verfolgen will oder nicht, mag das neue Gesetz milder oder strenger sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe dagegen große Bedenken. M it der Rück­ wirkung eines Gesetzes aus einen Tatbestand, der damals nicht strafbar war, habe ich es in der Praxis nie zu tun gehabt, wahrscheinlich auch niemand von den hier anwesenden Herren. M it einem Gesetz, das eine Rückwirkung für die Vergangenheit enthält, habe ich es ein einziges M al zu tun gehabt in dem Falle, der den Herren bekannt ist; es handelte sich um die Frage: Wie wirkt es, wenn man ein Strafmaß für eine begangene T at so bemißt, wie man es heute etwa ansieht? Dann wäre sehr viel zu tun. Das gilt z. B. für den Bezirk des Landesverrats. Der S tra f­ rahmen bei Landesverrat ist augenblicklich sehr klein, im wesentlichen die Todesstrafe. Die Ausweichstellen sind praktisch so gut wie nicht gangbar, ausgenommen bei Ausländern. Früher hatte der Landesverrat einen großen Strafrahm en; die Todesstrafe war an be­ stimmte Voraussetzungen geknüpft, nämlich schwerer

Schaden für das Reich, und das Strasminimum war drei Jahre Zuchthaus. Wenn heute ein Landesverrats­ fall, der in der alten Zeit liegt, im Strafrahm en so behandelt wird, wie wir einen heute begangenen Landesverratsfall ansehen würden, so ist es mir zweifelhaft, ob dies wirklich dem Rechtsempfinden des Volkes entspricht. Diese Zweifel sind mir aus un­ zähligen praktischen Anfragen, Bemerkungen und Kritiken gekommen. Dieser Landesverrat ist doch begangen in einer Zeit, wo er noch als Heldentat, als sittlich wertvoller Dienst am Frieden hingestellt wurde. Wenn das für das Strafm aß gilt, so gilt es auch für das Strafgesetz und die Strafnorm ganz beson­ ders. Ich habe gar keine Bedenken, dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, einem Gesetz rückwirkende Kraft zu verleihen, wenn er will, daß das Strafgesetz rückwirkend ist. D as kann z. B. aus dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts ungeheuer häufig vorkommen. M an weiß z. B., es kommt eine neue Devisenregelung, und man macht noch gewisse Dinge, die 5 Tage vor dem Gesetz liegen. D ann kann man nicht ohne weiteres an eine Rückwirkung denken. Der Gesetz­ geber möge die Rückwirkung, wenn er sie will, offen aussprechen. M an müßte im materiellen Recht auf ein Ausweichgleis abkommen: Wenn es die gesunde Volksanschauung erfordert oder der Gerechtigkeit entspricht. Professor Dr. Dahm: Gerade der Landesverrat spricht doch für die Rückwirkung der Gesetze. Denn im Volksempsinden hat man den Landesverrat immer als schimpfliches Verbrechen betrachtet. Ich denke auch an die Ver­ leumdung und Beschimpfung des deutschen Volkes. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as führt auf einen falschen Weg. Beim Landes­ verrat kommt die Frage der Rückwirkung des Gesetzes überhaupt nicht in Betracht. E s hat noch nie einen S ta a t aus der Welt gegeben, wo der Landesverrat nicht ein schweres Verbrechen war. (Zuruf: Aber der Strafrahmen!) — Der Strafrahm en ist sehr verschieden gewesen. (Professor Dr. Dahm: Aber auch teilweise die Rückwirkung des Gesetzes. S o haben wir heute noch beim Landesverrat Bestimmungen über die Verleumdung des deutschen Volkes im Auslande. Wenn diese Bestimmungen mit rückwirkender Kraft ausgestattet würden, würde man sich in Übereinstimmung mit der Volksanschauung befinden.) — Ich warne davor. W ir müssen auch ein wenig darauf achten, wie ein solches Recht uns in der Welt projiziert. Das würde in der Welt nicht anders als unter der Firm a „Emigrantenrache" erscheinen, und damit brauchen wir uns nicht zu belasten. D as gilt nicht bloß für diesen Fall.

Professor Dr. Gras Gleispach: Ich irre mich wohl nicht, wenn ich die Vorschriften, die jetzt im Entwurf über die zeitliche Geltung der Strafgesetze enthalten und auch jetzt vorgeschlagen sind, als allgemeine Vorschriften auffasse, die für jedes Strafgesetzbuch gelten sollen, also auch für den Wechsel der Strafgesetzgebung, vor dem wir jetzt stehen, und da sind diese Vorschriften eigentlich untragbar. Ge­ rade nach dem Rechtsbegriff, mit dem wir uns heute und gestern beschäftigt haben, ist der Grundsatz der Nichtrückwirkung gerade das Verkehrte. Nachdem es eigentlich nicht mehr zur Debatte steht, habe ich aber wenig Aussicht, mit einem gegenteiligen allgemeinen Vorschlag hier durchzudringen und würde jetzt die vom Kollegen Dahm vorgeschlagene Lösung vorziehen, daß man nur im Einführungsgesetz Übergangsbe­ stimmungen für den Entwurf schriebe und allgemeine Grundsätze überhaupt nicht ausspricht. Wenn man sich aber schon für die Regel der Nichtrückwirkung aus­ sprechen will, soll man darauf Hinweisen, daß die Gesetzgebung des Deutschen Reiches auch einmal einen anderen Standpunkt einnehmen kann. Gewiß, ein Gesetz kann durch ein Gesetz anderen In h a lts geändert werden; aber wenn man schon als Grundsatz aufstellt: „Es gilt das Gesetz der Tatzeit", so würde das nach der heute herrschenden Rechtsaufsassung Störende daran doch gemildert sein, wenn man sagt: „F ür die Regel" gilt dieses Gesetz, wenn man aber die Nicht­ rückwirkung nicht so fundamental als unverbrüch­ lichen Grundsatz hinstellen würde. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist mein Gedanke aus der ersten Lesung gewesen. Der Grundsatz muß lauten: Die S trafe richtet sich nach dem Gesetz zur Zeit der T at. Wenn es anders gemacht werden soll, soll der Gesetzgeber das sagen. Ih re Fassung „Es gilt in der Regel, du kannst es aber auch anders machen" würde mir zu bedenklich erscheinen. (Professor Dr. Graf Gleispach: Ich würde vor­ ziehen, allgemeine Regeln überhaupt nicht auf­ zustellen. Wenn man das nicht will, handelt es sich nur um Übergangsbestimmungen, die besser im Einsührungsgesetz ständen. — D as soll doch aber für das gesamte Gebiet des Strafrechts überhaupt gelten. Dann muß ich es auch in sämtliche strafrechtlichen Nebengesetze hinein­ schreiben. Wie stellen S ie sich die Sprache des Ge­ setzes vor bei dem Problem, das im § 347 zu regeln versucht wird? Professor Dr. Gras Gleispach: W ir haben es niemals mit einem rückwirkenden Gesetz zu tun gehabt. Der Fall, aus den ich Hinweisen möchte, ist das Gesetz zur Bekämpfung der wirtschaft­ lichen Untreue in Österreich. D a hat eine besonders empfindliche Lücke bestanden, und die Vorgänge bei der Kreditanstalt, durch die viele kleine S parer ge­ schädigt wurden, haben dazu geführt, ein Gesetz gegen Untreue zu machen und ihm rückwirkende Kraft bei­ zulegen.

(Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Aber die Aufnahme, die dieses Gesetz gesunden hat, ist nicht ermutigend gewesen.) — Es kommt immer auf den Blickpunkt an. Die Ge­ schädigten waren durchaus von dem Gesetz befriedigt, und es hat wirklich einem meinem Empfinden nach gerechten Verlangen dieser Volkskreise entsprochen, daß hier eine Lücke ausgefüllt wurde und daß man ein Verhalten, das jeder ehrliche Mensch als rechts­ widrig empfunden hat, endlich der gerechten Strafe zuführte. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: D as kann man auch, indem man das SpezialHesetz mit rückwirkender Kraft ausstattet. D as will ich ja zulassen. Aber ich möchte zu diesem Thema in allem Ernst folgendes sagen: Der Befehl kann sich über­ haupt nur an die Zukunft richten; ich kann nicht für die Vergangenheit befehlen, und infolgedessen kann ich die Kontravention gegen den gesetzgeberischen Be­ fehl in aller Regel nur für die Zukunft aussprechen. Die Vorstellung, daß wir ein Strafgesetz im Kabinett durchbringen, das den Grundsatz der Rückwirkung enthält, wmmt mir so phantastisch vor, daß ich gar nicht daran denken kann; das halte ich für völlig aus­ geschlossen. Wenn es also im Strafrecht steht, wird man sehr leicht sagen, daß es ein allgemeiner Rechts­ grundsatz ist. Aber Herr Graf Gleispach will es nicht auf das Strafrecht beschränken, sondern er will all­ gemein den Gesetzen eine rückwirkende Kraft geben. (Widerspruch.) D as halte ich einfach für nicht möglich. Ich meine, wo Zwang oder Bedürfnis zur rückwirkenden Wirkung eines Strafgesetzes besteht, da möge das von der Stelle her befriedigt werden, die es am besten und autoritativsten machen kann, vom Standpunkt des Gesetzgebers aus. D as andere halte ich praktisch für nicht versechtbar. Professor Dr. Dahm: W ir sind doch gerade der Meinung, daß nicht vom Gesetz auszugehen ist, sondern vom Recht, das hinter dem Gesetz steht. W ir betrachten also das neue Gesetz a ls Ausdruck des Rechts, das auch I nkrafttreten des Gesetzes schon Recht gewesen M o a r a u s ergibt sich die innere Berechtigung der Rückwirkung gerade von einem Denken aus, das im Gesetz nur den Aus­ druck des Rechts erblickt, des Rechts, das im Grunde der Bestätigung durch den Gesetzgeber gar nicht bedarf. Die Beschränkung der Rückwirkung auf das mildere Gesetz stammt aus derselben Gedankenwelt wie der Grundsatz: nulla poena sine lege. Ich sehe auch nicht ein, warum diese Frage von F all zu F all und nicht grundsätzlich entschieden werden soll. Reichsjustizminister D r. Gärtner: Ich fürchte, daß das die Überspitzung eines Ge­ dankens ist, dem wir alle anhängen. Ich glaube, daß das gar nicht volkstümlich gemacht werden kann. Ich hätte schon Bedenken, wenn hier z. B. von einem

milderen Recht gesprochen würde. Der immaterielle Begriff des Rechtes, von dem wir so oft gesprochen haben, kann doch überhaupt gar keine Strafrahm en liefern; dieser Begriff kennt keine Strafrahmen, sondern sagt nur: D as ist eine Gemeinheit, die muß bestraft werden! Also „milderes Recht" in dem transzendenten S inne ist schon ein bedenkliches Wortzusammenspiel. Die Ausführung von Herrn Professor Dahm halte ich — er hat ja selbst das Wort geprägt — aller­ dings für doktrinär. W ir müssen doch das Leben an­ schauen auch unter dem Gesichtspunkt der Regel und der Ausnahmen. I n der Regel ist doch kein Gesetz rückwirkend; ausnahmsweise kann es rückwirkend sein. I n der Regel wird gar kein Bedürfnis bestehen, rück­ wirkendes Recht anzuwenden. M an würde fragen: Wenn dasselbe „Recht" damals schon bestand, warum ist es nicht zum Gesetz geworden? Gerade in dem Augenblick, wo der S ta a t sein neues Recht baut, halte ich die rückwirkende Kraft der Gesetze für besonders bedenklich. Ich könnte sie mir gerade noch denken für eine Zeit, wo soeben ein großer Umbruch gekommen ist. Aber die Rückwirkung als programmatischen Satz für die Zukunft aufzustellen, das ginge daraus hinaus, daß w ir damit andeuteten: W ir haben nicht genug Verbindung mit der inneren Volksanschauung, um das, was sich als Rechtsanschauung gebildet hat, über­ haupt formen zu können. D as dürfen w ir doch in dieser Zeit auf keinen F all sagen. Professor D r. Graf Gleispach: Herr Reichsminister, ich meine, manches von dem, was Sie ausführten, spräche für unseren Standpunkt. Nämlich gerade wenn ein großer Umbruch statt­ gefunden hat und wenn der neue S ta a t mit seiner Rechtsaufsassung aus naheliegenden Gründen noch nicht imstande gewesen ist, sofort ein neues S tra f­ gesetzbuch zu machen, dann folgt daraus die Rück­ wirkung, wenigstens für das neue Strafgesetzbuch. Diese Rechtsaufsassung ist zur Herrschaft gekommen mit der Machtergreifung der N S D A P , und bis das Strafgesetzbuch in Kraft tritt, wird immerhin noch einige Zeit vergehen. Reichsjustizminister D r. Gärtner: Herr Graf, ist es wirklich so, daß w ir bei allen diesen strafbaren Handlungen, die das Leben ausweist, das Bedürfnis nach einer Rückwirkung haben? E in anderer Fall: Jem and hat im Jah re 1931 das jetzt als Hoheitszeichen anerkannte und erklärte Hakenkreuz beschimpft. S ind S ie der Meinung, daß das rückwirkend bestraft werden muß? (Professor D r. Graf Gleispach: Nein, nein! Damals war es nicht anerkannt!) — M it diesem Einwand, Herr Graf, kommen Sie aber auf das Glatteis! D as heißt: Damals w ar es noch nicht verboten, da gab es kein Gesetz! Wollen S ie diejenigen Leute, die nun im Lause der zehn oder fünf Jah re eine ganze Schlammflut von Be­ schimpfungen oder Verleumdungen über die National-

sozialistische Deutsche Arbeiterpartei ouägegoffen haben in W ort und Schrift, heute unter das jetzige Strafrecht stellen? (Professor D r. Graf Gleispach: Nein, ich glaube, daß das Hakenkreuz zum staatlichen Symbol geworden ist; das ist unabhängig von der Frage, ob es strafrechtlich geschützt ist!) — Nein, es handelt sich nicht bloß um Staatssymbole. E s ist nicht bloß das Hakenkreuz geschützt, sondern es ist alles mögliche geschützt: Parteiabzeichen usw. Das verbotene Uniformtragen kann ich nicht rückwirkend bestrafen wollen. Ich will mir eine Gruppe von Delikten vergegenwärtigen, die jetzt überhaupt neu geschaffen worden sind. Dazu gehören der Mißbrauch der Uniform, der Abzeichen, der abzeichenähnlichen Gebilde, dazu gehören der verbotene Besitz der Uni­ form, das Verkaufen und Feilhalten der Uniformen. D as sind neue Gesetze, bei denen das Bedürfnis nach Rückwirkung gar nicht auftreten kann. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich würde an zweiter Stelle den Vorschlag Dahms unterstützen, daß, wenn man die Rückwirkung des milderen Gesetzes zuläßt, wie der Herr Staatssekretär vorschlägt, auch die Rückwirkung des strengeren Ge­ setzes wenigstens zugelassen sein soll. Ministerialdirektor Schäfer: D as steckt schon darin. E s gilt das schärfere Gesetz; es kann nur durch das mildere Gesetz ausgeglichen werden. Professor Dr. Graf Gleispach: Vielleicht könnte man von Gesetzen sprechen, die nur für einen bestimmten Zeitraum oder im Hinblick aus das Bestehen außerordentlicher Verhältnisse er­ lassen worden sind. Außerdem möchte ich vorschlagen, die Wendung „Die S trafe bestimmt sich" sprachlich zu verbessern in „Die Strafe richtet sich". Staatssekretär Dr. Freister: Auch aus einem anderen Grunde wird man bei einer Reihe von Delikten von einer Rückwirkung ab­ sehen müssen. Wenn man davon ausginge, daß die Forderungen aus dem Recht sozusagen ewig sind, so wäre das nichts weiter als der Ausfluß einer naturrechtlichen Auffassung vom Recht, die mit der biolo­ gischen Auffassung vom Recht nicht in Einklang zu bringen wäre. Zur biologischen Auffassung vom Recht gehört das Wachstum und das Sichverändern des Rechts. Der Gesetzgeber hat seit der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus eine ganze Reihe von Gesetzesbestimmungen geändert und weiter entwickelt, z. B. auf dem Gebiete des Erbhofrechts. Wie das Volk wächst und sich entwickelt, so wachsen und entwickeln sich auch die Forderungen, die das Recht des Volkes an den Einzelnen stellt. Deshalb ist es falsch, den Grundsatz aufzustellen, daß das Recht, das gestern und heute im Volke lebt, schon gestern und vorgestern im Volke gelebt hat. Zu verlangen, daß, wer gestern und vorgestern eine Handlung begangen hat, nur deshalb

bestraft werden muß, weil heute die Bolksanschauung diese T at für strafwürdig erklärt, ist eine irrige Ein­ stellung. M it der biologischen Rechtsauffassung ist die Anschauung unvereinbar, daß Rechte ewig sind. Daher ist es grundsätzlich nicht richtig, die Rückwirkung von Strafgesetzen zu verlangen. Strafe und Strafbarkeit bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der T at gilt. D as Recht, das heute gilt, ist aber nicht mehr das Recht von gestern und vorgestern. Ausnahmesälle gibt es nur, wenn der Gesetzgeber zwar die T at nicht mit Strafe bedroht hat, die Volksanschauung jedoch die S tra fta t als Unrecht betrachtet hat; hier wird § 345 Abs. 3 helfen. Darüber hinaus scheint mir eine Rückwirkung von Strafgesetzen nicht berechtigt zu sein. Daher bin ich mit meinem Vorschlag daraus auch nicht eingegangen. Ich fürchte nur, daß das Ergebnis der Debatte es uns unmöglich macht, an die Stelle des Wortes „ist" das Wort „kann" zu setzen. D as wäre höchst bedauerlich. I m einzelnen ist eben nach­ zuprüfen, aus welchem Grund irgendeine Strafvorchrift geändert wurde. D as kann man nicht allgemein ägen,das kann nur der Richter im Einzelfall entcheiden. E s kann das Bedürfnis bestehen, im Einzel­ all das mildere Gesetz nicht anzuwenden, oder auch umgekehrt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: J e einfacher die Formel wird, um so besser. Die Zeitbedingtheit braucht sich nicht auf ein Kalender­ datum zu stützen, meistens ist das Nötige aus den Einleitungsworten zu ersehen. Staatssekretär Dr. Freister: Ich schlage vor, das Wort „ist" im § 347 zu ge­ brauchen. I m § 348 brauchen wir nicht von Recht zu reden, weil die Strafrahm en in jedem Fall aus einem Gesetz genommen werden sollen. Bei § 349 ist der F all undenkbar, daß ein nicht gesetzlich festgelegter Rechtssatz sich Zeitgeltung beimißt. Ich meine also, wir sollten doch in den §§ 348, 349 und 350 besser von „Gesetz" statt von „Recht" sprechen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: § 348 trifft doch auch den Fall, daß das „andere" Gesetz die T at für strafbar erklärt, während dies nach dem früheren Rechtszustand nicht der Fall war. D as „mildere Gesetz" ist nicht nur ein Gesetz, das die Strafe mildert, sondern auch ein Gesetz, das über­ haupt von Strafe absieht. Nach dem Vorschlag des Herrn Staatssekretärs Dr. Freister wäre es also möglich, da bei einem Wechsel der Gesetzgebung sowohl das mildere als auch das strengere Strafgesetz soll angewandt werden können, in einem Fall, wo eine T at früher nicht strafbar war, doch eine Strafe zu verhängen, wenn das neue Gesetz die T at für strafbar erklärt. Will man diese Folge nicht, so muß sie durch den Wortlaut des § 348 ausgeschlossen werden. Vor­ läufig ist das nicht der Fall. Staatssekretär Dr. Freister: D as ist der Grundsatz des § 345. Beispiel: Z ur Zeit der T at war eine Strafe mit Gefängnis bedroht;

ein halbes J a h r später war sie straflos; ein J a h r darauf war sie mit Zuchthaus bedroht. Hier bin ich der Meinung, daß die T at auch dann bestraft werden kann, wenn sie in einem Zeitpunkt begangen wurde, wo sie straflos war. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich halte es auch für richtig, das Wort „ist" im § 348 durch „kann" zu ersetzen. Auch der Bund Nationalsozialistischer Juristen hat die Muß-Vorschrift abgelehnt aus der Erwägung heraus, daß man keine Präm ie für Verschleppung von Verfahren geben sollte. Die Forderung des Herrn Professors Dahm auf Rückwirkung des strengeren Gesetzes ist schon von Traeger in der Vergleichenden Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts vertreten worden. Auch England trägt kein Bedenken, das strengere Strafgesetz mit rückwirkender Kraft zu ver­ sehen. Ministerialdirektor Schäser: England bestraft stets nach dem Gesetz zur Zeit der T at, es verurteilt eventuell auch noch zum Tode, wenn die Todesstrafe nicht mehr auf der T at steht. Senatspräsident Professor Dr. Klee: I n diesem Sommer wird ein Gefängniskongreß stattfinden, auf dem die Frage behandelt werden soll, ob die Strafmilderung des neuen Gesetzes auf rechts­ kräftige Urteile erstreckt werden soll. Ich möchte daher bitten, den Beschluß hierüber bis dahin zurückzustellen. Die Erstreckung der Änderung der S trasart auf rechts­ kräftige Urteile würde praktisch zu großen Schwierig­ keiten und Verwicklungen führen. I n dem Falle der späteren Strafloserklärung aber wäre es m. E. an­ gezeigt, diese Wohltat auch den schon rechtskräftig Verurteilten zugute kommen zu lassen.

Ministerialdirektor D r. D ürr: Wenn in § 348 und § 350 gesagt ist, es sei das Gesetz anzuwenden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, auch wenn die Entscheidung im letzten Rechtszug ergeht, dann wird damit der Strafversahrensordnung vor­ gegriffen. Selbstverständlich ist, daß auch das Beru­ fungsgericht das Gesetz anwendet, das zur Zeit seiner Entscheidung gilt. Nur wenn das Prüfungsrecht des Rechtsrügegerichts aus die Nachprüfung der Rechts­ frage beschränkt bleibt, kann überhaupt die Frage auf­ tauchen, die hier geregelt werden soll. Die Regelung sollte deshalb in die Strafversahrensordnung über­ nommen werden. Ministerialdirektor Schäfer: Ich würde vorschlagen, zunächst eine Anmerkung zu machen und die endgültige Ausgestaltung bei der Beratung der Strafverfahrensordnung zu beschließen. Reichsjustizminister D r. Gärtner: W ir kommen also zu dem Ergebnis: Die Strafe soll sich richten nach dem Recht, das zur Zeit der T at gilt. Der Gesetzgeber kann aber auch anders be­ stimmen. Die zweite Anregung betrifft die Anwen­ dung des milderen Gesetzes bei der Entscheidung. Es erhebt sich kein Einwand dagegen, daß die Milderung als Kann-Borschrift erscheint. D as Zeitgesetz soll materiell dargestellt werden, und zwar ungefähr aus der Vorstellung heraus: Ein Zeitgesetz ist ein Gesetz, das sich selbst so bezeichnet oder als auf eine bestimmte Zeit beschränkt erkennbar ist. Bezüglich der Maßregeln der Sicherung und Besserung soll in den einzelnen Paragraphen das Wort „Gesetz" bleiben, nicht durch „Recht" ersetzt werden. Damit ist auch dieses Thema erledigt. Ich schließe die Sitzung.

(Schluß der Sitzung 14 Uhr 31 Minuten.)

Strafrechtskomnüsfion

58. Sitzung 25. März 1935 Zweite Lesung Inhalt Geltungsbereich der Strafgesetze (Fortsetzung der Aussprache) Räumliche Geltung Reichsjusttzminister Dr. Gürtner 1, 3, 7, 8, 10, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23 Berichterstatter Oberstaatsanwalt Dr. R eim er..................1, 10 Berichterstatter Professor Dr. M ezger. . . 2, 4, 17, 18, 19, 23 Oberlandesgertchtsrat Dr. Sch äfer............................................. 3 Ministerialdirektor Dr. D ü r r ......................................... 4, 17, 21 Professor Dr. Graf G leispach.........5, 16, 17, 18, 20, 21, 22 Professor Dr. D a h m .........................................8, 14, 16, 21, 22 Senatspräsident Professor Dr. K lee............................ 8, 15, 23 Staatssekretär Dr. F reister..........................................................11 Professor Dr. N agler............................................. 12, 15, 16, 23 Vizepräsident G ra u .........................................................................14 Ministerialdirigent Dr. Schäfer.................................. 18, 19, 20 Ministerialdirektor Schäfer.................................. 19, 20, 22, 23 Vortragender Legationsrat Dr. S ie d le r .................................. 20

Sprachgebrauch Reichsjusttzminister Dr. Gürtner.......................... 24, 25, 26, 27 Berichterstatter Professor Dr. M ezger...................... 24, 25, 26 Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer...................................... 24, 25 Vizepräsident G rau..................................................................25, 27 Senatspräsident Professor Dr. Klee.................................... 25, 26 Ministerialdirektor Dr. D ü r r ........................................................25 Professor Dr. N a g le r .....................................................................26 Professor Dr. D a h m .......................................................................26

Verjährung Reichsjusttzminister Dr. G ürtner.......................................27, 28 Berichterstatter Landgerichtsprästdent Dr. L orenz............... 27 Berichterstatter Professor Dr. N agler........................................ 28 Professor Dr. D a h m .......................................................................28

Die Schuld Zurechnungsfähigkeit Reichsjustizminister Dr. Gürtner......... 28, 33, 36, 39, 40, 41 Berichterstatter Professor Dr. GrafGleispach .........................28 Berichterstatter Senatspräsident ProfessorDr. K lee............. 32 Professor Dr. M ezger........................................................... 33, 40 Ministerialdirektor Dr. D ü r r ....................................... 34, 40, 41 Vizepräsident G rau.........................................................................35 Professor Dr. Nagler...................................................................... 36 Staatssekretär Dr. F reisler..........................................................36 Professor Dr. Kohlrausch.......................................................37, 40 Landgerichtsdirektor Leimer..........................................................39 Professor Dr. Dahm ................................................................39, 40 Ministerialdirektor Schäfer............................................................40 Ministerialdirigent Dr. Schäfer................................................... 40

(Aussprache abgebrochen.) Beginn der Sitzung 10 Uhr 20 Minuten.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir wollen so verfahren, daß wir zunächst die Themen 3, 4, 5 und 6, die in gewissem Sinne eine innere Einheit bilden, bis zur Ankunst von S ta a ts­ minister Thierack zurückstellen und uns im Anschluß an die räumliche Geltung mit der Verjährung be­ sassen. Wir kämen also zur räumlichen Geltung der Strafgesetze. Berichterstatter Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Zu dem Abschnitt „Räumliche Geltung der S traf­ gesetze" habe ich Abänderungen grundsätzlicher Art nicht anzuregen. Insbesondere halte ich es im Gegen­ satz zu Herrn Ministerialdirektor D ürr (Anträge B 4) für richtig, hier das Personalprinzip an die Spitze zu stellen. Diese Abweichung vom geltenden Recht er­ folgte seinerzeit aus Vorschlag des Herrn S taats­ sekretär Freisler, wogegen in der ersten Lesung von keiner Seite irgendwelche Bedenken erhoben wurden. Zur Begründung w ar geltend gemacht, daß es dem Sinne der Volksgemeinschaft entspräche, wenn das Strafgesetzbuch jeden Staatsangehörigen bindet, ohne Rücksicht darauf, ob er innerhalb oder außerhalb der Reichsgrenzen weilt. D as deutsche Volk muß von jedem Volksgenossen fordern, daß er sich auch im Aus­ land so verhält, wie er sich in der Heimat verhalten müßte, um nicht mit dem deutschen Strafgesetz in Konflikt zu kommen. Die einzige Abänderung, die ich zu § 351 Absatz 2 vorschlagen möchte, ist die Ersetzung der Worte „Recht oder Unrecht" durch „Recht und Unrecht". Dieser sprachlich richtigere Ausdruck ist auch im § 373 des Entwurfs gewählt worden. I n § 353 Absatz 1 sind die von der Re­ daktionskommission eingefügten Worte „Deutscher oder" wieder zu streichen. Ich halte diese Ein­ fügung im Hinblick auf das in § 351 an die Spitze des Abschnittes gestellte Personalitätsprinzip für überflüssig: Wenn wegen der in § 353 unter Ziffer 1 bis 7 bezeichneten Auslandstaten bereits der Aus­ länder bestraft wird, so ergibt sich hieraus, daß diese Taten hinsichtlich des d e u t s c h e n Auslandstäters ohne Einschränkung als solche zu werten sind, die mit der gesunden Anschauung des deutschen Volkes über Recht und Unrecht unvereinbar sind und mithin be­ reits durch § 351 Abs. 2 ersaßt werden. I m übrigen würde der Grundgedanke des ganzen Abschnitts nur verdunkelt werden, wenn man neben das Schutz- und Weltrechtsprinzip, von dem § 353 handelt, das P er­ sonalitätsprinzip stellen wollte. W as die Kasuistik des § 353 anlangt, so stimme ich mit Herrn Professor Mezger darin überein, daß eine Ausweitung des Schutzprinzips auf noch andere Delikte nicht in Frage kommt. Bon den übrigen Reichsressorts ist dann noch an­ geregt worden, die den Neubürger behandelnde Be­ stimmung (§ 351 Absatz 3) und die Straftaten in Nie­ mandsland (§ 355 Absatz 2) an den angegebenen Stellen zu streichen und bei § 354 unterzubringen. Dagegen spricht nt. E. folgendes: § 351 Absatz 3 entscheidet die Frage, ob das an

die Spitze gestellte Personalitätsprinzip so weit zu fassen ist, daß es jeden Deutschen auch dann für die Vergangenheit ersaßt, wenn er erst nach der Tat Deutscher geworden ist. Die Verneinung dieser Frage mit der in § 351 Absatz 3 enthaltenen Ausnahme ist daher als E i n s c h r ä n k u n g des Personalitäts­ prinzips im Z u s a m m e n h a n g mit diesem zu regeln. § 351 Absatz 3 ist sonach nt. E. systematisch richtig eingeordnet. — Wenn § 355 Absatz 2 ge­ strichen werden sollte, müßte der darin enthaltene Gedanke zweimal, nämlich im § 351 Absatz 3 und im § 354 zum Ausdruck gebracht werden. D a das auch sprachlich zu einem unschönen Ergebnis fuhren würde, gebe ich der Verweisung in § 355 Absatz 2 den Vor­ zug, zumal es sich nur um eine Verweisung innerhalb desselben Abschnittes handelt. I n meinen Leitsätzen habe ich dann noch den Vor­ schlag gemacht, für die Strafprozeßordnung eine Be­ stimmung vorzumerken, wonach die Verfolgung von Auslandstaten grundsätzlich unter das Opportunitäts­ prinzip gestellt wird. D as ist nach dem Entwurf der Strafprozeßordnung inzwischen bereits geschehen. — Weiterhin ist dortselbst die Bestimmung enthalten, daß die Erhebung der Anklage gegen Ausländer wegen einer im Auslande begangenen S traftat von der Zustimmung des Reichsministers der Justiz ab­ abhängig gemacht wird. Ich glaube, man sollte die Strafprozeßordnung nicht mit einer derartigen Be­ stimmung belasten. Es würde nt. E. genügen, wenn dies im Wege einer ministeriellen Verfügung geregelt wird; denn zu dem Fall, daß eine Auslandstat ver­ folgt wird, kann ich aus den Erfahrungen der Praxis nur sagen, daß von der jetzigen Befugnis des § 4 Absatz 2 S tG B , nur in den seltensten Fällen Ge­ brauch gemacht wird, und daß jeder Staatsanw alt, wenn es sich irgendwie ermöglichen läßt, eine An­ klageerhebung gegen einen Ausländer oder Inländer wegen einer im Ausland begangenen S traftat schon wegen der großen Beweisschwierigkeiten und der Her­ beischaffung des Zeugenmaterials vermeidet. Professor Dr. Mezger: M it den Einzelheiten, die der Herr Mitbericht­ erstatter vorgetragen hat, bin ich im wesentlichen einverstanden. I m übrigen möchte ich ein W ort zum Grundsätz­ lichen sagen. I m Entwurf ist das P e r s o n a l ­ p r i n z i p im Gegensatz zum Territorialprinzip zu­ grunde gelegt worden. Ich habe davon abgesehen, die Frage nochmals grundsätzlich aufzurollen und habe dementsprechend meine Vorschläge auf dem Beschluß der ersten Lesung aufgebaut. E s bleibt allerdings die Frage, ob der Aufbau, wie er etwa von der N SD A P, jetzt vorgeschlagen ist, nicht doch der natürlichere und lebensnähere wäre. Nämlich zunächst einmal zu sagen: innerhalb des deutschen Herrschaftsbereiches gelten die deutschen Strafgesetze. Dann müßte aller­ dings im Sinne des für uns heute maßgebenden Standpunktes eine wesentlich stärkere Bindung auch des Deutschen im Ausland an sein vaterländisches Recht und entsprechend eine Ausdehnung der deutschen Strafgesetze aus Auslandstaten besonders vorgesehen

werden. Aber ich gehe, wie gesagt, im Folgenden vom Personalprinzip aus, wie es die erste Lesung zu­ grunde legen wollte. Zunächst darf in folgerichtiger Anwendung dieses Prinzips die Überschrift nicht mehr lauten: „Räum­ liche Geltung der Strafgesetze", sondern muß ge­ ändert werden in: „Persönliche und räumliche Gel­ tung der Strafgesetze". I m übrigen soll der Deutsche überall an die Strafgesetze des Deutschen Reiches gebunden sein, der Ausländer zunächst nur insoweit, als der räumliche Herrschaftsbereich Deutschlands reicht. Dabei wird allerdings die personelle Bindung anders als im Sinne der Staatsangehörigkeit nicht gefaßt werden können, obgleich damit auf ein formales Moment ab­ gestellt wird, das dem Grundgedanken eigentlich zu­ wider ist. Aber man kann offenbar aus politischen Gründen im Gesetz nicht, wie es dem gewünschten Personalprinzip wirklich entsprechen würde, von Deutschen dem Blute nach reden. Der Gedanke, aus dem das Personalprinzip als Ausgangspunkt erwach­ sen ist, ist und bleibt freilich nicht der Gedanke der formellen Staatsangehörigkeit, sondern der Gedanke der inneren Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Eine gewisse Unklarheit herrscht auch insofern, als zweifellos bei dem Erlaß der einzelnen Strafbestim­ mungen in aller Regel nicht an die Begehung der Tat irgendwo in der Welt gedacht wird; vielmehr sind die Bestimmungen regelmäßig berechnet für eine Begehung aus deutschem Territorium. Wenn nun diese Bestimmungen ohne weiteres auf die Begehung durch einen Deutschen irgendwo in der Welt über­ tragen werden, so muß meines Erachtens notge­ drungen diese Übertragung in einer elastischen Form geschehen. Diese These hat nichts mit der allgemeinen Frage der Bindung an das Gesetz zu tun, sondern er­ wächst aus den besonderen, konkreten Verhältnissen in der vorliegenden Frage. E s ist eben so, daß die Ge­ setze in Deutschland für deutsche Verhältnisse gemacht werden und daß der Gesetzgeber dabei an eine Be­ gehung im Jnlande denkt. E r überlegt sich bei dem Erlaß des Gesetzes nicht, wie die Verhältnisse im Ausland liegen. Eine grundsätzliche Übertragung solcher Gesetze aus Auslandstaten kann deshalb folge­ richtig nur durch eine elastische Formel geschehen. E s ist schon bei der ersten Lesung ausgeführt worden, daß einmal die t a t s ä c h l i c h e n V e r h ä l t n i s s e bei der Anwendung der Gesetze im Aus­ land andere sein können, daß aber auch die N o r m e i n st e l l u n g dort eine andere sein kann. Die beiden Enden dieser Linie lassen sich nicht scharf von­ einander trennen. Die Verhältnisse im Ausland be­ dingen vielfach eine gewisse Modifikation auch in der Normeinstellung. F ü r ein Geschäftsleben, das ganz anderen Grundsätzen unterliegt als das inländische, etwa für ein solches int Orient, aber vielleicht auch schon in unseren Nachbarländern, sind die Grund­ bedingungen andere und ergeben damit, beispielsweise im Gebiete des Betrugs, eine Modifikation auch in der Beurteilung der T at als solcher. Ich glaube nicht, daß man den Unterschied in einem festen, starren Be-

griff erfassen kann, es bleibt vielmehr notwendig, die wechselnden Verhältnisse jeweils in ihrer besonderen Eigenart zu berücksichtigen. D as gilt nicht nur für das Ob, sondern wesentlich auch für das Wie der Be­ strafung. So wäre ich dafür, auch das Strafm aß bei Auslandstaten elastisch zu gestalten. Wenn ich dabei in meinem Vorschlag die Worte einfüge: „aus be­ sonderen Gründen kann von dem gesetzlichen Rahmen abgewichen werden", so soll damit dem Obergericht die Nachprüfung ausdrücklich ermöglicht werden. Ich glaube, daß ein Mißbrauch nicht entstehen kann, wenn man diese Nachprüfung offen läßt. F ü r den Neu­ bürger gilt die Einschränkung: „W ar der T äter zur Zeit der T at noch nicht Deutscher, so gelten die S tra f­ gesetze des Reiches nur, wenn die T at auch durch die Gesetze des Tatortes mit Strafe bedroht oder der Ort der T at keiner Strafgewalt unterworfen war." Bei der Ausdehnung der Strafbarkeit aus Deutsche im Ausland denkt man in erster Linie an Fälle, in denen Deutsche ins Ausland reisen und dort ein Delikt begehen. Wenn aber künftig das Personal­ prinzip nach Maßgabe der Staatsangehörigkeit zu­ grunde gelegt wird, so kommen dafür auch die Fälle in Betracht, in denen jemand von vornherein im Aus­ land geboren ist, dort unter ganz anderen Verhält­ nissen seine Jugend zugebracht hat und erst später nach Deutschland kommt. Ich meine gerade für diese Fälle besteht noch ganz besonders die Notwendigkeit einer beweglichen Formel. Dann käme die Behandlung des Ausländers. F ü r ihn gilt grundsätzlich das Territorialprinzip mit den Erweiterungen im Sinne von § 354, welch letzteren ich in meinen Vorschlägen als § 352 Absatz 2 aus­ genommen habe. F ü r eine weitere Gruppe von Delikten, bei denen ich mich an die bisherigen Ziffern 1 bis 7 des § 353 im Entwurf halten würde, besteht das Bedürfnis, restlos und ohne jede Einschränkung die deutschen Gesetze gelten zu lassen, selbstverständlich für Deutsche ebenso wie für Ausländer. F ür erstere ist hier die Befugnis elastischer Anpassung des Gesetzes, für letztere das Territorialprinzip ausgeschlossen. Reichsjustizminister Dr. Gürtuer: Zu diesem Abschnitt sind Einwendungen vom Auswärtigen Amt eingegangen, die ich Herrn Ober­ landesgerichtsrat Dr. Schäfer vorzutragen bitte. Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Es sind drei Punkte, bei denen das Auswärtige Amt Änderungen wünscht. S ie beziehen sich zunächst auf den Sprachgebrauch „Deutscher". Unter einem „Deutschen", meint das Auswärtige Amt, könne man den nach der Stammeszugehörigkeit Deutschen ver­ stehen, auch wenn er nicht Reichsangehöriger ist. Um dies Mißverständnis zu vermeiden, wird vorgeschla­ gen, das Wort „Deutscher" etwa durch „Reichs­ angehöriger" zu ersetzen. Die beiden anderen Vorschläge des Auswärtigen Amts beziehen sich auf § 353 Zisf. 1 und Zisf. 3. Zunächst wird zu Ziffer 1 gewünscht, die Worte „und Volksverrat" zu streichen. E s heißt in der Begrün­ dung wörtlich:

Es bestehen ernste Bedenken dagegen, daß ein Ausländer verfolgt werden muß, wenn er sich im Auslande eines Volksverrats gegen Deutsch­ land schuldig gemacht hat. Von der Bestimmung würden vor allem ausländische Joumalisten, Parlam entarier und Staatsm änner betroffen werden, die in Zeitungsartikeln oder in Reden Greuelnachrichten über Deutschland weitergeben oder Angriffe gegen das deutsche Volk richten oder seine Vergangenheit oder Gestalten seiner Vergangenheit verächtlich machen. An sich ist gewiß der Standpunkt gerechtfertigt, daß solche Personen im Auslande bleiben und nicht deutsche Gastfreundschaft in Anspruch nehmen sollen. Diesem Gesichtspunkt wird jedoch besser durch fremdenpolizeiliche als strafrechtliche M aß­ nahmen Rechnung getragen. Es ist zu bedenken, daß es häufig im deutschen Interesse liegen wird, gerade solche Personen nach Deutschland einzu­ laden, damit sie hier in die tatsächlichen Verhält­ nisse Einblick gewinnen und eines Besseren be­ lehrt werden können. I n dieser Richtung ist bisher häufig und nicht ohne Erfolg gearbeitet worden. Dies würde für die Zukunft unmöglich gemacht werden, wenn die beteiligten Ausländer beim Betreten deutschen Bodens Festnahmen und Strafverfolgung zu gewärtigen hätten. Der erste praktische F all würde voraussichtlich dazu führen, den ganzen Verkehr ausländischer P o li­ tiker mit Deutschland zu unterbinden oder wesentlich zu erschweren. D as liegt nicht im deutschen Interesse. Dabei ist zu bedenken, daß die Grenze zwischen zulässiger Kritik und Be­ schimpfung flüssig ist, und daß auch das Aus­ land durch diese Strafbestimmungen sich kaum davon abhalten ließe, in dem bisherigen Tun fortzufahren. Die Verleumdung gehört heute nun einmal leider zu den Mitteln, mit denen die Politik des Auslandes vielfach vermeintliche Gegner bekämpft. M it dem raschen Wandel der politischen Einstellung schwinden die Angriffe und werden vergessen. Um so weniger würde es vom Ausland verstanden werden, wenn noch nach Jahren wegen weit zurückliegender und inzwischen längst überholter Vorgänge ein S tra f­ verfahren gegen einen Ausländer eingeleitet werden sollte. E s kommt auch in Betracht, daß die Einstellung des Auslandes gegenüber Deutschland zwar heute noch nicht überall be­ ruhigt ist, daß aber doch erfahrungsgemäß nach Ablauf einer gewissen Zeit mit der Rückkehr normaler Verhältnisse in dieser Beziehung ge­ rechnet werden darf, so daß dann die S tra f­ bestimmungen für das Ausland ohnehin wohl entbehrlich werden würden. Die Bedenken, die hiermit geäußert werden, werden nicht aus dem Wege geräumt, wenn in der neuen Strafprozeßordnung vorgesehen wird, daß bei der Strafverfolgung eines Ausländers wegen einer im Auslande begangenen Tat die Anklage nur mit Zustimmung des Reichsministers

der Justiz erhoben werden darf. Bei dem künf­ tig auch in diesen Fällen geltenden Offizial­ prinzip würde die Strafversolgungsbehörde und Polizeibehörde regelmäßig nicht zögern, sofort den Ausländer in Haft zu nehmen, wenn er deutschen Boden betritt. E r wird daher meist schon einige Wochen in Haft gesessen haben, bevor eine Entscheidung über die Frage der Anklageerhebung ergeht.' Aus diesen Gründen wird vorgeschlagen, in dem Katalog des § 353 unter Nr. 1 das Wort „Volksverrat" zu streichen. D ann heißt es zu § 353 Nr. 3: Die gleichen Bedenken, die gegen eine S tra f­ verfolgung von Ausländern wegen im Ausland begangenen Volksverrats bestehen, müßen auch gegen die Strafverfolgung von Ausländern wegen im Ausland unternommener Angriffe auf die politische Führung und die Bewegung geltend gemacht werden, soweit eine Verunglimpfung der politischen Führung (§ 110), eine Verun­ glimpfung der Parteiführung (§ 215), eine Ver­ leumdung der Partei (§ 216) und eine Be­ schimpfung der P artei (§ 217) in Betracht kommen. I n diesen Fällen, von der Beschimp­ fung der Partei abgesehen, soll zwar die S tra f­ verfolgung nur auf Anordnung des Reichs­ ministers der Justiz eintreten, so daß eine außen­ politisch unerwünschte Strafverfolgung vermieden werden könnte. Die Tatsache indessen, daß die Strafdrohung und damit die Möglichkeit der Strafverfolgung besteht, müßte jeden aus­ ländischen Politiker vor die Frage stellen, ob er einen Besuch in Deutschland wagen darf, ohne Gefahr zu laufen, dort festgenommen und vor Gericht gestellt zu werden. Denn er wird manch­ mal im Zweifel sein können, ob er in seinen kritischen Äußerungen über Deutschland nicht nach deutscher Auffassung die Grenzen erlaubter Kritik überschritten hat. Der ausländische Politiker würde daher vermutlich bestrebt sein, Deutschland zu meiden. D a die Strafverfolgung nicht verjähren soll, würde er dies Zeit seines Lebens tun müssen. Daß eine solche Wirkung der Strafbestimmungen nicht im deutschen Interesse läge, ist bereits oben bemerkt worden. Andererseits ist darauf hinzuweisen, daß es außenpolitisch höchst unbequem sein könnte, die Reichsregierung mit dem Odium der Strafver­ folgung zu belasten, wie es unvermeidlich wäre, wenn die Strafverfolgung von einer Anordnung des Reichsministers der Justiz abhängig ist. D as Auswärtige Amt möchte hiernach vor­ schlagen, entweder die Nr. 3 des Katalogs in § 353 ganz zu streichen, oder sie dahin einzu­ schränken, daß sie nur für die Fälle der §§ 107 bis 109, 111 bis 112 und 214 bestehen bleibt. Professor Dr. Mezger: Zu § 353 Nr. 1 (Volksverrat) scheinen mir die Gründe des Auswärtigen Amts überzeugend zu sein.

Zu Ziffer 3 halte ich eine Anhörung von Stellen der P artei für notwendig. Beim Ausdruck „Deutscher" liegt das proton pseudos darin, daß ein Begriff eingeführt wird, der ar nicht notwendig mit B lut und Art etwas zu tun at. Auf der anderen Seite kann ich mir allerdings nicht denken, nach welchen anderen und zutreffenderen Gesichtspunkten man das Personalprinzip im Gesetz abgrenzen könnte. M an müßte sich sodann gegebenen­ falls auch Gedanken über den F all machen, daß ge­ wisse zum Reich gehörige Personen einem Fremd­ recht unterstellt werden. Wenn schon der Begriff der Reichsangehörigkeit im staatsrechtlichen Sinne zu­ grunde gelegt wird, so würde ich glauben, daß auch solche Personen — etwa im Falle eines jüdischen Fremdrechts — unter § 351 fallen müßten und nicht unter die Ausländer. Denn ich kann m ir auch wieder nicht vorstellen, daß Gruppen von Reichsangehörigen in diesem Falle dadurch privilegiert werden, daß für sie die sonstige strenge Anwendung der Reichsgesetze entfällt. Ministerialdirektor Dr. Dürr: Herr Oberstaatsanwalt Reimer hat sich aus den Standpunkt der ersten Lesung gestellt und es so dar­ gestellt, als ob das Ergebnis der ersten Lesung allge­ mein befriedigt hätte. Ich habe den gegenteiligen Eindruck. M an hat sich in der ersten Lesung nur unter dem Eindruck der Ausführungen des Herrn Staatssekretär Dr. Freister zur Zugrundelegung des Personalprinzips entschlossen, und für diese Aus­ führungen war doch sehr stark der Gedanke maß­ gebend, das sei ein Punkt, wo man das neue S tra f­ gesetzbuch ganz anders ausbauen könne als das geltende Strafgesetzbuch. Vor den Konsequenzen hat man aber doch Scheu gehabt, und deshalb hat man den Grundsatz des § 351 Abs. 1 durch den Abs. 2 stark eingeschränkt. M an'hat sich damit getröstet, daß Abs. 2 dem Abs. 1 alle Schärfe nehmen werde. Nun ist in den kritischen Bemerkungen, die uns mitgeteilt worden sind, mit Recht hervorgehoben worden, daß der Abs. 2 nicht das Ziel erreicht, das er erstrebt. Denn der ganze In h a lt des Strafgesetzes muß mit der gesunden Anschauung des deutschen Volkes über Recht und Unrecht übereinstimmen, also jeder Verstoß gegen ein deutsches Strafgesetz mit der gesunden Anschauung des deutschen Volkes über Recht und Unrecht unvereinbar sein. Wenn man etwa den Abs. 2 nach dem Vorschlag des Herrn Professor Mezger gestalten könnte, so würden meine Bedenken dadurch stark eingeschränkt werden. Ich kann aber diesem Vorschlag nicht zustimmen; denn wir würden dann für die Verfolgung von Deutschen wegen Aus­ landstaten das Freirecht einführen. Was wir für Taten im In la n d ablehnen, würden wir für Taten im Ausland zulassen. Nun habe ich mich gefreut, daß der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen und die Arbeitsgemeinschaft der N S D A P , sich nicht gescheut haben, dafür einzutreten, daß das Territorialprinzip wieder eingeführt wird. M an kann also wohl sagen,

daß das Territorialprinzip nationalsozialistischer Auffassung nicht widerspricht. Und es ist zweifellos das einzig Richtige. Denn wir können einfach den Gedanken nicht durchführen, daß jeder Deutsche sein Strafrecht im Tornister mit sich führt. Ich hätte gar kein Bedenken, wenn der Grundsatz nur für Deutsche gelten würde, die sich vorübergehend im Auslande aufhalten. Aber der Grundsatz paßt nicht für Deutsche, die im Ausland geboren sind, deren Vor­ fahren vielleicht schon seit Jahrzehnten im Auslande leben. Es ist ganz unmöglich, zu verlangen, daß diese Deutschen sich mit den Gedanken unseres neuen Strafgesetzbuchs ohne weiteres vertraut machen. Die Schönheit der Regelung des Personalprinzips fällt aber ganz weg, wenn man nach dem Vorschlag des Auswärtigen Amts wohl gezwungen sein wird, das Wort „Deutscher" durch „Reichsangehöriger" zu ersetzen. Denn nur dann, wenn man es auf den Deutschen nach B lut und Abstammung abstellt, läßt sich noch die Zugrundelegung des Personalprinzips rechtfertigen. Herr Professor Mezger hat in seinen Aus­ führungen mit Recht darauf hingewiesen: Es ist ganz unmöglich, schon bei der Aufstellung des Strafgesetz­ buchs, noch mehr aber bei der Aufstellung der straf­ rechtlichen Nebengesetze immer zu prüfen, wie die einzelne Vorschrift sich im Ausland auswirkt. Ich erinnere daran, welche Schwierigkeiten oft die Ab­ grenzung der Tatbestände hier bereitet hat, als wir erwogen haben: W ir wollen zwar das kriminelle Un­ recht treffen, wir wollen aber den Geschäftsverkehr nicht zu sehr hemmen, dem Einzelnen nicht zu weit­ gehende Schranken auferlegen. Der Einzelne soll nicht dauernd in den Fesseln des Strafgesetzes sein. D as alles können wir übersehen für das Inland, nicht aber für die ganze Welt.

S o komme ich zu Vorschlägen, die weitgehend dem Referentenentwurf 1933 entsprechen: Grundlage ist das Territorialprinzip, wobei die deutschen See­ schiffe und Luftfahrzeuge als In lan d betrachtet werden, Ausdehnung auf die Taten von Deutschen im Auslande, die geeignet sind, das Ansehen des deutschen Volkes im Auslande schwer zu schädigen oder gegen einen Deutschen oder gegen deutsche Rechtsgüter gerichtet sind, dann Geltung des § 353 des Entwurfs für Taten von Deutschen oder Aus­ ländern im Auslande. Dabei wird allerdings berück­ sichtigt werden müssen, was uns heute als Standpunkt des Auswärtigen Amts vorgetragen worden ist. W ir haben zwar in der Strasverfahrensordnung vorge­ sehen, daß die Verfolgung von Ausländern wegen einer im Auslande begangenen T at nur mit Ermäch­ tigung des Reichsministers der Justiz zulässig ist. Aber es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß vorläufige Maßnahmen getroffen werden können, die unter Umständen zu schweren diplomatischen Verwick­ lungen führen können. Den Abschluß hätte als § 354 die Vorschrift zu bilden, daß für alle anderen Taten, die im Auslande begangen werden, die Strafgesetze des Reiches gelten, wenn die T at durch die Gesetze des Tatorts mit Strafe bedroht oder der Tatort keiner Strafgewalt unterworfen ist und entweder die T at gegen einen Deutschen oder gegen deutsche Rechts­ güter gerichtet ist oder der Täter zur Zeit der T at Deutscher ist oder nach der T at Deutscher wird oder der Täter Ausländer ist, im Jnlande betroffen und nicht ausgeliefert wird, obwohl die Auslieferung nach der Art der T at zuläffig wäre. Ich meine, daß der Abs. 3 des § 351 des Entwurfs in den § 351 schlecht paßt. E r wird nach meinem Vorschlag in den § 354 übernommen, wo der richtige Platz dafür ist.

Grundsatz ist ja: Recht soll sein, was dem deutschen Volke nützt, Unrecht, was ihm schadet. Wenn man sich auf diesen Standpunkt stellt, so genügt es, wie auch die Arbeitsgemeinschaft der N S D A P , sagt, wenn man auch die Auslandstaten von Reichs­ angehörigen oder noch weitergehend die von Deutschen unter Strafe stellt, die geeignet sind, das Ansehen des deutschen Volkes im Auslande schwer zu schädigen oder — nach der Richtung muß ich meinen schrift­ lichen Antrag ergänzen — die gegen einen Deutschen oder gegen deutsche Rechtsgüter gerichtet sind. Diese beiden Gesichtspunkte würden vollständig ausreichen, um dem Bedürfnis Rechnung zu tragen.

Ich hatte eigentlich angenommen, daß die Vor­ anstellung des Personalgrundsatzes ungefähr bereits re s ju d ic a ta sei. Nach den Ausführungen des letzten Herrn Redners scheint das nicht der Fall zu sein. Da möchte ich doch nachdrücklich dafür eintreten, daß an der Voranstellung des Personalprinzips und an dem Ausbau des Entwurfs überhaupt, von Einzelheiten abgesehen, festgehalten werde. Es ist ein etwas unge­ rechtes Urteil, wenn dort, wo wir bemüht waren, das, was wir als grundlegendes Gedankengut der nationalsozialistischen Rechtsausfassung betrachten, in dem Entwurf zum Durchbruch zu bringen, nun von Doktrinarismus gesprochen wird. Darum handelt es sich hier wirklich nicht. Aber es ist hier eines der leider nicht zahlreichen Gebiete, wo wir ohne große Schwierigkeiten imstande sind, alte deutsche Rechts­ gedanken wieder lebendig zu machen. Und nicht nur das, sondern ich meine, daß es dem ganzen Wesen der hier gerade zuletzt eindringlich erörterten Rechts­ auffassung des Nationalsozialismus entsprechen muß, die Unterwerfung aller Deutschen unter das deutsche Gesetz, d. h. unter das Gesetz des größten und mäch­ tigsten deutschen S taates klar auszusprechen und als den maßgebenden Grundsatz hinzustellen. Das hat eine Bedeutung, die über dieses Gebiet weit hinaus-

Ich hatte ursprüglich angenommen, § 354 Nr. 1 würde genügen, wo \a gesagt wird, daß Auslands­ taten ohne weiteres nach inländischem Recht bestraft werden können, wenn die T at gegen einen Deutschen oder gegen deutsche Rechtsgüter gerichtet ist. I n § 354 ist aber Voraussetzung, daß die T at auch nach ausländischem Recht strafbar ist oder daß der O rt der T at keiner Strasgewalt unterliegt. Deshalb wird man wohl die Auslandstaten von Deutschen den deutschen Strafgesetzen schlechthin dann unterstellen müßen, wenn die T at gegen einen Deutschen oder gegen deutsche Rechtsgüter gerichtet ist.

Professor Dr. Graf Gleispach:

geht. I n meinen Augen bedeutet das den Versuch — mehr ist es ja nicht — oder den Anfang dessen, daß man sich überhaupt von dem rechtsterritorialen Denken loslöst und zu der Grundlage der Volks­ zugehörigkeit für diese Fragen sich hinüberwendet. Es würde zu weit führen, das hier im einzelnen darzu­ legen. Aber ich meine, die schwierigen Fragen, die aus dem Konflikt zwischen Staatsgrenzen und Grenzen des von dem Staatsvolk bewohnten Ge­ bietes entstehen, werden sich vielleicht überhaupt am besten und in weitestem Maße durch diese Loslösung von dem Gedanken des territorialen Rechtes und allen Vorschriften, die darauf aufgebaut sind, be­ reinigen lassen. Ich glaube mich nicht zu täuschen, daß zunächst rein vom dogmatischen Standpunkt Beling als erster diese Vorstellung bekämpft hat, die in meinen Augen typisch dogmatisch oder doktrinär ist, als ob jedes Recht einen räumlich abgegrenzten Bereich haben müsse. Ich halte schon diese Grund­ vorstellung für unmöglich. Es handelt sich immer nur um die Bedingung der Geltung eines Rechtssatzes, und diese Bedingung liegt für uns doch in erster Linie in der Volkszugehörigkeit. E s sind übrigens diese Gedanken, mit denen ich mich schon vor Jahren im Zusammenhang mit der Minderheitenfrage beschäftigt habe, in einem Aussatz von Nikolai — von dem mir im Augenblick nicht erinnerlich ist, wo — behandelt worden. Es handelt sich um eine ganz grundsätzliche Frage. Wenn man nun darauf verwiesen hat, es könne sich hier nicht um ein nationalsozialistisches Prinzip handeln, weil der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen und die Partei-die Rückkehr zu dem alten Entwurf vorgeschlagen hätten, so darf ich die Bemerkung wagen: es ist mir zweifelhaft, ob dabei die prinzipielle Bedeutung dieser Umkehr und Rück­ kehr voll erkannt worden sei. Ich darf das deswegen sagen, weil in der Begründung für diese Vorschläge das, was uns das Wesentliche ist, überhaupt nicht gestreift ist. Wenn man natürlich darin nur eine technische Frage oder etwas ähnliches sieht, könnte man ja diese Rückkehr leicht vollziehen. Aber es handelt sich hier doch um mehr. Nun ist freilich der Einwand erhoben worden — und der ist zweifellos zu erwarten und in gewissem Sinne begründet — : rein können wir diesen Ge­ danken nicht durchführen, weil w ir es nicht aus den Volksbürger abstellen können, sondern es auf den Staatsbürger abstellen müssen. D as ist ohne weiteres zuzugeben. Aber das ist doch kein Hindernis, den Grundsatz voranzustellen. D as führt mich auf die zweite Frage, über die ich sprechen wollte, und die nun durch eine Bemerkung des Auswärtigen Amts noch in den Vordergrund ge­ schoben worden ist, nämlich die Bezeichnung der P er­ sonen, die schlechthin dem Reichsstrafgesetzbuch unter­ worfen sein sollen. Ich würde auch glauben, daß man den Ausdruck Deutscher hier vermeiden sollte und von Reichsangehörigen oder, was noch einfacher wäre, von Inländern sprechen könnte. Die Begründung, die

ich dieser Anregung geben möchte, geht sozusagen vom umgekehrten Standpunkt aus als dem, von dem das Auswärtige Amt ausgeht. Ich darf vielleicht hier erwähnen — wobei ich vorausschicke, daß ich sicherlich nicht eine mir sehr verständliche Empfindlichkeit da­ durch rege machen möchte — : Als ich vor Jahrzehnten als junger Jurist zum ersten M al das Reichsstraf­ gesetzbuch gelesen und dort gefunden habe: „der Deutsche", da hat das auf mich, der ich damals öster­ reichischer Staatsbürger war, einen furchtbaren Ein­ druck gemacht. Ich habe mich rein instinktiv gefragt: ja, sind wir denn alle keine Deutschen? Ich glaube, das ist ein Gesichtspunkt, den man doch auch ein bißchen berücksichtigen müßte. E s gibt Millionen Deutsche in der Welt, die zufällig nicht oder nicht mehr Reichsdeutsche sind, t>. h. Bürger des Deutschen Reiches, die aber nicht nur dem Volk, sondern auch diesem Reich auf das innigste anhängen. D as ist heute m. E. noch viel stärker der F all als früher. Ich würde darum auch das Argument von Herrn Ministerial­ direktor D ürr nicht gelten lassen, man könnte von den Deutschen des Auslandes nicht verlangen, daß sie sich mit dem deutschen Recht vertraut machen. Erstens sollen sie es fühlen, und dann übt doch heute die nationalsozialistische Bewegung auf die Deutschen außerhalb des Reiches eine so mächtige Wirkung aus, und wir hören das in rührender Weise von den ent­ legensten Teilen unserer Erde: Südamerika, Afrika usw., daß mir dieses Argument eigentlich nicht durch­ schlagend erscheint. Aber da wir heute den Volksstaat in dem Sinne nicht verwirklichen können, daß er sämtliche Deutschen umfaßt, was für uns doch das Id eal ist, soll man es denen, die draußen bleiben müssen oder noch draußen sind, nicht schwer machen. M an soll sie nicht gewisser­ maßen als Volksbürger abstoßen, indem man in einem Gesetz des neuen Deutschen Reiches sagt: Deutscher ist nur, wer formal dem Deutschen Reich angehört. Es handelt sich hier, glaube ich, nicht nur um technische Schwierigkeiten des Ausdrucks, sondern auch um einen ideellen Gesichtspunkt, und da für uns die Volksgemeinschaft die Grundlage ist, sollte man hier nicht irgendwelche Vorstellungen im Gesetz zum Ausdruck bringen, die tatsächlich gar nicht zutreffend wären, oder Empfindlichkeiten bei den außerhalb des Deutschen Reiches lebenden Deutschen erregen. Dann möchte ich noch einen dritten Punkt zur Sprache bringen. Wenn ich auch hier nicht imstande bin, irgendeinen Antrag zu stellen, so glaube ich doch, es sei notwendig, aus den Gesichtspunkt des politischen Delikts hinzuweisen. Der spielt schon ein bißchen herein bei den an vorletzter Stelle behandelten An­ regungen unseres Auswärtigen Amts. Die Bedin­ gung dafür, daß die T at eines Ausländers, die er im Ausland verübt hat, nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs des Deutschen Reiches beurteilt werde, ist für gewisse Delikte die, daß die Ausliefe­ rung zulässig wäre, daß sie aber offenbar aus irgend­ welchen Gründen nicht vor sich geht. Nun wird dadurch für den Geltungsbereich des Strafgesetzbuchs also die Frage der Zulässigkeit der

Auslieferung nach der Art der T at maßgebend. Nach dem deutschen Auslieserungsgesetz und dem In h a lt der meisten — man darf wohl sagen: aller — Auslieserungsverträge, die das Reich geschloffen hat, ist mit Ausnahme des Mordes oder jeder Tötung, die nicht im offenen Kampf vor sich geht, eine Ausliefe­ rung unzulässig wegen der Art der T at, wenn es sich um ein politisches Delikt handelt. Dieser Gesichts­ punkt, der offenbar in der Periode des alten Rechts­ denkens entstand, und der eine Bevorzugung des politischen Delikts bedeutet, steht nun in schärfstem Gegensatz zu unserer heutigen Auffaffung. D as politische Delikt ist für uns ungefähr das verächt­ lichste, schwerste und rücksichtslos zu treffende Delikt, das wir kennen. Das äußert sich ja in einer Reihe von Vorschriften des Entwurfs, die, glaube ich, nicht angefochten, sogar in der letzten Zeit eher noch ver­ schärft worden sind. Ich frage mich nun, ob dieses Hereinwirken des veralteten Standpunktes, den das Äuslieserungsrecht noch einnimmt, aus die Fragen, die uns hier beschäftigen, eigentlich vertretbar sei, wenn wir auf dem Standpunkt stehen: wir privitegieren nicht entfernt das politische Delikt. Is t es dann richtig, jemand von der Herrschaft der Rechts­ sätze des Reichsstrasgesetzbuches auszunehmen, weil es sich um politische Delikte handelt, d. h. umschrieben: weil es sich um ein Delikt handelt, wegen dessen die Auslieferung nicht zulässig ist? E s ist bekannt, daß theoretisch auch der Faschis­ mus den Standpunkt vertreten hat, wegen politischer Delikte sei auszuliefern, daß in den zahlreichen E r­ örterungen über diese Frage in der letzten Zeit, wenn ich recht sehe, eine Tendenz sich gezeigt hat, den Satz von der Nichtauslieferung wegen politischer Delikte zum mindesten abzuschwächen. Auch das ist ein Beleg dafür, daß die belgische Attentatsklausel immer mehr erweitert wird, nach manchen Verträgen sogar über das Reichsrecht noch hinausgeht. Dazu kommen in jüngster Zeit Bestrebungen — in allerletzter Zeit angeregt von der französischen Regierung im Völker­ bundsrat, im Zusammenhang mit der Ermordung des Königs Alexander in Marseille — , Verbrechen des politischen Terrors international zu bekämpfen. Und in einer Besprechung dieses französischen Vor­ schlags hat kürzlich ein Holländer vorgeschlagen — was ursprünglich nach dem französischen Vorschlag nicht der F all war — auch, kurz gesagt, die Greuel­ propaganda der Emigranten in den Kreis dieser Delikte, dieser also von allen Staaten zu bekämpfen­ den Delikte einzubeziehen, indem auch die Verfolgung dieser Delikte erleichtert werden soll durch einen Austausch von Mitteilungen und so fort. D arin, daß man das einbeziehen will, sehe ich auch das Anzeichen für eine Tendenz, das P riv i­ legium der politischen Delikte abzubauen. Ich möchte betonen, daß es ein Holländer war, der diesen Vor­ schlag gemacht hat. M an kann auch sagen, daß diese Gedanken ein bißchen in dem Vortrag angeklungen sind, den Professor de Vabres hier in der Akademie für Deutsches Recht gehalten hat.

D as spricht gegen die Anträge und Bedenken des Auswärtigen Amtes, liegt offenbar geradezu auf der gegenteiligen Linie. Wenn ein neutrales Land, das freilich unter den Emigranten einiges zu leiden hatte, vorschlägt, die Greuelpropaganda einer inter­ nationalen Vereinbarung und Verfolgung zu unter­ stellen, dann steht das eigentlich im scharfen Gegensatz zu den Ausführungen, die wir hier vom Auswärtigen Amt gehört haben. Wenn ich auf einige Einzelheiten in diesem Zu­ sammenhang eingehen darf, so bin ich insbesondere der Meinung, daß die Fassung des Abs. 2 des § 351 nicht glücklich ist, und daß ebenso die Bedenken des Auswärtigen Amtes — das Erfordernis einer An­ ordnung oder Zustimmung des Reichsjustizministers wegen solcher Verfolgung hindere doch nicht die Ver­ haftung im In lan d — sehr leicht abgebogen werden könnten. Ich könnte mir denken, daß man, um solchen Bedenken, die namentlich von Herrn Ministerial­ direktor D ürr vorgebracht sind, zu begegnen, im Abs. 2 des § 351 etwa davon spräche, daß die S tra f­ gesetze des Reiches für einen Deutschen im Ausland, wo keine Strafdrohung am T atort besteht, nur dann gelten, wenn mit Rücksicht auf die besonderen Verhält­ nisse des Tatortes das Unrecht vorhanden ist. Und ich würde mir denken können, daß man beim Volks­ verrat und ähnlichen Delikten schon die Verfolgung von der Anordnung des Justizministers abhängig macht, so daß, wenn es sich um einen Ausländer handelt, der vom Ausland kommt, hier die Polizei sich überhaupt nicht zu rühren hätte. Erst wenn der Justizminister sagt: hier hat eine Verfolgung Platz zu greifen, dann würde eben einzuschreiten sein, so daß die Verhaftung vorher gar nicht in Frage käme. Es ist sicher auch eine politische Frage, ob man in solchen Fällen, wenn man den M ann jetzt in der Hand hat, eine Verfolgung einleitet. Aber das kann man der obersten Justizverwaltungsstelle in diesem Falle ausnahmsweise übertragen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as Territorial- und Personalprinzip ist erneut zur Debatte gestellt. Ich bitte, sich an die Aus­ führungen in der ersten Lesung zu erinnern und da­ gegen den Vorschlag zu halten, nunmehr wieder zum Raumprinzip zurückzukehren. W ir sollten uns ein­ mal darüber aussprechen, was w ir nun eigentlich zum Ausgangspunkt dieses Abschnittes machen wollen. Denn praktisch wird im großen und ganzen das gleiche herauskommen, ob man nun vom Raum- oder vom Personalprinzip ausgeht. Aber gerade, weil das so ist, müssen wir uns doch über die Frage, ob das Raum- oder das Personalprinzip der Ausgangs­ punkt sein soll, Rechenschaft ablegen. Denn letzten Endes handelt es sich hier wirklich nicht um eine juristisch-technische Frage, sondern um eine Frage, die aus der Tiefe der Anschauung geschöpft werden muß. Ich würde auch bitten, daß der Herr Vertreter des Parteiministeriums einmal von seinem S tand­ punkt aus dazu das Wort nimmt, weil wir doch erlebt haben, daß für das eine und für das andere eigentlich

aus der gleichen Grundanschauung heraus Motive geschöpft worden sind, die uns überzeugen sollen. Ich für meine Person hatte allerdings, wenn ich das einfügen darf, die Vorstellung, daß die Personal­ hoheit vor der Raumhoheit rangieren müßte. Und jetzt, wo wir das praktisch in eine Form bringen wollen, sollten wir uns über die Einzelheiten, z. B. die Wünsche des Auswärtigen Amtes, gar nicht unter­ halten, weil sonst die Debatte zu unübersichtlich wird. Ich sehe also das Bild so: Wenn wir das durch­ konstruieren vom Ausgangspunkt A oder B, kommt am Schluß ein Gesetz heraus, das im praktischen Ergebnis ungefähr aus das gleiche hinausläuft. Jedenfalls kann man es so machen, und weil das so ist, weil das eine Konstruktionsfrage des Gesetzgebers ist, sollten wir uns um so ernster über den Ausgangs­ punkt Rechenschaft geben. Professor Dr. Dahm: Die Antwort auf die grundsätzliche Frage, die soeben gestellt worden ist, scheint mir eigentlich selbst­ verständlich zu sein, und ich wüßte den sehr eindrucks­ vollen Ausführungen des Herrn Grafen Gleispach darüber kaum etwas hinzuzufügen. Praktisch sind beide Möglichkeiten — Territorialprinzip und Real­ prinzip — verwendbar. Unter diesen Umständen aber ist es zweifellos richtig, daß man die Frage grundsätzlich betrachtet und sich überlegt, welche Erwägung vom Standpunkt eines national­ sozialistischen und völkischen Rechtsdenkens im Vordergrund steht: die räumliche Beziehung oder die Gemeinschaftsbeziehung, die sich aus der bluts­ mäßigen Gebundenheit an das eigene Volkstum ergibt. Und da ist für mich nicht zweifelhaft, daß unserer völkischen Rechtsauffaffung das sogenannte Personalitätsprinzip entspricht, ein durchaus germa­ nischer Rechtsgedanke, der durch das TerritorialitätsPrinzip erst dann verdrängt wurde, als die Völker und Raffen, germanisches und romanisches Volks­ tum, sich ineinanderschoben und die Reinheit des völkischen Denkens verlorenging. Sodann möchte ich zu § 353 des ResEntw. Stellung nehmen, und zwar insbesondere zu den Ziffern 1 bis 3 dieser Bestimmung. Die Gleich­ stellung des Deutschen und des Ausländers bei den politischen Delikten befriedigt mich nicht. Wenn ein unbefangener Leser den § 353 liest und feststellt, daß einander gleichstehen ein Deutscher und ein Aus­ länder, die Landesverrat, Hochverrat und Volks­ verrat begehen, so muß er stutzig werden, weil ein Ausländer genau genommen . gar keinen Volks­ verrat begehen kann. Einen Verrat kann nur be­ gehen, wer in einer Treuebeziehung zu einer konkreten Gemeinschaft steht, und Volksverrat — darunter ver­ stehe ich auch den Landesverrat — nur, wer zur Volksgemeinschaft gehört, also nicht der Ausländer. Der Begriff des politischen Delikts kann nicht abstrakt und gleichsam international verstanden werden. Daher ist die Gleichstellung des Deutschen und des Ausländers bei diesen Delikten, namentlich aber die

Einbeziehung von Taten des Ausländers im Aus­ lande, völlig verfehlt. Zum mindesten müßte die Technik des § 353 eine andere sein. M an sollte nicht vom Bolksverrat sprechen, sondern könnte sich allen­ falls mit der Verweisung aus bestimmte Delikte be­ gnügen. Die Richtigkeit dieser Überlegungen wird noch deutlicher aus der Erwägung, daß die hier vor­ gesehenen Ehrenstrafen, namentlich die Achtung, für den Ausländer nicht paffen. Der ausländische Spion z. B. ist keineswegs immer ehrlos. W as drittens die Frage betrifft, wie der Deutsche im Gesetz bezeichnet werden soll, so würde ich es beim Entwurf bewenden lassen, also vom Deutschen, nicht vom In län d er oder vom Staatsangehörigen sprechen. M an könnte vielleicht im Sprachkatalog zum Aus­ druck bringen, daß unter einem „Deutschen" jeder Reichsangehörige verstanden wird. E s muß jeden­ falls deutlich werden, daß das eigentlich Entscheidende die Zugehörigkeit zum Volke ist, und daß die Be­ schränkung aus Staatsangehörige oder Reichs­ angehörige gleichsam nur ein notwendiges Übel bedeutet. Reichsjustizminister D r. Gürtner: S ie wollen aber auch den Ausdruck „Deutscher", wenn er hier gebraucht wird, nicht etwa im biologischen oder rassischen S inne verstanden haben? Profeffor Dr. Dahm: Ich möchte es, aber ich will es nicht. Dann noch ein sprachliches Bedenken gegen die Faffung der Ziffer 1 des § 354. Da ist davon die Rede, daß ein Ausländer bestraft werden soll, wenn die T at gegen einen Deutschen oder gegen deutsche Rechtsgüter gerichtet ist. Ich möchte hier die Fassung „deutsche Rechtsgüter" durch eine andere Formel ersetzen. Es handelt sich hier um Delikte, die sich gegen das deutsche Volk im ganzen richten. M an kann aber wirklich nicht sagen, das deutsche Volk sei ein „Rechts­ gut". Das ist schon sprachlich unmöglich. D as Volk erscheint dann auf gleicher Ebene mit dem Eigentum, der Freiheit und anderen „Rechtsgütern" des ein­ zelnen. Es kommt hinzu, daß der Begriff des Rechts­ guts als Grundbegriff unseres Strafrechts überhaupt fraglich geworden ist. Die Angriffe gegen die über­ lieferte Strafrechtsdogmatik richten sich gerade gegen den Begriff des Rechtsguts. M an sollte darum nicht durch eine auch aus anderen Gründen fragwürdige Formulierung eine meiner Überzeugung nach frucht­ bare Entwicklung verbauen und einen Begriff legali­ sieren, der, glaube ich, der Vergangenheit angehört oder jedenfalls in Zukunft nicht mehr die allgemeine Bedeutung haben wird wie bisher. M an könnte hier sehr gut von Delikten sprechen, die sich gegen das Deutsche Reich richten oder ähnlich. Senatspräsident Profeffor Dr. Klee: Ich bin in der ersten Lesung auch dafür ein­ getreten, daß vom Territorialitätsprinzip aus­ gegangen wird, wie es jetzt die N S D A P , und der

Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen getan haben. Auch Herr Ministerialdirektor D ürr hat sich dem angeschloffen. Es handelt sich hierbei nicht, wie Herr D ürr es nennt, um eine Rückkehr zum Territo­ rialitätsprinzip, sondern eben nur um einen anderen Ausgangspunkt, wie der Herr Reichsminister schon hervorgehoben hat. Der natürliche Ausgangspunkt ist m. E. das Territorialitätsprinzip. Wenn demgegenüber darauf hingewiesen wird, daß in Anknüpfung an deutschrechtliche Gedanken­ gänge das Personalitätsprinzip zu bevorzugen sei, so stammt das Personalitätsprinzip doch aus einer recht primitiven Periode des Staatswesens, nämlich aus der Zeit des Geschlechterstaats, wo eine Unmenge kleiner Staatswesen nebeneinander bestanden und der Nachbarstaat, in deffen Gebiet das Delikt be­ gangen wurde, den T äter wieder abschob an den Heimatstaat, der dann die Bestrafung vornahm. Als später größere Staatswesen auskamen, wurde das Territorialitätsprinzip überall herrschend. Es scheint mir künstlich zu sein, das Personalitäts­ prinzip, so sehr es ausgestaltet und vertieft werden kann, im heutigen Staatswesen in den Vordergrund zu stellen. Wir müssen uns doch klarmachen, daß 99% :— ich glaube, das kann man ohne Übertreibung sagen — der Taten, die bei uns verfolgt werden, solche sind, die im In la n d begangen sind. Daß der Staatsanw alt eine T at verfolgt, die im Ausland begangen ist, sei es von einem Inländer oder von einem Ausländer, ist doch die große Ausnahme. Die Regel ist die, daß wir reagieren auf die Verletzung unserer Staatshoheit, unserer inländischen S tra f­ gewalt. M an sollte die Ausnahme nicht vor die Regel stellen. I n erster Linie gilt es für den S ta a t in seinem Territorium Ordnung zu schaffen; es kann hierbei nicht darauf ankommen, ob die S traftat vom I n ­ länder oder Ausländer begangen ist; gerade dem Ausländer gegenüber muß m. E. die staatliche Strasgewalt, die Staatshoheit betont werden, und das geschieht nicht dadurch, daß im ersten Absatz des § 351 nur von dem Deutschen die Rede ist, der im In la n d oder auch im Ausland eine S traftat begeht. D as Verhältnis von Personalitats- und T errito­ rialitätsprinzip ist keine bloß technische Frage, sondern eine mehr staatsrechtliche Frage von grund­ sätzlicher Bedeutung. I m einzelnen möchte ich mich dem Vorschlag des Herrn Ministerialdirektor D ürr zu § 351 Abs. 2 anschließen, vorbehaltlich der Stellung dieser Be­ stimmung. E s handelt sich darum, Rücksicht aus die besonderen Umstände zu nehmen, unter denen ein Deutscher im Ausland delinquiert. I n Betracht kommen hier namentlich Sexualdelikte, die in unseren Augen, wenn sie in Deutschland begangen werden, solche sind, die aber in den Augen des Auslandes und auch für uns, im Lichte der ausländischen Verhältnisse betrachtet, nicht strafwürdig erscheinen. Es wäre des­ wegen richtig, im § 352 mit Herrn Ministerial­ direktor D ürr zu sagen, daß nur solche Handlungen, die im Ausland von Deutschen begangen werden, ver­

folgt werden sollen, die geeignet sind, das Ansehen des deutschen Volkes im Ausland zu schädigen. Das tut ein Deutscher nicht, der sich den Landessitten gemäß benimmt. Die Formel des Herrn Professor Mezger scheint mir zu umständlich zu sein. E r hat ja selbst daraus hingewiesen, daß sie für die Gesetzesfassung nicht geeignet sei. Der Grundgedanke ist schließlich derselbe wie bei Herrn Ministerialdirektor Dürr. Jedenfalls müßte zum Ausdruck gelangen, daß die Auslandstat eines Deutschen, um strafbar zu sein, o b w o h l sie in d e r a u s l ä n d i s c h e n U m g e b u n g b e g a n g e n ist, mit der gesunden Anschauung des deutschen Volkes über Recht und Unrecht unvereinbar sein muß. W as dann die Frage betrifft, ob man in diesen Bestimmungen vom „Deutschen" oder vom „Reichs­ angehörigen" reden soll, so würde das Id eal sicher sein, vom „Deutschen" reden zu können mit der M aß­ gabe, daß damit auch Ausländsdeutsche erfaßt werden. Aber das ist politisch und staatsrechtlich zur Zeit eine Unmöglichkeit. „Deutsche" zu sagen wäre im übrigen m. E. nur dann möglich, wenn erläutert würde, daß die blutgemäße Abstammung hier eben nicht in Frage kommt, sondern daß es sich um die Reichsangehörig­ keit handelt. Denn es geht selbstverständlich nicht an, nichtarische Reichsangehörige zu privilegieren, vor allem deshalb nicht, weil diese nichtarischen Reichs­ angehörigen im Auslande, z. B. in Ita lie n und in Frankreich, absolut als Deutsche angesehen werden und deshalb der deutsche Name und das deutsche An­ sehen auch durch die Taten dieser Nichtarier schwer be­ einträchtigt werden. Es muß also sichergestellt werden, daß auch nichtarische Reichsangehörige unter den Begriff „Deutsche" in diesem Sinne fallen. I m übrigen glaube ich, daß die Gründe des Auswärtigen Amts durchschlagend sind, soweit es sich um die Ver­ breitung von Greuelnachrichten usw. handelt. W as Herr Professor Graf Gleispach über poli­ tische Taten im Zusammenhang mit § 354 Abs. 2 gesagt hat, können wir hier, glaube ich, nicht erörtern, ohne daß das Auswärtige Amt hinzugezogen wird, denn die Auslieferung wegen politischer Taten ist ja eine hochpolitische Angelegenheit, die das Auswärtige Amt in erster Linie berührt. Ich sehe deshalb davon ab, hier irgendwelche praktischen Vorschlage zu machen, obwohl der Grundgedanke des Herrn Grasen Gleispach gerade im Hinblick aus die Wandlung des Begriffs des politischen Deliktes, die sich zur Zeit zu vollziehen beginnt, durchaus diskutabel zu sein scheint. Die Technik des § 353 ist von Herrn Professor Dahm meiner Meinung nach mit Recht angegriffen worden, denn es ist in der T at etwas ganz anderes, ob ein In län d er oder ein Ausländer Landesverrat begeht. I m eigentlichen Sinne des Wortes kann ein Ausländer überhaupt keinen Landesverrat gegen Deutschland begehen. D as müßte durch eine Änderung der Technik des § 353 zum Ausdruck gebracht werden.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich darf bloß eine historische Bemerkung machen. Herr Graf Gleispach hat vorhin der Meinung Aus­ druck gegeben, die Tendenz ginge dahin, die Ausliefe­ rung wegen politischer Delikte zu erweitern, also den Gedanken nachzugehen, die Herr Professor de Vabres in seinem Vortrag entwickelt hat. Die praktische Er­ fahrung spricht gegen diese Meinung. Die letzten Auslieferungsverhandlungen, die wir geführt haben — und zwar mit einem nordischen S ta a t, der uns im Denken außerordentlich nahe steht — , haben erkennen lasten, daß die Tendenz, die Auslieferungs­ möglichkeiten zu erweitern, gerade nicht besteht, sondern im Gegenteil. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Herr Ministerialdirektor Dr. D ürr hat sich bei seinem Vorschlag auf Wiedereinführung des Terri­ torialitätsprinzips darauf gestützt, daß der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen und die Arbeitsgemeinschaft der N S D A P einen gleichen Vorschlag gemacht hätten. D as dürste auf einem I r r ­ tum beruhen. Nach den Vorschlägen — S . 18 — hat sich der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen der Gesamtregelung des Entwurfs voll­ kommen angeschlosten und nur einzelne technische Abänderungen vorgeschlagen. Die Arbeitsgemeinschaft dagegen — das trifft zu — hat sich für das Terri­ torialitätsprinzip ausgesprochen. Ich glaube aber, daß die Arbeitsgemeinschaft das Grundsätzliche der Frage: Personalitätsprinzip oder T erritorialitäts­ prinzip? gar nicht erkannt, sondern nur die technische Seite betrachtet hat. Ich schließe das daraus, daß sie lediglich einen formulierten Gegenvorschlag gemacht hat, ohne zu der grundsätzlichen Frage des Persona­ litätsprinzips Stellung zu nehmen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß, wenn wir ein nationalsozia­ listisches Strafrecht schaffen wollen, wir unbedingt das Personalitätsprinzip an die Spitze stellen müsten, weil durch dieses Prinzip die Treue- und Gehorsams­ pflicht des einzelnen Volksgenoffen dem Verband gegenüber in den Vordergrund gerückt wird. Die Bedenken, die das Auswärtige Amt gegen die Zulässigkeit der Strafverfolgung eines Ausländers wegen eines im Auslande begangenen Volksverrats geäußert hat, könnten nt. E. ganz einfach, wie es schon Herr Gras Gleispach vorgeschlagen hat, dadurch ausgeräumt werden, daß man nicht bloß die Anklage­ erhebung, sondern schon die Strafverfolgung von der Zustimmung des Reichsministers der Justiz abhängig macht. M an muß sich doch überlegen, wie die Sache in der Praxis vor sich geht. Die Staatsanwaltschaften lesen amtlich keine ausländischen Zeitungen; infolgedeffen wird ein Staatsanw alt gar nicht auf die Idee kommen, wegen irgendwelcher'beleidigender Preffeäußerungen gegen einen ausländischen Journalisten von sich aus ein Strafverfahren einzuleiten. Praktisch geht die Sache doch so vor sich, daß ein ausländischer Journalist, der sich längere Zeit im Jnlande aufhält, bei irgendeiner Gelegenheit wegen der inkriminierten Äußerungen von dem Geheimen Staatspolizeiamt

festgenontmen wird, und daß dann erst die Vorgänge an die Staatsanwaltschaft abgegeben werden. Erst in diesem Zeitpunkt kommt sonach eine Strafverfol­ gung überhatlpt in Betracht. Ich möchte mich dann noch gegen den Vorschlag von Herrn Profestor Mezger wenden, den § 351 Abs. 2 durch eine elastischere Formel zu ersetzen. Herr Profestor Mezger meint, daß der 'Übergang zum P e r­ sonalitätsprinzip nicht genügend durchdacht worden sei und daß die Kommistion bei der Formulierung dieser Bestimmung zu sehr an die Verhältniste im Jnlande gedacht und zu wenig auf die mannigfach verschiedenen Verhältniste auf dem ganzen Erdball Rücksicht genommen habe. Ich kann mich dieser Ausfastung nicht anschließen und muß in diesem Falle einmal meine Rolle als öffentlicher Ankläger mit der des Verteidigers vertauschen, und zwar des Vertei­ digers der damaligen Unterkommission, der Herr Profestor Mezger selbst angehört hat. Bei den Beratungen der ersten Lesung hat gerade die Ver­ schiedenartigkeit der geographischen und klimatischen Verhältniste, der örtlichen S itten und Gebräuche eine große Rolle gespielt. Ich darf an die damals gegebenen Beispiele erinnern: Ein Deutscher, der aus Ja v a lebt, macht sich dort des Geschlechtsverkehrs mit einer zwölfjährigen, also geschlechtsreifen und heirats­ fähigen Javanerin schuldig. Oder: Ein Deutscher beteiligt sich in Basel-Land an einem dort erlaub­ ten gewerbsmäßigen Glücksspiel. Alle diese nach d e u t s c h e n Verhältnißen als Delikte anzusehenden Handlungen sind gerade unter Berücksichtigung der besonderen klimatischen und geographischen Verhält­ niste des Auslandes nach gesunder Volksanschauung nicht strafwürdig. Die Fassung, wie sie der § 351 Abs. 2 vorsieht, ist nt. E. elastisch genug, um die im Ausland begangene T at eines Deutschen nicht un­ gerechterweise unter das deutsche Strafgesetz fallen zu lasten. Da zudem für die Verfolgung von Aus­ landstaten das Opportunitätsprinzip beibehalten wird, so ist eine hinreichend sichere Gewähr dafür gegeben, daß nur die allergravierendsten und schwer­ wiegendsten Fälle, also solche, bei denen es ganz klar und eindeutig ist, daß sie mit der gesunden An­ schauung des deutschen Volkes über Recht und Unrecht unvereinbar sind, zur Anklageerhebung kommen werden. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Zu den letzten Ausführungen möchte auch ich meinem persönlichen Empfinden dahin Ausdruck geben, daß bei der jetzigen Fassung des § 351 Abs. 2 eigentlich keine Dummheit passieren kann. Die Sache wird ja allerdings dadurch etwas schwierig, daß wir die „gesunde Volksanschauung" über Recht oder Un­ recht beziehen müsten auf den Ort der T at, daß wir also gewiffermaßen überlegen müsten, was das gesunde deutsche Volk für eine Anschauung über Recht oder Unrecht in S um atra oder Ja v a hat. Ich weiß aber nicht, ob in der Vergangenheit die Fälle häufig gewesen sind, wo man einem Deutschen ein Sittlich­ keitsverbrechen vorgeworfen hat, wenn er in Kon-

stantinopel oder in Jap an ober in China mit einer Dreizehnjährigen verkehrt hat. Staatssekretär D r. Freister: Ich möchte kurz dartun, daß m. E. die Lösung, die wir gesunden haben, sehr glücklich ist. Ich komme dazu, indem ich mich frage, was uns, von den Fahr­ lässigkeitsdelikten abgesehen, im Grunde eigentlich ein Recht gibt, zu strafen: Einmal m. E. eine Treue­ pflicht und zum anderen eine Gastpflicht. Der Aus­ länder, der sich bei uns befindet, hat keine Treue­ pflicht uns gegenüber, der Deutsche aber hat eine Treuepflicht. Ich kann auf das Bedürfnis des Volks und des Reichs, seine Sicherheit zu wahren, mit Sicherungsmaßnahmen antworten, ohne eine andere sittliche Begründung dafür nötig zu haben als die der Erhaltung des Lebens des Volkes. Ich kann mit Strafen aber nur antworten, wenn ich außerdem demjenigen, der die Sicherheit des Volkes gefährdet hat, auch eine in seiner Person liegende Verletzung einer sittlichen Pflicht vorwerfen kann. D a kann ich dem Deutschen im Grunde immer sagen: Du hast deine Treuepflicht verletzt. D as kann ich aber dem Ausländer nicht sagen, weil er diese Treuepslicht nicht hat. Er hat eine Treuepslicht einem anderen Volk gegenüber, und wir sind nicht dazu da, darüber zu urteilen, ob er etwa dadurch, daß er sich bei uns vergangen hat, eine Treuepslicht gegenüber seinem eigenen Volk gebrochen hat. Ich finde es deshalb ganz natürlich, daß wir den Rahmen der Taten, die wir verfolgen wollen, danach festlegen, inwieweit einmal eine Treuepflicht- und einmal eine Gastpflichtver­ letzung vorliegt. S o kann man m. E. an das Grund­ problem dieses Abschnitts herangehen. M an kann an das Grundproblem dieses Abschnitts aber genau so auch von einer anderen Seite aus herangehen, nämlich von der Frage her: Was ist das Wesentliche unseres Staates? Dann wird man freilich dazu kommen, daß es diesen S ta a t nicht geben kann ohne ein Hoheitsgebiet und daß es diesen S taat auch nicht geben kann ohne ein Volk, das irgendwie innerlich zusammengefaßt ist und ein Gefühl dieser Zusammengehörigkeit hat. M an wird drittens natür­ lich nicht leugnen können, daß dieses Volk außer dem lebendigen inneren Zusammengehörigkeitsgefühl auch äußerlich zusammengehalten werden muß, und daß deshalb auch Menschen zu diesem Volk gehören, die vielleicht ein inneres Zusammengehörigkeitsgefühl nicht haben. Diese drei Tatsachen wird man alle drei nicht leugnen können, aber es wird sich fragen, was denn für die nationalsozialistische Bolksführung das Wesentliche ist. Und da scheint es mir doch so, daß das Wesentliche das Volk ist, so wie es sich selbst dank der Maßnahmen der Volksführung und der Erziehungsarbeit als Einheit fühlt. Deshalb führt auch diese Betrachtungsweise dazu, zunächst das Volk ins Auge zu fasten, wobei freilich nicht zu leugnen ist, daß ein Gebiet, in dem sich das Leben dieses Volkes abspielt, auch dazu gehört, nämlich unser S taat, und

daß dieses Volk den Anspruch erheben muß, alles geordnet zu sehen, was auf diesem Gebiete geschieht. D as ist eine Selbstverständlichkeit, aber meiner Meinung nach die zweite Selbstverständlichkeit. Die erste ist die, daß zunächst einmal die Volksführung darüber wacht, daß sich jeder Volksgenoste als Glied des Volkes fühlt und daß er entsprechend denkt und seinen Willen danach richtet und danach handelt. E s ist klar, daß man von einer solchen Be­ trachtungsweise aus dazu kommt, hier das an die Spitze zu setzen, was wir im § 351 an die Spitze gesetzt haben. Genau zu demselben Ergebnis kommt man, wie ich nicht weiter auszuführen brauche, wenn man von der anderen, von mir zuerst hervorgehobenen Seite her an dieses Problem herangeht. D as bedeutet also, daß wir einmal verlangen, daß unsere Strasmacht sich auf alle Deutschen erstreckt, und zweitens — auf der­ selben Ebene, aber danach — , daß wir innerhalb unseres eigenen, von der ganzen Welt anerkannten und von uns beanspruchten Wohngebiets dafür sorgen, daß das Volk dort in Ruhe und Ordnung lebt. D as deckt sich damit, daß wir sagen: wir strafen einmal wegen Treuepflichtverletzung — § 351 Abs. 1 — und einmal wegen Gastpflichtverletzung oder auch sonst, wenn die Ordnung in unserem Lebensraum kriminell bedroht und angegriffen wird — § 352 — . Ich bin der Meinung, daß das die unserem Denken natür­ lichste Form der Regelung dieses Problems ist. Nun haben wir ja schon in der ersten Lesung vor der Schwierigkeit gestanden, daß der Begriff „Deutscher", den wir hier anwenden, kein einheitlich zu bestimmender Begriff ist, daß an sich unter den Begriff des „Deutschen" zwei Gruppen fallen, näm­ lich einmal alle diejenigen, die blutsmäßig Deutsche sind, und dann alle diejenigen, die, auch wenn sie nicht blutsmäßig Deutsche sind, kraft Rechtes die besondere Treuepflicht haben, weil sie nämlich deutsche Staatsbürger sind. E s ist ganz klar, daß wir die letzteren ausnahmslos hierher zählen müssen, und wir zählen sie auch ausnahmslos hierher. Die zweite Gruppe fasten w ir also in vollem Umfang und ohne jede Ausnahme als durch den Begriff des „Deutschen" mitumfaßt aus. Andererseits vermögen wir die erste Gruppe nicht vollzählig hierher zu zählen. Ich kann den sowjetrussischen Wolgadeutschen, ich kann den österreichischen Deutschen, ich kann den rumänischen, serbischen oder ungarischen Deutschen nicht als Deutschen im S inne unseres Strafgesetzbuchs bean­ spruchen. D as ist eine Selbstverständlichkeit; denn das liegt eben daran, daß wir ein Volk und ein S ta a t in einer Staatenfamilie sind. E s scheint mir deshalb wünschenswert und viel­ leicht notwendig zu sein, den Begriff des „Deutschen" zu definieren. W ir können diesen Begriff des „Deutschen" im Sinne dieses Gesetzes nun so defi­ nieren, daß wir sagen: „Deutscher ist 1. jeder Deutsche, der deutscher Staatsbürger ist, und 2., davon unab­ hängig, auch jeder andere deutsche Staatsbürger.

Diese Definition wäre an sich absolut richtig, aber aus anderen Gründen unerwünscht; denn wir würden den Anschein erwecken, als bestünden bei uns Gruppen von Staatsbürgern, die nicht Deutsche sind, und das könnte man in der ganzen Welt nicht nur in bezug auf eine Gruppe von deutschen Staatsbürgern auslegen, die nirgends eine staatliche Heimat haben, sondern auch in bezug auf das angebliche Vorhanden­ sein von Gruppen innerhalb Deutschlands, die irgendwo anders eine staatlich organisierte Heimat haben, also auf Minderheiten, die irgendwo einen eigenen freien S ta a t haben. Ich kann mir vorstellen, daß das vielleicht auf Widerspruch stoßen könnte. Viel einfacher wäre es natürlich, den Begriff des Deutschen so zu definieren, daß man sagt: Deutscher ist eben der deutsche Staatsbürger. Diese Definition wäre zweifellos richtig; sie wäre auch die äußerlich einfachste, und es wäre die Definition, von der man wohl sagen kann, daß sie inhaltlich alles umfaßt, was wir unter dem Begriff des Deutschen begriffen sehen wollen. Aber diese Definition wäre nicht schön, weil ihr der Geruch des rein Formalen anhaftet. Es fragt sich jedoch, ob der Begriff des Deutschen in einem Strafgesetzbuch überhaupt anders als rein formal angepackt werden kann. Ich glaube das nicht, sondern ich bin der Meinung, daß wir in einem Strafgesetzbuch die Definition des Deutschen nur ganz formal geben können, nämlich nur so, wie sie staatsrechtlich in unseren Gesetzen bisher formal gegeben worden ist. W ir müssen uns da bescheiden. D as bedeutet also, daß ich mir darüber klar bin, daß inhaltlich der Begriff des Deutschen, wie wir ihn in § 351 Abs. 1 meinen, der des deutschen Staatsbürgers ist, und wenn wir den Begriff des Deutschen, den wir gebrauchen, definieren wollen, so können wir ihn nur in dieser Weise formal definieren. Nun haben wir auf diesem Grundgedanken voll­ kommen folgerichtig den Abs. 2 des § 351 ausgebaut, der ja eine Selbstverständlichkeit ist, daß nämlich für Deutsche im Ausland gegebenenfalls Modifikationen nötig sind. Diese sind auch so herausgearbeitet, daß gar nichts passieren kann. Auch der Abs. 3 ist eine Selbstverständlichkeit, daß, wenn jemand vom Nichtdeutschen zum Deutschen her­ überwechselt, was ja bei der formalen Definition des Begriffs des Deutschen jederzeit möglich ist, die T at­ zeit und der T atort maßgebend sein müssen. D as folgt einfach daraus, daß der M ann, der seinerzeit über­ haupt kein Treueverhältnis zum Deutschen Reich gehabt hat, nur nach der Tatzeit und den Gesetzen des Tatortes beurteilt werden kann. Ich bin also der Meinung, daß § 351 und § 352 nicht zu beanstanden sind. Falsch haben w ir aber den § 353 behandelt. Das liegt aber m. E. nicht an § 353, sondern es liegt an dem Aufbau der Einzelstrastatbestände des Besonderen Teils, die w ir in § 353 aufgezählt haben. Es ist klar, daß der Volksverrat an sich ein typisches Treuever­ letzungsdelikt ist und darüber hinaus überhaupt nur dann mit Strafe bedroht werden kann, wenn es

unser Sicherheitsbedürfnis verlangt. M it unserem Sicherheitsbedürfnis und den Maßnahmen, die sich daraus ergeben, können wir aber innerhalb des eigenen Landes bleiben. Dies gilt nicht nur für den Volksverrat, sondern auch für den Landesverrat und den Hochverrat. E s wird zu prüfen sein, wieweit dies auch für die Angriffe gegen die Wehrkraft und für Angriffe auf die politische Führung und die Be­ wegung gilt. Ich bin der Meinung, daß wir die Vorschrift insofern falsch behandelt haben, als wir vergessen haben, daß diese Delikte alle Treuever­ letzungen sind und als solche grundsätzlich nur von Inländern begangen werden können. Natürlich kann ein Spionagedelikt, wenn es ein Ausländer bei uns im Lande begeht, von uns nicht unbeantwortet bleiben; aber diese Spionage kann nicht im Sinne eines Treuevergehens behandelt werden, sondern als ein Vergehen der Ausspähung, gegen das wir uns aus Sicherheitsgründen mit entsprechenden M aß­ nahmen wenden müßen. Ich glaube, man müßte diese Delikte aufspalten, und zwar nicht nur in Inländerdelikte und Ausländerdelikte, begangen im In - und im Ausland, sondern in Jnländerdelikte, einerlei wo sie begangen sind, dann in Ausländerdelikte, begangen in Deutschland; dann müßten wir die Frage prüfen, ob und inwieweit wir die Ausländerdelikte, begangen im Auslande, überhaupt brauchen und aufstellen können. W ir werden dabei sicherlich nicht zu dem Ergebnis gelangen, daß z. B. ein Ausländer im Aus­ land einen Volksverrat begangen haben kann, den wir hier bestrafen. W ir würden so von unserer Grundeinstellung aus richtiger handeln und doch dem Sicherheitsbedürsnis des Reichs ebenso wie jetzt genügen; dann entfielen auch die Einwände, die vom Auswärtigen Amt gekommen sind, von selbst. Professor Dr. Naglrr: Die Differenzen, die in der Debatte zutage getreten sind, sind glücklicherweise nicht materiell, sondern eigentlich mehr Differenzen des Aufbaus. Denn wenn die Dinge hier auf das Personalitäts­ prinzip und dort auf das Territorialitätsprinzip ab­ gestellt worden sind, so sind nur die Ausgangspunkte verschieden. I n der Sache selbst kommen wir alle aus dasselbe hinaus. W ir müssen die Bestimmungen dieses Abschnitts im Zusammenhang lesen und müssen uns fragen, welche Substanz haben wir erfaßt. Da ist es ganz klar, daß wir alle volksschädlichen Taten erfassen wollen, auch soweit sie über die Grenzen hin­ ausreichen und von uns auch dort als volksschädlich empfunden werden. Der Zielpunkt ist für uns alle derselbe, nämlich der Schuhgedanke für die In te r­ essen, für die Rechtsgüter unserer Volksgemeinschaft. Es ist also im Grunde genommen wissenschaftlich das Realprinzip (das Schutzprinzip), das wir zugrunde legen wollen. Aber das Schutzprinzip ist entweder auf personaler oder aus territorialer Grundlage zu entwickeln. Entwickelt ist es hier auf personaler Basis. Es soll nach den Vorschlägen der anderen Herren nunmehr auf territorialer Grundlage herausgebildet werden. Nach meinem Dafürhalten haben wir da gar keine Wahl. E s ist nur die personale Grundlage

diejenige, die wir aus unserem heutigen Rechts­ denken heraus entwickeln können. Denn zentral ist und bleibt für uns immer die Volksgemeinschaft und daher auch das Mitglied der Volksgemeinschaft. Die Pflichten, die wir unseren Volksangehörigen aufer­ legen, sind das erste, was wir unserer Prüfung unter­ ziehen müssen. Also scheint mir, daß grundsätzlich der Aufbau, so wie er bisher schon getroffen worden ist, beibehalten werden muß. Es ist eben das auf perso­ naler Grundlage allein zu entwickelnde Volksprinzip. Nun würde ich sehr ungern von dem Ausdruck „Deutscher" Abschied nehmen. Ich würde mich nicht für den „Reichsangehörigen" dem W ortlaut nach entscheiden, obwohl ich mir natürlich darüber klar bin, daß wir unter dem „Deutschen" den Reichsan­ gehörigen verstehen müssen. Hier zeigt sich eben die Spannung, die wir auch sonst antreffen, z. B. beim Volksverrat. Wenn wir da von dem deutschen Volk und dergleichen sprechen, so wünschen wir, daß es alle Volksgenoffen wären, müssen uns aber doch damit abfinden, daß aus außenpolitischen Rücksichten nur das in unseren Staatsgrenzen zur Zeit lebende Volk ersaßt werden kann. D as ist eine außenpolitische Not­ wendigkeit, die wir beklagen können, mit der wir uns aber wohl oder übel abfinden müssen. Darum scheint es mir richtig zu sein, daß wir irgendwo den Begriff „Deutscher" an der Reichsangehörigkeit orientieren und so die Definition geben. Aber den schönen, plastischen und hergebrachten Ausdruck „Deutscher" möchte ich nicht durch „Reichsangehöriger" der Form nach ersetzen. Was Einzelheiten anlangt, so gehen wir bei § 351 Abs. 2 der Sache nach auch nicht auseinander. Daß die Wendung „Tat" natürlich im Sinne der Aus­ landstat gemeint war und nur gerade die eigenartige Beurteilung dieser Auslandstat mit ihren Besonder­ heiten an der gesunden Volksanschauung gemessen werden sollte, das scheint mir selbstverständlich zu sein, auch wenn der W ortlaut zu Mißverständnissen Anlaß gibt. Dieses läßt sich wohl leicht bereinigen. Der andere Gedanke, diejenigen Taten zu ak­ zentuieren, die das Ansehen des deutschen Volkes schädigen, ist mir außerordentlich sympathisch. Ih n würde ich in diesen § 351 Abs. 2 auch mit hinein­ nehmen. Aber ein so vages Blankett auszustellen, wie es der Herr Kollege Mezger vorschlägt, dazu würde ich mich nicht verstehen können. Es ist mir zu ver­ schwommen. W ir müssen dem Richter doch irgend­ welche Leitlinien geben. Dann die Frage der Einzelheiten des § 353. Ge­ wiß werden wir noch einmal Landesverrat, Hoch­ verrat und Volksverrat unter dem Gesichtspunkt des Treuegedankens nachprüfen müssen, also Ideen ver­ wirklichen, die von Herrn Kollegen Dahm neuer­ dings vertreten worden sind. Aber ich darf die Kommission in Schutz nehmen. W ir haben schon da­ mals die Frage aufgeworfen, ob wir diese Tatbe­ stände an dem Treuegedanken orientieren sollten oder nicht. Ich glaube, es ist Herr Grau gewesen, welcher diesen Gedanken damals in die Debatte geworfen hat. W ir hatten aber eine gebundene Marschroute durch

die Novelle. Ich glaube auch, wir werden entweder bei der bisherigen Fassung im großen und ganzen bleiben müssen, oder wir müssen dasselbe zweimal sagen, wenn wir die Verratstatbestände aus dem Treuege­ danken des Inländers aufbauen wollen. D as ist eine spätere Sorge. W ir werden dann auch die Tragweite des Volksverrats in diesem Zusammenhang noch ein­ mal besprechen. Daß es sich immer nur um Landes­ verrat und Hochverrat gegen das Reich handeln kann, ist selbstverständlich. Diese Klarstellung müßte in § 353 Abs. 2 mit erscheinen, wenn wir den bisherigen Wortlaut weiter beibehalten. Dann ist von Herrn Kollegen Gleispach das politische Delikt in die Debatte geworfen worden. Es spielt eine Rolle in § 354 Z. 2. Ich glaube, Herr Graf Gleispach hat recht. Es ist tatsächlich so, daß wir mindestens in der Theorie schon in der rückläufigen Bewegung hinsichtlich des politischen Delikts begriffen sind. Es ist doch so gewesen, daß ursprünglich nur bei dem politischen Delikt der Auslieferung genügt worden ist. Damit fangen die Auslieferungen an. Unter dem Einfluß des Liberalismus steigt plötzlich der politische Verbrecher zum Helden auf, der Asyl bekommt, weil er der „Heros" der anderen Zeit ist — denken Sie an die Schweiz —, weil er die demo­ kratischen Ideen insbesondere vertritt. Dann kommt wieder der Durchbruch des ursprünglichen Prinzips mit der belgischen Attentatsklausel. M an hat daher im Laufe der Zeit das „politische Delikt" sehr ein­ geengt. Denken Sie an die Rechtsprechung des Schweizer Bundesgerichts, das in dieser Frage direkt vorbildlich ist. Ich glaube, wir werden in absehbarer Zeit wieder dazu kommen, daß w ir das politische Delikt gegenüber den anderen Delikten nicht mehr differenzieren. Aber es kann wohl sein, daß zur Zeit in der Staatenpraxis sich noch Hemmungen ergeben. Wie aber auch die Entwicklung verlaufen mag, ich glaube, § 354 Z. 2 gestattet, diese Entwicklung immer mitzumachen. Wenn wir dem politischen Verbrecher später nicht mehr durch Gesetz ausdrücklich ein Asyl gewähren sollten, dann wird eben die Auslieferung auch des politischen Verbrechers zulässig sein, und wenn wir ihn nicht ausliefern, können wir ihn dann selbst bestrafen. Ich würde also irgendwelche Be­ denken gegen die Fassung des § 354 Abs. 2 nicht aus der Entwicklung, deren Zeugen wir jetzt sind, herleiten. Dann die Frage des Niemandlandes. Ich bin nicht klar, ob wir im Niemandsland unsere Ange­ hörigen immer unter unseren Strafgesetzen halten und das Niemandsland so behandeln können, wie wenn es In lan d wäre. D as ist doch der Gedanke, von dem wir heute ausgehen. Ich würde etwas vorsichtiger sein. Es können doch sehr exzeptionelle Verhältnisse dort herrschen, etwa bei einer Nordpolexpedition mit allem Drum und Dran. Daß wir die Leute mit den scharfen Maßen, die wir im Jnlande anwenden können, behandeln, scheint mir nicht sicher zu sein. Darum würde ich sagen: Ist der O rt der Tat keiner Strafgewalt unterworfen, so finden die Strafgesetze des Reiches Anwendung, wenn die gesunde Volks­ anschauung die Bestrafung fordert. Dann würde eine Möglichkeit sein zu differenzieren.

Endlich liegt mir immer wieder die Berücksich­ tigung konkurrierender Strasberechnungen der ver­ schiedenen Staaten am Herzen. Sollen und müssen wir nicht eine Strafe, die im Ausland wegen derselben T at schon ausgesprochen und vollzogen worden ist, anrechnen? Müssen w ir das nicht in das Strafgesetz schreiben, damit der Richter bei der Strafzumessung die im Ausland verbüßte Strafe anrechnen kann? Vizepräsident Grau: M ir würde es als ein betrüblicher Rückschritt erscheinen, wenn wir entsprechend dem Referenten­ entwurf wieder zum Territorialitätsprinzip zurück­ kehrten. W ir wollen doch in den Mittelpunkt aller unserer strafrechtlichen Maßnahmen den T äter stellen, und wir sind uns klar darüber, daß dasselbe Delikt ganz anders geartet sein kann, wenn es von einem Ausländer oder von einem Inländer begangen ist. Wenn wir aber von der Täterpersönlichkeit ausgehen wollen, dann müssen w ir auch hier bei der räumlichen Geltung einen klaren Unterschied machen, ob ein Ausländer oder ein Deutscher eine T at begangen hat. Ausgangspunkt muß deshalb das Personalitäts­ prinzip sein. Ich finde den Gedanken in § 353 Abs. 1 geradezu groß und erhaben, daß jeder Deutsche, wo er sich auch befindet, der deutschen Strafgerichtsbarkeit untersteht, daß er immer wieder erinnert wird an die Verbindung zu seinem Volke, ein Gedanke, der ja auch im faschistischen Strafrecht scharf und deutlich zum Ausdruck kommt. Ich würde bedauern, wenn das Wort „Deutscher" wegfiele. Allerdings ist es klar, daß w ir nicht den blutsmäßig Deutschen darunter verstehen können, sondern nur den Reichsangehörigen. Aber in vielen Einzeltatbeständen sprechen w ir auch dom „Deutschen", und es wäre wenig schön, wenn an Stelle dieses Wortes nun der mehr formale Begriff „Reichsangehöriger" träte. W ir müssen dann allerdings an einer Stelle legaliter definieren, was wir unter „Deutschen" verstehen. Die Fassung des § 351 Abs. 2 ist beanstandet worden, und ich glaube, insoweit mit Recht, als sie doch noch zu sehr an dem T atort klebt; sie macht die Strafbarkeit davon abhängig, ob nach den Gesetzen des T atorts die T at mit Strafe bedroht ist. Auch ich würde es begrüßen, wenn in dieser Vorschrift als leitender Gedanke für die Strafbarkeit im Ausland zum Ausdruck käme, daß das Ansehen der deutschen Heimat durch die T at geschädigt worden ist. Die Fassung von Herrn Professor Mezger scheint aller­ dings auch mir zu unbestimmt zu sein, zumal sie mehr als eine Strasbemessungsregel anzusehen ist und gar nicht die Grenzen der Strafbarkeit festlegt. Wenn in § 351 Abs. 2 die Verfolgbarkeit in das Ermessen der Behörde gestellt wird, dann ist es viel­ leicht doch erwünscht, im § 353 den Deutschen noch­ mals ausdrücklich zu erwähnen, wenngleich schon in § 351 Abs. 1 gesagt wird, daß jede S traftat eines Deutschen im In la n d oder im Ausland verfolgt werden soll. Aber mit Rücksicht auf Abs. 2 des § 351

könnte es doch erwünscht sein, klar zu sagen, daß es bestimmte Delikte gibt, die unter allen Umständen auch für einen Deutschen im Ausland strafbar sind. Bezüglich des § 354 stimme ich Herrn Professor Dahm durchaus zu, daß man nicht von deutschen Rechtsgütern sprechen sollte. E s muß dafür ein anderer Begriff gewählt werden. W ir waren in der Kommission in Fischbachau darüber einig, daß über­ haupt nicht von Rechtsgütern gesprochen werden sollte, weil wir nicht einzelne Rechtsgüter, sondern das deutsche Volk in seiner Gesamtheit durch unser Strafrecht schützen wollen. M an müßte ein deutsches Wort für Interesse finden und dieses an Stelle von Rechtsgütern setzen. (Zuruf: Belange!) Professor Dr. Dahm: Ich hatte mich in einem früheren Stadium der Debatte zum Wort gemeldet, um die grundsätzlichen Ausführungen des Herrn Senatspräsidenten Klee anzugreifen, die mir verschiedene Angriffspunkte zu bieten scheinen. Ich glaube aber, daß die grundsätz­ lichen Fragen, insbesondere durch die Ausführungen des Herrn Staatssekretär Freisler jetzt im wesent­ lichen geklärt sind. Auch ich bin der Meinung, daß es nicht entscheidend darauf ankommt, die S ta a ts­ hoheit und die äußere Ordnung zu schützen, sondern die Auflehnung gegen das innere Gesetz der Gemein­ schaft zu ersassen. I n der Bestimmung des § 351 Abs. 2 würde ich die Bestrafung nicht von der Schädigung des An­ sehens des deutschen Volkes abhängig machen. D a­ mit wird ein fremder Gesichtspunkt hineingetragen. Wenn w ir die Auslandstaten in den Rahmen des § 351 Abs. 2 einbeziehen, so gehen wir davon aus, daß der Deutsche auch im Auslande unter dem deutschen Recht steht, aber nicht so sehr davon, daß er das Ansehen des deutschen Volkes im Ausland vermindert. Diesem Gesichtspunkt wäre unter Um­ ständen durch besondere Vorschriften Rechnung zu tragen. E r sollte aber nicht mit dem Grundgedanken des" § 351 Abs. 2 verquickt werden. I m § 353 würde ich die Ziffern 1 bis 3 ganz streichen. Die Regelung dieser Fragen sollte in den Abschnitt über die politischen Delikte verwiesen werden. Dort würde sich dann ein dreiteiliger Aus­ bau ergeben: 1. Deutsche, die das eigene Volk ver­ raten; 2. Ausländer, die das Gastrecht verletzen — ein ganz anderer Gesichtspunkt als der des Verrats und Treubruchs — ; 3. Auslandsdelikte, begangen von Ausländern. M an kann diese Fragen nur im Anschluß an die einzelnen Tatbestände regeln, nicht aber hier im Allgemeinen Teil. Die Ziffern 4 bis 7 sollten dagegen stehenbleiben. Endlich bitte ich eine Frage zur Erörterung stellen zu dürfen, die bisher noch nicht gestreift worden ist. D as italienische Strafgesetzbuch dehnt die S tra f­ drohung des Gesetzes auf solche Italiener aus, denen die Staatsangehörigkeit aberkannt worden ist, ein Gedanke, der auch für uns jedenfalls erwägenswert ist. Denn auch wir werden ja darauf abkommen, daß

Verrätern und Personen, die sich aus der Volksge­ meinschaft ausgeschlossen haben, unter gewissen Um­ ständen, wie das in der jüngsten Vergangenheit schon geschehen ist, die deutsche Staatsangehörigkeit aber­ kannt wird. D as italienische Strafgesetzbuch geht offenbar davon aus, daß solchen Menschen, denen die Staatsangehörigkeit im Strafverfahren aberkannt worden ist, daraus kein Vorteil erwachsen soll. Sie sollen ebenso bestraft werden wie Italiener, die ihre besonderen Treupflichten verletzen. Ich würde aber doch keine Bestimmung dieser Art in das Deutsche Strafgesetzbuch aufnehmen. Denn es liegt eben in der Konsequenz unserer Grundauffaffung, daß P e r­ sonen, denen die deutsche Staatsangehörigkeit ab­ erkannt worden ist, eben nicht mehr zur Gemeinschaft gehören. W ir dürfen sie daher auch strafrechtlich nicht mehr als Angehörige der Gemeinschaft behandeln. Es kommt hinzu, daß gerade diese Maßnahme be­ sonders häufig Personen trifft, die blutmäßig nicht zu uns gehören. Diese Personen als Deutsche zu be­ handeln, hat aber keinen Sinn. Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s ist zur Rechtfertigung der Voranstellung des Personalitätsprinzips darauf hingewiesen worden, daß ein wesentlicher Unterschied zwischen den Delikten des Inländers und des Ausländers unter dem Gesichtspunkt besteht, daß der erstere die Treuepslicht, der Ausländer aber nur das Gast­ recht verletzt. Wenn ich mir eine hier wirkende Taschendiebesbande vorstelle, die sich zum Teil aus Inländern, zum Teil aus Ausländern, etwa Galiziern, die wir ja gerade unter gewerbsmäßigen Taschendieben sehr häufig finden, zusammensetzt, dann steht für mich im Vordergrund der Gesichtspunkt des Schutzes der Eigentümer und der Besitzer, also der deutschen Ordnung gegen die inländischen Mitglieder der Bande sowohl wie in ganz gleicher Weise gegen die ausländischen. J a , das Bedürfnis der Reaktion unseres strafenden Staates scheint mir sogar gegen­ über den „nur" das Gastrecht verletzenden unge­ betenen ausländischen Gästen noch stärker zu sein als gegenüber den angeblich ihre Treuepflicht verletzenden Inländern. Der Gesichtspunkt der Treueverletzung greift meines Erachtens nur bei den Delikten des Landesverrats, Volksverrats usw. durch. Nur auf diesem Gebiete erscheint der Deutsche strafwürdiger als der Ausländer. Die Fassung des Absatzes 2 des § 351 ist miß­ verständlich. Es muß die gesunde Anschauung des deutschen Volkes auf die konkrete Auslandstat proji­ ziert werden. D as ist doch die Absicht. Nun ist in der ersten Zeile das Wort „T at" abstrakt gebraucht. Eine T at ist im Auslande nicht mit Strafe bedroht. I n der vierten Zeile ist dagegen unter „Tat" die besondere T at, die einzelne T at gemeint. Vielleicht könnte man das immerhin mögliche Mißverständnis, daß die T at in dieser vierten Zeile auch abstrakt gemeint sei, da­ durch ausschließen, daß man sagt: „so gelten die Strafgesetze des Reiches nur, wenn die gesunde An­ schauung des deutschen Volkes über Recht und Un­ recht die Bestrafung d e s T ä t e r s fordert".

Professor Dr. Nagler: Ein Wort zur Frage der Schädigung des deutschen Ansehens im Ausland. Kollege Dahm wandte sich gegen den von mir entwickelten Gedanken und meinte, das sei ein fremder Tropfen im Organismus. M an muß selbst im Ausland gelebt haben, um zu wissen, was dort die S traftat eines Deutschen be­ deutet. Eine S traftat, die ein Deutscher im Ausland begeht, bemakelt das ganze deutsche Volk. Wie oft ist mir das vorgehalten worden, als ich Professor in der Schweiz war! M an sagte: S o benehmt ihr euch im Ausland! I n der T at hat es Deutsche gegeben, die geglaubt haben, wenn sie ins Ausland kommen, könnten sie allerlei Rücksichten, die sie im In lan d zu erfüllen haben, fallen lasten. M ir ist ein Fall aus der letzten Zeit bekannt, der in der Schweiz außerordent­ liches Aufsehen erregt hat. Da sind Deutsche, die sich im Gebirge verstiegen hatten, mit großem Kosten­ aufwand von den Schweizern gerettet worden, und alsbald sind sie sang- und klanglos — ohne Bezah­ lung der Rettungskosten — verschwunden, so daß wir Deutsche, die wir in der Schweiz waren, beschloßen, uns zusammenzutun und zu sammeln, um als Deutsche dieses Manko zu decken. Ich bin der Meinung, ge­ sunde Volksanschauung fordert, daß nach deutschem Recht strafbare Handlungen getroffen werden, auch wenn sie nicht nach Schweizer Recht zufällig unter Strafe stehen sollten. Jene Exzesse dürfen wir Deutsche uns einfach nicht gefallen lasten. Jeder Deutsche, der ins Ausland geht, muß sich als Repräsentant seines ganzen Volkes fühlen und muß noch intensiver als im In la n d daraus bedacht sein, die Ehre unseres Namens zu wahren. Darum ist mir der Gedanke so außerordentlich eindrucksvoll und ansprechend ge­ wesen: D as Ansehen des deutschen Namens darf im Ausland durch Deutsche unter keinen Umständen an­ getastet werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Glauben S ie nicht, daß dieser Konditionalsatz enger ist? Eine solche Schädigung des Ansehens ist nämlich auch schon geschehen durch das Benehmen in einem Badeort, ohne daß eine strafbare Handlung vorliegt. Wenn also ein Deutscher im Ausland durch eine strafbare Handlung die Reputation des Deutschen Reiches oder Volkes geschädigt hat, dann fällt das, meine ich, zwanglos unter die Voraussetzung, daß in diesem Falle die gesunde Volksanschauung die Be­ strafung erfordert. Professor Dr. Nagler: Sicher; aber ich meine die Fälle, die zum Beispiel nach Schweizer Recht nicht unter das Strafgesetz fallen, aber nach deutschem Recht strafbar sind. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es steht da: Wenn er nach dem Gesetz des Auslandes nicht strafbar ist, kann er nach dem Jnlandsgesetz nur bestraft werden, wenn die gesunde Volks­ anschauung die Bestrafung erfordert. Das gefällt mir ganz gut.)

— Ich würde auch die Schädigung des deutschen An­ sehens im Ausland akzentuieren: nach gesunder Volksanschauung insbesondere usw. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Begrifflich ist der Naglersche Vorschlag eine Ein­ engung. E s kann einer eine strafbare Handlung be­ gehen, die gar nicht weiter bekannt wird, und die w ir trotzdem bestrafen wollen, obwohl das Gesetz des Tatortes sie nicht bestraft. D as deutsche Ansehen ist dabei nicht geschädigt worden. Professor Dr. Nagler: Ich habe mich nicht um eine Einengung bemüht, sondern ich wollte, daß dieser Gedanke nicht heraus­ gestrichen wird. S o sollte es nach der Ausfaflung des Kollegen Dahm geschehen. Ich bin der Meinung, jener Gedanke gehört gerade hinein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann sind wir schon einig. Wenn S ie das als Anwendungsfall, vielleicht als einen der prominen­ testen Anwendungsfälle betrachtet wissen wollen, dann wird auch von Professor Dahm kein Wider­ spruch erhoben werden. Prosesior Dr. Gras Gleispach: Ich habe eigentlich die Auffasiung, daß dann, wenn das zutrifft, was der Kollege Nagler besonders hervorgehoben sehen möchte, jedenfalls die Frage der Strafbarkeit dieses Deutschen, der im Ausland ge­ handelt hat, schon positiv entschieden ist. S o würde ich zu dem Ergebnis kommen, daß das mehr für diese Fälle ein Strafzumeffungsgrund -sei. Der Deutsche, der durch die T at im Ausland besonders das Ansehen des Deutschen Reiches geschädigt hat, soll nicht nur bestraft, sondern besonders streng bestraft werden, weil er seine Heimat dadurch herabsetzt. Wenn das aber zutrifft, dann muß er auch nach deutschem Recht gerichtet werden. (Prosesior Dr. Nagler: Das will ich ja!) — J a , aber ich glaube, es ist gar nicht mehr zu sagen notwendig. Hingegen habe ich gegen die jetzige Fasiung des Absatzes 3 des § 351 doch gewisse Bedenken. Unser Grundgedanke ist der: D as deutsche Recht findet in solchen Fällen auch aus den Deutschen im Ausland Anwendung, und wir wollen nur verhüten, daß daraus Ungerechtigkeiten oder besondere Härten ent­ stehen, wenn am T atort besondere tatsächliche Ver­ hältnisse bestehen, mag das die Volksaussasiung sein, mag das ethnographisch begründet sein, und der­ gleichen mehr. Darum sollte man am besten sagen: Die Strafgesetze des Reiches gelten nur dann nicht, wenn wegen der besonderen Verhältnisse am Tatort nach gesunder Rechtsanschauung des deutschen Volkes das Unrecht der T at entfällt, wenn die T at nicht unrecht ist. Warum? Weil die klimatischen Verhält­ nisse oder die ganze wirtschaftliche Auffassung dort anders ist. Dann gilt das deutsche Gesetz ausnahms­ weise nicht; aber der Grundsatz ist doch: es gilt.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, daß das nicht eine Sinnesänderung ist, sondern nur eine Umkehrung im Ausdruck. (Professor Dr. Graf Gleispach: J a ! ) — W ir sind doch alle darüber einig, daß das Strafgesetz des Deutschen Reiches den Deutschen in unserem straf­ rechtlichen Sinne überallhin in der Welt begleitet. D as wäre der Ausgangspunkt, und jetzt kommt die Ausnahme: Es findet nur dann keine Anwendung, wenn das, was er begangen hat, richtig betrachtet, kein Unrecht ist. D as war der Gleispachsche Vorschlag. Professor Dr. Graf Gleispach: E s ist nur eben nicht als Kondition hingestellt, sondern als eine Ausnahme. Ausnahmsweise gelten die deutschen Strafgesetze nicht, wenn das Unrecht entfällt mit Rücksicht aus die besonderen Verhältnisse des Tatorts. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann würden wir auch von der immerhin etwas unbequemen Voraussetzung abkommen, daß die T at nach den Gesetzen des Tatortes nicht strafbar ist. D as brauchte man nicht zu erwähnen. Professor Dr. Gras Gleispach: Wenn die Strafbarkeit gegeben ist auch nach dem Recht des T atorts, dann findet das deutsche Recht schlechthin Anwendung. Dann ist eigentlich kaum mehr möglich, daß die besonderen Verhältnisse des T atorts einen Einfluß auf das Unrecht ausüben, wenn selbst nach dem Recht des T atorts die S tra f­ barkeit besteht. D as ist eine Einschränkung, die doch nur für den Fall gilt, daß am T atort nach dort herr­ schender Rechtsaufsassung kein Unrecht vorliege. Dann sind wir veranlaßt, zu prüfen, ob es richtig ist, unsere Rechtsausfassung auch aus die dort verübte T at zu über­ tragen. Aber wenn Identität der Norm besteht, ist gar keine Veranlassung, zu prüfen, ob etwa hier das Unrecht eigentlich nicht gegeben sei. Es ist nach deutschem Recht gegeben und nach dem Recht des T a t­ orts. Warum soll der Deutsche dann nicht bestraft werden? Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S ie sind doch auch der Meinung, wenn ein aus­ ländisches Recht die Strafbarkeit befiehlt und das inländische Recht das nicht tut, daß wir dann jeden­ falls den Deutschen nicht bestrafen? (Professor Dr. Graf Gleispach: Natürlich nicht, "dann haben wir keine Norm!) — Ob es wirklich klarer wird, wenn man es umge­ kehrt macht, kommt mir vorläufig zweifelhaft vor. Professor Dr. Dahm: Hier scheint mir eine Unklarheit zu liegen. Es wird der Anschein erweckt, als sei dann, wenn das Ausland die Tat mit Strafe bedroht, gar nicht mehr danach zu fragen, ob die T at auch nach deutschem Recht mit Strafe bedroht wird oder nicht. I n jedem

Falle muß festgestellt werden, daß die T at auch nach deutschem Recht mit S trafe bedroht ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S o weit können wir doch nicht gehen, daß wir die mohammedanische Ausfaffung über das Benehmen in einer Moschee für den deutschen Strafrichter und für die im In lan d ausgesprochenen Urteile zugrunde legen. Wenn überhaupt keine Strafdrohung vorliegt, kann das nicht strafbar sein. Professor Dr. Graf Gleispach: M an muß den In h a lt des Abs. 2 beachten. Wann gelten die Strafgesetze des Reichs? Wenn sie nicht da sind, kann die Frage ihrer Gültigkeit gar nicht auftauchen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Gedankenführung ist die: Die Strafgesetze des Deutschen Reichs begleiten jeden Deutschen auf der ganzen Welt. Nun gibt es Fälle, wo einer nach ausländischem Recht nicht strafbar ist. Da würde, wenn wir nichts weiter sagen, trotzdem nach inlän­ dischem Recht schlechthin bestraft werden, und dieses „schlechthin" wird eingeschränkt. Den Einleitungssatz brauchen wir. Wird eine T at im Ausland nicht als Unrecht empfunden, so würden ohne Rückfrage die deutschen Gesetze Anwendung finden, und das wollen wir einschränken: „Nicht in jedem Fall, sondern nur, wenn die Bestrafung erfordert wird von der gesunden Volksanschauung". ' Professor Dr. G raf Gleispach: Ich würde die Einleitung unverändert lassen und würde sagen: so gelten die Strafgesetze des Reichs nur dann nicht, wenn nach der Rechtsanschauung des deutschen Volkes wegen der besonderen Ver­ hältnisse am T atort das Unrecht entfallen ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Oder: „Wenn eine Bestrafung des Täters nicht erfordert wird". D as wäre zweimal „nicht". Die Gesetze des Reichs gelten nicht, wenn die gesunde Volksanschauung — die deutsche nämlich — eine Bestrafung des Täters nicht erfordert. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Hier wird die Regel betont, und wir betonen mehr die Ausnahme!) Professor Dr. Mezger: Ich würde es durchaus begrüßen, wenn in Abs. 2 des § 351 eine einigermaßen bestimmte Fassung möglich ist, und ich glaube nach der Debatte auch, daß eine solche gelingen wird. Es bleibt aber die sachliche Frage: sollen auf alle Fälle die Strasminima bindend sein? Vielfach werden die Fälle, z. B. bei einem Betrug, so liegen, daß das Verhalten zwar auch im Auslande nicht ganz in Ordnung ist, daß aber die besonderen Verhältnisse die T at doch sehr wesentlich milder beurteilen lassen als eine ent­ sprechende Jnlandstat. Zu dieser sachlichen Frage muß noch Stellung genommen werden.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine allgemeine Auflockerung auch unserer S tra f­ drohungen an dieser Stelle würde ich aus gewissen psychologischen Gründen nicht wünschen. Ich glaube, mit unserem Strafrahmen werden wir in besonders leichten Fällen der Sache gerecht. Wenn es sich um Dinge handelt, die auch nach deutschem Recht über­ haupt an der Grenze der Strafbarkeit liegen, wird kein Mensch daran denken, sie zu verfolgen. Legen wir frühere russische Verhältnisse zugrunde, so waren dort Beamtenbestechungen ein Stück Spesen für den M ann, der in Rußland Geschäfte gemacht hat, mit festen Taxen und nach dem Rang abgestuften Be­ trägen. Ich glaube nicht, daß man das im Frieden nach deutscher Auffassung als eine Bestechung ange­ sehen und verfolgt hätte? Sonst würde man sämtliche Reisenden in Rußland en bloc haben einsperren können. Professor Dr. Mezger: D as waren gerade Fälle, an die ich bei meiner vorherigen Bemerkung dachte. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte sehr davor warnen, die allgemeine Kannvorschrift für die Strafdrohung allzu weit aus­ zudehnen. Ich bin der Auffassung, daß der Fall, den Abs. 2 im Auge hat, eine ungeheure Seltenheit in aller Regel sein wird. Ministerialdirektor Dr. Dürr: Die Zahl der Fälle, in denen Auslandstaten von Deutschen verfolgt werden, wird so gering sein, daß wir nicht den Strafrahmen nach unten zu ermäßigen brauchen. I n einzelnen Fällen kann äußerstenfalls durch einen Gnadenakt geholfen werden. E s lag mir durchaus fern, eine sachliche Änderung durch meine Anregungen herbeiführen zu wollen. Ich nahm nur Anstoß an dem Abs. 2 des § 351. Es sieht ja jetzt so aus, als ob es gelingen würde, eine bessere Fassung zu finden. Damit entfallen zum großen Teil meine Bedenken. Wenn Abs. 2 verbessert wird, kann ich mich mit der Regelung des Entwurfs einverstanden erklären. Faßt man Abs. 2 dahin: „so gelten die Strafgesetze des Reichs nur, wenn nach der gesunden Anschauung des deutschen Volkes über Recht und Unrecht mit Rücksicht auf die besonderen Um­ stände der T at eine Bestrafung erforderlich ist", so bedeutet dies nichts anderes als die Einführung des Opportunitätsprinzips für diese Fälle. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe eine gewisse Scheu vor dieser W ort­ fassung. D as ist nicht die Gesetzessprache. Der Ge­ danke hat etwas Bestechendes zu sagen: Die S tra f­ gesetze des Reichs sollen dich durch dein ganzes Leben begleiten; angewandt werden sie nur dann nicht, wenn — da kommen wir auf die Gleispachsche Fassung — die T at mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse des T atorts kein Unrecht ist. (Ministerialdirektor Schäfer: Was heißt Un­ recht?)

— M it „Unrecht" kommen wir hier nicht durch. (Professor Dr. Dahm: Nicht strafwürdig ist!) — Dann nähern wir uns unserer Urfassung wieder: Die Gesetze des Deutschen Reichs gelten nur dann nicht, wenn die T at nach der Auffassung am Tatort nicht strafwürdig ist und — n o ta bene — auch nach der gesunden Volksausfassung des deutschen Volkes eine Bestrafung nicht verlangt. Professor Dr. Gras Gleispach: M an könnte an die Vorschrift über Analogie an­ knüpfen und sagen: Wenn wegen der besonderen Ver­ hältnisse des Tatorts der dem deutschen Strafgesetz zugrunde liegende Rechtsgedanke nicht zutrifft. Professor Dr. Mezger: Ich wäre dafür, zu sagen: „kein strafwürdiges Unrecht". Die Bezugnahme aus das „strafwürdig" darf nicht fehlen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist dasselbe, wie wenn wir sagen „die Be­ strafung des Täters erfordert". Ich darf fortfahren. § 352 ist nicht angefochten worden. Jetzt kommt der etwas schwierigere § 353, über dessen Ziffern 4 bis 7 nur Zustimmung geäußert wurde. Es ist vorgeschlagen worden, die ersten drei Ziffern überhaupt wegzulassen. Ich darf daran erinnern, daß das alte Strafgesetzbuch anders ver­ fahren ist. E s sagt: Es kann verfolgt werden. Ziffer 3 können w ir weglassen; die ist in unseren bisherigen Erörterungen enthalten. Aber Landes- und Hoch­ verrat und Verbrechen gegen das Reichsoberhaupt sind mit dem Opportunitätsprinzip im Strafgesetz­ buch niedergelegt. Nun ist der Vorschlag gemacht worden — daß man das nicht unter das Legalitätsprinzip stellen kann, halte ich für richtig; das hat auch das alte Strafgesetzbuch schon erkannt — , hier die Ziffern 1 bis 3 überhaupt wegzulassen, und das ist der Wunsch, den auch das Auswärtige Amt vertreten hat. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as Auswärtige Amt wollte nur Volksverrat und politische Führung weglassen!) Nun möchte ich zu § 353 eine andere Frage stellen. Halten S ie es für notwendig, daß die Worte in der dritten Zeile „Deutscher oder" hier stehen bleiben müssen? Nach meiner Meinung nicht. (Ministerialdirektor Schäfer: Es würde eine wesentliche Vereinfachung sein, wenn wir § 353 aus Auslandstaten von Ausländern beschränken; dann kann § 353 wesentlich enger gestaltet werden!) Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Die Delikte Landesverrat, Hochverrat usw. sind alles Delikte, die im Ausland nicht mit Strafe be­ droht sind. Infolgedessen würden alle diese Delikte, wenn sie von einem Deutschen im Ausland begangen

werden, unter § 351 Abs. 2 fallen, und der Richter müßte sich jedesmal die Frage vorlegen, ob die T at mit der gesunden Anschauung des deutschen Volkes über Recht und Unrecht unvereinbar ist. E r würde sie natürlich immer bejahen. Diesen Umweg wollten wir aber dem Richter ersparen. Wenn solche Grund­ delikte gegen die staatliche Existenz des Deutschen Reichs vorliegen, sollten Deutsche und Ausländer ohne Rücksicht aus die Gesetze des T atorts bestraft werden. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn die Nr. 1 bis 3 wegbleiben?) — Dann fallen sie unter § 351 Abs. 2, es sei denn, daß wir im Besonderen Teil die Tatbestände so for­ mulieren: Wer als Deutscher im In la n d oder Aus­ land das und das macht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ih re ganzen Ausführungen gehen davon aus, daß die Ziffern 1 bis 7 dastehen. Wenn Ziffer 1 bis 3 nicht dastehen, glauben S ie dann, daß man die Worte „Deutscher oder" trotzdem stehen lassen muß? (Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Nein, dann nicht!) Professor Dr. Mezger: I n meinen schriftlichen Vorschlägen habe ich vor­ gesehen, beides umzudrehen. Dann entsteht eine Schwierigkeit gar nicht. M an würde im ersten P a ra ­ graphen von den Delikten der Deutschen sprechen, im zweiten Paragraphen von den Taten der Ausländer im Auslande, und in einem weiteren Paragraphen die Strafgesetze des Reichs völlig unverändert gelten lassen. I m letztgenannten F all findet weder § 351 Abs. 2 beim Deutschen, noch irgendeine E in­ schränkung beim Ausländer Anwendung. Jede tech­ nische Schwierigkeit fällt hier weg, man kommt gar nicht auf den Gedanken, den Deutschen noch einmal besonders zu erwähnen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Ziffern 4 bis 7 — 4 vielleicht noch nicht — betreffen diejenigen Delikte, die man als Weltdelikte bezeichnet!) — Hier heißt es: „die Strafgesetze des Reichs gelten unverändert". Eine Debatte über den Ort der T at und über die Staatsangehörigkeit des Täters gibt es hier überhaupt nicht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre beim Weltdelikt begrifflich einge­ schlossen. Dann würde sich aber die Frage erheben, ob man nicht noch allerlei anderes nennen muß, z. B. den Rauschgifthandel. D as ist eine Anregung des Auswärtigen Amts. Zu den Weltdelikten in diesem Sinne gehören Hochverrat und Landesverrat sicherlich nicht. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der Rauschgifthandel würde unter § 354 Abs. 2 fallen; Auslieferung ist bei ihm wohl zulässig!)

— Daß wir den Rauschgifthandel jederzeit bestrafen können, ist jetzt so und wird in Zukunft so sein. Sollen wir diese wenigen Fälle tatsächlich völlig weglassen und die Lösung im Besonderen Teil versuchen und dort womöglich den Ausländer überhaupt anders stellen als den Deutschen? (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Strafen müssen -wir ihn auf alle Fälle, und dann müssen wir ihn auch hier erwähnen!) Ministerialdirektor Schäfer: Es scheint mir auch damit zusammenzuhängen, ob man den § 353 auf die Auslandsdelikte von Aus­ ländern beschränkt; das wäre eine wesentliche Ver­ einfachung. Ich teile das Bedenken von Herrn Ge­ heimrat Schäfer nicht, daß wir dann bezüglich des Inländers, der irgendeine T at im Ausland begeht, eine Erschwerung hätten. Wenn wir den § 351 streng aus dem Personalprinzip aufbauen, indem das deutsche Strafgesetzbuch dem Deutschen überall im Auslande folgt — mit einer kleinen Einschränkung, die bei keinem der Delikte des § 353 überhaupt in Betracht gezogen werden kann — , dann haben wir den klaren Aufbau im § 353: die Auslandsdelikte von Ausländern. Darunter würden die Weltrechts­ pflegedelikte der Ziffern 4 bis 7 fallen, eventuell er­ weitert um Rauschgiftdelikte und strafbare Hand­ lungen betreffend unzüchtige Schriften, was das Aus­ wärtige Amt angeregt hat. Zu den Ziffern 1 bis 3 würde ich anregen, die Bezugnahme auf die Abschnitte im ganzen zu streichen und dafür aus den Abschnitten des Besonderen Teils einen Katalog solcher Delikte zu bilden und einzustellen, bei denen der V errats­ gedanke nicht Platz greift, in denen aber das Sicher­ heitsbedürfnis des Deutschen Reichs verlangt, daß diese Delikte, auch wenn sie vom Ausländer im Aus­ land begangen werden, verfolgt werden müssen. Ich glaube, daß dies ein klarer Aufbau wäre. Professor Dr. Mezger: Das deckt sich mit dem, was ich vorschlagen wollte. Die Delikte hier überhaupt nicht zu erwähnen würde mir widerstreben. Es müßten die Delikte genannt werden, die bei Beratung des Besonderen Teils als durch Ausländer begehbar vorgesehen werden. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann kämen wir dazu, § 353 umzugestalten für das Aus­ landsdelikt des Ausländers!) - - Ich würde die Bestimmung ganz allgemein fassen, so daß auch die Bestimmung des § 351 Abs. 2 für Inländer hier nicht zur Debatte gestellt wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie würden also vorschlagen: Die Strafgesetze des Reichs gelten, unabhängig von den Gesetzen des Tatorts, für folgende Taten: — und dann aufzählen 4, 5, 6, 7, eventuell 8, 9 dazu und Schluß. Ministerialdirektor Schäfer: Wenn man vom Personalprinzip ausgeht und es durchführt, klingt es fast wie ein Hohn, daß man

nachher in einem dritten Paragraphen noch einmal sagt: Aber den Hochverrat und Landesverrat eines Deutschen bestrafe ich auch, wenn er im Ausland be­ gangen ist. Geht man vom Personalprinzip aus, dann muß man konsequent bleiben und in den folgenden Paragraphen nur noch von Delikten von Ausländern sprechen, und zwar im § 352 von den im In lan d , im § 353 von den im Ausland begangenen Taten eines Ausländers. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Der Aufbau ist schön, aber ich vermisse eine Regel, die es ermöglicht, einen Ausländer, der an der Grenze^ ein Spionagebüro unterhält oder einen hochverräte­ rischen P la n gegen uns inszeniert, zu bestrafen, wenn er über die Grenze kommt. Bisher war der Landes­ verrat nicht Weltstrafrechtsdelikt. D as haben wir bei der letzten Novelle in das Strafgesetzbuch eingefügt, um solche Fälle zu treffen. Deswegen steht hier Landesverrat und Hochverrat drin. Nun meine ich, das muß doch sachlich aufrechterhalten werden. Es ist allerdings nicht unbedingt notwendig, daß es in § 353 geschieht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: § 353 könnte ausgebaut werden als das Auslands­ delikt des Ausländers. E r steht damit in einem sehr schönen Gegensatz zu § 352, nämlich zum Ausländer­ delikt im Jnlande. § 352 brauchten wir nicht, wenn man nämlich von der Gebietshoheit ausgeht. Wenn man aber von der Personalhoheit ausgeht, dann braucht man § 352. Darüber besteht vollkommene Einigkeit unter allen Beteiligten. Wenn nun § 352 sagt: „Der Ausländer, der im In la n d eine S traftat begeht, wird nach den Gesetzen des Reichs bestraft", taucht sofort die Frage auf: Und der Ausländer, der im Ausland eine S traftat begeht? Diese Frage muß das Gesetz beantworten. Dafür hätte ich § 353 vorgesehen. Nun kommt das Weitere: Diese Ziffern 1 bis 3 kann man nicht einfach aus­ streichen und gar nichts in die Erscheinung treten lassen und auf den Besonderen Teil verweisen. (Ministerialdirektor Schäfer: Bei 4 bis 7 ist es gleichgültig!) — Aber zu Ziffer 1 bis 3 muß etwas in Erscheinung treten. Ministerialdirektor Schäfer: D as deckt sich mit meinem Vorschlag. Mein Vor­ schlag geht dahin, die Ziffern 1 bis 3 als Auslands­ delikte — von Ausländern begangen — durch einen Katalog von Delikten zu ersetzen, die aus diesen Ab­ schnitten entnommen sind. I n diesem Katalog würde ich alle Delikte aufnehmen, bei denen nicht der Treue­ charakter und Verratscharakter im Vordergrund steht, sondern das Sicherheitsbedürfnis des Reichs die Be­ strafung verlangt. D as wird der größte Teil dieser Abschnitte sein. Aber es wird vermieden, hier auch solche Delikte mit einzubeziehen, bei denen es unrich­ tig wäre zu sagen, daß auch ein Ausländer, der ein solches Delikt im Ausland begeht, bestraft werden

könne. Der Aufbau bleibt dann ganz erhalten. Denn auch im § 354 handelt es sich wiederum nur um Aus­ landsdelikte des Ausländers, nicht des Inländers. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wollen Sie das im Allgemeinen Teil zum Aus­ druck bringen? (Ministerialdirektor Schäfer: J a !) — M it anderen Worten, Sie wollen Ziffer 1 bis 3 durch einen besonderen Katalog ersetzen, der die­ jenigen Delikte enthält, die wir, vom Ausländer im Ausland begangen, als strafbar erklären w.ollen. Dann allerdings muß der Deutsche aus § 353 ver­ schwinden. (Ministerialdirektor Schäfer: J a ! Spionage­ delikte müssen wir natürlich erfaßen, aber die wollen wir besonders aufführen!) § 351 würde im Aufbau bleiben, wie er ist. § 352 ist unentbehrlich. § 353 gibt auf die Frage Antwort: Wie steht es, wenn der Ausländer im Ausland eine Straftat begeht? Was würde I h r jetziger § 353a dann sagen? (Ministerialdirektor Schäfer: Ich würde ihn inhaltlich bestehen lassen, nur Ziffer 1 bis 3 durch bestimmte Paragraphenzahlen ersetzen!) Ministerialdirigent Dr. Schäfer: E s sind das aber praktisch alle Delikte des Hoch­ verrats, Landesverrats und der Angriffe auf die Wehrkraft, die nicht ausdrücklich in ihrer Begehungs­ form auf Deutsche abgestellt sind. Da brauchen wir keinen Katalog, sondern wir nennen einfach die Ab­ schnittsüberschriften. Wenn einzelne Delikte im Be­ sonderen T eil auf Deutsche beschränkt werden, fallen sie hier ohne weiteres heraus, da dann ein Ausländer überhaupt nicht Täter sein kann. Ministerialdirektor Schäfer: Sachlich stimme ich überein. Ich sage aber, daß man sich die einzelnen Paragraphen ansehen muß. Ich würde es vorziehen, aus den genannten Gründen hier nicht von Landes- und Hochverrat zu sprechen, sondern die entsprechenden Paragraphen aufzuführen. (Reichsjustizminister D r. Gürtner: Da kommen wir auf den Punkt, wo die Meinungen des Auswärtigen Amts anders sind!) — Meine Anregungen stimmen mit denen des Aus­ wärtigen Amts überein. Es will den Volksverrat herausnehmen und die Angriffe aus die politische Führung und Bewegung, von denen es zwei oder drei Paragraphen für tragbar und sogar notwendig hält; von dem übrigen sagt es, daß es stehen bleiben mag. Aber das Auswärtige Amt sagt nichts darüber, ob es die Abschnitte im ganzen oder einzelne Be­ stimmungen angeführt haben will. (Geheimrat Dr. Siedler: D as entspricht durch­ aus unserer Auffassung im Auswärtigen Amt!) Ebenso entspricht es ganz dem Wunsch des Aus­ wärtigen Amts, in der dritten Zeile des § 353 die Worte „Deutscher oder" zu streichen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann würde es darauf abkommen, § 353 im großen und ganzen so zu lassen wie er ist und nur die Ziffern 1 bis 3 mehr zu präzisieren und etwas zu beschränken. D as bleibt der Prüfung im Einzelfall vorbehalten. D as letztere gilt insbesondere bei den Angriffen auf die politische Führung und Bewegung. Da muß ich auch eines sagen. D as Auswärtige Amt hat darauf hingewiesen, daß man einen promi­ nenten Journalisten oder Politiker, der Sünden auf dem Kerbholz hat, nicht einladen könne, weil er nicht kommen würde. Demgegenüber wurde gesagt, es wäre eine Sicherheit dadurch geschaffen, daß das keine Legalitätsdelikte sind, sondern nur solche, die mit Anordnung des Ministers verfolgt werden können. Aber ich möchte glauben, schon allein die Tatsache, daß der M ann beim Überschreiten der Grenze sich sozusagen auf Gnade und Ungnade dem Justizminister ergibt, müßte auch vom Standpunkt des Auswärtigen Amts zu beachten sein. Vortragender Legationsrat Dr. Siedler: Es ist auch die Ausfassung des Auswärtigen Amts, daß die Ausländer von Deutschland ferngehalten werden, wenn sie Gefahr laufen, beim Überschreiten der Grenze festgenommen zu werden. Diese Gefahr wird für sie nicht dadurch beseitigt, daß die S tra f­ verfolgung von einer Anordnung des Reichsministers der Justiz abhängig ist, also in dessen Ermessen liegt. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Das möchte ich auch glauben!) Professor Dr. Graf Gleispach: Ich möchte dem nicht vorgreifen, was voraus­ sichtlich Professor Dr. Dahm zu den Verratsdelikten vorschlagen wird. Aber ich stelle mir vor, w ir kommen im zweiten Teil zu folgender Unterscheidung: Hoch­ verrat, Landesverrat, Volksverrat, beschränkt auf Deutsche als Täter, und daneben etwa eine Formel: Der Ausländer, der das tut, macht sich eines Angriffs auf den S ta a t schuldig, — ein anderer Name, andere Rechtsfolgen dieser Tat. Nun glaube ich, daß unseren Vorstellungen die Umgestaltung des § 353 in dem Sinne entsprechen würde, daß unter Ziffer 1 bis 3 stehen würde „Angriffe aus den S ta a t", eben dieses Ausländerdelikt. Wir würden sagen, ähnlich wie es das alte österreichische Strafgesetzbuch tut: Wer eine T at begeht gegen das Deutsche Reich, die, wenn sie ein In län d er verübt, V errat ist, ist zwar keines Verrates, aber eines anderen Deliktes schuldig, und diese anderen Delikte würden hier an die Stelle von Ziffer 1 bis 3 kommen. Ganz unabhängig davon sind die Bedenken des Auswärtigen Amts, die meiner Auffassung nach dem nicht entsprechen. Wir würden ja dann den Volks­ verrat, den der Ausländer begeht, doch hier erwähnen, während das Auswärtige Amt dagegen Bedenken hat. Wir haben die Greuelpropaganda mit Strafe bedroht, und wir würden sie, wenn ein Ausländer sie verübt, zwar nicht unter dem Gesichtspunkt Verrat, aber doch als ein Delikt zu behandeln haben. Herr Professor

Dahin und ich stehen nicht auf dem Standpunkt, daß es überhaupt nicht bestraft werden soll, wenn es ein Ausländer tut, nur ein Verrat ist es nicht. Die Be­ denken des Auswärtigen Amts bleiben also bestehen. Und wenn gesagt wird, die Unterstellung unter die besondere Anordnung des Iustizministers bei der Verfolgung sei noch nicht genügend, um die Bedenken auszuräumen, dann ist hier noch eine Schwierigkeit, die irgendwie gelöst werden muß. Ich versiehe wohl richtig: das Auswärtige Amt meint, man soll den Ausländer für diesen F all überhaupt nicht dem Reichsstrasgesetzbuch unterstellen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Diese Meinungsverschiedenheit fühle ich ja in der ganzen Zeit schont Ich bin auch der Meinung, man sollte einmal darüber nachdenken: Wollen wir wirklich daraus abkommen, den Landesverrat des Ausländers, der im In lan d begangen ist, anders anzusehen, anders zu qualifizieren als den Landesverrat des Inländers? Das müssen wir nach den Gedankengängen von Herrn Staatssekretär Freister; denn der Aus­ länder hat nicht eine Treuepflicht verletzt, sondern die Sicherheit gefährdet. Irgendwie kommt der Gedanke sogar in dem robusten Strafgesetz zum Ausdruck, daß auf Landesverrat die Todesstrafe steht. Aber ob das nun recht volkstümlich wird, wenn wir das schon bei der Qualifizierung der Tat zum Aus­ druck bringen — also ein Ausländer, der militärische Geheimnisse erspäht, begeht keine Spionage —, das müssen wir uns überlegen. Professor Dr. Dahm: D araus folgt, daß die Ziffern 1 bis 3 und 4 bis 7 des § 353 nicht zusammen gehören. Die in den Ziffern 4 bis 7 angeführten Delikte sind solche, die gleicher­ maßen von Inländern und Ausländern begangen wer­ den können. Dasselbe gilt aber nicht für Ziffer 1 bis 3. Wir müßten gleichsam als Parallele zum Landes­ verrat ein besonderes Ausländerdelikt hervorheben, mit milderen Strafdrohungen, ohne Ehrenstrasen usw. D as gehört aber in den Besonderen Teil hin­ ein. Es handelt sich nicht wie in Ziffer 4 bis 7 um Weltrechtsdelikte, sondern um Angriffe besonderer Art gegen die Sicherheit des Deutschen Reiches. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Is t dann klar genug entschieden, daß, wenn der Ausländer die T at im Ausland begangen hat, er nach deutschem Recht bestraft werden kann? (Prof. Dr. Dahm: D as muffen wir im Besonderen Teil sagen.) — S ie würden also dann sagen: Ein Ausländer, der das und das tut, wird so und so bestraft, gleich­ gültig wo die T at begangen ist. (Zustimmung.) Ministerialdirektor D r. Dürr: Wenn man hier gar nichts sagt, müßte man im Besonderen Teil auch regeln, inwieweit die vorge­ sehenen Vorschriften für Taten eines Ausländers im

Ausland gelten. D as würde ich nicht für zweckmäßig halten. Es läßt sich auch gar nicht durchführen, daß wir parallel zu den Landesverratsdelikten Tatbe­ stände für Ausländer schaffen; denn die meisten Landesverratstatbestände müßen auch strafbar sein, wenn sie von Ausländern verwirklicht werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir kommt dieses Problem schwieriger vor als alles, was wir bis jetzt gehabt haben, wenn wir ein Landesverratsstrafrecht gewissermaßen in zwei Ko­ lumnen bringen, was aber — das gebe ich zu — bei konsequenter Anwendung des Personalprinzips sich von selbst ergeben würde. Praktisch halte ich es für sehr schwierig. Professor Dr. Dahm: Ich würde mir das technisch so denken: eine Generalklausel für den Landesverrat, die den Treu­ pflichtgedanken allgemein zum Ausdruck bringt. Zur Verdeutlichung und Ergänzung ein Katalog von Einzeltatbeständen nach Art des italienischen S tra f­ gesetzbuchs. Dann eine weitere Bestimmung, die zum Ausdruck bringt, welcher dieser besonderen Tatbe­ stände auch für Ausländer gilt und welche besonderen Strafen über Ausländer verhängt werden sollen. Eine weitere Bestimmung könnte zum Ausdruck bringen, daß ein Ausländer unter Umständen auch dann bestraft wird, wenn er im Ausland handelt. Die Technik des italienischen Strafgesetzbuchs zeigt, daß eine praktische Lösung möglich ist. D as italienische Strafgesetzbuch zeigt auch, daß man den Ausländer bestrafen kann. wenn er das deutsche Volk beschimpft. Italien bestraft die Be­ schimpfung des italienischen Regierungschefs und der italienischen Nation im weitesten Umfang, selbst dann, wenn diese T at von Ausländern im Ausland be­ gangen ist. Ein Ausländer, der das deutsche Volk im Ausland roh beschimpft, müßte meiner Meinung nach bestraft werden, vielleicht mit Zustimmung des Reichsjustizministers. Ich glaube nicht, daß durch­ schlagende Bedenken und Gegengründe dagegen be­ stehen. D as zeigt ja das italienische Beispiel. Professor Dr. Graf Glelspach: Zu der technischen Frage möchte ich glauben, es würde genügen zu sagen: F ü r diese Delikte gilt die besondere Regelung des Paragraphen soundso. Was die sachliche Frage betrifft, ob wir in der Bestrafung so weit gehen sollen, wie zuletzt gesagt wurde, möchte ich hervorheben: w ir haben bisher immer an den ausländischen Journalisten gedacht, der eingeladen wird, in das Reich zu kommen. Es ist aber auch möglich, daß höchst gefährliche Leute, die zum Beispiel das deutsche Volk beschimpfen, ohne Einladung, vielmehr gegen unseren Willen in das Reich kommen. Die müssen wir doch strafen. M an darf nicht nur an solche Leute denken, deren Aufent­ halt im Deutschen Reich uns aus irgendwelchen G rün­ den im Augenblick erwünscht ist.

Ministerialdirektor Schäfer: W ir könnten uns hier darauf beschränken, den Aufbau der drei Paragraphen festzulegen. Der Auf­ bau ist ja klar, wenn wir vom unbeschränkten Perso­ nalitätsprinzip ausgehen, und dann in den folgenden Paragraphen nur die Ausländerdelikte behandeln. § 352 würde dann die Ausländerdelikte im Inland, § 353 die Ausländerdelikte im Ausland umfassen. Bezüglich der Ziffern 4 bis 7 ist es klar; die Ziffern 1 bis 3 wären nach Maßgabe dessen auszufüllen, was wir in dem Besonderen Teil vorsehen. § 354 würde dann die dritte Ergänzung des Ausländerdelikts bringen. Wenn man das Personalitätsprinzip so umfassend voranstellt, wie es im § 351 geschieht, kommt es mir wie ein Unding vor, in § 353 noch einmal zu sagen: Wenn ein Deutscher diese Delikte begeht, wird er auch bestraft, wenn er sie im Ausland begeht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s wäre noch zu fragen: sollen wir Ziffer 7 er­ gänzen, indem w ir etwa hinzunehmen: Rauschgift­ handel und Verbreitung unzüchtiger Schriften? Ministerialdirektor Schäfer: Die Sache liegt da nicht ganz so wie bei den Ziffern 6 und 7. I n den internationalen Ab­ machungen sind wir im allgemeinen nur gehalten, diese Taten als Taten von Deutschen oder als im In lan d begangen zu verfolgen. Bezüglich der Aus­ ländertaten im Ausland sind nur gewisse Verpflich­ tungen über Rechtshilfe und dergl. eingegangen. Wir sind nicht genötigt, das hineinzuschreiben. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: § 354 ist auch im ganzen nicht beanstandet worden. Es soll da das Wort „Rechtsgüter" vermieden werden. Professor D r. Graf Gleispach: W ir haben bisher von dem Schutze des eigenen S taates gesprochen, wollen aber jetzt dazu kommen, diesen Schutz auf ganz verschiedene Weise zu ge­ stalten, je nachdem ob die Tat von einem Ange­ hörigen des Deutschen Reichs oder von einem Aus­ länder verübt wird. Dadurch wird meines Erachtens das Verhältnis dieser k a t exochen politischen Delikte zu der Gruppe der Angriffe auf fremde S taaten ganz wesentlich verschoben. W ir haben auf der einen Seite die Verratsdelikte, aus der anderen Seite diese Paralleldelikte mit dem Ausländer als Subjekt, die vorläufig noch keinen Namen haben — Angriffe auf den S taat, aber nicht Treuebruch — , und w ir haben drittens dann die Angriffe auf fremde Staaten. Der Angriff auf einen fremden S ta a t, also die Realisierung des Gedankens, daß wir auch Sicherheit, Bestand, Grundrechte usw. jedes Kulturstaats schützen wollen, rückt dadurch in nächste Nachbarschaft zu dem neuen Delikt, daß ein Ausländer das Deutsche Reich angreift. M an könnte sogar sagen, daß kein wesent­ licher Unterschied mehr besteht, abgesehen davon, daß sich das Deutsche Reich gegen jedermann stärker schützt

als fremde Staaten. J e mehr wir den Standpunkt betonen, daß kein Fremder sich in unsere Staatssührung einzumengen hat, um so mehr anerkennen wir auch den Satz, daß wir den fremden S ta a t schützen, mag seine Rechtsordnung, Verfassung usw. wie immer gestaltet sein. M an sieht es heute als eine ganz be­ sondere internationale Verpflichtung an, diesem fremden S ta a t auch einen Schutz angedeihen zu lassen. Nun frage ich mich: Wie verhält es sich hier, wenn diese T at — Angriff gegen einen fremden S ta a t — vom Allsländer im Auslande verübt ist? Dieser Fall ist ja nicht wesentlich verschieden von dem eben besprochenen Fall, daß der Ausländer etwas gegen das Deutsche Reich tut, was wir bisher Hoch­ verrat genannt haben. Nun ist dieser Fall des An­ griffs auf den fremden S ta a t im § 353 nicht ausge­ zählt, sondern er fällt unter § 354. Inländische Be­ lange sind nicht getroffen; infolgedessen ist Ziffer 2 des § 354 maßgebend. Die dort gegebene Voraus­ setzung wird aber nie vorliegen, weil es sich um ein politisches Delikt handelt, für das die Auslieferung im allgemeinen unzulässig ist. Also kommen wir dazu, daß wir dem fremden S ta a t nur dann einen Schutz gewähren, wenn der Täter entweder ein Inländer ist, oder wenn die T at im Jnlande begangen ist. Das scheint mir etwas zu enge. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Denken S ie da etwa an den Fall Marseiller Attentat, Jugoslawien— Italien ?) — Auch, Herr Reichsminister. Allerdings ist das kein ganz zutreffendes Beispiel. Es würde dann hierher gehören, wenn es sich um den Versuch gehandelt hätte, einen ausländischen Souverän nicht zu töten, sondern gefangenzunehmen. Wenn ein solcher Atten­ täter in das Deutsche Reich flüchtet, können wir nichts gegen ihn tun, denn wir dürfen ihn doch nicht ausliefern, und infolgedessen können w ir ihn über­ haupt nicht bestrafen. (Ministerialdirektor Schäfer: Die Lösung wäre zu suchen in der Beschränkung des politischen Asyls, nicht hier!) — Wenn man das Auslieserungsrecht nicht ändert, müßte man jedenfalls den Fall des Angriffs auf einen fremden S ta a t in § 353 aufnehmen. D as schiene mir eigentlich konsequent. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich fürchte nur, daß das nicht gemacht werden kann, ohne daß wenigstens unter den Kulturstaaten eine gewisse Reziprozität besteht. (Geheimrat Dr. Siedler: D as könnte uns auch politisch außerordentlich unbequem sein.) Professor Dr. Dahm: D as liegt keineswegs in der Konsequenz unserer Auffassung. Wenn wir den Ausländer bestrafen, der das Deutsche Reich angreift, so tun wir das, weil es Aufgabe des Deutschen Strafgesetzbuchs ist, die Macht und Sicherheit des Deutschen Reichs zu schützen. D araus folgt aber keineswegs, daß w ir auch die

Macht und Sicherheit anderer Staaten zu schützen hatten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich halte als Wunschbild die Vorstellung, daß alle Staaten sich gegenseitig ihre Sicherheit verbürgen und gegenseitig für ihre Ehre eintreten, für sehr ein­ drucksvoll. Nur glaube ich nicht, daß ein einzelner S ta a t diesen Weg gehen kann. Wenn ich an die Ver­ handlungen denke, die ich erwähnt habe, wo ernsthaft um die Frage gestritten worden ist, ob der Kanzler des Deutschen Reichs bei der jetzigen Verfassung überhaupt als Staatsoberhaupt im Sinne der inter­ nationalen Abmachungen anzusehen ist, dann habe ich keinen großen Mut, den Weg zu gehen, der zur Ver­ wirklichung dieses Wunschbildes führt. Ich glaube nicht, daß wir das empfehlen können. Professor Dr. Nagler: Soweit ich unterrichtet bin, ist die bisherige Strafpraxis wegen der Störung der Beziehungen zum Ausland dahin gegangen, nur die eigenen Staatsangehörigen und die im Jnlande befindlichen Ausländer, wenn sie im Jnlande delinquieren, unter Strafe zu stellen. Der tragende Gedanke ist doch der gewesen — und nur deshalb sind diese Bestimmungen aufgenommen worden — , daß die auswärtigen Be­ ziehungen des Inlandes nicht gestört werden, daß nicht etwa der Friede des Inlandes, also ein eigenes Rechtsgut des Inlandes, durch solche Akte in Frage gestellt werde. Es handelt sich nicht um die Courtoisie im internationalen Verkehr, um die Rechts­ solidarität der Kulturnationen, wenigstens bisher noch nicht. Und ich glaube, wir sollten nicht das heiße Eisen der Bestrafung aller Ausländer angreifen. Wenn S ie daran denken, daß z. Zt. noch der W ahr­ heitsbeweis bei Beleidigung fremder Staatsober­ häupter zulässig ist, so stellen Sie sich vor, was für Komplikationen dabei sich für das In la n d ergeben können. Denken Sie an den Peukarprozeß; wenn wir da etwa hätten untersuchen müssen, ob der Schah von Persien Anstiftung zum Mord begangen habe usw.! Ich glaube, wir können mit diesen Dingen gar nicht vorsichtig genug sein. Ich würde mich unter allen Umständen dagegen wehren, daß die Störung der Be­ ziehungen zum Ausland in § 354 einbezogen wird. D as wäre eine ganz gefährliche Sache und würde auch dem Prinzip, von dem wir bisher ausgegangen sind, vollkommen widersprechen. W ir schützen dabei gar nicht das Ausland, sondern wir schützen die eigenen Interessen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as letztere scheint mir die richtige Formel zu sein, denn wir müssen das gesamte Strafrecht auf das beziehen, was uns angeht. (Pause von 13% bis 16 Uhr.) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ganz zu Ende sind wir mit dem § 355 doch nicht gekommen. Absatz 1 stand und steht nicht zur Debatte. Wohl aber ist Absatz 2 in verschiedenem Zusammen­

hang genannt worden, also „die T at in Niemands­ land". Welche Vorschläge werden für diesen Absatz 2 gemacht? Professor Dr. Mezger: Es handelt sich in meinem Vorschlag nur um eine sprachliche, nicht um eine sachliche Änderung. Professor D r. Nagler: Mein Vorschlag geht dahin, zu sagen: Ist der O rt der Tat keiner Strafgewalt unterworfen, so finden in den Fällen usw. die Gesetze des Reiches Anwendung, wenn die gesunde Volksanschauung die Bestrafung fordert. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich sehe eigentlich kein Bedürfnis dafür. E s ist vielleicht an Fälle gedacht, die sich in unerforschten Teilen des inneren Afrikas, am Südpol oder Nord­ pol abspielen. E s wird hier aus solche Handlungen hinauslaufen, die wir unter dem Gesichtspunkt des Notstandes in der ersten Lesung erörtert haben. W ir haben ja nun den Notstand sehr weit als Entschuldi­ gungsgrund gefaßt, so daß ich mir eigentlich kaum einen F all denken kann, der es nötig macht, die ge­ sunde Volksanschauung als Regulator darüber hinaus noch eine besondere Rolle spielen zu lassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es liegt hier etwas anders als im Ausland; denn irgendeine Rechtsanschauung kann es im neutralen Gebiet nicht geben. I m Niemandsland gibt es keine Anschauung über Strafrecht. Professor Dr. Nagler: Aber die Verhältnisse sind so exzeptionell, daß man nicht das gleiche Maß anlegen kann, wie in den geordneten Verhältnissen unseres Reiches. Wenn ein Deutscher in einer verlorenen Schneehütte am Nordpol die Sachen des anderen gebraucht, kann man nicht gleich von Diebstahl reden. Notstand kommt natürlich in Frage, aber nicht immer. Ich würde da gern ein Ventil öffnen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Würden S ie diesen Einwand nicht doch fallen lassen können, wenn man ganz allgemein sagen würde: F ü r alles, was nicht in Deutschland geschieht, ist die Strafverfolgung ä la disposition gestellt. (Professor D r. Nagler: Wenn das der Fall ist, würde es sich erledigen. Ich brauche nur ein Maß!) — D as wäre überhaupt vorgesehen gewesen. F ü r alles, was nicht in Deutschland begangen ist, unter­ steht die Strafverfolgung nicht dem Legalitätsprmzip. Ministerialdirektor Schäfer: I n dem Entwurf der Verfahrensordnung ist im § 36 über Ermessensfreiheit für die Verfolgung von Auslandstaten vorgesehen: Der Staatsanw alt kann von der Verfolgung einer T at absehen, wenn sie im

Ausland begangen ist. Dasselbe gilt bei Taten, die aus einem ausländischen Seeschiss oder Lustfahrzeug im Jnlande begangen sind. (Reichsjustizminister D r. G ärtner: Is t Aus­ land auch ein negativer Begriff? — Professor D r. Nagler: Ich nehme an, Ausland ist alles, was nicht In lan d ist.) Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn das der Fall ist, kann es gar keinen Zweifel geben. W ir kämen dann zum Sprachgebrauch. Professor Dr. Mezger: Ich bin zunächst der Meinung, daß wir aus solche Definitionen, wie sie in dem Abschnitt „Sprach­ gebrauch" vorgesehen sind, jedenfalls nicht ganz ver­ zichten können, und zwar wird gerade ein Bedürfnis nach den Begriffsbestimmungen bestehen, die im Ent­ wurf in §§ 356 und 357 vorgeschlagen sind. Wir schlagen daher übereinstimmend vor, diese Be­ stimmungen beizubehalten, sie aber an den Schluß des ganzen Gesetzes zu stellen. E s ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht auch das Wort „ ö f f e n t l i c h " allgemein definiert werden sollte. Wie der Herr Mitberichterstatter bin ich der Auffassung, daß das nicht geschehen möge. Ich habe die einzelnen Bestimmungen des Besonderen Teils nochmals genauer daraufhin durchgesehen und den Eindruck bekommen, daß das Wort „öffentlich" dort überhaupt nicht durchweg in derselben Bedeutung gebraucht wird. E s wäre daher vielleicht zweckmäßig, vor dem E intritt in die Beratung des Besonderen Teils kurz über die bisherige Rechtsprechung zu diesem Begriff und über die verschiedenen Formen und Zusammenhänge, in denen das Wort gebraucht wird, zu referieren. Einmal wird das Wort dort verwendet, wo die T a t b e g e h u n g in der Öffentlichkeit als solche gefährlich ist. Ich denke etwa an Geheimnispreis­ gabe bei Landesverrat und ähnliches. An anderen Stellen hat das Wort wieder mehr die Bedeutung, daß eine E i n w i r k u n g auf die Öffentlichkeit ver­ hindert werden soll. I n einer dritten Gruppe von Fällen geht die subjektive Absicht des T äters auf eine öffentliche B l o ß s t e l l u n g , z. B. bei Verleum­ dungen. Es wäre gut, diese Verschiedenheiten an den einzelnen Orten deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Jedenfalls habe ich die Überzeugung gewonnen, daß es nicht zweckmäßig wäre und der Sache Gewalt antun würde, wenn eine a l l g e m e i n e Definition des Wortes: „öffentlich" aufgenommen würde. Schließlich besteht eine gewisse Uneinigkeit in der Frage der Definition des „ E n t g e l t s " . Der Herr Mitreferent hat den Vorschlag gemacht, das Entgelt im Sinne eines irgendwie erstrebten Vorteils zu definieren. Ich möchte nach wie vor glauben, daß es richtiger ist, davon abzusehen; denn ein Vorteil irgendwelcher Art ist schließlich mit jeder Straftat verknüpft. Soviel mir bekannt ist, hat die Recht­

sprechung bisher keine Schwierigkeit gehabt, mit dem Wort ohne eine besondere Definition auszukommen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: W ir haben jetzt vier Wörter, die wir nach dem Sprachgebrauch auszulegen für notwendig erachten: Angehöriger, Amtsträger, Gewalt und Drohung. Eine solche Wortdefinition ist immer dann notwendig, wenn ich einem Wort einen In h a lt geben will, der entweder aus dem Sprachgebrauch nicht ohne weiteres ersichtlich ist oder davon abweicht, sei es, daß er enger oder weiter ist. F ü r die „Angehörigen" wird das selbstverständlich sein; denn das Wort „Angehörige" läßt sich nicht abgrenzen. D as Wort „Amtsträger" erst recht, es ist überhaupt kein deutsches Wort, gehört nicht der lebendigen Sprache an. W ir haben es auch nur gewählt, weil wir das W ort B eam te" als zu eng empfunden haben. Professor Dr. Mezger: Bei dem Worte: „ G e w a l t " ist die Stellung­ nahme zu einer konkreten Streitfrage erforderlich. Die Rechtsprechung geht bisher teilweise andere Wege. Deshalb ist' die Klarstellung von Bedeutung. Hier handelt es sich um eine konkrete juristische Frage. Reichsjustizminister D r. Gürtner: E s handelt sich nicht um eine sprachliche Frage, sondern darum, dem Wort „Gewalt" einen In h a lt zu geben, der in der Sprache nicht da ist. W ir wollen es aber wie Gewalt behandelt haben. — D ann Drohung, das ist auch eine rein juristische Abgrenzung. Professor Dr. Mezger: E s wird zweckmäßig sein, das zu tun. Ich halte die Definition, die gefunden worden ist, für glücklich. Sie ist aus praktischen Bedürfnissen nach einer E in­ schränkung bei der Erpressung herausgewachsen. W as dort paßt, paßt auch in anderen Fällen. Ich glaube, es wird hier doch gut sein, wenn im Gesetz diese Richtlinie gegeben wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Und zwar im Sinne der Einengung; denn nach dem Sprachgebrauch fällt unter eine „Drohung" sehr viel mehr, als wir als Drohung auffassen wollen. Nun haben noch „Entgelt" und „öffentlich" zur Diskussion gestanden. D as „öffentlich" würden S ie wegen der Vieldeutigkeit, in der das Wort gebraucht wird, ablehnen, und das Wort „Entgelt" würden Sie auch ablehnen zu definieren. Professor Dr. Mezger: Weil es mir zu weit geht, mit dem Wort „E nt­ gelt" wirklich jeden irgendwie gearteten Vorteil zu erfassen. Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Die Sachbearbeiter schlagen vor, den Begriff „Entgelt" zu erläutern, weil nach geltendem Recht Zweifel bestehen, ob darunter auch i m m a t e r i e l l e

V o rte ile (zum B e is p ie l B e frie d ig u n g des Ehrgeizes oder der E ite lk e it) zu verstehen sind.

haft. M a n kann aber sagen: G ewalt ist die Anwen­ dung körperlicher K ra ft, aber auch die Anwendung der Hypnose.

Professor D r. Mezger: E in Z w eife lsfa ll w a r einmal § 136. H ier hat man das B e dürfnis empfunden, V o rte il und Entgelt einander gegenüberzustellen. (OberlandesgerichLsrat D r. Schäfer: D as ist zweierlei, entweder gegen Entgelt oder in der Absicht, sich einen V o rte il zu verschaffen. Da zielt es auf die Zukunft.) — S o ll z. B . auch beim Anbieten von Schriften usw. wirklich jeder irgendwie geartete V o rte il gemeint sein? (Oberlandesgerichtsrat D r. Schäfer: Das würde gerade ein solcher F a ll auch immate­ riellen Genusses sein!) Vizepräsident Grau: Herr Professor Mezger hat schon darauf hinge­ wiesen, wie unschön dieser ganze Abschnitt ist, und hat deshalb vorgeschlagen, ihn an den Schluß des ganzen Gesetzbuches zu stellen. Ich möchte vorschlagen, den Abschnitt — wenn irgend möglich — aufzulösen, und befinde mich dabei in Übereinstimmung m it Herrn Staatssekretär F re iste r, der mich beauftragt hat, dieses hier ausdrücklich zu beantragen. Ich erinnere daran, daß ursprünglich der R efEntw. eine große Liste derartiger Begriffe enthielt. Diese Liste ist dadurch verkleinert worden, daß sämtliche Begriffe, die n u r in e i n e m Abschnitt des Besonderen T e ils vorkommen, herausgenommen und in diesem A b­ schnitt legaliter definiert worden sind. Ich vermag nicht einzusehen, warum man dieselbe Methode nicht auch bei den übrigbleibenden Begriffen einschlagen könnte, die in mehreren Abschnitten vorkommen. M a n könnte die Begriffsbestimmungen in d e n Abschnitt des Besonderen T e ils bringen, in den sie am besten hineinpassen; entweder in den Abschnitt, in dem der B e g riff zum ersten M a le vorkommt, oder in denjenigen Abschnitt, in dem ein besonders plastischer Tatbestand m it diesem B e g riff enthalten ist. Ich würde zum Beispiel den B e g riff der Drohung bei der Erpressung definieren. Jedenfalls w ird sich ein Weg finden lassen, der den Abschnitt „Sprachgebrauch", der durchaus unschön und unleserlich ist, beseitigt. Zum Schluß darf ich darauf hinweisen, daß man die Gewalt doch nicht dahin definieren sollte, daß sie „a u ch" etwas ist, daß man also n u r die S treitfrage des geltenden Rechtes ausräum t, während man eine eigentliche Begriffsbestimmung der Gewalt gar nicht b rin g t; eine solche Ausdrucksweise scheint m ir in besonderem Maße unvolkstümlich und unverständlich zu sein. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as ist ein Gedanke, der schon im E n tw u rf ange­ klungen ist, und man kann den Eindruck nicht ganz verwinden, daß es eine gewisse W illkürlichkeit ist, vom ganzen Strafgesetzbuch gerade diese vier W örter her­ auszuholen. W as der H err Kollege G rau bei der G ewalt m eint — „auch" — , ist allerdings schauder­

O berlandesgerichtsrat D r . Schäfer:

Ursprünglich w ar dieser Katalog sehr viel größer. E r ist zusammengeschrumpft aus die wenigen Punkte, w e il bereits in erster Lesung den Wünschen von H errn Vizepräsident G rau Rechnung getragen worden ist, die Begriffsbestimmungen nach Möglichkeit im Be­ sonderen T e il unterzubringen. D ie übrigbleibenden Begriffe sind solche, die nicht in einen Abschnitt des Besonderen T e ils hineinpassen, w eil sie sich an mehreren Stellen im Gesetz finden. Ich möchte glauben, daß es willkürlich und unzweckmäßig ist, einen solchen B e g riff an der ersten Stelle unterzu­ bringen. D ie Folge wäre, daß an allen anderen Stellen, wo der B e g riff verwandt w ird , aus die Begriffsbestimmung verwiesen werden müßte. Senatspräsident Professor D r. Klee: Vom Standpunkt eines lesenden Laien w ird man nicht ins B ild gesetzt, wenn man bei der Erpressung n u r von Drohung liest. E in solcher Leser muß von vornherein auch Drohungen für erpresserisch halten, die w ir nach der D e fin itio n in § 357 Z iffe r 3 nicht als erpresserisch ansehen. Ich glaube, daß es fü r den Gebrauch des Gesetzbuches gerade durch einen unbe­ fangenen Leser richtiger wäre, jeweils an O rt und S telle diese Begriffe zu erläutern. M a n könnte den B e g riff aber auch das erstemal, wo er vorkommt, erläutern und dort, wo er noch einmal vorkommt, auf die D e fin itio n verweisen. I n Z iffe r 3 steht nun „D ro h u n g m it Gewalt oder m it einem empfindlichen Übel". I s t die G ewalt nicht im mer ein empfindliches Übel? M a n könnte die G ewalt eigentlich vö llig weglassen. Wenn jemand m it P rügel droht, so ist das ein empfindliches Übel. D e r Bedingungssatz „w enn es gegen die guten S itte n ver­ stößt, zu dem verfolgten Zwecke die G ewalt oder das Übel anzudrohen" bezieht sich auch auf Gewalt. D a rum kann man den B e g riff der G ewalt erst recht in dem empfindlichen Übel verschwinden lassen. (Reichsjustizminister D r. G ü rtn e r: Ich glaube, daß das keine Sinnesänderung ist, n u r eine Illu s tra tio n !) M in isterialdirektor D r. D ü rr: H err Oberstaatsanwalt Reimer, der heute nicht anwesend sein kann, hat in seinen Anträgen dargelegt, daß die Begriffe Am tsträger, G ewalt und Drohung bei zahlreichen Tatbeständen vorkommen, und gezeigt, wie unzweckmäßig es wäre, wenn man die Begriffe bei ihrem ersten Vorkommen definieren würde. H err Senatspräsident Klee schlägt vor, beim Vorkommen an späterer Stelle aus die an früherer Stelle gegebene D e fin itio n zu verweisen. Verweisungen sollen aber möglichst vermieden werden. W ir haben uns in der ersten Lesung wirklich bemüht, alle B e g riffs­ bestimmungen tunlichst an einer geeigneten Stelle des Besonderen Teiles unterzubringen. Aber diese vie r

Definitionen werden kaum im Besonderen Teil untergebracht werden können. Professor Dr. Nagler: Ich möchte mich mit Herrn Vizepräsident Grau für die Auflösung des vierten Abschnittes erklären. Jetzt ist er nach meinem Dafürhalten ein kümmerlicher -Überrest, der in das Gesetz zusammenhanglos hinein­ gesprengt bleibt. Ich bin der Meinung, wir sollen den Abschnitt „Sprachgebrauch" ganz auflösen und seine Definitionen an irgendeiner Stelle unter­ bringen, möglichst an der Stelle, wo sie systematisch am besten untergebracht werden können: „Gewalt" und „Drohung" etwa bei Nötigung. Ich glaube, es wird der Auslegung gar keine Schwierigkeiten machen, zu erkennen, daß es sich um Definitionen handelt, die für das ganze Gesetz gelten. Dann möchte ich mich für den Vorschlag der Herren Sachbearbeiter erklären, „Entgelt" zu defi­ nieren. Dieser Begriff ist eine alte Krux. Wir müssen uns bei der Auslegung des jetzigen Strafgesetzbuchs immer den Kopf darüber zerbrechen, ob das Entgelt oder der Vorteil nur materieller oder auch ideeller Art sei. Ich glaube, wir können mit ein paar Worten ein für alle M al dieser Streitfrage den Garaus machen, und das wäre doch ein Vorteil. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ganz einleuchtend ist das Verfahren nicht. Zuerst war der Abschnitt Sprachgebrauch zu groß, und man hat ihn klein gemacht. Jetzt ist er zu klein, und nun will man ihn auslösen. D as ist etwas schwierig. Ich fürchte,wenn wir dann imBesonderenTeil darangehen, diese Perlen unterzubringen, findet man keine Schub­ lade, wo es richtig hineingeht. D as gilt nach meiner Meinung für den Begriff der Angehörigen zweifellos. Der „Angehörige" ist eine Breviloquenz, nur aus dem Sprachschatz des Volkes geschöpft, für uns ohne In h alt. Ich glaube, der Gesetzgeber sollte vorn sagen, was er mit „Angehörigen" meint. Ich kann mich auch nicht davon überzeugen, daß eine Wortdesinition hinten am Platz ist. D as W ort „Gewalt" kommt 26mal in unserem Entwurf vor, das Wort „Amts­ träger" 15mal, das Wort „Drohung" 13mal, dazu 7mal das Wort „Drohung mit Gewalt", wo die Drohung eingeschränkt ist, so daß das Weglassen der Gewalt auch nicht zweckmäßig ist. (Senatspräsident Prof. Dr. Klee: Die Gewalt ist ja definiert; aber sie zu sondern vom empfindlichen Übel ist nicht nötig!) — D as W ort „Gewalt" kommt 26mal vor, einmal mit Buchstaben ausgedrückt und 25mal mit Ver­ weisung. D as kann man nicht machen. Ich scheue mich gar nicht, für solche Wörter, von denen ich hier gesagt habe, daß ihr Wortbild den In h a lt nicht wiedergibt, den w ir damit unterstellen wollen, eine vorherige Auslegung zu verlangen. Professor Dr. Mezger: Ich weise aus den § 52 Abs. 2 des geltenden Rechts hin — gewiß keine schöne Gesetzestechnik.

Senatspräsident Professor D r. Klee: Ich ziehe die Anregung der Auflösung des Ab­ schnittes „Sprachgebrauch" mit der Maßgabe, daß an jeder Stelle, wo er vorkommt, der Begriff definiert wird, zurück, weil das Gesetz hierdurch doch recht schwerfällig werden würde. M an könnte vielleicht in Aussicht nehmen, im Zusammenhang mit der allge­ meinen Regel, die wir über die Auslegung des S traf­ gesetzes ins Auge gefaßt haben, ein W ort darüber zu sagen, was man unter Gewalt, Drohung usw. versteht. Professor D r. Dahm: Wenn wir Begriffe wie „Entgelt" definieren, dürfen wir die Sprache nicht rationalistisch vergewal­ tigen. M an kann nicht in ein Gesetz hineinschreiben: Jemand handelt gegen Entgelt, wenn er zur Befriedi­ gung seiner Eitelkeit oder um ideeller Vorteile willen tätig wird. W ir sind auch hier an die Sprache ge­ bunden und dürfen gewisse Grenzen nicht über­ schreiten. Aus diesem Gefühl heraus wäre es mir lieber, wenn wir alle Definitionen vermieden, die sich überhaupt vermeiden lassen. Ich könnte mir z. B. denken, daß wir eine Definition für die Gewalt über­ haupt nicht brauchen, und wäre sogar der Meinung, daß der „Amtsträger" — im Gegensatz zum „Beamten" — nach vernünftigem Sprachgebrauch und im Sinne des Gesetzes so ausgelegt würde, wie es hier bezeichnet ist. Ich möchte diesen Abschnitt nach Möglichkeit überhaupt beseitigen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nach Möglichkeit! Jetzt sind S ie am Kleinholz­ machen, aber den letzten S pan räumen Sie doch nicht weg. Die Methode, die Definition z. B . der „Ange­ hörigen" an der ersten Stelle zu geben, wo sie wichtig wird, und an späteren Stellen zu verweisen, ist unmöglich. W ir wollen doch ein lesbares Strafgesetz­ buch machen. D as W ort „Angehöriger" ist eine Ab­ kürzung. I n Büchern findet sich oft gleich vorn eine Seite, auf der die Abkürzungen erklärt sind. Etwas viel anderes. bedeutet das auch nicht. D as Wort „Angehöriger" ist immerhin achtmal vorhanden. Ich bin der Meinung, die Bilder, die wir uns von dem äußeren Ausbau des Strafgesetzbuches machen, werden sich im Lause der Zeit klären. W ir sind bei folgender Vorstellung angelangt: 1. ein Vor­ spruch, 2. vom Grundsätzlichen, 3. Besonderer Teil und 4. Allgemeiner Teil. Den Allgemeinen Teil wird man jedenfalls nicht auseinandertrennen; das glaube ich ganz bestimmt. Das Bedürfnis, vorn etwas zu sagen, was für das ganze Gesetz gilt, fühlt jeder; der eine will es im Vorspruch, der andere im Grund­ sätzlichen des Allgemeinen Teils. I m letzten Grunde ist das Bedürfnis das gleiche. Wenn sich eine solche Definition vorn zwanglos anbringen läßt, hätte ich nichts dagegen; dann weiß man, was das Wort be­ deutet, bevor man das Gesetz liest. (Senatspräsident Pros. Dr. Klee: E s ist schließlich auch eine Auslegungssrage!)

— D as ist etwas anderes. Die Auslegung ist ein seines Kunstwerk, das andere ist Grobschmiedarbeit. Vizepräsident Grau: Eine Definition von Entgelt würde ich nur dann für notwendig halten, wenn man jeden materiellen und ideellen Vorteil, gleichviel, wem er zugute kommt, darunter verstehen will. D as Volk legt das in das Wort „Entgelt" nicht hinein. Dann darf ich bitten, wenn der Abschnitt schon bleibt, den Begriff „Gewalt" anders zu bestimmen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die An­ wendung körperlicher Kraft, das ist Gewalt!) — Heute morgen ist auch noch davon gesprochen worden, daß der Begriff „Deutscher" definiert werden solle. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wir haben gesagt, daß wir das Wort „Deutscher" im staatsrechtlichen Sinne gebrauchen wollen. Halten die Herren es für wünschenswert oder gar für not­ wendig, das hier zum Ausdruck zu bringen? (Ministerialdirektor Schäfer: Ich glaube, ein Satz in der Begründung würde genügen!) (Pros. Dr. Dahm: Ich glaube auch, es macht einen merkwürdigen Eindruck, wenn in einem Katalog von technischen Begriffen plötzlich das Wort Deutscher definiert wird!) — Wir werden also gar nicht in Erwägung ziehen, das Wort „Deutscher" auszulegen. Ich glaube nicht, daß jemand den Rassebegrisf des Deutschen im S tra f­ gesetzbuch gelten lasten will. W ir kämen dann zur

Verjährung. Berichterstatter Landgerichtsdirektor Dr. Lorenz: Es handelt sich um die §§ 381 und 382 des vor­ liegenden Entwurfs, über die Verjährung und ihre Regelung im einzelnen ist hier nicht weiter zu sprechen, da die Entscheidung endgültig dahin gefallen ist, daß die Verjährung in der Strafprozeßordnung und im Strasvollzugsgesetz geregelt werden soll, daß sie also als Institut des materiellen Strafrechts beseitigt wird. Damit wären an sich auch die §§ 381 und 382 der ersten Lesung überflüssig und könnten gestrichen werden. Denn nach dem Entwurf ist es zweifellos, daß die Verjährung künftig ausschließlich P r o z e ß rechtliche Bedeutung hat. Nach den Kommissions­ beratungen sind die beiden Paragraphen nur aus­ genommen worden, weil man davon ausging, wie es in dem gedruckten Sitzungsbericht heißt, daß die Ver­ jährung im materiellen Strafrecht irgendeiner E r­ wähnung bedarf, und zwar deshalb, weil das Volk im Strafgesetzbuch einen Ausspruch des Gesetzgebers über die Verjährung erwartet. Dazu würde an sich je der zweite S ah in den §§ 381 und 382 genügen, der auf die Strafprozeßordnung und auf das S tras­ vollzugsgesetz hinweist, zumal wenn dann im Gesetz­ buch eine dem § 66 des Reichsstrasgesetzbuchs ent­ sprechende Bestimmung nicht wiederkehrt. Ich glaube

aber, es ist zu empfehlen, daß das neue Strafgesetz­ buch im Gegensatz zu dem Gedanken des § 66 des Reichsstrasgesetzbuchs, wonach die Strafbarkeit durch Ablauf einer gewissen Zeit beseitigt wird, k l a r z u m A u s d r u c k b r i n g t , daß der einmal ent­ standene Strafanspruch des Staates durch Zeitablauf nicht untergeht. Überdies wird eine solche ausdrück­ liche Bestimmung auch im Hinblick aus die strafrecht­ lichen Nebengesetze nötig sein. Der Gedanke von dem Wesen der Unvergänglichkeit der Schuld ist so funda­ mental und so der sittlichen Grundanschauung des deutschen Volkes entsprechend, daß das künftige S tra f­ gesetz diesen Gedanken besonders zum Ausdruck bringen und auch betont hervorheben muß. Aus diesen Erwägungen bin ich unbedingt für Beibehaltung auch je des ersten Satzes der §'§ 381 und 382. Nur ließen sich sprachlich in § 382 Satz 1 die Worte „erkannten" und „angeordneten" vielleicht streichen. M. E. genügt „rechtskräftige Strafe" und „rechtskräftige Maßregel der Sicherung und Besse­ rung". Die Anmerkung 1 zu § 381 des Entwurfs, die ausführt, wie die Verjährung geregelt werden soll, hat inzwischen insofern ihre Erledigung gefunden, als der § 27 des Entwurfs erster Lesung einer S tra f­ prozeßordnung die Fälle der Bersolgungs M ö g l i c h ­ k e i t und §§ 42 sf. des Bersolgungs V e r b o t s regeln. Nicht erfaßt wird meiner Meinung nach durch die Förmelung des § 381 der Fall, der in § 427 Abs. 1 Fall 1 des Entwurfs erwähnt ist und der dem § 42 b Abs. 1 Fall 1 des Strafgesetzbuchs entspricht, nämlich die Unterbringung des wegen Zurechnungsunfähig­ keit nicht Strafbaren. Diese Frage ist nt. E. auch bei der Kommisiionssitzung der ersten Lesung offen­ geblieben. Hier ist zu bedenken, daß einmal keine „strafbare Handlung" vorliegt im Sinne dieser Ge­ setzesbestimmung, und daß zum andern die M aß­ nahme der Unterbringung hier keine Strafverfolgung ist. Der oben erwähnte Entwurf der Strafprozeß­ ordnung bringt auch keine dem § 67 Abs. 5 R S tG B . entsprechende Bestimmung. Man kann vielleicht auch eine solche Bestimmung für überflüssig halten, wenn man an die Fassung des § 427 des Entwurfs zum Strafgesetzbuch denkt. Danach ist die Unterbringung dann anzuordnen, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert, und man kann doch wohl sagen: diese Vor­ aussetzung wird im allgemeinen nach einem gewisien längeren Zeitablaus zu verneinen sein, wenn nichts weiter passiert ist. Wenn das aber nicht zutrifft, muß die Unterbringung eben angeordnet werden, auch wenn noch soviel Zeit verstrichen ist. F ü r § 382 Abs. 2 des Entwurfs möchte ich hin­ sichtlich des Sprachgebrauchs noch eine Anregung geben. Hier ist von Strafvollstreckung und S tra f­ vollzug die Rede. F ü r den Gebrauch dieser beiden Ausdrücke hat sich eine ganz bestimmte Übung heraus­ gebildet. Vollzug ist das, was in der Strafanstalt z. B. geschieht, Vollstreckung dagegen die diesen Voll­ zug bewirkende Tätigkeit. I n Anlehnung an diesen

j

Sprachgebrauch müßte wohl in beiden Fällen von „vollstrecken" gesprochen werden. Mein Vorschlag geht also dahin, den § 381 so zu fassen, wie er hier im Entwurf steht, und den § 382 sprachlich dahin abzuändern: Die Vollstreckbarkeit einer rechtskräftigen Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung erlischt nicht durch Zeitablaus. Nach welcher Zeit eine rechtskräftige Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung nicht mehr vollstreckt werden darf, bestimmt das Strasvollzugsgesetz. Berichterstatter Professor D r. Nagler: Ich hätte auch die materiell-rechtliche Lösung vor­ gezogen. Aber nachdem die Entscheidung nach der anderen Seite gefallen ist, habe ich ' nichts zu erinnern. Ich halte die §§ 381 und 382 im Grunde genommen für überflüssig. Es sind eigentlich leere Hülsen, weiter nichts als Adreßstellen. Es heißt: zuständigkeitshalber wende dich da und da hin. Also ich würde an und für sich die Paragraphen streichen, habe aber auch gegen die Verweisung nichts einzu­ wenden. Was den Sprachgebrauch anlangt, so bin ich der Meinung, daß man von der rechtskräftig angeord­ neten Maßregel der Sicherung und Besserung sprechen sollte; denn die Strafe selbst wird nicht rechtskräftig, sondern das Urteil oder die Anordnung. Ob man statt Vollzug Vollstreckung setzen soll, kommt daraus an, wie das Strafvollzugsgesetz schließlich die Terminologie wählt. I m ganzen: ich hätte grund­ sätzlich nichts einzuwenden gegen den Vorschlag meines Herrn Mitberichterstatters. Professor Dr. Dahm: Auch mir scheint, daß wir die §§ 381 und 382 im Grunde entbehren können, weil sie nur eine Ver­ weisung enthalten. Wenn sie aber bleiben sollen, dann bitte ich um eine sprachliche Berichtigung. Dann sollte man nicht von „Verjährung" sprechen, sondern vom „Zeitablaus". D as mag praktisch gleich­ gültig sein, ist aber grundsätzlich bedeutsam? Der Begriff der Verjährung steht in unmittelbarem Zu­ sammenhang mit dem Begriff des Anspruchs. Herr Landgerichtsdirektor Dr. Lorenz hat bezeichnender­ weise vorhin in diesem Zusammenhang vom „S traf­ anspruch" gesprochen. I n der T at' verjährt der Strafanspruch. Gerade den Begriff Strafanspruch empfinden wir aber als eine jener für das neunzehnte Jahrhundert typischen Übertragungen zivilrechtlicher Begriffe aus das Strafrecht. M it dem Strasanspruch aber muß auch die Verjährung verschwinden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich darf daran erinnern, daß dort, wo wir vom Personalprinzip gesprochen haben, die Überschrift: „Räumliche Geltung des Strafgesetzes" beanstandet und vorgeschlagen wurde zu sagen: „Persönliche und räumliche Geltung". Das ist mir leider aus den Augen gekommen. Vielleicht darf ich das noch einmal kurz zur Debatte stellen. — Ich darf Ih re Zu­

stimmung feststellen, daß es heißen soll: „Persönliche und räumliche Geltung". E s ist richtig, daß wir das Wort „Verjährung" hier aus alter Gewohnheit hergesetzt haben. Ich glaube, die Bemerkung von Herrn Professor Dahm ist nicht gut zu widerlegen, denn die Verjährung kommt im bürgerlichen Recht vor. E s wird vorge­ schlagen, dafür zu sagen: „Zeitablauf". Die beiden Paragraphen ganz wegzulassen, möchte ich nicht empfehlen. E s ist volkstümlich, wenn das darinsteht. Wenn das Wort nicht gewünscht wird, darf ich diese beiden Paragraphen als erledigt betrachten. Ich schlage vor, nunmehr den Abschnitt mit der Überschrift: Die Schuld (§§ 366 bis 377) vorzunehmen. Berichterstatter sind die Herren Professor Dr. Graf Gleispach und Senatspräsident Dr. Klee. Berichterstatter Professor Dr. Gras Gleispach: Es ist unleugbar, daß der ganze Abschnitt über die Schuld und insbesondere, was ja an erster Stelle zu besprechen sein wird, über die Zurechnungsfähigkeit nicht eigentlich auf neuen Grundlagen ruht, wenn man das geltende Recht damit vergleicht. In sb e­ sondere ist der Begriff Zurechnungsunfähigkeit, wie wir ihn hier in § 366 zugrunde gelegt haben, zum größten Teil, auch wörtlich einem früheren Entwurf entnommen. Der Gesichtspunkt ist der, daß für die Zurechnungsfähigkeit zwei psychologische Fähigkeiten entscheidend seien: die intellektuale Fähigkeit des Täters, das Unrecht zu erkennen, und die virtuelle Fähigkeit, sein Verhalten dieser Erkenntnis gemäß einzurichten. Nun kann man allerdings sagen: die erste Fähigkeit, die Erkenntnis des Unrechts der Tat, ist inhaltlich vielleicht nicht verändert, aber es ist zum mindesten klargestellt, in der unserer ganzen heutigen Rechtsauffassung entsprechenden Linie, daß es sich hier zum mindesten um die Erkenntnis der Unsittlich­ keit des Verstoßes des Verhaltens gegen die sitt­ lichen Grundlagen der Volksgemeinschaft handelt, das aber auch genügt. Dadurch gewinnt der Begriff der Zurechnungsfähigkeit eine ganz veränderte Gestalt und steht insoweit durchaus im Einklang mit der Grundausfassung des Entwurfs vom Unrecht über­ haupt. Aber der Mangel der einen oder anderen oder beider Fähigkeiten bedingt noch keineswegs die Zu­ rechnungsunfähigkeit, sondern der Grund für diesen Mangel muß in einer Bewußtseinsstörung oder in einer Geisteserkrankung gelegen sein. Damit sind Leute, die nicht die Fähigkeit haben, das Unrecht ihrer T at zu erkennen, und auch solche, die nicht die Fähigkeit haben, sich durch diese Einsicht in ihrem Verhalten bestimmen zu lassen, doch als zurechnungs­ fähig anerkannt, wenn nur der Grund für diesen Mangel, den einen oder den anderen, nicht in einer Erkrankung oder in einer erheblichen Störung des Bewußtseins liegt.

M a n kann nun freilich den gegenteiligen S ta n d ­ punkt vertreten. W enn man der Auffassung ist, daß diese Fähigkeiten unerläßliche Bestandteile oder, besser gesagt, Voraussetzung fü r ein Schuldurteil sind, dann müßten alle die Menschen, die dieser F ä h ig ­ keiten entbehren, aus dem Kreis der Zurechnungs­ fähigen, der Schuldfähigen, der S trafb aren ausge­ schaltet werden, gleichviel w arum sie die Fähigkeit nicht haben. I n der T a t liegt ja ein A ntrag dieser A rt vor, und zwar von G e r l a n d , der sich gegen die sogenannte gemischte Methode der Zurechnungs­ fähigkeit wendet und der verlangt, daß die A u f­ zählung von Gründen: Geistesschwäche, Geistes­ störung, Bewußtseinsstörung, gestrichen w ird, so daß es einzig und allein darauf ankommt, ob die Leute das Unrecht erkennen und demgemäß handeln können oder nicht. Praktisch hätte das vor allem die Folge, daß eine Gruppe von chronischen Verbrechern, von Leuten, die w ir heute als schwer krim inell ansehen, in die Gruppe der Zurechnungsunfähigen zu überstellen wäre, daß die nicht bestraft werden dürften, w om it ja keines­ wegs gesagt ist, daß nicht andere Verteidigungsm ittel des S taates gegen sie anzuwenden wären. E s würde also wohl darauf hinauskommen, daß eine Verschiebung der Grenze einträte, die w ir heute im wesentlichen nach dem Gesichtspunkt der Z u ­ rechnungsfähigkeit zwischen S tra fe n und Maßnahm en der Sicherung und Besserung gezogen haben. E ine weitere Grenzverschiebung könnte sich aus einem anderen Gesichtspunkt ergeben, der da und dort schon angedeutet worden ist, nämlich daß V o rau s­ setzung echter Bestrafung sei die staatliche A ner­ kennung, die Anerkennung durch die Rechtsordnung, daß dieses einzelne In d iv id u u m noch als ein M itg lie d der Volksgemeinschaft zu betrachten sei, so daß — wenn ich das der Kürze halber etwas übertreibend ausdrücken darf — das Bestraft-Werden-Können, die Fähigkeit, Gegenstand eines Schuldurteils sein zu können, im merhin eine gewisse Anerkennung für den Betroffenen zu bedeuten hätte. E s gäbe andererseits Gruppen von Menschen, an die man den Gesichts­ punkt eines ethischen W ert- oder U nw erturteils gar nicht mehr heranträgt, gegen die man sich ähnlich wie gegenüber Geisteskranken irgendwie wirksam ver­ teidigt, ohne daß man sie straft, ohne daß man ihnen die Möglichkeit eröffnet, ih r Unrecht sühnen zu dürfen. A us diesem Gesichtspunkt käme man dann freilich zu einer Gruppe von staatlichen Verteidigungsmaß­ regeln, die gegen diese Leute anzuwenden wären, wobei es nun zweifelhaft sein mag, ob diese Maßregeln den uns schon bekannten M aßregeln der Sicherung und Besserung völlig gleichzustellen seien oder nicht. M a n könnte auch an eine D re i­ teilung denken: S trafen , M aßregeln der Besserung und der Sicherung im bisherigen S in n e und endlich solche Verteidigungsmaßnahmen gegenüber dieser eben ungefähr angedeuteten dritten Gruppe von Personen. D a s würde sich etwas berühren m it den Gedanken, die H err Kollege D ah m in seinem schon mehrfach angezogenen Aussatz entwickelt hat, daß

nämlich der V e rräter, der also nicht m it dem V e r ­ brecher aus eine S tufe zu stellen sei — der echte V erräter, wenn ich so sagen darf — , auch nicht der S tra fe würdig sei. Nachdem aber zweifellos hier eine äußerst starke Reaktion des S taates notwendig ist, würde m an auch aus diesem Gesichtspunkt zu einer D reiteilun g kommen. Ich glaube aber, das alles nicht weiter verfolgen zu sollen, weil ich doch der M einu ng bin, daß man an der bisherigen Grundlage der Zurechnungsfähig­ keit oder der Schuldsähigkeit mindestens gegenwärtig noch festzuhalten haben wird. F ü r diesen Standpunkt ist m ir nicht nur maß­ gebend, daß meiner M einu ng nach die hier ange­ deuteten Dinge theoretisch noch nicht genügend durch­ dacht sind, um sie auf diesem Gebiet dem zukünftigen Recht zugrunde zu legen, sondern auch die Erwägung, daß w ir ja ein Strafrecht schaffen wollen, das m it den Grundanschauungen des deutschen Volkes im engsten Einklang steht. Ich kann m ir am Ende einer langen Entwicklung eine Volksauffassung denken, die es in Jahrzehnten vielleicht als richtig erscheinen lassen würde, die heutige Zw eiteilung nach dem G e­ sichtspunkt: M a n g e l dieser Fähigkeiten aus bestimmten Gründen, durch eine andere zu ersetzen. Ich glaube aber, daß heute die Grundlage der W erturteile des Volkes, die eine solche Verschiebung der Einteilung oder einen Ersatz der Zw eiteilung durch die D r e i­ teilung rechtfertigen könnten, keineswegs vorhanden ist, und daß die Gefahr bestünde, das Volksempfinden durch eine solche neue E inteilung zu verwirren, statt es zu kräftigen. D a ru m meine ich, daß diese grundsätzlichen E r ­ wägungen und auch der A ntrag Gerland gegenwärtig abzulehnen wären. D an n bleibt es meiner M einu ng nach bis einen Punkt bei den grundsätzlichen Regelungen, sie hier niedergelegt sind, und es kommen dann mehr oder weniger Einzelheiten in Frag e, wo E ntw urf zu verbessern wäre.

auf wie nur der

E in Punkt von grundsätzlicher Bedeutung, wenn ich den vorausnehmen darf, ist wohl die Behandlung der verminderten Zurechnungsfähigkeit. H ier steht der E n tw u rf bekanntlich aus dem Standpunkt: wenn die verminderte Zurechnungsfähigkeit auf einem vorüber­ gehenden Zustand beruht, ist S trafm ilderu ng zulässig. Dadurch kommt scharf zum Ausdruck, daß, wenn es sich um chronisch verminderte Zurechnungsfähigkeit handelt, eine M ild eru n g der S tra fe ausgeschlossen sei. Dieser Standpunkt ist von der K ritik eigentlich ein­ mütig abgelehnt worden. Zunächst hat man gesagt — und namentlich Psychiater haben das gesagt — , es sei ganz irrig , sich hier eine scharfe Grenze vorzustellen, es gäbe eben Zustände verminderter Zurechnungs­ fähigkeit, deren G rund mehr oder weniger stationär oder ganz akut sei, aber eine scharfe Grenzlinie sei hier nicht vorhanden; und wenn w ir nun die S tr a f­ milderung nach dieser Grenze orientieren, so würde das in der P ra x is große Schwierigkeiten machen. Bedeutsamer ist der zweite E inw and, daß eine sachliche Rechtfertigung für die verschiedene Behand-

Iitrtg der zwei Gruppen nicht gegeben sei. Ich darf hier aus das dem Herrn Reichsjustizminister erstattete Gutachten von Herrn G r u h l e verweisen sowie auf die Ausführungen eines Psychiaters, der seit vielen Jahren sich mit diesen Bestimmungen, auch der früheren Entwürfe, besonders eingehend beschäftigt hat und zweifellos große praktische Erfahrungen auf unserem Gebiet besitzt: S c h u l z e , Göttingen. Beide haben mit Nachdruck dargelegt, daß die Schuld oder die Gefährlichkeit der Personen keineswegs ver­ schieden sei, je nachdem, ob es sich um chronische oder akute Minderwertigkeit handelt, sondern daß die Grenze nach einem anderen Gesichtspunkt verläuft. Und so sehr namentlich diese zwei Psychiater und auch andere, die sich zu dieser Frage geäußert haben, dafür eintreten, daß man energische Maßnahmen gegen gefährliche vermindert Zurechnungsfähige trifft, so wäre es doch ganz verfehlt, die durch eine unter keinen Umständen gemilderte Strafe gerade gegen die chronisch Minderwertigen ausüben zu wollen, sondern unter Umständen könnte es hier durchaus richtig sein, die Strafe zu mildern, vielleicht sogar weitgehend zu mildern, hingegen mit Sicherungsmitteln um so nach­ drücklicher einzugreifen. Ich würde mein Gebiet über­ schreiten, wenn ich auf die m. E. zum Teil sehr er­ wägenswerten Vorschläge einginge, das System der Sicherungsmittel gegenüber diesen vermindert Zu­ rechnungsfähigen noch zu erweitern. Es handelt sich hier um Trunksüchtige, aber auch um andere Kategorien. Aber ich habe selbst den Eindruck, daß der erste Vorschlag des Entwurfs ungerechtfertigt war, und daß wir die Linie ausgeben müssen. Ich glaube, daß der richtige Weg der ist, daß man die Strafmilderung überhaupt bei verminderter Zurechnungsfähigkeit zu­ läßt, nicht zwingend vorschreibt, aber dem Richter anheim gibt, ohne zwischen chronischer und akuter verminderter Zurechnungsfähigkeit zu unterscheiden. Und ich glaube auch in Übereinstimmung mit einer großen Zahl von Gutachten und literarischen Äuße­ rungen, daß es richtig ist, wenn gesagt wird: wir brauchen heute nicht mehr die Besorgnis zu haben, daß dadurch eine weitgehende Milderung oder Er­ schlaffung des Strafrechts gegenüber schuldfähigen und auch gefährlichen Verbrechern eintreten könnte. Sollte sich in der Praxis zeigen, daß diese Gefahr besteht, so wird immer durch die Staatsanwaltschaften das Reichsjustizministerium sich in der Richtung ein­ setzen können, daß hier nicht eine zu weitgehende Milderung der Strafe eintritt. Ich würde also hier dafür sein, den Entwurf grundsätzlich zu ändern und die Milderung allgemein zuzulassen. Bei § 366 würde ich den Anlaß zu einer Än­ derung nicht sehen. Hier ist allerdings gesagt worden: ja, diese besonderen Maßregeln müssen nickt ange­ wandt werden. Aber ich glaube, das kommt im Text auch gar nicht zum Ausdruck. I n § 367 ist früher genannt worden: Geistes­ schwäche, krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder Bewußtseinsstörung. Nach einer ziemlich lang ausge­ dehnten Wechselrede bei der ersten Lesung hat man

sich schließlich dafür entschieden, die Geistesschwäche hier zu streichen. E s war u. a. der maßgebende Wunsch unseres Berliner Psychiaters Bonhoeffer, der darauf verwiesen hat, daß medizinisch diese Sonderstellung der Geistesschwäche nicht gerechtfertigt ist und medi­ zinisch-wissenschaftlich die Geistesschwäche in krank­ hafter Störung der Geistestätigkeit mit einbegriffen ist. Nun ist aber gerade von psychiatrischer Seite neuestens gewünscht worden, man möge die Geistes­ schwäche doch wieder aufnehmen, und zwar mit einer Begründung, die für mich etwas Überzeugendes hat. M an hat nämlich gesagt, es sei ungeheuer schwer, Laienrichtern verständlich zu machen, daß ein Geistes­ schwacher oder ein Id io t, wenn auch nicht Vollidiot, an einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit leidet; das Volk unterscheide in der Sprache durchaus zwischen den Geistesschwachen und den Geisteskranken, und der Volksrichter sei immer sehr ängstlich daraus bedacht — die Beobachtungen, die in verschiedenen Fällen gemacht wurden, seien sehr bemerkenswert — , nach dem Gesetz zu urteilen. E s wird der Sachver­ ständige gerufen und gefragt: Ist der M ann zu­ rechnungsfähig oder nicht? Nehmen wir an, es ist ein Schwachsinniger. I n Frage kommen kann eigentlich nur, daß er wegen Geistesschwäche zurechnungsun­ fähig ist. Der Psychiater führt das nun aus und wird efragt: J a , aber das Gesetz spricht nur von krankafter Störung der Geistestätigkeit, von Geisteskrank­ heit, können Sie behaupten: der M ann ist geistes­ krank? Und nun käme er, so sagt man, in große Schwierigkeit, weil für ihn zwar die Sache wissen­ schaftlich ganz klar ist, er aber vor dem Einwand des Laienrichters steht: da wird eigentlich das Gesetz gebogen. D as Gesetz spricht von Geisteskrankheit. Ein echter Geisteskranker ist der Betreffende, über den das Gutachten abgegeben wird, nicht, und die Geistes­ schwäche ist kein Grund zur Unzurechnungsfähigkeit nach dem Gesetz. S o ist mir im Widerspruch mit der wissenschaftlichen Terminologie von Psychiatern, die praktisch tätig sind, der dringende Wunsch zugetragen worden, doch die Geistesschwäche wieder in den Ent­ wurf aufzunehmen. Nachdem sie nun hauptsächlich auf Wunsch der Psychiater hin gestrichen wurde, und jetzt dieses praktische Bedürfnis geltend gemacht wird, und ich nicht einzusehen vermag, welchen Vorteil es sonst hätte, wenn wir von Geistesschwäche nicht sprechen, so würde ich vorschlagen, daß wir doch die Geistes­ schwäche wieder ausnehmen, weil dadurch die richtige Handhabung des Gesetzes und wohl auch das Ver­ ständnis des Volkes für diese Bestimmung, die wir da treffen wollen, erleichtert wird. Ich bin dafür, die Reihenfolge hier zu ändern und den grundlegenden Fall — § 368, allgemeine Gründe der Zurechnungsunsähigkeit — voranzustellen, dann den Taubstummen folgen zu lassen und erst dann von den Jugendlichen und Kindern zu sprechen, weil es sich hier doch um eine Besonderheit handelt. Bei diesen Vorschriften ist der Satz getadelt worden: „Nicht zurechnungsfähig ist eine Person unter vierzehn Jahren", und ähnlich dann beim zweiten Satz, der von den Jugendlichen spricht. M an

meint, es handle sich hier eigentlich um eine juristische Wertung: diese Person gilt als nicht zurechnungsfähig, und es sei verwirrend zu sagen, sie sei nicht zu­ rechnungsfähig. Bedeutsam ist das nicht. Ich würde bei dem Text des Entwurfs bleiben; denn das liegt ja schon in dem Wort und Begriff „Zurechnungs­ fähigkeit", daß es sich um ein juristisches Werturteil handelt. Wenn der Gesetzgeber erklärt: „Wer unter vierzehn Jahren ist, ist' nicht zurechnungsfähig", braucht er da nicht noch zum Ausdruck zu bringen, daß derjenige nur als nicht zurechnungsfähig gilt. § 370 ist grundsätzlich schon erörtert worden: die Unterscheidung zwischen chronischer und akuter ver­ minderter Zurechnungsfähigkeit. Hier wird die M il­ derung der Strafe schlechthin zuzulassen sein. Hin­ gegen würde ich allerdings hier einen Satz einfügen, der eine Milderung der Strafe wegen verschuldeten Rauschzustandes ausschließt. Hier sind zwei Fragen zu unterscheiden. Soll die nach meinem Vorschlag und dem Vorschlag vieler anderer zunächst allgemein zu­ gelassene Strafmilderung nach § 413 auch bei einem verschuldeten Rauschzustand zulässig sein? Die Frage verneine ich. Damit ist nichts Neues gegeben, denn das war ja schon der Standpunkt des Entwurfs erster Lesung. Zweite Frage: soll aber doch wenigstens der Richter ermächtigt sein, diese selbstverschuldete Trunkenheit bei der Bemessung der Strafe innerhalb des ordentlichen Strafrahm ens als mildernden Um­ stand zu werten? Auch diese Frage würde ich ver­ neinen, weil ich allerdings der Ausfassung bin, daß bei dem ungeheuer verheerenden Einfluß des M iß­ brauchs des Alkohols auf die Kriminalität hier eine gewisse starre Strenge des Gesetzes notwendig ist. Es liegen aber manche gegenteilige Äußerungen vor, auch unter denen zum Entwurf, die dem Reichsjustiz­ ministerium zugekommen sind. Es wird hier davon gesprochen, daß das praktische Bedürfnis, in manchen Fällen wenigstens, so stark sei, daß es sich irgendwie über das Gesetz hinwegsetzen würde. Ich kann das eigentlich nicht recht anerkennen. Aus der anderen Seite ist es ja gewiß, daß ein Ver­ bot, einen Umstand als mildernden Umstand bei der Strafbemessung innerhalb des ordentlichen S tra f­ rahmens zu berücksichtigen, eigentlich nur die Bedeu­ tung eines Bekenntnisses hat. Daß gegen dieses Be­ kenntnis gehandelt wird, können wir ja nicht ver­ hindern. Trotzdem würde ich glauben, daß man in vollem Umfange die Strafmilderung hier auszu­ schließen hätte. Der Absatz 3 würde natürlich entfallen, wenn die Strafmilderung allgemein zugelassen würde. Bezüglich der Trunkenheit — § 371 — ist ja der Standpunkt, den der Entwurf jetzt einnimmt, bekannt. Erster Absatz: Regelung der actio libera in causa, aber nur dann, wenn es sich um die Schuldsorm der Vorsätzlichkeit in bezug auf die Verübung der T at im Rauschzustand handelt. Ich würde dafür sein, diesen Absatz zu streichen. Ich meine, es ist ein fest­ stehendes Ergebnis des Schrifttums und der Recht­ sprechung, daß hier so gestraft wird, als ob die Ver­ wirklichung des Tatbestandes selbst im Zustande der Zurechnungsfähigkeit gesetzt worden wäre. W ir haben

in Fragen, die nicht so zweifellos als gelöst gelten dürfen wie hier, wiederholt gemeint, daß der Gesetz­ geber nicht alles regeln soll, und daß man sich auf die gerichtliche Rechtsanwendung verlaßen dürfe. D as gilt in noch höherem Maße von der Frage der vor­ sätzlichen actio libera in causa. Es ist in der Kritik auch geltend gemacht worden, es könnte ein verfehltes argum entum e contrario aus diesem Abs. 1 abgeleitet werden. M an könnte nämlich schließen, daß die Berauschung nicht strafbar sei, wenn in dem Zustand dieser Berauschung dann fahrlässigerweise der Tatbestand eines Delikts herge­ stellt wird. M it anderen Worten: D as vorwerfbare Verhalten liege darin, daß jemand sich berauscht, ob­ wohl er voraussehen konnte, daß bei der ihm bevor­ stehenden, ihm pflichtgemäß obliegenden Tätigkeit dieser Zustand gefahrdrohend sei. D as ist das be­ kannte Beispiel der Mutter, die das Kind zu sich ins Bett nimmt und es im Schlaf erstickt, oder des Krastwagenlenkers, der weiß, daß ihm eine Fahrt bevor­ steht, und der sich vorher betrinkt. E r hätte voraus­ sehen können, daß das eine gefährliche Sache ist. — Ich würde dieses Bedenken eines falschen Umkehrschlufses nicht für sehr groß halten, aber da ich die Bestimmung überhaupt für entbehrlich halte, würde ich um so mehr dafür sein, diesen Abs. 1 zu streichen. Abs. 2 ist das Delikt der Trunkenheit. Bestraft wird, wer sich in den Zustand der Trunkenheit versetzt, immerhin mit Verschulden, wenigstens Fahrlässigkeit, und in diesem Zustand dann den Tatbestand einer sonst strafbaren Handlung verwirklicht. E s ist hier schon in einer Anmerkung daraus hingewiesen, es sei zweifelhaft, ob das nicht besser in den Besonderen Teil gehört. Ich habe durchaus den Eindruck — in Übereinstimmung mit einer Reihe von kritischen Äußerungen oder eigentlich mit allen, die dazu über­ haupt erfolgt sind —, daß dieser Abs. 2, der doch ein besonderer Deliktstatbestand ist, nicht hierhergehört, sondern in den Abschnitt „Angriffe aus die Volks­ gesundheit" oder unter die Delikte gegen den öffent­ lichen Frieden, aber nicht in diese grundsätzlichen Be­ stimmungen, mit denen wir es hier zu tun haben. Absatz 3, Ausschluß der Strafmilderung bei selbst­ verschuldetem Rausch, habe ich bereits in den § 370 eingestellt, so daß also der § 371 nach diesem meinem Vorschlag ganz verschwinden würde. Wenn man diesem Vorschlag nicht zustimmt, so würde der Abs. 1 im wesentlichen bestehen bleiben, wie er da steht. Ich würde aber dann vorschlagen, dem Abs. 2 doch die Technik und die äußere E r­ scheinung eines besonderen Deliktstatbestandes etwas zu nehmen und etwa nur davon zu sprechen, daß, wer sich schuldhaft in einen Rauschzustand versetzt, des­ wegen nach Maßgabe der schon aufgestellten beson­ deren Vorschrift bestraft wird. Ich nehme an, daß vorn der Tatbestand des Sichbetrinkens schon ent­ halten ist mit der Bestimmung über die Strafver­ folgung, mit der Bestimmung, daß keineswegs eine strengere Strafe wegen des Sichberauschens verhängt wird, als zu verhängen ist, wenn das Delikt selbst zugerechnet werden könnte, und daß hier nur der

Vollständigkeit wegen darauf hingewiesen wird, daß in diesem Falle eine Bestrafung eintritt. Der Abs. 3 würde wiederum wegfallen können. Mitberichterstatter Senatspräsident Dr. Klre: Zunächst ein Wort über die von Herrn Ministe­ rialdirektor Dr. D ürr in seinen Anträgen aufge­ worfene Frage, ob man etwa die Zurechnungsfähig­ keit erst hinter den Schuldformen behandeln soll. Das würde im Widerspruch zum Entwurf und auch zum geltenden Recht stehen. Herr Ministerialdirektor Dr. D ürr wirft die Frage auf mit Rücksicht auf die Trunkenheitsvorschrift in § 371 Abs. 2 und meint, daß, wenn da von Vorsatz oder Fahrlässigkeit die Rede ist, die Begriffe doch vorausgesetzt würden. Nun wissen wir ja zunächst gar nicht, ob dieser § 371 Abs. 2 hier an dieser Stelle stehen bleiben wird. Der Herr Berichterstatter wollte ihn ja in den Besonderen Teil verweisen. Aber selbst wenn man die Frage dahin beantwortet, daß § 371 Abs. 2 hierher gehört, also in den Allgemeinen Teil, so folgt daraus, glaube ich, doch nicht zwingend, die Schuldformen Vorsatz und Fahrlässigkeit der Zurechnungsfähigkeit voran­ zustellen. Denn logisch ist doch wohl die Sache so, daß die allererste Bedingung und Voraussetzung der Vor­ werfbarkeit, also der Schuld im weiteren Sinne, eben die Zurechnungsfähigkeit ist. Die Frage nach der Schuldform, nach Vorsatz oder Fahrlässigkeit, kann gar nicht auftreten, wenn nicht von vornherein fest­ steht, daß wir es mit einem normalen Menschen zu tun haben, der bestraft werden kann. Darum bin ich auf jeden Fall dafür, die Reihenfolge beizubehalten, wie sie der Entwurf entsprechend dem geltenden Recht vorsieht. Wenn ich nun die einzelnen Paragraphen durch­ gehen darf: Es ist von verschiedenen Seiten, insbe­ sondere auch von dem schon erwähnten Professor Schultze-Göttingen vorgeschlagen worden, in § 366 ebenso wie in § 370 Abs. 1 das Wörtchen „erforder­ lichenfalls" in der zweiten Zeile einzuschalten, also zu sagen: „erforderlichenfalls den besonderen Maß­ nahmen unterworfen". Ich selbst wollte inhaltlich dasselbe in einer anderen Fassung beantragen: „Wer zur Zeit der T at nicht zurechnungsfähig ist, ist nicht strafbar, kann aber den besonderen Maßregeln unter­ worfen werden, . . .". Es ist dagegen nun schon eingewandt worden, daß der Satz des Entwurfs nur so verstanden werden könne, daß nur wenn das öffentliche Interesse es erfordert, diese Maßnahmen anzuwenden sind. Aber ich glaube doch, daß mit Rücksicht auf die tatsächlichen Verhältnisse der Fassung Schultze oder meiner Fassung der Vorzug zu geben ist. Denn nach dem Entwurf sieht es in der T at so aus, als ob jeder, der wegen Geisteskrankheit freigesprochen wird, nun in einer Anstalt usw. untergebracht werden müßte. D as ist dann doch nicht der Fall. Die Unterbringung von Geisteskranken wird sogar die Ausnahme sein; sie kommt überall da, wo es sich um die mittlere und kleinere Kriminalität handelt, nicht in Frage.

Dann möchte ich vorschlagen, den § 367 hinter den § 368 zu stellen, also die Geisteskrankheit — § 368 — als Grund des Ausschlußes der Zurechnungs­ fähigkeit voranzustellen, weil das vom volkstümlichen Standpunkte aus richtiger ist, denn jeder Laie, der von Unzurechnungsfähigkeit hört, denkt doch nicht an Kinder und Jugendliche, sondern in erster Linie an Geisteskranke. D as wird ja auch in unserem geltenden Strafgesetzbuch so gehandhabt; § 51 war vor den Be­ stimmungen über die Jugendlichen, die früher im S tG B , gestanden haben, ausgeführt. Eigentlich ist doch die Unzurechnungsfähigkeit der unter 14 Jahre alten und die bedingte Zurechnungsfähigkeit der Jugendlichen in vielen Fällen eine Fiktion. Jeden­ falls steht diese Unzurechnungsfähigkeit nicht auf der­ selben Linie wie die Unzurechnungsfähigkeit wegen Geisteskrankheit. Unter demselben Gesichtspunkt möchte ich auch beantragen, in § 367 — der also dann § 368 werden würde — zu sagen: „Als nicht zurechnungs­ fähig g i l t eine Person unter vierzehn Jahren". Ich glaube nicht, daß das Volk eine Person unter vierzehn Jahren einfach als nicht zurechnungsfähig bezeichnen wird. Bei der Unzurechnungsfähigkeit denkt das Volk eben an den Geisteskranken. Ich würde es daher für sachentsprechender halten, wenn man den § 367 so faßte: Als nicht zurechnungsfähig gilt eine Person unter vierzehn Jahren. Wer das vierzehnte . . . Lebensjahr vollendet hat, gilt insoweit als nicht zurech­ nungsfähig, als er . . . Der § 370 Abs. 3 ist ja hinlänglich tut Schrifttum erörtert worden. Ich will nicht alle die Gründe noch einmal aufführen, die dagegen sprechen, einen Unter­ schied zwischen den habituell und den nur akut ver­ mindert Zurechnungsfähigen bei der Frage der S tra f­ milderung zu machen. M an muß dem Richter die Möglichkeit geben, auch dem habituell vermindert Zurechnungsfähigen gegenüber die Strafe zu mildern. Was den § 371 Abs. 1 betrifft, so hätte ich nichts dagegen, wenn er gestrichen würde. Professor Gruhle hat in seinem Gutachten mit Recht darauf hingewiesen, daß es in der Praxis kaum vorkommt, daß sich jemand v o r s ä tz l i ch in den unzurechnungsfähigen Zustand versetzt, u m in diesem Zustand ein Delikt zu begehen. Ich kenne keine einzige Reichsgerichtsentfcheidung, die sich mit der vorsätzlichen actio libera in causa befaßt; es gibt nur Entscheidungen über Fälle, in denen sich jemand fahrlässigerweise in den unzurechnungsfähigen Zustand versetzt hat, dadurch, daß er sich betrunken hat, oder dadurch, daß er aus Unvorsichtigkeit eingeschlafen ist uff. Solche Fälle werden keine Schwierigkeiten machen, denn die sind zweifellos unter die Fahrlässigkeitsbestimmungen zu bringen. Sie bedürfen auch keiner Sonderregelung. Die vorsätzliche actio libera in causa ist eine Monstruosität die nur in der Wissenschaft vorkommt, hier aber kaum umstritten ist. Dagegen bin ich abweichend von dem Herrn M it­ berichterstatter der Ansicht, daß § 371 Abs. 2 sehr wohl hierhergehört und hier auch stehen bleiben sollte, ge-

rade wegen des Zusammenhanges mit der Materie der Zurechnungsfähigkeit. Denn es ist eben das Neue an diesem Tatbestand, daß hier jemand bestraft wird für etwas, was er im unzurechnungsfähigen Zu­ stande begangen hat. M it gutem Grunde wird er dafür bestraft, wenn er den Rauschzustand als solchen schuldhaft herbeigeführt hat. I n der preußischen Denkschrift war ja der Vorschlag enthalten, der vom Nationalsozialistischen Juristenbund aufgenommen worden ist, hier volle Verantwortlichkeit eintreten zu lassen, also jemanden, der im Rausch einen anderen totgeschlagen hat, genau ebenso wie den nüchternen Totschläger zu behandeln. D as geht mir allerdings zu weit. I n der Anmerkung 2 zu § 371 Abs. 3 des E nt­ wurfs ist der Vorbehalt gemacht, den Vorschriften über Strafbemessung noch folgende Vorschrift anzu­ fügen: Auch innerhalb des ordentlichen S tra f­ rahmens darf wegen eines selbstverschuldeten Rausches die Strafe nicht milder bemessen werden. Ich glaube, ich weiche auch hier vom Hern: M it­ berichterstatter ab, wenn ich der Auffassung bin, daß man durch eine derartige Vorschrift den Lebensver­ hältnissen Gewalt antäte. Gegen sie haben sich auch die Länder Baden und Oldenburg ausgesprochen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn wir die Dinge im Rahmen der Schuldlehre zur Diskussion stellen, so habe ich bis jetzt den E in­ druck, daß von größeren Fragen eigentlich nur zwei eine Rolle spielen: Die Behandlung der habituellen minderen Zurechnungsfähigkeit und die Unter­ bringung des selbstverschuldeten Rausches. Diese beiden Fragen stehen im Vordergrund. Alles übrige sind Verbesserungen, zum Teil Rückkehr zu alten Ge­ danken, zum Teil Veränderungen der Fassung. Professor Dr. Mezger: Ich möchte nur zu einigen Punkten das Wort ergreifen, die in der Zwischenzeit zum Teil Gegen­ stand eingehender Diskussion gewesen sind, z. B. im Oktober 1934 bei der Tagung der Südwestdeutschen Psychiater in Gießen. Zunächst § 370 Abs. 3. Es ist wohl inzwischen Einverständnis darüber erzielt worden, daß die Be­ schränkung der fakultativen Milderung auf vorüber­ gehende Zustände nicht angezeigt ist. Ich halte die Unterscheidung als solche von vornherein in dieser Form für unmöglich, denn vielfach sind diese vor­ übergehenden Zustände Bestandteile einer habituellen psychopathischen Anlage. Die Unterscheidung ist aber auch sachlich nicht gerechtfertigt. Wenn ich auch durch­ aus dafür bin, daß im ganzen der chronische Psychopath nicht unter eine mildere Strafdrohung gestellt wird, so läßt sich doch in manchen Fällen die Abstimmung der Strafe aus die daneben notwendigen Sicherungs­ maßregeln sachgemäß nur durch eine andere Behand­ lung auch in der Strasfrage vornehmen. M an würde also den Lebensverhältniffen Gewalt antun, wenn man bei dem jetzigen § 371 Abs. 3 bleiben würde.

Ich hoffe jedoch, daß darüber schon Einmütigkeit erzielt ist. Der zweite Punkt betrifft die G e i s t e s ­ sch w äch e. Ich habe in der Zwischenzeit bei allen psychiatrischen Erörterungen, die darüber gepflogen wurden, den entschiedenen Eindruck bekommen, daß die Geistesschwäche nicht besonders in das Gesetz auf­ genommen werden sollte. Alle Psychiater, mit denen ich die Frage diskutiert habe, haben sich im Ergebnis dem angeschlossen. Wir haben gerade in Gießen und auch sonst in Einzelunterredungen diesen Punkt immer wieder eingehend geprüft. E s ist eben so, daß der Gesetzgeber hier mit gewissen technischen Begriffen der Psychiatrie arbeiten muß. Das BGB. hat zuerst den Ausdruck „Geistesschwäche" benützt, aber gemeint ist dort — und so wurde es dann auch im Strafrecht ausgelegt — gar nicht der Schwachsinn im psychia­ trischen Sinne, sondern es wurden die Grenzzu­ stände, die man dem Laien nicht mehr als „krank­ hafte Störung der Geistestätigkeit" begreiflich machen kann, die aber doch solche im psychiatrischen S inne sind, unter diesen Ausdruck gezogen. D as mag für den § 368, also für das Gebiet der ZurechnungsU n f ä h i g k e i t , eine gewisse Berechtigung haben, obgleich ich auch dort sagen muß: wenn man schon mit dem Ausdruck „krankhafte Störung der Geistestätig­ keit" auf die psychiatrischen Vorstellungen und auf das Gutachten des Psychiaters Bezug nimmt, dann muß sich auch der Laie dabei beruhigen. Zu ganz unangemessenen Ergebnissen führt es dann aber, wenn auch in den § 370 Abs. 2, also für die sog. v e r m i n d e r t e Zurechnungsfähigkeit, der Ausdruck eingestellt wird. Denn hier handelt es sich doch von vornherein um „Grenzzustände". Es besteht bei dieser Sachlage die große Gefahr — und das ist auch immer wieder bei den Erörterungen betont worden — , daß man dann der „Geistesschwäche" irgendwelchen sachlichen In h a lt gibt, indem man sie etwa — was ja im BGB. n ic h t gemeint ist — gleichsetzt mit intellektuellen Störungen, also mit dem, was der Psychiater Schwachsinn nennt, oder aber ganz all­ gemein mit den verschiedenartigen Psychopathien. Damit wird in immer noch strittige Probleme der Psychiatrie in unsachgemäßer Weise eingegriffen. Der Ausdruck „Geistesschwäche" ist also unklar, er besitzt in Wahrheit drei ganz verschiedene Bedeutungen, er deutet auf Grenzzustände, auf intellektuelle S tö ­ rungen und auf Psychopathien. Es ist ein in die psychiatrische Terminologie nicht paffender Begriff. Ich würde deshalb dafür sein, diesen unklaren Aus­ druck „Geistesschwäche" nicht in das Gesetz aufzu­ nehmen. W as den § 371 Abs. 3 betrifft, so muß ich ge­ stehen, daß ich dem Vorschlag, auch sogar noch als Strafzumeffungsregel festzulegen, daß ein selbstver­ schuldeter Rausch überhaupt nie zu Milderungen führen dürfe, ablehnend gegenüberstehe. Einmal ist es ungewöhnlich, in solchem Zusammenhang eine Strafzumessungsregel für den Richter aufzunehmen. D ann ist, wie schon betont wurde, eine solche An­ weisung in ihrer praktischen Wirkung höchst zweifel-

haft, weil man ja nie wirklich feststellen kann, ob nicht doch eine Milderung Platz gegriffen hat. End­ lich aber — und das ist mir das Wesentliche — sprechen vor allem zwei sachliche Gründe gegen den grundsätzlichen Ausschluß einer jeden Milderung beim selbstverschuldeten Rausch. Der erste Grund ist der, daß hier eben auch abnorme Reaktionen auf den Alkohol eine Rolle spielen können. E s kann der Rausch als solcher selbst verschuldet sein, aber es kann dann infolge der besonderen Anlage des Individuums bei ihm diese Alkoholwirkung ganz besondere patho­ logische Reaktionen auslösen. M an könnte ja dann vielleicht — und so würde sich wohl die P raxis in diesen Fällen Helsen — die Sache so wenden, daß man sagt: das „selbstverschuldet" beziehe sich nicht bloß aus das Verschulden des Rausches selbst, sondern auch auf die Wirkungen des Rausches. Auch sie müsse der Täter vorausgesehen und verschuldet haben. Immerhin wäre das eine vielleicht etwas gezwungene Auslegung des Wortes. Hier liegen, glaube ich, die Verhältnisse des Lebens eben so mannigfaltig, daß man den Richter in der Strafzumessung nicht binden sollte. Es geht schon ziemlich weit, wenn man die vermin­ derte Zurechnungsfähigkeit beim selbstverschuldeten Rausch in allen Fällen ausschließt, weil der Alkohol Wirkungen pathologischer Art auslösen kann, die vom Täter vielleicht gar nicht vorausgesehen worden sind. Aber darüber hinaus auch noch Straszumeffungsregeln zwingender A rt vorzusehen, steht, glaube ich, mit den realen Verhältnissen des Lebens nicht im Einklang. Dann besteht aber noch ein zweiter Grund, der gegen eine solche Aufnahme spricht. I n einem — ich möchte fast sagen — beängstigenden Umsang sind im neuen Strafgesetzbuch Autzerungsdelikte vorgesehen. Bei ihnen aber, meine ich, ist es doch oft und viel n i c h t angezeigt, daß man eine Äußerung, wie sie in nüchternem Zustande vielleicht überhaupt niemals getan worden wäre, genau so schwer nimmt, wenn sie in einer mehr oder weniger starken Betrunkenheit erfolgt ist. Bei solchen Außerungsdelikten, die im neuen Strafgesetzbuch zum Teil mit recht erheblichen Strafen belegt werden, ist es doch unter Umständen gerechtfertigt, daß man den Gesichtspunkt der Be­ trunkenheit mildernd in Betracht zieht. Es ist durch­ aus einleuchtend, daß man bei Rohheitsdelikten im Rausch sagt: in ihnen hat sich die allgemeine rohe Natur des Täters geäußert, und es besteht daher gar kein Anlaß, die Strafe zu mildern. D as wird eine vernünftige Praxis von sich aus tun. Aber im Gebiet der Autzerungsdelikte liegt die Sache doch anders. Hier würde ein genereller Ausschluß der Milderung leicht zu unerwünschten und unangemessenen E r­ gebnissen führen. Ich bin jedenfalls nicht dafür, den § 371 Abs. 3 noch weiter im Sinne der Anmerkung 2 auszudehnen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Aber so zu lassen, wie er dasteht!) — Dagegen möchte ich keine Einwendungen erheben.

Ministerialdirektor Dr. Dürr: Zu § 371 haben die beiden Berichterstatter ver­ schieden Stellung genommen. Herr Graf Gleispach möchte den § 371 ausgelöst und durch eine kurze Ver­ weisung ersetzt haben. Herr Senatspräsident Klee ist für Beibehaltung. Bei der ersten Beratung ist so großer Wert auf eine erschöpfende Regelung der ver­ schiedenen Wirkungen der Trunkenheit gelegt worden, daß der § 371 beibehalten werden sollte. Nun ist der Hauptstein des Anstoßes der, daß Absatz 2, wie er jetzt gefaßt ist, nicht in den Allgemeinen Teil paßt. E r enthält einen selbständigen Tatbestand ent­ sprechend dem § 330 a des Strafgesetzbuchs. Allein das muß nicht unbedingt so sein. I m Laufe der Arbeiten an der Strafrechtsreform ist der Standpunkt wiederholt gewechselt worden. Früher war auch ein­ mal in Aussicht genommen, die in schuldhaft herbei­ geführtem Rausch verübte T at als fahrlässig begangen zu bestrafen. Die Hauptschwierigkeit dabei war, daß die fahrlässige Begehung nicht immer strafbar ist. Die gleiche Schwierigkeit ergab sich in der ersten Lesung bei der Rechtsfahrläffigkeit. Deshalb wurde für sie ein Aushilfestrafrahmen geschaffen, der sich mit dem Strafrahmen des § 371 Abs. 2 deckt. Dies ermöglicht, auf den Vorschlag zurückzugreifen, daß eine T at, die im selbstverschuldeten Rausch begangen ist, als fahr­ lässig begangen bestraft und sür die Fälle, in denen für fahrlässige Begehung kein Strafrahm en besteht, ein Aushilsestrafrahmen zur Verfügung gestellt wird. Wenn man sich dazu entschließen würde, könnte § 371 unbedenklich an seiner jetzigen Stelle stehen bleiben. Dann würde ich aber dafür sein, daß auch Absatz 1 des § 371 beibehalten wird. Es ist durchaus richtig, daß ein Bedürfnis dafür, die actio libera in causa gesetzlich zu regeln, an sich nicht besteht. Nur der Voll­ ständigkeit halber ist der Absatz 1 in der ersten Lesung ausgenommen worden, und der Vollständigkeit halber sollte man ihn auch beibehalten. Nun ist gegen die Fassung des Absatz 1 einge­ wendet worden, daß es zweifelhaft ist, ob auch die Fälle des dolus eventuahs ersaßt sind. Dem könnte durch eine kleine Änderung Rechnung getragen werden, indem man sagt: Wer mit dem Vorsatz, eine S traftat zu begehen, sich durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende Mittel in den Zustand der Zurechnungsunsähigkeit versetzt und in diesem Zustand die T at begeht, wird wegen vor­ sätzlicher Begehung der T at bestraft. Hieran würde sich mein Vorschlag für Absatz 2 gut anschließen: „Wer abgesehen von den Fällen des Absatzes 1 sich vorsätzlich oder fahrlässig durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende M ittel in den Zustand der Zurechnungsunfähigkeit versetzt und in diesem Zustand eine S traftat begeht, wird bestraft, wie wenn er die T at fahrlässig begangen hätte. Is t die fahrlässige Begehung der T at nicht mit Strafe bedroht, so wird er mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Hast bestraft. Die Strafe darf aber nach Art und Maß nicht schwerer sein als die durch die vorsätzliche Begehung der T at angedrohte Strafe". Diese Regelung hätte auch den Vorteil, daß die S traf-

rahmen je nach der T a t, die im Zustand der Trunken­ heit begangen w ird , abgestuft wären. B ei der jetzigen Regelung ist fü r die schwersten wie fü r die leichtesten F älle ein einheitlicher Strafrahm en vorgesehen. F ü r den dritten Absatz habe ich n u r eine kleine Fassungsänderung vorgeschlagen, damit die Fassung der der beiden vorhergehenden Absätze entspricht. Auch ich möchte mich dafür aussprechen, daß nicht verboten w ird , innerhalb des ordentlichen S tr a f­ rahmens die verminderte Zurechnungsfähigkeit infolge selbstverschuldeter Trunkenheit zu berücksichtigen. Nun habe ich fü r den F a ll, daß § 371 cm seiner jetzigen Stelle stehen bleibt, den weiteren Antrag gestellt, die beiden T ite l des zweiten Abschnitts Z u ­ rechnungsfähigkeit und Schuldsormen umzustellen. Ich verkenne nicht, daß es fü r ein Lehrbuch das Richtige ist, m it der Zurechnungsfähigkeit zu be­ ginnen. I n einem Gesetz dagegen könnte man aus praktischen Gründen umgekehrt verfahren. Diese prak­ tischen Gründe sind eben, daß im § 371 m it den Be­ griffen Vorsatz und Fahrlässigkeit gearbeitet werden muß. Deshalb sollten diese Begriffe in dem Gesetz vorher behandelt werden. D ie Umstellung hätte weiter den V o rte il, daß der T ite l „Schuldform en" sich bester an die S tra fta t anschließt als der T ite l „Zurechnungs­ fähigkeit", während umgekehrt die Zurechnungsunsähigkeit den Übergang zu dem nächsten Abschnitt Ausschluß von Unrecht und Schuld bilden würde. Ic h würde es nicht empfehlen, in § 366 n u r zu sagen, daß der Zurechnungsunfähige den besonderen Maßnahmen, die zum Schutze der Volksgemeinschaft vom Gesetz vorgesehen sind, unterworfen werden k a n n . E s w ar der Vorschlag des Herrn S ta a ts ­ sekretär F reister, in dem T ite l lapidar zum Ausdruck zu bringen, daß der Zurechnungsunfähige und vor allem auch der verm indert Zurechnungsfähige nicht einen F re ib rie f fü r strafbare Handlungen hat. Der Zurechnungsunfähige ist zwar nicht der S trafe unter­ worfen, aber er ist den Maßregeln der Sicherung und Besterung unterworfen. D a m it ist n u r gesagt, daß eben diese Maßregeln auf ihn angewendet werden können. D ie Umstellung von § 367 und § 368 ist zweifellos zu empfehlen. Nicht möchte ich mich dafür aus­ sprechen, in § 367 zu sagen, daß das Kind als nicht zurechnungsfähig g ilt. W ir können den B e g riff der Zurechnungsunfähigkeit bestimmen wie w ir wollen und können ohne weiteres dekretieren: Das K ind ist nicht zurechnungsfähig. I n § 368 wäre ich gegen die Ausnahme der Geistesschwäche. D ie Gründe, die in der ersten Lesung dafür maßgebend waren und die heute von Herrn Professor Mezger vorgetragen wurden, sprechen entschieden gegen die Ausnahme des B e g riffs der Geistesschwäche. Vizepräsident

Grau:

Ich würde vorschlagen, § 371 hier ganz ver­ schwinden zu lasten. Absatz 3 kann in der Form , wie er hier steht, an § 370 angeschlossen werden. Absatz 1 ist in dieser Fassung bedenklich, w e il er nicht alle Fälle der a c tio lib e ra in causa b ringt. E r bring t

n u r die Fälle, die auf dem Genuß geistiger Getränke oder anderer Rauschmittel beruhen. Auch enthält er nicht die Fahrlässigkeitsfälle. Eine umfassende Rege­ lung würde sehr kompliziert sein, und es w ird deshalb zweckmäßiger sein, den Absatz zu streichen. Zudem ist das, was in dem Absatz steht, allgemein anerkannt. Was Absatz 2 des § 371 anlangt, so glaube ich, daß dieser in den Besonderen T e il hineingehört. A llerdings ist seine jetzige Fassung höchst bedenklich. E s ist jetzt doch so, daß der Betrunkene schon dann bestraft w ird , wenn er eine objektiv strafbare Hand­ lung begeht. E r w ird also auch bestraft wegen einer Handlung, die bei einem Nüchternen deshalb nicht strafbar sein würde, w e il im besonderen F a ll n u r die vorsätzliche Begehung der T a t m it S tra fe bedroht ist. Ich darf ein Beispiel geben: in einer vollbesetzten Gastwirtschaft geht einer der Gäste, der völlig be­ trunken ist, hinaus und stößt die K ellnerin an; diese w ir ft ih r ganzes T ablett m it Gläsern usw. aus die Erde. D e r Betrunkene hätte die Kellnerin wegen des Getümmels in der Wirtschaft vielleicht auch dann angestoßen, wenn er nicht betrunken gewesen wäre. D ann wäre es so, daß nach dem W o rtla u t der V o r­ schrift der Betrunkene wegen Sachbeschädigung be­ straft werden müßte, während der Nüchterne, der dasselbe getan hätte, nicht wegen fahrlässiger Sach­ beschädigung bestraft werden kann. Es scheint m ir nicht volkstümlich zu sein, daß man den Betrunkenen weitergehend bestraft als den Nüchternen. Ich halte es allenfalls fü r richtig, daß man ihn genau so bestraft. Um diesen Schwierigkeiten entgegenzutreten, würde ich es nicht darauf abstellen, daß eine objektiv strafbare Handlung begangen ist, sondern ich würde fragen: W as pflegt der Betrunkene zu tun? W arum muß man gegen ihn einschreiten? E r begeht vor allem A ngriffe gegen Personen und Sachen, und er stört die öffentliche Ruhe und Ordnung. D as sind wohl die Hauptbetätigungsfelder eines Betrunkenen. Wenn man das in den Tatbestand aufnähme und etwa schreiben würde: . . . w ird bestraft, wenn er Angriffe gegen Personen oder fremde Sachen oder gegen die öffentliche Ordnung begeht, dann würde man durch das W o rt „A n g riffe " etwas Subjektives hinein­ bringen. D ann gehörte zur S trafbarkeit, daß der Betrunkene in etwas bewußt tätig w ird , wenn ich so sagen darf. Jedenfalls läge in dem W orte „A n g riffe ", daß ausgesprochene Fahrläffigkeitshandlungen nicht darunter sielen. Wenn man eine solche Fassung wählen würde, bestünde auch kein Zw eifel, daß der Tatbestand in die „gemeingefährlichen Handlungen" hineingehörte und nicht etwa in den Abschnitt „V o lks­ gesundheit". Z u r Frage, ob der erste T ite l „Zurechnungsfähig­ keit" hinter die Schuldformen oder vo r diese gehört, möchte ich darauf hinweisen, daß das in erster L in ie davon abhängen w ird , wie dieser T ite l endgültig gestaltet w ird . I n Fischbachau ist dieser T ite l auf G rund eines ausgezeichneten Referats von Professor Schaffstein vo r allem deshalb beanstandet worden, w e il in ihm nicht m it genügender Klarheit zum Ausdruck kommt, daß der verbrecherische W ille

des Täters das strafbegründende Element bedeutet. Geht man aber davon aus, dann wird man die Aus­ nahmefälle, in denen dieser verbrecherische Wille infolge Zurechnungsunfähigkeit nicht vorliegt, bester erst hinter den Schuldformen bringen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn ich Ih re Ausführungen zu § 371 Absatz 2 richtig verstanden habe, so wenden S ie sich damit ge­ rade gegen die von Ministerialdirektor D ürr vor­ geschlagene Konzeption. Da wird grundsätzlich be­ straft wegen Fahrlässigkeit; und wenn das S tra f­ gesetzbuch nicht ausreicht, dann gebe ich ein Ersatzmittel dafür. Sie aber sagen: Wenn derjenige, der sich vor­ sätzlich berauscht hat, eine strafbare Handlung begeht, dann darf er doch nicht wegen einer T at bestraft werden, wegen der der Nichtbetrunkene nicht bestraft werden würde. (Vizepräsident G rau: Jawohl. Um die subjek­ tive Seite hier etwas zum Ausdruck zu bringen, dachte ich, man könne von Angriffen reden. Da ist etwas Vorsätzliches drin!) — D as würde den P lan sehr unterstützen, § 371 Absatz 2 in den Besonderen Teil zu stellen und dort dann allerdings in die gemeingefährlichen Hand­ lungen, wenn man von diesem Gedanken ausgeht, während er hier für alle Straftaten gedacht war. Professor Dr. Nagler: Ein Wort zur Frage der verminderten Zurech­ nungsfähigkeit. Die Schwierigkeit besteht darin, daß die Psychiater den Begriff noch nicht voll ausge­ tragen haben. Es gibt eine Reihe von Psychiatern, welche den Begriff außerordentlich weit ausdehnen. Einer der Herren hat z. B. erklärt, er würde imstande sein, jeden Angeklagten als vermindert zurechnungs­ fähig zu erweisen. Ich habe mich bisher wegen der Unbestimmtheit des Begriffs gegen dessen Verwendung im S tG B , gewehrt. Ich muß aber jetzt sagen, daß mir die Ausführungen von Gruhle außerordentlich eindrucksvoll gewesen sind. Sein Gutachten hat wirklich Hand und Fuß. Ich wünschte nur, seine Ausführungen: „Gewisse Gruppen der Schwachsinnigen müssen aus der ver­ minderten Zurechnungsfähigkeit genommen werden, ebenso diejenigen Psychopathen, bei denen die krank­ hafte Veranlagung für ihr Verhalten nicht moti­ vierend gewesen ist", würden Gemeingut aller Psychia­ ter. Ich glaube, diese These ist unanfechtbar. Was uns Gruhle im übrigen dargelegt hat, ist für mich doch überzeugend gewesen. Darum würde ich jetzt den Absatz 3 nicht mehr aufrechterhalten. Aber ich würde empfehlen, daß man die Grundgedanken des Gruhle'schen Gutachtens in die Motive zum StG B , setzt, damit man genau die Begrenzung, die in unserem Begriff der verminderten Zurechnungsfähig­ keit liegen soll, erkennt, und nicht die früheren Ten­ denzen, die verminderte Zurechnungsfähigkeit all­ mählich zum allgemein mildernden Umstand werden zu lassen, in der Praxis wieder emporwuchern. § 371 Absatz 1 sollte auch nach meiner Meinung gestrichen werden. Die actio libera in causa hat in der Praxis wohl nie Schwierigkeiten gemacht.

§ 371 Absatz 2 gehört gewiß nicht in den Allge­ meinen Teil. Auch die Parallele mit der Rechtsfahrläffigkeit stimmt nicht. Bei der Rechtssahrlässigkeit müssen wir eine allgemeine Begriffsbestimmung geben, sie aber kann nur im Allgemeinen Teil er­ scheinen. § 371 Abs. 2 enthält ein ganz selbständiges Delikt, nämlich das schuldhafte Sichbetrinken, strafbar aber nur, wenn der Trunkene in diesem Zustand eine mit Strafe bedrohte Handlung objektiv begeht. Der Zusatz schließt eine objektive Strafbarkeits­ bedingung in sich. D as Verhältnis ist dasselbe, wie etwa beim Raufhandel, der so aufgezogen ist, daß die schuldhafte Beteiligung am Raufhandel den Kern des Delikts bildet, aber die Strafbarkeit nur eintritt, wenn objektiv ein schwerer Erfolg eintritt. Darum gehört § 371 Absatz 2 ganz gewiß nicht in den Allge­ meinen Teil. I m übrigen glaube ich, Herr Grau hat ganz recht. Es soll natürlich der Betrunkene nicht schlechter be­ handelt werden als ein Zurechnungsfähiger, der etwa, wie in dem vorgebrachten Beispiel, zufällig einen Schaden angerichtet hat. Aber ich glaube, die Gefahr der Schlechterstellung besteht gar nicht bei unserer Fassung. Ich würde den Fall, den Vizepräsident Grau eben setzte, keinesfalls so entscheiden, daß der Be­ trunkene bestraft werden muß, während einem Nicht­ betrunkenen bei ganz der gleichen Situation der Vor­ wurf der Fahrlässigkeit, also der Schuld, gar nicht gemacht werden könnte. Ich würde der Meinung sein, wir können ruhig die bisherige Fassung belassen. Wenn man aber durch „Angriff" oder dergleichen den Grundgedanken noch verdeutlichen will, hätte ich auch keine Bedenken. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zu § 371 Absatz 2 erinnere ich daran, daß die Sache schon einmal gelegentlich einer Novelle im Kabinett behandelt worden ist. Damals wurde sofort die Frage gestellt: Soll der Rausch als solcher viel­ leicht strafbar sein? Die Verneinung dieser Frage hat beruhigend gewirkt. Also der Rausch als solcher will und soll gar nicht in den Bereich des Strafrechts gezogen werden, wohl aber, wenn eine strafbare Handlung aus dem Rausch kommt. Staatssekretär Dr. Freister: Ich möchte zur Zurechnungsunsähigkeit, und zwar zu dem Fall des § 367, zweierlei sagen. Es ist natür­ lich richtig, daß eine Person unter 14 Jahren die Voraussetzungen erfüllen kann, die sie an sich als zu­ rechnungsfähig erscheinen lassen könnten. Trotzdem halte ich es nicht für richtig, das Wort „ist" durch „gilt" zu ersetzen; denn die Mehrzahl der Personen unter 14 Jahren ist tatsächlich nicht zurechnungsfähig, und deshalb kann man nicht sagen, daß sie als nicht­ zurechnungsfähig nur gilt. M an könnte aber sagen: Einer Person unter 14 Jah ren wird eine S traftat nicht zugerechnet. Ferner finde ich es unbefriedigend, daß nicht ge­ regelt ist der Fall einer Person ü b e r 18 Jahren, die nach ihrer geistigen und sittlichen Entwicklung unfähig

ist, das Unrecht ihrer T at einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Ich glaube nicht, daß bei allen Straftaten, die wir im Strafgesetzbuch kennen, eine 18 Jahre alte Person die Gewähr bietet, daß sie nach ihrer geistigen und sittlichen Entwicklung fähig ist, das Unrecht der T at einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Ich meine deshalb, man müßte sich auch mit diesem Problem irgendwie befassen. Ich kann keinen Vorschlag machen, weil ich nicht sachverständig bin; aber ich empfinde es als einen Mangel, daß die nach ihrer geistigen und sittlichen Entwicklung auch nach 18 Jahren Unfähigen überhaupt nicht beachtet worden sind. D as Problem würde durch eine Herauf­ setzung der Altersgrenze nicht gelöst werden. Dann möchte ich zur verminderten Zurechnungs­ fähigkeit etwas sagen, und zwar halte ich mich dazu für verpflichtet, weil ich mich selbst dabei in der ersten Lesung etwas verrannt habe. M ir hat eben der schöne Satz: „Du kannst, denn du sollst" außerordentlich ein­ geleuchtet. M an muß aber zugeben, daß das ein Satz ist, den man auf andere nicht ohne weiteres anwenden kann, weil man sich sonst mit den Erkenntnissen der Wissenschaft, die diese Forderung als eine absolute Unmöglichkeit bezeichnet, in Widerspruch setzen würde. Nun scheint mir aber in dieser Vorschrift doch noch allerhand an Problemen drinzuliegen, auch wenn man anerkennt, daß es eine verminderte Zurech­ nungsfähigkeit gibt, die wir beachten müssen, auch wenn man also den Fall des § 371 Absatz 1 ebenso behandeln will wie den Fall des § 370 Absatz 3, wie es wohl allgemein vorgeschlagen ist. I m Falle der vorübergehenden verminderten Zu­ rechnungsfähigkeit haben wir den Versuch gemacht, zwischen einer verschuldeten und einer unverschuldeten zu unterscheiden. Ich meine, daß wir auch weiterhin diese beiden Fälle unterscheiden sollten. W ir sollten bei der nicht verschuldeten vorübergehenden vermin­ derten Zurechnungsfähigkeit, die doch unter Um­ ständen gerade in der Erfüllung einer Lebenspflicht begründet ist, wie zum Beispiel bei der Mutter, die Milderung als Kannvorschrift vorschreiben und sie auch bis zur Straffreiheit ermöglichen. Dagegen würde ich die Fälle der verschuldeten vorübergehenden verminderten Zurechnungsfähigkeit in ihren Typen, also zum Beispiel dem Rausch, be­ sonders behandeln, wie wir das auch versucht haben, und auch da eine Kann-Milderung aufnehmen. Es ist ganz richtig, es gibt tatsächlich Straftaten — zum Beispiel Außerungsdelikte, die im Rausch begangen werden — , die man im Rausch begangen anders be­ handeln muß, als wenn sie nicht im Rausch begangen sind, die auch, wenn sie jemand im Rausch begangen hat, von dem vernünftigen Hörer oder Dritten als Adressaten anders und leichter bewertet werden, als wenn sie nicht im Rausch begangen sind. Ich glaube, daß man auch das berücksichtigen muß. Dagegen könnte ich mir nicht denken, daß eine verschuldete vor­ übergehend verminderte Zurechnungsfähigkeit zum völligen Wegfall der Bestrafung führen kann. Nun kommt etwas, wo ich in einem Widerstreit zu den Wissenschaftlern stehe. Die verminderte Zu­

rechnungsfähigkeit kann auf charakterologischem Ge­ biete liegen. Ich vermag nicht einzusehen, daß wir das honorieren sollen, und zwar einfach deshalb nicht, weil diese verminderte Zurechnungsfähigkeit eine er­ höhte Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt. Ich bin deshalb der Meinung, daß da eine Milderungsmög­ lichkeit bei der Strafe nur erträglich ist, wenn wir den Richter geradezu darauf stoßen: Hier hast du die Frage der Sicherungsmaßnahmen ganz besonders zu prüfen und ganz besonders zu beachten, daß eine solche verminderte Zurechnungsfähigkeit eine beson­ dere Gefahr für uns bedeutet. W ir haben bisher den Richter daraus nur sehr schwach hingewiesen, und zwar nicht bei der verminderten Zurechnungsfähig­ keit, sondern nur bei der Zurechnungsunfähigkeit. Da haben w ir in § 366 gesagt: Wer zur Zeit'der T at nicht zurechnungsfähig ist, ist nicht strafbar, aber den besonderen Maßregeln unterworfen, die zum Schutz der Volksgemeinschaft vom Gesetz vorgesehen sind. Diese Maßnahmen müssen aber, jedenfalls bei der verminderten Zurechnungsfähigkeit auf charaktero­ logischem Gebiet, in einem ganz besonderen Maße Platz greifen, und das haben wir hier nicht gesagt. Wenn wir jetzt auch im § 370 Absatz 1 dem Übeltäter eine Milderung gutschreiben wollen, dann ist ein be­ sonderer Hinweis, insbesondere wenn diese vermin­ derte Zurechnungsfähigkeit auf charakterologischem Gebiete liegt, daraus notwendig, daß das, was dem Täter da gutgeschrieben wird, ihm an der anderen Stelle zu Lasten gebucht wird, daß eben tatsächlich die Sicherungsmaßnahmen um so schärfer werden. Sonst scheint es mir schwer erträglich, der Erkennt­ nis der Wissenschaft zu folgen, daß man auch für die charakterologische verminderte Zurechnungsfähigkeit nichts könne, und daß man auch in dieser Beziehung vom G ras nicht verlangen könne, daß es ein Urwald­ riese werde. Ich möchte deshalb vorschlagen, dies be­ sonders zum Ausdruck zu bringen. Professor Dr. Kohlrausch: Der Vorschlag von Ministerialdirektor Dürr, die Bestimmungen über die Zurechnungsfähigkeit hinter die Bestimmungen über die Einzeltatschuld zu stellen, hat eine gewisse grundsätzliche Bedeutung. Is t die Zu­ rechnungsfähigkeit Voraussetzung dafür, daß die Frage der Einzeltat-Schuld aufgeworfen werden kann? Oder ist die Unzurechnungsfähigkeit — ge­ wissermaßen nachträglich — ein Strafausschließungs­ grund? Die Frage spielt heute eine größere Rolle, wo wir noch die streng akzessorische Teilnahme haben. Sie wird auch künftig nicht ganz bedeutungslos sein, z. B. bei der Notwehr gegen Geisteskranke und in den Fällen, wo wir von einer gewissen Akzessorietät nicht absehen, und das ist bei der Begünstigung, bei der Hehlerei, wo w ir in der ersten Lesung bekanntlich in schwere Bedrängnis gerieten, der Fall! Ich glaube, es hat deshalb nicht nur akademische Bedeutung, daß wir hier die richtige Reihenfolge einhalten, sondern es führt auch den Ausleger des Gesetzes aus den richtigen Weg, wenn wir sie einhalten. Es ist im Entwurf 1909 der Versuch gemacht worden, die Zu­ rechnungsunfähigkeit als einen persönlichen Stras-

ausschließungsgrund anzusehen. Dann gehört sie natürlich an den Schluß. Aber dieser Auslegung muß vorgebeugt werden. Z u r e c h n u n g s s ä h i g k e i t ist S c h u l d f ä h i g k e i t . Deshalb halte ich es für richtig, daß sie am Ansang steht. Der Zurech­ nungsunfähige kann nicht schuldhaft, nach richtiger Auffassung auch nicht vorsätzlich handeln. E r kann namentlich nicht in dem Sinne vorsätzlich handeln, wie wir jetzt den Vorsatz definieren, wo dazu die Fähigkeit, das Unrecht der T at einzusehen, gehört. Wenn das der S in n der Zurechnungsunsähigkeit ist, sollten w ir uns dann nicht auch einmal dazu ent­ schließen, mit den Worten Zurechnungsfähigkeit und Zurechnungsunsähigkeit zu brechen und zu den Worten „Schuldfähigkeit" und „Schuldunsähigkeit" überzugehen? Sie sind nicht nur sachlich klarer, sie sind auch sprachlich richtiger. Zurechnungsfähig oder zurechnungsunsähig ist doch der Richter, der entweder zurechnen kann oder nicht zurechnen kann, ebenso wie arbeitsfähig der ist, der arbeiten kann. Wenn dazu kommt, daß die Umbenennung in Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit auch noch sachlich deutlicher ist, dann sollten wir uns endlich einmal von dem her­ gebrachten schlechten Wort befreien. Ich glaube, daß dann auch die Bedenken, die in der T at gefühlsmäßig bestehen, nämlich das Kind unzurechnungsfähig zu nennen, sofort verschwinden. Natürlich ist das Kind schuldunfähig. Aber sowie w ir sagen, es sei unzurech­ nungsfähig, klingt immer die Verwandtschaft mit dem Geisteskranken an; und daher rührt dann der Vor­ schlag, zu sagen: Ein Kind „gilt nicht" als zurech­ nungsfähig. Zu § 368 bin ich durchaus gegen den Vorschlag, die G r ü n d e d e r S c h u l d u n f ä h i g k e i t zu streichen. Aber es hat sich hier ja niemand für den Gerlandschen Vorschlag erwärmt. Ich glaube also nicht, daß man weiter daraus einzugehen braucht. Was die G e i st e s s ch w ä ch e betrifft, so verstehe ich von Psychiatrie nicht genug, um mich maßgebend äußern zu können. Wenn aber nahezu alle Psychiater sagen: ihr verstoßt hier gegen eine allgemein her­ kömmliche wissenschaftliche Terminologie, dann sollten w ir uns dem eigentlich sügen. Die Einfügung der Geistesschwäche bringt die Gefahr der Erweichung der Rechtspflege auf diesem Gebiete, eine Gefahr, der wir sonst immer sehr wachen Auges gegenüberstehen. Warum sie also einfügen, wenn die Mehrzahl der Psychiater es nicht für nötig hält? Die Ausführungen von Professor Gruhle haben mir ja auch zunächst Ein­ druck gemacht. Aber letzten Endes gehen sie nur dahin, daß wir einem volkstümlichen Sprachgebrauch gewisse Konzessionen machen sollten, auch wenn er vielleicht wissenschaftlich falsch sei. Nein, das halte ich hier doch nicht für richtig. Wenn das Bürgerliche Gesetzbuch uns hier für sein Gebiet einen falschen Sprach­ gebrauch anerzogen hat, so brauchen wir ihn im Strafrecht nicht mitzumachen. Der Psychiater ver­ steht unter Geistesschwäche drei ganz bestimmte Formen: Idiotie, Imbezillität, Debilität, und die sind schon krankhafte Zustände der Geistestätigkeit. Diese brauchen wir deshalb nicht zu nennen. Nennen wir die Geistesschwäche trotzdem, so wird gerade der

Psychiater glauben, wir wollen das Gebiet der Schuldunfähigkeit weiter ausdehnen, als bisher, was aber nicht unserer Absicht entsprechen würde. Ob die a c t i o ü b e r a i n c a u s a gesetzlich geregelt wird oder nicht, halte ich für unwichtig. F ü r wichtig aber halte ich, daß, w e n n wir sie regeln, wir dies richtig und erschöpfend tun. Dazu gehört, daß nicht nur der praktisch seltene F all einer v o r ­ s ä t z l i c h e n , sondern daß dann auch der praktisch häufige F all der f a h r l ä s s i g e n actio libera in causa geregelt wird; auch schon deshalb, damit nicht ein falscher „Schluß aus dem Gegenteil" gezogen wird. Eine vorsätzliche actio libera in causa gibt es überdies kaum. Sie läge doch nur vor, wenn jemand sich sagt: „Jetzt berausche ich mich, das wird mir M ut machen oder mir die Hemmungen nehmen, meinen Feind totzuschlagen" oder dgl. Aber eine fahrlässige gibt es täglich; etwa wenn ein Chauffeur sich betrinkt, obwohl er weiß, daß er nachher eine gefährliche Fahrt hat. Wenn w ir den Absatz 1 beibe­ halten, muß er auf die fahrlässige actio libera in causa ausgedehnt werden. Aber am besten, wie ge­ sagt, streichen wir beide. W as endlich das T r u n k e n h e i t s d e l i k t des § 371 Abs. 2 betrifft, so möchte ich zweierlei sagen. Erstens, daß es auch meiner Meinung nach in den Besonderen Teil gehört. Und zweitens, daß wir uns hier vom Schuldstrafrecht und vom Willensstrafrecht bedenklich entfernen, und zwar aus zwei Gründen. Den einen hat Herr Präsident Grau aus­ geführt; ich stimme ihm zu. Ob freilich praktisch der Richter imstande sein wird, festzustellen, ob jener betrunkene Gast das Tablett auch dann herunter­ geworfen hätte, wenn er nüchtern gewesen wäre, ist mir zweifelhaft. Der zweite Grund, weshalb ich gegen diese Loslösung vom Willensstrafrecht Bedenken habe, ist der, daß, wer sich vorsätzlich oder fahrlässig betrunken hat, unter Umständen gar nicht wissen konnte, daß er in diesem Zustand strafbare Hand­ lungen begehen wird. Solche Fälle kommen doch vor, daß jemand vorsätzlich oder fahrlässig sich betrinkt, dies vielleicht auch nicht zum erstenmal tut, der dann aber immer harmlos seinen Rausch ausgeschlafen hat, der diesmal aber aus irgendwelchen Gründen gewalt­ tätig wird oder in einen sexuellen Erregungszustand gerät, in dem er sich an Kindern vergeht oder dgl. Ich halte es nicht für gerecht, jedenfalls nicht für über­ einstimmend mit dem Grundgedanken des Willens­ strafrechts, daß wir ihm nun aus dem Trinken nach­ träglich ein Delikt konstruieren. Ich wiederhole meinen früheren Vorschlag: „wird bestraft, wenn er in diesem Zustand eine mit S trafe bedrohte Handlung begeht und wußte, daß er im Zustand der Trunkenheit zu Straftaten oder zu Gewalttätigkeiten neigt". (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Darf ich bitten, den Begriff der fahrlässigen actio lib era in causa einmal in einem Satz aus­ zudrücken?) — „Die Strafbarkeit einer T at entfällt nicht, wenn sich der Täter durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende M ittel in den Zustand

ZS der Schuldunsähigkeit versetzt hat und hierbei wissen mußte, daß er in diesem Zustand die T at begehen könne." Eine solche Bestimmung gehört aber eigent­ lich nicht zur Schuldfähigkeit, sondern zu den Regeln über Vorsatz und Fahrlässigkeit. Denn sie will im Grunde nur die Anwendung dieser Regeln sicher­ stellen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir haben die Frage der fahrläffigen actio libera in causa in der ersten Lesung ausführlich behandelt und sind dazu gekommen, davon abzusehen, weil die Strafbedürftigkeit durch die unter Absatz 2 genannten Bestimmungen gedeckt wird. Landgerichtsdirektor Leimer: Ich möchte mich zu § 368 dahin äußern, daß man die Geistesschwäche nicht mehr aufnehmen sollte. W ir haben gehört, daß die Psychiatrie sich dagegen aus­ spricht, und mir ist in der Praxis nie ein Fall bekannt geworden, daß ein Angeklagter, den ein Psychiater wegen Geistesschwäche als unzurechnungsfähig er­ klärte, von dem Laien nicht als unzurechnungsfähig anerkannt worden wäre. Aus solcher Befürchtung heraus braucht man gegen die Grundsätze der Psychiatrie nicht zu verstoßen. M an sollte es deshalb bei der jetzigen Fassung belassen. Zu § 370 möchte ich anregen, in Abs. 2 das Wort „erheblich" herauszunehmen, weil sonst in Absatz 1 steht, daß der vermindert Zurechnungsfähige strafbar ist, und in Absatz 2 steht dann, daß vermindert zurech­ nungsfähig nur der e r h e b l i c h vermindert Zu­ rechnungsfähige ist. Wenn man das W ort hier her­ ausnimmt, ist Absatz 2 nur eine Begriffsbestimmung für Absatz 1, und in Absatz 3 könnte man dann vor­ sehen, daß eine Strafmilderung nur zulässig ist, wenn der Täter e r h e b l i c h vermindert zurechnungs-

fähig ist.

Was § 371 anlangt, so bin ich der Meinung, daß man Absatz 1 stehen lassen soll. Es kommt immer wieder vor, daß gerade Laienrichter fragen, ob es denn nicht eine Bestimmung gibt, daß sich einer so, wie das Gesetz es vorsieht, strafbar macht, wenn er sich, um eine T at zu begehen, in einen Rausch versetzt. M an muß dann auf die Rechtsprechung Hinweisen. Ich glaube auch, daß es für manchen sehr lehrreich wäre, wenn er im Gesetz finden würde, daß sich niemand Straffreiheit antrinken kann. Den Absatz 2 würde ich so gestalten, wie Herr Vizepräsident Grau es vorgeschlagen hat. Ich glaube aber, man sollte ihn hier herausnehmen und in den Besonderen Teil stellen. Absatz 3 würde ich lassen. Ich meine, die Zeit, in der die Gerichte den Rausch immer besonders berücksichtigt haben, ist jetzt vorbei, und es schadet gar nichts, wenn im Gesetz besonders festgelegt wird, daß ein verschuldeter Rausch nicht zu einer Strafmilde­ rung führen kann. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Aber die Stellung des Abs. 3 zu § 370, wie angeregt worden ist, würden Sie mitmachen?) — Jawohl.

Professor Dr. Dahm: Den Ausführungen des Herrn Professor Kohlrausch über die fahrlässige actio libera in causa kann ich nur zustimmen. Wenn wir den § 371 Abs. 1 stehen lassen, brauchen wir eine solche Bestimmung. Ich ver­ stehe das Verhältnis von Absatz 1 und Absatz 2 so: I n den Fällen des Absatz 1 bezieht der Vorsatz sich aus die konkrete Tat, in den Fällen des Absatz 2 nur aus den Rausch, aber nicht aus die T at, die im Rausch begangen wird. F ü r die Fahrlässigkeit muß aber dasselbe gelten. I m Rahmen des § 371 Abs. 2 ist daher die Fahrlässigkeit nicht aus die konkrete T at zu beziehen, sondern nur auf den Rausch. Dann bleibt aber der Fall ungeregelt, daß die konkrete Tat fahr­ lässig begangen wird. Darum muß § 373 Abs. 1 nach der Seite der Fahrlässigkeit hin ergänzt werden. Oder man müßte auf § 373 Abs. 1 ganz verzichten. Sodann ist das Verhältnis des ersten zum zweiten Titel zu klären. Meiner Meinung nach muß der zweite Titel „Schuldformen" vor den ersten Titel gestellt werden, und zwar weniger aus den technischen Gründen, die Herr Ministerialdirektor D ürr ange­ führt hat, als aus grundsätzlichen Erwägungen her­ aus, die mit dem Problem des Willensstrafrechts zusammenhängen. Wenn wir mit dem Willensstraf­ recht Ernst machen wollen, muß eine positive Um­ schreibung der Schuld am Anfang des Allgemeinen Teils überhaupt erscheinen. Erst im Anschluß daran kann von den Schuldausschließungsgründen, z. B. von der Zurechnungsunfähigkeit gehandelt werden. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich wäre dankbar, wenn Sie die fahrlässige actio libera in causa einmal in einem deutschen Satz formulieren und ein Beispiel dazu geben würden!) — Die Mutter, die das Kind mit ins Bett nimmt und erstickt, aber hätte vorhersehen können, daß sie das Kind beim Herumwälzen im Bett ersticken würde, oder der Chauffeur, der sich betrinkt und hätte voraussehen müssen, daß er einen Passanten totfahren könnte. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Is t das nicht einfach fahrlässige Tötung?) — Natürlich, aber da die actio libera in causa nach § 371 Abs. 1 jetzt nur aus den Vorsatz beschränkt ist und § 371 Abs. 2 nur für die Fälle gilt, in denen die Schuld sich nicht aus die konkrete Tat, sondern nur auf den Rausch als solchen bezieht, besteht die Gefahr, daß die fahrlässige actio libera in causa draußen bliebe. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich kann mir das Hindeuten auf die fahrlässige actio libera in causa nur daraus erklären, daß die Herren den Gegenschluß fürchten; denn sonst ist das einfach glatt eine fahrlässige Tötung. (Prof. Dr. Kohlrausch: Ebenso ist glatt eine vorsätzliche Tötung, was im Abs. 1 steht!)

Ministerialdirektor Schäfer: W ir regeln in § 371 Abs. 1 und 2 die actio libera in causa. Nun möchte ich bitten, ein Beispiel zu bilden, daß jemand fahrlässig voraussieht, er würde im Zustand der Trunkenheit eine S traftat begehen, wie es Abs. 1 verlangt, aber fahrlässig nicht voraus­ sieht, daß er sich betrinken würde. I m Falle des Abs. 2 liegt es jetzt so: Wenn ich mich fahrlässig betrinke, d. h. hätte voraussehen müssen, daß ich in einen Rausch gerate, dann werde ich bestraft, ganz einerlei, ob ich voraussehe, daß ich nun eine strafbare Handlung begehen werde oder nicht. Das ist der weitere Fall, der den ersten Fall — nur unter einem anderen Gesichtspunkt — mitumfaßt. Professor Dr. Kohlrausch: Wenn ich aber voraussehe, daß ich w i r k l i c h eine strafbare Handlung begehen werde oder begehen könnte, dann ist es nicht mehr Abs. 2, sondern dann ist es eine actio libera in causa, ein gewöhnliches vorsätzliches oder fahrlässiges Delikt. Reichsjustizminister D r. Gürtner: E s wird leichter, wenn wir uns den Abs. 2 im Besonderen Teil denken würden. Ich halte vorläufig daran fest, daß der Chauffeur, der über den Durst trinkt, obwohl er weiß, daß er seinen Herrn heim­ fahren muß, und einen Menschen überfährt, wegen fahrlässiger Tötung bestraft wird. Professor Dr. Dahm: Da § 371 Abs. 1 nur vom Vorsatz handelt, liegt der Gegenschluß nahe: Also wird die fahrlässige actio libera in causa nicht bestraft. (Ministerialdirektor Schäfer: Aber richtig ist, daß sie auch bestraft wird nach Abs. 2!) — Nein, gerade nicht! Ministerialdirigent D r. Schäfer: Der Unterschied liegt darin: Beim Vorsatz muß erst juristisch konstruiert werden, daß der vor dem Rauschzustand vorhandene Tatvorsatz noch für die im Zustand der Zurechnungsunsähigkeit begangene Tat fortwirkt. Bei der fahrlässigen actio libera in causa versteht es sich ganz von selbst, daß der fahrlässig herbeigeführte Rauschzustand kausal war für die dann begangene Tat. M an kann also sehr wohl die vor­ sätzliche actio libera in causa gesetzlich regeln, ohne dadurch auch zur ausdrücklichen Regelung der fahr­ lässigen actio libera in causa gezwungen zu sein. Professor D r. Mezger: Nach der jetzigen Fassung scheint mir die Gefahr zu bestehen, daß der sich betrinkende Chauffeur nach § 371 Abs. 2 behandelt wird, und das wäre falsch. Denn hier ist die Gefängnisstrafe auf 2 Jahre be­ schränkt. E r muß aber nach § 276 mit Gefängnisstrafe bis zum gesetzlichen Höchstmaß bestraft werden können. Deshalb müßte korrekterweise die fahrlässige actio libera in causa in § 371 Abs. 1 eingefügt werden. D as beste aber ist, den Abs. 1 ganz zu

streichen. M it diesen Fällen wird die Auslegung auch ohne gesetzliche Hilfe fertig, und für den Eindruck im Volk ist die tatsächliche Praxis der Gerichte, nicht das Wort des Gesetzes, entscheidend. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S ie sind der Meinung, wenn man Abs. 1 streicht, daß mein Chauffeur dann bestraft wird? (Prof. Dr. Mezger: J a ! ) — Dann würde ich schon zufrieden sein. E s ist bis jetzt niemand gelungen, dem Abs. 1 eine Fassung zu geben, die das ausdrücken würde. Käme man der Sache näher, wenn man sagt: „Wer sich in den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit versetzt und in diesem Zustand eine S traftat begeht, wird wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Begehung der Tat be­ straft"? D as ist aber etwas anderes, als in 371 steht. (Pros. Dr. Mezger: D as wäre richtig, aber eine Selbstverständlichkeit!) Die Fassung, die Herr Ministerialdirektor Dr. D ürr gegeben hat, weicht ja auch schon ab. Der Dürrsche Vorschlag war: „Wer mit dem Vorsatz sich betrinkt, eine T at zu begehen." M an müßte sagen: „Wer mit dem Vorsatz, eine S tra fta t zu begehen, sich betrinkt." Aber dann wäre immer noch die Frage offen, die die Herren am linken Flügel behandelt haben, die Frage mit der fahrlässigen actio libera in causa. Ministerialdirektor Dr. Dürr: Die Lücke hinsichtlich der fahrlässigen actio libera in causa wird ausgefüllt durch meinen Vorschlag, wenn man sagt: Wer, abgesehen von den Fällen des Abs. 1, sich vorsätzlich oder fahrlässig durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berau­ schende M ittel in den Zustand der Zurechnungs­ unfähigkeit versetzt und in diesem Zustand eine S traftat begeht, wird bestraft, wie wenn er die T at fahrläsiig begangen hätte. D as trifft, ohne weiteres auf den Chauffeur zu, der voraussieht, daß er in der Trunkenheit nicht mehr Herr seines Wagens ist, und dann jemand überfährt. Damit entfällt auch das Bedenken des Herrn P ro ­ fessor Mezger, daß der Strafrahm en — zwei Jahre Gefängnis — zu niedrig bemessen sei. Professor Dr. Kohlrausch: Es handelt sich doch um zweierlei. Es handelt sich erstens darum, die Anwendung der gewöhnlichen Vor­ satz- und Fahrlässigkeitsregeln sicherzustellen in den Fällen, in denen beim Sichbetrinken ein auf die Trunkenheitstat sich beziehender Vorsatz oder eine auf sie sich beziehende Fahrlässigkeit bestand. Wer beim Betrinken sich sagt: ich werde oder ich könnte im Rausch einen Menschen töten, der begeht eine vor­ sätzliche oder fahrlässige Tötung, nur mit der Beson­ derheit, daß die konkrete Tatschuld (Tötungsvorsatz oder Tötungsfahrlässigkeit) in dem Augenblick vor-

lag, wo er sich betrank. E r benutzt sich selber gewisser­ maßen als Werkzeug. Da wollen wir nur sagen (salls wir nickt vorziehen, gar nichts zu sagen, was richtiger wäre): der dazwischenliegende Rausch schließt die Tatschuld nicht aus. Zweitens wollen wir ein delictu m sui generis schassen für die Fälle, daß der Vor­ satz sich nicht auf den Erfolg bezieht, sondern nur auf das Sichbetrinken. Hier ist eine Bestrafung keines­ wegs selbstverständlich. Wollen wir sie, so müssen wir es sagen, und zwar im Besonderen Teil. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as trifft ganz das Bild meiner Vorstellung. Absatz 2 könnte man auch so ausdrücken: „Wer sich dadurch zu einem gemeingefährlichen M ann macht, daß er sich betrinkt und diese Gemeingesährlichkeit auch noch dadurch beweist, daß er eine T at begeht, wird aus dem delictum sui generis bestraft."

Ministerialdirektor Dr. Dürr: Ich möchte daran erinnern, daß der Absatz 1 nur aufgenommen wurde, um an dieser Stelle alle Fälle der Trunkenheit zu regeln. Wenn der Absatz 2 in den Besonderen Teil übernommen wird, besteht für Ab­ satz 1 kein Bedürfnis mehr. Absatz 3 kann ohne weiteres in § 370 eingearbeitet werden, wo von der Möglichkeit einer Strafmilderung bei verminderter Zurechnungsfähigkeit die Rede ist. Ich habe mich nur bemüht, eine Lösung zu finden, um alle Fälle der Trunkenheit im Allgemeinen Teil zu regeln. Wenn das doch nicht möglich ist, brauchen wir den Absatz 1 hier nicht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich mache den Vorschlag, daß wir uns diesen Punkt bis morgen überlegen und heute die Beratung abbrechen.

(Schluß der Sitzung 19 Uhr 10 Minuten.)

Strafrechtskommisfion

59. Sitzung 26, März 1935 Zweite Lesung. Inhalt Schuldlehre (Fortsetzung der Aussprache). Schuldsormen Reichsjustizminister Dr. Gürtner 1, 8, 9, 11, 13, 14, 16, 17, 21, 22, 23, 24 Berichterstatter Professor Dr. Graf Gletspach2,1 4 ,2 1 ,2 2 ,2 3 ,2 4 Berichterstatter Senatspräsident Professor Dr. Klee 5, 19, 20 Ministerialdirigent Dr. Schäfer............................................. 8, 24 Staatssekretär Dr. Freister.............................................9, 22, 24 Professor Dr. Kohlrausch.................................. 9, 20, 22, 23, 24 Vizepräsident G rau................................................................. 10, 22 Professor Dr. N a g le r ............................................................. 11, 24 Professor Dr. D ahm ................................................................13, 14 Ministerialdirektor Schäfer.................................... 14, 18, 21, 24 Professor Dr. Mezger..............................................................16, 17 Ministerialdirektor Dr. Dürr........................................................21

(Aussprache abgebrochen.)

Beginn der Sitzung 10 Uhr 15 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren! Ich möchte folgenden Vorschlag machen. D as Ergebnis des nächtlichen Nachdenkens ist gewesen, daß das Wort „Zurechnungsfähigkeit" und das Wort „Zurechnungsunfähigkeit" in immer tiefere Schatten getreten sind und daß die Liebe zu dem hergekommenen und viel gebrauchten W ort bei mir ziemlich verschwunden ist. Dagegen hat der Aus­ druck „Schuldfähigkeit" bei näherer Betrachtung sich mir als immer schöner dargestellt. Ich hätte nun die Meinung, man könnte im Gesetz systematisch folgender­ maßen verfahren: M an kann davon ausgehen, daß an sich jeder Mensch schuldfähig ist; darüber brauchte das Gesetz nichts zu sagen, wann ein Mensch schuldfähig ist, sondern das Gesetz brauchte nur zu sagen, wann ein Mensch schuldunfähig ist. Diese Schuld­ unfähigkeit kann beruhen a ) aus der körperlichen Ent­ wicklung (Kind, Taubstummer), b) auf geistiger Störung (chronischer, akuter, konstitutioneller, habi­ tueller oder vorübergehender Störung), c) aber auch

aus einer eigenen Handlung. Damit würden wir in diesem Kapitel die Brücke zu den Fällen finden, in denen sich jemand in einen Zustand der Schuld­ unfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit versetzt. Bei diesem letzteren Punkt muß nach wie vor das Rauschdelikt völlig ausscheiden, nämlich das Rauschdelikt, wie es in unserem Absatz 2 enthalten ist. D as hat mit der Schuldfähigkeit gar nichts zu tun; denn dieses Delikt betrifft ja nur den Fall, daß sich jemand betrunken hat und daß er — das können wir hier ganz ruhig sagen — dafür bestraft wird. E s wird also tatsächlich der Rausch bestraft. Allerdings muß zum Rausch noch etwas dazu kommen, nämlich der Beweis, daß der Rausch wirklich etwas Gefährliches gewesen ist dadurch, daß eine strafbare Handlung begangen wurde; allerdings eine strafbare Handlung, für die die Frage einer Schuld überhaupt nicht gestellt werden kann. Wenn für die strafbare Handlung als solche eine Schuldfrage gestellt werden kann, dann gehört das in die Lehre von der Schuldunfähigkeit hinein. D as ist überhaupt meine Vor­ stellung gewesen. Also das Rauschdelikt, der Absatz 2, — das ist mir völlig klar geworden — kann an dieser Stelle nicht stehen bleiben, sondern muß im Be­ sonderen Teil erscheinen, und zwar schien es mir richtiger nicht bei der Volksgesundheit, sondern viel­ leicht bei den gemeingefährlichen Delikten oder bei der Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. D as glaube ich so klar erkannt zu haben, daß ich jedenfalls von meinem Standpunkte aus kein Be­ dürfnis habe, darüber zu diskutieren. Würden wir davon ausgehen, daß wir also dieses schauderhaste Wort „Zurechnungsfähigkeit" über­ haupt nicht mehr im Gesetz gebrauchen, sondern das W ort „Schuldfähigkeit", womit man die Subjektivierung des Strafrechts ja sprachlich auch wirklich bester zum Ausdruck bringt, dann erhebt sich die weitere Frage nach den Schuldsormen, die wir nicht entbehren können; denn wir brauchen ja zu der Frage: „Wer kann sich überhaupt mit Schuld be­ laden?" noch eine Antwort auf die zweite Frage: „Wie geht das im Einzelsall?" D ann erhebt sich die systematische Frage: „Gehört nun die Schuldfähigkeit vor die Schuldsormen, oder soll es umgekehrt gemacht werden?" Darüber habe ich eine ganz sichere Meinung nicht gewonnen. Ich halte es durchaus für möglich, daß man über die Schuldformen zuerst spricht und nachher sagt, wer überhaupt nicht schuldig werden kann. M. E. ist es aber auch ebenso möglich, daß man vorher sagt: „An gewisse Kategorien von Menschen kann die Frage nach der Schuld nicht ge­ stellt werden; das sind die und die", und dann die Schuldformen bringt. Ich würde aber bitten, auch diese Frage einmal offen zu lasten und heute die Besprechung damit zu beginnen, daß wir zunächst die Referate über die Schuldsormen entgegennehmen. Ich glaube, in dieser groben Skizze ließe sich am Ende nachher auch die Systematik leichter behandeln, als wenn wir jetzt den Faden der actio libera in causa fortspinnen. Wenn die Herren damit einverstanden wären, würde ich die Herren Berichterstatter bitten, das Wort zu nehmen.

Berichterstatter Professor Dr. Graf Gleispach: Ich habe über den zweiten Titel (Schuldformen) zu sprechen, und ich glaube, daß ich zweckmäßigerweise zunächst die Einzelsragen vortrage, die durch die Be­ merkungen zu dem Entwurf und durch die Vorlage der Sachbearbeiter des Ministeriums selbst aus­ geworfen worden sind. Da ist zunächst zu dem ersten Paragraphen zu sagen, daß die Streichung des Absatzes 2 mehrfach mit der Begründung angeregt worden ist, dieser Absatz sei nicht notwendig, weil er sich aus Absatz 1: „Vorsatz oder Fahrlässigkeit sind zur Strafbarkeit erforderlich" und Absatz 3: „Fahr­ lässiges Handeln ist nur strafbar, wenn das Gesetz das ausdrücklich verlangt" ohne weiteres ergebe. Ganz kann ich dem eigentlich nicht zustimmen. Ich meine, daß der Jurist diesen Schluß sicher ziehen wird, der uns übrigens ganz geläufig ist, nämlich den Schluß, daß eben der bestraft wird, der vorsätzlich handelt, auch wenn das Gesetz das nicht besonders hervorhebt. Aber für den Laien ist es doch eigentlich eine gewisse Zumutung, daß er das erst aus dem Gesetz erschließen soll. Ich glaube aber, das ist über­ haupt kein Punkt von überragender Bedeutung. Jedenfalls möchte ich darüber aus dem Grunde weiter nicht sprechen, weil dieser Paragraph vielleicht über­ haupt ganz umgestaltet wird oder in dieser Gestalt wegfällt. Gegenwärtig ist er stark formal, und in seinem angefochtenen Absatz 2 ist er im wesentlichen eine technische Regel. E r wird vielleicht ganz umge­ staltet oder fällt weg, wenn man dem Verlangen nach­ gibt, hier etwas Blutvolleres zu sagen und den grund­ sätzlichen Standpunkt mehr in volkstümlicher Weise zu kennzeichnen. § 371 versucht eine Umschreibung der ersten Schuldform des bösen Vorsatzes. Dabei ist angestrebt worden, stark zum Ausdruck zu bringen, daß auch der sogenannte bedingte oder eventuelle Vorsatz von uns als ein Fall der Vorsatzhaftung ausgefaßt wird, ferner, daß der materielle Schuldgehalt auch hervor­ gehoben wird. Es ist bei dem Versuch, den eventuellen Vorsatz zu umschreiben, auch sicherlich nach dem In h a lt der Aussprache, namentlich nach dem Bericht des Herrn Reichsjustizministers über die allgemeinen Bestimmungen des Entwurfs (D as kommende S traf­ recht) angestrebt worden, über den heutigen Stand namentlich der Rechtsprechung des Reichsgerichts hinaus eine kleine Ausweitung des Gebietes des eventuellen Vorsatzes im Verhältnis zur bewußten Fahrlässigkeit zu erzielen oder wenigstens nach dieser Richtung hinzuwirken. I n diesem Punkte setzt nun eigentlich die Kritik ein. Ich darf vielleicht voraus­ schicken, daß im allgemeinen die Vorschläge des Ent­ wurfs über die Schuldformen in den kritischen Äußerungen verhältnismäßig gut weggekommen sind, daß u. a. die glückliche Regelung dieser schwierigen Materie, die materielle Vertiefung des Schuldbegrisss und dergleichen anerkennend hervorgehoben wurden. Aber es wird getadelt einmal die Fassung für den dolus eventualis; es ist dann besonders von G e r l a n d hervorgehoben worden, daß hier Ent­ wurfstext und Begründung nicht übereinstimmten,

weil vielleicht zwar die Kommission bestrebt gewesen sei, eine Erweiterung des eventuellen Vorsatzes herbei­ zuführen, der W ortlaut aber sich durchaus mit dem gegenwärtigen Stande der Auffassung decke, nament­ lich mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts. Es ist weiter hervorgehoben worden, daß, wenn es in Absatz 1 heiße: „Vorsätzlich handelt, wer die T at mit Wissen und Willen begeht und sich dabei bewußt ist oder in Kauf nimmt, Unrecht zu tun", ein Gegensatz hervorgehoben werde, der in Wahrheit in dieser Art nicht bestehe. Der W ortlaut: „sich bewußt ist oder in Kauf nimmt" errege die Vorstellung, als ob der, der in Kauf nimmt, sich dessen, was er in Kauf nimmt, nicht bewußt sei — ich glaube, man kann das sprach­ lich nicht ganz bestreiten — , während es in Wahrheit nicht so ist; auch der, der bloß in Kauf nimmt, muß sich sogar — sonst fehlt der dolus eventualis — der Möglichkeit des Erfolgeintritts oder der Tatbegehung, genauer technisch gesagt, der Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale bewußt sein; nur daß er sie nicht als Notwendigkeit ansieht oder gar erstrebt, sondern es eben nur darauf ankommen läßt. Ich habe vorgeschlagen, diesem Bedenken — vielleicht noch in unzulänglicher Weise — dadurch Rechnung zu tragen, daß wir davon sprechen, daß der Täter weiß, daß er Unrecht tut, daß er gegen ein Gesetz verstößt oder daß er es darauf ankommen läßt oder daß er das in Kauf nimmt. Die kleine sprachliche Unstimmigkeit, die jetzt vorliegt, kann vielleicht dadurch behoben werden. E s ist weiter darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Beziehung des Jnkaufnehmens einmal auf das Unrecht der T at und ein anderes M al auf die Tatbestandsverwirklichung den Gebrauch desselben Wortes in verschiedenen Bedeutungen darstelle. Dieses Bedenken ist, glaube ich, etwas übertrieben. Es ist natürlich nicht ganz dasselbe; aber ich bin der Meinung, daß irgendein Bedenken oder eine Unklar­ heit im Gesetz dadurch nicht entstehen würde. Eine Schwierigkeit kann man dann noch in § 373 finden, die in der Kritik allerdings nicht hervor­ gehoben worden ist. W ir sprechen hier von der T at; in Absatz 2 sprechen wir von der Verwirklichung des Tatbestandes. W ir haben aber den Standpunkt ein­ genommen und ihn in der neuen Fassung über die Quellen des Strafrechts jetzt besonders scharf heraus­ gestellt, daß nicht nur der strafbar ist, der tatbestandsmäßig handelt, sondern auch der, der eine andere Unrechtstat begeht, die nach dem einem einzelnen Strafgesetz zugrundeliegenden Rechtsgedanken als strafwürdig nach gesunder Volksanschauung erscheint. M an könnte nun sagen: für diesen Fall fehlt eine Begriffsbestimmung des Vorsatzes. Aber mir scheint es selbstverständlich zu sein, daß eben dann das Wissen und Willen auf diese auch als strafwürdig zu erkennende T at bezogen wird, und daß, wenn w ir vorn in den Bestimmungen über die Quellen der Strafbarkeit einmal die Analogie als eine Quelle anerkannt haben, dann, wenn man so sagen will, eben zum mindesten analog die Vorsatzbestimmung auch aus diese Ausgestaltungen bezogen wird, die dem eigentlichen, gesetzlichen Tatbestände gleichgestellt werden.

Zu dem § 373 ist schließlich noch darauf zu ver­ weisen, daß der hier verwirklichte Gedanke eines materiellen Vorsatzbegrisses, anders ausgedrückt der Gedanke: „D as Bewußtsein, Unrecht zu tun oder gegen ein Gesetz zu verstoßen, ist unerläßliches Element der Vorsatzschuld" angefochten ist, weniger von den Kritiken, die dem Reichsjustizministerium eingereicht worden sind — da wird vielfach gerade diese Regelung, die ja ein Teil der Jrrtum sregelung ist, begrüßt und gebilligt — , wohl aber in dem Schrifttum. Leider hat ja vor allen Dingen Herr Senatspräsident Klee mit großem Nachdruck den gegenteiligen Standpunkt vertreten. Ich müßte eigentlich alles das wiederholen, was ich in der ersten Lesung gesagt habe, wenn ich noch einmal meinen Standpunkt hier begründen wollte. Ich glaube, daß das kaum notwendig ist. Einen der wesentlichsten Fortschritte sehe ich im Bereich der Schuldlehre gerade darin, daß wir zu dem materiellen Schuldbegriff klipp und klar Stellung genommen haben. Ich möchte namentlich darauf verweisen, daß der letzte Absatz des § 373, der einen Irrtu m dann sür unbeachtlich erklärt, wenn die Einstellung des Täters, aus der dieser Irrtu m hervorgegangen ist, mit der gesunden Volks­ anschauung über Recht und Unrecht unvereinbar sei, eine besonders glückliche Lösung des so schwierigen und viel umstrittenen Irrtu m s und seiner Bedeutung im Strafrecht ist und daß das auch vielfach anerkannt worden ist. Natürlich ist das besonders angefochten worden wieder von Gerland; aber ich muß sagen, daß mich das nur in der Auffassung bekräftigt, daß wir gerade mit diesem Abstellen auf die Einstellung des Täters auf dem richtigen Wege sind. Ich würde es bedauern, wenn einer Anregung der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums nachgegeben und nun die Fassung umgestaltet würde, wenn also der ent­ scheidende Hinweis auf die Einstellung des Täters wegfiele; denn es kommt eben nicht darauf an, den Irrtu m selbst mit der Volksanschauung zu ver­ gleichen. E s ist ganz richtig gesagt worden, es müsse bei jedem Irrtu m so fern, daß er mit der Volks­ anschauung nicht übereinstimme; aber daraus kommt es uns nicht an. Die irrige Vorstellung ist freilich mit der Volksanschauung unvereinbar. Trotzdem kann der T äter entlastet sein, schuldlos in unserem Sinne gehandelt haben, wenn die Quelle dieses Irrtu m s eben vielleicht mangelndes Verständnis war, Schwierigkeit der richtigen Rechtsauslegung, ein Irrtu m rein formal-juristischer Art. Ich darf auf das Beispiel der Urkunde verweisen, das hier gebraucht worden ist, auf eine Entscheidung des Reichsgerichts, die in der ersten Lesung herangezogen wurde. Aber wir wollen ja nicht den In h a lt des Irrtu m s unter­ suchen, sondern w ir fragen uns: Kann ein Mensch von rechtlicher Gesinnung, kann ein Mensch, der an das Volkswohl denkt und sich danach bei seinem Handeln orientiert, zu diesem Irrtu m kommen? Wenn ja, dann ist der Irrtu m entlastend. Wenn aber die Quelle seines Irrtu m s eine volksfeindliche E in­ stellung ist, dann kann ihn der Irrtu m nicht entschul­ digen, dann wird er trotzdem bestraft. D aran sollte man nt. E. unbedingt festhalten.

Ich möchte weiter sagen, daß meiner Auffassung nach abgesehen von der Frage „Schuld in bezug aus strafschärfende oder strafmildernde Umstände" eine weitere Jrrtum sregel nicht notwendig ist; denn daß dem Täter ein tatsächlicher Umstand nicht zugerechnet werden kann, den er nicht bewußt verwirklicht oder nicht mindestens fahrlässig übersehen hat, ergibt sich schlechthin schon aus dem psychologischen Gehalt der zwei Schuldformen. D as, wovon § 376 handelt, ist ja nur eine besondere Form. Wenn der Täter irrtüm­ lich einen Umstand annimmt, der nach dem Gesetz Straflosigkeit begründet, so ist das ja auch ein Irrtu m , der ihn das Unrecht der T at nicht erkennen läßt. Ich glaube, der Standpunkt des Entwurfs: „Es kommt eben wesentlich daraus an, ob das Unrechtsbewußtsein da war oder nicht, gleichviel, worauf der Irrtu m sich zunächst bezog" käme noch viel klarer zum Ausdruck, wenn man § 377 Abs. 1, wie ich beantragt habe, streichen würde. Einzelne der gutachtlichen Äuße­ rungen zum Entwurf gehen ja denselben Weg. § 374 beschäftigt sich mit einer abweichenden Ge­ staltung der Vorsatzschuldsorm in einzelnen Fällen. Ich habe angeregt, die zwei Absätze umzustellen, weil wir immer mit dem Schwereren beginnen. Es ist also auch hier die Absicht als das Schwerere an die Spitze zu stellen. Sodann ist vielleicht zutreffend der Ausdruck „das Gesetz fordert" kritisiert worden. Der Stellvertreter des Führers sagt: das tut das Gesetz nie. Wenn man den Text des Entwurfs wörtlich nimmt, ist das ganz richtig. Es soll ja im Gegenteil ver­ hindert werden, daß wissentlich gehandelt wird. Diese Unstimmigkeit kann man durch eine etwas veränderte Fassung sehr leicht vermeiden. Ich würde also in § 374 sagen: „ . . . . Wenn das Gesetz wissentliches Handeln mit Strafe bedroht, so genügt der bedingte Vorsatz nicht". Daß ich das hier so kurz sagen kann, beruht darauf, daß ich in § 373 Abs. 2 in Klammer setzen würde: „Bedingter Vorsatz"; dann brauche ich hier die ganze Fassung nicht zu wiederholen. Zu tz 375 ist in Anmerkung 1 eine etwas weitere Fassung der Fahrlässigkeit schon in eventu vorge­ schlagen, die zwischen bewußter und unbewußter Fahrlässigkeit unterscheidet. Die Kommission hat es damals offen gelassen, ob die eine oder die andere Fassung den Vorzug verdiene. Nach dem Stande der Kritik scheint mir das letztere der F all zu sein. Ich glaube, die Zerlegung in bewußte und unbewußte Fahrlässigkeit empfiehlt sich mehr. Aus mich hat in der Kritik namentlich die eine Bemerkung einigen Eindruck gemacht, daß doch der Richter zu einer genauen Untersuchung des psychologischen Sachver­ halts und zu einer sorgfältigen Begründung der F ah r­ lässigkeit mehr veranlaßt sei, wenn schon das Gesetz auf diese zwei Formen der bewußten und unbe­ wußten Fahrlässigkeit hinweise. Die Fassung könnte man m. E. etwas vereinfachen, indem man sagt: „Fahrlässig handelt, wer aus Mangel an der pflicht­ gemäßen Sorgfalt entweder nicht voraussieht. . . .". E s versteht sich eigentlich von selbst, daß es die S o rg ­ falt sein muß, die er nach den Umständen auszu­ bringen hat und zu deren Aufbringung er nach seinen

persönlichen Verhältnissen imstande ist; denn zu etwas, wozu man nicht imstande ist, kann man nie verpflichtet sein. Andernteils wird das M aß der Sorgfalt im Rahmen des Möglichen offenbar durch die konkrete Lage und durch objektives Recht und durch besondere Vorschriften bestimmt. Dann würde der Einwand, den man sonst vielleicht gegen die Fassung 2 vorbringen kann, daß nämlich diese Fassung schwerfällig und zu lang sei, doch wesentlich abgemildert werden. Der Absatz 3: „Fahrlässig handelt auch, wer nicht erkennt, daß er Unrecht t u t . . . ." würde unverändert bestehen bleiben, und es wäre ihm nun sofort der In h a lt des Absatz 4 ohne Absetzen anzuschließen. M an vermeidet dann die Zitation, und ich glaube, diese Bestimmung gehört ohne weiteres hierzu. Es ist dann noch kurz darauf aufmerksam zu machen, daß es ähnlich wie bei dem gestern erörterten Delikt der Trunkenheit auch hier wieder heißt: „Die Verfolgung tritt nur auf Verlangen oder mit Zu­ stimmung ein, wenn das bei der vorsätzlich begangenen T at der F all ist". D as ist nicht ganz richtig, weil wir ja eigentliche Antrags- oder Zustimmungsdelikte nicht haben. Ich würde daher vorschlagen, in Einklang mit dem Entwurf für eine neue Strafprozeßordnung nur zu sagen, die besonderen Vorschriften über die Verfolgung der vorsätzlich begangenen T at gelten auch für diesen Fall der fahrlässigen Begehung. Das ist ja offenbar der Gedanke, der hier ausgedrückt werden soll. S o wie beim Vorsatz wird nun auch bei der Fahrlässigkeit eine besondere Gestaltung der Schuldform noch gegenwärtig in Absatz 2 behandelt. Wenn ich zu diesen Dingen noch etwas Allgemeines sagen und damit für einen Augenblick auch auf das Vorsatzgebiet zurückgreifen darf, so hat die Kritik mehrfach den Wunsch geäußert, ob nicht auf diese Vorschriften überhaüpt verzichtet werden könnte. Vor allem fragt es sich, ob man solche Besonderheiten und Variationen bei den Schuldsormen ganz oder zum Teil aus sachlichen Gründen entbehren könne. Ich habe diese Sache etwas nachgeprüft, ohne das jetzt im einzelnen ausführen zu wollen. Ich bin der Meinung, daß in der T at eine Revision des Be­ sonderen Teiles in dieser Hinsicht empfehlenswert wäre. D as „absichtliche Handeln" gebraucht der Ent­ wurf gegenwärtig nur an wenigen Stellen. Aber ob es wirklich richtig ist, in diesen Fällen immer darauf abzustellen, daß der Täter die T at begeht, weil er den Erfolg geradezu erstrebt, der Erfolg für ihn also eigentlich das darstellt, um dessentwillen er handelt, scheint mir höchst zweifelhaft zu sein. Ich darf nur ein Beispiel anführen. § 47 handelt davon: wer Wehr­ mittel, Einrichtungen der deutschen Wehrmacht in der Absicht, ihre Verwendung für die Landesverteidigung zu vereiteln, zerstört usw. Nun frage ich mich: wenn das Endziel des Täters bei der Wehrmittelbeschädigung ein anderes ist — Haß, Racheübung gegen einen Vorgesetzten und dergleichen — , wenn er aber klar erkennt, daß auf dem Wege, der ihm vorschwebt, um seinem Hasse Genüge zu tun, eine Schädigung von Wehrmitteln oder Einrichtungen der deutschen Wehr­

macht untrennbar damit verbunden ist, daß ihre Ver­ wendung für die Landesverteidigung vereitelt wird, soll er dann nicht bestraft werden oder soll er dann nur wegen gemeiner Sachbeschädigung bestraft werden? Ich frage mich, ob der Unterschied zwischen dem F all A : „D er Taterfolg ist erstrebt" und dem Fall B : „E r wird als untrennbar mit dem verbunden gedacht, was der Täter tut und tun will" so groß ist, um davon die Grenzen der Strafbarkeit wie etwa die Anwendung von Zuchthaus und dergleichen ab­ hängig zu machen. Aber das will ich hier nur anmerken. Ähnlich ist es mit der Wissentlichkeit. W as nun die besondere Gestaltung der F ahr­ lässigkeit in dem Begriff „leichtfertig" anlangt, so habe ich nur die Stelle zu beanstanden und vorzu­ schlagen, die Bestimmung aus § 375 herauszunehmen; denn dort stört sie den Zusammenhang und macht eigentlich den Absatz 3 und Absatz 4 zum Teil unver­ ständlich oder erregt Verwirrung. Ich will diese Bestimmung in einem besonderen Paragraphen auf­ führen. D ann drängt sich mir auch die Frage aus, wie es mit dem gewissenlosen Handeln sei, das wir auch im ganzen an sechs Stellen des Entwurfs verwendet haben, und zwar in verschiedener Weise, einmal in Verbindung mit wissentlich — also wissentlich und gleichzeitig gewissenlos — , das andere M al nur allein. (Vgl. Gefährdung der Arbeitskraft, Gefähr­ dung von Menschenleben.) Ich will auf die einzelnen Fälle nicht eingehen; aber ich erinnere daran, daß in der ersten Lesung lebhaft darüber gesprochen wurde, ohne daß wir zu einem abschließenden Urteil ge­ kommen wären, ob mit dem gewissenlosen Handeln auch die Fahrlässigkeit — von einer Seite wurde damals sogar gesagt: selbst die unbewußte F ahr­ lässigkeit — sich verbinden könne oder ob das eine besondere Form des Vorsatzes sein solle. Wenn man jedenfalls den gegenwärtigen S tand des Entwurfs übersieht — z. B. die verschiedenen Auffassungen in dieser Richtung bei der Gefährdung von Menschen­ leben als einem gemeingefährlichen Delikt und bei der Einzelgefährdung — , so glaube ich, daß dieser Zustand nicht aufrechterhalten bleiben kann. Ich wollte das nur bei diesem Anlaß angemerkt haben. Schon früher hatte ich hervorgehoben, daß ich § 377 Abs. 1 für ganz entbehrlich halte. Zu regeln bleiben also dann zwei Fälle, erstens die sogenannte Erfolgshaftung und zweitens der Irrtu m über einen Umstand, mit dem das Gesetz eine mildere Strafe ver­ bindet. Ich glaube, daß diese zwei Fälle, die offen­ sichtlich innere Verwandtschaft haben, zusammengefaßt werden könnten, wie ich das vorgeschlagen habe: „ Irrtu m über strafändernde Umstände". Zu § 376 (Haftung für besondere Folgen der Tat) habe ich hervorzuheben, daß in der Kritik zum Teil die Streichung beantragt worden ist, indem man sagt: wir wollen keine Erfolgshastung haben; daß der T äter für fahrlässig herbeigeführte Folgen hastet, versteht sich von selbst. D as ist, glaube ich, ein ge­ wisser Irrtu m , der hier unterlaufen ist. Die Sache

ist doch so, daß der Entwurf technisch bei der Erfolgs­ haftung bleibt, indem er einen höheren Strassatz an das Eintreten einer besonderen Folge der T at knüpft. D as geschieht nicht an sehr vielen Stellen, aber immerhin an einigen Stellen. Herr Senatspräsident Klee hat — wenn ich das vorwegnehmen darf — beantragt, man möge eben diese Stellen beseitigen, man möge von der Technik einer an den Erfolg ge­ knüpften Strafschärfung überhaupt abgehen. D as kann man sicherlich durchaus tun; das wäre eine Frage der Durchprüfung des Besonderen Teiles. Sobald man aber das nicht tut, ist m. E. der Satz hier unerläßlich; denn sonst würde wirkliche ErfolgsHaftung bestehen, was ja niemand will. Ich habe eine kleine Änderung der Fassung angeregt, um her­ vorzuheben, daß Grundsatz die reine Schuldhaftung sei und nur dann diese Strafe den Täter nicht trifft, wenn er den Erfolg nicht fahrlässig herbeigeführt hat. über Absatz 2 des § 377, der ja bleibt, würde ich weiter nichts zu sagen haben; er ist auch nicht irgend­ wie angefochten. Soviel zu den einzelnen Bestimmungen! Wie ich früher schon hervorgehoben habe, ist das Wesent­ lichste an diesem ganzen Titel der materielle Schuld­ begriff, und in dem Erfordernis vorsätzlichen oder fahrlässigen Unrechttuns ist hier eine bedeutsame Verbesserung des geltenden Rechts erzielt. Dabei muß noch einmal unterstrichen werden, daß es uns nicht aus das Bewußtsein ankommt, gegen das Gesetz rechtswidrig zu handeln, sondern Unrecht zu tun. Was das heißen soll, ist hier vor zwei Tagen wieder sehr eindringlich vorgeführt worden. Wenn ich an das Bild, das Herr Staatssekretär Freister gebraucht hat, von den zwei Kreisen erinnere: der große: Unrecht, der engere dann: strafbedrohtes Unrecht, so genügt uns also Kennen oder Kennenkönnen, daß das, was getan wird oder getan werden soll, in den größeren Kreis fällt. E s braucht nicht auch als In h a lt des kleineren Kreises erkannt zu sein; es genügt das Bewußtsein, so zu handeln, wie die sittliche Grund­ ordnung der deutschen Volksgemeinschaft es verpönt, mag das dann im einzelnen von dem T äter wie immer begründet werden. M an kann nun allerdings sagen, daß die einleitende Bestimmung — „strafbar ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig handelt" — formal aussehe, blutleer sei. Wenn man sich auf den S tan d ­ punkt stellt, was man wohl übersieht, daß diese Fassung und Systematik des Entwurfs eigentlich unter dem Vorzeichen steht: wir leiten den ganzen Entwurf durch einen Vorspruch ein, oder wenn man das mißverstehen könnte, diese hier rückwärts gege­ benen Bestimmungen über die Schuld sollen mehr das Juristisch-Technische zum Ausdruck bringen, vorn im grundsätzlichen Teil kommen die in der Sprache des Volkes abgefaßten blutvollen Sätze, die zeigen, was für uns die Schuld eigentlich ist, so ist diese Trennung fast vorzuziehen. E s wäre natürlich leicht, irgendeinen Satz zu formulieren: Strafe ist an Schuld geknüpft, oder: Strafe wendet sich gegen verbrecherische Gesinnung oder volksfeindliches Wollen, nur wenn das Gesetz es ausdrücklich an­ ordnet, ist auch fahrläffiges Handeln strafbar, dann

muß man daran unvermeidlich eine Definition, den Versuch einer Begriffsbestimmung der Schuldformen anschließen. Soweit mein Kennen und Vermögen reicht, ist dabei eine gewisse Fassung formaler Art nicht zu vermeiden, zum mindesten nicht so lange, wie wir als eine Grundlage des Strafrechts den T at­ bestand ansehen und die Schuld auf ihn beziehen, und dadurch wieder zu einer Teilung in den Elementen der Schuld, das heißt einem mehr formalen Bestand­ teil und daneben neu und um so wichtiger zu den materiellen Schuldelementen kommen. Wenn man versucht, nach dem gegenwärtigen Aufbau den zweiten Titel mit einem blutvollen Satz einzuleiten, so habe ich den Eindruck, es würde sich nicht gut machen, wenn man daran diese spezifisch juristisch-technischen Bestimmungen über die Schuldformen anschließen würde. Ich würde es also sehr begrüßen, wenn man an anderer Stelle das Schulderfordernis, möglichst materiell gefaßt, in volkstümlicher Sprache heraus­ stellt, aber besser nicht hier, sondern im Grundsätzlichen Teil oder im Vorspruch. M it dieser Voraussetzung würde ich auch unter den jetzt herausgestellten Gesichts­ punkten zu dem zweiten Titel einen besonderen An­ trag nicht zu stellen haben. Mitberichterstatter Senatspräsident Prof. Dr. Klee: Ich stimme in manchen Einzelheiten dem Herrn Berichterstatter bei, weiche allerdings in einer grund­ sätzlichen Frage von ihm ab. Zunächst das, worin ich ihm beitrete! I n § 372 würde auch ich entweder Absatz 2 oder 3 streichen. E s scheint mir ein Pleonasmus zu sein, zu sagen: „wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, ist nur vorsätzliches Handeln strafbar" und dann noch zu bestimmen: „fahrlässiges Handeln ist nur strafbar, wenn es das Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht" E s könnte weiter bei § 373 die Frage auftauchen, ob der Vorsatz sich nach der Zulassung der Analogie nur auf die Verwirklichung „des Tatbestandes" beziehen soll. Es ist doch bei der Definition des dolus eventu alis in Absatz 2 sicher nur an die Verwirklichung eines bestimmten gesetzlichen Tatbestandes gedacht. M an könnte nun diese Vorsatzbestimmung dahin erweitern, daß der Täter will, weiß oder für möglich hält, daß ein Sachverhalt sich verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbestände ähnlich ist. D as würde eine nicht unerhebliche Komplizierung der Vorsatzbe­ stimmung ergeben. Ich halte den Hinweis auf den analogen Tatbestand an dieser Stelle nicht für er­ forderlich. Aus der grundsätzlichen Zulassung der Analogie dürfte sich ohne weiteres das Erfordernis der Erstreckung des Vorsatzes aus die Umstände er­ geben, die den nach Analogie strafbaren Tatbestand zusammensetzen. Zu § 375 ziehe ich auch die zweite Fassung in der Anmerkung 1 vor, möchte aber mit dem Herrn Grafen Gleispach sichergestellt sehen, daß auch die fahrlässige Gefährdung bei der Einzelgefährdung und auch bei der Gemeingefährdung als gewissenlose Gefährdung gelten kann. Ob wir das hier an dieser Stelle oder

im Besonderen Teil tun, ist eine Frage zweiten Ranges. I n erster Lesung haben wir uns eine ganze Reihe strafwürdiger Fälle unbewußter Gefährdung eines Menschenlebens vor Augen geführt. Jemand will z. B. eine Glaskugel von dem Kops eines anderen wegschießen, obwohl er ein durchaus schwacher Schütze ist, hat aber das Glück, die Glaskugel zu treffen; dann hat er zweifellos das Leben und die Gesundheit des anderen gewissenlos gefährdet, auch wenn er krast seines mit der Erfahrung in Widerspruch stehenden Optimismus nicht an die Möglichkeit des unglück­ lichen Ausgangs gedacht hat. Dasselbe trifft zu, wenn jemand angesichts von Menschen leichtfertig mit ge­ ladener Schußwaffe umgeht, ohne daß etwas Passiert, obwohl sehr leicht etwas hätte passieren können. Der Herr Mitberichterstatter hat dann von der Absicht in § 374 gesprochen und mit Recht hervor­ gehoben, daß man nicht nur auf das primäre Motiv abstellen kann, wie es nach der Wortsassung des § 364 Abs. 2 der Fall ist. Die Rechtsprechung hat die Fälle, in denen der Täter zwar aus einem anderen primären M otiv gehandelt hat, in denen er aber einen be­ stimmten Erfolg als untrennbar verbunden mit dem in erster Linie bezweckten Erfolg sich vorgestellt hat, bereits unter den Begriff der Absicht gebracht. Das würde sie wohl auch in Zukunft tun; eine ausdrück­ liche Klarstellung im Gesetz ist daher kaum erforderlich. Dann hat der Herr Mitberichterstatter, von seinem Standpunkt aus mit Recht, zu § 373 darauf hinge­ wiesen, daß die Form des dolus eventualis auch darauf abgestellt werden muß, daß der Täter es für möglich hält, Unrecht zu tun. Grundsätzlich bin ich nach wie vor der Meinung, daß das Bewußtsein, Unrecht zu tun, nicht zum Bestandteil des Vorsatzes gemacht werden darf. I n zweiter Linie meine ich, daß es, wenn entgegen meinem Standpunkt, daran festgehalten wird, daß der Rechtsirrtum vorsatzausschließend wirkt, aus praktischen Gründen richtiger wäre, das Bewußtsein des Unrechts nicht in den Vor­ satz aufzunehmen, sondern den Rechtsirrtum so zu behandeln, wie das im Entwurf von 1927 geschehen ist, nämlich in der Weise, daß im Jrrtum sparagraphen auch der entschuldbare Rechtsirrtum berücksichtigt wird. Wenn man das Bewußtsein, Unrecht zu tun, zum Bestandteil des Vorsatzes macht, stößt man eigentlich jeden, der mit dem Strafgesetz in Konflikt kommt, darauf, sich darauf zu berufen, daß er nicht mit dem Bewußtsein des Unrechts gehandelt habe. I n aller Regel handelt doch der, der eine strafbare Handlung begeht, auch mit dem Bewußtsein, Unrecht zu tun; daß er dieses Bewußtsein nicht hat, ist die große Ausnahme. Ich finde es mißlich, im Gesetz das regelmäßig Selbstverständliche hervorzuheben und von seinem Vorhandensein die Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Handelns abhängig zu machen. D as Erfordernis des Bewußtseins, Unrecht zu tun, wird mit dem Aufstieg zum materiellen Unrechtsbegrisf gerechtfertigt; dem materiellen Unrechtsbegriff müsse ein materieller Schuldbegrifs entsprechen. Habe man früher, in der Periode des positivistischen S traf­ rechts, das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gefordert,

so müsse man jetzt, unter der Herrschaft des materiellen Unrechtsbegrisfs, das Bewußtsein des Unrechts zum Vorsatz fordern. E s fragt sich ja aber gerade, ob dem Einzelnen überhaupt der Anspruch eingeräumt werden kann, als Voraussetzung für seine Bestrafung zu verlangen, daß das, was die Allgemeinheit, das Gesetz über sein Tun denkt, mit dem, was er selber darüber denkt, im Einklang stehe. Die Frage kann m. E. nur vom Standpunkt der liberalistischen individualistischen Staatsauffassung, nicht aber vom Standpunkt des autoritären Volksstaats aus bejaht werden. W ir haben den Satz „nullum crim en sine lege“ aufgelockert. M it der Schaffung dieses Grund­ satzes aus dem Gedankengut der französischen Revolu­ tion heraus steht in historisch untrennbarem Zu­ sammenhang das Auskommen der Meinung, daß das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, ursprünglich sogar der Strafgesetzwidrigkeit, Erfordernis des Vorsatzes ist. Der Satz „nullum crim en sine lege“ hatte vom Standpunkt der liberalistischen Zeit, die ihn aus­ brachte, nur dann einen S inn, wenn man ihn mit dem Erfordernis des Bewußtseins des Widerspruchs zur Norm, des Ungehorsams, in Verbindung brachte. D as delinquierende Individuum sollte nicht durch die S trafe überrascht werden, sondern es sollte sich genau aus dem geschriebenen Gesetz darüber unterrichten können, was strafbar ist. Der Täter mußte bei der Tatbegehung in seine Vorstellung ausgenommen haben, daß er im Widerspruch zur gesetzlichen Norm handelte. Nur dann hatte er ja den Gesellschafts­ vertrag verletzt. Hieraus beruht auch die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, auf die das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit im bayerischen und anderen Gesetzbüchern zurückgeht. Erst Hegel hat dann auf der Grundlage einer anderen Staatsausfassung dem Einzelnen gegenüber das Recht der Objektivität auf­ gerichtet: E r muß zwar wissen, was er tut, die objektive Bewertung seiner Handlung ist aber von seinem Wissen und Dafürhalten unabhängig. W ir wenden uns heute von dem im Gedanken des c o n tra t social wurzelnden Grundsatz nullum crim en sine lege im Interesse der materiellen Gerechtigkeit ab, wenigstens sehen wir im positiven Gesetz nicht mehr die eigentliche Quelle der Bestrafung, sondern in dem aus der gesunden Volksanschauung erwachsenen Recht, das eine seiner Ausdrucksformen, allerdings die hauptsächlichste, im geschriebenen Gesetz findet. Wenn es aber richtig ist, daß die eigentliche Grundlage der Bestrafung die gesunde Volksanschauung ist, kann man dann die Bestrafung des Täters, der sich mit dieser gesunden Bolksanschauung in Widerspruch setzt, im Einzelfall davon abhängig machen, daß er sich auch bewußt ist, sich mit dieser gesunden Volksanschauung in Widerspruch zu setzen? Die Kommission ist hieran selber bedenklich geworden. Darauf ist die Einführung des Abs. 3 des § 373 zurückzuführen, wonach unbeacht­ lich ein rechtlicher Irrtu m ist, der sich nicht mit der gesunden Volksanschauung verträgt. Nun muß man doch gerade vom Standpunkt des materiellen Unrechtsbegrisfes aus davon ausgehen, daß jedes Gesetz letzten Endes weiter nichts ist, als ein Niederschlag

der gesunden Bolksanschauung, so daß eigentlich im Sinne des § 373 Abs. 3 ein Irrtu m über die Erlaubtheit der Handlung niemals berücksichtigt werden könnte. Allerdings bleiben Fälle übrig, in denen sich der Täter zwar nicht über die Unerlaubtheit der T at an sich irrt, in denen er aber glaubt, im einzelnen Falle kraft einer besonderen Befugnis abweichend von der allgemeinen Norm handeln zu dürsen. Auf diese Fälle werde ich hernach eingehen. Zunächst möchte ich mich noch mit einem allge­ meinen Argument, das zugunsten des Unrechtsbewußtseins als Element des Vorsatzes angeführt wird, auseinandersetzen. E s wird gesagt, wir bekennen uns zum Willensstrafrecht, und darum müsse die subjek­ tive Seite auch ganz besonders qualifiziert sein; der eigentliche Trutzwille sei nur bei dem vorhanden, der sich bewußt zur Norm in Widerspruch setze. D as scheint mir eine p etitio principii zu sein. Ich gebe zu, der Trutzwille ist erhöht da, wenn sich jemand be­ wußt zu einer Norm in Widerspruch setzt. D as führt aber nur zur Berücksichtigung des Fehlens des Un­ rechtsbewußtseins bei der ' Strafzumessung. Der Rechtsirrtum, die Unkenntnis des Gesetzes kann nur strafmildernde Bedeutung haben. Daß das Vorhan­ densein eines Trutzwillens nicht Voraussetzung der Bestrafung ist, ergibt sich aus der Existenz der F ah r­ lässigkeitsdelikte. E s besteht aber kein zwingender Grund, die Distanz der vorsätzlichen Delikte vor den fahrlässigen durch das Erfordernis des Unrechts­ bewußtseins beim Vorsatz herzustellen; denn hierzu genügt es schon, daß der vorsätzliche Rechtsbrecher die Rechtsgüterwelt unmittelbar angreift, der fahrlässig Handelnde aber nur die Schuld unsozialer Gleichgül­ tigkeit auf sich lädt. Praktisch wird die vom Entwurf beabsichtigte Regelung, die ich im Auge habe, freilich in vielen Fällen auf dasselbe hinauslaufen; denn ob ich nun sage: der Vorsatz ist nicht vom Unrechtsbewußtsein abhängig, und den T äter milder bestrafe, oder ob ich sage: das Unrechtsbewußtsein gehört zum Vorsatz, aber der Täter wird, weil er fahrlässig gehandelt hat, milder bestraft, das kommt praktisch auf dasselbe hin­ aus; Voraussetzung ist allerdings, daß dann auch die Fahrlässigkeit des Fehlens des Unrechtsbewußtseins überall feststellbar ist; und das ist eben häufig recht zweifelhaft, wie ich an Beispielen mir gleich erlauben werde zu zeigen. S ehr oft wird die Bejahung der Fahrlässigkeit nur künstlich sein können. Vom S tan d ­ punkt der Praktikabilität des Rechtes aus ziehe ich deshalb die Regelung der Frage des Rechtsirrtums in der Weise, wie sie mir vorschwebt, vor. An der vom Entwurf vorgeschlagenen Regelung berührt vor allen Dingen peinlich und wissenschaftlich, wenn ich so sagen darf, nicht sauber, daß der rein tat­ sächliche Irrtu m vollständig im Mangel des Bewußt­ seins, Unrecht zu tun, untergehen soll. Hierdurch werden Irrtü m er über einen Leisten geschlagen, die in ihrem In h a lt und Gegenstand wesentlich vonein­ ander abweichen. Wenn jemand sein eigenes Kind mit dem Kind eines andern verwechselt und dieses

vermeintlich eigene, in Wirklichkeit fremde Kind züch­ tigt, so wird er, weil er ein Züchtigungsrecht an seinem eigenen Kinde haben würde, wegen rein tat­ sächlichen Irrtu m s straffrei sein, jedenfalls nicht wegen vorsätzlicher Körperverletzung zur Verantwor­ tung gezogen werden können. Nun der andere Fall: der Täter weiß, daß er ein fremdes Kind vor sich hat, und er züchtigt es wegen einer groben Ungezogenheit, die sich vor einigen Tagen abgespielt hat, also in einem Falle, in dem das objektive Recht eine Züch­ tigungsbefugnis nicht anerkennt und auch künftig nicht anerkennen wird. Er irrt sich also über die Bewertung der Handlung durch das Gesetz, nicht über einen tat­ sächlichen Umstand. E r befindet sich also nicht in einem Irrtu m , der immer berücksichtigt werden muß, weil Ir re n menschlich ist, sondern er stellt sich auf einen anderen Standpunkt wie die Rechtsordnung, er pflanzt seine individuelle Ansicht auf gegenüber der Ansicht der Rechtsordnung. Können wir das durch­ gehen lassen? E s wird demgegenüber auf § 377 Abs. 3 des Entwurfs gewiesen, in zweiter Linie auf den Ausweg, Fahrlässigkeit bezüglich der Annahme einer Befugnis. Bon dem Standpunkt aus, daß ver­ wahrloste Jugend immer eine Züchtigung „verdient", wird man hier kaum von einem Widerspruch der Ein­ stellung des Täters mit der gesunden Volksanschau­ ung sprechen können. Noch willkürlicher wäre es, zu sagen, der T äter habe fahrlässig über seine Züchti­ gungsbefugnis geirrt. Einfacher und der Sach- und Rechtslage entsprechender wäre es, hier wegen vor­ sätzlicher Körperverletzung, aber — im Hinblick auf den Irrtu m des Täters — milder zu strafen. Ähnlich liegt der Fall des katholischen Geistlichen, der vom Reichsgericht in Bd. 67 S . 327 entschieden ist. Ein Geistlicher hatte sich im Beicht- und Kommunion­ unterricht, der nicht Teil des Schulunterrichts, son­ dern rein kirchlicher Unterricht ist, ein Züchtigungs­ recht gegenüber einem Kommunikanten angemaßt. D er Tatbestand war der: er hatte von dem Knaben ver­ langt, ihm deutsch vorgesprochene Worte in polnischer Sprache nachzusprechen. Dessen hatte sich der Junge geweigert; daraufhin hatte ihn der Geistliche gezüch­ tigt. D as Reichsgericht stellt fest, daß dieser Geistliche objektiv kein Züchtigungsrecht hatte. I n subjektiver Beziehung sagt das Reichsgericht auf Grund seiner bekannten Auffassung: es lag kein Irrtu m über einen Tatumstand, sondern ein als unbeachtlicher, den Vor­ satz unberührt lassender Strasrechtsirrtum zu kenn­ zeichnender Besugnisirrtum vor. Der Hinweis auf die gesunde Volksanschauung wird uns künftig hier nicht weiterführen. Und es ist doch weiter sehr zweifel­ haft, ob der Geistliche, der kraft seiner erzieherischen Einstellung gegenüber der Jugend, die er seelisch und geistig fördern soll, an eine Züchtigungsbefugnis glaubt, fahrlässig irrt. Wegen Hausfriedensbruchs wird schon heute verfehltermaßen von der Staatsanwaltschaft wegen M angels des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit das Verfahren eingestellt. Wenn jemand zu seinem Schuldner geht und das Zimmer nicht verläßt, bevor dieser ihm nicht das Geld, das ihm gebührt, zurück-

s gezahlt hat, dann macht er sich des Hausfriedens­ bruchs schuldig. Aber wenn man ihn fragt, ob er sich der Rechtswidrigkeit seines T uns bewußt gewesen ist, oder gar ob er sich eines Unrechts bewußt gewesen ist, dann wird er das entschieden in Abrede stellen. Die Rechtspflege muß sich unbedingt aus den Standpunkt stellen, daß der Irrtu m , zu seinem Tun berechtigt zu sein, in einem solchen Falle unberechtigt ist, will sie nicht das Hausrecht illusorisch machen. Nach unserem Entwurf wäre zu untersuchen, ob sich der T äter mit der gesunden Volksanschauung in Widerspruch gesetzt hat. D as ist fraglich. Der eine Teil des Volkes wird sagen: D as Hausrecht muß man immer respektieren, der andere wird sagen: S ein geliehenes Geld muß man doch wiederbekommen, und da muß der Mann auch gegen den Willen des Schuldners ein paar M inuten länger in dessen Behausung bleiben dürfen. M it der Rechtsfahrlässigkeit ist in einem so gelagerten F all erst recht nichts anzufangen. Ich fürchte, daß, wenn wir ein für allemal das Unrechtsbewußtsein in den Vorsatz aufnehmen, die Staatsanwaltschaft noch mehr als bisher sich aus den subjektiven Einstellungs­ grund in Fällen stürzen wird, in denen das mit dem Recht des kleinen M annes nicht verträglich ist. Helmuth von Weber hat weiter auf die Afsektverbrechen aufmerksam gemacht. E r hält es für bedenklich, das Un­ rechtsbewußtsein zum Bestandteil des Vorsatzes zu machen, weil dieses Bewußtsein beim Asfektverbrecher nicht feststellbar ist und doch unbedingt gestraft werden muß. Die Praxis würde vielleicht sagen: D as Un­ rechtsbewußtsein stelle ich hier einfach fest. Weber sagt richtig, das wäre eine Fiktion. Von Rechts wegen, müßte man nach dem Entwurf den Vorsatz des Tot­ schlags im Affekt verneinen, und man könnte auch nicht auf fahrlässige Tötung abkommen; denn wer wollte einem in blinder W ut Handelnden den Vor­ wurf der Fahrlässigkeit machen? Ich darf noch einen F all aus der neuesten R G Praxis anführen; er betrifft Verleitung zum Meineid. A sagt zu B: Ich bin wegen Diebstahls, begangen am Orte 3E. angeklagt, ich habe aber ein Alibi, ich w ar nämlich am kritischen Tage in D., in deinem, des B, Wohnort. D as ist objektiv richtig: Der M ann w ar in der T at in I . , als der Diebstahl in 3E. verübt wurde. Nun sagt A weiter zu B : Du mußt und kannst das beschwören, auch wenn du es nicht mehr genau weißt, daß du mich in D. gesehen hast. D as Reichsgericht hat früher angenommen, es liege kein strafbares Unternehmen der Verleitung zum Meineid vor, wenn der Täter davon ausgehe, daß der andere eine der Wirklichkeit entsprechende Tatsache durch den Eid erhärten solle. Jetzt — im Band 68 — hat das Reichsgericht gesagt — und ich möchte das auch für richtig halten — : Wenn der zu Verleitende zwar etwas objektiv Richtiges bekun­ den würde, die Bekundung aber mit seinem eigenen Wissen nicht im Einklang stünde, dann ist das Ver­ brechen aus § 159 S tG B , gegeben. F ü r die alte An­ sicht könnte man anführen: Es kommt doch für die Rechtspflege nur darauf an, ob der zu Verleitende etwas objektiv Wirkliches oder Falsches bekunden sollte. Der Verleitende könnte demnach sagen: Ich

bin m ir nicht bewußt gewesen, ein Unrecht zu tun, als ich darauf drang, daß „die Wahrheit" beschworen würde. Auch hier erheben sich wieder die mit dem Abstellen auf die gesunde Volksanschauung und die Rechtsfahrlässigkeit verbundenen Schwierigkeiten. Den § 376 beantrage ich zu streichen. Es sind nur zwei Tatbestände in der ersten Lesung als einer Strafschärfung durch den schwereren Erfolg bedürftig anerkannt worden, nämlich Raub und Notzucht. I n allen anderen Fällen haben wir bewußt davon abge­ sehen, die Tatsache eines besonders schweren Erfolges strafschärfend sein zu lassen, statt dessen haben wir ganz im S inne des Willensstrafrechts die besondere Gefährlichkeit des Angriffs als strafschärfend hervor­ gehoben. Dieser Gesichtspunkt muß auch maßgebend sein für Raub und Notzucht. Wenn jemand an einer schwer Herzkranken F rau Notzucht übt, dann muß die Möglichkeit bestehen, ihn auch dann schärfer zu be­ strafen, wenn zufällig die F rau nicht an den Folgen des Verbrechens stirbt, der Verbrecher sich aber dieser Gefahr angesichts der ihm bekannten Herzkrankheit der F ra u bewußt war. Dasselbe gilt von den Folgen einer brutalen Gewaltanwendung beim Raub. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Auf Seite 85 des gedruckten Textes steht unten eine Anmerkung: „Fahrlässig handelt, wer aus Mangel an der pflichtgemäßen Sorgfalt entweder nicht voraussieht, daß er den Tatbestand der straf­ baren Handlung verwirklichen kann, oder, obwohl er das für möglich hält, darauf vertraut, daß es nicht ge­ schehen wird." Ich glaube, das erste W ort „kann" muß auch „wird" heißen. E r sieht nicht voraus, daß er den Tatbestand verwirklichen wird. Außerdem ist mir eben der Gedanke gekommen, ob man nicht vielleicht an Stelle der Wendung „wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt" sagen könnte: „Vor­ sätzliches Handeln ist immer strafbar, Fahrlässigkeit nur dann, wenn das Gesetz es bestimmt." D as wäre deutlicher. Ministerialdirigent D r. Schäfer: Dagegen habe ich Bedenken, denn vorsätzliches Handeln ist nicht immer strafbar. Wenn das Gesetz qualifizierten Vorsatz, also wissentliches oder absicht­ liches Handeln verlangt, dann genügt der einfache Vorsatz nicht. Deshalb wäre es nicht richtig, wenn man sagt: Vorsätzliches Handeln ist immer strafbar. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D ann zum Hauptproblem, zur Frage des I r r ­ tums! Ich wäre geneigt, für § 376 zu plädieren. Ich lasse mir den Einwand gern gefallen, daß, vom Willensstrafrecht her gesehen, dieser Paragraph an­ fechtbar ist. Ich bleibe aber dabei, was ich in der ersten Lesung schon gesagt habe, daß eine konsequente Durchführung des Prinzips der Willensbestrafung zu durchaus volksfremden Gedanken käme. E s ist eine gewisse Selbsttäuschung, wenn w ir sagen: Der Angriff bei der Notzucht und dem Raub war ungeheuer ge­ fährlich, weil der Verletzte dabei zugrunde gegangen

ist. Dieser Rückschluß knüpft doch auch wieder an das Ereignis des Todes an. Es ist aber nichts zu sagen Dagegen, daß in die Theorie des Willensstrafrechts Der § 376 nicht ganz hundertprozentig hineinpaßt. Diesen Einwand laste ich gern gelten. Nun zur Aussprache! Staatssekretär D r. Freister: Hier ist die letzte Gelegenheit gegeben, um sich grundsätzlich zur Idee des Willensstrafrechts zu be­ kennen, und diese Gelegenheit sollte man ergreifen. Ic h würde vorschlagen, als Überschrift zu wählen „D ie Schuld als Grundlage der Bestrafung" in E r­ innerung an eine Überschrift, die wir an anderer Stelle gewählt haben, nämlich „D as Recht als Grundlage der Bestrafung". Ich würde dann weiter vorschlagen, mit einem Satz zu beginnen, der erklärt, Daß die Strafbarkeit durch den rechtsbrecherischen Willen des Täters begründet wird. Daß dieser Wille in Erscheinung getreten sein muß, braucht an dieser Stelle nicht besonders gesagt zu werden. D aran würde sich der Vorsatz anschließen. Daß wir den Vorsatz be­ strafen, das gerade ist die Folge des Willensstrasrechts, während man längerer Überlegung bedarf, um Die Bestrafung der Fahrlässigkeit aus dem Willens­ strafrecht herzuleiten. M an kann sie auch davon zwar herleiten; aber es bedarf eben längerer Überlegung. M an kann auch die Bestrafung der Fahrlässigkeit als Ausnahme oder Konzession, die wir der Wirklichkeit machen müssen, auffassen. Meines Erachtens ist der Vorsatz aber auf Grund Des Willensstrafrechts nur aufbaubar, wenn man zum Vorsatz als notwendig erklärt: a) das Wissen oder Jnkaufnehmen der Verwirklichung des Tatbe­ standes, b) das Bewußtsein, damit Unrecht zu tun. E in Vorsatz-Begriff, der das zweite nicht enthält, ist überhaupt kein Schuldbegriff; erst dadurch wird das Handeln bewertet. E s ist aber nötig, daß man das Handeln bewertet, wenn man strafen will. M an kann wohl Sicherungsmaßnahmen treffen, ohne ein HanDeln zu bewerten. Bestrafen aber kann man nur, wenn m an das Handeln bewerten kann, und dazu gehört die "Feststellung der Einstellung des T äters zu seinem Handeln. Ich halte es für einen großen Fortschritt, daß w ir dem Vorsatz diese doppelte Grundlage ge­ geben haben. D aran müssen wir festhalten. Ich kann mich auch nicht dazu bekennen, daß diese Notwendig­ keit nur dann gegeben sei, wenn wir von dem Ver­ gangenen ausgehen, wie es Herr Senatspräsident Klee getan hat. Die Notwendigkeit des Bewußtseins, Unrecht zu tun, in den Vorsatz aufzunehmen, beruht vielmehr auf unserer Grundauffaffung vom Strafrecht und geht aus ihr originär hervor, gleichgültig, wie Die frühere Regelung gewesen ist. Bei der Definition des Vorsatzes sollte man vom Direkten Vorsatz ausgehen, aber nicht mit dem Wunsche, ihn unbedingt sauber abzugrenzen gegen den Eventualvorsatz. Diese saubere Abgrenzung ist nicht nötig. Daß sie nicht nötig ist, ergibt sich daraus, daß Der Eventualdolus, wenn wir ihn nicht aufnehmen, immer wieder von Wissenschaft und P raxis aus dem aufgenommenen direkten Vorsatz entwickelt werden

wird. Die Aufnahme des Eventualdolus ist daher lediglich zur Verdeutlichung wünschenswert, aber nicht notwendig. Wenn sie aber nicht notwendig ist, dann ist es auch nicht zweckmäßig, die Worte „und Willen" in § 377 einzufügen. Diese Worte sind nicht nötig, wenn ich nicht den Wunsch der sauberen Abgrenzung gegenüber dem Eventualdolus habe, und dieser Wunsch hat eben keine innere Berechtigung. Nötig haben wir allerdings den Absatz 3, aber nicht etwa aus dem Gesichtspunkte, daß wir einen Irrtu m anerkennen wollen, sondern aus dem Ge­ sichtspunkt, daß es einen Irrtu m über die Grundlage des Tunsollens, des Unrechts überhaupt, im deutschen Volke nicht gibt und daß ein solcher Irrtu m nicht an­ erkannt werden kann. Ich will den Richter gar nicht in die Notwendigkeit versetzen, zunächst einmal festzu­ stellen: Hat der M ann sich wirklich geirrt oder hat er sich nicht geirrt? D as soll der Richter meines E r­ achtens gar nicht tun. Deshalb sollte in irgendeiner Weise klargestellt werden, daß schon die B e h a u p ­ t u n g des Vorliegens eines solchen Irrtu m s nicht beachtlich ist. Klar ist mir, daß die ganze Regelung nur möglich ist, wenn wir das kriminelle Unrecht und das Ord­ nungsunrecht wirklich vollkommen voneinander schei­ den. Aber das wollen wir ja auch tun. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Käme diese Formel Ihrem Gedanken nahe: „Be­ hauptet der Täter, seine T at verstoße nicht gegen ein Gesetz und er tue nicht Unrecht, so ist diese Behaup­ tung unbeachtlich"? (Staatssekretär Dr. Freister: J a .) Professor D r. Kohlrausch: Den § 373 des Entwurfs erster Lesung halte ich für eine glückliche Lösung des vielumstrittenen J r r tumsproblems. Herrn Senatspräsidenten Klee kann ich hier nicht folgen. E s wird ja dieses Problem viel behandelt mit der Fragestellung: Bewußtsein der Rechtswidrigkeit oder nicht? Daß Herr Professor Klee es heute auch wieder unter diesem Gesichtspunkt be­ trachtet und daß er das sog. Bewußtsein der Rechts­ widrigkeit bekämpft hat, ist der Grund unserer Diffe­ renzen. Der Entwurf fordert gar nicht das Bewußt­ sein der Rechtswidrigkeit, sondern begnügt sich mit der Möglichkeit dieses Bewußtseins. Denn der T äter wird mit der Behauptung, daß er einem Rechtsirrtum unterlegen wäre, nicht gehört, wenn seine Auffassung über Recht und Unrecht mit der gesunden Volks­ anschauung in Widerspruch steht. Ich bin kein Freund des häufigen Gebrauchs dieser Worte. Hier aber, bei der Kennzeichnung des inneren Tatbestands, treffen sie das richtige. Der Täter mußte erstens wissen, was er tat (was heute genügt), und er muß außerdem aus einer Einstellung heraus gehandelt haben, die ent­ weder bewußt sich gegen ein Gesetz auflehnte oder die, wenn er das Gesetz nicht kannte, mit dem allgemeinen Rechtsbewußtsein in Widerspruch stand. Freigespro­ chen wegen fehlenden Vorsatzes wird er nur, wenn er weder das Gesetz kannte noch man ihm seine Unkennt-

nis, daß er materiell ein Unrecht beging, zum Vor­ wurf machen kann. Wenn w ir aber nicht einmal so viel bei ihm voraussetzen, dann fragt man sich ver­ gebens, warum man überhaupt von der Erfolgshastung zur Schuldhaftung übergegangen ist. Warum verlangen w ir denn, daß der Täter wußte, was er tat? Doch nur, weil er nur unter dieser Voraussetzung wissen konnte, daß er es nicht tun durfte. W ir würden die Schuldidee aushöhlen und formalisieren, wenn wir auf dem Standpunkt stehen blieben, es genüge, daß der T äter wußte, was er tat. Ob der T äter ge­ wußt hat, daß die Handlung strafbar war, ist natür­ lich gleichgültig; wenn er nur wußte, daß die T at von dem Standpunkt aus, den das Recht einnimmt und einnehmen muß, strafwürdig ist. Nicht gehört wird er mit der Behauptung, er habe nicht gewußt, daß der Gesetzgeber dies Strafwürdige tatsächlich unter Strafe gestellt habe; aber auch nicht mit der Behauptung, er habe nicht einmal die Strafwürdigkeit gekannt, falls diese seine Auffassung mit der gesunden Auffassung über Recht und Unrecht unvereinbar ist. S o fasse ich den Absatz 1 des § 373 auf. Und so ist er meines E r­ achtens richtig. Noch kurz zum § 375 Abs. 4! Hier wird die Rechtsfahrlässigkeit zum Sonderdelikt erklärt. Ich fürchte freilich, der unbefangene Leser versteht den Absatz 4 an dieser Stelle nicht oder doch unrichtig. Auch ich bin mir nicht sicher, vb ich ihn richtig ver­ stehe. Der Grundgedanke ist wohl der: Hat der Täter die T at mit Wissen und Willen begangen (§ 373 Abs. 1) und sich nur in einem Irrtu m über Recht und Unrecht befunden, aber hierbei fahrlässig geirrt, dann soll er mit der Strafe des § 375 Abs. 4 belegt werden, falls die betreffende T at als Fahrlässigkeits­ tat nicht strafbar ist. Eine Sachbeschädigung wird also mit der Strafe des Absatz 4 belegt, wenn zum Tatvor­ satz ein Irrtu m über Recht und Unrecht kommt, der aber unentschuldbar ist. Mein erster Zweifel geht dahin: S oll denn hier nicht wegen V o r s a t z e s gestraft werden, falls die Unentschuldbarkeit darin liegt, daß der Täter hier mit der gesunden Rechtsanschauung in Widerspruch stand? E in anderes Bedenken ist folgendes: W ir ver­ ewigen hier die alte unlösbare Streitfrage, wie Tatund Rechtsirrtum abzugrenzen seien. W ir zwingen hier den Richter wieder, zu fragen: Hat der Ange­ klagte die „T at" mit Wissen und Willen verwirklicht? Wenn ja: hat er sich in einem Rechtsirrtum befunden? Ein Beispiel: Jem and zerstört eine Sache, die er irr­ tümlich für sein Eigentum hält; der Irrtu m ist viel­ leicht unentschuldbar, denn er hätte sich über die Eigentumsverhältnisse vergewissern können. Heute sagen wir dazu: die Tat ist straflos, denn es handelt sich um einen außerstrasrechtlichen Irrtu m ; der schließt den Vorsatz aus, und fahrlässige Sachbeschädi­ gung ist nicht strafbar. Wie nach dem Entwurf zu entscheiden sein würde, weiß ich nicht genau. Vielleicht so: Wenn jener bürgerlich-rechtliche Irrtu m mit der gesunden Volksanschauung in Widerspruch steht, dann vorsätzliche Sachbeschädigung. Wenn man dies nicht sagen kann, der T äter sich aber über die Eigentums­ verhältnisse hätte vergewissern können, dann das be­

sondere Fahrlässigkeitsdelikt des Absatzes 3 oder 4. Wie aber, wenn einer fragt: Hat denn der T äter überhaupt den Tatbestand der Sachbeschädigung „m it Wissen und Willen" verwirklicht, wenn er die Sache für sein Eigentum hielt? Denn eine wissentliche und. willentliche Tatbestandsverwirklichung ist doch die Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieses Sonder­ tatbestandes der Rechtsfahrlässigkeit! Ich fürchte, hier lebt die alte Streitfrage über die Behandlung des außerstrasrechtlichen RechtsirrtumK wieder auf, und davor ist mir bange. Vorläufig sehe ich keine Möglichkeit, dieser Streitfrage zu entgehen, wenn wir ein Delikt der „Rechtssahrlässigkeit" kon­ struieren. Vizepräsident Grau: W ir sind hier, das hat Herr StaatssekretärFreister bereits mit Recht betont, an dem Punkte, wo wir klar zum Ausdruck bringen müssen, daß daK neue Strafrecht ein Willensstrasrecht sein soll. Dev Wille des Rechtsbrechers muß als das die S trafbar­ keit begründende Element ausdrücklich an dieser Stelle gesetzlich anerkannt werden. Geht man hiervon aus, so ergibt sich folgendes: Zunächst wird die Überschrift des Abschnitts zu ändern sein. Sie darf nicht heißen „Die Schuld", sondern etwa: „Der Wille des Rechtsbrechers als Grundlage der Bestrafung". Ferner wird die gesamte Schuld­ lehre vor den Abschnitt über die Begehung der S traf­ tat zu setzen sein. Endlich dürfte die Zurechnungsunsähigkeit oder besser die Schuldunsähigkeit hinter die allgemeinen Vorschriften über den verbrecherischen Willen zu stellen sein. Denn hier haben wir es m it einer Ausnahme zu tun; man muß aber im Gesetz, von der Regel und darf nicht von der Ausnahme aus­ gehen. Der Wille des Rechtsbrechers, der das straf­ begründende Element darstellen soll, setzt sich zu­ sammen einmal aus dem Vorsatz, die Tatbestands­ merkmale zu verwirklichen, zum anderen, und das ist gerade der Ausdruck des Willensstrasrechts, aus dem Willen, mit dieser Verwirklichung der Tatbestands­ merkmale Unrecht zu tun oder gegen ein Gesetz zu. verstoßen, wie es im Entwurf der ersten Lesung heißte Ich meine nun, diese Nebeneinanderstellung vou Gesetzwidrigkeit oder Unrecht ist nicht glücklich. S ie sieht fast so aus, als ob der Verstoß gegen das Gesetz kein Unrecht sei. Jedenfalls könnte ein unbefangenerLeser zu dem Schluß kommen, man könne, ohne datz. besonders gelagerte Ausnahmesälle vorliegen, gegen ein Gesetz verstoßen, ohne damit Unrecht zu tun. DaK darf aber keineswegs der Fall sein. Denn grundsätz­ lich ist davon auszugehen, daß jeder Verstoß gegen das Gesetz höchstes Unrecht bedeutet. Der Gesetzgeberlegt fest, was Unrecht ist, und diese Festlegung durch den Gesetzgeber entspricht der Volksaussassung. Nuv in besonderen Ausnahmefällen soll es möglich fein, Unrecht zu tun, ohne gegen ein Gesetz zu verstoßen. Und umgekehrt soll ein Täter im konkreten Aus­ nahmesall zwar gegen ein Gesetz verstoßen, aber trotz­ dem mit Recht glauben können, kein Unrecht zu tun»

Deshalb halte ich es für unrichtig und unglücklich, Gesetzwidrigkeit oder Unrecht nebeneinander zu stellen. E s genügt das Bewußtsein des Taters, Unrecht zu tun. Dabei darf der Täter im allgemeinen nicht mit der Behauptung gehört werden, er habe zwar gesetz­ widrig gehandelt, aber geglaubt, kein Unrecht zu tun. Dieser Einwand ist, wie schon gesagt, nur in beson­ ders gelagerten Fällen denkbar. § 373 Abs. 3 enthält eine Fiktion des Vorsatzes, w as vom Standpunkt eines Willensstrasrechts aus nicht gerade schön ist. Aber die Vorschrift ist eine Not­ wendigkeit. Wenn man von der Forderung ausgeht, daß der T äter das Bewußtsein haben muß, Unrecht zu tun, dann muß man solche Fälle ausnehmen, in denen sich eine Einstellung des Täters zeigt, die sich außerhalb jeder Volksgemeinschaft befindet. Ich glaube daher, § 373 Abs. 3 trifft das Richtige. D a der f a h r l ä s s i g handelnde Täter einen verbrecherischen Willen nicht hat, so muß zum Aus­ druck kommen, daß die Strafbarkeit des fahrlässigen Handelns eine Ausnahme vom eigentlichen Willens­ strafrecht bedeutet, die aber das Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft erfordert. M an könnte das zum Ausdruck bringen, indem man etwa bestimmt: M it Rücksicht auf das Schutzbedürfnis der Volksgemein­ schaft wird in besonderen Fällen auch die Fahrlässig­ keit bestraft. An diesen Grundgedanken hätte sich dann die Regelung der Fahrlässigkeit im einzelnen anzuschließen. Die Rechtssahrläffigkeit müßte allein darauf abgestellt werden, daß der Täter fahrlässig nicht erkennt, Unrecht zu tun. Gegen die Fassung des § 375 Abs. 4 habe ich ein Bedenken. E s ist immer unschön, wenn im Allge­ meinen Teil ein besonderer Strafrahm en erscheint. M an könnte das vielleicht dadurch vermeiden, daß man die Rechtssahrläffigkeit auf die vorsätzliche T at bezieht und weiter bestimmt, daß die für die vorsätz­ liche T at bestimmte Strafe gemildert werden mu ß . § 376 betrifft die Ersolgshaftung. Wenn wir schon die Erfolgshaftung nicht entbehren können, dann ist sie vom Standpunkte des Willensstrafrechts aus leichter zu ertragen, wenn man eine Fahrlässig­ keit voraussetzt. Daher ist § 376 nicht zu entbehren. Dagegen schlage ich vor, § 377 ganz zu streichen; ein Bedürfnis, diese Bestimmung beizubehalten, be­ steht nicht. Reichsjustizminister D r. Gürtner: W ir müssen uns darüber schlüssig werden, wie wir den Titel einleiten sollen. Bezüglich der Überschrift liegen verschiedene Vorschläge vor. Es ist zwar unbe­ denklich, Ausdrücke wie „Rechtsbrecher" und „rechts­ brecherischer Wille" in der Debatte zu verwenden. Aber das W ort „Rechtsbrecher" in das Gesetz aufzu­ nehmen, scheint mir unmöglich zu sein; es ist ein reines Papierwort. I n der Sprache des Volkes gibt es Herzensbrecher, Eisbrecher, Ehebrecher, aber nicht Rechtsbrecher. Ein solches Wort gehört nicht in das Gesetz, weil es nicht in die Gesetzessprache gehört. Nun hat man vorgeschlagen, in § 373 Abs. 1 die Worte „oder gegen ein Gesetz zu verstoßen" zu

streichen. Hier steigert sich in m ir das Gefühl der Unheimlichkeit, das der Begriff „Unrecht" in mir auslöst. W ir verwenden diesen Ausdruck schon in einem Fall: „Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn das Recht es verlangt". Was heißt „Unrecht"? D as moralische, sittliche Unrecht soll nicht bestraft werden, wenn die Rechtsordnung es nicht fordert. Hier hat das Wort „Unrecht" einen etwas anderen Sinn. Ich meine also, wenn wir die Worte „ . . . oder gegen ein Gesetz zu verstoßen" streichen, dann geraten wir in eine gewisse Schwierigkeit. D as Unrechtsbewußtsein kann nicht bloß im einzelnen Fall, sondern ganz all­ gemein einem Gesetz gegenüber fehlen. (Vizepräsident G rau: Vielleicht kann man sagen: „Unrecht tut insbesondere, wer gegen ein Gesetz verstößt".) — Das klingt schon anders und würde mein Be­ denken etwas mildern. Ich bitte die Herren noch ein­ mal, sich über die Formulierung der Überschrift klar­ zuwerden; denn das ist keine Aufgabe der Redaktions­ kommission, sondern eine Aufgabe unseres Ausschuffes. B is jetzt haben wir folgendes B ild: Der gesamte Abschnitt trägt die Überschrift „Die Schuld". E r zer­ fällt in a) die Schuldfähigkeit, b) die Schuldformen. Nach dem Vorschlag des Vizepräsidenten Grau sollen die Schuldarten den Vorrang haben. Der Ausbau wäre dann der: Eine Grundlage der Bestrafung ist das Recht; eine weitere Grundlage der Bestrafung ist die Schuld des T äters, also der Wille, die Willens­ auflehnung oder wie man das nennen will. Es handelt sich um zwei Fragen: Erstens: Wie kann sich einer schuldig machen? Zweitens: An wen ist die Frage nach der Schuld überhaupt zu richten?, oder anders ausgedrückt: Wer ist schuldunsähig? S o würde man vielleicht am besten dem Wunsch Rechnung tragen, die programmatischen Sätze vor­ anzustellen. Professor Dr. Nagler: W as zunächst die Fassung der Überschrift betrifft, so erscheint mir die Formel „Die Schuld als Grund­ lage der Bestrafung" schön und zweckmäßig zu sein. Beim zweiten Abschnitt sollten wir nicht mehr von Schuldformen, sondern von Schuldarten sprechen, und ferner von Schuldsähigkeit. M it diesem letzteren Ausdruck kommen wir vielleicht in Konflikt mit der Wissenschaft. Bisher hatte das Reichsgericht die Arrechnungsfähigkeit als Handlungsfähigkeit, nämlich kriminelle Geschäftsfähigkeit bezeichnet. Aber ich könnte mich durchaus mit dem Ausdruck „Schuldsähigkeit" statt Handlungsfähigkeit abfinden. W as den zweiten Titel, der von den S c h u l d a r t e n handelt, betrifft, so ist dieser Titel vielleicht das beste, was wir in der ersten Lesung zur Neu­ gestaltung des Allgemeinen Teils beigetragen haben. W ir haben damit auch allenthalben Anerkennung

gefunden. Es ist uns gelungen, einen gesunden materiellen Schuldbegriff zu schaffen, und daran sollten wir unter allen Umständen festhalten. I n der T at sind ernsthafte Einwendungen dagegen nicht er­ hoben worden. Vom Standpunkt des Willensstrasrechts aus kann ich mir einen anderen als den mate­ riellen Schuldbegrisf überhaupt nicht vorstellen. Denn der rechtsbrecherische Wille ist der Wille, der gegen die Rechtsordnung anrennt, also den Widerspruch gegen die Rechtsordnung notwendig in sich trägt. Was sodann die Formulierung des Vorsatzes an­ langt, so scheint m ir der Vorschlag der Sachbearbeiter bei weitem den Vorzug zu verdienen. Die Fassung der Absätze 1 und 2 des § 373 erscheint mir direkt vor­ bildlich. S ie erfüllt alle Anforderungen, die man überhaupt stellen kann. Dem Vorschlag des Staatssekretärs Dr. Freister, die Worte „und Willen" zu streichen, vermag ich nicht zuzustimmen; man sollte sie unbedingt stehen lassen. W ir stehen hier an der Quelle der Kontroverse, die um die Schlagworte Vorstellungstheorie und Willens­ theorie schwang. D as Reichsgericht und die Recht­ sprechung haben immer an der Willenstheorie fest­ gehalten. Die wissenschaftliche Entwicklung hat heute dazu geführt, daß die Vorstellungstheorie im prak­ tischen Ergebnis ganz auf die Willenstheorie zukommt. M an sollte der Wissenschaft daher keine Gelegenheit zu einer Wiederholung der überwundenen Kontro­ verse geben, vielmehr froh sein, daß der S treit hinter uns liegt. Weniger einverstanden bin ich mit der Formu­ lierung der Sachbearbeiter zum Absatz 3, weil gerade das Kernstück, die Einstellung des T äters, darin nicht zum Ausdruck kommt. (Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Das ist bereits vorgeschlagen.) — Die Ergänzung ist noch nicht bekanntgegeben worden. S ie scheint mir gerade das Kernstück zu sein, und wir sollten daran festhalten.

I n der Frage, ob man die jetzige Fassung deS § 375 beibehalten oder aber die weitere Fassung ber Anmerkung wählen soll, entscheide ich mich dahin, dast wir die bewußte und die unbewußte Fahrlässigkeit nicht auseinanderlegen sollten. Das wird die Theorie schon tun. I m praktischen Ergebnis ist kein Unterschied. Ich würde daher der Fassung des Textes zu § 375* den Vorzug geben.

Zu sagen: „Der Angeklagte wird nicht gehört. . . usw." scheint mir etwas zu prozessual gefärbt zu sein. Wenn der Irrtu m nach Absatz 2 unbeachtlich ist, wird kein Richter mit der Beweisaufnahme aus eine solche Behauptung eingehen. Ich meine daher, man sollte die Formulierung, die die Sachbearbeiter zu § 373 Absatz 3 gefunden haben, ruhig annehmen; die Diktion entspricht durchaus dem materiellen Recht. Was die Begriffsbestimmung der F a h r ­ l ä s s i g k e i t anlangt, § 375, so habe ich, wie schon in der ersten Lesung, Bedenken gegen den Ausdruck „Sorgfalt". Ich würde „Vorsicht" an die Stelle von „Sorgfalt" setzen. D as Wesen der Fahrlässigkeit be­ steht in der Unbedachtsamkeit, im Unvorsichtigsein. M an kann unvorsichtig sein, obschon man unter Um­ ständen außerordentliche Aufmerksamkeit an den Tag legt, weil man vielleicht das ganze Unternehmen nicht hätte ausführen dürfen, auch wenn man es noch so sorgfältig durchführt. Die Unvorsichtigkeit besteht eben darin, daß man das Unternehmen überhaupt in die Wege leitet.

§ 377 ist weiter nichts als die Weiterentwicklung des Vorsatzbegrisfes. Der Irrtu m als solcher ist über­ haupt nicht selbständig, sondern ist nichts anderes alsdie Nutzanwendung des Begriffs des Vorsatzes für den Fall, daß irgendwelche unrichtigen Vorstellungen in der Seele des Täters wirksam waren. Ob man den ganzen § 377 streichen soll oder nur Absatz 1, kann zweifelhaft sein. Absatz 1 würde ich unbedingt streichen. Absatz 2 könnte man, glaube ich, aufrechterhalten,, aber nur unter dem Gesichtspunkt: „S uperflua non. nocent". Ich käme bei der Auslegung zwanglos zn demselben praktischen Ergebnis, auch wenn man den ganzen § 377 herausnähme. § 377 Abs. 1 muß unbe­ dingt fallen, weil er weiter nichts enthält als eine Umkehrung des Vorsatzbegrisfes. Dagegen kann man Absatz 2 deshalb halten, weil er eine Weiterentwick­ lung des Vorsatzbegrifses auf einen speziellen F a lt enthält, der bisher zu einer Reihe von Kontroversen geführt hat, so daß es ganz gut ist, wenn man durch Beibehalten des § 377 Abs. 2 diese Kontroversen itt Zukunst von vornherein abschneidet.

Soll Abs. 4 des § 375 mit Abs. 3 zusammengespannt werden? Hier ist grundsätzlich zu sagen: W ir unterscheiden die S a c h sahrlässigkeit und die R echtsfahrlässigkeit. Bei der Sachfahrlässigkeit handelt es sich um einen Irrtu m über den Tatbestands über die Tatbestandsmäßigkeit der Handlung. Alle Elemente, die zum Tatbestand im engeren S in n e gehören, machen den In h a lt der Sachfahrlässigkeit aus. Die Rechtssahrlässigkeit betrifft dagegen den I r r ­ tum über die Rechtswidrigkeit des Vorgangs. Ber Irrtu m über die Tatbestandsmäßigkeit werden die strafbaren Fahrlässigkeitssälle im Besonderen T eit ausdrücklich formuliert. Auf den Irrtu m über die Rechtssahrlässigkeit finden diese Fahrlässigkeitstat­ bestände des Besonderen Teils ebenfalls Anwendung; darüber hinaus aber werden alle davon nicht ge­ troffenen Fälle unter die besondere Strafdrohung, des § 375 Abs. 4 gestellt. Daß wir diese Bestimmung in den Allgemeinen Teil stellen müssen, scheint mir selbstverständlich zu sein; denn ich wüßte nicht, wo man sie im Besonderen Teil irgendwie vertretbar unterbringen könnte. Esgeht ja um eine Regelung, welche gleichmäßig für sämtliche Verbrechen zur Anwendung kommen muß. Die Frage des § 376 kann erst endgültig ent­ schieden werden, wenn der Besondere Teil vorliegt. Stellen wir Erfolgsfälle in dem Sinne auf, daß ber Tatbestand durch einen bestimmten Erfolg qualifiziert wird, dann brauchen wir den § 376 unbedingt.

Professor Dr. Dahm: Herr Staatssekretär Dr. Freister und Herr Vize­ präsident G rau haben meiner Auffassung nach über­ zeugend dargelegt, daß die Fassung des zweiten Abschnittes den Grundgedanken, den wir zum Aus­ druck bringen wollen, nicht hinreichend hervortreten läßt und daß es notwendig ist, den zweiten Abschnitt neu zu fassen. Ich würde diesem Abschnitt die Über­ schrift „Die Schuld" geben und dann den ersten und Len zweiten Titel umstellen; dadurch wird vermieden, daß dieser Abschnitt mit Bestimmungen über solche Fälle beginnt, in denen die Schuld entfällt. Zunächst brauchen w ir eine p o s i t i v e Bestimmung der Schuld. Diesen — den jetzigen zweiten — Titel würde ich „Der Wille als Grundlage der Bestrafung" über­ schreiben. Dagegen könnte man allerdings einwenden, daß wir ja auch die Fahrlässigkeit bestrafen wollen. Ich halte diese Bedenken aber nicht für durchschlagend, weil die Fahrlässigkeit doch auch eine Art Willens­ schuld ist, nämlich ein Mangel der Willensanspannung, Gleichgültigkeit und Lässigkeit. Dann kämen „Die Bestimmungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit". Wenn auch die Fahrlässigkeit als Willensmangel erscheint, so liegt es doch in der Kon­ sequenz des Willensstrasrechts, daß Vorsatz und F ah r­ lässigkeit voneinander abgehoben werden, und daß in der Bewertung der Vorsatz stark hervortritt. Ich würde es also für richtig halten, wenn man im § 372 sagte: „Bestraft wird ein vorsätzliches Verhalten", also den Hinweis auf die Fahrlässigkeit zunächst wegließe. § 372 Abs. 2 würde ich streichen, § 372 Abs. 3 aber stehen lassen. Wie ist nun der Vorsatz zu bestimmen? Da scheint mir allerdings das Wesentliche im § 373 enthalten zu sein, nämlich die Hervorhebung des Unrechtsbe­ wußtseins. Ich bin also grundsätzlich anderer Meinung als Herr Senatspräsident Klee. D as Be­ wußtsein des Unrechts hat für uns heute selbstver­ ständlich eine ganz andere Bedeutung als das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit im Strafrechtsdenken der Aufklärung. Uns leitet nicht die Erwägung, daß der Täter durch das Gesetz gewarnt sein muß, sondern die Überlegung, daß die Schuld ihrem Wesen nach eine bewußte Auflehnung gegen die Gemeinschaft bedeutet. Die Ansicht des Herrn Senatspräsidenten Klee entspricht einem objektivistischen Strafrecht und steht im Gegensatz zum Willensstrasrecht. D as ist faschistisch, aber nicht nationalsozialistisch gedacht. Nach faschistischer Auffassung richtet sich das Ver­ brechen gegen eine statische, objektive, autoritäre Ordnung, während es nach völkischer und national­ sozialistischer Auffassung die bewußte Auflehnung gegen das innere Gesetz der Gemeinschaft bedeutet. F ü r diese Auffassung ist das Unrechtsbewußtsein das eigentlich Entscheidende. Darauf muß alles bezogen werden. Damit wird die Scheidung von Tatsachen­ irrtum und Rechtsirrtum hinfällig. Der Umstand, daß der Täter eine Tatsache verkannt hat, ist als s o l ch e ganz gleichgültig. Dieser Irrtu m ist nur als Anzeichen dafür bedeutsam, daß der Täter sich nicht bewußt gegen die Gemeinschaft hat stellen wollen. Die

Scheidung von Tatsachenirrtum und Rechtsirrtum ist ja auch erkenntnistheoretisch sehr fragwürdig und hält, wie gerade die modernen methodologischen Erörte­ rungen über die normativen Tatbestandsmerkmale gezeigt haben, einer wirklich kritischen Betrachtung nicht stand. Die Umschreibung des dolus eventualis halte ich für glücklich. Die Worte „mit Wissen und Willen" bringen den wesentlichen Gesichtspunkt deutlich zum Ausdruck. Dagegen muß die schwerfällige Wendung „Verwirklichung des Tatbestandes" aus § 373 ver­ schwinden. Ich möchte hier nicht die Bedenken er­ örtern, die der Verwendung des Tatbestandsbegrisfs überhaupt entgegenstehen. Aber schon aus sprachlichen Gründen sollte man etwa sagen: „Wenn der Täter die T at in Kauf nimmt" oder vielleicht „den Erfolg in Kauf nimmt" oder ähnlich. I m Gegensatz zum Herrn Grafen Gleispach würde ich in der Fahrlässigkeitsbestimmung nicht von der „pflichtgemäßen Sorgfalt" sprechen. D as genügt nicht. Es besteht heute bekanntlich ein Gegensatz zwischen dem Begriff der Fahrlässigkeit im sogenannten bürgerlichen Recht und der strafrechtlichen F ahr­ lässigkeit. I m Zivilrecht genügt der Verstoß gegen die allgemeine Sorgfaltspslicht, während im S tra f­ recht ein individueller Maßstab anzulegen, der Täter also nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Eigen­ schaften zu beurteilen ist. I n der ein wenig umständ­ licheren Formulierung, die wir in der Anmerkung 1 auf Seite 85 des vorliegenden Entwurfs finden, kommt das deutlicher zum Ausdruck. Die Formu­ lierung „pflichtgemäße Sorgfalt" läßt dagegen alles offen. Nun endlich die Rechtssahrlässigkeit! M an hat über § 375 Abs. 4 bisher mehr als Formulierungs­ problem gesprochen. Ich möchte aber noch einmal die Frage auswerfen, ob wir diese Bestimmung eigentlich brauchen. Würde es nicht genügen, wenn wir sagen: „F ü r den Fall, daß der Täter nicht das Bewußtsein des Unrechts gehabt, aber die Rechtswidrigkeit fahr­ lässig verkannt hat, sind die Regeln über die Be­ strafung der Fahrlässigkeit anwendbar"? Das würde bedeuten, daß keine Bestrafung in den Fällen eintritt, in denen die Fahrlässigkeit nicht bestraft wird. D as scheint mir aber auch gar nicht notwendig zu sein. Wenn wir hier die Rechtsfahrlässigkeit als delictum sui generis besonders erwähnen, um die Fälle zu erfassen, in denen die Fahrlässigkeit sonst nicht bestraft wird, so scheint mir das reichlich doktrinär. Ich würde also den § 375 Abs. 4 einfach streichen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr Professor Dahm, darf ich einmal einen F all zur Debatte stellen, der hier von Interesse wäre! Angenommen, es müssen in einer S tad t aus irgend einem Grunde eine Anzahl von Geistlichen verhaftet werden. Dies erregt Aufsehen, und es bilden sich Menschenmengen, die singend durch die Straßen der S tad t ziehen und ihren Protest gegen diese Verhaf­ tung zum Ausdruck bringen. Gesetzt den Fall, dieser Auszug wäre als strafbare Handlung zu bewerten, es

wäre etwa Landfriedensbruch oder dergleichen anzu­ nehmen, wie würde sich dieser Fall in Ih re n Augen mit dem Bewußtsein des Unrechts qualifizieren? Professor Dr. Dahm: E s würde also doch darauf ankommen, daß die T äter das Bewußtsein des Unrechts hatten, also das Bewußtsein, sich gegen die Volksgemeinschaft zu richten. E s wäre in diesem Falle, den man sich natürlich konkreter ausmalen müßte — es gibt hier, glaube ich, Grenzfälle — , zu prüfen, ob die Voraus­ setzungen des § 373 Abs. 3 erfüllt sind. E s gibt eine Form des religiösen Überzeugungsverbrechens, die zweifellos unter § 373 Abs. 3 fällt. Sollten die Täter aber das Gefühl gehabt haben, mit ihrer Demon­ stration das letzte M ittel anzuwenden, um ein Unrecht abzuwenden, dann wäre ich allerdings der Meinung, daß kein Vorsatz vorliegt und daß freizusprechen wäre. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Auch wenn S ie wüßten, daß sie gegen das Gesetz verstoßen haben? (Professor D r. Dahm: J a , auch dann!) — Dann nähern wir uns sehr stark der so sehr ver­ worfenen Lehre des Überzeugungstäters. Professor Dr. Dahm: Aber gerade für den Fall des religiösen Ver­ brechers, des Delinquenten aus religiösen Motiven ist sehr sorgfältig die Voraussetzung des § 373 Abs. 3 zu prüfen. E s gibt Fälle, in denen die Vertretung der religiösen Überzeugung zu Geboten der Volks­ gemeinschaft in Widerspruch gerät, so daß dieser I r r ­ tum dann nicht mehr beachtlich wäre. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn ein solcher Aufzug mit allem, was drum und dran ist, geradezu als Ausdruck des Volkswillens aufgefaßt wird, dann würde der schönste Landfriedens­ bruch straflos sein. D am it kommen w ir nicht durch. M ir wird sehr unheimlich, wenn wir die Sache so subjektiv stellen, daß es im letzten Ende aus den inneren Richter ankommt, ob die Schuld da ist oder nicht, falls diese Diskriminierung, diese Disqualifi­ zierung des Gesetzes zu fleißig geübt wird. Professor Dr. Dahm: Ich kann mir kaum Fälle denken, in denen das Gefühl, einen Landfriedensbruch begehen zu dürfen, nicht unter § 373 Abs. 3 fiele. Gesunde Volks­ anschauung ist kein empirischer Begriff, sondern ein normativer Begriff, und maßgebend dafür ist eine bestimmte Überzeugung über das Rangverhältnis von S ta a t und Kirche, von Volksgemeinschaft und Kirche, die eine solche Anschauung dann nicht mehr zuließe. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Gesunde Volksanschauung ist die Anschauung der anständigen Leute, vielleicht gar nicht der Mehr­ heit des Volkes. Gesunde Bolksanschauung bezogen auf einen Quantitätsbegrisf halte ich nicht für mög­ lich. Ich möchte bloß meiner Überzeugung Aus­

druck geben wegen der Ufer, an denen wir landen, wenn w ir vom Gesetz und von der Gesetzesverletzung hier gar nichts sagen, sondern rein abstellen aus das Bewußtsein, Unrecht zu tun, und dieses Bewußtsein oder, besser gesagt, dieses Unrecht dann messen wollen an der gesunden Volksanschauung. Ich sehe da un­ geheuer große Gefahren, und zwar vom Standpunkt der Ordnung, der Sicherheit usw. Es hat das S tra f­ recht doch auch das zu berücksichtigen, daß es ein M ittel ist, die Ordnung und die Sicherheit der Volks­ gemeinschaft usw. zu befestigen und zu erhalten. E s ist kein Zufall, daß ich dieses Beispiel jetzt gebe; denn gerade an diesem Beispiel exerzieren wir in diesem Hause täglich die Anwendung dieser Bestimmungen, auch wenn sie noch nicht erlassen sind. Ich wäre sehr dankbar, wenn die Herren diesen Punkt sehr ernst nehmen würden. Herr Vizepräsident Grau, der aus der P raxis stammt, hat vorhin schon gesagt, daß er den Gesetzesbruch mindestens als einen Anwendüngsfall des Unrechts gelten lasten will. Aber ihn über­ haupt gar nicht zu erwähnen, scheint mir ein bißchen zu weit zu gehen. Professor D r. Dahm: Ich glaube, mir würde die Sache keine allzu großen Schwierigkeiten machen. Wenn die Teil­ nehmer an dieser Demonstration sich weigerten aus­ einanderzugehen, oder wenn sie Landfriedensbruch begehen würden, würde ich ohne weiteres sagen: Die T äter setzen sich in Widerspruch vielleicht nicht mit der Meinung der Volksmenge dort, aber mit der gesunden Volksanschauung. Ich gebe zu, daß es sehr schwierige Grenzfälle gibt, und daß man vielleicht den Hinweis auf das Gesetz nicht entbehren kann. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist das, worum ich werben möchte. Auch die praktische Handhabe ist dann eine leichtere. Ministerialdirektor Schäfer: Vielleicht gehört in den Zusammenhang auch die Frage, ob kriminalpolitisch die Streichung des Ab­ satz 4 in § 375 erträglich ist. D as ist die Frage der Rechtsfahrlässigkeit. Wenn es in dem Zusammenhang nicht stört, möchte ich gern ein paar Worte dazu sagen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wollen wir zunächst zurückstellen.) Professor D r. Graf Gleispach: Wenn ich zu der Frage Stellung nehmen darf, die als letzte aufgeworfen wurde, so habe ich das Unrechtsbewußtsein als Vorsatzbestandteil mit einigem Nachdruck hier vertreten. Trotzdem ist mir nicht einen Augenblick unklar, daß dieser Schuldbestandteil durch das Bewußtsein, gegen das Gesetz zu handeln, erfüllt sein muß; sonst sprengen wir in der T at mit dieser Jrrtum sregel das ganze Strafgesetzbuch. Die wesent­ liche Veränderung gegenüber der früheren Auffassung besteht darin, daß wir nicht das Gesetz als einzige Quelle des Rechts anerkennen, aber nicht umgekehrt darin, daß der Vorsatz fehlen könne, obwohl das Be-

wußtsein, gegen das Gesetz zu handeln, vorhanden ist. Sonst kommen wir in der T at in einen unerträglichen Individualism us. D as Gesetz ist nicht die einzige Quelle, aber doch eine Rechtsquelle und erscheint uns als Verkörperung des Führerwillens. Wer also wissentlich dagegen verstößt, kann nicht seine Meinung, trotzdem nicht Unrecht zu tun, zum Durchbruch bringen wollen, oder es kann nicht richtig sein, ihn freizusprechen. Ich glaube, daß abgesehen von den Fallen rein formalen Unrechts im Text das Gesetz — hier das Bewußtsein, gegen das Gesetz zu handeln — erhalten bleiben muß. Wenn ich zu den anderen Punkten noch kurz sprechen darf, die in der Debatte aufgetaucht sind, so würde ich etwa einer Systematik, wie Herr Kollege Dahm sie vorgeschlagen hat, durchaus zustimmen können. Ich habe auch immer die Auffassung ver­ treten, daß auch die Fahrlässigkeit eine Willensschuld sei. Ich würde es damit auch für richtig finden, sie nicht, wie es hier von Herrn Vizepräsidenten Grau gesagt wurde, als Ausnahme hinzustellen. Ich bin ganz einverstanden damit, sie vom Vorsatz etwas zu distanzieren; aber die Fahrlässigkeitshastung als Aus­ nahme vom Standpunkt des Willensstrafrechts an­ zusehen, würde ich für eine Übertreibung des Ge­ dankens halten, der uns leiten soll. Die Fahrlässig­ keitshaftung erscheint mir aus mehreren Gründen auch als Bestandteil eines nationalsozialistischen Strafrechts als sehr wichtig. S ie spielt heute eine große Rolle und ist ein Mittel, um schwere Schädi­ gungen der Volksgemeinschaft hintanzuhalten, so bei den Angriffen auf die öffentliche Gesundheit. Einen zweiten Gesichtspunkt möchte ich nur kurz andeuten, aber ich habe den Eindruck, als ob es sich tatsächlich so verhält, daß eine kriminelle Einstellung in breiten Schichten des Volkes sich überwiegend in Vorsatzde­ likten äußert, in den begüterten Schichten der Gesell­ schaft aber in der Schuldform der Fahrlässigkeit. E s würde viel zu weit führen, das hier näher auszu­ führen, und ich würde selbst nicht imstande sein, die Gründe dafür abschließend aufzuzeigen, aber es ist meine feste Überzeugung, daß es so ist. Wer mit Gütern reich ausgestattet ist, wird viele Formen vor­ sätzlicher krimineller Betätigung, zu denen der Besitz­ lose gedrängt wird, nicht notwendig haben, um seinen egoistischen Neigungen zu folgen, und seine krimi­ nellen Anlagen äußern sich dann in fahrlässigem Ver­ halten, das mir aber gerade bei dem, der mit den sogenannten Glücksgütern reich ausgestattet ist, um so strafwürdiger erscheint, ohne daß man das dem Vor­ satz gleichstellen will. Darum soll gerade ein national­ sozialistisches Strafrecht die Fahrlässigkeit nicht ver­ nachlässigen oder nur als ein Anhängsel betrachten, das man gerade nur duldet, weil es sich vielfach hier darum handelt, die breite Masse des Volkes gegen einen gewissen Übermut, einen unberechtigten Herren­ standpunkt, eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Wohl und Wehe anderer zu schützen. Daß also die Fahrlässigkeit auch in der Systematik gegenüber dem Vorsatz etwas zurücktritt, ist gerechtfertigt. Mehr aber würde ich nicht für richtig halten.

Zur Systematik möchte ich noch sagen: Ich würde sehr damit einverstanden sein, wenn man den Willen a ls Grundlage der Bestrafung in den Vordergrund stellen und an die zweite Stelle die Schuldunfähigkeit als eine Ausnahmeerscheinung rücken würde, die nur in besonderen Fällen zu beachten ist. Was den Einzelinhalt des zweiten Titels „Schuld­ form" betrifft, so gewinnt der § 372 durch den neuen Aufbau schon einen andern In h alt. Bei § 373 wäre es ein Vorzug, wenn es gelänge, den Ausdruck „Ver­ wirklichung des Tatbestandes" zu vermeiden. (Reichsjustizminister D r. Gärtner: I h r Vor­ schlag?) — Heute nachmittag! (Heiterkeit.) Zu den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Freister, daß der direkte Vorsatz von dem Eventual­ vorsatz abzugrenzen sei, weiß ich nicht, ob hier nicht ein kleines Mißverständnis unterlaufen ist. Der Leit­ gedanke in erster Lesung war, eine scharfe Grenze zwischen Vorsatz einschließlich Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit zu ziehen. D as ist eine entscheidende Frage, weil vielfach die Strafbarkeit davon abhängt, und ich glaube, auch Herr Staatssekretär Freister wird Wert daraus legen, daß diese Grenze scharf gezogen wird. D a ist eine gewisse kleine Unstimmigkeit in der Abgrenzung des Eventualvorsatzes gegen die bewußte Fahrlässigkeit zwischen dem Text des E nt­ wurfes und den Ausführungen im „Kommenden Strafrecht". Diese Grenze verläuft nach dem Entwurf ungefähr so, wie wir sie heute ziehen, und ein Be­ dürfnis nach einer Grenzverschiebung scheint mir nicht vorhanden zu sein. Dagegen würde ich mit anderen Herren, die sich dazu geäußert haben, glauben, daß der Wille des Täters als entscheidendes Element der Vorsatzschuld auch in der Begriffsbestimmung des Vorsatzes erhalten bleiben muß. Der Wille ist eben das Wesentliche, und überdies kommen wir sonst in den bekannten S treit zwischen Willens- und Vor­ stellungstheorie. Zum Absatz 3 des § 373 trete ich dafür ein, daß man an dem gegenwärtigen Text festhält, daß nament­ lich das Verhältnis des Irrtu m s zur Einstellung des Täters beibehalten bleibt. Ebensosehr trete ich aber dafür ein, daß diese Jrrtum sregel die einzige ist, die wir überhaupt aufstellen. Mein Gesichtspunkt ist der: Wenn überhaupt ein Irrtu m des Täters anzu­ nehmen ist, was er ebenso gut einwenden kann, wie es der Richter von Amts wegen feststellen kann, so habe ich anzunehmen, die irrige Vorstellung sei richtig. D a kann sich zweierlei ergeben: Bei der irrigen Vor­ stellung als richtig ist die Strafbarkeit in Frage ge­ stellt, oder dieser Irrtu m hat nur Einfluß auf den Strafsatz. Diese beiden Dinge trenne ich vollkommen. Der Irrtu m über Umstände, die den Strafsatz, sei es strafschärfend oder strafmildernd, beeinflussen, soll nach meinem Vorschlag in § 377 abschließend behandelt werden. E s bleibt der wichtigere Irrtu m über irgend­ einen Umstand, gleichviel welcher Art, der die S tra f­ barkeit berührt oder in Frage stellt. Da begegne ich mich völlig mit den ausgezeichneten Ausführungen

des Herrn Kollegen Dahm. E s kommt für uns nur darauf an, ob dieser Irrtu m die Frage: Recht oder Unrecht? tangiert oder nicht. Ob das ein Irrtu m über ein Tatbestandsmerkmal oder die irrige Vor­ stellung eines Rechtsertigungsgrundes oder ein sogenannter reiner Rechtsirrtum ist, ist uns künftig ganz gleichgültig, sondern das Gesetz sagt: Das Bewußtsein, Unrecht zu tun, gehört zum Vorsatz. Wenn irgendein Irrtu m unterläuft, ist jetzt nur zu fragen: Wenn das richtig ist, was der Täter sich vor­ stellt, würde dann die T at nicht strafbar sein? Das bedeutet: D as Bewußtsein, Unrecht zu tun, ist in Frage gestellt oder nicht. Nur unter diesem Gesichts­ punkt des normativen Schuldelements ist der Irrtu m von Bedeutung. Wenn es ein Tatbestandsirrtum ist, hat der T äter überhaupt die T a t nicht mit Wissen und Willen begangen; dann würde ich auch in den Fällen, die Herr Kollege Kohlrausch angeführt hat — der T äter glaubt irrigerweise, es handle sich um seine Sache —, meinen, er hat die T at nicht mit Wissen und Willen begangen und ist daher nicht straf­ bar gerade so wie in anderen Fällen. Sonst kommen wir wieder in die schwierige Unterscheidung zwischen T atirrtum und Rechtsirrtum. Entweder ist das psychologische Moment des Vorsatzes nicht vorhanden, oder der Tatbestand wird nicht vom Vorsatz umfaßt oder das Unrecht der T at nicht erkannt. (Reichsjustizminister D r. G ürtner: Wenn er es nun schuldhaft nicht erkannt hat!) — Wenn ich sage, er hat es nicht erkannt, aber hätte es erkennen können, dann ist die Bestrafung auch ge­ sichert, wenn wir eine Strafdrohung für fahrlässiges Verhalten auch für solche Fälle haben. W ir haben sie in den Absatz 3 und 4 der jetzigen Numerierung besonders aufgenommen, weil man gesagt hat: Der Standpunkt „fahrlässige Unkenntnis des Unrechts wird bestraft" genügt nicht, weil die Fahrlässigkeitshaftung auf ein relativ enges Gebiet beschränkt ist. E s gehe nicht an, immer dann, wenn der Täter das Unrecht der T at nicht erkannt hat, man ihm das aber zum Vorwurf machen kann, ihn straflos zu lassen, wenn wir keine Strafdrohung gegen fahrlässiges Verhalten haben. Das ist der Entstehungsgrund für Absatz 3 und 4 des § 375. Nun ist allerdings die Meinung geäußert, das sei eine zu ängstliche Auf­ fassung, man könne auf die Bestrafung des Täters in allen diesen Fällen ruhig verzichten. Ich übersehe das im Augenblick nicht so genau; man müßte das unter dem Gesichtspunkt durchprüfen: Wo steht überall dem Vorsatzdelikt eine Fahrläffigkeitshaftung gegenüber? M an muß sich aber jetzt schon darüber klar sein, daß für das ganze Gebiet des Vermögensstrafrechts, aber auch für sehr große Teile von Angriffen gegen die staatliche Autorität Fahrläffigkeitshaftung nicht be­ steht. Wenn wir hier sagen: Du hast das Unrecht nicht erkannt, hättest es aber pflichtgemäß erkennen können, würde der M ann straflos bleiben, und ich würde heute nicht wagen, zu sagen, das könne man in Kauf nehmen, zumal die Fahrläffigkeitshaftung im Ent­ wurf keine große Ausdehnung besitzt. Die Regel ist bloß Vorsatzhaftung. Ohne neuerliche Prüfung würde

ich auf diese subsidiäre Haftung wegen sogenannter Rechtsfahrläffigkeit nicht verzichten können. Ich möchte noch nachholen, daß ich eine Verbefferung nicht darin sehen kann, wenn man dem Vorschlage Freisler zu § 373 Abs. 3 zustimmt, nämlich: D er Einwand ist nicht zu hören. D as scheint mir zu zivilprozessual formuliert. W ir stehen doch auf dem Standpunkt, daß der Richter die Frage der Strafbarkeit völlig von Amts wegen zu prüfen hat. E s ist weiter ein Irrtu m anzunehmen, daß durch diese Fassung die Prüfung des Irrtu m s überhaupt abge­ schnitten würde. Wenn ich mich auf den Standpunkt stelle, es kommt darauf an, ob ein Einwand zu hören ist oder nicht, kann ich die Entscheidung: Der E in­ wand ist nicht zu hören, immer erst dann fällen, wenn ich untersucht habe, ob der In h a lt dieses Einwandes mit der Einstellung eines rechtlich denkenden M annes vereinbar ist oder nicht. Um diese Prüfung komme ich nicht herum. Der Richter kann nicht von vornherein sagen: Den Einwand höre ich nicht, sondern muß untersuchen, ob der Irrtu m , wenn er ihn als wirklich vorhanden annimmt, mit einer Einstellung des Täters zu vereinbaren ist, die der gesunden Volks­ anschauung über Recht oder Unrecht entspricht. Ich glaube, eine Erleichterung oder Vereinfachung wird dadurch in der Praxis nicht erzielt, aber der Gedanke doch etwas verschoben. Der Satz: E s kommt auf die Einstellung des Täters an, aus der dieser Irrtu m erklärlich ist, scheint mir ganz entscbeidend für Liese Regelung überhaupt. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Die Herren haben die Fassung vor sich liegen, die die Abteilung für den Vorsatzparagraphen vorge­ schlagen hat. Ich halte diese Fassung sprachlich für etwas besser als unseren gedruckten Entwurf. S ie lautet: „Vorsätzlich handelt, wer die T at mit Wissen und Willen begeht" — aus diesen Stabreim möchte ich unter keinen Umständen verzichten — „und sich dabei bewußt ist, Unrecht zu tun oder gegen ein Gesetz zu verstoßen. Vorsätzlich handelt auch, wer es zwar nur für möglich hält, aber doch in Kauf nimmt, daß vc den Tatbestand verwirklicht und Unrecht tut oder gegen ein Gesetz verstößt". E s ist, ich glaube vom Ministerium Heß, eingewendet worden, daß der Ausdruck „in Kauf nimmt" nicht genehm und nicht richtig wäre. Ich habe ihn eigentlich für plastisch und gut gehalten. Dann steht dort auch die furchtbare Zusammenstellung von „Verwirklichung des T a t­ bestandes". D a wir heute nachmittag den Verbesse­ rungsvorschlag erwarten dürfen, brauchen wir jetzt nicht darüber zu sprechen. Ich meine aber doch, daß diese Fassung eigentlich recht gut wäre, wenn man bei der Grundlage bleiben will, die wir jetzt haben. Professor D r. Mrzger: I n der grundsätzlichen Einstellung stimme ich durchaus dem zu, was der Entwurf bringt und was Herr Kollege Gras Gleispach dazu ausgeführt hat. Ich bin in der Zwischenzeit immer wieder in mancherlei darin bestärkt worden, daß dieser ganze Titel über die Schuldformen ein Schmuckstück des

Entwurfs ist. Ich verzichte deshalb auf weitere grund­ sätzliche Ausführungen, die nur diese Überein­ stimmung unterstreichen könnten. Nur ein paar Einzelheiten mögen noch angemerkt sein. Die Fassung des § 373 in dem Sachbearbeiter­ antrag B 26 halte ich für einen Fortschritt, weil darin Tatseite und Rechtsseite gemeinsam geregelt werden. W as den Überzeugungsverbrecher anlangt, so wird ihm die Praxis ohne jede Schwierigkeit mit § 373 Abs. 3 begegnen können, dessen Fassung ich gleichfalls für sehr glücklich halte. I m Gegensatz zu Herrn Kollegen Dahm möchte ich mich aber für die Beibehaltung des Wortes „Gesetz" in Absatz 1 des § 373 aussprechen. Denn mit diesem Wort kommt der Gedanke zum Ausdruck, der auch zum Ausdruck gebracht werden soll: Wenn der T äter weiß, daß durch das Gesetz eine Frage entschieden ist, darf es für ihn keine Berufung darauf geben, er habe ange­ nommen, das Gesetz stelle ein Unrecht dar. D as Gesetz ist ein Befehl, der für den Täter maßgebend ist. Ich bin also für die Beibehaltung der, wie mir scheint, sehr glücklichen Fassung: „Unrecht zu tun oder gegen ein Gesetz zu verstoßen". W as die Fahrlässigkeit in § 375 anlangt, so ist die in der Anmerkung vorgesehene Fassung mit ihrer Unterscheidung von bewußter und unbewußter F ah r­ lässigkeit die richtigere gegenüber der des Textes, weil in der Fassung des letzteren die erforderliche Be­ ziehung aus den Erfolg fehlt. Auch die Haftung für Fahrlässigkeit ist eine Haftung für Willenssehler und fällt daher nicht aus dem Rahmen des Willensstrasrechts. Es ist der Vorwurf der Gleichgültigkeit des Willens, der hier erhoben wird. I n Übereinstimmung mit Herrn Kollegen Dahm halte ich es für erwägenswert, den letzten Absatz in § 375 an dieser Stelle (allgemeines Rechtsfahrlässigkeitsdelikt) zu streichen. E r war seinerzeit aufge­ nommen worden, um gewissen Bedenken gegen den Übergang zum materiellen Vorsatzbegriss zu begegnen. Sachliche Voraussetzung für die Streichung ist aller­ dings der Vorbehalt, daß bei e i n z e l n e n Delikten noch genauer geprüft wird, inwieweit dort die Rechtsfahrlässigkeit eine Rolle spielt, damit sie bejahendenfalls, wo ein Bedürfnis besteht, besonders unter S trafe gestellt wird. Ein solches Vorgehen hätte den Vorteil, daß die Strafdrohung im Allge­ meinen Teil wegfällt. Auf keinen F all kann dagegen dem gelegentlich aufgetauchten Vorschlag näherge­ treten werden, daß die Strafe in § 373 Abs. 4 des Entwurfs an die Borsatzstrafe, wenn auch mit Milde­ rungen, angeschlossen wird. Denn damit würde der vortreffliche Grundgedanke des Entwurfs am Ende wieder zerstört. Den Absatz 2 des § 377 würde ich beibehalten, damit, wie Herr Kollege Nagler schon hervorgehoben hat, die alte Streitfrage ausgeräumt wird. Ich glaube meinerseits, daß heute schon der Standpunkt, der hier festgelegt wird, der richtige ist und auch künftig der richtige bleibt. Richtiges ausdrücklich zu sagen, wenn es bezweifelt wird, ist kein Unglück.

Endlich noch ein W ort zur Systematik. M ir würde es richtiger erscheinen, die Systematik so zu lassen, wie sie ist. Der erste Titel bringt die (jetzt erfreulicherweise auch ausdrücklich so bezeichnete) Schuldfähigkeit, der zweite Titel die Schuldform. Fehlt jene, so ist von vornherein jede weitere Debatte über die Schuld erledigt, und nur in den übrig­ bleibenden Fällen ist die Schuldform und der etwaige Schuldausschluß überhaupt zu prüfen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Zur Fahrlässigkeit habe ich zwei Bemerkungen zu machen. E s ist vorgeschlagen worden, das Wort „Sorgfalt" mit dem Wort „Vorsicht" zu vertauschen, wobei „Vorsicht" hier wörtlich die Voraussicht sein soll. Ich habe versucht, mir vorzustellen, was das Wort Fahrlässigkeit überhaupt bedeutet. Es kommt von „fahren" und „lassen" her. (Professor Dr. Nagler: Nein. Fahre — und Losigkeit. Fahre heißt Vorsatz; Fahrelosigkeit heißt: ohne Vorsatz. E s wurde ursprünglich mit absque dolo übersetzt. Es ist dasselbe wie Gefährdeheit. D arin ist auch Fahre (dolus) enthalten. M an schwört, daß man ohne dolus handelt.) — Es ist also jetzt noch ein richtiger juristischer Begriff, (Senatspräsident D r. Klee: Ein ganz negativer Begriff!) ohne d o lu s! Nun wurde der Wunsch geäußert, statt „Sorgfalt" „Vorsicht" zu nehmen. Ich weiß nicht, ob das letztere nicht ein etwas engerer Begriff ist. „Sorgfalt" ist ein weiterer Begriff, der sich nicht bloß auf das Vorsehen bezieht, sondern z. B. auch darauf, daß eine Maschine vor der Abfahrt richtig instand gesetzt wird. (Professor Dr. Dahm: „Sorgfalt" hat auch einen stärkeren Willensgehalt als „Vorsicht". Vorsicht ist etwas Intellektuelles, während Sorgfalt etwas Willensmäßiges ist.) Professor Dr. Mezger: Ich bin entschieden Hegen die Vertauschung des Ausdrucks. Der Ausdruck „Sorgfalt" hält an dem Willenscharakter auch der Fahrlässigkeit fest, während der Ausdruck „Vorsicht" an eine verfehlte V or­ stellungstheorie erinnert. Unbeschadet der philologisch­ geschichtlichen Entstehung des Wortes klingt bei der Fahrlässigkeit zweifellos nach dem allgemeinen Sprachgefühl der Gedanke an eine Gleichgültigkeit des W i l l e n s an. D as ist der Kernpunkt der F ah r­ lässigkeitsschuld, und deshalb fügt auch sie sich in das Willensstrafrecht ein. Diesen richtigen Gedanken bringt das W ort „Sorgfalt" viel besser zum Ausdruck als das W ort „Vorsicht". Reichsjustizminister D r. Gürtner: Die Herren haben verschiedentlich versucht, F ah r­ lässigkeit und Vorsatz unter den gemeinsamen Betrach­ tungspunkt des Willensstrafrechts zu bringen, z. B. in

dem einleitenden Satz. Ganz einfach wird das nicht sein. Wir sind zu dieser Konstruktion gezwungen, weil w ir den Willen als Grundlage der Bestrafung aus­ drücklich statuieren -wollen, aber volkstümlich ist diese Auffassung zweifellos nicht. D as ist aber kein Grund, nun nicht zu versuchen, sie im Gesetz irgendwie zum Ausdruck zu bringen. Wenn wir vom Trutzwillen sprechen, von der Auflehnung gegen die Interessen der Volksgemeinschaft, tun wir das immer, ohne daß wir uns dessen in der Vorstellung des vorsätzlichen Ver­ brechens bewußt werden. D as ist meine felsenfeste Überzeugung. Wenn wir jetzt die Fahrlässigkeit allein in den Bereich der Willensbetrachtung bringen, so ist das nicht ganz einfach. Denn derjenige, der fahrlässig handelt, wird auf die Frage „W as hast du denn gewollt?" die Antwort geben: G ar nichts! Ich wollte nach Hause fahren. Ich habe ja gar nicht daran ge­ dacht. — D as ist die Verteidigung des echten fahr­ lässigen Delikts. M an kann es sich auch anders denken, daß also jemand die Bremsen an seinem Auto überhaupt nicht nachsieht und so dahinschludert. Das sind aber schon Grenzsälle, die eine schwere Fahr­ lässigkeit bedeuten. D as echte fahrlässige Delikt wird immer so sein: Ich habe nicht daran gedacht, daß es passieren könnte! Ganz leicht ist es nicht, und volks­ tümlich ist es ganz gewiß nicht; denn dieses Prinzip des Willensstrasrechts paßt eben 100prozentig nur auf das Vorsatzdelikt. W ir wollen aber versuchen, ob es nicht doch gelingt, das in einem Obersatz irgendwie zum Ausdruck zu bringen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich wollte mich zu der schwierigen Frage des un­ entschuldbaren Rechtsirrtums oder der Rechtssahrlässigkeit, wie man es auch nennen kann, äußern, die insbesondere von den Herren Dahm und Mezger angeregt ist, nämlich ob § 375 Abs. 4 gestrichen werden könnte. Ich möchte mich dagegen aussprechen und glaube, daß ganz wichtige kriminalpolitische Ge­ sichtspunkte gegen eine solche Streichung sprechen. Ich erinnere daran, daß das Reichsgericht zu seiner Unterscheidung zwischen zivilem und Strafrechtsirr­ tum aus praktischen Gründen gekommen ist. Das Reichsgericht fürchtete, daß es dem T äter zu schwer nachweisbar sein würde, daß er das Bewußtsein ge­ habt habe, Unrecht zu tun; mit Rücksicht auf diese Beweisschwierigkeiten müsse auf das Unrechtsbewußtsein, auf die Berücksichtigung des , Strafrechtsirrtums verzichtet werden. Herr Senatspräsident Klee ist vor­ hin ganz ähnliche Wege gegangen, indem auch er meint, die Praxis komme nicht durch, wenn man immer verlangt, dem Täter müsse nachgewiesen werden, daß er das Bewußtsein gehabt habe, Unrecht zu tun. Weil diese Beweisschwierigkeiten bestehen, hat man den Begriff der Rechtsfahrläffigkeit einge­ fügt. M an hat gesagt: wenn der T äter nicht gewußt hat, daß er Unrecht tat, dann liegt kein Vorsatz vor, dann wollen wir ihn jedenfalls nicht wegen vorsätz­ lichen Tuns bestrafen. D as ist der Ausgangspunkt. Die andere Seite ist: Wenn der T äter in entschuld­ barem Rechtsirrtum gehandelt hat, wollen wir ihn überhaupt nicht bestrafen, nicht nur nicht wegen vor­

sätzlichen Handelns, sondern überhaupt nicht. Nun bleibt die Mittelklasse übrig: Wenn der T äter in einem Rechtsirrtum gehandelt hat, der unentschuld­ bar, also fahrlässig ist. Wie soll man diesen F all be­ handeln? Wenn man die Tragweite dieser Fälle' beurteilen will, darf man seinen Blick nicht nur auf das Strafgesetzbuch richten, sondern muß in weitestem Umfange auch auf das Nebenstrafrecht blicken. Auf diesem Gebiete liegt die Sache so, daß man nicht mehr gefühlsmäßig sagen kann: Der Täter hat das gewußt, daß das nicht strafbar ist, sondern da wird es in vielen Fällen so liegen, daß man allerdings damit rechnen muß, dem Täter nicht nachweisen zu können, daß er das Bewußtsein gehabt hat, gegen ein Gesetz zu verstoßen, wohl aber sagen kann: D u hättest dich darum kümmern müssen, ob ein S tra f­ gesetz für dieses Gebiet besteht oder nicht, und wenn du es nicht getan hast, mußt du bestraft werden. S o wird die Lage in zahlreichen Strafprozessen in der Praxis sein, und wie steht es dann? Die Bedürfnisse der Volksgemeinschaft und der Strafrechtspflege ver­ langen, daß man den Täter in diesen Fällen strafen muß. Schassen wir keine Vorschrift, wie sie Absatz 4 enthält, so ist die Folge die, daß uns in jedes Nebenstrasgesetz eine Bestimmung hineingeschrieben wird, daß nicht nur die vorsätzliche, sondern auch die fahr­ lässige Begehung bestraft wird. D as wird uns stets von den interessierten Ressorts vorgehalten: Wie steht es, wenn es der Täter nicht gewußt hat? Ich denke an die Devisenordnung und alle möglichen anderen Gesetze. Dieses Problem gilt es zu lösen; mit Rücksicht auf die Notwendigkeit, daß wir auf dem Gebiete des Nebenstrafrechts die Fahrlässigkeitsdelikte weit aus­ dehnen müßten, ist es nötig, eine Strafbestimmung auch für die Fälle zu schassen, in denen sonst die fahr­ lässige Begehung nicht strafbar ist. D as ist der S tan d ­ punkt, der durch alle Entwürfe hindurch in der oder jener Form aus diesem kriminalpolitischen Gesichts­ punkt immer festgehalten worden ist. D as ist, glaube ich, unvermeidlich. Allerdings ist die Folge — ba stimme ich mit Herrn Professor Kohlrausch voll­ kommen überein — , daß hier der eine Eckpunkt ist, an dem auch in Zukunft die Frage zwischen T at­ sachenirrtum und Rechtsirrtum, strafrechtlichem Rechtsirrtum und nichtstrasrechtlichem Rechtsirrtum immer eine Rolle spielen wird. Dieses Problem ist meiner Meinung nach nie gelöst worden und auch nie zu lösen, das wird immer übrigbleiben. W ir können uns nur damit beruhigen, daß wir dieses Problem stark verengert haben, indem wir die Unterscheidung zwischen Tatsachenirrtum und Rechtsirrtum nur auf die Fälle des fahrlässigen Rechtsirrtums beschränkt haben und auch da nur auf diejenigen Fälle, in denen die Fahrlässigkeit nicht mit Strafe bedroht ist. E s ist das letzten Endes das Problem — um an das Bei­ spiel anzuknüpfen, das Herr Professor Kohlrausch an­ geführt hat — , ob bei den Delikten, die von einer fremden Sache sprechen, der Irrtu m über die Fremd­ heit der Sache ein Irrtu m über Tatsachen ist oder ein Rechtsirrtum, ein Zivilrechtsirrtum oder ein Strafrechtsirrtum. Dieses Problem wird ewig be-

nach Absatz 4 Bestrafung wegen Rechtssahrlässigkeit bei allen Delikten, die nur als vorsätzliche strafbar sind, z. B. Diebstahl, Unterschlagung, Urkundenfäl­ schung, eintreten. D as bedeutet, daß das Gebiet der Strafbarkeit dem geltenden Recht gegenüber, wenn man die reichsgerichtliche Unterscheidung der Rechtsirrtumsarten zugrundelegt, ausgedehnt werden würde. Hat jemand sich z. B. bei einer Urkundenfäl­ Senatspräsident Professor Dr. Klee: schung über das Zivilrecht geirrt, so ist er nach E s scheint, als ob ich sozusagen aus verlorenem heutigem Rechtszustand, da sein Vorsatz ausgeschlossen Posten kämpfe; aber ich glaube doch, daß gerade die ist und Urkundenfälschung nur vorsätzlich begangen Debatte M aterial erbracht hat, das ich zur Unter­ werden kann, straflos; nach künftigem Recht wäre er, stützung meiner grundsätzlich abweichenden Stellung­ wenn sein Rechtsirrtum fahrläsiig war, strafbar. D as nahme noch kurz verwerten möchte. Ich möchte an ist ein Ergebnis, auf das die Schöpfer des Unrechts­ das anknüpfen, was hier von Herrn Professor Dahm bewußtseins als Element des Vorsatzes sicher nicht unter Zustimmung von Herrn Grafen Gleispach be­ gefaßt waren. S o zeigt es sich, daß die als veraltet merkt worden ist: daß es gar nicht darauf ankomme, über Bord geworfenen Unterscheidungen des RG. in ob ein Irrtu m tatsächlicher Art ist oder nicht; bedeut­ strafrechtlichen und außerstrafrechtlichen Rechtsirrtum sam sei ein solcher tatsächlicher Irrtu m nur als auf einem Gebiete nicht unbedeutenden Umfangs Symptom des Fehlens des Unrechtsbewußtseins. doch immer eine Rolle spielen werden, wenn man Legt man das zugrunde, dann kann einen § 375 nämlich, um der Anwendung des Absatzes 4 des § 375 Abs. 3 (es soll eigentlich Abs. 2 sein) in Verbindung zu entgehen, in den Fällen des Zivilrechtsirrtums mit Absatz 4 einigermaßen bedenklich stimmen, wo es einen lediglich dem § 373 unterworfenen Tatirrtum heißt: „Fahrlässig handelt auch, wer aus demselben sehen will. Grunde — d. h. aus Mangel an pslichtmäßiger S org­ Auch die Beispiele, die der Herr Minister eben falt — nicht erkennt, daß er Unrecht tut oder gegen angeführt hat, haben mich bedenklich gestimmt gegen ein Gesetz verstößt." Ich behaupte, daß hier im Wege das Unrechtsbewußtsein als Bestandteil des Vorsatzes. des Absatzes 4 der fahrlässige Diebstahl unter Um­ Der Herr Minister hat allerdings die Beispiele in ständen strafbar wird, nämlich dann, wenn der I r r ­ anderer Absicht erwähnt, nämlich in der Absicht, zu tum nach bisheriger Anschauung ein dem tatsächlichen begründen, daß das Bewußtsein, gegen ein Gesetz zu Ir rtu m gleichstehender außerstrafrechtlicher Rechtsirr­ verstoßen, gleichzustellen sei dem Bewußtsein, Unrecht tum ist, wenn der Täter z. B. aus Irrtu m über das zu tun, wofür, wenn man sich aus den Standpunkt Zivilrecht die Fremdheit der Sache nicht erkennt; ja der Vorsatztheorie des Entwurfs stellt, gewiß alles man könnte selbst dann zur Bestrafung wegen fahr­ sprechen würde. Aber ich glaube, daß Leute, die einen lässigen Diebstahls kommen, wenn der Irrtu m ein aufrührerischen Umzug machen, um jemanden aus der tatsächlicher ist, wenn der Täter z. B. seine eigene Haft zu befreien, die sie für unberechtigt halten, sich Sache mit der eines anderen verwechselt. Herr Graf unterUmständen auch darauf berufen könnten, sie hätten Gleispach hat darauf hingewiesen, daß die Bestrafung geglaubt, daß sie dazu die Befugnis hätten, und daher bei Vorliegen eines rein tatsächlichen Irrtu m s schon nicht einmal geglaubt, daß sie damit gegen das daran scheitert, daß nach § 373 die T at, die vorsätz­ Ge s e t z verstießen. Die Bezugnahme auf die gesunde lich mit Wißen und Willen begangen sein müsse, was Volksanschauung würde hier nicht helfen. Man muß im Falle eines rein tatsächlichen Irrtu m s nicht der doch immer von dem Milieu ausgehen, in dem sich F all sei, und daß Absatz 4 des § 375, wonach im die T a t abspielt, wenn man den Maßstab der gesunden Falle der Fahrlässigkeit auch dann, wenn die fahr­ Volksanschauung anlegen will. Dann kommt man lässige Begehung nickt mit Strafe bedroht sei, Strafe gerade in den Fällen, die der Herr Minister angeführt eintreten kann, nur die Fälle des Rechtsirrtums im hat, nicht weiter. D araus folgt für mich, daß es unbe­ Auge habe. Zunächst brauchte ja vom Standpunkt der dingt im Interesse der Aufrechterhaltung der Sicher­ dem Entwurf zugrundegelegten und soeben von den heit und der Autorität der Rechtspflege liegt, auf das Herren Graf Gleispach und Dahm ausdrücklich ver­ Unrechtsbewußtsein als Vorsatzerfordernis zu ver­ zichten. D as Reichsgericht hat allem Ansturm der tretenen Theorie, daß der eine tatsächliche Irrtu m nur dann und insoweit als vorsatzausschließend inter­ Theorie gegenüber wahrhaftig nicht aus Eigensinn, essiere, als dadurch das Unrechtsbewußtsein ausge­ sondern nur unter dem Gesichtspunkt des Bedürf­ schlossen ist, streng genommen von einer mit Wissen nisses der Praxis daran festgehalten, daß Irrtüm er, und Willen begangenen T at beim Borsatz gar nicht die an die Grundlagen der Strafrechtsordnung die Rede zu sein; die erste vorsätzliche T at müßte rühren und die es deshalb als Strafrechtsirrtümer vielmehr lediglich dadurch charakterisiert werden, daß bezeichnet, nicht von irgendwelcher Bedeutung sein die T at mit dem Unrechtsbewußtsein begangen ist. dürfen. Ich verwahre mich schließlich gegen die Unter­ Sodann bleibt es zweifelhaft, ob der Absatz 4 des § 375 sich auch auf die Fälle des einem reinen T a t­ stellung, daß ich hier ein Erfolgsstrafrecht vertrete, irrtum gleichstehenden außerstrafrechtlichen Rechtsirr­ ein zu sehr objektiviertes Strafrecht. Keineswegs! tums bezieht. D a im § 375 ganz allgemein vom Ich sehe den Fortschritt in der Geschichte des S tra f­ Fehlen des Unrechtsbewußtseins die Rede ist, muß rechts darin, daß man allmählich nicht mehr bloß

stehen. Der Absatz kann nicht gestrichen werden, ohne wichtige kriminalpolitische Gesichtspunkte zu gefähr­ den. Auch die Lösung, die Herr Professor Mezger vorgeschlagen hat, daß man im Strafgesetzbuch hier und da ein neues Fahrlässigkeitsdelikt schafft, be­ friedigt nicht; denn die Schwierigkeiten liegen auf dem Gebiete des Nebenstrafrechts.

Ereignisse straft, sondern fragt: Hat der Tater auch gewußt, w as er tat? Hat er erkannt, daß er fremdes Leben, Eigentum angegriffen hat? Diesen Fortschritt betrachte ich als einen psychologischen Fortschritt, als einen Fortschritt in der Erfassung des Handlungs­ begriffes. M an muß dem einzelnen Menschen das Recht des Wissens — wie es Hegel ausdrückt — geben. E r muß wissen, was er tut. Nur dann liegt eine Handlung vor, für die man ihn verantwortlich machen kann. D as hat mit dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gar nichts zu tun! Wenn man das Recht des Wissens anerkennt und als Voraussetzung der Bestrafung fordert, daß der Täter die Bedeutung seiner T at in tatsächlicher Hinsicht voll ersaßt hat, dann kann von einem objektivierten Erfolgsstrafrecht nicht gut die Rede sein. Die Bewertung der Handlung ist allerdings allein Sache der Strafrechtsordnung selbst, dem Individuum ist sie durch das Hegelsche Recht der Objektivität verwehrt. Professor Dr. Kohlrausch: S o glücklich die grundsätzliche Lösung des Schuld­ problems auch ist: in dem letzten Absatz des § 375 sehe ich einen Rückfall in die alte Jrrtumsscholastik. Nehmen w ir einen Fall, der uns bisher Schwierig­ keiten gemacht hat: Einer Haushälterin diktiert die Erblasserin ein Testament und sagt: „Schreibe das für mich und unterschreibe das auch für mich!" Sie wird angeklagt wegen Urkundenfälschung und sagt: „Ich habe dabei nichts Böses gedacht." Hätten wir nun lediglich den § 373, so wäre der Fall, je nach der Persönlichkeit der Täterin, einfach zu entscheiden. Nun kommt aber der letzte Absatz von § 375. Nun müssen wir erstens fragen: Hat die Täterin die Tat mit Wissen und Willen begangen? Die Antwort hängt davon ab, ob sie gewußt hat, daß sie eine Urkunde fälscht. Darüber handelt jene von uns oft herangezogene Reichsgerichtsentscheidung. M an kann mit dem Reichsgericht antworten: „Daß du eine Urkunde fälschst, hast du dann gewußt, wenn du dich nur über, den Begriff der Urkunde, so wie ihn § 267 (künftig § 181) gebraucht, geirrt hast. D ann hast du gewußt, was du tatest, und nur nicht gewußt, daß das strafbar ist, was du tatest; du hast also mit Wissen und Willen die T at des § 182 begangen." Zweitens würden w ir künftig fragen müssen: „Hast du gewußt, daß du dabei Unrecht tust?" Die F rau würde natür­ lich sagen: „Nein!" Zu verneinen wäre wohl auch die dritte Frage: Ob dieser Irrtu m auf einer Ein­ stellung beruhte, die mit der gesunden Volks­ anschauung über Recht und Unrecht unvereinbar ist. Aber nun käme die vierte Frage: „Beruhte dieser dein Irrtu m nicht auf Fahrlässigkeit? Warst du nicht nach den Umständen verpflichtet, dich zu erkundigen, ob man ein Testament für einen anderen unter­ schreiben darf?" Müssen wir sie bejahen, dann müssen w ir strafen aus dem letzten Absatz von § 375 mit dieser Sonderstrase. Wie nun aber, wenn w ir — und dies wäre auch nicht unrichtig — die erste Frage dahin beantworten: „Wenn du geglaubt hast, daß dir die Erblasserin erlauben konnte, mit ihrem Namen zu unterschreiben, dann hast du dich in einem zivilrecht­

lichen Irrtu m befunden, dann hast du die T at über­ haupt nicht mit Wissen und Willen begangen"? D ann erübrigen sich alle weiteren Fragen, dann wird die F rau freigesprochen. Die ganze Misere der Unter­ scheidung von Tatbestandsirrtum und Strasbarkeitsirrtum, von strafrechtlichem und außerstrasrechtlichem Irrtu m ist dann wieder da, die, wenn wir uns auf § 373 beschränken, beseitigt sein würde. Der letzte Absatz von § 375 bedeutet aber, daß uns bei dem kühnen Schritt, den der § 373 tut, selber nicht ganz wohl ist! Herr Ministerialdirektor Schäfer sagt: D as sei unvermeidlich wegen der Gesetze des Nebenstrafrechts. Aber gerade dort war die Misere ganz besonders groß; was das Devisenstrafrecht betrifft, so ist sie erst durch die Verordnung vom 16. Oktober 1934 behoben worden. D as Reichsgericht hat bisher, vor dieser Verordnung, gesagt: „Unkenntnis über den Begriff des Zahlungsmittels schließt den Vorsatz nicht aus; Irrtu m über die Anbietungspflicht schließt ihn aus, letzteres deshalb, weil das die Devisenordnung nicht selber betrifft, sondern eine Durchführungsverord­ nung". Zu dieser ganzen Unterscheidung werden wir wieder genötigt, wenn wir den letzten Absatz des § 375 beibehalten. Herr Ministerialdirektor Schäfer meint, w ir könnten nicht in jedem einzelnen Nebengesetz den Irrtu m besonders behandeln. Beweist nicht aber die Verordnung vom 16. Oktober 1934, daß das doch möglich ist? D ort hat man die Schwierigkeit in einer vernünftigen Weise gelöst. Sollte man nicht künftig in jedem Nebengesetz, wo die Frage eine Rolle spielt, durch einen derartigen Anhangsparagraphen diese Frage lösen können? Ich glaube, das müßte möglich sein. Ich sehe die beste Lösung aller dieser Schwierig­ keiten in dem Vorschlag der Herren Professoren Dahm und Mezger, die ganze Idee der Rechtssahrläffigkeit fallenzulassen. Die Rechtsfahrlässigkeit ist eine der unglücklichsten Ideen, die in das Strafrecht hinein­ getragen wurden. Sie zwingt uns geradezu, das bei­ zubehalten, dessen Beseitigung hier doch erstrebt wird: die Unterscheidung von Tat- und Rechtsirrtum. Jetzt läßt sich immerhin im Rahmen des geltenden Rechts gegen sie ankämpfen. Künftig würde das unmöglich sein. Der Fortschritt, den der § 373 bringt, wäre damit illusorisch, und das Ergebnis wäre eine Legali­ sierung der Scholastik. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich bin, wenn es bei der Vorsatzregelung des Entwurfs bleibt, jedenfalls gegen Streichung des Absatz 4 des § 375. M an hat doch gerade beabsichtigt, ein Sicherheitsventil gegen das Erfordernis des Unrechtsbewußtseins zu schaffen, nämlich dadurch, daß Man unter Umständen auf Rechtsfahrlässigkeit ab­ kommt. Professor D r. Kohlrausch: M it der Streichung auch des Absatzes 3 von § 375 bin ich einverstanden.

Ministerialdirektor Dr. Dürr: Gegen die Streichung der Absätze 3 und 4 des § 375 möchte ich vom Standpunkt der P raxis Wider­ spruch erheben. E s ist doch immerhin Neuland, das w ir betreten, wenn wir in dem vorgesehenen weiten Umfang den Rechtsirrtum berücksichtigen. Ich begrüße das durchaus; aber schon die Beispiele, die der Herr Minister angeführt hat, zeigen, daß man vorsichtig sein muß, und ein Sicherheitsventil ist eben die Möglichkeit, bei unentschuldbarem Rechtsirrtum wegen Fahrläffigkeit strafen zu können. Nun wird gesagt, man könne ja dadurch helfen, daß man weit­ gehend neben der vorsätzlichen Begehung auch die fahrlässige Begehung unter Strafe stellt. E s ist schon darauf hingewiesen worden, daß sich Schwierigkeiten auf dem Gebiete des Nebenstrafrechts ergeben. Aber ich behaupte, daß es auch im Strafgesetzbuch selbst teilweise sehr unschön wäre, wenn man bei T at­ beständen, die jetzt nur auf vorsätzliche Begehung abgestellt sind, die Fahrlässigkeit unter S trafe stellen würde. Der rechtsunkundige Leser würde nicht ver­ stehen, daß das nur geschieht, um die Rechtsfahrlässigfeit treffen zu können. Ich meine auch, daß der Aus­ weg für die Praxis keinen großen Nutzen bieten würde. Im m er wieder wird der Richter zu den Fragen Stellung nehmen müßen, erstens, ob der T äter mit Wißen und Willen den Tatbestand verwirk­ licht hat, und zweitens, ob er sich bewußt war, Unrecht zu tun oder gegen ein Gesetz zu verstoßen. Also die Zweifel, die Herr Professor Kohlrausch vollständig beseitigt haben will, werden, auch wenn wir die Absätze 3 und 4 des § 375 streichen und die Zahl der Fahrlässigkeitsdelikte vermehren, immer wieder in der Praxis auftreten. Ministerialdirektor Schäfer: Ich wollte nur noch ergänzend darstellen, wie ich m ir das Fragenschema praktisch vorstelle, sobald die Jrrtum sfrage im Strafprozeß ausgeworfen wird. Wenn ein Vorsatzdelikt in Frage steht und der T äter sich auf Irrtu m beruft, dann ist zunächst die erste Fragestellung ganz einheitlich: „Hat der T äter sich über das Unrecht seiner T a t^ e irrt? " — ; hier tritt noch keine Aufsplitterung ein. Wird diese Frage bejaht, dann kommt eine Bestrafung wegen Vorsatzes nicht in Frage. Die zweite Fragestellung ist: „Gibt es für diesen Tatbestand in dem Gesetz auch ein Fahrläffigkeitsdelikt?" Is t dies der Fall, dann ist wiederum die Frage ganz einheitlich ohne Aufsplitterung dahin zu stellen: „Hätte er erkennen müßen, daß er unrecht handelt?" Wird die Frage verneint, dann ist er freizusprechen. Wird dagegen die Frage bejaht, dann wird er, wenn ein Fahrlässigkeitsdelikt vorhanden ist, bestraft. B is hierher haben wir noch keine Auf­ splitterung. N ur wenn das Fahrläßigkeitsdelikt fehlt, dann ist jetzt die Frage zu stellen: „Hätte er erkennen müßen, daß er Unrecht tut?" Wird die Frage ver­ neint, dann ist wiederum die Sache zu Ende: er ist freizusprechen. Erst wenn für diesen Fall bejaht wird, daß der Täter hätte erkennen müssen, daß er Unrecht tat, kommt Absatz 4 in Betracht. D ann taucht aller­ dings als letztes Residuum das Problem auf: Is t es

in diesem Fall ein Irrtu m über das Unrecht der T at oder ein Irrtu m über ein Tatbestandsmerkmal? Nur für diesen Fall bleibt wirklich das alte große S tre it­ problem übrig. Hinsichtlich der Lösung dieser S tre it­ frage neige ich dazu, einen Irrtu m über ein T a t­ bestandsmerkmal nicht nur bei reinen tatsächlichen Fragen anzunehmen, also wenn ich verwechsle und dergleichen, sondern auch bei einem Irrtu m über einen Komplexbegrisf. Es bleibt dann nur ein ganz kleiner Rest übrig. S o sehe ich nach der Lösung, wie wir sie bisher gefunden haben, praktisch das Problem an. W ir können ruhig sagen: F ü r den größten Teil der Fälle haben wir die Sache ganz befriedigend gelöst. Zuzugeben ist, daß ein ganz kleiner Rest bleibt. Ich weiß nicht, ob Herr Graf Gleispach mir in dieser Auffassung folgt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Da in manchen Exemplaren durch ein Versehen eine Umstellung der Absätze des § 375 erfolgt ist, möchte ich zur Vermeidung von Irrtü m ern ausdrück­ lich feststellen, daß Herr Professor Kohlrausch den Absatz: Fahrlässig handelt auch, wer aus demselben Grunde nicht erkennt, daß er Unrecht tut oder gegen ein Gesetz verstößt nicht aufheben wollte. Professor Dr. Gras Gleispach: Ich stimme mit dem, was Herr Ministerialdirektor Schäfer vorhin ausgeführt hat, im wesentlichen über­ ein; nur kann ich der Schlußfolgerung nicht beitreten, die er daraus gezogen hat: daß nämlich die von den Herren Dahm und Mezger vorgeschlagene Lösung nicht gangbar wäre. F ü r das Strafgesetzbuch selbst spielt die Frage wohl keine überragende Rolle. Die Strafbarkeit der rechtsfahrläffigen Verwirklichung eines Vorsatztatbestandes steht fest. Vielleicht wäre noch zu prüfen, ob es sich nicht vielleicht empfiehlt, die Strafdrohung zu erweitern. Ministerialdirektor Schäfer sieht, wenn ich ihn recht verstanden habe, die Hauptschwierigkeit in der strafrechtlichen Nebengesetzgebung. Hier weist die Novelle zur Devisenverordnung einen Weg. Nach dieser Novelle zieht rechtssahrlässige Verletzung der Devisen­ vorschriften eine Fahrlässigkeitsstrase nach sich. Nun könnte man die strafrechtliche Nebengesetzgebung auf das Bedürfnis nach einer solchen Regelung hin durch­ prüfen und im Einführungsgesetz darüber eine Be­ stimmung treffen. Technisch schön ist eine solche Lösung zwar nicht, aber bei einem Einführungsgesetz sieht man in der Regel von den Erfordernissen der Ästhetik ab. Die zweckmäßige Lösung zeigt, wie erwähnt, die Novelle zur Devisenverordnung. Ministerialdirektor Schäfer: Die praktische Verwirklichung dieses Vorschlages würde darauf hinauslaufen, daß man in jedes straf­ rechtliche Nebengesetz hineinschreibt: Nicht nur die vorsätzliche, sondern auch die fahrlässige Begehung ist strafbar.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Frage wird also nunmehr zu einer Frage nach der Methode. Nach den Ausführungen Gras von Gleispachs besieht über den In h a lt völlige Klar­ heit; offen bleibt nur die Frage des Ortes: Ob generell im Strafgesetzbuch, oder im Bedürsnissall in den einzelnen Nebengesetzen. (Profeffor Dr. Dahm: Nein, es besteht auch ein sachlicher Gegensatz: Ministerialdirektor Schäfer will die Bestimmung im Strafgesetz­ buch bestehen lasten, während Graf Gleispach eine Beschränkung aus das Nebenstrafrecht wünscht.) — Also Unterbringung nach Bedürfnis. Ich möchte nunmehr das Ergebnis unserer heutigen Debatte kurz zusammenfassen. Die allgemeine Stimmung ist dafür, daß wir den Abschnitt, den wir heute den Zweiten Abschnitt nennen, auch als besonderen Abschnitt einführen und ihm eine Überschrift geben sollen. Als Überschrift wurde vorgeschlagen: „Die Schuld als Grundlage der Bestrafung", gewissermaßen als Gegensatz zum „Recht als Grundlage der Bestrafung". Bei den Unterabschnitten ging die überwiegende Meinung dahin, die „Schuldformen" voranzustellen und die „Schuldfähigkeit" folgen zu lassen. Schwieriger gestaltet sich die Überschrift des heutigen Zweiten Titels. Die Vorschläge „Schuldformen" und „Schuldarten" haben wenig Beifall gefunden. Eine Überschrift für den Zweiten Titel ist bis jetzt eigentlich nicht gefunden. Professor D r. Kohlrausch: Ich habe schriftlich folgenden Antrag eingereicht: Die Gesamtüberschrift lautet: „Die Schuld als Grund­ lage der Bestrafung". Die Untertitel würden lauten: „Die Schuldsähigkeit des T äters"; „Die schuldhafte T at", wobei noch unentschieden ist, welcher der beiden Untertitel voranzustellen ist. Staatssekretär Dr. Freister: M an sollte aus Gründen der Logik die Schuld­ fähigkeit als selbstverständlich voraussetzen, so daß also die Schuldunfähigkeit als Ausnahme, die sie auch ist, klar in Erscheinung träte. Von einer „schuldhaften T at" zu sprechen, halte ich nicht für glücklich. Der Ausdruck könnte mißver­ ständlich sein. Ich schlage den Ausdruck „Die Willens­ schuld" vor. Ich würde nicht davor zurückschrecken, auch durch die Fassung zu zeigen, daß Fahrlässigkeit zwar eine Notwendigkeit ist, aber nicht im Kernpunkt des Strafrechts steht. Ich habe auch nichts dagegen, die Fahrlässigkeit, die in der Ermangelung eines Willens besteht, in einem besonderen Titel zu be­ handeln. Dagegen sollte man davon absehen, der Zurechnungsunfähigkeit und der verminderten Zu­ rechnungsfähigkeit einen besonderen Titel einzu­ räumen. Die zwei Unterabschnitte wären also „Die Willensschuld" und „Die Fahrlässigkeit", wenn man die letztere nicht als Anhängsel, das sie ja ist, be­ handeln will.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Hier zeigt sich, daß bei konsequenter Durchführung des Willensstrafrechts die Behandlung und Einord­ nung der Fahrlässigkeit gewissen Schwierigkeiten be­ gegnet. M an muß sich sozusagen in ein höheres Stockwerk begeben, um den Zusammenhang über­ schauen zu können. Wenn wir das Ganze in Vorsatz und Fahrlässigkeit teilen, dann würde jeder der beiden Abschnitte zwei Paragraphen umfassen. Dann bleibt immer noch die Frage offen: Wie soll der Ober- und Kernsatz lauten, der das grundsätz­ liche Bekenntnis zum Willensstrasrecht aussprechen soll? Mein Wunsch wäre, ihn so zu formulieren, daß er Vorsatz und Fahrlässigkeit umfaßt. Staatssekretär Dr. Freisler: I m Kernpunkt jedes Strafrechts steht die vorsätz­ liche Handlung; ganz besonders gilt dies für ein Willensstrafrecht. Ich würde die Fahrlässigkeit ruhig als Anhängsel auffassen und als solches auch kenn­ zeichnen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist eine stilistische Erleichterung; das Be­ kenntnis zum Willensstrasrecht bezieht sich dann über­ haupt nur aus die vorsätzliche Tat. Offen bleibt aber immer noch die Überschrift für die beiden Unter­ abschnitte Vorsatz und Fahrlässigkeit. (Staatssekretär Dr. Freisler: Dafür würde ich eben „Die Willensschuld" vorschlagen.) — Gegen den Ausdruck „Willensschuld" habe ich eine geradezu schreckhafte Abneigung. „Wissen und Willen" das ist etwas anderes, das ist ein brauchbarer Begriff, ein Edelstein in der Krone unseres S tra f­ rechts. Vizepräsident Grau: Vielleicht könnte man dem gesamten Abschnitt die Überschrift geben: „Der Wille des Täters als Grund­ lage der Bestrafung". Der erste Unterabschnitt hätte dann die Überschrift: „Die Schuld"; der zweite Unter­ abschnitt: „Die Schuldunsähigkeit". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: „Die Schuld" wäre also die Generalüberschrist; die Untertitel wären „Schuldarten" und „Schuldfähigkeit". Profeffor Dr. Kohlrausch: W ir würden uns täuschen, wenn wir glaubten, eine erschöpfende Regelung der Schuldfragen hier schaffen zu können. Wäre es nicht einfacher und be­ scheidener, den Titel, der jetzt die Schuldformen umfaßt, zu überschreiben: „Vorsatz und Fahrlässig­ keit"? Professor Dr. Graf Gleispach: Der Wunsch, den Willen schon in der Titelüber­ schrift erscheinen zu lassen, wird wohl unerfüllt bleiben. Ich erlaube mir folgenden Vorschlag: D er Obertitel wäre „Die Schuld als Grundlage der Be-

strafung". Dann folgen als Untertitel: „Der schuld­ hafte Wille", „Der schuldhafte Willensmangel", „Schuldunfähigkeit", „Schuldausschließung". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Unsere Aufgabe wäre, eine Generalüberschrist über Vorsatz, Fahrlässigkeit, Schuldsähigkeit zu finden. Die Schwierigkeit mit dem Tatbestand des Notstandes wage ich dabei gar nicht zu erwähnen; das ist noch ein sehr dunkler Punkt. Die Frage ist eben zunächst: Kann man Vorsatz und Fahrlässigkeit unter eine gemeinsame Überschrift bringen? M ir scheint, die Aussprache hierüber führt heute nicht mehr weiter. Als Ergebnis der Aussprache darf ich weiter fest­ halten: § 372 soll anders gefaßt werden, weil die Absätze 2 und 3 eine Tautologie darstellen. Zu § 373 hat die Fassung der Sachbearbeiter den meisten Anklang gefunden: Vorsätzlich handelt, wer die T at mit Wissen und Willen begeht und sich dabei bewußt ist oder in Kauf nimmt, Unrecht zu tun oder gegen ein Gesetz zu verstoßen. — Die Frage, ob man den Begriff der Absicht definieren soll, wurde im allgemeinen bejaht. Die Definition des Vorsatzes ist schon aus sprachlichen Gründen notwendig, weil „Vorsatz" nach der Auf­ fassung des Volkes etwas ganz anderes bedeutet. Niemand im Volk stellt sich unter „Vorsatz" „Wissen und Willen" vor. Bezüglich der Fahrlässigkeit, § 375, ging die Stimmung der Kommission dahin, den Begriff auf­ zuspalten. Die Anregung Graf Gleispachs hierzu, die etwas schwerfällig formuliert war, wurde gestrichen. Schwer umkämpft war der letzte Absatz des § 375. Einerseits bestand der Wunsch, den Absatz zu streichen; Lndererseits lag die Anregung des Ministerialdirektors Schäfer vor, hier die generelle Vorschrift zu belassen, um aus alle Fälle gedeckt zu sein. Ich würde vor­ schlagen, § 375 Abs. 4 einstweilen beizubehalten; wir können ihn dann immer noch weglassen, wenn sich das Bedürfnis hierzu herausstellt. § 376 soll bleiben. § 377 fand keine günstige Beurteilung. F ü r die Streichung des Absatzes 1 sprachen sich alle Redner aus. Absatz 2 wurde ver­ schieden beurteilt. Ein Teil der Redner hielt ihn für überflüssig und daher hinfällig. Meine persönliche Auffassung ist, daß wir den ganzen § 377 nicht brauchen. Professor Dr. Graf Gleispach: § 375 Abs. 2 kann an diesem O rt nicht bleiben. Absatz 1 und 3 sprechen von fahrlässigem Handeln; Absatz 2 von leichtfertigem Handeln. D as muß umge­ stellt werden. Bei § 374 wäre es besser, sich mit wissentlichem Handeln zu begnügen. Bon der Absicht braucht hier nicht gesprochen zu werden, überhaupt ist die ganze Gruppe, bei der „Absicht" verlangt wird, überflüssig.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I m Besonderen Teil kommt der Begriff „Absicht" in zwei Formen vor: einmal als „absichtlich", und dann in der Formel: „Wer in der Absicht, sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen . . .". Anders aus­ gedrückt bedeutet das: „Wer zu dem Zweck, sich einen Vermögensvorteil zu beschaffen . . .". Professor Dr. Graf Gleispach: Nach meiner Ansicht würde es genügen, in allen Fällen der „Absicht" den dolus eventualis auszu­ schließen. Diese strengere Haftung ist gerechtfertigt, wenn der Täter um des strafwürdigen Erfolges willen handelt. D as gleiche gilt, wenn er um irgend­ eines anderen Erfolges willen handelt, aber erkennt, daß der strasbedrohte Erfolg unvermeidlich eintritt. Ein zweites Bedenken: W ir haben eine Reihe von Tatbeständen, die zwar nicht die „Absicht" erwähnen, in denen aber der Täter handelt, „um . . .". Hier entsteht die Streitfrage, ob auch diese Fassung als „Absicht" zu deuten ist. Die Frage wird praktisch beispielsweise beim Betrug. Der Täter täuscht nicht, um einen Vermögensvorteil zu haben. E s kann für ihn das Maßgebende vielleicht der Reiz, jemand zu betrügen, d. h. ihn zu täuschen, sein, er will seine Kunst in der Täuschung zeigen. Der eigentliche End­ zweck ist also ein anderer. E r sagt sich: dabei profi­ tiere ich auch 500 RM . D ann wäre er kein Betrüger. D as halte ich für ganz unmöglich. D as Beispiel ist nicht sehr praktisch; es gibt aber andere Beispiele, in denen die Sache schon praktisch werden kann, in denen dem Täter ein anderer Erfolg eigentlich das Entscheidende ist. D as Gesetz sagt aber: Du mußt das tun, um . . . ., und da hätte ich die größten Be­ denken. Dazu kommt noch der Fall des Versuchs, wo die Sache besonders kritisch wird. Professor Dr. Kohlrausch: Ich muß gestehen: F ü r mich ist das nie eine Frage gewesen. E s ist doch so, daß in den Fällen, in denen „um zu" gesagt ist, gemeint ist, daß die menschlichen Motive hintereinander gelagert sind. Ich will etwas erreichen, weil ich dann etwas anderes erreichen will usw. Auf das Endziel kommt es nicht an. Daß es aber in diesem Falle vorkommt, daß jemand einen Bermögensschaden dem anderen zufügen will nicht auch, um dadurch wiederum sich einen Vermögens­ vorteil zu verschaffen, kann ich mir nicht denken, und wenn er das nicht will, ist er auch kein Betrüger. Wenn er das nachher verschenkt usw., ist er auch kein Betrüger. D as ist auch die herrschende Lehre und wird kaum bestritten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir können es an den Tatbeständen einmal prüfen. Ich lese hier folgendes: „Wer ein amtliches Schriftstück, das zur Bekanntmachung öffentlich ange­ schlagen ist, absichtlich zerstört, wird . . . . bestraft". Was heißt das?

Professor Dr. Graf Gleispach: E r tut das, um die Hoheit des S taates usw. dadurch zu treffen, er tut es also nicht bloß vorsätzlich. Staatssekretär Dr. Freister: D as muß geändert werden. (Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Ich weiß nicht, ob das geändert werden muß!) — Wenn er es vorsätzlich tut, ja! Reichsjustizminister Dr. Gärtner: D as glaube ich nicht! Wenn jemand mit einem Fuhrwerk an einer Plakatsäule vorbeifährt und sich ganz nahe daran sieht und das Plakat herunterreißt, es also zerstört, dann ist das keine absichtliche Zer­ störung. Staatssekretär Dr. Freister: E s ist eine vorsätzliche Zerstörung, wenn es nicht durch irgendeinen Notstand oder sonstwie erklärlich ist. Wenn das keine Rolle spielt, muß er bestraft werden. Ministerialdirektor Schäfer: Dann soll wegen Sachbeschädigung bestraft werden, aber nicht wegen dieses speziellen Delikts. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich glaube, daß w ir uns den Zusammenhang so vorgestellt haben. Sonst hätten wir das Wort „absichtlich" nicht gebraucht. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Ich verweise in diesem Zusammenhang auf unsere früheren Erörterungen darüber, ob bei der Störung des Gottesdienstes als innerer Tatbestand Absicht oder Wissentlichkeit gefordert werden soll; das macht für die Abgrenzung der in die Strafbarkeit einbe­ zogenen Fälle einen großen Unterschied.

Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Hier heißt es z. B .: „Wer aus Not betrügt . . Weiter: „Ebenso wird bestraft, wer sich oder einen andern am Körper verletzt oder wissentlich die Folge einer Verletzung verschleiert und dadurch einen Bersicherungsfall vortäuscht". D as würde darauf hinaus­ laufen, daß Sie, Herr Graf Gleispach, der Meinung sind, man kann auf das Wort „absichtlich" überhaupt verzichten. — Aus dem Handgelenk kann man das nicht sagen. Professor Dr. Kohlrausch: D as müssen wir im einzelnen prüfen. Ich denke an den Fall der Hehlerei, wo wir „absichtlich" und „wissentlich" nebeneinander gebraucht haben und in vollem Bewußtsein zweierlei darunter verstehen wollten (§ 332 Abs. 5). Jedenfalls müßten wir die Frage von Fall zu Fall nachprüfen. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: I m allgemeinen habe ich den Eindruck: J e farb­ loser wir das Strafgesetzbuch im Besonderen Teil machen, desto schlechter wird es. Die Ausdrücke: „gewissenlos", „leichtfertig", „absichtlich" scheinen mir zur Belebung durchaus wichtig. Ob wir es frei­ lich hier definieren müssen, ist eine andere Frage. Professor D r. Nagler: Dann sollten wir das W ort „absichtlich" bei der Schuld streichen. W ir haben ja das Wort „Absicht" in verschiedenster Bedeutung bisher gebraucht. (Ministerialdirektor Schäfer: D as wollen wir aber nicht.) Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich würde vorschlagen, den Versuch zu machen, die Worte „absichtlich" und „wissentlich" auch hier zu definieren mit dem Vorbehalt, das W ort „absichtlich" wegzulassen, wenn wir im Besonderen Teil darauf abkämen, diese A rt der Begehung überhaupt nicht zy verwenden. Dann brauchen wir es natürlich nicht.

(Schluß der Sitzung 14 Uhr 25 Minuten.)

Strafrechkskommission

60. Sitzung 27. März 1935 Zweite Lesung Inhalt Schuldlehre (Fortsetzung der Anssprache) Schuldsähigkeit Neichsjustizminister Dr. ©ürtncr 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17 Ministerialdirektor Dr. D ü rr.....................................1, 8, 11, 12 Professor Dr. M ezger....................2, 3, 4, 5, 6, 9, 11, 12, 14 Staatssekretär Dr. Freister 2, 4, 5, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17 Ministerialdirigent Dr. Schäfer............................................... 2, 5 Ministerialdirektor Schäfer........................................... 3, 7, 8, 17 Professor Dr. Graf Gleispach............... 3, 4, 9, 13, 14, 15, 16 Professor Dr. Kohlrausch.................................... 3, 6, 9, 10, 12 Senatspräsident Professor Dr. Klee.........3, 5, 10, 11, 15, 16 Professor Dr. N a g le r ..................................................4, 6, 12, 16 Landgerichtsdlrektor Gelmer...........................................................5 Vizepräsident G r a u .......................................................................... 6 Professor Dr. D a h m ........................................................................ 7 Landgerichtspräsident Dr. L orenz.............................................. 13

Ausschluß von Unrecht und Schuld; Notwehr, Notstand Neichsjustizminister Dr. Gürtner................................ 17, 19, 24 Berichterstatter Landgerichtsdlrektor Leimer............................. 17 Berichterstatter Professor Dr. D a h m ................................ 19, 24 Ministerialdirektor Schäfer...........................................................24

Beginn 9 Uhr 7 Minuten. Neichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren, wir haben uns gestern vorläufig abschließend über die Frage unterhalten, wie ein T äter schuldig werden kann, also über das Kapitel, das wir früher „Schuldarten" oder „Schuldformen" genannt haben. W ir haben uns dann über die Zurechnungssähigfeit unterhalten oder, wie wir jetzt sagen, „Schuldfähigkeit". Dieses Kapitel ist noch nicht zu Ende. E s ist zwar in seinen beiden ersten Teilen durchdiskutiert. Aber über die Schuldsähigkeit, soweit sie ausge­ schlossen ist durch natürliche Bedingungen, also Alter, körperliche Mängel, soweit sie ausgeschlossen ist durch Bedingungen krankhafter Art — das wäre der zweite

Punkt — und soweit sie ausgeschlossen oder gemindert ist durch eine eigene Handlung, ist noch nicht yt Ende diskutiert worden; ich mochte ersuchen, das fetzt am Eingang unserer heiltigen Sitzung zu tun und sich dann im weiteren Verlaus den Kapiteln zuzuwenden, die sich an die Schuldlehre anschließen, nämlich beit Kapiteln über Notwehr und Notstand. Wir haben uns bei der Schuldsähigkeit — ich nehme an, daß dieser Ausdruck akzevticrt ist — die Frage vorzulegen, wann die Schuldsähigkeit aus natürlichen Gründen in den §§ 367 und 368 jetziger Numerierung verneint wird. Bei § 368 blieb noch die Frage der Geistesschwäche offen, wo die Meinungen noch hin- und hergegangen sind. Ich meine, wir sollten es so belassen, wie es in dem Entwurf vor­ gesehen ist, und die Geistesschwäche nicht ausdrücklich nennen. Im § 369 finden wir die Beeinflussung der Schuldfähigkeit durch Mängel in der körperlichen Entwicklung. Hinsichtlich des § 370 ist, abgesehen vom Absatz 3, nichts mehr zur Diskussion zu stellen. Bei der ver­ minderten Schuldsähigkeit waren wir der Meinung, daß wir eine Kann-Milderung der Strafe aufnehmen sollen und daß wir nicht differenzieren sollen zwischen dem konstitutionellen und dem akuten Psychopathen. Dagegen sind weitere Disserenziernngswmlsche er­ hoben worden in bezug auf die Amoendnngsmöglichlciten der Maßregeln der Sicherung und Besserung. W ir haben die Maßregeln der Sicherung und Besse­ rung im § 366: „Wer nicht schuldfühig ist, ist nicht strafbar, aber den besonderen Maßregeln unterworfen, die zum Schuh der Volksgemeinschaft born Gesetz vor­ gesehen sind." Ich frage: Würde diese Fassung nicht auch genügen bei der verminderten Zurechnungs­ fähigkeit, oder halten es die Herren für notwendig, hier etwas anderes zu sagen? Darüber wollen wir zunächst mal Einigkeit der Meinungen erzielen. Diese Frage ist veranlaßt durch die letzten Ausführungen von Herrn Staatssekretär Freister, der gemeint hat, man müsse das, was man . dem vermindert Zurechnungs­ fähigen auf dem Schuldkonto gutschreibt, aus dem Sicherungskonto belastend einschreiben. Ich wäre der Meinung, daß wir auch hier sagen können: „Du kannst die Strafe mildern, du brauchst sie nicht zu mildern, und im übrigen stehen die Maßregeln der Sicherung und Besserung hier zur Verfügung." Ministerialdirektor Dr. Dürr: Ich möchte auch meinen, daß der W ortlaut des § 370 Abs. 1 genügt. Denn gerade für die vermindert Zurechnungsfähigen sind die Maßregeln der Sicherung und Besserung bestimmt. Dies gilt vor allem für die Unterbringung in einer Heil- oder Pslegeanstalt, aber auch für die Sicherungsverwahrung und die Unter­ bringung in einer Trinkerheilanstalt. M an kann nicht sagen: „ist erhöhtem M aße"; denn wie gegen den Gewohnheitsverbrecher die Sicherungsverwahrung wegen seiner verbrecherischen Anlage anzuordnen ist, so gegen den vermindert Zurechnungsfähigen die Un-

terbringuug in einer Heil- ober Pslegeanstalt mcßcit seiner geistigen Beschaffenheit. D ie Voraussetzungen der M aßregeln der Sicherung und Besserung sind also einander ganz gleichzustellen. Neichsjustizminister D r. Gürtner: Ic h darf nuf die jetzige Fassung des § 427 h in ­ weisen, wo es heißt: Hat jemand eine m it Strase bedrohte Hand­ lung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit oder der verminderten Zurechnungsfähigkeit be­ gangen, so ordnet das Gericht seine U n te rb rin ­ gung in einer Heil- oder Pslegeanstalt an, wenn die öffentliche Sicherheit es ersordert. A n dieser Fassung hat and) das Referat Schasfstein Anstoß genommen. D as wäre eine vollkommen diskretionäre G ewalt des Richters. Ic h würde mich daran nicht stoßen. Wenn w ir den § 427 so aufrecht­ erhalten, wie er hier steht, dann würde es genügen, an dieser Stelle zu sagen: D ie Strase kannst du m ilbern, einen Unzurechnungsfähigen kannst du überhaupt nicht strafen; aber jedenfalls sind die M a ß ­ regeln der Sicherung und Besserung fü r diesen F a ll vorhanden. Professor D r. Mezger: B e i der ersten Lesung hatte ich den Vorschlag gemacht, die verminderte Zurechnungsfähigkeit m it Sicherungsmaßregeln zwangsweise zu verkoppeln. Ic h habe mich in der Zwischenzeit überzeugt, daß das doch nicht gut geht. Staatssekretär D r. Freisler: Ich nniß zugeben, daß ich den Gedanken, den ich damals habe aussprechen wollen, insofern schlecht aus­ gedrückt habe, als ich m it dem B ild von dem Zu- und Abschreiben geendet habe. Cs ist natürlich nicht richtig, daß im mer das, was bei der S tra fe abgeschrieben w ird , bei den Sicherungsmaßregeln zugelegt werden muß. Was ich erstrebt habe, w a r nur ein H inw eis für den Richter, daß er, wenn er wegen der verminderten Schuldfähigkeit die S tra fe geringer bemißt, oder wenn er wegen Nichtvorhandenseins der Schuldfähigkeit überhaupt zu keiner S tra fe kommen kann, ganz be­ sonders prüfen muß, ob man dann nicht gerade mit Rücksicht aus den G rund, der die S tra fe als unan­ gebracht oder n u r in minderem Maße angebracht erscheinen läßt, zu einer Sicherungsmaßregel in er­ höhtem Maße kommen muß. Lediglich das w ollte ich damals sagen und habe es vielleicht nicht richtig aus­ gedrückt. Dieser Vorschlag bezieht sich auf § 366 wie auf § 370 Abs. 1. Es scheint m ir gut, einen ent­ sprechenden H inw eis zu bringen, daß in diesen Fällen zu prüfen ist, ob nicht ein besonderes Sicherungsbe­ d ü rfn is gerade wegen der verminderten Schuldfähig­ keit oder wegen des Ausschlusses der Schuldfähigkeit vorliegt und ob ihm Rechnung getragen werden muß. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Würde die Fassung des § 427: „H a t jemand unzurechnungsfähig oder vermindert zurechnungsfähig eine T a t begangen, so ordnet das Gericht seine Unter­

bringung an, wenn die öffentliche Sicherheit e& erfordert" Ih re m Gedanken entsprechen? Staatssekretär D r. Freisler: J a , das steht aber nicht h i e r , und es muß meinerAnsicht und) hier stehen. Wenn S ie hier hinein­ bringen, daß die Maßregeln zum Schutze der V olks­ gemeinschaft auf bicfen F a ll anzuwenden sind, dann müßte der H inweis an dieser Stelle stehen, und zwar in einer etwas stärkeren F o rm als im § 427, w u übrigens auch n ur von der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt die Rede ist, während es sich hier auch um andere Sicherungsmaßregeln handelte Reichsjustizminister D r. Gürtner: Aber an der Voraussetzung, daß die Verwahrung — sei es eine Sicherheitsverwahrung, sei es die Unterbringung in einem Irre n h a u s — n ur dann an­ geordnet werden soll, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert, müssen w ir festhalten! Sonst entfernen w ir uns in vollkommen lebensfremde Gebiete. (Zustimmung des Staatssekretärs D r. F re isle r.) Denken S ie n u r an den F a ll, daß auf dem D o rf im Armenhaus ein altes W eiberl sitzt, was man so Tschapperl nennt! H ier an Sicherungsverwahrung zu denken, wäre vollständig lebensfremd. D ie F ra u ist nicht mehr zurechnungsfähig, aber nicht im geringsten sicherheitsgefährlich. D ie M aßregeln der Sicherung und Besserung können w ir n u r herleiten von dem Schutz der Volksgemeinschaft. Es fragt sich nur, ob man die Fassung noch Präziser machen könnte. Staatssekretär D r. Freister: Vielleicht könnte man noch einen Satz etwa in dem S in n e anhängen: „D a be i w ird in solchen Fällen zu prüfen sein, ob das Schutzbedürfnis der Volksge­ meinschaft nicht gerade infolge der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit Maßregeln der Sicherung und Besserung verlangt." (M in iste ria ld ire kto r Schäfer: Also ein ver­ stärkter H in w e is!) Reichsjustizminister D r. Gürtner: J a , der Gedanke bleibt derselbe; es ist n u r ba§r was ich gestern den Akzent genannt habe oder die Richtunggebung: Wenn du freisprichst oder eine mildere S tra fe verhängst, mußt du jedesmal über­ legen, ob nicht der Schutz der Volksgemeinschaft eine Unterbringung notwendig macht. M in iste ria ld irig e n t D r. Schäfer: I n der Strafprozeßordnung könnten w ir v o r­ schreiben, daß, wenn verminderte Zurechnungsfähig­ keit angenommen w ird , sich aus den Urteilsgründen ergeben muß, warum von M aßregeln der Sicherung und Besserung abgesehen worden ist. Staatssekretär D r. Freister: D a s ist im-wesentlichen der gleiche Vorschlag. Aber es ist Zimmer wieder dieselbe M einungsver­ schiedenheit: Wenn man schon inhaltlich derselben

M e in u n g ist, baun kommt die technische ^ra p c, ob man den Gedanken in den Vorspruch oder in die Strafprozeßordnung bringen soll. Nach meiner M e in u n g gehört er in s nmtcncQe Strafrecht hinein. (M in is te ria ld irig e n t D r. Schäfer: Nein, das gehört in die Strafprozeßordnung!) — M eine r Ansicht nach gehört er in s materielle Strafrecht. I n die Prozeßordnung gehört das V e r­ fahren, und m it dem Verfahren an sich hat das nichts tun. M in isteria ld ire kto r Schäfer: W ir könnten hier den Gedanken niederlegen und außerdem in der Strafprozeßordnung verlangen, daß in den Urtcilsgründcn in den F ällen von verm in­ derter Zurechnungsfähigkeit ausdrücklich angegeben werden ntitft, ivarum man von Maßregeln der Siche­ rung und Besserung abgesehen hat. Das schärft auch das Gewissen. Professor D r. Mezger: Ich halte einen solchen H inw eis fü r notwendig, dam it der Richter gerade in den F ällen der Strasm ilderung sich die Frage überlegt, ob M aßregeln der Sicherung und Besserung angezeigt sind. Dies auch in der Prozeßordnung niederzulegen ist eine be­ grüßenswerte Anregung. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Dem Vorschlag, es in der Strafprozeßordnung a l l e i n niederzulegen, würde ich nicht zustimmen. Professor D r. Gras Gleispach: W ir haben bisher die S tra fm ild e ru n g, die von manchen Seiten als bedenklich angesehen wurde, aus die stfnt verm indert Zurechnungsfähigen beschränken wollen. W ir sind aber genötigt gewesen, weiter zu gehen und sie allgemein zuzulassen. N un könnte der Eindruck entstehen, das wäre eine Abschwächung des Schutzes der Volksgemeinschaft. Um so mehr würde ich es begrüßen, tvenn w ir zum Ausdruck brächten: B e i verminderter Zurechnungsfähigkeit ist der T äter strafbar und den besonderen Maßregeln unterworfen, die zum Schutz der Volksgemeinschaft vorgesehen sind. E r k a u n m ilder bestraft werden, und in diesen F ällen t^ 'd ic Sicherung der Volksgemeinschaft durch besondere Maßregeln besonders zu prüfen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as wäre also der Gedanke, den § 370 so zu fassen: Erstens: W er verm indert zurechnungsfähig ist, ist strafbar und daneben den besonderen Maßregeln der Sicherung und Besserung unterworfen. Zweitens: D ie S tra fe k a n n gemildert werden, und in diesen F ä lle n sind die Maßregeln der Sicherung und Besserung besonders zu prüfen. Professor D r. Kohlrausch: Ic h srage mich, ob es nicht genügt, wenn w ir es hier so belassen und ist der Strafprozeßordnung folgendes sagen: „ W ird der Angeklagte wegen

Schulduufähigkcit freigesprochen oder wegen verm in­ derter Schuldsähigkeit zu milderer Strase verurteilt, so haben sich die Urteilsgründe darüber auszusprechen, ob eine Sicherungsmaßregel erforderlich ist oder nicht", so daß ein Bcgründungszwang auch in negativer Richtung eingeführt w ird . Neichsjustizministcr T r . Gürtner: D as ist der Zaun, der nicht übersprungen werden kann! D as wäre kein Widerspruch zu dem Vorschlag von Herrn G raf Gleispach, sondern ein Ergänzungs­ vorschlag. Aber ich bin vo rläu fig noch von keiner Fassung vo ll befriedigt. M in isterialdirektor Schäfer: Vielleicht könnte man einen neuen Gedanken in den Absatz 3 hineinbringen: „D ie S tra fe kann ge­ m ildert werden, insbesondere wenn dem Schutzbedürsnis der Volksgemeinschaft durch Sicherungsmaß­ regeln genügend Rechnung getragen ist." M an würde damit gerade von der umgekehrten Seite ansangen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as ist auch bedenklich; das geht wieder m it dem Grundgedanken des E n tw u rfs nicht zusammen. Ich habe das Referat Schassstein gelesen. E r ist ein Freund der Zweispurigkeit und f q ^ : D as W illensstrasrecht kann n u r von der Schuld ausgehend zur S tra fe kommen. Dieser Gedanke würde durch die eben vorgeschlagene Fassung verwischt werden. Ich kann die Strase n u r dann m ildern, wenn ich eine mildere Schuld annehmen kann; ich kann Sicherungsmaßregeln n ur verhängen, wenn die Interessen der V olks­ gemeinschaft es erfordern. Senatspräsident Professor D r. Klee: D ie Schwierigkeit kommt aus dem zweispurigen Denken. D ie Entscheidung der jetzt vorliegenden Frage sollten w ir zurückstellen, bis w ir zu diesem Grundproblem endgültig S tellung genommen haben. Ich halte auch bei der verminderten Zurechnungs­ fähigkeit die Unterscheidung zwischen Strase und sichernder Maßnahme fü r doktrinär. D ie F reiheits­ strafe, die w ir jetzt der Unterbrinaung vorausschicken, kann nicht umhin, den Vollzug der'geistigen Eigenart des V erurteilten anzupassen, uüd der nachfolgende Aufenthalt in einer Heil- oder P^legeanstalt kaun bei aller heilenden E inw irkung n ur im Zeichen straffer Zucht stehen. Eine einheitliche Sicherungs- (Besse­ rungs-) strase votr genügender Länge dürste statt dieser Unterbringung am Plätze sein. I n dem mehr­ fach angezogenen § 427 ist übrigens n u r von der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegcanstalt die Rede; es ist aber sicher, daß es Fälle verminderter Zurechnungsfähigkeit gibt, wo das Bedürfnis nach Sicherungsverwahrung stärker ist als nach Unter­ bringung in einer H eil- oder Pslegeanstalt. Deshalb hat Schulze in G öttingen vorgeschlagen, die M öglich­ keit der Sicherungsverwahrung gegenüber vermindert Zurechnungsfähigen, eine Möglichkeit, von der die P ra xis ja schon ausgeht, ausdrücklich im Gesetz her­ vorzuheben.

Professor Dr. Mezger: Ich würde den Vorschlag für gangbar halten. Wir sind alle darüber einig, mögen wir uns zur Einspurigkeit oder zur Zweispurigkeit bekennen, daß auch die S trafe gewisse Sicherungsfunktionen erfüllen kann und muß. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich persönlich wäre der Meinung, daß die Ein­ fachheit des Gesetzes durch alle diese Differenzierungen und Richtungweisungen ein wenig gestört wird, und daß gar nichts irgendwie ungesagt bleibt, wenn wir sagen: Einen Unzurechnungsfähigen kannst du nicht bestrafen, aber die Maßregeln der Sicherung und Besserung stehen aus einem anderen B latt, natürlich unter der Voraussetzung, daß es sich überhaupt um eine Gefährdung der Sicherheit handelt. Andererseits bei verminderter Zurechnungsfähigkeit: Du kannst den vermindert Zurechnungsfähigen bestrafen wie einen Zurechnungsfähigen oder kannst die Strafe mildern; im übrigen kannst du die Frage der Siche­ rung und Besserung unabhängig davon entscheiden. D as wäre das einfachste und würde an dieser Stelle jedenfalls genügen. Etw as anderes ist es, ob man außcrdein noch bei den Urteilsgründen einen Zwang vorschreibt: Wird der M ann freigesprochen oder wird er milder bestraft, dann haben sich die Urteilsgründe darüber auszusprechen, ob eine Sicherungsmaßregel erforderlich ist oder nicht. Damit wäre das Urteil auch revisibel, nicht wahr? (Ministerialdirektor Schäfer: Jaw ohl; das steht auch im Entwurf!)

Staatssekretär Dr. Freister: Herr Minister, tticnti S ie der Meinung sind, daß es nicht angebracht ist, hier einen besonderen Zusatz zu formulieren, dann entsteht die Frage, ob man später bei dem Abschnitt „Maßregeln der Sicherung unb Besserung" eine Bestimmung aufnimmt, die sagt^ aus welchen Tatsachen ein solches Sicherungsbedürfnis in der Regel oder häufig zu erkennen ist. Ein Sicherungsbedürsnis der Volksgemeinschaft ist aus der Tatsache, daß der Täter ein vermindert schuldsähiger M ann ist, zwar nicht immer, aber doch sehr häufig festzustellen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner:

(Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as kann man natürlich auch!)

Der Grundgedanke selbst ist ausgezeichnet; d a r Erfordernis der öffentlichen Sicherheit wird in vielen Fällen vorhanden sein. Diese Lösung würde ich fürmöglich halten. W ir kommen nun zum Ausschluß oder zur M in­ derung der Schuldsähigkeit, und zwar weder durch natürliche noch durch krankhafte Einflüsse, sondern durch die Handlung selbst. Hierzu möchte ich im voraus folgendes bemerken: M ir ist inzwischen klar geworden, daß der Abs. 2 des § 371 hier nicht stehen kann. E r betrifft die Bestrafung des Rausches und schließt ohne Zweifel eine Art Ersolgshaftung in sich. Sein Platz ist also im Be­ sonderen Teil. Der S in n des § 371 Abs. 2 ist etwa der: Betrinken kannst du dich; das interessiert die Volksgemeinschaft weiter nicht. Wenn aber der Rausch sich in Handlungen gefährlich auswirkt, dann sollst du nicht für die Handlungen, sondern für das Be­ trinken bestraft werden. M ir scheint, § 371 Abs. 2 muß auf alle Fälle aus dem gegenwärtigen Zu­ sammenhang herausgenommen werden. Eine andere Frage: W as soll geschehen, wenn jemand den Zustand der Schuldunfähigkeit oder dev verminderten Schuldsähigkeit durch eine eigene Hand­ lung herbeigeführt hat? Wohlgemerkt: die Schuldunsähigkeit ist hier nicht begründet im Älter, in ber Krankheit usw., sondern in der eigenen Handlung des Täters. Bei diesen Beispielen denke ich nicht bloß an den Alkohol, sondern auch an die schlafende M utter. Diese Frage muß hier beantwortet werden.

Professor Dr. Graf Gleispach: Vielleicht könnte man so vorgehen, daß man im § 370 zuerst den Grundsatz ausspricht: „Bei vermin­ derter Zurechnungsfähigkeit besteht Strafbarkeit; da­ neben können besondere Maßregeln angewendet werden". Jetzt kommt die Begriffsbestimmung der verminderten Zurechnungsfähigkeit; letzter Absatz: „Die Strafe kann gemildert werden; einem besonderen Sicherungsbedürsnis ist in diesen Fallen durch solche Maßregeln Rechnung zu tragen". D as würde also bedeuten, daß wir — was schon heute der Stand der Dinge ist — die Sicherungsmaßregeln fakultativ neben der Strafe zulassen. Wenn aber eine S tra f­ milderung eintritt, dann ist eine Sicherung zu ver­ fügen.

Staatssekretär D r. Freister: Hier muß man von folgendem Grundsatz aus­ gehen: Wer sich, um eine von vornherein ins Auge gefaßte strafbare Handlung auszuführen, vorsätzlich betrinkt, muß so bestraft werden, als ob die Trunken­ heit gar nicht dazwischengekommen wäre, und zwar gleichgültig, ob die Trunkenheit die Schuldsähigkeit ausgeschlossen^ oder nur vermindert hat. Wer sich da­ gegen lediglich einen Rausch angetrunken hat, weil er eben mal einen Rausch haben wollte, und nun im Zustand der Trunkenheit eine T at vorsätzlich ausführt, muß nach dem Zustand beurteilt werden, in welchem er die T at ausführt. Wie ist ferner der Fall zu behandeln, wenn sich jemand bewußt betrinkt und nachher eine fahrlässige Handlung begeht? Hier sind zwei Fälle zu unter*

Professor Dr. Nagler: W ir könnten den Gedanken auch statt ins Gesetz in die Begründung bringen. Es wird ja eine Zeit fontntcit, wo man die Begründung in der Praxis ungefähr bcm Gesetze gleich behandeln wird. Der Gedanke könnte so der P raxis ohne weiteres zuge­ führt werden.

scheiden. Machen wir uns das ftor am Bcispick eines Kraftfahrers: Ein Kraftfahrer geht an einem freien Sonntag zn Fuß in eine Kneipe, wo er sich ordentlich einen antrinken will. Später kommt sein Freund dazu, linb die beiden trinken zusammen weiter. Auch der Freund ist Kraftfahrer. Als die beiden die Kneipe verlassen, fordert der zweite Kraftfahrer den ersten auf, sich ans Steuer seines Wagens zu setzen, da er noch besser fahren könne als er selbst. Kurz, der erste Kraftfahrer setzt sich an das Steuer und verursacht einen Verkehrsunsall. Der zweite F all: Der erste Kraftfahrer geht nicht zu Fuss in die Kneipe, sondern fährt mit seinem Wagen vor; im übrigen der gleiche Borgang. Ich habe das Gefühl, der zweite Fall ist anders zu behandeln als der erste. Die Anwendung des § 371 Abs. 2 ergibt kein gerechtes Ergebnis. I m ersten Fall erscheint der Kraftfahrer in der Kneipe nicht als Kraftfahrer, sondern ist zu Fuß in die Kneipe gekonnncn und dachte keinen Augenblick daran, sich nachher noch an ein Steuer zu setzen. Is t er in dem Augenblick, wo er sich ans Steuer setzt, nicht schuldfähig, so kann er auch nicht bestraft werden. Dieser Fall wird durch § 371 Abs. 2 nicht gerecht gelöst. Is t der Kraftfahrer dagegen mit seinem Wagen vorgesahren und hat sich dann in der Kneipe betrunken, worauf er mit seinem Wagen weiterfährt, dann tritt nach § 371 Abs. 2 Bestrafung wegen fahrlässiger Begehung ein. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Dem § 371 Abs. 2 liegt der Gedanke zugrunde: Wer sich selbst vorsätzlich oder fahrlässig betrinkt, trägt das Risiko seiner Handlungen; er muß für seine im Zustand der Trunkenheit ausgeführten Taten ein­ stehen. Daher ist der Chauffeur, wenn er sich in be­ trunkenem Zustand ans Steuer setzt, auch wenn er den Entschluß zu fahren erst im Zustand der Trunken­ heit saßt, schuldig im Sinne des § 371 Abs. 2, falls er in diesem Zustand jemand überfährt. Staatssekretär Dr. Freisler: Dieses Ergebnis ist mit dem Willensstrafrecht unvereinbar. Der Kraftfahrer kann nur bestraft werden; wenn ihn eine Schuld an der T at trifft. D as ist tu bau ersten Beispiel eben nicht der Fall, und deshalb ergibt Absatz 2 keine gerechte Lösung. Rcichsjustizministcr Dr. Gürtner: Die gesetzliche Fassung wird nicht ganz einfach sein. Es handelt sich immer wieder um die Beant­ wortung der Frage: W as geschieht, wenn jemand sich durch eine eigene Handlung in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt? W ir müssen uns zunächst darüber klar werden, wie wir die einzelnen Fälle behandeln wollen. Wenn ich § 371 Abs. 2 betrachte, dann ist es in der T at so, daß jeder, der sich betrinkt, das Risito des Rausches zu tragen hat. Ob dieses Ergebnis wirklich so ganz und gar unvereinbar mit dem Willenssirasrecht ist, möchte ich doch bezweifeln. E s steht ja im eigenen Willen des Betreffenden, sich zu betrinken oder nicht. Betrinkt er sich, so muß er für die möglichen Folgen einstehen.

Nun hat Staatssekretär Dr. Freisler eine ganz feine Differenzierung hineingebracht, mit dem E r­ gebnis: Wer sich bis zum Ausschluß der Schuldfähigkeit betrittst und daun von einem anderen miß­ braucht wird, etwas ztt tun, kann dafür nicht verant­ wortlich gentacht werden. Die Vorstellung des S ta a ts­ sekretärs Dr. Freister ist diese: M an kann einen vollkommen betrunkenen Menschen, der von einem anderen zu einer strafbaren Handlung mißbraucht wird, dafür nicht verantwortlich machen, weil er eben ein willenloses Wesen und als solches schuldunsähig ist. § 371 Abs. 2 dagegen sagt klipp und klar: Wer sich vorsätzlich betrinkt, ist mit dem Risiko für die Folgen beladen. D as Risiko kann gleich Null sein; es führt aber zur Strafbarkeit nach § 371 Abs. 2 in dem Augenblick, wo der Betrunkene, sei es aus freiem Entschluß, sei es, weil ihn ein anderer dazu anstellt, ein strafbare Handlung begeht. Landgerichtsdirektor Leimer: Vielleicht könnte man dem Gedanken des Herrn Staatssekretär Dr. Freisler dadurch Rechnung tragen, daß man sagt: „Wer wissend, daß er im Rauschzustand zu Ausschreitungen neigt, sich betrinkt, . . . .". I m zweiten Fall könnte man dann sagen: „Wer weiß oder wissen muß, daß er zur Vermeidung einer F ah r­ lässigkeit nicht in einen Rauschzustand geraten darf, . . . . " . Der Chauffeur also, der mit dem Auto zur Kneipe fährt, muß wissen, daß er zur Vermeidung der Fahrlässigkeit sich nicht betrinken darf. Der letztere Fall ist als schwerer anzusehen. Professor Dr. Mezger: Ich würde kein Bedenken tragen, beide Fälle unter den § 371 Abs. 2 zu stellen. D as Risiko erstreckt sich eben auch darauf, daß der Betrunkene von einem anderen mißbraucht wird. Reichsjustizminister Dr. S ürtner: E s ist tticht zu leugnen, daß die Haftung des § 371 Abs. 2 unter der Lupe des Schuldrechts besehen nicht ganz paßt. Darüber müssen wir uns entscheiden. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich würde zwischen den beiden von Herrn S ta a ts­ sekretär Dr. Freisler erwähnten Fällen keinen Unter­ schied machen. Grundsätzlich ist es gleichgültig, ob ein Betrunkener von sich atts oder durch einen anderen verführt eine strafbare Handlung begeht, denn von einem selbständigen freien Entschluß kann bei unzu­ rechnungsfähigen Betrunkenen niemals die Rede sein, er „handelt" überhaupt nicht. M an sollte daher § 371 Abs. 2 in der gegenwärtigen Fassung beibehalten. Der § 3 7 1 Abs. 2 stellt aus praktischen Gründen eine objektive Bedingung der Strafbarkeit eittes Ver­ haltens auf, das schon an sich strasivürdig ist, nämlich das gefährliche Sichbetrinken; die Begehung der strafbaren Handlung ist nur ein Beweis für diese Gefährlichkeit. M an sollte daher die objektive Vor­ aussetzung nicht unttötig komplizieren. E in Bedürfnis, die vorsätzliche oder auch nur fahr­ lässige actio libera in causa gesetzlich zu regeln,

besteht nicht, wie ich schon des näheren ausgeführt habe. Daher komme ich zu dem Vorschlag, § 371 Abs. 1 überhaupt zu streichen, Abs. 2 zu versehen — meinen früheren Vorschlag, ihn im Allgemeinen Teil zu belassen, lasse ich fallen — , so da st nur noch Abs. 3 übrigbliebe, den man aber zwanglos im § 370 unterbringen kann. Vizepräsident G rau: Auch mir erscheint cs grundsätzlich unrichtig, einen Chauffeur, der sinnlos betrunken ist tiitb von einem anderen dazu mißbraucht wird, sich ans Steuer eines Kraftwagens zu setzen, tocflcit einer dann nach­ folgenden strafbaren Handlung verantwortlich zu machen. Jedenfalls würde eine solche Bestrafung im Volke nicht verstanden werden. Vielleicht kann man helfen, indem man § 371 Abs. 2 etwas subjcktivicrt, indem man, wie ich bereits vorgeschlagen hatte, die Strafbarkeit davon abhängig macht, daß der Täter einen Angrisf aus eine Person oder Sache oder aus die öffentliche Ordnung und Sicherheit begeht. Es handelt sich also darum, etwas Willcnsmäßiges in den Tatbestand hineinzubringen. Reichsjustizministcr Dr. Gürtner: Das wäre also der Vorschlag: Wer mit dem Vor­ satz, eine strafbare Handlung zu begehen, sich in einen unzurechnungsfähigen Zustand versetzt und die Tat begeht, wird wegen vorsätzlicher Begehung der Tat bestraft. Professor Dr. Nagler: Die übereinstimmenden Vorschläge des S ta a ts­ sekretärs Dr. Freister und des Landgerichtsdirektors Leimer gehen bcirnuf hinaus, die fahrlässige actio libera in causa ausdrücklich zu treffen. Dafür besteht jedoch gar kein Bedürfnis. Der zweite Fall, den Staatssekretär Dr. Freister erwähnt hat, besaht sich mit dem vorsätzlichen Betrinken bei Voraussehbarkeit des rechtswidrigen Erfolgs (Trunkenheitsexzesscs). Auch das ist actio libera in causa. Die Vorschrift versteht sich also von selbst. D as sahrläffige Betrinken bei Voraussehbarkeit des Exzesses ist auch zur fahr­ lässigen actio libera in causa zu stellen. Dafür brauchen wir also ebensowenig eine besondere Bestimmung. Der letzte Vorschlag Leimers würde dagegen den Charakter des § 371 Abs. 2 vollkommen preisgeben. Der Sich-Bctrinkcnde soll darnach doch für die Konse­ quenzen seines Rausches einstehen müssen. Der Rausch stellt eine bekannte Gefahrenquelle dar. Die pädagogische Funktion des § 371 besteht in der Mahnung, dafür zu sorgen, daß nichts passiert, wenn sich schon jemand in den Rauschzustand versetzt. Wer sich betrinkt, must sich in contenance halten. Wenn er im betrunkenen Zustand irgendwelche rechts­ widrigen Erfolge herbeiführt, so geschieht es aus sein Risiko. W ir sollten den Absatz 2 in seiner jetzigen Prägung beibehalten. W ir sollten dagegen — das ist eine Auffassung, die ich schon früher vertreten habe — , weil sie gar keine Schwierigkeiten macht, von der actio libera in causa überhaupt nicht reden. Darum

schlage ich vor, Absatz 1 ganz zu streichen. Absatz 2 ist aber beizubehalten, man konnte ihn vielleicht in der Richtung weiter entwickeln, die Herr Vizepräsident Grau vorgeschlagen hat. Weil Bedenken ausgetreten sind, könnte man vielleicht die objektive Strafbarkeits­ bedingung („wenn der Betreffende eine in diesem Gesetz mit S trafe bedrohte Handlung begeht") etwas einengen. Daß auch im Zustande der Schuldlosigkeit der psychologische Apparat funktioniert, ist ja eine be­ kannte Tatsache, und darauf will eben Herr Vizeprä­ sident Grau süßen; er will die in Trunkenheit ge­ führten Angriffe spezialisieren. M an kann diese Abschwächung vornehmen und damit den Bedenken, die ausgetreten sind, Rechnung tragen. Aber grundsätzlich möchte ich den Absatz 2 unter allen Umständen bei­ behalten wissen, und zwar aus Grund der Erfah­ rungen, die ich in der P raxis in unserer Arbeitszelle des Juristenbundcs gemacht habe. Die Herren Prak­ tiker haben vor allem aus diesen Absatz 2 Wert gelegt. Sie meinen, diese Bestimmung in der P raxis zu brauchen; denn cs gäbe viele Fälle, in denen sie nicht feststellen könnten, ob der Täter noch zurechnungs­ fähig gewesen sei oder nicht. Die Bestimmung des § 371 Abs. 2 wirkt außerordentlich heilsam aus das Volksganze. W ir müssen doch, da wir kein Prohibi­ tionssystem einführen wollen, dafür wenigstens sorgen, daß Alkoholexzesie keinen unglücklichen Ver­ lauf nehmen, sondern möglichst schnell abgebremst werden. Dafür ist § 330a S tG B ., der jetzige § 371 Abs. 2, eine ausgezeichnete Handhabe. Profeffor Dr. Mezger: Der Fragenkomplex, der unter dem Titel: „actio libera in causa" geht (also Absatz 1 des § 371 des Entwurfs), ist in Theorie und P raxis überraschend einheitlich beurteilt worden. Schon aus diesem Grunde wäre ich dafür, den Absatz 1 gar nicht in das Gesetz aufzunehmen. E s besteht dazu kein Bedürfnis. Dem einfachen Manne im Volk dient als Bclehrungsquelle für das bestehende Recht die tatsächliche P raxis der Gerichte mehr als die auch künftig immer noch reich­ lich abstrakte Fassung des Strafgesetzbuches selbst. I m Absatz 2 handelt cs sich um eine Entschei­ dung darüber, ob man die strafrechtliche Haftung in dieser Form erweitern will. Professor D r. Kohlrausch: Ich stimme im Ergebnis, wie ich schon gestern ge­ sagt habe; vollständig mit dem überein, was Herr Professor Mezger eben zum Ausdruck gebracht hat. Ich würde den Absatz 1 streichen und den Absatz 2 in den Besonderen Teil setzen. Ich meine, daß wir uns über den Ausbau des Absatz 2 nach der Schuldseite hin dann unterhalten können, wenn wir im Beson­ deren Teil daran kommen. I m übrigen müssen wir unterscheiden die Frage, ob der Täter sich vorsätzlich beziehungsweise fahrlässig b e t r u n k e n hat, von der Frage,' ob er sich dabei vorsätzlich oder fahrlässig zu irgendeinem kriminellen E r f o l g e verhalten hat. Diese beiden Fälle ver­ mengen wir in unserer Besprechung gelegentlich. Wenn jemand sich vorsätzlich betrinkt, d. h. wenn er

sich sagt: „Ich will mir jetzt einen Rausch antrinken", dann ist, wenn etwas passiert, die zweite Frage zu stellen: „Hast du bei dem Dich-Betrinken auch ge­ wollt, daß bit nachträglich den Menschen tötest, hast du dir M ut antrinken wollen oder hättest du doch immerhin wissen müssen, was nachher passieren könnte?" Wenn ja, dann haben wir vorsätzliche T ö­ tung, fahrlässige Tötung, actio libera in causa. Diese Fälle haben bisher nie Schwierigkeiten gemacht, und w ir sollten besser darüber schweigen. Ich mache noch aus eines aufmerksam. Wenn wir Absatz 1 so lassen, wie er ist, dann fehlen die Fälle, in denen jemand sich nicht vorsätzlich in einen Rausch­ zustand versetzt hat, um eine T at zu begehen, sondern in denen er sich in den Zustand der Bewußtlosigkeit versetzt hat. Der Weichensteller nimmt ein Schlaf­ mittel, oder die M utter nimmt eines, oder sonst jemand, der etwas zu einer bestimmten Zeit zu tun hat, in der Absicht, es in der gebotenen Zeit nicht zu tun. Diese Fälle sind nicht gedeckt. Wenn w ir die Frage regeln, dann müssen wir sie sorgfältig und voll­ ständig regeln. Ministerialdirektor Schäfer: Ich konnne genau zu demselben Ergebnis, näm­ lich Absatz 2 in den Besonderen Teil zu verweisen und Absatz 1 zu streichen. Auch ich bin der Meinung: Wenn man die actio libera in causa überhaupt be­ handelt, muß. man sie vollständig behandeln. Der Text, den wir haben, hat drei Mängel. Erstens spricht er nur von Rauschmitteln, nicht von anderen Mitteln. Zweitens behandelt er nicht die Fahrlässigkeit — das hat Herr Professor Kohlrausch schon betont — , und drittens behandelt er nicht den dolus eventualis. Diese drei Mängel müssen wir beseitigen und die actio libera in causa vollständig regeln. Diese Regelung würde folgendermaßen aussehen: Wer im Zustand der Zurechnungsunsähigkeit eine T at begeht, nachdem er sich vorsätzlich in diesen Zustand versetzt hat und sich dabei bewußt gewesen ist — dolus d irectus — oder in Kauf genommen hat, — dolus eventualis — daß er eine solche T a t begehen würde, wird wegen vorsätzlicher Begehung der T at bestraft. Hat der Täter sich vorsätzlich oder fahrlässig in diesen Zustand versetzt und dabei fahrlässig nicht vorausgesehen, daß er eine solche T at be­ gehen würde, so gilt seine T at als fahrlässig begangen. Diese Fassung enthält die actio libera in causa vollständig und richtig; aber sie ist sehr kompliziert, und nur ein Jurist wird sie verstehen. Ich würde es daher auch vorziehen, die actio lib era in causa hier nicht zu behandeln. I n der P raxis haben alle diese Fälle keine großen Schwierigkeiten gemacht. Auch Herr Professor Gruhle sagt nach meiner Erinnerung in seinem Gutachten: über die actio libera in causa

brauchen wir hier nichts Besonderes zu sagen; damit sind wir bisher fertig geworden, und sie spielt in der P raxis keine Rolle. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Ich glaube, der Text, den Herr Ministerialdirektor Schäfer vorgetragen hat, wird ungefähr der Vor­ stellung gerecht, die man zu den §§ 370, 371 sich zu bilden hat. E s ist eine schwierige Diktion im Gesetz; cs ist gewissermaßen ein Lehrbuch. Professor Dr. Dahm: Wenn wir die actio libera in causa regeln wollen, dann müssen wir sie vollständig regeln, also auch die fahrlässige actio libera in causa einbe­ ziehen. Dann wird aber das Strafgesetzbuch zum Lehrbuch, und dann könnten wir auch die Be­ dingungstheorie, die mittelbare Täterschaft und alles Mögliche im Gesetz behandeln. I n Wahrheit muß der Allgemeine Teil doch so einfach wie möglich sein. Darum darf er nicht derartige für die Allgemeinheit unverständliche Bestimmungen enthalten. Den § 371 Abs. 2 würde ich lassen, wie er ist, würde auch nicht den Zusatz machen, den Herr Direk­ tor Leimer vorschlägt, und zwar auch aus einem Grunde, der bisher nicht erwähnt worden ist. Stellt man daraus ab, ob der Täter weiß, daß er zu Aus­ schreitungen neigt, dann kann eine Verurteilung erst dann erfolgen, wenn der Täter Erfahrungen gesam­ melt hat. Dann wäre also die erste Ausschreitung straflos. Denn der Täter könnte sich darauf berufen, daß er von seiner Neigung zu Ausschreitungen noch nichts gewußt habe. W ir sollten nicht allzu doktrinär sein und könnten hier das Willensstrasrecht ein wenig zurückstellen. Staatssekretär D r. Freister: Daraus kann man natürlich sehr leicht erwidern, daß man den Rauschzustand doch beispielhaft hinein­ schreiben kann. Zweitens kann man sehr wohl die Unterscheidung zwischen dem dolus d irectu s und dem dolus eventualis weglassen, weil das allerdings eine Selbstverständlichkeit ist. Dadurch hätte man bereits die ganze Sache viel lesbarer gestaltet. Außerdem sind es zwei verschiedene Sahe. Jeder dieser beiden Sätze ist an sich gar nicht so, daß er unverständlich wäre. Ich bin der Meinung, mit gutem Willen läßt sich das verständlicher und durch Einfügung des Rausches als eines Beispieles auch plastischer ausdrücken. Ministerialdirektor Schäfer: Ich will! die Fassung noch einmal vorlesen und dabei die entsprechende Einfügung machen: Wer im Zustand der Schuldunsähigkeit eine Tgt begeht, nachdem er sich vorsätzlich durch den Genuß geistiger Getränke oder in anderer Weise — das muß hinein — in diesen Zustand versetzt hat und sich dabei be­ wußt gewesen ist oder in Kauf genommen hat, daß er eine solche T at begehen würde, wird wegen vorsätzlicher Begehung der T at bestraft.

Hat der T äter sich vorsätzlich oder fahrlässig in diesen Zustand verseht und dabei fahrlässig nicht vorausgesehen, daß er eine solche T at be­ gehen würde, so gilt seine T at als fahrlässig begangen. Also strafbar ist die T at auch nur dann, wenn für den betreffenden Tatbestand schon Fahrlässigkeit genügt.

fähigkeit kann die S trafe gemildert werden. Beruht aber die verminderte Zurechnungsfähigkeit aus selbst­ verschuldetem Rausch, dann kann die S trafe nicht ge­ mildert werden. Nun würde ich, um aus dieser De­ batte eine Frucht zu ernten, vorschlagen, obwohl der Absatz 2 nach allgemeiner Meinung in den Besonde­ ren Teil gehört, trotzdem in der Formulierungs­ kommission diesen Absatz 2 zu formulieren.

Staatssekretär D r. Freister: Meines Erachtens würde es noch einfacher sein, wenn iium nicht von dem Zustande der Schuldunfähigkeit, sondern von der T at ausgehen würde. (Ministerialdirektor Schäfer: D as ist eine Formulierungssrage!)

Ministerialdirektor Schäfer: Da steckt aber das Problem Grau noch darin. Ich darf es an einem praktischen Beispiel klarmachen. Zwei Leute kommen nachts über den Potsdamer Platz; der eine ist völlig betrunken, der andere nüch­ tern. Beide schlagen mit der Faust in eine Fenster­ scheibe. Bei dem Nüchternen liegt vorsätzliche Sach­ beschädigung vor; bei dem Betrunkenen käme § 371 Abs. 2 zur Anwendung. Zweiter Fall! E s ist G latt­ eis, sonst ist es genau so wie im ersten F all; beide schlagen nicht mit der Faust in die Fensterscheibe hinein, sondern gleiten aus, und die Fensterscheibe geht entzwei. Der Nüchterne kann nicht bestraft werden, weil fahrlässige Sachbeschädigung nicht straf­ bar ist. Kann der völlig Betrunkene bestraft werden? Meiner Meinung nach kann er auch nicht bestraft werden; er kann nicht mehr bestraft werden als der Nüchterne. Aber die Schwierigkeit ist, ob man bei dem völlig Betrunkenen zwischen einer vorsätzlichen Angrissshandlung — wie Herr Vizepräsident Grau sagt — und einer fahrlässigen Handlung unterscheiden kann. W ir haben gesagt — die Fassung ist heute streitig; die Rechtsprechung ist mir allerdings nicht bekannt, aber in der Abteilung ist die Sache streitig — : er wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Hast bestraft, wenn er in diesem Zustand eine mit S trafe bedrohte Handlung begeht. W as heißt: „eine mit Strafe bedrohte Handlung be­ geht"? Heißt das: „Wenn er den äußeren Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllt, ganz unabhängig von Vorsatz oder Fahrlässigkeit", oder heißt es: „Wenn er eine mit Strafe bedrohte Handlung, d. h. eine Handlung begeht, für die er strafbar sein würde, wenn er nüchtern wäre"? D as sind die beiden Fälle.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as Ergebnis des Meinungsaustausches ist fol­ gendes. Zum Absatz 1 stehen sich zwei Meinungen gegenüber: Sollen wir ihn überhaupt aufnehmen, oder sollen wir ihn nicht aufnehmen? Aus dem linken Flügel des Hauses scheint mir die Meinung der Herren zu sein, man solle ihn überhaupt nicht auf­ nehmen, überhaupt gar nichts davon sagen. (Zustimmung.) Würde man ihn aber aufnehmen, dann wäre die Fassung etwa in dieser jetzt etwas akademisch klingen­ den Form der Versuch der Wiedergabe der Ge­ danken, die dabei zum Ausdruck kommen müssen. Zum Absatz 2 besteht Einmütigkeit darüber, daß er hier nicht auftreten soll, sondern im Beson­ deren Teil. Meinungsverschiedenheit ist darüber vor­ handen, ob das Moment der Voraussehbarkeit dort hineinkommen soll oder nicht. Die rohere Meinung geht dahin, von der Voraussehbarkeit nicht zu sprechen, sondern das Risiko des Rausches als solches unter Strafe zu stellen. Die weniger gröbere, feiner diffe­ renzierte Meinung geht dahin, hier das Moment der Voraussehbarkeit für die Strafbarkeit überhaupt auf­ zunehmen. D as ist der augenblickliche S tand der Aussprache. (Zustimmung.) Ministerialdirektor Schäfer: Dabei ist das Problem, das Herr Vizepräsident G rau angedeutet hat, ob man im Rausch überhaupt vorsätzlich oder fahrlässig handeln kann, für später zu­ rückgestellt. D as ist ein schwieriges Problem, das wir noch nicht behandelt haben. Reichsjustizministcr Dr. Gürtner: Bezüglich des Absatzes 3 besteht wiederum eine überraschende Meinungseinheit dahin, daß man ihn ausnehmen soll, aber nicht hier, sondern bei der S traf­ milderungsmöglichkeit und bei der verminderten Zu­ rechnungsfähigkeit. Wenn die verminderte Zurech­ nungsfähigkeit aus einem selbstverschuldeten Rausch beruht, wird die hier gegebene p o testas, die Strafe zu mildern, wieder ausgeschlossen. Der Gedankengang des § 370 ist ja grundsätzlich vollkommen Ihn. Bei verminderter Zurechnungs­

Ministerialdirektor Dr. Dürr: D a könnte man ganz leicht mit einer kleinen Änderung helfen, indem man nicht sagen würde „in diesem Zustande", sondern „infolge dieses Zustandes". (Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: D as geht nicht; der Kausalzusammenhang ist nie nachweisbar!) — Jetzt heißt es doch: „Wenn er in diesem Zustande eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht". Es genügt also die Tatsache, daß der T äter im Zustande der Trunkenheit die Handlung begeht. Wenn man aber sagt: „infolge dieses Zustandes", dann hat der Richter zu prüfen, ob der Täter, wenn er nicht be­ trunken gewesen wäre, nicht auch die T at begangen hätte.

Professor Dr. Graf Gleispach: Herr Reichsminister, ich glaube, das ist kein Aus­ weg. Ich nehme an: Jem and geht vollbetrunken über eine Straße und fällt in eine Spiegelscheibe. E r hat das getan infolge seines Zustandes; aber trotzdem soll er nicht strasbar sein mit der Begrün­ dung, er habe eine Sachbeschädigung begangen; denn auch, wenn er nüchtern in die Spiegelscheibe fällt, ist -er eben nicht strasbar. Professor Dr. Mezger: Psychologisch betrachtet läßt sich auch beim Geistes­ kranken oder Betrunkenen sehr wohl unterscheiden, ob er vorsätzlich oder nicht vorsätzlich gehandelt hat. Prosessor D r. Kohlrausch: Ich möchte davor warnen, daß wir von der V or­ stellung der Schuldunfähigkeit in die Vorstellung der Zurechnungsunsähigkeit zurückfallen; ich fürchte, Herr Kollege Mezger, Sie haben diesen Rückfall begangen. D er Geisteskranke kann nicht vorsätzlich im S inne der Definition handeln, die w ir nunmehr gegeben haben. W ir haben den Vorsatz aus seiner leeren, bloß psycho­ logischen Desinition befreit und sagen: „Vorsätzlich handelt, wer dabei das Unrechtsbewußtsein hat", und das eben bestreiten wir dem Geisteskranken. (Ministerialdirektor Schäfer: Diese Frage sollte später behandelt werden!) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Also für die Fassung, die wir hier bei der Schuldsähigkeit brauchen, kommt das auf keinen F all in Frage, weil wir darüber einig sind, daß Absatz 2 nicht hineinkommt. Es würde demnach übrigbleiben, Absatz 1 in einer besseren Sprache zum Ausdruck zu bringen und den Absatz 3 nach § 370 zu plazieren. D as wäre für den Augenblick die Ausfassung. Daß das, was hier geschrieben ist, dem Gedanken gerecht wird, ist ja anerkannt worden. Dann würde ich vor­ schlagen, dieses Thema zu verlassen. Staatssekretär Dr. Freisler: E s sind noch zwei Punkte zu erledigen. Zunächst handelt es sich noch um die Frage, die ich allerdings nur ganz kurz angeregt hatte, ob msn, falls der konstitutionelle Mangel, der zur Feststellung einer Minderung der Schuldfähigkeit führt, im Charakter­ lichen liegt, den Satz: „Du kannst, denn du sollst" nicht doch aufrechterhalten soll, und zwar auf die Gefahr hin, daß ein medizinischer Wissenschaftler auch da sagt: „Aus G ras kann kein Baum werden". E s ist doch so, daß die Erkenntnis eines konstitu­ tionellen Mangels im Charakterlichen den Be­ tressenden zwingen muß, sich besondere Mühe zu geben, diesen Mangel auszugleichen und dement­ sprechend zu handeln. Ich meine, man sollte wenig­ stens einen entsprechenden Hinweis auf diese Pflicht aufnehmen, und zwar bei der Kannmilderung. D as zweite ist folgendes: Es heißt hier: „Wer das 14., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist nicht zurechnungsfähig, also nicht schnldsähig,

wenn er nach seiner geistigen und sittlichen E nt­ wicklung unfähig ist, das Unrecht der T at einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln". Derjenige, der über 18 Jahre alt ist und infolge seiner geistigen und sittlichen Entwicklung nicht fähig ist, das Unrecht der T at einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, ist nicht berücksichtigt. D as Problem eines solchen Menschen ist bisher noch gar nicht besprochen worden. Die einzige Berücksichtigung findet der Taubstumme, und auch der nur, wenn er in seiner g e i s t i g e n Entwicklung zurückgeblieben ist, nicht auch, wenn er in seiner s i t t l i c h e n Entwicklung zurückgeblieben ist. I m übrigen sind nur diejenigen erwähnt, bei denen eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder eine Bewußtseinsstörung vorliegt. M ir scheinen die Fälle derjenigen, die über 18 Jahre alt und nicht taubstumm sind, ferner die Fälle der Taubstummen, die infolge ihrer s i t t l i c h e n Entwicklung unfähig oder vermindert fähig sind, das Unrecht der Tat ein­ zusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, nicht be­ rücksichtigt zu sein. Ich kann nicht ohne weiteres sagen, ob es richtig wäre, diesen mit einer besonderen Milde entgegenzukommen; aber ich finde, daß das Problem besprochen werden muß. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre also folgende Frage: Unbestritten ist, daß bis zum 14. Lebensjahr die Strafbarkeit nicht zu Worte kommt. Zwischen 14 und 18 Jahren soll eine Art exploratio m entis erfolgen, soll festgestellt werden, ob der Betreffende wirklich voll zurechnungs­ fähig ist. D as ist auch unbestritten. Nun kommt die Frage, ob über 18 Jahre — jetzt ohne weitere B e­ grenzung — der Mensch nach seiner inneren E nt­ wicklung überhaupt im Zustande der Schuldfähigkeit ist. Dagegen hätte ich ein gewisses Bedenken. DaS sieht mir nach einer Aufweichung des Strafrechtes aus. M an sollte m. E. die praesum tio ju ris e t de ju re : „Wer 18 Jah re alt ist, ist voll verantwortlich" nicht trüben durch einen allgemeinen Satz: „Du mußt in jedem Falle die exploratio m entis vornehmen", sondern dann nur die robusten Gründe, den körper­ lichen Mangel, die geistige Erkrankung und die geistige Störung gelten lassen. Professor D r. Mezger: Ich glaube nicht, daß ein Bedürfnis dafür besteht. Wenn sich eine Entwicklungshemmung zwischen dem 14. und dem 18. J a h r zeigt, so wird es manchmal nicht möglich sein, diese Entwicklungshemmung als eine krankhafte Störung anzusehen. Die erheblichen Entwicklungshemmungen aber, an die Herr S ta a ts­ sekretär Freisler denkt, die sich auch über das 18. J a h r hinaus geltend machen, können meines Erachtens ungezwungen unter die krankhaften Störungen der Geistestätigkeit eingereiht werden. Staatssekretär D r. Freisler: D as glaube ich deshalb nicht, weil ich der M ei­ nung bin, daß die Mannbarkeit, also etwas, was im Physischen liegt, nicht bei jcbcm mit 18 Jahren er­ reicht ist, und weil ich nicht glaube, daß bei jedem,

bei dem die M annbarkeit m it 18 Ja hren erreicht ist, auch das Bewußtsein dieser Tatsache und das Sichklarwcrden darüber m it 18 Jahren vorhan­ den ist. Ich bin m ir natürlich darüber klar, daß w ir hier nicht etwa das Strasrecht ausweichen dürfen und daß diese Gefahr besteht. Aber ich kann m ir vorstellen, daß w ir bei bestimmten Gruppen von Delikten in der zweiten Lesung des Besonderen Teiles darauf zurück­ kommen müssen; um welche Gruppen es sich handelt, ergibt sich aus dieser Andeutung. Andererseits ist es klar, daß gerade in diesen F ällen die Rechtsprechung das Bedürfnis nach einer festen form alen Grenze haben w ird. Ic h bin vollkommen dam it einverstan­ den, wenn hier eine Anmerkung gemacht w ird , daß bei den einzelnen Gruppen von Delikten des Beson­ deren Teiles -diese Frage noch einm al besonders ge­ p rü ft w ird. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ic h w ill einen F a ll anführen, der m ir unlängst untergekommen ist. D e r Enkel einer sehr achtbaren F a m ilie verstrickt sich in die Maschen des § 175, und zw ar in sehr böser F orm . Nun w ird von der V er­ teidigung des M annes behauptet, er sei 21 Jahre alt, er stehe aber aus der Reisestuse eines Sechzehn­ jährigen, also eines jungen Menschen, der eben nicht geschlechtsreis ist. Ic h w ill einmal die Frage, ob das möglich und denkbar ist, ganz dahingestellt sein lassen. Aber das wäre ungefähr so ein F a ll. Staatssekretär D r. Freisler: Oder der 18jährige Fähnrich kommt in Gefangen­ schaft, ist mehrere Jahre in einem Gefangenenlager m it allem, was sich daraus ergibt! D as sind solche Fälle. Neichsjustizminister D r. Gürtner: Aber ich habe eine große Scheu davor, von dem Augenblick an, wo w ir die volle Verantwortlichkeit des Menschen annehmen, gewissermaßen noch eine A r t Beweissührnng zu verlangen, daß er nun w irk­ lich vo ll zurechnungsfähig ist. M ir wäre es in der F o rm des Gegenbeweises sympathischer, so daß, wenn er sich daraus beruft, daß er nicht zurechnungsfähig sei, das m it ganz bestimmten gesetzlichen Gründen be­ wiesen werden muß. Eine andere Frage ist es, ob man z. B . bei den Taubstummen die Entwicklung m it dem Adjektiv „geistig" bezeichnen sollte. W ir haben geschrieben: „ E in Taubstummer ist nicht schuldsähig, wenn er in der geistigen Entwicklung zurückgeblieben und deshalb unsähig ist, das Unrecht der T a t einzu­ sehen oder nach dieser Einsicht zu handeln." Is t das nicht zu eng? Professor D r. Kohlrausch: Ich möchte mich hier nicht grundsätzlich zu dem Problem äußern. An sich ist es natürlich so, daß das Leben n ur fließende Übergänge kennt, wo w ir feste Grenzen ziehen müssen. Wegen dieser Notwendigkeit bestehen seit Jahren Bestrebungen, noch fü r Besonder­ heiten bei den 18- bis 21 jährigen zu sorgen. M an

könnte die Frage der verminderten Zurechnungsfähig­ keit da m it hineinnehmen. Senatspräsident Professor D r. Klee: E s ist in diesem Hause eine Zusammenstellung über die gesetzgeberische Frage der strafrechtlichen Sonderbehandlungen der 18- bis 21jährigen Jugend­ lichen gemacht worden. I n dieser Zusammenstellung w ird auf das Bedenkliche hingewiesen, eine solcheSonderbehandlung im Gesetz vorzusehen, w e il nach der S tatistik die K rim in a litä t in diesem A lte r, namentlich soweit Rohheitsdelikte in Frage kommen, besonders stark ist und eine Verweichlichung b e i Strafrechts zu befürchten wäre, wenn man hier M ild e walten lassen würde. Dasselbe Problem würde bei alten Leuten auftreten (S e n ilism u s). M a n ist ja in der L ite ra tu r auch der Frage nähergetreten, ob nicht senile Leute, deren geistige Kräfte nachgelassen haben, als verm indert zurechnungsfähig anzusehen sind. Vielleicht ist die Bestimmung über die verm inderte Zurechnungsfähigkeit sowohl nach der Richtung der Berücksichtigung von jugendlichen, noch nicht reifen Menschen über 18 Jahren, als auch von nicht mehr v o ll strasmündigen Greisen nicht ganz vollständig. Ic h weist nicht, ob es ganz richtig ist, wenn H err Kollege Mezger sagt, es komme hier eine krankhafte S tö ru n g der Geistestätigkeit in Frage. B e i den Jugendlichen benft man vielmehr an Entwicklungshemmungen w ie beim Taubstummen und bei alten Leuten an das Nachlassen der geistigen und moralischen Kräfte, an eine rückläufige Bewegung. A ll das ist aber e in Problem , dessen Lösung den Psychiatern anzuver­ trauen wäre. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ic h komme aus der Befürchtung nicht heraus: W ir dürfen das Strafrecht nicht zu sehr in die Hände der M ediziner geben. Denken S ie an die S it t ­ lichkeitsdelikte! W er durch viele Zuchthäuser kommt und an den T üren im mer sieht, welch ein D e likt d a rin gesühnt w ird , der weiß, daß man die S ittlichkeitsver­ brecher in zwei Gruppen teilen kann: I n die Gruppe der Jungen, allerdings m it stärkeren Ausnahmen wegen des Geschlechtstriebes, und in die Gruppe der A lte n ; in der M ittelg ru p p e ist verhältnism äßig wenig. S ollten w ir nun die V erantw ortung fü r das Sittlichkeitsverbrechen, das in der Z e it des nochmals erwachenden Johannistriebes begangen w ird , wirklich unter eine andere Zurechnungssähigkeitsregel stellen? Ic h bin einigermaßen überrascht; ich hatte gar nicht daran gedacht, daß dieser Gedanke auskommen könnte. D as können w ir w ohl nicht. Ic h habe so das G efühl: Je einfacher und robuster die Regelung läuft, um so besser ist es. I m übrigen können m ir es niemals hindern und werden das nicht tun, daß in den Strasbemessungsgrnnden aus die Jugend usw. Rücksicht genonunen mirb. Alles andere kommt m ir aber sehr gefährlich vor. Staatssekretär D r. F re iste r: Ich mürbe dem Vorschlage von Herrn Professor Klee bezüglich der itcvnbon nicht zustimmen, und

zwar deshalb nicht, weil dort die Lage ganz anders ist. Diese haben ja das Leben und seine Anforde­ rungen an sich selbst bisher gemeistert und wissen, daß man eben einen Willen ausbringen muß. S ie haben -auch die volle Erkenntnis der Dinge. Hier handelt es sich aber um jemand, der die volle Erkenntnis nicht hat; er ist noch nicht reis, er ist jugendlich. Deshalb scheint mir dort die Lage eine völlig andere zu sein. Aber wie gesagt: Auch ich sehe die große Gefahr und weiß, daß das leicht zu einer völligen Aushebung jedes wirklich gültigen Maßstabes führen kann, der an einen Menschen angelegt werden muß. Deshalb bin ich damit einverstanden, hier nur die Anmerkung zu machen, daß wir diese Frage bei einzelnen Sittlichkeitsdelikten spater prüfen. (Ministerialdirektor Schäfer: W ir haben zum Teil auch schon daran gedacht. E s kommt die Fassung vor „eine Person über 21 Jahre".) Reichsjustizminister D r. Gürtner: W ir würden daraus abkommen, die primitive Regelung, daß jeder mit 21 Jahren voll verantwort­ lich ist, hier zum Ausdruck zu bringen. Vom S tan d ­ punkt der Praxis möchte ich sagen, daß in die Gruppe l>er 18- bis 21jährigen das jugendliche Großstadt­ verbrechertum gehört. Der Fall, daß der dekadente S ohn einer alten Familie in eine Lage kommt, wo tmnn die Verwandten behaupten, er sei nicht vollreif, ist wirklich eine seltene Ausnahme. Senatspräsident Profesior Dr. Klee: Ich denke bei den Senilen an einen Prozeß, der tmr zwei Jahren stattfand: Ein alter Künstler, der bis dahin völlig unbescholten war, hatte eine B rand­ stiftung begangen und wurde auch verurteilt. Dam als wurde die Frage ventiliert, ob der Senilism us als besondere Geistesverfassung auch im Strafrecht be­ rücksichtigt werden muß. Hier verminderte Zurech­ nungsfähigkeit anzunehmen wäre doch wohl unbe­ denklich; denn die verminderte Zurechnungsfähigkeit läßt ja, woraus der Herr Minister hinweist, lange Strafen zu, andrerseits aber auch heilende und ver­ wahrende Maßnahmen, die vielleicht gerade bei einem solchen alten M ann, dessen geistige und sittliche Kräfte nachgelassen haben, nützlich sind. D as intellektuelle Moment ist da nicht entscheidend. E r kann es verstandesmäßig einsehen, daß er Unrecht tut, aber er vermag die gesühls- und willensmäßigen Hemmungen nicht mehr im alten Maße auszubringen. D as hängt sicherlich mit physiologischer Veränderung in der Substanz des Gehirns zusammen. Vielleicht könnte auch in den gesetzlichen Straszumeffungsregeln dem Senilism us ebenso wie dem Juvenilismus Rechnung -getragen werden. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as ist eine andere Sache, dabei kann man alles berücksichtigen; aber bei der Schuld kann ich das Be­ denken nicht überwinden. Ich sehe da ein Abgleiten aus eine Ebene, auf der wir uns lange genug herumgetummelt haben. W ir haben doch alle die Zeit «riebt, wo verminderte Zurechnungsfähigkeit ein

ständiger Bestandteil aller forensischen Gutachten war, und zwar, ohne daß man sich dabei sehr stark den Kopf zerbrach, warum der Betreffende nicht voll zurechnungsfähig sein soll. Der Sachverständige plädierte eben für eine milde Beurteilung. Das Hin­ schauen aus die verminderte Zurechnungsfähigkeit scheint mir mit dem neuen Strafrecht nicht zusammen­ zugehen. Staatssekretär D r. Freister: E s ist nicht entscheidend, ob § 369 — „taub­ stumm" — und § 370 — „geistig" — wegbleiben soll. Der Täter ist eben in seiner Entwicklung zurückaeblieben und deshalb unfähig, das Unrechte seiner T at einzusehen. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: F ü r das Einsehen trifft das „geistig" zu, für das Danachhandeln nicht. Deswegen ist das „geistig" eventuell überflüssig, oder man muß sagen: „Geistige und sittliche Entwicklung". Profesior Dr. Mezger: Ich glaube, in § 369 ist mit Bewußtsein und mit Recht nur von der „geistigen" Entwicklung die Rede, während in § 367 Abs. 2 von der „geistigen oder sitt­ lichen" Entwicklung gesprochen wird. Der Gedanke ist der: Beim Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren handelt es sich um eine Entwicklung insbesondere der emotionalen Seite der Persönlichkeit; die Vorgänge der Pubertät wirken sich vielfach viel weniger auf intellektuellem als aus emotionalem Gebiet aus. Beim Taubstummen dagegen handelt es sich, wenn er im Gesetz besonders behandelt wird, nicht um eine beondere triebhafte Komponente seiner Persönlichkeit, andern er ist durch seine besondere Lage gehemmt, ich in intellektueller Beziehung so wie der Normale dem Leben anzupassen. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Aber trotzdem ist meine Frage nicht ganz klar­ gestellt. D as „geistig" paßt für die Einsicht, nicht aber für die Handlungsfähigkeit. Profesior Dr. Mezger: Beim Taubstummen handelt es sich im wesent­ lichen um die Frage, ob er im S inne der Einsichtssähigkeit schon die nötige Entwicklungsstufe erreicht hat. Besondere emotionale Gründe wie beim Jugend­ lichen in der Pubertätszeit spielen hier keine Rolle. Ich würde keine Bedenken tragen, das „geistig" überhaupt zu streichen. Die sittliche Entwicklung hier hereinzunehmen würde mir widerstreben. Reichsjustizminister D r. G ürtner: M ir schien es aus den ersten Blick überhaupt möglich, das Adjektiv wegzulassen und nur „Entwick­ lung" zu sagen. Ministerialdirektor Dr. D ürr: Eine verschiedene Regelung beim Taubstummen und beim Jugendlichen empfiehlt sich nicht. Sonst

wird sofort die Frage aufgeworfen, was der Grund dafür ist, daß beim Jugendlichen von der geistigen oder sittlichen Entwicklung gesprochen wird, beim Taubstummen aber nur von der Entwicklung. (Reichsjustizminister D r. G ärtner: Ich habe nichts dagegen, die Worte auch dort wegzu­ lassen.) Professor Dr. Mezger: E s ist seinerzeit mit Recht als ein großer Fort­ schritt empfunden worden, daß im Jugendgerichts­ gesetz die beiden Seiten der Entwicklung hervor­ gehoben wurden; das jetzt wieder fallenzulassen, würde mir nicht angezeigt erscheinen. E s bestünde die Gefahr, daß die Gerichte künftig beim Jugendlichen nur wieder die intellektuelle Entwicklung allein berück­ sichtigen und glauben würden, die emotionale Seite solle keine Rolle mehr spielen. D as wäre aber ein offenkundiger Rückschritt. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Demgegenüber kann man aber auch sagen: Dann kann man die geistige und sittliche Entwicklung auch vom Taubstummen annehmen. Der M ann, der von der Außenwelt abgesperrt ist dadurch, daß er keine Sprache und kein Gehör hat, ist dadurch in seiner Entwicklung maßgebend beeinflußt. Auch die sittliche Entwicklung bildet sich nicht so, wie wenn ein Mensch im Weltall als Einzelwesen vorstellbar ist, fonbent sie ist bedingt durch den Verkehr und die Verbindung mit der anderen Welt. I s t diese gestört oder abge­ schnitten, so ist das sicherlich auch richtunggebend für die ßcfmntc innere Entwicklung eines Menschen, oder kann es sein. (Professor Dr. Mezger: Wenn gewünscht wird, es hier einzufügen, so spricht dagegen ein prinzipielles Bedenken nicht. E s darf nur beim Jugendlichen nicht weggelassen werden.) Staatssekretär D r. Freister: W as eben gesagt ist, führt dazu, anzuerkennen, daß es die geistige, sittliche oder körperliche Entwick­ lung sein kann; denn mit Recht ist hervorgehoben worden, daß der Mangel der körperlichen Entwick­ lung, der darin besteht, daß jemand taub und stumm ist, eilte sehr wesentliche Ursache dafür ist, daß er in seiner geistigen und sittlichen Entwicklung zurückbleibt. Ebenso spricht das eben Gesagte dafür, daß das Vor­ handensein anderer körperlicher Mängel, die die Verbindung zur Außenwelt abschneiden, z. B. die Blindheit, genau so zu behandeln ist. Ich vermag nicht einzusehen, warum nicht bei den Blinden die geistige und sittliche Entwicklung auch soll zurückbleiben können. Ich vermag also auch nicht einzusehen, warum nicht der Blinde dem Taubstummen gleichgesetzt wird. Wenn man schon sagt: die Ursache für das Zurück­ bleiben der geistigen und sittlichen Entwicklung ist der körperliche Mangel, ja sogar die körperliche Entwicklungsunsähigkeit eines wesentlichen Organs, so soll man, wenn man schon die Differenzierung als not­ wendig spürt, auch sagen: „infolge ihrer körperlichen,

geistigen oder sittlichen Entwicklung". Dann gilt daL aber auch für die Jugendlichen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ginge darauf hinaus, diese Adjektive in beiden Fällen zu gebrauchen.) — Gewiß. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Dagegen habe ich auch keine Bedenken. D ie körperliche Entwicklung kann gerade in puncto p u n c ti durch einen Unfall, der die äußere Entwicklung der Geschlechtsorgane betrifft, außerordentlich schief ge­ leitet werden. Professor Dr. Kohlrausch: Ich würde dagegen Bedenken haben. E s kommt uns doch nur darauf an, ob wir es mit Leuten zu tun haben, die als g e i st i g - s i t t l i ch e Wesen reif oder unreif sind. Der Schluß, daß eine geistige oder sittliche Unreife oder Hemmungslosigkeit aus körperlichen Un­ vollkommenheiten beruhen kann, berechtigt nicht zu dem umgekehrten Schluß, daß körperliche Mängel stetsins Geistig-Sittliche hineinragen und uns berechtigen, zu einer milderen Strafe zu schreiten. Staatssekretär Dr. Freksler: Ich bin davon überzeugt und ziehe den Antrags „körperlich" besonders zu erwähnen, zurück. Ich würde aber in bezug auf die geistige und sittliche Entwicklung, die Blinden den Taubstummen gleichsetzen. (Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as wäre eine Änderung und Ergänzung des § 369.) Professor Dr. Nagler: E in Bedürfnis, die anderen Desektmenschen den Taubstummen gleichzustellen, hat sich bisher in der Rechtsprechung nicht gezeigt. I m Gegenteil hat die P raxis gezeigt, daß die Blinden verhältnismäßig wenig kriminell werden, weil ihnen die Gelegenheit, sich rechtswidrig zu betätigen, im allgemeinen fehlt. Ich habe noch nie einen Blinden gesehen, bei dem man hätte sagen können, daß er in seiner geistigen Entwicklung infolge der Blindheit zurückgeblieben wäre. Diese Leute pflegen im Gegenteil ein besonders intenstves Innenleben zu führen, aus sich zurückge­ zogen zu sein und allen Einwirkungen, die an sie herankommen, nachzugehen. Ich sehe keine praktische Notwendigkeit, die Taubstummen-Bestimmung zu er­ weitern. ' ! Ministerialdirektor Dr. D ürr: Ich möchte es für notwendig halten, daß wir zu­ nächst über die bisherigen Erfahrungen Erkundigungen einziehen. Ich bin der Meinung, daß bei den Taub­ stummen infolge des Mangels, sich zu verständigen, die Entwicklung gehemmt ist. Der Blinde kann sich durch die Sprache so gut verständigen, daß er sehr wohl aus den gleichen Grad der geistigen und sittlichen Reise gebracht werden kann wie der Sehende. Hier­ nach hätte ich größte Bedenken, am grünen Tisch einen Beschluß zu fassen, ohne vorher Sachverständige ge­ hört zu haben.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Darf ich die Frage an alle Herren richten: Is t der Wunsch, die Blinden den Taubstummen gleichzu­ stellen, irgendwo ausgesprochen worden? M ir ist das nicht bekannt. (Professor Dr. Nagler: D as Gegenteil ist der Fall.) Staatssekretär Dr. Freisler: Die Geburtblinden sind gemeint, also diejenigen, die blind gewesen sind, ehe sie die Entwicklung be­ gonnen haben. Rcichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde vorschlagen, es in den Text nicht auf­ zunehmen, sich aber darüber zu vergewissern, ob dazu vom Standpunkt der Mediziner aus etwa ein Be­ dürfnis bestünde. Landgerichtsdirektor D r. Lorenz: Aus der Praxis möchte ich erwähnen, daß ich es noch nie erlebt und auch noch nie einen F all gehört habe, daß ein Blinder vor Gericht gekommen ist. Ein praktisches Bedürfnis hat stch also bisher wohl nicht ergeben, Sonderbestimmungen für Blinde zu erlassen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as mag auch aus dem praktischen Grunde be­ ruhen, daß der Blinde im allgemeinen nicht als Einzelwesen in der Volksgemeinschaft lebt, sondern in der weitaus größeren Zahl der Fälle in Korpo­ rationen, Blindenanstalten usw. Landgerichtsdirektor D r. Lorenz: M an wird zwischen Blindgeborenen und solchen, die später blind geworden sind, unterscheiden müssen. Der blindgeborene Mensch ist ganz anders zu beur­ teilen als der, der später durch einen Unfall, vielleicht auch durch eine Kriegsverletzung blind geworden ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D aß wir einen Kriegsblinden a ls minder zurech­ nungsfähig ansehen, halte ich nicht für möglich. Staatssekretär Dr. Freister: Der einzige Punkt ist: Der konstitutionelle Mangel liegt im Charakterlichen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich habe die Ausführungen von Schasfstein dar­ über gelesen. Der konstitutionelle Mangel liegt im Charakter und soll dann nicht als verminderte Zu­ rechnungsfähigkeit gelten. Bei der Betrachtung der Frage ist mir sehr peinlich zumute, weil ich mir nichts Rechtes darunter vorstellen kann, nichts konkret F aß­ bares. Was heißt das überhaupt, ein Mangel liegt im Charakterlichen? (Staatssekretär Dr. Freisler: Der Diebessüchtige!)

— D as kann eine Form bet Geisteskrankheit sein und gehört dann von selber dazu. (Senatspräsident Dr. Klee: Moralisches Irres sein.) — Aber der Hang zur Faulheit, zur Arbeitsscheu, der Hang, sich aus bequemere Weise als durch Arbeit Geld zu verschaffen, ist Charaktermangel. (Staatssekretär D r. Freisler: Wenn irgend­ ein Wissenschaftler beweist, daß jemand diesen Hang hat, dann sind wir ihm ausgeliefert.) — Ich sehe die Abgrenzung nicht recht.

Das Charakterologische ist ein sehr schönes Wort, aber ich sehe nicht, wie man praktisch damit durchkommen soll. Ich muß von einem Menschen verlangen, daß er einer Versuchung die Hemmungen entgegenbringt, die ein gesunder normaler Mensch mit Rücksicht aus die Pflicht gegen die Volksgemeinschaft aufzubringen hat. Wenn er das aus Grund eines Konstitutionsmangels nicht kann, in diesem Sinne also vermindert zurech­ nungsfähig ist, dann will ich das einsehen; aber wenn er es nicht tut, weil ihm das andere lieber und be­ quemer ist, will ich es nicht, sondern den Betreffenden als vollkommen zurechnungsfähig behandeln. Professor Dr. Gras Gleispach: Ich bin durchaus dieser Auffassung. Wie ich be­ merkt habe, bestehen in den Kreisen der Psychiater merkwürdige Mißverständnisse. Auch aus dem Gut­ achten von Gruhle geht das hervor, das nach manchen Richtungen sehr belehrend ist. Ich darf nur ein paar Sätze von Seite 7 verlesen. Dort wird davon ge­ sprochen, daß die Psychopathen infolge einer reinen Konvention von dem angeborenen oder früh erwor­ benen Schwachsinn abgetrennt werden. Nun heißt es: „Diese Schwachsinnigen vermögen zum großen Teil in der T at nicht das Unrecht der T at einzusehen oder ihren Willen dieser Einsicht gemäß zu lenken, ohne doch zurechnungsunfähig zu sein". D as ist eine ganz unmögliche Behauptung. Wenn jemand diese ent­ scheidenden psychologischen Fähigkeiten nicht hat, ist er zurechnungsunsähig, aber ich kann ihn nicht als einen vermindert Zurechnungsfähigen erklären, der nicht imstande ist, bestimmten Reizen Widerstand zu leisten. Eine ähnliche Ausführung habe ich auch bei Herrn Kollegen Klee gefunden, der sagt: Der vermin­ dert Zurechnungsfähige ist nicht imstande, eine höhere Willenskraft aufzubringen, und notwendigerweise kann man ihn nicht oder nicht strenger bestrafen. D ort ist auch das Bild gebraucht von dem M ann, der sich selbst aus dem Sumpf ziehen will. W ir haben eine klare Grenze: zurechnungsfähig oder nicht, dann allenfalls vermindert zurechnungsfähig. Wenn jemand nicht imstande ist, der Einsicht gemäß zu handeln, ist er eben als geisteskrank anzusehen und ist dann zu­ rechnungsunsähig. Ich halte bnntnt solchen Aus­ führungen gegenüber nach wie vor den Satz für ganz richtig, der grundlegend für unsere Auffassung ist: Du kannst, denn du sollst! Wenn nicht, dann ist er eben ohnedies als Geisteskranker auszuschalten. Darum sind eben iy solchen Fällen, wo man nicht eine die

Schuldsähigkeit ausschließende geistige Erkrankung feststellen kann, charakteralogische Abweichungen vor­ handen, die aber nicht bestraft werden können. Nur muß man das nicht besonders sagen, weil sich das aus dem sehr klaren System — schuldsähig, ver­ mindert schuldsähig oder schuldunsähig — ganz zwingend ergeben muß. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: An wen darf ich den S ah richten: „Du kannst, denn du sollst!"? An den Schuldunsähigen sicherlich nicht. An den vermindert Schuldsähigen? Professor Dr. Gras Gleispach: J a , durchaus, und da halte ich nach wie vor den Gedanken für richtig, zu sagen: „Weil du überhaupt minder tauglich.in der Volksgemeinschaft bist, so mußt du diese erhöhte Anstrengung aufbringen!" E s fällt ihm schwerer, sich richtig zu verhalten, aber wir dürfen cs von ihm verlangen, und zwar, weil er es voraussetznngsgemäß kann; sonst ist er ja nicht zurech­ nungsfähig. W ir dürfen das um so mehr, weil er sozu­ sagen ständig in der Schuld — nicht in strafrechtlichem Sinne — gegenüber der Volksgemeinschaft ist. (Reichsjustizminister D r. Gürtner: Trotzdem würden S ie aber die Strasmilderungsmöglichkeit bei vermindert Zurechnungsfähigen zu­ lassen?) — J e nach der Lage der Fälle. Reichsjustizminister D r. Gürtner: An den, der der dritten Gruppe der charakterlich Verbogenen angehört, kann ich in jedem Falle die Aufforderung richten: „D u kannst, denn du sollst!" D as ist auch Ih re Meinung? (Professor D r. Gras Gleispach: J a .) — Da ist es ganz zweifellos. E s kann sich niemand daraus berufen, dass sein Charakter nicht richtig sei; das kann der Strafrichter gar nicht anhören, sondern er kann nur anhören: „Ich kann überhaupt Schuld und Unrecht nicht unterscheiden", zweitens: „Ich kann es zwar unterscheiden, aber nicht so wie ihr!" — Wenn wir schon die fakultative Strafmilderung bei den vermindert Zurechnungsfähigen zulassen wollen, haben wir den Haupteinwand: „D u verlangst vom Grashalm, daß er Baum ist", zu beantworten. Darum möchte ich die Diskussion darüber gar nicht mehr eröffnen, weil die Meinung, dass man hier nicht zwischen konstitutionell und vorübergehend diffe­ renzieren soll, allgemein geworden ist. Jetzt handelt es sich bloss darum, mit diesem für mich etwas schwierigen Begriff des Charaktermangels, der Ver­ biegung fertig zu werden. Das Gesetz sollte darüber überhaupt nichts sagen. Professor D r. Mezger: W ir würden mit solchen Formulierungen eine babylonische Sprachverwirrung heraufbeschwören. Die medizinische Psychiatrie versteht in der Regel unter „Charakter" das gesamte Gefühls- und Willensleben. Ich habe zunächst geglaubt, es sei mit der vorge­

schlagenen Formulierung an die Charakter-Psycho­ pathen gedacht, also an reizbare, Stimmungsschwan­ kungen unterliegende Menschen usw. Jetzt sehe ich, daß nur das enge Gebiet des sogenannten moralischen Irreseins gemeint ist. Bei dieser Verschiedenheit des Sprachgebrauchs und bei dieser Mehrdeutigkeit des Allsdrucks eignet sich die vorgeschlagene Formulierung m. E. nicht zur gesetzgeberischen Verwertung. Staatssekretär Dr. Freister: Aus den Ausführungen von Herrn Graf Gleispach ergibt sich gerade die Notwendigkeit, im Gesetz zu betonen, daß hier der Satz gilt: „Du kannst, denn btt sollst". Aus den Gutachter wird sich der Richter letzten Endes verlassen, und dieser sagt ihm: Diese charakterlichen Mängel sind eben derart, daß man dagegen nicht ankann. Wenn du von dem T äter ver­ langst, daß er doch dagegen ankämpft, so verlangst du: „G ras, werde Eiche!" Damit der Richter einem solchen Gutachten nicht ohne weiteres folgt, ist nt. E die Aufnahme des Satzes notwendig, daß ein Mangel int Charakterlichen regelmässig nicht honoriert wird. Der S in n meines Vorschlages ist, dem Richter den Rücken zu stärken gegenüber dem Sachverständigen, da er sonst aus dem Gefühl der Überlegenheit deS Sachverständigen auf diesem Gebiete diesem nur allzu leicht folgen wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Weg wäre schon diskutabel, wenn mir nur jemand sagen könnte, was eigentlich „Charakter" in diesem S inne ist. Ich habe geradezu Angst davor, ein Wort zu gebrauchen, von dem wir uns selber keine eindeutige Vorstellung machen können. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich habe vorhin das Gutachten von Gruhle zur Sprache gebracht und nach einer Richtung hin scharf kritisiert. Deshalb halte ich es für ein Gebot der Loyalität zu erklären: Ich habe wegen dieses Punktes, aber auch wegen einiger anderer Punkte mich mit Gruhle brieflich ins Einvernehmen gesetzt. Diese merkwürdigen Sätze aus Seite 5 dadurch zu klären, ist mir leider nicht gelungen. DaS lag daran, daß Gruhle, als er mir schrieb, den W ortlaut seines Gutachtens nicht vor sich hatte. Die Angriffe, die von seiten der Psychiater gegen den Entwurf zum Teil gerichtet worden sind, beruhen wohl auch darauf, dass die Psychiater sich heute und, wie ich mich Erkundigen konnte, schon in weitem Maße auf eine Terminologie geeinigt haben, die von der unsern ganz «verschieden ist. F ü r den Psychiater ist begrifflich „Psychopath" jeder Mensch, der von der Norm wesentlich abweicht; es ist ein völlig wertfreier Begriff. Der Psychiater sieht Beethoven als schweren Psychopathen an, aber als ethisch durchaus hoch­ stehenden Mann> weil er zwar abnorme Neigungen hatte, gegen die er aber anzukämpfen wusste. E r hat vielleicht manches in der Musik sich ausleben lassen. Aber obwohl er zu strafbaren Handlungen erhöhten Antrieb in sich besessen haben mag, so hat er, soweit

man das weiß, niemals das Gesetz verletzt. E r w ar unter dem Gesichtspunkt der Wertbetrachtung ein sehr bedeutender, hochstehender M a n n ; aber trotzdem ist er fü r die Psychiater ein Psychopath. Nun ist das eine Auffassung, die w ir nicht haben, wenigstens die meisten von uns nicht, wenn sie vom Psychopathen sprechen. Manche der A n g riffe gegen das kommende Strafrecht in seinem ersten T e il erklären sich daraus, daß man verschiedene B e g riffsin ha lte unter dem gleichen W o rt versteht. D ann möchte ich betonen: G ruhle steht aus dem Standpunkt, man soll diese Leute strafen. D as ganze Gutachten ist getragen von dem Gedanken einer energischen Bekämpfung auch der Psychopathen, die nach Ansicht von Gruhle keine große Rolle spielen. Z u den Ausführungen des Herrn Staatssekretär F re is te r darf ich daran erinnern, daß in der Fassung des österreichischen E n tw u rfs von 1909 der S a h ent­ halten w a r: „Krankhafte Neigungen zu strafbaren Handlungen gelten nicht als Geisteskrankheit". Das berührt sich m it dem Gedanken: Charakterologische M än g e l sind kein G rund fü r Strafm ilderungen. V on seiten der Psychiatrie ist dieser Satz natürlich aufs heftigste angegriffen worden, w e il man gesagt hat: „ D a s können nur w ir beurteilen, ob Geisteskrankheit vo rlie g t oder nicht, aber das kann nicht ein Gesetz dekretieren". Heute teile ich durchaus nicht mehr das Bedenken, daß die Psychiater m it ihren Gutachten das Strafrecht aushöhlen und abbauen. Es ist inzwischen ein völliger Umschwung eingetreten. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als ob das Gutachten von G ruhle im allge­ meinen aus eine sogenannte Knochenerweichung des gesellschaftlichen Schuhes überhaupt oder des straf­ rechtlichen Schutzes hinarbeitet. Vieles, was er sagt, ist nur durch terminologische Verschiedenheiten in der Sprache der Psychiatrie und in der Sprache des der Psychiatrie nicht besonders Nahestehenden zu erklären. Reichsjustizminister D r. Gürtner: W ie soll der S tra frich te r sich stellen, wenn der Angeklagte sagt: „M e in Charakter ist nun einmal so!"? Professor D r. Gras Gleispach: Wenn die Veranlagung nicht ausgesprochen krank­ hafter N a tu r ist, dann ist er natürlich zu bestrafen. D a s ist der S in n unserer ganzen Vorschriften, und ich würde das Vertrauen haben, daß der Richter das auscinanderzuhalten versteht. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Unser Aufbau ist der: W ir reden von „Schuldfähigkeit" und fragen: „Welcher Mensch kann sich überhaupt m it Schuld beladen?" D ann sagen w ir : E s gibt zwei Gruppen von Menschen: die einen m it vo lle r Schuldsähigkeit, die andern auch schuldsähig, aber nicht in vollem Maße. Begründung: D e r eine besitzt die Fähigkeit, einzusehen und zu handeln, der andere auch, aber etwas gehemmt. Beide sind verantwortlich^

Und nun, vom Charakter her gesehen, muß ich sagen: Auch demjenigen gegenüber, der sagt: „ M e in Charakter ist nun einmal so!" gibt es n u r die Frage: „Hast du die Fähigkeit, einzusehen und zu handeln?" Wenn das bejaht w ird , dann ist er vo ll verantwortlich. Staatssekretär D r. Freister: D ann sagt der Sachverständige darauf: D ie Fähigkeit,' einzusehen, daß das Unrecht ist, hat er; aber er hat einen solchen krankhaften Trieb zum Stehlen, daß er diesem folgen muß. D as ist genau dasselbe, wie H err G raf Gleispach sagte: E r ist straf­ bar, falls die Veranlagung nicht krankhafter N a tu r ist. Dadurch, daß w ir das sagen, liefern w ir den Richter dem Sachverständigen aus, und dieser w ird in vielen Fällen feststellen, daß das Verhalten des T ä te rs feinen G rund in einer krankhaften Veranlagung hat. Reichsjustizminister D r. Gürtner: E in Beispiel: Es gibt eine F o rm der Erkrankung, die einer exaltierten Betätigung des Geschlechtstriebs entspringt. M a n spricht von S atyriasis oder — beim weiblichen Geschlecht — von Nymphomanie. Diese beiden D inge kann ich überhaupt strafrechtlich n u r gelten lassen, wenn m ir dargetan ist, daß hier tatsächlich eine krankhafte S tö ru n g des Trieblebens vorliegt, die den M a n n außerstand setzt, so zu handeln, wie er müßte. Wenn das wirklich der F a ll ist, dann ist er entweder gar nicht oder verm indert zurechnungsfähig. Aber die Lust, sich geschlechtlich zu betätigen, ist bekanntlich außerordentlich verschieden. Bei einem jungen Bauernburschen in den Jahren der Geschlechts­ reife, der ein Draufgänger ist, w ird man das straf­ rechtlich auf keinen F a ll berücksichtigen dürfen. Senatspräsident Professor D r. Klee: D ie heutige Psychiatrie steht gar nicht auf dem Standpunkt, daß es eine „m o ra l m s a n ity " m it den Folgen des § 51 S tG B , gibt, ohne daß gleichzeitig eine allgemeine geistige Erkrankung vorliegt, eben­ sowenig wie sie an M onom anien wie Kleptomanie und Pyrom anie glaubt. Deshalb ist nicht zu be­ fürchten, daß angesichts eines sogenannten moralisch I r r e n der Richter dem Sachverständigen ausgeliefert w ird . I n der P ra xis sind m ir Gutachten, die die Auffassung vertreten, daß der Beschuldigte für seinen unmoralischen Charakter nicht verantwortlich und daher freizusprechen sei, nicht vorgekommen. N u r dann, wenn die „ m o r a l in s a n ity " im Rahmen einer ganz bestimmten F o rm der Geisteskrankheit liegt, die den Kategvrien der psychiatrischen Wissenschaft ent­ spricht, kayn von einer Anwendung des § 51 die Rede fein. ' Wenn gesagt worden ist, daß der S ah „ D u kannst, denn du sollst" zu unrecht angegriffen worden ist, so darf ich wohl darauf hinweisen, daß ich nur die A n ­ wendung dieses Satzes im Zusammenhange m it dem früher von uns angenommenen und jetzt ausgegebenen Unterschiede zwischen habitueller und vorübergehender verminderter Zurechnungsfähigkeit hinsichtlich der

Strasmilderungsmöglichkeit bekämpft habe. Von habituell Willensschwächen kann kein erhöhter W illensantrieb gefordert werden. I m übrigen glaube ich allerdings, daß die Grenze zwischen dem Psychopathen m it verm inderter Zurech­ nungsfähigkeit und dem vö llig Unzurechnungsfähigen außerordentlich schwer zu ziehen ist. D e r Unterschied würde aber praktisch dann keine Rolle spielen, wenn w ir -den verm indert Zurechnungsfähigen gegenüber die T rennung zwischen S tra fe und heilender Be­ handlung nicht mehr aufrechterhalten würden. Reichsjustizminister D r. G ü rtn e r: Ic h bin einigermaßen erschrocken über Ih r e letzten Sätze. Das klang ja, als ob S ie den verm indert Z u­ rechnungsfähigen gegenüber überhaupt keine S trafe anwenden wollen. Senatspräsident Professor D r. Klee: Ic h trete jedenfalls fü r eine Jn te rn ie ru ng sa rt ein, die, unter Berücksichtigung des Geisteszustandes dieser Schädlinge durchgeführt, die Volksgemeinschaft genau so wirksam vor ihnen schützt, wie dies irgendeine F re i­ heitsstrafe tut. Ich sträube mich n u r gegen den Ge­ danken, daß man die Leute zuerst einige Jahre ins Gefängnis b ringt und dort die S tra fe unter Berück­ sichtigung ihres geistigen Zustandes vollzieht und dann in eine Anstalt, wo sie unter Berücksichtigung dieses Zustandes auch nicht wesentlich anders behandelt werden. Und das alles unter dem Gesichtspunkt, daß cs eine W illensfreiheit gibt: „ D u kannst, denn du sollst", und daß die in dem Mißbrauch dieser Freiheit liegende Schuld durch ein Strasübel gesühnt werden müsse. Es ist m. E. ein unlösbares Problem , was hier einfach festgestellt w ird . Ic h meine, das Strafrecht braucht nicht auf der doch sehr problematischen W illensfreiheit ausgebaut zu werden; als Grundlage genügt der Schutzgedanke, in dem w ir alle einig sind. W enn ich nicht irre , hat auch Herr Staatssekretär F re iste r früher den Standpunkt eingenommen, daß w ir es als Strasgesetzgeber nicht nötig haben, zu dem Problem des freien W ille n s Stellung zu nehmen. D e r Schutzgedanke aber führt zur Einspurigkeit, zur sogenannten Sicherungsstrafe. Reichsjustizminister D r. G ü rtn e r: A m Rande möchte ich die Frage auswerfen: Unterliegen w ir nicht dauernd der Versuchung zu glauben, daß jeder Unzurechnungsfähige oder ver­ m indert Zurechnungsfähige sicherheitsgesährlich ist? D avon ist doch gar keine Rede. W ir sprechen von der Sicherungsverwahrung und von den Maßregeln der Besserung so, als wepp der vepylinhert Zurechnungs­ fähige und der jja tu und gar Schulduysähige ipso fa c to solche Behandlung notwendig hätten. Senatspräsident Professor D r. Klee: S ie bedürfen aber einer besonderen ReaktionsWeise des S taates; diese brauche ich nicht unter den überkommenen Strasbegrifs zu bringen. Reichsjttstizminister D r. G ü rtn e r: D ann sind w ir beim Alpha angekonnnen. Das würde eine Debatte über Determ inism us und Jude-

term inisnm s zur Fplge haben. D ie können w ir heute nicht bis zum Ende durchführen. I s t es notwendig, im Gesetz etwas aufzunehmen, daß derjenige, der aus charakterologischen Anlagen einen Hang zum strafbaren T u n hat, kein P riv ile g daraus haben kann? D as ist die Frage, um die es sich handelt, und dg hin ich der M einung, das brauchte es nicht, jedenfalls dann nicht, wenn w ir die verm in­ derte Zurechnungsfähigkeit ausschließlich auf objektiv erkennbar gemachte Gründe zurückführen. V erm indert zurechnungsfähig ist der, in dem gewisse M ängel v o r­ handen sind, in dem das Können beschränkt ist; und wenn das der F a ll ist, dann brauchen w ir das nicht aufzunehmen. Ich habe eine Angst, so etwas in das Gesetz hineinzuschreiben. Es ist so: Zuerst kannte das Strafrecht n u r den B e g riff der Zurechnungsfähigkeit und den der Unzurechnungsfähigkeit; etwas D ritte s gab es nicht. D ie P ra x is hat längst den B e g riff der verminderten Zurechnungsfähigkeit geschaffen, und zwar in einer Form , die m ir viel zu weit geht. Ic h halte es fü r unerwünscht, diesen B e g riff in das Gesetz aufzunehmen und zu sagen: D u darfst von verm in­ derter Zurechnungsfähigkeit aber n u r sprechen, wenn dieser M angel des Könnens vorliegt. Und wenn w ir das tan, dann scheidet alles, was Charakterverbiegung und schlecht? Eigenschaften sind, aus. W ir schaffen dann nochmals einen Zwischenzustand zwischen den v o ll Zurechnungsfähigen und den verm indert Zgrechnungsfähigen. H)as ist nicht notwendig. Professor D r. N agler: Ich habe immer den Eindruck gehabt, daß Cha­ raktermängel von den Psychiatern n u r zu oft ohne weiteres aus eine krankhafte Veranlagung zurückge­ fü h rt werden. D er Richter kann dagegen kaum auf­ kommen. W ir sollten uns daher m it den Psychiatern in Verbindung setzen, ob es nicht möglich ist, die chronische verminderte Zurechnungsfähigkeit n u r m it gewissen Einschränkungen in das Gesetz aufzunehmen. D ie Bedenken des H errn Staatssekretärs F re iste r sind wirklich nicht unberechtigt. Ic h glaube, w ir müssen Vorkehrungen treffen, daß die Richter nicht vom Sachverständigen überrumpelt werden; beim als Psychiater fungieren nicht n ur Herren von der Universität, sondern auch kleinere Geister, die zu rasch m it dem U rte il „verm indert zurechnungsfähig" zur Hand sind. D er Sachverständige hat n ur die b io lo ­ gischen und psychologischen Grundlagen fü r das ge­ richtliche Schnldurteil zu liefern. E r darf picht schließlich das Schuldurteil selbst dir'gierpy. D ie geäußerten Bedenken sind nicht von der Hand zu weisen. Reichsjttstizminister D r. G iir tn - r : Ich., möchte in allem Ernst die Frage stellen: Haben S ie wirklich den Eindruck, daß unsere moderne Psychiatrie in der Richtung auf eine Zerstörung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit hinsteuert? Professor D r. G ra f Gleispach: Ic h würde diese Bedenken teilen, wenn w ir uns in einen Zeitpunkt Vor 5 ober 10 Jahren zurückver­ setzten. Aber man verkennt, das; inzwischen ein

vö llig e r Umschwung eingetreten ist. D as ist ganz erklärlich; auch auf die Psychiatrie w irk t sehr stark der völlige Umschwung, der in der ganzen S ta a ts ­ führung auch bezüglich der Bekämpfung des V e r­ brechens eingetreten ist. D as ist ein G rund, der auch bei dem letzten psychiatrischen Kongreß in der Frage der Psychopathenbehandlung stark hervorgetreten ist. D er zweite Punkt ist, daß neben der Unzurech­ nungsfähigkeit und der verminderten Zurechnungs­ fähigkeit die Drohung der Sicherungsverwahrung steht. Es ist interessant zu beobachten, welcher Um­ schwung hierdurch eingetreten ist. F rü h e r hat der A n ­ geklagte m it allen M itte ln dahin gestrebt, fü r geistes­ krank angesehen 51t werden oder wenigstens als m inderwertig, zu gelten. Heute ist das ganz anders. Ic h darf das sagen, w e il ich jetzt etwa ein J a h r lang in dem In s titu t fü r gerichtliche M ed izin gelegentlich tä tig bin und die Dinge in der P ra x is sehe. F ü r die Leute ist heute die Unzurechnungsfähigkeits-Erklärung der größte Schrecken, und sie wehren sich gegen den § 51, w e il sie sagen: „Ic h kann in Sicherungsver­ wahrung kommen; das ist ärger als Gefängnis oder Zuchthaus". D ie Leute fürchten das geradezu. Ic h habe selbst erlebt, daß der Beschuldigte den Professor an­ gefleht hat, er solle ihn doch nicht fü r geisteskrank erklären. D arum habe ich diese Bedenken heute nicht mehr. M in isteria ld ire kto r Schäfer: Ich möchte m ir einen praktischen Vorschlag erlauben. D ie Anregung des H errn Staatssekretärs geht dahin, im dritten Absatz des § 370 einen Satz anzufügen, also zu dem Satz „ D ie S tra fe kann ge­ m ildert werden" einen Zusatz zu machen. N un denkt auch der H e rr Staatssekretär nicht daran zu sagen: „ D u kannst, denn du sollst"; sondern er denkt an eine Wendung wie „D a be i hat der Richter zu prüfen, ob nicht von dem T ä te r wegen seines geringen Hcmmungsvermögens vom Standpunkt der Volksge­ meinschaft zu verlangen ist, daß er durch erhöhte Krastanstrcngung einen Ausgleich schasse". Ich möchte glauben, daß ein solcher Zusatz an dieser Stelle nicht paßt. M a n könnte aber bei der Strafzumessung einen Paragraphen über die verminderte Zurechnungsfähig­ keit aufnehmen; bei der Strafbemessung kann man ruhig weniger präzise sein. M e in Vorschlag würde seht, bei der Strafbemessung etwas Entsprechendes einzufügen. Neichsjttstizminister D r. G ärtner: D as würde wenigstens das Bedenken zerstreuen, daß man bei der Frage „W e r ist fähig, schuldig zu werden?" mehr sagt, als man sagen muß. W ir sollten darauf abkommen, hier diese Anregung m it der charakterologischen Veranlagung nicht zu verwenden. Ic h bin durch nichts vom Gegenteil überzeugt worden. Ic h hielte das fü r sehr gefährlich. D as ist wohl auch die M einung der M ehrzahl der Herren, die dazu gesprochen haben. Staatssekretär D r. Freister: B e i der Strafbemessung hatten w ir

uns nach

langer Debatte entschlossen, alle diese Sachen nicht in das Gesetz hineinzuschreiben. W ir haben damals nur einen Grundsatz aufgestellt, w e il w ir uns klar waren, daß w ir sonst in s Uferlose kommen. W ollen S ie dies bei der Strafbemessung in die Gründe hineinschreiben? M in isteria ld ire kto r Schäfer: Nein, w ir können es ruhig in den Text schreiben, w ir können einen Paragraphen über die verminderte Zurechnungsfähigkeit schaffen. Reichsjustizminister D r. -Gärtner: Vielleicht schon, um dem Gedanken zu begegnen, daß die verminderte Zurechnungsfähigkeit ganz und gar und in jedem F a ll eine M inderung der S tra fe bedeutet. Diesen Gedanken möchte ich auch durchaus untergebracht wissen. H ier bei der Schuldsähigkeit möchte ich das aber nicht empfehlen. W ir kämen jetzt zu einem Kapitel, das m it die größten Schwierigkeiten ergeben w ird , vor allem syste­ matisch: A u ssch lu ß von Unrecht und Schuld, dessen Überschrift schon aufreizend, provozierend ge­ w irk t und zum Kampf herausgefordert hat. Zunächst die Herren Berichterstatter! Berichterstatter Landgerichtsdirektor Lelmer: I n diesen Abschnitt über den Ausschluß von Un­ recht und Schuld sind die F älle der Notwehr, der Sachnotwehr und des Notstandes aufgenommen. Z w eifellos haben diese drei Gesichtspunkte allgemeine Bedeutung und müssen im Allgemeinen T e il behan­ delt werden. M e h r solcher allgemeinen Ausschluß­ gründe im Allgemeinen T e il festzulegen ist meines Erachtens nicht angezeigt, ist auch früher von uns abgelehnt worden. Insbesondere scheint m ir nicht ge­ boten, einen allgemeinen Tatbestand des übergesetz­ lichen Notstandes oder einen solchen des S ta a tsn o t­ standes festzulegen. E in Ausschluß der Rechtswidrigkeit bei Taten, die die Rechtsordnung des deutschen Volkes gestattet, wie der B und NationalsozialistischerDeutscherJuristen in der Zusammenstellung auf Seite 50 vorschlägt, und ein Schuldausschluß bei Taten, die subjektiv und ob­ jektiv im Interesse des Volkswohls begangen werden, wie dort ebenfalls vorgeschlagen ist, scheint m ir zu w eit zu gehen. D e r Gesetzgeber sollte es in der Hand behalten zu bestimmen, wann die als Unrecht bezeich­ neten Tatbestände straflos übertreten werden dürfen. I m einzelnen möchte ich meinen, daß die Über­ schrift etwas zu vie l sagt. E s sind hier nicht alle U n­ rechtausschließungsgründe genannt, es sind auch nicht alle Schuldausschließungsgründe genannt; ja die Schuldausschließungsgründe sind sehr zu kurz ge­ kommenen diesem Absatz; denn n u r ein T e il des N o t­ standes ist als schuldausschließend angesehen worden. Ob man nun die sämtlichen Unrechtausschließungsflrimbe und die Schuldausschließungsgründe in einem solchen Abschnitt zusammentragen soll, scheint m ir zweifelhaft. Ich meine, man sollte insbesondere die­ jenigen, die in den sogenannten Unzurechnungsfähig­ keits-Abschnitt gehören, dort stehen lassen, und man

sollte etwaige andere Unrechtausschließungsgründe nicht mehr hier hereinnehmen. Die Überschrift würde sich vielleicht, wenn in diesem Abschnitt bleibt, was darin steht, bester dahin fasten lasten, daß man von „Notwehr und Notstand" spricht; denn mehr steht nicht darin. E s wird vielleicht aber gelingen, den Notstand, wenn ich so sagen darf, einspurig zu machen, und dann wird er entweder hier verschwinden oder auch völlig zum Unrechtausschlie­ ßungsgrund werden, und dann wird sich die Über­ schrift wohl entsprechend ändern lasten. W as die Notwehr anlangt, so hat der Stellver­ treter des Führers rein äußerlich die altmodische und schlechte Sprache bemängelt. M an darf wohl sagen, daß die Fassung „Notwehr ist d i e j e n i g e Verteidi­ gung, w e l c h e . . . " lediglich in der Hitze des Ge­ fechtes in den Entwurf hineingekommen ist. Niemand dachte daran, diese Wendung stehenzulaffen. M an wird sagen müssen: „Notwehr ist die Verteidigung, d ie . . . " . Ich halte aber den Vorschlag in der Äuße­ rung des Stellvertreters des Führers, die Notwehr­ bestimmung wie den Notstand zu fasten, also: „ In Notwehr handelt, w e r. . . " für bester. Die Grenze sollte jedoch positiv gezogen werden. I n § 378 Abs. 2 ist das W ort „gebotene" zu streichen. Wenn man überhaupt die gesunde Volksanschau­ ung hereinbringen will, dann wird man sie schon im Absatz 1 unterbringen müssen, nicht aber im Absatz 3. Ich meine aber, man sollte die Wendung überhaupt streichen. M it Recht hat der Herr Reichsjustizminister betont, man sollte von der gesunden Volksanschauung möglichst selten sprechen, um den Begriff nicht abzu­ brauchen. S ie ist hier ein selbstverständlicher Maßstab, was auch in § 4 des Entwurfs einer neuen Ver­ fahrensordnung bereits niedergelegt ist. I n der ersten Lesung wurde unter Notwehr ver­ standen die Abwehr eines Angriffs durch Menschen. D as sollte man auch zum Ausdruck bringen; anderen­ falls wird der unbefangene Leser auch die Tierabwehr hierher rechnen. Dies war bisher eine Streitfrage. Die Tierabwehr findet sich erst im § 379. M an könnte also im § 378 vom Angriff eines Menschen sprechen. Die Vorschrift über die Überschreitung der Not­ wehrgrenzen sollte man volksverständlicher gestalten, indem man wie bei der verminderten Zurechnungs­ fähigkeit hervorhebt, daß sie grundsätzlich strafbar ist, und dann die Ausnahme bringt, daß sie milder be­ straft werden kann. Der Jurist weiß: die Wendung „kann milder bestraft werden" bedeutet nichts weiter als „ist strafbar". F ür den Nichtjuristen wäre aber eine klarere Fassung zweckmäßig. Demgemäß schlage ich vor, § 378 so zu fassen: I n Notwehr handelt, wer sich gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff eines Menschen verteidigt, sofern die Verteidigung zur Abwehr des Angriffs erforderlich ist. — Hier könnte man vielleicht noch einfügen „nach Art und M aß".

Die Notwehrhandlung ist nicht rechtswidrig. Hat der T äter die der Notwehrhandlung ge­ zogenen Grenzen überschritten, so ist er strafbar; doch kann die Strafe gemildert werden (§ 413). I n besonderen Ausnahmesällen kann das Gericht von Strafe absehen. Die Klarstellung, daß der Angriff eines M e n s c h e n abgewehrt werden muß, empfiehlt sich auch deshalb, weil Meinungsverschiedenheiten darüber aufgetreten sind, ob man im § 379 die Tierabwehr überhaupt aufnehmen kann. W as sodann den § 379 anlangt, so haben die Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums einen neuen Vorschlag eingereicht. Der neue Vorschlag be­ zweckt zunächst, die gegenüber § 378 und dem hier übernommenen § 228 BG B. bestehende zeitliche Diffe­ renz auszugleichen. Während § 228 B G B . und § 379 S tG B , von einer d r o h e n d c n Gefahr sprechen, geht § 378 von einer g e g e n w ä r t i g e n Gefahr aus. Diese Diskrepanz will der Vorschlag der Sachbearbei­ ter beseitigen. Ich kann mich dem neuen Vorschlag ohne Vorbehalt anschließen. § 228 B G B . wird sich ohne Schwierigkeit im Einsührungsgesetz ändern lassen. Allerdings bleibt noch die weitere Differenz, daß hier im Gegensatz zur Notwehrhandlung eine Schadensabwägung verlangt ist, so daß bei der Abwehr eines Tierangrisss die Voraussetzungen scharfer sind als bei der Abwehr des Angriffs eines Menschen. Aber schon in der ersten Lesung wurde hervorgehoben, daß es sich hier nicht um die Abwehr eines denkenden Menschen, sondern eines instinktmäßig handelnden Lebewesens handelt, und daß man die Abweichung deshalb wohl in Kauf nehmen müßte. Völlig einverstanden erklären kann ich mich mit der in dem Antrag B 27 vertretenen Ausfassung, daß das Tier nach deutschrechtlicher Auffassung eine S o n ­ derstellung verlangt. Dies will der Antrag B 27 be­ sonders dadurch betonen, daß er nicht wie bisher das Tier nebensächlich im zweiten Satz des § 379 behan­ delt, sondern es voranstellt. Ich stimme dem durchaus zu, aber man müßte dann konsequenterweise auch sonst im Gesetz das T ier herausheben. Die Absicht hierzu bestand schon bei der ersten Lesung, aber sie ist dann bei der Beratung des Besonderen Teils versehentlich nicht beachtet worden. D as Tier ist im letzten Entwurf nur da erwähnt, wo es der Sache gleichstehen kann: §§ 85, 321, 325, 329, 433. Lediglich in den §§ 326ff., Jagd- und Fischereisrevel, ist in gewisser Weise zwischen Tier und Sache unterschieden, aber die recht­ liche Behandlung ist die gleiche. Ebenso steht es mit § 379. Es ist immerhin schon etwas erreicht, wenn man das Tier wenigstens als etwas Besonderes her­ vorhebt. Von praktischer Bedeutung ist es allerdings nicht. Deshalb habe ich in meinen schriftlichen An­ trägen vorgeschlagen, den zweiten Satz des § 379 überhaupt zu streichen. Ich ziehe diesen Antrag aber gern zurück, in der Hoffnung, es möge gelingen, dem Tier die ihm gebührende Sonderstellung zu geben, was vor allem bei der Sachbeschädigung'wichtig ist. Die Überschrift des § 379 muß entsprechend geändert werden in: „Tier-' und Sachabwehr".

Bei § 380 erhebt sich die Hauptfrage, ob man für die Zweispurigkeit in der Behandlung eintreten soll, also Trennung von Unrechtausschlicßungsgrund und Schuldausschließnngsgrund. Wie in der ersten Lesung würde ich vorschlagen, künftig jede Notstandshand­ lung als nichtrechtswidrig anzusehen. Freilich gibt es Notftgndssälle, in denen man dem Tater nicht be­ stätigen kann: Du hast recht getan. Aber diese Fälle sind selten imb werden sich zudem in ihrem Wesen sehr schwer ergründen lassen. I m Volke macht man diesen seinen Unterschied kaum, uud auch strafrechtlich ist eine Unterscheidung entbehrlich. M it Recht hat Herr Senatspräsident Dr. Klee daraus hingewiesen, daß die Notwehr künftig keine so große Bedeutung mehr haben werde, weil dem höheren Rechtsgnt ein Notstandsrecht zustehen würde. Klar und volksverständlicher wäre zivcisellos eine einheitliche Behandlung. M an sollte eine klare Linie schassen, selbst auf die Gefahr hin, daß man alles als Schuldausschließungsgrund gelten läßt. Damit würde der Absatz 2 entfallen, der aus das unerwünschte Merkmal des Rechtsguts abstellt. I n Abs. 1 würde ich ebenso wie bei § 378 die Worte „nach gesunder Volksanschauung" streichen; sie sind auch hier nicht notwendig. Den Vorschlag der Sachbearbei­ ter sehe ich durchaus als eine Verbesserung an. Fm Absatz 3 schlage ich in Übereinstimmung mit den Sachbearbeitern vor, „nicht rechtswidrig und ent­ schuldbar" zu sagen. Ob Absatz 3 überhaupt entbehr­ lich ist, wie der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen meint, erscheint mir fraglich. E r stellt eine recht erhebliche Einschränkung des Notstandrechts dar. Der Vorschlag des Nationalsozialistischen Deutschen Juristeubundes, gegebenenfalls Notstand zuzulassen, wenn die T at zum Schutze von Volk und S ta a t er­ folgt, führt zu dem von mir abgelehnten Begriff des Staatsnotstandes. Die Sachbearbeiter schlagen weiter die Streichung der Worte „oder Ehre" vor. Die Streichung wird damit begründet, die Ehre lasse sich ilicht auf die gleiche Stufe mit den Gütern Leib und Leben stellen; auch seien Einwirkungen aus die Ehre zum Schutze von Leib und Leben oder zur Abwendung gemeiner Gefahr nicht wohl denkbar. Gleichwohl habe ich gegen die Streichung der Worte Bedenken, denn der Ehrenschutz ist heute ein anderer als früher. I n Absatz 4 würde ich wie bei der Notwehr den Grundsatz der Strafbarkeit zum Ausdruck bringen und daran die Strafmilderung anschließen. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Ich darf hier eine Zwischenbemerkung machen: bei der Behandlung dieses Abschnitts handelt es sich nicht allein darum, die Fassung der einzelnen P a ra ­ graphen festzustellen und zurechtzurücken, sondern hier werden wir uns mit der weit wichtigeren Frage aus­ einanderzusetzen haben, ob w ir Unrecht und Schuld überhaupt als zwei selbständige und nebeneinander mögliche Dinge gelten lasten wollen. Berichterstatter Profestor D r. Dahm: Der Dritte Abschnitt „Der Ausschluß von Unrecht und Schuld" ist schon in Fischbachau beraten und

scharf kritisiert worden. Der In h a lt der dort er­ statteten Referate ist mir nicht bekannt. Ich bin aber unabhängig von dieser Kritik zu dem Ergebnis gekonimen, daß der D ritte Abschnitt völlig umgestaltet werden muß. E r ist in seiner heutigen Gestalt mit dem Willensstrafrecht unvereinbar. W ir vergeben uns nichts, wenn wir bekennen, daß wir uns zu Beginn der ersten Lesung der Tragweite des Willensstraf­ rechts und der sich daraus ergebenden Folgerungen noch nicht voll bewußt gewesen sind. Der Grundgedanke des Willensstrafrechts ist dieser: Die Strafe trifft den volksfeindlichen, ver­ räterischen, verbrecherischen Willen, der irgendwie in der Außenwelt in die Erscheinung tritt und seinen Niederschlag in einer T at gesunden hat. D as Wesent­ liche ist der innere Vorgang. Die äußere Tat hat symptomatische Bedeutung für das Vorhandensein dieses inneren Sachverhalts. Der Tatbestand hat zu­ nächst eine Strafbegrcnzungsfunktion. D araus er­ geben sich grundsätzliche Folgerungen, die ich an den Ansang meiner Ausführungen stellen möchte, ohne zu­ nächst auf Einzelheiten einzugehen. Zunächst ergibt sich die Notwendigkeit, die V or­ aussetzungen, unter denen bestraft ober nicht bestraft werden soll, nach Möglichkeit subjektiv zu bestimmen. S o haben wir gestern den Schuldgedanken in den Vordergrund gerückt. Aus diesem Grunde müssen wir im besonderen darauf bedacht sein, daß die Besonder­ heit der Gesinnung in bett Vordergrund gestellt und, soweit das heute möglich ist, die T a t typisierung durch eine T ä t e r typisiernng ersetzt oder doch in den Hintergrund gedrängt wird. S o wie die positiven Voraussetzungen der Bestrafung nach Möglichkeit sub­ jektiv zu bestimmen sind, so sind aber auch die Um­ stände, bei deren Vorliegen die Bestrafung entfällt und die man als Strafausschließungsgründe zu be­ zeichnen pflegt, nach Möglichkeit subjektiv zu über­ schreiben. S trafb ar ist der volksfeindliche Wille. Nicht strafbar ist die gerneinschaststrene Gesinnung, das Handeln ausVaterlandsliebe, aus Notwehr- oder Notsiandsgesinnung. Dieser Forderung haben wir bisher nur zum Teil Rechnung getragen. W ir haben die V or­ aussetzungen derNotwehr objektivbestimmt und die des Notstandes nur mit einem subjektiven Akzent versehen. Ich werde später näher darlegen, wie meiner Meinung nach auch die Notwehr subjektiv zu um­ schreiben wäre. D as heißt aber selbstverständlich nicht, daß Notwehr! und Notstand überhaupt nicht mehr an äußere Voraussetzungen zu knüpfen wären. Genau so, wie der verbrecherische Wille sich positiv irgendwie betätigen muß, so ist auch die gemeinschaftstreue Ge­ sinnung nur dann zu berücksichtigen, wenn, bestimmte äußere Voraussetzungen erfüllt sind. Die zweite grundsätzliche Folgerung, die sich aus der Wendung zum Willensstrasrecht ergibt, ist die Vereinigung von Rechtswidrigkeit und Schuld. Hier muß ich mich vorläufig damit begnügen, einige grund­ sätzliche Bemerkungen zu machen. Ich bin mir dessen bewußt, daß dieses Problem grundsätzlich durchdacht werden muß und daß wir heute erst am Anfang der Erörterungen darüber stehen.

Die Vorstellung, die dem landläufigen Ausbau des Verbrechensbegrisss zugrundeliegt, ist die Vor­ stellung eines Verbrechens, das die Verletzung oder Gefährdung eines bestimmten Rechtsguts enthält. Die Schuld wird aus einen objektiven Tatbestand und die objektive Rechtswidrigkcit bezogen und hat eine nur begrenzende Funktion. Keine Strafe ohne Schuld. Die Schuld findet ihr Substrat in einer bestimmten objektiven rechtswidrigen T at, und daraus ergibt sich eine Zweiteilung: Tatbestandsmäßigkcit und RechtsWidrigkeit aus der einen Seite, die aus die rechts­ widrige T at bezogene Schuld aus der anderen Seite; hier objektiv, dort subjektiv, wobei aber die subjektive Seite nur eine zweitrangige Bedeutlmg hat. Jetzt ist gerade das subjektive Moment in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. D as eigentlich Entscheidende ist der Wille. Die Betätigung des Willens wird selbst tmtm ersaßt, wenn es an einer Gefährdung des Rechtsguts gänzlich fehlt, z. B. beim untauglichen Versuch oder bei den Verratsdeliktcn. Hier verschwindet der Tatbestand fast ganz, und das volle Gewicht liegt aus dem Willen, stuf der Ge­ sinnung. D as bedeutet: D as eigentlich Wesentliche, das, was das Unrecht begründet, ist der volksfeind­ liche Wille. D araus ergibt sich, daß die alte Scheidung zwischen objektiven und subjektiven Verbrechensmerkmalcn hinfällig wird, daß Rechtswidrigkeit und Schuld zusammengedacht werden müssen, gar nicht voneinander getrennt werden können. D araus er­ geben sich für den Gesetzgeber bestimmte Folgerungen. E r muß alles vermeiden, was nach einer Legalisierung und Verewigung dieser überholten und hinfällig ge­ wordenen Unterscheidung aussieht. Darum sollten wir zwischen Unrecht- und Schuldausschließungs­ gründen überhaupt keinen Unterschied mehr machen, also gar nichts darüber sagen, ob es an der Rechts­ widrigkeit oder der Schuld fehlt. Unter diesem Ge­ sichtspunkt ergeben sich gegen die Fassung des Dritten Abschnitts deS Allgemeinen Teils grundsätzliche Be­ denken. Falsch ist schon die Überschrift „Der Ausschluß von Unrecht und Schuld". S ie steht mit dem Willensstrasrecht in Widerspruch. I n § 378 Abs. 1 wird als Voraussetzung der Notwehr die Abwehr eines r e c h t s w i d r i g e n Angriffs bezeichnet. I n § 380 Abs. 2 — wohl der schlechtesten Bestimmung des ganzen Entwurfs — wird im einzelnen zwischen Unrecht- und Schuldausschließungsgründen unter­ schieden. F ü r den A u s b a u des Gesetzes ergibt sich aus diesen Erwägungen, daß der Dritte Abschnitt als selbständiger Abschnitt überhaupt verschwinden muß. E r gehört in den Zweiten Abschnitt hinein. Notwehr und Notstand sind als Unterteile des Zweiten Ab­ schnitts zu behandeln, als Fälle, in denen die S tra f­ barkeit entfällt. Bevor wir die einzelnen Strafausschließungs­ gründe erörtern, müssen wir uns kurz überlegen, ob der In h a lt der sogenannten Nechtswidrigkeit positiv bestimmt werden soll. Hier zeigt sich zunächst, daß die positive Bestimmung der Rechtswidrigkeit nicht von der positiven Bestimmung der Schuld getrennt

werden kann. Mall sollte zum Ausdruck bringen, daß der volksseilldliche, der gemeinschaftsfeindliche Wille und feine Betätigung bestraft werden soll. Aber das gehört nicht in den Abschnitt über Notwehr und Not­ stand hineill. M an könnte allenfalls daran denken, alle die Fälle, in denen die Strafbarkeit entfällt, einem Dachgedanken unterzuordnen. Schon gestern habell die meisten Redner sich zu der Auffassung be­ kannt, daß lnan die Bestimmungen über Vorsatz, Absicht und Fahrlässigkeit auf einen Generalnenner etwa des In h a lts bringen solle, daß die Strafbarkeit durch den rechtsbrecherischen Willen des T äters begrülldet werde. (Dabei lasse ich es int Augenblick dahingestellt, ob die Wendung „rechtsbrecherischer Wille" besonders glücklich ist.) Nimmt man eine solche Bestimmullg in das Gesetz aus, dann bleibt zu erwägen, ob malt nicht den Bestimmungen über Not­ wehr und Notstand eine allgemeine Richtlinie des In h a lts vorausschicken soll, daß die Strafbarkeit ent­ fällt, wenn der rechtsbrecherische Wille fehlt, oder wenn der Täter im Einklang mit den Geboten der Volksgemeinschaft handelt. Der Vorteil einer solchen allgcnteinen Bestimmung wäre, daß nicht nur Not­ wehr und Notstand, sondern alle Fälle, in denen die Strafbarkeit entfällt, durch eine allgemeine Bestimiltung erfaßt würden. Gegen eine solche Be­ stimmung scheittt mir aber zu sprechen, daß mit der­ artigen blassen und akademischen Formeln int Grunde gar nichts gewonnen ist. Davon könnte man allen­ falls im Vorspruch handeln. W as aber N o t w e h r und N o t st a n d betrifft, so müssen wir zunächst die Frage auswerfen, ob es wirklich richtig ist, Notwehr und Notstand scharf von­ einander zu scheiden, oder ob es nicht vom S tan d ­ punkt des Willensstrafrechts erwünscht wäre, wenn Notwehr und Notstand zusammenfielen. Ich bin lticht dieser Meinung. Ich glaube, daß der Wesensunterschied von Notwehr und Notstand auch vom S tan d ­ punkt des Willensstrasrechts unberührt bleibt. Not­ wehr ist die Gesimtung desjenigen, der Unrecht ab­ wehrt, der gleichsam als Sachwalter der Volksgemein­ schaft, als Rechtswahrer denjenigen, der Unrecht tut, in seine Schranken zurückverweist, während derjenige, der im Notstände handelt, aus einer seelischen Zwangslage heraus tätig wird. Seilte Willens­ richtung ist eine ganz andere als die des in Notwehr Handelnden. Jetzt die N o t w e h r und die Voraussetzungen der Notwehr: Da scheint mir zunächst, daß in § 378 des Entwurfs das Wichtigste fehlt, nämlich der Hin­ weis aus den Abwehrwillen. Nach heute geltettdem Recht ist bekanntlich bestritten, ob die Notwehr vor­ aussetzt, daß der T äter die Absicht hatte, sich zu ver­ teidigen. D as Reichsgericht hat auch hier wie in der Rechtsprechung zum tmtauglichen Versuch dem Willettsstrasrecht vorgearbeitet. W ir brauchen diese Rechtsprechltng jetzt nur zu legalisieren. W ir sollten ausdrücklich sagen- daß Notwehr nur dantt vorliegt, wenn der Täter ine Absicht hatte, sich zu verteidigen.

^Handelt aber jemand aus Haß oder Rachsucht, so ist Notw ehr auch daun nicht anzunehmen, wenn er zu­ fä llig und gleichsam versehentlich unter den objektiven Voraussetzungen der Notwehr tätig geworden ist. Vom Standpunkt des Willcnsstrasrechts aus handelt er dann eben Glicht in Notwehr. Also: „ I n Notwehr handelt, wer sich verteidigt, um einen gegenwärtigen A n g riff von sich oder anderen abzuwehren". Auch im übrigen gibt § 378 des E n tw u rfs zu Bedenken Anlaß. § 378 verlangt einen rechtswidrigen A n g riff. Fernerhin muß die Notwehrhandlung e r f o r d e r l i c h und — nach Absatz 2, damit die R e c h ts w id rig s t entfällt — g e b o t e n sein. E n d ­ lich sind der Verteidigung in Absatz 3 gewisse Grenzen gezogen. Dabei nim m t der E n tw u rf auf die gesunde Volksanschauung Bezug. Nun scheint m ir, daß diese Fassung des § 378 schon vom Standpunkt des E n t­ w u rfs aus im höchsten Maße anfechtbar ist. W ir sind uns ja bereits in der ersten Lesung darüber klar ge­ wesen, daß § 378 Abs. 2 das Ob der Verteidigung regeln soll, während § 378 Abs. 3 die Grenzen einer an sich zulässigen Verteidigung regelt. B ereits in der ersten Lesung hat man daraus hingewiesen, und H err Senatspräsident Klee hat in seiner K ritik des E n t­ w u rfs in dem Bericht der amtlichen Kommission noch cim ual hervorgehoben, es sei bedenklich, daß das M erkum l der gesunden Volksanschauung sich n u r aus das W ie, aber nicht aus das Ob der Verteidigung beziehe. Ich halte dieses Bedenken fü r begründet und möchte ebenfalls das M erkm al der gesunden Volks­ anschauung auf das Ob ausdehnen. E in zweites Bedenken ergibt sich daraus, daß § 378 Abs. I von der „erforderlichen" Verteidigung spricht und daß § 378 Abs. 2 dann nochmals darauf abstellt, ob die Notwehr „geboten" w a r, und zwar die Notwehr im Sinne des Absatzes 1. D a s sieht so aus, als enthalte das M erkm al „geboten" eine weitere Einengung über „erforderlich" hinaus, und als gebe es eine „erforderliche" Verteidigung, die rechtswidrig ist. W ir müssen diese unglückliche Häufung synonymer Allsdrücke llild diese CtucITc von Mißverständnissen und Irrtü m e rn wieder beseitigen. W ie haben w ir nun das Ob und das W ie der Notwehr vom Standpunkt des Willcnsstrasrechts zu bezeichnen? Ich würde den § 378 v ö llig umgestalten, nämlich aus das M erkum l „rechtsw idrig" verzichten, und hier ebenso inic beim Notstände darauf abstellen, ob vom T äte r ein Dulden des A ngriffes erwartet werden tonnte ober nicht. Ich würde also folgendes sagen: W er in Notwehr handelt, ist nicht strafbar. I n Notwehr handelt, wer sich verteidigt, um einen gegenwärtigen A n g riff von sich oder ande­ ren abzllwcndcn. Notwehr liegt dann nicht vor, meint nach gesunder Volksanschauung vom T ä te r oder dein Gefährdeten erwartet werden muß, den A n g riff zu dllldelt. N un halte man m ir nicht entgegen, dann bestehe die Gefahr, daß Notwehr auch gegen den rechtinäßigen A n ­

g riff, etwa den„Angriss" — m einerM einung liegt gar gar kein A n g riff vor — des Beamten oder des S oldaten zulässig sei. Selbstverständlich ist das nicht de rF a ll. A lle diese Bedenken zerstrcllt aber meiner M einung nach der .Hillwcis auf die Volksanschauung im A b ­ satz 3 meines Vorschlags. Alls diese Weise kommen w ir auch über die Schwierigkeit hinweg, daß w ir den A n ­ g riff des Geisteskranken als objektiv rechtswidrig bezeichnen müssen — eine Vorstellung, die meines Erachtells niemals volkstümlich gewesen ist. Alle diese Fragen — in welchen Grellzell ist cs zulässig, A n ­ griffe von Geisteskranken, vo ll Frauen abzuwehren?, illw ie w cit ist cs zillässig, alidcrc Personen zu verteidi­ gen?, muß der A ilg risf verschuldet sein oder nicht? — lassen sich m it Hilfe einer derart beweglichen Fassung lösen. Vom Standpunkt des Willensstrasrechts ist die Übertragung des m it neuem I n h a lt zu erfüllenden Zumutbarkeitsgedallkens auf die Notwehr eine unablveisliche Folgerung. Endlich wäre noch ein W o rt über den Notwehrexzeß zu sagen. § 378 Abs. 3 sieht hier eine M ilderung vor, und zwar bezieht sich § 378 Abs. 3 nur auf den Notwehrexzeß. Denn in § 378 Abs. 3 ist vorausgesetzt, daß die Voraussetzungen der Notwehr an sich e rfü llt silld und daß nun die Grenzen überschritten werden. N u r fü r diesen F a ll ist eine M ild e ru n g und unter Umständen Straflosigkeit vorgesehen. D a s ist meiner M einung nach zu eng. D as B edürfnis nach einer S tra fm ild e ru n g kann auch in solchen Fällen bestehen, in denen der T äte r das Ob der Verteidigung falsch beurteilt, z. B . danll, wenn jemand von einem Geisteskranken angegriffen w ird und nicht davonläuft, sondern sich zur Wehr setzt, obwohl die Flucht zumut­ bar war. Aber es kann doch verständlich sein, daß der T ä te r nicht davongelaufen ist. W arum sollte die S tra fe in solchen Fällen unter keinen Unlständen ge­ m ildert werden? § 378 Abs. 3 Hilst uns hier nicht weiter. Denn § 378 Abs. 3 setzt ja voraus, daß an sich Notwehr vorlag und n u r die Grenze überschritten wurde, während in unserem Falle von vornherein gar keine Notwehr gegeben war. Auch dieser F a ll muß aber erfaßt werden, M ild e ru n g und unter Umständen Straflosigkeit auch hier zulässig fein. M an könnte hier vielleicht (nach einem Vorschlage, den ich im M erkb la tt des Reichsjustizministeriums über diese Fragen gesunden habe) sagen: W er das Notwehrrecht mißbraucht, macht sich strafbar. D ie S tra fe kann jedoch gemildert wer­ den, und in besonderen F ällen kann der Richter von S tra fe absehen. S o v ie l über die Notwehr. Uber S t a a t s n o t w e h r und S t a a t s n o t s t a n d möchte ich nicht weiter sprechen. Ic h habe dem, was in der ersten Lesung darüber gesagt wurde, nichts hinzuzusetzen. Ich bin nach wie vo r der M einung, daß w ir diese Frage überhaupt nicht gesetzlich regeln sollten. Ich komme dann zur A b w e h r v o n T i e r e n. D ie Vorstellung, aus der heraus gefordert wurde, man möge die Abwehr von Tieren in die Notwehr­ bestimmung einarbeiten, w a r der Gedanke, es sei un­ b illig , daß die Voraussetzungen, unter denen man ein

T ier töten dürfe, enger seien — vergleiche § 228 B G B . — als diejenigen, unter denen man einen Menschen töten dürfe. E s sei unerträglich, daß man etwa nicht berechtigt sei, einen wertvollen Hund zu töten, der eine Wurst weggenommen habe, wohl aber einen Menschen, um einen geringfügigen Zugriff aus das Vermögen zu verhindern. Ich habe dieses Argu­ ment zunächst für bestechend gehalten, habe mich in­ zwischen aber davon überzeugt, daß es sich hier um ein recht sentimentales Scheinargument handelt. Das Wesentliche bei der Notwehr ist eben, daß der An­ greifer unrecht tut, und darum ist es berechtigt, daß hier die Voraussetzungen andere sind als in den Fällen des § 228 BGB. Ich bin also der Meinung, daß wir es bei unserer Regelung belassen sollten. Wir sollten den Tierangrisf im Zusammenhang mit der sogenannten Sachnotwehr des § 379 regeln. Dabei wäre es mir gleichgültig, ob wir die Abwehr von Tieren voranstellen oder zuerst von der Sachnotwehr sprechen wollten. Notwendig scheint mir aber, daß w ir das Tier nicht unter den'Begriff der Sache unter­ ordnen, sondern die Abwehr der Tiere besonders her­ vorheben. Damit komme ich zur S a c h n o t w e h r (§ 379). M an könnte zunächst die Frage auswerfen, ob wir eine solche Bestimmung überhaupt brauchen, ob nicht § 379 durch die Notstandsbcstimmung des § 380 über­ flüssig wird. Ich kann mich aber doch nicht recht zu dieser Auffassung durchringen, weil wir in § 228 B G B . und § 379 des Entwurfs nun wirklich einmal brauchbare, feste Maßstäbe zur Versügimg haben, während § 380 eine sehr dehnbare Regel enthält. Der Zumutbarkeitsmaßstab ist unentbehrlich, weil wir in der Regel mit der Schadensabwägung nicht durchkonnnen. I n den Fällen des § 379 (Sachnotwehr) ist dieser mehr starre Maßstab aber doch recht brauchbar. Daher scheint es mir richtig, daß wenigstens diese Fälle ohne Zuhilfenahme der Zumutbarkeit so ge­ regelt werden, wie das in § 379 geschehen ist. Eine andere Frage ist diese: Sollen wir § 228 und § D04 BGB. miteinander vereinigen (§ 228 B G B .: defensiver Sachnotstand; § 904 BGB. offen­ siver Sachnotstand)? Dafür läßt sich manches sagen. M an kann darauf Hinweisen, daß der Grundgedanke der sogenannten Guterabwägung beiden Bestim­ mungen gemeinsam und daß die Grenze zwischen § 228 und § 904 BGB. flüssig sei. E s hat aber, glaube ich, doch seinen guten S in n , daß die Regelung des § 228 eine andere ist als die des § 904 BGB. Der wesentliche Unterschied liegt ja darin, daß der Abwägungsmaßstab des § 904 BGB. strenger ist als der des § 228. D as ist eben darin begründet, daß man in den Fällen des § 228 eine Sache zerstört oder be­ schädigt, von der Gefahr droht; während man in den Fällen des § 904 eine Sache ergreift, um eine von anderer Seite herkommende Gefahr abzuwehren. Darum ist es innerlich gerechtfertigt, daß die M aß­ stäbe in beiden Fällen verschieden sind. Ich möchte also einer Vereinigung dieser beiden Bestimmungen nicht das Wort reden, möchte den § 379 also auf die Fälle des sogenannten defensiven Sachnotstandes be­

schränken. E s handelt sich hier um eine Art des N o t st a n d e s, und schon deshalb nehme ich an dem Wort „Sachnotwehr" Anstoß. Denn der Notwehr ist die Abwehr eines Angrisss wesentlich. Eine Sache greift aber nicht an. Daher ist cd schon sprachlich schief, hier von „Notwehr" zu sprechen. Das ist aber auch gedanklich falsch. Denn der pathetische Grund­ gedanke des § 378 — der Sachwalter der Gemein­ schaft wehrt jemand ab, der Unrecht tut — trifft hier gar nicht zu. Vielmehr liegt eine Notlage vor, ähnlich der durch § 380 bezeichneten Zwangslage. Ich würde also von „Sachnotstand" sprechen und diesen Fall als einen Sonderfall des Notstandes hinter § 380 stellen. Nun int einzelnen! § 379 entspricht dem § 228 BGB. § 379 verdient insoweit Zustimmung, als er die Voraussetzungen, unter denen die Strase entfällt, subjektiv geregelt hat. Der Täter muß handeln, um eine durch die Sache drohende Gefahr von sich oder anderen abzuwenden. Dabei muß es bleiben. Hier ist auch das Prinzip der Güterabwägung unbedenk­ lich. Nach einer anderen Seite hin müssen w ir aber die Voraussetzungen des Sachnotstandes einengen. Herr Direktor Leimer hat bereits mit Recht hervor­ gehoben, daß wir in § 379 von einer „gegenwärtigen Gefahr" sprechen müssen, so wie ja auch in § 378 von einer gegenwärtigen Gefahr die Rede war. D ann ein weiteres Bedenken: Es genügt nicht, daß wir von „Beschädigung oder Zerstörung der Sache" sprechen; es sollten auch andere Einwirkungen mitersaßt werden, z. B. der Fall, daß ein Gegenstand weggeworfen oder beiseite geschasst wird, ohne daß es zu einer Beein­ trächtigung der Substanz, zu einer Beschädigung oder Zerstörung kommt. Ich würde also für § 379, den ich in Zllkunft § .380 nennen würde, folgende Fassung vorschlagen: S trafbar macht sich nicht, wer eine fremde Sa c h e . . . . — jetzt wie der Entwurf — beschädigt oder zerstört oder sonst aus sie ein­ wirkt, um eine durch sie drohende gegenwärtige Gefahr . . . . usw. — Nachher darf es dann nicht heißen: „Sofern die Zerstörung", sondern es muß heißen: „Sofern die Einwirkung zur Abwenduttg der Gefahr erforderlich ist". Die letzten Worte würden bleiben. Endlich komme ich zu § 380, zur N o t s t a n d s ­ b e s t i m m u n g. Den Absatz 1 würde ich im wesentlichen so lassen, wie wir ihn jetzt gefaßt haben. E r bringt den subjektiven Gehalt des Notstandes deutlich zum Ausdruck. Diese Bestimmung uttterscheidet sich nach zwei Richtungen von den Notstandsparagraphen (§§ 52, 54) des geltenden Strafgesetzbuchs. Erstens: Notstand ist nicht nur zugunsten des Täters ober seiner Angehörigen, sondern schlechthin straflos. Zweitens haben wir die Beschränkung aus bestimmte ,Aechtsgüter" fallenlassen, die bisher durch die Worte „Leib oder Leben" in § 54 bezeichnet war. W ir wollen beit Notstand auf alle Lebensgüter aus­ dehnen. I n erster Lesung haben wir uns überlegt,

ob hier nicht doch eine Einschränkung notwendig sei. Ich habe mich damals zu der Auffassung bekannt, man müsse znm mindesten den Notstand zugunsten des Vermögens aus § 380 herausnehmen, habe mich aber inzwischen selbst davon überzeugt, daß das nicht richtig wäre. Ich dars an das plastische Beispiel des Herrn Professor Kohlrausch erinnern, an den Fall, daß jemand zur Rettung seiner brennenden Bibliothek einem der herumstehenden Leute einen leichten Stotz versetzt, um sich Platz zu schassen. Ich halte weiter daran fest, daß das entscheidende. Merkmal die Unzu­ mutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens ist, möchte also auch insoweit an § 380 Abs. 1 festhalten. Ich brauche nicht zu wiederholen, daß wir unter Zumutbarkeit und Erwartbarkeit etwas ganz anderes verstehen, als das, was etwa Freudenthal darunter verstanden hat. Nun frage ich mich aber: Sind nicht noch andere Schranken zu ziehen? Damit komme ich aus die Be­ stimmungen des § 380 Abs. 2 und 3 des Entwurfs. Zunächst Absatz 3! Ich halte Absatz 3 nicht für be­ friedigend. W ir sind zwar zu dem Ergebnis gelangt, datz Staatsnotwehr und Staatsnotstand nicht aus­ drücklich geregelt werden sollen, aber nicht deshalb, weil eine Einwirkung auf andere Personen -um Schuhe der Gemeinschaft schlechthin unzulässig wäre, sondern weil diese Frage sich abstrakt und ein sür allental überhaupt nicht regeln läßt, weil die politische Lage und die näheren Umstände, unter denen die T at geschehen ist, eine von Fall zu Fall verschiedene Be­ urteilung erfordern. Wenn aber Absatz 3 in der vor­ liegenden Fassung Gesetz wird, ist die Möglichkeit der Bestrafung schlechterdings ausgeschlossen. Dann müßte in den sogenannten Fememordsällen oder in ähnlich liegenden Fällen unter allen Umständen bestraft werden. Denn wenn wir jetzt ausdrücklich sagen, daß erhebliche Einwirkungen aus Leib, Leben oder Ehre nur zulässig oder entschuldbar sind, wenn sie zum Schutz von Leib, Leben oder Ehre oder zur Ab­ wendung genteiner Gefahr erfolgen, dann ist ein Gegenschluß dahin unabweisbar, daß die Einwirkung auf den Körper eines Menschen um der Rettung der Genteittschast willen unter allen Umständen bestraft werden muß. M it anderen Worten: W ir haben hier doch eine Entscheidung über den Staatsnotstand ge­ troffen, nämlich dahingeheitd, daß der Gemeinschastsnotstand niemals entschuldigt. D as halte ich aber für nnerträglich. Meiner Meinung nach können wir den Absah 3 gänzlich streichen. W ir sollten hier nicht überängstlich sein und nicht immer wieder darüber fallen, daß der Zitmutbarkeitsgedanke ursprünglich anders verstanden worden ist, als wir es im Auge habett, sondern wir müssen hier dasselbe Vertrauen zum Richter haben tote sonst und uns sagen: W ir rechnen mit Richtern, die den normativen Begriff der Erw art lmrkeit mit einem völlig neuen In h a lt erffitleti und vom Standpunkt der Gemeinschaft darüber entscheiden können, unter welchen Voraussetzungen eine Einwirkung aus Leib, Leben und Ehre eines anderen Menschen zulässig ist. Also Hattptvorschlag: § 380 überhaupt streichen. Eventualvorschlag: E r­ weiterung nach der Seite der politischen Delikte hin. Sollten wir diese Bestimmung stehen lasten, so würde

ich den Hittweis aus die Ehrenkränkung als M ittel des Notstandes fallen lasten. Denn die Voraus­ setzungen, unter benett die Ehrverletzung zulästig ist, sind schon im Abschnitt über Ehrverletzung geregelt. ES entsteht nur ein W irrwarr, wenn wir auch hier Bestimntmtgen darüber treffen. Nun kommt der noch bedenklichere Absatz 2: Ist das bedrohte Rechtsgut gegenüber dem durch die Einwirkung verletzten Rechtsqut unverhältnismäßig wertvoll, so handelt der Täter nicht rechtswidrig; andernfalls handelt er zwar rechtswidrig, ist aber entschuldigt. — I n besonders krasser Form ist hier der Unterschied zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld anerkannt. Gerade diese Bestimmung scheitert an den grundsätz­ lichen Erwägungen, die ich vorhin anführte. Dazu kommt als zweiter Mangel die Hervorhebung des Rechtsguts und das Bekemttnis zur Güterabwägung. W ir haben schon bei anderer Gelegenheit über den Rechtsgutsbegriff gesprochen, und ich dars noch einmal aus die grundsätzlichen Bedenken hinweisen, die kürz­ lich Schassstein überzeugend entwickelt hat. Gegen die Verwendung des Wortes „Rechtsgut" sprechen in der T at die stärksten Bedenken. D as zeigt schon die Ge­ schichte dieses Wortes. E s stammt ebenso wie etwa das Wort „Rechtsstaat" aus der Begrisfswelt des 19. Jahrhunderts und entspricht einer utilitaristischen und rationalistischen Aussaffung vom Recht überhaupt, der Vorstellung, daß das Recht dazu da sei, bestimmte Güter und Jntereffen, die bestimmten Rechtssubjekten zugeordnet sind, zu schützen. Da gelangt man dazu, sofern man den S ta a t überhaupt berücksichtigt, S ta a t und Gemeinschaft als Inhaber bestimmter Rechtsgüter auf gleicher Ebene mit Einzelindividuen zu sehen, deren subjektive Rechte zu schützen sind. Dann stehen nebeneinander etwa die Ehre, das Eigentum, das Interesse des S taates an der Erhaltung der staat­ lichen Macht, das Interesse der Volksgemeinschaft an der Abwehr des Landesverrats, und was dergleichen „Rechtsgüter" und „Interessen" mehr sind. Eine überaus anstößige und unmögliche Vorstellung. Nichts kennzeichnet so sehr die Brüchigkeit der überlieferten liberalen Strafrechtsdogmatik wie die Bedeutung, die sie dem Begriff des Rrchtsguts verleiht. M an sollte die neue Entwicklung nicht dadurch verschütten, daß man gleichsam in letzter Minute einen so frag­ würdigen und bedenklichen Begriff legalisiert. Dazu aber kommen die besonderen Bedenken, die gegen die Güterabwägung sprechen und die schon in erster Lesung erörtert wurden. M an sollte Absatz 2 daher ebenfalls streichen. I n welchen Grenzen muß man sich nun eine Notstandshandlung gefallen lasten? M it anderen W orten: Gibt es Notwehr gegenüber dem Notstand? Diese Frage kann nicht einhellig beantwortet werden. Aus der einen Seite gibt es Fälle, in denen man sich wehren darf — Beispiel: das Brett des Karneades — , aus der anderen Seite Fälle, in betten man sich nicht wehren darf — Beispiel: der schon erwähnte Bibliothekssall — . Ich glaube aber, wir kommen hier mit der allgemeinen Notwehrbestintmung aus, wie

wir sie vorgesehen haben. Der Richter hat 311 prüfen, ob die Notstandshandlung nach gesunder Bolksanschauung geduldet werden müßte oder nicht. Die Schwierigkeiten, mit denen wir bisher zu sümpfe« hatten, entstanden daraus, daß wir einen weichen Notstandsbegrisf mit einem starren Notwehrbcgriss verbanden. Sobald wir die Notwehr, wie es hier vorgesehen ist, auflockern, entfallen diese Schwierig­ keiten. Notwehr gegen Notstand bereitet dann ebenso­ wenig Schwierigkeiten wie etwa Notwehr gegen Notwehr. Nun bleibt noch der Absatz 4. Auch den würde ich am liebsten streichen. F ü r die Beibehaltung des Absatzes 4 kann man natürlich geltend machen, daß wir eine entsprechende Bestimmung auch in § 378 Abs. 3 haben. W ir dürfen aber nicht vergessen, daß wir die Grenzen des Notstandes mit Recht sehr viel enger gezogen haben als die der Notwehr. Der zu­ grundeliegende Gedanke ist eben der, daß. wer in Not­ wehr handelt, im Recht ist, wenn er die Gemeinschaft gegen das Unrecht verteidigt. D arin ist noch der Ge­ danke der Friedloslegung lebendig, die Vorstellung, daß jeder Volksgenosse berechtigt und verpflichtet ist, das Verbrechen um der Gemeinschaft willen zurück­ zuweisen. Der Notstand dagegen beruht aus anderen Vorstellungen. Die Rücksichtnahme aus die seelische Zwangslage findet eher ihre Grenze als die Notwehr. Darum sollte man hier auch bei der Strafmilderung und dem Absehen von Strafe Zurückhaltung üben. I n Verbindung mit § 378 Abs. 4 könnte der Gedanke der Nichtzumutbarkeit wirklich gefährlich werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich danke Herrn Professor Dahm für die um­ fassende Behandlung des Problems als Ganzes. Das Wesentliche bei diesem Abschnitt ist die Zusammen­ schau, die hier eine Rolle spielt. — Eine historische Bemerkung zmn Absah 2! Ich darf in die Erinne­ rung zurückrufen, daß der Absatz 2 hineingekommen ist bei der Vorstellung des Beispiels: E s gibt Handlungen, die so sind, daß ich als Volk dem Täter gegenüber zum Ausdruck bringen kann: Du warst berechtigt, so zu handeln!, und andere Handlungen, wo man dieses ehrenvolle Attest nicht geben will, sondern bloß sagen will: Ich will dich nicht verfolgen! Beispiel: Der verschüttete Unterstand und die eng­ lischen Matrosen. E s wurde geradezu als Ausdruck des Geistes der neueren Zeit aufgefaßt, in diesem Falle zu sagen: Daß du das Recht hattest, den Kameraden zu töten, um von den Lebensmitteln noch ein paar Tage leben zü können, wollen wir dir nicht einräumen, aber w ir nehmen so viel Rücksicht aus den animalischen Selbsterhaltungstrieb des Menschen, daß w ir dich nicht unter Anklage stellen wollen! Oder: Wenn jemand den Kahn am Ufer sieht und einen E r­ trinkenden und er kappt nun die Ankertaue, so sagen

wir: Du warst berechtigt, das zu tun; hier kommt von einer Anklage nichts in Frage! — Ich bitte, sich daran zu erinnern, daß dieser Gedanke geradezu von der heroischen Auffassung der Zeit eingegeben war, hier den Unterschied zu machen: Hier hast du im Recht gehandelt, und hier . . . so weit kann ich nicht gehen zu sagen: Du hast ein Recht, den Kameraden zu töten, ich will dich aber nicht unter Anklage stellen. D as soll aber nicht für die Erhaltung des Absatzes sprechen, sondern nur eine Erinnenmg daran sein, daß das kein Rudiment einer alten Weltanschauung ist. Wenn ich noch ein einziges Wort sagen darf, so ist es eine Empfindung, die ich selber habe: Professor Dahin, der dankenswerterweise auch eine Formel vorschlägt, beginnt den Notwehrparagraphen damit: „Wer in Notwehr handelt, ist nicht strafbar". Auch hier habe ich die Empfindung, daß das eigentlich dem Geist der Zeit nicht gerecht wird, sondern ich möchte zum Ausdruck bringen: Jeder hat das Recht, einen Angriff, der gegen ihn unternommen wird, abzu­ wehren. E r ist im Recht gewesen; die Frage, ob er strafbar ist, kommt überhaupt nicht in Betracht. D as ist das einzige, was mich vorläufig an der Fassung ein wenig stört. Professor Dahm hat selber darauf hingewiesen und sogar einmal gesagt, nach alter germanischer Ausfassung hätte der in Notwehr Handelnde quasi als Prokurator der Gesamtheit nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, das Unrecht abzu­ wehren. Wenn man das zum Ausdruck bringen will, scheint mir die Form „ist nicht strafbar" nicht gerecht zu sein. Ich könnte mir denken, daß das Strafgesetz­ buch sagt: Jeder hat das Recht, sich zu verteidigen, um einen gegenwärtigen Angriff von sich oder anderen abzuwehren. Professor D r. Dahm: Ich hätte gar nichts dagegen, weil meiner Meinung nach zwischen Schuld und Unrecht kein wesentlicher Unterschied mehr besteht. D as Wort „Rechtswidrigkeit" darf aber nicht mehr als Bezeich­ nung für einen technischen Begriff verwertet werden. Reichsjustizminister D r. Gürtner: M ir ist gerade während Ih r e r Ausführungen der Gedanke durch den Kopf gegangen, ob man es nicht so ausdrückt: Wer in Notwehr handelt, tut kein Unrecht; denn das „Nichtstrasbarsein" ist mir, der ich den Einbrecher nachts vor meinem Fenster nieder­ geschossen habe, nicht adäquat. D as soll aber kein Faffüngsvorschlag sein.

Ministerialdirektor Schäfer: Bei Putativnotwehr sehe ich die Lösung nicht. Handelt der M ann denn unrecht? Recht hat e* doch nicht. M an kann aber unmöglich sagen: er handelt recht! (Die Aussprache wird abgebrochen.)

(Schluß der Sitzung 12 Uhr 52 Minuten.)

Strafrechtstommission

61. Sitzung 28. März 1935 Zweite Lesung Inhalt Ausschluß von Unrecht und Schuld; Notwehr, Notstand (Fortsetzung der Aussprache) Reichsjusttzmtnister Dr. Gürtner 1, 3, 4, 7 ,1 1 ,1 4 ,1 6 , 18,19, 21, 22, 24, 25, 26, 28, 29, 31, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39 Vizepräsident G rau......................................................1, 3, 25, 34 Professor Dr. M ezger........................... . . 3 , 26, 29, 32, 36, 37 Professor Dr. N a g le r ............................................................ 4, 18 Staatssekretär Dr. Freister 8, 12, 19, 23, 24, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 35, 36, 38 Senatspräsident Professor Dr. K le e ... 12, 21, 24, 28, 32, 35 Professor Dr. Graf G leispach.....................................14, 22, 39 Professor Dr. Dahm........................1 6 ,1 9 ,22,24,25,26,27,29,36 Ministerialdirektor Dr. D ü rr................................................16, 29 Professor Dr. Kohlrausch........................17, 18, 21, 24, 27, 32 Ministerialdirektor Schäfer..................... 25, 30, 31, 34, 36, 37 Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi 2 6 ,27,32,33,34,35,36,38 Iustizminister Dr. Thierack.......................................................... 37

Beginn der Sitzung 10 Uhr 15 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren! W ir fahren in der Besprechung des Themas Notwehr, Notstand fort. Vizepräsident Grau: Ich möchte zu Beginn betonen, daß ich den Aus­ führungen von Herrn Professor Dahm im wesentlichen zustimme, und ich möchte gleich auch bemerken, daß sich seine Ausführungen mit den Auffassungen, die in Fischbachau über die Strafausschließungsgründe vor­ getragen worden sind, in der Hauptsache decken. Der Ausgangspunkt der Betrachtung muß sein, daß der betätigte Wille des Rechtsbrechers das strasbegründende Element ist. Dieser Wille umfaßt das Wiffen und Wollen der Tatbestandsmerkmale und zugleich auch das Bewußtsein, durch die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale Unrecht zu tun. Wenn man von dieser Grundlage ausgeht, so ist es logisch und folgerichtig, nun auch den Umkehrschluß in der Rich­

tung zu ziehen: Wenn dieser Wille fehlt, dann ist — abgesehen von den Fahrlässigkeitstatbeständen — grundsätzlich keine Strafbarkeit vorhanden. Aber zwei Ausnahmen muß es von diesem Satz geben. Einmal: der Wille, Unrecht zu tun, fehlt aus Grund eines unentschuldbaren Irrtu m s, eines Irrtu m s, der auf einer Einstellung des Täters beruht, die völlig volksfremd ist. Dann tritt die vorgesehene Fiktion des Vorsatzes ein. Die weitere Ausnahme ist, daß dieser Wille zum Unrechttun auf Grund eines auf Fahrlässigkeit beruhenden Irrtu m s des Täters fehlt. Dann erfolgt die Bestrafung wegen Rechtsfahrlässig­ keit. Wenn man von diesen Grundlagen ausgeht, und wenn man diesen Umkehrschluß billigt, dann ergibt sich ohne weiteres daraus, daß es keine rein objektiv gestalteten Strafausschließungsgründe, also keine Rechtsertigungsgründe mehr geben kann, sondern daß es nur Gründe gibt, die wir bisher als Entschul­ digungsgründe bezeichneten, deren Kreis dann aber um ein Bedeutsames erweitert werden muß. Gibt es aber nur noch Entschuldigungsgründe, dann kann notwendigerweise ein Unterschied in den Rechtsfolgen zwischen Notwehr und Putativnotwehr sowie zwischen Notstand und Putativnotstand nicht mehr bestehen. Bisher ging man davon aus, daß eine S traftat sich zusammensetzte aus, ich möchte sagen, drei Säulen: dem äußeren Geschehen, der Rechtswidrigkeit und der Schuld. Ich bin der Auffassung, daß die bisherige Betrachtung der Rechtswidrigkeit, losgelöst von der Schuld, nicht aufrechterhalten werden kann. Vom Standpunkte des Täters aus betrachtet ist die Rechts­ widrigkeit untrennbar von der Schuld. Schauen wir ihn und seine T at an, so ist allein die Frage zu ent­ scheiden: Is t der Täter schuldig oder nicht? Ich glaube auch, daß diese Auffassung durchaus volkstümlich ist, und glaube nicht, daß das Volk etwa unterscheidet, ob der Täter rechtswidrig oder ob er schuldhaft gehandelt hat. Es ist ja diese Dreiteilung auch erst im neun­ zehnten Jahrhundert in die Dogmatik hineinge­ kommen, und man kann nicht etwa sagen, daß sie auf alter deutscher Rechtsausfassung beruhe. Eine weitere Frage ist, ob der Wegfall des Unter­ schieds von Entschuldigungs- und Rechtsertigungsgründen volkstümlich und von der Volksanschauung aus richtig ersaßt ist, oder ob man sagen muß, daß gerade diese Unterscheidung zwischen Rechtfertigungs­ und Emschuldigungsgründen eine erzieherische Auf­ gabe gegenüber dem Volksganzen darstellt. Um diese Frage zu beantworten, möchte ich von der Notwehr ausgehen. E s ist zweifellos notwendig, daß das Gesetz deutlich sagt: Jeder deutsche M ann hat das Recht, sich zu wehren, hat ein Recht auf Notwehr. Der E in­ leitungssatz über die Notwehr kann deshalb nur lauten: Wer in Notwehr handelt, tut kein Unrecht — oder, was nach meiner Auffassung dasselbe bedeuten würde: handelt schuldlos. Es fragt sich nur, ob man diesen Satz auch für die Putativnotwehr aussprechen kann? Ich würde das unbedenklich bejahen, und zwar als Folge des Willensstrasrechts. Denn wenn jemand glaubt und ohne Fahrlässigkeit glauben kann, in Not-

wehr zu handeln, dann tut er nach der Volksausfaffung kein Unrecht, dann handelt er schuldlos. Die Subjektivierung der Notwehr führt also zu keinerlei Schwierigkeiten, und die Fassung, die Herr Professor Dahm im einzelnen vorgeschlagen hat, ist nach meiner Ansicht zutreffend und auch volkstümlich. Nach dieser Fassung ist es m. E. auch klar, daß es auch in Zukunft keine Notwehr gegen Notwehr geben wird, und es ist weiter klar, daß eine Notwehr gegen Putativnotwehr zulässig ist, wenn derjenige, der sich in Notwehr glaubt, nicht mehr rechtzeitig aufgeklärt werden kann. Die Fassung von Herrn Professor Dahm wird also die bisherige Grenze der S trafbar­ keit in keiner Weise ändern, sie hat aber den großen Vorteil, daß sie subjektiv aufgebaut ist. Dieser subjek­ tive Aufbau hindert keineswegs, klipp und klar zu sagen: Wer in Notwehr handelt, tut kein Unrecht. Denn der T äter tut eben kein Unrecht, wenn ihm der böse Wille fehlt. Wenn ich mich nun zum Notstand wenden darf, so gibt es dabei zwei Arten von Fällen, was ja im Entwurf erster Lesung auch zum Ausdruck kommt. Einmal Fälle, die bisher zur Entschuldigung des T äters führten, und zum andern Fälle, die zu seiner Rechtfertigung führten. E s ist nicht zu verkennen, daß zwischen diesen beiden Fällen erhebliche Unterschiede bestehen; die Mehrzahl der Notstandssälle liegt aber genau so wie bei der Notwehr, wo dem T äter attestiert werden muß: Du hast kein Unrecht getan. Ich würde deshalb, um zunächst diesen Fällen gerecht zu werden, auch den Notstand damit einleiten: Wer in Notstand handelt, tut kein Unrecht — oder auch: handelt schuldlos. Die Fassung, die Herr Professor Dahm bezüglich des Absatz 1 vorgeschlagen hat, scheint mir richtig zu sein. M an kann den Absatz 1 in zwei Sätze auseinanderziehen, indem man sagt: Wer in Notstand handelt, tut kein Unrecht, und dann mit einem neuen Satz fortfährt: I n Notstand handelt, wer eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, um eine gegen­ wärtige, nicht anders abwendbare Gefahr eines erheblichen Schadens von sich oder anderen abzuwenden. Und dann käme als Nachsatz: Notstand liegt nicht vor, wenn vom Täter oder dem Gefährdeten nach gesunder Volks­ anschauung erwartet werden muß, den Schaden zu dulden. Damit wären diejenigen Fälle gelöst, die bisher zur Rechtfertigung geführt haben, und zwar in sub­ jektiv orientierter Form. Nun komme ich zu den Fällen, die bisher zur Entschuldigung des Täters geführt haben. D a ist der wichtigste Fall die sogenannte Gesahrengemeinschaft, der Fall, in dem zwei Menschen sich in Lebensgefahr befinden, und der eine den anderen umbringt, um das eigene Leben zu retten. I n diesen Fällen ist es allerdings zweifelhaft, ob man diesem Täter attestieren kann: D u hast kein Unrecht getan, du hast schuldlos gehandelt. Denn an und für sich ist es

Feigheit und Verletzung der Kameradschastspflicht, sich auf Kosten des anderen zu retten; aber es ist andererseits auch kein Zweifel, daß in solchen Fällen der Täter straflos bleiben muß, wenn er sich in höchster eigener Lebensgefahr befand. Die anderen Fälle, in denen der T äter bisher als entschuldigt galt, in denen also das bedrohte Rechts­ gut und das verletzte Rechtsgut ungefähr gleichwertig waren, sind nach meiner Ansicht gerade so zu be­ handeln wie die bisherigen Rechtfertigungsfälle. I n diesen Fällen kann man nt. E. unbedenklich dem Täter bezeugen, daß er kein Unrecht getan hat. Ein be­ kanntes Beispiel ist ja: Zwei wertvolle Jagdhunde sind ineinander verbissen. Der eine Eigentümer sieht, daß seinem Jagdhund beinahe die Kehle durchgebissen wird, und er schießt deshalb den fremden Hund nieder. D as ist ein Fall, der bisher als entschuldigt ange­ sehen wurde. Ich habe keinerlei Bedenken, auch hier festzustellen, daß der T äter kein Unrecht getan hat oder schuldlos gehandelt hat. Wirklich gegen das Volksempfinden verstößt nur der Fall der sogenannten Gesahrengemeinschaft, und ich glaube, es bestünde kein Bedenken, diesen Sonder­ sall aus dem Notstand herauszunehmen und ihn be­ sonders zu lösen. Wenn man das tut, dann ist gegen die subjektive Orientierung des Notstandes nichts mehr einzuwenden. M an darf nun aber den Fall der Gesahrengemeinschaft nicht etwa so regeln, daß man zur Rechtswidrigkeit zurückkehrt, sondern man muß da eine andere Formulierung wählen. Ich würde etwa an eine Fassung denken, daß in Notstand nicht handelt, wer zur Rettung des eigenen Lebens das Leben eines anderen vernichtet, daß jedoch der Täter straflos bleibt, wenn die übrigen Voraussetzungen des Notstandes vorliegen. Diesen Vorschlag einer Sonder­ regelung der Gesahrengemeinschaft würde ich aller­ dings nur als Notbehelf machen; denn nach meiner Auffassung würde es letzten Endes auch in diesem Falle möglich sein, dem T äter zu sagen, daß er kein Unrecht getan hat. Ich glaube allerdings, daß es Pflicht des Richters ist, in solchen Fällen den Ange­ klagten darauf hinzuweisen, daß er nicht tapfer und opfermutig gehandelt habe, daß er aber trotzdem frei­ gesprochen werde, weil sein Handeln außerhalb der menschlichen Strafgewalt stehe. Was im einzelnen die vom Entwurf vorgesehene Formulierung des Notstandes anlangt, so glaube ich ebenfalls mit Herrn Professor Dahm, daß die Absätze 2 und 3 des Entwurfs erster Lesung zu streichen sind. Absatz 2 muß ja gestrichen werden, wenn kein Unterschied zwischen Rechtsertigungs- und Entschuldigungsgründen gemacht wird. Und daß Absatz 3 in dieser individualistischen Aufzählung der Rechtsgüter kaum zu ertragen ist, hat Herr Professor Dahm bereits eingehend ausgeführt. Dagegen vermag ich nicht einzusehen, warum die Kannmilderung bei Überschreitung des Notstandes nicht genau so bleiben soll, wie sie bei der Notwehr ebenfalls vorgesehen ist. Bezüglich der Sachnotwehr habe ich nichts Be­ sonderes auszuführen. Die kleinen Verbesserungen,

die Herr Professor Dahm vorgeschlagen hat, erscheinen mir zweckmäßig. Nun ein letztes. Ich sagte schon, daß der Aus­ gangspunkt unserer ganzen Betrachtung sei, daß der betätigte verbrecherische Wille die Strafbarkeit be­ gründet. Wenn man davon ausgeht, dann ist es zu überlegen, ob man nicht einen allgemeinen Satz an die Spitze der Strafausschließungsgründe setzen sollte, etwa der A rt: Konnte und durfte der Täter im Einzelfall ohne Fahrlässigkeit glauben, kein Unrecht zu tun, so begeht er keine strafbare Handlung. Wenn man einen solchen Satz an die Spitze der ganzen Regelung setzen würde, so hätte das den Vor­ teil, daß dadurch die bisherigen außerstrafrechtlichen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsaründe erfaßt würden. E s hätte weiter folgenden Vorteil: M an könnte dann an diese Stelle als Absatz 2 die Vorsatzfiktion des § 373 Abs. 3 setzen. Ich glaube nicht, daß diese Vorsatzsiktion des § 373 Abs. 3 dort sehr glück­ lich steht. Denn sie hat eigentlich mit der Vorsatzlehre nur insoweit etwas zu tun. als in diesem Falle der Vorsatz fingiert wird. I n Wirklichkeit beruben diese Fälle ja meistens auf einem Irrtu m , und es ist durch­ aus denkbar, daß sich dieser Irrtu m auch auf eine Fahrlässiakeit gründet. Deshalb ist es nt. E. uner­ wünscht, daß diese Fiktion in der Vorsahlehre steht; hier an diese Stelle paßt sie aber zwanglos. Ich würde allerdings auch nicht sagen, daß ein solcher Irrtu m unbeachtlich ist, sondern ich würde ganz vositiv saaen, daß der Täter, der sich auf Grund seiner volksfremden Einstellung so verhält, wegen vorsätzlichen Handelns bestraft wird. Denn ich bin mir zweifelhaft, ob es, wenn man sagt: „unbeachtlich ist ein Irrtu m ", klar ist, ob der Täter wegen Vor­ satzes oder wegen Fahrlässigkeit bestraft wird. Denn ich sagte schon, daß es auch Fälle gibt, in denen jemand aus Fahrlässigkeit zu einer volksfremden Einstellung kommen kann. Auch dies würde noch dafür sprechen, daß man vielleicht eine solche Dachbestimmung, so möchte ich sie nennen, an die Spitze aller Strafausschließungs­ gründe stellt. Es ist doch nach geltendem Recht in höchstem Grade unbefriedigend, daß eine große Reihe von Fällen, die gerechtfertigt sind, die entschuldbar sind, nicht im Gesetze geregelt sind, sondern erst von der Wissenschaft ausaevrägt werden mußten, und daß in einer großen Zahl von Fällen äußerster S treit darüber herrscht, ob im Einzelfall tatsächlich ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorliegt oder nicht. Als Überschrift des ganzen Abschnitts würde ich vorschlagen: Die Schuld als Grundlage der Be­ strafung. Und dann wäre der Abschnitt in drei Titel einzuteilen: die Schuld, die Schuldunfähigkeit und die Schuldausschließungsgründe, oder — da ich Be­ denken habe, daß das letztere zu Unklarheiten führt — die Strafausschließungsgründe.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as Bedenken haben Sie nicht, daß § 379 in der Fassung: „Wer in Notwehr handelt, begeht kein Unrecht" einen Strafausschließungsgrund darstellt? Vizepräsident G rau: Nein, das ergibt sich aus der Definition der Not­ wehr. Der Täter begeht deshalb kein Unrecht, weil ihm der böse Wille fehlt. W ir gehen ja davon aus, daß dieser Wille des Täters das Unrecht begründet. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nur scheint mir die Überschrift „S trafaus­ schließungsgründe" dem nicht ganz gerecht zu werden. Wenn der verbrecherische Wille fehlt, dann müßten S ie doch eigentlich zwangsläufig zu der Bezeichnung „Schuldausschließungsgründe" kommen. Professor Dr. Mezger: Ich möchte einiges Grundsätzliche sagen unter den beiden Gesichtspunkten: um was es in der vorliegenden Erörterung nicht geht und um was es dabei in Wahrheit geht. Es geht zunächst n i c h t , wie es den Anschein haben könnte, um die Beseitigung des Gegensatzes von S c h u l d und o b j e k t i v e r R e c h t s . W i d r i g ­ k e i t . Dieser Gegensatz bleibt nach wie vor bestehen. Denn es bleibt die objektive Rechtswidrigkeit min­ destens außerhalb des Strafrechts. Wenn jemand eine fremde Sache in dem entschuldbaren Irrtu m weg­ nimmt, es sei seine eigene Sache, so handelt er objek­ tiv rechtswidrig, aber nicht schuldhaft. Auf dem weiten Gebiet des bürgerlichen Rechts haben wir, wie auf andern Rechtsgebieten, nach wie vor eine klar abge­ grenzte objektive Rechtswidrigkeit im alten Sinne. Also um die Beseitigung dieses Gegensatzes kann es sich gar nicht handeln, und das ist auch nicht die Ansicht von Schasfstein, der vorhin zitiert worden ist und der nur eine besondere und eigenartige st r a f r e c h t l i c h e R e c h t s w i d r i g k e i t neben die objektive Rechtswidrigkeit im alten Sinne stellen will. Auch ich stehe nicht an — das deckt sich voll­ kommen mit dem, was Herr Kollege Dahm ausge­ führt hat — zu sagen: was wir im Strafrecht neuer­ dings „Unrecht" nennen, das ist in der T at nicht die alte objektive Rechtswidrigkeit, etwa des bürgerlichen Rechts, sondern das ist ein neugeschaffener Begriff, der zwischen Schuld und Rechtswidrigkeit steht, und der stärkere subjektivierte Bestandteile ausweist als die objektive Rechtswidrigkeit des BGB. usw. Eine weitere Klärung dieses Begriffs wird Aufgabe künftiger Dogmatik sein. Aber daß hier der Entwurf erster Lesung einen neuen Zwischenbegriff geschaffen hat, ist nicht zu bestreiten. W ir brauchen also die grundsätzliche Frage der Schuld und der Rechtswidrigkeit hier gar nicht auszu­ werfen. Denn wenn wir vom Willensstrafrecht aus­ gehen, dann wäre es wohl denkbar, das S t r a f ­ r e c h t ganz und ausschließlich auf dem Begriff der Schuld aufzubauen und innerhalb des Strafrechts die

besonderen Unterscheidungen von Rechtswidrigkeit und würde, wenn mir der S ta a t bei dem Tatbestand des Schuld zu beseitigen. D as meint wohl auch Herr Niederschießens des nächtlichen Einbrechers nur sagen Kollege Dahm. F ür die spezifisch strafrechtliche Seite würde: Du bist nicht strafbar. Der Kollege Dahm handelt es sich allein darum, ob eine „Schuld" des hat das anerkannt und es nun zu Papier gebracht T äters vorliegt oder nicht. Ich frage mich nur das mit den Worten: „begeht kein Unrecht". Bei diesem Eine, ob es nicht doch, insbesondere mit Rücksicht auf Wort „Unrecht" steigen alle Geister der Vergangenheit Gesichtspunkte a u ß e r h a l b des Strafrechts, zweck­ wieder auf; immer wieder tritt der Satz: „D as Un­ mäßig und vielleicht auch notwendig ist, zwischen recht wird bestraft, wenn das Recht es verlangt" in rechtswidrig und nicht rechtswidrig, insbesondere im seiner vollkommenen Fleisch- und Blutlosigkeit in die Gebiete der Notwehr, nach wie vor auch künftig zu Erscheinung und mit den gläsernen Stelzen, auf denen trennen, also auch weiterhin den „rechtswidrigen" diese akademische Behauptung einhermarschiert. Ich Angriff besonders hervorzuheben. glaube, daß wir diesen Satz so nicht an den Anfang S o könnten also doch aus praktischen Gründen des Strafrechts stellen können. Denn wir alle sind die verschiedenen Schuldausschließungsgründe danach uns nicht klar darüber, was wir da unter „Unrecht" abgestuft und danach verschieden behandelt werden, meinen. Ich habe versucht, mir das selbst klar zu ob die Rechtswidrigkeit besteht oder nicht. Eine machen. Meinen wir: „Wer sittenwidrig handelt, prinzipielle Frage ist das aber im jetzigen Stadium wird bestraft, wenn das Recht es verlangt"? D as würde also bedeuten, daß derjenige, der gegen die der Erörterungen nicht mehr. völkische Sittenordnung handelt, nicht immer bestraft Ich bin deshalb zunächst mit Herrn Kollegen Dahm der Auffassung, daß wir uns auch hier grund­ wird, aber dann, wenn das Reckt es verlangt. Wenn sätzlich zum Willensstrafrecht bekennen und deshalb das gemeint ist, dürfen wir das Wort „Unrecht" nicht gebrauchen. in der Überschrift von S c h u l d a u s s c h l i e ß u n g s ­ Ich habe gegen das Wort „Unrecht" Mißtrauen, g r ü n d e n sprechen sollen. Selbstverständlich ist dann der bisherige dritte Abschnitt als ein besonderer jedenfalls solange wir nicht ganz klar darüber sind, Titel unter den Abschnitt über die Schuld zu stellen. was wir darunter meinen. Wenn darunter der Wie weit man innerhalb des Ausschlusses der Schuld weitere konzentrische Kreis aus dem Freislerschen durch Not noch differenzieren will, ist eine relativ Bild gemeint ist, dann müssen wir das deutlicher zum wenig bedeutsame Frage. Deshalb bin ich mit Herrn Ausdruck bringen. Ich komme darauf, weil hier Kollegen Dahm für eine Streichung der lehrbuch- wieder das Wort „Unrecht" gebraucht wird. Is t das mäßigen Unterscheidungen in § 380 Äbs. 2 mit seiner hier auch so gemeint: „Wer in Not handelt, handelt Gegenüberstellung von Rechtswidrigkeit und Ent­ nicht gegen die völkische Sittenordnung"? Ich bin der Meinung, daß es nur so gemeint sein kann. schuldigung. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: E r Noch entschiedener möchte ich der von Herrn handelt gemäß den Lebensbedingungen der Kollegen Dahm empfohlenen Streichung des § 380 Volksgemeinschaft, und dann ist er eben im Abs. 3 zustimmen, den ich für eine verunglückte Be­ Recht. Ich möchte es positiv ausdrücken und stimmung halte. Dagegen bin ich meinerseits für die nicht sagen: kein Unrecht, sondern: er handelt Aufrechterhaltung des § 380 Abs. 4. Der Schuld­ gemäß dem Recht.) ausschließungsgrund des Notstands hat nach dem nunmehrigen Ausbau so allgemeine Bedeutung, daß — Dann ein Zweites. Es ist sinnvoll zu sagen: „ I n der Absatz 4, wie dies übrigens auch Herr Vizepräsi­ Notwehr handelt, wer sich verteidigt, um einen gegen­ dent Grau vorschlägt, stehen bleiben sollte. Ich glaube wärtigen Angriff yon sich abzuwenden". Aber nicht nicht, daß die Praxis in Gefahr sein wird, damit sinnvoll ist: „Wer' sich verteidigt, um einen gegen­ wärtigen Angriff von einem anderen abzuwenden". Mißbrauch zu treiben. S o treffe ich mich also im E r g e b n i s weit­ D as ist eine Fassungsfrage, auf die ich Hinweisen gehend mit den Vorschlägen des Herrn Kollegen wollte. Dahm. Nur eines möchte ich noch anheimgeben, Professor D r. Nagler: nämlich noch einmal die Fassung zu überprüfen: „von ihm oder dem Gefährdeten nach gesunder Volks­ D as Strafgesetzbuch kann natürlich technisch so anschauung erwartet werden muß" in § 380 Abs. 1. aufgezogen werden, daß es nur von der Schuld und Ich meine, sie ist noch ein Überbleibsel einer ver­ nur von Schuldausschließungsgründen handelt. M an alteten Auffassung. Es wäre dabei zu prüfen, ob es kann also die reine Subjektivierung wählen. W ir nicht richtiger ist, jetzt ganz konsequent und klar auf müssen uns dann auch darüber klar sein, daß damit den Täter und s e i n e Entschuldigung allein abzu­ nur eine Beurteilung des Täters persönlick geliefert stellen. Wenn in der Person desjenigen, der dem ist; dagegen der Beurteilung der T at als solcher, des anderen hilft, die Entschuldigung gegeben ist, dann äußeren Lebensvorganges als solchem, in keiner Weise liegt für ihn keine strafbare Handlung vor. Aus die vorgegriffen ist. T at und Täter werden auch in Person des Gefährdeten kommt es dabei nicht an. Zukunft geschieden werden müssen; insbesondere wird der Erfolg im Leben immer eine große Rolle spielen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Infolgedessen werden wir auch in Zukunft die T at Ich habe gestern selber dem Kollegen Dahm gegen­ als solche rechtlich würdigen. W ir werden auch über gesagt, daß ich sehr unangenehm berührt sein künftighin eine doppelte Beurteilung, so wie bisher

Vornehmen müssen: auf der einen Seite die Beur­ teilung des Täters, die Frage der „Gesinnung", wo­ von man hier gesprochen hat, die Frage, die aus die Schuld hinausgeht: Welche Anforderungen hat das Recht an diesen T äter gestellt, und in welchem Um­ fange hat er diesen Anforderungen genügt? Aber getrennt davon wird die andere Betrachtungsweise immer notwendig sein, die rechtliche Bewertung des äußeren Vorgangs als solchen, ohne Rücksicht auf die subjektive Beziehung zum Täter. W ir werden immer wieder fragen: W as bedeutet denn dieser Vorgang als solcher im Leben der Nation, innerhalb unserer Volksgemeinschaft? Welchen Gehalt an Unrecht, d. h. an Volksschädlichkeit, hat dieser Vorgang als solcher? Und wenn wir zu dieser Frage nach der objektiven Rechtswidrigkeit hier im Strafrecht keine Stellung nehmen sollten, dann wird sich diese rechtliche Bewer­ tung einfach in die anderen Rechtsgebiete flüchten und an sie anlehnen. W ir werden also dann die Frage, ob eine Handlung objektiv volksschädlich ist oder nicht, beurteilen aus dem Gesamtzusammenhang unserer Rechtsordnung, nach allen Äußerungen, welche von unserer politischen Führung und unmittelbar aus dem Rechtsbewußtsein der Volksgemeinschaft heraus sich ergeben. Die objektive Rechtswidrigkeit hat zu allen Zeiten existiert und wird zu allen Zeiten weiter existieren. Es ist doch auch eine ganz einfache logische Erwägung, daß wir uns klar machen: Die Rechtsordnung als solche, die völkische Sittenordnung, die völkische Ord­ nung und rechtliche Friedensorganisation ist etwas Objektives. Der Widerspruch dazu, das, was als volksschädlich zu kennzeichnen ist, muß dann natürlich ebenso objektiv sein wie die rechtliche Friedensordnung selbst, von der aus wir argumentieren, so daß also auch der einzelne Vorgang, die T at als solche immer rechtlich beurteilt werden muß und einem objektiven Verdammungsurteil unterliegen kann ohne Rücksicht auf die subjektiven Beziehungen des Handelnden. N ur wenn die Art der Reaktion zur Behandlung steht, haben wir subjektiv auf den Täter oder Urheber per­ sönlich zurückzugreifen. Wenn w ir also über die objektive Rechtswidrigkeit hier im Strafgesetzbuch nichts sagen — und darauf gehen doch die neuen Vorschläge hinaus — , so werden eben andere Rechtsgebiete ergänzend eingreifen. M an komme nicht mit dem Gedanken einer besonderen Strafrechtswidrigkeit! E r ist uns nichts Neues und Erfolgversprechendes; er ist uns ein alter lieber Be­ kannter. I h n haben schon früher z. B. Schaper, Janka, Hold v. Ferneck und andere vertreten; sie alle sind wissenschaftlich damit gescheitert, und zwar deshalb, weil eine Mehrheit von Rechtswidrigkeiten nebeneinander nicht bestehen kann, weil die Rechts­ ordnung ein einheitliches, unteilbares Ganzes bildet und das irgendwo gefällte Unwerturteil für alle Glieder unserer Rechtsordnung ganz gleichmäßig ge­ fällt wird und werden muß. Auf einzelne Disziplinen beschränkte Bewertungen könnten gewiß vom souve­ ränen Gesetzgeber angeordnet werden, aber wenn dergleichen nicht vom Gesetzgeber ausdrücklich bestimmt

ist, besteht immer die Vollrechtswidrigkeit für das ganze Rechtsgebiet. Ich darf daraus hinweisen, daß z. B. Zivilrecht und Strafrecht in einem gegenseitigen Austauschverhältnis stehen; das Reichsgericht hat die Frage nach der Bedeutung der Einwilligung des Getöteten in die Tötung — die Frage, ob dadurch die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen wird oder nicht — für das Zivilrecht aus dem § 216 des Strafgesetzbuchs entschieden (Bd. 66 der Entscheidungen in Zivil­ sachen) oder § 193 S tG B , für die Widerrechtlichkeit der Ehrverletzung des § 823 Abs. 2 BGB. aus­ gewertet. Umgekehrt machen wir Kriminalisten fort­ gesetzt für die Frage der Rechtswidrigkeit unsere An­ leihen beim Zivilrecht und bei den übrigen Rechts­ disziplinen, so daß tatsächlich der Gedanke einer be­ sonderen Strafrechtswidrigkeit bisher unserer Rechts­ ordnung fremd gewesen ist. E r kann praktisch gar nicht durchgeführt werden. Auch der Gedanke, Notstand oder Notwehr zu subjektivieren, ist nicht neu. Auch ihm sind wir schon wiederholt begegnet, in der schärfsten Ausprägung in dem Buch von Hold v. Ferneck, wo alle diese Fragen schon behandelt worden sind. Gewiß ist auch v. Ferneck nicht originell gewesen. E r hatte Vorgänger. S eit Neuner und Merkel ist schon oft behauptet worden: Rechswidrigkeit und Schuld seien identisch; es gebe nur schuldhaftes Unrecht; ein schuldloses Unrecht sei ein Widerspruch in sich selbst. Daneben lief seit v. Jhering eine zweite Variante einher, welche be­ sagte: Die objektive Rechtswidrigkeit sei anzuerkennen, aber setze wenigstens Schuldfähigkeit, Zurechnungs­ fähigkeit der Handelnden voraus. Alle diese Lehren hingen damals zusammen mit der Theorie der sub­ jektiven Pflichtnorm, mit dem Gedanken, die Rechts­ ordnung bestehe nur aus Befehlen gegen den einzelnen Rechtsgenossen; es müßte also immer gefragt werden: An wen war der Rechtsbefehl gerichtet? Konnte der Adressat diesen Befehl entgegennehmen? War er zu­ rechnungsfähig? Und in weiterer Konsequenz fragte v. Ferneck: Handelt er auch schuldhaft? Nur dann hätte er sich gegen die Rechtsordnung aufgelehnt. Diese Jmperativenlehre beruhte natürlich auf einer ganz einseitigen Betrachtung der rechtlichen Befehle, insbesondere der Rechtsverbote und -geböte. Diese haben ja eine Doppelfunktion. W ir als Theoretiker unterscheiden: S ie haben einmal die Funktion der Bestimmungsnormen — dann richten sie sich an den T äter und bestimmen psychologisch sein Verhalten. S ie beziehen sich aus der anderen Seite aber auch auf die T at, und insoweit sind sie Bewertungsnormen, also objektive Maßstäbe, an denen wir objektiv be­ urteilen, ob ein Vorgang im Widerspruch mit der Rechtsordnung steht oder nicht. Gerade diese objektiven Bewertungen sind außer­ halb des Strafrechts so außerordentlich bedeutungs­ voll und ganz unentbehrlich. Ich brauche nur an das Zivilrecht zu erinnern: die ganze Gesährdungshaftung benötigt die objektive Beurteilung. Oder denken Sie an das Verwaltungsrecht. Der polizeiwidrige Zustand ist rein objektiv, ohne jedes subjektive Element, zu beurteilen. Da haben wir ganz klar die objektive

Rechtswidrigkeit vor uns. M an denke auch an das Völkerrecht: D as völkerrechtliche Delikt der Staaten wird auch ganz objektiv beurteilt. W ir werden auch auf dem Gebiet des Strafrechts nicht um die objektive Rechtswidrigkeit herumkommen. Wie sollen ohne sie die Formaldelikte, die keine Schuld erfordern, be­ wältigt werden? Wenn wir die objektive Rechts­ widrigkeit hier im S tG B , nicht anerkennen, ist sie trotzdem nicht tot, sondern sie wird dann eben aus den übrigen Rechtszweigen entnommen werden und werden müssen. Ich habe nun den Eindruck gehabt, als ob das Wort „Unrecht" von einigen Herren, insbesondere von Herrn Grau, in doppelter Bedeutung gebraucht wird. Bald klang das Objektive durch und bald das Subjektive. Ich kann mich täuschen, aber ich hatte ganz bestimmt und sicher diesen Eindruck. Es könnte ;a sein, daß ich „Unrecht" immer unter diesem doppel­ ten Blickpunkt sehe und auch bei anderen verstehe. Aber ich glaube, daß auch Herr G rau nicht ganz die Absage an die objektive Rechtswidrigkeit hat durchsühren können. Wenn man sich grundsätzlich auf den Standpunkt stellt, daß wir von der objektiven Rechts­ widrigkeit nicht sprechen sollen, dann hat Herr Grau recht mit seiner Formulierung: Konnte der Täter annehmen, kein Unrecht zu tun, dann hat er keine strafbare Handlung begangen. D as ist aber weiter nichts als die Wiederholung der Rechtswidrigkeits­ elemente unseres Vorsatzbegrisfs. Denn wir haben uns schon dahin geeinigt: Zum Vorsatz gehört das Bewußt­ sein, Unrecht zu tun, also etwas Unerlaubtes in mate­ riellem Sinne zu tun oder gegen das Gesetz zu ver­ stoßen. Da wir eine solche Bestimmung in das StG B , aufnehmen, brauchen wir vom Standpunkte der Herren Dahin und Grau über Notwehr und Notstand überhaupt kein W ort zu verlieren. Ich glaube, dann können wir, wenn wir Unrecht und Schuld identi­ fizieren wollen, uns ruhig bei diesem einen Satz be­ scheiden. E s ist alles darin enthalten, was Herr Grau vielleicht noch hinzugefügt wißen will. Ich bin nun in der eigentümlichen Lage, daß ich mich mit den Einzelaussührungen des Herrn Kollegen Dahm durchaus einverstanden erklären kann, so wenig ich der Meinung bin, daß die objektive Rechtswidrig­ keit aus unserem Strafrechtsdenken je herauskommen wird. Allerdings verstehe ich seine Worte wesentlich anders. Denn ich kann nicht anerkennen, daß „das Unrecht durch den volksfeindlichen Willen begründet" werde. Wenn Herr Dahm zunächst den Verteidigungs­ willen bei der Notwehr betont, so entspricht dies durchaus meiner Auffassung. Ich habe § 53 S tG B , nie anders vertreten. E s ist nicht nur das Reichsgericht, das von jeher den Verteidigungswillen bei der Not­ wehraktion erfordert hat; auch die Kommentierungen von Frank, Lobe, v. Olshausen, v. Liszt, Binding haben ihn von jeher betont. Dahms Forderung ist uns also nichts Neues, aber ich begrüße es, wenn das Erfordernis des Verteidigungswillens ausdrücklich in das Gesetz hineingesetzt wird; freilich ist diese Absicht in der bisher vorgeschlagenen Fassung — „um sich zu

verteidigen" — , wie der Herr Minister schon sagte, sprachlich noch nicht ganz geglückt. Dann bin ich auch in der Lage, die Formulie­ rung zu akzeptieren: „wenn er nach gesunder Volks­ anschauung den Angriff nicht zu dulden brauchte". Da haben wir nicht die positive Feststellung der Rechts­ widrigkeit, sondern das Negative: E s wird vom ange­ griffenen Individuum aus beurteilt, ob es den An­ griff über sich ergehen lassen muß oder nicht. Es kehrt damit der Bindingsche Gedanke wieder, der die Not­ wehr immer so behandelt hat. M an hat ihm ja vor­ geworfen, das sei zu individualistisch, aber dieses Be­ denken würde ich nicht teilen und der vorgeschlagenen Fassung durchaus beipflichten können, wenn ich sie auch — ich wiederhole es — mit etwas anderem I n ­ halt erfüllen würde als der Herr Kollege Dahm. Was im einzelnen nicht geduldet zu werden braucht, würde ich — und ich glaube, wohl auch die Mehrzahl unserer Richter — in erster Linie an der objektiven Rechts­ widrigkeit messen. Ich glaube, da würden der Herr Kollege Dahm und ich vielleicht auseinandergehen. Es entsteht nun die Frage, wie sich der vorgeschla­ gene neue § 378 zu dem § 228 des Bürgerlichen Ge­ setzbuchs verhält. Diese Frage möchte ich nicht vorbe­ haltslos entscheiden, denn die Bedürsnissrage für § 228 BGB. kann ich nicht so sicher übersehen wie die Herren vom bürgerlichen Recht. Ich sehe die Not­ wendigkeit oder auch nur Angleichung des § 228 B G B . an den neuen § 378 nicht ein: denn wir be­ handeln die Sache jetzt viel zu sehr von der Schuld, während die Herren vom bürgerlichen Recht die Sache von der objektiven Schädlichkeit her sehen müssen. W as § 379 anlangt, so würde ich nicht gerade von Sachnotwehr, sondern von Sachabwehr sprechen. Dieser Ausdruck wäre neutraler und deshalb vielleicht besser. M an hat ja gezweifelt, ob man § 379 zur Not­ wehr oder zum Notstand setzen soll. Ich glaube, es ist richtig, ihn in die Nähe der Notwehr zu bringen, weil hier auch eine Art Angriff vorliegt, der von dem Tier oder z. B. von dem Schiff, das das andere Schiff zu rammen droht, ausgeht. Hier vollzieht sich auch eine Krastentwicklung, die ihre Richtung auf ein schutzwür­ diges —: verzeihen S ie den harten Ausdruck — Rechtsgut hat. Jedenfalls droht eine Rechtsverletzung, und zwar weil Kräfte von dieser Sache ausgehen und in rechtsschädlicher Entwicklung begriffen sind. Des­ halb hat man diese Vorgänge bisher analog der Not­ wehr behandelt. Aber ich würde die Bezeichnung „Sachabwehr" vorziehen, weil sie neutraler und tref­ fender ist. Daß man die Analogie zur Notwehr auch so weit treiben soll, die Gegenwärtigkeit der Gefahr zu be­ tonen, halte ich auch für richtig. Dieses Erfordernis ist auch in den Vorschlägen der Herren Sachbe­ arbeiter, die mir sehr sympathisch sind, zum Ausdruck gekommen. Ich würde vielleicht sagen „von dieser aus­ gehende gegenwärtige Gefahr", dann würde die Krastentwicklung etwas stärker hervortreten. D as Wort „drohend" würde ich aber bestimmt schon jetzt im gleichen Sinne auslegen.

Was den Notstand anlangt, so kann man ihn be­ kanntlich sehr verschieden rechtfertigen. Zunächst rein subjektiv: Wer in einer Notlage ist, steht in einer see­ lischen Zwangslage, er ist nicht mehr ganz Herr seiner Sinne, man kann ihm also die Notstandshandlung nicht voll zurechnen. Diese Gedankensolge sührt zur subjektiven Lösung (Unzurechnungsfähigkeit, Schuld­ ausschließung). M an kann jene Handlung aber auch von ihrer Volksschädlichkeit her, also objektiv, bewerten. Dieser letzte Gedanke scheint mir doch sehr erwägenswert zu sein. Eine im Notstand begangene Handlung hat entweder gar keinen oder einen sehr ge­ ringen objektiven Unrechtsgehalt, denn die Handlung läuft den Anforderungen und den Wünschen der Rechtsordnung parallel. Ich darf an das Beispiel der „Agamemnon" vor den Dardanellen erinnern. Dieses Kriegsschiff ist schwer getroffen und in Gefahr, unter­ zugehen. Der Kapitän läßt die Schotten schließen und die so abgeschlossenen Räume unter Wasser setzen, ob­ schon noch ein Teil der Mannschaft darin ist und nicht rechtzeitig herauskommt. Es sind so 39 Leute in den Tod geschickt worden. S ie mußten ertrinken, weil ihnen durch die Abschließung der Schotten die Mög­ lichkeit zu entkommen, genommen worden war. Aber das ganze Schiff wurde gerettet. S o mußte der Kapi­ tän handeln; diese Handlung hat gar keinen Unrechts­ gehalt, wenn auch viele Menschen dabei zugrunde ge­ gangen sind. Einen solchen Fall sehe ich unter dem objektiven Gesichtspunkt, nicht unter dem Gesichts­ punkt der Motivation. Wenn nun der Herr Kollege Dahm den Absatz 1, mit dem wir alle einverstanden sind, beibehalten will, und zwar mit der kleinen Änderung, welche die Herren Sachbearbeiter vorgeschlagen haben, aber den Absatz 2 streichen will, so bin ich auch damit sehr ein­ verstanden, und zwar deshalb, weil wir dann zur E in­ heitstheorie des Notstandes zurückkehren. Es bleibt freilich dahingestellt, welche Einheitstheorie gemeint ist, ob die objektive oder die subjektive, die Entschul­ digungstheorie. Diese Klarstellung würde dann die Aufgabe der künftigen Wissenschaft und Rechtspre­ chung werden. Wenn wir den neuerlichen Anträgen grundsätzlich folgen sollten, würde natürlich zunächst die Tendenz auf die Schuldausschließung gehen. Aber eine wissenschaftliche Bindung wäre vermieden; die Frage bliebe offen, ob nicht doch die objektive Rechts­ widrigkeit fehlt. Wenn sich der Gesetzgeber einer aus­ drücklichen Entscheidung enthält, könnten sich daraus wohl gewisse Unsicherheiten ergeben. Aber die Bahn bliebe doch für die Forschung frei. Ich würde also sehr dafür sein, diesen Absatz 2 zu streichen, überdies auch Absatz 3, der nach meinem Dafürhalten durch eine gewisse Ängstlichkeit in der ersten Lesung in den E nt­ wurf gebracht worden ist. W ir dachten damals an die Schwangerschaftsunterbrechung und ähnliche Fälle, die w ir im Besonderen Teil dann besonders behandelt haben. E s sind gegen Absatz 3 allerlei Be­ denken mit Recht geäußert worden. Es besteht auch noch ein sprachliches Bedenken. M an kann doch nicht sagen: „Erhebliche Einwirkungen auf das Leben"! Diese Fassung ist ganz unmöglich. Aber das nur

nebenbei. Ich denke, wir können den Absatz 3 so oder so preisgeben. Absatz 4 würde ich allerdings doch beibehalten. I n dieser Beziehung befinde ich mich in Übereinstimmung mit Herrn Vizepräsident Grau und auch mit Herrn Professor Mezger. Ich befürchte keinerlei Rechtsver­ weichlichung, wenn wir diesen Absatz 4, der doch offensichtlich als gerecht ausgewiesen ist, unverändert beibehalten. Ich glaube, wir sollten für den Exzeß ausdrückliche Bestimmungen treffen. Dann die Formulierung: „Nicht strafbar ist, w e r. . . " . Auch da treffen wir einen alten Bekannten wieder. S o hat der Code penal schon formuliert:

„II n’y a ni crime ni delit, lorsque___ " Über die deutsche Landesgesetzgebung ist diese Fassung 1870 in das Strafgesetzbuch gekommen. I n den Wendungen „Eine S traftat liegt nicht vor" oder „Eine strafbare Handlung ist nicht gegeben. . . " liegt zweifellos ein gewisses Ausweichen der Gesetzgebung, weil ja nun­ mehr die Frage offen bleibt, wie der Text im ein­ zelnen auszudeuten sei. Ich würde vorziehen, wenn wir schon einmal ganz subjektiv verfahren müssen, uns auch ruhig dazu zu bekennen und zu sagen: „Schuld­ los ist, we r . . . ". Damit hätten wir Farbe bekannt. Wenn wir schon die objektive Rechtswidrigkeit straf­ rechtlich überhaupt ablehnen müssen, dann sollten wir das Kind auch beim rechten Namen nennen und die Bestimmungen so formulieren, wie wir sie gesehen wissen wollen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr Professor Nagler hat also wieder den Be­ griff der objektiven Rechtswidrigkeit berührt. Ich möchte für die weitere Aussprache einmal folgende Frage stellen und bitten, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Wenn wir das ganze Strafrecht auf der Schuld ausbauen, dann müssen wir sagen, wer sich schuldig maä)t und wer sich nicht schuldig macht, wer sich schuldig machen kann und wer sich nicht schuldig machen kann, müssen also die Terminologie ganz ge­ nau durchführen. Bei der jetzt vorliegenden Fassung der Herren Dahm und Grau ist der Gedanke wieder aufgenommen, den wir ja auch verschiedentlich hatten: Notwehr liegt nicht vor, wenn nach gesunder Volks­ anschauung die Duldung des Angriffs erwartet werden muß. D arin sehe ich die Objektivierung. Bei­ spiel: Ein ganz unbestrittener Satz der gesunden Volksanschauung wäre meines Erachtens der: „Ich kann mich von dem Geschrei des kleinen Kindes meines Flurnachbarn, das mich beim tiefen Nach­ denken furchtbar stört, nicht dadurch befreien, daß ich über den Gang hinübergehe und das Kind totschlage." D as sind die Zäune und Mauern, an denen sich dieser Täter, den wir ganz subjektivieren, seine Hörner ab­ laufen soll. Auf diese Einzäunung können wir weder in der Jrrtum slehre noch hier verzichten. W ir sagen: Beim Irrtu m hat der Täter ohne Fahrlässigkeit, ohne Schuld angenommen, daß seine T at kein Unrecht ist, dann kommt er mit dem Strafgesetz nicht in Konflikt. Aber wir grenzen den Jrrtumsbezirk, in dem er sich herumtummeln darf, sehr deutlich ein in dem Absatz 2.

s Da sind Mauern, und wir sagen: über diese Mauern kannst du mit deinem Irrtu m nicht hinaus. D as ist die Umdeutung, Umwandlung, wenn Sie wollen, Ver­ edelung des Begriffs der objektiven Rechtswidrigkeit. D arin sehe ich die unentbehrliche Grundlage des Ka­ nonischen im Recht, des allgemein Gültigen, wobei wir das allgemein Gültige nicht aus dem göttlichen Recht und nicht aus dem Naturrecht herleiten, sondern aus der gesunden Volksanschauung, also aus dem, was auch Herr Staatssekretär Freister hier und da angedeutet hat. Daß wir daraus ver­ zichten können, glaube ich nicht. Die Herren tun das auch tatsächlich nicht. Wollen wir nun darüber streiten, daß das jetzt objektiv rechtswidrig ist oder nicht? Das scheint m ir ein S treit um Worte zu sein. Ich sehe hier die Einengung des Subjektiven: Es gibt gewisse Grenzen; darüber hinaus bist du einem Kanon unterworfen, einem allgemein gültigen Recht — das wir freilich, wie ich sagte, nicht aus der lex a e te m a und nicht aus dem ju s n a tu ra le schöpfen, auch nicht aus dem W ortlaut des Gesetzes, sondern aus der gesunden Volksanschauung. Ich glaube, dessen müßten wir uns bewußt bleiben. Staatssekretär D r. Freisler: Wenn man ein Willensstrasrecht aufbaut, dann muß man zunächst — das muß ich sagen, um an ein Wort von gestern anzuknüpfen und um zu verhindern, daß in Anknüpfung an dieses Wort eine falsche Mei­ nung entsteht — den Willen und seine Freiheit an­ erkennen. Ich muß mich dagegen wehren, daß ich jemals in diesem Ausschüsse gesagt hätte: das P ro ­ blem des freien Willens ist ein Problem, das wir als Strafgesetzgeber nicht beantworten. Ich bin der Mei­ nung, daß wir alle glauben eine Zeit zu erleben, in der der Glaube an den freien Willen als der Triumph des Willens als richtig geradezu erwiesen wird. Und, nun mag ganz ruhig dieser oder jener Philosoph in Gedankensblässe über die Freiheit oder Nichtfreiheit des menschlichen Willens wissenschaftlich weiter nach­ denken und schreiben. F ü r uns aber als Strafgesetz­ geber ist das Problem des freien Willens deshalb kein Problem, weil wir es glatt und ohne uns in lange Diskussionen mit Philosophen einzulassen, bejahen. Wenn ich nun unter Bejahung des freien Willens des Menschen diesen Willen als' den möglichen Gefährder des Volksfriedens und als den einzig mög­ lichen Feind ansehe, dann baue ich ein Willensstraf­ recht deshalb auf, weil ich damit sagen will: Gegen diesen verbrecherischen Willen will ich kämpfen. Nun kann man aber m. E. dieses Willensstrafrecht gerade dadurch diskreditieren, daß man andererseits nicht sieht, daß das Strafrecht, das wir ausbauen, gar nicht ausschließlich ein Strafrecht sein soll. W ir sind uns doch von Anfang an über den Doppelzweck des S traf­ rechts einig gewesen. Es gibt auch noch mehrere andere Zwecke; aber dieser Doppelzweck des S traf­ rechts ist der, der jetzt besonders interessiert. Dieser Doppelzweck ist der der Sühne und der Sicherung. Wenn wir diesen Doppelzweck nicht mit dem Strafrecht verfolgen wollten, dürsten wir die

Sicherungsmaßnahmen in das Strafrecht über­ haupt nicht aufnehmen, weil sie mangels Not­ wendigkeit einer zugrundeliegenden Schuld ja gar nichts mit dem Sühnezweck zu tun haben. Wir nahmen sie auf, und zwar mit Recht, weil wir ja eben den Sühne- und Sicherungszweck verfolgen. Anderer­ seits haben die Strasen, auch ehe unser Strafrecht reine Sicherungsmaßnahmen enthielt, neben dem Sühnezweck auch schon den Sicherungszweck gehabt. Künftig werden die Strafen Sühnezweck plus Siche­ rungszweck und die Sicherungsmaßnahmen nur Sicherungszweck haben. D araus folgt nun m. E., daß wir überall und so auch hier an diesen im Grunde notwendigerweise nicht gegensätzlichen, aber doch zwiespältigen Zweck des Strafrechts denken müssen. D aran haben wir ja auch anderwärts gedacht, so z. B. wenn wir in § 373 zwar den Vorsatz völlig subjektiv und ethisch aufgebaut haben, wenn wir aber nachher den Absatz 3 anfügten, den man innerlich überhaupt nur mit der Rücksicht auf den zweiten gleichwertigen Zweck des Strafrechts rechtfertigen kann, nämlich mit der Rücksicht aus den Sicherungszweck. Dieser Siche­ rungszweck fordert eben, daß man sich nicht darin ver­ liert, um des Sühnezweckes willen immer nur das Subjektive zu beachten, weil eben das Subjektive, die Bewertung nach der subjektiven Seite hin, allerdings die Voraussetzung dafür ist, daß man von einer Sühne, einer Sühnenotwendigkeit und einer Sühne­ möglichkeit spricht. Nun meine ich, daß man, wenn man jetzt versucht, die Unrecht- oder Schuld- oder Strafausschließungs­ gründe rein subjektiv aufzubauen, dem zweiten Zweck des Strafrechts nicht voll gerecht würde, daß man damit das Willensstrafrecht deshalb diskreditieren würde, weil man es über seinen S in n hinaus aus­ dehnt. W ir stehen allerdings vor der Tatsache, daß die Vorschläge, die gemacht worden sind, in Wirklich­ keit diese reine Subjektivierung auch gar nicht be­ deuten. Der Vorschlag zu § 379, wie er hier vorliegt, sagt im wesentlichen nichts anderes wie § 378 Abs. 1 der ersten Lesung: „Notwehr ist diejenige Verteidi­ gung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden" und: „ I n Notwehr handelt, wer sich verteidigt, um einen gegenwärtigen Angriff von sich oder den anderen abzuwenden". Die letzte Fassung enthält nur insoweit etwas anderes, als hier der Not­ wehrbegriff dadurch eingeengt ist, daß der Zweck der Verteidigung von dem die Verteidigung Vor­ nehmenden aus gesehen ist und die Notwendigkeit ausgestellt ist, daß jemand diesen Zweck auch verfolgt hat, während § 378 Abs. 1 im Entwurf erster Lesung fordert, daß diese Handlung objektiv erforderlich ge­ wesen ist. Andererseits bedeutet die neue Fassung insofern eine Erweiterung, als hiermit die P utativ­ notwehr miterfaßt wird. I m übrigen aber finde ich keinen Unterschied. Denn die Rechtswidrigkeit des Angriffs, die § 378 der ersten Lesung verlangt, ver­ langt nach dem, was Herr Professor Dahm gestern gesagt hat, auch der neue Vorschlag, der insoweit sogar wortgleich mit dem Vorschlag der ersten Lesung ist, nur daß das nicht ausdrücklich gesagt wird, viel-

mehr in das Wort „Angriff" hineingelesen werden soll. M. E. kann es auch gar nicht anders sein; denn sonst würde es keine Notwehr gegen die Putativnot­ wehr geben. Gegen Putativnotwehr muß es aber eine Notwehr geben, und ich kann mir nicht denken, daß der neue Vorschlag die Notwehr gegen die P utativ­ notwehr nicht zulassen will. M an kann aber bei dem neuen Vorschlag zur Berechtigung der Notwehr gegen die Putativnotwehr nur dann kommen, wenn man den Begriff des „Angriffs" genau so aufsaßt wie bisher den Begriff des „rechtswidrigen Angriffs". E s ist also ein Irrtu m , anzunehmen, daß der neue Vorschlag das Erfordernis der Rechtswidrigkeit des Angriffs beseitigen will. Wenn jetzt der Satz vorangestellt wird: „Wer in Notwehr handelt, begeht kein Unrecht", so bedeutet das gegenüber dem gestrigen Vorschlage des Herrn Professor Dahm den Versuch einer Klarstellung, nämlich insofern, als der Vorschlag zunächst wohl lautete: „ . . . . macht sich nicht strafbar" oder „. . . ist nicht strafbar". Herr Profeffor Dahm hat sich gestern dagegen gewehrt, daß diese Fassung unklar sei, und geäußert, er sei der Meinung, daß man damit einer Entscheidung durchaus nicht ausweiche. T at­ sächlich ist man aber damit einer Entscheidung ausgewichen. Denn wenn ich sage: „Jem and handelt nicht strafbar", so muß ich daraus gefaßt sein und von vornherein damit rechnen, daß gefragt wird: Warum nicht strafbar?, und dann muß ich darauf eine Ant­ wort geben. Wenn Sie, Herr Profeffor, (zu Herrn Profeffor Dahm gewandt) jetzt den Vorschlag machen — ich nehme an, daß es als I h r Vorschlag anzusehen ist, auch wenn Sie mit Herrn Vizepräsident Grau den Vorschlag gemeinsam gemacht haben — zu schreiben: „. . . . begeht kein Unrecht", so kann das nicht aus dem Gedanken einer Konzession, sondern aus dem Wunsch einer Klarstellung heraus erklärt werden. Nun ist aber eine Klarstellung damit gar nicht gebracht, und zwar deshalb nicht, weil das W ort „Unrecht" eben auch zwei Seiten hat. E s hat eine objektive Seite und eine subjektive Seite. Nach der objektiven Seite hin — ich glaube, daß ich da ungefähr das sage, was Herr Professor Nagler in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebracht hat — haben wir den Begriff des Unrechts in unserem Strafgesetz geändert. W ir mußten ihn ändern, weil wir das Unrecht, ganz objektiv betrachtet, nicht gleichsetzen konnten mit der Gesetzwidrigkeit, da wir uns zu einem anderen Begriff vom Recht bekennen, da wir mehrere Rechtserkennt­ nisquellen als gleichberechtigt nebeneinanderstellen und infolgedeffen über dem Gesetz, also über dem möglicherweise nur formalen Recht, ein anderes Recht anerkennen. Wir haben den Unrechtsbegriff erweitert nach der Richtung der Grundlage unseres Strafrechts hin, nämlich als eines Rechtes, das sich in Überein­ stimmung wissen will mit der völkischen Sittenord­ nung, ohne aber alle Verstöße gegen diese unter Strafe zu stellen. Wir haben diesen Begriff also geändert und vertieft, weil wir ihn von dem Formellen gelöst und materiell gestaltet haben. Diese Änderung hat aber an sich noch nichts zu tun mit der Subjektivierung

dieses Begriffs, die freilich in gewiffer Weise hinzu­ kommt. Die Änderung des Begriffs ist denkbar auch ohne jede Subjektivierung. Ich bin sogar der Meinung: W ir müssen in der Lage sein, uns diesen Unrechtsbegrisf ohne Subjektivierung zu denken; denn wenn wir das nicht täten, dann würde, was recht oder unrecht ist, abhängen von der Einstellung des Einzelnen, der handelt. E s scheint mir unmöglich zu sein, daß der völkische Rechts- und Unrechtsbegriff an sich subjektiv bestimmt wird, noch dazu durch das Handeln eines Mannes, bei dem zunächst einmal zu untersuchen ist, ob er nicht immer diesem Begriff und seinen Forderungen zuwidergehandelt hat. W ir können mit einem Strafrecht, mit einem Recht des Volkes m. E. überhaupt nicht bestehen, wenn wir uns den Unrechtsbegriff nicht auch objektiv denken können. Sonst bedeutet die Konsequenz aus einem unrichtig angewandten, nämlich über seine natürlichen Grenzen hinaus angewandten angeblichen Willensstrafrecht die Strafrechtsauflösung, und zwar deshalb, weil wir die einheitliche Grundlage des Strafrechts, nämlich die völkische Sittenordnung und die Forderungen, die daraus erwachsen, damit selbst wieder zerstören und leugnen. Daher glaube ich, daß der Unrechtsbegrisf an sich zunächst einmal objektiv und auch rein objektiv ver­ standen werden muß. Deshalb bin ich ferner der M ei­ nung, daß wir uns davor hüten muffen, zu meinen, diesen Begriff, den wir zugrundegelegt haben, könne man rein subjektiv auffassen. Nun ist es andererseits natürlich richtig, daß der Begriff nicht n u r objektiv besteht, auch wenn er objektiv vorhanden ist. Denn wir wollen bestrafen im Sinne von Sühnenlaffen. W ir wollen denjenigen sühnen lasten, der schuldhast Unrecht tut und der unseren Schuldbegriff — ich spreche jetzt immer nur von dem typischen Schuldbe­ griff, dem Borsatzbegriff— nicht anerkennt. Wir haben dem Schuldbegriff einen anderen In h a lt gegeben insofern, als wir ihm bewußt einen ethischen In h a lt gegeben haben, und haben damit allerdings, soweit es sich um die Prüfung der Frage handelt, ob ein Unrechttun mit einer Strafe als Sühnemaßnahme be­ antwortet werden soll, erklärt, daß w ir nur dann von Unrecht sprechen, wenn das Unrecht im Sinne eines Zumvorwurfmachenmüssens aufzufaffen ist, wenn also der Betreffende mit diesem Makel, der in unserem Schuldbegriff liegt, behaftet ist. Deshalb hat also der Unrechtsbegrisf insoweit, aber meiner Ansicht nach auch nur insoweit, auch eine subjektive Seite. Wenn es sich aber um die Prüfung der Notwendigkeit von Sicherungsmaßnahmen handelt, an die ich doch auch in gleicher Weise denken muß, dann kommt diese subjek­ tive Seite nicht zum Zuge. Nun glaube ich, daß wir hier in einer Gefahr sind, nämlich in der Gefahr, nur an die subjektive Seite des Unrechtsbegrisss zu denken. Wenn ich mir schon erlaubt habe, kurz anzudeuten, daß der neue Vorschlag zu § 379 in Wirklichkeit nicht viel ändert, so komme ich zu dem Ergebnis, daß ich für den ge­ genwärtigen rechtswidrigen Angriff Rechtswidrigkeit oder Unrecht im objektiven Sinne meinen muß, keineswegs deshalb im formalen Sinne, aber im ob-

jektiven Sinne, daß ich aber bei der Beurteilung des Handelns desjenigen, der sich gegen einen solchen An­ griff wehrt, allerdings auch vom Unrecht mit seiner subjektiven Seite sprechen muß. Ich bin nun der An­ sicht, daß wir die objektive Rechtswidrigkeit des An­ griffes, gegen die sich die Notwehrhandlung richten muß, auch irgendwie deutlich als solche bezeichnen müssen. Dabei glaube ich nicht, daß wir uns dadurch irgendwie am Gedanken des Willensstrafrechts ver­ gehen. Beim Beispiel der Notwehr gegen die Putativnotwehr wird eben die Putativnotwehr­ handlung des Erstangreisenden, wenn es sich um die Frage handelt, ob der darauf Antwortende in Notwehr handelte, danach geprüft, ob diese Hand­ lung ein objektiv rechtswidriger Angriff war. Wenn aber derjenige, der behauptet, in Notwehr gehandelt zu haben, und bei dem der Richter zu dem Ergebnis gelangt, daß tatsächlich Putativnotwehr vorliege, vor dem Richter steht, dann wird selbstverständlich sein Handeln nach dem anderen Gesichtspunkt beurteilt. D as scheint mir logisch und auch notwendig zu sein. Wenn ich nun der Meinung bin, daß bei der P rü ­ fung des Charakters des Angriffs das Unrechte des Angriffs objektiv aufzufassen ist, daß aber bei der Prüfung der Vorwerfbarkeit der Gegenhandlung es subjektiv aufzufassen ist, so folgt für mich allerdings daraus, daß der Kern dessen, was die Herren P ro ­ fessor Dahm und Vizepräsident Grau beantragt haben, richtig ist. Denn es handelt sich darum, zu sagen, wie w ir auf diese Gegenwehrhandlung bei der Beurteilung des sich Wehrenden antworten wollen, ob wir darauf antworten wollen: Du hast rechtmäßig gehandelt, oder ob wir antworten wollen: Du bist von aller Schuld frei! W ir müssen ihm das letztere antworten, weil hier die Unrechtsfrage eine subjektive Frage ist. Eine solche Beantwortung widerspricht auch nicht dem heroischen Charakter des Zeitalters, sondern es ist die natürliche Art der Beantwortung dieser Frage. Wenn der Täter ohne Schuld handelt, so ergibt sich daraus, daß ich ihm keinen Vorwurf machen kann. Ich wäre deshalb auch damit einverstanden, wenn man sagen würde: Dem Täter kann daraus kein Vorwurf gemacht werden, oder dem Täter kann diese Handlung nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dar­ aus folgt, daß er dann auch nicht bestraft werden kann. Denn wir bestrafen niemand, der ohne Schuld handelt, und Sicherungsmaßnahmen sind gegenüber jemand, der sich ohne Schuld gegen einen Angriff wehrt, in keinem Fall am Platze, weil man die Ge­ fährlichkeit dieses M annes für die Volksgemeinschaft nicht aus dieser Tatsache schließen kann. Aus diesem Ausbau des Notstandes und der Notwehr würde aller­ dings folgen, daß man die Putativnotwehr besonders behandeln muß, weil der Irrtu m gerade bezüglich des Vorliegens eines Angriffes oder bezüglich der Rechts­ widrigkeit dieses Angriffes bestehen kann. Insofern stimme ich mit den Ausführungen von Herrn P ro­ fessor Schaffstein in Fischbachau überein, daß damit der Unterschied von Notwehr und vermeintlicher Not­ wehr fortfällt. Herr Professor Schaffstein hat den Leitsatz aufgestellt, grundsätzlich müsse man in erster Linie an den guten Willen des Täters anknüpfen;

das soll wohl heißen: I n erster Linie subjektiv aus­ richten. Die Wendung „in erster Linie" bedeutet eine Anerkennung, daß es nicht die einzige Linie ist. E r hat dann weiter ausgeführt: „S o fällt z. B. der Un­ terschied von Notwehr und vermeintlicher Notwehr im Willensstrafrecht hinsichtlich der rechtlichen Folgen weg." „Hinsichtlich der rechtlichen Folgen" ist auch wieder richtig; insofern bin ich auch wieder einver­ standen; denn wir wollen ja beides bezüglich der Folgen gleich behandeln. W ir werden aber genötigt sein, das besonders hervorzuheben. Dadurch wird natürlich die Erfüllung eines besonderen fahrlässigen Tatbestandes nicht ausgeschlossen. Ich darf also feststellen, daß der von mir eben skizzierte Ausbau mit den Thesen von Herrn Professor Schaffstein überein­ stimmt; denn auch er verlangt nicht die ausschließlich subjektive Orientierung; er folgert aus seiner Einstel­ lung nur, daß im Ergebnis bezüglich der Folgen Not­ wehr und Notstand und vermeintliche Notwehr gleich­ zustellen seien. Ich möchte jetzt nicht auf weitere Einzelheiten der Vorschläge eingehen, bezüglich deren gestern sehr wichtige Kritik geübt worden ist, da man zunächst mal über den grundsätzlichen Aufbau Klarheit schassen muß. Ich habe aber noch zweierlei zum Grundsätz­ lichen hinzuzufügen. Ich überspringe jetzt den Not­ stand an sich, weil für ihn grundsätzlich dasselbe gilt, was ich zur Notwehr gesagt habe, komme nun aber zu der Gefahrengemeinschast des § 380a des heutigen Vorschlages von Herrn Vizepräsident Grau. Der Vor­ schlag ist dem Wunsche entsprungen, eine Differenzie­ rung zwischen zwei Fällen vorzunehmen: Zwischen dem Fall, daß jemand des Nachts im Walde den ihn mit dem Dolche anspringenden Räuber niederschießt, und dem Fall, daß der im Schacht eingeschlossene Bergarbeiter sich sagt: W ir sind hier zwei M ann, der Lustraum langt nicht für zwei, ich töte deshalb den anderen, um mich selbst zu retten. Es entsteht das Be­ dürfnis, diese beiden Fälle zu differenzieren, und zwar nicht nur nach dem Rechtsgebilde der Notwehr und des Notstandes, sondern nach der Antwort, die der Gesetzgeber und Richter den M ännern in den beiden Fällen geben muß. Dieses Bedürfnis der Differenzie­ rung besteht zu Recht, und ich fasse den § 380a nicht als eine Konzession aus, sondern als die Anerkennung der Berechtigung des Bedürfnisses, hier zu differen­ zieren. Diese Differenzierung kann man nun so vor­ nehmen, daß man dem in Notwehr Handelnden sagt: Wenn du so handelst, handelst du in Ausübung eines Rechts, und daß man dem in der Gefahrengemein­ schaft so Handelnden erklärt: Ich entschuldige dein Handeln! M an kann es aber auch so machen, daß man sagt: Du, der du in Notwehr den Wegelagerer nieder­ geschlagen hast, handeltest ohne Schuld und Fehl, dir mache ich daraus keinen Vorwurf! und daß man dem, der in dieser Gefahrengemeinschast so handelt, ant­ wortet: Du warst zwar ein schlapper Mensch, du hast zwar eine Schuld aus dich geladen, aber ich bestrafe dich nicht! D as ist nichts Neues, sondern uralte deutsche Rechtsauffassung. Die deutschen Rechtssprichwörter sagen: Not hat keine Ordnung und Gesetz! oder: Leibesnot bricht das Recht! oder: Not und Tod hat

kein Gebot! oder: Gottes Allmacht bleibt allezeit aus­ genommen! Von verschiedenen weltanschaulichen Blickpunkten aus gesehen bedeuten diese Rechtssprich­ wörter, die alle für diesen Fall Geltung beanspruchen, daß die Grenze des menschlichen Rechts hier über­ schritten ist. Dasselbe sagen uns auch die deutschen Fabeln. Es ist bezeichnend, daß in den drei Rechtssprichwörtersammlungen, die mir hier vorliegen, an dieser Stelle eine Fabel erwähnt wird, nämlich die Reineke-Fabel, und daß darauf hingewiesen wird, daß es auch da heißt: Die Schlange mag den M ann töten, wenn sie Hunger ankommt und sie anders nicht kann. — Not und Zwang bricht Eid und Treu; Lebensnot bricht das Recht! D as ist in einem abseits des Rechts­ sprichwortes im engsten Sinne gefaßten Satz der Aus­ druck desselben Gedankens. Hier haben wir eine Lage, die jenseits des Rechtes steht. Ich würde deshalb hier davon sprechen, daß der in Gefahrgemeinschaft Han­ delnde nicht bestraft wird, würde also dem Grund­ gedanken des § 380a nach dem Vorschlage Grau, ohne daß ich auf die Formulierung im einzelnen eingehe, Recht geben. Ich komme zum zweiten Punkt, den ich zum Grundsätzlichen noch ausführen wollte, nämlich zu § 378 nach dem jetzigen Vorschlag Grau, der besagt: Konnte der Täter im Einzelfall annehmen, durch seine T at kein Unrecht zu tun, so entfällt die Strafbarkeit. Ich bitte den Wortlaut — und ich handle damit im Aufträge von Herrn Vizepräsident Grau — dahin zu ändern: „Durste o d e r k o n n t e der T äter im Ein­ zelfall ohne Fahrlässigkeit annehmen, durch seine T at kein Unrecht zu tun, so liegt eine strafbare Handlung nicht vor." Dieser Vorschlag beruht aus dem Wunsche, wie wir es auch an anderer Stelle einmal getan haben, einen Obersatz, der alles beherrscht, voranzu­ stellen. E r führt aber dazu, daß wir uns hier von der ausschließlichen Reihe der Schuldausschließungs-. gründe loslösen und damit z. B. die Staatsnotwehr, ja auch die putative Staatsnotwehr aufnehmen als Beispiele, die unter § 378 fallen würden. Ich bin der Meinung, daß dem § 378 mit dieser Konsequenz, daß damit auch die Staatsnotwehr und die Putativstaats­ notwehr anerkannt sind, nicht zugestimmt werden kann. Abschließend glaube ich also, daß die Kritik, die wir in monatelanger Arbeit an diesem dritten Ab­ schnitt selbst geübt haben, ihren berechtigten Kern hat und daß man dem Rechnung tragen muß insofern, als wir erkennen müssen, daß die Notwehrhandlung an sich eine Handlung ist, die wir nicht sühnen können, weil hier eine Schuld nicht zugrunde liegt, die also ohne Schuld begangen wird. Aber wir müssen uns hüten, aus dieser Kritik zu folgern, daß wir auch den Angriff, gegen den ich mich wehre, als subjektiv unrecht auffassen könnten. Ferner bin ich der Meinung, daß der Notwendigkeit der Differenzierung der beiden von mir als Beispiel gegebenen Fälle, einmal der Notwehr, einmal des Notstandes, richtiger Rechnung getragen wird, indem wir in dem einen Fall sagen: W ir bestrafen die T at nicht, weil wir dem M ann keinen Borwurf machen können, weil er schuld­ los gehandelt, hat, im anderen Falle aber sagen:

Obwohl der Täter schuldig geworden ist, bestrafe ich ihn nicht, weil kein Richter da ist, der den Stein auf ihn werfen kann, weil dieser Fall jenseits des Rechts steht. Ich habe, nur um ein Mißverständnis zu ver­ meiden, zu diesen grundsätzlichen Ausführungen noch eins hinzuzufügen. Wenn ich bezüglich des § 380 a (Gefahrgemeinschaft) erklärte, daß ich grundsätzlich mit dem Vorschlage von Herrn Vizepräsident Grau insoweit einverstanden bin, so gilt das nur grund­ sätzlich. Der Satz: „Wer zur Rettung des eigenen Lebens das Leben des anderen vernichtet, handelt nicht in Notstand" bedarf noch der Durchdenkung. W ir würden uns damit vielleicht demselben nicht unberechtigten Vorwurf aussetzen, dem wir uns be­ reits durch unseren § 380 Abs. 3 ausgesetzt haben, der auch an dem Mangel leidet, daß Leib, Leben, Ehre des einzelnen gewissermaßen als das Höchste bezeichnet worden ist, obgleich das Gesamtleben des Volkes und das, was aus ihm unmittelbar folgt, zweifellos höher steht. Ich nehme aber an, daß Herr Vizepräsident Grau auch insofern eine Einzelausarbeitung seines Gedankens noch gar nicht geben wollte, und mit dieser Modifikation bleibt d a s ' bestehen, was ich vorhin sagte, daß ich grundsätzlich einen solchen Vorschlag für berechtigt halten würde. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Darf ich Ihnen folgende Frage stellen? Nach Ih ren Ausführungen wäre also § 379 Abs. 1, wenn ich recht verstanden habe, so zu fassen: Eine Notwehr­ handlung begründet keine Schuld. (Staatssekretär Dr. Freister: J a .) — Das wäre dann völlig kongruent, wie schon Herr Vizepräsident Grau zugegeben hat, der Überschrift „Schuldausschließungsgründe". (Staatssekretär Dr. Freister: D as wollte ich auch vorschlagen.) — Wenn ich die Überschrift so fassen würde, müßte man nach Ihren Ausführungen sagen: Eine Notwehr­ handlung begründet keine Schuld; — Fassung vor­ behalten! Es ist auch schlechtes akademisches Deutsch. „Wer in Notwehr handelt, macht sich nicht schuldig". Dann wäre das Wort „Unrecht", dessen Doppelgesicht ziemlich lebhaft beleuchtet worden ist, in diesem Falle nicht anzuwenden. Zweiter Punkt: D as gleiche würde für den Not­ stand zu gelten haben. D as müßte so parallel laufen, wie es auch jetzt parallel läuft. D ritter Punkt: § 380 a. Ich habe ihn so auf­ gefaßt, daß das „er" Spezialfall sein soll, und bin auch der Meinung, daß die ersten Worte: „ In Not­ stand handelt nicht" so nicht lauten können; denn es ist ja gerade eine Notstandshandlung, sogar die größte Notstandshandlung, die man sich denken kann. Wenn ich Herrn Freisler recht verstanden habe, würde er mit dem Prädikat des Satzes in § 380 a einverstanden sein: „Jedoch bleibt der Täter straflos", (Staatssekretär Dr. Freisler: J a ! )

— so daß also nicht gesagt wird: „E r ist ohne Schuld", noch weniger: „E r begeht kein Unrecht", so daß Ih re Terminologie auf zwei Worte hinauskäme, bei Not­ wehr und Notstand ganz allgemein zu sagen: „be­ gründet keine Schuld"; wer so handelt, „belädt sich nicht mit einer Schuld", und bei diesem Spezialfall, wenn wir ihn überhaupt aufnehmen wollen, zu sagen: „bleibt ohne Strafe". Die Schuldfrage wollen wir nicht stellen und dazu keine Stellung nehmen. Staatssekretär Dr. Freisler: F ü r mich würde aus meiner Grundeinstellung folgen, daß der Täter ein Urteil bekommt: Du bist schuldig, aber du erhältst keine Strafe! (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre die äußerste Konsequenz!)

tig zu vermeiden sein. Es wäre eine farblose Wendung, zu sagen: Wer in Notwehr handelt, ist nicht strafbar. Aber ich halte auch die Formel: „Wer sich in Notwehr befindet, handelt nicht schuldhast" nicht für richtig. Ich möchte — das w ar ja auch der Vorschlag des Herrn Ministers — dafür eintreten, daß zum Ausdruck gebracht wird, daß, wer in Not­ wehr handelt, dem Rechte gemäß handelt. D as würde mir noch treffender scheinen als die Formel der ersten Lesung: „Eine durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht rechtswidrig". E s gilt, positiv das Recht aus Notwehr anzuerkennen. Wer in Notwehr handelt, vertritt die ureigensten Interessen der Rechtsordnung. Der Einzelne, der rechtswidrig angegriffen wird, ist gewissermaßen der Vertreter der Staatsgew alt, in deren Sinne er handelt, wenn er das Recht gegen das Unrecht durchsetzt.

Senatspräsident Professor D r. Klee: Diesem Gedanken wird nicht dadurch genügend Ich teile die Ansicht, daß eine strafrechtliche Schuld Rechnung getragen, daß der Betreffende bloß nicht ohne zugrundeliegende Rechtswidrigkeit nicht denkbar schuldig ist, sondern wir müssen die Handlung unter ist. Ich kann mir kein Strafrecht vorstellen, in dem dem Gesichtspunkt betrachten, wie sie vom S tan d ­ die Rechtswidrigkeit vollständig in der Schuld auf­ punkt der Lebensbedingungen der Volksgemeinschaft geht, d. h. ein Strafrecht, das die Frage, ob jemand aus anzusehen ist. Und da ist sie eben diesen Lebensstrafbar ist, nur davon abhängig macht, daß jemand ^bedingungen der Volksgemeinschaft gemäß. Infolge­ subjektiv Schuld hat, sondern Ausgangspunkt für jede dessen ist sie nicht rechtswidrig. Rechtsordnung ist — das sollte selbstverständlich Würde man sagen: Wer in Notwehr handelt, sein — die Frage, ob eine Handlung den Interessen macht sich nicht schuldig, dann bliebe offen, ob Not­ der Volksgemeinschaft widerspricht; erst wenn diese wehr gegen Notwehr gegeben ist. Selbstverständlich Frage bejaht wird, kommt Schuld in Betracht. Wenn ist die Frage zu verneinen, denn die Notwehr setzt der Scharfrichter seines Amtes waltet, so ist er deshalb einen rechtswidrigen Angriff voraus. Darum muß nicht strafbar, weil objektiv seine Handlung mit dem zum Ausdruck kommen, daß die Notwehrhandlung Recht nicht in Widerspruch steht, und nicht etwa des­ selbst kein rechtswidriger Angriff ist. Anders liegt die halb, weil er glaubt, eine Handlung zu tun, die mit Sache bei der Putativnotwehr. Sie schließt nur die den Interessen der Rechtsordnung im Einklang steht. Schuld, nicht aber die Rechtswidrigkeit aus, daher ist M an darf übrigens keinen Unterschied zwischen Notwehr gegen Putativnotwehr zuzulassen. Dieser strafrechtlicher und anderweitiger Rechtswidrigkeit Unterschied wird verdunkelt, wenn Notwehr und machen, wie schon Herr Professor Nagler betont hat, Putativnotwehr wie in der Formel Dahm in einem weil eben die Rechtsordnung eine Einheit ist. Was Atem genannt werden, und wenn beide mit dem im Gebiet des Zivilrechts rechtswidrig ist, muß auch Merkmal „nicht schuldhaft" versehen werden. im Strafrecht rechtswidrig sein. F ü r mich steht die Eine gewisse Schwäche der heutigen Fassung des Eigenschaft der Handlung als einer rechtswidrigen als Voraussetzung der Strafbarkeit so im Vorder­ Tatbestandes der Notwehr ist die, daß man auch im gründe, daß ich es für angezeigt halten würde, den Angriff eines Geisteskranken einen rechtswidrigen Abschnitt über die Rechtswidrigkeit bzw. den „Aus­ Angriff sehen muß. Der Geisteskranke kann aber im schluß von Unrecht und Schuld" überschriebenen Ab­ eigentlichen Sinne keine rechtswidrige Angriffshand­ schnitt, soweit es sich um den Unrechtausschluß lung ausüben. J a , er kann eigentlich im Rechtssinne handelt, voranzustellen dem Abschnitt über die Schuld. überhaupt nicht handeln. Es ist gestern hier ausein­ E s würde also nötig sein, daß man die Notwehr — andergesetzt worden, daß der Geisteskranke vorsätzlich Ausschluß der Rechtswidrigkeit — vom Notstand — und fahrlässig handeln kann, daß er sogar mit Über­ Ausschluß der Schuld — trennt. D as wäre zwar legung handeln kann. D as ist an sich, rein psychologisch ungewöhnlich, aber logisch und innerlich gerechtfertigt. betrachtet, richtig, aber vom juristischen Standpunkt Nun zu den Einzelheiten. Herr Staatssekretär aus handelt der M ann strafrechtlich überhaupt nicht; Dr. Freisler hat vorgeschlagen, zu sagen: Wer in genau so wie er im Zivilrecht handlungsunfähig ist, so Notwehr handelt, ist nicht schuldig. D as ist zwar ist er auch strafrechtlich handlungsunfähig. Ich würde besser, als wenn dastände: Wer in Notwehr handelt, die T at eines Geisteskranken überhaupt nicht als ist nicht strafbar. Dem geltenden Strafgesetzbuch wird Handlung ansehen, geschweige denn als rechtswidrige mit Recht der Vorwurf gemacht, daß der Abschnitt Handlung. über die Gründe, welche die Strafe ausschließen, ganz M an hilft sich hier damit, daß man den rechts­ heterogene Dinge — reine Strafausschließungs­ widrigen Angriff als einen Angriff definiert, den sich gründe, Unrechtausschließungs- und Schuldaus­ gefallen zu lassen dem Täter nicht zuzumuten ist. schließungsgründe — zusammenfaßt. D as wird künf­ Einen Angriff übt ja auch der Geisteskranke aus,

genau wie ein Tier; und gefallen zu lassen brauche ich mir diesen Angriff nicht. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zum min­ desten wäre das eine Notstandshandlung!) — Ich möchte gleich darauf kommen. Bei der neuen Fassung des Notstandsparagraphen des Absatz 1 könnte an und für sich der ganze Not­ wehrparagraph verschwinden, er könnte völlig darin ausgehen. Früher war ja der Unterschied zwischen dem Notwehr- und Notstandsparagraphen im Grunde ge­ nommen der, daß man mit der Notwehrhandlung jeden Beliebigen schützen konnte, mit der Notstands­ handlung aber nur sich selber und Angehörige. Dieser Unterschied ist jetzt aufgehoben. Wenn man sich die Formel des Notstands ansieht, dann fallen alle Fälle der Notwehr darunter. Auch ihm gegenüber würde die Einschränkung Platz greifen: „wenn nicht von ihm oder dem Gefährdeten nach gesunder Volksanschauung erwartet werden muß, den Schaden zu dulden". Aber ich habe doch Bedenken, die Notwehr im Notstände aufgehen zu lassen. Denn die Notwehr ist ein so besonderer Typ für sich, auch im Bewußtsein des Volkes, daß wir sie nicht untergehen lassen sollten im Notstand. Der natürliche Unterschied ist eben der: Recht gegen Unrecht setzt sich bei der Notwehr durch. Beim Notstand wird das Recht gegen das Recht aus­ gespielt. Es würde aber nichts hindern, den Angriff des Geisteskranken bei der Notwehr herauszulassen und in den Notstand hineinzunehmen; genau so wie man die Reaktion gegen den Angriff des Tiers oder einer Sache nicht so recht unter den Notwehrbegrisf, sondern weit eher unter den Notstandsbegrifs bringen sollte. Zu letzterem Punkte möchte ich noch einiges sagen. Nach meiner Ansicht brauchte die Sachnotwehr über­ haupt nicht besonders geregelt zu werden, weil der Angriff einer Sache, z. B. eines treibenden Floßes oder eines bissigen Hundes, im eigentlichen Sinne überhaupt kein Angriff ist. E s kommt ja hier gar nicht darauf an, das Recht gegen das Unrecht zur Geltung zu bringen, sondern darauf, ein Naturereig­ nis unschädlich zu machen. Hier steht im Vordergrund der Gesichtspunkt des überwiegenden Interesses, die Güterkollision. Herr Professor Dahm trägt diesem Gesichtspunkt wenigstens dadurch Rechnung, daß er den § 379 (Sachnotwehr) von der Notwehr trennen und hinter den § 380 (Notstand) stellen will. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Die Sachnotwehr sollte ganz mit dem Notstandsparagraphen verschmolzen werden; sie könnte ganz in Abs. 1 des § 380 ausgehen, und zwar glaube ich, daß die Fälle der sogenannten offensiven Notwehr gegen die sogenannte neutrale Sache — § 904 BGB. — und die Fälle der defen­ siven Notwehr — § 228 BG B. — sich beide zwanglos unter den Notstand des § 380 Abs. 1 bringen ließen. Nun hat gestern Herr Professor Dahm darauf hingewiesen, daß die Voraussetzungen erlaubter E in­ wirkung auf die Sache in den §§ 228 und 904 BGB. verschieden geregelt seien, daß insbesondere bei § 228 eine überwertigkeit des geschützten Rechtsguts ge­ fordert wird, die wir ja bei der Notwehr nach dem

jetzigen § 53 nicht fordern und auch künftig nicht fordern wollen, er meint daher die Vorschrift über die Sachnotwehr als selbständige aufrechterhalten zu sollen. Ich glaube, diese verschiedene Behandlung der Abwehr einer neutralen Sache und einer sogenannten angreifenden oder gefahrdrohenden Sache ist rein zivilrechtlich zu erklären. Die Schadenersatzfolgen in den §§ 228 und 904 sind an verschiedene Voraus­ setzungen gebunden aus Rücksichten, die mit den rein zivilrechtlichen Bedürfnissen zusammenhängen. S tra f­ rechtlich sehe ich hier keinen wesentlichen Unterschied. Ob ich nun, wenn mein Kind lebensgefährlich krank ist, das Pferd des Nachbarn aus dem S ta ll heraus­ ziehe, um schnell zum Arzt zu reiten, also auf die „neutrale" Sache einwirke, um das Kind zu retten, was ich unter Brechung eines etwaigen Widerstandes des Eigentümers des Pferdes tun darf, oder ob ich mich einem bissigen Hunde gegenüber sehe, der mich angreift, es ist ganz dieselbe Zwangslage, die straf­ rechtlich hier wie dort in derselben Weise beurteilt werden muß. Hier wie dort kann es nur auf die Zumutbarkeit im Sinne des § 380 Abs. 1 des E nt­ wurfs ankommen. Welche Folgerungen das Zivilrecht aus dem Umstande zieht, daß der fremde Hund, der einen mir gehörigen Hund gefährlich angreift, und den ich, um meinen Hund zu retten, niederschieße, wert­ voller ist als der meinige, ist eine Sache für sich. Strafrechtlich darf die Bejahung einer Notstandslage jedenfalls nicht entscheidend von dem zahlenmäßigen W ertverhältnis abhängig sein. Ich beantrage daher, den § 379 des Entwurfs zu streichen. Ich möchte nun noch kurz auf § 378 zurückkommen. Ich darf auf meinen Aufsatz im „Kommenden S tra f­ recht" Bezug nehmen. Herr Professor Dahm ist mit mir der Ansicht, daß die gesunde Volksanschauung in den ersten Absatz hinein gehört, nicht in den zweiten oder dritten. Ich möchte hierzu keine weiteren Ausführungen machen, weil ich diesen Vorschlag wohl bereits als angenommen ansehen darf. Den Absatz 1 des Notstandsparagraphen 380 würde ich so lassen, wie er ist. Was den zweiten Absatz betrifft, so habe ich aus der gegenwärtigen Diskussion ersehen, daß der Standpunkt, den ich in erster Lesung vertreten habe: „kein Unterschied zwischen bloß entschuldigendem und rechtfertigendem Notstand" jetzt auch von anderen Seiten vertreten wird. Ich lege kein entscheidendes Gewicht mehr dar­ auf, daß der Unterschied beseitigt wird. Ich sehe ein, daß die Fälle verschieden liegen, daß man in dem einen Fall von Rechtfertigung und im andern Fall bloß von Nichtschuld sprechen kann. Praktisch hat das allerdings keine große Bedeu­ tung. M an hat ausgeführt, die praktische Bedeutung liege darin, daß Notwehr nur geübt werden könne gegen eine bloß entschuldigte Notstandshandlung. Aber ich habe damals schon darauf hingewiesen, daß sich der durch die Notstandshandlung Betroffene selber im Notstände befindet. Herr von Dohnanyi hat aller­ dings damals entgegnet, daß Notwehr subsidiär sei und Notstand nicht. Aber es wird meist so liegen, daß

es nicht anders möglich ist, die Gefahr abzuwenden als durch eine Notwehrhandlung. Weiter könnte man erwägen, ob nicht der sub­ sidiäre Charakter des § 380 gegenüber der Notwehr irgendwie zum Ausdruck zu bringen wäre? D as ist ja im geltenden Recht der Fall im § 54: Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung a u ß e r d e m F a l l e d e r N o t w e h r in einem unverschuldeten, aus andere Weise nicht zu beseitigenden Notstände . . . be­ gangen worden ist. Ich glaube aber, wir können auf eine solche Klausel verzichten. Denn die Subsidiarität des Notstands hinter dem Notwehrrecht folgt ohne weiteres aus der Stellung beider im Gesetz. Der dritte Absatz des § 380 könnte m. E. ohne Schaden gestrichen werden. Die Einwirkungen auf die Ehre werden im Zusammenhang mit der Wahr­ nehmung berechtigter Interessen besonders geregelt. Was die Einwirkungen auf Leib und Leben betrifft, so hat Herr Professor Dahm gegen die vom Entwurf beabsichtigte Einschränkung ihrer Zulässigkeit einen Grund angeführt, den man in. E. nicht gelten lassen kann, nämlich den Grund, daß den Feme-Morden unbedingt das Signum der Strafbarkeit aufgedrückt werden würde. Ich glaube, die Zeiten der FemeMorde sind vorbei, denn die Feme-Morde haben sich aus einer Ohnmacht der Staatsgew alt gegenüber Landesverrätern entwickelt, und von einer solchen Ohnmacht der Staatsgew alt kann heute keine Rede mehr sein. Vom Standpunkt des heutigen Staates lassen sich Feme-Morde nicht mehr irgendwie recht­ fertigen, der Gedanke der Staatsnotwehr muß gerade insoweit unbedingt abgelehnt werden. Abs. 2 des § 380 ist aber aus einem anderen Grunde nicht haltbar. Wenn jemand eine Bibliothek rettet, die Kultur­ gut ist, dann muß das Gesetz ihm schon eine etwas erheblichere Einwirkung aus den Körper des anderen erlauben, denn die Volksgemeinschaft ist ja daran interessiert, daß solche Kulturgüter erhalten bleiben. D as Gesetz kann da nicht sagen: Leib und Gesundheit sind immer mehr wert als das Vermögen. D as wäre eine abstrakte Auffassung, die zu ungerechten Ergeb­ nissen im Einzelsall führen würde. Dem Richter muß ein Spielraum gelassen werden, daher ist es am Platze, den Grundsatz der Zumutbarkeit im Sinne des Absatz 1 auch hier walten zu lassen; eigentlich sollte ja Absatz 3 nur ein Anwendungsfall des Absatz 1 sein, aber das Prinzip des Absatz 1 gelangt in ihm nicht rein zum Ausdruck. Ich schlage also vor, den Absatz 3 zu streichen und ihn aufgehen zu lassen in Absatz 1. Den Absatz 4 würde ich so lassen, wie er ist, ebenso wie ich die Exzeßvorschrift in § 378 Abs. 3 für durch­ aus sachgemäß halte. Reichsjustizminister Dr. (Suttner: Ich habe die Empfindung, daß wir uns über die Ausgangsfrage noch nicht geeinigt haben, und schlage vor, über die Fassungen und über die Paragraphen

des gedruckten Entwurfs im einzelnen die Diskussion nicht allzusehr zu vertiefen. E s handelt sich zunächst darum: Was ist überhaupt Notwehr? D a stehen sich folgende Ideen gegenüber. Hier im Entwurf heißt es: Eine Verteidigung, welche erforderlich ist. Aus der anderen Seite wird gesagt: D as muß als Zweck­ gedanke ausgedrückt werden: „um abzuwehren". Ob darüber verschiedene Meinungen bestehen, ist mir nicht ganz klar. D as Zweite — und das ist das wichtigste — ist die Frage des Prädikats, nämlich ob man sagt: eine durch Notwehr gebotene Handlung ist „nicht rechts­ widrig" oder „bleibt straflos", oder „begründet keine Schuld", oder: wer eine solche Handlung begeht, „tut kein Unrecht". F ü r irgendeine dieser Wendungen müssen wir uns allmählich entscheiden. D as führt dann zu der Grundfrage der Rechts­ widrigkeit und der Schuld überhaupt. D as ist nicht ganz durchdacht und auch nicht ganz durchgesprochen. Eine Frage, die nur nebenbei auftaucht, ist die Be­ handlung des Tieres — die in dem letzten Entwurf auch wieder besonders erwähnt ist — und die Be­ handlung des sogenannten Sachnotstandes. Bei verschiedenen Punkten dieses Themas taucht immer die Frage der Jnteressenabwägung aus, das Bemühen, Rechtsgüter in ein W ertverhältnis zu setzen. D as Wort „Rechtsgüter" ist eine etwas gefährliche Vokabel geworden, weil wir belehrt worden sind, daß die Rechtsgüterlehre aus jüdischem Denken stammt, und jemand sich in die Gefahr des Anscheins begibt, aus dieser Atmosphäre zu stammen, wenn er auch nur das Wort in den Mund nimmt. Nun möchte ich dazu eine allgemeine Bemerkung machen. Glauben Sie denn, daß die gesunde Bolksanschauung sich nicht auch daran hält, was gefährdet und was verletzt wird? D as müßte doch eine ab­ strakte Anschauung sein, die nicht auf diese Gesichts­ punkte hinweist. Denken S ie an den Fall, der ja merkwürdigerweise dem Leben entnommen ist: I n der Nähe Berlins liegt ein Gut. E s gehört einem Mann, der sein Gut gegen jeden Angriff schützt, der von außen kommt. Der M ann hatte überall W ar­ nungstafeln angebracht: Betreten verboten! Und dieser M ann legte sein Notwehrrecht dahin aus, er dürfe aus Leute schießen, die etwa eine Rübe aus seinem Felde zogen. Glauben Sie nun im Ernst, daß die gesunde Volksanschauung nicht auch das Verhältnis zwischen Rübendiebstahl und Körperverletzung ganz von selber richtig trifft? Wenn w ir die Jntereffenabwägung ablehnen und sagen: dazu bekennen wir uns nicht, diesen Maßstab wollen w ir im Gesetz nicht haben, wir verlegen das in die gesunde Volksanschau­ ung, dann kommt dieser Gedanke: W as ist angegriffen, was soll im Verteidigungswege zerstört werden, mit welchen M itteln soll man dagegen auftreten können?, ganz von selbst. Ich habe das feste Vertrauen, daß das Volk das vergleichen wird. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich möchte ganz kurz zu den Fragen Stellung nehmen, die gestern durch Herrn Kollegen Dahm auf-

geworfen worden sind. Das erste, was Kollege Dahm sagte, war ein etwas radikales Bekenntnis zur sympto­ matischen Verbrechensauffasiung, zu einer Auffassung, die im Jahre 1907 von Tesar begründet worden ist, wenigstens für die neuere Zeit, und die dann von Kallmann noch ergänzt und ausgebaut worden ist. Aber der Entwurf bekennt sich nicht schlechthin zur Symptomatik und soll es auch nicht tun. Ich bin auch der Meinung, daß es nicht im Willensstrafrecht oder Schuldstrafrecht notwendig gelegen sei, die T at einzig und allein als Symptom für die Gesinnung des T äters zu werten. Wenn dann zweitens gesagt wurde, daß die Kategorie der Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit zum mindesten für uns als Strasgesetzgeber überhaupt nicht mehr in Frage komme — ich weiß nicht, ob das in der Schärfe von Herrn Professor Dahm gesagt worden ist, aber es ist von Herrn Vizepräsident G rau gesagt worden —, so würde ich dem auch nicht zustimmen können. Es ist heute schon vielfach ausge­ führt worden: jedenfalls außerhalb des Strafrechts besteht das objektive Recht und Unrecht, und daran kann meiner Ansicht nach auch das Strafgesetzbuch nicht vorübergehen. Dagegen ist es ganz etwas anderes, wie man nun die Fälle werten will, in denen eine Strafbarkeit nicht eintreten soll. D a ist der Standpunkt der alten Dogmatik der: primär entsteht die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der T at, und dann erst wird untersucht, ob schuldhaft gehandelt worden sei oder nicht. Dagegen bin ich der Meinung, daß es durchaus dem Schuldstrafrecht ent­ spricht, an erster Stelle die Frage auszuwerfen: Hat der Täter schuldhast gehandelt oder nicht. E r hat nicht schuldhaft gehandelt, wenn er nicht schuldfähig ist, und er hat nicht schuldhaft gehandelt, wenn er das Unrecht der T at nicht wollte. Dieser Mangel kann vorhanden sein, aber das Unrecht wird nicht bestrast, weil er es nicht erkannt hat. S o halte ich es auch für richtig, diese scharfe Scheidung der Rechtfertigungs­ und Schuldausschließungsgründe fallen zu lassen und nebeneinander zu stellen: Mangel der Strafbarkeit wegen mangelnder Schuldfähigkeit oder Mangel der Strafbarkeit wegen Mangel eines schuldhaften Wollens. D as letztere kann fehlen, weil objektiv kein Unrecht da war oder weil es vom Täter nicht erkannt wurde, ohne daß man ihm das zum Vorwurf machen kann. Ich würde also durchaus dem zustimmen, daß man diese scharfe Scheidung, die wir bisher aufrecht­ erhalten haben, abschwächt. Wenn Herr Präsident Klee gerade am Schluß sagte, das sei der Vorwurf, den man dem Strafgesetz­ buch in diesem Bereich gemacht habe, daß es hier nicht unterscheide, dann meine ich, wir müssen heute nicht das als Vorwurf auffassen, was damals als solcher aufgefaßt wurde. W ir sind heute in einer sehr schwierigen Lage, die ich einmal als die Krise der Strafrechtsreform gekennzeichnet habe. E s ist ein Bedürfnis der Volksgemeinschaft und auch ein poli­ tisches Postulat, in absehbarer Zeit ein neues S tra f­ gesetzbuch zu machen. Auf der anderen Seite ist die wissenschaftliche Durchdringung des Strafrechts mit

nationalsozialistischem Geist noch im Zuge. Wir sind nicht imstande, wissenschaftlich so rasch zu arbeiten, wie es dem praktischen Bedürfnis einer revolutionären Zeit entspräche. S o hinkt die Wissenschaft gewisser­ maßen der Strafrechtsreform heute vielfach nach. Auf der anderen Seite besteht, wie gesagt, das Postulat: Es soll rasch ein neues Strafgesetzbuch gemacht werden. Wir können heute noch nicht ein fertiges dogmatisches Gebäude des nationalsozialistischen Strafrechts auf­ stellen. Vielleicht können es einzelne, aber die Wissen­ schaft als solche kann es nicht. Wenn man nun nicht den Anspruch erhebt, daß die Ansicht, die man sich in kurzer Zeit gebildet hat, als die allein richtige und herrschende gelten müsse, dann kann man eigentlich nicht anders vorgehen, als daß man die als nicht mehr richtig erkannte Dogmatik nicht im Gesetz verankert, aber auch das Zukunftsbild, das man selber haben mag, noch nicht als ausschließlich dem Gesetz zugrunde legt. Ich glaube also: die völlige Festlegung des E nt­ wurfs auf eine Auffassung, die scharfe Ausprägung dogmatischer Auffassungen im Gesetz kann man heute noch gar nicht verlangen. Wenn gesagt wird, das Strafgesetzbuch leide an dem Mangel, daß es hier Verschiedenes mit denselben Ausdrücken belege, so glaube ich, daß heute für das Gesetz eine gewisse Neutralität empfohlen werden muß, nicht natürlich im Bekenntnis, aber in Fragen, die dogmatisch bedeutsam sind, solange w ir die Grund­ lagen für eine andere Methode noch nicht gefunden haben. Ich sehe es durchaus als eine Folge des Willensstrafrechts an, daß wir heute alles nur sehen projiziert durch die Schuld, daß die Schuldfrage durchaus im Vordergrund steht. Daß daher die Frage der Rechtswidrigkeit oder Nichtrechtswidrigkeit an sich zwar vorhanden ist, aber für das Strafrecht keines­ wegs mehr im Vordergrund steht, kann ich nicht bestreiten. Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Herrn Kollegen Dahm nur zwei Fragen stellen. Die eine: S oll man mit der Subjektivierung auch so weit gehen, das irrtümlich vorhandene Unrechtsbewußtsein das Unrecht ersetzen zu lassen, oder nicht? Wir sehen heute als Versuch an, wenn der Täter etwas verwirk­ lichen will, was er in der realen Welt nicht verwirk­ licht. Wie ist es nun, wenn jemand etwas tut, was er für Unrecht hält — und zwar Unrecht nicht im streng formalen Sinne, sondern im materiellen — , was aber nicht Unrecht ist? Hat er sich strafbar gemacht? Is t er in der Form des Versuchs als schuldig zu befinden? Bezüglich der Notwehr möchte ich ein Beispiel bringen. Ein Förster geht durch den Wald und sieht hinter einem Baum einen Wilderer, dem er schon lange nachstellt, um ihn auf der T at zu ertappen. E r haßt ihn, und er sagt sich: Kein Mensch ist in der Nähe, die Gelegenheit ist günstig; ich erschieße ihn. Er schießt und trifft ihn, geht zu ihm hin, und der Wilderer sagt: S ie haben vollkommen recht getan, denn im nächsten Augenblick hätte ich S ie getötet; ich hatte schon auf S ie angelegt. D as hatte aber der Förster nicht bemerkt. Frage: Wie verhält es sich? Ich möchte auf die einzelnen Fragen nicht weiter eingehen. W ir haben hier zwei Fassungen vor uns.

Die eine lautet: „Wer in Notwehr handelt, begeht kein Unrecht". Die andere: „Eine Handlung in Not­ wehr begründet keine Schuld". Ich würde die letztere Fassung vorziehen.

Dieb sich nicht seinerseits gegen den Eigentümer wehren darf, der in Notwehr handelt. (Staatssekretär Dr. Freister: Gegen Notwehr gibt es nur Putativnotwehr!)

Professor Dr. Dahm: Ich habe nicht dieAuffassung vertreten, daß die Be­ griffe Rechtswidrigkeit und Schuld völlig verschwinden müssen. Ich habe schon gestern gesagt, es entspreche dem Willensstrafrecht, daß Unrecht und Schuld näher zusammenrücken, daß die Grenzen zwischen beiden durchlässig werden, nicht aber, daß es etwa nicht mehr erlaubt sei, überhaupt von Rechtswidrigkeit oder Schuld zu sprechen und irgendwie zu unterscheiden. D as wird noch klarer, wenn man die zivilrechtliche Betrachtung der strafrechtlichen gegenüberstellt. Im sogenannten bürgerlichen Recht ist es wirklich sinnvoll, äußere Vorgänge als solche zu betrachten, Interessen gegeneinander abzuwägen, den Schaden auf der einen Seite mit dem Vorteil auf der anderen Seite zu ver­ gleichen usw. Kurz, dort ist eine objektive Betrach­ tungsweise in gewissen Grenzen zulässig. Anders da­ gegen im Strafrecht. Vom Standpunkt des Willens­ strafrechts ist die Handlung als solche, als äußerer Vorgang, zunächst vollkommen gleichgültig. Vielmehr hat die Feststellung des äußeren Vorganges nur Be­ deutung als Ausdruck eines bestimmten Willens und als Niederschlag einer kriminellen Täterpersönlichkeit. Darum habe ich gegen eine scharfe Trennung von Rechtswidrigkeit und Schuld Bedenken. Diese scharfe Unterscheidung ist der Ausdruck eines Trennungs­ denkens, einer gefährlichen Neigung, Dinge, die ihrem inneren Sinnzusammenhang nach zusammen­ gehören, auseinanderzulegen. D as Verbrechen oder den S taat kann man aber im Grunde nicht in einzelne Teile zerlegen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as würde also bedeuten: Die Qualifizierung des Angriffs liegt außerhalb der Welt des Täters; das ist etwas, was in dem ganzen Bezirk der Willensbeurteilung des Täters zunächst nicht vor­ kommt. Deswegen würden Sie gegen das Wort „rechtswidrig", bezogen auf den Angriff, keine E r­ innerung erheben. Dagegen würden Sie es, bezogen auf den Täter, auch für möglich halten zu sagen: E r belädt sich damit mit keiner Schuld. (Professor Dr. Dahm: Ich würde allerdings lieber sagen: Begeht kein Unrecht.)

Nun hat unsere Debatte aber, haben vor allem die Ausführungen des Herrn Staatssekretär Freister eine wichtige Feststellung ergeben, die auch mich zu einer Abänderung meiner Vorschläge veranlassen. Ich bleibe dabei, daß wir die Bewertung der T at von der Bewertung des Täters nicht säuberlich trennen können. D as hindert uns aber nicht, die Voraus­ setzungen der Notwehr objektiv zu bestimmen und von einem objektiv rechtswidrigen Angriff zu sprechen. Wenn wir beim Diebstahl von einer fremden Sache sprechen, so können wir auch bei der Notwehr die Rechtswidrigkeit des Angriffs objektiv bestimmen. Dagegen würde ich es für falsch halten, wenn wir sagten: „Wer in Notwehr handelt, handelt nicht rechtswidrig". Denn hier steht eben die Bewertung des Täters und seines Willens in Frage. Darum sollte man hier von „Unrecht" in einem volkstüm­ lichen und untechnischen Sinne sprechen. Ich wäre aber auch nicht unglücklich, wenn man sagte: „Wer in Notwehr handelt, handelt nicht schuldhaft". Denn vom Standpunkt unserer Betrachtung aus sind das gar keine Gegensätze mehr. Die Frage der Notwehr gegen Notwehr scheint mir einfach. Es ist ganz selbstverständlich, daß der

Ministerialdirektor Dr. Dürr: Die letzten Ausführungen des Herrn Professor Dahm haben mich außerordentlich befriedigt. Mein einziges Bedenken gegen seine gestrigen Ausführungen bestand darin, daß er beim Angreifer die Voraus­ setzung der Rechtswidrigkeit ausschalten wollte. Ich bin durchaus damit einverstanden, daß die Handlung desjenigen, der in Notwehr handelt, nicht als rechtmäßig oder nicht rechtswidrig bezeichnet wird, sondern mit einem anderen Ausdruck, meinetwegen: nicht schuldhast. Nur darf ich aus das Bedenken hin­ weisen, daß wir dann in eine gewisse Schwierigkeit mit der Definition des Schuldbegriffs kommen. Wir haben ja zunächst daran festgehalten, daß schuldhast der handelt, der vorsätzlich oder fahrlässig handelt, und haben nur in den Begriff des Vorsatzes hinein­ genommen das Bewußtsein, Unrecht zu tun, also eine subjektive Stellungnahme zum Unrechtsbegriff. Wenn wir jetzt direkt sagen: Denjenigen, der in Notwehr handelt, trifft keine Schuld, oder: E r handelt nicht schuldhaft, dann kommen wir in einen gewissen Kon­ flikt mit unserer gestrigen Definition des Schuldbegriffs. Nun ist von Herrn Senatspräsident Klee die Frage ausgeworfen worden, wie es mit der Notwehr gegen Notwehr ist. Ich glaube, die Frage ist ganz leicht zu lösen; denn wenn Herr Professor Dahm das Zugeständnis macht, daß beim Angreifer die Rechts­ widrigkeit geprüft werden darf, dann kann die Hand­ lung des Angreifers unter zivilrechtlichen Gesichts­ punkten beurteilt werden. Die Notwehrfrage kann im Zivil- und Strafrecht nach den verschiedenen Bedürf­ nissen verschieden geregelt werden, und für die E nt­ scheidung darüber, ob der Angreifer rechtswidrig handelt oder nicht, kann meiner Ansicht nach die zivil­ rechtliche Regelung zugrundegelegt werden. Wenn wir die Handlung desjenigen, der in Not­ wehr handelt, nur als nicht schuldhast bezeichnen und beim Notstand dasselbe tun, dann ist ein großer Vor­ teil, daß in beiden Fällen die Rechtsfolge die gleiche ist: keine Schuld. Damit fällt der unglückliche Abs. 2 des § 380 weg.

Professor D r. Kohlrausch: Nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Dahm und auch der Herren Grau und Freister fürchte ich, so altmodisch zu denken, daß ich nicht viel zur Klärung beitragen kann. Im merhin will ich es versuchen. Denn zum großen Teil handelt es sich um Mißver­ ständnisse; freilich um erstaunliche. Ich glaube, das Mißverständnis, das besonders bei Herrn Kollegen Dahm zum Ausdruck kam, liegt in der Annahme, als ob jenes alte liberalistische oder individualistische Denken — oder wie man es nennen will — Rechtswidrigkeit und Schuld als zwei ge­ trennte Gebiete auffaßte, die real auseinander lägen. Wer das beanstandet, hat keinen Gegner, denn so denkt niemand. Es handelt sich bei Rechtswidrigkeit und Schuld um zwei verschiedene Maßstäbe der Beurtei­ lung, die auch das Volk unterscheidet; und zwar, logisch gesprochen, um zwei k o n z e n t r i s c h e Kreise, nicht um zwei Kreise, die n e b e n e i n ­ a n d e r liegen. Es gibt Taten, die man rechtswidrig nennen kann und muß, ohne sie dem T äter persönlich zum Vorwurf zu machen, also ohne sie „schuldhaft" zu nennen. E s gibt aber keine Tat, die man im strafrechtlichen Sinne schuldhaft nennt, wenn sie nicht auch rechtswidrig ist. Darüber ist man heute doch wohl einig. Wenigstens nahm ich das an. D araus folgt: Wenn wir uns damit begnügen, zu sagen: „Wer in Notstand handelt, handelt nicht schuldhaft", dann ist das selbstverständlich richtig. Aber wir beantworten damit nicht die uns gestellte Frage. Die Frage bleibt, ob er vielleicht nicht einmal rechts­ widrig handelt, ob er geradezu ein Recht hat, so zu handeln. Diese Frage muß beantwortet werden; und zwar aus zwei Gründen. Der eine Grund ist ein praktischer: W ir wollen wissen, wie der andere sich dazu zu stellen hat. Die Ausübung eines Rechts muß er sich gefallen lassen — das ist geradezu der S in n der Gewährung eines Rechts. Eine bloß ent­ schuldigte Handlung dagegen wird zwar in der Person des T äters nicht gestraft, aber damit ist der von ihr Betroffene noch nicht verpflichtet, sie sich gefallen zu lassen. Und der andere Grund ist vom Herrn Minister mehrfach betont worden, aber auch von Herrn Staatssekretär Freister, und gerade von ihm so eindrucksvoll, daß ich über seinen heutigen Schluß verwundert bin. E r hat früher — ich erinnere an sein Beispiel vom Unterseeboot — dahin unter­ schieden: Wenn ich jemandem sage, er habe nicht rechtswidrig gehandelt, dann stelle ich ihm eine Art Ehrenerklärung aus; während ich nur zwei Augen zudrücke, wenn ich sage, er habe nicht schuldhaft ge­ handelt, ich könne ihm sein rechtswidriges Tun nicht zum Vorwurf machen. (Staatssekretär Dr. Freister: Wenn ich sage, jemand handelt ohne Schuld, drücke ich doch kein Auge zu!) — Ich sage ihm: er kann nichts dafür. Es ist aber etwas ganz anderes, wenn ich ihm sage: „Du hattest ein Recht, so zu handeln". Gerade wenn Sie, Herr Staatssekretär, bei den Leuten, die da im Untersee­ boot, im Bergwerk usw. sich umbringen, sagen: „Hier

versagt das Recht, hier entscheidet eine höhere Macht, das liegt nicht mehr auf der juristischen Ebene" — wie unterscheiden sich denn die Fälle, in denen wir dem Betreffenden bescheinigen: „So. durftest du handeln"? Doch eben dadurch, daß bei den letzteren die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen ist und nicht nur die Schuld. Aber auch in jenen ersten Fällen möchte ich nicht von einer Resignation des Rechts in dem Sinne sprechen, als ob man hier rechtlich überhaupt nicht mehr urteilen könne. I n diesem Sinne freilich hat sie Kant in seinen „Metaphysischen Ansangs­ gründen der Rechtslehre" aufgefaßt. S o weit wollen Sie, Herr Staatssekretär, doch gar nicht gehen. W ir wollen doch nur sagen: W ir können die Leute, die sich da unten umbringen, nicht recht­ lich verurteilen; es war unheroisch, was sie taten, es war auch rechtswidrig; aber wenn wir sie nun freisprechen, so doch nicht, weil wir sagen: „Das liegt nicht mehr aus der Ebene des Rechts", sondern weil man als auf der Ebene des Rechts liegend den Grund­ satz annimmt, daß gewisse nicht zumutbare Hand­ lungen nicht gefordert werden können; und das heißt eben: Hier fehlt die Möglichkeit eines persönlichen Vorwurfs, hier fehlt die Schuld. Natürlich fehlt denen, die rechtswidrig handeln, auch die Schuld, aber es fehlt ihnen entscheidend noch etwas anderes: die Rechtswidrigkeit. D as ist die seit Jahrzehnten übliche Ausdrucks­ weise. Ich sehe keinen Nutzen dabei, plötzlich alles anders zu n e n n e n . Oder soll s a c h lic h Neues gebracht werden? Dunkel glaube ich zu ahnen, wie das Neue zustandegekommen ist. Ein gewisser Anstoß liegt, wie mir scheint, in der Lehre von Professor C arl Schmitt, der das normative Denken überhaupt elimi­ nieren möchte. Aber vor diesem Vorstoß habe ich keine Angst, weil diese neue Lehre einen Widerspruch in sich selbst enthält. Rechtliche Urteile sind nun ein­ mal Werturteile, und werten heißt normativ denken. Ein zweiter Grund für das Suchen nach Neuem sieht zunächst ernster aus. E r liegt darin, daß in der T at manche in einer übertriebenen Logikfreundlichkeit den objektiven und den subjektiven Tatbestand, Rechts­ widrigkeit und Schuld allzu real auseinandergelegt und übersehen haben, daß es sich nur um zwei B e­ wertungsmaßstäbe handelt und daß jeweils in dem Vorhergenannten schon ein Stück von dem Nachher­ genannten drinsteckt: Daß erstens in dem objektiven Tatbestand bereits Normatives steckt, daß er etwas normativ Vorgeformtes darstellt, nicht etwas rein Deskriptives, Beschreibendes. Und es ist auch zweitens vielfach übersehen worden, daß auch in der sogenannten Rechtswidrigkeit scbon subjektive Elemente stecken. D as hat Herr Kollege Mezger vor einigen Jahren ausführlich und interessant dargelegt, nachdem Max Ernst Mayer schon einmal treffend daraus aufmerk­ sam gemacht hatte. Aber jetzt sind wir dabei, das Kind mit dem Bade auszuschütten, indem wir die Doppel­ betrachtung für wertlos erklären. Es handelt sich nicht um ein Auseinandernehmen, sondern um ein Nachein­ anderbetrachten des gleichen Vorgangs. E s handelt sich nicht um einen Januskops, wie Herr Staatssekretär

Freister gesagt hat, sondern es handelt sich um einen durchaus eingesichtigen Kopf, der aber von mehreren Seiten und von mehreren Blickpunkten aus betrachtet werden muß. E s handelt sich einfach um logische Sauberkeit, die nicht schon deshalb verkehrt ist, weil sie logisch ist und weil frühere Jahre sie gepflegt haben. Mit Weltanschauung, aber auch mit Willensstrasrecht hat das nicht das mindeste zu tun. E s ist doch selbstver­ ständlich — da werden jetzt offene Türen einge­ rannt — , daß man immer nur den rechtswidrigen Willen bewerten wollte. Etw as anderes hat niemand bewerten wollen, seitdem es ein Schuldstrafrecht gibt. D as ist nicht modernes Willensstrafrecht, sondern Schuldstrafrecht schlechthin. S o bin ich also der Meinung, daß wir in diesem Paragraphen sagen müssen, daß derjenige, der in Notwehr handelt, ein Recht hat, so zu handeln, mit anderen Worten: daß er nicht rechtswidrig handelt; daß wir unsere Aufgabe nicht erfüllen, wenn wir nur sagen, daß er nicht schuldhaft handelt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr Professor Kohlrausch würde sich also lieber der Fassung anschließen, die in dem ursprünglichen Dahmschen Entwürfe steht: „Wer in Notwehr handelt, begeht kein Unrecht". Profeffor Dr. Kohlrausch: Nein, ich schließe mich dem § 378 des Entwurfs mit kleinen Modalitäten, Über die nachher noch gesprochen werden könnte, an. Profeffor Dr. Nagler: Nach dem Gang der Debatte wird die Entschei­ dung wohl so fallen, daß Rechtfertigungs- und Schuld­ ausschließungsgründe auch künftighin anerkannt werden. Ich darf darauf verweisen, daß sich in dem Entwurf des Herrn Vizepräsident Grau (§ 379 Abs. 4) das Wort „Notwehr re c h t" findet. Eigentlich ist diese Wendung in diesem Entwurf überraschend. S ie war nicht zu erwarten; aber es drängte sich hier wohl instinktiv der Gedanke wieder hervor, der das ganze deutsche Rechtsdenken seit dem 13. Ja h r­ hundert, seit dem Sachsenspiegel beherrscht, das vor­ behaltslose Bekenntnis zum Notwehrrecht. Wenn irgend etwas der gesunden Volksanschauung Ausdruck gibt, so ist es die Anerkennung des Notwehrrechts. Dieses Recht ist wirklich volkstümlich; es ist so selbst­ verständlich, daß es in dem Codex ju ris canonici sogar auf einen Satz des göttlichen Rechtes zurück­ geführt wird, also von der katholischen M oral­ theologie als ein von Gott ein für allemal gesetztes Recht betrachtet wird, das keine Ordnung der Welt je beseitigen kann. Wenn wir irgendeine Bestimmung über Notwehr vorlegen und dabei nicht ein Notwehr­ recht anerkennen wollten, so würde einfach die Ent­ wicklung über uns hinweggehen; davon bin ich voll­ kommen überzeugt. Es ist eine einfache, primitive Selbstverständlichkeit sowohl im Rechtsdenken des ein­ fachen M annes wie im Rechtsdenken des gebildeten M annes, daß man, wenn man rechtswidrig ange­ griffen wird, das klare Recht hat, sich dieses Angriffes

eigenmächtig zu erwehren. Ob wir es aussprechen oder nicht, das Notwehrrecht wird sich kraft seines inneren Schwergewichts mit einer Selbstverständlichkeit son­ dergleichen immer durchsetzen. Darum tun wir viel klüger, wenn wir von Ansang an das Notwehrrecht ausdrücklich anerkennen, nämlich nicht bloß unbe­ stimmt, wie es in dem Entwurf der Herren Sach­ bearbeiter heißt, formulieren: „-----handelt nicht rechtswidrig", sondern klipp und klar sagen: „-----handelt rechtmäßig". Dann deckt die Flagge die Ware! Wenn der Herr Kollege Dahm das Bedenken ausgesprochen hat, wir bewegten uns in liberalistischem Denken, so bedaure ich, offen gestanden, daß dieser Gegensatz in die jetzige Debatte geworfen worden ist. Die Äußerung, es sei liberales Denken, wenn wir sauber die Dinge auseinanderhalten, klingt doch so, als ob auf diese Weise die saubere Trennung der Begriffe diskreditiert werden sollte. Ich bin nicht der Meinung, daß wir mit solchen Behauptungen arbeiten sollten oder könnten. Dann die Notwehr in der Fassung des Entwurfs der Herren Sachbearbeiter, Absatz 1, die Wendung: „-----die nach gesunder Volksanschauung erforderlich ist" scheint mir sehr glücklich gefaßt zu sein, weil nämlich dadurch das „Ob" wie das „Wie" ganz gleich­ mäßig von der gesunden Volksanschauung abhängig gemacht werden. Damit erledigt sich die berühmte Kontroverse über die sogenannte Totschlägermoral, das bekannte Wort von Geyer. Daß immer eine gewisse Jnteressenabwägung stattfinden muß — der Herr Minister hat schon darauf aufmerksam gemacht — , ist eigentlich unmittelbar in der N atur der Dinge gelegen und bisher nur durch die unglückliche Prägung unseres § 53 verdunkelt worden. Aber w ir haben sie doch durch eine gesunde Auslegung, vielleicht auch etwas hinten herum, eingeführt. Von dem neuen Text würde auch der Gedanke der Unfugabwehr im Oetkerschen S inne mitumfaßt sein. Daß man nicht wegen jeder Kleinigkeit gleich Notwehr üben darf, diese berühmte Kontroverse "ist damit endgültig erledigt. Ich finde also die Wendung: „___ die nach gesunder Volksanschauung erforderlich ist" Überaus glücklich. Dann hat der T äter nach dem „Ob" wie nach dem „Wie" vernünftige Grenzen bei der Ausübung des Notwehrrechts einzuhalten. Wenn ich vorhin sagte, ich könne mich mit der Fassung des Kollegen Dahm einverstanden erklären, so haben S ie doch aus meinen Worten auch heraus­ gehört, daß ich sie wesentlich anders deute, als Herr Kollege Dahm es tut. Ich glaube, w ir würden wohl beraten sein, wenn wir den tz 378 der Herren Sachbearbeiter zugrunde­ legen würden. Ob wir die Putativnotwehr besonders erwähnen, ist natürlich eine reine Zweckmäßigkeits­ frage. Herr Staatssekretär Freister hat sich dafür ausgesprochen. Aber wir sprechen etwas Selbstver­ ständliches aus. Ich meine, im Zusammenhang mit unserem Dolusbegrisf würde die Frage der Putativ­ notwehr sich von selbst erledigen. Daß gegen die P u ta ­ tivnotwehr-Handlung Notwehr zulässig sein muß, ist für mich selbstverständlich.

Dann die Frage: Einheitstheorie beim Notstand oder nicht? und darum die weitere Entscheidung: Ist die Notstandshandlung rechtmäßig oder nicht? M ir waren die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs außerordentlich interessant; er führte ja aus: wenn in dem Grubenfall der eine Arbeiter den anderen tötet, um so sein Leben zu fristen, so liegt der Vorgang eigentlich jenseits der Grenzen des Rechtes; es schweige in einem solchen Falle das Gesetz. E r konnte sich dabei auf eine große Reihe von Rechtssprich­ wörtern berufen, z. B .: „Not kennt kein Gebot". Die vom Herrn Staatssekretär damit vertretene Anschauung würde zur Annahme der rechtlichen Indifferenz führen und hat früher ja auch schon dazu geführt. Wenn in einer solchen Lage die Rechtsordnung über­ haupt aufgehoben ist, so kann sie überhaupt nicht mehr zur Notstandshandlung bewertend Stellung nehmen. Dies hätte die Wirkung, daß die Handlung nicht rechtswidrig, sondern daß sie rechtlich indifferent ist. Von einer rechtlichen Mißbilligung kann mangels Wertung gar keine Rede sein. Noch viel weniger kann dann natürlich die Schuld aufrechterhalten werden. Erst recht kann dann der Gedanke eines bloßen persön­ lichen Strafausschließungsgrundes nicht auskommen. Die Einheitstheorie, die heute Herr Leimer und ich vertreten haben, und zwar von dem Unrechtsgehalt der Notstandshandlung her, scheint mir — das habe ich in der ersten Lesung schon ausgeführt — die wert­ vollste Lösung zu bieten. Ich verstehe nicht, wie der Herr Staatssekretär von seinem Ausgangspunkt aus dazu kommt, nur einen persönlichen Strafausschlie­ ßungsgrund anzunehmen. Ich würde einen solchen Strafausschließungsgrund unbedingt ablehnen und — wennschon die Rechtswidrigkeit der Notstandshand­ lung bejaht werden sollte — dem Entschuldigungs­ grund lieber den Vorzug geben. Es mag die Handlung als rechtswidrig erscheinen, aber jedenfalls einen Schuldvorwurf dürfen wir nicht erheben, weil hier nur der natürliche Selbsterhaltungstrieb einmal durchgeschlagen hat.

zeichnete in der T at die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, daß sie konkrete Lebenseinheiten durch begriffliche Abstraktionen zerlegte. I n diesem Denken sind wir alle heute noch weitgehend befangen, und es ist richtig, darauf hinzuweisen und dieses Denken bei sich selbst und bei anderen zu bekämpfen. Ich halte es auch nicht für richtig, wenn Herr Professor Kohlrausch die Bemerkung, mit der ich die Frage des Herrn Senatspräsidenten Klee zu beant­ worten suchte, als den Ausdruck einer besonderen Wendigkeit und Schlagsertigkeit hinstellt. Denn wenn man die Auffassung zugrundelegt, zu der ich mich am Schlüsse meiner Ausführungen bekannt habe, so kommt man doch für die Notwehr gegen die Not­ wehr zu einer ganz einfachen Lösung. Erstens habe ich ausgeführt, man könne sehr wohl von einem rechtswidrigen Angriff sprechen. Zweitens hilft die Zumutbarkeitsregel des § 378 Abs. 3.

Professor Dr. Dahm: Ich möchte nur kurz auf einige Bemerkungen ein­ gehen, die eben die Herren Kohlrausch und Nagler geäußert haben. Herr Professor Kohlrausch hat die Ursprünge der von mir vertretenen Auffassung unter­ sucht, die ich übrigens niemals als besonders neu oder originell hingestellt habe. Der Ansatz zu dieser Auf­ fassung ist die Lehre von den subjektiven Unrechts­ elementen. W ir haben immer betont, daß solche Ansätze vorhanden sind, wie denn überhaupt — das muß einmal grundsätzlich gesagt werden — die soge­ nannte junge kriminalistische Generation nicht etwa glaubt, vom Himmel gefallen zu sein, sondern weiß, daß sie wie jede Generation auf den Schultern der Alteren steht. Ich glaube aber, daß diese Fragen in ihrer grundsätzlichen Bedeutung erst heute erkannt werden und damit über die Bedeutung einer nur methodologischen Problemstellung hinauswachsen. Wenn in diesem Zusammenhang von „Trennungs­ denken" gesprochen wurde, so habe ich einen Ausdruck verwandt, der heute allgemein üblich ist. E r kenn­

Also der Ausdruck „Notwehrrecht" würde Ihnen nicht irgendwelche Beschwerden machen? (Profeffor Dr. Dahm: Nein! — Professor Dr. Nagler: D as ist ein ganz echtes subjek­ tives Recht!)

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte eine kleine Bemerkung des Herrn Professor Nagler aufgreifen. E r hält — wie mir scheint, nicht ganz unwirksam — den Verfassern des § 379 Abs. 5 neuer Fassung vor, daß sie hier selber von Notwehrrecht sprechen. Wenn ich ihn recht ver­ standen habe, meint er, gewissermaßen instinktiv habe sich hier durch das ganze Gedankengestrüpp hindurch die Meinung Bahn gebrochen, daß die Notwehr doch ein Recht sei. Professor D r. Dahm: D as bestreiten wir ja gar nicht. W ir sagen ja gar nicht, daß jetzt die Rechtswidrigkeit vollkommen wegfalle und nur noch von subjektiver Schuld die Rede sei. W ir sprechen auch noch vom „Unrecht". W ir bestreiten nur, daß das Unrecht als etwas rein Objektives zur subjektiven Schuld im Gegensatz stehe. W ir glauben, das überhaupt nicht trennen zu können. Reichsjustizminister Dr. Gürtner:

Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bin grundsätzlich mit allem, was Herr P ro ­ fessor Dahm heute ausaeführt hat, einverstanden. Ich habe den Eindruck, daß auch Herr Graf Gleispach nach den positiven Vorschlägen, die er gemacht hat, in allem Grundsätzlichen damit einverstanden ist. Gegenüber den Ausführungen des Herrn Professor Kohlrausch kann ich nur sagen: Wenn man von ver­ schiedenen Begriffen über Rechtswidrigkeit und Schuld ausgeht, redet man aneinander vorbei. Ich kann die Rechtswidrigkeit als logische Voraussetzung der Schuld nicht anerkennen. Ich muß aber zugeben, daß man, wenn man nur logisch zerlegt, zu diesem Ergebnis gelangen kann. D as muß ich deshalb zu­ geben, weil, wie Sie, Herr Geheimrat, selbst sagen,

Sie 35 Jahre lang zu diesem Ergebnis gekommen sind. D as sagt aber noch nicht, ob es nicht vielleicht doch richtig ist, daß dadurch eine natürliche Einheit wegen des nur logischen Anpackens dieser Einheit zerrissen worden ist, und zwar zerrissen in eine Zwei­ heit, die überhaupt nicht besteht. Was den Absatz 4 anlangt, so würde ich lieber das Wort „Notwehrrecht" dort nicht sehen; aber es mag auch stehen bleiben. Ich würde es deshalb lieber nicht sehen, weil es meines Erachtens bei der Be­ trachtung der Notwehr darauf ankommt: Legt man das entscheidende Gewicht auf die Willenseinstellung, oder legt man daraus nicht das entscheidende Gewicht? Herr Professor Dahm hat ausgeführt, und auch ich habe vorhin erklärt, daß es nicht möglich sei, allein auf die Willenseinstellung Gewicht zu legen. Aber es ist die Frage: Worauf legt man das e n t s c h e i ­ d e n d e Gewicht? Legt man das entscheidende Gewicht auf die Willenseinstellung, so kommt man dazu, die Notwehrhandlung als schuldlos zu erklären. Dann würde ich, und zwar nur um nicht Mißverständnissen Raum zu geben, auch nicht von Notwehrrecht sprechen. Mißverständnisse sind möglich, wie sich daraus ergibt, daß Herr Professor Nagler bereits glaubte, diese T at­ sache, daß hier von Notwehrrecht gesprochen ist, ent­ gegenhalten zu können. Wenn jemand glaubt, daß er diese Tatsache denen, die die Notwehr unter dem Gesichtspunkt der Schuld ansehen wollen, entgegen­ halten kann, dann zeigt das, daß hier ein Wort ge­ braucht ist, das mißverstanden werden kann. Ich ver­ mag zwar in dem Gebrauch des Wortes „Notwehr­ recht" kein Argument nach der einen oder anderen Seite zu erblicken, bin aber der Meinung, daß man, wenn der Gebrauch des Wortes nicht verstanden werden könnte, es lieber nicht gebrauchen sollte. Darüber gibt es nun keine Debatte und auch kein gegenseitiges Sichüberzeugen, wenn Herr Professor Kohlrausch meint, es sei doch unbefriedigend, daß man dem in echter Notwehr Handelnden n u r sagt: „Du handelst ohne Schuld", und nicht auch ein Mehr sagt, nämlich: „D u handelst rechtmäßig". Darüber gibt es eben deshalb kein gegenseitiges Sichüberzeugen, weil die Vorstellung vom Wesensinhalt der Schuld eine grundsätzlich verschiedene ist, wenn der eine zu dem Wort „schuldlos" das Wörtchen „nur" überhaupt hin­ zusetzen kann. Ich kann zu der Bescheinigung, die ich als Richter oder Gesetzgeber jemand gebe: „Du handelst ohne Schuld", das Wörtchen „nur" gar nicht hinzudenken, und deshalb ist der Vorhalt: warum sagst du denn dem Betreffenden nur: „Du handelst ohne Schuld"? ein Vorhalt, der mich gar nicht treffen kann. Ich bin der Meinung: Mehr kann der Gesetzgeber und mehr kann der Richter im Strafrecht überhaupt nicht demjenigen sagen, der vor ihm steht, als: „Du bist hier herausgegangen ohne Schuld, d. h. ohne Makel". Dazu bedarf es unserer Meinung nach nicht auch einer Stellungnahme zur Frage einer be­ sonders gedachten Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrig­ keit. Wenn ich mich nun voll in die Linie derjenigen stelle, die das verteidigen, so bin ich der Meinung, daß

es genau das ist, was ich heute vormittag, ohne es formuliert zu haben, vorschlug. Nun kann man natürlich noch ein ganz anderes Argument gegen diesen Aufbau geltend machen, nämlich das Argument: Wie ist es denn mit der Notwehrhandlung gegen den Notstand? Dieses Argument kann man m. E. mit viel stärkerer Kraft geltend machen als etwa den Hin­ weis darauf, daß in Absatz 4 von dem Notwehrrecht gesprochen werde, und als die Frage: Warum willst du denn dem in Notwehr Handelnden sagen, daß er nur schuldlos gehandelt hat? Nun bin ich der Mei­ nung, daß man auch aus der bisherigen Formulierung des rechtswidrigen Angriffs, gegen den die Notwehr sich richten darf, und daraus, daß in § 380 gesagt wird: „Wer in Notwehr handelt, ist schuldlos",'schön von selbst schließen kann: Gegen eine Notstandshand­ lung gibt es nur Putativnotwehr. Wenn dem aber so ist, dann sollte man das zur Vermeidung von M iß­ verständnissen bei der Notwehr ausdrücklich erklären. Daß der ganze Aufbau des Notstandes und auch der Notwehr falsch sei, folgt aber jedenfalls nicht daraus. Ich hätte nur noch eines zu sagen, und zwar zu dem Vorhalt des Herrn Professor Kohlrausch wegen meiner, wie er meinte, überraschenden Schlußfolge­ rung bezüglich der Gefahrengemeinschaft, wegen des Schluffes, daß in einem solchen Falle der Richter oder der Gesetzgeber sagen sollte: „D u hast schuldhaft gehandelt, aber ich bestrafe dich nicht". Ich bin der Meinung, daß ich da doch nichts anderes tue, als daß ich die Grenzen der inneren Berechtigung für irgend­ einen Menschen, eine solche Frage abzuurteilen, aner­ kenne. Ich kann einem Richter grundsätzlich nur solche Fälle zur Aburteilung, und zwar zur bewertenden Aburteilung vorlegen, von denen ich sage: diesen Urteilsspruch ehrlich auszusprechen, ist dieser Richter die Persönlichkeit mit der dazu notwendigen inneren Kraft. Wenn ich aber keinen Richter, und zwar keinen weltlichen Richter für einen Fall habe, dann steht eben dieser ganze Fall auch außerhalb des Rechtes. Dann folgt daraus aber noch lange nicht das, was Sie, Herr Geheimrat, meinten, daß ich nun aner­ kennen müßte: Wenn der F all außerhalb des Rechtes steht, dann steht er auch außerhalb aller Begriffe von Schuld. Ganz im Gegenteil! Denn der Begriff der Schuld besteht auch außerhalb des Rechts und unab­ hängig vom Recht; er ist ein Begriff, der auch ohne das Recht denkbar ist. Infolgedessen ist es nicht richtig, daß ich dem betreffenden T äter nicht ant­ worten könnte: „Du hast schuldhaft gehandelt"; und richtig ist es, daß ich ihm antworten kann: „Die Ebene der Strafbarkeit hast du nicht erreicht", und zwar in diesem Falle mit der besonderen Begründung: „Weil keiner da ist, der diese T at zu richten der Mann wäre". Deshalb muß ich als Richter den Täter entlasten und ihm sagen: „Was du getan hast, war schuldhaft; wir Menschen aber können dich dafür nicht bestrafen". Ich bin also der Meinung, daß der Schluß, den ich da gezogen habe, gar nicht erstaunlich ist. Dieser Schluß ist nur dann erstaunlich, wenn man der Auffassung ist, daß der Begriff von Schuld nur innerhalb des Rechts besteht.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe während der Ausführungen in meinem Innersten ein Gespräch geführt mit einem Bekannten von mir, der Jagdgehilfe ist. Es handelt sich um einen wirklichen Vorgang, der sich in der Nähe von München zugetragen hat. Dort wurde ein M ann erschossen, der sich als bekannter Verbrecher viele Monate lang im Walde Herumgetrieben hatte, und zwar von diesem meinem Bekannten unter Um­ ständen, die die Annahme von Notwehr oder P utativ­ notwehr fraglich erscheinen lassen konnten. Mein Bekannter aber fragte mich: Nun sage mir mal, habe ich recht gehabt? Wenn ich dem M ann zur Antwort geben würde: D u bist schuldlos; ich mache dir keinen Vorwurf! so würde es ihn gar nicht befriedigen, und er würde es gar nicht verstehen; er würde darauf erwidern: Vorwurf? Ich rede nicht von Vorwurf! Du sollst mir als Jurist sagen: Habe ich recht getan? — Ich erzähle das nicht deswegen, um eine Debatte über die Worte zu entfesseln, sondern nur, um wieder mal daran zu erinnern, daß alles das, was wir reden und im Gesetzentwurf niederlegen wollen, immer wieder mit dem einfachen und schlichten Denken des Volkes draußen verglichen werden muß. Ich bin fest überzeugt: Wenn die Antwort des gelehrten Juristen lauten würde: Du bist schuldlos! so würde es der Mann nicht verstehen und es als eine Art In ju rie betrachten, daß man diesen Fall, der nach seiner Meinung absolut rechtmäßig war — ich sage: objektiv konnte man etwas daran zweifeln — , unter dem Begriff der Schuld oder Nichtschuld ansieht. E r will die Antwort haben: Du hast recht getan, und wenn Sie diese Antwort nicht geben können, ist er nicht befriedigt. Professor D r. Kohlrausch: Ich wäre denen, die für die Ersetzung der Worte „nicht rechtswidrig" durch das Wort „schuldlos" ein­ treten, dankbar, wenn sie mir zu meiner Klärung eine Frage beantworten würden. G i b t e s r e c h t s ­ widri ge, a b e r schuldlose H a n d l u n g e n ? D aran möchte ich noch zwei andere Bemerkungen knüpfen. W ir sind uns doch darüber einig — und namentlich die Herren Praktiker werden das zu­ geben — , daß es für den Angeklagten einen großen Unterschied bedeutet, ob er a u s G r ü n d e n d e s ä u ß e r e n oder des i n n e r e n T a t b e ­ s t a n d e s f r e i g e s p r o c h e n wird; ob er freigesvrochen wird, indem ihm gesagt wird: „So durftest du handeln!" Oder ob er auf Grund des inneren T a t­ bestandes freigesprochen wird, womit ihm doch ge­ sagt wird: „P aß künftig besser auf!" Es ist ein großer Unterschied, ob jemand freigesprochen wird, weil er in Notwehr getötet hat, oder weil er den, den er getötet hat, etwa nicht gesehen hatte. S o ist es Qttdj ein Unterschied, ob er wegen echter Notwehr oder wegen Putativnotwehr freigesprochen wird. Daß das zweierlei ist, liegt im einfachsten Empfinden. Ich sehe nicht ein, was dagegen spricht, den Unterschied auch zum Ausdruck zu bringen.

Ein Zweites! Herr Staatssekretär Freister sprach von dem R a u m , d e r n i c h t m e h r v o m R e c h t b e d e c k t i st. Wenn es ihn gibt, so können wir in Fällen, die in diesem Raum liegen, nicht mehr von Schuld und Sühne im Rechtssinne sprechen. Eine Schuld im Rechtssinne können wir hier weder bejahen noch verneinen. Wenn sie außerhalb des vom Recht bedeckten Raumes liegen, gehen sie den Richter nichts mehr an. Gibt es aber diesen Raum? Muß nicht gerade der heutige S ta a t die Frage entschieden ver­ neinen? Der Richter kann eine Entscheidung nicht ablehnen. Wonach anders aber soll er urteilen als nach Rechtsnormen? Liegen die Fälle aber noch in dem vom Recht bedeckten Raum, so kann er nicht frei­ sprechen mit der Begründung, hier versage die Be­ rechtigung des Menschen, zu urteilen. Ich wiederhole aber namentlich meine erste Frage: Gibt es eigentlich rechtswidrige, aber schuldlose Hand­ lungen? Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich meine auch: D as praktische Kriterium ist die Behandlung der Notwehr und Putativnotwehr. Von der rein subjektiven Einstellung aus ist ganz gleich zu behandeln derjenige, der in wirklicher Notwehr sich befindet, und der, der in vermeintlicher Notwehr handelt. D araus könnte unmöglich die Konsequenz gezogen werden, daß man etwa in beiden Fällen Notwehr versagt oder Notwehr gibt, sondern es muß unbedingt Notwehr gegenüber der Putativnotwehr zulässig, gegenüber echter Notwehr dagegen ausge­ schlossen sein. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as würde sich lösen, wenn wir den gegenwärtigen An­ griff als rechtswidrig betrachten.) — Darüber herrscht Einigkeit, daß er rechtswidrig sein muß. Wenn aber nur dasteht: Die Notwehr macht schuldlos, so würde keine genügende Gewähr dafür geschaffen sein, daß man gegen den in Notwehr Befindlichen keine Notwehr üben kann. Dazu müßte gesagt sein, daß der Täter nicht rechtswidrig handelt. Nun wird von Herrn Ministerialdirektor D ürr auf das Zivilrecht verwiesen. D as bestimmt, daß ich keine verbotene Eigenmacht übe, wenn ich mein Eigentum vor dem schütze, der den Besitz stört. Aber es wäre doch sehr mißlich, wenn ich erst aus dem Zivilrecht den Mangel der Rechtswidrigkeit meiner Abwehrhandlung entnehmen müßte und nicht schon das Strafrecht selber mir Klarheit darüber gibt, daß ich im Stande der Notwehr rechtmäßig handle. Auch Herr Professor Dahm will natürlich dem Diebe, dem die gestohlene Sache abgenommen wird, kein Not­ wehrrecht geben; das werde schon dadurch sichergestellt, daß Notwehr dann verneint wird, wenn nach gesunder Volksanschauung vom Täter erwartet werden muß, den Angriff zu dulden. Von dem Dieb werde aber nach gesunder Volksanschauung erwartet, daß er den Angriff dulde. Gewiß kann man auch auf diese Weise zu dem Resultat kommen, daß der Dieb kein Notwehr­ recht hat; das wäre aber künstlich und ein Umweg. Weit einfacher und dem Wesen der Rechtsordnung

entsprechender ist es, dem in Notwehr Befindlichen ein Recht zu geben und von diesem Standpunkt aus dem Diebe die Gegennotwehr zu versagen. Wenn es dann heißt: wer im Notstand handelt, ist schuldlos, so ist hierdurch keine Klarheit darüber geschaffen, wann Notwehr gegeben ist, wann nicht. Wie bereits gesagt, würde das allerdings praktisch weiter nicht schaden, denn auf alle Fälle wäre auf den von der Notstandsverletzung Betroffenen Absatz 1 des Not­ standsparagraphen 380 anwendbar. Weiter ist die Frage zu klären, wie es mit dem Verteidigungswillen bei der Notwehr steht. D as RG. macht ihn schon de lege la ta zur Bedingung berech­ tigter Notwehr. Wie ich glaube, mit Recht. Erst recht werden wir dasselbe de lege feren d a für richtig halten muffen. D as ist keine Konzession an den S tand­ punkt, Schuld und Rechtswidrigkeit völlig mitein­ ander zu verschmelzen, sondern eine hiervon unab­ hängige, von selbst gegebene Konzession an das Willensstrafrecht. Gegen den Grauschen Vorschlag in § 378: „Durfte der T äter im Einzelfall ohne Fahrlässigkeit annehmen, durch seine T at kein Unrecht zu tun, so liegt eine strafbare Hand­ lung nicht vor" habe ich Bedenken. Nach meiner Ansicht ist das eine Proklamation der Straflosigkeit des Überzeugungs­ täters. Denn gerade wenn wir die Fahrlässigkeit sub­ jektiv orientieren, wie wir es tun müssen, würde der Überzeugungstäter hier immer einen Durchschlupf haben und sich auf den Schuldausschließungsgrund berufen können. D as dürfen wir aber unter keinen Umständen ermöglichen. Gemildert wird allerdings dies Bedenken durch den folgenden Absatz des Grau­ schen Vorschlages. Auf alle Fälle ist der Satz in Verbindung mit dem zweiten Absatz eine Wiederho­ lung des § 373 Abs. 1 und 3 über den Rechtsirrtum, er gehört nicht an die Stelle, wo ihn Herr Vizepräsi­ dent Grau hinbringen will. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn S ie die Qualifizierung des Angriffs mit „rechtswidrig" zulassen, weil das außerhalb des Willens des Täters liegt, kommen S ie in Schwierig­ keiten bei der Gegennotwehr. Die Notwehr gegen Not­ wehr soll nach allgemeiner Meinung nicht zulässig sein. Warum nicht? Weil die andere T at eine schuld­ lose war? Is t das die richtige Antwort? Dann schneiden wir uns selber in die Finger; denn wir verlangen ja von der anderen T at, daß sie rechts­ widrig sein muß. Professor Dr. Dahm: Ich möchte auf die Frage des Herrn Professor Kohlrausch antworten: Gibt es rechtswidrige Hand­ lungen, die nicht schuldhaft sind? Ich antworte darauf: Gewiß gibt es solche Handlungen, aber nicht im Strafrecht. W ir kommen darauf ab, zwischen einer Rechtswidrigkeit und einem strafrechtlichen Unrecht zu unterscheiden. D as halte ich aber auch für richtig. D as strafrechtliche Unrecht kann nur in unmittelbarer Verbindung mit der Schuld gesehen werden.

Wenn es so ist, kann man auch die dritte, vom Minister gestellte Frage beantworten, nämlich eine Entscheidung darüber treffen, ob der M ann, der Gegennotwehr übt, einen rechtswidrigen Angriff ab­ wehrt. D a würde ich sagen: unabhängig von der Frage, ob der M ann dann schuldlos handelt oder kein Unrecht begeht, können wir jetzt die T at auch objektiv betrachten und kommen zum Ergebnis, daß der Mann, der sich da wehrt, der Notwehr im bürgerlichen Recht und zweifellos auch unserer Rechtsordnung entspricht. Derjenige, der zuerst Notwehr übt, handelt nicht rechtswidrig; infolgedessen wird ein rechtmäßiger Angriff abgewehrt; infolgedessen ist die Gegennot­ wehr schuldhaft. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Aber gerade in dem Falle entsteht eine Schwie­ rigkeit. Wenn wir den Angriff selbst als rechtswidrig qualifizieren, wird die Sache in der Folge etwas kompliziert, weil der Angriff dessen, der zuerst ver­ letzt werden sollte und sich dann in Notwehr befindet, also des Mannes, der Gegennotwehr übt, als recht­ mäßig, als nicht rechtswidrig dargestellt sein muß. Rein sprachlich kommen wir da in eine gewisse Schwierigkeit. Professor Dr. Dahm: Ich würde kein Bedenken tragen, zu sagen: „Wer in Notwehr handelt, begeht kein Unrecht." D as ist eben keine grundsätzliche Frage mehr, die den Gegen­ satz von Rechtswidrigkeit und Schuld betrifft, sondern für mich nur eine Frage der volkstümlichen Form u­ lierung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die ganze Gegend wie mit einem Scheinwerfer erhellt hat Ih re jetzige Antwort auf die Frage von Herrn Professor Kohlrausch. Wenn wir wieder an das Bild der konzentrischen Kreise denken, ist der innere Kreis — das ist das strafrechtlich in Betracht Kommende — Unrecht, das mit der Schuld zusammen eine Einheit bildet, und wenn ich an den größeren Kreis denke, so ist dort auch Unrecht möglich, aber nicht strafrechtlich bedeutsam. S o sagten S ie eben. Professor Dr. Graf Gleispach: Zur Klärung wird es weiterhin beitragen, wenn man der Frage des Kollegen Kohlrausch die Gegen­ frage entgegenstellt, ob es etwas Strafbares, etwas Schuldhaftes gibt, was nicht rechtswidrig ist. (Professor Dr. Kohlrausch: D as gibt es nicht.) — D as ist der typische Fall des absolut untauglichen Versuchs. Wenn ich jemand, den ich vergiften will, Zucker gebe, ist die Handlung nicht rechtswidrig, aber sie ist schuldhaft. D as ist der Beweis dafür, daß die Schuld nur durch das Subjektive entstehen kann. Es ist der Wille zu töten allein, der hier die Strafbarkeit begründet. Ich würde nicht einmal im Strafrecht den Satz aufstellen: rechtswidrige Handlungen, die nicht schuldhast sind, gibt es nicht, sondern würde nur sagen: für die Täterbewertung gibt es das nicht, und zwar deswegen nicht, weil wir immer von der Schuld

ausgehen wollen. Aber es ist zuzugeben, daß der Mangel des Rechts o d e r ein anderer Grund die Schuld ausschließen kann. F ür unsere strafrechtliche Betrachtung des Täters gibt es allerdings die Kate­ gorie „rechtswidrig, aber schuldlos" nicht; das inter­ essiert uns gar nicht. Aber sie ist natürlich vorhanden, weil sie in der ganzen Rechtsordnung vorhanden ist. W ir machen ja die Unterscheidung schon beim An­ greifer im Bereich der Notwehr, weil da etwas Außerstrafrechtliches in das Strafrecht hineinragt. D as ganze ist nur eine Verschiedenheit der Blickrich­ tung, nichts anderes. Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn ich auf die Frage von Herrn Professor Kohlrausch antworten soll, so gibt es außer der vom Schuldbegriff losgelösten bürgerlich-rechtlichen Rechts­ widrigkeit auch eine Rechtswidrigkeit des Strafrechts, mit der wir rechnen müssen, die mit der Schuld gar nichts zu tun hat; denn wir kennen ja die Schuldunsähigkeit, und Menschen, die schuldunfähig sind, können natürlich rechtswidrig handeln, z. B. rechts­ widrig im S inne eines rechtswidrigen Angriffes. (Widerspruch — Reichsjustizminister Dr. G ürtner: D as glaube ich nicht. Wer schuld­ unfähig ist, kann kein Unrecht tun.) — D as habe ich auch gar nicht gesagt. Aber wer schuldunfähig ist, kann rechtswidrig handeln im Sinne eines rechtswidrigen Angriffs, gegen den es Notwehr gibt. Ich kann mich gegen Geisteskranke wehren, also in Notwehr handeln, wenn mich ein Geisteskranker niederschlagen will. Folglich gibt es eine Rechts­ widrigkeit völlig losgelöst von jeder Schuldbetrach­ tung. Es gibt sie auf dem Gebiete, aus dem eine Schuldbetrachtung gar nicht in Frage kommt, weil wir von vornherein erklärt haben, daß wir hier keine Schuld kennen. Was daraus gegen den Aufbau unseres Vorschlages folgen soll, ist die Gegenfrage, die zur Beantwortung zurückzugeben wäre. I m übrigen sind w ir darin einig, daß dem strafrechtlichen Schuldbeariff etwas wie eine Rechtswidrigkeit imma­ nent ist. Auch Herr Professor Dahm will wohl nichts anderes sagen. Sie ist aber nicht davon lösbar und nicht etwas neben der Sckuld selbständig Bestehendes. I m Beispiel des Herrn Graf Gleispach mit dem untauglichen Versuch des Tötenwollens durch Zucker­ einflößen würde ich sagen: der M ann handelt rechts­ widrig und schuldhaft. D as ist gar nicht voneinander zu lösen — es ist eine Einheit — , und gerade weil das so ist, wehre ich mich dagegen, den Kleeschen Vorschlag anzuerkennen: „wer in Notwehr handelt, handelt nicht rechtswidrig", und ebenso wehre ich mich gegen die Begründung für den ähnlichen Vorschlag von Herrn Professor Kohlrausch, daß die Bescheini­ gung der Rechtmäßigkeit ein Mehr sei. Ich wehre mich dagegen, weil ich die Rechtswidrigkeit überhaupt nicht als etwas bei dieser Blickrichtung neben dem Schuld­ begriff Stehendes ansehen kann, weil ich der Meinung bin, daß dieses Herausschneiden eines unlöslichen, bei der Betrachtung des Täters gar nicht als für sich bestehend denkbaren Bestandteils des Schuldbegriffs nicht möglich ist. D as führt aber gar nicht zu der

Folgerung, die Herr Senatspräsident Klee zieht, der meint: Weil man von einem rechtswidrigen Angriff spreche, müsse man auch von der Rechtswidrigkeit des Sichwehrens gegen diesen Angriff sprechen, und zwar deshalb, weil man sonst, wo zwei Notwehr- oder ver­ meintliche Notwehrhandlungen aufeinanderstoßen, nicht ohne Zwang zu einem vernünftigen Ergebnis bei der Beurteilung jedes der beiden T äter gelangen könne. Ich komme gerade zu einer vernünftigen Be­ urteilung jedes dieser beiden Täter — dessen, der sich in Notwehr befindet und sich wehrt, und dessen, der diese Notwehr abwehren will — , wenn ich zwar von rechtswidrigem Angriff spreche, aber von der Schuld­ losigkeit dessen, der in Notwehr oder Putativnotwehr handelt. D as habe ich heute vormittag schon aus­ geführt. Ich muß die T at dessen, der sich in Notwehr befand, wenn vor mir derjenige steht, der sich gegen diese Notwehrhandlung gewehrt hat, einfach losgelöst von jedem Schuldbegriff beurteilen. Dann komme ich zu dem Ergebnis, daß ich mich prüfe: Hat der Täter gemeint, das sei ein rechtswidriger Angriff, und liegen die Voraussetzungen der Putativnotwehr vor. dann muß ich den, der sich dagegen gewehrt hat, auch für schuldlos erklären und ihn freisprechen. Komme ich aber zu dem Ergebnis: Nein, das war nicht so, so gilt der Satz: Gegen Notwehr gibt es keine Gegennotwehr; das ist ganz natürlich und ohne jeden Zwang entwickelt. Wenn ich nun den ersten der beiden Täter, den, der in Notwehr gehandelt hat, vor mir habe, so komme ich überhaupt nicht dazu, zur Beurteilung seines Verhaltens das Verhalten des anderen, der sich dagegen gewehrt hat, heranzuziehen. Es ist also nicht richtig, daß man in irgendwelche Schwierigkeiten kommt. Natürlich ist es vielleicht ein Lieblingskind, daß man Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe reinlich und säuberlich scheidet. Aber dieses Lieblingskind ist als Lieblingskind nur entstanden und verhätschelt worden und konnte nur entstehen und verhätschelt werden, weil eben diese sezierende Art des Betrachtens herrschte, die meiner Ansicht nach nicht natürlich ist. Ich glaube tatsächlich, daß der Unterschied zwischen Rechtfertigungs- und Schuldaus­ schließungsgründen im Volke nicht verstanden wird, und ich glaube, Herr Minister — um auf I h r Beispiel von vorhin zurückzugreifen — , das Volk macht keinen Unterschied zwischen der Frage: Habe ich Recht gehabt? oder: Habe ich Recht getan? D as ist für das Volk genau dasselbe. Wenn ich an diese Frage rein sprachlich messend herangehe und sie nur logisch, ich möchte sagen, grammatisch betrachte, dann komme ich allerdings zu dem Unterschied von Rechtsertigungsund Schuldausschließungsgründen. Der Förster in Ihrem Beispiel, Herr Minister, hätte sicher keinen Unterschied gemacht, und das Volk würde, glaube ich, diese Unterscheidung auffassen als eine rein ver­ standesmäßig und logisch ausgedachte Unterscheidung, als etwas, was es als eine juristische Spitzfindigkeit bezeichnen würde. D as würde nt. E. das Volk dazu sagen; für das Volk ist dem Schuldbegriff die Rechts­ widrigkeit immanent und kann nicht von ihm getrennt werden.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, die Spitzfindigkeit liegt mehr in der Ausdeutung dieser Worte. (Heiterkeit.) Ich hätte diesen Vorfall im Dialekt erzählen müssen, etwa nach der Art, wie Thoma die Bauern reden läßt. D a ist die Ausdrucksform ungefähr die: Wo steht denn dös geschrieben, daß du dös tun darfst? Aus den zufällig verschiedenen Fassungen abzuleiten, daß das einen verschiedenen S in n hat, ist ein wenig spitzfindig. Ich bitte aber, die Sache mehr von der Antwort­ seite her zu sehen. Die Antwort auf die Frage kann nur lauten: Jaw ohl, du hast ganz richtig getan, du hast recht gehabt, du hast das tun dürfen, oder sie kann lauten: Einen Vorwurf kann man dir daraus nicht machen. Und das ist ein Unterschied, den fühlt das Volk. Unser ganzes gelehrtes Sprechen über Schuld und Rechtfertigung, über Schuldausschließungs- und Rechtsertigungsgründe versteht kein Mensch, der nicht Jurist ist. Aber das fühlt der Mann, wenn ich ihm sage: D as durftest du tun, du hast recht getan, oder ob ich sage: J a , einen Vorwurf kann man dir daraus nicht machen. Entfernen wir uns nicht zu sehr von diesem ganz primitiven, rein sprachlichen Empfinden! Wenn ich sage: Wer in Notwehr ist, ist im Recht, so ist das ein Satz, den jeder Mensch versteht. Ich komme nicht darüber weg, daß es unvolkstümlich ist. wenn wir sagen: Wer in Notwehr handelt, ist schuldlos. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bin der Meinung, daß man mehr nicht tun kann, als daß man jemand sagt: du stehst makellos da, d. h. du bist ohne jede Schuld. Ich bin immer noch der Meinung, es sei mehr, wenn ich zu jemand sage: D u handelst objektiv berechtigt, als wenn ich damit eine Bewertung verbinde. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Auch das ist eine subjektive Bewertung, wenn ich sage: Du hast dein gutes Recht ausgeübt. Ich kann mich nicht davon überzeugen, daß man einem Bauern auf die Frage „Habe ich das tun dürfen?" antworten soll: Ein Vorwurf kann dir daraus nicht gemacht werden, du stehst makellos da. D as versteht er über­ haupt nicht. Aber wenn man sagt: D ir kann man keinen Vorwurf machen, dann würde er das sehr übel nehmen, dann würde er sagen: Ich habe mein gutes Recht ausgeübt. Professor Dr. Dahm: Ich glaube, wir müssen nach einer Formulierung suchen, die nicht auf die alte Unterscheidung von Rechtswidrigkeit und Schuld hinweist. Vielleicht könnte man sagen: „Wer in Notwehr handelt, begeht kein Unrecht". D ann: „Wer im Notstände handelt, verdient keinen Vorwurf" oder ähnlich. D as wären volkstümliche Wendungen, die keine technische Be­ deutung haben.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bitte die Herren zu verstehen, wenn ich mich hier einmal zum Anwalt derjenigen mache, die keine Juristen sind und das Gesetz lesen wollen. Zwischen dem Abschluß der ersten Lesung und heute liegt für mich eine Unzahl von Unterhaltungen mit Leuten, die Nichtjuristen sind. Ich bin oft gefragt worden: Was bedeutet das? Wenn Sie hier hinschreiben: Wer in Notwehr handelt, begeht kein Unrecht, so versteht das jeder Mensch. Und wenn ich sage: Wer in Not­ stand handelt, verdient keinen Vorwurf, so versteht das vielleicht auch jeder. Ich wehre mich nur gegen die vorliegende Fassung, weil ich der Überzeugung bin, daß sich das nicht befriedigend nach außen hin aus­ wirkt. Professor Dr. Kohlrausch: Auf die Frage: gibt es schuldlose rechtswidrige Handlungen, habe ich von drei Herren Antwort bekommen. Herr Professor Dahm antwortete: „nein". Von Herrn Staatssekretär Dr. Freisler habe ich die Antwort bekommen: „ja, nämlich bei Schuldun­ fähigen". Die Frage bleibt offen für Fälle, wo der Täter aus Irrtu m schuldlos handelt. Herr Graf Gleispach bat die Frage nicht beantwortet, sondern mit einer Gegenfrage geantwortet: „gibt es schuld­ hafte, aber nicht rechtswidrige Handlungen?" Diese Frage würde ich ohne weiteres verneinen, auch bei den ihm wohl vorschwebenden Fällen des untauglichen Versuchs. Aber ich sehe nicht, was damit bewiesen oder widerlegt werden soll. Herr Professor Dahm wirft uns alten Leuten unser Trennungsdenken vor. Ich schäme mich dessen nicht. W ir trennen nicht die Dinge, wir versuchen nur, unsere Gedanken zu ordnen. S o auch hier. Und ich behaupte, daß das Ergebnis gesund ist. D as zeigt sich gerade auch an dem Beispiel, das der Herr Minister soeben gebracht hat, bei dem ich davon überzeugt bin, daß das Volk die T at so wertet, wie der Herr Minister uns das geschildert hat, weil eben das stärker Durch­ greifende uns das logisch Prim äre ist, daß die Rechts­ widrigkeit fehlt. (Mittagpause.) Senatspräsident Professor Dr. Klee: Vor der Pause wurde die Meinung vertreten, es gebe eine Schuld ohne rechtswidriges Handeln. Wenn das richtig wäre, dann müßte man in der T at die Schuld als das Entscheidende, das Prim äre ansehen. Aber ich glaube, dieser Beweis, daß es eine Schuld ohne rechtswidriges Handeln gibt, ist nicht erbracht, auch nicht zu erbringen. Die Meinung ist mit dem Hinweis aus den untauglichen Versuch begründet worden. Hier sei es doch allein der Wille, der bestraft werde, es gebe hier also nur eine Schuld ohne rechts­ widrige Handlung. Ich halte das für eine Verkennung des Wesens des untauglichen Versuchs. Es ist richtig, daß hier der Wille im Vordergrund steht, aber er wird doch nur deshalb bestraft, weil er -sich gefährlich be­ tätigt, sich gegen die Rechtsgüter wendet, weil jeden­ falls die Friedensordnung angegriffen wird. D as

trifft letzten Endes auf die Fälle des absolut untaug­ lichen Versuchs in Abs. 3 des § 358 zu, soweit sie dem Richter noch strafwürdig erscheinen. Es ist also nicht richtig, daß es Schuld ohne rechtswidriges Handeln gibt. Es wird ferner aus das Beispiel der Notstands­ handlung bei Gesahrengemeinschast hingewiesen; es gebe da eine Schuld ohne rechtswidriges Handeln. Der T äter sei zwar straflos, aber vom idealen S tan d ­ punkt aus handelt er vorwersbar. Es wurde gesagt, daß hier das Gesetz schweige, weil es Lebenslagen gebe, die nicht mehr von der Rechtsordnung geregelt werden könnten, die gewissermaßen außerhalb des Rechtes ständen. Wenn das so ist, dann ist eben der Täter im S i n n e d e r R e c h t s o r d n u n g entschuldigt, dann hat er zwar rechtswidrig gehandelt, aber er ist nicht schuldig. Und wenn nun gesagt wird, es bliebe hier doch eine Schuld übrig, so wird hier aus einmal ein ganz anderer Schuldbegriss ausgestellt und benutzt, nämlich der Begriff der sittlichen Schuld. Damit hat aber der Schuldbegriss des Strafrechts nichts zu tun. D as Strafrecht interessiert sich für diese Art Schuld nicht. Infolgedessen ist auch nach dieser Richtung der Beweis, daß es Schuld ohne Rechtswidrigkeit gebe, nicht geführt, mithin ist der Satz, daß die Rechts­ widrigkeit immer die Voraussetzung für das Vor­ handensein von Schuld ist, nicht erschüttert. Vizepräsident G rau: Nach wie vor scheint es mir, vom Täter aus betrachtet, richtig zu sein, keinen Unterschied zwischen Schuld und Rechtswidrigkeit zu machen. E s ist nicht etwa so, daß wir einfach sagen wollen: W ir streichen die Rechtswidrigkeit, sondern wir erkennen nur, daß in der Rechtswidrigkeit subjektive Elemente und daß in der Schuld objektive Elemente vorhanden sind, und daß aus diesem Grunde die beiden Begriffe gar nicht voneinander getrennt werden können; sie können vom Täter aus nur als ein einheitliches Gebilde betrachtet werden. Ganz anders kann es nun sein, wenn nicht allein die Täterhandlung betrachtet wird, sondern wenn es sich um eine Handlung der Gegenseite des Täters handelt, deren Bewertung für die Beurteilung der Täterhandlung von Bedeutung ist. Dann ist es durch­ aus möglich, daß bei Bewertung der gegnerischen Handlung diese als rechtswidrig anerkannt wird und daß dieser Begriff der Rechtswidrigkeit auch im S tra f­ gesetzbuch Aufnahme findet. D as würde, in die Not­ wehr übersetzt, heißen, es könnte darin durchaus zum Ausdruck kommen, daß es sich um einen rechts­ widrigen Angriff handeln muß. Weiter entstehen Schwierigkeiten in den Fällen, in denen Notwehr gegen Putativnotwehr, Notwehr gegen Putativnotstand und Notwehr gegen Putativnotstandshilfe ausgeübt wird. Diese Fälle sind viel­ leicht noch nicht befriedigend geregelt; sie müssen natürlich alle zur Straflosigkeit führen. Um ihnen gerecht zu werden, könnte man vielleicht zum Ausdruck bringen, daß in dieser S ituation ein Angriff in der

irrigen Annahme einer Notwehr oder einer Not­ standslage rechtswidrig ist. Wenn man das zum Aus­ druck brächte, dann würde auch dieses Bedenken gegen die vorgeschlagene Regelung ausgeräumt sein. Ich möchte dann noch ein W ort zu dem vorge­ schlagenen § 378 sagen. Herr Professor Klee hat heute morgen ausgeführt, wenn man den Absatz 1 stehen ließe, dann wäre der Überzeugungstäterschaft Tür und Tor geöffnet. Dagegen möchte ich mich entschieden wenden; denn davon kann durchaus keine Rede sein. Es ist doch so: wenn die Überzeugung des Täters auf einer volkssremden Einstellung beruht, dann gilt ohne weiteres § 378 Abs. 2. Die anderen Fälle, wo die Überzeugung des Täters nicht auf einer volkssremden Einstellung beruht, werden durch Absatz 1 befriedigend geregelt. Denn da steht doch drin, daß Voraussetzung für die Straflosigkeit ist, daß der Täter ohne Fahr­ lässigkeit im Einzelfall angenommen hat und an­ nehmen durfte, durch seine T at kein Unrecht zu tun. Ich kann nicht verstehen, wie darunter etwa ein Über­ zeugungstäter fallen sollte. Ich lege aber aus den Absatz 1 keinen großen Wert; denn es ist ja nur der Umkehrschluß aus dem bereits angenommenen Satz, daß der verbrecherische Wille die Strafbarkeit begründet. Professor Dr. Dahm: Ich bin auch für die Streichung des § 378 in den Vorschlägen des Antrags Grau, weil er nur den Umkehrschluß aus § 378 Abs. 3 enthält. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte auch bitten, den § 378 in dem Vor­ schlag Grau zu streichen. Meiner Auffassung nach stellt dieser Paragraph in Frage, was wir gerade gewonnen haben. W ir gehen bei dem Schuldbegriss zum normativen Schuldbegriff über; dieses wichtige Ergebnis stellen wir wieder in Frage, wenn wir dieses normative Element aus der Definition der F ahr­ lässigkeit herausnehmen und es bei der Notwehr mit dem Gesichtspunkt des Negativen verbinden. W ir können also den ganzen § 378 streichen und uns mit dem begnügen, was wir in den §§ 373 und 375 gesagt haben. Reichsjustizminister Dr. Güriner: Wenn ich Herrn Vizepräsident Grau richtig ver­ standen habe, will er doch an den Definitionen des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit nichts geändert haben. (Vizepräsident Grau: Ich bin auch durchaus mit der Streichung einverstanden!) — Dann würden wir also das, was hier im § 378 Abs. 1 aufgeführt ist, nirgendwo erwähnen. Das scheint mir auch richtig zu sein. Beim Absatz 2 ist die Frage, ob das zum Vorsatz oder zu den Schuldausschließungsgründen gehört. Nach meiner Meinung muß es beim Vorsatz stehen, also beim § 373. Was nun den § 379 Abs. 2 betrifft, so scheint mir außer aller Frage zu sein, daß er so lauten muß, wie

er dasteht, aber unter Hinzufügung des Wortes „rechtswidrigen" zwischen „gegenwärtigen" und „Angriff". Der nächste Absatz ist nicht bestritten worden, es käme also der letzte Absatz, der seinem Sinne nach auch nicht bestritten worden ist. Professor D r. Dahm: Herr Mezger hat die Worte „oder dem Gefähr­ deten" angegriffen. D as halte ich für richtig. Es kommt darauf an, ob vom Täter erwartet werden durfte, den Angriff zu dulden. Auch ich bin der Meinung, daß diese Worte gestrichen werden müssen. (Staatssekretär D r. Freister: Der Absatz ist ja jetzt überhaupt überflüssig.) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei § 379 Abs. 1 ist lediglich die Fassung des Prädikats umkämpft worden. Nun haben sich die Meinungen dahin genähert, daß man nicht mehr sagt, Rechtswidrigkeit und Schuld seien zwei identische Dinge, aber andererseits auch nicht sagt, Rechtswidrig­ keit und Schuld seien zwei Dinge, die sich am Ende gar ausschließen. Ich glaube, die Debatte führt nicht weiter. M ir käme es darauf an, zu wissen, wie man am besten den ersten Satz der Notwehr formuliert. Vielleicht: „Wer in Notwehr handelt, ist im Recht". (Zuruf.) — E s wird vorgeschlagen: „Wer in Notwehr handelt, handelt recht". M ir kommt es dabei gar nicht daraus an, eine Theorie zum Ausdruck zu bringen, sondern ein Bild zu zeichnen, das absolut eindeutig und gemeinverständlich ist. Staatssekretär Dr. Freisler: Der Vorschlag wird gemacht unter der Voraus­ setzung, daß genau dasselbe beim Notstand gesagt wird. Sonst ist wieder die Meinungsverschiedenheit da. Recht ist ja eben nichts weiter als Schuldfreiheit. M an kann keinen Unterschied in der Bewertung des Notstandhandelns und des Notwehrhandelns machen. Deshalb mache ich denselben Vorschlag für den Not­ stand. D as ist ja gerade des Wesentliche, daß auch hier in der gleichen Weise darauf reagiert wird. Professor Dr. Mezger: E s muß zweckmäßigerweise zunächst noch einmal ganz klargestellt werden, daß der Entwurf jetzt nicht nur zwei, sondern d r e i B e g r i f f e verwendet: Schuld, objektive Rechtswidrigkeit und als neuen Begriff zwischen beiden den Begriff U n r e c h t . Der letzte Begriff wird noch weiterer künftiger Klärung bedürfen, wesentlich ist aber, daß er subjektive und objektive Momente kombiniert. Bei diesen drei Begriffen handelt es sich also jeweils um Akzentverschiebungen, einmal nach der subjektiven, das andere M al nach der objektiven Seite hin. Nach meinem Gefühl handelt es sich nun auch zwischen Not­ wehr und Notstand um eine solche Akzentverschiebung. Wenn der Entwurf die genannten drei Begriffe ver­ wendet, wäre es also auch durchaus angezeigt, bei der Notwehr einen Ausdruck zu verwenden, der stärker an

die objektive Unterscheidung von Recht und Unrecht anklingt; ob das mit: „kein Unrecht", oder mit: „Recht" ausgedrückt wird, ist eine Frage für sich und von geringer Bedeutung. Dagegen liegt beim Not­ stand der Akzent anders. Bei ihm wird deshalb am besten nur die strafrechtliche Folge herausgehoben, also gesagt: „ist schuldlos". Wenn man nämlich auch hier das „Recht" zu stark betont, so besteht praktisch die Gefahr, daß daraus die Folgerung gezogen wird, a l l e s Handeln im Notstand sei objektiv rechtmäßiges Handeln; dann würde man zu dem unsachgemäßen Ergebnis kommen, daß gegen Notstandshandlungen niemals Notwehr zulässig wäre. Mein Antrag geht also dahin, in § 380 zu sagen: „Wer in Notstand handelt, ist schuldlos", dagegen in § 378 Abs. 1: „Wer in Notwehr handelt, ist im Recht". Staatssekretär Dr. Freisler: D as bedeutet also die Aufrechterhaltung des Gegensatzes zwischen den Rechtfertigungsgründen und den Schuldausschließungsgründen. Nun denke ich wieder an die Beispiele von dem Förster, der aus den Wilderer geschossen hat, und von dem Kapitän, der auf dem Ozean gesehen hat, daß er das Schiff mit den 300 Passagieren nur retten kann, wenn er die Schotten schließen und die Heizer ertrinken läßt. Es ist gesagt worden, der Förster könne verlangen, daß man sagt: du hast rechtmäßig gehandelt. Ich bin der Meinung, daß der Kapitän genau dieselbe Antwort zu beanspruchen hat. Deshalb glaube ich, daß da überhaupt kein Unterschied in der Bewertung vor­ handen ist. M an müßte daher in beiden Fällen sagen: er handelt recht. Ich allerdings fasse dieses „handelt recht" auf als „handelt schuldlos" und glaube, daß es bei dem Notstand genau so auszulegen wäre. Bei solcher Formulierung würde man also den Unterschied zwischen den Rechtsertigungsgründen und den Schuldausschließungsgründen nicht mehr aufrecht­ erhalten. E r kann meines Erachtens auch gar nicht aufrechterhalten werden. Wer in Putativnotwehr handelt, handelt natürlich auch recht. Ich verstehe ja unter „recht" das Adverb, das nichts anderes bedeutet wie: er handelt so, daß kein Makel an ihm bleibt. D as gilt für den, der in Putativnotwehr handelt, genau so wie für den, der in echter Notwehr handelt. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: D arf ich fragen, Herr Staatssekretär: Wie ist nach Ih re r Meinung das Problem des Widerstandsrechts gegen Notwehr und Notstand zu beurteilen? Staatssekretär D r. Freisler: Muß sich der Betroffene eine echte Notwehrhand­ lung gefallen lassen? — J a , die muß er sich natürlich gefallen lassen. Und zwar ergibt sich das nicht aus der Beurteilung des Handelns des in Notwehr Handelnden, sondern aus der Natur des Angriffs, gegen den sich die Notwehr richtet. D a haben wir doch vom rechtswidrigen Angriff gesprochen. D as hat aber nichts zu tun mit der Frage der Bewertung des Handelns des in Notwehr Handelnden.

Was die Notstandshandlung betrifft, so habe ich schon daraus hingewiesen, daß gegen diese Konstruk­ tion an sich mit viel mehr Recht der Einwand geltend gemacht werden könnte, daß wir demjenigen, der in Notstand handle und damit schuldlos und recht handle, nicht sagten: Dein Handeln ist an sich rechtswidrig. Wenn wir ihm das sagen würden, so würde sich daraus für die Beurteilung der Frage, ob ein anderer diese Handlungen dulden muß, ergeben, daß es sich um einen an sich rechtswidrigen Angriff handelt. Ich bin ja der Meinung, wie ich schon bemerkt habe, daß das ausdrücklich hier hervorgehoben werden müßte. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Von meinem Standpunkte aus ist das leicht zu beantworten. Ich würde sagen: Gegen den Notwehr­ täter gibt es keinen Widerstand, weil er sich gegen einen rechtswidrigen Angriff verteidigt, oder, mit anderen Worten, weil er rechtmäßig handelt; denn eine Verteidigung gegen einen rechtswidrigen Angriff ist immer rechtmäßig. Beim Notstand liegt es anders. Denken wir an den schon erwähnten Fall, daß sich zwei wertvolle Hunde ineinander verbeißen. Warum soll dem Eigen­ tümer des einen Hundes erlaubt sein, den anderen Hund zu töten, und nicht dem Eigentümer des anderen, sich gegen diese Notstandshandlung zu wehren? Ich glaube, bei Notstandshandlungen wird man dem Be­ troffenen ein Widerstandsrecht schon geben müssen. Staatssekretär Dr. Freisler: D as Beispiel mit den beiden gleich wertvollen Hunden paßt nicht, weil dabei die Entscheidung beein­ flußt ist durch das Gefühl der Gleichwertigkeit des entstehenden Schadens. Aber ein anderes Beispiel: Der A dringt in den S ta ll des B ein, um dessen Pferd herauszuholen und damit zum Arzt zu rasen, weil sein Kind schwer erkrankt ist. E s entsteht die Frage, ob der B den A mit Gewalt hindern darf, ihm das Pferd für Zeit wegzunehmen. Hier ist das Problem nicht kompliziert durch die Frage der Gleichwertigkeit des Schadens. Diese Frage ist nach meiner Meinung genau so zu beantworten wie die der Notwehr gegen Notwehr. Ich kann mich zwar in Putativnotwehr befinden, ich kann mich aber gegen diese Notstands­ handlung nicht mit Notwehr wehren, wenn ich erkenne, daß es darum geht, den Arzt rechtzeitig an das Krankenbett zu bringen. Die Entscheidung ist also entsprechend so wie bei der Notwehr selbst. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Dagegen wäre vielleicht zu sagen: es liegt nicht immer so, daß wir es mit verschiedenwertigen Gütern zu tun haben. Es gibt auch den F all der gleichwertigen Güter. Und da geben S ie selbst zu, daß die Ent­ scheidung schwierig ist. Wenn man bei dem Beispiel von den beiden Hunden bleibt, ist die Frage sicherlich anders zu beantworten. (Staatssekretär Dr. Freisler: Nein, ich kann sie dann auch nicht anders behandeln.)

Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn S ie dieser Meinung sind, wenn S ie sagen, auf der einen Seite ist der Schaden größer als aus der anderen, dann hat doch dieses Problem gar nichts zu tun mit dem Aufziehen der Notwehr und des Not­ standes, sondern dann ist das ein ganz internes Not­ standsproblem. Dann müssen S ie eben erklären, daß man nicht ohne weiteres im Notstand handelt, wenn man — in Ihrem Beispiel — den anderen Hund totschlägt. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: D as kommt auf den Vorschlag von Herrn P ro ­ fessor Dahm hinaus, den Notstand von der Notwehr in etwa zu disserenzieren, und zwar dadurch, daß man sagt: Dem Notstandstäter ist seine Handlung nicht zum Vorwurf zu machen. (Staatssekretär Dr. Freisler: D as wäre keine Differenzierung; dasselbe gilt ja auch bei der Notwehr.) Professor Dr. Dahm: E s handelt sich bei diesem Vorschlag nur um eine sprachliche Unterscheidung. Sachlich ist beides dasselbe. Professor Dr. Kohlrausch: W ir sind bei der ersten Lesung nach gründlicher Überlegung dahin gekommen, bezüglich der Notwehr z w e i F r a g e n z u u n t e r s c h e i d e n : zunächst, ob eine Verteidigung erlaubt werden darf, und dann, wenn sie erlaubt wird, wie weit sie gehen darf. W ir haben das in unserem Entwurf zum Ausdruck gebracht, indem wir den Absatz 2 eingeschoben haben. Ich halte diese doppelte Fragestellung für richtig, ja für not­ wendig. S ie kommt auch zum Ausdruck in den Vor­ schlägen der Herren Sachbearbeiter und in den Vor­ schlägen von Herrn Leimer. I n dem Antrag G rau kommt sie insofern zum Ausdruck, als in Absatz 3 gesagt wird: „Notwehr liegt nicht vor, wenn nach gesunder Volksanschauung vom T äter oder dem Ge­ fährdeten erwartet werden muß, den Angriff zu dulden". Ich nehme an, daß darin ungefähr der Ge­ danke liegen sollte; aber ich finde die Fassung in den drei anderen Vorschlägen richtiger. Denn wenn Not­ wehr das ist, was Herr Grau im zweiten Absatz als Notwehr definiert, kann man nicht sagen, daß sie nicht vorliegt, wenn der Betreffende verpflichtet ist, den Angriff zu dulden. Sie liegt dann vielmehr zwar vor, aber sie ist unter Umständen strafbar. Wenn ich mich zwischen dem Antrag Leimer und dem Antrag der Herren Sachbearbeiter entscheiden soll, halte ich die Fassung Leimer für klarer. Von der gesunden Volksanschauung ist meines E r­ achtens hier an der falschen Stelle die Rede. Sie kann den Maßstab dafür abgeben, ob man sich verteidigen darf, oder ob man dem Angriff vernünftigerweise aus­ weichen muß. Aber wie weit man dann gehen darf, das richtet sich nach dem M aß und der Stärke des Angriffs. Ich würde also glauben, daß wir richtiger handeln, wenn wir die gesunde Volksanschauung hier herauslassen, würde also dem Antrag Leimer den Vorzug geben.

Was die Falle betrifft, die hier genannt worden sind, z. B. den F all des Schiffskapitäns, der einen Teil der Menschen opfert, um den größeren Teil zu retten, so weiß ich nicht, ob wir uns hier nicht aus einer falschen Linie bewegen. Ich bin der Meinung, daß es sich hier überhaupt nicht um Notstandsfälle handelt. Wenn wir uns aber nicht ein großes Seeschiff denken, sondern etwa annehmen, daß eine kleine Segeljolle mit 5 oder 6 Leuten in eine Lage gerät, in der sich diese sagen müssen: w ir müssen jetzt einen über Bord werfen, sonst gehen wir unter, und das geschieht: dann ist mir die Rechtmäßigkeit doch zweifelhaft. Jedenfalls wäre ihr Tun nicht einfach deshalb rechtmäßig, weil sie fünf retten wollen und deshalb einen opfern. Auch bei dem Ozeandampfer w ar das Verhalten des Kapi­ täns nicht deshalb und nur dann rechtmäßig, weil und wenn zahlenmäßig mehr Menschen gerettet als geopfert wurden. Ich glaube, diese Fälle erledigen sich mit der Erwägung der generellen Erlanbtheit eines bestimmten Handelns in bestimmten typischen Situationen. Alle diese etwas groben Abwägungen der sich gegenüberstehenden Interessen erwecken in mir i m m e r s t ä r k e r e Z w e i f e l daran, ob die deut­ schen Entwürfe auf dem richtigen Weg sind, wenn sie sich bemühen, a l l e Notstandsmöglich­ k e i t e n e r s c h ö p f e n d z u r e g e l n . Ich glaube, es ist sehr richtig gewesen, daß unser geltendes S traf­ gesetzbuch sich nur mit den Fällen des § 54 beschäftigt hat, wo dem Selbsterhaltungstrieb und dem Familien­ erhaltungstrieb Rechnung getragen wird. W as dar­ über hinaus an echten Notrechten zu gewähren war, ist zur Zeit ganz vernünftig in den einzelnen Ge­ bieten untergebracht, wo solche Rechte in Frage kommen können. Ich finde es durchaus sachgemäß, daß die Fälle, in denen man das Recht hat, eine fremde Sache zu opfern oder zu schädigen, im Bürger­ lichen Gesetzbuch geregelt sind. Daß die Ausübung dieses Rechts nicht strafbar machen kann, ist dann die selbstverständliche Folge. Ich glaube nicht, daß Schwierigkeiten entstehen würden, wenn wir diese Fälle dort lassen, und zwar im wesentlichen so, wie sie sind. Die kleinen Unstimmigkeiten, die in meinem Beispiel der Bibliotheksrettung und ähnlichem zum Ausdruck kommen, haben praktische Schwierig­ keiten wohl nicht gebracht. Eine Herübernahme der ganzen Materie in das Strafgesetzbuch zwingt zu Ver­ allgemeinerungen. Und der Gedanke der Güterab­ wägung eignet sich nun einmal zu solcher Verallge­ meinerung nicht. Es gehört zu der Frage, wieweit man über S a c h g ü t e r verfügen darf — darüber hinaus paßt dieser grobe materialistische Maßstab nicht. Ich würde also glauben, daß wir mit § 380 Abs. 4 hier auskommen und daß w ir den § 379 des Entwurfs erster Lesung und ebenso Absatz 2 und 3 des § 380 streichen sollten. D ann haben wir freie Hand, den Notstand, der Übrigbleibt, den des § 380 Abs. 1, als einen echten Schuldausschließungsgrund zu behandeln,

und sind den Dualismus der Notstände los, der doch, wie mir scheint, uns allen widerstrebt. Die Erfahrung zeigt, wie mir scheint, daß das Vollständigkeitsstreben der deutschen Entwürfe un­ richtig war. Ich habe es selber seiner Zeit begrüßt, scheue mich aber nicht, einzugestehen, daß es doktri­ när war. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe den Eindruck, daß eine besondere Vor­ liebe dafür, die Aufspaltung des Notstandes aufrecht­ zuerhalten, überhaupt nicht besteht, sondern daß im großen ganzen eigentlich von allen die Meinung geteilt wird, es genügt, den Notstand als Schuldaus­ schließungsgrund zu bezeichnen in der Form : „Wer in Notstand handelt, ist ohne Schuld". Senatspräsident Professor Dr. Klee: Es gibt doch auch Notstandsfälle, z. B. die Fälle des Übergesetzlichen Notstandes, in denen nach der Wissenschaft und Praxis der T äter zweifellos das Recht hat, das wertvollere Gut aus Kosten des gerin­ geren zu retten. Ein bloßer Entschuldigungsgrund kommt hier nicht in Frage. Aus dem Ausbau der Rechtsgüterwelt, aus dem Gedanken des über­ wiegenden Interesses — Güterabwägungsprinzip — ergibt sich die Rechtmäßigkeit ohne weiteres. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D ann fürchte ich, daß aus diesem Wege eine Ver­ ständigung nicht möglich ist, und zwar deswegen nicht, weil Schuld und Unrecht verschieden aufgefaßt werden. D as ist aber nicht möglich; das wird mir immer klarer; das können wir im Diskussionswege nicht irgendwie zu einer Synthese bringen, sondern wir können nur versuchen, einmal von dem Standpunkte auszugehen, der von einem Teil der Herren vertreten wird: „Wer in Notwehr handelt, ist ohne Schuld". Ich frage jetzt diejenigen, die das so wünschen: S ind Sie dann damit einverstanden, daß der Angriff trotz­ dem als rechtswidrig bezeichnet wird? Antwort: J a . D as ist heute vormittag mit guten Gründen ausein­ andergelegt worden. Zweitens — diese Frage richte ich an Herrn Kollegen Grau — : Wenn S ie sich ent­ schließen, das Wort „rechtswidrig" als Attribut zum Angriff zu setzen, brauchen Sie dann den Absatz 3 überhaupt noch? (Vizepräsident G rau: Ich glaube, doch!) — Sie meinen: Auch dann, wenn wir die Rechts­ widrigkeit natürlich nicht als Gesetzwidrigkeit, sondern als Rechtswidrigkeit in unserem Sinne auffassen, würden S ie noch diesen Regulator brauchen? (Zustimmung des Vizepräsidenten Grau.) Staatssekretär Dr. Freister: Die Rechtswidrigkeit des Angriffes muß ja vor­ liegen, wenn Absatz 3 überhaupt zum Zuge kommen soll. Absatz 3 handelt gar nicht von der N atur des Angriffs, sondern von dem Maß des Antwortens. Deshalb glaube ich, daß jedenfalls durch das Hinzu­ setzen des Umstandes, daß der Angriff rechtswidrig

sein muß, noch nichts gesagt ist über das M aß des Antwortens auf diesen Angriff. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Gut, ich will das einmal gelten lassen. Absatz 4 -würde also lauten: „Notwehr liegt nicht vor, wenn nach gesunder Volksanschauung vom T äter oder dem Gefährdeten erwartet werden muß, den Schaden zu dulden". D as letztere ist mir nicht klar geworden, Herr Vizepräsident Grau. D as ist doch der Gedanke einer Notwehrhilfe für den anderen, nicht wahr? (Vizepräsident G rau: Das kann man, glaube ich, streichen!) — Es ist mir nicht klar, ob man das streichen kann; denn der Notwehrtäter wird ja nicht angegriffen, sondern angegriffen wird ein Zweiter, und die gesunde Volksanschauung entscheidet darüber, ob dieser Zweite den Angriff dulden muß. Kann man das weglassen? (Staatssekretär Dr. Freister: Nein!) Professor Dr. Mezger: Ich wäre in § 380 Abs. 1 für Streichung des Hin­ weises auf den „Gefährdeten", weil es für die straf­ rechtliche Beurteilung nur auf denjenigen ankommt, der eingreift. Wenn beispielsweise der Vater seinen Sohn aus der Gefahrenlage rettet, so kann es vor­ kommen, daß der Sohn die Lage verschuldet hat und deshalb selbst in der Abwehr beschränkt ist, aber in der Person des Vaters doch Grund zu solcher Abwehr gegeben ist. Die strafrechtliche Beurteilung darf ledig­ lich den ins Auge fassen, der die Abwehrhandlung vornimmt, hier also den Vater. Nur in bezug aus diesen kommt die Beurteilung nach der gesunden Volksanschauung in Frage. Deshalb ist es unlogisch, in § 380 Abs. 1 den „Gefährdeten" neben dem Täter zu nennen. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: M ir ist das noch nicht klar geworden, und ich wäre dankbar, wenn ein Beispiel beigebracht werden könnte. Der Fall: „oder dem Gefährdeten" verlangt drei Personen. Ich sehe, wie einer auf der Straße überfallen wird, und will nun den Angriff abwehren. D as ist eine Notwehrhandlung. Es heißt in dem Paragraphen: . . von sich oder anderen abzu­ wenden . . . Notwehr liegt nicht vor, wenn nach gesunder Volksanschauung erwartet werden muß — und zwar vom T äter — den Angriff zu dulden". Der Täter — bin ich in dem Falle — ist der Not­ helfer. Von mir kann man doch nicht verlangen, daß ich den Angriff dulde. Staatssekretär Dr. Freisler: D arf ich ein Beispiel geben, das allerdings im Leben nicht oft vorkommen wird! Auf der Straße geht ein 16jähriges Mädel, und sonst ist auf der Straße nur noch ein fremder M ann zu sehen. Dieses 16jährige Mädel weiß: an dieser Stelle kommt in einer Viertelstunde das Auto des Führers vorbei. Daneben ist ein Garten, in dem Blumen sind. S ie dringt in den Garten ein, um schnell einen Blumen­

strauß zu pflücken und ihn dann zu überreichen. Der Gefährdete ist der Besitzer des Gartens. Dieser müßte nach gesunder Volksanschauung den Angriff auf seine paar Blumen dulden. Der Dritte auf der Straße darf hiergegen nicht vorgehen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Also müssen Sie das Wort darin lassen!) — J a , das muß darin bleiben. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist mir ganz klar, und darüber kann man nicht streiten. Ich muß doch die gesunde Volksan­ schauung sich richten lassen mit der Front gegen den Gefährdeten, nicht gegen mich. (Staatssekretär Dr. Freisler: J a ! ) — Oder täusche ich mich? Professor Dr. Dahm: Die gesunde Volksanschauung erlaubt, weil die Situation so ist, auch mir jetzt nicht, zugunsten des Blumenbesitzers einzugreifen. E s kommt nur auf mich an; ich stehe als Angeklagter vor Gericht. Weil der Blumenbesitzer dulden muß, daß das Mädchen den Blumenstrauß herausnimmt, bin auch ich nicht berechtigt, jetzt einzugreifen, sondern auch von mir erwartet die gesunde Volksanschauung, daß ich das dulde. (Senatspräsident Professor D r. Klee: Es kann kein Schaden entstehen, wenn es so bleibt!) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S o kann man es auch auslegen; aber man kommt erst auf einigen Brücken dazu. Ministerialdirektor Dr. Dürr: Ich bin auch der Meinung, daß es stehen bleiben muß. Notwehr ist in erster Linie gegeben, wenn man sich selbst verteidigt. Wenn man den Begriff auf den Schutz eines anderen ausdehnt, dann muß man die Sachlage so beurteilen, wie wenn der Nothelfer an der Stelle des Gefährdeten wäre. Wenn Herr P ro ­ fessor Dahm sagt, in dem besprochenen Falle müsse der Dritte den Angriff dulden, so ist das sprachlich gar nicht möglich. Den Angriff duldet nicht derjenige, der zu Hilfe kommt, sondern der Gefährdete. Ich möchte aber noch sagen: Wenn nur von Dulden ge­ sprochen wird, so ist dies nicht ausreichend; denn Notwehr soll auch ausgeschlossen sein, wenn man dem Angriffe besser ausweicht. Nun meine ich im Gegen­ satz zu Herrn Professor Kohlrausch, daß w ir eine Ein­ schränkung brauchen. W ir alle haben die Regelung des geltenden Rechtes als zu starr empfunden, wonach jede Verteidigung erlaubt und rechtmäßig ist, die zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs erforderlich ist. Nötig ist eine Einschränkung hinsichtlich des Ob und des Wie. D as geschieht aber besser nach dem Antrage der Herren Sachbearbeiter. E s muß die gesunde Bolksanschauung darüber entscheiden, ob und in welchen Grenzen gegenüber einem rechtswidrigen Angriffe eine Abwehr zulässig ist.

Ministerialdirektor Schäfer: wollte mich zu dem Vorschlage des Herrn Staatssekretär Dr. Freister äußern, in den beiden Paragraphen zu sagen: „Handelt recht", und zu der Frage, ob man glauben kann, damit den Unterschied zwischen Rechtfertigungs- und Schuldausschließungs­ gründen zu beseitigen. Ich gehe davon aus, daß man bei der Notwehr formulieren würde: „Wer Notwehr übt, handelt recht". Ic h

(Staatssekretär Dr. Freister: Und auch beim Notstand!) — Wenn ich mir nun die Frage vorlege, ob man das auch beim Notstand sagen könnte, so möchte ich diese Frage bejahen. Ich persönlich würde allerdings meinen, daß man in beiden Fällen damit gesagt hat: „. . . . handelt rechtmäßig", und daß man sachlich die Notwehr und den Notstand gleich behandeln kann. D as zeigt auch die Literatur; diese Anschauung ist oft genug vertreten worden, wie ein Blick in das BGB. erweist. D as BG B . behandelt Notwehr und Notstand gleichmäßig als Rechtfertigungsgrund. D as könnte man durchaus tun. Ich könnte mir denken, daß man in dem Fall, den Herr Staatssekretär Dr. Freister zur Diskussion stellte, den F all des Seemanns, der die Anordnung trifft, sagt: Dieser Seemann hält sich im Einklang mit den Vorschriften der Rechtsordnung. Von meinem Standpunkt aus würde ich also sagen: Auch er handelt rechtmäßig. Ich könnte mir sogar denken, daß man sagt, wenn gleichwertige Güter auf beiden Seiten auftreten — das ist das Beispiel, das Herr Dr. von Dohnanyi brachte — : Der eine wie der andere handelt rechtmäßig, der eine wie der andere hält sich im Einklang mit der Rechtsordnung und handelt insofern recht. Dabei verstehe ich allerdings unter Recht Rechtmäßigkeitsgrund, Rechtsertigungsgrund. Dagegen würde ich nicht glauben, daß wir damit den Unterschied zwischen Rechtfertigungsgründen und Schuldausschließungsgründen beseitigt hätten. Das hängt ab von der Frage, wie man die Jrrtum sfälle, die Putativfälle behandelt. Da kann man nicht sagen, daß die Fälle gleichliegen. E s gilt wohl der Satz, daß man sich gegen Notwehr nicht verteidigen darf; aber es kann nicht der Satz gelten, daß man sich gegen Putativnotwehr oder Putativnotstand nicht ver­ teidigen dürfe. Ein ganz einfaches Beispiel! Abends in der Dämmerung tritt ein fremder M ann auf mich los. Es ist ein Wegelagerer, der mir die Börse ab­ nehmen will. Ich schlage auf ihn los, übe Notwehr. E r darf sich nicht dagegen verteidigen. Derselbe Fall: E s ist der Geheimrat Soundso, der in der Dämme­ rung spazierengeht, der mich um Feuer ansprechen will und auf mich zutritt. I c h meine: Jetzt will er mich angreifen, um mir die Börse abzunehmen, und ich schlage auf ihn los; ich handle in Putativnotwehr. Der Geheimrat darf sich doch selbstverständlich ver­ teidigen. D as zeigt doch, daß die Fälle der P utativ­ notwehr und der echten Notwehr verschieden liegen, (Widerspruch des Staatssekretärs Dr. Freister.)

— daß man sie gar nicht gleich behandeln kann. Darüber kommen wir durch keine Diskussion hinweg: Gegen Notwehr darf ich mich nicht verteidigen; gegen Putativnotwehr darf ich mich verteidigen. Beim Not­ stand und beim Putativnotstand ist es ganz ent­ sprechend, wenn man Notstand aus einer Ebene wie Notwehr behandelt. Staatssekretär Dr. Freisler: D as ist so zu lösen, daß man zunächst einmal erklärt, die Frage: „Darf ich mich gegen das eine verteidigen oder gegen das andere nicht verteidigen?" ist überhaupt nicht zu stellen; denn sie ist bereits eine Folge der Einstellung des Herrn Direktor Schäfer; es ist die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechts­ widrigkeit des Tuns. F ü r das Strafgesetz ist allein die Frage zu stellen: Wenn du so handelst, wie bist du dann zu beurteilen? Dann ist die Sache ganz klar. I n dem einen Falle, in dem der echte Räuber auf mich loskommt, entsteht keine Schwierigkeit: verteidigen darf der Räuber sich nicht. I n dem anderen Falle, in dem ich den Geheimrat mit dem Stock geschlagen habe, ist bezüglich der Frage: „Was geschieht mit mir, weil ich mich gegen den Geheimrat gewandt habe?" einfach zu erklären: Ich bin ohne Schuld; das ist die einfache Putativnotwehr. Und bei dem Geheimrat ist die Frage folgendermaßen zu beantworten: Der Geheimrat hat sich einem rechtswidrigen Angriff gegenübergesehen. W ir haben von Anfang an erklärt, daß sich aus der Beurteilung des T uns des einen noch nichts für die Beurteilung des Tuns des anderen ergibt; denn für die Frage, ob nun der Geheimrat zu bestrafen ist, weil er sich zur Wehr gegen den Stock­ hieb gesetzt hat, ist es vollkommen gleichgültig, wie der Gesetzgeber und der Richter die Handlung des Spaziergängers beurteilt. D araus, daß man sagt: „Wenn der Betreffende sich gegen den aus dem Dunkel herauskommenden M ann wehrt, so hat er recht ge­ handelt", ist noch nicht die Frage beantwortet, ob nun der Geheimrat sich einem rechtswidrigen Angriff gegenübersah oder nicht. Ministerialdirektor Schäfer: I n der Terminologie des Herrn Staatssekretär Dr. Freisler möchte ich bezüglich des Spaziergängers in beiden Fällen sagen, daß er nicht schuldhast handelt. Gegenüber dem Räuber und gegenüber dem Geheim­ ra t handelt er nicht schuldhaft; es ist also ein Schuld­ ausschließungsgrund gegeben. Dieser Schuldaus­ schließungsgrund ist aber in Wahrheit ganz ver­ schieden. Es gibt einen Schuldausschließungsgrund, der eine Verteidigung zuläßt, und es gibt einen Schuldausschließungsgrund, der eine Verteidigung nicht zuläßt. D as heißt doch nichts anderes, als daß es zwei verschiedene Arten der Schuldausschließungs­ gründe gibt. Nur die Terminologie ist verschieden. Wo es keine Verteidigung gibt, sprechen wir von rechtfertigenden Schuldausschließungsgründen, und im anderen Falle sprechen w ir von nicht rechtferti­ genden Schuldausschließungsgründen. D as ist, wie m ir scheint, nur ein S treit um Worte. Die Ver­ schiedenheit können wir nicht aus der Welt schassen.

Staatssekretär Dr. Freister: Daß Rechtfertigungsgründe und Schuldaus­ schließungsgründe nichts Verschiedenes sind, ergibt sich schon aus dem Wort „Rechtfertigungsgrund". Ein Rechtfertigungsgrund ist ein Grund, den ich anführe, um mich zu rechtfertigen. Auch dieses Wort ist als Wort schon so aufgebaut, daß es subjektiv eingestellt ist. Rechtfertigen tue ich mich in gleicher Weise, wenn ich irrig gemeint habe, mich einem rechtswidrigen Angriff gegenüber zu befinden, wie auch, wenn ich nicht irrig, sondern richtig gemeint habe, mich einem rechtswidrigen Angriff gegenüber zu befinden. D as ist also beides nach der inneren Begründung und auch nach den Folgen dasselbe. Ich bin der Meinung, daß der Wunsch, da eine Unterscheidung zu finden, teil­ weise mitbegründet ist durch eine Vorstellung vom Recht als einem subjektiven Recht, das etwa gar zu Ansprüchen führen könne, zu dem Anspruch, etwas zu dulden, während ich der Meinung bin, daß dieser Begriff des Rechts weder mit der Notwehr noch mit dem Notstand irgend etwas zu tun hat, sondern ein typisch zivilistischer Begriff ist, der in das Strafrecht überhaupt nicht hineingehört. Auch der Kapitän, der die Schotten geschloffen hat, hatte nicht ein Recht hierzu in irgendeinem zionistischen Sinne, sondern er hat im Grunde gar nicht in Ausübung eines Rechts, sondern in Ausübung einer Pflicht gehandelt. Derjenige, der in den S ta ll des Nachbarn hinein­ gegangen ist, um dort das Pferd herauszuholen, oder in die Garage des Nachbarn, um ein Auto heraus­ zufahren, um schnell einen Arzt für seine F rau oder sein Kind zu beschaffen, handelt auch nicht in Aus­ übung eines Rechts, sondern in Ausübung einer Pflicht, auch wenn dies zu eigenen Gunsten geschieht. Wenn etwa ein M ann, der von einer Schlange ge­ bissen worden ist und kein Gegenmittel hat, in die Garage des Nachbarn stürzt, um dessen Auto zu einer F ahrt in die S tadt zum Arzt zu benutzen, so handelt er im Grunde nicht in Ausübung eines Rechtes, aus dem der Anspruch folgt, daß der andere diese Aus­ übung dulden muß, sondern er handelt ebenfalls in Ausübung einer Pflicht; denn diese Pflicht besteht auch ihm selbst gegenüber. Ich habe so das Gefühl, als ob der Wunsch der verschiedenen Bewertung oder der Gedanke, daß man Notwehrhandlung und Not­ standshandlung verschieden bewerten müsse, letzten Endes davon diktiert ist, daß man meint: Bei der Notwehr habe ich durch den rechtswidrigen Angriff des Gegners, weil dieser durch einen menschlichen Willen diktiert ist, so etwas wie einen Anspruch auf Duldung gegen ihn bekommen, und deshalb handle ich rechtmäßig; in dem Falle des Notstandes gibt es aber keinen solchen Angriff, der durch einen Willen diktiert ist, und infolgedessen ist kein Anspruch ent­ standen; ich handle deshalb nicht rechtswidrig, aber verständlich, entschuldigt. D as scheint mir eine der Ursachen für die verschiedene Betrachtung dieser Dinge zu sein. E s liegt aber in Wirklichkeit gar nicht so, weil man mit dem Begriff des Rechtes, aus dem ein Anspruch erwächst, weder im Zivilrecht noch im S tra f­ recht operieren kann.

Reichsjustizminister Dr. Gürlner: Diese Polemik trifft nicht ganz die Ausführungen des Herrn Ministerialdirektors Schäfer. Ich habe Herrn Ministerialdirektor Schäfer so verstanden, wenn er von dem Spaziergänger, dem Räuber und dem Geheimrat sprach: F ü r den Spaziergänger muß in beiden Fällen das Ergebnis sein, daß er frei­ gesprochen wird; für die beiden anderen wird das Ergebnis verschieden sein. Darüber sind wir uns ja klar. Nun sagt er: Wenn ich die Notwehr gegen­ über dem Räuber davon begleiten lasse, daß er sich nicht verteidigen darf, sondern sich strafbar macht, weil die Abwehrhandlung rechtmäßig war, so ist in dieser Diktion nicht etwa an einen Anspruch zu denken, sondern daran, daß das im Einklang mit der Rechtsordnung steht, während im anderen Falle die Handlung eben nicht im Einklang mit der Rechts­ ordnung steht; denn es steht nicht darin, daß ich jemand, der mich um Feuer anspricht, niederschlagen darf. Staatssekretär Dr. Freisler: Die Notwendigkeit der verschiedenen Behandlung des echten Räubers und des Geheimrats liegt keines­ wegs in der Handlung des Spaziergängers und in seinem Reagieren begründet; sie liegt begründet in der inneren, zum Ausdruck gebrachten Einstellung des Geheimrats aus der einen Seite und des echten Räubers aus der anderen Seite, die durchaus ver­ schiedenartig ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir ist nicht ganz klar, was das deutlich machen soll. Ich sehe immer wieder die Notwehrhandlung, und zwar im einen F all als eine wirkliche und echte, im anderen Fall als eine vorgestellte. W ir sind uns darüber einig, daß die Folgen der Gegenwehr ver­ schieden zu behandeln sind. D as ist nicht weg­ zudisputieren. Ministerialdirektor Schäfer: F ür den Spaziergänger ist es strafrechtlich gleich, er wird in beiden Fällen nicht bestraft. Aber wenn wir einen Augenblick zum Zivilrecht zurückkehren, so sehen wir, daß die Behandlung dort durchaus verschieden ist. (Professor Dr. Dahm: W ir sind hier nicht im Zivilrecht!) — Zivilrechtlich ist der Spaziergänger gegenüber dem Räuber, weil er nicht rechtswidrig handelt, nicht ersatzpflichtig, während er gegenüber dem Geheimrat ersatzpflichtig ist, weil eben das Zivilrecht feiner nuanciert. W ir können gewiß, wenn wir aus das End­ ergebnis sehen, strafrechtlich schließlich nur fragen: wird er bestraft oder wird er nicht bestraft? Sowie man in die feineren Nuancen geht, zeigt sich, wie verschieden die beiden Fälle sind. (Staatssekretär Dr. Freisler: D as Zivilrecht differenziert formeller und äußerlich seiner!)

Professor Dr. Kohlrausch: Ich glaube, im Zivilrecht liegen die Fälle im Ergebnis ganz gleich. I m einen F all handelt der Täter nicht rechtswidrig (§ 227), im anderen Falle aber wahrscheinlich nicht fahrlässig (§ 823 Abs. 1). Also in beiden Fällen fällt die Schadensersatzpflicht weg. Im Falle der Putativnotwehr muß er natürlich den Schaden ersetzen, falls die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage auf Fahrlässigkeit beruhte. E s ist also im Zivilrecht ebenso wie im Strafrecht. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich wollte nur zur Klarstellung fragen: Im Sinne der Kommission soll doch wohl § 379 Abs. 2 in der Grauschen Fassung, um einen gegenwärtigen rechts­ widrigen Angriff von sich abzuwehren, sowohl Not­ wehr als Putativnotwehr decken? (Vizepräsident Grau: J a ! ) — Wenn es heißt: „ I n Notwehr handelt, wer sich verteidigt", so meine ich, daß der Begriff „Verteidi­ gung" doch einen wirklichen Angriff vorausseht. I n dem Geheimrats-Fall kann ich doch nicht sagen: „Ich verteidige mich gegen den Geheimrat", der mich ja gar nicht angreift. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Subjektiv ja!) — Der T äter nimmt doch nur eine Verteidigungs­ handlung vor. E r begeht eine an sich strafbare Hand­ lung, um sich zu verteidigen, aber er verteidigt sich nicht. Nun ist auch noch der F all der Fahrlässigkeit zu bedenken. Wenn ich wirklich den Geheimrat als Geheimrat hätte erkennen müssen, dann werde ich doch wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft. Hier muß doch ein Vorbehalt gemacht werden. Ge­ schieht das nicht, so würde herauskommen, daß der M ann, der den Geheimrat fahrlässigerweise nicht erkennt, straflos ist, weil er eben nach dieser Fassung „in Notwehr" handelt. D as geht doch nicht an. Es muß sichergestellt werden, daß derjenige, der sich fahr­ lässig gegen einen vermeintlichen Angriff verteidigt, strafbar ist. (Staatssekretär Dr. Freister: D as ist der Vorbehalt, den Schafsstein schon gemacht hat!) Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Die Einfügung des Wortes „rechtswidrig", die wir in § 379 Abs. 2 der Grauschen Fassung vorge­ nommen haben, beweist meines Erachtens schon an sich, daß wir zwischen Schuld und Rechtswidrigkeit unter­ scheiden wollen. Der Spaziergänger in dem Beispiel des Herrn Direktor Schäfer handelt in Putativnot­ wehr; er handelt schuldlos und ist deswegen nicht strasbar. Der Geheimrat darf sich gegen diese P utativ­ notwehr, wie wir eben festgestellt haben, verteidigen; denn Notwehr gegen Putativnotwehr ist zulässig. Notwehr ist aber nur dann zulässig, wenn sie sich gegen einen gegenwärtigen r e c h t s w i d r i g e n Angriff richtet. M it anderen Worten: Der in Putativnot­

wehr befindliche Spaziergänger handelt zwar schuld­ los, aber rechtswidrig; denn sonst wäre Notwehr gegen seine Handlung gar nicht zulässig. Professor Dr. Mezger: Ich muß mich berichtigen für den Fall, daß — wie das eben angenommen worden ist — in § 378 auch die Putativnotwehr eingeschlossen sein soll. I n diesem F all könnte man nicht sagen: „Ist im Recht". Wenn neben der echten Notwehr auch die P utativ­ notwehr in § 378 enthalten ist, dann muß es auch hier bei dem zusammenfassenden Ausdruck „schuldlos" bleiben. Dieser Ausdruck wäre dann also bei Not­ wehr und Notstand gleichermaßen zu verwenden. Staatssekretär Dr. Freisler: Daß es die Feststellung einer Rechtswidrigkeit gibt, die fernab von allen Problemen der Schuld liegend getroffen werden kann, ist klar. Wenn wir das nicht zugeben würden, so hätten wir nicht vor­ schlagen können, von einem rechtswidrigen Angriff zu sprechen. Aber sobald wir uns um die Frage zu be­ mühen haben, ob jemand schuldhast handelt, dann können w ir nicht einen Unterschied zwischen der Rechtswidrigkeit und der Schuld machen; dann handelt es sich um die Beurteilung des Handelns dieses Menschen, und die Feststellung einer Rechts­ widrigkeit ist an sich nichts, was mit dieser Beurtei­ lung zu tun hat. Wenn w ir aber als Gesetzgeber be­ stimmen wollen, ob jemand wegen einer Handlung bestraft werden soll, dann wollen wir dem Richter Gelegenheit geben, eine Beurteilung auszusprechen, dann haben wir es mit der Frage eines Verschuldens zu tun. Diesem „Verschuldens-Begriff" ist die RechtsWidrigkeit zwar immanent, aber sie kann im Zusam­ menhang mit der Prüfung des Verschuldens nicht selbständig erfragt und beantwortet werden, sie besteht nicht als etwas Selbständiges. Als Selbständiges kann die Rechtswidrigkeit nur dort auftreten, wo es sich um ein Verschulden überhaupt nicht handelt; bei demselben tatsächlichen Vorgang, der zur Aburteilung steht, kann einmal die Frage der Rechtswidrigkeit los­ gelöst von aller Frage eines Verschuldens auftauchen und einmal wieder die Frage des Verschuldens. Bei­ spiel: Wenn man prüft, ob der Geheimrat, der da aus dem Walde herauskommt, sich gegen den Schlag, der in Putativnotwehr vom Spaziergänger gegen ihn geführt wurde, wehren durfte, dann kommt bezüglich des Angriffs, der auf ihn geführt worden ist, eine Bewertung und Beurteilung überhaupt nicht in Frage, dann haben wir es mit einer reinen Prüfung der Frage der Rechtswidrigkeit zu tun. Wenn aber der­ selbe Vorgang, nämlich der Schlag des Spazier­ gängers, zur Aburteilung gestellt wird bei der Frage, ob der Spaziergänger verurteilt werden soll, dann ist es unmöglich, zwischen der Rechtswidrigkeit und der Schuld zu unterscheiden, dann ist es eine S p litter­ spaltung, wenn man sagt: weil der Geheimrat gar nicht hat angreifen wollen, ist der Schlag, den der Spaziergänger getan hat, widerrechtlich; weil aber der Spaziergänger gemeint hat, daß der Geheimrat

hätte angreifen wollen, hat der Spaziergänger ge­ meint, sein Schlag sei nicht widerrechtlich, sondern be­ rechtigt und hat deshalb in Putativnotwehr gehandelt. D as ist eben die Auseinanderzerrung eines absolut einheitlichen Vorganges und der Versuch, etwas, was nur einmal und einheitlich beantwortet werden kann, was auch sowohl äußerlich wie innerlich nur ein Lebensvorgang ist, um des logischen Aufbaues willen auseinanderzureißen. Dagegen wehren wir uns, und zwar mit der Begründung, daß diese Rechtswidrig­ keit etwas der Schuld Immanentes ist und deshalb in keiner Weise irgendwie besonders behandelt werden kann. Dabei ist es sehr wohl möglich, das eine M al von einem rechtswidrigen Angriff zu sprechen — denn da handelt es sich ja einfach darum, objektiv festzu­ stellen, wie die Sache war — , und beim andern M al von der Frage des Verschuldens auszugehen und da­ von zu sprechen, daß der, der so gehandelt hat, schuld­ los ist. Deshalb ist das, was Herr von Dohnanyi gesagt hat, zwar an sich richtig, trifft uns aber in keiner Weise; denn es ist allerdings möglich, bei der Feststellung eines Sachverhalts ein Feststellungswort wie die Rechtswidrigkeit zu gebrauchen, ohne daß man nun genötigt ist, wenn man die Frage der Beurtei­ lung eines Verhaltens prüft, überhaupt auf diese Fest­ stellung zurückzukommen. E s ist eben so, daß ich den­ selben Vorgang von der einen Seite als rechts­ widrigen Angriff ansehen und von der anderen Seite sagen kann: I n diesem Zusammenhang gibt es gar nicht die Frage der Rechtswidrigkeit an sich, sondern nur die Frage: Wie beurteile ich den M ann, der so gehandelt hat? Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Herr Staatssekretär, es sollte doch denjenigen, die dieser Aussaffung zunächst nicht beizupflichten ver­ mögen, nicht der Vorwurf liberalistischen „Tren­ nungsdenkens" gemacht werden. Umgekehrt scheint mir gerade die von Ihnen, Herr Staatssekretär, vertretene Aussaffung zu einer bedenklichen Aufspaltung zu führen, indem S ie einen einheitlichen Lebensvorgang, nämlich die Abwehrhandlung des Spaziergängers rechtlich verschieden qualifizieren, je nachdem von welchem Standpunkt aus S ie sie ansehen. Ich finde, daß das „Trennungsdenken" in dieser Zerlegung sehr viel stärker zum Ausdruck kommt, als wenn ich sage, es liegt eine schuldlose, aber rechtswidrige Handlung vor. Staatssekretär Dr. Freister: Daß man denselben Gegenstand ganz verschieden bezeichnet oder betrachtet, \t nachdem, zu welchem Zweck man ihn betrachtet, ist selbstverständlich. E s ist etwas Alltägliches im Leben und auch ganz natürlich, daß man seine Betrachtung nach dem Zweck einrichtet, den man hat. E s ist nun ein ganz verschiedener Zweck, ob ich den einen Vorgang ansehe einfach mit Rücksicht darauf, wie ein anderer auf diesen Vorgang ant­ worten könnte, oder ob ich ihn daraufhin ansehe, wie der, der diesen Vorgang herbeigeführt hat, deswegen zu beurteilen ist. I n Wirklichkeit sehe ich nämlich das eine M al den Vorgang so, wie er in der Welt da ist,

das Heruntersausen des Stockes, und im andern Falle sehe ich auf die Gesinnung und die geistigen Vor­ gänge im Hirn deffen, der diesen Stock heruntersausen läßt. D as ist natürlich zweierlei. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe ein Bedenken. M an kann sich bei dieser Betrachtung jeweils auf den Standpunkt entweder des Schlagenden oder des Geschlagenen stellen. D as ist durchaus in Ordnung. Ein Vorgang kann sich sehr verschieden spiegeln, je nachdem ich ihn als Leidender oder als Handelnder ansehe. Nur ist es dann schwierig, das Wort „rechtswidrig" überhaupt zu gebrauchen. W ir waren doch heute vormittag sehr nahe daran, die Frage, der Rechtswidrigkeit beim Angriff nicht von einer Person aus zu betrachten, sondern von der Rechtsordnung aus. D as löst jetzt diese Möglichkeit auf. Ich selber stehe trotz allen Bemühens, das Gegen­ teil in mich aufzunehmen, immer noch auf dem S tan d ­ punkt, daß es irgend so etwas wie eine Rechtsordnung, die über alle Volksgenoffen hinweg wirksam ist, gibt, und daß man sich von dieser Rechtsordnung aus einen Vorgang anschauen und darüber ein Urteil abgeben kann. D as war der Leitfaden, der uns dazu geführt hat, das Wort „rechtswidrig" zu gebrauchen. Das dürfen w ir nicht mehr, wenn wir die Frage so subjektivieren und sagen: Denselben Vorgang muß ich einmal vom Standpunkt des Schlagenden, einmal vom S tan d ­ punkt des Geschlagenen anschauen. Vom Standpunkt des Schlagenden aus ist es keine schuldhafte Hand­ lung — die Frage der Rechtswidrigkeit intereffiert mich dabei gar nicht — , vom Standpunkt des Ge­ schlagenen aus ist es aber eine rechtswidrige Hand­ lung; deswegen darf er sich verteidigen. Das ist die Konsequenz. Dann dürfen wir aber das Wort „rechts­ widrig" überhaupt so nicht gebrauchen; denn dieses „rechtswidrig" war eine Relation zwischen der Rechts­ ordnung und dem Angriff. Staatssekretär Dr. Freisler: I m Grunde scheint mir der Ausweg aus dem, w as S ie eben aufgezeigt haben, darin zu bestehen, daß man einen Vorgang an sich überhaupt nicht im S inne einer bewertenden Beurteilung beurteilen, sondern lediglich feststellen kann. Ich kann den Vorgang des Heruntersausens des Stockes feststellen; bewerten und beurteilen kann ich diesen Vorgang an sich aus diesem etwa filmisch aufzunehmenden Bild, das ich also fest­ stellen kann, nicht, sondern bewerten kann ich ihn von zwei Seiten aus: Ich kann ihn bewerten von der Betrachtung desjenigen aus, aus den der Stock her­ untersaust, und die Frage der Rechtswidrigkeit oder Nichtrechtswidrigkeit dieses Vorgangs, der an sich zu­ nächst neutral ist, ergibt sich dann aus der Einstellung und aus dem Handeln deffen, auf den dieser Stock heruntersaust. Hat nämlich der, auf den der Stock heruntersaust, als ruhiger Spaziergänger sich dorthin begeben und ist da der Stock aus ihn heruntergesaust, dann ist das in bezug auf ihn ein rechtswidriger An­ griff. Hat er sich aber dorthin begeben mit der Absicht, den Spaziergänger anzuspringen, dann komme ich aus dieser Tatsache erst zu der Bewertung dieses fest­ gestellten Vorganges als eines rechtswidrigen. Wenn

ich aber von der anderen Seite aus herangehe und prüfe, kann ich dem, der den Stock hat heruntersausen lassen, einen Vorwurf machen, dann komme ich gar nicht zu einer selbständigen Prüfung einer Rechts­ widrigkeit oder Nichtrechtswidrigkeit, sondern vor mir steht sofort die Frage, in welcher Gesinnung und in welcher Absicht hat er den Stock heruntersausen lassen. D as ist die Frage der Schuld, und die Frage der Rechtswidrigkeit des Angriffs nach der anderen Seite gesehen ist gar nicht berührt von der Beantwortung der Frage des Verschuldens bei dem, der den Stock hat heruntersausen lassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die charakteristischen Worte, die in diesem Vor­ trag mit Anführungszeichen zu versehen gewesen wären, sind die: Die Sache ist mit Bezug aus den einen rechtswidrig, mit Bezug aus den anderen schuld­ los; das ist der zentrale Punkt, um den unsere ganze Diskussion kreist. Gibt es überhaupt die Möglichkeit, vom Standpunkt der Rechtsordnung aus zu einem Vorgang oder einer Handlung zu sagen: „D as wird von der Rechtsordnung nicht gebilligt; das ist nicht mit den Geboten der Rechtsordnung vereinbar"? Oder kann ich die Frage gar nicht stellen und muß es so subjektivieren, daß ich sage: Ob es mit der Rechtsord­ nung zusammengeht oder nicht, ob es eine Aufleh­ nung gegen die Rechtsordnung ist, kann ich nur be­ urteilen, wenn ich den Menschen mit seiner Gesinnung dazwischenschalte? Nun entsteht für mich innerlich folgende Schwierigkeit: Diese Individualisierung bei der Aussage, ob etwas mit der Rechtsordnung zu­ sammengeht oder nicht, die in letzter Übertreibung dazu führen könnte, zu sagen.: Jeder trägt seine Rechtsordnung in sich, scheint mir mit den Grund­ gedanken, die wir sonst hier ausgetauscht haben, kaum vereinbar zu sein. (Staatssekretär Dr. Freister: So ist es doch nicht, Herr Minister!) Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Vielleicht kommt es aus dieses Problem, das eben erörtert wird, gar nicht so sehr an, Herr S ta a ts­ sekretär. Denn eins werden S ie nicht bestreiten können: E s gibt eine schuldlose Handlung, eben die Putativnotwehr, die von der Rechtsordnung nicht gebilligt wird. (Staatssekretär Dr. Freister: Nein, die gibt es nicht, sonst müßte ich sie bestrafen.) — D ann gibt es auch keine Notwehr gegen Putativ­ notwehr. (Staatssekretär Dr. Freister: Doch! Natürlich!) — Notwehr gibt es aber — siehe § 379 Abs. 2 — doch nur gegen einen rechtswidrigen Angriff. (Staatssekretär Dr. Freister: Der Angriff ist auch rechtswidrig.) — D ann billigt ihn die Rechtsordnung aber nicht. Vizepräsident Grau: I n einem Willensstrafrecht sollte man von einer objektiven Rechtswidrigkeit im bisherigen Sinne

bester nicht reden. Die Notwehr und der Notstand mästen zunächst vom Standpunkte desjenigen aus geregelt werden, der in Notwehr und Notstand handelt, und bei dieser Regelung kann und darf nicht sofort Rücksicht genommen werden aus den Fall, daß gegenüber dem in Notwehr Handelnden nun wieder Notwehr geübt wird. Ferner kann man vom S tan d ­ punkt des Willensstrasrechts aus einen Unterschied in den Rechtsfolgen der Notwehr und der Putativnot­ wehr nicht machen; denn wenn der Täter, der in Putativnotwehr handelt, ohne Fahrlästigkeit an­ nimmt, daß ihm ein Angriff drohe, so kann er nicht anders behandelt werden und muß aus demselben Grunde freigesprochen werden wie derjenige, dem tat­ sächlich ein Angriff droht. Betrachtet man den Sach­ verhalt vom Täter aus, so handelt der in putativer Notwehr Handelnde schuldlos und wird deshalb nicht bestraft. D as hindert aber nicht, anzuerkennen, daß für die Gegenseite diese Handlung rechtswidrig ist und daß die Gegenseite schuldlos handelt, wenn sie dieser für sie rechtswidrigen Handlung begegnet. D as sind zwei getrennte Dinge. (Oberregierungsrat von Dohnanyi: E s gibt also eine rechtmäßige Handlung, die rechts­ widrig ist.) — Nein, es gibt nur keine rechtswidrige Handlung, deren Rechtswidrigkeit durch eine rein objektive Be­ trachtung des Sachverhalts festzustellen wäre. Aus­ gangspunkt für die Bewertung einer Handlung ist stets der Handelnde, besten Verhalten zur Beurteilung steht. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte mich einmal ganz auf den Standpunkt von Staatssekretär Freister stellen. Der Herr S ta a ts­ sekretär sagte: Wenn wir überlegen, ob wir den Ge­ heimrat oder den Räuber bestrafen dürfen, dann dürfen wir jetzt nicht danach sehen, wie die Handlung des Spaziergängers anzusehen ist, ob er gerechtfertigt oder entschuldigt ist, sondern mästen es auch vom Standpunkt des Geheimrats oder Räubers aus an­ sehen. D as Ergebnis ist klar: Der Räuber soll wegen Körperverletzung bestraft werden, der Geheimrat nicht. Nun fragt es sich: Warum dieses Ergebnis? Der Räuber wird wegen Körperverletzung bestraft; denn er hat den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, objektiv und subjektiv, nämlich im Bewußtsein, Unrecht zu tun. Wie steht es mit dem Geheimrat? Der Geheimrat — würden Sie jetzt sagen — hat den T a t­ bestand der Körperverletzung erfüllt, aber es fehlt bei ihm das Verschulden. Wenn wir dem Geheimrat sagen: du bist der Körperverletzung schuldig, aber du wirst aus subjektiven Gründen freigesprochen, (Staatssekretär Dr. Freister: W ir sagen das gar nicht, sondern wir sagen: Du hast geschlagen, aber du stehst ohne Makel da!) — dann wird er einfach sagen: D as verstehe ich nicht, daß ich hier nur aus subjektiven Gründen freige­ sprochen werde! Nun möchte ich das Ganze einmal nach der positiven Seite hin umdrehen. D as wäre

genau so, wie wenn wir dem Henker sagten: Du hast getötet, aber nicht schuldhaft getötet! und wenn wir dem Lehrer sagen würden: Du hast den Schüler ord­ nungsmäßig gezüchtigt, du hast Körperverletzung be­ gangen, aber nicht schuldhast! Dann stehen wir vor Ergebnissen, die dem Laien einfach nicht mehr ein­ gehen. Ich kann mir nicht denken, daß w ir den Satz aussprechen dürsten: Eine objektive Rechtswidrigkeit gibt es überhaupt nicht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bitte, auch den Fall zu untersuchen: Wie ist es dann anzusprechen, wenn ein Recht zur Handlung nicht aus dem Notwehrstand herzuleiten ist, sondern anderswoher, beim Henker oder Lehrer, und das Handeln dort in einer Tötung oder Züchtigung be­ steht? D as ist natürlich kein Unrecht, keine Schuld. Kann diese Frage überhaupt praktisch gestellt werden? (Ministerialdirektor Schäfer: Herr S ta a ts­ sekretär Freister und Herr Vizepräsident Grau dürften doch nur sagen: E s ist keine Schuld.) Staatssekretär Dr. Freisler: Der Strafrichter, der auf Grund des Willens­ strafrechts Menschen beurteilt, ist nicht in erster Linie dazu da, um festzustellen, daß der Täter geschlagen hat, sondern dazu, um festzustellen, ob sein Handeln makellos w ar oder nicht. Wenn es nicht makellos war, so wird der Täter, wenn das Recht es verlangt, bestraft. S ie haben eine andere Vorstellung von der — ich möchte mich mal so ausdrücken — Rangord­ nung der Feststellung des Sachverhalts und der Be­ wertung. Die Vorstellung, die wir haben, ergibt sich daraus, daß wir strafen, soweit der Sühnezweck in Frage kommt, wegen der Schuld. Dabei ist die Be­ antwortung der Frage der Schuld im S inne der Schuldlosigkeit, der Makellosigkeit, unseres Erachtens die höchste und befriedigendste Antwort, die überhaupt dem Täter gegeben werden kann. Wenn dann noch gesagt worden ist: eine objektive Rechtswidrigkeit gebe es im Strafrecht überhaupt nicht, so sollte das ganz sicher nicht heißen, daß es bezüglich desselben Vorgangs eine verschiedene Beant­ wortung der Frage der Rechtswidrigkeit geben könne. D as hat Herr Vizepräsident G rau auch gar nicht gemeint, sondern er ^at damit nur sagen wollen: Denselben Vorgang kann man einmal untersuchen nach der Frage der Rechtswidrigkeit hin und zum anderen nach der Frage des Verschuldens des Täters hin. Die Frage der Rechtswidrigkeit taucht für den Strafrichter aus diesem Grunde auch gar nicht auf bei der Frage: Wie ist der Henker zu beurteilen, der den Menschen tötet? Der Strafrichter hat eine viel tiefer gehende Frage zu beantworten als die, ob der Henker ein öffentliches Recht, ein Recht der Gemeinschaft ausübt. Der Strafrichter hat die Frage zu beant­ worten, ob der Henker ohne Makel dasteht, wenn er so gehandelt hat, und er wird ihm antworten: Daß

du ohne Makel dastehst, ergibt sich schon daraus, daß du nichts anderes als deine Pflicht getan hast. Wer' pslichtmäßig handelt, bei dem kann die Schuldsrage überhaupt nicht aufgeworfen werden. Dasselbe gilt für das Beispiel des Lehrers, für das Kapitäns­ beispiel, kurz für jeden, der schuldlos handelt. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Die Makellosigkeit des Scharfrichters wird hier darauf zurückgeführt, daß er eine Pflicht ausgeübt hat. Wer eine Pflicht ausübt, übt gleichzeitig auch ein Recht aus. Der Lehrer hat keineswegs immer die Pflicht, zu züchtigen; er hat aber unter gewissen Vor­ aussetzungen das Recht, zu züchtigen. E r steht makellos deshalb dar, weil er eben ein Recht ausübt. Auch der Lehrer, der irrtümlich ein Züchtigungsrecht da annimmt, wo er es nicht hat, steht makellos da, wenn er bona fide geirrt hat. Der Grund der Makellosig­ keit ist hier aber ein anderer: Den Lehrer trifft keine Schuld. Wenn wir die Putativnotwehr der Notwehr gleichsetzen, also unter Notwehr die Putativnotwehr mitverstehen, so ist das, was im § 379 Abs. 1 steht, falsch: „Wer in Notwehr handelt, ist schuldlos". Wer in wirklicher Notwehr handelt ist allerdings — wenn er keinen Exceß begeht — schuldlos. Aber wer in Putativnotwehr handelt, der kann sehr wohl bestraft werden, wenn er nämlich fahrlässig handelt. (Staatssekretär Dr. Freisler: Dann handelt er nicht in Putativnotwehr!) — Wenn wir uns aus den Standpunkt stellen wollen: I n Putativnotwehr und damit in Notwehr handelt nur derjenige, der bona fide, also ohne Fahrlässig­ keit handelt, dann muß das auch in Absatz 2 hinein­ geschrieben werden. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Ich hätte noch eine Frage an Herrn Vizepräsi­ denten Grau. Handelt nun der Putativnotwehrtäter von seinem Standpunkt aus rechtmäßig? Die Frage geht auf den Anfang unserer Debatte zurück. Gestern ist ja von Herrn Professor Dahm sehr deutlich zum Ausdruck gebracht worden, daß wir die Begriffe Rechtswidrigkeit und Schuld aneinander annähern müssen. Handelt nun von seinem Standpunkt aus — ich will mir diese subjektive Fragestellung einmal zu eigen machen — der in Putativnotwehr handelnde T äter rechtmäßig oder nicht? (Vizepräsident G rau: D as ist nach meiner Ansicht ganz gleich.) — Jedenfalls handelt er aber von seinem Standpunkt aus nicht rechtswidrig. Von dem Standpunkt des anderen aus gesehen, nämlich — um bei dem Beispiel zu bleiben — vom Standpunkt des Geheimrats aus handelt er aber rechtswidrig. D as scheint mir nun in der T at eine Betrachtungsweise zu sein, die letzten Endes darauf hinausläuft, die Rechtsordnung zur Disposition des Einzelnen zu stellen.

Staatssekretär Dr. Freister: W ir haben nach dem Zweck, den wir im einzelnen verfolgen, ganz verschiedene Fragen zu stellen. Ein­ mal ist die Frage zu stellen nach den Grundsätzen des Rechts von der Handlung des Täters aus, nämlich, ob das, was auf den Geheimrat zukam, etwas Rechts­ widriges war. Und in dem andern F all haben wir eine ganz andere Aufgabe. D a haben wir zu fragen: Hat der, der den Stock geschwungen hat, schuldhast gehandelt? I m Grunde genommen können Sie die Verschiedenartigkeit dieser Dinge genau so wenig aus der Welt schaffen, wie Sie die Verschiedenartigkeit des Aktivums und des Passivums aus der Sprache her­ ausbringen können. Der entspricht nämlich diese Verschiedenartigkeit: Auf der einen Seite das Ge­ schwungenwerden des Stockes und auf der anderen Seite das Stockschwingen. D as ist eben zweierlei. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: M an muß sich doch darüber klar -werden, wenn man schon diese zwei verschiedenen Betrachtungen anstellt, ob vom Standpunkt des Putativnotwehr­ täters aus gesehen diese Handlung schuldlos, d. h. also rechtmäßig ist. Staatssekretär Dr. Freisler: Ih re Frage ist keine Frage. Wenn Sie fragen: Schuldlos oder rechtmäßig? — so ist das gar ferne Frage; denn Sie verlangen damit, daß ich auf eine Frage antworte, die ich als Fragestellung für unmög­ lich erkläre. Von meinem Standpunkt aus ist es unmöglich, einfach das W ort „schuldhaft" und das Wort „rechtmäßig" auszutauschen. S ie verlangen, daß wir uns einzwängen in eine Betrachtungsweise des Begriffes „Schuld" oder „Rechtswidrigkeit", die wir von vornherein für unmöglich halten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dazu möchte ich nur die Randbemerkung machen, daß Schuld und Rechtswidrigkeit ja auch nicht immer zusammenhängen. Ich bekomme immer mehr Be­ denken gegen den Gebrauch des Adjektivs „rechts­ widrig". D as geht nach dieser Theorie nicht. Dann würde ich schon lieber vorschlagen, den F all mit dem Geheimrat und dem Spaziergänger anders zu lösen und zu sagen: W as wollte denn der Spaziergänger? Der wollte sich verteidigen. Damit hat er sich nicht gegen die Rechtsordnung aufgelehnt, infolgedessen spreche ich ihn frei. Und was wollte der Geheimrat? Der wollte nichts Böses, der wollte sich verteidigen, damit hat er sich auch nicht gegen die Rechtsordnung aufgelehnt, also spreche ich ihn auch frei. Dann lasten S ie lieber den Begriff der Rechtswidrigkeit draußen. Wenn man verneint, daß es so etwas wie eine objektive Rechtswidrigkeit gibt, indem man sagt, daß es nur eine Rechtswidrigkeit gibt, gesehen mit den Augen jedes einzelnen Menschen und bezogen auf sein persönliches Erlebnis, dann darf man das Wort „Rechtswidrigkeit" nicht gebrauchen. Professor Dr. Mezger: Darüber, daß bei der rechtlichen Beurteilung Lebensvorgänge an einer o b j e k t i v e n R e c h t s ­

o r d n u n g gemessen werden können und müssen, kann kein Zweifel sein und bestand bisher allgemeine Einigkeit. E s ist dies eine Vorstellung, von der wir heute weniger denn je abgehen können. I h r Gegen­ teil wäre ein Relativismus, der noch etwas viel Schlimmeres ist als der vielgescholtene Liberalismus. Deshalb kann § 378 durchaus korrekt von einem „rechtswidrigen" Angriff sprechen. Erst wenn wir nunmehr denjenigen, der sich g e g e n diesen rechtswidrigen Angriff stellt, ins Auge fassen, greift die eigentlich strafrechtliche Beur­ teilung Platz. Wenn in § 378 nur von der echten Notwehr des Täters die Rede sein soll, dann bestünde von meinem Standpunkt aus gar kein Bedenken, zu sagen: auch er hat rein objektiv betrachtet „recht­ mäßig" und damit selbstverständlich auch „schuldlos" gehandelt. Da aber nach dem Vorschlag G rau in § 378 zudem noch die Putativnotwehr stecken soll, liegt ein Fall vor, bei dem dieses objektive Urteil nicht gefällt werden kann, sondern nur das Urteil: „Persönlich schuldlos". Wenn zwei Personen, von denen die eine die Prädikate „rechtmäßig" und „schuldlos", die andere dagegen nur das Prädikat „schuldlos" ver­ dient, unter die eine Bestimmung des § 378 Abs. 1 gebracht werden sollen, kann beiden Personen nur das Prädikat „schuldlos" beigelegt werden. Insofern ist also der Antrag G rau folgerichtig. Professor Dr. Dahm: Ich glaube, es handelt sich nicht um eine logische, sondern um eine Entscheidungsfrage. Alle Versüche der Gegenseite, insbesondere des Herrn von Dohnanyi, unsere Auffassung logisch zu widerlegen, sind meiner Meinung nach gescheitert. Selbstverständlich ist es logisch möglich, eine Handlung rein objektiv zu be­ werten, d. h. festzustellen, ob eine Handlung billigenswert, richtig ist oder nicht. Es fragt sich aber, ob das für uns wirklich S in n hat oder nicht. Und hier scheiden sich die Wege. Diejenigen, die geneigt sind, das Wesentliche in der Verletzung einer festen und statischen Ordnung zu erblicken, werden Wert auf die Feststellung legen, daß eine Handlung „an sich" gegen diese Ordnung verstößt, und die Schuldsrage als eine selbständige Frage ins Auge fassen. Wer aber den Schwerpunkt auf die Bedeutung des Täters für die Gemeinschaft legt, kann eine Handlung gar nicht „als solche" betrachten, sondern nur als Ausdruck einer Gesinnung, und damit als Einheit von Unrecht und Schuld. Ministerialdirektor Schäfer: M ir scheint in die ganze Debatte eine kleine Ver­ wirrung dadurch hineingeraten zu sein, daß geäußert wurde — Herr Professor Mezger hat es, glaube ich, zuletzt getan — : Die §§ 379 und 380 in bezug aus Notwehr und Notstand regeln auch die Putativnot­ wehr und den Putativnotstand. (Zuruf: Antrag Grau!) — D as darf nicht der Fall sein. Hier darf nur die wirkliche Notwehr und der wirkliche Notstand geregelt

werden. Die Putativnotwehr und der Putativnot­ stand kommen nur unter dem Gesichtspunkt des Vor­ satzes und der Fahrlässigkeit hinein. D as müssen wir klar auseinanderhalten. Hier haben wir nur den wirk­ lichen Notstand und die wirkliche Notwehr zu regeln und dahinter zu setzen, -was dafür paßt. Wenn wir hier die wirkliche Notwehr im Auge haben und dafür das Wort Unrecht oder Recht paßt, so müssen wir es hinsetzen, einerlei ob es für die Putativnotwehr zu­ trifft oder nicht. Professor Dr. Mezgrr: Herr Vizepräsident Grau wollte anscheinend mit dem Worte „um" beide Fälle, den der echten und den der Putativnotwehr, umfassen. Ministerialdirektor Schäfer: D as würde ich nicht für richtig halten. Hier müssen wir nur die wirkliche Notwehr und den wirklichen Notstand regeln. Nun ein zweiter, mehr allgemeiner Gesichtspunkt, der sich etwas mit dem berührt, was zuletzt Herr Professor Dahm ausführte. Wenn ich recht verstanden habe, läuft das Anschauungsbild von Herrn Vize­ präsidenten Grau und auch das der Herren Dahm und Freister darauf hinaus: E s gibt keine objektive Rechtswidrigkeit, das wäre falsch gesehen, sondern man müsse alles auf den Täter bezogen sehen, und da gäbe es nur ein schuldhaftes oder nicht schuldhaftes Handeln. Ich meine, w ir müßten uns die Konsequen­ zen dieses Standpunktes einmal rein praktisch vor Augen halten, ich möchte sagen: Nach der pädagogi­ schen Seite und für den Praktiker gesehen. Wir haben uns doch vollständig daran gewöhnt, wenn wir irgend­ einen Fall praktisch beurteilen, zu scheiden zwischen dem objektiven Tatbestand und dem subjektiven T at­ bestand. D as lehrt der Professor dem Studenten, daß er auszugehen hat von einem objektiven Tatbestand und dann den subjektiven Tatbestand zu prüfen hat. Jeder Praktiker weiß als Richter, daß er so vorgehen muß, daß er, wenn er zu einem richtigen Ergebnis kommen will, gut tut, zuerst zu fragen, ob der objek­ tive Tatbestand erfüllt ist, und dann erst den subjek­ tiven Tatbestand zu prüfen. Diese Trennung hat meiner Meinung nach sowohl pädagogisch als auch für den Richter einen ganz großen Wert, und ich glaube, wir würden einen Rückschritt tun, wenn wir diese Trennung in objektiven und subjektiven Tatbestand aufgäben^ Nun möchte ich aber fragen: Wodurch sind wir eigentlich dazu gezwungen, diese Trennung aufzu­ geben? S ind wir dazu vom Standpunkt eines Willensstrasrechts aus gezwungen? W as sagt denn das Willensstrafrecht aus? Es sagt doch schließlich nicht, daß nur der verbrecherische Wille da ist, sondern es sagt, daß dem verbrecherischen Willen ein entscheiden­ des Gewicht zukommt. Es scheint mir, als ob wir im Begriff sind, das Willensstrafrecht hier viel zu radikal durchführen zu wollen und nur noch subjektive, nur noch willensmäßige Gesichtspunkte ins Auge zu fassen. Bor diesem zu radikalen System müssen wir uns

meiner Meinung nach hüten, sonst schaffen wir nichts Besseres, sondern Schlechteres. Sächsischer Justizminister Dr. Thierack: Meine Herren, ich will meine Stellungnahme nicht umgehen. Ich möchte anknüpfen an die Worte des Herrn Professors Mezger. E s gebt unmöglich, eine T at zu trennen von dem, was in der Welt ist, was man sieht, und von dem, was man nicht sieht, nämlich von dem Willen, von der Vorstellung des Täters, von seiner Schuld. Wenn jemand den Stock erhebt und schlägt, so sehen w ir die T at. Nun hat der Richter festzustellen, ob dieser sichtbare Vorgang gegen die Rechtsordnung gerichtet war. Bejaht man dies, dann ist die T at rechtswidrig, gegen das Recht. Nun unter­ sucht man, wie der Vorgang war, der zum Sicht­ baren führte, also den Vorgang, der das mechanische Werkzeug bewegte, den Willen. Dann kann man dazu kommen, zu sagen, daß der T äter schuldlos gehandelt hat. Wenn also hinter dem Schlagen ein entschuld­ barer Wille stand, weil der Betreffende sich irrig sagte, er werde angegriffen, dann handelt der Täter rechtswidrig, aber schuldlos. D as ist das, was meiner Ansicht nach in den Rahmen des § 378 Abs. 1 fällt. Die Überlegung des Herrn von Dohnanyi, wenn er fragt: Gibt es überhaupt eine Handlung, die schuld­ haft ist, aber rechtmäßig? kam nur, weil von einer Seite aus keine Trennung mehr zwischen der Unter­ suchung der Rechtswidrigkeit und der Untersuchung der Schuld vorgenommen wird. Ich kann mich also nicht dazu bekehren, daß wir mit dem Begriff „schuldlos" alles das beseitigen, was in der Welt ist, weil wir nicht die Trennung zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren machen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an kann sich die Dinge vielleicht am besten an einem ganz einfachen Fall klarmachen. — Es ist ein Verbrechen geschehen. Wie gehen wir an die Sache heran? W ir haben zunächst gar keinen Täter. Was tun wir? W ir stellen zunächst fest, was überhaupt geschehen ist. Wenn einer totgeschlagen worden ist, untersuchen wir die Leiche und stellen fest, daß er umgebracht worden ist. W ir bemühen uns um die Feststellung des historischen Ereignisses. Nun finden w ir den Täter. Da scheinen mir die Wege schon aus­ einanderzugehen. Der eine sagt: Was hast du ge­ wollt?, der andere sagt: W as hast du getan? D as ist, glaube ich, im letzten Grunde der Unterschied der beiden Betrachtungsweisen. Der eine fragt nach dem Willen, natürlich nicht nach irgendeinem imaginären Willen, sondern nach dem in die Außenwelt proji­ zierten Willen, während der andere fragt, wie sich der Täter an der T at beteiligt hat, und dann erst prüft, ob er sich der einzelnen Tatumstände bewußt gewesen ist, ob er die T at gewollt hat, ob er bewußt Unrecht begangen hat. W ir kommen ja um die Unrechtssrage auch beim Dolus nicht herum. Nachdem wir da den Unrechtspunkt drin haben, muß alles, was von der Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit ge­ sprochen wird, auch entschieden werden. Wenn ich die

Frage nach dem Dolus stelle, ob der Betreffende mit Wissen und Willen gehandelt und das Bewußtsein des Unrechts gehabt hat, dann muß ich doch auch prüfen, wie das zu der Rechtsordnung in dem höheren Sinne, den w ir meinen, steht. Nun, meine ich, ist es wirklich ein S treit um Worte — ich weiß nicht, ob es ein weltanschaulicher S treit ist; vorläufig begreife ich das nicht — , daß man sich befehdet, weil der eine sagt: Ich frage: Was hast du getan?, und dabei muß ich prüfen: W as hast du gewollt?, während der andere sagt: Ich frage: W as hast du gewollt, und wie hat sich dein Wille in der T at geoffenbart? S o sehe ich die Dinge, und ich wäre sehr dankbar, wenn ich eine Bestätigung oder eine Widerlegung dieser Auffassung bekäme. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bin im Gegenteil der Meinung, daß wir hier an einem Punkte stehen, wo die Frage auftaucht, ob w ir im Strafrecht eine Wendung machen wollen oder nicht. Praktisch kann man es natürlich so machen, daß in der einen wie in der anderen Richtung so ziemlich dasselbe herauskommt. E s ist nicht mehr möglich, sich gegenseitig weiter zu überzeugen. Ein Argument, das für unsere Ansicht noch beigetragen worden ist, sind die Ausführungen von Herrn Minister Thierack. E r hat erklärt, man könne, wenn man den T äter beurteilen will, die T at nicht trennen von der Frage der Schuld. D as ist genau das. was wir sagen. Unmittelbar, nachdem die T at festgestellt worden ist, entsteht für den bewertenden Richter die Frage der Schuld. Der Beantwortung dieser Frage ist alles andere immanent. Herr Minister Thierack ist dann allerdings zu einem Ergebnis gelangt, das ich als weiteres Argu­ ment für unsere Anschauung in Anspruch nehme, nämlich zu der Feststellung: Wer in Notwehr handelt, handelt rechtswidrig, aber schuldlos. Herr Minister, wenn man mit Ih re r Deduktion zu diesem Ergebnis gelangen kann, dann brauche ich dem nur Ihren Wunsch gegenüberzustellen, bei der Notwehr unseren Standpunkt abzulehnen, weil wir sagen wollen: Wer in Notwehr handelt, handelt rechtmäßig, — um klar­ zustellen, wie ziellos die Betrachtungsweise sein muß, mit der man zu diesem und zu jenem Ergebnis ge­ langen kann. S ie muß ziellos sein, weil das gilt, was Herr Minister Thierack von vornherein gesagt hat, daß mit der Tatsache der Feststellung der T at an sich Bewertendes überhaupt noch nicht festgestellt ist. Nun kommt noch ein Zweites, das aber kein weiteres Argument mehr ist. Ich muß mich dagegen wehren, daß unsere Anschauung ein Relativismus sei. Is t es ein Relativismus, wenn ich einen Stein ein­ mal darauf prüfe, ob er hart ist, und einmal darauf prüfe, ob er Gold enthält? D as ist doch kein Rela­ tivismus, sondern das heißt nur, daß ich an dem­ selben Objekt verschiedene Aufgaben löse, verschiedene Untersuchungen mit verschiedenen Zielen vornehme. Da komme ich doch gar nicht in die Sphäre eines

Relativismus hinein. D as Bild stimmt natürlich nicht ganz, besonders deshalb nicht, weil es sich bei dem Stein um einen Gegenstand handelt, nicht um einen Vorgang. E s stimmt aber insofern, als es zeigt, daß man nicht von Relativismus sprechen kann, wenn man denselben Vorgang oder dieselbe Tatsache oder denselben Gegenstand nach verschiedenen Richtungen hin untersucht. E s handelt sich also nicht um Rela­ tivismus, sondern nur um die Folge aus der klaren Erkenntnis der Verschiedenheit der Aufgaben, die in jedem Falle vor uns stehen. Eine weitere Möglichkeit, noch irgendwie Argu­ mente beizubringen, sehe ich nicht. Wenn Herr Direktor Schäfer von dem erfahrungsgemäß vernünf­ tigen Vorgehen des Richters gesprochen hat, so ist das nur ein Argument, das aus der praktisch gegebenen Reihenfolge der Aufklärung herausgeholt wird. M it der inneren Rangfolge der Fragen, um die es sich hier handelt, hat diese äußere Reihenfolge der Inangriff­ nahme der Aufklärung nt. E. gar nichts zu tun. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren, ich bin nicht der Meinung, daß es so einfach ist, die Argumente des Herrn Kollegen Thierack zu vereinnahmen, und zwar aus folgenden Gründen. Der Herr Kollege Thierack war noch nicht da, als von Herrn Profeffor Dahm sehr eindrucksvoll ausgeführt worden ist, daß es uralter germanischer Auffaflung entspricht, daß der, der einen Angriff von sich abwehrt, gleichsam als Ver­ treter der Gemeinschaft handelt, mit einem Auftrag und mit einer Pflicht. Hier ist also der Gedanke, daß der M ann im Recht ist, daß er rechtmäßig handelt, gewissermaßen als Delegierter der Gemeinschaft, in einer so plastischen Form zum Ausdruck gekommen, daß es nicht einfach ist, die Argumente des Herrn Thierack zu vereinnahmen, wenn aus der anderen Seite der Vorschlag gemacht wird, zu sagen: Wer in Notwehr handelt, handelt rechtmäßig, aber schuldlos. Staatssekretär Dr. Freisler: Doch, Herr Minister! S ie haben selbst gesagt, daß der Betreffende in Ausübung einer Pflicht handelt, und Pflicht liegt auf dem Gebiete der Nachprüfung der Schuld. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Ich glaube, die Meinungsverschiedenheit beruht darauf, daß Herr Minister Thierack mißverstanden -worden ist. Herr Minister Thierack ist nämlich von dem hier viel erörterten Beispiel ausge­ gangen: Ein Spaziergänger trifft einen M ann, der ihn um Feuer bittet; es ist der Geheimrat X. Der Spaziergänger hält ihn indessen für einen Räuber und schlägt ihn nieder. Hier liegt Putativnotwehr vor. Herr Minister Thierack hat auch nicht Notwehr ge­ meint, sondern selbstverständlich Putativnotwehr. I m letzteren Falle haben w ir es in der T at mit schuld­ losem, rechtswidrigem Handeln zu tun.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei dieser Sachlage möchte ich Herrn Minister Thierack doch bitten, mir die Frage zu erlauben, ob seine Ausführungen nun wirklich auf die echte Not­ wehr gemünzt waren. (Minister Dr. Thierack: Nein, auf die Putativnotwehr.) — Dann halte ich die Frontbildung zusammen mit Herrn Minister Thierack doch für etwas unterbrochen. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich darf mir vielleicht einen Vorschlag technischer Art gestatten, nämlich den, daß wir zunächst ver­ suchen, diese Paragraphen über Notwehr und Not­ stand zu gestalten, ohne dabei an die Putativnotwehr und den Putativnotstand zu denken — dann ist, glaube ich, sehr rasch eine Einigung zu erzielen — , und dann erst zu untersuchen, ob man für die P utativ­ notwehr und den Putativnotstand eine besondere Regel braucht, oder ob die ausgestellten Regeln enügen, oder ob man das der Jrrtum sregelung überaupt überlassen kann. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich glaube, wenn wir darangingen, diese paar Sätze einmal buchstäblich zu formulieren, dann würde sich herausstellen, daß die Punkte, bei deren Fassung

Widersprüche entstehen, gar nicht so zahlreich sein werden. (Staatssekretär D r. Freister: Der wesentliche Punkt ist der, ob die Wortformungen bei Not­ stand und Notwehr verschieden sein müssen.) D as Zweite — und das ist zugleich auch das Letzte — ist, wie man das Prädikat in den beiden Sätzen gestaltet. W ir haben uns ja schon alle mög­ lichen Sprachformen angesehen. Ich bin der Meinung, man sollte diesen Abschnitt einmal aufstellen, und zwar davon ausgehend, daß man versucht, zu sagen: Wer in Notwehr handelt, ist ohne Schuld. M an sollte sich den ganzen Aufbau von diesem Gesichtspunkte aus vornehmen und in aller Ruhe überlegen, ob es sich machen läßt. M an sollte dabei an die Putativtat­ bestände zunächst gar nicht denken. Welche Einwände sich dann ergeben werden, kann man jetzt, wenn man das nicht gedruckt vor sich sieht, nicht ohne weiteres sagen. Ich habe auch das Gefühl, daß seit einiger Zeit keine neuen Gedanken mehr auftauchen. Deshalb würde ich Herrn Ministerialdirektor Schäfer bitten, zusammen mit den Herren Professor Dr. Dahin, Oberregierungsrat von Dohnanyi und Vizepräsident G rau eine Formulierung zu suchen, und zwar mit der Fassung: Wer in Notwehr handelt, handelt ohne Schuld, oder, ist ohne Schuld. Dann können wir uns morgen weiter damit beschäftigen.

(Schluß der Sitzung 19 Uhr 8 Minuten.)

Slrafrechtskommission

Wer das Notwehrrecht mißbraucht, macht sich strafbar. Die Strafe kann jedoch gemildert werden; in besonderen Ausnahmesällen kann das Gericht von Strafe absehen. § 379 (bisher § 380)

No t s t a nd

62. Sitzung 29. März 1935 Zweite Lesung Inhalt Übertretungsstrafrecht Reichsjustizmintster Dr. Gürtner 1, 7, 11, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21 Berichterstatter Ministerialdirektor Dr. Dürr 2 ,1 2 ,1 5 ,1 7 ,1 8 ,1 9 Berichterstatter Senatspräsident Professor Dr. Klee 4, 12, 13, 16, 17, 18, 19, 20, 21 Ministerialrat Rtetzsch......................................................8, 12, 20 Ministerialdirektor Schäfer. . . . 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 21 Professor Dr. N a g le r ............................................................ 13, 21 Professor Dr. Graf G leispach........................14, 16, 19, 20, 21 Professor Dr. D a h m .........................................14, 16, 17, 19, 20 Professor Dr. M ezger.......................................14, 15, 18, 19, 20 Professor Dr. Kohlrausch.......................................14, 19, 20, 21 Vizepräsident G r a u .......................................................................18 Ministerialdirigent Dr. Schäfer................................................. 18

(Aussprache abgebrochen)

Beginn 10 Uhr 14 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren! S ie finden auf Ih re n Plätzen eine schriftliche Formulierung über Notwehr und Not­ stand. Mein Wunsch geht dahin, die Herren möchten das mitnehmen und jeder für sich allein durchprüfen, ob diese Formulierung den praktischen Bedürfniffen gerecht wird, ob man damit durchkommen kann. Ich darf vielleicht den Wortlaut vorlesen:

Schuldausschlietzungsgründe. § 378

Not we hr Wer Notwehr übt, handelt schuldlos (oder: handelt recht). I n Notwehr handelt, wer sich oder einen anderen verteidigt, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzulenken, und sich dabei mit der gesunden Bolksanschauung im Einklang hält.

Wer in Notstand handelt, ist schuldlos (oder: wird nicht bestraft). I n Notstand handelt, wer eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, um eine gegenwärtige nicht anders abwendbare Gefahr eines erheblichen Schadens von sich oder einem anderen abzu­ wenden, und sich dabei mit der gesunden Volks­ anschauung im Einklang hält. Wer die der Notstandshandlung gezogenen Grenzen überschreitet, macht sich strafbar. Die Strafe kann jedoch gemildert werden; in be­ sonderen Ausnahmefällen kann das Gericht von Strafe absehen. § 379 des Entwurfs wird gestrichen. Ich mache noch besonders aufmerksam aus die beiden Klammern: Wer Notwehr übt, handelt schuld­ los (oder: handelt recht) und: Wer in Notstand handelt, ist schuldlos (oder: wird nicht bestraft). Herr Professor Dahm, der bei dieser Formulierung dabei war, würde von seinem Standpunkt aus gegen die Klammerfassung keine Erinnerung zu erheben haben. Nun möchte ich heute ein Thema zur Erörterung stellen, über das wir überhaupt noch nicht gesprochen haben, nämlich das

Übertretungs-Strafrecht oder Verwaltungs-Strafrecht oder Polizei-Strafrecht, wie wir es taufen wollen. Bei der Behandlung dieses Themas erheben sich folgende Fragen: 1) Was ist überhaupt das unter* scheidendeMerkmal von kriminellem und ÜbertretungsStrafrecht oder Verwaltungs-Strafrecht? 2) I n welcher Weise kann der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen, daß er etwas als kriminellen Tatbestand und etwas anderes als Übertretungs-Tatbestand ansieht? Diese Frage ist besonders wichtig mit dem Ausblick auf das Nebenstrafrecht, nicht auf das Hauptstrafrecht. Denn im Hauptstrafrecht können wir das einfach durch Plazierung zum Ausdruck bringen, im Nebenstrafrecht nicht, weil dort kriminelles und Übertretungs-Straf­ recht eng beieinander stehen. 3) Können wir überhaupt unsren Allgemeinen Teil, wie er jetzt steht, auf das Übertretungs-Strafrecht übernehmen? Wenn nicht, wie müßten dann die allgemeinen Voraussetzungen der Strafbarkeit lauten? D as scheinen mir die wichtigsten Fragen zu sein, nicht die Frage, was in das Übertretungs-Strafrecht hineinkommt. Ich glaube, es ist unfruchtbar, das in diesem Augenblick überhaupt zur Diskussion zu stellen. Berichterstatter sind die Herren Ministerialdirektor Dr. D ürr und Senatspräsident Professor Dr. Klee.

Berichterstatter Ministerialdirektor Dr. Dürr: Bei der ersten Lesung bestand volles Einver­ ständnis darüber, daß in das neue Strafgesetzbuch Übertretungs-Tatbestände nicht ausgenommen werden sollen. Dabei ist die Frage unerörtert geblieben, worin der Unterschied zwischen dem kriminellen und dem nicht kriminellen Unrecht besteht. M an ging still­ schweigend davon aus, daß das neue Strafgesetzbuch sich nur mit dem kriminellen Unrecht beschäftigen solle. Herr Ministerialrat Rietzsch findet in dem Artikel „Die Neuordnung des Rechtes der Übertretungen" (Deutsches Strafrecht Bd. 2 S . 65) das Wesen des kriminellen Unrechts darin, daß es nicht nur gegen die Gebote des Rechtes, sondern zugleich gegen die der Ethik verstößt. E r sagt, das kriminelle Unrecht werde von jedem Volksgenossen als solches empfunden; niemand brauche erst durch die Lektüre des S traf­ gesetzbuchs darüber belehrt zu werden, was er auf diesem Gebiet zu tun oder zu lasten habe; das kriminelle Unrecht löse wegen des in ihm enthaltenen Verstoßes gegen die Grundordnung des völkischen Lebens in der Volksgemeinschaft eine besondere Reaktion aus; es werde als Verletzung des Rechtsgesühls der Volks­ gemeinschaft empfunden und erwecke ein Bedürfnis nach Integration. Dagegen bewegt sich das nichtkriminelle Unrecht nach seiner Auffassung auf Gebieten, die zwar auch im Interesse eines geordneten Zu­ sammenlebens der Volksgenossen geregelt werden müssen, die aber keine „Schwingungen in der Seele des Volksgenossen" auslösen, weil sie keine Parallele in Geboten der Ethik haben; es handelt sich mehr um Zweckmäßigkeitsregeln. Damit ist die Unterscheidung zwischen dem kriminellen und nichtkriminellen Unrecht wohl im wesentlichen richtig dargetan. Unausge­ sprochen hat sich die Kommission bei der Ausarbeitung des Besonderen Teiles von diesen Erwägungen leiten lassen. M an hat eben nur schwere Tatbestände in den Entwurf ausgenommen, die im wesentlichen sich mit den Geboten der Ethik decken. Freilich sind die Grenzen flüssig. Wenn man den Besonderen Teil prüft, so stößt man auf Tatbestände, die der Ab­ rundung halber aufgenommen sind, bei denen aber zweifelhaft sein kann, ob der einzelne Volksgenosse ohne gesetzliche Regelung die Vorschrift ohne weiteres in der Brust tragen würde. I n den strafrechtlichen Nebengesetzen sind viele Vorschriften, die nicht in den Geboten der Ethik ihre Grundlage haben, sondern in praktischen Bedürfnissen wirtschaftlicher Art. Da sind kriminelle Tatbestände nur deshalb geschaffen, weil man eine Reaktion gegen die Zuwiderhandlungen für nötig hält, die nur mit den kriminellen S traf­ mitteln wirksam erfolgen kann. Aus der anderen Seite sind in dem übertretungsteil des Referentenentwurss 1933 Tatbestände, die bis jetzt noch nicht in unsren Entwurf übernommen sind, bei denen aber nicht außer Zweifel steht, ob nicht die Begriffsbestimmung des kriminellen Unrechts aus sie zutrifft. Wenn ich z. B. an all die Fälle denke, die unter den „groben Unfug" fallen, so kann bei manchen von ihnen das Bedürfnis nach einer schärferen Reaktion in den Volksgenossen lebendig werden. Ich glaube, daß eine scharfe begriff­

liche Abgrenzung kaum möglich ist. E s ist mehr Gefühlssache: Wo besteht das Bedürfnis nach Ein­ schreiten mit den schweren Strafm itteln, die unser Entwurf vorsieht, und in welchen Fällen genügen leichte Strafm ittel? W ir haben ja gerade deshalb, weil in den strafrechtlichen Nebengesetzen nicht immer Strafrechtsnorm und Gebot der Ethik sich decken, in die Begriffsbestimmung des Vorsatzes neben dem Be­ wußtsein, Unrecht zu tun, das Bewußtsein, gegen ein Gesetz zu verstoßen, aufgenommen. Ich glaube, an dem Standpunkt, daß das nichtkriminelle Unrecht nicht in den Entwurf des neuen deutschen Strafgesetzbuchs aufgenommen werden soll, wird unbedingt festgehalten werden. Ich rechne be­ stimmt damit, daß darüber ebenso wenig wie bei der ersten Lesung eine ernsthafte Debatte stattfinden wird. Wenn man schon dem neuen Strafgesetzbuch nicht den Charakter einer M agna C h a rta des Verbrechers geben will, sondern wenn dieses neue Strafgesetzbuch ein Bekenntnis zur nationalsozialistischen Weltan­ schauung und Staatsaufsassung sein soll, so können nur gewichtige Tatbestände in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden. Was soll nun mit dem nichtkriminellen Unrecht geschehen? Da bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder überläßt man es den Verwaltungsbehörden, oder man schafft neben dem Strafgesetzbuch als Parallele ein Polizeistrafgesetzbuch, das einen Teil der Tatbestände des nichtkriminellen Unrechts und allgemeine Vor­ schriften für das nichtkriminelle Unrecht enthält. Nun hat der Gedanke, das nichtkriminelle Unrecht der Verwaltung zu überlassen, für mich etwas Be­ stechendes: Denn auf diesem Gebiete ist die Justiz doch zum großen Teil Büttel der Verwaltung. I n Bayern wurden bis zum Jah re 1912 die amtsanwaltschastlichen Geschäfte bei den Amtsgerichten, die da­ mals überwiegend das nichtkriminelle Unrecht zum Gegenstand hatten, von Verwaltungsbeamten, von Nebenbeamten der Bezirksämter und Gemeindebe­ amten besorgt, und als im Jahre 1912 die Justiz diese amtsanwaltschaftlichen Geschäfte übernahm, mußte sie der Verwaltung bezüglich der Behandlung des nichtkriminellen Unrechts weitgehende Zugeständnisse machen: I n allen Übertretungssachen, die für die Verwaltung von Interesse sind, sollen die Ver­ waltungsbehörden vorher gehört werden. Nach Erlaß des Urteils soll den Verwaltungsbehörden Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, ob ein Rechtsmittel eingelegt werden soll. Einem berechtigten Wunsche nach dieser Richtung soll entsprochen werden. Aller­ dings bestand in Bayern bisher wenig Neigung bei der Verwaltung, die Bekämpfung des nichtkriminellen Unrechts selbst in die Hand zu nehmen; bis heute ist in Bayern wegen der ablehnenden Haltung der bayerischen Verwaltung die polizeiliche Strafver­ fügung noch nicht eingeführt worden. Anders ist es in Preußen! I n Preußen hat die Polizei durch das Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Ju n i 1931 die Bekämpfung des nichtkriminellen Unrechts in weitem Umfange an sich gezogen, so weit, als es nach der Lage der Reichsgesetzgebung möglich

war. D as Gesetz schuf die Möglichkeit, in P olizeiver­ ordnungen Zwangsgeld und Ersatzzwangsmittel, darunter auch Zwangshaft, anzudrohen. F ü r die Festsetzung des Zwangsgeldes und der Ersatzzwangs­ m itte l sind die Ortspolizeibehörden zuständig. Gegen die Festsetzung kann Beschwerde an die vorgesetzte Polizeibehörde und gegen einen ablehnenden B e­ schwerdebescheid Klage im Verwaltungsstreitverfahren erhoben werden. M it dem In k ra fttre te n des Polizeiverwaltungsgesetzcs sind die Strafandrohungen in den damals in Geltung befindlichen Polizeiverordnungen aufgehoben und durch Androhung von Zwangsgeld und Zwangshaft ersetzt worden. Ausge­ nommen wurden die Polizeiverordnungen, deren Übertretung im Gesetz m it S tra fe bedroht ist. Auch wurden die M inister- ermächtigt, in ihren eigenen Polizeiverordnungen statt Zwangsgeld und Zw angs­ hast Geldstrafe bis 150 Reichsmark oder in besonders schweren Fällen Hast bis zu zwei Wochen anzudrohen. D er durch das preußische Polizeiverwaltungsgesetz geschaffene Zwitterzustand ist meiner Ansicht nach durchaus unbefriedigend. M ir ist nun nicht bekannt, welche Aussichten dafür bestehen, daß das preußische Polizeiverordnungsrecht in das Reichsrecht über­ nommen w ird . D er Reichsgesetzgeber wäre natürlich in einer weit günstigeren Lage als der preußische Ge­ setzgeber, w eil er an die Schranken nicht gebunden wäre, die der preußische Gesetzgeber vorfand. D er D ualism us zwischen krim ineller S tra fe und polizei­ lichen Zwangsm itteln könnte bei einer reichsgesetz­ lichen Regelung vollständig vermieden werden. Auch a ll die Schwierigkeiten, aus die H err M in is te ria lra t Rietzsch in dem erwähnten A rtike l hinweist, ließen sich meiner Ansicht nach durchaus vermeiden. M a n könnte z. B . alle Vorschriften, die nichtkriminelles Unrecht zum Gegenstand haben, fü r subsidiär gegen­ über den Vorschriften krim ineller A r t erklären. Unter allen Umständen müßte man bestimmen, daß die Rechtskraft eines Bescheides, der Zwangsgeld oder Zw angshaft festsetzt, der S trafverfolgung wegen der­ selben T a t unter dem Gesichtspunkt krim ineller U n­ rechts nicht entgegensteht. D as bereits gezahlte Zwangsgeld oder die schon verbüßte Zwangshast könnten auf die im S trafverfahren ausgesprochene S tra fe angerechnet werden. D ie preußische Denkschrift spricht sich fü r die Überlassung des nichtkriminellen Unrechts an die V e r­ w altung aus, wobei allerdings n u r die Polizeiver­ ordnungen in s Auge gefaßt sind. Ich bin anderer Ansicht; ich bin der M einung, wenn auch die B e­ handlung des nichtkriminellen Unrechts fü r die Justiz keine sehr erfreuliche Ausgabe ist, sollte sie sich ih r doch nicht entziehen. B e i der Verfolgung und A burteilung des nichtkriminellen Unrechts ist die A u f­ gabe doch im wesentlichen die gleiche wie bei der Verfolgung und Aburteilung des kriminellen Unrechts. E s ist die ureigene Aufgabe des Richters, und unser deutsches Volk hat sich nun einmal daran gewöhnt, daß alles Unrecht durch den Richter abgeurteilt w ird. Ic h glaube, man würde es — ich weiß nicht, wie die Auffassung in Preußen seit dem preußischen P o lize i­ verwaltungsgesetz ist — sicherlich in den süddeutschen

Staaten als unbefriedigend empfinden, wenn die Rechtsgarantie der gerichtlichen Aburteilung ver­ schwinden würde. Wenn ich mich hiernach dafür aus­ spreche, daß das nichtkriminelle Unrecht bei der Justiz bleibt, so geschieht das nur unter der Voraussetzung, daß das preußische Polizeiverordnungsrecht nicht in das Reichsrecht übernommen w ird und auch aus dem preußischen Recht verschwindet. Ganz entschieden bin ich gegen die Zweispurigkeit des Einschreitens gegen das nichtkriminelle Unrecht m it den M itte ln der kriminellen S tra fe und den polizeilichen Zwangs­ m itteln. Kann erreicht werden, daß die Bekämpfung des nichtkriminellen Unrechts ausschließlich Aufgabe der Justiz w ird , dann müßte parallel zu dem Strafgesetz­ buch ein „Polizeistrasgesetzbuch" geschaffen werden. Ich würde diesen Ausdruck dem Ausdruck „O rdnungsstrasgesetzbuch", den H err M in is te ria lra t Rietzsch vo r­ schlägt, vorziehen. Es bestehen in den süddeutschen Ländern Polizeistrafgesetzbücher, die sich durchaus bewährt haben, und es ist durchaus nicht an dem, daß die Polizeistrafgesetzbücher sich ausschließlich m it Polizeiverordnungen beschäftigen müßten. Das darf ich noch nachtragen: Herr M in iste ria lra t Rietzsch ist der M einung, es ließe sich nicht alles nichtkriminelle Unrecht in Polizeiverordnungen einpressen. Ich halte das aber auch nicht fü r notwendig. D er Reichsgesetzgeber ist durchaus nicht genötigt, Zwangs­ geld und Zwangshaft n ur fü r Polizeiverordnungen vorzusehen. Ohne weiteres wäre-es auch möglich, im Gesetz diese Unrechtsfolgen anzudrohen. F ü r das neue Reichs-Polizeistrafgesetzbuch würde sich dann folgendes B ild ergeben: Aufzunehmen wären alle Übertretungstatbestände des geltenden Rechts, soweit sie nicht bei nochmaliger Nachprüfung sich als kriminelle Tatbestände erweisen oder wegen ihres engen Zusammenhangs m it dem sonstigen In h a lt der Gesetze, in denen sie sich finden, besser in diesen Ge­ setzen verbleiben. Neben den Tatbeständen der §§ 390 bis 414 des Referentenentwurss von 1933 kämen fü r die Über­ nahme vor allem die Tatbestände der landesrechtlichen Polizeistrafgesetzbücher und die Ubertretungstatbestände der reichsrechtlichen Nebenstrasgesetze in Betracht. Nun die Rechtsfolgen, die hier fü r das nichtkrim i­ nelle Unrecht anzudrohen wären! Herr M in iste ria lra t Rietzsch schlägt vor, „O rdnungsstrafe" und „O rd ­ nungshaft" anzudrohen. Diese beiden Worte sind m ir ebenso unsympathisch wie „Zwangsgeld" und „Z w a n g sh a ft". N un sollen ja in dem Strafgesetzbuch fü r das eigentlich kriminelle Unrecht prim är n u r Todesstrafe und Freiheitsstrafe angedroht werden. Geldstrafe soll n u r unter bestimmten Voraussetzungen an die Stelle von Freiheitsstrafe treten können. D ann steht nichts im Wege, die Geldstrafe als primäres S tra fm itte l dem nichtkriminellen Unrecht vorzu­ behalten. B ei dem weiten Gebiete des nichtkriminellen Un­ rechts kommt man natürlich nicht m it der Geldstrafe allein aus. W ir waren alle darüber einig, daß die

Geldstrafe ein sehr unvollkommenes Strafm ittel ist. M an wird auch auf dem Gebiete der Übertretungen die Möglichkeit schaffen müssen, daß die Geldstrafe den wirtschaftlichen Verhältnissen und der gesamten wirtschaftlichen Lage, der Lebenshaltung des Täters angepaßt werden kann. M an muß also den S traf­ rahmen der Geldstrafe für das nichtkriminelle Unrecht bedeutend weiter spannen als bei den Übertretungen des geltenden Rechtes. Ich habe in meinem gedruckten Antrage daran gedacht, als Maximum das Durch­ schnittseinkommen des Täters in einem M onat oder in zwei Monaten festzusetzen. Inzwischen ist von den Herren Sachbearbeitern des Reichsjustizministeriums der Begriff der Tagesbuße vorgeschlagen worden. M an könnte mit diesem Begriff auch hier arbeiten und etwa den hundertfachen Betrag einer Tagesbuße als Maximum -festsetzen. M an wird auch die Tilgung der Geldstrafe durch freie Arbeit zulassen müssen. Aber trotz dieser Verbesserungen der Geldstrafe wird sie nicht das einzige Strafm ittel für Übertretungen sein können. Freiheitsstrafe wird nicht nur als Ersatz der uneinbringlichen Geldstrafe, sondern auch als primäres Strafm ittel vorzusehen sein. Von der „Hast" als der neu eingeführten Strafe für kriminelles Un­ recht müßte diese Freiheitsstrafe dem Namen nach deutlich unterschieden werden. M an könnte an „Arrest" denken. Herr Ministerialrat Rietzsch meint allerdings, Arrest müsse den militärischen Delikten vorbehalten werden. Ich glaube, daß es zu keinen Konflikten führen würde, wenn man den Namen „Arrest" für die Freiheitsstrafe bei Übertretungen anwenden würde. Übrigens würde es wohl der Phantasie gelingen, noch eine andere Bezeichnung zu finden. Dann wäre die Androhung von Geldstrafe und von Arrest das Kennzeichen des nichtkriminellen Unrechts. D as neue Polizeistrafgesetzbuch müßte auch einen Allgemeinen Teil enthalten. E r sollte nicht etwa in der Hauptsache aus Verweisungen auf den Allge­ meinen Teil des neuen Deutschen Strafgesetzbuchs bestehen, sondern müßte selbständig sein. Die einzel­ nen Vorschriften des Allgemeinen Teils des Deutschen Strafgesetzbuchs müßten auf ihre Eignung zur Über­ nahme in das Polizeistrafgesetzbuch geprüft werden. Ich hatte geglaubt, daß man sich jetzt mit diesen Fragen noch nicht eingehend beschäftigen würde, und habe deshalb dazu in meinen Anträgen noch keine Stellung genommen. Herr Senatspräsident Klee hat in seinen Anträgen schon Vorschläge gemacht, wie man ungefähr den Allgemeinen Teil ausgestalten könnte. Diesen Vorschlägen trete ich weitgehend bei. I m wesentlichen decken sich damit auch die Ausfüh­ rungen des Herrn Ministerialrat Rietzsch in dem erwähnten Artikel. Ich greife nur einige Punkte heraus: Ausschluß der Analogie, Ausschluß der S tra f­ barkeit des Versuchs, also lediglich Strafbarkeit der vollendeten T at, Nichtübernahme des extensiven Täterbegrisfs und vor allem Subsidiarität der S tra f­ drohungen gegen nichtkriminelles Unrecht gegenüber den Vorschriften, die kriminelles Unrecht zum Gegen­ stand haben.

Nun die Frage der Aburteilung! Natürlich müßte die Aburteilung durch Gerichte erfolgen. Herr Senatspräsident Klee schlägt die Einführung eines besonderen Verwaltungsstrafverfahrens vor. Ich bin anderer Meinung. Wenn wir das nichtkriminelle Unrecht bei der Justiz belassen, so sollte es von den ordentlichen Gerichten abgeurteilt werden, und zwar nach den Vorschriften der Strafverfahrensordnung, selbstverständlich mit einigen Modifikationen. Schon unsere geltende Strafprozeßordnung enthält Sonder­ bestimmungen für die Aburteilung von Übertretungen. M an müßte diese Sonderbestimmungen vermehren. M an könnte an einen eigenen Abschnitt denken „Ab­ urteilung von Übertretungen". D arin müßte vor allem dem Richter eine freiere Stellung gegeben werden. Es müßte auch die Möglichkeit geschaffen werden, in weiterem Umfange die Öffentlichkeit aus­ zuschließen, wenn man überhaupt grundsätzlich die Öffentlichkeit vorsehen will. M an könnte auch, wie Herr Ministerialrat Rietzsch vorschlägt, daran denken, in geeigneten Fällen die Erledigung im schriftlichen Verfahren ohne Hauptverhandlung zuzulassen. Wenn ich aber dafür bin, daß das nichtkriminelle Unrecht bei der Justiz bleibt, so müssen doch die Justizbehörden weitgehend entlastet werden. D as geschieht im gelten­ den Recht schon durch die Zulassung der polizeilichen Strafverfügung. S ie müßte selbstverständlich über­ nommen und für das ganze Reichsgebiet einheitlich ausgestaltet werden. I h r Anwendungsgebiet würde sich wahrscheinlich erweitern, weil das nichtkriminelle Unrecht gegenüber dem kriminellen Unrecht in den Nebengesetzen wohl eine Ausdehnung erfahren wird. Weiter denke ich an eine Entlastung der Justiz­ behörden dadurch, daß die Rechtswirksamkeit einer zur Ausfüllung einer gesetzlichen Blankettvorschrift dienenden Bestimmung im Verwaltungsstreitverfahren festgestellt werden kann. S eit langem wird es als mißlich empfunden, daß die Ungültigkeit einer polizei­ lichen Vorschrift nur im Strafverfahren geltend gemacht werden kann. Wer dies tun will, muß die Vorschrift übertreten, um dann im Strafverfahren Gelegenheit zu haben, die Ungültigkeit der Vorschrift feststellen zu lassen. Meiner Ansicht nach könnte ohne Schwierigkeit zugelassen werden, daß der von einer polizeilichen Vorschrift Betroffene die Frage der Rechtswirksamkeit oder -Unwirksamkeit der Vorschrift im Verwaltungsstreitverfahren zum Austrag bringt. Berichterstatter Senatspräsident Pros. Dr. Klee: Es ist nicht ganz einfach, den wesentlichen Unter­ schied zwischen kriminellem Unrecht und nichtkrimi­ nellem Unrecht zu bestimmen. Herr Ministerialrat Rietzsch hebt den ethischen Charakter des kriminellen Unrechts und den ethisch neutralen Charakter des nichtkriminellen Unrechts hervor. Aber diese Unter­ scheidung ist nicht ganz deckend. Auch im kriminellen Strafrecht gibt es Normen, bei denen von einem ethischen Charakter nicht die Rede sein kann, eine einen erheblichen kriminellen Charakter an sich tragende Strafdrohung aber aus Gründen des praktischen Be­ dürfnisses notwendig wird. S o sind Delikte gegen das Viehseuchengesetz und mannigfache Delikte be-

treffend Gebrauchsgegenstände aller Art zweifellos von großer Wichtigkeit, aber keineswegs ethisch betont. Richtig ist aber, daß beim Übertretungsstraf­ recht der materielle Unrechtsbegriss entfällt. Dem nichtkriminellen Unrecht fehlt in der Regel der ethische Charakter^ die sittliche Ordnung wird dadurch nicht berührt. Vielleicht könnte man im Vorspruch das Kriterium der Aufrechterhaltung der äußeren Ord­ nung, der „guten Ordnung des Gemeinwesens", wie Otto Mayer gesagt hat, festlegen, wobei freilich zu betonen ist, daß dieser Gesichtspunkt keine ausschließ­ liche Geltung beansprucht. Ich denke hier an die Bagatellnatur gewisser Verletzungsdelikte wie Mund­ raub, unbefugtes Fischen, die wir freilich zu Vergehen stempeln wollen; es wird sich fragen, ob diese Delikte eben ihrer Bagatellnatur wegen nicht doch in das Ubertretungsstrafrecht gehören. Hier überschneiden sich zwei Gesichtspunkte: einmal der Ordnungsstraf­ charakter, also die Verletzung der äußeren Ordnung, und andererseits der Bagatellcharakter. Andererseits erscheint es angezeigt, eine gewisse Verschiebbarkeit zwischen kriminellem und nichtkrimi­ nellem Unrecht zuzulasten. E s ist nicht notwendig, daß ein Delikt ausschließlich verwaltungsstrasrechtlich ge­ ahndet wird, sondern im einzelnen Fall muß beim Vorliegen erschwerender Umstände die Möglichkeit gegeben sein, kriminell vorzugehen. Diesen Gedanken spricht Herr M inisterialrat Rietzsch am Schluß seines Aussatzes aus. I n welcher Weise soll man nun gesetzgeberisch das nichtkriminelle vom kriminellen Unrecht scheiden? Hier fragt sich zunächst, wo das nichtkriminelle Unrecht geordnet werden soll. D as kann nur ein einheitliches Polizeistrafgesetzbuch für das ganze Reich sein. Die Denkschrift hat auf Polizeiverordnungen abgestellt. Ich möchte mich diesem Vorschlag nicht anschließen, vielmehr der Auffassung des Herrn Mitberichterstatters Ministerialdirektor Dr. D ürr beitreten: es wird ein allgemeines Polizeistrasgesetzbuch zu schaffen sein, das auch zu einem Teile das Nebenstrafrecht einbezieht, soweit es nichtkrimineller Natur ist. Viele Strafbe­ stimmungen des Nebenstrafrechts werden mit Rücksicht aus den Zusammenhang, in dem sie stehen, nicht in das Polizeistrafgesetzbuch übernommen werden können; hier wäre eine Loslösung von der Materie des Neben­ gesetzes vom Übel. Soweit angängig, werden in das allgemeine Polizeistrafgesetzbuch Blankettstrafvorschriften aufzunehmen sein, die einen großen Teil uebenstrasgesetzlicher Strasvorschristen umfassen könnten. Jedenfalls läßt sich das Gesamtgebiet des nichtkriminellen Unrechts nicht in Polizeiverordnun­ gen kodifizieren. Wie steht es nun mit dem Verfahren? Hier ist die grundsätzliche Frage: soll Justiz oder Verwaltung die Aburteilung vornehmen? Sowohl das eine wie das andere hat seine Vorzüge und Nachteile. Herr M ini­ sterialrat Rietzsch hat die Aburteilung auch des nichtkriminellen Unrechts vorbehaltlich des „Wie?" durch die ordentlichen Gerichte empfohlen. Nun steht aber die Verwaltung kraft ihrer Tätigkeit und Zu­ ständigkeit vielen Materien des nichtkriminellen Un­

rechts sachlich und fachlich näher als die Gerichte, und insofern möchte man der Aburteilung im Wege des Verwaltungsstrafverfahrens den Vorzug geben. D a­ für spricht auch noch ein anderer Gesichtspunkt: Wenn man die Aburteilung nichtkriminellen Unrechts den ordentlichen Gerichten überläßt, so ist ein Dualismus zwischen den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, insbesondere des Oberverwaltungsgerichts einerseits und der ordentlichen Gerichte, insbesondere des Kammergerichts, andererseits nicht zu vermeiden. Die Verwaltungsgerichte können aber auf keinen F all in den Fällen ausgeschaltet werden, bei denen es sich um Exekutivstrafen handelt, also bei der Entscheidung über polizeiliche Verfügungen, die Zwangsmaßnahmen androhen oder verhängen. Gegen derartige Exekutiv­ maßnahmen kann der Einzelne nur im Wege der Verwaltungsbeschwerde und der Verwaltungsklage vorgehen. Nun ist in der Rechtsprechung des Kammer­ gerichts und des Oberverwaltungsgerichts ein miß­ licher Zwiespalt hervorgetreten. Eine Reihe von P o ­ lizeiverordnungen, die das Kammergericht in ständiger Rechtsprechung für ungültig erklärte, hat das Ober­ verwaltungsgericht als letzte Verwaltungsinstanz für gültig erklärt. Auch der umgekehrte Fall ist nicht selten gewesen, ich denke dabei an die Körverordnun­ gen, die das Kammergericht für gültig, das Oberver­ waltungsgericht, weil in den Kreis der Wohlfahrts­ pflege hineinfallend, für ungültig erklärt hat. Die preußische Gesetzgebung hat den Zwiespalt aus diesem Sondergebiet durch den Erlaß des Körgesetzes be­ seitigt. Um solche widersprechenden Entscheidungen auszuschließen, könnte man auf den Gedanken kommen, auch die Aburteilung des nichtkriminellen Unrechts als Ordnungswidrigkeit ganz den Verwaltungsbe­ hörden und Gerichten zu überlasten. Bei reiflicher Prüfung muß ich zugeben, daß diese Gesichtspunkte nicht durchschlagend sind. Vielmehr muß ich mich der Auffassung des ersten Herrn B e­ richterstatters und des Herrn M inisterialrat Rietzsch anschließen, daß das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit der ordentlichen Gerichte als Polizei­ gerichte größer ist als das Vertrauen in die Verwal­ tungsgerichte. Gewiß sind auch die Verwaltungsge­ richte unabhängige Gerichte, aber aus der Vorstellung des Volkes läßt sich eine Art von Parteistellung dieser Instanzen, die sich aus den nahen Berührungspunkten der verwaltenden und richtenden Tätigkeit ergibt, doch nicht bannen. Die Mitglieder der Verwaltungsge­ richte sind gleichzeitig Verwaltungsbeamte, die ähn­ liche Sachen in ihrer Verwaltungstätigkeit bearbeiten und daher nicht als innerlich völlig unabhängige Richter angesehen werden. Dieses lm ponderabile erscheint doch recht bedeutsam. Ich denke weniger an die Schwierigkeit, nebenstrafrechtliche Fragen durch die Verwaltungsgerichte entscheiden zu lassen. Warum sollen nicht auch die Verwaltungsgerichte diese E n t­ scheidungen fällen können? M an kann auch nicht einwenden, daß die Polizei nicht imstande wäre, der­ artige Rechtsfragen zu bewältigen. D as erste Wort, den ersten Angriff hat in solchen Sachen doch die Polizei und wird sie immer haben.

Neben der Anrufung der ordentlichen Gerichte gegen polizeiliche Strafverfügungen wird nach wie vor auch die Verwaltungsbeschwerde zulässig sein müssen, womit die Endentscheidung auch in recht­ licher Beziehung den Verwaltungsbehörden und schließlich dem Oberverwaltungsgericht übertragen würde. Behält man das Nebeneinander von An­ rufung des ordentlichen Gerichts und der Verwal­ tungsbeschwerde und -klage bei, so werden die vorhin berührten widersprechenden Entscheidungen nicht aus der Welt geschasst werden. Hier muß eine über dem Kammergericht und dem Oberverwaltungsgericht stehende Instanz geschaffen werden, die im Falle widersprechender Entscheidungen den Ausschlag gibt. Ich komme nun zu den Rechtsfolgen des nichtkriminellen Unrechts. Es erscheint geboten, die Reak­ tion aus nichtkriminelles Unrecht von der Reaktion des kriminellen Strafrechts scharf abzugrenzen. I n der Anschauung des Volkes ist es etwas wesentlich Verschiedenes, ob jemand eine polizeiliche Verordnung Übertritt oder sich gegen das materielle Strafrecht vergeht. Dieser Unterschied muß sich auch in den Rechtsfolgen ausdrücken. Nach der Formaldefinition des Ref.Entwurss von 1933 sind Übertretungen die Handlungen, die nur mit Geldstrafe bedroht sind. Nun kann man aber die Geldstrafe unmöglich dem nichtkriminellen Unrecht reservieren und aus dem kriminellen Strafrecht herausnehmen; man wird auch in Zukunft bei der Aburteilung geringfügigerer Ver­ mögensdelikte um die Anwendung der Geldstrase nicht herumkommen. E s bleibt daher, um nach außen den Unterschied zwischen krimineller und polizeilicher Strafe zur Geltung zu bringen, nur übrig — hierin stimme ich Herrn Ministerialrat Rietzsch bei — , so­ weit für Polizeiübertretnngen — und das ist die Regel — ein für Einkommen und Vermögen empfind­ liches Übel verhängt wird, nicht von Geldstrafe, sondern etwa von Ordnungsstrafe zu sprechen. Die Freiheitsstrafe, die an die Stelle einer Ord­ nungsstrafe zu treten hätte, könnte man demgemäß „Ordnungshaft" nennen. Den Ausdruck „Arrest" möchte ich nicht befürworten. Diese Bezeichnung würde Verwirrung im Volk hervorrufen, zumal nachdem wir die allgemeine Wehrpflicht wieder einge­ führt haben, also weite Kreise mit dem militärischen Arrest in Berührung kommen werden. I m Volke betrachtet man den Arrest eben als eine militärische Strafe. Noch einige Worte zur Ausgestaltung des Ordnungsstrafversahrens. Selbstverständlich ist, daß dieses Verfahren einen völlig anderen Charakter haben muß als das kriminelle Strafverfahren. Von einer Anklagebank kann keine Rede sein. D as Ver­ fahren soll nichts weiter sein als eine Auseinander­ setzung des Staates mit dem sich der Ordnung nicht fügenden Volksgenossen, hat also mehr korrektions­ mäßigen Charakter, den Charakter einer Rektifizie­ rung. Von der Öffentlichkeit des Verfahrens ist abzu­ sehen; ein Interesse dafür liegt nicht vor. Auch die Mündlichkeit des Verfahrens kann in der Mehrzahl

der Fülle entbehrt und durch Schriftverkehr ersetzt werden. (Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Sollen die Strafen in das Strafregister eingetragen werden?) — Davon würde ich absehen. Auch für das Polizei­ unrecht könnte übrigens m. E. als Strafm ittel die Verwarnung mit Strasvorbehalt in Frage kommen. W as die Täterschaftsformen betrifft, so sollte die Beihilfe nicht mehr straflos bleiben. § 379 des Res.Entwurss von 1933 erklärt Versuch und Beihilfe für straflos. Auch mir scheint es kaum notwendig zu sein, den Versuch zu bestrafen. Die Nichtbestrafung der Beihilfe hat in der Praxis zu Mißlichkeiten geführt. I n Fällen, in denen sich der Angestellte einer Über­ tretung schuldig macht und der Arbeitgeber das duldet, kommt Beihilfe des letzteren in Frage. Um hier nicht zur Straflosigkeit des Arbeitgebers zu gelangen, hat sich die Praxis mit mittelbarer Täterschaft des Arbeit­ gebers geholfen, das war aber eine künstliche Kon­ struktion. Künftig würden wir hier einfach von M it­ wirkung sprechen, vorausgesetzt, daß wir den exten­ siven Täterbegriff auch bei den Übertretungen an­ wenden. Nun wissen wir allerdings noch nicht, ob wir cs mit dem extensiven Täterbegrisf versuchen sollen; es liegen Vorschläge in entgegengesetzter Richtung vor. Jedenfalls sehe ich nicht ein, warum der extensive Täterbegrisf, wenn er eingeführt wird, nicht auch im Polizeistrafrecht tauglich sein sollte. Den § 398 des Entwurfs von 1933 wollte ich streichen, und damit den Rechtsirrtum für unbeachtlich erklären. Ich möchte das aber — einmal den S tan d ­ punkt eingenommen, daß der Rechtsirrtum im krimi­ nellen Strafrecht den Vorsatz ausschließt — nicht auf­ rechterhalten. Soll nun einmal im Strafrecht der Nechtsirrtum den Vorsatz ausschließen, mag er das erst recht im Polizeistrafrecht tun. Die Übertretungen werden ja in der Regel auch in der Form der F ah r­ lässigkeit strafbar sein, so daß also für die strafbare Rechtsfahrlässigkeit ein breiter Raum wäre. I m All­ gemeinen Teil der Übertretungen muß zum Ausdruck kommen, daß, wenn aus der Natur des Delikts nicht folgt, daß es nur vorsätzlich begangen werden kann, wie z. B. der grobe Unfug, Fahrlässigkeit immer straf­ bar ist. Soweit Fahrlässigkeit ausnahmsweise nicht strafbar ist, müßte für die Rechtsfahrlässigkeit bei Übertretungen eine dem Absatz 4 des § 375 des E nt­ wurfs erster Lesung entsprechende Vorschrift vorge­ sehen werden. Die Rechtsfahrlässigkeit wird sich im Gebiete der Polizeiübertretungen viel zwangloser konstruieren lassen als im materiellen Strafrecht. Meistens ge­ hören die Zuwiderhandelnden einem bestimmten Beruf oder Gewerbe, für die die Vorschrift erlassen ist, an. Ohne weiteres fällt dann dem Fahrlässigkeit zur Last, der sich um solche ihn nahe angehende Vorschrift nicht kümmert und infolgedessen polizeiwidrig handelt. W as endlich die analoge Anwendung von S tra f­ drohungen im Gebiete des Polizeirechts betrifft, so sind wir, als wir die Analogie in erster Lesung be-

handelten, uns wohl schon einig darüber geworden, daß die analoge Anwendung einer Strafdrohung hier auszuschließen sein wird. Hier, wo bon materiellem Unrecht nicht die Rede sein kann, kommt eine Auflockerung des Satzes nullum crim en sine lege nicht in Frage. Es handelt sich namentlich bei den Materien der Polizeiverordnungen um eine auf reinen Zweckmäßigkeitserwägungen beruhende Ab­ grenzung des erlaubten und unerlaubten menschlichen Handelns. Es würde eine große Rechtsunsicherheit mit sich bringen, wenn in dieser Sphäre der Analogie Raum gegeben würde. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, die Grundfragen, die uns hier be­ schäftigen, sind ziemlich leicht zu fixieren. Daß zwischen dem kriminellen und dem nichtkriminellen Unrecht ein Unterschied ist, ist keine neue Erkenntnis. Die Frage, ob man das begrifflich überhaupt ab­ grenzen kann, ist gestellt worden. Ich glaube, für die begriffliche Abgrenzung müßten wir doch wohl aus die sittliche Abwertung des kriminellen Unrechts hin­ auskommen. Da hat der Täter eben etwas getan, was mit der Sittenordnung nicht in Einklang steht. Beim nichtkriminellen Unrecht dagegen wird es sich in den meisten Fällen um sittlich indifferente T at­ bestände handeln. Wenn nun schon so große Unter­ schiede innerlich vorhanden sind — wobei es, glaube ich, keine Schwierigkeiten macht, die sittliche Ab­ wertung auch auf die Fahrlässigkeitsdelikte auszu­ dehnen, während ich mich dagegen wehre, den rechts­ brecherischen Willen mit der Fahrlässigkeit in einem Atem zu nennen —, dann sollten sie auch verschieden behandelt werden. Nun gibt es zwei Lösungsmöglichkeiten. Die erste ist die: M an macht ein Buch, in denr nur das krimi­ nelle Unrecht drinsteht, und zwar alles, — das ist praktisch unvorstellbar, undenkbar mit Rücksicht auf das Nebenstrafrecht. Die zweite Möglichkeit ist die: M an kennzeichnet das, was man als Ordnungsdelikt ansehen will, äußerlich, also nicht herausgehoben aus einem tiefen Schatz theoretischer Erwägungen, sondern äußerlich wie mit einer Briefmarke. Das wäre die gröbste, aber die meiner Meinung nach einzig mög­ liche Lösung. M an schreibt also im Nebenstrafrecht: Wenn du das und das tust, wirst du mit einer Strafe bedroht, die äußerlich wie die Prägung einer Münze oder einer Briefmarke erkennen läßt, daß das kein krimineller Tatbestand ist. Eine andere Möglichkeit der Lösung sehe ich praktisch nicht. D as wäre der eine Punkt. Dazu würde dann notwendig sein, daß man Namen für die Strafen erfindet, die äußerlich den Unterschied erkennen lassen, also die Strafhaft von der Polizeihast unter­ scheiden, die kriminelle Geldstrafe von der Ordnungs­ strafe. Leicht wird das nicht sein, weil wir den Be­ griff Ordnungsstrafe schon verbraucht haben, und zwar in der Prozeßordnung, in der Disziplinarord­ nung usw. Sodann meine ich: Wenn man davon ausgeht — ich stelle das zur Besprechung —, daß das innere

Kriterium eben das ist, daß der eine Unrecht tut im sittlichen S in n , während dos beim andern nicht der Fall ist, so ergeben sich daraus die Folgerungen für den Allgemeinen Teil, daß nur den Vorsatzoegriss und auch den Fahrlässigkeitsbegriff, wie wir ihn haben, nicht brauchen können, sondern hier ein S tra f­ recht ausbauen müssen im reaktionärsten Sinne des Wortes, wenn ich den Ausdruck einmal gebrauchen darf. Weiter wäre ich sehr dankbar, wenn die Herren, namentlich Herr Kollege Rietzsch, der zunächst das Wort nehmen wird, bei der Zuständigkeitssrage ,'Justiz oder Verwaltung?" den Hergang einer solchen Sache zugrundelegen und auseinandersetzen würden, wie Sie sich die praktische Durchführung denken. Ein Beispiel: Jem and wirft eine Bananenschale auf den Fußsteig der Voßstraße, ein Schutzmann sicht das, er­ geht hin und sagt: „Sie wissen, daß das verboten ist, ich nehme S ie in zwei Mark Strafe." M it der Zahlung dieser Ordnungsstrafe ist der Fall erledigt. Das hat sich ja im großen und ganzen ganz gilt eingebürgert, selbst in Bayern, wo man gegen alle polizeiliche Strafgewalt ein ererbtes und unauslöschliches M iß­ trauen hat. Gesetzt nun den Fall, der Mann will nicht zahlen, wie soll das dann weitergehen? S oll das, was dann kommt, sich nur im Rahmen der Polizei abspielen, oder soll da irgendwo noch ein Weg znm Richter führen? I n diesen Kreis der Be­ trachtung fällt auch die polizeiliche Strafverfügung, deren Anhänger ich auch bin. Die polizeiliche S tra f­ verfügung bleibt in den weitaus meisten Fällen unan­ gefochten. Es wird unangefochten bezahlt; es ist ja höchst bequem. Soll aber nun, wenn der von der Verfügung Betroffene sich damit nicht zufrieden gibt, ein Weg an das Gericht führen, oder soll das im Dienstaufsichtswege oder auf dem Wege der Verwal­ tungsbeschwerde auslaufen? Das sind Fragen, über die wir uns klar werden müssen. Eine prozessuale Regelung des polizeilichen Un­ rechts dahingehend, daß überhaupt in gar keinem Teil des Verfahrens die Polizeibehörde Strafen verfügen könnte, halte ich für ausgeschlossen. Das wäre völlig unmöglich, und das wäre ein furchtbares Danaer­ geschenk für die Justiz. W ir haben jetzt diese polizei­ liche Strafverfügung und diese Zwangsgelder als Versuche, als Formen, in denen man den Gedanken verwirklicht hat. Dazu müssen wir für das ganze Reich Stellung nehmen. Ich kann mir nicht denken, daß man die Reaktion gegen das polizeiliche Unrecht etwa von vornherein an den Richter gibt, sondern höchstens in einem Stadium, wo die Frage akut wird. Nun ist die Frage: Gibt es ein Stadium, wo die Frage wirklich akut wird, daß von einer Stelle, die an sich ja die befehlsgebende Stelle ist, gerichtet wird — und das ist ja der Grund des ererbten Mißtrauens in meiner Heimat, daß die Befehlsstelle auch gleich­ zeitig die richtende Stelle ist — , und soll man dann einen Weg an die Gerichte öffnen und unter welchen Voraussetzungen? D as ist das Problem.

Ministerialrat Rietzsch: Die Durchführung der Unterscheidung zwischen kriminellem und nichtkriminellem Unrecht ist in der Theorie vielleicht schwieriger als in der Praxis. Man wird eine ganze Reihe von Gesichtspunkten heran­ ziehen können, um klarzustellen, ob kriminelles oder nichtkriminelles Unrecht vorliegt. D as letztere stört nur die äußere Ordnung des Zusammenlebens; das erstere verletzt die innere Ordnung der Gemeinschaft und daher das Rechtsgefühl. Sicheres Kennzeichen des kriminellen Unrechts wird sein, daß es zugleich Gebote der Ethik verletzt. F ü r das Strafgesetzbuch genügt dies Merkmal vollauf; aus dem Entwurf wird nur eine Vorschrift herausgenommen werden müssen, weil ihr der ethische Charakter fehlt: D as Verbot von Lotterien und Ausspielungen ohne Genehmigung. Gerade der Umstand, daß etwas genehmigt werden kann und damit erlaubt ist, wird im allgemeinen dafür sprechen, daß nur Ordnungsunrecht vorliegt. Von dem Verbot nicht genehmigter Lotterien und Ausspielungen abgesehen enthalten wohl alle Vor­ schriften des Entwurfs auch ein ethisches Gebot. Etwas schwieriger mag die Unterscheidung auf dem Gebiet des Nebenstrafrechts sein. D as Kenn­ zeichen ethischen In h a lts des Gebots wird aber auch hier vielfach wertvoll sein. Bei der Viehseuchengesetz­ gebung etwa, die Herr Senatspräsident Klee anzog, wird man sagen können, daß die Rücksichtslosigkeit gegen die Nachbarn, die sich darin dokumentiert, daß jemand unter Zuwiderhandlung gegen das Gesetz etwa die Maul- und Klauenseuche auf den Nachbarhof überträgt, auch ein Gebot der Ethik verletzt. Dagegen wird bloßes Bagatellunrecht Ordnungsunrecht dar­ stellen. Ferner wird man den Satz aufstellen können, daß Verfehlungen den Charakter der Verletzung eines ethischen Gebots annehmen, wenn sie sür die Volks­ gemeinschaft von besonderer Bedeutung sind. So werden Verletzungen der Devisengesetzgebung, die an sich unter normalen Verhältnissen — da hier eine Genehmigung ein sonst verbotenes Verhalten zu einem rechtmäßigen machen kann — wohl nur Ord­ nungsunrecht darstellen werden, heute bei ihrer be­ sonderen Bedeutung sür die Volksgemeinschaft als kriminelles Unrecht zu werten sein. Einen Versuch, auf dem Wege der Gesetzgebung eine Unterscheidung zwischen kriminellem und nichtkriminellem Unrecht durchzuführen, hat bisher wohl nur Preußen gemacht. I n Preußen hat man sich bei dem Erlaß des preußischen Polizeiverwaltungs­ gesetzes von 1931 gesagt: W ir haben in Preußen in jedem Ja h r etwa 1,1 Million polizeiliche Strafver­ fügungen. Diese zahllosen Strafverfügungen führen zu „Vorstrafen". Die Folge ist naturgemäß, daß der Gedanke, vorbestraft zu sein, nicht eben drückend erscheint; man tröstet sich damit, zahllose socii m alorum zu haben. Zur Hebung der Autorität der kriminellen Strafe beschloß man daher, aus den bisher strafbaren Handlungen die Gruppe des Polizei­ unrechts herauszuheben, und zwar durch Androhung einer besonderen Reaktion, des „Zwangsgeldes" und durch Eröffnung eines Rechtszuges vor Verwaltungs­

behörden und -gerichten unter Ausschaltung der ordentlichen Gerichte. S o brachte das preußische Polizeiverwaltungsgesetz als Reaktion bei Ungehor­ sam gegen Polizeigebote die gleiche Beugemaßnahme, die bisher nur zur Durchsetzung polizeilicher Ver­ fügungen bestanden hatte; Verletzung polizeilicher Verfügungen und Verordnungen wurden gleichmäßig behandelt. Dies ließ sich freilich nur durchführen, soweit Polizeiverordnungen nicht auf der Grundlage einer reichsrechtlichen Blankettvorschrift ergingen, die von Reichs wegen für Zuwiderhandlungen Übertretungsstrafe androhte; an solche Übertretungsstrafe war Preußen natürlich gebunden. Aber auch in solchen Fällen gewann man die Möglichkeit, die Zu­ widerhandlung — wahlweise neben der Übertretungs­ strafe — mit Zwangsgeld zu belegen, indem man eben das Zwangsgeld als reine Beugemaßnahme aus­ gestaltete. Auf dem Gebiet der Zwangsstrafen legt das Reichsrecht den Ländern keine Beschränkungen auf, und so hat auch der Staatsgerichtshof das Zwangsgeld als Beugemaßnahme für gültig erklärt. F ü r die Fälle, in denen Polizeiverordnungen auf Übertretungstatbeständen des Reichsstrafrechts, z. B. § 360 Nr. 10 S tG B ., beruhen, schuf man die Möglich­ keit einer doppelten Reaktion: Übertretungsstrase oder Zwangsgeld. Praktisch griff die Polizei dann zur Beugernaßnahme und erreichte damit, daß die­ jenigen, die mit Beugemaßnahmen belegt wurden, nicht vorbestraft wurden, zugleich aber erreichte sie auch die Ausschaltung der Gerichte in diesen Fällen zugunsten der Verwaltungsbehörden. Diese komplizierte Regelung ist natürlich nicht überall verstanden worden. E s ließ sich auch in der Praxis mit der Beugemaßnahme nicht arbeiten. Denn im Wesen einer Beugemaßnahme liegt, daß sie weichen muß, wenn kein Anlaß mehr ist zu beugen. Wird ein Friseur wegen unhygienischer Einrichtungen in seinem Geschäft mit einer polizeilichen Beugemaß­ nahme belegt und erklärt er: Ich verkaufe gerade mein Geschäft und kann daher gegen die Vorschrift nicht mehr verstoßen, so ist die Polizei theoretisch machtlos; sie muß die Beugemaßnahme fallenlassen. Dasselbe gilt, wenn der Autobesitzer, dem soeben ein Zwangs­ geld auferlegt ist, weil er bei Dunkelheit ohne Laterne gefahren ist, erklärt: Ich verkaufe mein Auto und werde nicht mehr fahren. Wären diese theoretisch zwingenden Konstruktionen von der Praxis beachtet, so wäre man mit dem Zwangsgeld gescheitert. M an half sich, indem man das Zwangsgeld einfach als Ordnungsstrafe handhabte. D as Preußische Ober­ verwaltungsgericht hat denn auch in verständnisvoller Würdigung der Bedürfnisse der polizeilichen Praxis das Zwangsgeld als O r d n u n g s s t r a f e für gültig erklärt. Die Geschichte des preußischen Zwangsgeldes lehrt mithin, daß die Reaktion gegen Ordnungsunrecht im künftigen Recht nicht eine Beugemaßnahme sein darf, sondern ein Rechtsnachteil sein muß, der gleich der kriminellen Strafe eintritt, quia peccatum* est, also eine Ordnungsstrafe. Es fragt sich nur, ob man das preußische Recht wenigstens in der ihm eigentümlichen

Ausgestaltung eines besonderen Rechtswegs für polizeiliches Unrecht auf das Reich übernehmen soll. Die preußischen Polizeiverordnungen drohen, wie gesagt, Zwangsgeld (allein oder wahlweise neben Übertretungsstrafe) an, und das preußische Polizei­ verwaltungsgesetz sieht gegen die Festsetzung von Zwangsgeld Beschwerde an Verwaltungsbehörden und Klage beim Oberverwaltungsgericht vor. Gegen diese Regelung spricht m. E. folgendes Bedenken: Sie beschränkt sich auf Polizeiverordnungen. D as Polizei­ unrecht läßt sich aber von dem sonstigen Ordnungs­ unrecht nach sachlichen Gesichtspunkten nicht unter­ scheiden. Ob eine Materie durch Polizeiverordnung oder auf anderem Wege geregelt wird, beruht meist auf Zufälligkeiten der historischen Entwicklung. Der Gang ist vielfach der: Ein Landrat erkennt: D as und das muß verboten werden. Dann erläßt er eine Polizeiverordnung. Alsbald findet der Regierungs­ präsident, sein Landrat habe recht; was er in seinem Kreise eingeführt habe, sei auch in den anderen Kreisen des Bezirks einzuführen. S o erläßt er eine Polizeiverordnung für den Regierungsbezirk. Dann kommt der Oberpräsident und verallgemeinert die Regelung für die ganze Provinz. Später ergeht vom Ministerium des In n e rn aus entweder eine Muster­ polizeiverordnung, nach der alle Oberpräsidenten einen gleichlautenden Erlaß herausgeben, oder eine Polizeiverordnung des Ministers. Noch später kommt der Landesgesetzgeber und findet, die Sache werde besser durch ein Landesgesetz geregelt, und zum Schluß ergeht womöglich ein Reichsgesetz. Die Polizei­ verordnung ist also oft nur ein Durchgangsstadium, das letzten Endes durch ein Landes- oder Reichsgesetz ersetzt wird. Die Abgrenzung, die das preußische Polizeiver­ waltungsgesetz stillschweigend voraussetzt: Ordnungs­ unrecht gleich Polizeiunrecht, läßt sich daher nicht halten. Es gibt keinen begrifflichen Unterschied zwischen dem Ordnungsunrecht, das in Polizei­ verordnungen geregelt ist, und dem Ordnungsunrecht, das geregelt ist in Nebenstrafgesetzen des Reichs und der Länder oder in den unzähligen Verwaltungs­ verordnungen, die wir noch vom Bundesrat, vom Reichsrat her oder in den Ländern haben. D as ist der Punkt, der m. E. heute noch nicht genügend zur Sprache gekommen ist. Die Unter­ scheidung, die zwischen kriminellem und nichtkrimi­ nellem Ünrecht durchzuführen sein wird, darf nicht nur für das reine Polizeiunrecht gelten, sondern sie muß gelten für das gesamte Gebiet, das wir neben dem kriminellen Unrecht haben, also für das ganze Gebiet, das sich zusammensetzt aus den bisherigen Ordnungsstrafbestimmungen des Reichs, den Gesetzen des Reichsnebenstrasrechts, ferner aus den zahllosen Bestimmungen der Länder in ihren Gesetzen, ferner aus den Polizeiverordnungen und endlich aus den zahllosen Verwaltungsverordnungen, die auch irgend­ wie eine Strafe androhen, also z. B. aus der Reichs­ straßenverkehrsordnung, die keine Polizeiverordnung darstellt. Die Strafrechtskommission hat den Unter­ schied zwischen Verbrechen und Vergehen beseitigt, da

ihm jeder sachliche Gehalt fehlt; sie steht im Begriff, aus dem gleichen Grunde die bisherige Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen einerseits, Über­ tretungen andererseits zu beseitigen und durch die Unterscheidung zwischen kriminellem und nichtkrimi­ nellem Unrecht zu ersetzen, weil hier ein echter sach­ licher Unterschied besteht. S ie kann aber m. E. nicht empfehlen, wieder einen neuen rein formalen Unter­ schied einzuführen zwischen dem Ordnungsunrecht, das eine Polizeiverordnung verletzt, und dem sonstigen Ordnungsunrecht. Ob der Straßenverkehr wie früher teils durch Gesetze, teils durch Polizeiverordnungen geregelt ist oder, wie jetzt, durch Verwaltungsverord­ nung, das ist für den Charakter der Zuwiderhand­ lungen ganz gleichgültig, zumal vom Standpunkt des WiÜens'strafrechts aus. Nun könnte man vielleicht aus den Gedanken kommen, a l l e s Ordnungsunrecht in Polizeiver­ ordnungen zu regeln. D as geht aber m. E. nicht; denn wie sollte man dann im Nebenstrafrecht ver­ fahren? W ir haben bisher den Ubertretungstatbestand: Wer den Vorschriften gegen die Heiligung der Feiertage zuwiderhandelt, wird bestraft. S oll man daraus eine Polizeiverordnung machen? Es würde sich dann das merkwürdige Bild ergeben, daß das Reichsgesetz über die Heiligung der' Feiertage ergänzt würde durch — lokale — Polizeiverord­ nungen. D as Beispiel zeigt bereits, daß dieser Ge­ danke nicht empfehlenswert ist. M an müßte ihn für das gesamte bisher im Nebenstrafrecht geregelte Ordnungsunrecht durchführen, ferner für alle Ver­ stöße gegen Verwaltungsverordnungen. Diesen ganzen Rechtsstosf in Polizeiverordnungen unterzubringen wäre ein großer Rückschritt; dies Verfahren würde auch auf den Gebieten, auf denen eine einheitliche Regelung erreicht ist, diese wieder gefährden. Von hier aus wird auch deutlich, warum der Ausdruck „Polizeistrafgesetzbuch" bedenklich ist. E r begünstigt den Irrtu m , das Ordnungsunrecht sei bloßes Polizei­ unrecht, während das Polizeiunrecht nur ein kleiner Allsschnitt des Ordnungsunrechts ist. Der Ausdruck „Polizeistrafgesetzbuch" legt ferner eine versahrensrechtliche Regelung nahe, die das Polizeiunrecht vor die Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte bringt und die ordentlichen Gerichte ausschließt. Betrachtet man alles Ordnungsunrecht als Polizei­ unrecht, so würde dies bedeuten, daß z. B. das ganze Gebiet, das bisher in Stengleins Kommentar zu den strafrechtlichen Nebengesetzen bearbeitet ist, nunmehr auf die Verwaltungsbehörden und Verwaltungs­ gerichte übertragen wird. Is t das zweckmäßig? Herr Senatspräsident Dr. Klee hat ausgeführt: Hier und da könne dies zweckmäßig sein, denn es ständen die Verwaltungsbehörden bcn Materien näher. Aber stehen die Verwaltungsbehörden nicht den Dingen z u nahe? Sind sie nicht oft geradezu Partei? E s greift hier das Bedenken ein, das der Herr Minister schon angedeutet hat: Vielfach leiten die Verwaltungs­ behörden das Verfahren selbst ein, indem etwa bei­ spielsweise der Lebensmittelchemiker des Polizeipräsidillms eine Warenprobe entnimmt, sie untersucht und dabei einen Verstoß gegen das Lebensmittelgesetz,

der bisher eine Übertretung bildet, konstatiert. Würde er in Zukunst eine solche Sache nicht mehr an die Gerichte abgeben, sondern würde eine Strafverfügung ergehen, und würde bnmt die Verwaltungsbehörde über die von ihr selbst veranlaßte Versügung ent­ scheiden, so würde sie Richter in ihrer eigenen Sache werden. Ich ertaube daher, daß der Gedanke: „Die Materien stehen der Verwaltung näher" nicht ent­ scheiden kann. Der zweite Gesichtspunkt, den Herr SenatsPräsident Dr. Klee für die Belastung der Dinge bei der Verwaltung geltend gemacht hat, war der, es sei mißlich, daß sich bisher Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte verschiedentlich für eine andere Meinung entschieden hätten als die ordentlichen Ge­ richte. Solche Zwiespältigkeiten sind in der T at vor­ handen gewesen, besonders bei der Entscheidung, ob eine Polizeiverordnung gültig sei oder nicht. Aber Entscheidungen der letzteren A rt wird es künftig viel seltener geben. I m autoritären S ta a t wird die Führung selbst die Kontrolle der Rechtswirksamkeit ihrer Vorschriften in die Hand nehmen. Die Gerichte werden kaum eine Kontrolle der Verwaltungsbehörden behalten. Außerdem wird das Gebiet der Reibungen sich in Kürze außerordentlich verengern,- denn wir werden den Gegensatz zwischen Reichs- und Landes­ recht doch bald überwunden haben. D as Reich wird das bisherige Landesrecht Schritt für Schritt verein­ heitlichen. Weiter werden die vielen Schwierigkeiten, die dadurch entstanden sind, daß allzu viele Stellen Polizeiverordnungen erließen, bald behoben sein, etwa durch Herausgabe von Musterpolizeiverord­ nungen für das ganze Reich seitens des Reichspolizei­ ministeriums, ein Verfahren, das bereits von Preußen mit Erfolg gehandhabt ist. Hinzu kommt folgendes: Gelegenheit zu abweichenden Entscheidungen ergab sich vielfach daraus, daß das Reichsrecht Übertretungs­ strafe vorsah und das Landesrecht zu einer Zwangs­ oder Beugemaßnahme griff. Der Zug der Polizeiwissenschaft geht aber dahin, nicht nur bei Polizeiver­ ordnungen, sondern auch bei polizeilichen Verfügungen gleichmäßig Ordnungsstrafe vorzusehen; der bisherige Gegensatz wird also entfallen. Nach alledem werden nur wenig Reibungsflächen bleiben, und auch diese lasten sich durch Einführung eines Konflikts beseitigen. Folgt man mir in der Auffassung, daß das gesamte Ordnungsunrecht gleichmäßig behandelt werden muß, so fragt sich praktisch einfach: S o ll das gesamte nichtkriminelle Unrecht an die Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte übertragen werden oder nicht? Die Entscheidung dieser Frage kann meiner Ansicht nach nicht zweifelhaft sein. Wenn man sich einmal denkt, daß das gesamte Ordnungsunrecht, wie es vor­ hin umrissen ist, auf die Verwaltungsbehörden über­ tragen würde, wie würden dann die Dinge laufen? Verwaltungsbehörden gibt es weit weniger als Amts­ gerichte. Dann würden also in diesen Bagatellsachen — die wir doch nach Möglichkeit beiseiteschieben und gegenüber den kriminellen Sachen zurückstellen wollen — die Wege, die die Beteiligten machen müßten, weit größer sein als die Wege in den Krimi-

nalsttassacheu, da die nächste höhere Verwaltungs­ behörde meist wesentlich weiter entfernt ist als der Amtsrichter. Damit würden die Kosten in den ge­ ringsten Sachen größer werden als in den wichtigeren Kriminalstrafsachen. Weiter fragt es sich, ob die Verwaltungsbehörden die geeigneten Stellen sind, um die Strafe festzu­ setzen. Die Dezernenten der Verwaltungsbehörden sehen vielfach nur den kleinen Ausschnitt aus den Erscheinungen des Lebens, den sie als Spezialisten bearbeiten. S ie sind naturgemäß geneigt, die Bedeu­ tung ihres Spezialgebiets zu überschätzen und Strafen festzu.setzen, die das Ordnungsunrecht unnötig auf­ bauschen und zu wichtig nehmen. (Redner gibt Bei­ spiele aus der bisherigen Erfahrung.) Die Richter dagegen, die auch das kriminelle Strafrecht hand­ haben, werden das richtige Augenmaß für das nichtkriminelle Orduungsunrecht nicht verlieren. Ich halte es also für notwendig, daß die Gerichte an der Strafzumessung irgendwie beteiligt werden. Das schließt nicht aus, daß'die Polizei mitwirken soll an der Stelle, an der sie entsprechend ihrer Aufgabe eingeschaltet werden muß, d. h. daß ihr der erste Angriff zusteht. Sowohl die gebührenpflichtige Ver­ warnung wie die polizeiliche Strafverfügung können und sollten nt. E. bleiben, und zwar für das gesamte Gebiet des Ordnungsunrechts. Damit wird das Ge­ biet des ersten Zugriffs der Polizei allerdings wesent­ lich erweitert. Denn die Polizei würde dann S tra f­ verfügungen auch erlassen können auf zahlreichen Gebieten, die bisher — zu Unrecht — als Vergehen angesehen werden. Ich möchte es aber für unbedenk­ lich halten, die Machtbefugnisse der Polizei so weit auszudehnen, wenn überall der Weg an den Richter (wahlweise neben der Verwaltungsbeschwerde) eröffnet wird. D as wäre allerdings Voraussetzung. F ü r Preußen würde dies bedeuten, daß auf den Gebieten, die durch das Zwangsgeld den Gerichten entzogen sind, wenigstens wieder die Möglichkeit geschaffen wird, die Gerichte anzurufen. Vielleicht wird von polizeilicher Seite dem entgegengehalten werden, die preußischen Erfahrungen mit dem Polizeiverwaltuugsgesetz bewiesen doch, daß die Leute in den Fällen, in denen kraft Reichsrechts der Weg zum Richter offenstehe, nicht gern zum Richter gingen, sondern sich meist an die Verwaltungsbehörden wendeten. D as ist zahlenmäßig richtig, liegt aber lediglich daran, daß der Weg zum Richter bisher außerordentlich unzweck­ mäßig eingerichtet ist. Natürlich will jemand, der ein bloßes Ordnungsunrecht begangen hat, seinen Namen nicht auf dem Terminzettel lesen, zusammen mit Namen von Personen, die Verbrechen oder Vergehen begangen haben. E r sieht auch in vielen Fällen nicht ein, warum er seine Zeit durch den Gang aufs Gericht verlieren soll. Die obligatorische Hauptverhandlung muß m.E. für das Ordnungsunrecht abgeschafft werden. Abgeschafft werden muß auch die Anklagebank und überhaupt alles, was nur für das kriminelle Unrecht am Platze ist, was die Ehre belastet, ohne daß dafür beim Ordnungsunrecht eine ausreichende Veranlassung vorhanden ist. Das sind die Gründe, weswegen die

Beteiligten den Weg an die Verwaltungsbehörden bisher vorgezogen haben, weil er eben schmerzloser war. Wenn man mm aber das gesamte Gebiet dcS nichtkriminellen Unrechts dem ersten Zugriss der Polizei eröffnet und dagegen Einspruch an den Richter in einem sachgemäß gestalteten Verfahren gibt, dann werden wir sehen, daß der Weg zum Richter sehr viel häufiger beschritten werden wird, und zwar besonders aus ben Gebieten, auf denen Rechtsfragen zu lösen sind, die über den Blickbereich der Polizei hinausgehen, also besonders auf dem Gebiet der jetzigen Nebengesetze. Dagegen wird sicherlich nach wie vor auf dem Gebiet des eigentlichen Polizeiunrechts regelmäßig die Verwaltungsbeschwerde ge­ wählt werden. Ich glaube also, man wird beim Ordnungsunrecht die Gerichte nicht ausschalten dürfen. M an wird natürlich im Wege der Geschäftsvereinfachung bei größeren Gerichten für das Ordnungsunrecht einen Bagatellrichter einzuführen haben, und man wird das Verfahren so gestalten müssen, daß es sich möglichst abhebt vom kriminellen Strafverfahren und den Be­ teiligten in jeder Weise das Gefühl erspart, daß sie in gleiche Reihe mit Leuten gestellt werden, die unzweifelhaft kriminelle Delikte begangen haben. Vom Strafregister vor allem wird — von Spezial­ fällen abgesehen — keine Rede sein dürfen, und die Öffentlichkeit würde ich auch ausschließen, denn ihre Kontrollfunktion ist hier ohne Bedeutung. D as alles wird sich erreichen lasten, wenn man sich entschließt, dem Strafgesetzbuch und der S tra f­ prozeßordnung ein zweites Gesetz an die Seite zu stellen, das aus den vorhin erörterten Gründen nicht Polizeistrafgesetzbuch heißen dürfte, sondern etwa Gesetz über die Bestrafung von Ordnungswidrigkeiten oder kurz Ordnungsstrafgesetzbuch. Dieses Gesetz könnte in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil zerfallen. Der Besondere Teil müßte enthalten den Stoss, den wir bisher in Reichsnebenstrafgesetzen haben, ferner die Dinge, die wir bisher im Landes­ recht haben, einen Teil der Dinge, die in Polizei­ verordnungen geregelt sind, und den Rest des Stosses, der im Ubertretungsteil des bisherigen Strafgesetz­ buchs steht, alles natürlich nur, soweit nicht Belastung in Spezialgesetzen wegen des Zusammenhangs mit verwaltungsrechtlichen Bestimmungen geboten ist; der Besondere Teil würde danach vielleicht ziemlich umfangreich werden. Daneben müßte das Nebenstraf­ recht bleiben, und da müßte durch Androhung der Ordnungsstrafen gekennzeichnet werden, daß der Allgemeine Teil des Ordnungsstrasgesetzbuchs gelten soll. I m Allgemeinen Teil würde etwa dasselbe zu regeln sein wie im Strafgesetzbuch, aber alles unter dem Gesichtspunkt der Vereinfachung und in Anpastung an das Wesen des Ordnungsunrechts. D as Ordnungsstrafrecht wäre reiner Verwaltungsbesehl. E s würde etwa so zu gestalten sein, wie nach dem bekannten Vortrag von Professor Dahin das faschistische Strafrecht gestaltet ist: Als Summe reiner

Führerbesehle. Infolgedessen würde kein Ordnungs­ unrecht bestehen, mo kein Führerbesehl besteht. Es wäre also die Analogie auszuschließen. Der Vorsatz müßte das Bewußtsein enthalten (nicht: Unrecht zu tun, sondern:) gegen das Gesetz zu verstoßen. Daraus ergibt sich, daß die Rechtssahrlästigkeit im Ordnungs­ unrecht unentbehrlich ist. Als Regel würde auszu­ stellen sein, daß Vorsatz u n d Fahrlässigkeit strafbar sind. Die Reaktion gegen das Ordnungsunrecht müßte anders als die kriminelle Strafe gestaltet werden; als Name käme etwa „Ordnungsstrafe in Geld", „Ordnungshaft" in Betracht. Zweckmäßig würde es sein, das gesamte Ordnungsstrasrecht gegen­ über dem kriminellen Unrecht für subsidiär zu er­ klären; denn es ist überflüssig, jemanden, der wegen Mordes oder Totschlags bestraft wird, auch noch wegen unerlaubten Schießens in bewohnten Gegenden zu bestrafen. Damit würden Konkurrenzfragen zwischen kriminellem und nichtkriminellem Unrecht nach Möglichkeit beseitigt werden. I n dieses Gesetz würde man zweckmäßig auch gleich die Regelung des Verfahrens hineinbringen, die so locker sein müßte wie nur irgend möglich. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wie ist es mit der Wirkung der Rechtskraft?) — Bei polizeilichem Strafbescheid würde ich Rechts­ kraft nicht eintreten lassen. Ist aber Einspruch ans Gericht eingelegt und vom Gericht entschieden, wäre es vielleicht möglich, sie eintreten zu lasten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn ein Tatbestand als ordnungswidrig be­ handelt und erledigt worden ist, sei es bei der Polizei, sei es bei den Gerichten, kann das Rechtskraft bei der Behandlung desselben Tatbestandes schassen? (Ministerialrat Rietzsch: Zweckmäßig wird es wohl sein, das zu verneinen.) — D as muß man ausdrücklich verneinen. Ich glaube, besondere Gegensätze in den Meinungen haben sich eigentlich nicht ergeben. Ein Wort zur Frage der Nachprüfung der Polizei­ verordnungen durch die Gerichte. W ir stehen doch ganz allgemein aus dem Standpunkt, daß der Richter auch die Gültigkeit des Gesetzes zu prüfen hat, und daß das incidenter im Zivilprozeß entschieden wird. Beispiel: die Kirchengesetze. Uber die Kirchengesetze ist seit August 1933 in einer ganzen Reihe von Zivilprozessen entschieden worden. Ob die Depossedierung eines Pfarrers zu Recht besteht, ist incidenter im Z i­ vilprozeß entschieden worden. D as ist kein erfreuliches Bild; und hier, wo differierende Entscheidungen auf­ treten, könnte ich mir schon denken, daß man, wenn die Rechtsgültigkeit der Rechtsquelle zweifelhaft wird, darüber eine nicht nur in te r p artes, sondern für alle geltende Entscheidung herbeiführt. Dem möchte ich sogar das Wort reden. D as ist, glaube ich, keine Schwierigkeit. Jetzt darf ich wieder an das Beispiel von der Bananenschale erinnern. Wie würden Sie das nach Ihrem Wunsch sich abspielen sehen?

Ministerialrat Rietzsch: Wenn der T äter gleich bezahlt, ist die Sache erledigt. Wenn nicht, dann ergeht zunächst die polizei­ liche Strasversügung. D ann würde der Betrossene die Wahl haben, ob er die Verwaltungsbehörden oder die Gerichte anrufen will. Aus dem Gebiet des reinen Polizeiunrechts wird er vermutlich die Verwaltungs­ behörde anrufen, aber auf dem Gebiet des bisherigen Reichsnebenstrafrechts, das in Zukunft zum großen Teil Ordnungsstrafrecht werden würde, wird regel­ mäßig der Weg an die Gerichte vorgezogen werden. (Zuruf: Obligatorisch?) — Nein, fakultativ! Ministerialdirektor Dr. Dürr: Die Fragen, die hier angeschnitten worden sind, sind in betn Entwurf einer Strafverfahrensordnung schon geregelt. D ort ist die Möglichkeit vorgesehen, daß der Staatsanw alt jederzeit die Versolgung von Übertretungen an sich zieht, auch wenn die Polizei eine Strafverfügung erlassen könnte und die Absicht hat, dies zu tun. Bezüglich der Rechtskraft ist folgende Vorschrift vorgesehen: Die Strasversügung wird vollstreckbar, wenn gegen sie keine Beschwerde erhoben und kein Antrag auf richterliche Entscheidung gestellt wird oder wenn der Rechtsbehels zurückgenommen oder durch eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung verworfen wird. Stellt sich, nachdem die Strafverfügung voll­ streckbar geworden ist, heraus, daß die T at der Strafbefugnis der Polizei entzogen war, so kann sie im ordentlichen Verfahren anderweit verfolgt werden. Eine gezahlte oder verbüßte Strafe ist auf die in dem späteren Strafverfahren erkannte Strafe anzurechnen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich möchte noch einmal auf den Gedanken des Herrn Ministerialrat Rietzsch zurückkommen, den er in seinem Aufsatz in Jahrgang 1935 S . 74 des „Deutschen Strafrechts" ausgesprochen hat, daß es denkbar wäre, in Ausnahmefällen für denselben T at­ bestand krimittelle Strafe und nichtkriminelle Ord­ nungsstrafe wahlweise anzudrohen. E r schreibt dazu: „Die Staatsanwaltschaften würden es als­ dann in der Hand haben, je nach A rt des Einzel­ falls ihn auf die eine oder andere Weise zu be­ handeln; natürlich würde auch den Gerichten das Recht nicht zu versagen sein, abweichend von der Staatsanwaltschaft der milderen oder strengeren Auffassung zu folgen. Vielleicht bietet sich hier auch ein Weg. die vielfach gewünschte Herauslösung der leichtesten Fälle der Beleidigung und einfacher Körperverletzung aus dem Krimi­ nalstrafrecht dadurch zu bewirken, daß man die Möglichkeit eröffnet, sie als Ordnungsunrecht zu behandeln."

Geringfügige Privatklagesachen könnten aus dem Kriminalstrafrecht dadurch ausgeschieden werden, daß man die Möglichkeit eröffnet, sie als Ordnungs­ unrecht zu behandeln. S ie könnten also vor dem Polizeirichter zur Verhandlung kommen. I m übrigen wird es für Rückfälle in nichtkriminelles Unrecht oder gewohnheitsmäßige oder besonders intensive Be­ gehung gewisser Polizeiwidrigkeiten, insbesondere 'verkehrsstörender Natur, nötig sein, eine strengere Ahndung als mit der gewöhnlichen übertretunysstrafe zu ermöglichen. D as gilt z. B. dann, wenn jemand fortgesetzt ruhestörenden Lärm auf der Straße ver­ ursacht; er wird immer wieder mit einer Polizeistrafe belegt, aber er bessert sich nicht; er wird geradezu zu einer öffentlichen Plage. E s muß möglich sein, einen solchen M ann kriminell zu behandeln. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn wir das wollen, dann können wir ohne Strafregister des nichtkriminellen Unrechts nicht aus­ kommen. — Herr Senatspräsident Klee hat jetzt eine Frage berührt, die ich vorhin nicht erwähnt habe. W ir sind davon ausgegangen, daß sich Strafrecht und Ordnungsstrasrecht innerlich unterscheiden durch die sitt­ liche Bewertung des Tuns des Täters. D as ergibt sich auch aus dem Willensstrasrecht ohne weiteres. F ü r gewisse Grenzfälle läßt sich diese sittliche Bewertung nun auch mit aller Sicherheit durchführen. Ein Not­ zuchtverbrechen ist ohne weiteres einer sittlichen Ab­ wertung fähig, während das Handeln desjenigen, der aus Leichtsinn links statt rechts fährt, sittlich indiffe­ rent ist. Nicht ganz so leicht scheint es mir bei gewissen Berührungspunkten zu sein. Es gibt zweifellos T a t­ bestände, wo auch bei der Ordnungswidrigkeit das Verhalten des Täters nicht so ganz sittlich indifferent ist. Auf diese Fälle sind, glaube ich, die Ausführungen des Herrn Senatspräsidenten Klee zugespitzt gewesen, nicht bloß auf den Rückfall. Ministerialdirektor Schäfer: Zu dem letzten Punkt darf ich darauf hinweisen, daß wir in dem Allgemeinen Teil des Übertretungs­ buches der früheren Entwürfe so etwas vorgesehen haben, nämlich die besonders schweren Fälle. Der § 384 der Reichstagsvorlage lautete: I n besonders schweren Fällen ist die S trafe Haft oder Geldstrafe bis zu zweitausend Reichs­ mark. Ein besonders schwerer Fall liegt auch vor, wenn der Täter hartnäckig im Ungehorsam gegen die bestehenden Vorschriften verharrt oder sein Verhalten besonders gefährlich ist. Ich möchte nun zu zwei Punkten ergänzend etwas sagen. Es ist zunächst die Frage aufgeworfen worden, wie es mit der Behandlung im Strafregister wäre. D as ist ein Problem, das, glaube ich, gar nicht so schwer zu lösen wäre. Es ist deswegen leichter zu lösen, weil sich die Strafen, die ein solches Ordnungsstrafgesehbuch vorsieht, schon in der Bezeichnung von den kriminellen Strafen deutlich abheben, weil aus-

drücklich Don der Ordnungshaft oder der Ordnungs­ strafe die Rede ist. Dadurch ist jeder Verwechselung mit einem Vorbestraftsein im kriminellen Sinne vor­ gebeugt. M an könnte sich überlegen, ob man dem kriminellen Strafregister ein Register für die Ord­ nungsstrafen an die Seite stellen soll. Ich könnte mir denken, daß mein z. B. für die Verkehrsdelikte, die erfahrungsgemäß häufig in Wiederholung begangen werden, eine Liste führen sollte. Es ist allerdings die Frage, ob nicht die Notierung durch die Polizei genügt. Nun noch ein anderer Punkt in Ergänzung zu dem, was Herr M inisterialrat Rietzsch ausführte. Es betrifft die Frage, ob diese Handlungen zweckmäßig durch die gewöhnlichen Strafgerichte, also durch unsere Gerichte, oder durch besondere Verwaltungs­ gerichte abzuurteilen sind. Ich möchte noch einmal auf den Zusammenhang hinweisen, der vielfach zwischen solchen Ordnungswidrigkeiten und wirklichen krimi­ nellen Sachen besteht. Wenn ich an das Beispiel von der Bananenschale anknüpfen darf, so kann der Fall leicht so eingeleitet sein, daß nicht der Schutz­ mann dabeigestanden hat, als der M ann die Schale hingeworfen hat, sondern daß eine Anzeige erfolgt ist von jemandem, der angeblich ausgerutscht ist und sich verletzt hat. Dann beginnt die ganze Sache als eine Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung, also kriminell. I n der Verhandlung ist dann die Frage zu klären, ob wirklich eine Verletzung eingetreten ist; unter Umständen geht die Sache dann in die bloße Ordnungswidrigkeit über. Es wäre doch nun gänzlich unzweckmäßig, wenn der Richter dann sagen müßte: Jetzt gebe ich die Akten an ein anderes Gericht, das nun die ganze Sache noch einmal unter dem Gesichts­ punkt der Ordnungsmäßigkeit prüft. Ähnliche Fälle werden bei Verkehrsdelikten eine Rolle spielen. Wenn jemand falsch gefahren ist und dadurch angeblich eine Person verletzt ist, beginnt die Sache auch mit der Körperverletzung, die Beweisaufnahme findet unter diesem Gesichtspunkte statt; wenn sich erweist, daß nur zu schnelles Fahren vorliegt, müßte man zu einem zweiten Verfahren kommen. Solche Fälle zeigen schon, wie zweckmäßig es ist, den Strafrichter auch für Ord­ nungswidrigkeiten als zuständig zu erklären. Beson­ ders wichtig wird das aus dem Gebiet des Nebenstraf­ rechts bei solchen Tatbeständen sein, die in den Ge­ setzen in einem ersten Absatz so gestaltet sind: Wer vor­ sätzlich das und das tut, wird mit Geldstrafe oder Gefängnis bestraft, — und dann kommt ein zweiter Absatz, der lautet: Wer das fahrlässig tut, wird mit der und der Ordnungsstrafe belegt. Nun spielt sich ein solcher Fall vor irgendeiner Instanz ab. Es wäre doch offenbar das Unpraktischste, was man machen kann, wenn man den Richter, der über die kriminelle Seite urteilt, nicht auch als zuständig für die E nt­ scheidung über die Ordnungswidrigkeit erklären würde. M an kann den gewöhnlichen Richter in diesen Fällen nicht ausschalten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Is t denn in dem Vorstellungsbild irgendeines der Herren, die gesprochen haben, der Gedanke vorhanden

gewesen, daß der Richter die Sache an die Verwal­ tungsbehörde überweisen soll, wenn der wegen fahr­ lässiger Körperverletzung Angeklagte bezüglich dieser Körperverletzung freikommt, aber festgestellt wird, daß er die Verkehrsordnung übertreten hat? (Ministerialdirektor Schäfer: Aber in der Vorstellung des Innenministeriums!) — D as wäre eine Fehlkonstruktion. Ganz klar ist mir die Sache mit den Schuldformen immer noch nicht. W ir haben vorhin gesagt: den Dolus, wie wir ihn haben, können wir nicht ge­ brauchen, weil das Bewußtsein des Unrechts nicht dabei sein soll. Was soll denn dann in dem Vorsatz enthalten sein? (Ministerialdirektor Schäfer: Die Nichtvoraus­ sicht des voraussehbaren Erfolges.) — Ich darf das mal an einem Beispiel klar machen. Den Herren ist bekannt, daß in der neuen Verkehrs­ ordnung das Vorfahrtrecht auf dem Lande so geregelt ist, wie es seit Jahrhunderten aus dem Wasser geregelt ist, daß, wer von der rechten Seite kommt, den anderen zum Halten zwingt, während man früher mit dem Begriff der Haupt- und Nebenstraßen operiert hat, was ja bekanntlich oft zu Unzuträglichkeiten geführt hat. Ich denke aber jetzt an einen Fall auf dem Wasser. Die Frage, des Kreuzens eines Bootes vor dem Bng eines anderen ist ja eine der wichtigsten Verkehrsfragen aus dem Wasser. M an sieht ein Fahr­ zeug von rechts kommen und berechnet, daß man noch gut vorbeikommt. Der andere legt aber inzwischen Geschwindigkeit zu, und es gibt einen Zusammenstoß. Wie ist nun diese schuldhafte Begehung nach Ih re r Meinung im Ubertretungsstrafrecht zu regeln? Was muß der M ann vorausgesehen oder nicht voraus­ gesehen haben? Wann macht er sich strafbar? Senatspräsident Professor Dr. Klee: Zweifelhaft könnte doch nur sein, ob man als Voraussetzung für die Bestrafung wegen Vorfahrt fordern soll — ich habe mich auf den Standpunkt gestellt, daß dies nur konsequent wäre —, daß der polizeiwidrig Handelnde sich bewußt sein muß, gegen eine Vorschrift zu verstoßen. I m übrigen muß doch wohl der Vorsatz der Polizeiübertretung genau der­ selben Regelung unterliegen wie der Vorsatz bei Ver­ gehen und Verbrechen; auch hier ist also für den dolus eventualis Raum. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Insofern war das Beispiel nicht ganz richtig. Den Zusammenstoß müssen wir weglassen und annehmen, daß nichts dabei passiert. Ministerialdirektor Schäser: M ir schwebt der gewöhnliche Vorsatzbegriff ohne das normative Element, ohne daS Bewußtsein, Unrecht zu tun, vor. Professor Dr. Nagler: Es handelt sich doch grundsätzlich um einen bloßen Ungehorsamstatbestand. Der Dolus erschöpft sich

darin, daß wissentlich und willentlich dem bestehenden Amtsbefehl, dem Ge- oder Verbote schlechthin, zu­ widergehandelt wird. Wenn der Täter nur hätte wißen müssen, daß er einem Amtsbefehl zuwider­ handelt, so liegt die typische Fahrlässigkeit vor. (Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Ich habe Zweifel, ob das die allgemeine Meinung ist.) Professor Dr. Graf Gleispach: Unsere Vorsatzdefinition ist abgestellt sowohl nuf körperhafte Tatbestände, in erster Linie solche, die einen tatsächlichen Erfolg einschließen, als auch auf Tatbestände, bei denen sich das Unrecht tatsächlich in der Verletzung der Norm erschöpft. Auf diese beiden Typen ist unser allgemeiner Vorsatzbegriff bezogen. Wenn man nun an das sogenannte Polizeiunrecht denkt, so können meiner Meinung nach diese beiden Typen dort wiederkehren. Die Regel ist aber das letztere, die reine Ordnungswidrigkeit. Infolgedessen kann der allgemeine Vorsatzbegriff schlechthin auch für das Polizeistrafrecht gelten. Der Täter begeht die Tat mit Wissen und Willen — das wird sehr häufig gar nicht anders möglich sein, aber das verschlägt nichts — , aber auch mit dem Unrechtsbewußtsein, wenn die T at überhaupt nur als vorsätzlich gedacht werden kann, wenn ein Erfolg gar nicht hervortritt. Wenn einer links fährt statt rechts, so bleibt hier als ein möglicher Beziehungsgegenstand der Schuld nur die Normwidrigkeit der T at übrig, das Handeln gegen den erklärten Willen der Behörde. Davon kann man nicht absehen, und das will man auch wohl nicht. Ich möchte darauf verweisen, daß die Devisen­ ordnung heute ganz aus dem gleichen Standpunkt steht, und dieser Standpunkt scheint mir doch auch für das Polizeistrafrecht richtig zu sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe schon bemerkt, daß eine einheitliche Meinung nicht vorhanden ist. Professor Dr. Dahm: Ich habe eine andere Vorstellung als Herr Graf Gleispach. Der Täter muß entweder die Tatsachen kennen, oder er muß sie fahrlässig verkannt haben. Zweitens muß er die Polizeiverordnung kennen, oder es muß ihn ein Vorwurf treffen, wenn er sie nicht gekannt hat. Denjenigen aber, der die Verordnung nicht gekannt hat und auch nicht kennen konnte, würde ich nicht bestrafen. Es kann jedoch keinen Unterschied machen, ob er die Verordnung gekannt hat oder ob er sie nur fahrlässig nicht gekannt hat. Professor Dr. Mezger: Der Ausbau der s u b j e k t i v e n S e i t e muß ganz von dem her erfolgen, was Herr Ministerial­ direktor Schäfer das normative Element der Schuld genannt hat. Denn in diesem Punkt liegt die grund­ legende Willensentscheidung des Gesetzgebers von heute. I n den schriftlichen Thesen von Herrn S enats­ präsident Klee war noch der Satz enthalten, den er aber jetzt, glaube ich, nicht mehr festhalten will: „Der

Rechtsirrtum als solcher ist unbeachtlich." D as wäre ein Standpunkt, der für ein Willensstrasrecht unmög­ lich ist. Ich möchte dabei auch für das Gebiet deS Polizeistrafrechts an dem Erfordernis der Fahrlässig­ keit, und zwar auf dem Gebiete des rechtlichen Wissens, festhalten. Daß durch die Natur gewisser Delikte die Möglichkeit einer fahrlässigen Begehung wegfällt unb nur' die vorsätzliche Begehung bleibt, braucht nicht besonders betont zu werden. I m übrigen aber bleibt als Untergrenze der Schuld beim Polizeidelikt die untere Grenze der Fahrlässigkeit, und zwar in Be­ ziehung auf die Tatsachen wie in Beziehung auf das Recht. W ir müssen also im Gesetz diese untere Grenze genauer kennzeichnen. Damit ist dann die maßgebende Form der Schuld beim Polizeidelikt festgelegt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine Rückfrage! Der Autofahrer sieht, daß die rote Ampel leuchtet; aber alles ist leer, es ist niemand da, er wischt durch. D as zweitemal hat er gedöst und überhaupt nicht nach dem Licht gesehen und ist auch durchgefahren. Wollen S ie das im Ordnungsstraf­ recht verschieden bewerten? (Professor Dr. Mezger: Nein!) — Schön! D as habe ich auch aus Ih ren Worten entnommen. Professor Dr. Kohlrausch: W ir müssen bei der Fahrlässigkeit hier doch wohl unterscheiden zwischen der Tatfahrlässigkeit und der Nechtsfahrlässigkeit. Das Reichsgericht steht auf dem Standpunkt, daß Fahrlässigkeit bei Übertretungen genügt, es sei denn, daß die verbotene Handlung an sich Vorsatz erfordert. Beispiel: D as Schießen an gewissen Orten ist verboten. Ob jemand das wußte oder nur wissen konnte, ist gleichgültig. Wenn aber einem dort aus Versehen seine Pistole losgeht, dann soll das mit Recht nicht genügen zur Bestrafung. D as Polizeiverwaltungsgesetz sagt auch: Der Täter wird bestraft, wenn er die Polizeiwidrigkeit kannte oder kennen mußte. Aber ich nehme an, daß diese F ah r­ lässigkeit auch nur gemeint ist bezüglich der rechtlichen Seite, der Polizeiwidrigkeit, nicht bezüglich dessen, was er tut. Ministerialdirektor Schäfer: S o kann man es natürlich auch regeln. Es ist die völlig parallele Regelung zu dem, was wir im krimi­ nellen Strafrecht haben. Auch im preußischen Polizei­ gesetz hat man es so gemacht; dieses normative Element ist auch dort vorhanden; davon habe ich mich überzeugt. D ann will ich meine Anregung zurück­ ziehen. ' Professor D r. Graf Gleispach: Ich bin vorhin mißverstanden worden. Ich habe nur über die Frage gesprochen: Kann der Vorsatz­ begriff aufrechterhalten bleiben? D as glaube ich bejahen zu sollen, aber in demselben Sinne, wie Herr Professor Dahm es meint. Dagegen halte ich es nicht für notwendig, bei der Begehung der T at immer

zwischen den beiden Schuldformen zu scheiden. Aber der S tandpunkt in unserem Strafgesetzbuch kann auch für das Verwaltungsstrafrecht ohne weiteres ver­ wendet werden. M inisterialdirektor Schäfer: W ir müßten sagen: „ I m Zweifel genügt F a h r­ lässigkeit." Professor D r. Mezger: D ie Ausnahmesälle, die H err Professor Kohlrausch angeführt hat, wären durch das, w as ich vorhin a u s­ geführt habe, auch in die Strafbarkeit einbezogen. D as halte ich aus dem Gebiete des Polizeiunrechts auch für richtig. W enn m an dies nicht will, müßte m an es besonders sagen. Ich sehe dazu keinen A nlaß. D ie Delikte, die schon ihrer N atu r nach n u r vorsätz­ lich begangen werden können, brauchen uns nicht weiter zu kümmern, weil sich alles Erforderliche schon aus der N atu r des Delikts selbst ergibt. M inisterialdirektor Schäfer: M ir ist noch nicht klar, w arum die Analogie aus dem Gebiete des Ordnungsstrafrechts ausgeschlossen sein soll. W enn w ir uns klargemacht haben, daß alle Wortsassungen im Gesetze in der F orm ulierung Grenzen haben, daß es gar nicht möglich ist, alles zu erfassen, wenn w ir u ns klargemacht haben, daß eine Auslegung Platz greisen muß, die auch extensiv sein kaun, und daß dann n u r ein kleiner S chritt zur Analogie, zur entsprechenden Anwendung ist, und daß w ir w eiter diese Analogie jetzt auch im S tr a f ­ gesetzbuch, wo sie allein bisher verboten w ar, ein­ führen — auf dem Gebiete des gesamten sonstigen Rechts gilt sie schon — , w arum sollen w ir da hier einen Satz aufnehmen, der die Analogie ausdrücklich verbietet? M an w ird im allgemeinen m it der A n­ wendung der Analogie vorsichtig sein; es würde m ir aber zu weit gehen, sie ausdrücklich zu verbieten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Diese F rage muß sich zw angsläufig sofort an ­ schließen, wenn S ie im Vorsatz das Unrechtsbcwußtsein drin haben, und dann, glaube ich, verwischen w ir den Charakter des Ordnungsstrafrechts. E s ist verboten, W ein zu „schönen", außer m it einem bestimmten M ittel; das ist Salzsäure; alles andere ist verboten und gilt als eine Fälschung von W ein. D a kann m an doch nicht m it Analogie auf­ treten; das halte ich für völlig unmöglich. I n dem Augenblick aber, wo S ie in den Vorsatz das B ew ußt­ sein, Unrecht zu tun, aufnehmen, verwischen S ie den ganzen Charakter des Polizeistrafrechts. Ich stelle m ir den Ablauf der Dinge so vor: D a s erste, w as da ist, ist ein Befehl, das zweite ist die K ontravention gegen diesen Befehl. N un sagt der T äte r: a ) „Ich habe den Befehl gar nicht gekannt". D araus antw orten w ir: „D u hättest ihn aber kennen sollen". Punkt! Erledigt! b ) „Ich habe diesen Befehl übertreten, ohne daß ich den Vorsatz, die Absicht dazu hatte; ich habe nicht darauf geachtet". D an n sind w ir

auch der M einung, daß das nicht exkulpiert, und zwar soll der M ann genau so bestraft werden, a ls wenn er den Vorw and nicht erhoben hätte. Nun frage ich: W arum wollen S ie das Unrechtsbewußtsein bei der Zuw iderhandlung gegen einen Befehl haben? Sobald das hineinkommt, erhebt sich sofort die Frage der Analogieanwendung. Professor D r. Mezger: E s gibt anscheinend zwei verschiedene Auffassungen über das Wesen der A n a l o g i e . W enn man die Auffassung zugrundelegt, daß mit der Analogie im neuen Strafgesetzbuch sozusagen eine zweite Erkennt­ nisquelle für das, was rechtens ist, geschaffen w ird, daun müßte m an allerdings im Polizeistrafrecht B e­ denken gegen eine solche Analogie haben, weil sie dorthin nicht passen würde. Aber diese vielbesprochene Analogie ist ja — diese Ausfassung liegt auch den Ausführungen von Herrn M inisterialdirektor Schäfer zugrunde — nur ein Nebengebiet neben dem Gesetz, das dessen Unvollkommenheiten ergänzt, also nichts Gegensätzliches und Frem des zu dem Gesetz. V on diesem Standpunkt aus muß ich mich der Auffassung von Herrn M inisterialdirektor Schäfer anschließen: D aß kein entscheidender G rund vorliegt, nicht auch auf dem Gebiete des Polizeiunrechts, wo doch die D inge ähnlich liegen, die Analogie genau wie in dem gesamten übrigen Gebiete des Rechts zuzulassen. A llerdings nur unter der einen unbedingten V oraus­ setzung, daß bei der A burteilung über das Polizei­ delikt irgendwie eine gerichtliche Instanz eingeschaltet w ird; denn sonst würde allerdings die Zulassung der Analogie zu den allergrößten Unzuträglichkeiten führen können. Aber grundsätzlich und theoretisch sehe ich keinen G rund, warum m an bei dem Polizeiunrecht die Analogie anders behandeln sollte als sonst. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich glaube nicht, daß das gerade der A usgangs­ punkt dieser Differenz ist. D er Ausgangspunkt ist vielmehr: Welchen Charakter hat das Ordnungsstrasrecht überhaupt? D as Ordnungsstrafrecht trifft die Zuwiderhandlung gegen einen Befehl, der gegeben ist aus O rdnungsgründen. I n dieses Gebiet des form u­ lierten O rdnungsunrechts die Analogie einzubauen, kommt m ir ein wenig widerspruchsvoll vor. (Professor D r. Mezger: D as wäre ein mehr praktischer Gesichtspunkt!) — Ich sehe darin das K riterium . Ich bin vorhin davon ausgegangen, daß das Strafrecht eine sittlich gesteuerte Normgebung ist. D as Polizeistrafrecht ist das nicht! (Professor D r. D ahm : Ich halte es auch für ausgeschlossen, die Analogie anzuwenden!) M inisterialdirektor D r. D ürr: Die Voraussetzungen für die Analogie, die w ir aufgestellt haben, treffen hier nicht zu. W ir haben u n s auf den Standpunkt gestellt: D ie Grundlage der Analogie soll die gesunde Rechtsanschauung des Volkes sein. Eine gesunde Volksanschauung kann

aber mir da sich bilden, wo die Gebote des Rechtes mit denen der Ethik zusammenfallen. Auf dem Ge­ biete des nichtkriminellen Unrechts sind für die Regelung meist reine Zweckmäßigkeitserwägungen maßgebend. Die Regelung setzt vielfach eine besondere Sachkunde voraus. Aus dem Grunde halte ich die Analogie auf dem Gebiete des Polizeistrafrechts nicht für anwendbar. Professor Dr. Graf Gleispach: Die Auslegungsregel, daß man nicht an dem Wortlaut des Gesetzes kleben soll, gilt allgemein; sie kann und soll auch für das Polizeistrafgesetzbuch Geltung haben, und vielleicht würde auch dem Be­ dürfnis, dem Herr Ministerialdirektor Schäfer Aus­ druck gegeben hat, dadurch Genüge getan. Die Analogie aber im engeren Sinne ist nach meiner Meinung auf das Verwaltungsunrecht schlechterdings unanwendbar. M an kann hier nicht aus die Volks­ anschauung zurückgehen. Ein Rechtsgedanke liegt diesen Normen überhaupt nicht zugrunde. E s muß eine Ordnung geschaffen werden zum Schutze der Volksgemeinschaft. Aber ob ich rechts oder links aus­ weiche, ist kein Rechtsgedanke. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin auch der Meinung: Eine vernünftige Aus­ legung des Polizeiunrechts in dem Sinne, daß man nicht am Buchstaben kleben soll, eine vernünftige Auslegung des im Polizeistrafgesetzbuch gegebenen Befehls, das kann man konzedieren, nicht aber die Analogie. Ministerialdirektor -Schäfer: M ir scheint folgender Gedanke der Ausgangspunkt zu sein: Wenn der Führerbefehl, der in der Be­ stimmung des Ordnungsstrafgesetzes liegt, in Wahr­ heit weiter reicht, als der Wortlaut es trifft, wenn also irgendein Fall mit erfaßt werden soll, den der Wortlaut nicht umfaßt, dann würde die gesunde Volksanschauung sagen: Wenn der Schöpfer der Be­ stimmungen an diesen Fall gedacht hätte, dann würde er ihn auch geregelt haben. D as entspricht doch dem Gedanken der Analogie. Warum soll man sie für diesen Fall nicht auch anwenden? S ie sagen, Herr Minister, weil hier der sittliche Gedanke nicht Platz greift. Aber nun darf ich erwidern: Die Analogie haben wir nicht nur auf Rechtsgebieten, auf denen ethische Werte in Betracht kommen. W ir kennen doch aus allen Rechtsgebieten, die sittlich völlig neutral sind, den Begriff der Analogie. Warum soll ich aus­ gerechnet auf dem Gebiet des Polizeistrafrechts das, was auf allen Gebieten, die mit Sittlichkeit ebenso wenig zu tun haben, Geltung hat, nicht anwenden? D as vermag ich noch nicht einzusehen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich hielte es für bedenklich, wenn auf dem Ge­ biete des Ordnungsstrasrechts die Analogie zulässig wäre. M an müßte dann auch dem Polizeibeamten die Befugnis geben, wegen eines Tatbestandes ein­ zuschreiten, der nach seiner Ansicht analog dem aus­

drücklich geregelten F all liegt. Wenn z. B. in einer Milchwirtschastsverordnung drinsteht, daß Milch und Butter nicht zusammen mit Sauerkraut aufbewahrt und feilgehalten werden dürfen, dann würde der Polizeibeamte vielleicht meinen: Ich finde es ebenso nrißlich, wenn sie zusammen mit Heringen ober der­ gleichen aufbewahrt werden, weil Milch und Butter auch den Heringsgeruch annehmen können. Nun hat aber das Polizeipräsidium die Frage aus Grund der Gutachten von Nahrungsmittelchemikern gerade s o geregelt, daß nur Sauerkraut nicht neben Milch und Butter aufgestellt werden darf. E s würde doch eine ungeheure Willkür der unteren Polizeiorgane ein­ reißen können, wenn man analoge Anwendung von solchen Vorschriften zulasten, womöglich verlangen würde; der einzelne Berufsausübende würde gar nicht mehr wissen, woran er ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich halte die Analogie bei diesen technischen Vor­ schriften auch für gefährlich und bedenklich. Ich könnte mir vorstellen, daß Stoffe, die Gärungspilze ent­ halten, nicht mit Milch zusammenkommen dürfen, aus naheliegenden Gründen. Dazu gehört gerade das eben erwähnte Sauerkraut; das enthält G ärungs­ pilze. Es gibt aber auch andere Dinge, die solche Gärungspilze enthalten. Will man diese ersaffen, dann muß man eben den Befehl entsprechend er­ weitern. Aus keinen F all darf man in solchen Fällen die Analogie Platz greifen lassen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich suche nach einem treffenden Beispiel, habe es vorläufig aber noch nicht gefunden. Zunächst einmal folgendes Beispiel: I n einer Wasserverkehrsordnung ist der Fall geregelt, daß sich zwei Fahrzeuge be­ gegnen; daß sich drei Fahrzeuge begegnen, ist nicht geregelt. E s ist mir zweifelhaft, ob man mit einer Auslegung oder mit einer entsprechenden Anwendung der für die Begegnung zweier Fahrzeuge geltenden Vorschrisien auskommt, so daß eine Lücke entsteht, wenn ich nicht die Möglichkeit habe, diese Bestimmung, die für die Begegnung von zwei Fahrzeugen gilt, ent­ sprechend aus den Fall von drei Fahrzeugen zu über­ tragen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dieses Beispiel macht auf mich gar keinen Ein­ druck, und zwar deswegen, weil die Analogie das vor­ aussetzt, was Herr Graf Gleispach mit Recht den Rechtsgedanken genannt hat. Hier wäre das oberste Stockwerk eine Zweckmäßigkeitsentscheidung; es ist gar keine Rechtsfrage, ob man rechts oder links fährt. Professor Dr. Dahin: Herrn Ministerialdirektor Schäfer schwebt jetzt etwas anderes vor als das, was wir bisher unter Analogie verstanden haben. Gegen die Anwendung der Analogie auf diese Bestimmungen läßt sich ein praktischer und ein grundsätzlicher Einwand erheben. Der praktische Einwand geht dahin, daß ein großer Teil dieser Sachen gar nicht vor den Richter kommt

und man dem Polizeibeamten nicht gestatten darf, diese Vorschriften allzu großzügig auszulegen. Der grundsätzliche Einwand beruht auf der Erwägung, daß der innere Grund für die Bestrafung dieser Handlungen in der Auflehnung gegen den Befehl zu erblicken ist. Ein Befehl muß aber ausdrücklich erteilt werden. Wenn er nicht da ist, so hat es keinen S inn zu bestrafen. Der Fall, den Herr Ministerialdirektor Schäfer angeführt hat, könnte schon im Wege einer vernünftigen Auslegung zutreffend entschieden werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Aber Sie meinen auch: Gegen die vernünftige Auslegung der Vorschriften ist nichts einzuwenden? (Professor Dr. Dahm: Durchaus nicht! D as ist ein allgemeiner Grundsatz für alle Rechts­ gebiete!) — Wollen Sie den Vorsatzbegriff mit dem Begriff der Rechtswidrigkeit — hier der Polizeiwidrigkeit — erfüllen? (Professor Dr. Dahm: Der Polizeiwidrigkeit? J a , das würde ich tun!) — Ein Bedürfnis zur Aussprache besteht nicht mehr. Ich glaube, wir könnten darauf abkommen, ohne uns an den Gedanken des Polizeiverwaltungsgesetzes an­ zuklammern, selbständig einen Entwurf des Allge­ meinen Teils dieses Ordnungsstrafrechts zu. konzi­ pieren. Es kommen noch mehr Fragen in Betracht: „D as Strafrecht als Grundlage der Bestrafung". D as muß natürlich ohne weiteres übernommen werden. D as hat sich gerade aus den Ausführungen von Herrn Professor Dahm ergeben. Ein Befehl muß da sein. „Der Übeltäter wird nach dem Recht bestraft." D as muß natürlich auch für den Ordnungsstraftäter gelten, wobei das Recht hier sogar im engeren Sinne aufzufassen ist, gleich Gesetz. Dann die zeitliche Geltung! Die spielt hier eine besonders große Rolle. Hier werden wir oft an einen bestimmten Zeitraum gebundene Gesetze haben. Da brauchen wir andere Grundsätze auch nicht. Wenn die T at nicht im Rahmen zwischen Anfang und Ende der Geltungsdauer einer Vorschrift liegt, wird auch das kriminelle Strafrecht nicht bestrafen. Ministerialdirektor Dr. D ürr: I n der zweiten Lesung ist abweichend von den Ergebnissen der ersten Lesung beschlossen worden, daß bei Änderung des Gesetzes in der Zeit zwischen der Begehung der T at und ihrer Aburteilung das mildere Gesetz nur angewendet werden k a n n . F ü r das nichtkriminelle Unrecht könnte aber ausnahmslos die Anwendung des milderen Gesetzes vorgeschrieben werden. Ministerialdirektor Schäfer: Über den Strafrahm en kann man heute sehr schwer urteilen. Uns hat jedenfalls vorgeschwebt, für das Ordnungsstrasrecht nur einen einzigen Strafrahmen vorzusehen.

Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Wie steht es mit der räumlichen Geltung des Ordnungsstrafrechts? Kann das Ordnungsstrasrecht bei im Ausland begangenen Übertretungen ange­ wendet werden? (Professor Dr. Mezger: Hier muß der Grund­ satz der Gebietshoheit, also das Territorial­ prinzip gelten.) Ministerialdirektor Schäfer: Bei Verkehrsdelikten wird man wohl über das Territorialitätsprinzip hinausgehen. Nehmen wir den Fall, daß sich ein deutscher Kraftfahrer jenseits der Grenze in Belgien einen Verstoß hat zuschulden kommen lassen und dann die deutsche Grenze über­ schritten hat. Hier bin ich der Auffassung, daß man den Fall von einem deutschen Gericht aburteilen lassen kann, sonst müßten wir gestatten, daß beispielsweise der belgische Richter den Fall aburteilt und die Strafe vollstreckt. Aus praktischen Gründen dürfte es hier zweckmäßig sein, über das Territorialitätsprinzip hinauszugehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der frühere Entwurf eines allgemeinen Ordnungs­ strafgesetzbuchs unterstellt Übertretungen, die im Aus­ land begangen sind, der Strafgesetzgebung des Reichs nur insoweit, als besondere Gesetze oder Verträge nicht entgegenstehen. Vielleicht kann man darauf ab­ kommen. Der Ausgangspunkt muß jedenfalls der Grundsatz der Gebietshoheit sein. W ir kommen nun zu der Frage, ob die Tatformen des Versuchs, der Beihilfe und der Anstiftung in das Ordnungsstrasrecht zu übernehmen sind. Diese Frage können wir noch nicht erörtern, weil wir die T äter­ schaftsformen im kriminellen Strafrecht noch nicht behandelt haben. Professor Dr. Dahm: Ich würde mir das anders denken. Die Grund­ form dieses Delikts ist nicht die Betätigung des ver­ brecherischen Willens, sondern der Verstoß gegen die Ordnung. Der Versuch sollte überhaupt nicht strafbar sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Grundsatz wäre also: Die T at ist die Kontraven­ tion gegen den Befehl. — Bezüglich des Ausschlusses von Unrechts- und Schuldgründen, Notwehr und Not­ stand, kommt eine besondere Regelung nicht in Be­ tracht. Bezüglich der Verjährung: Wenn die Ver­ folgung prozessual nicht mehr zulässig ist, Verfol­ gungsverbot. Senatspräsident Professor Dr. Klee: F ü r den Fall, daß wir von der Einführung des extensiven Täterschastsbegriffs absehen sollten, würde ich die Bestrafung der Beihilfe empfehlen. Dies hat sich, wie ich mir bereits auszuführen erlaubt habe, in der Praxis als ein Bedürfnis herausgestellt.

IS Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wir können diese Frage offen lassen, weil sie mit der grundsätzlichen Regelung zusammenhängt. Wir kommen dann zu den S t r a f e n . Wir brauchen eine Geld- und eine Freiheitsstrafe. Wir suchen nach einer geeigneten Bezeichnung. Wenn wir erkenntlich machen wollen, daß das Ordnungsstrafrecht sich vom kriminellen Strafrecht unterscheidet, müssen wir verschiedene Namen haben. Vizepräsident Grau: Jedenfalls wird man weit über den llbertretungsstrasrahmen hinausgehen müssen. Wir haben jetzt schon im Ordnungsstrafrecht Strafrahmen, die bis zu 6 Monaten, ja bis zu 1 J a h r Gefängnis gehen. Das ist leider keine Seltenheit mehr. Die Ordnungsgeld­ strafe sollte in unbeschränkter Höhe anwendbar sein, und auch bei der Ordnungshaft wird man bis zu mindestens 3 Monaten gehen müssen. Ministerialdirektor Schäfer: W ir hatten ursprünglich vorgeschlagen: Haft bis zu drei Monaten und Geldstrafe bis zu 2000 Reichs­ mark. Jetzt ist vorgesehen: Geldstrafe bis zu 500 Reichsmark und Hast bis zu drei Monaten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir kommt es weniger darauf an, die Grenze nach oben zu fixieren, als klarzustellen, ob nach der Vorstellung der Herren differenzierte Strafrahmen erwünscht sind oder ein einheitlicher Strafrahmen genügt. M an kann die Frage generaliter und spezialiter lösen. Mein Wunsch wäre, im Ordnungsstrasrecht von einer Aufspaltung in verschiedene S traf­ rahmen abzusehen und statt dessen einen weiten Strafrahmen einheitlich zur Verfügung zu stellen. Die Frage ist nur, ob eine scharfe Abgrenzung des Ordnungsstrafrechts und des kriminellen Strafrechts überhaupt möglich sein wird, ob es also nicht doch Tatbestände gibt, die aus dem Ordnungsstrafrecht in das kriminelle Strafrecht hinüberwechseln. Das scheint mir eine sehr schwierige Sache zu sein.

— Sind die Herren dam: der Meinung, daß wir im Ordnungsstrafrecht die Verwarnung mit Strasvorbehalt brauchen? — Nein. — Auch Maßregeln der Sicherung und Besserung kommen nicht in Frage. Professor Dr. Mrzger: Ich möchte noch kurz auf die S t r a f r a h m e n beim Polizeidelikt zurückkommen. Ich habe Bedenken, ganz hohe Geldstrafen a l l g e m e i n zuzulassen. Ich wäre dafür, eine allgemeine Grenze auf 500 Reichs­ mark, allerhöchstens auf 1000 Reichsmark festzusetzen; das Weitere wäre Sache besonderer Spezial­ erhöhungen. M an hat auch im kriminellen Strafrecht geglaubt, mit ganz wenigen allgemeinen Strafrahmen auskommen zu können. Aber nicht einmal dort war dieser Gedanke durchführbar. Noch weniger paßt er hierher. Jedenfalls erscheint es mir sachlich bedenklich, für alle kleinen Ordnungswidrigkeiten generell ganz hohe Geldstrafen zuzulassen. Wo solche offen bleiben sollen, ist dies Sache der Einzelregelung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Soll man die Einziehung, das Verbot der Berufs­ ausübung, die Geschäftsschließung zulassen? D as alles ist bereits geltendes Recht in den Nebengesetzen; an den Fragen wird man daher nicht vorbeigehen dürfen. Ich kann nicht die Frage unterdrücken, wie sich nach dem Vorstellungsbild der Herren Berichterstatter der Besondere Teil ausnehmen soll. Daß man in den Besonderen Teil des Ordnungsstrafrechts nicht lauter formulierte Tatbestände aufnehmen kann, das halte, ich für selbstverständlich. Schon wegen des Wechsels des In h a lts kann man das nicht. M an wird hier in weitem M aß aus Blankettvorschriften abkommen müssen. Ministerialdirektor Dr. Dürr:

Ministerialdirigent D r. Schäfer: M an könnte hartnäckiges Verstoßen gegen Vor­ schriften des Ordnungsstrafrechts als besonderes krimi­ nelles Delikt der Störung der öffentlichen Ordnung in das Strafgesetzbuch einstellen.

Nach meiner Auffassung werden die Blankett-Tatbeftände in einem Polizei- oder Ordnungsstrafgesetz­ buch eine große Rolle spielen. I m bayerischen Polizei­ strafgesetzbuch überwiegen beispielsweise die BlankettTatbestände. Auch in den strafrechtlichen Nebengesetzen finden sich häufig Blankett-Tatbestände. Sie werden auch in dem kommenden Reichs-Polizeistrasgesetzbuch ihre Bedeutung behalten. Die Bedürfnisse können in den einzelnen Teilen des Reichs so verschieden sein, daß es zweckmäßig ist, den örtlichen Behörden die Ausfüllung einer Blankettvorschrift zu überlassen.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Uber die Vorschriften hinsichtlich der Strafbe­ messung brauchen wir nicht besonders zu sprechen. Anders ist es mit den Fragen der Tateinheit und T at­ mehrheit. An der Frage können wir nicht ganz vor­ beigehen. (Vizepräsident Grau: Ausschließen müssen wir nur die Konkurrenz zwischen dem kriminellen und dem nichtkriminellen Unrecht. — S enats­ präsident Dr. Klee: M an wird auch den Begriff der fortgesetzten Handlung im Ordnungsstrasrecht nicht anerkennen dürfen.)

Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s besteht noch keine Klarheit über den Namen des neuen Ordnungsstrafgesetzes. B is jetzt stehen zwei Vorschläge zur Debatte: „Reichspolizeistrasgesetzbuch" und „Ordnungsstrafgesetzbuch". Der Titel „Reichs­ polizeistrafgesetzbuch" erscheint mir volkstümlicher; er ist eindeutiger und eindringlicher als „Ordnungsstraf­ gesetzbuch". Die Ordnungsstrafe spielt im Ehren­ gerichtswesen, namentlich im neuen berufsständischen Ausbau und anderweit eine große Rolle. I m Interesse unmißverständlicher Abtrennung davon wäre also der Titel „Reichspolizeistrafgesetzbuch" wohl vorzuziehen.

Professor Dr. Kohlrausch: Bezüglich des Allgemeinen Teils des neuen Ordnungsstrafrechts hätte ich drei Fragen. Die erste betrifft die Begriffe der Zurechnungs­ fähigkeit, Schuldsähigkeit. W ir haben diese Begriffe so sehr mit In h a lt gefüllt, daß sie im Ordnungsstraf­ recht wohl nicht mehr ganz paffen. Meine zweite Frage betrifft den Fall eines selbständigen Trunken­ heitsdelikts, § 371 Abs. 2. Die Frage ist, ob hier eine Übertretung genügt. Meines Erachtens würde das zu weit gehen. Die dritte Frage betrifft eine bekannte Kontro­ verse: die Konkurrenz des kriminellen Unrechts mit einer Übertretung. Beispiel: Jemand schießt in Not­ wehr an einem Ort, wo das Schießen verboten ist. Soll hier die Übertretung, begangen durch das Schießen an verbotenem Ort, strafbar sein, während die Notwehrhandlung straflos ist? Ministerialdirektor Dr. Dürr: Ich bin mit den Herren Dr. Klee und Rietzsch darin einig, daß nichtkriminelles Unrecht mit einer kriminellen S traftat niemals konkurrieren sollte. I m Falle der Begehung eines nichtkriminellen Unrechts im Zustande der Volltrunkenheit verhält es sich nach meiner Meinung so: Wenn die Volltrunken­ heit im Strafgesetzbuch geregelt wird, dann ist unter einer „mit Strafe bedrohten Handlung" wohl krimi­ nelles Unrecht zu verstehen. Die Begehung einer Handlung, die nur mit polizeilicher S trafe bedroht ist, kann also die Strafbarkeit nicht begründen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Bezüglich der Trunkenheit weiche ich von dieser Auffassung ab. W ir haben die besondere Bestimmung des § 371 Abs. 2 geschaffen, um die Gefährlichkeit und das Risiko eines Rausches zu treffen. Nun kann man im Rausch auch Übertretungen begehen, z. B. groben Unfug, ruhestörenden Lärm usw. Ich sehe nicht ein, warum das nicht auch strafbar sein soll. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann muß aber ein besonderer Tatbestand in das Über­ tretungsstrafrecht aufgenommen werden.) — Oder vielleicht in den Besonderen Teil des eigent­ lichen Strafrechts. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich halte es für richtiger, im Polizeistrafgesetzbuch den, der sich berauscht und dadurch Ärgernis erregt, mit einer besonderen Polizeistrafe zu bedrohen. D as Delikt besteht dann eben in der Berauschung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte nicht darauf abkommen, den Rausch an sich als Ordnungswidrigkeit zu bestrafen; nicht, als ob ich für den Alkohol plädieren wollte, sondern weil das eben praktisch nicht zu handhaben ist. Profeffor Dr. Dahm: I n einem Ordnungsstrasrecht kann es nicht auf die Fähigkeit ankommen, das Unrecht einzusehen, sondern auf die Fähigkeit, den Befehl zu verstehen.

M an sollte das Ordnungsstrasrecht auch sprachlich von dem allgemeinen Strafrecht abheben. Vielleicht könnte man den Begriff „Strafe" überhaupt ver­ meiden, etwa statt „Geldstrafe" „Buße", statt „Haft" „Arrest" sagen. Ich würde überhaupt nicht von „Strafrecht" reden. Dieses Recht ist kein Strafrecht, sondern eine Art Verwaltungsrecht. Profeffor Dr. Mezger: Ich habe die allergrößten Bedenken gegen eine solche Trennung von zwei verschiedenen Zurechnungs­ fähigkeiten. Auch im Polizeistrafrecht darf man den Strafcharakter nicht ganz fallenlassen. Wenn ein Mensch sich in einem Zustand befindet, der ihn im allgemeinen Strafrecht zurechnungsunfähig macht, soll er der strafrechtlichen Reaktion des S taates nicht unterliegen, auch nicht in den abgeschwächten Formen des Polizeistrafrechts. Auf die sog. verminderte Zu­ rechnungsfähigkeit könnte man dagegen vielleicht ver­ zichten, weil diese ihrem Wesen nach nur eine Strafzumeffungsvorschrist ist. Profeffor Dr. Dahm: D as sehe ich nicht ein. Auch ein Geisteskranker kann imstande sein, einen Befehl zu verstehen und sich danach zu richten. M an kann daher auch ihn mit einer Buße oder mit Arrest belegen, selbst wenn er nicht imstande ist, das Unrecht der T at einzusehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as würde also heißen: Um ein Haltesignal oder dergleichen zu sehen und seine Bedeutung zu erkennen, braucht einer kein normaler Mensch zu sein; er kann trotzdem die Erkenntnisfähigkeit besitzen, daß hier ein Befehl vorliegt, und wäre daher zu bestrafen, auch wenn er nicht imstande ist, das Unrecht seiner T at einzusehen. W ir kommen hier immer wieder auf die Frage zurück: Welches soll der Grundcharakter des Ord­ nungsstrafrechts sein? Hierüber gehen die Meinungen auseinander. Gras Gleispach schlägt vor, auf das Ordnungsstrasrecht die Schuldbegriffe des gewöhn­ lichen Strafrechts zu übernehmen. Professor Dr. Dahm fordert völlig konsequent, im Ordnungsstras­ recht müffe der Täter lediglich wissen, daß er gegen ein Gesetz, gegen einen Befehl verstoße; das Unrecht selbst brauche er nicht einzusehen. Profeffor Dr. Dahm: Daher bin ich gegen die Verwendung der Begriffe „Strafe" und „Strafrecht". Die Maßnahmen des Ordnungsstrafrechts sind keine Strafen, sondern eher sichernde Maßnahmen zum Schutz der äußeren Ordnung. Die Strafe dagegen ist Ausdruck eines sitt­ lichen Werturteils. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wir ge­ brauchen heute das W ort „Strafe" allerdings auch im Zivilprozeß, wenn der Richter eine Ordnungsstrafe verhängt. D as würden Sie dann also auch verwerfen.)

Professor Dr. Mezger: Ich fürchte, wenn man den Strafcharakter im Ordnungsstrasrecht ganz preisgibt, kommt man in ein falsches Geleise. I n der Beurteilung der Zurechnungs­ fähigkeit ergeben sich keine grundsätzlichen Schwierig­ keiten. Bei ihr greift schon im kriminellen Strafrecht eine Anpassung an die einzelnen Delikte Platz. Ein Schwachsinniger beispielsweise kann vielleicht noch für einen Diebstahl verantwortlich sein, dagegen nicht mehr für eine Urkundenfälschung. Anders aber beim echten Geisteskranken, etwa beim schizophrenen Paranoiker, der an Wahnideen leidet. Hier gehen wir davon aus, daß er unzurechnungsfähig ist, auch wenn er ein hohes M aß von Intelligenz besitzt. Hier sollen aber für das allgemeine Strafrecht wie für das polizeiliche S traf­ recht die gleichen Grundsätze maßgebend sein. Auch im Polizeistrafrecht können wir einen wirklich Geistes­ kranken nicht verantwortlich machen. M ir würde es jedenfalls widerstreben, im Polizeistrafrecht den Be­ griff der Zurechnungsfähigkeit anders aufzubauen als im allgemeinen Strafrecht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Rede und Gegenrede spielen immer um den gleichen Punkt. M ir persönlich läge, im ganzen be­ trachtet, die radikale Dahmsche Auffassung: Recht oder Unrecht, Befehl ist Befehl. Ob wir sie durchhalten können, wird sich erst später feststellen lassen. Ministerialdirektor Dr. Dürr: Auch ich bin nicht für eine Spaltung des Begriffs der Zurechnungsfähigkeit bei kriminellem und nichtkriminellem Unrecht. Ich gebe aber zu: Unsere Be­ griffsbestimmung, nämlich die Fähigkeit, das Unrecht der T at einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, paßt nicht recht für das nichtkriminelle Un­ recht. Ein Ausweg wäre vielleicht, auf die Begriffs­ bestimmung des § 51 des geltenden S tG B , zurück­ zugreifen, wonach der Täter fähig sein muß, das U n e r l a u b t e der T at einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Professor Dr. Dahm: D as ist vollkommen unmöglich. D as Unerlaubte ist auch das Unsittliche. Gerade hier erkennt man den Wert einer Scheidung der beiden Bereiche. Ministerialrat Rietzsch: I m Gesetz würde ich über die Frage gar nichts sagen. Vielleicht genügt eine Verwaltungsvorschrift, etwa eine Anweisung an die Staatsanwaltschaften, in derartigen Fällen von Verfolgung abzusehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Praktisch wird das ja auch keine Rolle spielen, es sind ja nur Konstruktionssälle. Wenn wirklich jemand, der mit dem Auto links statt rechts fährt, geisteskrank ist, dann kann ich nicht mit einer Strafe darauf antworten, dann muß ich ihm den Führerschein entziehen oder ihn einsperren oder sonst etwas tun.

W ir haben ja noch andere Gebiete, die man straf­ rechtlich nennt, z. B. das Dienststrafrecht. Sollen wir da nun wieder am Ende einen anderen Schuldfähig­ keitsbegriff aufstellen? Oder denken S ie an das S tra f­ recht der Treuhänder der Wirtschaft. D a muß doch die Schuldfähigkeit auch so aufgefaßt werden wie sonst. Professor Dr. Kohlrausch: Ich möchte noch einmal auf das Notwehrbeispiel zurückkommen. Wenn wir von einem formellen Rechts­ widrigkeitsbegriff ausgehen, mag der S treit gegen­ standslos sein. Entweder ist die T at rechtmäßig oder rechtswidrig. Wenn der Notwehrparagraph das erstere ergibt, kann nicht wegen eines Polizeiunrechts gestraft werden. Von einem materiellen Rechtswidrig­ keitsbegriff aus wird man unterscheiden müssen. Wenn ich auf freiem Felde von einem Hund angegriffen werde, darf ich meine Pistole ziehen und den Hund niederschießen, selbst wenn an sich das Schießen dort verboten sein sollte. Ich darf dasselbe aber nicht hier auf der Wilhelmstraße; hier muß ich versuchen, mich anders zu verteidigen, denn das Schießen hier ist nicht nur formell verboten, sondern gemeingefährlich. Ich glaube, bei der Notwehrfassung, die uns heute vorgelegt wurde, erledigt sich der Fall, weil man sagen kann: hier hält man sich bei der Notwehrhand­ lung nicht mehr in Übereinstimmung mit der gesunden Volksanschauung. Wenn wir aber bei der formalen Notwehrbestimmung bleiben, wie sie z. B. von Herrn Leimer vorgeschlagen ist, dann kann, glaube ich, doch ein Zweifel entstehen. M an wird sagen: Ich darf hier auf der Wilhelmstraße mich gegen jederlei Angriff ebenso verhalten wie draußen auf dem freien Felde. D as Ergebnis spricht für den materiellen Rechts- und Unrechtsbegriff. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich glaube, daß die gesunde Volksanschauung, die doch in die Begriffsbestimmung der Notwehr hinein­ kommen wird, dem Richter einen genügenden Maßstab in die Hand geben wird, im einzelnen F all entscheiden zu können, ob das Schießen in dem Beispiel von Herrn Professor Kohlrausch erlaubt ist oder nicht erlaubt ist. Professor D r. Gras Gleispach: Die Auffassung von Herrn Kollegen Kohlrausch führt nicht m dem Ergebnis, das ich wollte. Wenn S ie sagen: I n der Wilhelmstraße darf ich überhaupt nicht schießen — und die gesunde Volksanschauung steht auf diesem Standpunkt — , dann würde der M ann wegen Sachbeschädigung bestraft. D as wollen wir aber nicht. (Professor Dr. Kohlrausch: Nein, er trifft niemand!) — Die gesunde Volksanschauung sagt: Du darfst in der Wilhelmstraße nicht schießen. Damit wertet sie das Verbot zum Schießen höher. D as Ergebnis wäre keine Notwehr, sondern Sachbeschädigung. W ir wollen, daß er nur allenfalls, vielleicht nicht einmal wegen Verbot des Schießens bestraft wird. (Professor Dr. Kohlrausch: D as ist zweiselhast!)

— Wenn ich sage: die gesunde Volksanschauung hat hier der Notwehr eine gewisse Grenze gezogen, dann ist das Ergebnis: er hat das Delikt begangen, er ist schuldig. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dieser Folgerung kann man nicht ausweichen. Wenn man die heutige Fassung, die die Herren in der Hand haben, akzeptiert, wenn also die gesunde Volksanschauung dem, der sich verteidigt, keinen Vor­ wurf macht wegen der Handlung, die er da begangen hat — das Schießen in der Wilhelmstraße — , dann ist es aus, dann hat er in Notwehr gehandelt. Professor Dr. Gras Gleispach: Wenn man die gesunde Volksanschauung in der Formel, die hier vorgeschlagen ist, auch aus das poli­ zeiliche Gebiet bezieht, kommt die Frage der Ord­ nungswidrigkeit bei Ausübung der Notwehr gar nicht in Betracht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s ist selbstverständlich, daß, wenn die gesunde Volksanschauung es zuläßt, daß der M ann aus der Wilhelmstraße den bissigen Hund niederschießt, er in Notwehr gehandelt hat. Dann ist die Tötung des Hundes strafrechtlich unbeachtlich. Darüber sind w ir einig. Jetzt kommt die zweite Frage: er hat aber an einem verbotenen O rt geschossen. E s ist un­ möglich nach meiner Meinung, daß, wenn er eine Handlung begangen hat, die in der alten verworfenen Qualifikation rechtmäßig war, er gleichzeitig eine Übertretung begangen hat, die strafbar ist. D as kann doch nicht sein. Ministerialdirektor Schäfer: Soweit ich die Rechtsprechung heute kenne, ist das, soweit es zugleich ein Verstoß gegen die Polizei Ord­ nung ist, überhaupt nicht unter den Gesichtspunkt der Notwehr zu bringen, sondern ist unter dem Gesichts­ punkt des Notstandes zu behandeln. Professor D r. Nagler: Ich gehe von dem Beispiel aus, daß ein Hund angreift und der Bedrohte die doppelte Möglichkeit hat, ihn niederzuschlagen oder niederzuschießen. Wenn er ihn auf der Wilhelmstraße niederschießt, statt ihn niederzuschlagen, so wird er zweifellos nicht wegen Sachbeschädigung haftbar gemacht werden können (Sachabwehr), aber er kann, weil er das falsche M ittel gewählt hat, polizeilich in Anspruch genommen werden. D er Gedanke von Herrn Ministerialdirektor Schäfer ist ganz richtig: D as Polizeidelikt (Schießen

auf der Straße) könnte nur durch Notstand der Rechtswidrigkeit entkleidet werden, aber es fehlen hier deren Voraussetzungen. W ir müssen eben zwei Betrachtungen auseinanderhalten, einmal: Angriff gegen das Rechtsgut des Eigenlebens; zweitens: Ordnungswidrigkeit. Was den Eingriff in das Eigen­ leben betrifft, so greifen die Sachabwehrbestimmungen ein, und da ist es ganz gleich, welches Mittel ich wähle. Hinsichtlich der Ordnungswidrigkeit aber habe ich mich im M ittel vergriffen. Ich kann zwar die Sachabwehr legitim vorgenommen haben, aber muß trotzdem polizeilich in Strafe genommen werden, da ich die Sachabwehr auch ohne Polizeiverstoß (durch Niederschlagen des Hundes) hätte vollziehen können. Professor Dr. Kohlrausch: Ich hatte nicht die Absicht, eine Debatte heraufzu­ beschwören, sondern wollte die Frage nur der Unter­ kommission zur Erwägung geben. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Debatten, die sich an solche Konstruktionen an­ knüpfen, sind sehr gefährlich, und ihre Ergebnisse sind selten sehr wertvoll. Ich bin der Meinung, daß wir ruhig abwarten wollen, ob irgend jemand denjenigen wegen einer Ordnungswidrigkeit bestraft, der im Not­ stand in der Wilhelmstraße geschossen hat. Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as ist gar kein besonderes Problem des Polizei­ rechts, sondern ordnet sich der allgemeinen Frage unter, ob jemand, der sich verteidigt, auch andere Interessen oder Rechtsgüter ungestraft verletzen darf. Wenn ich einem anderen Nothilse leisten will, bin ich unter Umständen gezwungen, über fremde Höfe oder Acker zu gehen. D as wäre an sich Haus­ friedensbruch oder dergl. F ü r mich ist es selbstver­ ständlich, daß die T at auch insoweit straffrei ist. Meiner Meinung nach brauchen wir im Polizeistraf­ recht nichts Besonderes über das Problem zu sagen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Reihenfolge wollen wir heute nicht mehr zur Diskussion stellen. Ich würde vorschlagen, daß Herr Ministerialdirektor Schäfer, Herr Ministerialdirektor D ürr und Herr Senatspräsident Dr. Klee unter der Federführung von Herrn Ministerialrat Rietzsch bis zur nächsten Zusammenkunft den allgemeinen Teil des Ordnungssirasrechts einmal konzipieren. Dieses Ver­ fahren erscheint mir deshalb erwünscht, weil wir über dieses Thema eigentlich noch nicht gesprochen haben. Hierauf wird die Weiterberatung vertagt.

(Schluß der Sitzung 13 Uhr 30 Minuten.)

Ltrafrechtskommission

und daß ich auch manches von den nachgebrachten Ideen in meinen Ausführungen verwerten möchte. D as gilt insbesondere von dem, was Herr S enats­ präsident Klee vorgebracht hat.

63. Sitzung L0. M ärz 1935 Inhalt Die Straftat; Täterfchastssormen Reichsjustizminister Dr. Gürtner 1. 3. 10. 15. 17. 18. 19. 21. 22. 23. Berichterstatter Staatsminister Dr. Thierack....... 1. 20. Berichterstatter Professor Dr. N a g le r ............................ 3. Vizepräsident Grau .......................................................... 8. Professor Dr. Kohlrausch ....................................................... Senatspräsident Professor Dr. Klee .................... 13. 18. Professor Dr. Graf G leispach................................ 16. 21. Professor Dr. Mezger ...................................................... 17. Staatssekretär Dr. Freister ............ 17. 19. 20. 22. 23. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer ............................................. Landgerichtsdirettor Leimer ................................................. Ministerialdirektor Dr. D ü r r .................................................. Ministerialdirektor Schäfer......................................................

20. 24 23 24 21 10 23 22 22 24 18 19 21 22

(Aussprache abgebrochen.)

Beginn der Sitzung 10 Uhr 15 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich darf bitten, die Besprechung fortzusetzen. Vereinbarungsgemäß würden wir jetzt das Thema beginnen, das unter Ziffer 3 unseres Programms steht: Die Straftat (§§ 358 ff.). Berichterstatter Staatsminister Dr. Thierack: Herr Reichsminister! Meine Herren! Ich möchte, ehe ich mein Referat beginne, aus meine Antrage vom 4. Februar hinweisen und dort zwei Hörfehler be­ richtigen, die S ie vielleicht schon längst bemerkt haben werden. Aus Seite 3 muß es im zweiten Absatz in der vorletzten Zeile statt „vorbereitet" heißen: „vor­ gesehen" und in der letzten Zeile desselben Absatzes statt „Vorbehalten" „Vorbereiten". Ich möchte vorausschicken, daß die Probleme, um die es sich bei den zur Erörterung stehenden Paragraphen handelt, innerlich als untrennbare zu­ sammenhängen, und daß ich sie heute nicht bis in die tiefsten Tiefen oder nach allen schillernden Seiten anfassen möchte, weil ich gesehen habe, daß sehr viele Herren zu dem gesamten Problem bereits Stellung genommen haben und daß von allen Seiten gewünscht wird, hierzu etwas zu sagen. Ich möchte gleich be­ merken, daß m ir einige der vorgebrachten Ideen durchaus zum Nachdenken Gelegenheit gegeben haben,

D as Problem, das wir hier zu lösen haben, ist die Frage, die hier einmal so ausgedrückt worden ist: wo beginnt die Verteidigungslinie des national­ sozialistischen S taates gegenüber dem Rechtsbrecher, also wann löst eine T at bereits ein Einschreiten des S taates aus? Es handelt sich also um das strafbare Beginnen einer Handlung und dann um das Problem des Täterbegrisfes an sich. Der Aufbau in dem uns vorliegenden Entwurf ist offenbar so gemeint, daß zunächst der Alleintäter behandelt wird und später von § 362 ab die Beteiligung mehrerer an der T at. Es ist das nicht ganz dürchgehalten worden. W ir finden z. B. in § 360 die Beteiligung mehrerer be­ reits erwähnt. Ich möchte dazu schon hervorheben, daß man diese Probleme verschieden lösen kann. M an kann sie so lösen, daß man zunächst von dem Ge­ danken der vollendeten T at ausgeht und daß man damit die Beteiligung mehrerer an dieser vollendeten T at verbindet, daß man, nachdem man diese Frage technisch in irgendeinem Niederschlag gelöst hat, zu einem neuen Paragraphen schreitet und nunmehr zum strafbaren Beginnen der T at kommt und hier auch die Beteiligung an dem Beginnen einer straf­ baren Handlung untersucht. I n meinem Vorschlag bin ich diesen Weg nicht gegangen, sondern ich habe versucht, alles das in eins zu gießen, weil ich glaubte: es wäre vielleicht bester, wenn man doch den E nt­ wurf als Unterlage nähme und nunmehr die Ver­ besserungen, die ich für notwendig halte, hinzufügte; während andere Herren, die dazu Stellung ge­ nommen haben, andere Wege gehen, zunächst einmal die Vollendung der T at untersuchen und dann den Beginn ganz neu anfassen. Ich sagte Ihnen schon, daß eine ganze Reihe von Stellungnahmen vorliegen, die teilweise über­ einstimmen, teilweise aber recht wenig überein­ stimmen. Wenn jetzt § 358 des Entwurfs sagt: „Eine S traftat begeht, wer sie schuldhast vollendet oder mit dem Vorsatz, sie zu vollenden, beginnt", so stimmt § 358 Abs. 1 nicht überein mit dem, was in § 362 Abs. 1 gebracht wird. E s hat nämlich der § 362 Abs. 1 — das haben eine Reihe von Herren auch hervorgehoben — den restriktiven Täterbegriff wieder gebracht. Dieses Problem des restriktiven Täterbegrisss ist nicht mit ein paar Worten zu er­ ledigen; es ist sehr schwierig. W ir sind uns alle einig darüber, daß der Begriff des weiten T äter­ begrisss vieles bereinigt, was sonst schwierig ist, daß aber der Begriff des engen Täterbegriffs auch manches Gute an sich hat. Der Begriff des weiten Täterbegriffs wird erst dann zur Schwierigkeit, wenn die Beteiligungssorm verschieden erscheint und das Delikt in keiner Form abgeschlossen ist. Ich möchte hierzu ein Beispiel geben. Nehmen Sie an, daß die Ehefrau ihren Liebhaber veranlaßt, ihren M ann zu töten. Der Liebhaber hat keine Mordwaffe und be­ sorgt sich diese bei einem Freunde. Wenn dieser Liebhaber die T at ausgeführt hat, so finden w ir im weiten Täterbegrisf die F rau daran beteiligt; wir finden den Freund daran beteiligt, an den sich der

Liebhaber gewandt hat, damit er ihm die Schußwaffe zur Verfügung stellt. W ir finden im weiten Täter­ begriff, wenn die T at nicht vollendet ist, auch alle Beteiligten wieder. E s ist nur die Frage, wann die Beteiligung der einzelnen strafbar erscheint und wann die Beteiligung der einzelnen an der S tra fta t viel­ leicht doch so weit entfernt ist, daß sie eine Sühne nicht erfordert. D as haben wir bei dem weiten Täter­ begriff zu untersuchen. Der Liebhaber steigt mit seiner Waffe in das Erdgeschoß ein, in dem der Ehe­ mann schläft. Dann ist nach der heutigen Recht­ sprechung ein Versuch dann vorhanden, wenn der Liebhaber durch das offene Fenster eingestiegen ist, sich an das Bett hinbegeben hat, die Waffe zückt und auf den im Bett liegenden Ehemann anschlägt. Nach dem weiten Täterbegriff würde die T at bereits zur Strafbarkeit gelangt sein, wenn der M ann mit der Waffe in das Fenster einsteigt. E s kompliziert sich hier sofort die Handlung, wenn wir das Beginnen, das Anfangen der T at im weiten Sinne — so will ich sagen — als strafbar unterstellen. W ir müssen nunmehr die Ehefrau, die ihren Liebhaber dazu ver­ anlaßt, und den Freund, der die Pistole zur Ver­ fügung gestellt hat, bestrafen. W ir kommen demnach zur Bestrafung der Anstiftung und der Beihilfe bei einer begonnenen T at. W ir kommen auch so zur Bestrafung des mittelbaren Täters. E s ist deshalb ein Suchen bei all den Herren, die sich mit diesem Problem beschäftigt haben: wo beginnt die strafbare Handlung an sich? Nun ist im Entwurf der Begriff b e g in n e n " vorgeschlagen worden. Ich habe schon in meinem Referat ausgeführt: das Wort „Beginnen" kann man, ohne dem Begriff Zwang anzutun, auslegen wie heute das Wort „Versuch" oder „Anfang der Ausführung", und deswegen hatte ich gemeint, man müsse hier eine Hilfe insofern geben, als man viel­ leicht in den Motiven, die das kommende S tra f­ gesetzbuch wohl auch haben wird, eine Erklärung nach der Richtung hin gibt, daß das Wort „Beginnen" eine Vorverlegung der Verteidigungsmaßnahmen des S taates sein soll. Ich war mir, als ich das anregte, aber schon bewußt, daß das garnicht anders gehen kann als mit der von Ih n en sicherlich nicht geschätzten ominösen Ausdrucksform der unmittelbaren Ver­ letzung eines Rechtsguts. Dabei sehe ich keine Gefahr in der Auslegung, was unmittelbare Bedrohung eines Rechtsgutes ist. Was unmittelbar ist, wissen wir, was die Bedrohung ist, wissen wir auch, und was ein Rechtsgut ist, ist durchaus nicht schwierig, obgleich diese Frage hier einmal umkämpft worden ist; denn Rechtsgut kann nur das sein, was in einer bestimmten Rechtsnorm unseres Strafgesetzbuches ge­ schützt ist, also Gesundheit, Körper, Eigentum, Ver­ mögen und so weiter. E s hat jetzt zu diesem Problem Herr S en ats­ präsident Klee Stellung genommen, und da bin ich nachdenklich geworden. Herr Senatspräsident Klee sagt folgendes: wer die S traftat begeht, wer sie selbst ausführt oder zur Verwirklichung des Tatbestandes b e iträ g t,............und fährt fort: der Begehung steht das Unternehmen gleich. Hier gehe ich nicht mit ihm konform. W as er hier normiert, ist nicht das Unter­ nehmen, das ich der Vorbereitung gleichsetze, fonbent

es ist das Beginnen, wie wir es an sich wünschen, und ich möchte beinahe meinen, daß Herr S enats­ präsident Klee das gefunden hat, wonach ich gesucht habe, nämlich das Beginnen zu definieren. E r definiert es also nicht, wie ich Ihnen schon vorhin sagte, mit einer unmittelbaren Bedrohung eines Rechtsguts, sondern er sagt folgendes: „eine S tra f­ tat" — und nun darf ich mir wohl die entsprechenden redaktionellen Änderungen erlauben — „beginnt, wer mit dem Willen, sie zu vollenden, Handlungen vornimmt, die unmittelbar auf die Vollendung der T at abzielen". Ich glaube, so wäre eine Möglichkeit gegeben, den Begriff des Beginnens, den wir jetzt finden wollen, gut abgrenzen zu können. Es muß also eine Handlung vorliegen, die unmittelbar auf die Vollendung der T at abzielt. Nun kehren wir zurück zu dem Beispiel, das ich gebracht habe! Dann würde also — zu einer Komplikation komme ich gleich — der Liebhaber, der in das Fenster ein­ gestiegen ist, die T at begonnen haben; er würde also eine Handlung, die unmittelbar aus die Vollendung der T at abzielt, getan haben. Es würde die Frau, die ihren Liebhaber dazu veranlaßt hat, dasselbe getan haben. J a , es würde auch derjenige, der die Waffe zur Verfügung gestellt hat, dasselbe getan haben. Sie alle haben begonnen mit der Tat. Nun die Komplizierung! W ir können, ohne den Begriff der Akzessorietät zu gebrauchen (Beihilfe, Anstiftung) — den wollen wir ja nicht haben, weil der Begriff der Akzessorietät ausgeschlossen wird durch den Begriff des weiten Täterbegrifss — , nun ohne weiteres normieren, daß jemand, der zu einer Handlung beiträgt oder bei einer Handlung mitwirkt, strafbar sein soll. Wie sagt denn das Volk, wenn es so etwas hört? D as Volk erklärt von dem Liebhaber einer Frau, der den Ehemann erschossen hat, und von dem Dritten, der die Pistole zur Verfügung ge­ stellt hat: der hat m i t g e m a ch t. Von der F rau sagt das Volk auch: die hat m i t g e m a c h t . Was heißt das: „mitgemacht"? E s bedeutet eben: sie haben zur Ausführung der T at beigetragen. Freilich werde ich zeigen, daß ich mich nicht ganz freimachen will von den heutigen Gedankengängen und daß es vielleicht auch notwendig ist — das ist wieder eine Rücksichtnahme auf unsere Richter, die doch etwas ganz Neues vorgesetzt bekommen — , wenigstens den Gedanken der Akzessorietät in dem S inne wie früher anzudeuten. Nun hat der Herr Reichsjustizminister früher einmal — ich glaube, in Oberhos — gesagt: „Zum Mord gehört eine Leiche". D as ist richtig. Wenn ich nun gerade dieses Beispiel hier gewählt habe, und wenn es eigenartig klingt, daß derjenige einen Mord begeht, der eingestiegen ist und die Waffe in der Hand hatte, weil die Leiche fehlt, so könnte man in diesem ganz besonders gelagerten Falle viel­ leicht den Ausweg finden, indem man sagt, daß das Beginnen des Mordes nicht als Mord aufzufassen ist, sondern als Tötung oder sonst etwas. Jedenfalls wollte ich an diesem Beispiel zeigen, wie die Beteili­ gung verschiedener Personen an der begonnenen T at zu bewerten ist. Ich will mich jetzt, nachdem ich das voraus­ geschickt habe, in aller Kürze — ich habe das Problem nicht bis zum letzten durchsprechen wollen, weil ich

Ih n en selbst noch die Gelegenheit lasten möchte, Stellung zu nehmen — zu dem Entwurf selbst wenden. Ich habe Ih n en vorgeschlagen, wie ich die Fassung wünsche, und habe das, wie ich noch einmal betone, getan aus dem Wunsche heraus, an dem E nt­ wurf so viel stehen zu lasten, als man irgendwie stehen lasten kann. Ich kann aber mit manchem der Herren — das gilt auch von Herrn Professor Nagler und Herrn Senatspräsidenten Klee — durchaus darin übereinstimmen, daß man das Problem auch so lösen kann, daß man überhaupt den Abschnitt über die S traftat völlig umändert. Ich würde also vorschlagen, daß man die vollendete T at mit dem Beginn der T at zusammenfaßt und gleichzeitig m e i n e m Rechtssatze dazu bringt, wann die T at strafbar zu werden be­ ginnt. Ich habe es für notwendig erachtet, daß der § 358 Abs. 1 mit dem § 362 Abs. 1 verschmolzen wird. Die Verschmelzung bringe ich gleich. Zuvor möchte ich vorausschicken: es steht in diesem Abschnitt: „Eine S traftat begeht, wer sie schuldhast vollendet". D as Wort „schuldhaft" gehört meiner Ansicht nach hier nicht hinein. Hier handelt es sich um das Be­ gehen einer S traftat, und es ist doch selbstverständ­ liche Voraussetzung, daß eine S traftat schuldhaft be­ gangen sein muß; denn sonst kann sie eben nicht be­ straft werden. Wenn wir das Wort „schuldhast" hier hineinsetzen, dann hätte man ebensogut in § 345, wo es heißt: g e s tra ft wird nur, wer eine T at begeht.............", das Wort „schuldhast" Hineinsetzen können. Ich halte es also für unlogisch, wenn wir hier das Wort „schuldhaft" Hineinsetzen. Ich normiere deshalb so: „ E i n e S t r a f t a t b e g e h t , w e r s i e s e l b st a u s f ü h r t " — das ist der Alleintäter — „ o d e r z u i h r e r A u s f ü h r u n g m i t w i r k t " — das ist also der M ittäter, oder es sind diejenigen Formen des Beitragens, des Mitwirkens, die wir unter der Beihilfe, Anstiftung, der mittel­ baren Hilfe usw. verstehen — „ o d e r m i t d e r Ausführung oder M i tw ir k u n g be­ g i n n t " — in dem Sinne beginnt, wie ich vorhin dargelegt habe und wie sie Herr Senatspräsident Klee mit dem Wort „Unternehmen" im Gesetz haben will — und zwar „ m i t d e m W i l l e n beginnt, d a ß d i e T a t v o l l e n d e t w e r d e " , nicht „sie zu vollenden", weil es — das haben wohl auch einige der Herren M itarbeiter erkannt, mtb sie haben sich dieser Fassung wohl deshalb angeschlossen — ein Mitwirken, ein Beitragen zur T at geben kann, ohne daß eine innerliche Willensverbundenheit der Aus­ führenden vorhanden ist. Deswegen muß man das Neutrale, wenn es auch nicht schön klingt, wählen: „daß die T at vollendet werde". Ich würde es also nun für richtig halten, wenn man in diesem ersten Satz die Bestimmungen des § 358 Abs. 1 und die des § 362 Abs. 1, also die Probleme des weiten T äter­ begriffs und des Beginnens, zusammenfaßte und nun­ mehr eine Auslegung des Wortes „Beginnens" brächte, so wie sie Herr Senatspräsident Klee für den Begriff des Unternehmens vorgeschlagen hat. Ich würde dann die Absätze 2 und 3 bestehen lassen und als Abs. 4 den Abs. 2 des § 362 an­ schließen. D a heißt es: „Die Strafbarkeit jedes an der S traftat Beteiligten ist unabhängig von der Strafbarkeit der anderen Beteiligten". D as ist das,

was ich vorhin meinte: wer davon durchdrungen ist, daß der weite Täterbegrisf den Begriff der Akzesso­ rietät ausschließt — und ich bin davon durch­ drungen — , der braucht diesen Absatz garnicht. Aber ich muß ihn haben mit Rücksicht aus die Praxis, weil in der Praxis dem Richter dies noch einmal serviert werden muß. Es schließt dieser Abs. 3 die Akzessorietät vollständig aus; von der Theorie aus brauchten wir ihn nicht. § 359 will ich vollkommen weglassen; es soll ja auch heute hierüber nicht referiert werden. Der weitere Aufbau, den Sie in meinem Referat finden, ist aus gewissen technischen Überlegungen gezogen worden. Alles das soll ja heute nicht angefaßt werden; es soll heute nur behandelt werden der Begriff des weiten Täterbegrisfs und des Beginnens. W ir hätten also den Vorteil, daß der unmöglich mit dieser Idee und auch mit der Idee des Entwurfs paffende § 362 nunmehr vollkommen bis aus Abs. 2 ausgeräumt wäre. Abs. 2 sagt: „Wer nur die Tat eines anderen unterstützen will, und ihm nur Beihilfe leistet . . . . " . Nun kann man sich auf den S tand­ punkt stellen: man braucht Abs. 2 nicht, ebenso wenig wie den Abs. 3. E r enthält in der Hauptsache eine Strafbemessungsregel. Aber ich würde meinen: aus denselben Gründen, wie ich sie vorhin vorgetragen habe, müssen wir diese Bestimmung mit Rücksicht auf die Praxis halten; ja sie ist vielleicht sogar darüber hinaus notwendig, um eben für besondere Fälle der Beteiligung an einer begonnenen T at eine S tra f­ losigkeit normieren zu können. Nur ist die Ausdruckssorm dieser Bestimmung nicht korrekt. E s darf nicht heißen: „Wer nur die T at eines anderen unterstützen will", sondern es muß heißen: „Wer die Tat eines anderen nur unterstützen will . . .". Ferner könnte ich mir denken — ich weiß im Augenblick nicht, welcher von den Herren sich dafür ausgesprochen hat; ich glaube, es war Herr Professor Kohlrausch — , daß man diesen Absatz etwas anders fassen könnte. M an könnte ihn auch so fassen: „Wer die T at eines anderen nur herbeiführen oder ihm nur Hilfe leisten w i l l ................ ". Ich will die nähere Ausführung dazu Herrn Professor Kohlrausch über­ lassen, der offenbar einen besonderen Zweck mit dieser Formulierung verfolgt. Ich glaube, in dieser möglichst kurzen Form die Probleme, soweit ich sie heute überhaupt berühren darf, berührt zu haben. Ich habe mich auf das beschränkt, was heute besprochen werden soll. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich glaube in der T at: M an kann diese zwei Punkte, die man vielleicht nicht von einander trennen kann, doch unabhängig von der Unterlassung usw. behandeln. Berichterstatter Professor Dr. Nagler: Der sogenannte extensive Täterbegriff ist in Wahrheit kein Teilnahmeproblem, sondern weiter nichts als die Forderung der Extenstvierung des T at­ bestandes. Uber den Tatbestand ist der Gesetzgeber unumschränkter Herr. Insoweit ist er wirklich souverän. Wie er den Tatbestand im einzelnen ge-

stalten will, ob er z. B. Beihilsefälle (wie etwa die Unterstützung eines Gefangenen bei der Selbstbefreiung), ob er Anstistungs- und Verleitungssormen (3.58. das Bestimmen zur Fahnenflucht oder Unzucht) oder ob er Versuche (z. B. beim Hochverrat) als einen selbständigen Tatbestand entwickeln will, alles das steht ihm vollkommen frei. Die Tatbestands­ gestaltung ist also ganz in das Ermessen der Gesetz­ gebung gestellt; es handelt sich um reine Zweckmäßig­ keitsfragen, die der Gesetzgeber dabei zu erledigen hat. Ich bin daher der Meinung, daß erst einmal über diese Extensivierung des Tatbestandes, die wir bisher als extensiven Täterbegriff bezeichneten, gesprochen werden muß, weil darin die Grundhandlung fest­ gelegt wird. Deren weitere Entwicklungsstadien, also die Frage des Beginns und dergleichen, kann erst im Anschluß daran fruchtbar erörtert werden. Wie ist diese Extensivierung nun plötzlich so in den Blickbereich unserer Wissenschaft und jetzt auch der Gesetzgebung getreten? D as hängt mit der v. Burischen Kausalitätstheorie zusammen. Nach dieser überweiten Kausalitätslehre (insbesondere nachdem die sogenannte Unterbrechung des Kausal­ zusammenhanges durch die vorsätzliche Handlung eines Anderen vom Reichsgericht seit dem 58. Bande sSchmugglerfallj aufgegeben worden ist) steht nichts im Wege, sämtliche Mitwirksamkeiten an der Ver­ letzung des Rechtsguts als Tatbestandserfüllungen und damit als Täterschaften anzusehen. Früher waren die §§ 48 und 49 S tG B , vom Reichsgericht so interpretiert worden, daß sie als Coupierungen des Kausalzusammenhanges kraft gesetzlicher Anord­ nung erschienen, infolgedessen eine Schranke für die Ausweitung des Täterbegrifss bildeten. Die T at­ bestände wurden also grundsätzlich restriktiv aus­ gelegt. Demgemäß wurden die §§ 48 und 49 StG B , von der Rechtsprechung wie von der Theorie als Strafausdehnungsgründe entwickelt. D as Reichs­ gericht hat dagegen bei den Fahrlässigkeitsdelikten, worauf die §§ 48 und 49 des geltenden Rechts sich nicht beziehen, die Kausalitätsschranke nicht ange­ troffen und darum für sie immer den sogenannten extensiven Täterbegrifs vertreten; nach seiner Kausa­ litätstheorie bestand ja ohne weiteres die Möglichkeit, jeden, der bei der T at mitwirkt, als Verursacher des ganzen Erfolgs anzusprechen, und ihn damit, wenn nicht besondere Hemmungen im Tatbestand selbst zu finden waren, als Täter des Fahrlässigkeitsverbrechens zu erfassen. Seitdem die alte Fassung der Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs vom Reichsgericht preisgegeben und die v. Burische Theorie rücksichtslos durchgeführt worden ist, hat sich das Wesen der §§ 48 und 49 S tG B , zunächst in der Auftastung der Theorie und dann auch in den Augen des Reichsgerichts völlig geändert. S ie gelten jetzt nicht mehr als Strafausdehnungsgründe, sondern sie sind nunmehr zu Strafbeschränkungsgründen ge­ worden, da sie der ungehemmten Entfaltung der Täterschaft eine Schranke ziehen: § 49 mit der W ir­ kung, daß eine obligatorische Strafmilderung eintritt. S o stellt sich heute die wissenschaftliche Situation für alle Anhänger der v. Burischen Kausallehre dar. Die im 58., 61. und 64. Bande der Entscheidungssamm­ lung zu findenden Urteile des Reichsgerichts, die

diese Gedankengänge entwickelten, sind in der Litera­ tur viel beachtet worden. Ich meine den bekannten Schmugglerfall, weiter den Brandfall, der hier schon in der ersten Lesung ausgiebig erörtert worden ist, sodann den Kindertötungssall (fahrlässige Tötung durch die uneheliche Großmutter), endlich den Gistfall (wo die Freundin dem Liebhaber das Gift in die Hand spielt und der Liebhaber damit seine F rau ver­ giftet). Auf der anderen Seite hat das Reichsgericht im 64. Bande Seite 143 f bei einer ganz ähnlichen Konstellation die zu erwartenden Konsequenzen nicht gezogen, und zwar glaubte es sich durch die besondere Typisierung des Tatbestandes, durch die Wendung des § 206 S tG B .: „im Zweikamps tötet" an der Durch­ führung seiner Kausallehre gehindert. M an kann darüber verschiedener Meinung sein, ob § 206 S tG B , wirklich entgegenstand; jedenfalls glaubte das Reichs­ gericht, durch die besondere Formulierung des § 206 S tG B , kausal gehindert zu sein. I n der Theorie sind dann die oben erwähnten Fälle, die seit dem 58. Bande der Reichsgerichtsentscheidungen zum Abdruck gekommen sind, im Zusammenhang behandelt und vielleicht etwas verfrüht systematisiert worden. Es sind insbesondere Eberhard Schmidt und Mezger, die den Gedankengang des Reichsgerichts systematisch weiter gebildet haben, Schmidt in der Form, daß er von dem angegriffenen Rechtsgut her argumentiert, Mezger so, daß er von dem rechtswidrigen Erfolg ausgeht. Beide gehen objektiv zu Werke und unter­ scheiden sich dadurch vom Reichsgericht, das gegen die volle Extensivierung der Tatbestände noch gewisse Hemmungen verspürt, und zwar wegen seiner sub-. jektiven Teilnahmetheorie. D as Reichsgericht argu­ mentiert: gewiß, sämtliche Mitwirkende verursachen wohl den ganzen Erfolg; aber man muß doch sub­ jektiv unterscheiden zwischen denjenigen, die den an im u s aucto ris ausweisen — das sind die vorsätz­ lichen Täter — , und denjenigen, die nur den anim us socii haben; das sind die Gehilfen der Vorsatzdelikte. Die Vorteile dieser Extensivierung des Tatbe­ standes liegen auf der Hand. Es tritt eine außer­ ordentliche Vereinfachung des Systems ein; denn es würden damit alle Kontroversen, die uns auf dem Gebiete der Teilnahme bei der Abgrenzung der M it­ täterschaft von der Gehilfenschaft begegnen, mit einem Schlage beseitigt sein. D as zweite, das man als Vorteil buchen kann, ist die freie Stellung des Richters, welcher nunmehr ungehemmt individualisieren, also jeden einzelnen F all in seiner Besonderheit ersassen und insbesondere nach der Schwere der Schuld auch den Gehilfen mit der vollen Täterschaftsstrase treffen kann. Der Richter würde einen vollen Spielraum haben, er würde nur auf der einen Seite an die Tatbestandsmäßigkeit — der Tatbestand wird ja durch die v. Burische Kausalitätstheorie spielend leicht erfüllt — und, falls die objektive Rechtswidrigkeit eliminiert bleiben sollte, auf der andern Seite noch an die Schuld gebunden sein. Zwischen Tatbestands­ mäßigkeit und Schuld, diesen beiden einzigen B in­ dungen, würde sich der Richter frei bewegen. W ir dürfen aber nicht verkennen, daß diese Extensivierung des Tatbestandes auch wieder schwere Nachteile zeigt. Ein Nachteil ist der Verzicht der Gesetzgebung auf die Vorwertung der Teilnahmetypen. Die Gesetzgebung,

die dem Richter völlig freie Hand läßt, unterläßt es, selbst innerhalb der großen Masse von Fällen, die als Mitwirksamkeiten angesprochen werden können, ge­ wisse typische Unterscheidungen zu treffen und durch die Sonderbehandlung der typischen Fälle dem Richter bestimmte Orientierungspunkte und Richtlinien zu geben, nach denen dieser sich richten muß. E s ist interessant, daß die Frage, ob diese Vorwertung und Bortypisierung vorgenommen werden soll, keineswegs neu ist. Nicht erst jetzt ist das ganze Problem ange­ rührt worden, sondern es hat schon die Partikulargesetzgebung Deutschlands früher bewegt. Ich weise darauf hin^ daß Bayern 1831 diese Frage schon ein­ mal erörtert hat, daß man damals schon gefragt hat: brauchen wir überhaupt die Vorwertung durch Typen­ gestaltung innerhalb der Teilnahmelehre oder sollen wir nicht vielmehr dem Richter eine ganz freie Bahn eröffnen? Damals haben die Bayern geantwortet: an die Spitze aller Tugenden müsse die Gerechtigkeit gestellt werden, und es sei ungerecht, wenn der Gesetz­ geber dem Richter und seinem individuellen Ermessen einen ungehemmt freien Spielraum gebe. Diese bayerische Wendung ist dann z. B. auch in Hessen (feste Anhaltspunkte für den Richter seien die „Grund­ lage wahrer Gerechtigkeit") aufgenommen worden und hat wohl auch aus die Motive zum Strafgesetzbuch weiter gewirkt. Sie kehrt übrigens auch in dem französischen Schrifttum wieder. D as ist das erste Bedenken, ein Gerechtigkeitsargument! Ein zweites Bedenken wirst die Frage aus, ob die Gleichbehandlung aller Teilnehmer wirklich materiell gerecht ist. M an sollte nach meiner Meinung die Bei­ hilfe besonders herausheben, und zwar deshalb, weil sie im Durchschnitt einen geringeren Unrechtsgehalt aufweist als die Täter- und Urheberschaft. Ich habe das schon in meinem schriftlichen Bericht hervorge­ hoben und auch hinzugefügt, daß der Unrechtswert oder Unrechtsgehalt der Gehilsschaft überdies im um­ gekehrten Verhältnis zur Nähe und zur Wahrschein­ lichkeit des Tatersolges steht. Die Gehilfschastsfälle können doch unter Umständen sehr leicht liegen. S o will z. B. jemand einen Einbruch begehen, und irgend­ ein Freund verrät ihm den bequemsten Weg dazu, und zwar geschieht das etwa drei Monate vor der Tat. Soll der Freund, wenn der andere wirklich den E in­ bruch begeht, als Einbrecher bestraft werden? D as ist nach meinem Dafürhalten, wenn wir an den vollen Gehalt der Strafe denken, doch außerordentlich hart. Wenn wir die Beihilfe in den Tatbestand ein­ beziehen, müßte der Strafrahmen aller Verbrechen nach unten wesentlich erweitert werden. Ich sehe in der Literatur diesen Gedanken neuerdings immer stärker hervortreten. E s besteht das Verhältnis der kommunizierenden Röhren. J e mehr wir in den T a t­ bestand hineinpacken (auch so leichte Mitwirksam­ keiten wie die Beihilfe, die sehr gering wiegen, deren Unrechtsgehalt sich ganz außerordentlich verflüchtigen kann), desto mehr müssen wir den Strafrahm en nach unten erweitern, um eine gerechte Ausgle'ichsmöglichkeit zu geben. W ir können nicht der Gnade eine Unmenge von vermeidbaren Härte-Fällen überweisen. W ir stehen also hier vor einer schwierigen Alternative: entweder wollen wir eine gerechte Strafe für die Beihilsesälle ermöglichen, dann müssen wir den

Strafrahmen ttadj unten wesentlich erweitern, oder aber wir müssen erhebliche Opfer der Generalpräven­ tionswirkung bringen und müssen den nach unten erweiterten Strafrahmen auch für alle Urheber- und Täterschaften zur Verfügung stellen. Bisher haben wir in dieser Kommission die Tendenz gehabt, das Minimum unserer Strafrahmen hoch zu halten, um das beliebte Abgleiten der Gerichte nach der Milde hin in Zukunft von vornherein zu unterbinden. Wir haben z. B. bei Erpressung 6 Monate Gefängnis als die Minimalstrafe vorgesehen. Diese untere Be­ grenzung können wir bei der Gleichbehandlung aller Mitwirksamkeiten nicht mehr aufrechterhalten. Wir stehen also vor der Frage: wie richten wir es ein, daß wir innerhalb der Unrechtsgehalte, die für Beihilfe auf der einen Seite, für Täterschaft und Urheberschaft auf der andern Seite zu berücksichtigen sind, die ge­ rechte Abgeltung treffen? Es gibt'zwei Lösungen. Entweder behandelt man die Beihilfe als einen fakul­ tativen Strafmilderungsgrund, so daß sie mit der Täterschaftsstrafe getroffen werden kann, aber nicht getroffen werden muß, mithin vermöge der fakul­ tativen Strafmilderung im Rahmen des § 413 die Möglichkeit des Ausweichens besteht. Oder — und das ist die zweite Variante — man entwickelt als Regel die mildere Bestrafung der Beihilfe, sieht also normal die Milderung des § 413 vor, aber gibt dem Richter die Möglichkeit, aus besonderen Gründen die volle Täterschaftsstrafe zu verhängen. Jedenfalls halte ich das System unseres heutigen § 49, nämlich die obligatorische Milderung bei der Beihilfe, nicht für gerecht und weiterhin vertretbar. E s gibt doch Beihilfefälle, die so schwer liegen, daß man sie mit der vollen Täterschaftsstrafe treffen muß. Diese Möglichkeit wird durch die eben dargestellten beiden Varianten eröffnet. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß diese Ausweichsmöglichkeit schon von Norwegen, Ita lie n und dem Schweizer Entwurf vorgesehen worden ist. I n gleicher Richtung bewegt sich auch ein Vorschlag der Internationalen Krimi­ nalistischen Vereinigung, der allerdings allgemein, nicht bloß für die Beihilfe, in besonderen Fällen geringer Schuld eine mildere Strafe zulassen wollte. Vor der Einbeziehung des T äters würde ich warnen. Ich schlage vor, nur für den Gehilfen diese Milderung eintreten zu lassen. Die Schweizer Entwürfe haben die fakultative Milderung auch nur für die Beihilfe vorgesehen (im Gegensatz zu Norwegen und Italien). Wenn wir fragen, welche von den beiden V ari­ anten vorzuziehen ist (soll man als Regelstrafe für den Gehilfen die Täterstrafe in Aussicht nehmen und dem Gericht die Möglichkeit der fakultativen Milde­ rung geben, oder soll man als Regelstrase für die Gehilsschaft die Milderung vorsehen und dem Gericht den Rückgriff aus die Täterstrafe ausnahmsweise ge­ statten?), so wäre nach meiner Meinung der zweiten Variante zu folgen, und zwar deshalb, weil die typischen Fälle der Beihilfe die minder schweren sind. M an soll von der Regel ausgehen. I m praktischen Ergebnis kommen allerdings beide Wege ungefähr auf das gleiche Ergebnis hinaus. M it dem Vorschlag, den ich als § 358 a Abs. 1 gemacht habe (die S traftat begeht, wer sie schuldhast ausführt oder die Ausführung durch einen anderen

bewirkt), würde zunächst der T äter getroffen werden, der eigenhändig den Erfolg herbeiführt, weiter der mittelbare Täter im bisherigen Sinne (ich will aus die um diesen Begriff sich rankenden Streitfragen jetzt nicht eingehen), der Anstifter, endlich auch der Bindingsche „Urheber". Bei dieser Formulierung würden wir die besonderen Tatbestände, die heute noch als intellektuelle Urkundenfälschung in § 271 StG B , oder als Verleitung zum Meineid in § 160 zur D ar­ stellung kommen, nicht mehr benötigen; denn sie sind als echte Urheberschaften zu kennzeichnen. Es heißt dann in Abs. 2 weiter: „Wer die Be­ gehung der S traftat durch den anderen vorsätzlich nur erleichert, wird als Gehilfe milder bestraft" (§ 413). Ich behalte mir vor, die subjektive Theorie für die Gehilfschaft, wenn der Begriff überhaupt angenommen wird, noch schärfer herauszustellen. Ich schlage also vor, den Gehilfen grundsätzlich milder zu bestrafen (§ 413), aber dem Gericht in besonders schweren Fällen die Möglichkeit zu geben, die Milde­ rung zu versagen, also die Täterstrafe zu verhängen. („Doch kann das Gericht in besonders schweren Fällen die Milderung versagen.") Den Abs. 3 meines Entwurfs halte ich für not­ wendig, um die Unabhängigkeit der Strafbarkeit jedes Beteiligten von der des anderen sicherzustellen, also die extreme Akzessorietät im bisherigen Sinne unter allen Umständen auszuschließen. I n Abs. 2 meines § 358 a würde die Gehilfschaft mithin verselbständigt sein. Es sind heute Bestrebungen hervorgetreten, auch die Anstiftung wieder zu verselbständigen. Ich hätte gewiß nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, sehe aber die Notwendigkeit dieser Sonderung der Anstiftung nicht ein; denn man kann die Anstiftung getrost mit der Täterschaft und Urheberschaft zu­ sammen entwickeln, da sie ihrem Wesen nach doch nur eine besondere Form der Verursachung des Erfolges bildet. Ich wende mich dem Versuchsproblem zu. Es setzt die Klarstellung der tatbestandsmäßigen Grundhand­ lung voraus. Nach meinem Dafürhalten fehlte dem § 358 erster Lesung diese Basis völlig; er hing daher in der Luft. Auch bei der Darstellung der Entwick­ lungsformen (Vorbereitung, Beginn, Vollendung) kann sich die Gesetzgebung der Tatbestands-Extensivierung bedienen. S ie ist insoweit völlig frei. Diese Technik ist uns ja längst geläufig. W ir haben ja schon im bisherigen Strafgesetzbuch die sogenannten Bersuchstatbestände als selbständige Tatbestände ge­ kannt. Die Kommission hat auch selbst im Besonderen Teil erster Lesung in ziemlich weitem Umfange materielle Bersuchstatbestände als normale Tatbe­ stände entwickelt. Aber bei allen Extensivierungen der Tatbestände ist zu beachten: die Gesetzgebung ist zwar bei der Gestaltung des Tatbestandes unbeschränkte Herrin der Formulierung, aber es gilt stets der Satz „C aesar non su p ra vires n a tu ra e “ . Die Wirk­ lichkeit des Lebens ändert sich damit nicht; sie hat ihr eigenes Schwergewicht. Die Gegensätzlichkeit der Urheberschaft (Verursachung) auf der einen Seite und der bloßen Beihilfe auf der andern Seite, die sich nicht bloß auf dem Gebiete des Strafrechts, sondern auf allen Gebieten zeigt, entzieht sich selbstverständ­

lich sachlich der Herrschaft der Gesetzgebung. Diese kann sie ignorieren, sie kann die Gleichbehandlung aller Beteiligungsformen anordnen, aber daß die Gehilfschaft sich von der Urheberschaft materiell ab­ hebt, wird ein für allemal eine Wirklichkeit des Lebens bleiben; das ist etwas Natur-Gegebenes. Genau so verhält es sich mit den verschiedenen Stadien der Tatbestandsverwirklichung. D er Gesetz­ geber kann sagen: ich behandle von einer bestimmten Entwicklungsstufe ab das Ganze einheitlich, aber des­ halb wird der Begriff des Versuchs oder des Be­ ginnens, also die Tatsache der bloßen Teilverwirk­ lichung ganz gewiß nicht aus der Welt geschafft. Hier liegen reale Lebenserscheinungen vor, über die kein Gesetz hinwegkommt. Folge: wenn der Versuch gleich der Vollendung behandelt wird, so wird die formelle Vollendung von Gesetzes wegen sehr frühzeitig ein­ setzen, aber die Weiterentwicklung von der formellen zur materiellen Vollendung wird sich immer vollziehen und sachlich anerkannt werden müssen. Denken S ie an den heutigen § 253, die Erpressung. Die E r­ pressung ist vollendet in dem Augenblick, wo das erzwungene Verhalten vorliegt. Die Entwicklung von der abgenötigten Handlung zur Vermögensschädigung und zur Bereicherung vollzieht sich innerhalb der formellen Vollendung; es schreitet die formelle Voll­ endung allmählich zur materiellen fort. Diese Beob­ achtung beruht nicht auf irgendeinem Talmudismus oder sonstiger Spitzfindigkeit, sondern knüpft an Realitäten des Lebens an. Die Unterscheidung von formeller und materieller Vollendung wird z. B. für die Frage der Beihilfe praktisch. S ie ist bis zur materiellen Vollendung möglich. Die Gesetzgebung kann wohl die Gleichbehandlung von Versuch und Vollendung anordnen, sie kann auch hier auf die Vor­ wertung verzichten, sie kann auch hier die Tyvenbildung aufgeben, aber trotzdem bleibt das E nt­ wicklungsstadium bloßen Versuchs materiell bestehen und wird sich an bestimmter Stelle als wirksam erweisen. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, daß wir trotz unseres § 358 Versuchsfälle im Besonderen Teil unseres Entwurfs häufig behandelt haben und daß uns die Terminologie „Versuch" und „Voll­ endung" immer geläufig geblieben ist, daß sie auch selbst in § 358 Abs. 1 wiederkehrt („wer sie schuldhaft vollendet und mit dem Vorsatz, sie zu vollenden, beginnt"). D as sind eben materielle Gegebenheiten, mit denen wir uns einrichten müssen, die w ir nicht hinwegdisputieren können und wollen. Auch hier wiederholt sich: wenn wir die Gleich­ behandlung von Beginn und Vollendung belieben (wie in dieser Richtung die Entscheidung in erster Lesung gefallen ist), so gewinnen wir den großen Vorzug der Vereinfachung. Oder vielleicht geht sie zu weit? Ich gebe zu § 358 Abs. 1 erster Lesung („Eine S tra fta t begeht, wer sie schuldhaft vollendet oder mit dem Vorsatz, sie zu vollenden, beginnt") zu bedenken, ob der a g e n t provocateur, der es nicht zur Voll­ endung kommen lassen will, wirklich straflos sein soll oder nicht. Nach der jetzigen Auffassung wäre er straflos; das wäre ein unglückliches Ergebnis. Nach meiner Meinung sollte man dem a g e n t provocateur

nicht einmal mehr den Rücktritt vom Versuch ge­ statten. E r begeht ja häufig eine ganz grobe Abscheu­ lichkeit. Auf der andern Seite steht wieder die Ge­ rechtigkeitsfrage. Auch hier ist es so, daß der Versuch sehr häufig nicht so schwer auf der Waage der Gerech­ tigkeit wiegt wie die Vollendung. D as ist eine berech­ tigte Volksanschauung, über die wir nicht hinweg­ kommen. Ich habe sehr viel herumgesragt, insbe­ sondere auch in meiner nationalsozialistischen Arbeits­ zelle darüber mit den Herren mich beraten. S ie sagen immer wieder: gut, gleicher Strafrahmen, aber wir werden doch den Versuch in der Regel wesentlich milder bestrafen als dieselbe T at in der Vollendungssorm. Ich darf bei der Gelegenheit noch einschalten: man ist direkt empört über unseren extensiven T äter­ begriff. Einen so scharfen Widerspruch seitens der alten nationalsozialistischen Kämpfer, wie er gegen unseren Täterbegrifs erhoben worden ist, habe ich an keiner Stelle sonst wieder bemerkt. Also die Frage der Gerechtigkeit! Wenn der E nt­ wurf so weit gehen will, die nur versuchte Beihilfe, die doch nach unserer bisherigen Bestimmung als Mitwirksamkeit Täterschaft sein soll, — z. B. der Angeklagte hat Gift zum Mord schicken wollen, es ist aber nicht beim Adressaten angekommen — mit der Vollstrafe des Mordes zu bestrafen, so ist das nach meinem Dafürhalten eigentlich nicht mehr diskutabel. Nach tbie vor bin ich der Meinung, daß in der Regel der Versuch nicht die Schwere der Vollendung in sich trägt, daß es daneben gewiß auch wieder Versuche gibt, welche die Vollendungsstrafe verdienen. Ich gebe auch hier wieder zu, daß § 43 S tG B , extrem gewesen ist, indem er die obligatorische Milderung vorschrieb. I n der Regel wird die Milderung gerecht sein, aber es muß auch der Auslauf nach oben bis zur höchsten Täterschaftsstrafe möglich sein. Ich darf für meine Annahme, daß der Versuch in der Regel milder zu bestrafen ist als die Vollendung, darauf hinweisen, daß wir früher bei Finanzdelikten den Unterschied von Versuch und Vollendung nicht kannten, aber die Reichsabgabenordnung sie einführte. Auch die katho­ lische Moraltheologie behandelt jedenfalls den nicht­ beendeten Versuch nicht gleich der Vollendung. M in­ destens muß man sich fragen, ob man nicht den nicht­ beendeten Versuch von der Gleichbehandlung aus­ nehmen sollte. Die europäische Rechtsentwicklung ist bisher so abgelaufen, daß weitaus überwiegend die obligatorische mildere Behandlung des Versuchs rechtens war. N ur Frankreich und Polen stellen den Versuch der Vollendung gleich. Ich habe früher schon darauf hingewiesen: selbst ein französischer Entwurf von 1893 hat diese Gleichstellung aufgeben wollen. Der jetzt vorliegende, etwas stark unter den Anschau­ ungen der JK B . stehende Entwurf hat allerdings die Gleichbehandlung wieder aufrechterhalten. I n der französischen Literatur ist im wesentlichen Widerspruch gegen die Gleichbehandlung erhoben worden. Der Schweizer Entwurf ist so vorgegangen: bei beendetem Versuch fakultative Milderung, bei unbeendetem Ver­ such obligatorische Milderung. W as ich über den typischen Unrechtsgehalt der Versuchstatbestände aus­ geführt habe, kommt auch hier zum Ausdruck. Ich würde aber weitergehen als der Schweizer Entwurf

und auch bei dem unbeendeten Versuch die Täterschastsstrase als möglich zulassen. Auch bei diesem Problem bieten sich wieder die beiden Lösungsmöglichkeiten, von denen ich vorhin sprach. Ich würde den § 358 so formulieren: „Die S traftat begeht auch, wer sie mit dem Vorsatz, sie voll durchzuführen, beginnt", und zwar deshalb, um den fahrlässigen Versuch auszuschließen. Ich glaube nicht, daß der fahrlässige Versuch strafwürdig ist. W ir werden uns ja, wenn ich das hier einschalten darf, überhaupt einmal klar darüber werden müssen — wir haben bisher ein bißchen zu viel Theorie, insbesondere bei dem extensiven Täterschaftsbegriff, getrieben — , welche Teilnahmeform wir denn eigentlich treffen wollen. Wollen wir die fahrlässige Beihilfe über­ haupt strafen? Ich möchte dies nicht. Deshalb habe ich in § 358 a vorgeschlagen: „Vorsätzlich erleichtert". Die in der Kommission geäußerten Bedenken der Schuld-Vorwegnahme teile ich nicht. Ich glaube übrigens, wir müssen das Willensstrafrecht mit der Schuldlehre beginnen; aber selbst wenn wir sie erst hinterher anschlössen, müßten wir das „vorsätzlich" in § 358 a Hineinsetzen, damit wir nicht die fahr­ lässigen Beihilfetatbestände mit erfassen und wo­ möglich mit der vollen Täterschastsstrafe treffen. Die fahrlässige Beihilfe umfaßt sowohl die fahrlässige Beihilfe zur vorsätzlichen T at wie die fahrlässige Bei­ hilfe zur fahrlässigen Tat. Diese letztere ist nach den Reichsgerichtsentscheidungen schon heute fahrlässige Täterschaft, darum möchte ich die fahrlässige Beihilfe in allen Formen ausschließen. W ir müssen weiter aufspalten: die vorsätzliche Anstiftung zum fahr­ lässigen Verbrechen ist für mich Urheberschaft, ich will sie unter § 358 a Abs. 1 begreifen; fahrlässige An­ stiftung zum vorsätzlichen Verbrechen ist fahrlässige Täterschaft; fahrlässige Anstiftung zum fahrlässigen Verbrechen ist fahrlässige Täterschaft. W ir müssen uns aber darüber einigen, ob wir die Entscheidungen in diesem S inne treffen wollen. Ich glaube, w ir müssen deshalb bei der Einzelberatung in eine starke Detaillierung eintreten. Ich habe in § 358 weiter vorgeschlagen: S ie (die S traftat) wird auch durch Handlungen begonnen, wodurch der Handelnde nach den Umständen, die er sich irrig vorstellt, die S tra f­ tat begehen würde. Ich halte mich dabei an die bisherigen Beschlüsse zugunsten des untauglichen Versuchs. Hat der Handelnde aus grobem Unverstand irrig angenommen, daß er die S traftat vollenden könnte, so kann das Gericht die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen. Damit wird der sogenannte unsinnige Versuch ge­ troffen. Aber ich gebe zu bedenken, daß dieser Abs. 3 jetzt über den absolut untauglichen Versuch hinaus­ reicht, daß er auch Teile des relativ untauglichen Versuchs mit umfaßt und daß das Prinzip etwas erweitert wird, indem auf groben Unverstand und grobe Unwissenheit abgestellt wird. Diese Wendung stammt, glaube ich, aus der polnischen Gesetzgebung.

Vizepräsident Grau: I n der ersten Lesung w ar beschlossen worden, vom engen Täterbegriss des geltenden Rechts hinüberzu­ wechseln zum weiten Täterbegriss. Daß uns die technische Ausgestaltung dieses Beschlusses nicht ge­ lungen ist, steht fest. Dies geht schon aus der Fassung des § 362 hervor, der die beschränkte Akzessorietät beibehält, während der weite Täterbegriff auch sie beseitigen will. Da heißt es: „Wer bei einer Straftat hilft", „wer zu einer S traftat anstiftet". Voraus­ setzung für die strafbare Teilnahme ist also das Vor­ liegen einer objektiv strafbaren Handlung. Aus dieser mißverständlichen und unklaren Fassung der Beschlüsse der ersten Lesung erklären sich offenbar auch die schon erwähnten Angriffe aus den Reihen der N SD A P. Was die Frage betrifft, ob man den weiten oder den engen Täterbegriss anwenden soll, so hat man neuestens in der Literatur bestritten, daß diese Frage überhaupt etwas mit dem Willensstrafrecht zu tun habe. Es ist behauptet worden, hierbei handle es sich um eine rein technische Frage, die man aus Zweckmäßigkeitsgründen so oder so lösen könne. Ich halte das nicht für zutreffend. Gerade der Grundgedanke des Willensstrafrechts erfordert m. E. den Übergang vom engen zum weiten Täterbegriss. D as geltende Recht stellt die Täterschaftsformen als engbegrenzte Typen dar. E s stellt ferner den Grundsatz auf, daß die Teilnahme akzessorisch sei und daß die Beihilfe grundsätzlich milder zu bestrafen sei. Diese Ausgangspunkte des geltenden Rechts sind unrichtig und müssen m. E. verlassen werden. Daß die engbegrenzten Täterschaftsformen des geltenden Rechts nicht ausreichen, wissen wir alle; die Recht­ sprechung hat sie deshalb bereits ausgeweitet durch den Begriff der mittelbaren Täterschaft. Aber auch die mittelbare Täterschaft reicht nicht aus; es bleiben immer noch Fälle übrig, die zwar strafwürdig sind, aber strafrechtlich auch über den Weg der mittel­ baren Täterschaft nicht zu erfassen sind. Ich darf ein Beispiel geben: Aus unlauteren Motiven heraus ver­ anlaßt jemand den geistesgesunden Eigentümer, seine eigene Sache zu zerstören. Solche Fälle können so gelagert sein, daß ein Bedürfnis zu ihrer strafrecht­ lichen Ahndung besteht. Sie sind aber nach geltendem Recht strafrechtlich nicht zu erfassen, weder als An­ stiftung noch als mittelbare Täterschaft. Ferner hat das Reichsgericht den engen Täterbegriss bei der Bei­ hilfe bereits verlassen, indem es in typischen Fällen fahrlässiger Beihilfe einfach fahrlässige Täterschaft annimmt. Nun zur Frage der Akzessorietät. M ir scheint vom Willensstrafrecht aus gesehen der Gedanke un­ möglich zu sein, daß jemand, der seinen verbreche­ rischen Willen klar und eindeutig betätigt hat, nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil in der Person des unmittelbaren Täters ein Hindernis besteht. Warum soll man einen Täter, der einen Geisteskranken, den er als solchen nicht erkennt, zu einer T at anstiftet, nicht bestrafend Die Wissenschaft und die früheren Strasgesetzentwürse haben daher bereits gefordert, von der strengen Akzessorietät zu der beschränkten Akzessorietät überzugehen. Aber auch das führt noch keineswegs immer zu befriedigenden

Ergebnissen. Denn der Eigentümer, der seine eigene Sache zerstört, begeht zweifellos weder objektiv noch subjektiv eine strafbare Handlung. Trotzdem besteht bisweilen ein Bedürfnis, den Anstifter hierzu zu bestrafen. Ich halte es auch nicht für richtig, die Beihilfe prinzipiell milder zu bestrafen. E s gibt Fälle, in denen die Beihilfe besonders übel und besonders strafwürdig ist. D as sind jene Fälle, in denen der Gehilfe der wirkliche geistige Urheber der T at ist, aber trotzdem nicht als M ittäter gefaßt werden kann, weil ihm nicht nachzuweisen ist, daß er den Willen hatte, Täter zu sein, was nach der subjektiven Theorie des Reichsgerichts ja erforderlich ist. S o komme ich zu dem Ergebnis: Der enge Täterbegriff widerspricht in seinem Aufbau dem Willens­ strafrecht; er ist in einem Willensstrafrecht nicht möglich, und man sollte daher von ihm abgehen. D as hätte auch den weiteren Vorteil, daß eine ganze Reihe unerfreulicher Streitfragen dadurch wegfallen würden. Gehen wir vom weiten Täterbegriff aus, so ergibt sich zunächst der Grundsatz: Täter ist jeder, der eine zur Vollendung ober zum Beginn einer S traftat ursächliche Handlung begangen hat. Stellt man für diesen weiten Täterbegriff entsprechende Strafrahm en zur Verfügung, so hat der Richter die erwünschte Möglichkeit, die Gesamtpersönlichkeit des Täters, los­ gelöst von dem äußeren Geschehen und von der äußeren Tätigkeit, zu würdigen. Der Richter kann dann die Gefährlichkeit des verbrecherischen Willens mehr, als es bei den engen Täterschaftsformen möglich ist, in den Mittelpunkt seiner Gegenmaßnahmen stellen. D as Hauptbedenken gegen die Anwendung des weiten Täterbegriffs liegt in der Behandlung der Beihilfe. Wenn man den Beginn der S traftat nicht milder bestrafen und die Beihilfe nicht privilegieren will, so müßte man die versuchte Beihilfe gleich der Vollendung der T at bestrafen. Daß das bedenklich wäre, ist ohne weiteres zuzugeben. Ich habe deshalb keine Bedenken, bezüglich der Bestrafung der Beihilfe eine Kann-Milderung zuzulassen. Grundsatz und Ausgangspunkt muß jedoch die gleiche Bewertung und gleiche Bestrafung der Beihilfe sein. Macht man die Anwendung der Kann-Milderung bei der Beihilfe davon abhängig, daß ein verhältnismäßig geringer verbrecherischer Wille zutage getreten ist, so deckt sich diese Privilegierung der Beihilfe auch durchaus mit den Grundsätzen des Willensstrafrechts. M an könnte also sagen: Der Gehilfe kann milder bestraft werden, wenn sein Handeln nur eine geringe Stärke oder Festigkeit des verbrecherischen Willens erkennen läßt. Der Vorschlag von Herrn Professor Nagler, die Bei­ hilfe in den Regelfällen mit einer Muß-Milderung zu versehen und nur in Ausnahmefällen auf die ordentliche Strafe zurückzugehen, scheint mir vom Standpunkt des weiten Täterbegrifss nicht erwünscht zu sein, wenngleich das Ergebnis praktisch dasselbe ist. Ein weiteres Bedenken gegen den weiten T äter­ begriff ist folgendes: Bei seiner Zugrundelegung seien die erfolglose Anstiftung und die erfolglose Beihilfe — erfolglos deshalb, weil sie nicht einmal zum Ver­ such der Begehung der S traftat geführt haben — ,

ebenfalls strafbar, wahrend sonstige Vorbereitungs­ handlungen straflos seien. Dieser Einwand richtet sich in Wahrheit nicht gegen den weiten Täterbegriff. Geht man davon aus, daß Täterschaft grundsätzlich ein dem Versuch oder der Vollendung einer S traftat kausales Handeln bedeutet, so ergibt sich daraus zwingend, daß, wenn es zu einem Beginn oder zur Vollendung der T at nicht gekommen ist, erfolglose Beihilfe und Anstiftung genau so Vorbereitungs­ handlungen sind, wie es im geltenden Recht der Fall ist. Hier ist allerdings eine gewisse natürliche Akzes­ sorietät vorhanden und kann nicht weggeleugnet werden. Geht man aber von ihr aus, so werden sich diese Fälle genau so einfach lösen wie im geltenden Recht. Ich halte es daher nicht für richtig, die erfolg­ lose Anstiftung aus den für strafbar erklärten Vor­ bereitungshandlungen herauszunehmen, wie es die Sachbearbeiter des R IM . vorgeschlagen haben. Auch im Hinblick auf die einzelnen Tatbestände des Besonderen Teils werden Bedenken gegen den weiten Täterbegrisf geltend gemacht. M an führt eine Reihe von Tatbeständen an, bei denen der einheitliche Täterbegriff wieder gesprengt werden müsse. M an sagt, mittelbare Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe müßten in diesen Fällen ausdrücklich wieder als straf­ los erklärt werden. Die erste Gruppe dieser Delikts­ arten betrifft die sogenannten unselbständigen Vor­ bereitungsdelikte, die also nicht delicta sui generis sind. Die wichtigsten darunter sind die sogenannten Aufforderungsdelikte, in denen also bestraft wird, wer zu einer strafbaren Handlung, die kein Verbrechen ist, auffordert. Hier beruft man sich darauf, eine Anstif­ tung oder Beihilfe zu dieser Aufforderung könne nicht strafbar sein und deshalb könne bei diesen T at­ beständen der weite Täterbegriff keine Anwendung finden. Dies scheint mir allerdings selbstverständlich zu sein. Denn wenn man aus dem Kreis an sich strafloser Vorbereitungshandlungen einen bestimmten Tatbestand herausnimmt und ihn für strafbar erklärt, so ergibt sich ohne weiteres daraus, daß andere Vor­ bereitungshandlungen, so auch die Auflistung und Beihilfe zu dieser für strafbar erklärten VorbereitungsHandlung, nicht strafbar sind. Darüber braucht man also kein Wort zu verlieren, und es handelt sich dabei durchaus nicht um eine Wiederauflösung des weiten Täterbegriffs. Weitere Bedenken macht man geltend bezüglich der sogenannten eigenhändigen Delikte. Auch hier erklärt man, die mittelbare Täterschaft müsse bei diesen Tatbeständen unter Sprengung des weiten Täterbegrisfs ausdrücklich für straflos erklärt werden. Soweit eigenhändige Delikte überhaupt notwendig sind, würde ich keinen Anstoß daran nehmen, im einzelnen Fall eine bestimmte Täterschaftsform für straflos zu erklären. Dies spricht keineswegs gegen die allgemeine Anwendung des weiten Täterbegriffs. Schließlich erhebt man noch folgenden Einwand: I n den Fällen, in denen besonderes Gewicht auf ein subjektives Element des Tatbestandes gelegt werde, also bei „absichtlicher", „böswilliger" T at usw., folge aus dem weiten Täterbegrisf, daß dieses subjektive Erfordernis bei a l l e n Täterschastsformen vorliegen müsse. M it anderen Worten: Auch der Anstifter

müsse z. B. zu einer Absichtshandlung absichtlich an­ stiften. Hier scheint mir ein Trugschluß vorzuliegen: Die Täterschastsformen beziehen sich doch lediglich aus das objektive Geschehen und haben mit der sub­ jektiven Seite gar nichts zu tun. Wenn wir festlegen, daß jeder eine S traftat begeht, der sie vollendet oder zu ihrer Vollendung beiträgt, so ist es klar, daß die besonderen inneren Voraussetzungen eines Tatbe­ standes nur bei dem vorzuliegen brauchen, der die T at selbst vollendet, nicht aber beim Anstifter oder Helfer. M an wird also zu dem Ergebnis kommen, daß wirklich grundsätzliche Bedenken gegen den weiten Täterbegrisf nicht bestehen. Nun erhebt sich die Frage: Wie kombiniert man den weiten Täterbegrisf mit dem Beginn? Der Be­ ginn einer S traftat ist jetzt geregelt in dem § 158 Abs. 1, 2, 3 des Entwurfs erster Lesung. Zunächst sollte man, meine ich, die gesamte Täterschaft zu­ sammenfassend regeln. E s wäre also in einem P a ra ­ graphen der weite Täterbegriff zu normieren und im Abs. 2 derselben Vorschrift die Kann-Milderung der Beihilfe vorzusehen. Dann sollte man eine weitere besondere Vorschrift bringen, die den „Beginn" erschöpfend regelt. Herr Professor Nagler hat für den Beginn eine Kann-Milderung vorgeschlagen. Dies scheint mir mit dem Willensstrafrecht nur schwer vereinbar zu sein. Wenn man ein Strafrecht ausbauen will, das den verbrecherischen Willen als strasbegründendes Element ansieht, so wird man diesem betätigten Willen bereits mit der vollen Schärfe und ohne Rücksicht darauf, welche Folgen diese Betätigung gehabt hat, begegnen müssen; dann kann man im Strafm aß keinen Unter­ schied zwischen Versuch und vollendeter T at machen. W ir wollen ferner bewußt die Verteidigungslinie gegen den verbrecherischen Willen vorverlegen und dadurch, soweit möglich, den Erfolg der Willens­ betätigung verhüten. D as können wir aber nur, wenn w ir alle Verhütungsmittel sofort mit aller Schärfe einsetzen, wenn wir also den Versuch wie die vollendete T at bestrafen. Ich halte es daher für richtig, den Versuch in a l l e n seinen Fällen, also auch den nicht beendeten Versuch, gleich der voll­ endeten T at zu bestrafen. Dabei gebe ich zu, daß im Einzelfall ein Bedürfnis bestehen kann, den Versuch milder zu behandeln als die vollendete Tat. Dies kann aber im Rahmen der Strafzumessung ange­ messen geschehen. Ferner halte ich es für richtig und notwendig, den Begriff des Beginns legaliter zu definieren. Der Entwurf erster Lesung definiert nur die subjektive Seite des Beginns; er sagt: Eine S traftat begeht, wer mit dem Vorsatz, sie zu vollenden, beginnt. Damit ist ein Doppeltes gesagt: N ur der vorsätzliche Beginn soll strafbar sein, und der Beginn soll nur dann straf­ bar sein, wenn der T äter die Vollendung der Tat will. Nach der objektiven Seite hin ist aber garnichts gesagt, obwohl mir ein praktisches Bedürfnis auch dafür zu sprechen scheint. Hierbei werden wir davon auszugehen haben, daß w ir etwa die Rechtsprechung des Reichsgerichts legalisieren, also auch Hand­ lungen, die noch unmittelbar vor der Verwirklichung

eines Tatbestandsmerkmals liegen, erfassen wollen. Um zunächst die Ebene der Strafbarkeit festzustellen, müßte man davon ausgehen, daß eine Handlung nur dann begonnen ist, wenn die Handlungskette des Täters nach dessen P lan in den gesetzlichen Tatbestand münden würde. Auf dieser Ebene der Strafbarkeit wäre ferner der Zeitpunkt festzulegen, in dem die Vorbereitungshandlungen in die Äusführungshandlungen übergehen. D as Reichsgericht stellt es hierbei auf die Gefährdung eines Rechtsguts ab. Diesen Weg können wir nicht mehr einschlagen; denn es ist uns klar, daß es beim einzelnen Tatbestand durchaus zweifelhaft sein kann, welches Rechtsgut durch ihn geschützt werden soll. W ir müssen also anders vor­ gehen. Ich würde sagen: Eine S tra fta t ist begonnen, wenn der Täter die von ihm in Aussicht genommene T at soweit vorgetrieben hat, daß die Gefahr der Vollendung droht. Eine so gehaltene Begriffsbe­ stimmung hat auch den Vorteil, daß sie nicht starr, sondern durchaus beweglich ist. Der Richter ist dabei in der Lage, in jedem einzelnen F all zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles, vor allem auch der Stärke des verbrecherischen Willens des Täters, das Handeln soweit vorgetrieben war, daß die Gefahr der Vollendung bestand. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre also, wenn ich so sagen darf, eine Prognose.) Jaw ohl! Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin der Meinung, die einer der Herren gelegentlich auch schon geäußert hat, daß wir beim § 362 einen Hinweis auf die Schuld und dergleichen nicht brauchen können. § 362 soll ja bloß sagen, wer im Bereich der T at äußerlich in Betracht kommen kann. Ich habe mir vor einiger Zeit die Ausführungen, die hier über den subjektiven und objektiven Tatbe­ stand gemacht wurden, noch einmal durch den Kops gehen lassen und bin der Meinung, man kann bei der Betrachtung einer strafbaren Handlung den subjek­ tiven und objektiven Tatbestand weder durcheinander­ mischen noch ganz identifizieren. D as käme mir gerade so vor, als wenn einer die sichtbare und unsichtbare Welt in eine Einheit fassen und sagen würde: das kann man nicht trennen. Ich würde sagen: § 362 gehört der sichtbaren Welt an; hier brauchen wir von der Schuld nichts zu sagen. Anders liegt es bei § 358. Hier tritt das Problem erst aus. M ir und einem großen Teil meiner M itarbeiter ist eins seit unserer letzten Tagung klar geworden: Die Sache wird mit der Addition des Täterschaftsbegrifss erst problematisch. § 358 und der extensive Täterbegrisf allein stellen das Problem gar nicht dar. Wenn man aber die beiden Dinge addiert, dann entstehen gewisse Schwierigkeiten, die uns allen Bedenken gemacht haben. Beim Versuch ist die Vorfrage die: Wollen wir den Begriff des Beginns gesetzlich umschreiben? D as W ort „Beginn" ist in den Entwurf gekommen als Frucht einer Diskussion, die schließlich in Resignation geendigt hat. M an hatte sich an dem Versuchs­ problem so müde geredet, daß man am Schluß diesen

primitiven Gedanken faßte. Angefangen, mit­ gegangen, mitgehangen. Neuerdings hat man wieder­ holt die Frage an uns gerichtet: W as versteht ihr unter „Beginn"? F ü r uns ergibt sich also die Frage: Sollen wir auf unserer primitiven und resignierten Lösung stehen bleiben? Oder sollen wir dem Richter und Volk sagen, was wir unter „Beginn" verstehen? Wollen wir den Begriff „Beginn" definieren, so sind wir uns in einem Punkt vollkommen einig, daß der Beginn der S traftat, subjektiv gesehen, den Willen enthalten muß, sie zu vollenden. Die objektive Seite des Begriffs „Beginn" hat verschiedene Lösungen gesunden. Ausgangspunkt war der Grundgedanke: Der Beginn einer strafbaren T at muß eine H a n d l u n g sein. Dies ist der Grau'sche Vorschlag. Als Richter prognostiziere ich diese Handlung; ich versuche mir, die Wahrscheinlich­ keit auszumalen, daß die T at folgen wird. Beträgt die Wahrscheinlichkeit mehr als 50 Prozent, dann liegt Gefahrzustand vor. Anders der Vorschlag des Senatspräsidenten Dr. Klee. Auch er knüpft an Handlungen an. Aber hier ist die Handlung subjektiv ausgerichtet; sie soll eine Zielrichtung haben. D as ist also keine Prognose in bezug auf die Gefährlichkeit, sondern eine Aus­ sage in bezug auf den Täterwillen. Der Ausdruck „abzielen" kann sich nur auf den Täter beziehen. Eine Handlung als solche kann nicht zielen; zielen kann nur ein Mensch. (Senatspräsident Dr. Klee: Objektiv ausge­ drückt würde es dasselbe sein wie Gefahr der Vollendung. Der Verlauf der Handlung ist so, daß jeder unbefangene Beurteiler erkennt, wohin sie einmündet.) — D as wäre also auch die Grau'sche Prognose. (Senatspräsident Dr. Klee: Ich selbst habe bei den Beratungen in Oberhof den Ausdruck „Gefahr der Vollendung" vorgeschlagen. D as Wort „Gefahr" schien mir etwas suspekt ge­ worden; daher habe ich es dann anders aus­ gedrückt. Ich wäre bereit, zu dem Begriff „Vollendung der Gefahr" zurückzukehren.) — Ich wiederhole meine Frage: Wollen wir den Begriff „Beginn der S traftat" im Gesetz umschreiben? Wenn ja: Wie? Professor Dr. Kohlrausch: Ich habe mir erlaubt, unter Nr. B 35 einen Vor­ schlag zur Täterschaft zu machen. E r enthält d e n weitesten, den extensivsten T ä t e r b e g r i s s , d e r sich ü b e r h a u p t d e n k e n l ä ß t . Ich war überrascht, heute zu hören, ich sei offenbar zum engen Täterbegrisf zurückgekehrt. Das mag auf den ersten Blick deshalb so aussehen, weil in den §§ 2 und 3 meines Antrags von Anstistlmg und Beihilfe die Rede ist. Aber ich glaubte, in Text und Begründung deutlich genug zum Ausdruck ge­ bracht zu haben, daß Anstiftung und Beihilfe nur für einen kleinen Rest der Fälle in Betracht kommen. F ü r diesen kleinen Rest freilich können wir die beiden Begriffe nicht entbehren, wenn wir nicht zu unbe­ gründeten Straflosigkeiten kommen wollen.

Vorweg möchte ich bemerken, daß mein Vorschlag, wenn er auch seit etwa 10 Jahren meiner Strasrechtsvorlesung zugrunde liegt, nur zum geringsten Teil mein eigenes geistiges Verdienst ist. E r geht zurück auf die tiefgründigen, freilich bei erster Lektüre nicht einfachen Abhandlungen von Binding über den Urheberbegriff und auf die Arbeiten von Eberhard Schmidt über die mittelbare Täterschaft. Neuerdings hat Oetker die Binding'sche Auffassung in der Denk­ schrift des Zentralausschusses der Strafrechtsabteilung der Akademie für deutsches Recht zusammengefaßt in seinem Beitrag „Die Teilnahme am Verbrechen". W as meinen Vorschlag im Einzelnen betrifft, so g e h t e r a u s — und unterscheidet sich dadurch von der Mehrzahl der anderen Vorschläge — von dem Begriff der T ä t e r s ch a f t. Zuerst muß dieser fest­ stehen, bevor man von „mit — wirken" und der­ gleichen sprechen kann. Wenn man dieses Wort „mit­ wirken" zu früh gebraucht, kommt man sofort in Schwierigkeiten. Die Täterschaft ergibt sich aus dem j e w e i l i g e n T a t b e s t a n d . Von ihm ist auszugehen. D as hat namentlich Herr Nagler unwiderleglich ausgeführt. Einen in der Lust hängenden Täterbegriff gibt es nicht. T äter ist, wer den betreffenden Tatbestand verwirklicht. Aber nun eröffnen sich zwei Möglichkeiten der weiteren Betrachtung. Entweder nennt man mit Beling und anderen „Täter" den, der eine o b j e k t i v t y p i s c h e Tatbestandshandlung vornimmt. D as ist nt. E. theoretisch vertretbar, aber kaum praktikabel; jedenfalls zu eng und eben gerade die Konstruktion, die zwangsläufig zu einer weit gespannten akzessori­ schen „Teilnahme" führt. Oder man nennt mit Eberhard Schmidt und anderen „Täter" jeden, der k a u s a l für den tatbestandsmäßigen Erfolg ge­ worden ist. D as ist theoretisch gleichfalls ver­ tretbar und außerdem praktikabel, freilich nur unter einer Voraussetzung: daß man bereits in den Täterbegriff ein s u b j e k t i v e s Element hereinnimmt. Hier ist der Punkt, wo der Wissen­ schaft der letzten Jahrzehnte mit Recht der Vor­ wurf gemacht werden kann, daß sie den objektiven und den subjektiven Tatbestand künstlich auseinander­ gerissen hat. T äter ist nur der, der m i t T ä t e r w i l l e n für den Erfolg kausal wird. D as ist auch die Grundlage der neueren reichsgerichtlichen Recht­ sprechung, die hier durchaus folgerichtig und befrie­ digend ist, und der das neue Gesetz die Möglichkeit geben sollte, den Weg bis zu Ende zu gehen. Gleichgültig muß es in der Regel sein, ob der „Täter" eigenhändig oder durch ein Werkzeug ge­ handelt hat. D as ist unbestritten, wenn er sich einer Pistole oder eines dressierten Hundes oder eines Geisteskranken bedient hat. D ann aber hat es keinen S inn, vor dem geistesgesunden Tatm ittler Halt zu machen, wozu heute — angeblich! — der § 48 nötigen soll. Voraussetzung freilich ist immer, daß der den Anderen Benutzende den Tatwillen hatte; daß er die T at, wie das Reichsgericht heute schon sagt, als die seine wollte; daß er den Anderen „ f ü r si ch" handeln lassen wollte. A u s d i e s e b e i d e n

W o r t e k o mm t es m i r a l s o i n m e i n e m V o r s c h l a g e n t s c h e i d e n d a n . Vielleicht lassen sie sich noch verdeutlichen. Hält man sie weder für akzeptabel noch für verbesserungsfähig, dann weiß ich nicht, wie wir zu einem sogenannten extensiven Täter­ begriff kommen sollen. Hält man sie dagegen für möglich und für genügend deutlich, dann haben wir hier die G r u n d l a g e f ü r e i n w i r k l i c h e s W i l l e n s st r a f r e c h t . Ich glaube, Feststellungs­ schwierigkeiten bestehen hier nicht in höherem Maße als heute bei der Handhabung der §§ 47 und 49. Ganz vermeiden lassen sie sich nun einmal nicht. Gerade in subjektiver Richtung kann das Gesetz nicht mehr tun als Richtlinien geben. D as letzte und feinste ist Sache des Richters. Jedenfalls sehe ich hier keinen Grund, die Entwicklung zum Willens­ strafrecht aufzuhalten. Aus Einzelheiten weiter einzugehen, gibt wohl die Diskussion noch Anlaß. Nur noch ein kurzes Wort über den Fall, der hier immer ein Grenzfall bleibt, auf die A n s t i f t u n g z u m S e l b s t m o r d . W ir sind wohl einig darüber, daß sie nicht schlechthin Mord genannt und als Mord gestraft werden kann. Herr Professor Mezger hat schon einmal hier aus­ geführt, daß sich dies Ergebnis schon aus der Natur des Mordtatbestandes heraus verbiete. Dem trete ich im allgemeinen bei, aber restlos ist die Frage damit nicht gelöst. Es ist wohl unbestreitbar, daß es Mord ist, wenn jemand einen Geisteskranken veranlaßt, sich selbst zu töten. Halt machen können wir aber auch hier nicht bei dem Geisteskranken; hier so wenig wie sonst. Es kommt vielmehr auch hier auf die Frage an: Wollte der die Selbsttötung Veranlassende den sich selbst Tötenden nur als Werkzeug benutzen für einen von ihm und für ihn auszuführenden Mord? Die Antwort ist sicher oft schwer. Aber der Fall der Hilde Hoeseld, der für uns ja so illustrativ ist, wie kaum jemals ein F all es war, zeigt, daß das Leben die Frage stellt, und das Urteil des Frankfurter Gerichts zeigt, daß sie sich beantworten läßt. Der Vater hat hier deshalb Mord oder Mordversuch be­ gangen, weil das Mädchen durch die innere Abhän­ gigkeit, in der es von dem Vater stand, zu dessen Werkzeug geworden war, ob es nun als zurechnungs­ fähig im Sinne des § 51 anzusehen war oder nickt; und weil der Vater durch Ausnutzung dieses Ab­ hängigkeitsverhältnisses das Mädchen töten wollte — dies Verhältnis ersparte es ihm, andere, schwierigere, ausfälligere und ihm vielleicht auch unsympathischere M ittel zu benutzen. Jedenfalls w o l l t e e r das Mädchen aus dem Leben schaffen, ob er es nun ver­ giftete oder erwürgte oder erschoß oder ob er es ver­ anlaßte, ins Wasser zu springen. M it dieser, aber nur mit dieser Begründung ist es ein typischer Mord. Hätte das Mädchen sich gesagt: „ I n diesen traurigen und widerlichen Verhältnissen weiterzuleben lohnt sich nicht", dann hätte der Vater keinen Mord be­ gangen, vielmehr das Sonderdelikt der Verleitung zur Selbsttötung, das w ir schaffen wollen. Ich glaube, psychologisch würde der Unterschied beider Fälle sehr tief liegen. W as uns geneigt macht, ihn zu über­ sehen oder ihn für praktisch nicht feststellbar oder gar für bedeutungslos zu erklären, ist die Gewöhnung daran, aus dem seelenlosen Ursachenbegriff der Be-

dingungstheorie allein schon, ohne Hinzuziehung des Moments des Täterwillens, einen Täterbegrisf ge­ winnen zu wollen. Was ich im Abs. 2 vorschlage, soll ausdrücklich die Auffassung unmöglich machen, als werde ein K a u ­ s a l z u s a m m e n h a n g durch die freie und vor­ sätzliche Erfolgsherbeisührung durch einen anderen unterbrochen. D as war bekanntlich eine Streitfrage von Ansang an, in der der Gegensatz eines weiten und eines engen Täterbegriffs am greif­ barsten sich ausprägte. M an konnte sich so oder so entscheiden — man kann sich aber nur noch für Nicht­ unterbrechung entscheiden, toqnn man einen weiten Täterbegriff und den Grundsatz festlegen will, daß jeder für sein eigenes Tun und Wollen und nur für sein eigenes Tun und Wollen verantwortlich ist. Im übrigen entspricht der Grundsatz der Nichtunter­ brechung jetzt auch der Rechtsprechung des Reichs­ gerichts, nur daß heute die Existenz akzessorischer Teilnahmeformen das Reichsgericht hindert, den Grundsatz folgerichtig durchzuführen. Mein Abs. 2 ist also vielleicht nicht absolut nötig, denn bei richtiger Auffassung folgt er schon aus dem Abs. 1. Aber er ist zweckmäßig, um den Abs. 1 zu verdeutlichen und um Rückfälle zu verhüten. M e i n e § § 2 u n d 3 w o l l e n n u r Lü c k e n a u s f ü l l e n , die freilich bleiben, aber bei jedem Vorschlag bleiben, auch bei dem Vorschlag des Herrn Vizepräsidenten Grau. Hier handelt es sich vor allem um zwei Gruppen von Fällen. Die eine Gruppe umfaßt besondere Gestaltungen des T at­ bestandes. Ich habe vier Untergruppen erwähnt: Absichtsdelikte, Sonderdelikte, reine Tätigkeitsdelikte, eigenhändige Delikte, man kann auch Unterlassungs­ delikte hinzufügen. Diese Deliktsgruppen kann man unter § 1 Abs. 1 nicht unterbringen. Wir müssen dafür sorgen, daß hier der Veranlasser bestraft wird, die Veranlassung einer Notzucht beispielsweise oder eines Beamtendelikts. D as ist kein Rückfall in den restriktiven Täterbegrisf. Sollte sich jemand auf den Standpunkt stellen, daß es eigenhändige Delikte über­ haupt nicht gibt, dann ist § 2 für solche Fälle eben gegenstandslos. Die zweite Gruppe, wo wir die Rechtsformen der Anstiftung und der Beihilfe nicht entbehren können, sind die Fälle des § 1, in denen der Täterwille fehlt, wo also jemand einen anderen nur unterstützen will. Wenn das Reichsgericht diese subjektivistische Grenze zwischen Mittäterschaft und Beihilfe schon heute zieht, dann müssen wir, wenn wir uns nicht in Tatbestands­ scholastik verlieren wollen, auf diesem Wege folgen. Daß diese Unterscheidung in der P rax is gelegentlich schwierig ist, gebe ich zu. Aber die P raxis kommt damit aus und muß damit auskommen, denn einen Ersatz gibt es vom Standpunkt des extensiven Täter­ begriffs aus nicht. E s gibt keine Formulierung, die es dem Gesetzgeber ermöglicht, der Praxis diese Arbeit abzunehmen. M an könnte sich die §§ 2 und 3 geradezu klein­ gedruckt denken; sie dienen lediglich dazu, Lücken auszufüllen. Ih re S u b s i d i a r i t ä t habe ich über­ dies deutlich zum Ausdruck gebracht in den Worten:

„ohne Täter zu sein". Ich glaube also in der Tat, zu dem Erstaunen darüber berechtigt zu sein, daß man meine Vorschläge eine Rückkehr zu dem engen Täterbegriff nannte. Es bleibt die Frage: Wie ist es bei Sonder­ delikten oder bei Delikten, die S t r a f m i n d e rung s - und S t r a f e r h ö h u n g s m o m e n t e tatbeständlich in sich tragen können, wenn mehrere in dieser oder jener Form zusammenwirken? Hier dürfen und müssen wir uns an den heutigen § 50 anschließen und sagen, daß Straferhöhungs- und Strasminderungsgründe nur dem Beteiligten zugute oder zu Lasten geschrieben werden, in dessen Person sie vorliegen. F ü r falsch halte ich es, hier auch Strafausschließungs- und Strafschärfungsgründe zu nennen. D as habe ich literarisch schon früheren E nt­ würfen gegenüber vertreten, freilich ohne Erfolg. S oll man denjenigen als Ehebrecher bestrafen, der einen Ehemann anstiftet, mit einem Mädchen zu verkehren?! E r ist strafbarer Anstifter zum Ehebruch, auch vom extensivsten Täterbegrisf aus. Ih n wegen Ehebruchs oder gar als Ehebrecher strafen zu wollen, ist volksfremde Überspitzung einer Theorie und wird auch vom Gedanken des Willensstrasrechts gar nicht verlangt. Unserem Entwurf erster Lesung stehe ich sonach ablehnend gegenüber. Die Bedenken, die gegen ihn sprechen, sind in der Anmerkung S . 82 des Entwurfs zusammengefaßt. Aus den gleichen Gründen kann ich mich den Vorschlägen der Herren D ürr, Grau, Klee und Thierack nicht anschließen. Der T äter­ begriff, der in diesen Vorschlägen zugrunde gelegt wird, ist gar kein extensiver Täterbegriff. E r lenkt sofort das Augenmerk auf das M it—wirken an einer fremden T at, allein schon durch seine Form u­ lierung. Und die Fälle, die unter meine §§ 2 und 3 fallen, können S ie entweder überhaupt nicht oder nur mit Begründungen strafen, die für meine Auffassung etwas Gezwungenes haben. Dagegen stehe ich den Vorschlägen der Herren Mezger in Antrag 1 und Nagler in Antrag 31 sehr nahe. I h r Täterbegrisf ist wirklich extensiv. Vielleicht könnte man ihre Vorschläge noch etwas bereinigen und verdeutlichen durch Hereinnahme des Täterwillens in den Täterbegriff. Ich halte das für klarer als die Strafmilderung bei fehlendem Täterwillen. Außerdem aber vermisse ich bei beiden Vorschlägen die Regelung der regierenden Falle: Anstiftung und Beihilfe zum Sonderdelikt, zum eigen­ händigen Delikt, zum Absichtsdelikt, zum reinen Tätigkeitsdelikt und auch zur Unterlassung. Bei dieser Lückenausfüllung dürfen wir keine Furcht vor den Worten „Anstiftung" und „Beihilfe" haben: das Leben fordert sie hier ganz einfach. E s fragt sich noch, ob man den A u s d r u c k „ T a t b e s t a n d s v e r w i r k l i c h u n g " vermeiden kann oder nicht. Ich liebe ihn nicht, ja finde ihn häßlich. Aber im Interesse einer sauberen und ver­ nünftigen Auslegung wird man schwer um ihn herumkommen. Bei der Anstiftung zu einem Sonder­ delikt wird man eben kaum anders sagen können als: Anstifter ist der, der einen Beamten veranlaßt, den

Tatbestand eines Beamtendelikts zu verwirklichen. Wie soll man sich anders ausdrücken, wenn etwa der Beamte unvorsätzlich handelt oder geisteskrank ist? M an kann weder sagen, der Anstifter habe zu einer S traftat angestiftet, denn der unvorsätzlich handelnde Beamte begeht keine S traftat; noch ist mittelbare Täterschaft denkbar, denn das Verbot, ein Amtsdelikt zu begehen, richtet sich nicht an den Anstifter, der nicht Beamter ist, sondern nur an den Beamten. Hier kann man eben nur sagen: er hat veranlaßt, bttfc ein Beamter den Tatbestand des strafbaren Sonderdelikts verwirklicht hat. Ähnlich ist es mit der Beihilfe zu solchen Sonderdelikten. F ü r u n u m g ä n g l i c h h a l t e ich e s , d a s Wort „widerr echtl ich" anzuwenden. Hier kommen wir nicht darum herum. Wenn man bloß sagt: „Wer, ohne als T äter zu handeln, veran­ laßt, daß ein anderer einen Straftatbestand verwirk­ licht, oder daß er (sehr schlecht!) objektiv eine S traftat begeht", dann ist der Anstifter zu einer Notwehrhand­ lung und zu vielen anderen Handlungen dieser Art strafbar. E s soll doch nicht strafbar sein, wenn einer zu einem Angegriffenen sagt: „Wehr dich doch!" Und es ist deshalb nicht strafbar, weil er nicht nur zu einer straflosen oder schuldlosen, sondern weil er zu einer nicht rechtswidrigen Handlung auffordert. W ir mögen uns drehen und wenden, wie wir wollen: wir entfremden uns einer Doktrin zuliebe vom Leben, wenn wir hier das Wort „rechtswidrig" umgehen wollen — einer Doktrin zuliebe, deren Richtigkeit ich ebensowenig einzusehen vermag wie ihren Nutzen. Wie steht es nun mit der Behandlung des V e r ­ s u c h s ? Die K o m b i n i e r u n g des extensiven Täterbegriffs mit einer Ausweitung des Versuchs­ und Unternehmensgedankens hat mir immer die größten Skrupel verursacht. Vielleicht kann man trotzdem den Doppelsprung wagen, wenn man den Unternehmensbegrisf vernünftig, also in einer objek­ tivierten Faffung definiert. Ick denke hierbei an die Anregung des Senatspräsidenten D r. Klee, der geradezu einen objektiven Gefahrenbegriff aufstellte. Jedenfalls würde sich § 1 meines Vorschlags leicht nach dieser Richtung umbilden lasten. Allerdings entsteht dabei die Gefahr, daß der Versuch des Ver­ suchs bestraft wird. Aber viele Fälle sind hier in der T at wohl strafwürdig. Wer durch das Handeln eines anderen einen Menschen umbringt oder umbringen will — wohl gemerkt: mit Täterwillen! — , betätigt schon im Anfang seiner Einwirkung auf den Täter eine verbrecherische Gesinnung, die strafwürdig ist. Wenn jemand einen Brief schreibt, in dem er einen anderen mit Täterwillen auffordert, eine S tra fta t für ihn auszuführen, so würde ich, solange der Brief auf dem Schreibtisch liegt, eine Strafbarkeit nicht annehmen. Wenn er aber den Brief in den Brief­ kasten geworfen hat, würde ich den § 1 meines Vor­ schlags abs gegeben erachten. Ich würde auch den Öater der Hilde Hoefeld schon dann wegen M ord­ versuchs gestraft haben, wenn er seine Quälereien in nachweisbarer und objektiv nicht aussichtsloser Töttmgsäbficht vorgenommen hätte, ohne daß es zu dem Sprung ins Wässer gekommen wäre. Der Nach­ weis wird nicht leicht sein, undenkbar ist er nicht.

M an könnte das leicht dadurch ausdrücken, daß man hinzufügt: „oder beginnt", und das Beginnen dann vernünftig definiert. Ob man ebenso weit in den Fällen gehen will, in denen der Täterwille fehlt, also bei meinen §§ 2 und 3, wäre gesondert zu über­ legen. Man kann es, je nachdem man die Frage bejahen oder verneinen will, auch hier hinzusetzen oder es hier fortlassen. Aber ich nehme an, daß vorläufig nur über den Täterbegrisf in seiner Abgrenzung von bloßen M it­ wirkungen gesprochen werden soll, nicht auch schon von dem Verhältnis von Versuch und Vollendung. I n dieser zweiten Richtung darf ich mir Weiteres wohl vorbehalten. Senatspräsident Dr. Klee: Ich darf meinen Ausführungen die Vorschläge zugrunde legen, die ich in dem Antrag B 16 vorgelegt habe. I n der Hauptsache stimme ich mit der Auffassung des Herrn Ministers Dr. Thierack überein. Ich halte es für möglich, die Ausweitung des Täterbegriffs mit der Art und Weise der Bestrafung des Versuchs so zu kombinieren, daß praktische Bedenken kaum noch bestehen. Gerade vom Standpunkt des Willensstraf­ rechts aus werden wir den starren Grundsah, daß der Versuch stets ebenso zu bestrafen sei tote die Vollendung der Tat, nicht aufrecht erhalten können. Andererseits sollten wir bei aller Erweiterung des Täterschaftsbegrifss nicht alle Tatbeteiligten obliga­ torisch unter denselben Strafrahm en bringen. Die Lösung dürste eine Kann-Milderung für den Versuch und gleichfalls bei verhältnismäßig geringem Schuld­ anteil eines an der T at Beteiligten nach § 413 bringen. Nun zu den Einzelheiten. § 358 wird mit § 362 Abs. 1 zu verschmelzen sein. Dies legt der erweiterte Täterbegrisf nahe. An dem erweiterten Täterbegriff möchte ich grundsätzlich festhalten. I m Vergleich dazu scheinen mir die Vorschläge Dr. Kohlrauschs eine unnötige Komplizierung darzustellen. Neu gegenüber dem Entwurf ist, daß in seinem Täterbegrisf, § 1 Abs. 1, die mittelbare Täterschaft mitenthalten ist. Der Entwurf dagegen sieht in der mittelbaren Täter­ schaft einen Fall der bloßen Mitwirkung. Ich glaube im übrigen, das ist wenigstens mein erster Eindruck, daß alle Zweifelsfragen, die hier auftauchen und die Herr Professor Kohlrausch durch die §§ 2 und 3 treffen und lösen möchte, auch ohne die Rückkehr zu den alten Typen der Beihilfe und Anstiftung durch den Mitwirkungsbegriss gelöst werden können. Ich bin übrigens mehr für den Ausdruck „Beitrag"; „Mitwirkung" enthält ein akzessorisches Element. Die rein sachliche Beziehung zum Erfolg wird besser durch das W ort „Beitrag" ausgedrückt. Ich würde demnach sagen: Eine S traftat begeht, wer sie selbst vollendet oder zu ihrer Vollendung beittägt. I n Klammern könnte man vielleicht sagen: insbesondere durch Beihilfe oder Anstiftung. D as wäre eine Konzession an die populären Tattypen. Nötig ist daS aber nicht; es könnte vielleicht sogar vom Standpunkt des extensiven Täterbegriffs aus Verwirrung an­ richten.

Nach meinem gedruckten Vorschlag steht der Begehung das Unternehmen gleich. Nun hat Herr Minister Dr. Thierack mich davon überzeugt, daß es besser ist, statt von „Unternehmen" von „Beginn" zu sprechen. Der Ausdruck „Unternehmen" ist in der T at nicht sehr volkstümlich. Der „Beginn" der Tat ohne jede Erläuterung des Begriffes ist ja ein Ergebnis der Resignation; in Oberhof haben wir schließlich auf jede nähere Definition verzichtet. Ich teile die Befürchtung des Herrn Ministers Dr. Thierack, daß der Richter, wenn wir gar nichts weiter sagen, unter „Beginn der T at" nichts anderes als den alten „Anfang der Ausführung" verstehen wird. S o besteht die Gefahr, daß viele Fälle, die das Reichsgericht gewissermaßen künstlich, aber doch in Befriedigung eines praktischen Bedürfnisses unter den Begriff „Anfang der Ausführung" gebracht hat, nicht erfaßt werden. Denn es ist, zumal wenn der Versuch grundsätzlich gleich der Vollendung bestraft wird, nicht anzunehmen, daß die Instanzgerichte der Aus­ weitung des Versuchsbegriffs durch das RG. sich künftig sehr geneigt zeigen werden. M an wird also gut tun, dem Richter zu sagen, wann der Täter beginnt, eine strafbare Handlung zu begehen. Eine Erläuterung in den Motiven allein dürste hierzu nicht genügen, denn bestenfalls lesen nur die M it­ glieder der höchsten Gerichte die Motive. Zudem sind wir neuerdings immer mehr davon abgekommen, die M aterialien und Beratungsprotokolle als maßgebend für die Auslegung eines Gesetzes zu bezeichnen. Seit Köhler sprechen w ir mehr vom Willen des G e s e tz e s und weniger vom Willen des zeitgebundenen Gesetz­ gebers. W ir werden also nicht daran vorbeikommen, im Gesetz selbst zu sagen, wann der Täter eine strafbare Handlung beginnt. Ich würde in Anlehnung an den Vorschlag des Herrn Ministers Dr. Thierack sagen: Eine S traftat beginnt, wer mit dem Willen, sie zu vollenden, Handlungen vornimmt, die unmittel­ bar auf die Vollendung abzielen. Diese Fassung vereinigt Subjektives und Objektives; sie trifft alle Handlungen, die wirklich strafwürdig sind. D as subjektive Moment ist der Vollendungs­ wille; das objektive Moment die Verkörperung dieses Willens in Handlungen, die für den unbefangenen Beschauer deutlich aus den Erfolg hintendieren. Man könnte auch auf die unmittelbare „Gefahr der Vollendung" abstellen, was ich schon in Oberhos, damals ohne Erfolg, vorgeschlagen hatte. M an hat sich offenbar dem damals deshalb nicht angeschloffen, weil wir an Hand eines Landesverratsparagraphen an der ursprünglich ins Auge gefaßten unmittelbaren Gefährdung des Rechtsguts als Maßstab für den Versuchscharakter der Handlung irre geworden waren. Aber ich weiß nicht recht, ob es richtig ist, daß dieses Abrücken von der Gefährdung des Rechts­ gutes auch nun gleich zur Verwerfung des Maßstabes der Gefahr der Vollendung führen muß. M an wird vielmehr ruhig sagen können: „mit dem Willen, die T at zu vollenden, Handlungen vornimmt, die die unmittelbare Gefahr der Vollendung begründen". Es empfiehlt sich m. E., im Anschluß hieran auszu­ sprechen, daß vorbereitende Handlungen nur in den

besonders vom Gesetz vorgesehenen Fällen strafbar sind; namentlich dann empfiehlt sich dieser Hinweis, wenn w ir das Wörtchen „unmittelbare" herauslassen. Der Richter soll nicht auf den Gedanken kommen, schon in bloß vorbereitenden Handlungen den „Beginn" zu sehen. Herrn Minister Thierack möchte ich weiter darin beitreten, daß der Satz stehen bleiben soll: „Die Strafbarkeit jedes an der T at Beteiligten ist unab­ hängig von der S traftat der anderen Beteiligten". Vom Standpunkt des erweiterten Täterbegrisfs ver­ steht sich das allerdings von selbst; aber der Satz ist doch ein plastischer Hinweis für den Richter, daß von Akzefforietät keine Rede mehr ist. Der Satz wird aber aus § 362 Abs. 3 herauszunehmen und in § 358 an den Schluß zu stellen sein. Ich wende mich nunmehr zur Frage der Versuchsbestrasung, die im Hinblick aus den erweiterten Täterschaftsbegriff besondere Bedeutung erhält. Ich glaube, es liegt gerade im Sinne des Willensstrasrechts — insofern weiche ich von Herrn Vizepräsi­ denten G rau ab — , eine mildere Bestrafung dessen, dessen Handlung über das Versuchsstadium nicht hinausgediehen ist, zuzulassen. Zur Voraussetzung dieser Kann-Milderung wäre allerdings vom Standpunkt des Willensstrafrechts aus zu machen, daß das Ausbleiben des Erfolges auf eine geringere Willens­ stärke des Täters zurückzuführen ist. D as gilt mindestens vom unbeendeten Versuch, der oft daran scheitert, daß der Wille nicht so stark ist, um die Handlung bis zur Vollendung vorzutragen. Es gibt auch beim beendeten Versuch Fälle, in denen den T äter im letzten Augenblick die Kraft verläßt und in denen deshalb der Erfolg ausbleibt. Jedoch ist beim beendeten Versuch das Ausbleiben des Erfolges in der Regel auf Zufall, auf vom Willen des T äters ganz unabhängige Umstände zurück­ zuführen. Deshalb möchte ich die Kann-Milderung der Bersuchsstrafe auf den unbeendeten Versuch be­ schränken. I n der Zulassung der Strafmilderung beim Versuch wegen gerinaerer verbrecherischer Energie liegt keine Durchbrechung des Prinzivs des Willensstrafrechts, im Gegenteil nur eine Vertiefung. W as weiter das Strafm aß im Falle der Beteili­ gung mehrerer an der Herbeiführung des ver­ letzenden Erfolges betrifft, so schlägt der Entwurf vor — und Herr Minister Thierack hat sich dem ja auch in seinem § 364 angeschlossen, ebenso Herr Professor Nagler — , die Beihilfe als solche heraus­ zuheben und sie fakultativ milder zu bestrafen. Ich halte das nicht für richtig. Allerdings ist ja im Entwurf die Beihilfe dahin umschrieben, daß nur der Wille der Unterstützung und daß auch objektiv nur eine Hilfeleistung gegeben sein muß, so daß hier eine Strafmilderung an sich sicher in Frage kommen kann. Aber diese Art Beihilfe ist doch ein recht seltener Typ. Die Beihilfe svielt sich doch meistens so ab, daß der äußerlich als Gehilfe Auftretende seine eigenen In te r­ essen verfolgt. Es kann aber auf sich beruhen, ob es trotzdem gerechtfertigt ist, bei Beihilfe in der Gestalt des Entwurfs eine Strafmilderung zuzulassen. Jedenfalls erscheint es nicht gerechtfertigt, die KannMilderung auf die Beihilfe zu beschränken. E s muß vielmehr dem Richter die Möglichkeit gegeben werden,

sämtliche Beteiligungsformen im Verhältnis zu ein­ ander im Einzelsalle im Strafm aß verschieden zu bewerten. Der Standpunkt ist nicht richtig, den unser heutiges Gesetz einnimmt, daß der Anstifter immer so hoch wie der Täter bestraft werden muß. E s k a n n so sein, daß der Anstifter das geistige Übergewicht in einem Maße hat, daß der T äter sozuagen zum Werkzeug herabsinkt. Dann ist er sogar trafwürdiger als der Täter. Aber es kann auch so ein, daß er sich aus Mangel an Willensstärke im Hintergründe halten will und der Angestiftete die aktive N atur ist, schon geneigt, sich verbrecherisch zu betätigen, ohne daß er gerade ein sogenannter alias oder omnino fa c tu ru s zu sein braucht. Die Schuld des Anstifters erscheint dann geringer. Der extensive Täterschaftsbegriff soll ja gerade aus dem Gesichtspunkt heraus geschaffen werden, daß der Richter nicht an die äußeren Formen der Beteiligung und Betätigung für die Strafbemessung gebunden sein soll, sondern frei sein soll, jeden einzelnen der Tatbeteiligten seinem Schuldmaß entsprechend indivi­ dualisierend zu behandeln. Das, was Herr Professor Nagler als Manko angeführt hat, daß bei dem Ver­ zicht aus die alten Typen alles auf das Ermessen des Gerichts abgestellt werde, möchte ich gerade als ein P lu s buchen; eine „gerechte" Bestrafung scheint mir gerade hierdurch mehr verbürgt zu sein als bisher. Demnach würde ich dem Abs. 1 des § 363 des Entwurfs, der von der Strafzumessung bei besonderen Verhältnissen der Tatbeteiligten (Beamter und Nicht­ beamter) handelt, den Zusatz beifügen: dasselbe (nämlich Kann-Milderung) gilt, soweit der Schuld­ anteil eines Tatbeteiligten (das kann nach dem Gesagten auch der unmittelbare Täter sein) verhält­ nismäßig gering ist. D ann wollte ich noch hinzu­ fügen: „Geringfügige fahrlässige Beteiligung bleibt straflos". Wenn das Gesetz die Möglichkeit gibt, einzelne Beteiligte milder zu behandeln, und ferner eine Kann-Milderung für den Versuch vorsieht, dann glaube ich, daß die praktischen Bedenken schwinden würden, die mehrfach im Schrifttum, namentlich in dem sehr lesenswerten Aufsatz von Ellger in der „Deutschen Justiz", gegen den extensiven Täterschafts­ begriff erhoben worden sind. Es sei mir gestattet, diese Bedenken an der Hand einiger Fälle zu erörtern. D as Beispiel des Herrn Ministers Thierack bereitet, wenn die M ordtat ausgeführt wird, seine Schwierigkeiten. Die F rau, der Liebhaber und der Freund, der den Revolver besorgt hat, sie sind alle des Mordes schuldig im S inne der außerordentlich treffenden Formel, die Herr Minister Thierack in einem solchen Falle dem Volk in den Mund legt: „Wer hat mitgemacht?". D araus folgt noch nicht, daß alle drei mit derselben Strafe belegt werden müßten. Schwierig ist der Fall auch dann nicht, wenn der Liebhaber, der den Mord unmittelbar aus­ führen sollte, den Ehemann zwar angeschossen hat, das Opfer aber am Leben geblieben ist. D ann sind alle, und zwar, da es sich hier um einen beendeten Versuch handelt, an sich mit der S trafe des vollendeten Mordes zu belegen, vorbehaltlich jedoch auch hier der Abstufung der Strafe nach der ver­ schiedenen Stärke des Schuldanteils. Die Schwierig­

keiten erheben sich erst, wenn der Freund den Revolver besorgt, die F rau aus den Liebhaber ein­ geredet hat, er solle ihren M ann töten, der Liebhaber aber nicht dazu kommt, die Handlung auszuführen, ja nicht einmal zu beginnen. W as zunächst den Freund betrifft, so würde sich die Besorgung der Mordwaffe durch ihn nach dem erweiterten Täter­ schaftsbegriffe als versuchter (begonnener) Mord dar­ stellen, der grundsätzlich der Vollendung gleich gestraft werden soll. Dieses Ergebnis erscheint unmöglich. Denn der Liebhaber, der sich den Revolver von dem Freund hat geben lassen, bleibt straflos, weil er selbst noch nicht damit begonnen hat zu töten. Die Frage, ob es nicht erforderlich sein wird, im künftigen S traf­ gesetzbuch die vorbereitenden Handlungen zu schweren Verbrechen, insbesondere zu Mord, schlechthin mit Strafe zu bedrohen, will ich an dieser Stelle nicht erörtern; das ist eine Frage für sich. Jedenfalls geht es nicht an, den, der die T at als unmittelbarer Täter ausüben will, straflos zu lassen, wenn er sich einen Revolver beschafft hat; dagegen den, der ihm die Waffe besorgt hat, zu strafen. Ich glaube, daß die Gerichte zur Straflosigkeit des Freundes in unserem Falle schon durch ein arg u m en tu m a m ajori ad m inus von selbst gelangen würden. Glaubt man das nicht, so müßte man das gewünschte Ergebnis durch eine Bestimmung etwa des In h a lts sicherstellen, daß Handlungen anderer Mitwirkender straflos bleiben, wenn sie in der Person des eigenhändigen Täters, von ihm begangen, nicht strafbar sein würden. Letzten Endes würde eine Bestrafung des Freundes, vorausgesetzt, daß auch der Liebhaber, und zwar wegen des dehctum sui generis der Vor­ bereitung zum Morde, strafbar wäre, mit dem Rechtsgesühl durchaus in Einklang stehen. Die KannMilderung der Versuchsstrase und die Kann-Milde­ rung der Strafe der Mitwirkenden, die meine Vor­ schläge in Aussicht nehmen, würden eine angemessene Bestrafung bedingen. Nun die versuchte Anstiftung seitens der Ehefrau. S ie unterliegt der Spezialbestimmung des § 364, die als solche übrigens die Strafbarkeit der versuchten Anstiftung zu geringeren strafbaren Handlungen auch unter dem Gesichtspunkt des Versuchs der Tat selbst ausschließen würde. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Darf ich noch einmal zusammenfassen, Herr Senatspräsident. S ie würden also sich den Versuch ziemlich ähnlich vorstellen wie Herr Vizepräsident G rau: „mit dem Willen, die T at zu vollenden". (Senatspräsident Professor D r. Klee: Den Beginn!) Den Beginn. — Und jetzt wollen beide Herren diese Handlungen mit einem Attributsatz versehen: „Hand­ lungen, die die Gefahr der Vollendung in sich tragen", oder „die daraus abzielen". (Senatspräsident Professor D r. Klee: „Be­ gründen"!) Die Handlung soll irgendwie qualifiziert werden, und zwar mit dem Hinblick auf das letzte Ende. (Senatspräsident Professor D r. Klee: J a ! )

D as heißt: es ist eine Prognose. Ich glaube, über die Dinge, die in der sichtbaren Welt vorgegangen find, die keinen Erfolg gehabt haben, spreche ich ein Urteil nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung und nach allgemeiner Erfahrung wird das so ausgehen. D as wäre also der eine Punkt. Die beiden Herren wollen aber an dem Wort „Beginnen" festhalten, und sie meinen, der Gesetzgeber solle sagen, was das heißt. Das ist der einzige Punkt, der jetzt diskutiert wird; denn den anderen Punkt: „Wille, zu vollenden" kann man m. E. gar nicht diskutieren. Bei den Täterschaftsformen gehen die Konstruk­ tionsmeinungen sehr auseinander. Ich möchte darauf zunächst nicht eingehen, sondern auf das zurück­ kommen, was alle Herren ausführlich diskutiert haben: Braucht man eine Kann-Milderung beim Versuch, braucht man eine Kann-Milderung bei der Beihilfe? D a muß ich sagen: D as ist überhaupt gar keine Frage, die man für sich allein aufstellen kann. Wenn wir, wie jetzt, gezwungen sind, bei den aller­ meisten Verbrechen eine Gesängnisuntergrenze zu setzen, so brauchen w ir das gar nicht, dann wird es schon gehen. E s ist jedoch mein alter Kummer, daß wir (wenn wir es dann so machen) im Besonderen Teil solche Strafrahm en bekommen, daß der Mein­ eid bis auf sechs Monate Gefängnis heruntergeht. W ir müssen uns darüber klar sein; wenn wir vorn eine Kann-Milderung überhaupt nicht aufnehmen, weder bei der Beihilfe noch bei dem Versuch, und den ausgedehnten Täterbegriff dazu haben, dann brauchen w ir im Besonderen Teil Strafrahmen, die nach unten heruntergezogen sind. D as ist ein mechanischer Satz, kein Weltanschauungssatz. Frage — das wäre einmal ein Punkt, bei dem die Herren Praktiker sich äußern sollten — : Is t es erwünscht, die Strafrahm en zu weit nach unten zu ziehen? Nach meinen praktischen Erfahrungen ist das nicht erwünscht, weil ein S traf­ rahmen, der sehr tief nach unten geht, die Durch­ schnittsstrafe heruntersetzt. D as ist eine uralte praktische Erfahrung, und ich würde mich wundern, wenn einer der Herren dem widersprechen würde. Wollen wir aber eindrucksvolle Strafdrohungen haben, dann tritt ernstlich die Frage an uns heran: Wollen wir denn, daß Versuchshandlungen ent­ sprechend dem ausgedehnten Täterbegriff nicht im Allgemeinen Teil eine allgemeine Kann-Milderung erhalten? Die Frage, daß die Versuchsstrafe nach oben irgendwie verändert werden soll gegenüber der T at, bitte ich gar nicht zu diskutieren. Ich habe gemeint, über diesen Berg wären wir hinweg. Die Frage, ob wir die untere Grenze, und zwar auch wieder im Hinblick auf den Besonderen Teil, im Allgemeinen oder im Besonderen Teil so ziehen müssen, daß auch die entfernteste Versuchshandlung darunter fällt, ist nach meiner Meinung ein rein technisches Problem. Nun kommt das andere: der Versuch kann milder bestraft werden als die Vollendung. D as kann man natürlich, und diese Forderung kann man orientieren aus dem objektiven Strafrecht, wenn man will, indem man sagt: der nicht eingetretene Erfolg ist eben weniger als der eingetretene. Aber es gehört keine

sehr große Kunst dazu, um wenigstens in vielen Fällen den Versuch auch aus der Willensintensität her zu orientieren, also, sagen wir einmal, bei der Anwendung von Arsenik, das ja auf dem Lande ein übliches Gift ist. Ich selbst kenne Fälle, in denen der absolute Wille zur Tötung plötzlich aufgegeben worden ist, weil wegen der zu geringen Dofierung der Betreffende, der umgebracht werden soll — es ist ja meistens ein Maskulinum — , Schrecken und Furcht um sich verbreitet und Mitleid erregt. Eine andere F rau hätte einen intensiveren Willen gehabt und hätte sich durch das Bauchweh und durch den Brech­ durchfall nicht abhalten lassen. D as kann man natürlich auch. Schwer geht es natürlich dann, wenn der vollendete Versuch vorliegt und gar nichts mehr von der Willensseite des Täters her geschehen kann. Hier den Versuch geringer zu achten als die Vollen­ dung, halte ich mit dem Willensstrasrecht tatsächlich nicht für vereinbar. Aber ich möchte meinen, wir sollten uns auf diese Diskussion nicht allzu sehr versteifen, weil wir diese Differenzierung gar nicht brauchen. D as andere ist eine Entscheidungsfrage. Es wäre mir erwünscht, darüber Ih re Meinung zu hören. D as sind die zwei Fragen, die bei dem Beginn der strafbaren Handlung entschieden werden müssen und zur Debatte stehen. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich möchte nur zu dem Problem des Versuchs und auch hier nur ganz kurz sprechen, zumal ich meine Auffassung ja in der ersten Lesung schon ausführlich dargelegt habe. Aus dem Grundsatz des Willensstraf­ rechts ergibt sich dreierlei: erstens, daß jeder Versuch strafbar sein soll, zweitens, daß grundsätzlich der Ver­ such nicht anders zu bestrafen ist als das vollendete Verbrechen — also keine Herabsetzung des Strassatzes — , endlich drittens, daß das Gebiet des Ver­ suchs weiter ausgedehnt sein soll als nach der objek­ tiven Methode unseres geltenden Rechts, wenn auch der m. E. unbestreitbar objektiv gerichtete W ortlaut des Gesetzes vom Reichsgericht dankenswerterweise in subjektiver Auffassung ausgelegt und angewendet wird. Nun stehen im Vordergründe hier zwei Vor­ schläge, zunächst der Vorschlag: „eine Handlung, die unmittelbar auf die Vollendung abzielt". Diese Fassung ist m. E. enger als das geltende Recht. Ich würde darin einen Ausdruck gerade des gegenteiligen Willens erblicken müssen, nämlich des Willens, das Gebiet der Strafbarkeit einzuengen. Daß der Täter die Vollendung will, steht überhaupt schon fest. E s soll jetzt versucht werden, das, was in der äußeren Welt geschehen sein muß, irgendwie zu kennzeichnen, damit es dem Versuchsbegrisf genügt. D as soll nun eine T at sein, die unmittelbar auf die Vollendung abzielt. M. E. kann ich nicht einmal von jeder Hand­ lung, die schon tatbestandsmäßig ist, sagen, daß ste unmittelbar auf die Vollendung abzielt. Ich glaube also, damit wäre durchaus nicht das zu erreichen, was w ir anstreben. Wenn aber von einer Handlung gesprochen wird, die die Gefahr der Vollendung ent­ hält, so kommt damit m. E. ein Gestchtspunkt hinein, der mit unserer Frage gar nichts zu tun hat; denn ob die Gefahr der Vollendung besteht oder nicht,

lr hängt von einer Fülle von äußeren Umständen ab, davon, ob die Polizei davon weiß, ob sie geschickt ist; es kann auch von atmosphärischen Einflüssen und einer Fülle von Umständen abhängen, die mit dem Schuldstrafrecht gar nichts zu tun haben. Ich würde also weder den einen noch den anderen Vorschlag annehmen können. M. E. gibt es eigentlich nur zwei Wege. E nt­ weder sagt man sich: „D as Reichsgericht hat in einer unseren jetzigen Standpunkt befriedigenden Weise das Gesetz bisher ausgelegt; also bleibe ich dabei und lege das in der Begründung dar", oder aber ich muß mich restlos auf den subjektiven Standpunkt stellen und sagen: „Grundsätzlich wird bestraft, wer einen ver­ brecherischen Willen betätigt", und wenn ich jetzt eine Grenze ziehen will, um die sogenannten Vor­ bereitungshandlungen auszuscheiden, dann kommt es m. E. eben nur darauf an, daß das, was in der Außenwelt geschehen ist, eine deutlich erkennbare Verkörperung des verbrecherischen Willens ist. Professor Dr. Mezger: Es handelt sich um die Definition des Begriffes „Beginnen". Dazu dient die Wendung: „Hand­ lungen, welche . . . .". Die Frage ist nun die, welchen In h a lt der Relativsatz erhalten soll. Auch Herr Senatspräsident Klee will ein objektives Moment einfügen. Dem trete ich bei. Ich gebe dabei gerne zu, daß eine restlose Subjektivierung vielleicht das Konsequentere wäre. W ir waren uns aber schon in der ersten Lesung darüber einig, daß dies nicht angeht und daß die gesuchte Definition nicht wieder die Intensität des Willens allein entscheiden lassen kann. D as erforderliche objektive Moment ist in der Wendung gegeben: „ein Rechtsgut ge­ fährdet wird". Die Fassung: „welche hinzielen" im Relativsatz ist unmöglich, weil dies schon im „Vor­ satz" liegt. Diese rein subjektivistische Abgrenzung gegenüber den Vorbereitungshandlungen ist schon in der ersten Lesung ausdrücklich und mit Recht abge­ lehnt worden. Herr Minister Thierack, dessen Fassung ich für die beste halte, ist von Anfang an davon aus­ gegangen, daß schon aus praktischen Erwägungen heraus eine objektive Kennzeichnung der T at ein­ treten muß. Der untaugliche Versuch ist eine Sache für sich. Ein solches Verfahren ist natürlich von einem bis ins äußerste getriebenen Willensstrafrecht aus eine gewisse Inkonsequenz; aber darüber bestand bisher Einigkeit, daß auch das Willensstrafreckt ge­ wisse objektive Kautelen nicht entbehren kann. Sonst gelangt man ins Uferlose, zumal wenn man extensiven Täterbegriff. Willensstrasrecht und Analogie kombi­ niert. Deshalb darf in dem gesuchten Relativsatz nicht wieder nur von „hinzielt" die Rede sein, sondern es muß in ihm irgendein objektives Moment aufgenommen werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich meine, Herr Professor Mezger, daß das schon deswegen nicht geht, weil, wie Herr Graf Gleispach mit Recht hervorhebt, von vornherein feststeht, daß der Wille des Täters die Vollendung anstrebt, so daß also eigentlich jede Handlung, die er tut, unter dem Dach dieses Willens irgendwie auf den Erfolg hin­ zielen muß. Sonst wäre sie sinnlos oder hier gar nicht relevant.

Dann kommt aber eine zweite Frage: Kann man überhaupt eine Handlung mit einem Satz verbinden, der subjektiv ist? (Senatspräsident Professor Dr. Klee: J a !) Ich habe die Ausführungen der Herren schon dahin richtig verstanden. Herr Senatsprästdent Klee will das ja auch nicht subjektiveren. Ich stelle mir die Sache so vor: Die Handlung soll prognostiziert werden, genau wie hier; hier unter der Skala der Gefahr oder der Wahrscheinlichkeitsrechnung — Ge­ fahr ist in diesem S inne Wahrscheinlichkeitsrechnung — ; und hier soll gewissermaßen mit einem Winkel­ messer oder einem Kompaß die Richtung, in der die Handlung sich nun weiter abrollen wird, festgestellt werden: sie geht nach der und der Richtung, an deren Ende der Erfolg steht. Es steht also — von allen diesen schwierigen Einzelfragen wollen wir gar nicht reden — folgende Frage zur Diskussion. D er Beginn der strafbaren Handlung soll im Gesetz mit dem gleichen Ausdruck erhalten werden. Frage: kann man das, ohne etwas dazu zu sagen, oder muß diese Handlung oder der Beginn noch irgendwie beschrieben werden? Hier haben wir bis jetzt die Vorschläge: 1. „Der Beginn muß in einer Handlung liegen" — das wird ja wohl von niemand bestritten werden können — , 2. die Handlung wird nun mit einem Attribut versehen, mit dem Attribut: „sie enthält die Gefahr der Vollendung in sich", „sie ist gerichtet auf den Erfolg", „nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung würde der Erfolg eintreten". Nun sagt aber Herr Graf Gleispach meiner Meinung nach nicht ganz mit Unrecht: Diese Beschreibung der Handlung, daß sie eine Gefahr für die Herbeiführung des Erfolges ent­ hält, ist insofern sehr gewagt, weil ja bei der P ro ­ gnostizierung z. B. auch der Umstand eine Rolle spielt, ob es regnet, ob es trocken ist, z. B. bei der Brand­ stiftung. Wer ein kleines Zündhölzchen beim Wolken­ bruch etwa zur Brandstiftung verwendet, bei dem kann man nicht sagen, daß diese Handlung irgendwie eine Gefahr für die Vollendung herbeiführt.' Is t es dann kein Versuch? D as war I h r Einwand, Herr Graf Gleispach. Ich glaube, ich habe ihn richtig gehört. (Professor Dr. Graf Gleispach: J a ! ) Staatssekretär Dr. Freisler: W ir kommen deshalb zu Schwierigkeiten, weil wir meinen, die Gefahr könne allein aus der Hand­ lung vorher berechnet werden. Die Gefahr kann aber nur vorher berechnet werden unter Mitberücksichtigung des Willens des Täters. Diese Gefahr ist nicht nur objektiv festzustellen. E s kann eine Gefahr bestehen, wenn der Täter das Streichholz anzündet, auch wenn es naß ist, weil der Täterwille eben so ist, daß, wenn das eine Streichholz nicht brennt, er ein zweites und drittes ansteckt; es könnte andererseits unter Um­ ständen eine Gefahr nicht bestehen, obgleich, wenn kein menschlicher Wille mehr dazwischen kommt, ganz sicher das Haus abbrennen würde, weil der M ann eben so ist, daß er im Augenblick, wo er sieht, es fängt an zu brennen, das Feuer sofort löscht. Das zeigt also, daß es nicht möglich ist, die Gefahr ganz objektiv zu fassen und zu berechnen; die Gefahr aus der bereits

eingeleiteten Handlung ergibt sich vielmehr einmal aus dem objektiven Grade der Vorbereitung und zweitens aus der Intensität des Willens desjenigen, der mit dieser Handlung begonnen hat. Auch ich glaube deshalb zwar, daß wir den Begriff des Be­ ginnens, den wir weiter brauchen sollten und den ich für sehr gut halte, definieren und dabei von einer Handlung und von einer Gefahr oder von einer unmittelbaren Gefährdung sprechen sollten, uns aber gleichzeitig darüber klar sein müssen, daß wir zur Erkennung dieser Gefährdung und insbesondere ihres Grades auch auf den Willen des Täters zurückkommen müssen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Darf ich nur eins einwenden: Wenn ich aus den T äter hinschaue, ist die Frage gelöst; denn er hat den Willen der Vollendung. Von der Täterseite her ist das Steuer absolut auf die Vollendung gerichtet. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ob die Gefahr der Vollendung vorliegt, wird wesentlich durch die Persönlichkeit des Täters von Einfluß sein. Wenn ein gewerbsmäßiger Einbrecher sich dem Hause, wo er stehlen will, nähert, kann man aus seiner Persönlichkeit heraus schon mehr die Gefahr für die Ausführung der Handlung entnehmen als etwa bei einem, der zum erstenmal so etwas vorhat. Wenn jemand, der Kinder in den Wald führt, zum erstenmal Reiz verspürt, unzüchtige Handlungen mit Kindern vorzunehmen, so ist die Ausführung nicht in demselben Grade wahrscheinlich wie wenn ein alter „Kinderfreund" es tut, der derartige Dinge schon öfter getrieben hat. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei allen diesen Beispielen muß ich immer wieder im voraus annehmen, daß der T äter den Willen hat. Der Täter hat den Willen, das Notzuchtsverbrechen oder Kinderverbrechen zu begehen; dann ist vom Standpunkt des Täters, jedenfalls seines Willens, her gesehen, die Steuerrichtung klar. W as der Täter will, weiß ich. Nun sehe ich an, was er getan hat. D aß er etwas getan haben muß, liegt auch außerhalb der Diskussion. Es ist interessant, wie sich die Debatte auf diesen Punkt verengt: nun muß man dem Wort „Handlungen" ein Attribut beigeben. Wenn man die Frage von der Willensseite her zu beantworten hat, muß man das tun, und es fragt sich nur, was man da tun kann. Eine Einmischung vom subjektiven Mo­ ment bei dieser Qualifizierung der Handlung kommt mir vorläufig etwas schwierig vor, weil ich mir immer wieder sage: Von der Täterseite her ist die Frage „Was willst du?", ist die Richtung seines T uns ganz klar orientiert. Die Frage ist nur, ob und inwieweit die Handlungen, die bisher begangen sind, sich dem Willensziel nähern oder in der Richtung liegen. Ich sehe nicht klar, wie man das vermischen kann, -wenn wir den Vorsatz zu vollenden beim Täter haben und bejahen können, wie man dann nochmal vom Täter her ein Attribut zum Handeln finden kann.

Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Zur Veranschaulichung dafür, daß die P raxis unbedingt einer Definition des „Beginnens" bedarf, möchte ich ein Beispiel in die Erinnerung zurück­ rufen, das Herr Staatssekretär Freister in erster Lesung gegeben hat. Dieses Beispiel ist insofern außerordentlich instruktiv, als hier jeder eine andere Auffassung über den Zeitpunkt haben kann, in dem die S traftat „begonnen" ist. E s handelt sich da um den Fall, daß jemand die Absicht hat, einen Landes­ verrat zu begehen und zu diesem Zwecke militärisches Geheimmaterial sammelt. Ein halbes J a h r später, nachdem er das M aterial zusammen hat, entschließt er sich, das M aterial — nicht wie ursprünglich beab­ sichtigt — an Polen, sondern an Frankreich zu ver­ raten. I n Berlin auf dem Bahnhof Friedrichstraße besteigt er den Zug und fährt los, weiß aber in diesem Augenblick noch nicht, ob er in P a ris ins Auswärtige Amt oder ins Kriegsministerium gehen soll, um den Verrat durch Übergabe des M aterials zu vollenden. Nach geltendem Recht wäre der Versuch des Landesverrats erst in dem Augenblick vollendet, wo er in Unterhandlungen mit dem Referenten des Auswärtigen Amts oder Kriegsministeriums eintritt. Herr Staatssekretär Freister schlug für das neue Strafgesetz vor, den Zeitpunkt der Strafbarkeit vor­ zuverlegen und ging davon aus, daß die S traftat in dem Augenblicke begonnen sei, wo der Betreffende in Berlin auf dem Bahnhof Friedrichstraße den Zug betritt. Ich habe die Frage: Wann „beginnt" eigent­ lich in diesem Falle die strafbare Handlung? einer ganzen Anzahl Juristen und Laien vorgelegt und die verschiedensten Antworten bekommen. Die einen meinen, das „Beginnen" sei schon dann als vor­ liegend anzusehen, wenn der Täter den Willen, Landesverrat zu begehen, durch Sammlung des M aterials in die T at umsetzt. Andere wiederum ver­ legten das „Beginnen" der S traftat auf den Zeitvunkt der Zugbesteigung oder aus den Zeitpunkt des Überschreitens der Grenze oder gar erst auf den Moment, wo der Täter das französische Kriegs­ ministerium betritt. Ich möchte danach vorschlagen, das „Beginnen" folgendermaßen zu definieren: „Eine S traftat be­ ginnt, wer mit dem Willen, sie zu vollenden, Hand­ lungen vornimmt, die unter Berücksichtigung der P e r­ sönlichkeit des T äters nach allgemeiner Lebens­ erfahrung die begründete Gefahr der Vollendung der T at enthalten." Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as sehe ich nur als eine Illustration des Grauschen Vorschlages an. Genau das gleiche hat Herr Vizepräsident G rau vorgeschlagen. S ie wollen jetzt bloß an zwei Bildern zeigen: Woraus muß ich die Wahrscheinlichkeitsrechnung herleiten?, nicht etwa bloß aus dem äußeren historischen Geschehen, sondern auch aus der Person des Täters. D as ist natürlich etwas anderes, und das halte ich für selbstverständlich; denn ob ein Bärenkerl diesen Versuch macht oder ein Schwächling, der 16 Jah re alt ist, ist für die W ahr­ scheinlichkeitsrechnung des Kollegen G rau sehr wichtig; ob einer schießt, der sein Leben lang noch nie eine

Pistole in der Hand hatte, oder ein Kunstschütze, ist doch wichtig. Die Persönlichkeit des Täters werden S ie aus den Elementen der Wahrscheinlichkeits­ rechnung nicht ausschließen. D as ist aber ebenso etwas Objektives wie z. B. die Wirksamkeit eines Giftes. Ob ein Gift wirksam ist oder nicht, ob die Dosis so oder so wirken würde, ist genau so objektiv wie der Umfang des Bizeps in meinem ersten Bei­ spiel. D as kann man nicht ausschließen, nur wehre ich mich dagegen, das Prädikat, das S ie der Handlung geben wollen, von der Willensseite zu nehmen, von „intensivem" Willen zu sprechen. Der Wille mag intensiv oder weniger intensiv sein, der Täter hat den eindeutigen Willen der Vollendung seiner Tat. Staatssekretär Dr. Freister: Wenn jemand auf einem Felsen steht und wartet, bis unten durch die hohle Gaffe sein Feind kommt, und dort oben einen Stein hat, den er hinunterwerfen will, damit dieser davon erschlagen wird, so kann doch für die Beurteilung des Beginnens nicht von Bedeu­ tung sein, ob dem Täter die Kräfte fehlen, den Stein überhaupt zu bewegen. Wenn jemand, der mit der Vistole schießt, so unkundig in der Bedienung einer Schußwaffe ist, daß man sagen wird, die Wahrschein­ lichkeit, daß er trifft, ist fast null, so kann für die Ab­ grenzung des Begriffs „Beginnen" ebenfalls nickt allein der Gesichtspunkt der Gefahr ausschlaggebend sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Schwierigkeit, ist aber nicht so gering, und zwar aus folgendem Grunde: Wenn wir den Versuch in der Form zum Ausdruck bringen wollen, dann tun w ir doch gar nichts anderes, als daß wir dem Gedanken Ausdruck geben: Der böse Wille des Täters muß, wenn er in den Bereich des Strafrechts treten will, sich „objektivieren", deutsch ausgedrückt: E r muß in der Welt der Sichtbarkeit gewesen sein. oder, wie jemand von den Herren gesagt hat: er muß deutlich erkennbar gewesen sein, womit ich meine: sinnlich erkennbar. Stellen wir diese beiden Momente a) den Willen des Täters, b) die Objektivierung des Willens auch wieder in den Bereich des Subjektiven hinein, so weiß ich nicht, ob wir nicht einen Zirkel­ schluß haben, aus dem ich keinen Ausweg sehe. Landgerichtsdirektor Leimer: Ich möchte mich auch dafür aussprechen, in das Gesetz aufzunehmen, was der Gesetzgeber unter „Be­ ginnen" versteht. Darüber scheint ja auch Einigkeit zu herrschen. M ir will auch scheinen, daß man den Begriff nur objektiv bestimmen sollte, das heißt daß man neben dem Willen, die T at zu vollenden, noch etwas Objektives in den Begriff „beginnen" hinein­ bringen muß. F ü r die Praxis insbesondere wird dies sehr notwendig sein, damit man an diesem Begriff messen kann, ob der verbrecherische Wille des Täters in der Form , wie es sich der Gesetzgeber vorgestellt hat, in die äußere Erscheinung getreten ist. W as nun die vorhin vom Herrn Reichsjustiz­ minister angeschnittene Frage anlangt, ob man die mildere Bestrafung von Beihilfe und Versuch dadurch ermöglichen soll, daß man die Strafuntergrenzen im

Besonderen Teil heruntersetzt, oder dadurch, daß man im Allgemeinen Teil allgemein eine Strafmilderung zuläßt, so habe ich mich hier immer für den letzteren Weg ausgesprochen. W ir brauchen das für die Praxis, wenn wir ihr den Rücken stärken wollen. W ir brauchen hohe Strafuntergrenzen. Nach oben können diese weiter gesteckt werden, weil ja die Strafmaxima meist doch nicht ausgesprochen werden. Wenn wir Beihilfe und Versuch milder bestrafen lassen wollen — das halte ich für notwendig und dafür habe ich mich auch immer eingesetzt — , so soll man das im Allgemeinen Teil tun, indem man dort eine KannMilderung vorsieht. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn wir bei unserem zentralen Thema bleiben, dessen Diskussionswinkel sich jetzt sehr verengt hat, so wären Sie also auch hier der Meinung, daß der Wille zur Vollendung sich in Handlungen objekti­ vieren muß, und daß das, wenn ich diese Handlungen umschreiben will, aus der Welt des Objektiven heraus geschehen muß. D as wäre Ih re Auffassung? (Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: J a .) Staatssekretär Dr. Freisler: D as ist doch nicht möglich. I n meinem Beispiel ist es genau dasselbe. Ein M ann hat einen Tod­ feind, der weiß, daß er morgens um eine bestimmte Zeit durch die Schlucht geht. Der Todfeind späht oben aus, ob eine Gelegenheit da ist, einen Stein hinunterzuwälzen, findet den S tein und geht hin, es stellt sich aber bei dem Versuch, beim Dranstoßen heraus, daß der Stein hinunterrutscht, und der Mann wird erschlagen. Bei dem anderen, der genau das­ selbe versucht hat, gelingt es nicht, weil der Stein stärker ist als er. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Darauf kommt es nicht an; das ist eine falsche Betrachtung. Kein Mensch kann sagen, daß die Wahr­ scheinlichkeit, daß der Stein nicht hinunterrollt, gleich null ist. D as kann man sagen, wenn jemand den phantastischen Gedanken hätte, den Watzmann zu verschieben, um Berchtesgaden zu verschütten. Da ist ein strafbarer Versuch nicht denkbar, weil es an der objektiven Wahrscheinlichkeitsmöglichkeit fehlt. Wenn sich aber jemand bemüht, den Stein zu wälzen, es gelingt ihm aber nicht, weil er zu schwach ist, so wird er wegen Versuchs bestraft. Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn ein kräftiger M ann dahinkommt, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß er den S tein wegschafft, groß, wenn aber ein Schwächling kommt, so ist die W ahr­ scheinlichkeit vielleicht gleich null. Wenn wir die Ge­ fährdung allein aus objektiven Momenten entnehmen, so kommt der angeklagte Schwächling und beruft sich darauf, daß objektiv eine Gefährdung nicht eingetreten war. D araus schließe ich, daß es nicht richtig ist, die Gefährdung allein aus dem zu entnehmen, was an Objektivem vorliegt. Vielleicht kann man auch daraus schließen, daß es nicht richtig ist, den Begriff der Gefährdung aus denjenigen zu beziehen, der im Falle

der Durchführung der T at der Betroffene (ein würde. Vielleicht wäre es doch richtiger, von einer Gefähr­ dung des Rechts und der Friedens Ordnung zu sprechen. Zu einer solchen Gefährdung käme man aber auch nur, wenn man als M ittel des Erkennens der Gefährdung die Intensität und Dauerhaftigkeit des Verbrecherwillens mitberücksichtigt. M an müßte dann in unserem Falle sagen: Der T äter hat alles ausge­ späht; er stellte aber fest, daß der Stein, der da lag, zu groß war, er ging heute weg und wird morgen an dieselbe Stelle einen Stein tragen, den er schleppen und hinunterstürzen kann. Diese Gefahr besteht und ist unmittelbar gerade dadurch herbeigeführt, daß der erste Plan an der körperlicher: Schwäche des Täters gescheitert ist, und ferner dadurch, daß die Intensität des verbrecherischen Willens so groß ist, daß der Täter am anderen Morgen einen andern Stein nehmen und ihn Hinunterschleudern wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as Beispiel ist insofern nicht ganz überzeugend, weil wir, wenn der M ann auf den Berg steigt, den Stein ansieht und abschätzt und sonst nichts weiter tut, der Meinung sind, daß das Versuch ist. Geht er aber wieder weg, so ist es kein Versuch. W ir würden uns sehr rasch zusammenreden, wenn S ie das phantastische Beispiel ins Auge fasten, daß jemand den Watzmann verschiebt, um Berchtesgaden damit zu verschütten. D as Beispiel ist unsinnig, soll aber zeigen, wohin ich hinaus will. Diese ganze Aus­ einandersetzung hängt an dem Wort „absolut unmög­ lich". I m Watzmann-Beispiel wird kein Mensch be­ haupten, daß das ein strafbarer Versuch ist. Wer so etwas vorhat, ist ein N arr. Bei dem Felsblock aber weiß ich das nicht. Staatssekretär Dr. Freisler: . Die Kraft des Menschen ist absolut meßbar. Es gibt eben Steine, die der eine sehr wohl wegschaffen kann, die ein anderer, ein Schwächling, aber absolut nicht bewegen kann. Der Täter kann sich aber in bezug auf die Kraft, die er ausbringen muß, um den Stein wegzubringen, geirrt haben. Ich wende mich deshalb erneut dagegen, daß w ir die Gefährdung nur aus den objektiven Merkmalen der äußeren Umstände, wozu ich natürlich auch die physische Kraft des Täters rechne, erkennen wollen; denn wir kämen sonst zu dem Ergebnis, daß in diesem F all ein strafbares Beginnen nicht vorliege, weil der T äter den S tein nicht bewegen konnte. Es besteht aber ein Bedürfnis zur Bestrafung, und wir müssen die Fassung so wählen, daß ein solcher T äter bestraft werden kann. D as können wir dadurch tun, daß wir sagen: Wenn ein M ann mit seinem verbrecherischen Willen so weit geht und diesen Stein mit aller Macht hinunterzuschieben versucht, so liegt darin schon eine erhebliche und unmittelbare Gefähr­ dung, und zwar deshalb, weil der Täter seinen Tötungswillen betätigt und bewiesen hat, so daß die große Gefahr besteht, daß er, gewitzigt durch diese Erfahrung, einen anderen Stein heranrollt. Mit dieser Begründung würde ich hier eine erhebliche oder unmittelbare Gefährdung annehmen.

Reichsminister Dr. Gürtner: Wir stoßen auf diese Konflikte immer da, wo die sichtbare Welt und die unsichtbare Welt zusammen­ kommen. W ir können leider auf die sichtbare Welt nicht verzichten. Wenn wir das allwissende Auge Gottes hätten, könnten wir auf die sichtbare Welt, auf das Willensstrafrecht verzichten. Aber wir brauchen die sichtbare Welt, die Objektivierung des Willens, und das ist die immer wiederkehrende Schwierigkeit. Ich weiß nicht recht, ob man sagen kann: Wenn der T äter den Willen hat, den M ann zu töten — das steht fest — , gibt es dann überhaupt eine Intensivierung dieses Willens? gibt es da einen stärkeren oder schwächeren Willen, vom Willen her gesehen? D as gibt es doch gar nicht, sondern so, wie der Wille betätigt wird, kann in der Welt des Sicht­ baren, der wahrnehmbaren Dinge eine Lage ent­ stehen, die den Erfolg mehr oder weniger wahrschein­ lich herbeiführen wird, sicher herbeiführen wird oder unmöglich herbeiführen kann. D as sind die Kate­ gorien. M ir ist es vorläufig noch nicht gelungen, den Gedanken, den Herr Freisler ausgesprochen hat, der im Ergebnis zu den gleichen Resultaten führt, zu erfassen. Indem der M ann bloß seine Kraft an dem Stein erprobt, ein Gegner aber gar nicht da ist, und sich für das morgige Manöver übt, so wird es kein Tötungsversuch sein können. Wenn er aber dasselbe Manöver macht, während der M ann vorbeigeht, sein Wille auf die Tötung gerichtet ist, er den Block aber nicht wegwälzen kann, weil er zu schwer ist, so ist es ein Tötungsversuch. E s ist auch nicht so, daß etwa das Moment der Gefahr irgendwie schon eine begonnene Sache wäre. Es liegt ja noch ein anderer Vorschlag vor: Eine Handlung, die unmittelbar auf den Erfolg gerichtet ist, eine Handlung, die „abzielt", wie damals gesagt wurde. Ich will mir diesen Vorschlag aber gar nicht zu eigen machen, weil ich sehe, daß die große Schwierigkeit in der Synthese zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt besteht. Staatsm inister Dr. Thierack: W ir werden davon ausgehen müssen, daß wir nicht allein den Willen bestrafen können. W ir müssen Handlungen haben, die in die Welt der Erscheinungen eingetreten sind. W ir müssen diese Handlungen zur Vollendung der T at in eine gewisse Relation bringen. Da nun das Willensmoment vollendet ist, kann die Relation nur in objektivem Sinne hergestellt werden. Ich möchte daher folgende Fassung vorschlagen: Eine S traftat begeht, wer mit dem Willen, sie zu vollenden, Handlungen vornimmt, die die Gefahr der Vollendung in sich tragen. Damit treffen wir alle Fälle. Staatssekretär Dr. Freisler: Herr Minister Thierack faßt den Begriff „Hand­ lung" als äußeren Vorgang auf. Hiergegen muß ich mich wenden. I n jeder Handlung liegt etwas Willens­ mäßiges. E s ist ferner eine alltägliche Erfahrung, daß die Willensintensität graduell sehr verschieden sein kann. Von einer Synthese zwischen der äußerlich sichtbaren Handlung und dem inneren Vorgang kann niemals die Rede sein. E s ist eine Einheit da, bei

it der der sichtbare und der unsichtbare Vorgang ein­ ander durchdringen. Reichsminister Dr. GÜrtner: Die Schwierigkeit liegt in der Unmöglichkeit, den verbrecherischen Willen ganz unabhängig von dem, was sich ereignet, zu erkennen. Es muß dazu also noch etwas kommen, und das ist die „Handlung", ein Begriff, der mir akzeptiert zu sein scheint. Ein „äußerer Vorgang" genügt nicht. Eine Handlung ist ein äußerer Vorgang, der nur von Menschen bewirkt werden kann. Insofern steckt in jeder Handlung ein Stück Wille. W ir kommen nicht darüber hinweg, daß wir diese Handlungen, die der Täter vornimmt, um seinen zweifellos feststehenden Vollendungswillen in die T at umzusetzen, mit irgendeiner Abgrenzung versehen müssen. W ir stehen jetzt genau wieder vor der Frage, Vorbereitung und Versuch abzugrenzen. Als Hilfs­ mittel hierzu haben w ir jetzt das Gesahrenmoment. B ishet hatte ich die Meinung, die Gefahr müßte für den entstehen, der beispielsweise ermordet werden soll. Nun wird aber die Gefährdung der Friedens­ ordnung, der Rechtsordnung in die Debatte ge­ worfen. Ein zweites Erfordernis ist und wird vorge­ schlagen: Die Handlung muß gerichtet sein aus den Erfolg. D as ist nichts weiter als eine Wahrschein­ lichkeitsrechnung. Eine Variante hierzu ist die „Gefahr der Voll­ endung". Der Beurteiler sagt also: Nach dem normalen Ablauf der Dinge, nach der Erfahrung des Lebens besteht die Wahrscheinlichkeit, daß es zur Vollendung der T at kommen wird. Hier sehe ich aber eine große Schwierigkeit; wir kehren immer wieder ur Grundfrage zurück: S oll das Gesetz das überaupt machen? Ministerialdirektor Dr. D ürr: Nach meiner Auffassung ist es einfach nicht möglich, eine befriedigende Begriffsbestimmung für das „Beginnen" zu geben. Es bedeutet im wesent­ lichen dasselbe wie „Anfang der Ausführung". Wenn das Reichsgericht bei Auslegung dieses Begriffs zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen ist, so deshalb, weil es in jedem Falle nach dem praktischen Bedürfnis entschieden hat. Unter „Beginn der T at" kann sich jeder Mensch etwas vorstellen; der Ausdruck scheint m ir daher durchaus glücklich gewählt zu sein. M an muß eben bei jedem einzelnen Tatbestand prüfen, wo der Beginn der T at liegt. E s würde meiner Ansicht nach genügen, in der Begründung auszusprechen, daß der Gesetzgeber die Grenze für den Beginn der T at möglichst vorverlegt sehen will. Die Wendung „Handlungen, die unmittelbar auf die Vollendung abzielen" würde wahrscheinlich geradezu einschränkend ausgelegt werden; das gleiche würde der Fall sein bei der Wendung „Gefahr der Vollendung". Auch hier kann man das Vorhanden­ sein der Gefahr einer Vollendung früher oder später annehmen. M ir scheint der Ausdruck „Beginn" auch deshalb zweckmäßig zu sein, weil er für den Gehilfen ebenfalls brauchbar ist. W ir wollen von der Akzes­

sorietät freikommen. Aber eine gewisse Akzessorietät wird immer bestehen bleiben. Wenn mehrere P e r­ sonen zu der gleichen T at zusammenwirken, so ergänzt das Tun des einen das des anderen. D as Tun des Gehilfen allein wird vielfach Vorbereitungshandlung sein; es gewinnt aber durch die Mitwirkung eines anderen eine weitergehende Bedeutung. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: I n dem Vorstellungsbild des Staatssekretärs Dr. Freister würde die Sache so lauten: D u hast den Willen, die T at zu vollenden, dies bekundet, daß die Gefahr der Vollendung besteht. (Staatssekretär Dr. Freister: Jaw ohl, und zwar ohne Rücksicht auf Dinge, die der Täter nicht in den Gang seiner Erkenntnis einbe­ zogen hat, die aber dazwischenkommen; z. B. das zu große Gewicht des S teins!) Vizepräsident G rau: Zu dem Beispiel des Herrn Staatssekretärs Freister möchte ich nur folgendes bemerken: Wenn ein M ann seinen Feind dadurch töten will, daß er vom Bergabhang einen Stein aus ihn herunterrollen will, dieser aber so schwer ist, daß er ihn nicht von der Stelle bewegen kann, so ist das ein Fall des untaug­ lichen Versuchs, und zwar des relativ untauglichen Versuchs, wenn der Täter selbst den S tein nicht be­ wegen kann, und des absolut untauglichen Versuchs, wenn überhaupt kein Mensch den S tein von der Stelle bewegen kann. Wir sind uns aber darüber einig, daß der untaugliche Versuch selbstverständlich nur subjektiv bestimmt werden kann. Denn bei ihm wird eben die objektive Verwirklichung des strafbaren Geschehens durch die irrtümliche Vorstellung des Täters ersetzt. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: Der Versuch, den Watzmann wegzurücken, ist auch ein absolut untauglicher Versuch. Vizepräsident G rau: Herr Ministerialdirektor D ürr hat gemeint, man solle von einer Legaldesinition des Beginns einer Handlung überhaupt absehen. M. E. können wir das nicht. Denn wir müssen doch im Gesetz sagen, daß nur der v o r s ä t z l i c h e Beginn strafbar ist, und weiterhin nur der Beginn, der nach dem Willen des Täters zur Vollendung führen soll' W ir müssen also jedenfalls den inneren Tatbestand bringen. Dann sollte man aber auch das Wort „beginnen" zu defi­ nieren suchen, und zwar würde ich dies, wie bereits vorgeschlagen, objektiv tun. Verzichtet man auf eine Begriffsbestimmung des Beginnens, so besieht auch die Gefahr, daß aus der Wahl eines neuen Wortes für den bisherigen Versuch geschlossen wird, man habe damit eine neue Abgrenzung zwischen Versuch und Vorbereitungshandlung schaffen wollen, während wir doch die von der Rechtsprechung geschaffene heutige Grenzziehung legalisieren wollen. Professor Dr. Graf Gleispach: M ir scheint der Ausdruck „Gefahr der Voll­ endung" bedenklich zu sein, denn wir geraten da

methodologisch gesehen unvermeidlich in das Gebiet des untauglichen Versuchs. Diese Gefahr wird immer bestehen, wenn wir bei der Definition des Versuchs auf die „Gefahr der Vollendung" abstellen. Nun hat Herr Oberstaatsanwalt Reimer hier eine Anregung gegeben, die mir bedeutsam erscheint. Er wies mit Recht darauf hin, daß die Beurteilung einer Handlung als Versuchshandlung oder aber als bloße Vorbereitungshandlung wesentlich von der Persönlich­ keit des T äters beeinflußt werde. Allerdings paßt das Spionage-Beispiel, das er angeführt hatte, hier nicht gut. Zwischen Landesverrat und anderen Ver­ brechen besteht ein wesentlicher Unterschied. Bei der Beurteilung einer verräterischen Gesinnung werden w ir geneigt sein, das Stadium des Versuchs wesent­ lich. vorzuverlegen. Die verräterische Gesinnung an sich ist schon ein Anhaltspunkt dafür, eine Vorbe­ reitungshandlung, die in einem anderen F all be­ deutungslos wäre, als Versuchshandlung zu charak­ terisieren. Ganz ähnlich liegt es bei dem M ann, der mit zwei Kindern an der Hand aus den Wald zuschreitet. M an wird gut tun, bei der Abgrenzung zwischen Vorbereitung und strafbarem Versuch aus die Persönlichkeit des Täters Rücksicht zu nehmen. Ich würde also sagen: Beginn des Verbrechens ist eine Handlung, die insbesondere nach der Person des T äters bereits den festen Vorsatz erkennen läßt, die T at zu vollenden. Hier liegt nun allerdings der Einwand nahe, daß es sich hier also um eine Aufgabe handle, außerhalb des Täter-Vorsatzes ein Moment zu finden, das die Grenze zwischen Vorbereitung und Versuch zieht. Dieser Einwand ist aber nicht ganz gerechtfertigt. Der Vorsatz des T äters muß immer irgendwie in der sinnlich wahrnehmbaren Welt ver­ körpert worden sein. Aber das äußere Tatbestands­ bild muß mit Berücksichtigung der Person des Täters den sicheren Schluß zulasten, daß sein Vorsatz vor­ handen ist. Es handelt sich hier nicht um einen komplizierten Indizienbeweis, sondern der Vorsatz des Täters muß schon in der Außenwelt hervor­ getreten sein. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Die Formel würde also dann so lauten: Ein Verbrechen beginnt, wer eine Handlung vornimmt, die nach den Umständen, besonders der Person des Täters, den festen Vorsatz er­ kennen läßt, sie zu vollenden. Sie müssen also den Akzent hier auf „fest" legen; der Vorsatz selbst ist schon da. Professor Dr. Graf Gleispach: Der Vorsah muß erstens da sein; zweitens muß das, was der T äter getan hat, den f e s t e n Vorsatz erkennen lasten. Nicht aber darf es sich um eine Beweisfrage handeln. Reichsminister Dr. Gärtner: Der Gedanke ist mir eingänglich. Auch Vize­ präsident Grau wird dagegen keine Erinnerung erheben. Aber daß wir einen Vorsatz und einen festen Vorsatz unterscheiden, das geht nicht. Staatssekretär Dr. Freister: Ich möchte folgende Abänderung vorschlagen:

Eine S traftat beginnt, wer eine Handlung vor­ nimmt, die nach den Umständen, besonders nach der Person des Täters, die naheliegende Ge­ fährdung der Rechtsordnung in der vom Täter gewollten Weise begründet. Reichsminister Dr. Gärtner: Wenn Herr Graf Gleispach in seiner skizzenhaften Formel vom Vorsatz als allgemeiner Voraussetzung des Wissens und Wollens, die T at zu vollenden, spricht, und nachher noch den „festen" Vorsatz einführt, so ist das auch nichts weiter als die alte Wahrschein­ lichkeitsrechnung, das Taxierungsmoment. E s ist im Grunde nichts anderes als der Gedanke: M an muß nach vernünftiger Anschauung der Dinge wirklich damit rechnen, daß es zur Vollendung der T at kommt. Professor Dr. Graf Gleispach: Vielleicht hat Herr Vizepräsident G rau seinen Vorschlag so gemeint. M ir kommt es nur darauf an, ob der ernsthafte Vorsatz, der Vorsatz, von dem man annehmen kann, daß er durchhält, in etwas verkörpert erscheint. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: D as soll also, wenn wir es sehr gut deutsch aus­ drücken wollen, heißen, daß der Vorsatz sich genügend objektiviert. Ministerialdirektor Schäfer: W ir stehen in der Debatte jetzt da, wo wir schon vor acht Monaten gestanden haben. Meiner Meinung nach haben wir damals schon bessere Definitionen für den Begriff b e g in n " gesunden. Ich bitte, die Verhandlungsniederschristen daraufhin durchzusehen. E s handelt sich um zwei Fragen: Soll man über­ haupt den Begriff „Beginn" definieren; wenn ja, wie? W ir waren uns darüber einig, den Begriff „Beginn" entsprechend der Rechtsprechung des Reichs­ gerichts zum Begriff „Ansang der Ausführung" aus­ zulegen. Wollen wir weiter gehen, um die Angriffs­ front weiter vorzuverlegen, dann müssen wir mit klaren Worten auch noch die unmittelbaren Vorbe­ reitungshandlungen einbeziehen. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: M an könnte die Gleispachsche Gedankenreihe so auflösen: Erstens: Der Täter hat den Willen, die T at zu vollenden. Zweitens: E r hat etwas getan. D rittens: Das, was er getan hat, gibt dem Richter die Überzeugung, daß er seinen verbrecherischen Willen habe durchsetzen wollen. Professor Dr. Graf Gleispach: E s kommt darauf an, daß die Persönlichkeit des T äters den allgemeinen Eindruck macht, er habe den ernsthaften Willen, seine T at durchzuführen. Wie der Richter den Vorsatz beweist, das ist eine reine Prozeßfrage. Professor Dr. Mezger: Ich halte nach wie vor den Begriff der Gefahr an dieser Stelle aus der einen Seite für ungefährlich und auf der anderen Seite für unentbehrlich. Gegen den Vorschlag des Herrn Graf Gleispach habe ich noch

ein weiteres schwerwiegendes Bedenken: er würde allzuleicht dazu führen, daß durch die nochmalige Hervorkehrung der Willensrichtung die Festigkeit des V o r s a t z e s als A u s g a n g s p u n k t erschüttert wird. I n dem Beispiel des Herrn Staatssekretärs Freister kann m. E. das Vorliegen einer „Gefahr" sehr wohl angenommen werden. Denn man darf den Begriff der Gefahr, auch wo man ihn objektiv saßt, nicht in zu weitgehender Weise isolieren. Sonst hebt man den Begriff der Gefahr überhaupt auf. M an muß in dem Beispiel auch daran denken, daß die Gefahr bestand, irgend jemand werde dem Täter zu Hilfe gekommen (vielleicht vollkommen ahnungs­ los) und mit ihm den Stein abwälzen. Auch wenn also der Täter den S tein nicht allein abwälzen konnte, bestand eine Gefahr. Der Begriff der Gefahr bleibt ein Wahrscheinlichkeitsbegriff, man darf ihn nicht durch allzuweitgehende Einengung der Blickrichtung in das Gebiet der Gewißheit zu verschieben suchen. Senatspräsident Dr. Klee: Ich bin mit Vizepräsident Grau der Meinung, daß in dem Beispiel des Herrn Staatssekretärs Dr. Freister untauglicher Versuch anzunehmen ist. Gegen die Gleispachsche Formel habe ich gewisse Bedenken, namentlich insofern, als man aus der P er­ sönlichkeit des Täters den Schluß ziehen könnte, daß schon ganz weit entfernte Vorbereitungshandlungen einen strafbaren Versuch begründen. D as möchte ich unter allen Umständen ausschließen. Es kann jemand, der sich den Revolver gekauft hat, um seinen Feind zu erschießen, mit Haß geladen sein und den inten­ sivsten Willen haben. Seiner Persönlichkeit wird man es auch zutrauen können, daß er den Vorsatz ausführt. Aber das genügt nicht. Die unmittelbare Gefahr für die Rechtsordnung erkennen wir erst dann, wenn die Verkörperung, die Entäußerung des Willens eine so deutliche geworden ist, daß für den unbefangenen Beobachter an der Ausführung so gut wie kein Zweifel ist: dann allein hat man die psychologische Gewähr, daß der Täter die T at auch ausführen werde. W ir brauchen also außer dem intensiven Vorsatz noch etwas Objektives, und dieses Objektive drücken wir am besten durch die unmittelbare Gefahr der Vollendung aus. Reichsminister Dr. Gürtner: Ich möchte versuchen, an Hand einiger Fälle klarzustellen, wie der Gleispachsche Vorschlag in der P raxis sich auswirken würde. Erster Fall: Der Liebhaber, der den Ehemann seiner Geliebten ermorden will und diesen Vorsatz hat. E r kaust sich einen Revolver. Die Art der Ausführung, Zeitpunkt und Ort, sind besprochen worden. Zweiter Fall: I n unruhiger Zeit hört ein M ann von häufigen Überfällen. E r kauft sich einen Revolver, legt ihn auf den Schreibtisch, damit er ihn jederzeit zur Hand hat, und äußert auch ganz klar und unzwei­ deutig: Wenn mir das passiert, dann schieße ich den Kerl sofort nieder. Herr Gras Gleispach, würden Sie die beiden Fälle verschieden beurteilen?

(Professor D r. Graf Gleispach: Nein; ich würde keinen bestrafen.) I m ersten Fall ist aber die Wahrscheinlichkeit nach der Persönlichkeit des Täters und den äußeren Umständen weit größer, daß er die T at ausführt, als im zweiten. (Prosesior Dr. Gras Gleispach: Trotzdem würde mir das noch nicht als Objektivierung des verbrecherischen Willens genügen.) Berichterstatter Staatsminister Dr. Thierack: Ich freue mich, daß Herr Senatspräsident Klee und Herr Prosesior Mezger sich meinem Vorschlag angeschlossen haben: Eine S traftat beginnt, wer mit dem Willen, sie zu vollenden, Handlungen vornimmt, die die Gefahr der Vollendung in sich tragen. Ich habe mich mm bemüht, das Argument des Herrn Grafen Gleispach zu prüfen. Die Fasiung würde dann lauten: Eine S traftat beginnt, wer mit dem Willen, sie zu vollenden, Handlungen vornimmt, die die Gefahr der Vollendung insbesondere mit Rück­ sicht auf die Persönlichkeit des Täters in sich tragen. Dabei komme ich zu folgender Überlegung: Was hier als inneres Tatbestandsmerkmal betrachtet wird, ist nicht ein Tatbestandsmerkmal des Willens, sondern eine Beweisregel, die aus dem Willen des Täters und seiner Persönlichkeit aus die objektive Seite der Handlung schließen läßt. Aber wir kommen auch hier wieder dazu, zu sagen: Niemand kann mehr haben als den dolus. Die Intensivierung des Willens ist auch nur ein Beweismittel für die Gefährlichkeit des Täters. Der dolus-Begrisf nutzt sich dadurch ab, daß wir hinterher noch einen besonderen Willensbegrisf hineinbringen. Staatssekretär D r. Freister: Wenn man sagt, der Begrisf der Gefahr sei nur ein Wahrscheinlichkeitsbegrisf, so ist damit noch nicht viel geklärt. E s bleibt immer noch die Frage: aus welchen Momenten errechnet man die Wahrscheinlich­ keit? Und da sage ich: M an kann in keinem Fall den Grad einer Gefährdung abwägen, wenn man nicht die motorischen Kräfte, die mitwirken, berücksichtigt. Diese motorischen Kräfte aber, die hier mitwirken, sind vor allem der Wille des Täters. Ich kann den Grad der Gefährdung nicht abwägen, wenn ich neben den anderen Momenten nicht auch die Kraft des Willens mit berücksichtige. Wenn man mir einwendet, mein Beispiel sei als untauglicher Versuch bereits gedeckt, so ist damit nichts gesagt, obwohl der Einwand richtig ist. Denn im Willensstrasrecht sollte ein Unterschied zwischen tauglichem und untauglichem Versuch nicht gemacht werden. Nun trägt ja der Vorschlag Thierack das Willensmoment in die Abwägung des Gesahrengrades hinein. Dieser Vorschlag geht mir aber schon etwas zu weit, insofern er das W ort „insbesondere" einfügt, was eine zu starke Hervorhebung bedeutet. M an muß das subjektive Element nicht vorwiegend, sondern n e b e n den anderen Elementen zur Beur­ teilung heranziehen. Daher würde ich statt „insbe-

sondere" „unter anderem" sagen. Herr Minister Thierack spricht ferner von „Handlungen, die die Gefahr der Vollendung in sich tragen". Nun kommt es entscheidend aber nicht darauf an, ob die Gefahr der Vollendung der T at vorliegt, sondern darauf, daß die Gefahr der in die Rechtsordnung in mißzubilligender Weise eingreifenden Durchführung des verbrecherischen Willens unmittelbar vorliegt. Wir dürfen nicht abstellen auf die Gefahr der Vollendung, sondern auf die Gefahr des Bruchs der Rechtsord­ nung, natürlich in der Richtung, wie sich der Täter diesen Bruch vorgestellt hat. Reichsminister Dr. Gürtner: Dagegen habe ich nur einen Einwand: Wegen Bruchs der Rechtsordnung kann man keinen verur­ teilen. M an kann nur verurteilen wegen Versuchs der Tötung. Außerdem muß der Wille des Täters auf eine bestimmte S traftat gerichtet sein. Staatssekretär Dr. Freister: Ich denke hier an den Fall, daß jemand einen anderen durch Totbeten vernichten will. Hier kann der verbrecherische Wille so intensiv, so hartnäckig sein, daß die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Täter zur Pistole greift, wenn er mit dem Totbeten nicht zum Ziele kommt. Wenn der Ausdruck „Vollendung der T at" so aufgefaßt wird, bin ich einverstanden. W ir haben in der ersten Lesung beschlossen, in das Gesetz nicht einen Zwang zur Nichtverurteilung des Totbeters aufzunehmen, sondern dem Richter die Möglichkeit zu geben, den Totbeter zu bestrafen, weil im einzelnen Fall durchaus die Wahrscheinlichkeit bestehen kann, daß der Täter zur Pistole greisen wird, wenn der abergläubische Wahn pon ihm gewichen ist. Professor Dr. Nagler: Die heutige Debatte erinnert sehr an unsere Erörterungen anläßlich des Landesverrats: auch heute besteht wieder Uneinigkeit hinsichtlich des Orientierungspunkts; auch heute wird wieder versucht, die völkische Rechtsordnung oder das Rechtsgut heran­ zuziehen, während die Abgrenzung doch nur mit Hilfe der Tatbestandsmäßigkeit gelingen kann. Selbst die bisherige subjektive Versuchstheorie hat immer den Anfang der Ausführung objektiv bestimmt, weil man die Zäsur nur innerhalb der Vorgänge des äußeren,

objektiven Tatbestandes machen kann. Wenn w ir den „Beginn" definieren wollen, so können auch wir darunter nur den Anfang der Tatbestandsverwirk­ lichung verstehen. Diese formelle Lösung ist die allein mögliche, weil der Gesetzgeber den Tatbestand beliebig gestalten kann. Wenn wir den „Beginn" materiell bestimmen wollten, also auf die „Gefahr der Voll­ endung" abstellten, so kämen wir bei der Behandlung des untauglichen Versuchs in Schwierigkeiten; er fiele dann aus, während er doch gerade einbezogen werden soll. überhaupt sollte man den Begriff „Ge­ fahr" möglichst vermeiden; er steht wirklich noch nicht fest. Es gibt wenigstens vier oder fünf verschiedene Gefahrbegrisfe. Die einen fordern z. B. eine nahe Wahrscheinlichkeit des Erfolgs, andere halten eine entfernte Wahrscheinlichkeit schon für genügend, wieder andere erklären, es reiche die nahe Möglichkeit aus, und schließlich sagt man auch noch, es genüge schon die entfernte Möglichkeit. Die Verwendung des Gefahrbegrifss in das Gesetz würde zweifellos eine Menge unnötiger Kontroversen ins Leben rufen. Der Vorschlag Gleispach hätte zur Folge, daß so ziemlich die meisten Vorbereitungshandlungen mit einbezogen würden. Damit würde aber die Grenze zwischen Beginn und Vorbereitungshandlung, die wir suchen, vollkommen ins Gleiten kommen. W ir kommen also wirklich nicht darum herum, uns am Tatbestand zu orientieren. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich schlage vor, die Besprechung an diesem Punkt zu unterbrechen. Die Frage, wie wir Vorbereitung und Versuch voneinander abgrenzen sollen, ist auch heute nicht gelöst worden. Vorschläge dazu haben wir. genug. W ir müssen zu einer Lösung kommen, sei es positiv, daß wir die gefundene Definition in das Gesetz aufnehmen, sei es negativ, daß wir nichts darüber sagen. D ann darf ich diesen Tagungsabschnitt mit dem besten Dank an alle Mitglieder schließen. Die nächste Tagung soll vom 2. bis 11. M ai in Berlin statt­ finden. Ich schließe die Sitzung. (Schluß der Sitzung 2 Uhr 5 Minuten.)

Strafrechtskommisston

64. Sitzung 2. Mm 1935 Zweite Lesung Inhalt Die Straftat; Täterschaftssormen (Fortsetzung der Aussprache) Reichsjustizminister Dr. Gärtner 1, 2, 7, 12, 15, 21, 22, 23, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 38, 40, 41 Vizepräsident G rau..........................................................................1 Staatssekretär Dr. Freister..............................3, 18, 21, 30, 33 Reichsgerichtsrat Niethammer.........................................7, 23, 38 Senatspräsident Professor Dr. Klee................... 10, 22, 39, 41 Ministerialdirektor Schäfer............................12, 18, 23, 34, 41 Professor Dr. Kohlrausch.......................................15, 20, 22, 36 Professor Dr. Nagler.....................................................................26 Professor Dr. D a h m ......................................................29, 30, 36 Professor Dr. M egger................................................... 32, 33, 37 Rechtsanwalt Dr. Grafvon der Goltz...................................... 35 Professor Dr. Schaffstein..............................................................37

(Aussprache abgebrochen)

Die Sitzung wird um 10 Uhr 14 Minuten eröffnet. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren! Bevor wir unsere Besprechungen fortsetzen, habe ich einige Mitteilungen geschäftlicher A rt zu machen. J n d e r Z u s a m m e n s e t z u n g d e r K o m m i s s i o n sind einige Ä n d e r u n g e n ein­ getreten. Herr Ministerialdirektor Dr. D ürr, bis­ her Mitglied der Kommission, ist inzwischen zum Vize­ präsidenten des Oberlandesgerichts München ernannt worden und hat, da ihm sein derzeitiges Amt eine lange Abwesenheit von München nicht erlaubt, ge­ beten, von der Mitgliedschaft dieser Kommission ent­ bunden zu werden. Ich habe diesem Wunsche entsprochen und ihm den Dank des Reichsjustizmini­ steriums für seine bisherige M itarbeit ausgesprochen. An seiner Stelle habe ich den Herrn Reichsgerichts­ rat Niethammer gebeten, als Mitglied der Kommission beizutreten. E r ist diesem Ruf gefolgt, und ich möchte ihm hierfür danken. Weiter habe ich mir erlaubt, den Herrn Professor Schaffstein in Kiel zu bitten, als Mitglied der amt­

lichen Kommission beizutreten. Auch er ist diesem Ruf gefolgt, und ich möchte ihm für seine Bereitwilligkeit den Dank der Kommission und der Reichsjustizver­ waltung aussprechen. Bei Beginn unserer letzten Tagung hat der Herr Reichsminister Dr. Frank den Wunsch ausgesprochen, als Mitglied der Kommission auszuscheiden. Ich habe auch diesem Wunsche entsprochen und ihm schriftlich davon Kenntnis gegeben. Ich habe mich am 23. M ärz an den Herrn Reichsminister Heß mit der Bitte gewendet, nunmehr irgendeine Verfügung über die Beteiligung seines Ministeriums an den Beratungen der Kommission zu treffen. E r selbst hat kurze Zeit daraus ein Schreiben hierher gerichtet, aus dem zu entnehmen ist, daß er über die Angelegenheit dem Führer Vortrag gehalten und im Einvernehmen mit ihm für die weiteren Beratungen über den S tra f­ gesetzentwurf Herrn Rechtsanwalt und Notar Graf von der Goltz als Vertreter der Partei benannt hat. E r hat gebeten, mit Herrn Graf von der Goltz in Verbindung zu treten. D as ist geschehen. Der Herr Gras von der Goltz wird heute kommen. E r ist durch einen Termin vorläufig noch festgehalten. Ich bitte, von diesen Änderungen in der Zu­ sammensetzung der Kommission Kenntnis zu nehmen und nunmehr in die Fortsetzung unserer Bespre­ chungen einzutreten: §§ 358 bis 362 (Die Straftat, Begehung usw.). Der S tand der Sache war, als wir uns getrennt haben, folgender: W ir haben zuletzt zwei Referate über den Täterbegriss entgegengenommen, von Herrn Kollegen Thierack und Herrn Vizepräsidenten Grau. Wir müssen uns jetzt mit diesem Täterbegriff und mit dem anderen Problem auseinandersetzen, über das wir zuletzt auch schon lebhaft diskutiert haben, nämlich mit dem Beginn oder Versuch der Straftat. Ich habe mir in der Zwischenzeit erlaubt, an die Mitglieder der Kommission einen Brief zu richten, worin ich Gedanken niedergelegt habe, die mir über dieses Thema durch den Kopf gegangen sind. Ich möchte nun aber, damit diese Dinge nicht allzusehr durcheinander kommen, empfehlen, so zu verfahren, daß zunächst Herr Vizepräsident Grau die Ergebnisse der beiden Referate in ganz kurzen Sätzen noch ein­ mal der Kommission in Erinnerung bringt, und daß wir dann das Thema „extensiver Täterbegriss" be­ handeln. Trennen läßt sich das von dem Versuchs­ problem nicht völlig. E s bestehen da innere Zu­ sammenhänge. Aber die beiden Probleme sind zweifel­ los nicht identisch, und ich wäre dankbar, wenn in der Aussprache dieses Auseinanderhalten nach Mög­ lichkeit berücksichtigt werden könnte. Vizepräsident Grau: D as Referat Thierack ist, wenn ich es recht ver­ standen habe, von dem weiten Täterbegriss in reiner Form ausgegangen. Dieser setzt voraus, daß alle Täterschasts- und Teilnahmesormen gleich behandelt werden, und zwar einmal im Strafmaß, ferner bezüg­ lich der Frage des Versuchs und schließlich auch hin­ sichtlich der Schuldseite.

Bezüglich der letzten beiden Punkte, die ein rein durchgeführter weiter Täterbegrisf erfordert, bestehen m. E. Bedenken. Wenn man sagt, daß die Anstiftung und die Beihilfe genau so zu behandeln sind wie die Täterschaft, dann ist die Folge, daß auch die versuchte Anstiftung und die versuchte Beihilfe strafbar sein müssen. Ich darf ein Beispiel wählen: Es schreibt jemand einen typischen Gehilsenbrief und teilt darin einem Haupttäter mit, daß an einer bestimmten Stelle ein Revolver liege, der zur Ausführung dessen Mord­ planes geeignet sei. Der Haupttäter tut nichts; er holt sich nicht den Revolver und geht auf den Brief gar nicht ein. Oder man kann sogar annehmen, daß der Brief bei dem Haupttäter gar nicht ankommt. D ann würde bei einem rein durchgeführten weiten Täterbegrisf versuchte Beihilfe gleich versuchter Täter­ schaft vorliegen. Dagegen würde der Haupttäter, wenn er auf den Gehilfenbrief eingegangen wäre und sich den Revolver von der bezeichneten Stelle geholt hätte, noch nicht strafbar sein; es sei denn, daß ein besonderes Waffendelikt verwirklicht worden wäre oder etwa bei Mord alle unmittelbaren Vorbe­ reitungshandlungen allgemein unter Strafe gestellt würden. Nun kann man ja zu diesem unbefriedigenden Ergebnis vielleicht folgendes sagen: Dieser Mann, der den Gehilfenbrief abschickt und dann alles Übrige dem Haupttäter überläßt, ohne sich noch um etwas zu bekümmern, zeigt schon einen starken verbreche­ rischen Willen und ist deshalb strafwürdiger als der Haupttäter, der mit seiner Tätigkeit im Vorbereitungsstadium aufhört. Aber dieser Einwand trifft nicht bei denjenigen Fällen zu, bei denen der Haupt­ täter gegen seinen Willen im Vorbereitungsstadium steckenbleibt, weil er etwa aus irgendeinem anderen Grunde verhaftet wird. Auch in diesem Falle liegt bei dem Haupttäter eine straflose Vorbereitungshandlung vor, während die versuchte Beihilfe strafbar sein würde. Das würde eine Konsequenz des weiten Täterbegriffs sein, die nur schwer zu ertragen wäre. Die zweite Konsequenz des weiten Täterbegrifss in reiner Form bezieht sich aus die Schuldseite. Wir haben viele Delikte, die etwas Besonderes bezüglich der Schuld insoweit verlangen, als sie absichtliches oder böswilliges Handeln usw. zur Voraussetzung der Bestrafung machen. Wenn man davon ausgeht, daß Teilnahme und Täterschaft völlig gleich zu behandeln sind, so muß man konsequenterweise auch sagen, daß der Anstifter und der Gehilfe ebenfalls die besonderen Erfordernisse der subjektiven Seite des Tatbestandes erfüllen müssen. D as würde aber die Strafbarkeit gegenüber dem geltenden Recht in unerträglicher Weise einschränken. Tenn im geltenden Recht ist es doch so, daß der Anstifter und Gehilfe nur vorsätzlich zu handeln hat und daß besondere Schulderfordernisse der einzelnen Tatbestände allein von dem Haupttäter zu erfüllen sind. Diese beiden Hauptbedenken haben mich seinerzeit zu dem Vorschlag veranlaßt, den weiten Täterbegrisf in etwas zu mildern und dabei von folgender Grund­ lage auszugehen: S trafbar ist nur diejenige Be­

tätigung, die dem Beginn oder der Vollendung einer Haupttat kausal ist. Dieser engere Ausgangspunkt würde die genannten Schwierigkeiten beseitigen. E r würde allerdings — darüber sann kein Zweifel herrschen — eine natürliche Akzessorietät wieder zu­ lasten. Wenn man hiervon ausgeht, so würde etwa die Formulierung eines Dachtatbestandes folgendermaßen lauten: Eine S traftat begeht, wer schuldhast sie vollendet oder beginnt oder zu ihrer Vollendung oder ihrem Beginne beiträgt. Diese Formulierung würde allerdings ein Be­ denken hervorrufen, und zwar hinsichtlich der Schuld­ seite. Der Täter kann vorsätzlich oder fahrlässig handeln. Kann man aber auch eine fahrlässige T eil­ nahme als solche unter Strafe stellen? Sonst müßte man hier wieder eine Differenzierung machen und wie im geltenden Recht nur die vorsätzliche Anstiftung und die vorsätzliche Beihilfe bestrafen. Handelt der Anstifter oder Gehilfe fahrlässig, so würde, wenn im Einzelfall ein Fahrlästigkeitstatbestand gegeben ist, fahrlässige Täterschaft vorliegen. Dieses Bedenken besteht bei meiner Formulierung. M an würde es da­ durch ausräumen, wenn man das Wort „vorsätzlich" dem „beiträgt" hinzufügt. Hiergegen besteht aber ein gewisses anderes Bedenken. Wenn wir sagen: „Wer vorsätzlich zur Vollendung einer S traftat beiträgt", so würde in Zukunft die vorsätzliche Anstiftung zu einer sahrlästigen T at nicht mehr mittelbare Täterschaft sein, sondern würde zur Teilnahmesorm herunter­ sinken. Ich glaube allerdings, daß man dies vielleicht tragen könnte. Wenn man von einem solchen Täterbegrisf aus­ geht, so drängt sich einem allerdings die Frage auf, ob denn nun noch wirklich ein wesentlicher Unter­ schied gegenüber dem engen Täterbegrisf besteht, denn es ist nicht zu verkennen, daß eine solche Fassung des Täterbegriffs ganz erheblich an den engen T äter­ begrisf heranrückt. Ich möchte aber trotzdem glauben, daß es erwünscht ist, von einem Dachtatbestand dieser Art auszugehen, in dem grundsätzlich eine Wertgleich­ heit aller Täterschaftsformell anerkannt wird, brntn aber gewisse Ausnahmen gemacht werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Aus diesem Überblick sollte auch die Meinung des Herrn Mitreserenten ersichtlich sein; zugleich sollten die Bedenken zum Ausdruck kommen, die gegen die Thieracksche Fassung geltend gemacht worden sind. Ich möchte noch einmal, bevor wir in eine A us­ sprache über diese Fragen eintreten, einen ganz kurzen Überblick über die Entwicklung dieses Problems geben, wie sie sich in der Kommission abgespielt hat. W ir hatten zunächst das geltende Recht vor uns, das zwischen der Täterschaft und den echten Teilnahme­ formen unterscheidet. Unter dem Eindruck der preußi­ schen Denkschrift war dann aber der Gedanke lebendig geworden, diese echten Teilnahmeformen nicht mehr als solche von der Täterschaft zu trennen, sondern aus ein System einer allgemeinen Mitwirkung abzu-

kommen, wie wir das in einigen ausländischen Rechten vorgebildet gesehen haben: Mitwirkung bei der Begehung einer S traftat. Hier spielt dann das Versuchsproblem hinein, das wir aber bei der Erörte­ rung der Frage der Täterschaft zunächst einmal aus­ scheiden können. M an war also davon ausgegangen, von An­ stiftung und Beihilfe zunächst überhaupt nicht zu sprechen. Die Worte haben einen gewissen Horror erzeugt als Erinnerung an das frühere Strafrecht. M an wollte diese beiden Begriffe und Worte über­ haupt nicht im Gesetz enthalten sehen. Demgegenüber hat sich die Meinung offenbart: Anstiftung und Bei­ hilfe seien doch Lebensvorgänge, die einfach da und auch ganz volkstümlich seien; man könne daS nicht dadurch wegdiskutieren, daß man im Gesetz diese Worte unterdrücke. Die nächste Phase war die, daß man Anstiftung und Beihilfe genannt hat, aber nicht als selbständige, mit besonderen Formen ausgezeichnete Begriffe, sondern bloß als Formen einer Mitwirkung, indem man Anstiftung, Beihilfe und alle Arten der T äter­ schaft in einen Topf geworfen hat. Dabei hat sich aber ergeben, daß man praktisch zu gewissen Konsequenzen kommt, die zweifellos nicht Gesetz werden können. Dies bezieht sich einmal auf die Fälle der erfolglosen Anstiftung und der erfolglosen Beihilfe. Hier gibt es nach einer Reihe von Beispielen Grenzfälle, die selbst die schärfsten Vertreter des Willensstrafrechts straflos lassen wollen. Die erfolglose Anstiftung haben wir auch bisher in einem besonderen Straftatbestand zu regeln versucht — Aufforderung, Anerbieten zum Ver­ brechen — und damit eigentlich zum Ausdruck ge­ bracht, daß wir sie nicht schlechthin in den Bereich der Strafbarkeit ziehen wollen. Es haben sich ferner Schwierigkeiten ergeben bei der Erörterung der Schuldsrage. M an hat sehr deut­ lich erkannt, daß eine fahrlässige Beihilfe zu einem Diebstahl doch kaum strafbar sein kann, wenn der fahrlässige Diebstahl als solcher keine strafbare Hand­ lung ist. Und so hat sich bei dem Durchsprechen dieses Obersatzes ergeben, daß er ohne gewisse Ein­ schränkungen voraussichtlich nicht geltendes Recht werden kann. Augenblicklich stehen sich nun, wie sich aus der Aussprache ergeben hat, zwei Meinungen ziemlich stark gegenüber. Die eine hält an dem extensiven Täterbegriff fest. D as ist die Auffaffung Grau und auch die Auffassung der Abteilung des Hauses. Diese Auffaffung sagt: W ir müssen aber, wenn wir den extensiven Täterbegriff im Gesetz haben wollen, gewisse Einschränkungen machen, um nicht die S tra f­ barkeit in einer unmöglichen Weise auszudehnen. Die andere Gruppe der Meinungen geht davon aus, man solle den extensiven Täterbegriff gewisser­ maßen als Dachbestimmung, als Obersatz überhaupt nicht in das Gesetz aufnehmen, sondern die echten Formen der Teilnahme, nämlich Anstiftung und Bei­ hilfe, besonders regeln, wobei man die streng ge­ bundene Akzessorietät des geltenden Rechts allerdings ausgeben müsse.

D as ist nun augenblicklich der Stand der Debatte. E s wäre sehr erwünscht, wenn wir über diese grund­ sätzliche Frage zu irgendeiner Stellung in der Kom­ mission gelangen würden. Ich persönlich möchte der Meinung Ausdruck geben, daß ein ganz allgemeiner Mitwirkungsbegrisf, der den Strafrahmen der Hau.pttat aus jeden Mitwirkenden ausdehnt ohne Rücksicht auf die Schuldform, in keinem ausländischen Recht vorhanden ist; im norwegischen Recht, das in dieser Beziehung am weitesten geht, hat sich aus dem Ver­ such, diesen allgemeinen Mitwirkungsbegriff für die Strafbarkeit aufzustellen, ein Zustand ergeben, den ich für meine Person nicht als klar empfinden kann. Ich wäre dankbar, wenn auch das in den Bereich der Debatte gezogen würde. Staatssekretär Dr. Freister: Herr Minister! Ich möchte Ihrem Wunsche Rech­ nung tragen und über den von uns zugrunde zu legenden Täterbegriff sprechen, gleichzeitig aber auch Ihrem weiteren Wunsche Rechnung tragen, den Sie zu Beginn der zweiten Lesung und schon während der ersten Lesung betont haben, besonders auch auf den Zusammenhang der Dinge zu achten. Deshalb ist es m. E. nicht ganz möglich, jetzt über den Täterbegriff allein und über die Auswirkungen dieses Täter­ begriffs zu sprechen, ohne dabei auch an bestimmte andere Dinge zu denken. Es scheint mir, um die Auswirkungen des Ganzen, das wir schaffen wollen, zu erkennen, erforderlich zu sein, auch etwas überzugreifen aus das Beginnen der Handlung oder den Versuch. Ferner wird zu der Frage der Strafrahmen und vor allem der unteren Strafrahmenbegrenzung Stellung zu nehmen sein. D rittens ist die Frage zu erörtern, die nun allerdings zu dem Täterbegriff unmittelbar gehört, nämlich der akzessorischen Natur der Beihilfe und der Anstiftung. M ir scheint, daß man das alles in einem gewissen Zusammenhange betrachten muß, damit nicht im E r­ gebnis Vernunft Unsinn wird. Ich möchte dabei von etwas mehr Äußerlichem ausgehen, von den Strafrahmen. W ir haben in der ersten Lesung Strafrahm en gebildet, die keine oder fast keine Grenze nach unten haben, soweit diese untere Begrenzung nicht gleichzeitig die Begrenzung einer bestimmten S trafart ist. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir da nur e i n e untere Begrenzung, nämlich die von 6 Monaten Gefängnis; sonst fallen unsere Strafrahmengrenzen immer mit den Strafartgrenzen zusammen. W ir sind bei der Debatte der ersten Lesung naturgemäß immer wieder darauf ge­ stoßen, daß — insbesondere, wenn man den Versuch der Vollendung gleich behandeln will und man dem Richter die Aufgabe geben will, aus der Tatsache, daß die Handlung im Versuch steckengeblieben ist, in geeigneten Fällen aus eine geringere Schuld zu schließen — man dann in den Strafrahmen nach unten einen weiten Spielraum lassen muß. Die Ge­ fahr, die darin liegt, haben wir aber in der ersten Lesung in keinem Augenblick außer Acht gelassen; viel­ mehr haben wir uns vorgenommen, bei der Zu-

sarnrnenschau der Dinge in der zweiten Lesung darauf zurückzukommen. Ich glaube nun, daß wir uns jetzt entschließen müssen, die Begrenzung der Strafrahm en nach unten nach dem praktischen Bedürfnis vorzunehmen. Das heißt für die heutige Debatte, daß wir nicht etwa die jetzige große Weite der Strafrahm en als ein Dogma für uns betrachten dürfen und die Themen, die wir jetzt hier behandeln, nicht danach ausrichten dürfen, wie wir in der ersten Lesung die Strafrahmen ge­ bildet haben. Infolgedessen dürfen Konsequenzen, die sich aus dieser Art der Strafrahmenbildung ergeben könnten, nicht als Argumente für diese oder jene Lösung der Frage, um die es sich hier handelt, heran­ gezogen werden. Vielmehr müssen wir die grundsätz­ lichen Fragen, um die es sich jetzt hier handelt, zu­ nächst lösen und dann die Strafrahm en so bilden, wie es nach Lösung dieser Fragen notwendig ist. Und nun ein anderes. Die Frage, ob der Täter­ begriff weiter oder weniger weit gespannt werden soll, kann m. E. für uns ebenfalls keine Dogmenfrage sein. Denn auch das ist ja kein Glaubenssatz, daß der Täterbegriff so oder so wäre. Glaubenssatz scheint mir in dieser Hinsicht nur zu sein, daß wir den Willen bestrafen, der sich betätigt hat, um der Schuld willen, die dieser Wille oder W illensträger auf sich geladen hat. D as allerdings ist ein Glaubenssatz, und das ist das, was wir unter Willensstrafrecht nach dieser Seite hin verstehen. E s fragt sich nun, ob es richtig ist, wenn wir diesen Satz im Gesetz durchführen wollen, einen ausgedehnteren Täterbegriss zu formen oder einen weniger ausgedehnten. Dabei kommt praktisch nur in Frage, entweder einen bis einschließlich der Anstiftung und Beihilfe ausgedehnten Täterbegriff zu bilden oder einen Täterbegriff zu schaffen, der alles andere umfaßt, aber nicht die Beihilfe und Anstiftung. Die unbedingte Folge dieses Glaubenssatzes ist es aber, unter keinen Umständen zu dem Ergebnis zu gelangen, daß jemand wegen der Schuld eines anderen bestraft wird. D as bedeutet für mich, daß wir keinenfalls zu einer akzessorischen Natur einer Mitwirkungshandlung kommen können. Denn das scheint mir nun allerdings unmöglich zu sein, daß sich etwa folgender Fall abspielen kann: Der Freund aus Australien schreibt seinem Freunde hier in Deutsch­ land, er habe dort einen Feind, den er erschießen wolle, er könne in unauffälliger Weise eine Waffe nicht beschaffen, deshalb solle der Freund unter anderer Deklarierung ihm eine Pistole schicken. Wenn nun der Freund in Deutschland diese Pistole abschickt, dann ist das ein Beihilfefall, wie er im Buche steht. Jetzt ist nun nicht der geringste Anlaß vorhanden, mit der Beurteilung der T at dieses Mannes in Deutsch­ land auch nur eine Minute noch zu warten. Wenn wir nun an der akzessorischen N atur der Beihilfe fest­ hielten, dann müßte der Richter zwei Urteile machen, eins, in dem stände, daß der T äter wegen Beihilfe zum Morde zu einem J a h r Gefängnis verurteilt werde; und ein zweites, worin stände, daß der Täter freigesprochen werde. D as eine Urteil würde in die eine Schublade, das andere in die andere Schublade

zu legen sein, und es wäre eine Anweisung an die Geschäftsstelle zu geben: Wartet ab, bis das Tele­ gramm aus Australien kommt, worin steht, was der Täter drüben getan hat; dann holt das eine oder das andere Urteil aus der Schublade. D as würde die Folgerung aus der akzessorischen N atur der Beihilfe sein. Da bin ich nun der Meinung, daß es ein Glaubenssatz ist, daß wir unter keinen Umständen dazu kommen dürfen, jemand zu bestrafen oder nicht zu bestrafen, je nach dem, wie ein anderer handelt oder welche Willensentschlüsse ein anderer faßt. Des­ halb ist es eine unmittelbare Folge aus einer unver­ äußerlichen Grundauffassung, daß wir nicht die akzessorische N atur der Anstiftung oder Beihilfe in unser künftiges Gesetz aufnehmen. M an könnte nun erwidern, dann käme man dazu, eine Anstiftung zu bestrafen, obgleich nichts geschehen ist, was gefährdet hat, oder man käme dazu, eine Beihilfehandlung zu bestrafen, die sehr entfernt liegen kann und gar nicht vollendet gewesen zu sein braucht. Um dies nötigen­ falls zu vermeiden, müssen wir andere Wege finden; und diese anderen Wege gibt es ja nun auch in Hülle und Fülle. Von genau denselben Gedanken müssen wir auch ausgehen bei der Ausstellung des Versuchsbegriffs, also bei der Ausstellung der Grenzlinie zwischen dem, was wir strafrechtlich nicht beachten wollen, und dem, was wir bestrafen wollen. Da schien es mir bei der Debatte manchmal so, als ob eine rein subjektivistische Formulierung des Versuchs ein Glaubenssatz sei, weil wir eben für das Willensstrafrecht sind. D as ist aber nicht der Fall. W ir haben das Willensstrafrecht nur aufgebaut, weil wir der Meinung find, daß der Gegner, den wir bekämpfen und angreifen müssen, der Wille ist, der sich betätigt hat. Deshalb haben wir auch dem Vorsatzbegriff einen ganz anderen In h a lt gegeben. Aber von vornherein waren wir uns darüber klar, daß es doch nicht der Wille an sich ist, sondern der Wille, der sich betätigt hat, den wir fassen wollen. Deshalb bin ich der Meinung, daß, wenn wir den Beginn einer S traftat festlegen wollen, man natürlich verschiedener Ansicht darüber sein kann, wie weit man gehen oder wie wenig weit man gehen will, daß aber außerhalb aller Diskussionen gerade infolge unserer Grundeinstellung stehen muß, daß nicht der Wille an sich strafbar ist, sondern daß dazu etwas gehört, was den Willen in die Welt der T at­ sachen gesetzt hat. Es liegen uns nun einige Fassungen für den Beginn einer S traftat vor. Außerdem ist noch eine weitere Fassung angefertigt worden, die aber nicht mit umgedruckt ist. Sie lautet: „Eine S traftat begeht auch, wer den Entschluß, sie zu vollenden, durch Hand­ lungen betätigt, durch die er die T at beginnen oder unmittelbar vorbereiten will". Und dann könnte man noch den polnischen Entwurf vom Jah re 1920 hinzu­ nehmen: „Vornahme einer Handlung, welche die Ab­ sicht, eine S traftat zu begehen, in unzweideutiger Weise erkennen läßt"; ferner die italienische Regelung vom Jahre 1930: „Wer geeignete Handlungen begeht,

die unzweideutig aus dieBegehung abzielen". D as sind alles Versuche der Ausstellung einer Grenzlinie, von wo ab die Handlung in die Sphäre dessen eintritt, was die Strafrechtspflege interessiert. Endlich haben wir einen Versuch, eine Definition vorzunehmen, die alles Objektive, alle Handlungen einer selbständigen Bedeutung völlig entkleidet. D as ist nämlich der nicht zum Umdruck gebrachte Entwurf, der lediglich sagt: „Eine S traftat begeht auch, wer den Entschluß, sie zu vollenden, durch Handlungen betätigt, durch die er die T at nach dem Sachverhalt, den er sich vorstellt, beginnen oder unmittelbar vorbereiten will". Da hat also die Handlung als solche überhaupt keine selb­ ständige Bedeutung mehr. S ie ist nur und ausschließ­ lich Erkenntnisquelle für den Willen. Von da aus könnte man nun die anderen Formulierungen gerade­ zu in eine Reihe gruppieren und käme zum Schluß zu der italienischen Lösung als der, die nun freilich nicht das Extrem auf der anderen Seite darstellt, die aber die von der Willenseinstellung des Täters los­ gelöste Betrachtung der Handlungen ganz selbständig durchgeführt wissen will. Niemals, glaube ich, sind wir auf den Gedanken gekommen, daß wir infolge des Willensstrasrechts ge­ zwungen wären, der Handlung einzig und allein als Erkenntnisquelle des Willens des Täters Bedeutung beizumessen. D as wäre ein Willensstrasrecht, das nicht u n s e r Strafrecht ist; denn das würde dazu führen müssen, daß wir schon den gefaßten Entschluß be­ strafen, auch wenn er überhaupt nicht zu Handlungen gediehen ist, wenn es uns nämlich gelingt, ihn in anderer Weise als auf Grund von Handlungen zu erkennen. D as haben wir nie gewollt, weil wir auch der Handlung eine selbständige Bedeutung zuerkannt wissen wollten, und zwar ist das während unserer gesamten Debatte in der ersten Lesung zum Ausdruck gekommen. D araus folgt, daß wir den Begriff des Beginns einer S traftat so aufbauen müssen, daß wir in diesem Begriff auch der Handlung selbständige Bedeutung geben; selbständig, d. h. eine Bedeutung, losgelöst von der Funktion, die sie natürlich auch hat, nämlich Erkenntnisquelle für den Willen zu sein. Damit ist ja noch nicht die Frage behandelt — und die will ich auch jetzt nicht behandeln — , ob es notwendig ist, die Begriffsbestimmung im Gesetz ausdrücklich zu bringen. Klar werden müssen wir uns aber darüber, und wenn wir uns selbst klar geworden sind, dann erst können wir prüfen, ob wir das, worüber wir klar geworden sind, auch ausdrücklich in das Gesetz aufnehmen wollen. Es folgt also gerade aus unserer Grundeinstellung zwingend, daß wir das Beginnen einer S traftat an folgende notwendigerweise nebeneinander bestehende Voraussetzungen knüpfen müssen: 1. an einen ernsten Ausführungswillen des Täters, den man auch aus seinen Handlungen, aber auch sonstwie erkennen kann; denn wo der nicht da ist, da beginnt keine S traftat, die uns interessiert; 2. aus Taten und Handlungen, die da sind und die eine Bedeutung haben, auch losgelöst von ihrer

Funktion, Erkenntnisquelle für das Vorhanden­ sein der Ernsthaftigkeit des Willens zu sein. Wenn man das so aufbaut, dann kann man meines Erachtens nicht sagen, daß man das Willens­ strafrecht verrät. M an kann auch nicht sagen, daß man dann dem Grade der objektiven äußeren Voll­ endung, der Fertigstellung der Handlung gegenüber dem Willen eine zu große Bedeutung beimißt. Denn diese Frage der Abwägung der Bedeutung einerseits des Willens und andererseits des Grades des F o rt­ geschrittenseins einer äußeren Handlung kann über­ haupt nicht gestellt werden, weil wir uns klar sind, daß beides da sein muß, und weil beides auf so ver­ schiedener Ebene steht, daß eine Relation von beidem nicht vorhanden ist, soweit eben nicht der Grad des Fortgeschrittenseins der äußeren Handlung die Funk­ tion der Erkenntnisquelle des Willens hat. M it dieser Ausnahme, die ich absichtlich ausgeschaltet habe, da ich diese zweite Funktion ja auch der Handlung beimesse, kann nicht die Frage auftauchen, ob ich aus Grund des Willensstrafrechts genötigt bin, das eine mehr und das andere weniger zu berücksichtigen. Es könnte nur die Frage aufgeworfen werden, ob das Willensstrafrecht mich zwingt, das eine überhaupt zu berücksichtigen. D as haben wir aber schon von allem Anfang an entschieden. Es bleibt daher lediglich noch die Frage, was wir an Vorgeschrittensein einer äußeren Handlung fordern, um eingreifen zu wollen: Wie wollen wir abgrenzen, ganz losgelöst von dem Willen? Da kann man nun sagen: Ich beginne überhaupt erst in dem Augenblick, mich für eine T at zu interessieren, in dem sie bis zur Vollendung fortgeschritten ist. Das wollen wir natürlich nicht tun. Oder man kann sagen: Ich interessiere mich schon dann für eine T at, wenn alle Tatbestandsmerkmale, die wir ausstellen und deren Verwirklichung vom T äter abhängt, bis aus eins ver­ wirklicht worden sind. Oder: Ich beginne dort mit der Strafbarkeit, wo eines dieser Tatbestandsmerk­ male, deren Verwirklichung vom Täter abhängt, von ihm verwirklicht ist. Oder ich kann sagen: Dort wo der Täter mindestens damit beginnt, eines dieser T a t­ bestandsmerkmale zu verwirklichen. Endlich kann ich sagen: wo er erst vorbereitet. D as sind die Grenz­ ziehungen, die ich innerhalb des Erfordernisses eines gewissen Fortgeschrittenseins einer äußeren Handlung ziehen kann. Welche dieser Grenzziehungen nun zu wählen ist, das jetzt zu behandeln, würde meiner An­ sicht nach nicht richtig sein, weil das dann die Debatte aus der Beschränkung, die ihr gegeben ist, um weiter­ zukommen, herausziehen würde. Ich erwähne das hier nur, um mich dagegen zu wehren, daß die Aufnahme der Notwendigkeit, daß eine äußere Handlung bis zu einem gewissen Grade da ist und fortgeschritten ist, dem Willensstrafrecht widerspräche, und weiterhin, um darzutun, daß auch die Wahl der Grenzlinie unter denen, die ich da beispielsweise erwähnt habe, nicht unmittelbar bestimmt wird von dem Willensstraf­ recht, sondern im Grunde von einem Gerechtigkeits­ empfinden und daneben von einem Zweckmäßigkeits­ empfinden. Es ist nicht gerecht, das Kleinste und E nt­ fernteste heranzuziehen, und es ist nicht zweckmäßig,

dieses Kleinste und Entfernteste dem Volk als Mord aufzutischen; denn dann lacht das Volk, und zwar lachen alle mit Ausnahme desjenigen, der dann wegen Mordes verurteilt worden ist. D as sind also gewisse Gerechtigkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen, die wir maßgebend sein lassen müssen, wenn Sie, Herr Minister, nach Ihrem Plane die Frage der Abgren­ zung des Begehens einer Handlung zur Diskussion stellen. Ich gehe nun davon aus, daß wir eine Abgren­ zung wählen werden, in der wir nebeneinander den ernsten Willen, die T at auszuführen, verlangen werden, möglicherweise erkennbar an den schon ein­ geleiteten Ausführungshandlungen, möglicherweise nur an etwas anderem erkennbar, außerdem aber ein gewisses Fortgeschrittensein einer äußeren Handlung, eine gewisse Nähe auch der äußeren Handlung zur äußeren Tatvollendung. Wenn ich hiervon ausgehe, und zwar im Bewußtsein, damit keineswegs die Grundlage des neuen Strafrechts irgendwie ange­ tastet zu haben, dann kann ich zu der Frage kommen, ob ich den Täterbegrifs an sich weit oder enger fassen soll. Wenn jemand den Entschluß gefaßt hat, an einer T at mitzuwirken, und wenn die äußere Handlung, die dieser Entschluß gezeitigt hat, eine bestimmte äußere Vollendungsnähe erreicht hat, dann kann ich mich fragen, ob ich es für zweckmäßig halte, nun alle M it­ wirkungsarten zu einem Begriff zusammenzufassen. D as ist dann nämlich gar kein Glaubenssatz mehr, sondern eine Zweckmäßigkeitsfrage. Derjenige, der das bisher für unzweckmäßig gehalten hat, hat unter anderem darauf hingewiesen, man könne doch eine solche Beihilfe, wie sie in dem Schicken der Pistole oder gar in dem Kausen der Pistole hier in Deutsch­ land, um sie nach Australien zu schicken, liegt, nicht als Mord bestrafen. M an könne es eigentlich überhaupt nicht bestrafen, wenn nicht ein anderer irgendwie handelt, wenn also der andere mit seiner Handlung nicht mindestens bis zu einem bestimmten Grade — sagen wir einmal: bis zum Versuch des Mordes — gedeiht. Da sagte ich schon vorhin: D as ist unmöglich, diese Akzessorietät kann es nicht geben. Damit ent­ fällt aber auch dieses Argument vollkommen. Nun will ich die Frage von einer ganz anderen Seite anfassen. M ir ist gesagt worden, im Hinblick auf die norwegische Gesetzgebung habe man folgende Erwägungen angestellt: Wenn wir ein Schwurgericht hätten, etwa wie unser früheres Schwurgericht, dann müsse man an die Geschworenen die Frage richten: Hat der australische Schütze vorsätzlich und mit Über­ legung den M ann erschossen? D a werden die Ge­ schworenen sagen: J a . Zweitens die Frage: Hat der Deutsche, der die Pistole geschickt hat, den Mann ermordet? D a werden die Geschworenen sagen: Nein. Diese Fragestellung ist natürlich an sich falsch, denn das erste ist eine Tatsachenfrage, das zweite eine Rechtsfrage. Aber die Fragestellung ist bewußt so geschehen, um darzutun, daß das Volk das Schicken der Pistole anders auffaßt wie das Handeln des M örders in Australien. Deshalb wird der Ge­ schworene, wenn er vor diese Fragen gestellt wird,

immer sagen: Der Australier hat den M ann ermordet, der Deutsche hat ihn nicht ermordet. Da muß ich gestehen, und zwar entgegen Ausführungen, die ich früher gemacht habe, daß daran etwas Wahres ist. Es ist schon richtig, daß das Volk nicht sagen wird: Der M ann, der die Pistole hier in einem Geschäft kauft, um sie nach Australien zu schicken, hat den Australier ermordet. Es würde allerdings sagen: Der Mann hat dem anderen geholfen, ihn zu ermorden. Anders scheint es mir aber beim Anstifter zu sein. Bei dem Anstifter würde das Volk in diesem Falle sagen: D as ist ja überhaupt der Kerl, der schuld ist, und den wir packen müssen. Ich glaube nicht, daß das Volk einen S in n dafür haben wird, daß der Anstifter, also der, der den anderen erst auf den Gedanken ge­ bracht hat, der in ihm nicht nur den Entschluß aus­ gelöst hat, sondern ihn überhaupt erst daraus gebracht hat, darüber nachzudenken, anders behandelt werden soll als der Täter. Ich meine jetzt nicht das für den Anstifter endgültig auszuwerfende Strafmaß, sondern ich meine, daß der Anstifter vom Gesetzgeber nicht anders zu behandeln ist als derjenige, der schießt. Nun kann man aber sagen: Wenn aber der An­ stifter nicht an den rechten M ann kommt, wenn er an einen kommt, der sagt: „Ich denke gar nicht daran", dann wird doch das Volk ihn nicht ebenso behandelt wissen wollen wie einen Täter. M. E. wird nun das Volk für solche Fälle antworten: Dieser Täter, der mit seiner Anstiftung nicht an den rechten M ann ge­ kommen ist, ist genau so zu behandeln wie der, der selbst den Entschluß gefaßt hat, ihn aber nachher in einem gewissen Stadium nicht mehr durchgeführt hat. Und ähnlich ist auch der Gehilfe zu behandeln, dessen Tätigkeit erfolglos war. D arin liegt nun eine gewisse Verbindung zwischen der Anstiftung und der Beihilfe. Einem Gesichtspunkt kann ich nun eine gewisse Berechtigung nicht absprechen, nämlich dem, was Sie, Herr Minister, in die Worte gekleidet haben: D as Volk ist der Meinung, zum Mord gehört eine Leiche oder mindestens ein Schwerverwundeter, aber ein Mord liegt nicht vor, wenn nur eine Pistole verschickt worden ist. Dem müssen wir Rechnung tragen, und deshalb dürfen wir als Gesetzgeber nicht zu dem E r­ gebnis kommen, daß ein Täter als Mörder verurteilt werden muß, der erfolglos angestiftet oder geholfen hat. Es genügt also nicht, wenn wir die Möglichkeit geben, das Strafm aß für diesen „Mörder" geringer zu gestalten; denn nach der Ansicht des Volkes ist dieser „Mörder" kein Mörder. W ir dürfen ihn also überhaupt nicht als Mörder bestrafen. D as ist eine Form der Mitwirkung beim Morde, die wir nicht als Mord bestrafen können und dürfen, weil man sonst sagen würde: D as Volk versteht euch nicht. Vielleicht führt das dazu, die Beihilfe und Anstiftung aus der Mitwirkung herauszunehmen. Bei der erfolglosen Beihilfe würde auch vorzu­ sehen sein, daß von S trafe abgesehen werden kann. Denn es gibt Fälle, in denen das Volk sagen würde: Wenn doch gar nichts geschehen ist, dann lohnt es sich nicht, diese Sache überhaupt zu bestrafen; dann ist das eine Bagatelle. Daneben würde ich das Legali-

tatsprinzip insoweit durchbrechen. Solche Fälle würde ich dann der Nichtverfolgung durch die S taatsan w alt­ schaft anheimgeben. Denn sie ist die Stelle, die in der Lage ist, an Hand des Sonderfalles zu prüfen, ob es angemessen, richtig, gerecht und notwendig ist, den Fall überhaupt zu verfolgen. Wird er verfolgt, dann hat außerdem der Richter das Ausweichgleis, nicht bestrafen zu brauchen, wenn es sich nach seiner Ansicht um eine Lappalie handelt. Ich bin mir nun klar, daß ich keineswegs die Probleme, die noch im einzelnen in diesen Fragen stecken, behandelt habe. D as wollte ich auch gar nicht. Ich wollte nur versuchen, darzutun, daß es notwendig ist, unsere Auffassung vom Begehen einer Handlung mit anderen Fragen zusammenzuschauen und erst dann zu entscheiden, ob man den Mitwirkungsbegrifs ganz umfassend oder weniger umfassend ausstellen soll. Ich wollte ferner dartun, daß es bei diesen Fragen unver­ äußerliche Glaubenssätze und einige unmittelbare Folgerungen daraus gibt. Dazu gehört m. E. die Ablehnung irgendeiner akzessorischen N atur der An­ stiftung wie der Beihilfe. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as würde also dahin münden, daß man in den Täterbegriff folgende Formen hineinnimmt: Die Alleintäterschaft, die Mittäterschaft, die Anstiftung, aber nicht die Beihilfe. F ür die Beihilfe ist der Begriff der Mitwirkung vorbehalten, denn daß die Beihilfe eine Mitwirkung ist, ist doch wohl klar. Ich darf vielleicht für die Mitglieder, die neu in der Kommission sind, folgendes kurz sagen. Ich möchte den Lauf der Debatte über die Versuchssrage nicht, auch nur skizzenhaft, wiedergeben, weil das zu viel Zeit erfordern würde, sondern bloß den gegenwärtigen S tand darlegen. Eine Einigung der Meinungen besteht darüber, daß zum Versuch im alten Sinne gewisse V oraus­ setzungen notwendig sind: 1. der Wille des T äters, die T at zu begehen, 2. die Bekundung dieses Willens durch Handlungen. Der S treit geht darüber, welches Attribut man diesen Handlungen geben kann, damit sie geeignet sind, den Beginn der Strafbarkeit zu markieren. Darüber haben wir das letzte M al sehr lebhaft diskutiert. W ir haben von einer objektiven Prognose gesprochen, und dabei war der Gedanke der Rechtsgütergefährdung wieder aufgetaucht. Auf der anderen Seite hat man gesagt, es genüge, wenn die Handlungen den ernsten Willen deutlich erkennbar machen. Die ausländischen Beispiele sind zitiert worden. Ich möchte besonders auf das italienische Recht hinweisen, wo durch ein einziges Wort der ob­ jektive Akzent sehr viel stärker zum Ausdruck kommt, als wir ihn haben wollen: durch „geeignete" Hand­ lungen. D as können wir nicht übernehmen, weil wir sonst mit dem untauglichen Versuch in große Schwie­ rigkeiten geraten. Denn „geeignet" im italienischen Gesetzbuch ist objektiv gemeint als: „Handlungen, die, von außen her betrachtet, geeignet sind". D as würde einen sehr starken Rückschritt gegenüber unseren Be­ strebungen bedeuten, den relativ untauglichen Versuch

überhaupt dem Versuch gleichzustellen. D as ist der einzige Punkt, über den die Meinungen noch nicht so geklärt sind, daß man sich auf einen Satz oder ein Wort hat einigen können. I n der sichtbaren Welt der Erscheinungen können Handlungen vorliegen, und die Frage ist, wie solche Handlungen angesprochen werden müssen, damit sie den Anfangspunkt der Strafbarkeit bedeuten. D as ist der Stand der Versuchsdebatte. Ich habe nichts dagegen, wenn zu diesem Problem auch jetzt gesprochen wird. Der innere Zusammenhang ist ja vorhanden, obwohl ich die Id entität der beiden Fragen bestreite. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich will mich zunächst darauf beschränken auszu­ führen, ob ich es für notwendig oder auch nur für nützlich ansehen könne, daß die Täterschaft im Gesetz beschrieben wird und, wenn diese erste Frage bejaht wird, wie sie dann zu beschreiben sei. Bei meiner Stellung zu dieser Frage ergibt es sich mit Not­ wendigkeit aus meinem Amt, daß ich immer darauf achte, wie eine solche gesetzgeberische Maßnahme draußen bei den Gerichten wirkt, daß ich mich frage, ob sie damit einwandfrei arbeiten können. Ich muß mich also im Gegensatz zu manchen Ausführungen wissenschaftlicher Art, deren Gedanken mehr in das Große und Ganze frei hinaufgehen, immer dicht am Boden halten. Es wäre falsch, wenn ich mich von dieser Aufgabe lösen wollte, denn das, was hier ge­ schaffen werden soll, ist doch bestimmt, das Rüstzeug für den Richter zu geben; ich darf dabei anfügen: auch für manchen Richter, der nur zur durchschnittlichen Leistung befähigt ist, mit dem w ir etwas vorsichtig umgehen müssen, um ihn vor allzu häufigen und allzu ernsten Mißgriffen zu bewahren. Von dieser Auffassung aus, die nach meiner Meinung durchaus am Platze ist, beachte ich aber alles das, was in dem Vortrag des Herrn Staatssekretärs als ein Glaubenssatz des Willensstrafrechts aufgestellt worden ist. Auch ich denke so und sage so, daß es sich darum handelt, überall den bösen Willen des Ein­ zelnen nach dem M aß der Schuld, die in diesem Willen liegt, und in Rücksicht auf die Art zu erfassen, wie der böse Wille sich in die Wirklichkeit umgesetzt hat. Und ein Ferneres liegt mir ebenso am Herzen, wie es der Herr Staatssekretär eben zum Ausdruck gebracht hat: das sind Erwägungen der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit. J a , ich möchte sagen: Diese E r­ wägungen der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit treiben mich, den Richter, der die ganze Recht­ sprechung im allgemeinen überblickt, ganz besonders um. Und zu diesen Erwägungen der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit gehört doch das eine, was ich auch aus dem Vortrag des Herrn Staatssekretärs ent­ nehmen zu dürfen glaube: auf das allzu Kleine geht das Gesetz nicht zu, auch nicht auf das, was von der Wirklichkeit allzu weit entfernt geblieben ist. I m übrigen will ich bei dem, was ich jetzt aus­ führe, auch stets den nahen Zusammenhang im Auge behalten, der zwischen der Regelung von Täterschaft

s D as hat mit Notwendigkeit zur Folge, daß die und Teilnahme auf der einen Seite und von Vollen­ dung und Versuch auf der anderen Seite gegeben ist. Anstiftung hier hereingenommen wird, und nun zieht Nur möchte ’d) mir erlauben, mich im wesentlichen sich alles nach in eine enge Vorschrift, in der im zunächst auf die von mir an erster Stelle angerührte Leben durchaus Verschiedenes vermengt wird. Ich kann nur dringend davor warnen, zu viel zu ver­ Frage zu beschränken. Nun ist es doch so: in unserem geltenden Recht mengen. W as einem zunächst als Vereinfachung haben wir keine Beschreibung der Täterschaft, und ich erscheint, ist draußen in der Anwendung eine große glaube, wir haben unter diesem Mangel der Beschrei­ Erschwerung und wird nach meiner Überzeugung be­ bung in all den Jahrzehnten, in denen dieses Recht trächtliche Schäden nach sich ziehen. gegolten hat, niemals gelitten. Es ist mir schlechter­ Ich darf nun wieder dem Rechnung tragen, was dings unmöglich, aus meinem Amt draußen im Lande der Herr Staatssekretär ausgeführt hat: jeder soll oder beim Reichsgericht irgendeinen Fall zu erdenken, wegen seines bösen Willens nach seiner Schuld und bei dem gegen den Begriff der Täterschaft verstoßen der Art, wie sie in die Wirklichkeit herausgetreten ist, worden wäre. vom Strafgesetz erfaßt werden. Hier müssen wir doch F ü r das neue Recht kommt noch ein anderes hinzu. zweierlei berücksichtigen. W ir haben in unserem Es will den Richter durch die Vorschrift des § 346 geltenden Recht keinen Begriff der Täterschaft gehabt, freier stellen und ihn mit viel weitergehenden Aus­ und wir haben ihn nicht entbehrt. Aber wo er unzu­ gaben belasten, als es das geltende Recht tut. Das länglich war, da hat die Rechtsprechung des Reichs­ neue Recht — und das erachte ich im Grunde für die gerichts nachgeholfen, unterstützt von der Wiffenschaft, Dauer als einen großen Fortschritt — sagt dem und diese Nachhilfe ist nützlich ausgegangen und hat Richter: Nicht nur das ist Recht, was du im Gesetz den Erfolg gehabt, daß da, wo der schlichte Täterfindest, sondern auch das muß von dir als Recht be­ begriff nicht ausreicht, doch auch der als T äter zur folgt werden, was nur in der gesunden Anschauung des Verantwortung gezogen wurde, der, wie es hier in Volkes vom Recht gegeben ist und sich irgendwie als der ersten Form heißt, die T at nicht selbst ausführte, der tragende Gedanke eines Gesetzes erkennbar macht. sondern durch einen andern ausführen ließ. D as ist eine Erweiterung von ungeheurer Bedeutung. Diese Entwicklung ist etwas langsam gewesen. Wenn man die Aufgaben des Richters so, wie es Das gebe ich ohne weiteres zu. Aber sie ist jetzt aus hier vorgesehen ist, erweitert, dann hat man anderer­ eine Stufe emporgehoben, die uns die Gewähr dafür seits als Gesetzgeber triftigen Grund, nicht allzu viel gibt, daß derjenige, der den Schuldlose:! oder den in das Gesetz hineinzuschreiben, sondern der Recht­ minder Schuldigen vorsätzlich zu einer S traftat ver­ sprechung ihren freien Raum zu lassen. Die Recht­ anlaßt, als Täter unbedingt erfaßt wird. Dieses sprechung hat diesen freien Raum dringend nötig. Arbeiten mit der mittelbaren Täterschaft kann unbe­ Der Gesetzgeber kann eigentlich doch nur, ich möchte, denklich in das neue Recht übergehen, ohne daß das sagen, die Regelfälle bieten und schaffen, und die un­ Gesetz es nötig hat, sich hierüber auszusprechen. geheure Fülle und Mannigfaltigkeit des Lebens, die Bei diesen Dingen ist gerade die Freiheit förder­ an den Richter herantritt, zwingt ihn dazu und gibt lich. Sie gibt der Wissenschaft Gelegenheit, noch ihm das Recht dazu, einen solchen Regelfall auszu­ weiter mitzuarbeiten. Die Rechtsprechung in Rücksicht dehnen, was für ihn bestimmt ist, auch auf sonderbare aus die Wissenschaft geht hierin Stück um Stück mit seltene Ausnahmesälle anzuwenden. einer gewissen Vorsicht weiter; das wird nach meiner Nun habe ich in dem, was in den Entwürfen und Überzeugung gut wirken. I n einem andern hat auch den Anträgen vorkommt, gefunden, daß hier aus der die Rechtsprechung schon das beachtet, was das Ziel Empfindung heraus, man müsse den Täterbegriss des neuen Strafrechts als Willensstrasrecht sein soll. haben und im Gesetz fassen, in der Einleitung als die Ursprünglich hat es so geheißen: Wenn einer aus Grundlage gesagt wird: „Eine S traftat begeht, wer Vorsatz irgendeine strafbare Handlung begangen hat, sie vollendet", und an einer anderen Stelle: „Eine in der noch so viel an Beiträgen anderer steckt, die S traftat begeht, wer sie selbst ausführt". M an wird nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig geleistet zugeben: wenn man diese beiden Sätze nicht hätte, so werden, dann kommen wir nickt weiter, dann müssen wäre das kein Schaden; niemals würde irgendein wir das weglassen. D as Reichsgericht hat damit auf­ Richter fehlgreifen. Denn daß die S tra fta t begeht, geräumt. E s hat schließlich mit aller Strenge ausge­ wer sie vollendet, steht im Besonderen Teil, und daß sprochen: D a, wo die Fahrlässigkeit irgend jemandes die S traftat begeht, wer sie selbst ausführt, ist eine als eine Ursache für die Verwirklichung des rechts­ solche Selbstverständlichkeit, daß der Gesetzgeber widrigen Erfolges gesetzt wird, da wird er in dem keinen Grund hat, das auszusprechen. Rahmen, in dem überhaupt die fahrlässige T at im Aber wenn er es ausspricht, dann freilich zwingt Gesetz mit Strafe bedroht ist, als fahrlässiger T äter er sich allein schon durch diesen Ausspruch dazu, daß bestraft, gleichviel, ob in der weiteren Entwicklung er nun weitergeht und außer dem Täter, der die irgendwoanders in der Ursachenreihe sich nun die strafbare Handlung selbst ausführt, auch den ins vorsätzliche Handlung eines andern einfügt. Ich Auge faßt, der dies nicht tut, sondern einen andern glaube, gerade diese beiden Rechtsgebilde, die von der auf diese oder jene Weise heranzieht, den schuldlos Wissenschaft und Rechtsprechung ausgearbeitet worden oder den schuldhaft Handelnden. D ann wird die sind: mittelbare Täterschaft, Verantwortlichkeit des mittelbare Täterschaft vom Gesetz ersaßt. Fahrlässigen, und zwar unabhängig davon, ob sich

die vorsätzliche Handlung eines andern einschiebt, können ruhig belassen werden; sie werden dafür Sorge tragen, daß man nicht genötigt ist, denjenigen von Strafe frei zu lassen, dem ein Vorwurf in dieser Richtung gebührt. Sobald man aber anerkennt, daß es gut ist, hier einen freien Raum zu geben, hier nicht einzugreifen, nicht zu stören und zu hemmen, bleiben allerdings nur die echten Teilnahmeformen übrig: die Anstiftung und die Beihilfe. Nun hat sich der Herr Staatssekretär mit Nachdruck dagegen ausgesprochen, daß wir hier noch irgendeine Abhängigkeit von einer Haupttat anerkennen dürften. Dazu möchte ich folgendes sagen. Diese echten Teil­ nahmeformen, die nun einmal Lebensvorgänge und allgemein anerkannt sind, stehen in einer notwendigen Beziehung zu einer andern Tat. Das ist selbstver­ ständlich. S ie stehen nicht frei für sich da, sondern treten uns überhaupt nur entgegen, indem sie irgend­ wie mit einer andern T at verbunden sind. Es ist gewiß, daß diese Abhängigkeit zu eng gewesen ist und deshalb teilweise gelöst, durchbrochen, gemildert werden muß. Die Abhängigkeit von der Schuld kann man nicht mehr beibehalten; sie war ja, soweit es sich um die Anstiftung handelt, schon durch die mittelbare Täterschaft an sich beseitigt. Nur bei der Beihilfe macht sich noch eine gewisse Erschwerung geltend. Aber ich würde es für einen Fehler halten, wenn man aus diesem Gedankengang heraus für die echten Teil­ nahmeformen nun auch die Abhängigkeit von der T at und von der Rechtswidrigkeit der T at preisgeben wollte. M an muß vielmehr daran festhalten, daß die notwendige Beziehung zu einer rechtswidrigen T at gegeben ist. Ob nun diese rechtswidrige T at vollendet oder nur begonnen ist, ändert selbstverständlich nichts. Der Grundsatz, den ich hier ausspreche, hätte allerdings zunächst die Folge, daß die erfolglose An­ stiftung und die erfolglose Beihilfe im Allgemeinen Teil nicht mit Strafe bedroht werden. Ich gebe zu, daß hier irgendeine Abhilfe nottut, muß aber darauf aufmerksam machen, daß diese Abhilfe schon in weitem Umfang geltendes Recht ist. W ir haben schon jetzt das Unternehmen der Verleitung zum Meineid. D as ist erfolglose Anstiftung. Es braucht nichts mehr zu geschehen; der andere lehnt völlig ab, in ihm erwacht nicht einmal der Gedanke daran, daß er sich diesem Einfluß unterwerfen sollte. Die Strafdrohung gegen die erfolglose Anstiftung haben wir auch in anderen Bestimmungen, und es wird sicherlich am Platz sein, die erfolglose Anstiftung noch weiter mit Strafe zu bedrohen, wie das auch an irgendeiner Stelle im Entwurf schon vorgesehen ist. Ebenso ist es mit der erfolglosen Beihilfe. Auch da hat der Gesetzgeber schon jetzt Vorkehrungen ge­ troffen, soweit ein Bedürfnis vorliegt. Ich erinnere an die Vorschriften im geltenden Recht über das Bereithalten von Diebeswerkzeug. Es wird durchaus richtig sein, die erfolglose Beihilfe in gewissen Be­ stimmungen noch weiter auszudehnen. Aber das Gebundensein daran, daß die Haupttat vollendet oder begonnen ist, darf nach meiner Überzeugung nicht

allgemein aufgegeben werden, ohne daß Verwirrung und Schaden angerichtet wird. D as andere ist die Frage, welche Schuldform für die echten Teilnahmeformen zu erfordern sei. Hier müssen wir nach wie vor den Vorsatz verlangen. Dieses Verlangen zieht nicht die Gefahr nach sich, daß beim Anstiften irgend etwas, was wirklich strafwürdig ist, straffrei bleiben sollte. Denn die Rechtsprechung des Reichsgerichts geht ja dahin, daß dieser fahrlässige Tatbeitrag unter allen Umständen verantwortlich macht. Und was die Beihilfe anlangt, so würde es zu ganz ungerechten Ergebnissen führen, wenn man die fahrlässige Beihilfe unter die Strafe stellen wollte, die für die vorsätzliche Haupttat bestimmt ist, während doch die fahrlässige Selbstbegehung nicht strafbar ist. Ich habe vorhin Veranlassung genommen, ein einfaches Beispiel aus dem Leben anzuführen, daß eine Hausangestellte die Wohnungstür nicht ver­ schließt, obwohl die Hausfrau schon manchmal warnend ihr gegenüber ausgesprochen hat, sie möchte darin achtsam sein, und daß nachher, weil die Haus­ angestellte doch diese Fahrlässigkeit sich zu schulden kommen läßt, in dem Hause ein Diebstahl durch die offenstehende Wohnungstür begangen wird. Ich habe darauf hingewiesen, daß es der Gerechtigkeit, auf die der Herr Staatssekretär doch entscheidendes Gewicht legt, nicht entspricht, nun diese Hausangestellte wegen Beihilfe zum Diebstahl zur Verantwortung zu ziehen, was sie mit einem Makel belasten würde, der ihr immer anhaftet und sie in ihrer weiteren Laufbahn ganz erheblich schädigen kann. (Staatssekretär Dr. Freister: Das ist das stärkste Argument dafür, daß man die Beihilfe überhaupt nicht in bezug auf die Haupthand­ lung betrachten darf, sondern als selbständige Handlung!) — D as ist an sich richtig. W ir müssen aber doch vom Regelfall der vorsätzlichen Beihilfe ausgehen und können die Strafbarkeit des fahrlässigen Tatbeitrags nur da aufrechterhalten, wo die fahrlässige Tat unter Strafe gestellt ist, so, wie es die Rechtsprechung des Reichsgerichts immer getan hat. Bei dem, was sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Reichsgerichts ergibt, kann ich mir nicht denken, daß wir in einem Fall, der wirklich im ernsten Sinne strafwürdig wäre, wo es sich um Großes handeln würde, gehindert wären, nach dem bösen Willen des Täters und seiner Schuld einzugreifen. D as führt mich dazu, daß man im Grunde ge­ nommen von jeder Beschreibung der Täterschaft ab­ sehen und nicht das zu sehr vermengen soll, was sich im Leben stark unterscheidet. Wie es nun im einzelnen gehalten werden soll, ob es notwendig sein könnte, die Mittäterschaft über­ haupt noch zu beschreiben, oder ob man sie als eine Selbstverständlichkeit hinnehmen sollte, das ist eine Frage für sich. F ü r die Anstiftung und die Beihilfe möchte ich aber unbedingt dazu raten, daß hierfür das Erfordernis vorsätzlichen Handelns gelten soll und das Erfordernis, daß die Haupttat vollendet oder

begonnen wird, also die Verkettung mit der Begehung einer Haupttat und deren Rechtswidrigkeit. Was den Versuch anlangt, so haben wir beim Reichsgericht den vorliegenden Entwurf besprochen. D a ist uns manches aufgefallen, was uns bekümmert hat. Ich will zunächst davon absehen, hier meine eigene Ansicht kundzugeben; denn sie deckt sich nicht ganz mit der herrschenden Meinung des Reichsgerichts. Als wir den § 358 prüften, wie er hier vorliegt, haben wir in dem Absatz 2 das gefunden, was die Recht­ sprechung des Reichsgerichts ausgebildet hat. D a­ gegen will ich mich nicht verwahren. Allein, wenn man hier schon die Frage der milderen Bestrafung anschneidet, dann möchte ich das eine sagen: Will man für die Fälle des Absatzes 2 — es sind die, in denen der Täter sich nur irrig vorstellt, daß er den straf­ baren Tatbestand verwirkliche — die mildere Be­ strafung zulassen, dann muß man sie doch gewiß auch für die Fälle zulassen, in denen der Täter nicht zur Vollendung kommt, in denen die T at stecken bleibt und nicht bis an den Erfolg heranreicht. Denn der böse Wille, der maßgebend sein soll, ist im Falle des Absatzes 2 eher kräftiger als in dem des Absatzes 1. (Reichsjustizminister D r. G ärtner: Diesen Punkt bitte ich nicht zu vertiefen; denn nach dem gegenwärtigen S tand der Meinungen scheint mir eine große Neigung zu bestehen, diese fakultative Senkung des unteren S tra f­ rahmens ganz allgemein zuzulassen.) — Dann will ich mich auf den Begriff des Versuchs beschränken und dazu folgendes bemerken: Das Reichsgericht ist es gewesen, das den Versuch in das Innere verlegt und das Ausschlaggebende schließlich ganz in der Seele des T äters gefunden hat. D as ist nicht ohne Kämpfe geschehen. Gegen diese Auffassung haben sich beim Reichsgericht immer wieder Stimmen erhoben, die aber schließlich schweigen mußten. Allein, das Reichsgericht hat sich auf einem andern Boden dann doch wieder für die Entscheidung nach äußeren Merkmalen ausgesprochen, nämlich bei der Abgren­ zung zwischen Vorbereitung und Versuch. Ich möchte darum bitten, insoweit die äußere Lösung vorzuziehen. Regelmäßig bieten sich uns aus den Urteilen der Ge­ richte große Schwierigkeiten dar, die gerade mit der Lösung der inneren Frage zusammenhängen. Wenn in der Tatfrage gefehlt wird, so liegt der Fehler nach unserer Überzeugung in drei Vierteln der Fälle in der Beurteilung der Frage, was in der Seele des Täters vorgegangen ist, und nicht in der Beantwortung der Frage, was sich draußen in der Welt bet Wirklichkeit gezeigt hat. Wenn man die Schwierigkeiten bei der Lösung der inneren Frage betrachtet, dann wird man für Vorbereitung und Versuch eine Grenzziehung wünschen müssen, die äußerlich erkennbar ist und sich in ihrer äußerlichen Erkennbarkeit auch stark heraus­ hebt. Aber es ist nach meiner Meinung durchaus möglich, hierbei einen Schritt weiter zu gehen und etwa eine Ausdehnung in die Vorbereitung hinein vorzunehmen, nur muß sie mit einer gewissen Vor­ sicht gewählt werden, wie das in einem Vorschlag vorgesehen ist, der vorhin zum Vortrag kam, daß man

das unmittelbare Vorbereiten wählt. Grundsätzlich möchte ich aber dafür eintreten, hier die äußere Unterscheidung zu bevorzugen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich gehe von dem extensiven Täterschastsbegrisf aus. W ir sind ja alle mehr oder weniger Gegner der akzessorischen Natur der Teilnahme. Ich gebe zu, daß wir das Ziel, die Akzessorietät auszuschalten, auf ver­ schiedenen Wegen erreichen können, entweder dadurch, daß wir den extensiven Täterschaftsbegriss zugrunde legen und mit einigen Einschränkungen durchführen, oder so, daß wir es beim Alten lassen und die Akzes­ sorietät in einem besonderen Paragraphen noch stärker als in § 50 des geltenden S tG B , ausschließen. Ich sehe aber in dem Bekenntnis zu dem extensiven Täterschaftsbegriss etwas Grundsätzliches. D as neue Strafgesetzbuch sollte sich zu ihm bekennen aus dem Gesichtspunkt, daß jeder nur für seine eigene Schuld verantwortlich ist, also aus dem höchstpersönlichen Schuldprinzip heraus, daß niemandes Schuld davon abhängig sein kann, daß ein anderer sich schuldig macht. Nun zu den praktischen Bedenken gegen den erweiterten Täterbegriff in Verbindung mit der Gleichbestrafung von Versuch und Vollendung. W as zunächst die erfolglose Anstiftung betrifft, so haben wir uns auf den Standpunkt gestellt, daß § 364 des Entwurfs die Frage der Strafbarkeit der erfolglosen Anstiftung erschöpfend regelt. D as wäre eine lex specialis, und alle anderen erfolglosen An­ stiftungen würden bei dieser Fassung des Paragraphen unter den Tisch fallen. M it diesem Problem braucht man sich also, wenn man an § 364 festhält, praktisch gar nicht mehr befassen. Die andere Frage ist die der erfolglosen Beihilfe, der versuchten Beihilfe. Denn in der Frage der Bei­ hilfe zur vollendeten T at sehe ich gar kein Problem. Ich knüpfe hier an das Beispiel an, das vorhin gebildet wurde, von dem Mann, der aus Deutschland einem andern in Australien einen Revolver schickt zu dem Zweck und mit dem Erfolg, daß der Australier den Mord begeht. Wenn etwa auch der, der den Revolver schickt, ein eigenes Interesse an dem Mord, also nicht bloß den Ünterstützungswillen hat, dann würde schon nach heutigem Recht ein vollendeter Mord bei beiden vorliegen. Beide wären als M it­ täter zu bestrafen. Da würde es nach der herrschenden Meinung nicht zweifelhaft sein, daß ein Mord auch seitens desjenigen vorliegt, der bloß den Revolver abgeschickt hat. Nun könnte man sich sehr wohl auf den S tan d ­ punkt stellen, daß das bei der Beihilfe genau so ist. Herr Staatssekretär Freister will ja die Willens­ richtung nicht zum entscheidenden Kriterium zwischen Mittäterschaft und Beihilfe machen, wenn ich recht verstanden habe, und nur die Art und Weise der M it­ wirkung maßgebend sein lassen. D as liefe aber auf eine wesentliche Einengung des Gebiets der T äter­ strafe nach geltendem Recht bei Zugrundelegung der subjektiven Theorie des Reichsgerichts hinaus. Ich

meine, daß wir, ob wir nun der objektiven oder der subjektiven Theorie folgen, die Beihilfe aus dem all­ gemeinen Täterbegriff nicht herauslösen sollten, gerade wegen der Flüssigkeit der Grenze zum T äter­ schaftsbegriff und zum Mittäterschaftsbegrifs, einer Grenze, über die man sich seit Jahrzehnten den Kopf zerbrochen hat. Es ist ein großer Fortschritt der Reichsgerichtsrechtsprechung, daß sie sich nicht ange­ lehnt hat an die mehr oder weniger zufällige äußere Betätigungsart, sondern auf den Kern der Sache eingegangen ist und gefragt hat: Welchen Anteil hat der einzelne, der z. B. nur Aufpasserdienste getan hat, während der andere eingebrochen ist, an der Gesamt­ tat? I n welchem inneren Verhältnis steht er zu ihr? Erst auf diesem Wege gelangte man zur vollen Berück­ sichtigung der verbrecherischen Persönlichkeit. Der äußerlich nur Helfende ist vielleicht der Spiritus rector, das Haupt des ganzen Unternehmens. Es ist doch häufig so, daß eine schon schwer vorbestrafte Person, äußerlich betrachtet, im Hintergründe bleibt und einen jungen Novizen vorschickt, der scheinbar, äußerlich gesehen, der Haupttäter ist, im Jnnenverhältnis aber nur eine bescheidene Rolle spielt. Ich möchte an das erinnern, was in der vorigen Sitzungsperiode Herr Minister Thierack gesagt hat. D as steht im Widerspruch zu dem, was heute nach der Richtung gesagt worden ist, daß es nicht volkstümlich sei, jemanden, der nur an einer S traftat mitwirkt, in gleichem Maße zu bestrafen wie den, der die Aussührungshandlung selber begeht. Es ist damals das Beispiel gebildet worden, daß eine Ehefrau ihren Ehemann ermorden lassen will und sich von ihrem Freund dazu einen Revolver be­ schaffen läßt, daß die T at von einer dritten Person ausgeführt und der M ann ermordet wird. Da fragt das Volk — und das ist der Standpunkt des Herrn Ministers Thierack, dem ich völlig beitrete — : Wer hat alles mitgemacht bei der Sache? D a wird nicht etwa unterschieden, wer das getan hat und wer jenes getan hat, sondern da heißt es: Mitgefangen — mit­ gehangen. Alle sind mit gleichem Maß zu messen. D as ist eigentlich das, was wir wollen, so daß man sehr wohl auch im Gegenteil sagen kann: Volkstümlich ist es gerade, keinen Unterschied zu machen und alle mit dem gleichen Maß zu messen, wenigstens nach dem gleichen Strafrahmen, dem Täterstrafrahmen, zu beurteilen. Nun ergeben sich allerdings dann praktische Be­ denken, wenn die Haupttat — so wollen wir sie ein­ mal nennen vom heutigen Standpunkt aus — nicht zur Vollendung kommt. Es erhebt sich die Frage, ob der Freund, der den Revolver besorgt, wegen begon­ nener Mitwirkung, und zwar gleich wie ein Mörder zu bestrafen ist. D as wird bedenklich mit Rücksicht auf den Haupttäter, der, wenn der selber den Revolver angeschafft hätte und die T at nicht einmal versuchen würde, nach heutigem Recht straflos ausgehen würde; denn es würde sich bei ihm um eine straflose Vorbe­ reitungshandlung handeln. Wenn man auch künftig dabei bleiben würde, den M ann, der sich einen Re­ volver besorgt, um einen andern zu erschießen, über­

haupt straflos zu lassen, dann kann man natürlich den andern, der ihm einen Revolver besorgt hat, ohne daß es auch nur zum Beginn der Ausführung der T at gekommen ist, nicht bestrafen. D as wäre ganz unmöglich. Zur Vermeidung solcher Unstimmigkeiten sind nun verschiedene Vorschläge gemacht worden. Einmal der Vorschlag, die Beihilfe als selbständiges Gefährdungs­ delikt zu behandeln. Auf diesen Vorschlag brauche ich nicht weiter einzugehen, weil ich dazu stillschweigend schon Stellung genommen habe, indem ich dafür ein­ getreten bin, den Gehilfen zum verletzenden Taterfolg, und zwar direkt, in Beziehung zu setzen. Dann ist vorgeschlagen worden, das Legalitäts­ prinzip einzuschränken. Ich glaube zunächst, das würde kaum nötig sein. Denn solche Fälle, in denen jemand einen hernach gar nicht benutzten Revolver zum Zwecke eines hernach gar nicht begangenen oder auch nur versuchten Mordes besorgt hat, pflegen nicht zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden zu kommen. Aber zugegeben, daß diese Behörden mit einem solchen Fall auch einmal befaßt werden können, dann würde ich gerade hier, wo doch ein verbreche­ rischer Entschluß deutlich betätigt worden ist, eine Nichtverfolgung nicht für am Platze halten, eine Ein­ schränkung des Legalitätsprinzips also nicht empfehlen können. Ein Ausweg aus den Schwierigkeiten ist nach meiner Ansicht nur in der Weise möglich, daß man zunächst einmal den sogenannten Haupttäter, der sich selbst den Revolver beschafft hat oder durch einen andern hat beschaffen lasten, wegen Vorbereitung zum Morde unter Strafe stellt und daß man andererseits den andern, der ihm den Revolver beschafft, gleichfalls nur wegen vorbereitender Handlung bestraft, also keinesfalls wegen versuchter erfolgloser Beihilfe gar mit dem Tode. Soweit aber der Haupttäter, der sich etwa bloß ein Werkzeug für einen von ihm zu be­ gehenden Einbruch beschafft hat, straflos bleibt, kann auch der Gehilfe nicht bestraft werden. Will man die Sache nicht so regeln, müßte man auf den hier zu allererst gemachten Vorschlag zurückkommen, die Strafbarkeit des Mitwirkenden auf das Mitwirken an einer vollendeten oder wenigstens begonnenen T at zu beschränken. Der Gehilfe würde also nur dann strafbar sein, wenn der Haupttäter zum Versuch vor­ geschritten wäre oder die T at vollendet hätte. D as könnte man tun, aber ob das sehr befriedigend wäre, weiß ich nicht. (Zuruf: Dann haben wir die volle Akzestorietät!) Es ist weiter eine Einschränkung dahin vorge­ schlagen worden, daß nur die vorsätzliche Mitwirkung zur Vollendung oder zum Beginn bestraft werden soll. Ich muß offen sagen, daß ich selber noch nicht daran gedacht habe, daß eine Hausangestellte, die aus Versehen die T ür offengelaffen hat, durch die nachher der Dieb eingedrungen ist, bestraft werden kann. Ich gebe aber zu,'daß bei der weiten Fassung, die wir dem Mitwirkungsparagraphen gegeben haben, dieses Re­ sultat möglich wäre. Ich möchte mich grundsätzlich

auf den Standpunkt stellen, wie ihn auch Herr Reichs­ gerichtsrat Niethammer vertreten hat, daß die fahr­ lässige Teilnahnie nur dann strafbar ist, wenn das Delikt in der Form der Fahrlässigkeit überhaupt strafbar ist. Diebstahl ist als fahrlässiger aber nicht denkbar. Dann könnte also auch die fahrlässige M it­ wirkung zürn Diebstahl nicht bestraft werden. Das muß aber irgendwie sichergestellt werden, so daß ich empfehlen möchte, eine Klausel aufzunehmen, wonach die fahrlässige Mitwirkung nur dann bestraft wird, wenn die T at als fahrlässig begangene strafbar ist. Ich würde es aber in dem Fall, daß die T at als fahrlässige strafbar ist, nicht für angebracht halten, nur den vorsätzlichen Beitrag zur Vollendung unter Strafe zu stellen. Das wäre ein Rückschritt angesichts der Ausdehnung des Ursachenbegriffes in der Praxis des Reichsgerichts. Gegenüber dem Ehemann, der aus schuldhaftem Versehen das Gift stehen läßt, mit dem hernach seine Geliebte den Mord an der Ehefrau begeht, besteht ein praktisches Bedürfnis der Strafbar­ keit; das Reichsgericht hat hier meines Erachtens durchaus mit Recht wegen fahrlässiger Tötung bestraft. D as müssen wir aufrechterhalten. Das würde aber nicht geschehen, wenn wir nur von vorsätzlichem Beitrag oder Mitwirken zur Vollendung oder zum Beginn sprechen würden. Zur Frage des Versuchs, über die schon so viel gesprochen worden ist, möchte ich mich nicht näher auslasten. Ich glaube, daß der Gesichtspunkt, der heute in den Vordergrund gestellt worden ist, daß eben auch eine gewisse äußere Nähe zur Vollendung garantiert werden muß, in der Definition des Be­ ginns zur Geltung kommen muß, etwa in der Art, wie im italienischen Strafgesetzbuch, das von einem unzweideutigen Hinzielen der Handlung auf die Be­ gehung des Verbrechens spricht, oder in ähnlicher Weise. Allerdings hebt das italienische Strafrecht gleichzeitig aus die Geeignetheit der Handlung ab, was wir ja nicht wollen. Jedenfalls möchte ich nach wie vor dafür eintreten, daß eine Definition darüber aufgenommen wird, was wir unter Beginn verstehen. Es wäre sonst eine große Ungleichmäßigkeit der Recht­ sprechung zu befürchten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir begegnen immer wieder der Frage, wie die Vorbereitungshandluugen von dem Anfang der Aus­ führungen abgegrenzt werden sollen. Wir begegnen derselben Frage in einer etwas anderen Abwandlung bei der Diskussion über den Täterbegriff. Ich würde empfehlen, Beispiele, die diese Dinge veranschaulichen sollen, nicht immer gerade aus dem Mordsall zu nehmen, und zwar aus folgendem Grunde. Wenn wir beim Hochverrat, Meineid und bei der Münzfälschung Vorbcreitungshandlungen für strafbar erklären, so könnte das auch für den Mord verlangt werden, und ich könnte mir denken, daß man sagt: Wer einen Mord vorbereitet, soll überhaupt bestraft werden, ganz gleich, was er tut, was geschieht. Derjenige, der sich Plattenstiche verschafft, um Banknoten zu fälschen, wird auch bestraft, wenn nichts geschieht. Ich würde es für zweckmäßig halten, bei diesen allgemeinen

Erörterungen lieber Beispiele zu wählen, die 97% unserer allgemeinen Kriminalität ausmachen, also einfachen Diebstahl oder einfache Unterschlagung, weil dort der Wunsch, auch die entfernteste Vorbereitung strafbar zu machen, durchaus nicht so in die Erschei­ nung treten wird. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte nur zu der Frage der Täterschaft und Teilnahme sprechen. I n der bisherigen Diskussion sind drei Ansichten geäußert worden, die sich gegen­ überstehen. Die Ansicht Klee hält an dem umfassenden Begriff der Täterschaft fest, an einem Dachbegriff, der alles umfaßt, also auch die Anstiftung und Beihilfe. Herr Staatssekretär Freisler und Herr Reichsgerichts­ rat Niethammer schlagen vor, diesen umfassenden Täterbegriff aufzugeben. Herrn Staatssekretär Freisler schwebt ein Täterbegriff vor, der nicht nur unmittelbare und mittelbare Täterschaft umfaßt, sondern auch die Anstiftung, dem aber als unechte Teilnahmeform die Beihilfe gegenübersteht. Herr Reichsgerichtsrat Niethammer schließlich stellt den umfassenden Begriff der unmittelbaren und mittel­ baren Täterschaft und die beiden echten Teilnahme­ formen der Anstiftung und Beihilfe gegenüber. Alle drei Herren sind aber praktisch ungefähr zu demselben Ergebnis gekommen. Wenn man sich die Frage vorlegt, ob man an einem umfassenden oder weniger umfassenden Täter­ begriff festhalten soll, so wird dafür entscheidend sein müffen, ob wir die echten Teilnahmesormen der An­ stiftung und Beihilfe rechtlich genau so behandeln können wie die Formen der unmittelbaren und mittel­ baren Täterschaft. Können wir sie gleich behandeln, dann ist der umfassende Täterbegriff brauchbar und empfiehlt sich. Können wir sie aber nicht gleich be­ handeln, dann liegt es doch nahe, auch die begriffliche Scheidung zu machen. F ü r die Frage, ob wir sie gleich behandeln können, scheinen mir vier Gesichtspunkte in Betracht zu kommen, die der Prüfstein für diese drei Ansichten wären. Zunächst scheint mir ein Gesichtspunkt zu sein, ob wir uns mit der natürlichen Lebensanschauung in Einklang befinden, wenn wir die Begriffe zusammen­ werfen oder eine Unterscheidung machen. Der zweite Gesichtspunkt wäre, ob die Strafwürdigkeit in den vier Fällen die gleiche ist. Die dritte Frage wäre, ob die Täterschaftsformen und die echten Teilnahme­ formen in der Versuchssrage gleich behandelt werden können. Viertens wäre zu prüfen, ob sie bei den sogenannten Absichtsdelikten gleich behandelt werden können. An diesen vier Gesichtspunkten möchte ich ganz kurz die Frage untersuchen. W as zunächst die Beihilfe betrifft, so ist bereits mehrfach ausgeführt und von der Kommission auch schon anerkannt worden, daß der Satz 1 in seiner Ausdrucksweise die Beihilfe von der Täterschaft ab­ hebt. Dazu brauche ich weiter nichts zu sagen. Bezüglich der Strafwürdigkeit besteht auch schon Einhelligkeit darüber, daß sie für den Gehilfen

geringer ist als für den Täter. Dem ist auch schon in dem Beschluß der ersten Lesung Rechnung getragen. I n der Frage des Versuchs stehen sich die Ansichten etwas gegenüber. Herr Senatspräsident Klee hat geäußert, man könne den Versuch der Beihilfe nicht |o bestrafen wie den Versuch der Täterschaft, während Herr Staatssekretär Freister, wenn ich recht ver­ standen habe, der Ansicht ist, daß man den Versuch der Beihilfe grundsätzlich ebenso bestrafen müßte wie den Versuch der Täterschaft. E r sieht dann allerdings Milderungs- oder Abschwächungsmöglichkeiten aus prozessualem Wege durch die Einführung des Oppor­ tunitätsprinzips vor. Ich möchte glauben, daß man den Versuch der Beihilfe nicht anders behandeln kann als den Versuch der Täterschaft, und zwar deshalb nicht, weil wir alle Beihilsehandlungen berücksichtigen müssen, auch solche Handlungen, die, an dem Ver­ halten des T äters gemessen, lediglich Vorbereitungs­ handlungen sein würden, die wir also straflos lassen wollen. Der Ankauf eines Revolvers durch den Täter wäre eine reine Vorbereitungshandlung — ich will einmal bei diesem Fall bleiben — , die wir jedenfalls niemals als versuchten Mord bestrafen wollen. (Staatssekretär Dr. Freister: D as wissen wir noch gar nicht! — Professor Dr. Gras Gleispach: D as ist noch nicht sicher!) — Aber nach der ganz überwiegenden Meinung der Kommentare ist bisher immer daran festgehalten worden, daß beispielsweise die Anschaffung eines Buches, das über Gistmöglichkeiten orientiert, oder das Nachschlagen der Adressen im Adreßbuch, um eine geeignete Hebamme, die eventuell Abtreibungshand­ lungen vornehmen soll, zu finden, oder das Anschaffen dieses Adreßbuches noch keine versuchte Abtreibung ist. Bei Beihilfehandlung müssen wir dagegen dazu über­ gehen; sie umfassen auch reine Vorbereitungshand­ lungen. Derjenige, der als Gehilfe Vorbereitungs­ handlungen leistet, wird, wenn es zur T at kommt, unbedingt wegen Beihilfe zur T at bestraft. Also derjenige, der beispielsweise dieses Buch mit den Adressen der weisen Frauen derjenigen gibt, die dann zu der F rau hingeht und eine Abtreibung an sich vor­ nehmen läßt, wird und muß unbedingt wegen Beihilfe zur Abtreibung bestraft werden. E s ergibt sich also, daß die Frage des Versuchs bei der Beihilfe anders liegt als bei der Täterschaft, weil wir bei der Täterschaft mit dieser oder jener Definition die reinen Vorbereitungshandlungen, ent­ ferntere Vorbereitungshandlungen jedenfalls, aus der Bestrafung herauslassen wollen, während wir sie bei der Beihilfe, wenn es zur T at des Täters gekommen ist, dem Hilfe geleistet ist, nicht herauslassen können. Hier haben wir einen dritten Gesichtspunkt, der zeigt, daß sich die Beihilfe von der Täterschaft scheidet. Ich komme nun auf das Beispiel des Herrn Staatssekretär Freister. Ich glaube, daß derjenige, der dem Freunde den Revolver verschafft, ohne daß dieser später davon Gebrauch macht, nicht strafwürdig ist, wenn wir nicht den bestrafen wollen, der sich den Revolver selbst anschafft und nachher an der weiteren Ausführung durch Umstände behindert wird, die von

seinem Willen unabhängig sind. Z. B. wird der­ jenige, der sich den Revolver selbst verschafft hat, als­ bald nachher krank, oder er wird aus einem anderen Grunde in Haft genommen und kann nicht weiter handeln; dann findet man etwa bei ihm den Revolver. E r gibt zu: Ich habe das und das vorgehabt, bin aber daran durch meine Verhaftung gehindert worden. (Staatssekretär Dr. Freisler: Der Tell-Fall!) — Jaw ohl, wo Tell zugibt: Der zweite Pfeil galt dem Vogt! Wenn S ie den nicht schon wegen ver­ suchten Mordes bestrafen wollen, dann können Sie auch denjenigen nicht bestrafen, der nur versucht hat, Beihilfe zu leisten. (Staatssekretär Dr. Freisler: D as stimmt ja gar nicht; denn dieser Beihilfefall ist ganz anders. Der hat die Pistole gekauft und abge­ schickt! D as ist etwas ganz anderes.) — J a , und dann ist es durch zufällige Umstände nicht weiter gegangen. Genau so gut bei demjenigen, der selbst den Revolver kauft und dann verhindert wird! (Staatssekretär Dr. Freisler: Nein, der hat gekauft, hat geschossen, aber es hat versagt! Diese beiden Beispiele können S ie nicht nehmen, sie passen nicht zusammen.) — Nehmen Sie an, er kauft sich das Buch, in dem die Adressen stehen! (Staatssekretär Dr. Freisler: Nein, Sie müssen ein Beispiel wählen, bei dem außer dem Kauf noch etwas hinzukommt; denn hier ist das auch später hinzugekommen!) — Hier ist hinzugekommen das Mitnachhausenehmen! (Staatssekretär Dr. Freister: S ie müssen das Beispiel nehmen: Pistole selbst genommen, hingegangen an die hohle Gasse, wo das Opfer durchkommen soll, angelegt, da packt ihn ein Gendarm am Arm.) — Dieses Beispiel scheint mir nicht zu passen! Ich glaube dargetan zu haben, und stehe jedenfalls auch im Einklang mit dem, was Herr Senatspräsident Klee geäußert hat, daß hinsichtlich des Versuchs die Beihilfe nicht ebenso behandelt werden kann wie die Täterschaft. Nun komme ich zu dem vierten Prüfstein, zur Frage der Absichtsdelikte. Wenn beispielsweise das Dienstmädchen — ich will jetzt lieber auf das Dieb­ stahlsbeispiel zurückgreifen — , das sich an der Herr­ schaft rächen will, beim Tanz auf der Kirmes einem verwegenen Burschen, mit dem sie sich unterhält, den Tip gibt: „Der Herrschaft hätte ich gern einen Schabernack gespielt, wenn der das Silber genommen würde, wäre'es mir gerade recht", und darauf bricht dieser Geselle ein und stiehlt das Silber, wie wollen Sie den Fall behandeln? Ich möchte erst einmal bei der Beihilfe bleiben: S ie hat ihm einen Tip dafür gegeben. Wenn Sie jetzt die Beihilfe ganz selbständig als Täterschaftssorm behandeln, dann müßten S ie auch beim Dienstmädchen volle Tatbestandsmäßigkeit plus Rechtswidrigkeit plus dolus verlangen, das heißt beim Diebstahl auch die Absicht, die Sache sich oder einem andern zuzueignen. An dieser letzten Ab-

sicht fehlt es sicher. Daß wir wegen Beihilfe zum Diebstahl bestrafen wollen, scheint mir selbstverständ­ lich zu sein. Aber wir kommen dazu doch nur, indem wir eine gewisse Akzessorietät der Beihilfe zu der Handlung des andern anerkennen, indem die Absicht des Täters auch dem Gehilfen zugerechnet wird. Das scheint mir ganz klar zu sein. Natürlich kann man auch hier helfen. S ie wollen auch alle, daß diese Ab­ sicht des Täters dem Gehilfen zugerechnet wird. Dann brauchen wir, wenn wir den extensiven Täterbegrisf aufstellen, eine Erweiterung der Bestimmungen des § 363. W ir müssen sagen, daß dann, wenn eine be­ sondere Absicht verlangt wird, genügt, daß die Absicht bei dem und dem vorliegt. D as läßt sich natürlich machen. Ich möchte nur zeigen, daß wir hier wieder, wenn wir die Beihilfe einfach als eine Art der Täter­ schaftsform behandeln, eine besondere Bestimmung brauchen. Ich glaube zunächst für die Beihilfe gezeigt zu haben, daß sie jedenfalls in wichtigen Punkten mit der Täterschaft nicht gleichläuft und darum jedenfalls irgendwie eine besondere Behandlung verdient. Nun möchte ich dasselbe bei der Anstiftung prüfen, bei der sowohl .Herr Senatspräsident Klee wie auch Herr Staatssekretär Dr. Freister die Unterstellung unter den Täterschaftsbegrifs befürworten, was bisher auch die Anträge der Abteilung getan haben. Ich beginne mit der Frage der Strafwürdigkeit. Hier herrscht Einhelligkeit darüber, daß die Anstiftung gegenüber der Täterschaft keine Sonderbehandlung beanspruchen kann, daß der Anstifter gleich straf­ würdig ist wie der Täter. Der zweite Gesichtspunkt war, ob wir in der Ausdrucksweise des Lebens und des Volkes bleiben, wenn wir die Anstiftung mit in den Begriff des T äters aufgehen lassen. Da scheinen mir die Meinungen etwas auseinanderzugehen. Herr Staatssekretär Dr. Freister meint, es entspreche der Auffassung des Lebens, einfach den Anstifter als T äter zu bestrafen und gar nicht, auch nicht sprachlich, zu sondern, während Herr Reichsgerichtsrat Niet­ hammer die gegenteilige Ansicht geäußert hat. Ich möchte mich dieser Ansicht anschließen und glauben, daß das Wort „anstiften" nicht eine Erfindung der Juristen, sondern ein Ausspruch des Lebens ist und der Volkssprache doch näher liegt. Ich komme nun zu dem dritten Gesichtspunkt, der Frage des Versuchs, und möchte fragen: Steht hinsichtlich der Behandlung des Versuchs die Anstiftung der Täterschaft gleich, läßt sich also der Satz, daß wir beim Täter stets auch den Versuch wie die Vollendung erfassen wollen, auch auf den Anstifter in dem Sinne übertragen, daß wir auch den Versuch der Anstiftung, die nicht gelingt, der gelungenen Anstiftung gleichstellen? Auch da scheint mir Einhelligkeit zu sein, daß diese Gleich­ stellung nicht möglich ist. D as geltende Recht kennt sie grundsätzlich nicht; nur in dem ganz beschränkten Umfang des § 49 a war bei gewissen Verbrechen die Strafbarkeit anerkannt, aber auch nur dann, wenn die Aufforderung oder das Erbieten schriftlich oder gegen Entgelt erfolgt war. Die bisherigen Kommissionsbeschlüsse scheiden ebenfalls scharf und erkennen auch nur den Versuch der Anstiftung zu einem Verbrechen im engeren Sinne als strafbar an,

erklären im übrigen aber ausdrücklich die Straffrei­ heit. Wenn ich recht verstanden habe, wollen auch Herr Senatspräsident Klee und Herr Staatssekretär Dr. Freister dem Versuch der Anstiftung keineswegs dieselbe Behandlung zuteil werden lassen wie dem Versuch der Tat. (Staatssekretär Dr. Freister: Nein!) — S ie wollen auch Milderungsmöglichkeiten vor­ sehen, eventuell sogar von Strafen absehen, also auch hier das Opportunitätsprinzip?! (Staatssekretär Dr. Freister: Nein!) — Aber jedenfalls sind S ie den bisherigen Beschlüssen der ersten Lesung nicht entgegengetreten! (Staatssekretär Dr. Freister: Anstiftung ist dasselbe wie die T at!) — Ich komme nun aus den dritten Gesichtspunkt, die Frage der Absichtsdelikte. Ich brauche das Bei­ spiel nur zu variieren: D as Dienstmädchen sagt zu einem andern, um sich an der Herrschaft zu rächen: „Spiele du denen einen Schabernack, du kannst dir da was holen!" Ih re Absicht ist, der Herrschaft einen Schabernack zu spielen, sich da zu rächen. Die Zueig­ nungsabsicht für sich oder andere hat sie nicht. W ir müssen selbstverständlich bestrafen. D as gelingt aber nur durch eine Bestimmung, die ermöglicht, die Ab­ sicht des Täters dem Anstifter zuzurechnen. (Staatssekretär Dr. Freister: Es gelingt auch dadurch, daß wir den Diebstahl richtig aufbauen, nämlich nicht die Zueignungs­ absicht, sondern den Entfremdungsvorsatz verlangen. Aber das können wir jetzt nicht diskutieren.) — Herr Staatssekretär, ich habe jetzt einmal die bestehende Formulierung zugrundegelegt. W ir brauchen das Beispiel nur zu verändern, andere Delikte zu nehmen. Ich habe mir sagen lassen, daß wir immerhin 50 Absichtsdelikte haben. M an müßte sie alle darauf ansehen, ob wir sie umbauen können. Die Absicht, Schaden zuzufügen, ist etwas anderes als die eigennützige Absicht. Jedenfalls aber gibt es Koniplikationen. Danach scheint mir auch bezüglich der Anstiftung dargetan zu sein, daß mindestens beim Versuch und bei den Absichtsdelikten eine Sonder­ behandlung nötig ist. Wenn ich mir dieses Ergebnis vorhalte, dann frage ich mich, was wir dadurch gewinnen, daß wir einen Dachbegriff des extensiven Täterbegrifss schaffen und dann alsbald Scheidungen in der prak­ tischen Regelung zwischen der eigentlichen Täterschaft und den echten Teilnahmesormen machen müssen. Dann neige ich doch dazu, bei der schlichten Regelung zu bleiben, die das geltende Recht hat und die auch den Vorschlägen von Herrn Professor Kohlrausch ent­ spricht. (Professor Dr. Kohlrausch: Nein.) — S ie unterscheiden echte Teilnahmeformen und stellen sie den Täterformen gegenüber! Diese schlichte Regelung entspricht ferner den Vorschlägen von Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer, die dahin gehen, drei Tatbestände zu schaffen, Anstiftung, Beihilfe und end-

lich die Lockerung der Akzessorietät. Diese drei Be­ stimmungen genügen, ergänzt durch eine Bestimmung für die Fälle, in denen man die erfolglose Anstiftung bestrafen will. Ich möchte noch auf einen Ausweg eingehen, den Herr Senatspräsident Klee angedeutet hat, daß wir strafwürdige Fälle der versuchten Beihilfe eventuell durch die Bildung von Delikten sui generis, die Vorbereitungstaten darstellen, treffen könnten. M ir scheint auch der Weg schwierig zu sein. Ich möchte einmal einen Fall, in Betracht ziehen, in dem wir schon heute ein Vorbereitungsdelikt haben, also Vor­ bereitung bei Münzverbrechen. I n diesem Fall wird der Täter zweifellos bestraft, wenn er sich schon die Platten verschafft hat, entsprechend dem Beispiel mit dem Revolver beim Mord. Wenn wir jetzt den exten­ siven Täterbegrifs zugrundelegten, dann würden Sie denjenigen, von dem er die Platten leiht, wenn es zum Münzverbrechen kommt, selbstverständlich wegen Beihilfe zum Münzverbrechen bestrafen. Wenn es nicht dazu kommt und Sie nicht eine Sonderbestim­ mung auch für den Gehilfen schafften, würden Sie ihn doch eigentlich von Ihrem extensiven Täterbegriff aus als Gehilfen zum Münzverbrechen bestrafen, während S ie den Täter nur nach dem viel leichteren Delikt der Vorbereitung bestrafen müßten. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as will ich ausschließen!) — Dann sind also Sonderbestimmungen nötig für die Behandlung des Gehilfen gerade auch bei Vor­ bereitungsdelikten. D as würde nur noch ein Beleg mehr dafür sein, daß man, wenn man den extensiven Täterbegrisf zugrundelegt, eben genötigt ist, kompli­ zierte Ausnahmebestimmungen zu schaffen, so daß ich entgegen meiner ursprünglichen Meinung doch dafür eintreten möchte, zu einer klaren Scheidung zwischen eigentlicher Täterschaft, die man gar nicht zu definieren braucht, und den Formen der Anstiftung und Beihilfe zurückzukehren. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der praktische Gesichtspunkt, der uns bei dem Versuch der gesetzgeberischen Regelung leiten muß, ist die Frage: Was fangen wir mit der erfolglosen An­ stiftung und Beihilfe, was mit der fahrlässigen An­ stiftung und Beihilfe an? Die fahrlässige Anstiftung und Beihilfe können nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts als fahrlässige Täterschaft erscheinen, sofern das Delikt fahrlässig begehbar ist; denn An­ stifter und Gehilfe können nicht höher zur Verant­ wortung gezogen werden als der Täter. Die erfolg­ lose Anstiftung ist grundsätzlich nicht strafbar, nur im Rahmen einiger Sonderbestimmungen. Genügt das, oder wollen wir darüber etwas Besonderes sagen? Ferner bleibt immer der Blick auf das Spezialdelikt der erfolglosen Beihilfe gerichtet. D as ist der Faden, an den wir uns halten müssen: Wie wollen wir diese beiden Fragen praktisch geregelt wissen? Wenn man einen extensiven Täterbegriff im Gesetz geben will, kann man das machen; man muß nur gewisse Ausschnitte, die sich dann aus den Folge­ rungen ergeben, im Gesetz selbst bringen.

Professor Dr. Kohlrausch: Auch meiner Meinung nach handelt es sich zum großen Teil hier um t e ch n i s ch e Fragen. Die sach­ liche Wichtigkeit der Probleme des extensiven Täterbegriffs darf nicht überschätzt werden. Es fragt sich, wie wir uns ausdrücken sollen, damit der Richter richtig entscheidet. Uber die Entscheidungen selber bestehen bei uns weniger Zweifel. Sachlich bedeut­ sam bleibt dabei das Bekenntnis zum Willensstraf­ recht und die Notwendigkeit, das Gesetz so zu gestalten, daß jeder für das und nur für das bestraft wird, was er getan und gewollt hat. D as freilich ist eine Be­ kenntnisfrage. Aber gerade dieser Grundsatz kommt in dem, was bisher hier formuliert wurde, keineswegs zum Ausdruck. Ich glaube, wir müssen uns zunächst vor dem Versuch hüten, allzu viele Fliegen mit einer Klappe schlagen zu wollen. Die Probleme der T e i l n a h m e und die des V e r s u c h s müssen getrennt werden. Und die Versuchsfrage spaltet sich wieder in zwei Untersragen auf: I n die Frage der Abgrenzung nach der V o r b e r e i t u n g hin und in die Frage nach der Strafbarkeit des u n t a u g l i c h e n Versuchs. Gelegentlich lausen diese drei Fragen hier mehr ineinander, als ihrer Klärung gut ist. Wenn z. B. von objektiver und subjektiver Verfuchstheorie gesprochen ist, so liegt es doch so, daß wir heute die Abgrenzung nach der V o r b e r e i t u n g hin o b j e k t i v und die Abgrenzung des wegen seiner U n t a u g l i c h ic.it zweifelhaften Versuchs s u b j e k t i v treffen. Diese unterschiedliche Behandlung beider Problem­ gruppen wird nicht aufgegeben werden dürfen. Wenn das Reichsgericht in einigen Entscheidungen — z. B. in der viel erörterten Entscheidung, wo der Sittlich­ keitsverbrecher mit den Kindern nach dem Walde geht — nun auch die Abgrenzung nach der Vor­ bereitung hin subjektiv getroffen zu haben schien, so ist dieser Schein vom Reichsgericht sicher nicht gewollt. Es hat sich grundsätzlich nie dahin ausgesprochen, daß der i r g e n d w i e zutage getretene ernste Wille des Täters, eine T a t zur Vollendung zu bringen, ge­ nügen könne, um ihn wegen Versuchs zu bestrafen. Es hat außer der Ernstlichkeit des Willens immer irgendein Kriterium verlangt, nach dem jene Willensbetätigung in einem o b j e k t i v t y p i s c h e n Zu­ sammenhang mit der Tatbestandshandlung stehen müsse. Wenn es in jener Sittlichkeitsverbrechens­ entscheidung den Anschein einer — wie Ebermayer es in seinem Kommentar genannt hat — „übersubjek­ tiven" Abgrenzung erweckt hat, so vielleicht mehr deshalb, weil es hier, bewußt oder unbewußt, in Fragen der Beweiswürdigung eingetreten ist, was das Reichsgericht — Herr Reichsgerichtsrat Niet­ hammer wird es nicht leugnen — gelegentlich tut und woran niemand es hindern kann oder will, da es aus diesem Wege schon manches Fehlurteil korrigiert hat. Aber an dem G r u n d s a t z müssen wir festhalten, daß die Vorbereitungsfrage eine andere ist als die des untauglichen Versuchs. Wie wir beide formulieren wollen, daraus möchte ich zum Schluß eingehen.

Ich wende mich jetzt lediglich der T e i l n a h m e ­ s r a g e zu. Die Schwierigkeit der Regelung liegt darin, daß wir im Strafrecht überhaupt, nicht nur hier, sondern überall, zwei scheinbar unvereinbare Forderungen vereinigen müssen. Aus der einen Seite wollen wir bei der T e c h n i k e i n e s T a t b e s t a n d s s t r a f r e c h t s bleiben und nicht zu einem Zentraltatbestand übergehen: „Wer sich verbrecherisch benimmt oder verbrecherisch gesonnen ist, wird ent­ sprechend bestraft", sondern wir wollen in irgendeiner Weise mit Tatbeständen arbeiten. D as ist der Sinn unserer Arbeit am Besonderen Teil. T äter ist, wer einen solchen Tatbestand verwirklicht. Auf der andern Seite wollen wir, gerade gemäß unserem Bekenntnis zum Willensstrafrecht, tunlichst auf verbrecherischen Willen und Gesinnung abstellen. Restlos geht die Gleichung nicht aus, und hier bei der Teilnahme zeigt sich das. Wenn wir aber von der Tatsache ausgehen, daß w ir im Besonderen Teil „Tatbestände" haben, den des Mordes, des Diebstahls usw., so müssen wir eben zuerst die Frage auswerfen: Wer ist eigentlich der­ jenige, der einen solchen Tatbestand, sei es des Dieb­ stahls oder des Betruges usw., im Einzelsalle verwirk­ licht hat? Wer ist Täter des Diebstahls, des Mordes usw.? Schon der, der eine objektive B e d i n g u n g z u m E r f o l g gesetzt hat? D as hat aber auch der Vater des Mörders getan, als er ihn zeugte! Oder nur der, der es in o b j e k t i v t y p i s c h e r Weise getan hat? Dann würden aber viele, besonders fahr­ lässige Delikte straflos bleiben, weil die erste Voraus­ setzung, die Tatbestandsmäßigkeit fehlen würde, so daß die Frage nach Vorsatz oder Fahrlässigkeit gar nicht würde aufgeworfen werden dürfen! Meiner Ansicht nach ist die erste Ansicht richtig, aber mit der Modifi­ kation, daß z u r T ä t e r s c h a f t d e r T ä t e r ­ w i l l e g e h ö r t . Erkennt man das an, dann kommt man von selbst zu einem weiten und gesunden Begriff auch der sogenannten mittelbaren Täterschaft. D as Reichsgericht hat zögernd, aber mit wach­ sender Bestimmtheit den Begriff einer solchen mittel­ baren Täterschaft anerkannt, der auch nicht dadurch ausgeschlossen wird, daß auch der Tatm ittler schuld­ haft und strafbar handelt. N ur an den positiven Bestimmungen der §§ 48 und 49 mußte es Halt machen. Ich weise hier aus eine besonders inter­ essante Entscheidung hin; auf den Fall, wo ein Fabrik­ direktor eine Arbeiterfamilie in eine feuergefährliche Wohnung eingewiesen hatte. I m unteren Stock lagerte Benzin, im Oberstock wohnte die Familie. Er hatte es getan im Bewußtsein der Gefährlichkeit. Es kam ein Gewitter, der Blitz schlug ein, die Familie verbrannte, und der Fabrikbesitzer wurde wegen fahr­ lässiger Tötung bestraft. D as Reichsgericht hat das Urteil bestätigt und hinzugefügt: An dieser Ent­ scheidung würde sich selbst dann nichts ändern, wenn das Feuer vorsätzlich angelegt sei, ja selbst wenn es mit Tötungsvorsatz angelegt worden wäre. D as war ein Bekenntnis zum extensivsten Täterbegriff! Warum will man das Gesetz nicht mit dieser guten und ver­ nünftigen Entwicklung in Einklang bringen und sie

damit sicherstellen? Namentlich dann auch für die Fälle der fahrlässigen Anstiftung, die sich auch dar­ stellen kann als fahrlässige Verursachung einer F ah r­ lässigkeitstat! Natürlich fragt es sich: Wollen wir hier überhaupt noch strafen? Und das gleiche gilt für die fahrlässige Beihilfe. Es ist von dem Dienstmädchen gesprochen worden, das pflichtwidrig leichtsinnig die Türen offen läßt, so daß dann ein Einbruchsdiebstahl begangen werden kann. Hier hat Herr Senatspräsident Klee richtig gesagt: „Hier kann nichts passieren, weil Dieb­ stahl, fahrlässig begangen, nicht strafbar ist." Aber wenn nun etwas begangen wird, was fahrlässig be­ gangen strafbar wäre, eine Tötung oder eine B rand­ stiftung? F ür mein Gefühl spricht nichts dagegen, lenes Dienstmädchen wegen fahrlässiger Verursachung einer Tötung oder Brandstiftung zu bestrafen, wenn die erstinstanzlichen Gerichte sich zutrauen, die Fest­ stellungen einer erfolgsbezogenen Fahrlässigkeit mit der nötigen Sicherheit zu treffen. Bei der ersten Lesung ist gesagt worden: „D as trauen wir uns schon zu". W ir müssen uns natürlich klar sein, daß wir damit recht weit gehen. Es würden also bei Redereien zwischen einigen Personen, die in einem Zuhörer einen Mordentschluß erwecken oder eine Fahrlässig­ keitstat auslösen, die erstgenannten wegen fahrlässiger Veranlassung dieser T at strafbar erscheinen, falls der Richter die Überzeugung gewinnt, daß sie sich einer solchen Wirkung bewußt sein mußten. Daß wir schon nach dem geltenden Recht strafen könnten, glaube ich nicht. Ich erinnere hier an den von uns noch nicht her­ angezogenen F all der Hilde Höfeld in Frankfurt am M ain. Ich glaube, daß das Frankfurter Gericht mit seinem Urteil, das ja wohl einstimmigen Beifall gefunden hat, auf dem richtigen Wege war. Aber als Jurist war man doch besorgt, wie der Prozeß aus­ gehen werde, weil eigentlich das geltende Recht hier im Stich läßt. Der Grund, warum der Vater hier wegen Mordversuchs und, wenn es zum Tode des Kindes gekommen wäre, wegen Mordes strafbar war, war eben der, daß er nicht nur m o rtis causam praeb u it eine Bedingung zum Erfolg gesetzt hat, sondern daß er in diesem Falle auch den Tod des Kindes als seine T at gewollt, daß er die Quälereien als TötungsHandlungen gewollt hat! D as Gericht hat E rw ä­ gungen angestellt, die das Reichsgericht schon seit Jahrzehnten anstellt, wenn es den § 47 von § 49 unter­ scheidet. Ich habe eigentlich bedauert, daß der Herr Staatssekretär Freister heute von diesem „anim us au cto ris“ abgerückt ist. Ich glaube, er muß geradezu der Zentralpunkt unserer Betrachtung sein. Wenn man sagt, daß er keine scharfen Abgrenzungen ermög­ liche, so ist das richtig, aber unsere sog. objektiven Theorien geben erst recht keine scharfe Abgrenzung. Ist das aber richtig, dann sollte man solchen T äter­ willen nicht nur benutzen, um hier „Beihilfe", sondern auch um „Anstiftung" auszuschalten. D as ist der S in n meines Vorschlags unter B 35: „Täter ist, wer den Tatbestand einer strafbaren Hand-

lung selber verwirklicht oder dadurch verwirklicht, daß er ganz oder teilweise andere für sich handeln läßt." Damit habe ich den weitesten Täterbegriff in Worte zu fassen versucht, der sich denken läßt, eingeschränkt freilich durch das subjektive Kriterium „für sich"; wenn hier Verbesserungen möglich sind, dann würde ich für Vorschläge dankbar sein, aber ich glaube, daß man, wenn man es in der Begründung genügend zum Ausdruck bringt, mit diesem § 1 meines Vorschlags ganz ebenso arbeiten kann, wie heute die Praxis mit dem § 47 arbeitet. Und dann haben wir einen weiten Täterbegriff. Wenn mir hier vorgehalten wird, daß ich durch Anerkennung von Restfällen, die Anstiftung oder Beihilfe sind, eigentlich wieder zurückkehre zum restriktiven Täterbegriff, so kann nach der Fassung meines § 1 gar keine Rede davon sein. Selbst dieser weite Täterbegrisf deckt eben nicht alles, es bleiben Lücken. Sie bleiben dort, wo dem Anstifter der Täterwille fehlt, und sie bleiben bei den eigenhändigen und bei den Sonderdelikten. S ie können nur ausgefüllt werden durch Verwendung der Begriffe Anstiftung und Beihilfe. Hierfür sind sie unentbehrlich. Aber meine §§ 2 und 3 haben die gegenteilige Funktion als die heutigen §§ 48 und 49. Diese beiden Paragraphen sind jahrzehntelang dahin verstanden worden, daß sie den Täterbegrisf einengen; während ich in den §§ 2 und 3 jenen normalen Täterbegrisf ausdehnen will auf die Fälle, die selbst bei seiner Zugrundelegung straflos bleiben würden. Ich bin also in der Sache mit Herrn Ministerial­ direktor Schäfer völlig einig, nur in der Konstruktion nicht ganz; aber darüber brauchen wir nicht zu streiten. (Ministerialdirektor Schäfer: Aber Sie haben doch keinen Dachbegriff, der auch die Anstif­ tung umfaßt; das ist doch der entscheidende Punkt.) — Nein, den habe ich nicht; den halte ich aber auch für unnötig, ja für eine Irreführung. Die Fälle nun, die jene Ergänzung nötig machen, sind zum Teil schon genannt worden, zum Teil bedürfen sie noch der Nennung. I n erster Linie sind es die Fälle, in denen jemand zwar objektiv den Tatbestand einer strafbaren Handlung verwirklicht, wo ihm aber der Täterwille fehlt; die sind natürlich wichtig. Es sind teils Anstifter-, teils Gehilfenfälle. Sie müssen wir zum Teil besonders erfassen, aber damit bleiben wir auch mit der volkstümlichen Auffassung im Einklang. Der gedungene Bravo ist nur Tatmittler, also Gehilfe; der aber, der sich seiner bedient, ist Täter und nicht, wie heute, Anstifter. Gehilfe ist auch, wer nur den Sauerstoffapparat besorgt oder nur Adressen nach­ weist usw. Sie sind nicht Täter, weil sie den T äter­ willen nicht haben. Wer dagegen einen anderen veranlaßt, sich seines Nebenbuhlers zu entledigen, ist nur Anstifter, nicht Täter. Hierher gehören ferner die schon genannten Absichtsdelikte, also Diebstahl usw. Die Sonderdelikte müssen gleichfalls geregelt werden. Bei ihnen ist nur Anstiftung, nicht mittelbare Täterschaft möglich. D araus folgt weiter, daß der heutige § 50 richtig ist und daß es falsch ist, ihn, wie es der Entwurf will, auszudehnen auf strafbegrün­

dende Momente. Die F rau des Feldwebels etwa, die ihren M ann anstiftet, zu desertieren oder Widerstand zu leisten, zu meutern usw., ist nach meinem § 2 straf­ bar, und der, der dem Feldwebel hilft, sobald er ein Zivilist ist, ist nach § 3 strafbar. M an kann aber doch nicht sagen, daß die F rau oder der Zivilist wegen Fahnenflucht, begangen in mittelbarer Täterschaft, strafbar seien! Bei Anstiftung zum Amtsdelikt durch einen Nichtbeamten würden wir auf eine schiefe Bahn kommen, wenn wir hier mit dem Täterbegrisf arbeiten und sagen wollten: Daß dem Nichtbeamten die Beamteneigenschaft fehlt, soll gleichgültig sein. Nein, der M ann ist nicht strafbar wegen mittelbarer B e­ gehung eines Beamtendelikts, sondern er ist strafbar, weil er einen Beamten angestiftet hat, und weil die Anstiftung auch bei einem Nichtbeamten für strafbar erklärt wird. D as gleiche wie für Sonderdelikte gilt für reine Tätigkeit^- und für eigenhändige Delikte. Wenn wir besondere Tatbestände bilden wollen, wie jetzt die Unternehmung der Verleitung zum Meineid, so mögen wir es tun. Dort, wo wir es nicht tun wollen, bedürfen wir einer Vorschrift im Allge­ meinen Teil. Wir können nicht sagen, daß die F rau wegen Notzucht bestraft wird, wenn sie einen anderen veranlaßt, eine Frauensperson zu notzüchtigen, ganz einerlei ob der von ihr Veranlaßte geisteskrank oder geistesgesund ist; wir können die F rau nicht wegen mittelbarer Täterschaft bestrafen, weil sie eine F rau ist, und wegen Anstiftung nur, wenn wir den Anstistungsparagraphen haben. Wenn wir den Anstiftungsparagraphen nicht haben, können wir sie nicht fassen. Also wir brauchen ihn. Die Frage der Akzessorietät muß noch einmal kurz gestreift werden. Daß Akzessorietät an sich eine Sünde gegen den Geist des Willensstrafrechts wäre, kann ich nicht zugeben. Es gibt Fälle, wo wir auf Akzessorietät der Teilnahme nicht verzichten können, und zwar eben die Fälle, wo wir auch auf die Begriffe Anstiftung und Beihilfe nicht verzichten können. W ir müssen uns doch die Frage vorlegen — ich erinnere daran, daß wir bei der Hehlerei uns lange darüber unterhalten haben, und so ist es auch hier — : was muß als Hauvttat gegeben sein, damit von Anstiftung und Beihilfe die Rede sein kann? Da sind folgende Antworten möglich. Erste Antwort: es genügt die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes; zweite Antwort: diese Verwirklichung muß auch rechtswidrig sein; dritte Antwort: sie mußte sowohl rechtswidrig wie schuldhaft sein. Diese drei Antworten sind möglich, und wir müssen entscheiden, welche Antwort gegeben werden soll. Da bin ich der Meinung: die erste geht nicht weit genug, und die dritte geht zu weit. Darüber, daß die dritte, die extreme Akzessorietät des geltenden Rechts zu weit geht, sind wir wohl einig. Es geht in der T at den Anstifter oder Gehilfen nichts an, ob der andere vorsätzlich gehandelt hat oder nicht. Wir wollen ihn ja möglichst weitgehend für seine eigene Schuld strafen. Die erste Antwort geht aber nicht weit genug. Wenn ich mit meinem Freunde spazieren gehe, und

der Freund wird von feinem Gegner unterwegs ange­ griffen, und ich sage: „Mensch, wehre dich dach!" und er sticht den Gegner nieder, dann kann ich nicht wegen Anstiftung zum Morde bestraft werden, weil die Haupttat nicht rechtswidrig war. Anstiftung und Beihilfe aber zu einer bloß ent­ schuldigten T at müssen strafbar sein. Hier zeigt sich die Unentbehrlichkeit der Unterscheidung von Rechts­ widrigkeit und Schuld. Hier kommt es heraus, daß wir dem Willensstrasrecht erst volle Gerechtigkeit widerfahren lasten, wenn wir keine Angst haben vor dem Wort Rechtswidrigkeit. Denken wir uns nicht echte, sondern Putativnotwehr, dann wäre es recht und billig, daß der Anstifter bestraft wird, wenn er seinerseits bemerkt hat, daß der andere gar nicht an­ gegriffen wird. Beispiel: ich gehe mit meinem Freunde durch den Wald. D a wird dieser von einem dritten überfallen, der aber nur einen dummen Witz machen will. Ich merke das. Ich sehe auch, daß mein Freund den Angriff für ernst hält, und sage: „Wehre dich doch!" — vielleicht weil ich verfeindet bin mit dem scheinbaren Räuber. Daraus wehrt sich mein Freund und schießt den Dritten nieder. Hier ist es richtig, daß der, der ihn niederschießt, freigesprochen wird, weil er in Putativnotwehr gehandelt hat. Aber ich muß bestraft werden. Der Anstifter also muß straflos bleiben, soweit dem anderen die Rechtswidrigkeit fehlt, aber bestraft werden, soweit dem anderen nur die Schuld fehlt. Der § 4 meiner Vorschläge entspricht dem § 50 des geltenden Rechts. E r ist unentbehrlich. Eine Aus­ dehnung über § 50 hinaus wäre falsch und lebens­ fremd. M an kann doch nicht sagen: Wenn der un­ verheiratete Freund seinen verheirateten Freund an­ stiftet, mit einem Mädel zu verkehren, dann begeht er mittelbar Ehebruch! D as aber ist das Ergebnis des Entwurfs! Hier wird er heute wegen Anstiftung bestraft, weil § 50 ihm nicht zugute kommt; denn das Verheiratetsein ist ein strafbegründender Umstand. Aber nach dem Entwurf müßte man sagen: „Der un­ verheiratete Freund wird bestraft wegen Ehebruchs". D as ist lebensfremd. W ir müssen bei § 50 bleiben. D as dürfen wir aber nur, wenn wir vorher Täter­ schaft, Anstiftung und Beihilfe geregelt haben, wie ich vorgeschlagen habe. Ich muß um die Erlaubnis bitten, noch ein paar Morte über den V e r s u c h sagen zu dürfen. Ich bin mir klar darüber, daß hier eine Schwierigkeit liegt. Ich möchte jetzt nicht grundsätzlich über den Versuch sprechen. Ich muß aber insofern darauf ein­ gehen, als ich die Frage auswerfe: würde es gerecht sein, daß jemand, der den von mir vorgeschlagenen § 1 in der Form des Versuchs übertritt, bestraft wird? Ich finde: Wenn der subjektive Tatbestand da ist, ist es gerecht. Aber freilich darf nicht die Grenze in nebelhafte Vorbereitungen hinein verlegt werden. Wenn man aber die Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch objektiv trifft, dann habe ich eigentlich keine Bedenken, denjenigen wegen Versuchs zu be­ strafen, der in dem S in n jenes weiten Täterbegrifss den Tatbestand einer strafbaren Handlung mit Täter­ willen zu verwirklichen versucht. Wer einen Brief an

einen anderen schreibt, in welchem steht: der andere soll aus bestimmten Gründen in der und der Weise einen D ritten umbringen, der verdient m. E. nicht anders behandelt zu werden als der, der nicht einen Brief an einen lebendigen Menschen geschrieben hat, sondern der nur die Zündschnur einer Bombe an­ zündet, die auch erst nach einiger Zeit losgeht. Hier tauchen freilich schwierige Probleme auf, die das Gesetz nie restlos lösen kann. Wie genau muß der T äter den Ersolgseintritt gekannt haben, damit wir von Vorsatz sprechen können? E s gibt zweifellos Fälle, in denen wir sagen: hier war die Voraussicht des Erfolges so unbestimmt, daß wir einen Vorsatz nicht mehr annehmen. Aber diese Schwierigkeit ent­ steht nicht nur dann, wenn man einen Menschen als Tatm ittler benutzt, sondern ist eine a l l g e m e i n e V o r s a t z - S c h w i e r i g k e i t , die den sog. Irrtu m über die Art des Kausalzusammenhangs betrifft. Nur wird sie hier besonders deutlich. Aber grundsätzlich braucht sie uns nicht abzuhalten, einen weiten T äter­ begriff zugrunde zu legen, der auch Fälle der heutigen Anstiftung umfaßt, und der dann in solchen Fällen zur Strafbarkeit der versuchten Anstiftung führt. Ministerialdirektor Schäfer: Ich wollte nur eins klarstellen, weil ich da an­ scheinend mißverstanden worden bin. Wenn ich mich vorhin in meinen Ausführungen dafür ausgesprochen habe, lieber auf einen Dachbegriff der Täterschaft, der die eigentliche Täterschaft und die Anstiftung und Beihilfe mit umfaßt, zu verzichten, so bin ich doch der Meinung, daß man, wenn man Anstiftung und B ei­ hilfe herausläßt, dann den Täterbegriff so extensiv wie nur möglich fassen sollte. D a stimme ich voll­ kommen mit dem überein, was Herr Professor Kohl­ rausch und auch Herr Reichsgerichtsrat Niethammer ausgeführt haben und was der heutigen Rechtsprechung entspricht. Ich fasse unter diesen Begriff der T äter­ schaft die unmittelbare und mittelbare Täterschaft einschließlich der fahrlässigen Anstiftung und der fahrlässigen Beihilfe, die ich als fahrlässige Begehung, als fahrlässige Täterschaft auffasse. Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn in der Debatte gesagt worden ist, daß die Lobredner des jetzigen Strafrechts an Raum ge­ wönnen, so war das ja von vornherein vorauszu­ sehen. D as ist einmal das Schicksal einer jeden zweiten Lesung, und das ist zum anderen in diesem besonderen Falle einfach dadurch begründet, daß der­ jenige, der auf eine jahrzehntelange gefestigte P raxis mit unendlich vielen Beispielen sich berufen kann, naturgemäß vor allem bei einer Zusammenschau eine stärkere Position hat als diejenigen, die in sich und miteinander um die Verwirklichung neuer, nicht er­ probter Gedankengänge ringen. Wenn aber ein Teil meiner Ausführungen auch als Rückkehr zum Bestehenden etwa aufgefaßt worden ist, und wenn sich Ih re Bemerkung, Herr Geheimrat, auch darauf beziehen sollte, so bin ich selbst daran schuld, insofern als ich vorhin offenbar mich mißver-

stündlich ausgedrückt habe und die Katze nicht ganz aus dem Sack gelüsten habe. Ich bin der Meinung — das will ich jetzt ganz deutlich sagen — , daß die Beihilfe als solche über­ haupt nicht erscheinen kann, weil wir als Strafgesetzgeber und als Richter die Handlungen, die wir bisher unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe erfaßt haben, eben nicht unter ihrem Gesichtspunkte betrachten dürfen und können. Natürlich ist es im Leben so, daß jemand helfen kann, die T at eines anderen zu ver­ wirklichen, und natürlich ist es auch so, daß wir als Strafgesetzgeber mit diesen Fällen uns abfinden müssen. Damit ist aber noch lange nicht gesagt, daß wir diese Fälle unter dem Gesichtspunkt der äußeren Fortsetzung betrachten müssen, die die Beihilfehand­ lung in der T at eines anderen findet. Die Tatsache, daß solche Fälle im Leben vorkommen, zwingt doch nur zu prüfen, ob die T at dieses Täters so angesehen wird, daß der S ta a t gegen sie mit Strafandrohungen, Strafaussprüchen und Strafvollstreckung reagieren muß. Nun ist die bisherige Entwicklung so gewesen, daß Gesetzgeber und Rechtsprechung an die Behandlung dieser Fälle von vornherein so herangegangen sind, daß sie diese Handlungen nicht als selbständig ange­ sehen haben, sondern immer nur daran gedacht haben, daß es Handlungen sind, die dazu führten, daß auch noch ein anderer handelt. Tatsächlich ist es aber nicht richtig, diese Handlungen unter dem Gesichtspunkt der Beihilfehandlungen zu betrachten, sondern es ist nur richtig, sie als selbständige Handlungen anzusehen. D as ergibt sich m. E. einfach schon daraus, daß die Fälle ganz verschieden sind, und daß die Betrachtung solcher Handlungen unter dem Gesichtspunkt der etwaigen Fortsetzung, die sie in der Handlung eines anderen erfahren haben, also als Beihilfehandlungen, zu unmöglichen Ergebnissen führt, nämlich dazu, daß man der Gerechtigkeit einen Schlag ins Gesicht gibt, daß man das Strafgesetz verkoppelt mit einer Lotterie. Es wird nur allgemein gesagt, die akzessorische Natur der Beihilfe könne man nicht vermeiden. Dabei wird aber zugegeben, daß es nicht gerecht ist, daß man jemand verurteilt oder freispricht, je nach dem, wie ein anderer handelt. Ich für meine Person ziehe daraus den Schluß, daß da etwas nicht in Ordnung sein muß, daß wir also etwas anders machen müssen; denn wir dürfen zu diesem Ergebnis einfach nicht kommen und dürfen uns nicht damit abfinden, daß die akzessorische N atur der Beihilfe nicht ganz zu ver­ meiden sei. Ich glaube nun, der Fehler liegt darin, daß man solche Handlungen überhaupt unter'dem Gesichtspunkt der etwaigen Fortsetzung, des etwaigen Aufbaues der Handlung eines anderen aus dieser Handlung be­ trachtet. D as ist nicht gerecht. M an nmß diese Fälle aus sich selbst heraus betrachten. Dann kommt man auch zu der Lösung. W ir haben den Australier-Fall, den Fall der Hausgehilfin, die die T ür fahrlässig offen läßt, und den Fall der fahrlässigen Beihilfe zu einer fahrlässigen Handlung. Ein Beispiel für den letzten Fall: der Mülleimer wird von der Hausgehilfin vor der Haustür auf der Straße stehengelassen. Dort ist

gerade eine Straßenecke. Um diese Straßenecke fährt ein Auto. Ein Fußgänger sieht im letzten Augenblick das Auto. Fahrlässig steuert der Autolenker so, daß er nunmehr den Fußgänger gefährdet. Der Fußgänger will zurück, kann aber nicht, weil er plötzlich in den Mülleimer stürzt und stolpert und wird überfahren. D as könnte man nun als eine fahrlässige Beihilfe zu einer fahrlässigen Körperverletzung oder Tötung an­ sehen. M an könnte sagen, die Hausgehilfin habe da­ durch, daß sie vergessen hat den Mülleimer von der gefährlichen Stelle wegzunehmen, fahrlässig dazu beigetragen, daß der Fußgänger überfahren wurde. Diese Fälle sind alle zu verschieden, als daß sie gleich behandelt werden könnten. Wir haben das übrigens in der ersten Lesung auch schon anerkannt, indem wir erklärt haben, daß die Schuld bei der Beihilfe im Verhältnis zur Schuld bei der Haupt­ handlung keineswegs immer geringer zu sein brauche. Damit haben wir anerkannt, daß wir die Beihilfehandlung aus der Handlung des Beihilfe-Leistenden, des Täters dieser Beihilfehandlung, heraus betrachten müssen. Auch das ist eine Anerkennung dessen, daß die Beihilfe selbständig gewürdigt werden muß. Auf Grund dieser Überlegung komme ich nun nicht zu dem Ergebnis, den Täterbegrisf enger aufzufassen, als seine weiteste Auffassung möglich ist, sondern ich komme nur dazu, daß ich die Handlung eines Menschen nicht unter dem Gesichtspunkt der Beihilfehandlung betrachten darf, daß ich sie vielmehr selbständig be­ trachten muß. D as wollte ich damit sagen, wenn ich erklärte, die akzessorische Natur der Beihilfe sei eine Unmöglichkeit. Als Gesetzgeber muß ich mich darüber schlüssig werden, ob ich den Täter bestrafen will, der eine der folgenden drei Gefährdungshandlungen vornimmt: der eine Pistole nach Australien schickt an jemand, von dem er weiß oder annehmen kann, daß er diese Pistole dazu verwenden wird, um einen Menschen zu töten; der das Eigentum dadurch gefährdet, daß er eine Haustür offenstehen läßt; der Menschen dadurch gefährdet, daß er einen Mülleimer länger als notwendig aus der S traße stehen läßt. Es ist natürlich, daß diese Frage in den einzelnen Fällen ganz verschieden beantwortet werden muß. W ir sind zwar nicht der Ansicht, daß jemand schon bestraft werden muß, weil er durch Offenstehenlassen der Haustür die Möglichkeit gibt, daß Eigentum ver­ letzt wird. W ir sind aber der Meinung, daß das J n den-Verkehr-Bringen einer Mordwaffe, noch dazu wenn man damit rechnen muß, daß der Empfänger diese Waffe zu Mordzwecken verwenden wird, bestraft werden muß. Dabei haben wir gar nicht nötig, noch zu fragen wie denn die Geschichte weiter geht, ob nun tatsächlich der Empfänger dieser Waffe auch jemand tötet oder nicht. E s ist sogar ungerecht und unmöglich, unter diesem Gesichtspunkt die Handlung zu betrachten. Denn das führt eben dazu, daß ich die Handlung und die Schuld anders beurteile, je nach dem, wie irgend­ ein anderer Mensch handelt. Deshalb bin ich der Meinung, daß die Beihilfe etwas ist, von dem ich gar nicht leugne, daß sie im Leben da ist, die ich auch gar

nicht als Strafgesetzgeber ignorieren will, die ich aber nicht unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses dieser Handlung zu der Handlung eines andern, nämlich dazu, ob der andere wirklich tätig wird oder nicht, behandeln und beurteilen darf. I n Wirklichkeit ist die Beihilfe zum Morde das Vergehen oder Verbrechen einer Lebensgefährdung, das ich als solches im Be­ sonderen Teil unter Strafe stellen muß. W ir als Gesetzgeber müssen uns schon der Mühe unterziehen, uns im Besonderen Teil in jedem einzel­ nen Fall darüber klar zu werden, ob wir, wenn ein Täter z. B. in der Sphäre eines Mordes etwas tut, was in seiner Auswirkung, vielleicht auch nach seinem Gedanken, etwas wie eine Hilfe für den anderen ist, ob wir das als selbständiges Delikt unter Strafe stellen wollen. Dann entsteht natürlich — wenn wir mal annehmen, wir würden in zweihundert Fällen das Bedürfnis empfinden, im Besonderen Teil einen solchen besonderen Straftatbestand einzufügen — technisch eine höchst unschöne Lösung. Aber dann können wir ja weiter prüfen, ob man, wenn man zweihundert solcher Fälle hat, die in gewisser Weise ähnlich sind, diese nicht zu Gruppen zusammenfassen kann. Dann wird man vielleicht aus den zwei­ hundert Fällen zu fünf Gruppenfällen kommen. Man könnte diese Regelung unter Umständen auch in dem Allgemeinen Teil treffen. Dann sähe es zwar äußer­ lich aus wie Beihilfe, in Wirklichkeit wäre es aber keine, da ihre Akzessorietät vermieden worden ist. Ich sehe nicht ein, warum das nicht gehen sollte. Damit würde ich den Täterbegriff auch nicht einengen. Denn das, was ich Beihilfe nannte, ist dann eben die Täterschaft des Verbrechens der Lebensgefährdung. Wenn wir nicht Bedenken gegen den Rechtsgüter­ katalog hätten, und wenn ich diese Bedenken einmal für einen Augenblick zurückstellen will, so würde das heißen, daß wir uns bei jedem einzelnen Rechtsgut überlegen müssen, ob nicht das, was bisher Beihilfe zu einem der vorgesehenen Delikte ist, einen Angriff gegen dieses Rechtsgut bedeutet, und ob wir das nicht durch eine Gefährdungsvorschrift bestrafen müssen. Diese wäre dann völlig unabhängig davon, ob die Gefährdung durch das Stadium der Gefahr hindurch zu dem des fertigen erfolgreichen Angriffs gelangt oder nicht. (Ministerialdirektor Schäfer: Und das Willens­ strafrecht?) — D as ist die einzige Rettung des Willensstrasrechts. (Ministerialdirektor Schäfer: Der Wille geht doch aus Tötung, nicht auf Gefährdung!) — D as ist völlig gleichgültig. Sie sagen bei der Beihilfe: Der will nicht töten, sondern will einem andern dazu helfen. (Ministerialdirektor Schäfer: Aber töten Helsen, nicht gefährden!) — Darüber haben wir schon mal in der ersten Lesung gesprochen. Ich habe es, offen gesagt, an sich nie be­ griffen, daß ein Wesensunterschied bestehen soll da­ zwischen, ob ich jemanden mit Bezug auf sein Leben gefährden will oder ob ich diese Gefährdung so inten­ siv gestalte, daß ich zugleich will, daß diese Gefährdung

mit der Vernichtung endet. D as ist im Wesen genau dasselbe. D as könnten S ie mir nur entgegenhalten, wenn ich sagen würde: Ich will den Tatbestand des Mordes an sich umgestalten zu einem Tatbestand der Lebensgesährdung, weil ich nicht mehr die Tatbestände des Mordes und der Lebensgefährdung nebeneinander im Gesetz haben will. Das will ich aber gar nicht. Ich will nur die Fälle treffen, in denen S ie selbst sagen: Der M ann hat nicht gemordet, sondern er hat nur einem anderen dazu geholfen. D as heißt doch, er hat bewußt das Leben eines anderen gefährdet. Seine Schuld ist die gleiche, sein Entschluß ist derselbe, ob der andere handelt oder nicht, ob die Gefährdung durch den anderen zu einer Vernichtung wird oder nicht. Ich kann deshalb nicht zugeben, daß meine Ausführungen eine Verteidigung und ein Loblied auf das geltende Recht waren. Die Beihilfe kann für uns als Strasgesetzgeber und auch nachher für den Richter nur ein selbständiges Delikt sein, nämlich ein Gefährdungsdelikt. Denn ich will den Täter auch fassen können, wenn der andere nichts tut, sofern ich der Meinung bin, daß der T at­ bestand verfolgungswert ist. Die bisherige Abhängigkeit von der T at des anderen scheint mir genau so ungerecht und unmöglich zu sein wie die Abhängigkeit von der Schuld des anderen, vielleicht noch etwas mehr; denn die Beihilsehandlung kann ich schon eher als etwas ansehen, was geeignet ist, den Entschluß des anderen, der ja in jeder Minute bis zur Ausführung neu gefaßt wird, zu bestärken. Aus die Abhängigkeit von der Rechts­ widrigkeit will ich nicht eingehen; aber wenn ich die Rechtsw idrigst als etwas Selbständiges bestehen ließe, dann habe ich die Abhängigkeit von ihr schon deshalb nicht nötig, weil ich die Rechtswidrigkeit aus der eigenen Handlung des Gehilfen bereits entnehmen kann und entnehmen muß. Professor Dr. Kohlrausch: Selbstverständlich ist der Gehilfe, der die T at des anderen für schuldlos hält, straflos, und wenn er sie für rechtswidrig hält, sie es aber nicht ist, wird er bestraft wegen Versuchs. I n den Fällen aber, wo er weiß, daß der Haupttäter eine an sich straftatbestandsmäßige Handlung begehen wird, über die sich der Gehilfe vielleicht sogar freut, weil es sich um einen Feind handelt, die aber der andere begehen darf, kann man doch nicht leugnen, daß der Gehilfe straflos bleiben muß. (Staatssekretär Dr. Freister: D as hängt da­ von ab, ob ich als der Gehilfe die Vorstellung habe, daß der andere so handeln darf oder nicht.) — Darf ich feststellen: Sie gebrailchen also auch das Wort „darf". (Staatssekretär Dr. Freister: D as muß ich ja tun, weil ich ausdrücklich erklärt habe, daß ich jetzt diese Rechtswidrigkeit als etwas Selb­ ständiges unterstellen will.) — Es besteht aber bisher eine solche Unklarheit über die Ausdehnung der Akzessorietät, daß ich nicht ein-

sehe, warum wir diese Streitfrage, nicht lösen wollen durch ein klares Wort, indem wir nämlich sagen, daß die Haupttat rechtswidrig sein muß. (Staatssekretär Dr. Freister: D as bedeutet, daß Sie die Akzessorietät aufrechterhalten!) — F ü r die wenigen Fälle, in denen Anstiftung und Beihilfe unentbehrlich sind. (Staatssekretär Dr. Freister: Die sind über­ haupt nicht unentbehrlich!) Und wie ist es, wenn ein Unverheirateter seinen verheirateten Freund anstiftet, Ehebruch zu treiben? (Staatssekretär Dr. Freisler: D as entscheide ich als Gesetzgeber so, daß ich bei der Prüfung im Besonderen Teil in diesem Falle mir sage: hier werde ich das besondere Delikt nicht schaffen.) — Dann können wir es doch statt der unzähligen Fälle im Besonderen Teil mit einem Wort im Allge­ meinen Teil sagen. Staatssekretär Dr. Freisler: D as weiß ich noch nicht, weil ich noch nicht weiß, wieviel Fälle tatsächlich bestehen. Es wird gesagt, es bestünden allein etwa 50 Fälle von Absichtsdelikten. Es bestehen auch Delikte, die an sich akzessorischer Natur sind. W ir werden prüfen müssen, ob ihr Aus­ bau richtig ist. Ich denke z. B. an die Hehlerei, wobei es mir fraglich erscheint, ob wir sie richtig aufgebaut haben. Wenn S ie bei Ih re r Regelung der Beihilfe irgendwie dazu kommen, im Grunde doch das Handeln eines Menschen aus der Beurteilung eines anderen Menschen heraus anzusehen, so zeigt mir das, daß dieser Weg falsch ist. D as zeigt mir auch, daß es falsch war, die Beihilfe als Beihilfe zu betrachten, daß man sie vielmehr nur unter dem Gesichtspunkt behandeln kann: Muß diese gefährliche Handlung des Täters bestraft werden oder nicht? Und diese Frage kann bei den einzelnen Delikten verschieden beant­ wortet werden. I m übrigen geht ja mein Vorschlag dahin, in jedem einzelnen Falle im Besonderen Teil diese Prüfung vorzunehmen, aber nicht, um zu jedem P a ra ­ graphen einen weiteren hinzuzufügen, sondern um die Grundlage dafür zu schaffen, wie wir aus der unmög­ lichen Konstruktion der Beihilfehandlungen unter dem Gesichtspunkte der Handlungen eines anderen heraus­ kommen. Der Täterschaftsbegriff oder Mitwirkungsbegriss der preußischen Denkschrift wird dabei voll­ kommen aufrechterhalten. Denn durch ihre Aus­ führungen ist nämlich gar nicht ausgeschlossen — sondern vorbereitet, wenn auch noch nicht deutlich zum Ausdruck gebracht — , daß die Beihilfe nicht als Bei­ hilfe, sondern als selbständige Handlung aufzufassen ist, genau so wie die sonstige unmittelbare oder mittel­ bare Allein- und Gesamttäterschaft. Mein Vorschlag bedeutet nur die Klarstellung dessen, was die Denk­ schrift sagt; sie bedeutet in keiner Weise einen Rückzug. Und nun die Anstiftung. Wenn schon das deutsche Sprichwort sagt: „Mitgegangen, mitgehangen", dann ist das, glaube ich, ein Beweis, daß die Volksseele der Überzeugung ist, daß der, der nicht nur mitgeht,

sondern überhaupt erst den intellektuellen Anstoß dazu gibt, daß eine S traftat entstehen kann, auch mitge­ hangen werden muß. Ich bin deshalb der Meinung, die ja bei uns auch wohl Allgemeingut ist, daß die Gleichbehandlung des Anstifters selbstverständlich ist. Die erfolglose Anstiftung würde ich genau so be­ handeln wie den Versuch, wie das Steckenbleiben im Versuch durch den Selbsttäter. Wenn man nun einen Unterschied macht und sagt, der Anstifter habe die T at eines anderen gewollt, während der Selbsttäter — also der mittelbare oder unmittelbare Allein- und Mehrtäter — die eigene T at gewollt hat, dann bin ich zwar nicht dafür, diesen Unterschied zu machen, frage aber, warum man das im Gesetz zum Ausdruck bringen soll. Wenn man im Gesetz mit dürren Worten sagt, daß der Anstifter genau so behandelt werden soll wie der Täter, dann liegt gar keine Veranlassung vor, hier eine besondere Begriffsbestimmung für den Anstifter aufzustellen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, wir verfallen jetzt wieder in einen Fehler, der uns schon oft begegnet ist. Is t es denn die Regel, daß eine Beihilfehandlung selbständig in der Welt bestehen bleibt? Die Regel ist doch, daß eine strafbare Handlung begangen wird, zu der Bei­ hilfe geleistet worden ist. Daß eine Beihilfe geleistet wird, die weiter zu gar nichts führt, ist die seltenste Ausnahme. Nun scheint mir bei der Betrachtung der Dinge folgende Vorstellung nicht ganz lebensnah zu sein. Wenn das Dienstmädchen den Mülleimer fahrlässig stehen läßt und der andere fahrlässig fährt und der Passant verletzt wird, so ist es doch kaum denkbar, daß man diesen Erfolg auf eine Schuld des Dienst­ mädchens in der Form einer Beihilfe zurückführt. Ich kann mir wohl denken, daß man sagt: Sie hat die Verletzung durch ihre Nachlässigkeit verursacht; ich kann mir aber nicht vorstellen, daß man sagt: Sie hat fahrlässig Beihilfe geleistet, daß der Passant über­ fahren worden ist. Ebenso ist es in dem Falle, wo einer die Haustür offen läßt und dadurch ermöglicht, daß einer einschleicht und einen Diebstahl begeht. Auch da kann man sagen, er habe fahrlässig mitge­ wirkt, daß eine S traftat begangen worden ist. Aber daß er fahrlässig dem Dieb geholfen hat, ist nach meinem Gefühl ein sprachlicher Widerspruch. Nun gehe ich einmal davon aus, daß hier gar nicht von Beihilfe gesprochen wird. Wenn wir aber wünschen, daß die Beihilfe zum Diebstahl bestraft wird, so würde das nach den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs dazu zwingen, beim Diebstahl einen Satz dahingehend anzubringen, daß jemand, der ein eigentumgefährdendes Verhalten zeigt, bestraft wird. Solche Spezialtatbestände würden aber zu wirklichen Gefährdungstatbeständen werden, die meiner Meinung nach der eigentlichen Beihilfe gar nicht gerecht würden, insbesondere aus dem Gesichtspunkt des Willensstraf­ rechts; denn der, der Beihilfe leistet, will ja nicht gefährden, sondern in seinem Willen steht das Ziel des Erfolges.

Es kommt daraus an, ob wir die Aufteilung in Gehilsenwillen und Täterwillen aufgeben wollen. D as scheint mir aber gerade in der Sphäre des Willensstrafrechts kaum möglich zu sein. Nun bin ich also folgender Auffassung: Gesetzt den Fall, wir streichen hier die Beihilfe, das könnte man, glaube ich, ruhig tun, indem man den § 3 weg­ läßt; denn in § 1 und in § 2 ist die Beihilfe ja wohl nicht enthalten — dann lösen wir diese Rechtsfigur der Beihilfe in Spezialfiguren auf, die wir bei den einzelnen Tatbeständen unterbringen. Dann würden wir also bei den einzelnen Tatbeständen immer sagen müssen: „Wer ein Diebshandwerkzeug beschafft, wer einen Mord vorbereitet usw.". Professor Dr. Kohlrausch: Es käme auf die norwegische Regelung hinaus. W ir müßten bei jedem F all überlegen, ob wir schreiben wollen: „oder dazu mitwirkt". Ob das aber praktisch ist, das ist gerade auch für das norwegische Recht doch recht zweifelhaft. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich versuche immer wieder Fälle zu finden, die etwa bei den einzelnen Delikten verschieden lauten müßten. Ich glaube, das ist unmöglich. M an müßte dann auch bei den einzelnen Delikten sagen: „Wer stiehlt oder mitwirkt, daß gestohlen wird", und so auch in allen anderen Fällen. Ich habe das Gefühl, daß wir uns von dem volkstümlichen Denken sehr weit entfernen, wenn wir jede Beihilfe, auch die Beihilfe zur vollendeten HauptLat als Gefährdungsdelikt auffassen. E s wird doch dann jeder sagen: „Der Mann, der die Leiter zum Einsteigen zur Verfügung stellt, hat doch das Eigen­ tum nicht gefährden wollen, sondern hat den Diebstahl gewollt". (Senatspräsident Professor Dr. Klee: D a ist der erweiterte Täterschaftsbegriff noch besser!) — Theoretisch; aber ich fürchte, daß wir uns da sprachlich und sachlich vom einfachen schlichten Denken völlig entfernen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Die Strafbarkeit der versuchten Beihilfe muß man in irgendeiner Form dann ausnehmen, wenn der Haupttäter auch nicht bestraft werden würde. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich möchte die Diskussion nicht durch eine große Debatte über die Anstiftung erweitert sehen. Es kommt ja vor, daß bei einem Mordfall, in dem der T äter und der Anstifter zum Tode verurteilt worden sind, der T äter begnadigt wird, der Anstifter nicht. Darüber, daß die Anstiftung in den Rahmen der Täterschaft gestellt wird, brauchen wir also gar nicht zu reden. B is jetzt sind Zweifel geäußert worden, ob wir die Anstiftung überhaupt brauchen. Wenn wir den Weg gehen wollen, den wir bisher im Entwurf gegangen find, brauchen wir sie, weil wir für die erfolglose

Anstiftung irgend etwas anssagen müssen. Die erfolg­ lose Anstiftung schlechthin strafbar zu machen, halte ich für unmöglich. Ich erinnere an das Beispiel, mo der Freund mir erzählt, er habe mit irgendeinem anderen Krach gehabt, und mich fragt, was er tun soll. Ich antworte: Gehe hin und haue ihm eine runter! E r tut das aber nicht. So etwas können Sie doch nicht in den Rahmen des Strafrechts ziehen. (Staatssekretär Dr. Freister: Weil das eine Lappalie ist!) — Wenn wir nun sagen, der muß bestraft werden, mann es sich um Verbrechen handelt, auch wenn nichts geschieht, so ist das der Gedanke des bisherigen § 364. D aran sollten wir auch festhalten. Die erfolglose Anstiftung schlechthin unter Strafe stellen, das können wir nicht, auch nicht mit der Korrektur des Oppor­ tunitätsprinzips. Professor Dr. Kohlrausch: Auch dann nicht, wenn ein typischer Tätervorsatz bei der Anstiftung vorliegt? — Ich denke etwa an den Fall, wo der eine einen anderen durch einen gedun­ genen Raudi durchprügeln ließ. Hier würde ich auf dem Standpunkt stehen, daß der nicht Anstifter ist, sondern wegen Körperverletzung zu bestrafen ist. I n ­ soweit wir das Täterschaft nennen, müssen wir auch die erfolglose sogenannte Anstiftung als Versuch strafen, soweit Versuch in solchen Fällen überhaupt strafbar ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Anstiftung könnte man in der Ausgestaltung, wie wir sie jetzt'haben, auch im neuen Strafrecht gebrauchen. W as die Beihilfe anlangt, so bin ich bis jetzt nicht der Meinung, daß wir sie als generelle Rechtsfigur beseitigen und in Spezialtatbestände auf­ lösen können; denn dann müßten alle Spezialtat­ bestände den norwegischen Text bekommen: wer stiehlt oder daran mitwirkt, daß gestohlen wird, usw. (Staatssekretär Dr. Freister: W ir müßten von der Regelung der erfolglosen Anstiftung zu schweren Straftaten als der Grundregelung ausgehen; und die Bindung an den Erfolg der Anstiftung müßte als Ausnahme aufgebaut werden.) — Praktisch ist es doch so, daß die Anstiftung Erfolg hat. Wenn sie keinen Erfolg hat, kommt sie ja gar nicht zur Erscheinung. Wenn wir die erfolglose An­ stiftung als Regelfall für strafbar erklären würden, dann würde das dem Denunziantentum T ür und T or öffnen. Ich bin der Meinung, daß schon das, was wir hier gemacht haben, sehr weit geht. D as bisherige Recht hat eine Form verlangt, die sichtbar war, hat Vorgänge in der sichtbaren Welt verlangt, die man beweisen kann. Darüber gehen wir schon weit hinaus. (Pause von 14,05 bis 16,30 Uhr.) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren, bevor wir unsere heutigen Be­ sprechungen fortsetzen, darf ich, nachdem Herr Gras von der Goltz nunmehr erschienen ist, ihm auch vor

der Kommission nochmals unsern Dank aussprechen für die Bereitwilligkeit, das Amt zu übernehmen, das ihm vom Ministerium zugedacht ist.' Ich wäre dankbar, wenn bei der weiteren Debatte die Gedanken, die heute am Schluß sehr stark laut geworden sind, recht ernsthast betrachtet würden. Was sich am meisten als Widerspruch gegen eine Regelung der Beihilse fühlbar gemacht hat, war der Wunsch, die Beihilfe von der Haupttat völlig zu lösen und jede Form einer Beziehung der Beihilfe zur Haupttat auszugeben. Ich möchte nun die Herren bitten, mir folgende Frage zu beantworten: Ein M ann will einen Dieb­ stahl begehen, und dazu fragt er einen andern nach einer Gelegenheit. Der andere weist ihm diese Ge­ legenheit nach. Zu einem Diebstahl kommt es nicht; es wird überhaupt nichts unternommen, auch kein Versuch. Nun habe ich zwei Fragen. 1. Soll der, der auf Anfrage diese Gelegenheit nachgewiesen hat, straf­ bar sein? 2. Weswegen soll er bestraft werden? Ich wäre dankbar, wenn ich darauf eine Antwort bekäme, um zu sehen, wie die einzelnen Mitglieder der Kom­ mission sich das vorstellen. (Staatssekretär Dr. Freister: 1. J a . 2. Wegen Einbruchsgefährdung.) — D as würde also heißen, die Beihilfe zum Diebstahl als ein Spezialdelikt zu formulieren nach norwe­ gischem Rezept, und beim Diebstahl zu sagen: „Wer dazu mitwirkt, daß gestohlen wird". Daß dadurch die Akzessorietät der Beihilfe beseitigt ist, bestreite ich. Denn beim Mitwirken an einem Diebstahl hängt diese Beihilfehandlung mit der Haupthandlung zusammen. Aber wir sind nicht dazu da, um Theorien im Gesetz zu verwirklichen. Ich persönlich habe nur die Meinung, daß dieser streng theoretische Wunsch, die Beihilfe völlig von der Haupttat loszulösen, mit diesem Vor­ schlag nicht erfüllt werden kann. D as wäre die eine Antwort. Ich glaube aber, es ist nicht die einzig mögliche Antwort. Ministerialdirektor Schäfer: Diese Frage läßt sich auch so lösen, daß man den § 364 erweitert, wie wir die erfolglose Anstiftung bei zuchthauswürdigen Delikten von der T at loslösen. Wie wir dort auch das erfolglose Sicherbieten zu einer strafbaren Handlung, was einer Beihilfehandlung bei zuchthauswürdigen Delikten schon ganz ähnlich ist, unter Strafe stellen, so könnte man auch dieses P rob­ lem, auf das es Herrn Staatssekretär Freister insbe­ sondere ankommt, dadurch lösen, daß man sagt: „Wer einem andern zu einer mit dem Tod oder mit Zucht­ haus bedrohten S traftat zu helfen versucht, ohne daß dieser eine S traftat begeht." Dann haben wir das Problem gelöst unb auf die wichtigen Fälle beschränkt. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Kommen wir mit diesem Rezept durch? Ist damit wirklich alles gemacht?) — Damit ist das, was Herr Staatssekretär Freisler selbst als Lücke empfindet, geschlossen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Gut! Und wie ist es nun, wenn es hier wirklich zum Diebstahl gekommen ist? Erste Frage: S oll be­

straft werden? J a . D as steht nicht zur Diskussion. Zweite Frage: Weswegen? (Staatssekretär Dr. Freisler: Wegen M it­ wirkung beim Diebstahl.) Ministerialdirektor Schäfer: Wenn man das ändern will, samt man es aus dem andern herausnehmen. Dann würde man es Beihilfe dazu nennen. Der andere Begriff würde erfolglose Beihilfe sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Darüber, wie wir es nennen, will ich mich vor­ läufig gar nicht aussprechen. M ir wäre es erwünscht, wenn die Herren einmal zum Ausdruck brächten, ob man durch eine parallele Richtung der erfolglosen Beihilfe zur erfolglosen Anstiftung wenigstens das Problem der erfolglosen Beihilfe lösen könnte. Das ist eine Idee, die sich aus unserm § 364 ergeben hat. Reichsgerichtsrat Niethammer: Die Ansicht, die ich heute vormittag zum Ausdruck gebracht habe, hat sich durch das, was in der heutigen Verhandlung sonst zutage getreten ist, in keinem Stück wesentlich geändert. Meine Ansicht deckt sich, soweit ich es beurteilen kann, durchaus mit der des Herrn Ministerialdirektor Schäfer und deckt sich in sehr mcitcm Umfang mit der des Herrn Geheimrat Kohl­ rausch, weicht aber in einzelnen Stücken ganz erheblich von der Ansicht des Herrn Staatssekretär D r. Freisler ab. Dabei glaube ich, daß wir beide im Grunde gettommen demselben Ziel zustreben, daß uns bethen ebensoviel daran gelegen ist, daß jeder als Täter zur Verantwortung gezogen wird, der mit Täter­ willen gehandelt hat, gleichviel, ob die Tat zur Vollendung gekommen, ob sie im Versuch stecken­ geblieben ist. Die Unterschiede zwischen uns bestehen im wesent­ lichen eigentlich nur darin, daß wir dieses Ziel auf verschiedenem Weg zu erreichen suchen. Ich habe darum gebeten, man möge im Gesetz nicht zu viel festlegen, sondern möge der Rechtsprechung den Raunt lassen, in dem sie sich bisher bewegt und — das kann ich sagen — int wesentlichen auch bewährt hat. Nun hat der Herr Staatssekretär der Ansicht Ausdruck verliehen, wenn heute der Eindruck ent­ standen sei, als ob sich das Bestreben durchsetzen wolle, näher am geltenden Recht zu bleiben, so könne man dies damit erklären, daß hier die eine Seite aus. einer langjährigen Erfahrung im Rechtsleben spreche, tvährend die andere Seite sich um die Verwirklichung neuer Rechtsgedanken bemühe. Ich glaube aber nicht, daß man hier einen Gegensatz ausstellen kann. Ich bin sogar überzeugt, daß dieser Gegensatz nicht vor­ handen ist. Ich kann für mich und auch für die, die sich sonst im Reichsgericht mit den hier vorliegenden Fragen abgegeben haben, versichern, daß auch wir diese neuen Gedanken verwirklichen wollen, daß uns nur daran gelegen ist, daß man für die neuen Ge­ danken die Erfahrungen verwerte, die sich bei uns in weitem Raum und in langer Zeit angesammelt haben.

N un könnte m an aus dem, was H err Geheimrat Kohlrausch vorgetragen hat, einen E inw and gegen diese Auffassung herauslesen. H err Geheim rat Kohl­ rausch hat die M e in u n g ausgesprochen, das Reichs­ gericht habe sich wohl fortschrittlich bewegt und die Möglichkeit, einen Schuldigen als T a te r zu fassen, w eit ausgedehnt; allein es bestehe kein V erlaß darauf, daß diese Richtung beibehalten und schließlich nicht einmal aufgegeben werde. Niemand kann bestreiten, daß das Reichsgericht Fehler begangen hat; das Reichsgericht selbst verkennt dies nicht. Aber das Reichsgericht bildet sich ein, daß es nicht allein Fehler macht, sondern daß Fehler auch anderwärts vorkommen, auch bei der Rechtswissenschaft. Es wäre ja nach meiner Ansicht eigentlich ein unerträglicher Zustand, unsere A rb eit wäre unnütz, wenn es keine Fehler gäbe. W ir sind dazu da, aus Fehlern zu lernen und so vorw ärts zu kommen. S o viel aber kann ich versichern: E s ist gänzlich ausgeschlossen, daß das Reichsgericht seine Recht­ sprechung von dem, was es einm al ausdehnend erfaßt hat, ablenken w ird . D a s kommt sicherlich nicht ent­ fernt in Frage bei einer Rechtsentwicklung, wie sie in dem E n tw u rf und in den Anträgen vor uns liegt. Diese Rechtsentwicklung sagt uns zunächst einmal in einer grundlegenden Vorschrift des Allgemeinen T e ils : Recht ist, was das Volk als Recht w ill und für Recht ansieht. Und nun sollte es möglich sein, daß das Reichsgericht sich dem widersetzen würde oder es irgend einmal auch n u r unternehmen sollte, sich davon loszulösen? D a ra n ist ganz gewiß nicht zu denken. D a muß ich sagen, daß ich die G ew alt der gegenwärtigen Bewegung, und zw ar nicht nu r ihre äußere, sondern vor allem ihre innere G ew alt viel zu hoch einschätze, als daß ich annehmen könnte, das oberste Gericht würde irgend einm al gegen das entscheiden, was als Recht von Volk und S ta a t gewollt w ird. D as sind die grundlegenden Gedanken, die ich habe. Und maßgebend fü r sie ist ein Gebot, das der H err M inister ausgesprochen hat: M a n muß sich, wenn man ein Gesetz gestalten w ill, streng und schlicht an die Regel halten und darf nicht im mer irgendwelche sonderbaren, seltenen F ä lle einwerfen, wie sie die Gerichte kaum einm al beschäftigen, in der Rechtslehre aber aus erzieherischen Gründen oft ein ziemlich breites Feld einnehmen. W ird der schlichte Regelfall gut im Gesetz bestimmt, dann fä llt dem Richter alles andere, das Unregelmäßige, das Seltene und Sonder­ bare sicherlich von selbst zu. D en W eg dafür, daß es ihm zufällt, beschreitet der E n tw u rf in jener Vorschrift, in der er die Möglichkeit gewährt, über die auslegende Ausdehnung Hinauszugreisen und das Recht auch zu fassen, wo es nicht im Gesetz beschrieben ist. W enn ich das, was für mich maßgebend ist, an einem B ild bezeichnen darf, das m ir naheliegt, so ist das ein B ild , das ich aus der W anderung im Gebirge schöpfe. W ir wollen doch alle erreichen, daß w ir den Richter, auch den einfachen, nicht ganz sicheren Richter aus den G ipfel hinausbringen, aus dem W ahrheit und Recht für ihn erreichbar werden. N u n meine ich: Wie w ir bei dem Aufstieg im Gebirge da und dort das

Drahtseil nötig haben, so sollen w ir es auch hier anlegen. Aber w ir sollen es nicht da anbringen, wo es entbehrt werden kann, wo es genügt, daß w ir ein Zeichen am Fels machen oder eine S tange aufrichten; denn das allzu starke Anlegen des S eiles schadet. W enn ich davor warne, so geschieht es aus der E r ­ fahrung eines M annes heraus, der diesen Weg des Rechts tausendmal emporgestiegen ist und einen S in n dafür erlangt hat, ob es richtig ist und wo es m it gutem E rfolg geschehen kann, freizulassen. N un darf ich vielleicht zu dem, was H err Geheim­ rat Kohlrausch im einzelnen in Beziehung auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts vorgetragen hat, einiges bemerken. D a s sind Einzelfragen, aus die ich an sich kein ausschlaggebendes Gewicht lege. H err Geheim rat Kohlrausch hat das V erh ältn is der Vorbereitung zum Versuch und der Täterschaft zur Teilnahm e besprochen und dabei bemerkt, was richtig ist: M a n kann zwischen diesen beiden Rechts­ begriffen unterscheiden nach dem, w as äußerlich ge­ schieht, oder nach dem, was den T ä te r innerlich umtreibt. E s ist aber sicher, daß die Rechtsprechung des Reichsgerichts für die Unterscheidung zwischen Vorbereitung und Versuch ausnahmslos das B e ­ streben gezeigt hat, hier am äußeren M e rkm al festzu­ halten. In d e s hat H err Geheim rat Kohlrausch geglaubt, die Entscheidung, die einen Versuch der Unzucht m it einem Kind schon darin erblicken w ill, daß der T ä te r das Kind auf einem einsamen Weg abseits in den W ald , in das hochbestandene Feld lockt, sei gewisser­ maßen ein Übergang oder wenigstens eine Nachgiebig­ keit gegenüber der Unterscheidung nach dem In n e re n . Ich 'möchte das nicht zugeben. Auch in jenem T a t ­ hergang tr itt mindestens viel Äußerliches hervor: D a ß nämlich das Kind in eine Lage gebracht w ird , in der es das zu entbehren hat, was es vor diesem A n g riff schützen kann, die W ahrnehmung von andern, die hier helfend eingreifen, daß es — rein äußerlich gedacht — der G ew alt des von dem Unzuchtwillen erfüllten T ä ters mehr ausgesetzt ist. Zu m andern hat H err Geheim rat Kohlrausch in bezug auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts und ihre allmähliche Entwicklung dahin, die fahrlässige Täterschaft auszudehnen, den F a ll besprochen, in dem der Fabrikbesitzer eine A rbeiterfam ilie in eine feuer­ gefährliche Wohnung aufnim m t und dann der B litz­ strahl das Haus anzündet. D e r H err Geheim rat hat dazu bemerkt, das Reichsgericht habe bei der E n t­ scheidung dieses F alles etwas ausgesprochen, was aus­ zusprechen gar nicht nötig gewesen wäre. E s habe nämlich gesagt, der F a ll wäre nicht anders zu ent­ scheiden, wenn das Haus von einem T ä te r vorsätzlich in B ra n d gesetzt worden sei. B e i dieser Gelegenheit darf ich etwas erklären, was der Rechtsprechung des Reichsgerichts eigentüm­ lich ist, was aber noch nicht ganz verstanden und gebilligt w ird. W enn das Reichsgericht zu etwas Neuem vordringen w ill, dann verfährt es gern so, daß es diesen neuen Rechtssatz zunächst — ich möchte sagen — unnötigerweise offenbart, um an diesem F a ll

zu sehen, wie die andern Senate sich dazu stellen und was die Rechtswissenschaft dazu sagt. D a s U rteil über den B ra n d fa ll in dem schlechten Gebäude ist m ir deswegen besonders nahe, w eil ich selbst bei der Entscheidung mitgewirkt habe. W ir haben bei diesem U rte il von vornherein in Aussicht genommen: W enn sich die nächste Gelegenheit bietet, dann wollen w ir und werden w ir aussprechen, daß auch das vorsätzliche Handeln eines andern in der folgenden Ursachenreihe die V erurteilung wegen fahr­ lässiger Täterschaft nicht ausschließt. D a s haben w ir auch getan. Ich erinnere an das U rteil, das die Großm utter wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, die weggeht, während ihre Tochter das uneheliche Kind zur W elt bringt und dann erwürgt. Nach einigen Zw eifeln, allmählich fortschreitend, haben w ir den Grundsatz m it Bestimmtheit ausge­ sprochen. D avon kommt das Reichsgericht nicht mehr weg, unter dem geltenden Recht nicht und ganz gewiß nicht unter dem Recht, wie es hier vorgesehen ist. I n diesem Zusammenhang hat H err Geheimrat Kohlrausch an mich die Frag e gerichtet, wie man sich nach der Anschauung des Reichsgerichts zur fahr­ lässigen Anstiftung bei einer fahrlässigen T a t stelle. Ic h kann versichern: W enn man einm al als fahr­ lässige Täterschaft das nim m t, was ich vorhin ge­ schildert habe, dann muß m an folgerichtig — daran ist gar nicht zu zweifeln — auch die fahrlässige A n ­ stiftung zur fahrlässigen T a t als fahrlässige T a t aner­ kennen. H ier bieten sich im Leben viele tausend einzelne und schlichte F ä lle, sonderlich im Kraftwagen­ verkehr, der uns im m er wieder beschäftigt; für sie haben w ir ausgesprochen, daß derjenige, der die leicht­ sinnige F a h rt veranlaßt, auf der dann durch den Krastwagensührer jemand getötet w ird , wegen fahr­ lässiger Tötung m it zur Verantw ortung gezogen werden muß. N un komme ich zu gewissen Einzelheiten dessen, was H err Staatssekretär D r . Freister vorgetragen hat. E r hat an mich auch eine unm ittelbare Frage gerichtet. E r hat zu m ir gesagt, ich erkenne doch selbst an, daß irgend etwas noch nicht stimme; ich spräche dafür, daß man für die echten Teilnahm eform en der Anstiftung und B eihilfe die Abhängigkeit vom T a t­ bestand und von der Rechtswidrigkeit bewahre. Und ich sage, daß m an sich aus der Abhängigkeit von der Schuld schon durch die m ittelbare Täterschaft, wie sie entwickelt worden ist, für die Anstiftung befreit habe, aber nicht für die B eihilfe. D a s habe ich gesagt, und es mag sein, daß ich mich hierbei nicht vollkommen klar und erschöpfend ausgedrückt habe. D a s w ird vielleicht deutlich, wenn ich schildere, wie es im Leben vor sich geht. Denken w ir uns ein­ m al den F a ll, daß der Beschuldigte auf der S traße beobachtet, wie ein anderer sich das Vergnügen be­ reitet, irgendeine Sache zu beschädigen, vielleicht eine Sache von öffentlichem Nutzen, m it S teinen nach ihr zu werfen, einen P fa h l auszureißen, und daß er dem anderen hierbei h ilft. N u n haben w ir zwei M öglich­ keiten. Is t er sich dessen bewußt, oder hält er es auch

nur für möglich, daß der, der so schädigend w irkt, nicht zur Verantw ortung gezogen werden könne, da er unzurechnungsfähig sei, dann w ird er nach der jetzigen Rechtsprechung ohne weiteres erfaßt, dann ist er eben m ittelbarer T ä ter. D ie Schwierigkeit entsteht nur in dem F a ll, in dem er Erwägungen in dieser Richtung überhaupt nicht anstellt, sondern daran glaubt, daß dieser Schadenstifter in voller Zurech­ nungsfähigkeit handle, wenn sich hernach ergibt, daß diese Annahme unzutreffend gewesen ist, daß in W irk ­ lichkeit der Haupttäter nicht verantwortlich gemacht werden kann. Ic h habe aber hervorgehoben, daß für diese F ä lle eine Abhilfe geschaffen werden muß. I n den Vorschlägen, die hierzu aus der M itte des Reichsgerichts gemacht worden sind, bestehen nur zwei Unterschiede. Ic h selbst w a r beauftragt, mich über diese Frage auszusprechen und habe eine Lösung vo r­ geschlagen, die dahin geht, daß für die Beihilfe nicht mehr erforderlich sei, als daß die H aupttat rechts­ w idrig begangen werde, daß man also in der B e i­ hilfevorschrift durch die Einschaltung des W ortes rechtswidrig zum Ausdruck bringt, daß die Schuld nicht erfordert wird. M i t dieser meiner Ansicht bin ich aber nicht durchgedrungen. Dagegen hat der A us­ schuß, den das Reichsgericht bildete, sich dazu ent­ schlossen, diese Selbständigkeit, diese Loslösung von der Schuld in einer allgemeinen Vorschrift — sie ist heute vorgetragen worden — kundzutun. D ie A b ­ hängigkeit von der Schuld wollen w ir also beseitigen. W ir wollen davon auch für die B eihilfe auf diesen: oder jenem Weg weg. Schließlich komme ich zu dem, was der H err Staatssekretär über die Frag e der Verselbständigung der B eihilfe vorgetragen hat. Aus dem, was der H err Staatssekretär gesagt hat, darf man doch wohl das eine folgern: wenn man m it der M itw irkun g, die nach allen Richtungen gleich ist und gleich jetu soll und gleich bewertet und gleich bestraft werden soll, so verfährt, dann sperrt sich eben die B eihilfe, sie geht nicht hinein, sie fügt sich nicht. E s ist aber nach meiner M einu ng schlechterdings unmöglich, dem dadurch abzuhelfen, daß man nun die B eihilfe aus den allge­ meinen Bestimmungen herausnimmt und sagt: D a geht sie uns eigentlich gar nichts an, sie ist etwas gänzlich für sich. D a s geht schon deswegen nicht, weil das Leben sich dem widersetzt. D e r H err M inister hat schon hervorgehoben: D ie Regel ist, daß die Beihilfe sich an eine T a t anhängt, die begonnen oder vollendet w ird. W ie die B eihilfe in der Regel im Leben bei der T a t liegt, so kann sie auch vor Gericht regelmäßig nicht anders behandelt werden als zusammen m it der T a t. W ie soll es denn anders möglich sein? W ir haben doch Versahrensvorschristen, die uns den Z u ­ sammenhang und die Notwendigkeit des Zusammen­ hangs im mer wieder vor Augen führen. (Staatssekretär D r . Freis ter: D ie Verfahrens­ vorschriften können w ir ja ändern!) — D a s möchte ich nicht so leicht nehmen. Ich muß gestehen, daß w ir beim Reichsgericht m it solchen Änderungen der Versahrensvorschristen noch empfind­ licher sind als m it Änderungen des sachlichen Rechtes.

Aber wie gesagt, es geht gar nicht. Warum soll man denn etwas loslösen, was im Leben mit vollständiger Klarheit und Deutlichkeit an der T at selbst als eine Begleiterscheinung, als Beitrag eines andern hastet? M ir scheint also die Lösung unmöglich zu sein, daß man im Allgemeinen Teil die Beihilfe ausscheidet und dann nur zu besonderen Vorschriften im ersten Buch übergeht. Keinesfalls unmöglich, sondern sogar erforderlich erscheint mir allerdings ein anderes. Bei der erfolg­ losen Anstiftung nimmt der Entwurf schon eine erhebliche Ausdehnung gegenüber dem geltenden Recht vor. Meiner Überzeugung nach muß bei der erfolg­ losen Beihilfe dasselbe geschehen. W ir haben sie jetzt schon. Heute morgen haben wir von dem Diebes­ werkzeug gesprochen, das sein Hersteller bereit hält. Es handelt sich, gar nicht darum, ob es nachher ge­ braucht wird; diese T at steht für sich selbst da, wo ihr Platz ist: im Besonderen Teil. So, wie man das jetzt schon für das Diebeswerkzeug, für Geräte des Falsch­ münzers usw. hat, mag man im Besonderen Teil auch Bestimmungen schaffen, um bei anderen schwer­ wiegenden Verbrechen die erfolglose Beihilfe, wo sie wirklich etwas bedeutet, zu ersassen. Aber im Allge­ meinen Teil muß man die sonstige Beihilfe stehen lassen, weil sie da hingehört, und weil sie der Täter­ schaft nicht gleichsteht, bin ich immer noch der Meinung, man solle sich mit einer Beschreibung der Täterschaft im Gesetz keine Mühe geben; man wird damit nicht nützen, sondern viel eher hemmen. Professor Dr. Nagler: Die Heraushebung der Gehilfenschaft aus der all­ gemeinen Urheberschaft ist sicher eine unabweisbare Folge des Willensstrafrechts. M an darf den wahren Sachverhalt nicht dadurch vertuschen, daß man sagt: Der Täter wie der Gehilfe haben beide den rechts­ widrigen Willen. Es ist ein Trugschluß, wenn man daraus folgert: also müssen beide gleich behandelt werden. Denn dabei wird der Tatbestand nicht voll ausgeschöpft. Es wird eine Teilwahrheit, aber noch nicht die ganze Wahrheit erkannt, denn es wird ja nicht auf den In h a lt des Willens abgehoben. Von jeher hat das Reichsgericht mit Recht auf den In h a lt des Willens abgestellt und zwischen dem anim us socii und dem anim us aucto ris unterschieden, freilich mit der unglückseligen Wendung: die T at als eigne wollen oder die T at als fremde wollen. Diese Formulierung mutet sehr scholastisch an, und in der T at ist sie auch lebensfremd; sie hat denn auch sehr viel Unheil ge­ stiftet. I n Wirklichkeit ist damit gemeint die Unter­ scheidung zwischen einem selbständigen Willen und einem unselbständigen Willen. Darauf liegt der Akzent. Der Täter will alle Tatbestandsmerkmale verwirklichen, er will den Erfolg herbeiführen. Der Gehilfe dagegen hat nicht diesen Verursachungswillen, sondern er will zweierlei: Erstens will er seine Unter­ stützungshandlung als seine Persönlichkeitsleistung, sie soll zugleich ein Tatbeitrag sein zu der fremden Handlung, die vom T äter vorgenommen wird. Der Gehilfe ist also von Anfang an willensmäßig und auch

tatsächlich in Abhängigkeit von dem Täter, und über diese Abhängigkeit werden wir niemals hinweg­ kommen. Nun bieten sich für die Behandlung der Beihilfe zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit besteht in der Verselbständigung der Beihilfe, wie sie Herr Staatssekretär Dr. Freister heute so geschickt vertreten hat, wie ich sie noch niemals vertreten gefunden habe. Herr Staatssekretär Dr. Freister will die Beihilfe als ein delictum sui g eneris dargestellt wissen. E r sprach gelegentlich auch von Gefährdung, aber meinte sie nicht in dem Sinne, daß der Gehilfe bloß einen Gefährdungswillen habe, sondern daß in der Beihilfe objektiv eine Gefährdung liege; er hat gewiß nicht auf den Verletzungswillen verzichtet. Diese Lehre von der Selbständigkeit der Beihilfe nimmt ihre Kraft aus zwei Erscheinungen, die auch Herr Staatssekretär Dr. Freister sehr richtig dahin formuliert hat, daß einmal ein Schwebeverhältnis entstehen kann zwischen dem Abschluß der Beihilfetätigkeit und der Begehung der Haupttat durch den Täter. Während dieses Schwebezustands sind eben die Dinge noch im Gange, die angesetzten Kräfte haben sich noch nicht ausge­ wirkt, wir wissen noch nicht, was nun eigentlich der endgültige Charakter der Beihilfe-Handlung sein wird. Dieser Pendenzzustand macht natürlich in der Praxis und auch sonst Schwierigkeiten, aber er ergibt sich von selbst aus der Natur der Dinge, weil eben der Gehilfen-Wille ein unselbständiger Wille ist, weil der Gehilfe nicht selbst den Angriff hat führen wollen, sondern nur einen Tatbeitrag für den fremden Angriff bereitgestellt hat. Die zweite Angriffsfläche bietet die Straflosigkeit der erfolglosen Beihilfe nach dem System des geltenden Rechts. Es existiert in der Tat eine Reihe von Fällen, wo man die erfolglos ge­ bliebene Beihilfe vielleicht doch strafen sollte. Ich mache daraus aufmerksam: das positive Recht feuut auch schon einige Fälle, wo die erfolglose Beihilfe bestraft wird, z. B. gehört § 218 Abs. 4 (Abtreibung) hierher, wo es heißt: „Ebenso wird bestraft — und zwar sehr hart, mit Zuchthaus — , wer einer Schwangeren ein M ittel oder Werkzeug zur Abtrei­ bung der Frucht gewerbsmäßig verschafft." Darunter kann eine wirkliche Beihilfe fallen; es kann auch eine nur erfolglose Beihilfe darunter begriffen werden. Hier hat sich ein Bedürfnis zu deren Bestrafung her­ ausgestellt, hier hat das R S tG B . darum schon deren Bestrafung in einem delictum sui generis vor­ gesehen. Die schwache Stelle der Beweisführung des Herrn Staatssekretärs scheint mir darin erkennbar zu werden, daß er einen einheitlichen Tatbestand eines umfassenden delictum sui generis schaffen will, aber zugleich auf die jeweilige Täterstrafe hinsichtlich des Strafrahm ens verweist. Dieser soll variabel sein. Damit wird praktisch wieder die Akzessorietät aner­ kannt, weil die Differenzierung der GehilsschaftsS trafe nach der T at geschieht, zu welcher die Beihilfe geleistet worden ist. Ich glaube, es geht auch gar nicht anders. Wenn ich etwa den Fall, der hier von dem Herrn Minister angeregt wurde, als Beispiel ver­ wende: Es fragt jemand nach der Gelegenheit zu einem Diebstahl, die Gelegenheit wird nachgewiesen.

Der Diebstahl wird nicht begangen. Is t nun der ein­ fache oder der qualifizierte Diebstahl maßgebend? Soll der Nachweisende, wenn er selbständig beurteilt wird, bestraft werden nach dem Strafrahm en des einfachen Diebstahls, also bisher nach § 242, oder nach § 243? Das ist doch ein großer Unterschied. E s könnte ja auch sein, daß bei der Tat-Ausführung auch eine Nötigung angewendet werden konnte oder sollte. Da ergeben sich unbehebbare Schwierigkeiten. Ich greise auch noch einmal auf das Beispiel von dem Revolver zurück, der dem Freunde geschickt wird. Liegt darin Beihilfe zum Mord oder zum Totschlag? Soll gestraft werden nach dem viel härteren Strafrahm en des Mordes oder nach dem milderen des Totschlags? Diese Schwierigkeiten ergeben sich daraus, daß der geplante Tatbestand nicht genügend verselbständigt worden ist, daß er nicht auch mit einem selbständigen Strafrahm en ausgestattet wird. Diese Konsequenz läßt sich freilich gar nicht ziehen. Es muß eben doch der Zusammenhang mit der Haupttat immer wieder beobachtet werden. Die Isolierung der Beihilfe, die aus der Lehre von der Selbständigkeit der Gehilfschaft verfolgt wird, zerreißt natürliche, bestehende Zusammenhänge. Die Beihilfe ist materiell nichts Selbständiges; sie lehnt sich doch immer an eine Haupttat an, infolgedessen besteht tatsächlich immer die Akzessorietät. D as unselbständige Handeln des Gehilfen weist eben stets auf die Verletzung eines be­ stimmten Schutzobjektes hin und bekommt von dort her erst S in n und Zweck. Der ganze Unrechtsgehalt der Beihilfe richtet sich nach der unterstützten T at; es kommt alles darauf an, welche T at unterstützt worden ist. Die Beihilfe für sich allein ist ganz abstrakt; sie kann infolgedessen gar nicht verselbständigt werden, sondern muß immer in engsten Zusammenhang ge­ bracht werden mit der Haupttat. Dazu glaube ich, wird auch nach der Volksanschauung sehr scharf unter­ schieden, ob die unterstützte T at wirklich begangen worden ist oder es nicht zu diesem Erfolge gekommen ist, ob also die Unterstützungstätigkeit wirklich eine Mitwirksamkeit zu einem Verletzungserfolg gewesen ist oder nicht. W ir wollen einmal annehmen, es würde schon während der Pendenz der Gehilfe rechtskräftig abgeurteilt und die Haupttat erst darnach unter Be­ nutzung der von dem Gehilfen zur Verfügung gestellten M ittel begangen werden. Würde dann nicht der Gehilfe eigentlich zu milde weggekommen sein? Damals, als noch kein Verletzungserfolg eingetreten war, ist er leichter angefaßt worden als er angefaßt worden wäre, wenn schon die Verletzung eingetreten gewesen, also die Haupttat begangen worden war. (Staatssekretär Dr. Freister: D as ist der­ selbe Einwand, wie wenn der Schwerver­ letzte nach zwei Jahren doch noch stirbt, der andere aber schon lange vorher verurteilt worden ist.) — Herr Staatssekretär, darin liegt auch eine Kala­ mität, die wir aber dadurch lösen, daß wir eine Nach: klage gestatten — eine Auffassung, von der ich hoffe, daß sie in der künftigen Strafprozeßordnung aus­ drücklich Anerkennung finden werde. Diese Schwierig­

keit hat die Theorie langst erkannt und darum auf M ittel gesonnen, um diese Schwierigkeiten auszu­ räumen. (Staatssekretär Dr. Freisler: Die kann man auch hier anwenden!) Ich wende mich der zweiten Variante, der Teil­ nahme-Regelung, die ich für die bei weitem wert­ vollere halte, zu. Gewiß kann niemand daran denken, restlos zu unserem Strafgesetzbuch zurückzukehren. Auch die Ausführungen des Herrn Reichsgerichtsrats Niethammer gingen ja darauf hinaus, nicht mehr wie bisher die extreme Akzessorietät gelten zu lassen, sondern in sog. limitierter Akzessorietät nur auf die Rechtswidrigkeit der Haupttat, nicht auch auf die Schuld abzustellen. Ich glaube, bei der Akzessorietätssrage brauchen wir uns nicht länger auszuhalten. Darüber sind wir einig, daß in der Richtung der limitierten Akzessorietät die neue Regelung gesucht werden muß. Damit ist schon gesagt, daß eine ganze Reihe von Urhebersällen im Sinne von Binding mit unter die künftige Täterschaft einbezogen werden muß. Ein Beispiel: Es bestimmt jemand einen geistes­ kranken Richter, das Recht zu beugen. Heute können wir mangels einer Haupttat ihn überhaupt nicht be­ strafen; künftighin werden wir ihn strafen wegen Anstiftung zur Rechtsbeugung, weil ja die Rechts­ beugung tatbestandsmäßig und auch rechtswidrig begangen worden ist. Ich glaube, es ist durchaus gerecht, wenn wir diesen Urheber, obschon er nicht selbst Richter ist, zur Bestrafung bringen. Die Differenz ist nun die: Sollen wir außer der Beihilfe auch noch die Anstiftung ausdrücklich formu­ lieren? D as wäre der Vorschlag von Herrn Kollegen Kohlrausch, des Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer und auch des Herrn Ministerialdirektor Schäfer. Ich halte es nicht für notwendig, daß wir die Anstiftung ausdrücklich hervorheben, denn sie ist doch ihrem Wesen nach nur eine besondere Form der Ver­ ursachung. Der Fall der Hilde Höfeld z. B. war nach meinem Dafürhalten von vornherein ganz klar, weil nämlich der Vater darauf drang, daß die Tochter sich unter allen Umständen zum Selbstmord entschlösse und ihn beginge. E r hatte ihr ja gar nicht die Wahl gelassen, ob sie etwa selbst aus der Sachlage die Konse­ quenz des Selbstnwrds ziehen wollte oder nicht. E r hat ihr seinen Willen aufgezwungen. Diese Form der Anstiftung zum Selbstmord bedeutet natürlich eine mittelbare Tötung. Darum schien mir das verur­ teilende Erkenntnis etwas zu vorsichtig motiviert zu sein. Daß die Anstiftungs-Tätigkeit des VaterS als wirkliche Tötungshandlung zu werten war — hier blieb es beim Versuch — , ist für mich ganz zweifellos. Es wird auch in Zukunft ganz ebenso gehalten werden müssen. Selbst für die Absichtsdelikte oder das delictum proprium benötigen wir die Anstiftung nicht, baut die Form der Urheberschaft, wie sie aus der Wendung des § 358a: „oder ihre Ausführung durch einen anderen bewirkt" ersichtlich ist, bedeutet doch: E s kommt darauf an, daß für den Angestifteten alle tatbestandsntäßigen Voraussetzungen gegeben sind:

etwa das Beamten- oder M ilitärverhältnis, die be­ sondere Absicht, welche für die Absichtsdelikte charak­ teristisch ist. Also ich sehe nicht ein, daß wir hierfür die Anstiftung besonders hervorheben müßen. Wenn wir sie ausdrücklich erwähnen sollten, so bedeutet das nur eine Selbstverständlichkeit. Der Sache nach ergibt sich nichts Neues; es besteht keine materielle Differenz zwischen der ersten und zweiten Alternative. Bei den Vorschlägen von Herrn Professor Kohl­ rausch finde ich in § 1 Abs. 1 die Wendung „für sich" nicht glücklich. Sie scheint mir noch einen Anklang zu enthalten an die Formel: die T at als seine eigene wollen. F ü r nicht glücklicher halte ich den § 1 Abs. 2. Warum sollen wir uns auf eine bestimmte Kausali­ tätstheorie festlegen? W ir haben es bisher peinlich vermieden, überhaupt zum S tre it der Kausalitäts­ theorien Stellung zu nehmen — wie ich glaube, mit Fug und Recht. Wir sollten Dinge, die noch int Fluß sind, nicht abschließen und damit zur Erstarrung bringen. Nach meinem Dafürhalten ist die Burische Kausalitätstheorie schon im Abbau begriffen, zunächst in der Theorie, aber ich vermute, daß allmählich auch in der Praxis gewisse Einschränkungen dadurch ge­ macht werden, daß man sie zwar als Ausgangspunkt für die Kausalbetrachtungen nimmt, aber noch nicht als die Lösung des Kausalitätsproblems ansieht. Unter diesen Umständen möchte ich den § 1 der Vorschläge des Herrn Kollegen Kohlrausch ablehnen. W ir sollten vielmehr seine §§ 1 und 2 zusammenfassen in der von mir vorgeschlagenen Formulierung: „oder die Aussührung durch einen anderen bewirkt, gilt als Täter". Ich glaube, diese Formel ist so elastisch, daß irgend­ welche Schwierigkeiten in der Praxis sich nicht ergeben werden. Bei der Beihilfe steht es ganz anders. Ein be­ sonderer (akzessorischer) Beihilfetatbestand ist unbe­ dingt nötig — nicht nur für das delictum proprium (das Sonderverbrechen) oder das Absichtsdelitt, sondern ganz allgemein. Diese Forderung dürfte heute im wesentlichen unbestritten sein. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, daß der Unrechtsgehalt der Beihilfe im Durchschnitt geringer ist als der Unrechtsgehalt der Urheberschaft, weil eben die Bei­ hilfe etwas Unselbständiges darstellt. Ich verkenne durchaus nicht, daß es auch Beihilfefälle geben kann, die härter zu bestrafen sind als die unterstützte Tat selbst, daß man also einen gewissen Auslauf braucht. Darum würde ich die Täterstrafe fakultativ vorsehen, so wie ich es früher schon vorgeschlagen habe; die obligatorische Milderung des bisherigen Rechts ist abzulehnen. Sie war zweifellos ein Fehler unseres geltenden Rechts, das damit über das Ziel hinaus­ schoß. Die erfolglose Beihilfe ist im Durchschnitt der Fälle nicht strafwürdig. Ich gebe allerdings ohne weiteres zu, daß es auch strafbedürftige Fälle geben kann. Aus einen Fall des geltenden Rechts (§ 218 Abs. 4) habe ich schon hingewiesen; es gibt noch ein paar weitere Fälle dieser Art. Gewiß könnte man durch die Ausdehnung unseres bisherigen § 364 das

Gebiet zum Teil bestreiten, aber wir werden, wenn wir den § 364 behandeln, uns doch auch über den Unrechtsgehalt der erfolglosen Anstistung einigen müssen. M ir scheint, daß wir schon mit § 364 etwas zu weit gegangen sind, aber diese Frage steht im Augenblick nicht zur Diskussion. Jedenfalls widerrate ich der Erstreckung des § 364 auch aus die erfolglose Beihilfe. S ie wurde zu schweren Ungerechtigkeiten führen. M it dem Opportunitätsprinzip — wie ange­ regt wurde — zu Helsen, halte ich für unzweckmäßig; denn das würde heißen: das materielle Strasrecht dankt ab, das materielle Strasrecht bringt nicht selbst die Lösung, sondern schiebt sie dem Staatsanw alt oder dem bericht zu. T)aS ist doch nicht die richtige Prozedur. Wir sollen Farbe bekennen und müssen tue Entscheidung so tressen, daß die Praxis ganz genau weiß, welche Richtlinie sie einzuhalten hat. Was die fahrlässige Beihilfe anlangt, so scheint sie mir ebensowenig strafwürdig zu sein. Der Herr Minister hat gefragt, ob überhaupt eine fahrlässige Beihilfe möglich ist. Diese Skepsis ist durchaus berech­ tigt vom Standpunkt der Burischen Kausalitäts­ theorie. Wenn man zwischen bloßen Bedingungen zum Erfolg und wirklicher Verursachung unterscheidet, suyrt diese Disserenzierung der Datbenräge auch bei Fahrlässigkeit zur Unterscheidung von Urheberschaft und Beihilse. Überdies ist eine fahrlässige Beihilfe dann gegeben, wenn der Gehilfe sich über die Rechts­ widrigleit der Haupttat unentschuldbar irrt. Der Uurechtsgehalt dieser Fahrläfsigkeitsjülle ist so gering, daß wir oie fahrlässige Beihilfe nach wie vor straflos lassen sollten. S o komme ich immer wieder aus meine Vorschläge zurück, die ich schon früher unterbreitet habe. Ich möchte sie auch jejjt als die gegebene Lösung an­ sprechen. Es schadet gewiß nichts, wenn wir die Täterschaft ausdrücklich entwickeln, denn sie ist in eine so elastische Form gegossen, daß, wie ich glaube, die Praxis keinerlei Schwierigkeiten damit haben wird, die Vorgänge des Lebens leicht darunter zu subsu­ mieren. Ich sehe darin keine Fessel, die man der Praxis auferlegt. Die ganze Teilnahmelehre ist heute schon so durchgearbeitet, daß wir im großen und ganzen genau übersehen, um welche Lebensvorgänge es sich dabei handelt; viele Reibungen werden dabei nicht herauskommen. Die enorme geistige Arbeit, die in den letzten 60 Jahren geleistet worden ist, hat ge­ zeigt, welche Möglichkeiten überhaupt bestehen. Aber selbst wenn sich ganz neue Probleme in Zukunst ergeben sollten, erscheint meine Formulierung so anpassungsfähig, daß man jederzeit damit aus­ kommen kann. Wenn wir schon die Möglichkeit haben, den Täterbegriff zu formulieren, dann sollten wir das tun, um mindestens den Gegensatz gegenüber der Bei­ hilfe klar Herausstellen zu können. Daß man die Limitierung der Akzessorietät ausdrücklich hervorhebt, halte ich natürlich für geboten; wir müssen ein für allemal für die Praxis ganz eindeutige Richtlinien festlegen.

Professor Dr. Dahm: Ich glaube, die Meinungsverschiedenheiten, die heute in diesem Kreise entstanden sind, beziehen sich eigentlich nicht auf das praktische Ergebnis. Ich meine, die Sperren, die bisher gesprochen haben, dahin zu verstehen, daß sie im wesentlichen dasselbe wollen. Das gilt sowohl sür die Anstiftung als auch für die Beihilfe. Daher erscheint die Frage: Wollen wir An­ stiftung, Beihilfe und Täterschaft unter einen Dach­ begriff bringen? als eine mehr theoretische Frage von nicht allzu großer Bedeutung. Insbesondere wäre es verfehlt, etwa anzunehmen, daß der Grundgedanke des Willensstrafrechts eine Zusammenfassung sämt­ licher Beteiligungsformen in einem Begriff not­ wendig macht. I m Gegenteil scheint mir, daß gerade das Willensstrafrecht eher eine gewisse Unterscheidung, allerdings unter subjektiven Gesichtspunkten, nahelegt. Zunächst sollten wir die Anstiftung selbständig erscheinen lassen. Einmal deswegen, weil sie eine selbständige Lebenserscheinung darstellt, die wir nicht einfach hinwegkonstruieren können. Der Gesetzgeber kann natürliche Lebensvorgänge nur bis zu einem gewissen Grade umgestalten und darf sich nicht einfach vom Leben lösen. Es kommt hinzu, daß wir den Ver­ such der Anstiftung nicht wie den Versuch der Haupt­ tat schlechthin bestrafen wollen, sondern nur bei be­ stimmten Verbrechen, die in § 364 bezeichnet sind. Fernerhin sind wir alle der Meinung, daß grundsätz­ lich die Anstiftung der Täterschaft gleich bestraft werden soll. Daher muß die Anstiftung zwar für sich erscheinen, aber in die Nähe der Täterschaft gerückt werden. Anstiftung und mittelbare Täterschaft sind grundsätzlich gleich strafwürdig und eng miteinander verwandt. Ergebnis: Ich würde Alleintäterschaft, Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft, Nebentäter­ schaft und Anstiftung zusammen unter den Begriff der Mitwirkung bringen und die Anstiftung als ein Beispiel der Mitwirkung nennen, würde also sagen, daß eine S traftat begeht, wer sie ausführt, dazu anstiftet oder sonst mitwirkt. Dazu käme eine be­ sondere Vorschrift über die versuchte Anstiftung. F ür den Vorschlag des Herrn Profeffor Kohlrausch kann ich mich einstweilen nicht recht erwärmen. Herr Kohlrausch will danach unterscheiden, ob man einen anderen veranlaßt, für den Veranlaffenden zu handeln, oder ob man ihn dazu bewegt, im eigenen Interesse tätig zu werden. Diese Unterscheidung hätte dann einen wirklichen S in n , wenn man in diesen beiden Fällen zu verschiedenen Ergebnisien käme. D as ist aber nicht der Fall. Denn auch Herr Professor Kohlrausch will ja die Fälle der §§ 1 und 2 seines Vorschlags gleich behandeln. Praktisch würde sich die von Herrn Profesior Kohlrausch vorgeschlagene Lösung von der mir vorschwebenden Vorstellung beim Versuch unterscheiden. Die Vorschrift des § 364 würde nach den Vorschlägen des Herrn Profeffor Kohlrausch nur auf die Fälle anwendbar sein, in denen ich einen anderen veranlaffe, im eigenen Jn tereffe zu handeln. Ob das richtig ist, scheint mir doch zweifelhaft.

Dann die Beihilfe! F ü r die Beihilfe gilt etwas anderes als für die Anstiftung. Herr Staatssekretär Dr. Freister ist heute morgen mit Recht davon aus­ gegangen, daß das Volksempfinden die Beihilfe anders empfindet als die Anstiftung, imd daß die Verwandtschaft zwischen Täterschaft und Beihilfe ent­ fernter ist als die Verwandtschaft zwischen Täterschaft und Anstiftung. Dem entspricht auch das praktische Ergebnis. Einmal wollen wir nicht jeden Versuch der Beihilfe unter Strafe stellen. Insofern Parallele zur Anstiftung! W ir könnten als Gegenstück zu § 364 eine Bestimmung über den Versuch der Beihilfe einführen. Ein weiterer Unterschied liegt in folgendem: I m allgemeinen ist die Beihilfe weniger strafwürdig als die Anstiftung. Bei der Anstiftung wird das objektive M inus durch ein subjektives P lu s ausgeglichen. Bei der Beihilfe liegt aber auch aus der subjektiven Seite ein M inus vor. Ich komme also zu dem Ergebnis, daß die Strafe sür die Bei­ hilfe gemildert werden kann, und daß der Versuch der Beihilfe nur in den Grenzen des § 364 unter Strafe zu stellen ist. Wie soll nun die Beihilfe umschrieben werden? Da möchte ich mich zunäcbst gegen den Gedanken aus­ sprechen, den Herr Staatssekretär Dr. Freister heute morgen entwickelt hat. Ich halte es für unmöglich, die Beihilfe im Besonderen Teil zu regeln, und darf da auf den mißglückten Versuch des norwegischen Strafgesetzbuchs hinweisen. M an müßte die meisten Tatbestände dahin fassen, daß bestraft wird, wer das und das tut ,,oder dazu mitwirkt". D as ist schon sprachlich unmöglich und auch grundsätzlich bedenklich. Denn das Wesentliche der Beihilfe ist nicht die M it­ wirkung bei der Gefährdung der Rechtsgüter, sondern eben das Hilseleisten, und mir scheint sogar eine gewisse Akzessorietät der Beihilfe dem Wesen dieser Lebensvorgänge zu entsprechen. Daher gehört die Beihilfe in den Allgemeinen Teil hinein, und zwar muß die Beihilfe — darin stehe ich im Gegensatz zu Herrn Staatssekretär Dr. Freister — subjektiv be­ stimmt werden. Ich würde im wesentlichen die heutige Rechtsprechung des Reichsgerichts gesetzlich festlegen. Ich würde also den Entwurf, der objektive und subjektive Erfordernisse miteinander verbindet, preisgeben. D as allein entspricht dem W i l l e n s st r a f r echt . Was das Unternehmen angeht, so scheint mir auch jetzt noch der beste Vorschlag der zu sein, man möge das Gesetz auf denjenigen anwenden, der die Tat aus­ führt oder sie mit dem Willen der Vollendung be­ ginnt. Als ich diesen Vorschlag seinerzeit vorbrachte, ging ich von der Vorstellung aus, daß man damit im wesentlichen die Rechtsprechung des Reichsgerichts festlege, die über den formalen Anfang der Aus­ führung hinausgeht und die Gefährdung des Rechts­ guts einbezieht. Ich erinnere an den Mann, der mit den Kindern in den Wald geht, um dort unzüchtige Handlungen vorzunehmen. Hier taucht aber eine technische Frage auf, die ich sür nicht ganz einfach halte. Ich bin der Meinung, daß über den Beginn hinaus in gewissem Umfange

auch die Vorbereitungshandlungen, namentlich bei den schweren Verbrechen erfaßt werden müssen. Hier sehe ich jedoch eine Gefahr. Wenn wir in das Gesetz hineinschreiben, daß die Vorbereitung auf den Mord soundso bestraft werde, dann legt das eine Auslegung des Beginnens nahe, die doch wohl zu eng wäre. Denn dann sieht es so aus, als wäre das Beginnen im übrigen keine Vorbereitung, während wir doch der Meinung sind, daß wir über den Anfang der Ausführung hinaus gewisse Vorbereitungsfälle in den Beginn einbeziehen müssen. Darum könnte man ver­ suchen, den Beginn von der Seite der Vorbereitung her näher zu erläutern. Dafür bieten sich zwei Mög­ lichkeiten. Entweder man schreibt in den Allgemeinen Teil dem Sinne nach hinein: Auch die entferntere Vorbereitung wird bei den schweren Verbrechen — wenn auch milder — bestraft. Oder man bringt in dem Besonderen Teil bei den einzelnen Delikten zum Ausdruck, daß die Vorbereitung, auch soweit sie nicht unter den Begriff des Beginns fällt, bestraft wird. Dadurch wäre klargestellt, daß auch die letzte Vorbereitung durch das Beginnen mitumfaßt ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zu Beginn Ih re r Ausführungen, Herr Professor, hatten Sie den Wortlaut Ih re s ersten Paragraphen über die Täterschaft skizziert. Wie hat der gelautet? Professor Dr. Dahm: Ich hatte sagen wollen: „Als T äter wird bestraft, wer die S traftat begeht, zu ihr anstiftet oder in anderer Weise bei ihr mitwirkt". Der Ausdruck „als Täter" hat hier einen ganz bestimmten S inn. Einige Herren sind auf die Fragen des Absichtsdelikts und des Sonderdelikts eingegangen und haben auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich dann ergeben, wenn bestimmte Merkmale des Tatbestandes bei einzelnen Beteiligten nicht erfüllt sind. Nun glaube ich auf § 47 des geltenden Strafgesetzbuchs hinweisen zu dürfen, wo es heißt: Wenn mehrere eine strafbare Handlung ge­ meinschaftlich ausführen, so wird jeder als Täter bestraft. Heute besteht aber gar kein Zweifel darüber, daß bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 jedem der Beteiligten auch die Tatbestandsteile zugerechnet werden, die nicht bei ihm, sondern bei einem anderen der Beteiligten vorliegen. Wenn wir jetzt sagen „als Täter wird bestraft, wer . . . . mitwirkt", so ist damit klargestellt, daß selbst derjenige bestraft wird, in desien Person gewisse Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt sind. Wir kommen auf diese Weise, glaube ich, um die Schwierigkeiten der Absichts- und Sonderdelikte herum. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Frage zielte auf folgendes ab: Ich war vorhin nicht ganz im klaren darüber, ob Sie in den §§ 362 ff. auch die Beihilfe mit aufgeführt haben wollen. (Professor Dr. Dahm: Nein, die würde ich herausnehmen.)

— Denn das dürsten Sie nach Ih re r Konstruktion meiner Meinung nach nicht. Wenn Sie dann fort­ fahren: „oder sonst in irgendeiner Weise dazu mit­ wirkt", haben S ie aber die Beihilfe wieder mit aufgeführt. Professor Dr. Dahm: Nun kommt ja hinterher eine besondere Bestim­ mung über die Beihilfe. Ich würde mir das begriff­ liche Verhältnis so denken, daß die Beihilfe als ein Sondersall der Mitwirkung unter besondere Regelung gestellt, also gleichsam spezialisiert wird. Reichsjustizminister D r Gürtner: Uber die Beihilfe wollen Sie also eine besondere Aussage machen, gleichzeitig aber in dem Einleitungs­ satz die Beihilfe mit aufführen? (Professor Dr. Dahm: I n dem Mitwirken liegt an sich begrifflich die Beihilfe drin, sie unterliegt aber besonderer Regelung.) — An sich ist das logisch richtig, denn den oberen Begriff für alle diese Erscheinungsformen könnte man nur als Mitwirkung auffassen. Davon ist die T äter­ schaft der untere Begriff. Täterschaft, Anstiftung, Beihilfe, sonstige Mitwirkung — sind die einzelnen Formen, für die ein gemeinsamer Name von Ihnen gewünscht wird? (Zustimmung von Professor Dr. Dahm.) Staatssekretär Dr. Freister: Ich möchte versuchen, ganz kurz ein Gerippe des Aufbaues, wie ich ihn mir denke, vorzutragen. Dabei komme ich nicht mehr dazu, das Problem der Beihilfe im Besonderen Teil zu lösen. Ich schlage etwa das folgende Gerippe vor. Erstens: Täter ist jeder M it­ wirkende. Zweitens: Täter ist danach a) derjenige, der den Tatbestand einer strafbaren Handlung selbst oder durch andere verwirklicht; b) auch derjenige, der einen anderen zu einer S traftat zu verleiten sucht oder der hilft, eine S traftat zu begehen. D rittens: Nur wenn die Verleitung oder Hilfeleistung zu einer S traftat erfolgte, die so, wie der Handelnde die T at sich vorstellte, mit höchstens drei Jahren Gefängnis bedroht ist, bleibt der Verleitende oder Hilfeleistende dann straflos, wenn die Haupttat nicht begangen wurde. Viertens: Bei der strafbaren Hilfeleistung zu einer S tra fta t und bei erfolgloser Verleitung zu einer S traftat, soweit sie strafbar ist, kann die Strafe ge­ mildert werden. D as bedeutet einmal: Mitwirkung als umfassenden weiten Täterbegriff. Es trägt zum andern dem Rech­ nung, daß, wer das will, auch sagen kann, die T äter­ schaft und die Anstiftung — ich habe hier allerdings mit Absicht nicht Anstiftung, sondern Verleitung ge­ sagt — seien zweierlei. Es bedeutet drittens, daß die akzessorische Natur der Anstiftung und der Beihilfe in den Fällen, in denen die Mindeststrafandrohung mehr als drei Jah re Gefängnis ist, beseitigt ist. Die Grenze kann man natürlich verschieben. Viertens ist für die Verleitung, wenn sie erfolglos ist, und für die Beihilfe, ganz unabhängig davon, ob sie erfolglos ist

ober nicht, die Milderungsmöglichkeit gegeben. Fünftens ist meines Erachtens damit klargestellt, daß die akzessorische Natur der Teilnahme eine Unmöglich­ keit bedeutet. Und doch hat man eine Konzession ge­ macht, aber eine Konzession, die vertretbar ist, um nicht in häufigen Fällen — nach diesem Vorschlag alle die Fälle, die mit weniger als drei Jahren Ge­ fängnis bedroht sind — unerwünschte Konsequenzen heraufzubeschwören. Verwandtes aus allem Möglichen von den bis­ herigen Vorschlägen klingt an: Der Satz, daß Tater jeder Mitwirkende ist, also derjenige, der den T at­ bestand einer strafbaren Handlung selbst oder durch andere verwirklicht, ist entnommen aus dem Vorschlag des § 1 Abs. 1 von Herrn Geheimrat Kohlrausch unter Weglassung der Worte „sür sich". Es deckt sich dies mit dem Vorschlag von Herrn Professor Nagler zu § 358 a Abs. 1, jedoch unter Weglassung des Wortes „schuldhaft", was an dieser Stelle nicht zu stehen braucht, weil sich das aus anderen Gründen ohne weiteres ergibt. Weggelassen ist aber der von Herrn Geheimrat Kohlrausch selbst, wenn ich recht verstanden habe, nicht sür notwendig gehaltene Absatz 2 des § 1 seines Vorschlags. Der § 2 von Herrn Geheimrat Kohlrausch findet sich, verbunden mit § 3, wieder in § 2 b meines Vorschlags. Dabei wollte ich die Loslösung von der Notwendig­ keit, daß die Haupttat auch begangen wird, dadurch zum Ausdruck bringen, daß ich einmal bei der An­ stiftung nicht von Anstiftung spreche, sondern sage: Auch derjenige wirkt mit, der einen anderen zu ver­ leiten sucht. Diese Worte wähle ich eben, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß es gar nicht darauf ankomme, ob die Verleitung Erfolg hat oder nicht. Bezüglich der Beihilfe wollte ich das dadurch zum Ausdruck bringen, daß ich sagte: oder Hilst, eine S tra f­ tat zu begehen. D araus soll hervorgehen, daß es gleichgültig ist, ob die S traftat begangen wird oder nicht. D as bedeutet also den Versuch, die Strafbarkeit des Gehilfen nur aus seiner Handlung und daraus, in welchen Zusammenhang er diese seine Handlung hineingedacht hat, abzuleiten, nicht aber daraus, ob ein anderer, nämlich der Haupttäter, diesen Zusammen­ hang auch in der Welt der Wirklichkeit durchführt. Damit glaube ich dem Rechnung getragen zu haben, was ich heute früh für mich persönlich als eine Art unveräußerlichen Glaubenssatzes bezeichnet habe. Ich glaube also vermieden zu haben, daß nach dem Beispiel von heute vormittag der Richter genötigt ist, zwei Urteile in zwei Schubladen zu legen und es von dem Eingang eines Telegramms über die Handlung eines Dritten abhängig zu machen, welches Urteil nun ergehen soll. Ich habe mich ferner in Nummer 3 meines Vor­ schlags bemüht aus das hinauszukommen, was kurz nach der Schließung unserer Vormittagssihung mir von Herrn Vizepräsidenten G rau vorgeschlagen wurde und was ich Ihnen, Herr Minister, weitergegeben habe. Nur komme ich von der anderen Seite der Sache bei, indem ich die nichtakzessorische Verleitung und Beihilfe an die Spitze stelle, um dann die Fälle,

in denen ich eine andere Regelung möchte, hinterher zu bringen, indem ich in Punkt 3 sage: Nur dann, wenn die Hilfeleistung oder Verleitung zu einer S tra f­ tat erfolgte, die mit höchstens drei Jahren Gesängnis bedroht ist, bleibt der Verleitende oder Helfer straflos, wenn die S traftat nicht begangen wird. Dabei habe ich ja bereits selbst den Vorbehalt gemacht, daß sich über die Grenze von drei Jahren Gefängnis streiten läßt. Denn es könnte sein, daß diese Einschränkung der Straflosigkeit der nicht akzessorischen Teilnahme­ fälle zu eng ist. Vielleicht müßte die Straflosigkeit schon eintreten, wenn überhaupt Gefängnis angedroht ist, so daß die Grenze also da gezogen wird, wo es sich um Zuchthausandrohung handelt. Ich kann das augenblicklich nicht überschauen, weil ich keine Auf­ stellung unserer Strafrahm en hier habe und weil außerdem die Strafrahm en der ersten Lesung wohl einer sehr erheblichen Nachprüfung unterliegen werden. Vielleicht ist es aber auch richtiger, für dieses weite Gebiet zwischen der Mindestandrohung von Zuchthaus und der Mindestandrohung von etwa drei Jahren Gefängnis eine beweglichere Regelung zu schaffen. I n diesen Fällen könnte es vielleicht von dem Ermessen der Staatsanwaltschaft abhängig gemacht werden, anzuklagen oder nicht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W as die Frage anlangt, ob die erfolglose Beihilfe im Vergleich zu der erfolglosen Anstiftung strafbar sein soll oder nicht, so würde man, glaube ich, mit einer Gefängnisstrafe von drei Jahren schon des­ wegen nicht arbeiten können, weil darunter die gesamten Diebstahls- und Betrugsfälle fallen. D as geht viel zu weit. W ir sind ja auch bei der erfolglosen Anstiftung nicht über das Verbrechen hinausgegangen. Aber das ist ein Punkt, über den wir jetzt die Debatte nicht vertiefen sollten. Ein Zweifel ist bei mir entstanden, und ich möchte Sie, Herr Staatssekretär fragen, wie S ie sich das gedacht haben. D a heißt es: „S trafbar wie ein Täter . . . ist auch derjenige, der hilft eine S traftat zu begehen". D as ist nach der Auffassung des Autors ein Dokument dafür, daß die Beihilfe nicht akzessorisch sein soll. (Staatssekretär Dr. Freisler: Soll es sein!) — Ich frage nur: Aus welchem Rahmen soll nach dieser Fassung die Beihilfe bestraft werden? (Staatssekretär Dr. Freisler: Nach dem der T at, die er sich vorgestellt hat. Bei Beihilfe kann ja immer gemildert werden.) — Sind S ie der Meinung, daß bei einer solchen gesetzlichen Fassung diese Hilfe auch strafbar ist, wenn gar keine S tra fta t begangen wird? (Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn das noch nicht klar ist, wird es klar durch meinen Punkt 3.) — M an könnte vielleicht sagen: „Der hilft oder zu helfen sucht". Nun kommt eine zweite Frage: Warum soll das Wort „Verleitung" statt „Anstiftung" gebraucht

Werden? Wenn das geschieht, dann entsteht der Ein­ druck, daß das etwas anderes ist als die bisherige Anstiftung. Die bisherige Anstiftung war die Er­ zeugung des Entschlusses, eine T at zu begehen. Was soll die Verleitung sein? (Staatssekretär Dr. Freister: Die bisherige Anstiftung war das, von Sonderregelungen abgesehen, nur dann, wenn die S traftat be­ gangen wurde.) — Nein, das war nur die Voraussetzung der S traf­ barkeit. Aber „anstiften" in unserer Terminologie bedeutet doch, einen anderen veranlassen, eine S traf­ tat zu begehen. Wenn wir jetzt das Wort „verleiten" gebrauchen, so ist das, glaube ich, etwas Engeres. (Staatssekretär Dr. Freister: D as sollte es hier nicht sein.) — Ich habe jedenfalls einiges Bedenken, diesen wohl­ geschliffenen Ausdruck „anstiften" mit einem anderen zu vertauschen, der dasselbe bedeuten soll. (Staatssekretär Dr. Freister: Wenn Punkt 3 mit diesem In h a lt aufgenommen wird, habe ich gar kein Bedenken, daß es oben „anstiften" heißt.) Professor Dr. Mezger: Die Erörterung über den sogenannten extensiven, richtiger: w e i t e n T ä t e r b e g r i f f ist dadurch nicht selten auf ein falsches Gleis gekommen, daß man von der Auffassung ausging, die Vertreter dieses weiten Begriffs würden keine Unterscheidungen inner­ halb desselben für möglich und geboten halten. Das zu leugnen war von Anfang an nicht ihre Absicht. Ich würde deshalb nach wie vor, wie ich schon in meinem Referat in erster Lesung in Übereinstimmung mit Herrn Vizepräsidenten G rau ausgeführt habe, diesen Ausgangspunkt für durchaus möglich, ja auch für durchaus angezeigt halten. Insbesondere glaube ich, daß dies nicht an den sogenannten Äbsichtsdelikten scheitert; denn bei den Absichtsdelikten, bei denen die Absicht nur in der Person eines anderen vorliegt, nimmt der Handelnde diese Absicht in seinen Vorsatz und damit in seinen Willen auf und kann deshalb für diese fremde Absicht, ohne daß man damit in den Gedanken einer falschen Akzessorietät im alten Sinne zurückfällt, verantwortlich gemacht werden. Ich bin insbesondere nach wie vor der Auffassung, daß die A n s t i f t u n g mit dem bisherigen Täterbe­ griff vereinigt und zusammengenommen werden sollte. M ein Vorschlag deckt sich also im Ergebnis hier mit den Vorschlägen der Herren Kollegen Nagler und Dahm, während er den Vorschlägen des Herrn Kollegen Kohlrausch widerspricht. M an könnte aber in den Vorschlägen des letzteren sehr leicht § 1 und § 2 etwa in der Form zusammenfassen: ,,. . . dadurch verwirk­ licht, daß er ganz oder teilweise andere dazu veran­ laßt." Dann wäre die wirklich unerquickliche und auch in der praktischen Durchführung schwierige Unter­ scheidung von Alleintäterschast, Mittäterschaft, Neben­ täterschaft, mittelbarer Täterschaft und Anstiftung, die doch in ihrer praktischen Wertung auch künftig gleich­

behandelt werden sollen, vermieden und alles das in § 1 Abs. 1 des Vorschlags Kohlrausch zusammen­ gefaßt. Absatz 2 dieses Vorschlags würde ich streichen. Nach wie vor aber halte ich, wie es auch die anderen Herren getan haben, den § 364 des bis­ herigen Entwurfs für notwendig. Wenn damit der F all der erfolglosen Anstiftung besonders geregelt ist, dann zeigt das unmißverständlich, daß der Gesetz­ geber diese Form besonders herausnehmen und für sich behandeln will, und daß er sie nur in dem Fall des § 364 als strafwürdig ansieht. D araus folgt, daß Fälle, also leichtere Fälle bloß versuchter An­ stiftung, nach dem Willen des Gesetzes straflos bleiben sollen. W as sodann die B e i h i l f e anlangt, so könnte man — darin bin ich schon in meinem Referat in erster Lesung meinem Herrn Mitberichterstatter ent­ gegengetreten — diese Beihilfe i n n e r h a l b des großen Täterbegrisfs näher regeln. Heute ist mehr und mehr das Bestreben zum Ausdruck gekommen, das nicht innerhalb des umfassenden Begriffs zu tun, sondern diese eine Form der Mitwirkung, die wir Beihilfe nennen, für sich und damit n e b e n dem sonst umfassenden Begriff der Täterschaft zu be­ handeln. D as ist keine Prinzipienfrage. Dieser Weg wäre m. E. gangbar. D as Bild wäre dann dies, daß in dem ersten Paragraphen alles mit Ausnahme der Beihilfe geregelt wäre; wenn der Gesetzgeber in einem folgenden Paragraphen die Beihilfe besonders regelt, so ist damit unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß diese Form der Mitwirkung aus dem allgemeinen, umfassenden Begriff herausgenommen ist. Die erfolglose Beihilfe müßte meiner Auffassung nach genau so wie die erfolglose Anstiftung in die Sonderregelung des § 364 unseres Entwurfs einbe­ zogen werden, sofern und soweit sie überhaupt strafbar sein soll. Jedenfalls möchte ich den Satz nicht ver­ missen, der bisher in § 362 Abs. 2 Satz 2 steht: „Geringfügige fahrlässige Mitwirkung bleibt straflos." W as dann endlich die Stellungnahme zu dem all­ gemeinen Begriff des U n t e r n e h m e n s d e r S t r a f t a t anlangt, so muß die jetzige Diskussion auch auf die Gestaltung dieses Begriffes ausstrahlen. Wenn man alles mit Ausnahme der Beihilfe in eine Einheit zusammenfaßt, so ist umgekehrt bei der Aus­ dehnung des Unternehmensbegriffs Vorsicht angezeigt. M it dem Wort „beginnen" sollen, was vielleicht die Begründung klarstellen könnte, in etwas weiterem Umfang Vorbereitungshandlungen einbezogen werden als bisher nach § 43 S tG B . I m übrigen glaubte ich aber gerade aus unserer heutigen Erörterung wieder ein Argument dafür herleiten zu dürfen, daß man bei Abgrenzung des Unternehmens nicht ganz auf objek­ tive Kriterien verzichten kann. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie würden also auch dem Gedanken der Herren Dahm und Freister beitreten, daß man die Sache mit einem Dachbegrisf beginnt. Dafür ist bis jetzt vor­ geschlagen: „Als Täter wird bestraft", und „Täter ist jeder Mitwirkende".

Professor Dr. Mezger: M ir würde, wie bereits gesagt, die Fassung Kohl­ rausch durchaus zweckentsprechend erscheinen, wenn man kombiniert: „Täter ist, wer die Tatbestandshandlung selbst oder dadurch verwirklicht, daß er ganz oder teilweise andere dazu veranlaßt". D as: „für sich" scheint mir keine glückliche Wendung zu sein. Es folgt dann der Beihilseparagraph, der klarstellt, daß diese Gruppe für sich behandelt wird. Den praktischen Bedürfnissen des Lebens, nach denen die Beihilfe etwas für sich ist, tragen wir durch diese Sonder­ regelung Rechnung. Insoweit kann ich meinen Vor­ schlag aus Absonderung aus der ersten Lesung er­ weitern. W as bei solcher Regelung zu Unrecht in den ersten Paragraphen käme, kann ich nicht einsehen. Insbesondere scheint es mir — an diese Fälle denkt Herr Professor Kohlrausch — nicht gerechtfertigt zu sein, die Fälle der Anstiftung besonders herauszu­ nehmen, in denen der Anstifter nicht für sich die T at ausgeführt haben will, sondern für den, den er anstiftet. Diese Fälle der Täterstrafe zu unterstellen, wie es übrigens auch das geltende Recht bei der mittelbaren Täterschaft tut, ist durchaus gerechtfertigt; denn wenn die Initiativ e von jemandem ausgeht, sei es auch so, daß die T at für den Angestifteten begangen werden soll, so ist das eine so schwerwiegende Beteili­ gung an der Tat, daß sie dem Werte und dem Begriffe nach der Täterschaft gleichsteht. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Anstifter, der die T at für sich will, und dem, der die T at für den will, den er dazu anstiftet, besteht nicht. Jedenfalls besteht kein so wesentlicher Unterschied, daß er eine Teilung des Begriffs rechtfertigen würde. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Wunsch, daß man mit einem Oberbegriff anfängt, entspringt allen drei Vorschlägen, die gemacht worden sind. Ebenso sind die Herren darüber einig, daß man unter diesen Umständen für gewisse Dinge, und zwar für sehr wichtige, z. B. für den Versuch der Anstiftung und für den Versuch der Beihilfe, nachher etwas Besonderes sagen muß. (Professor Dr. Mezger: Es werden heraus­ genommen die Beihilfe zur vollendeten T at und, unserem § 364 entsprechend, die Fälle der versuchten Anstiftung und der versuchten Beihilfe.) — Auch hier wird die Beihilfe zur vollendeten Tat speziell herausgenommen, weil Strafmilderung zuge­ lassen werden soll, die für die Haupttat nicht möglich ist. F ür die erfolglose Anstiftung und die erfolglose Beihilfe wird ganz allgemein eine Strafmilderung zugelassen, soweit überhaupt Strafbarkeit vorliegt. M an kann das natürlich so ausbauen, aber es fällt mir schwer, zu begreifen, warum man mit einem Dachbegriff anfangen muß, den man nachher durch Spezialregelungen wieder auflöst.

Professor Dr. Mezger: Mein Grund für den weiten Begriff ist der: es soll mit der praktisch nicht notwendigen Unterscheidung von Alleintäterschaft, Mittäterschaft, Nebentäterschaft, mittelbarer Täterschaft und Anstiftung, die praktisch keine Wirkung hat, ausgeräumt werden. Es sind damit insbesondere auch jene vielfältigen Über­ kreuzungsfälle zwischen wirklichem Geschehen und Vorsatz, die im geltenden Recht so große Schwierig­ keiten machen, aus dem S treit ausgeschieden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Soweit es sich um die Unterscheidung von Alleintäterschast, Mittäterschaft und mittelbarer Täterschaft handelt, ist das absolut klar. M. E. könnte man auch noch die Allstiftung da hineinnehmen, weil für die Anstiftung, abgesehen von der versuchten Anstiftung, keine Sonderaussagen mehr kommen. Die Anstiftung hat den Strafrahm en der Haupttat. Nur bei der versuchten Anstiftung gibt es einen kleinen Einbruch insofern, als die versuchte Anstiftung zum Vergehen straflos bleiben soll. Schlimmer ist es aber bei der Beihilfe. Da scheint es mir vom Standpunkt des Willensstrafrechts durch­ aus nicht überzeugend zu sein, daß sie in diesen Ober­ satz hineingeschrieben werden muß. (Professor Dr. Mezger: Die ist auch nicht drin! D as will ich ja gegenüber der ersten Lesung konzedieren. Damals hatte ich sie ein­ bezogen und innerhalb der Schachtel besonders geregelt. Heute ist die Tendenz, sie auszu­ nehmen, stärker. Damit bin ich einverstanden.) — Dann will ich nur sagen: Daß man die Anstiftung und die Täterschaft zusammenzieht, will mir ein­ leuchten, und ich will es hinnehmen, daß man für die versuchte Anstiftung einen Sondersatz ausspricht. Aber daß man auch die Gehilfenschaft hereinnimmt, will mir gerade vom Standpunkt des Willensstrasrechts noch nicht einleuchten, weil bei der Gehilfen­ schaft der Wille etwas anderes ist. Staatssekretär Dr. Freister: Darf ich sagen, warum? Ich verweise da auf die preußische Denkschrift, die von der richtigen Meinung ausgeht, daß die Schuld des Gehilfen in der Regel durchaus nicht geringer sein muß als die Schuld des Täters oder Anstifters, sondern daß man erst aus dem Tatbestand des einzelnen Falles erkennen kann, welche Schuld im einzelnen die größere ist. Die Ver­ antwortung des Gehilfen für die T at kann sogar größer sein als die des Täters, wenn der Täter z. B. gar nicht in der Lage war, sich das Werkzeug für die T at ohne einen Gehilfen zu beschaffen. I n diesem Falle kann man wohl sagen, daß der Gehilfe sogar eine größere Verantwortung als der Täter selbst hat. Aus diesen Erwägungen ist die Denkschrift für einen einheitlichen Begriff der Mitwirkung eingetreten. D as scheint mir richtig zu sein. Andererseits bin ich mir aber darüber klar, daß die Einheitlichkeit nicht voll durchgeführt werden kann,

Weder bei der Anstiftung noch auch bei der Beihilfe. Bei der Beihilfe ist es zwar nicht unbedingt not­ wendig, sie nach dem Gesichtspunkt der Schuld und der Verantwortung als weniger schwerwiegend an­ zusehen; es ist aber tatsächlich doch in vielen Fällen so. Wie es in der Regel ist, weiß ich nicht. Zahlen­ mäßig kann man das nicht ausdrücken. Jedenfalls gibt es viele mildere Fälle, und deswegen sind wir gezwungen, für die Beihilfe eine Ausnahme zuzu­ lassen, die im praktischen Ergebnis eine mildere Bestrafung ermöglicht. Aber diese Erwägungen zwingen doch nicht dazu, das, was hier durch eine im Grundsätzlichen wur­ zelnde Begründung niedergelegt ist, umzuwerfen. Sie, Herr Minister, wollen scheinbar doch auch nicht sagen, daß die Nennung dieses Daches im Gesetz etwas schade; Sie fragen nur, wozu es nütze ist. Es ist dazu nütze, die einheitliche Zusammenfassung der Täter­ schaftsformen zu dokumentieren. Wenn man nun schon nicht meint, daß diese Zusammenfassung etwas schade, und nur fragt, ob sie etwas nütze, dann sollte man doch meinem Vorschlage folgen. Reichsjustizminister Dr. Gürtnrr: Ich will diesen Aufbau durchaus nicht ablehnen. Ich habe nur ein gewisses Bedenken, das vielleicht durch die Fassung widerlegt werden kann. D as Gesetz­ buch, das wir schreiben wollen, soll doch kein Lehrbuch sein, das nur Juristen lesen können. Wenn man den Aufbau in gemeinverständlichen Sätzen zum Ausdruck bringen kann, ohne daß es allzu kathedermäßig klingt, dann kann man das so machen. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: M an kann es beispielsweise aufführen, wie es Herr Dahm vorgeschlagen hat. — Staatssekretär D r. Freister: D as ist ungefähr das, was ich als Punkt a und b vorgeschlagen habe.) Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte nicht zu dem Aufbaugerippe sprechen, wie es Herr Staatssekretär D r. Freister vorgeschlagen hat. D as bedarf wohl noch näherer Prüfung in kleinerem Kreise. Ich möchte nur zwei Fragen heraus­ greifen, von denen die eine allerdings jetzt schon ziemlich erledigt ist, nämlich die Frage, ob man die erfolglose Beihilfe bestrafen soll. Ich möchte dann noch ein Wort zu der Frage sagen, ob man den Dachbegriss im Gesetz bringen soll oder nicht. Dabei kommt es mir im wesentlichen auf die erste Frage an. Denn bei der ersten Frage steht die materielle Gerechtigkeit zur Debatte, während es sich bei der zweiten Frage wirk­ lich nur um eine Frage der Fassung handelt. W as den ersten Punkt betrifft, so hat Herr S ta a ts­ sekretär Freister vorhin darauf Bezug genommen, daß ich bei Beginn unserer Debatte heute nachmittag selbst die Formulierung vorgeschlagen hätte, man möge den § 364, der von der erfolglosen Anstiftung handelt, einfach auf die erfolglose Beihilfe ausdehnen. Das hatte ich durchaus nicht gewollt. Ich hatte nur gesagt, wenn man das Problem der Bestrafung der erfolg­

losen Beihilfe lösen wolle, so könne man das in der und der Weise tun. Ich habe mich aber absolut nicht zum Befürworter der Bestrafung der erfolglosen Bei­ hilfe gemacht und bin auch durch die Debatte jetzt noch nicht überzeugt worden. Ich möchte noch einmal zu diesem Punkt sprechen, obwohl, wie mir scheint, zuletzt die Ansichten stark dahingehen, den § 364 auf die erfolglose Beihilfe auszudehnen. Ich darf zunächst daran erinnern, wie langsam und ängstlich der Gesetzgeber seinerzeit dazu über­ gegangen ist, die erfolglose Anstiftung überhaupt mit Strafe zu bedrohen. Ursprünglich war sie im S tra f­ gesetzbuch nicht mit Strafe bedroht. Sie wurde erst durch einen Sonderparagraphen für strafbar erklärt, und zwar in zwei besonders faßbaren Formen; man verlangte eine Schriftform oder das Aussetzen eines Entgelts. I n dieser Zaghaftigkeit und Zurückhaltung des Gesetzgebers liegt ein großes Stück praktischer Lebensweisheit. Wie der Herr Minister heute schon bei der Anstiftung sagte, ist das Wort am Biertisch leicht gesprochen. Wenn einer gefragt wird, was er da tun würde, und darauf antwortet: „Na, hau dem eine runter!" und nachher geschieht nichts, soll man da schon von erfolgloser Anstiftung sprechen, die strafbar wäre? W as für die Anstiftung gilt, gilt in erhöhtem Maße für die Beihilfe. Ich habe den Eindruck, die Herren haben immer nur besonders schwere Ver­ brechen im Auge und bei diesen besonders schweren Verbrechen besonders schwere Formen der Beihilfe, während in Wirklichkeit die Beihilfe in einem bloßen Rat bestehen kann. Wie leicht kann beim Gespräch am Biertisch gesagt werden: ich würde das so oder so machen. D as sind alles Ratschläge, die für die Aus­ führung des Delikts nutzbar gemacht werden können. Wenn man aber gar nicht weiß, ob sie wirklich ernst gemeint sind, und wenn man jedes bei einem solchen Gespräch gefallene Wort, dem gar nicht Folge geleistet wird, nachher als eine strafbare erfolglose Beihilfe betrachtet, dann macht man der P raxis die größten Schwierigkeiten. Es wird natürlich etwas gemildert, wenn man sagt, daß es sich um eine mit Zuchthaus bedrohte T a t handeln muß. Aber die Zuchthausan­ drohungen sollen in unserem Entwurf außerordentlich w e i t g e z o g e n werden, und der Weg, den der Gesetzgeber bisher aus praktischer Lebensweisheit zu gehen für gut gehalten hat, wäre doch etwas leicht verlassen. Nun kommt aber etwas Zweites hinzu. Kann man wirklich ganz außer Betracht lassen, danach zu fragen, ob die Beihilfe, also der Rat, eine Folge gehabt hat, ob es also wenigstens beim Täter der Haupttat zu einem strafbaren Versuch gekommen ist? Ich gehe von dem praktischen Beispiel aus, das ich schon heute Morgen angedeutet habe. Die Schwangere A fragt ihre Freundin B: Kannst du mir nicht eine gefällige Hebamme nennen, die mir eventuell hellen kann? Darauf wird die Adresse der Hebamme von der B genannt. Die A geht nach Hause. Nachher erleidet sie einen Straßenbahnunsall, bei dem sie zu F all kommt. Die Leibesfrucht geht ab, ohne daß irgendeine

Abtreibungshandlung vorgenommen wird. Wie wird die A bestraft, und wie wird die B bestraft? Bei der B handelt es sich um einen Rat, der zweifellos als Beihilfe strafbar wäre, wenn auf Grund dieses Rates die A die Abtreibungshandlung vorgenommen hätte. Nun hat sie das aber nicht getan. Nach dem hier gemachten Vorschlag bleibt die B wegen erfolgloser Beihilfe zur Abtreibung strafbar, die A dagegen wird nicht bestraft. (Zuruf: Vielleicht wegen Anstiftung.) — Ich sehe schon den Weg, den die Praxis dann gehen wird. Sie wird sagen, daß die A wegen Anstiftung zur Beihilfe zu bestrafen sei. S o weit zu gehen und auf diesem Umweg die A haftbar zu machen, heißt doch die Dinge auf den Kopf stellen. M an kann die Beihilfe nicht selbständig, losgelöst von der T at betrachten. Ich möchte einmal das Revolverbeispiel des Herrn Staatssekretärs um eine Kleinigkeit verändern. Der A hat B um den Revolver gebeten, um den X nieder­ zuschießen. B schickt ihm den Revolver. Inzwischen überlegt sich A die Sache anders, benutzt den Revolver nicht zum Niederschießen, sondern zu einer Körper­ verletzung, zu einem Beinschuß. Ich möchte nun den Herrn Staatssekretär fragen, was er in diesem Falle mit dem Schubladenurteil machen will. Wird der B bestraft? Der A wird wegen Körperverletzung bestraft. Soll nun der B wegen erfolgloser Beihilfe zum Mord bestraft werden? Ich weiß schlechterdings nicht, wie der Herr Staatssekretär dieses Beispiel entscheiden will. Wenn er konsequent sein will, müßte der B wegen Beihilfe zum Mord und der A nur wegen Körperverletzung zu bestrafen sein. D as kann doch nicht richtig sein; es geht eben nicht an, die Beihilfe losgelöst von der Haupttat zu betrachten. Nimmt man noch hinzu, was Herr Professor Dahm so klar herausgearbeitet hat, daß nämlich bei der Beihilfe hinsichtlich des Willens des Gehilfen in aller Regel ein M inus gegenüber dem Täterwillen vorliegt, so geht es mir erst recht nicht in den Kopf, daß eine erfolglose Beihilfe in solchen Fällen bestraft werden kann, in denen ein Täter nicht zu fassen ist. Niemals wird ein Volk das verstehen, und die Recht­ sprechung wird nach Umwegen suchen müssen, um nachher wieder umgekehrt die Anstiftung zur Beihilfe zu bestrafen. M an sollte es sich sehr überlegen, ob man die erfolglose Beihilfe ebenso behandeln will wie die erfolglose Aufforderung. Ich persönlich neige dazu, die Frage zu verneinen, also -die erfolglose Beihilfe grundsätzlich straffrei zu lassen und höchstens in Sondertatbeständen eine Strafbestimmung vor­ zusehen. Ich möchte nun schließlich noch einige Worte zum Dachbegriff sagen. Ich habe dem, was Herr Minister ausgeführt hat, wenig hinzuzufügen. Ich frage mich, was ein solcher Dachbegriff in einem Gesetzbuch soll, wenn ich an diesen Dachbegriff nicht die geringsten Folgerungen knüpfe. W ir haben für diesen Dachbegriff nicht einmal einen gemeinsamen Ausdruck gefunden. Bisher ist der einzige gemeinsame Ausdruck, den ich überhaupt gehört habe: Mitwirkender. S oll

denn diese Mitwirkung eventuell die Täterschaft, die Beihilfe oder nur Teile davon umfassen? Daß der Begriff Täter nicht eindeutig ist in dem Sinne, daß er alle drei Begriffe umfaßt, haben unsere endlosen Debatten gezeigt. Wir haben lange daran vorbei­ geredet, was der extensive Täterbegriff sein soll. Herr Professor Kohlrausch hat erklärt, er vertrete den weitesten extensiven Täterbegriff, was ich überhaupt nicht verstehen kann, weil er Anstiftung und Beihilfe herausnimmt, während Herr Professor Mezger unter extensiver Täterschaft die Täterschaft plus Anstiftung plus Beihilfe versteht. Durch unsere Erörterungen scheint mir erwiesen zu sein, daß der Begriff Täter als Oberbegriff nicht brauchbar ist. E s bleibt der Be­ griff der Mitwirkung. Es liegt auf der Hand, daß dieser Ausdruck kein Deutsch ist. I m Gründe ge­ nommen ist der Oberbegriff der Ausdruck Bösewicht oder Missetäter; der kann Täter oder Anstifter oder Gehilfe sein. Aber dieser Oberbegriff, den wir bisher gesunden haben, scheint mir erstens nicht notwendig zu sein, zweitens weltfremd und drittens nur geeignet, Verwirrung herbeizuführen. Wenn wir an diesen Oberbegriff gar keine Folgerungen knüpfen, dann sollten wir das, was in ein Lehrbuch hineingehört, nicht in das Gesetz hineinschreiben, sondern wir sollten ganz schlicht den Begriff Täter ohne die Formen der Teilnahme auffassen und daneben die für jeden ver­ ständlichen Begriffe Anstiftung und Beihilfe setzen. Jedenfalls kann ich mich nicht davon überzeugen, daß es ein Vorteil für den Gesetzgeber sein soll, hier einen Dachbegriff einzuführen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe gewisse Bedenken gegen diesen Dach­ begriff und frage gelegentlich, wie man das in Worte fassen soll. Das Wort „Mitwirkung" kann man nicht gebrauchen, weil der Alleintäter nicht als M it­ wirkender angesprochen werden kann. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich habe schon die Fassung vorgeschlagen: „Eine S traftat begeht, wer sie selbst ausführt oder vollendet oder zu ihr mitwirkt" oder „bei­ trägt". Der Haupttäter, der die T at eigen­ händig ausführt, muß natürlich hinein.) — D as ist sogar die Regel der Begehung. Ich frage immer wieder, wie man diesen Paragraphen nach dem Freislerschen Vorschlag einleiten soll: a) Täter, b) Anstifter, c) Mitwirkender. Der Täter ist kein Mitwirkender. Vorhin haben wir gesagt: „Als Täter wird bestraft". Hier wird vorgeschlagen: „Eine S tra f­ tat begeht, wer sie allein usw." Darüber müssen wir uns klar werden. Ich habe vorhin schon betont, es würde von der Fassung abhängen, ob meine Be­ denken gegen diesen etwas akademischen Aufbau beseitigt werden. Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: Die Zusammenfassung der verschiedenen Täter­ begriffe einschließlich des Gehilfen hat nach meinem Gefühl nicht n ur einen begrifflichen S inn, sondern soll klarstellen, daß nach unserer Auffassung jeder

gleich bestraft werden kann. Daß nachher Ab­ weichungen davon möglich sind, ist in den weiteren Bestimmungen gesagt. Aber gerade für das Willens­ strafrecht ist es wesentlich, daß gesagt wird: Es kommt nicht in erster Linie darauf an, an welcher Stelle der einzelne als Täter, Mitwirkender, Gehilfe usw. mit­ wirkt, sondern sie sind vor dem Gesetz gleich zu werten. Es besteht bloß die Möglichkeit, in einzelnen Fällen davon abzuweichen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wie würden Sie formulieren?) — Ich sehe die Formulierungsschwierigkeiten voll­ kommen ein. Ich wollte bloß in dem Augenblick einschreiten, wo gegen diese Zusammenfassung in einem Dachbegriff aus mehr oder weniger formalen Gründen zu Felde gezogen wurde. Ich glaube, es sind nicht bloß formale Gründe, sondern durchaus prak­ tische Gründe, die zur Einführung dieser Zusammen­ fassung zwingen. Wenn man weiß, was man will, wird sich auch schon eine Formulierung finden lasten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: W ir kämen schon einen Schritt weiter, wenn wir das Wort Dachbegriff nicht mehr aussprechen würden. W ir wollen ja ein gemeinsames Wort für diese Be­ teiligten erfinden, und darum knüpfe ich immer an diesen langen Satz an: „Als T äter wird bestraft. . ." , „eine Straftat begeht, wer sie selbst begeht oder durch andere begehen läßt usw." M ir würde besser gefallen: „Als Täter wird bestraft. . . " Da ist von einem Begriff keine Rede mehr, aber doch schon eine Aussage enthalten. Ich wehre mich nur dagegen, für die ver­ schiedenen Formen der Begehung einer S traftat, wie: Alleintäter, M ittäter, Nebentäter, Anstifter, Gehilfe, ein abstraktes Wort zu finden. Wenn S ie dagegen den Satz mit einer Aussage einleiten: „Als Täter wird bestraft. . . " , dann habe ich das Bedenken nicht mehr, dann würde man auch nicht von einem Dachbegrisf reden können. D as ist ein scheußliches Wort, das an die Dachgesellschaft erinnert. Hier wäre mehr das Wort Zusammenfassung, das Herr Graf von der Goltz gebraucht hat, am Platze. Zusammengefaßt werden die verschiedenen Begehungsformen unter einer gemein­ samen Aussage. Profestor Dr. Dahm: E s scheint mir notwendig, zwei Begriffe besonders hervorzuheben, nämlich einmal die unmittelbare Täterschaft, und zweitens die Anstiftung. Die mittel­ bare Täterschaft wird dagegen schon hinreichend durch den Begriff der Mitwirkung erfaßt. Auf die genauere Unterscheidung von unmittelbarer Täterschaft, M it­ täterschaft, Nebentäterschast usw. würde es dann nicht mehr ankommen. Professor Dr. Kohlrausch: Ich stimme durchaus dem zu, was Herr Ministe­ rialdirektor Schäfer, und im wesentlichen auch dem, was Herr Reichsgerichtsrat Niethammer und was der Herr Minister ausgeführt haben. Es wäre sicherlich schön, wenn wir einen zusammenfassenden Täter-

Begriff geben könnten. Aber die gemachten Vorschläge bringen ihn nicht. Denn in dem Augenblick, wo wir die zwei Fälle des Ausführens und des Mitwirkens nebeneinanderstellen, haben wir keinen zusammen­ fassenden Begriff mehr. Der Herr Minister hat mit Recht daraus aufmerksam gemacht, daß wir sehr wohl sagen können: „ A l s T ä t e r w i r d b e s t r a f t , wer erstens usw." Dann haben wir aber keinen ge­ meinschaftlichen Täterbegriff mehr und haben gerade dasjenige Ziel, das w ir in der ersten Lesung und auch jetzt erstrebten, einen einheitlichen, und zwar einen sogenannten extensiven Täterbegriff, endgültig ver­ fehlt. S o ist ja auch gegenüber dem Entwurf, den wir hier gedruckt vor uns liegen haben, von den ver­ schiedensten Seiten moniert worden, daß er einen engeren Täterbegriff formuliere, als er uns bisher vorschwebte, ja einen engeren, als das geltende Recht. Der Grund unserer Fehlleistung ist: Wir sind S k l a v e n d e s W o r t e s „extensiver Täterbegriff" geworden! W ir glauben allmählich, es müsse b e grisflichalledenkbarenBeteiligungsf o r m e n u m f a s s e n ; während es doch nur dar­ auf ankommt, s o v i e l B e t e i l i g u n g s f o r m e n a l s m ö g l i c h a l s T ä t e r s c h a f t z u st r a s e n . Daß gewisse Beteiligungsformen übrigbleiben, die „Anstiftung" oder „Beihilfe" bilden, ist ganz unver­ meidlich. Aber dies Gebiet der „Teilnahme an fremder T at" tunlichst eng zu umgrenzen, das ist der berechtigte S in n des Strebens nach einem extensiven Täterbegriff. Entweder also sollten wir einen Täterbegriss aufstellen, der, wenn auch nicht alle Mitwirkungs­ möglichkeiten umfaßt, doch die Fülle klar bezeichnet, in denen wir von Täterschaft sprechen dürfen, und daran die Regelung der Fälle anschließen, die übrig­ bleiben, also die Fälle der Anstiftung und Beihilfe. Oder aber wir schweigen von alledem und sagen über­ haupt nichts. Aber die Auszählung, wer alles „als Täter bestraft" werden kann, hat m. E. keinen Wert. D as sind reine Konstruktions- und Wortkunststücke, bei denen sachlich nichts herauskommt, ja die geradezu verschleiernd wirken. E s ist die Frage aufgeworfen worden, ob der Begriff der Anstiftung nicht beseitigt werden könnte. Ich halte das nicht für möglich, und zwar gerade deshalb nicht, weil ich einen extensiven oder weiten Täterbegriff vertrete, weil aber gerade von diesem Täterbegriff, der den Täterwillen in sich enthält, die Anstiftung nicht mit umfaßt wird. D as kommt wohl am deutlichsten in dem Vorschlag Nagler zum Aus­ druck. Wenn es dort heißt: „Die S traftat begeht, wer sie schuldhaft ausführt, sowie wer ihre Ausführung durch einen andern bewirkt", so ist das erste eine unver­ meidliche Tautologie, das zweite aber geht entweder zu weit, oder aber es deckt nicht alles. Wenn ein Unverheirateter einen Verheirateten zum Ehebruch anstiftet, so wäre es doch doktrinär zu sagen: Der erstere „begeht einen Ehebruch", weil er die Aus­ führung eines Ehebruchs durch einen andern bewirkt. D as ist sprachwidrig und sinnwidrig. Es hat auch keinen S in n zu sagen, daß ein Nichtbeamter ein

Am tsdelikt begeht. Es hat keinen S in n zu sagen, daß die F ra u des Feldwebels Desertion begeht, w eil sie ihren M a n n zur Desertion verleitet usw. W ir können den B e g riff der Anstiftung also schlechter­ dings nicht ganz entbehren. S ow eit w ir Anstiftung und B e ih ilfe hervorheben und regeln müssen — aber auch n u r soweit — , müssen w ir endlich die A k z e s s o r i e t ä t regeln. I n den Fällen, wo w ir jemand als „M itw irke n d e n " bestrafen, einerlei, wie w ir ihn nennen, kommen w ir nicht um die Überlegung herum: Was muß von der H aupttat vorliegen, wie w eit muß die äußerlich einem T a t­ bestand entsprechen oder aber rechtswidrig sein oder gar rechtswidrig und schuldhaft? D as ist kein Trennungsdenken, sondern entspringt der Notwendig­ keit, die eigenen Gedanken in Ordnung zu bringen. Es ist doch wirklich etwas anderes, ob der Haüpttäter rechtswidrig gehandelt oder aber in Notwehr oder aber ob er n u r entschuldbar gehandelt hat. Daß die F älle tatsächlich verschieden liegen, also auch ge­ danklich „unterschieden" werden müssen, zeigt sich gerade bei der Teilnahme. Unser Standpunkt ist: D ie Handlung muß irgendwie rechtswidrig sein, es darf kein Recht zu ihrer Vornahme gegeben sein; nicht mehr und nicht weniger. Sich dam it zu begnügen, daß man sagt: auf die S t r a f b a r k e i t des T äters komme nichts an, ist falsch. D a m it w ird die Frage nicht gelöst. Auch die. Beschlüsse der Reichsgerichtskommission gingen wohl dahin, daß in einem Schlußparagraphen gesagt werden soll: D ie Strafbarkeit jedes an der T a t Beteiligten ist von der S trafbarkeit der andern S tra fbetciligten unabhängig. S o w e it ich verstanden habe, ist Herr Reichsgerichtsrat Niethammer selber damit nicht einverstanden. Ich bin es auch nicht. W ir haben seiner Z eit bei der Hehlerei nach langer Beratung eingesehen, daß diese F orm ulierung das Problem nicht löst. S o ll das jetzt alles vergeblich überlegt sein? Wenn w ir sagen, daß die S trafbarkeit des T e il­ nehmers von der des Täters nicht abhängig ist, so wissen w ir noch lange nicht, wie vie l an der S tr a f­ barkeit des T äters fehlen darf bzw. welche Merkmale ih r zukommen müssen, dam it der Anstifter, Gehilfe usw. strafbar ist. M a n könnte glauben, n u r persönliche S tra fa u s ­ schließungsgründe des Haupttäters berührten den Anstifter oder Gehilfen nicht. M a n könnte auch sagen: N u r Unzurechnungsfähigkeit plus persönliche S tr a f­ ausschließungsgründe berühren ihn nicht. M an könnte vielleicht auch noch den Vorsatz hinzurechnen oder den I r r tu m . Aber man muß doch wissen, was man w ill, und muß es sagen. Übrig bleibt die Frage, wie weit die e r f o l g ­ l o s e Anstiftung und die e r f o l g l o s e B e ihilfe strafbar sein sollen. Das sind Fragen der materiellen Entscheidung, die w ir treffen müssen. D a rin stimme ich Herrn M in isterialdirektor Schäfer zu, daß man hier vorsichtig sein sollte. W er sich an die Entstehung des jetzigen § 49 a erinnert, der weiß, wie ungern man an ihn herangegangen ist, zumal auch das Ausland einen derartigen § 49 a nicht hatte.

M a n hat die Kanteten hineingebaut: „V o rte ile oder Schriftlichkeit". Aber es ging, besonders nach dem Kriege, immer weiter aus der m it § 49 a betretenen L in ie . M it Vorsicht begangen ist der Weg vielleicht ungefährlich, heutzutage vielleicht auch unumgänglich. Aber Vorsicht ist nötig, wenn man nicht in ein reines Gesinnungssirasrecht geraten w ill, dessen Ge­ fahren von der Unvollkommenheit des über Menschen richtenden Menschen unzertrennlich sind. Ich glaube, wesentlich weiter als das jetzt geltende Recht sollte man nicht gehen, allenfalls fü r die Anstiftung zum § 364 des E n tw u rfs übergehen. B ei der B eihilfe halte ich es fü r ausgeschlossen, den Versuch, also die erfolglose B eihilfe, außer bei bestimmten ganz schweren Taten zu strafen; es sei denn, daß die B eihilfe gemäß dem T äterw illen in W ahrheit Täterschaft ist. I n solchen F ällen kann man hier natürlich auch den Versuch strafen, falls er nach der jeweiligen Bestimmung im Besonderen T e il straf­ bar ist. Professor D r.

Mezger:

D er Herr M in ister fragte vo rh in nach einer sprach­ lichen Form ulierung des Eingangsparagraphen. Ich sehe noch im mer die besten Grundlagen in den Kohlrauschschen Vorschlägen, wenn man sie ensprechend umstellt. D ie Fassung: „T ä te r ist, w e r", wäre n ur jetzt zu ersetzen durch die Fassung: „ A ls T äter w ird bestraft", wie der Herr M in ister es vorgeschlagen hat. E s entsteht dann freilich kein eigentlicher Dachbegriff mehr, w eil die B eihilfe ausgeschieden w ird. S ä m t­ liche anderen Fälle der B eteiligung werden aber auf­ genommen, insbesondere die Anstiftung. Das ist unbedenklich, auch wenn man etwa als „F ra ue n ­ räuber" n ur den Eigentäter bezeichnen w ird. Solche kleinen Unstimmigkeiten kommen im mer vor, sie können in Kauf genommen werden. (Reichsjustizminister D r. G ü rtn e r: W ie würden S ie sich den Tenor des U rte ils gegen diesen M a n n denken, der zum Ehebruch anstiftet?) — Das Korrekteste — das wäre aber nicht schön — wäre: Nach § soundso w ird bestraft. (Reichsjustizminister D r. G ü rtn e r: M a n müßte sagen „Verursachung". „M itw irk u n g " kann man nicht sagen, denn „beim Ehebruch m it­ wirken" ist etwas ganz anderes. (Heiterkeit.^ „A nstiftung zum Ehebruch" versteht jeder.) — Ich würde auch gar keine Bedenken tragen, wenn der Richter im E inzelfall von sich aus die T a t als „A nstiftung zum Ehebruch" kennzeichnet. Das würde die vorgeschlagene Fassung in keiner Weise aus­ schließen. D ie S trafe, die der Richter zu schöpfen hat, entnim m t er aus dem Ehebruchsparagraphen. Aber das schließt nicht aus, daß der Richter den E i n z e l f a l l plastischer durch einen Ausdruck kennzeichnet, der diesem E inzelfall am besten entspricht. Professor D r.

Schassftein:

^ Ich möchte zunächst zu der Frage des Dachbegriffs S tellung nehmen. I n Übereinstimmung m it Herrn Staatssekretär D r. F reister, den Herren Kollegen

Mezger und Dahm bin ich der Auffassung, daß man einen solchen Dachbegriss doch in das neue Gesetz auf­ nehmen sollte, es also nicht, wie Herr Professor Kohl­ rausch möchte, bei der geltenden Dreiteilung von engem Täterbegriff, Anstiftung und Beihilfe belassen sollte. Dabei brauchte man das W ort Mitwirkung gar nicht zu verwenden. M an könnte sehr wohl so formulieren, wie Herr Professor Dahm es vorge­ schlagen hat: „Als Täter begeht eine Straftat, we r . . Das würde bedeuten, daß mindestens mittel­ bare und unmittelbare Täterschaft sowie die Anstif­ tung unter einem weiten Täterbegriff zusammen­ gefaßt würden. M an würde damit gerade in den Fällen, die jetzt Schwierigkeiten machen, zu einer vernünftigen Lösung kommen können, nämlich wenn jemand, der in Wirklichkeit mittelbarer Täter ist, mit dem Anstiftervorsatz handelt, oder umgekehrt, wenn jemand glaubt, als mittelbarer Täter zu handeln, der in Wirklichkeit nur Anstifter ist. D a ist nach der bis­ herigen Reichsgerichts-Rechtsprechung ein Freispruch zu erwarten. D as Reichsgericht hat so in folgendem Falle entschieden: Eine F rau hatte den Insassen einer Irrenanstalt veranlaßt, Gegenstände aus der Anstalt zu stehlen. S ie glaubte, dieser Geisteskranke wäre zu­ rechnungsfähig, sie wußte nicht, daß er geisteskrank war. D as Reichsgericht hat entschieden: E s liegt weder Anstiftung zum Diebstahl vor — denn in dieser Hinsicht fehlt es an der objektiven Tatbestands-Ver­ wirklichung — , noch mittelbare Täterschaft, denn in dieser Hinsicht fehlt es an dem Täterwillen der Frau. Allerdings kann man in diesem speziellen Beispiel durch Annahme von Unterschlagung helfen, aber das trifft bei anderen Delikten, Mord oder Brandstif­ tung, nicht zu. M an würde solche Fälle sehr einfach entscheiden können, wenn man Anstiftung und mittel­ bare Täterschaft als gleichberechtigte Formen eines übergeordneten Täterbegriffs auffaßte und sagte: „Als Täter wird bestraft___ Eine andere Frage ist, ob nicht in Zusammenhang mit der Akzessorietät der Teilnahme das Problem der Unterscheidung von Rechtswidrigkeit und Schuld wieder auftaucht, ob nicht sogar gerade hier eine Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld im alten Sinne notwendig ist. Ich sehe gerade den Hauptvorzug der Formulierung von Herrn S ta a ts­ sekretär Freister darin, daß die Aufrollung dieses Problems an dieser Stelle vermieden wird. Aller­ dings glaube ich, daß sich die alte Unterscheidung von Rechtswidrigkeit und Schuld im Willensstrafrecht nicht aufrechterhalten läßt, und daß wir zu einer subjektiven Bestimmung der Rechtswidrigkeit gelangen müssen. Doch ist das eine Frage, die viel weiter reicht und von viel grundsätzlicherer Bedeutung ist als die mehr technische Frage der Akzessorietät der Teil­ nahme. Hinsichtlich der erfolglosen Beihilfe teile ich die Auffassung des Herrn Ministerialdirektors Schäfer, daß es unmöglich ist, sie dann als solche zu bestrafen, wenn wir den T ä t e r gleichzeitig wegen d e r ­ s e l b e n Handlung nicht bestrafen würden, weil er nur eine straflose Vorbereitungshandlung begangen

hat. Ich sehe aber einen Ausweg: wir müßten die erfolglose Beihilfe nur dann bestrafen, wenn wir den Täter selbst auch wegen seiner Vorbereitungshandlung bestrafen würden. Deshalb wäre es richtig, im Allge­ meinen Teil des Strafrechts eine Bestimmung aufzu­ nehmen, die generell bei allen besonders schweren Delikten auch die entfernteren Vorbereitungshand­ lungen unter Strafe stellt. D as entspricht auch der Tendenz, die heute vormittag zum Ausdruck ge­ kommen ist, die auch anklang, als Sie, Herr Minister, davon sprachen, daß es ratsam wäre, bei Mord die Vorbereitungshandlung unter Strafe zu stellen. Ich könnte mir denken, daß das gleiche — für Hochverrat und Landesverrat haben wir es jetzt schon — auch weiter für Brandstiftung und ähnliche sehr schwere Fälle gilt. Würde man nun die erfolglose Anstiftung oder erfolglose Beihilfe in diesen Fällen ebenfalls unter Strafe stellen, so würde sich eine Diskrepanz nicht ergeben. Ich glaube auch nicht, daß das den Vor­ schlägen von Herrn Staatssekretär Freister wider­ sprechen würde. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine gewisse Verengung!) — J a , eine gewisse Verengung tritt ein, die den Vor­ schlägen des Herrn Staatssekretär Freister aber nicht grundsätzlich widerspricht; denn er wollte auch bei den geringeren Delikten die erfolglose Beihilfe straflos lasten. E s handelt sich also nur um einen quantitativen Unterschied, der sich, glaube ich, leicht ausgleichen lassen würde. Soll man nun die übrigbleibenden Beihilfefälle subjektiv oder objektiv abgrenzen? Diese Frage ist von den Herren, die zuletzt gesprochen haben, nicht wieder angerührt worden. Ich möchte hier den Standpunkt von Herrn Kollegen Dahm entschieden unterstützen und glauben, daß aus der Grundlage des Willensstraf­ rechts eine subjektive Abgrenzung von Beihilfe und Täterschaft allein möglich ist. Ich würde es auch für richtig halten, die bisherige Reichsgerichtspraxis ein­ fach in das Gesetz zu übernehmen. Die Unterscheidung aus Grund der objektiven Theorie würde doch zu ähnlichen praktischen Schwierigkeiten und Unzuträg­ lichkeiten führen wie die, welche man der subjektiven Unterscheidung auch vorwirft. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die letzten Ausführungen würden also die Grenz­ linie suchen zwischen Beihilfe und Mittäterschaft; das liefe hinaus auf den anim us aucto ris und anim us socii, zu dem Sie sich bekennen würden? — D as ist auch meine Meinung, daß sich das aus dem Willensstrasrecht von selbst ergibt. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich kann das, was hier vorgetragen wird, immer nur als Richter empfinden und auffassen. E s wird mir schwer, mich in den Begriffen zu bewegen, die sich vielfach etwas vom Leben loslösen. Wenn ich also die Sache als Richter ansehe, so hat das, was zuletzt gesprochen worden ist, in mir den Eindruck verstärkt,

daß es unter allen Umständen notwendig ist, klar zu unterscheiden und von vornherein zu trennen, also nicht miteinander zu vermengen die Täterschaft und die echten Teilnahmeformen. Das, was nicht zu­ sammenpaßt, darf auch nicht in eines zusammengefaßt werden. Es bedarf unter keinen Umständen einer Be­ schreibung der reinen und einfachen Täterschaft. Wenn im Gesetz steht: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen wegnimmt, um sich zum Herrn der Sache zu machen, wird als Dieb bestraft", so habe ich nicht nötig, im Allgemeinen Teil noch einmal zu sagen: Wer das tut, ist Dieb! Nun haben zwei Erklärungen meine Sorge her­ vorgerufen und mir die Gefahren klargemacht, die uns bedrohen, wenn das durchgesetzt wird, was hier mit dem Wort „Dachbegriff" und mit einer anderen Bezeichnung angeraten wird. Zunächst einmal wird dieses Zusammenzwingen notwendig dazu führen, daß das, was die Rechtsprechung für sich ausgebaut und möglichst weit ausgedehnt hat, die Täterschaft, wieder ein erhebliches Stück verliert. Ein Wort voll Herrn Professor Dahm hat mich besonders erschreckt, ein Wort, das ich vom Standpunkt des Rechtslehrers aus wohl verstehe, das aber der Richter nicht unwider­ sprochen lassen darf. Herr Professor Dahm sagt: Das sind nicht nur Fassungssragen, das sind Fragen von einschneidender sachlicher Wirkung; denn da fallen alle diese Unterscheidungen: Alleintäterschaft, mittel­ bare Täterschaft, Mittäterschaft, Nebentäterschast, An­ stiftung weg, das alles wird unnötig. Herr Professor Dahm hat wörtlich erklärt: „Dem Richter wird ge­ zeigt: Darauf kommt es nicht an!". Aber nichts kann gefährlicher sein, als wenn dem Richter gezeigt wird: Darauf kommt es nicht an! W ir führen doch in der Rechtsprechung den Kampf am meisten und nachdrück­ lichsten darum, daß die Wahrheit aufgehellt wird. W ir sehen immer — und das wird so bleiben — die größten und schwersten Fehler darin, daß das nicht geschieht. W ir brauchen nicht nur Versahrensvorschriften, sondern wir brauchen im sachlichen Recht Be­ stimmungen, die den Richter nötigen, sich vorzuhalten: darauf kommt es an!, und ihn zwingen, genau zu sein, ihn abschrecken von jeder Oberflächlichkeit. Wenn man aber so redet, wie hier Herr Professor Dahm: „Der Richter erfährt zum Nutzen der Rechtspflege: Daraus kommt es nicht an", so wird damit gerade gegen das gewirkt, was uns das Notwendigste ist; denn immer wieder: die Wahrheit muß als das erste gelten, ehe lnan sich mit der weiteren Frage abgibt, wie man das Recht auf diese Wahrheit anwenden soll. Der andere Satz hat etwas geringere Bedeutung: Professor Mezger empfiehlt in Anlehnung an § 362 Abs. 2 Satz 2, man möchte in den Entwurf irgend etwas aufnehmen, was dem entspricht: Geringfügige fahrlässige Mitwirkung bleibt straflos. D as liest sich gut, wirkt aber schädlich. W ir sind immer genötigt, für unsere Vorstellung von der Wirkung eines Gesetzes eben das Alltägliche, das Gemeine und Nüchterne zu nehmen, wir dürfen nicht nur auf Mord oder der­ gleichen verweisen. W ir haben die fahrlässige M it­ wirkung in jeder Sitzung des Reichsgerichts immer

wieder, und wir werden sie auch in den nächsten Jahren niemals im geringeren Maße haben. Das sind vornehmlich die Straftaten, die im Kraftwagenverkehr geschehen. Da sind regelmäßig oder in der weit überwiegenden Zahl der Fälle mehrere M it­ wirkende. Diese Fälle sind an sich schon heikel zu ent­ scheiden; der Richter, der Tatrichter, ist in der Regel genötigt, um zu dieser Entscheidung zu gelangen, Sachverständige zu hören; auf Veranlassung des S taatsanw alts wird der eine beigezogen, der Ver­ teidiger bringt den anderen. Nun dem Richter zuzu­ muten, daß er in dieser Frage die geringfügige M it­ wirkung von der Mitwirkung unterscheide, die man nicht als geringfügig ansehen kann, ist ein zu schwerer Auftrag an den Richter. Die Entscheidungen, die hier erlassen werden, indem der Richter den Krastwagenführer verurteilt, den Kraftradfahrer aber, der mit ihm zusammenstößt, wegen nur geringfügiger fahr­ lässiger Mitwirkung freiläßt, werden nie verstanden werden, sondern immer Mißvergnügen erregen. M an muß sich auch die Nachteile vorstellen, die von da auf die bürgerliche Auseinandersetzung über Schadenersatz eindringen. Ich kann nur vor dieser Bestim­ mung warnen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ein wirklich idealer Dachbegriff würde seinen Niederschlag etwa in einer Bestimmung finden: Wer eine Bedingung setzt zu dem strafbaren Erfolge, der ist Täter. D as wäre also die Verwirklichung der Burischen Kausalitätstheorie. Nun muß man sich natürlich darüber klar sein, daß wir das nicht machen können, vor allen Dingen deswegen nicht, weil der Typus des Selbstbegehens, des eigentlichen Aus­ führens des Täters im engeren Sinne, für sich da­ stehen muß; er kann nicht aufgehen in einem ver­ schwommenen allgemeinen Bedingungssetzungsbegrisf. Darum wollen wir auch sagen: Als T äter wird be­ straft erstens, wer die T at selber ausführt oder voll­ endet. Und nun kommt der Täterbegriff im erwei­ terten Sinne, der dem Täterbegriff im engeren ^>inne praktisch gleichgestellt ist, weil damit die Möglichkeit der gleichen Bestrafung mit dem Täter gegeben werden soll, und dieser Begriff soll umfassen nicht nur die mittelbare Täterschaft, sondern auch Anstiftung und Beihilfe. Ich möchte mich zunächst dagegen wenden, daß wir einen Anstiftungsbegriff neben dem Täterbegriss nötig haben sollen. Der Anstifter ist schon seit Binding als intellektueller Urheber aufgefaßt worden, und diese Auffassung stimmt durchaus mit dem neuen Prinzip zusammen, dem wir hier folgen wollen, dem Persönlichkeitsprinzip, dem Prinzip der Verantwor­ tung für das, was man selbst tut, und nur für das, was man selbst tut. Der Anstifter wird nicht verant­ wortlich gemacht deswegen, weil er sich an fremder Schuld beteiligt, sondern weil er sich selbst schuldhast betätigt. Die ganze Frage des erweiterten Täterschafts­ begriffes ist also keine technische, sondern eine grund­ sätzliche, geradezu programmatische Frage. Ich möchte einen Satz des Herrn Staatssekretär Dr. Freister

wiederholen, daß es sich hier um einen unveräußer­ lichen Glaubenssatz handelt, der dahin geht, daß man nur bestraft werden kann für das, was man selber tut. D araus folgt mit Notwendigkeit, daß man alle Beteiligung, in welcher Form sie auch erfolgen möge, in unmittelbare Beziehung zu dem Tatersolg setzen muß, und das muß nicht nur bei der Anstiftung, sondern auch bei der Beihilfe geschehen. Den Anstifterbegriss, den Herr Professor Kohl­ rausch für nötig hält, brauchen wir nicht. E r meint, man könne nicht sagen — es handelt sich hier um die sogenannten eigenhändigen Delikte — , daß eine Frau, die einen M ann anstiftet oder veranlaßt, Notzucht zu begehen, selber Notzucht begehe. W ir strafen doch heute schon eine F rau, die bewußt einen geisteskranken Menschen veranlaßt, eine Dritte zu notzüchtigen, wegen Notzucht. Da ist es doch nur ein Schritt weiter, wenn man auch den Fall unter den Täterschastsbegrisf bringt, daß die F rau bewußt einen gesunden M ann dazu bewegt, an einer anderen F rau Not­ zucht zu begehen. M an sagt, hier von der „Begehung" der Notzucht durch die Anstifterin zu sprechen, sei nicht volkstümlich. Ich glaube, wir sollten nicht allzusehr auf Volkstümlichkeit bei der Schaffung des Täterbegriffs abstellen; wir werden dem Volke schon jetzt schwer klarmachen können, daß der vorhin erwähnte Fall mittelbarer Täterschaft Täterschaft ist. D as Volk wird schon heute kaum begreifen, daß eine Frau, die eine geisteskranke Person zur Notzüchtigung einer anderen benutzt, Täterin der Notzucht ist. Und doch ist die Rechtsprechung sich einig, daß man das so machen muß, weil man eben alle strafwürdigen Fälle treffen muß. Der Gesetzgeber muß vor allen Dingen daran denken, alle strafwürdigen Fälle unter das Gesetz zu bringen. Nur dann — und damit komme ich zur Beihilfe — wäre es berechtigt, die Beihilfe aus dem erweiterten Täterschastsbegriff herauszunehmen, wenn man für die Regel sagen müßte, daß den Gehilfen eine ge­ ringere Schuld trifft. Nun haben wir das schon bei der Anstiftung abgelehnt — wenigstens war das die Meinung der Mehrheit — , weil wir den Anstistungsbegriff nicht aufspalten wollen je nachdem der An­ stifter zu einer T at im fremden Interesse anstiftet, oder im eigenen Interesse anstiftet. Denn das Gesetz macht keinen Unterschied, und wir können deshalb de lege lata auch keinen Unterschied machen. De lege feren d a würde es dem M ann aus dem Volk auch nicht eingehen, einen solchen Unterschied zu machen. Es wird denjenigen, der alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht, nie als Gehilfen, sondern stets als Täter betrachten und den, der ihn zu der T at bestimmt, nicht als Täter, sondern eben als Anstifter ansehen — vorausgesetzt, daß wir den Anstifter nicht über­ haupt als Täter auffassen, sondern einen selbständigen Anstistungsbegrisf beibehalten. Auch für die Beihilfe kann nicht wesentlich sein, daß mit bloßem anim us socii gehandelt wird. I n der P raxis ist es, wie wir doch alle wissen, für den Tatrichter im Einzelsalle sehr schwer festzustellen, ob der M ann seine T at als eigene will, also M ittäter ist, oder ob er die T at als

fremde will, seinen Willen also dem Willen des anderen unterordnet. Ich glaube auch, daß das Volk diesen Unterschied nicht macht; es hält sich entschieden mehr an die äußere Tatbeteiligung. Die Schuld eines sich nur „in objektiv untergeordneter Weise" an einer S traftat Beteiligenden ist andererseits nicht notwen­ dig geringer; es ist daher auch nicht befriedigend, M it­ täterschaft und Beihilfe nach einem objektiven Krite­ rium zu unterscheiden. Die Schuld kann bei Be­ tätigung in äußerlich untergeordneter Weise viel größer sein als bei Vornahme der eigentlichen T a t­ handlung. Es ist also nach keiner Richtung begründet, die Beihilfe aus der allgemeinen Täterschaft heraus­ zunehmen. Ich habe unter B 16 auf (Beite 1 unten einen Vor­ schlag gemacht, um die Möglichkeit zu gewinnen, daß einzelne Teilnehmer ganz unabhängig davon, ob wir sie heute als Täter, M ittäter, Gehilfen, Anstifter ansehen würden, milder bestraft werden können. Ganz allgemein soll danach jeder Beteiligte, dessen Schuld­ anteil an dem Taterfolg verhältnismäßig geringer ist, milder bestraft werden können. D as kann auch der Täter, das kann auch der Anstifter im heutigen Sinne sein. Nun hat Herr Reichsgerichtsrat Niethammer vorhin gesagt, wenn ich recht verstanden habe: der Anstifter müßte eigentlich mindestens immer so wie der Täter bestraft werden. (Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich halte den Unrechtsgehalt für den größeren!) — Es gibt aber Fälle, in denen die Schuld des An­ stifters eine geringere ist. Die Tatenergie des Täters, der vorgeschoben wird, ist oft größer, der Anstifter bleibt feige oder schwach im Hintergründe. Es kann natürlich auch umgekehrt sein. Da aber bei allen Teilnahmesormen ein so verschiedenes Schuldmaß möglich ist, bin ich nicht dafür, daß man die Beihilfe mit der begrifflichen Formulierung, wie von Herrn Professor Dahin vorgeschlagen wird, allein berücksichtigt. Eine Tatbeteiligung, wie sie hier formuliert wird, ist über­ dies verhältnismäßig selten. Die meisten Gehilfen denken nicht nur an den anderen, sondern denken mindestens gleichzeitig auch an das eigene Interesse. Zur Frage der erfolglosen Beihilfe möchte ich mich den Anträgen anschließen, den § 364 entsprechend der erfolglosen Anstiftung vorsichtig zu erweitern. Ich möchte aber die Vorschläge des Herrn Staatssekretär D r. Freister ablehnen, der auf einmal die sonst grundsätzlich verworfene Akzessorietät anerkennen will, denn er sagt ausdrücklich: „wird nur bestraft, wenn der Erfolg eintritt". Es wäre m. E. mißlich, wenn man in einem Gesetzbuch zunächst einmal die Akzesso­ rietät ablehnt und das Prinzip der eigenen Schuld in den Vordergrund stellt, dann aber zum Ausdruck bringt, daß die Akzessorietät wieder herrschen soll in den Fällen, wo die Strafdrohung unter drei Jahren Gefängnis bleibt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Hier stehen sich zwei Vorschläge gegenüber. P ro ­ fessor Schassstein sagt: Gewisse Vorbereitungshand­ lungen bei schwersten Verbrechen müssen bestraft

werden; es muß ausdrücklich ausgesprochen werden: in diesen F ällen w ird die erfolglose B eihilfe auch be­ straft. D as hat an sich den Vorzug großer K larheit und innerer Folgerichtigkeit. § 364 sagt anders: Zum Verbrechen darfst du nicht auffordern und anstiften! D as geht viel weiter. D arum sagte ich vorhin, das wäre eine gewisse Verengung gegenüber dem Ge­ danken, den Herr Staatssekretär D r. F re isle r selber schon durch das Fallenlassen der Dreijahresgrenze sehr eingeengt hat. W ir dürfen am grünen Tisch nicht ver­ gessen, daß im S trafm aß 95 % aller U rteile unter drei Jahren liegen. M ir würde der andere Vorschlag zunächst eingänglicher sein, w eil dann nicht die mißliche Folgerung entsteht, daß der T äte r für seine Vorbereitungshand­ lung gar nicht bestraft w ird , daß aber der Gehilfe, der dasselbe gemacht hat m it einem weniger starken verbrecherischen W illen, strafbar bleibt. M inisterialdirektor Schäfer: Den Schaffsteinschen Vorschlag brauchen w ir nicht. Wenn w ir int Besonderen T e il Vorbereitungstat­ bestände haben, versteht es sich tiott selbst, daß dazu B e ih ilfe geleistet werden kann; dann ist es keine er­ folglose B eihilfe, sondert: wirkliche B eihilfe, und dafür brauchen w ir hier nichts. Senatspräsident Professor D r. Klee: D ie Frage ist, ob dem erfolglosen Gehilfett ver­ suchte M itw irk u n g zur Last fä llt, er also wie im Falle der Vollendung zu strafen ist. D as muß man aus­ schließen. D arum muß man hervorheben, daß die Be­ strafung einer erfolglosen B e ih ilfe davon abhängt, daß der Haupttäter strafbar ist. Eine solche Klausel hatte ich schon vorgeschlagen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: S ie würden, H err Senatspräsident Klee, in diesem ersten Satz, der sich m it der Täterschaft über­

haupt befaßt, auch die M itw irku n g , Anstiftung und B e ihilfe hineinbringen? (Senatspräsident Professor D r. Klee: Alles hineinbringen!) — S ie , Herr Professor Schafsstein, wollten bloß die Täterschaft und die Anstiftung zusammen haben? (Professor D r. Schasfstein: Ich würde auch an sich keine Bedenken haben, die B eihilfe m it hineinzunehmen und eine besondere Be­ stimmung über die K ann-M ilderung zu treffen.) — ■ Das kann man so und so machen, das ist der Gedanke, den H err G raf von der Goltz schon ausge­ sprochen hat. Gemeinsam haben die D inge alle, daß der maximale S trafrahm en der gleiche ist, und aus diesem Grunde samt man also auch eine zusammen­ fassende Bestimmung machet:. Ich wehre mich aber immer noch gegen eine Fassung, die lauten würde: „T ä te r ist, wer tut, anstiftet, beihilst, m itw irk t"; der andere Vorschlag: „ A ls T äter w ird bestraft. . . ." schien m ir schon besser zu sein. Settatsprüsidettt Professor D r. Klee: Herr Professor Mezger hat vorgeschlagen zu sagen: „ A ls T äte r w ird bestraft, wer selber ausführt, oder wer einet: anderen verattlaßt, auszuführen." Das deckt nicht alle F älle der mittelbaren Täterschaft. Wenn jemattd z. B . ein nichtgeladenes Gewehr lädt, ohne daß der Eigentümer es weiß, in der Erw artung, daß dieser ahnuttgslos das geladene Gewehr auf irgend­ einen D ritte n abschießen w ird , und es geschieht so, dat:n kann matt nicht von „Veranlassung" sprechen, denn die setzt doch wohl eine gewisse psychische E in ­ wirkung voraus, die hier fehlt. Ich würde daher die allgemeine F orm el vorziehen: „W e r entweder die T a t selbst vollendet oder zur Verwirklichung des Tatbe­ standes beiträgt oder bei der Verwirklichung m it­ w irk t". Diese F orm el würde sämtliche Formen der Täterschaft, also atlch in jedem F alle die mittelbare Täterschaft decken. Hierauf w ird die Sitzung abgebrochen.

(Schluß der Sitzung 19 U hr 25 M in ute n .)

Strafrechkskommission

65. Sitzung 3. Mai 1935 Zweite Lesung Inhalt Die S traftat; Täterschastssormen (Fortsetzung der Aussprache) Beihilfe, Anstiftung, Versuch Reichsjustizminister Dr. Gärtner 1, 3, 5, 6, 8 ,1 0 ,1 1 ,1 2 ,1 4 ,1 7 Professor Dr. N agler.................................................................2, 3 Vizepräsident G rau...........................................................................4 Staatssekretär Dr. Freister.................................. 5, 6, 7, 20, 21 Ministerialdirektor Schäfer............................................. 7, 14, 18 Professor Dr. Graf Gleispach.......................................9, 10, 11 Senatspräsident Professor Dr. K lee..........................11, 12, 20 Professor Dr. M ezger.....................................................................14 Professor Dr. Dahm...............................................................15, 21 Professor Dr. Schaffstein............................................................... 16 Reichsgerichtsrat Niethammer............................................. 18, 20

(Aussprache abgebrochen)

Beginn der Sitzung 10 Uhr 10 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich darf zunächst kurz zusammenfassen, wie weit unsere Beratungen gestern gediehen sind. M an war sich im großen und ganzen darüber einig, über den Täter in jeglicher Form, den Anstifter und den Gehilfen, eine gemeinsame Aussage zu machen. Ich habe dabei den Ausdruck „Dachbegriff" bekämpft; mir ist dieses Wort unsympathisch. Diese gemeinsame Aussage sollte lauten: „Als Täter wird bestraft, . . . ." Beim Nachdenken in zeitlicher und örtlicher Distanz habe ich gefunden, daß das keine gute Aussage ist. Soll das heißen: „Wie ein Täter wird bestraft"? Oder soll das heißen: „Der Anstifter ist ein T äter"? D as ist eine Gewaltsamkeit, die wir uns nicht leisten können. Der Anstifter i st nicht der Täter. Diese gemeinsame Aussage könnte nur lauten: „Die Strafe des Täters trifft . . . ." Wenn wir so anfangen, dann brauchen wir die Selbstverständlich­ keit, daß Täter ist, wer eine T at tut, überhaupt nicht auszusprechen, wogegen sich gestern auch Herr Reichs­

gerichtsrat Niethammer gewendet hat. Es wäre sprachlich eingänglich zu sagen: Die Strafe des Täters trifft auch den, der die T at durch andere begehen läßt und . . . . mit­ wirkt. Zweite Frage, und hier tut sich schon das große Problem auf: Sollen wir eine fahrlässige Anstiftung und eine fahrlässige Beihilfe überhaupt zulassen? M an kann die Frage bejahen oder verneinen. Ich persönlich neige dazu, in diesem Eingangsparagraphen mit der gemeinsamen Aussage ruhig zu sagen: „ . . . . wer v o r s ä t z l i c h an einer S traftat mit­ wirkt . . . ." Damit würden wir die fahrlässige An­ stiftung und die fahrlässige Beihilfe als solche über­ haupt nicht im Gesetz erwähnen. Passieren kann da gar nichts. Ich habe beim stillen Nachdenken in mir immer wieder die Hemmung empfunden: Kann man sprachlich überhaupt sagen, daß jemand fahrlässig zu etwas anstiftet oder Hilfe leistet? Is t das nicht eine gewaltsame, aus dem Kreis der Intellektuellen stammende Sprachvergewaltigung? Ich kann fahr­ lässig durch Dummheit, Schlamperei dazu beitragen, daß für die Begehung einer strafbaren Handlung günstigere Bedingungen entstehen. Aber ich kann nicht fahrlässig dem Brandstifter helfen, daß der Brand furchtbar wird. Hiergegen sträubt sich mein Sprachgefühl. Ich glaube auch nicht, daß wir diese beiden Rechtsfiguren der fahrlässigen Anstiftung und fahrlässigen Beihilfe brauchen. Wenn durch F a h r­ lässigkeit eine günstigere Bedingung für den E intritt eines strafbaren Erfolges geschaffen wird, dann ist das eben die fahrlässige Begehung einer Straftat. W ir müßten dann nur in der gemeinsamen Aussage über die Mitwirkung das Wort „vorsätzlich" ge­ brauchen. Ein weiteres Problem ist das der Erfolglosigkeit der Beihilfe und Anstiftung. Hier hat sich die Diskussion dahin gefestigt, daß man bei der erfolg­ losen Anstiftung etwa in dem Rahmen des § 364 bleiben sollte. Bei den Verbrechen wäre also die erfolglose und versuchte Anstiftung für strafbar zu erklären. Bei der Beihilfe gingen die Meinungen scharf auseinander. Bei der erfolglosen, d. h. versuchten Beihilfe ging der letzte Lösungsvorschlag des Herrn Staatssekretär Dr. Freister nach einigen Varianten dahin, die versuchte Beihilfe bei Verbrechen ebenso wie die versuchte Anstiftung bei Verbrechen zu be­ handeln und die versuchte Beihilfe bei Vergehen, um diesen Ausdruck hier zu gebrauchen, für straflos zu erklären. Hiergegen haben sich nun allerdings noch am späten Abend schwere Bedenken erhoben, die von Herrn Ministerialdirektor Schäfer und zum Teil auch von Herrn Prof. Schaffstein vorgetragen wurden. Beide machten geltend, daß dies zu weit gehe. Eine weitere Schwierigkeit entsteht im Hinblick auf die Frage, die im letzten Ende eine Entscheidungsfrage ist: Wie weit will man bei der versuchten Beihilfe die Linie der Strafbarkeit ziehen? Diese Frage ist noch offen und wird uns noch zu beschäftigen haben.

I n einem Punkte sind mit einer einzigen Aus­ nahme die Meinungen im großen und ganzen einheit­ lich geworden: W ir alle wollten bei der Anstiftung den Täterstrafrahmen. Von einer Seite wurde aller­ dings auch für die fakultative Milderungsmöglichkeit plädiert. Ich möchte das ablehnen; das wäre ein Rückschritt hinter das geltende Recht. Bei der Bei­ hilfe ist allgemein die fakultative Milderung nach unten befürwortet worden; bei der erfolglosen Bei­ hilfe selbstverständlich ganz allgemein und für einen gewissen Kreis die Straflosigkeit. Dieser Kreis steht noch nicht fest. Über den V e r s u ch wurde in diesem Kreise mehr als über irgendein anderes strafrechtliches Thema gesprochen. Leider haben aber die Debatten noch kein positives Ergebnis gehabt; wenigstens haben sie nichts zutage gefördert, was für die gesetzgeberische Aufgabe, die wir zu erfüllen haben, unmittelbar brauchbar wäre. M an hat ausgezeichnete Bemerkungen über die Merkmale, die Angrenzung, die kriminalpolitischen und sonstigen Gesichtspunkte gemacht. Aber es ist bis jekt nicht gelungen, eine Fassung zu finden, die allen Wünschen gerecht würde und die für den Gesetzgeber brauchbar wäre. Daß man beim Versuch auch an eine Strafmilde­ rung denken müßte, scheint mir heute mehr Beifall gefunden zu haben als bisher. Auch ich möchte daran festhalten, an der Grenze nach oben nichts zu ändern, hingegen die Grenze nach unten fakultativ zu er­ weitern, weil das unserer Strafrahmengestaltung im Besonderen Teil im S inne einer Härtung zugute kommt. Ich möchte die Aussprache über den Versuch weder entfesseln noch abbrechen. Wer glaubt, hierzu noch einen brauchbaren gesetzgeberischen Beitrag leisten zu können, ist herzlich eingeladen, das schriftlich oder mündlich zu tun. Ich bitte nicht zu erschrecken, wenn ich offen sage: Ich selber stehe heute noch auf dem Standpunkt wie am Schluß der Beratungen in Ober­ hof. Ich bin der Meinung: Wenn wir sagen würden: „Eine S traftat begeht, wer sie mit dem Willen, sie zu vollenden, beginnt", dann kann bei der Rechtsprechung des Reichsgerichts gar kein Unglück passieren, dann ist dieses Schiff absolut seetüchtig. W ir sollten über­ haupt in das Gesetz nichts hineinschreiben, wodurch wir der Arbeit der Wissenschaft irgendwie vorgreifen. Aber ich bin jeder anderen Belehrung auch weiterhin zugänglich. Alle bisherigen Vorschläge tragen jedoch nach meinem Gefühl den Geruch der Wissenschaftlich­ keit an sich; sie sind verschnörkelt und für den gemeinen M ann unverständlich. Ich bitte die Herren, ihre Lust an der Versuchsdebatte nicht dadurch erlahmen zu lassen, daß es bisher nicht gelungen ist, mir eine Ver­ suchsformel an die Hand zu geben, die ich gesetz­ geberisch für brauchbar halte. — Dies ist in kurzer Skizze der Stand der Debatte. Professor Dr. Nagler: M an hat gestern die Befürchtung geäußert, daß die Zusammenfassung aller Beteiligungsformen im Hinblick auf die Gründlichkeit der strafrechtlichen

Praxis, namentlich die exakte Feststellung in tatsäch­ licher und rechtlicher Hinsicht bedenklich sei. Nun, auch künftig wird der Richter, falls die zusammenfassende Formel der Beteiligungsformen akzeptiert und in das Gesetz aufgenommen wird, ganz exakt die tatsächlichen und rechtlichen Momente festzustellen haben. Auch künftig wird der Richter sich darüber klar werden müssen, ob im Einzelfall unmittelbare oder mittelbare Täterschaft, Nebentäterschaft oder Mittäterschaft, An­ stiftung im Sinne der intellektuellen Urheberschaft usw. vorliegt. Gewiß sind alle diese Varianten durch­ aus gleichwertig, aber sie müssen vom Richter scharf auseinandergehalten und exakt ermittelt werden. Auch Herr Professor Dahm hat wohl nicht gemeint, daß das alles in einem einheitlichen Brei ver­ schwinden soll. Zudem wird sich die Natur der Dinge von selbst durchsetzen. Der praktische Wert einer zusammenfassenden Formel liegt darin, daß die Barrieren, die die T at­ bestände der §§ 47, 48 und 49 des S tG B , aufgerichtet hatten, nunmehr niedergelegt werden. Die Praxis, aber auch die Theorie haben bisher den Gedanken der Scheidung zu scharf betont. Professor D r. Schaffstein hat schon gestern auf eine Entscheidung des Reichsgerichts hingewiesen, wo die Annahme mittel­ barer Täterschaft abgelehnt wurde, weil der Ange­ klagte den Anstifterdolus hatte, ihm mithin der Täterdolus gefehlt habe. Künftighin sollen solche Irrtü m er über die Täterschaftsvarianten keine Rolle mehr spielen; sie werden nichts weiter als unerhebliche Irrtü m er über die Einzelheiten des Kausalverlaufs sein. Ebenso hoffe ich, daß künftig die uferlose Diskussion über die mittelbare Täterschaft ver­ stummen wird. Sie wird in der zusammenfassenden Formel voll zu ihrem Rechte kommen; daher wird eine eingehende Differenzierung nicht mehr not­ wendig sein. Ich bin daher auch dagegen, den Anstiftungs­ begriff überhaupt noch zu erwähnen, selbst nicht in der Form des Kohlrauschschen Vorschlags, der in seinen §§ 1 und 2 die Täterschaft in zwei Teile gespalten hat. S o glaube ich, daß die Fassung, die ich zu § 358 Abs. 1 vertreten habe, grundsätzlich richtig ist. Nun hat freilich Herr Professor Kohlrausch diesen meinen Vorschlag etwas arg zerpflückt. Ich meine aber, er hat mir zu Unrecht Tautologie und Unlogik vorge­ worfen. E r hatte gestern wohl eine skeptische Stunde, und so hat er die Dinge zu Unrecht auseinander­ gerissen. I n Wirklichkeit hat die von mir in § 358 a Abs. 1 gebrauchte Wendung die Bedeutung einer Tatbestandserweiterung. W ir sind ja Herr über den Tatbestand und sollten von dieser Möglichkeit in den §§ 358 a und 358 nach meinen Vorschlägen An­ wendung machen. Es handelt sich lediglich um die Tatbestandsgestaltung. Darum müssen in § 358 a die Worte „Die S traftat begeht . . . dahin verstanden werden: „Die Täterstrafe hat verwirkt, wer . . . ." oder entsprechend dem heutigen Vorschlag des Herrn Reichsjustizministers: „Die S trafe des Täters trifft denjenigen,. . . Dieser letztere Ausdruck liegt durch-

aus in der von mir verfolgten Richtung; ich bin damit gewissen Auslauf, einen gewissen Spielraum haben. durchaus einverstanden. Ich wollte lediglich die T at­ Diesen Auslauf gibt ihr eben die Wendung „beginnt". bestandserweiterung akzentuieren. Wenn ich in § 358 Uns noch weiter über den Begriff des Beginns anrege: „ . . . . wer sie schuldhast ausführt", so ent­ einer S traftat in § 358 zu verbreiten, möchte ich hält diese Wendung gewiß eine Selbstverständlichkeit. nicht empfehlen. M an sollte so viel Vertrauen zur Aber hätte ich die Worte „wer sie schuldhaft ausführt" Praxis haben, daß sie mit diesem Begriff schon etwas weggelassen, dann würde Dr. Kohlrausch mit Recht Ordentliches anzustellen weiß. eingewendet haben, hier fehle das Wichtigste. Ich Reichsjustizminister Dr. Meiner: kann mich also mit der Formel, die der Herr Minister vorschlug, durchaus einverstanden erklären. Mein Ich möchte die letzte Bemerkung Professor Dr. § 358 a ist explikativ zu verstehen. Genau so ist § 1 Naglers nicht ganz ohne Anmerkung lassen. Es des Entwurfs Kohlrausch gemeint. Wenn dort gesagt könnte sonst der Glaube entstehen, ich hielte den Satz wird: „Täter ist, wer einen strafbaren Tatbestand „Eine S traftat begeht, wer sie . . . beginnt" für selber verwirklicht", so ist das genau das gleiche, was absolut einwandfrei. D as ist nicht der Fall. Auch ich mit den Worten ausgedrückt habe: „Wer sie schuld­ dieser Satz enthält wieder eine sprachliche Lüge. Es haft ausführt". Herr Professor Dr. Kohlrausch wendet ist nicht wahr, daß einen Mord b e g e h t , wer den also ganz genau dieselbe Methode an wie ich. Mord b e g i n n t . Es ist auch nicht wahr, daß eine Nun hat Herr Professor Dr. Kohlrausch an dem Urkundenfälschung b e g e h t , wer sie b e g i n n t . Wort „Strafbarkeit" Anstoß genommen. W ir werden D as Volksempsinden lehnt diese sprachliche Fassung aber an dieser Formel festhalten müssen, wenn wir ab. Aber wir wollen das auch gar nicht behaupten! die limitierte Akzessorietät im Gesetz zum Ausdruck Was wir wollen, ist nur, daß der, der die S traftat bringen wollen. Diese Formulierung lehnt sich an beginnt, geradeso behandelt wird, wie wenn er sie § 4 JG G . an; in meinem Vorschlag ist ganz der begangen hätte. gleiche Gedanke mit ungefähr den gleichen Worten Darum würde ich zur Überlegung anheimstellen, wiedergegeben. § 4 JG G . hat nach meiner Erinne­ ob wir nicht auch hier den Eingangssatz so formulieren rung bisher keine Beanstandung gefunden; seine könnten wie bei der Täterschaft. M an würde dann Textierung ist in der T at durchaus vertretbar. M an sagen: „Die Strafe des Täters findet auch Anwen­ kann anstandslos mit dieser Formel arbeiten. dung auf den, der die T at beginnt". Ein Tisch, der I m übrigen bestehen doch schwere Bedenken gegen nicht fertig ist, ist eben noch kein fertiger Tisch. Doch die Anregung, die limitierte Akzessorietät dadurch zum das wollen wir, wie betont, auch gar nicht sagen. Ausdruck zu bringen, daß man aus die RechtswidrigProfessor Dr. Nagler: kcit abstellt. Professor Dr. Schafsstein hat bereits gestern hiergegen Einwendungen grundsätzlicher Art Es heißt aber doch: „Die S traftat im Sinne des erhoben. I n der T at ist es nicht notwendig, daß die Gesetzes begeht auch derjenige, welcher . . .". D arin Haupttat rechtswidrig ist. M an denke an den Zwang liegt eben eine Tatbestandserweiterung. Alle T at­ zum Selbstmord. Der Selbstmord ist für den Lebens­ bestände des Besonderen Teils erfahren durch § 358 müden nicht rechtswidrig. Ganz anders vom S tan d ­ Abs. 1 eine Ausweitung (eine Extensivierung). Dies punkt des Anstifters zum Selbstmord. Wir haben hier bringen wir dadurch zum Ausdruck, daß wir sagen: ganz zweifellos eine mittelbare Täterschaft anzu­ „Die S traftat im Sinne des Gesetzes begeht auch erkennen. derjenige, welcher . . .". Ich gebe zu, daß das Was die erfolglose Beihilfe anlangt, so sollten sprachlich nicht recht volkstümlich ist. Aber vielleicht wir, meine ich, dieses Problem von F all zu Fall im finden wir noch eine populärere Fassung. Besonderen Teil lösen, wie wir es ja zum Teil schon Reichsjustizminister Dr. Gürtner: getan haben. Ich habe gestern bereits auf den Ab­ treibungstatbestand hingewiesen. Die erfolglose Bei­ D as wird getroffen, wenn S ie sagen: „Wie ein hilfe zur gewerbsmäßigen Abtreibung ist auch im Täter wird bestraft auch der, der die S traftat beginnt". Entwurf unter Zuchthausstrafe gestellt. D as will besagen: Die Strafdrohung, die für den F ür den Anstifter als Urheber ist die Täterstrase T äter gilt, gilt auch für den, der die T at beginnt. durchaus gerecht, und wir sollten da nicht nach der .Vier Bretter sind noch nicht soviel wie ein Tisch. Milde hin abfallen. Herr Reichsgerichtsrat Niet­ Professor Dr. Nagler: hammer hat gestern ausgeführt, daß die Anstifterfälle Schließlich ist aber der Allgemeine Teil dazu da, in der Regel schwerer liegen als die Täterschaften. Ich pflichte dem durchaus bei. Ich möchte daher dringend den Besonderen Teil zu ergänzen. davor warnen, den Anstifter fakultativ mit einer Reichsjustizminister Dr. Gürtner: milderen Bestrafung zu bedrohen, ihn also ebenso wie den Gehilfen zu behandeln. Ich spreche in der barbarischen Sprache meiner Bezüglich des Versuchs stimme ich dem Vorschlag Heimat! Es ist eben nicht richtig zu sagen: „Einen des Herrn Ministers gern zu. I n § 358 haben wir Mord begeht auch, wer ihn beginnt". Dagegen ist der textiert: „Eine S traftat begeht, wer sie mit dem Satz absolut zutreffend: „Wenn du einen Diebstahl Vorsatz, sie zu vollenden, beginnt." D as ist eine sehr anfängst, dann behandle ich dich wie einen Täter, wie brauchbare Formel. Natürlich muß die Praxis einen einen Dieb, der den Diebstahl vollendet hat; dann

trifft die Strafdrohung für den Täter auch dich". Aber ich will nicht plädieren für Gedanken, die ich selber ausgesprochen habe. Vizepräsident Grau: Was die erste Frage betrifft, die Sie, Herr Reichs­ minister, angeschnitten haben, so möchte ich mich dafür aussprechen, die Täterschastslehre mit einer allge­ meinen Formel einzuleiten, in der ausgesprochen wird, daß alle Täterschaftssormen einschließlich der Teilnahme grundsätzlich gleich bewertet werden. Ich halte die Befürchtung, daß die P raxis dann alle Täterformen in einen Topf werfen werde, ohne sich im einzelnen darüber den Kopf zu zerbrechen, für unbegründet. Aber in einem Willensstrafrecht muß an einer Stelle des Gesetzes gesagt werden, daß in der strafrechtlichen Bewertung des sich in den ein­ zelnen Täterschafts- und Teilnahmeformen darstellen­ den äußeren Geschehens kein grundsätzlicher Unter­ schied besteht. Dies gilt auch für die Beihilfe. Hier stehe ich im Gegensatz zu Herrn Professor Dahm, der gestern aus­ führte, daß die Beihilfe hinsichtlich des äußeren und inneren Geschehens stets ein M inus gegenüber den übrigen Täterschaftsformen bedeute. W ir haben darüber in der ersten Lesung ausgiebig debattiert. Im m er wieder wurden Beispiele vorgetragen, aus denen klar wurde, daß in gewissen Fällen der Beihilfe der Gehilfe einen durchaus gleichwertigen verbreche­ rischen Willen wie der Haupttäter hat. M an kann sich auch nicht darauf berufen, daß der anim us socii allgemein schwächer sei als der anim us auctoris. Denn der anim us socii und der anim us auctoris sind nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Gesamtbild des verbrecherischen Willens des Täters, nach dem wir die Strafbarkeit auszurichten haben. Hinsichtlich der Fassung einer solchen Vorschrift ähneln sich die Vorschläge, die von den Herren P ro ­ fessoren Mezger, Dahm und auch Nagler gemacht sind, insoweit, als sie die eigene Ausführung der T at von den übrigen Täterschaftsformen trennen wollen, d. h. also den Alleintäter, den M ittäter und den M ehrtäter dem Teilnehmer und dem mittelbaren T äter gegenüberstellen wollen. Wenn das tatsächlich so gemeint ist, so entsteht sofort eine große Gefahr; denn wenn die Fassung von Herrn Professor Mezger lautet: „Täter ist, wer den Tatbestand einer straf­ baren Handlung selbst verwirklicht oder einen anderen dazu veranlaßt", und wenn man unter den „Veran­ lasser" auch den mittelbaren T äter rechnen soll, so kommt man entgegen dem geltenden Recht zu einer Akzessorietät der mittelbaren Täterschaft. D as würde natürlich nicht tragbar sein, da es eine erhebliche Ein­ engung gegenüber dem geltenden Recht wäre. Der mittelbare Täter muß unmittelbar neben den Selbst­ täter gestellt werden, und erst dann können die beiden Teilnahmeformen besonders behandelt werden. Ich würde es für richtig halten, auch schon den Beginn in die einleitende Dachvorschrift aufzunehmen. Allerdings gehe ich aber davon aus, daß der Beginn nachher an anderer Stelle noch legaliter definiert

wird. Die Strafe des Täters trifft zunächst den, der eine S traftat vollendet oder beginnt, worunter ich den Alleintäter, den Mehrtäter, den M ittäter und den mittelbaren Täter begreifen würde. Ich glaube kaum, daß ein Bedürfnis besteht, den mittelbaren Täter ausdrücklich zu erwähnen. M an kann es aber auch tun. Dann würde man sagen: „Die Strafe des Täters trifft den, der eine S traftat selbst vollendet oder beginnt oder dadurch vollendet oder beginnt, daß er einen anderen an seiner Stelle handeln läßt". Dadurch würde auch die mittelbare Täterschaft ohne jeden akzesso­ rischen Anklang erfaßt sein. „Die Strafe des Täters trifft ferner den, der zur Vollendung oder zum Beginn einer S traftat beiträgt". Hierbei könnte man „durch Anstiftung oder Beihilfe" hinzusetzen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ist hier eine Schuldform mit Absicht weggelassen?) — Ich komme gleich darauf, sie ist mit Absicht weg­ gelassen. Wenn man so formulierte, würde man hinsichtlich der Teilnahme die mildeste Form der Akzessorietät haben, die bei vollendeter und versuchter Haupttat möglich ist. Wegzulassen ist nt. E. unbedingt die Frage der Rechtswidrigkeit. Ich bin auch wie die Herren P ro ­ fessoren Kohlrausch und Nagler der Auffassung, daß die Haupttat gar nicht unbedingt rechtswidrig zu sein braucht. Ich will aber die Frage an dieser Stelle nicht aufrollen. Nicht gelöst ist bisher die Frage der erfolglosen Anstiftung und der erfolglosen Beihilfe. Diese Frage kann aber in dieser allgemeinen Vorschrift auch nicht gelöst werden, weil man hier zunächst einmal von der erfolgreichen Teilnahme ausgehen muß. Nun ein Wort zu den Schuldformen. Ich habe die s ch u l d h a f t e Vollendung und die v o r s ä tz l i ch e Teilnahme absichtlich weggelassen, weil mir die Schuldformen an dieser Stelle nur Verwirrung an­ zurichten scheinen. Ich glaube nicht — und das sagten Sie selbst, Herr Minister — , daß aus den Worten „Anstiftung", „Beihilfe" und „Helsen" überhaupt geschlossen werden könnte, daß jemand dies fahrlässig tun kann. An dieser Stelle von der Schuldform zu sprechen, ist gar nicht nötig, weil es sich hier allein um die Täterschaftssormen handelt. S ag t man hier nichts darüber, so wird es wie im geltenden Recht bleiben, daß nämlich die fahrlässige Änstistung und die fahr­ lässige Beihilfe eben fahrlässige Täterschaft ist. Des­ halb würde ich die Schuldform in diesem Zusammen­ hang überhaupt nicht erwähnen. Ich würde auch davon absehen, die Anstiftung noch weiter legaliter zu definieren, halte aber ein Bedürfnis dafür gegeben, die Beihilfe zu definieren, allerdings rein subjektiv und nicht so gemischt wie im ersten Entwurf. Daß ein Bedürfnis besteht, außer der erfolglosen Anstiftung auch die erfolglose Beihilfe in gewissen Fällen zu bestrafen, möchte ich bejahen. Die erfolglose Anstiftung ist bei Verbrechen unter gewissen Voraus­ setzungen ja schon im geltenden Recht strafbar. Aber

ich glaube, wir sollten auch gewisse Fälle der erfolg­ losen Beihilfe für strafwürdig erachten; das Beispiel des Herrn Staatssekretärs von gestern hat mir da doch zu denken gegeben. D as Bedenken, das sofort dagegen laut wird, ist natürlich das: Wenn man die erfolglose Beihilfe für strafbar erklärt, dann ist es nicht zu verstehen, wie eine Vorbereitungshandlung des Haupttäters, die noch tatnäher ist als diese erfolglose Beihilfe, straflos bleiben soll. D as ist ein Einwand, der durchschlägt und dem man nur dadurch begegnen kann, daß man nur die erfolglose Anstiftung an dieser Stelle allgemein regelt, daß man aber die erfolglose Beihilfe gleichzeitig mit gewissen anderen Vorbe­ reitungshandlungen des Haupttäters bei bestimmten, besonders wichtigen Delikten unter Strafe stellt. D as ist übrigens kein neuer Vorschlag, er ist auch in einem Entwurf schon enthalten. Ich würde dies für die befriedigendste Lösung halten und im Allgemeinen Teil bei gewissen Delikten alle Vorbereitungshand­ lungen von einer gewissen Tatnähe allgemein unter Strafe stellen. Damit würde auch die erfolglose Bei­ hilfe bei diesen Delikten erfaßt sein. Staatssekretär Dr. Freisler: Herr Minister! Ich halte mich an die vier Punkte, die Sie hervorgehoben haben, um damit aus dem von Ihnen vorgezeichneten Wege weiterzukommen. Ich fasse es auch als eine von Ih n en bereits getroffene Entscheidung auf, daß eine Zusammenfassung der Täterschaftsformen erfolgen soll. Darüber bin ich per­ sönlich sehr glücklich. Nur scheint mir die Formel „die S trafe des Täters trifft den und den" nicht gut zu sein. Ich brauche also auf dem Boden Ih re r E nt­ scheidung nun lediglich noch über die Art zu sprechen, wie man diese Vorschrift fassen soll. Nun will ich nicht wiederholen, was ich gestern schon dazu gesagt habe, aber doch noch einmal kurz daraus hinweisen. Ich halte es für richtig, den M it­ wirkungsbegriff der preußischen Denkschrift als Dach zu verwenden aus den Gründen, die aus Seite 131 der preußischen Denkschrift genannt sind und die ich gestern wiedergegeben habe. Wenn nun einmal die E nt­ scheidung zugunsten eines solchen Daches getroffen ist, dann mag man das doch auch deutlich zum Ausdruck bringen, zumal gestern von keiner Seite Bedenken dagegen geäußert wurden. Gegen die Wahl der Worte „die Strafe des Täters trifft a) den und b) den" bestehen aber Bedenken; denn das bedeutet, daß — rein sprachlich betrachtet — keiner der beiden Ge­ nannten Täter ist, daß vielmehr die Täterschastsvorschriften auf diese beiden nur angewandt werden. E s bedeutet also eigentlich: Täter ist jemand, den ich gar nicht nenne, und diese Strafe des Täters trifft auch zwei Gruppen, die nicht Täter sind. D as scheint mir nicht richtig zu sein. Nun würden wir lange darüber debattieren können, ohne uns darüber zu verständigen, ob der Teilnehmer Täter ist oder nicht, weil wir von völlig verschiedenen Vorstellungen und Begriffen, insbe­ sondere bezüglich der Erfassung der Beihilfe, aus­ gehen. Aber darauf können wir uns alle einigen, ohne

unseren Standpunkt int einzelnen aufgeben zu müssen, daß die Mitwirkung bestraft und auch hier genannt wird. Deshalb scheint mir der Begriff der Mitwirkung, eben weil gegen ihn von keinem der hier vertretenen Standpunkte Bedenken geltend gemacht werden können, der beste zu sein. Ich würde daher vorschlagen, das Dach auch so zu benennen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Vielleicht folgende Fassung: F ü r die Straftat ist jeder Mitwirkende verantwortlich nach dem Maße seiner Schuld! Ich glaube, es verkürzt die Sache, wenn ich eine Bemerkung mache. Erstens: Ich habe gegen das Wort „Mitwirkung" eine Abneigung, denn es ist ein absolut unvolkstümliches Wort. Aber ich würde mich damit abfinden. Zweitens: Wenn wir uns darüber streiten, ob der Gehilfe ein Täter ist, so ist das darauf zurück­ zuführen, daß der eine die Gleichung Gehilfe — Täter j u r i s t i s c h nimmt, daß aber s p r a c h l i c h der Ge­ hilfe ebensowenig Täter ist wie der Anstifter; Täter ist der, der es tut. Juristisch dagegen ist absolut klar: Anstifter — Täter! Also das ist wohl der Grund, warum wir uns nicht einigen können. Staatssekretär Dr. Freisler: Herr Minister, das scheint mir nicht ganz klar, es ist nur deshalb richtig, weil diejenigen, die den Gehilfen als Täter ansehen, bisher nicht erklärt haben, daß sie selbstverständlich gegen das Wort „Gehilfe" und gegen das Wort „Beihilfe" sind. Wir können von unserem Standpunkt aus den Gehilfen nicht als Gehilfen betrachten und die Beihilfe nicht als Beihilfe. M an müßte diesem Vorgang des Lebens und der rechtlichen Wertung, die dieser Vorgang des Lebens bekommt, den richtigen Namen geben. Der richtige Name aber ist für den, der auf diesem S tan d ­ punkt steht, nicht „Beihilfe". Ich müßte also einen anderen Vorschlag dafür machen. Mein Vorschlag war ja ursprünglich auch der, diese T at überhaupt nicht als Beihilfe zu bestrafen, weil sie für uns keine Beihilfe sein kann, sondern weil sie für uns eine selbständige Handlung darstellt, die aus sich heraus beurteilt werden muß. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wobei Sie das Willensmoment, den anim us socii unter­ drücken, das fehlt dann!) — Nein, keineswegs, das fällt nicht aus, das ist sogar die Hauptsache dabei. Es liegt darin, daß ich sage: So, wie der Täter diesen seinen Entschluß und seine Hand­ lung in der weiteren Auswirkung sich vorstellt. Zu dieser von ihm vorgestellten oder in Kauf genommenen weiteren Ausführung gehört eben, daß dann nun ein anderer die Pistole nehmen wird. Damit würde ich den strafrechtlichen Gehalt dieses Willens und dieser Handlung lediglich aus dem beurteilen, aus dem er allein beurteilt werden kann, nämlich aus den inneren Vorgängen. Aber ich wiederhole meinen gestrigen Vorschlag nicht, weil ich gesehen habe, daß er abgelehnt wird. Deshalb habe ich das W ort „Beihilfe" schon in

meinem letzten Vorschlag daringelassen. D a hieß es allerdings „Hilfeleistung"; aber das ist im wesent­ lichen dasselbe. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich darf noch einmal darauf zurückkommen; nur will ich jetzt nicht die Beihilfe, sondern die Anstiftung als Beispiel nehmen. Ich kann vorläufig noch nicht von dem Gedanken wegkommen, daß der Ausspruch: „Der Anstifter ist der Täter" eine Vergewaltigung der Sprache ist. Der Anstifter hat eben die T at nicht getan. Staatssekretär Dr. Freisler: Dieser Meinung bin ich nur bedingt, und zwar nur insoweit bedingt, als ich die Auffassung nur für berechtigt halten kann, wenn man anerkennt, daß auch der mittelbare T äter vom Volk nicht als Täter auf­ gefaßt wird. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Sehr richtig!) — Ursprünglich ist vielleicht der Begriff der T at ein Begriff, bei dessen Vorstellung im Hirn das Bild körperlichen Handelns entsteht; das will ich gar nicht leugnen. W ir haben in der Sprache viele Worte, die ursprünglich ein körperliches Bild ausfüllten oder nannten, an das wir heute vielfach gar nicht mehr denken, da es untergegangen ist. S o mag das bei dem Begriff „Tat" auch gewesen sein. Schon beim mittel­ baren Täter stimmt dieses Bild nicht mehr. Wenn man mir sagt, der Anstifter ist nicht der Täter, und das damit begründet, das Volk sehe ihn nicht als T äter an, dann muß man notwendigerweise auch sagen: Der mittelbare Täter ist nicht der Täter, weil er vom Volk nicht als T äter angesehen wird. Das würde bedeuten, daß alles, was die Rechtsprechung dankenswerterweise auf diesem Gebiete geschaffen hat, mit einem Schlage aus dem Begriff des Täters her­ ausgenommen würde. D as würde ferner heißen: Das Volk faßt als Täter nur die Täter im engsten körper­ lichen Sinne auf. Nun kann ich keine Gründe dafür angeben und nicht beweisen, daß das Volk dies nicht tut. Nur wenn ich mir das einmal nicht als Jurist, sondern als M ann ohne juristische Betrachtungsweise denke, dann sage ich mir: F ü r mich ist der mittelbare T äter genau so Täter wie der unmittelbare Täter und auch wie der Anstifter. Deshalb bin ich der Meinung, man kann sehr wohl sagen, daß der Anstifter Täter ist. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist Gefühlssache!) — Jaw ohl, das ist Gefühlssache. Nur meine ich, daß mein Argument doch nicht ganz ohne Kraft ist, daß man den Einwand dann auch auf den mittelbaren T äter ausdehnen müßte. N ur eins könnte man gegen die Anwendung des Wortes „Mitwirkender" für dieses Dach anführen, nämlich das, was Herr Gras von der Goltz mich eben gefragt hat: Is t durch den Begriff „Mitwirkender" der Alleinwirkende ausgeschaltet? Diese Frage ist sprachlich berechtigt, aber auch nur sprachlich; denn es wird keiner auf die Idee kommen, daß jemand

deshalb nicht Täter ist, weil seine Mitwirkung die Gesamtwirkung gewesen ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dem könnte man leicht begegnen, wenn man die Eingangssormel, die w ir suchen, so fassen würde: „Jeder, der eine S tra fta t begeht oder dabei mitwirkt, ist dafür nach dem M aß seiner Schuld verantwortlich". I n dieser Fassung ist alles enthalten. Staatssekretär Dr. Freisler: Die Beschränkung der Beihilfe und der Anstiftung aus Vorsatz ist nach meiner Meinung richtig. Demi es wird dadurch kein Fall, den wir treffen wollen, ausgelassen; die fahrlässige Anstiftung und die fahr­ lässige Beihilfe bleiben in den strafwürdigen Fällen wie im geltenden Recht fahrlässige Täterschaft. Hinsichtlich der Frage der Erfolglosigkeit der Teil­ nahme möchte ich erneut betonen, daß es tatsächlich ein Glaubenssatz ist, die Bestrafung der Anstiftung und der Beihilfe unabhängig davon auszubauen, ob sie in bezug aus die Haupttat Erfolg hatten oder nicht. Der Unterschied zwischen dem Vorschlage, den die Abteilung macht, und meinen gestrigen Ausführungen besteht deshalb gar nicht in den praktischen Folgen, sondern im Ausgangspunkt. Mein Ausgangspunkt versucht, soweit wie irgend möglich, um die akzessorische Natur der Teilnahme herumzukommen und das durch den Ausbau kundzutun, während die Abteilung von der akzessorischen N atur ausgeht und die Fälle, die nicht akzessorischer N atur sind, als Ausnahmefälle zu erkennen gibt. Das ist nun gerade das, worüber wir uns doch einigen müssen. Unabhängig von der Frage, ob wir den Aus­ gangspunkt der Abteilung oder den von mir vorge­ schlagenen Ausgangspunkt wählen sollen, ist ein E in­ wand gegen die Wahl der Grenzlinie erhoben worden. D as liegt nun nicht im Grundsätzlichen, und deshalb braucht man aus diesem Grunde meinen Vorschlag nicht abzulehnen. Ich glaube aber auch nicht, daß die von mir vorgeschlagene Grenzlinie in dem Sinne falsch ist, daß dadurch zuviel vom Strafgesetz ergriffen würde. Wenn das aber doch der F all sein sollte, so können wir ja von dem M ittel Gebrauch machen, die Entscheidung der Anklagebehörde zu überlassen, also aus dem Weg über eine Lockerung des Legalitäts­ prinzips zu helfen. Dies ist wahrscheinlich sogar das Richtigste; denn es hat niemand behauptet, daß es möglich sei, abstrakt, ohne Bezugnahme auf den vor­ liegenden Einzelfall, als Gesetzgeber die Gruppen zu nennen und in das Gesetz aufzunehmen, in denen die Grenze eine andere sein müßte. Solange man aber solche Gruppierungen von Fällen des Lebens nicht nennen und abgrenzen kann, erkennt man damit an, daß diese Abgrenzung im einzelnen nur an Hand der Betrachtung des Einzelfalles getroffen werden kann, daß also die Staatsanwaltschaft die dafür geeignete Stelle ist. Wenn man davor zurückscheut, daß wir dann im einzelnen Fall die Beihilfe bestrafen, obgleich die entsprechende Vorbereitungshandlung des Haupt­ täters nicht bestraft würde, so ist das dadurch zu ver­ meiden, daß man, wenn neben der Beihilfe eine Vor-

bereitungshandlung des Haupttaters vorliegt, diese ebenfalls wie die Beihilfe bestraft. D as soll natürlich kein Formulierungsvorschlag sein. Ministerialdirektor Schäfer: Die Beihilfe umfaßt immer Vorbereitungshand­ lungen — nämlich wenn sie erfolgreich ist —, die beim Täter nicht bestraft werden. D as ist der große Unter­ schied, über den wir nicht hinwegkommen. Staatssekretär Dr. Freister: I n der ersten Lesung haben wir den Beschluß gefaßt, Versuch und Vollendung im bisherigen Sinne gesetzgeberisch gleich zu behandeln und etwaige Unter­ scheidungsnotwendigkeiten bezüglich der Beurteilung der Schuldhöhe dem Richter zu überlaßen. W ir haben das in der ersten Lesung im wesentlichen dadurch machen wollen, daß wir die Strafrahmen so weit nach unten ausdehnten, daß der Richter innerhalb des gesetzlichen Strafrahm ens jede Möglichkeit hatte. Es scheint nun so, als ob wir in der zweiten Lesung die Strafrahmen anders begrenzen und sie mit höheren unteren Grenzlinien versehen werden. Dann folgt daraus zwingend, daß wir an irgendeiner Stelle sagen müssen, daß der Richter in besonderen Fällen darunter bleiben kann. Zu diesen Fällen wird auch der Versuch gehören. Nun haben wir sehr viel darüber gesprochen, wann eigentlich unserer Meinung nach der Täter aus der Sphäre des Anständigen durch die F u rt des Schlüpfrigen in das Gebiet des Strafbaren kommt, wo also der Beginn der strafbaren Handlung liegt. I n Oberhos haben wir die Formel gewählt: „Wer die T at mit dem Willen, sie zu vollenden, beginnt, ist ebenfalls Täter". W ir haben uns lange darüber unter­ halten, ob wir eine weitere Definition des Beginns im Gesetz nötig haben. Herr Minister, ich bin der Meinung, daß diese Unterhaltung verfrüht war. Denn wir haben zunächst selbst Klarheit nötig. W ir können es wohl als Gesetzgeber verantworten, etwas nicht in das Gesetz hineinzuschreiben, weil es überflüssig ist; wir können es aber nicht verantworten, etwas nicht hineinzuschreiben, weil wir uns selbst nicht darüber klar sind. D araus, daß wir bisher uns nicht klar darüber waren, schließe ich, daß wir eine Begriffsbe­ stimmung des Beginnens der S traftat zunächst einmal aufstellen müssen, und daß wir uns erst dann darüber schlüssig werden können, ob wir diese Bestimmung nun auch in das Gesetz hineinbringen oder nicht. I m letzteren Falle werden wir sie irgendwo in der Be­ gründung nennen. Ich bin nun der Ansicht, daß eine volkstümliche Begriffsbestimmung des Beginnens nicht so kurz sein kann, wie es an sich erwünscht ist. Sollte sie in das Gesetz aufgenommen werden, so ist zu beachten, daß dieses nicht nur für das Reichsgericht und für die anderen Gerichte geschaffen wird, sondern daß es für jedermann bestimmt ist und deshalb vieles, was viel­ leicht vom Standpunkt des Reichsgerichts zu sagen unnötig wäre, weil dieses sich längst dazu bekannt hat, doch im Gesetz gesagt werden muß.

Nun besteht bei uns, wenn wir einmal von der Formel ausgehen, die wir in Oberhos hatten, Unklar­ heit nur über das Wort „beginnt". W ir alle sind uns darüber klar, daß eine S traftat nur vorliegt, wenn der Wille zu dieser T at gegeben ist. Der Wille muß darauf gerichtet sein, die T at auch durchzuführen. W ir sind uns ferner klar und haben darüber lange debattiert, daß dieser Wille allein nie genügt, sondern daß zu ihm immer ein äußeres Geschehen hinzu­ kommen muß. D as ist unbestritten. Es ist ebenso unbestritten, daß die äußere T at, neben ihrem Deutungswert für den Willen, auch eine selbständige Funktion hat, daß ohne sie der Beginn einer S traftat nicht vorliegt. Da entsteht die Frage: Wie nahe muß diese äußere Handlung an der Vollendung der S tra f­ tat liegen? D as ist nun eine Entscheidungsfrage. Freilich ist dabei zu beachten, daß es nicht aus die äußere Vollendungsnähe, betrachtet von der An­ schauung des Täters aus, ankommt. Der Standpunkt, von dem aus wir den Nähegrad beurteilen und fest­ stellen, soll und kann nur die subjektive Anschauung des Täters von den Dingen, den Verhältnissen, dem Handeln der anderen Menschen, den Beziehungen der Menschen untereinander und von der Tauglichkeit, der Wirkungssähigkeit aller dieser Umstände sein. Also müssen wir eine äußere Handlung verlangen, die, wenn man vom Betrachtungsstandpunkt des Täters ausgeht, einen bestimmten Grad der Vollendungsnähe enthält. D as ist das Weitere, was wir in den Begriff des Beginnens hineinlegen müssen. Wenn wir das beachten, bleibt nur noch die E nt­ scheidung des Nähegrades. Da ist ja das Rechts­ material in dem Aufsatz des Herrn Assessor Bruns in der letzten Nummer der „Deutschen Justiz" zusammen­ gestellt. Die Versuche, eine solche Nähe festzustellen, sind ganz verschieden. Sie bezogen sich eine Zeitlang auf einen bestimmten Grad der Nähe zum Erfolg; das ist dann abgelehnt worden. Sie bezogen sich sodann aus einen bestimmten Grad der Gefährlichkeit für ein Rechtsgut. Auch diese Vorschläge scheinen mir abgelehnt worden zu sein, weil wir den Begriff des Rechtsguts überhaupt nicht anerkennen wollen. S o ­ dann bezogen sie sich auf eine bestimmte Nähe zur Durchführung der T at insofern, als die Durchführung unter dem Gesichtspunkt der Gefahr aufgefaßt wurde, der Gefahr für die Volksgemeinschaft, für das, was zu schützen Zweck des Strafrechts ist. Das ist nicht abgelehnt worden, sondern es ist darüber diskutiert worden. Dagegen wurde geltend gemacht, daß eine, solche Fassung zu allgemein und nicht greifbar sei. E s ist der Gegenvorschlag gemacht worden, die Nähe nach dem Vorstellungsbild der fertigen T at, wie es der Täter hat, zu beurteilen, ohne daß irgendeine juristische Wertung dieser vom Täter vorgestellten fertigen T at hineinspiele. Diese Wertung spielt aber an einer anderen Stelle doch hinein. Wenn die T at nämlich mit einer Mißwertung endet, interessiert sich das Strafgesetz nicht für sie. M ir erscheint es richtig, daß man, nachdem man unverrückbar den Ausgangs­ punkt der Beurteilung festgehalten hat, nun den erforderlichen Nähegrad nach dem Vollendungsvor­ stellungsbild des Täters ausrichtet. Diesen Nähegrad

kann ich nicht durch einen Meilenstein, durch einen Grenzstein benennen; es muß ein normatives Element darin bleiben. Davor brauchen wir uns aber auch gar nicht zu scheuen. E s fragt sich eben nur, bis zu welchem Grade wir diesem normativen Element eine gewisse Bestimmtheit geben können. Da sollten wir nicht zu engherzig sein, sondern sollten ein normatives Element wählen, das weit gestaltet ist, weil ich aller­ dings glaube, daß der Richter dann schon das Richtige finden wird. Der Richter wird sich darüber klar sein, daß der Beginn nicht gleichzusetzen ist mit dem Anfang der Ausführung, sondern daß das Gesetz weiter zurückgehen will. Wie weit es will, konnte der Gesetzgeber allerdings nicht mit aller Bestimmtheit sagen; insoweit hat er auf den Richter vertraut. Das normative Element würde etwa lauten: Wenn die Handlung bereits einen erheblichen unmittelbaren Beitrag zur Gefahr der Vollendung in sich trägt. Wenn wir uns darauf einigen würden, so würde uns dieser Entschluß jedenfalls von dem Vorwurf be­ freien, daß wir uns selbst nicht klar geworden wären. D ann entsteht nur die Frage, ob man diese Begrisfsbestimmung in das Gesetz aufnimmt. Ich bin der Meinung, daß man das tun sollte, und schließe das daraus, daß wir selbst das dringende Bedürfnis empfunden haben, über das Wort „beginnen" in unserer Diskussion zu sprechen. Wenn wir selbst dieses dringende Bedürfnis empfunden haben, dann haben wir damit vor uns selbst eingestanden, daß das Wort „beginnen", das wir bisher gebraucht haben, zwar eine knappe, präzise und richtige Bezeichnung besten, was wir wollen, darstellt, aber eine Bezeichnung ist, deren In h a lt erst ausgedeutet werden muß. Ich würde deshalb zu dem Ergebnis kommen, die bisherige F o r­ mulierung zu lasten und im Anschluß an sie in einer nicht zu knappen Weise das Beginnen etwa in dem Sinne auszulegen, wie ich es versucht habe. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich glaube, die Begriffe „Vorbereitung" und „Beginn" spielen bloß im Strafrecht eine Rolle. Legen Sie sich einmal die Frage vor: Wann beginnt eine Theatervorstellung? Ich glaube, diese Frage ist leicht damit zu beantworten, daß man sagt: Wenn der Vorhang aufgeht. Die Vorbereitungshandlungen zu einer Theatervorstellung sind meistens ein Vielfaches der Zeit und Arbeit der Aufführung. Aber der Zeit­ punkt, wann sie beginnt, ist ziemlich klar. Wann be­ ginnt ein Gottesdienst? Wann beginnt die Maifeier am 1. M ai? D as kann man alles eindeutig beant­ worten. Ich glaube aber nicht, daß man so eindeutig die Frage nach dem Beginn der strafbaren Handlung allgemein beantworten kann. D as hat sich auch aus den Ausführungen des Herrn Reichsgerichtsrats Niet­ hammer gestern ergeben, der gesagt hat: Bei gewissen Delikten und gewissen Personen haben wir das Be­ dürfnis empfunden, etwas weiter zurückzugehen, also z. B. bei dem M ann mit dem Notzuchtsverbrechen, weil er eine solche Persönlichkeit ist und weil das Kind schutzlos und einsam wird. Da haben wir uns gesagt: D as ist ein Beginn, obwohl eine Anfangs­ handlung noch nicht erfolgt ist. Dieses Beispiel zeigt,

daß man so einfach wie die Frage: „Wann beginnt der Gottesdienst?" die Frage nach dem Beginn der strafbaren Handlung nicht wird beantworten können. Ich habe auch den Eindruck, daß es bei allen Versuchs­ debatten sehr viel weniger um sachliche Meinungs­ unterschiede geht, als um den verfluchten Versuch, das Wort zu paraphrasieren, das Herr Grau mit dem Ausdruck „Tatnähe" bezeichnet hat. Alles das sind Versuche, dieses volkstümlich unbrauchbare Wort „Tatnähe" auszudrücken. Nun wäre ich den folgenden Herren sehr dankbar, wenn sie auch an diesen Punkten halt machten. Ich glaube, es sind in der T at diejenigen, die aus der ganzen Diskussion übriggeblieben sind. Wenn ich selber noch einmal vom ersten Punkt sprechen kann, der Einleitungsbestimmung für die Täterschaft, so haben wir meines Erachtens die Erkenntnis ge­ wonnen, daß man mit dem Wort „mitwirken" allein nicht auskommen kann, weil die Tatsache besteht, daß der Alleintäter nicht mitwirkt; wir müssen deshalb zum Ausdruck bringen, daß eine S traftat sowohl von einem als auch von mehreren begangen werden kann, so daß ich mich im ganzen der Fassung nähern würde, nach der für die S traftat jeder verantwortlich ist, der sie begeht — meinetwegen auch der, der sie allein begeht — oder dazu mitwirkt. Dann dürfen wir nicht unterlassen, zu sagen, daß diese Verantwortung nach dem M aß der Schuld besteht. Wenn w ir bei der An­ stiftung und Beihilfe die Schuldsorm der Fahrlässigkeit nicht zulassen wollen, dann müssen wir das schon in der Einleitungsbestimmung sagen. Wenn ich Sie, Herr Staatssekretär, recht verstanden habe, wollen Sie sich ja auch nicht dagegen sträuben. I m Gegen­ teil, S ie haben ja anerkannt, daß man nur die vor­ sätzliche Anstiftung und Beihilfe als strafbare Hand­ lung im Gesetz aussprechen soll, weil die fahrlässige Teilnahme ja ohnehin in die T at selbst mündet. (Zustimmung des Staatssekretärs Dr. Freister.) Wegen ber erfolglosen Beihilfe und Anstiftung möchte ich bloß zu meiner Orientierung folgende Fragen den Herren zur Entscheidung geben. W ir sind uns doch darüber einig, daß folgender F all so ent­ schieden wird, wie ich nachher sagen werde. Jemand gerät in den Verdacht, ein Landesverräter zu sein. Ein anderer glaubt, eine vaterländische T at zu tun, wenn er ihn umbringen läßt. E r stiftet nun einen Untergebenen an, diesen Landesverräter umzubringen. Dafür werden alle Vorbereitungen getroffen; der M ann soll heimlich erschossen werden. E s kommt aber nicht dazu, sondern der M ann wird durchgeprügelt, und es kommt zu einer schweren Körperverletzung. Sind sich die Herren darüber einig, daß der Anstifter in diesem Falle wegen Anstiftung zum Totschlag zur Verantwortung gezogen werden soll, obwohl der Täter nur wegen Körperverletzung bestraft wird? (Staatssekretär Dr. Freisler: J a ! ) — Besteht da ein Zweifel? — E s scheint nicht. Es kann auch nach meiner Meinung kein Zweifel bestehen, wenn man die Sache so aufbauen will; denn wir würden ja den Anstifter zum Totschlag auch zur Ver-

s antwortung ziehen, wenn der Angestiftete gar nichts tut. (Staatssekretär Dr. Freister: J a ! — SenatsPräsident Professor Dr. Klee: Doch nur unter dem Gesichtspunkt des § 364; das wäre eine besondere Bestimmung!) — Jawohl, die erfolglose Anstiftung zum Verbrechen soll strafbar sein. (Senatspräsident Profesior Dr. Klee: D as ist mir sehr zweifelhaft!) — Deswegen stelle ich die Frage; denn wir müssen alle diese außerordentlich weit gespannten Betrach­ tungen immer wieder an einem einzelnen Fall orien­ tieren, damit wir sehen, ob das Ziel, das wir alle gemeinsam erreichen wollen, erreicht wird. S ie können das Beispiel auch folgendermaßen variieren: Der Mann will die F rau beseitigen, und zwar mit Gift. E r wendet sich an einen Apotheker, besorgt sich das Gift, läßt sich Unterricht darüber geben, wie man das macht; alles wird vorbereitet. Es handelt sich hier­ um keine Anstiftung, sondern um Beihilfe des Apothekers. Nun kommt es aber gar nicht zu einem Giftmord; es kommt entweder zu gar nichts, oder es kommt dazu, daß der M ann die F rau prügelt. Wie soll der Apotheker verantwortlich gemacht werden? (Staatssekretär Dr. Freister: Das ist Beihilfe zum Mord! — Senatspräsident Professor Dr. Klee: De lege la ta ist es ganz klar: Er wird bestraft wegen Anstiftung zu dem Ge­ ringeren, was geschehen ist!) — Ich frage nur: S oll in Zukunst der Apotheker wegen Beihilfe zum Mord zur Verantwortung ge­ zogen werden? Das sind die Fragen, sür deren Beantwortung ich den Herren sehr dankbar wäre. Professor Dr. Gras Gleispach: Herr Minister! Ich möchte mit dem Äußerlichen beginnen, und zwar bin ich der Meinung, daß man die Bestimmung über die Täterschaft, Mittäterschaft und Mithilfe mit der über den Versuch nicht verquicken sollte; denn das führt nur zu einer sehr starken Be­ lastung jedes Formulierungsversuchs. Wenn ich mir dann erlauben darf, einen Vorschlag sür die Formulierung der Begehung der T at vorzu­ tragen, den ich heute morgen skizziert habe, so würde er lauten: „Die Strafbarkeit erstreckt sich nicht nur aus den unmittelbaren Täter, sondern auf jeden, der die Begehung der T at durch einen anderen veranlaßt oder sonst dabei mitwirkt". Dieser Vorschlag ent­ springt dem Bestreben, die ja nur in der Schau des Problems verschiedenen Auffassungen, die gestern und heute geäußert worden sind, zu vereinen. Ich glaube in der Tat, daß es überflüssig ist, die einfachste Be­ gehung der T at irgendwie zu bestimmen. Ich glaube weiter, daß, wenn vom unmittelbaren Täter ge­ sprochen wird, durchaus die Ausfassung möglich ist, die in jedem, der eine verbrecherische Gesinnung betätigt, einen Täter sieht, sür die also entsprechend der Grund­ betrachtung des Willensstrasrechts ein Unterschied

zwischen Täter, Gehilfe, Anstifter usw. überhaupt nicht besteht. Diese Formel würde von uns so aus­ gefaßt werden können, daß neben dem unmittelbaren Täter als weitere Form der Täterschaft in diesem S inne einer Wertbetrachtung der mittelbare Täter, der Gehilfe und der Anstifter stehen. Auf der anderen Seite macht es die Formel gar nicht unmöglich, was mir volkstümlich und darum richtig erscheint, auch in Zukunft wegen Anstiftung zum Morde oder wegen Beihilfe zum Morde oder schlechthin wegen Mordes, also den Täter im engeren Sinne zu verurteilen. Dieser Weg würde durchaus gangbar bleiben. Ich glaube auch, daß die Auffassung, die m. E. die richtige ist, durch diese Formel zum mindesten nicht abgelehnt wäre, daß nämlich unsere Tatbestände von vornher­ ein diese verschiedenen Arten der Betätigung einer verbrecherischen Gesinnung, eines auf diese Tatbe­ stände gerichteten Vorsatzes umfassen. Es ist ja be­ kanntlich eine große theoretische Streitfrage, ob wir eine Ausdehnung der Tatbestandsmäßigkeit durch­ führen oder nur die äußerste Grenze für die Tatbe­ standsmäßigkeit ziehen wollen. M. E. ist das letztere das Richtige. Aber auch diese Auffassung würde durchaus mit dieser Formel vereinigt werden können. Nun hätte ich allerdings Bedenken, diesen Satz auf die Schuldform des Vorsatzes zu beschränken; denn ich glaube, es handelt sich darum, ganz allgemein zum Ausdruck zu bringen: W ir sehen den Tatbestand in dieser Weite, gleichviel ob der Täter vorsätzlich handelt oder fahrlässig. Unserer Ausfassung nach wird nicht der Tatbestand erst ausgedehnt. Also besteht hier kein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Vorsatz­ delikten und den Fahrlässigkeitsdelikten. Daß auch der, der fahrlässig eine T at veranlaßt, nun wegen dieser T at als eines Fahrlässigkeitsdelikts hastet, muß hier auch zum Ausdruck gebracht werden, nicht anders als beim Vorsatzdelikt. Wenn man grundsätz­ lich von dem Gesichtspunkt ausgeht: „Wer mit einer volksfeindlichen Gesinnung handelt, ist strafbar" und wenn auch das Fahrlässigkeitsdelikt sich auf ihn er­ streckt, so ist es sür uns grundsätzlich nichts anderes, als daß auch der Anstifter, der Gehilfe usw. strafbar ist. Ich glaube nicht, daß da irgendein Bedenken ent­ stehen kann, wenn man hier von der Schuldform über­ haupt nicht spricht. Ich glaube dann weiter, daß mehr als bei der doch wesentlich das Äußerliche betreffenden Formu­ lierung dieses Satzes das Willensstrasrecht sich be­ währen muß bei der Frage, ob auch der Versuch der Anstiftung und der Versuch der Gehilfenschaft strafbar sei oder nicht. Letzten Endes kommt es doch viel mehr daraus an, daß bei der Frage, was strafbar ist und wie gestraft werden soll, das, was der Herr S ta a ts­ sekretär Freister jetzt wiederholt als Glaubenssatz bezeichnet hat, sich bewähre, als bei der Formulierung, die dann im Gesetz gewählt wird. Hier kann — ich glaube, es ist nicht weiter notwendig, das auszu­ führen — sür uns kein Zweifel sein: Wenn die Be­ tätigung der verbrecherischen Gesinnung in irgend­ einem dem Tatbestand entsprechenden Verhalten vor­ liegt, dann ist es gleichgültig, ob dieses volksfeindliche

Eingestelltsein durch eigene Tätigkeit oder durch Be­ einflussung eines Fremden aus dem Wege der psychi­ schen Beeinflussung oder in der Weise vor sich geht, daß er M ittel für das Verbrechen bereitstellt. Wenn es dann nicht zur Vollendung des Tatbestandes kommt, besteht grundsätzlich m. E. keine geringere Straffähigkeit, als wenn der sogenannte Täter selbst das Verbrechen zu begehen versucht. J a , man kann sagen: I n einem gewissen S inne ist der Versuch der Anstiftung oder der Beihilfe gefährlicher als der des Täters, weil doch immer auf einen fremden Willen abgestellt ist, auf den man keinen entscheidenden Ein­ fluß hat. Wenn gestern gerade bei der Strafbarkeit der versuchten Verleitung oder Anstiftung auf die Ent­ stehung im deutschen Recht hingewiesen wurde, so liegt darin nichts Beweisendes für mich; im Gegenteil. D as war eine ganz andere Strafrechtsauffassung und Rechtsauffassung, und für diese damals herrschende Auffassung zumindest eine Hauptfunktion der S tra f­ gesetzgebung im Schutz der Freiheit des Individuums zu sehen. Von diesem Standpunkt aus war die ver­ suchte Anstiftung etwas ganz Gefährliches. Aber diese Auffassung legen wir heute ja nicht mehr zugrunde. Ich möchte, ohne daß ich darüber noch eine weitere Aussprache veranlassen möchte, ganz kurz darauf hin­ weisen, daß in Österreich die Strafbarkeit der ver­ suchten und auch der völlig erfolglosen Anstiftung geltendes Recht ist. (Ministerialdirektor Schäfer: Und der Versuch der Beihilfe?) — Dieser ist nur in besonderen Fällen strafbar. Ich sage das nur besonders gegen die Bedenken, die gegen die Strafbarkeit der versuchten Verleitung hier vor­ gebracht sind. Nun sind wir der Auffassung, daß in höherem Maße als bei anderen Betätigungsformen bei der Gehilfenschaft die Strafwürdigkeit geringer sein kann. Darum kann man bei der Bestrafung der ver­ suchten Beihilfe oder Anstiftung vielleicht auch nicht so weit gehen wie bei anderen Betätigungsformen. Die Grenze kann man nicht irgendwie begründen.Ich würde es sicher verstehen können, wenn man hier nicht bis an die äußerste Grenze ginge, also nicht schlechthin, was mir am meisten gefiele, jede versuchte Anstiftung für strafbar erklärte. Wenn man sagt, man wisse ja nicht, ob es damit ernst war, so ist es m. E. selbstverständlich Aufgabe der Verfolgungsbehörde und des Richters, in solchen nicht ernst gemeinten Fällen nicht einzu­ schreiten. D as wird auch niemals geschehen. Wenn aber doch Bedenken bestehen, so kann man die Be­ strafung auf schwerer bedrohte Handlungen be­ schränken. Aber das wäre unvereinbar mit den Grundlagen des neuen Strafrechts, wenn man in den ernsten und schweren Fällen auf die Bestrafung sei es der versuchten Anstiftung, sei es auch nur der ver­ suchten Beihilfe verzichten wollte; denn dann ent­ scheidet wirklich der Zufall darüber, ob jemand, der einen schuldhaften Willen betätigt hat, der Strafe verfällt oder nicht. Schließlich zu der Frage des Versuchs! Ich bin im Gegensatz zu der Auffassung meines Kollegen

Nagler der Meinung, daß man nicht von der Be­ gehung der T at sprechen soll. D as hängt damit zu­ sammen, was ich früher über die verschiedenen Formen der Betätigung ausgeführt habe. Auch beim Versuch ist wohl der letzte Ausgangspunkt der Be­ trachtung der, daß der Versuch schon tatbestands­ mäßiges Handeln, sei. Gerade vom Standpunkt des Willensstrasrechts aus kommt es grundsätzlich gar nicht darauf an, ob der Tatbestand vollendet ist und ob nur die berühmte Grenze überschritten sei, wo wir die Strafbarkeit beginnen lassen wollen. Am besten würde man hier sagen: Nicht nur wer die T at vollendet, ist strafbar, sondern schon der, der sie be­ ginnt. Wenn ich nun die letzten Ausführungen des Herrn Staatssekretär Freister richtig verstanden habe, daß das in das Gesetz eigentlich nicht mehr hin­ einkommen müsse, sondern in den Motiven dann das normative Element des Begriffs des B eginnens------(Staatssekretär Dr. Freister: D as wollte ich auch ins Gesetz schreiben; ich wollte nur die Funktion, die wir dem geben, nicht im Gesetz haben.) — Ich wäre der Meinung, daß man sich mit diesem Satz begnügen würde und auch am besten begnügen wird. Ich verhehle mir dabei nicht, daß sich die Aus­ legung, die ich dann diesem Gesetzeswortlaut geben würde, von der des Herrn Staatssekretärs unter­ scheiden würde. (Heiterkeit.) Denn mich hat es schon gestern und heute noch mehr verwundert, daß der Herr Staatssekretär heute die selbständige Funktion der äußeren Erscheinung der Willensbetätigung stark betont, während wir uns in der ersten Lesung wohl mehr dem Standpunkt ge-, nähert haben, den ich für richtig halten würde, daß es nämlich wesentlich darauf ankommt, neben dem Be­ weis des bösen Vorsatzes, der abgesondert zu betrachten ist, in deutlich erkennbarer Weise den verbrecherischen Willen der T at in die Erscheinung treten zu lassen. Aber darüber hinaus kann ich der T at eine selbstän­ dige Bedeutung eigentlich nicht beimessen. (Staatssekretär Dr. Freister: W ir wollen aber doch kein tatloses Gesinnungsstrafrecht!) — D as ist nicht tatlos. Aber ich will darüber nicht streiten; ich halte das für ganz vergeblich. (Heiterkeit.) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nur eine Frage! Glauben Sie, daß in Österreich das Bezirksgericht in Bregenz wirklich jemanden wegen Versuchs der Beihilfe zu einer Körperverletzung verurteilt, der die Szene ausführt, die ich gestern hier zum besten gegeben habe? Professor Dr. Graf Gleispach: Nein. Bei der Körperverletzung wäre nach öster­ reichischem Recht die Beihilfe im Stadium des Ver­ suchs nicht strafbar, wohl aber die versuchte Anstiftung.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich will ein anderes Beispiel wählen. Die Burschen im W irtshaus kommen auf die Idee, es wäre fein, dem Pfarrer die Fenster einzuschmeißen, und zwar kommt einer auf diese Idee, der sich über den Pfarrer geärgert hat. I m W irtshaus werden alle Vorbereitungen, der Anmarsch zum Psarrhos usw. überlegt, es geschieht aber nichts. Einer war da, der angestiftet hat. Wird der wirklich in Österreich bestraft? Professor Dr. Graf Gleispach: Ich kenne viele Fälle, in denen wegen versuchter Anstiftung eine Bestrafung erfolgt ist, wo gar nichts „geschehen" ist, wenn man nämlich feststellen konnte, daß es sich um eine ernsthafte Anstiftung handelte. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich kann mir das nicht denken; denn diese ver­ suchten Anstiftungen, die durchaus ernsthaft gemeint sind, wenn man vergnügt im W irtshaus beisammen sitzt und die Uhr 10 Uhr abends überschritten hat, sind zahllos wie der Sand am Meer, so z. B., daß jemand einem den Rat gibt, einem andern eine Maulschelle zu hauen oder die Fenster einzuschmeißen oder sonst eine Liebenswürdigkeit anzutun. E s ist unmöglich, diese Fälle in dieser Ausdehnung in den Bereich des Strafgesetzes zu ziehen. Ich habe das Gefühl, daß wir zu sehr ins Theoretische abgleiten. S o etwas können wir nicht ins Strafrecht hineinnehmen, während ich den Versuch der Anstiftung zum Mord oder zum Landesverrat als durchaus strafwürdig empfinde. Professor Dr. Gras Gleispach: Ich sagte ja schon: Wenn man glaubt, leichte strafbare Handlungen ausnehmen zu sollen, so läßt sich das auch vom Standpunkt des Willensstrafrechts aus rechtfertigen. M an kann sagen: Bei den äußersten Verästelungen ist man gewissermaßen nachgiebiger. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich weiß nicht, ob das überhaupt eine richtige Betrachtungsweise ist. Der Herr Staatssekretär hat vorhin bei irgendeinem Hinweis auf das Willensstrasrecht bei der Fahrlässigkeit davon gesprochen, es sei ein Fehler oder ein Schmerz für uns, festzustellen, daß man bei einer fahrlässig begangenen T at vom Erfolg sprechen muß. F ü r mich ist es kein Schmerz, weil ich nicht der Meinung bin, daß das Gesetz die Verwirklichung einer Theorie sein muß. Ich finde es als Gesetzgeber nicht schmerzlich, zu sagen: I n diesem Punkte geht es nicht; diesen Fall müssen wir aus anderen Gründen, aus kriminalpolitischen und sonstigen, die S ie selbst angegeben haben, ausnehmen. Ich habe aus Ih ren Worten entnommen, daß Sie selber Bedenken haben, die erfolglose Anstiftung schlechthin unter Strafe zu stellen. S ie haben es selbst, wenn auch in sehr vorsichtiger Weise, zum Ausdruck gebracht. (Professor Dr. Gras Gleispach: F ü r mich nicht. Ich weiß aber, daß es hier gar keine Aussicht

auf Erfolg hat. Ich würde die restlose Bestra­ fung vertreteil, aber ich sehe ein, daß man mit Recht einwenden kann, das geht zu weit.) — Auch unter dem Gesichtspunkt, den ich noch einmal habe anklingen lassen, daß wir damit der Denun­ ziation Tür und T or öffnen. D as sind lauter Dinge, die nicht aus der Theorie, sondern aus dem praktischen Leben stammen. Ich glaube nicht, daß wir damit weiterkommen, und Sie selbst glauben es im Innersten Ih re s Herzens auch nicht. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wenn ich zunächst die Frage erörtern darf, ob jemand, der an einer T at mitwirkt, ohne sie selbst auszuführen, als Täter bezeichnet werden soll, oder ob man ihn nur dem Täter gleichstellen soll, so ist es sicher richtig, daß das Volk unter Täter nur den versteht, der unmittelbar selbst Hand anlegt. Der Herr Staatssekretär hat bereits mit Recht darauf hinge­ wiesen, daß wir auch den mittelbaren Täter ohne Bedenken als Täter betrachten, und wir täten nur einen Schritt weiter aus diesem Wege, wenn wir auch den Anstifter als Täter betrachteten. Ich darf darauf hinweisen, daß auch im Zivilrecht solche Wandlungen stattgefunden haben. Besitzer eines Grundstückes ist nach der ursprünglichen Laienvorstellung der, der auf dem Grundstück sitzt. Nach bürgerlichem Recht aber gibt es auch einen mittelbaren Besitzer, der in gar keiner körperlichen Beziehung zu der Sache steht. Es hat also eine Ausweitung des Besitzbegrifss stattgefunden. So ist es auch mit dem strafrechtlichen Täterbegriff. Ich möchte aber eine Mittellösung im Anschluß an das bürgerliche Recht § 830 Abs. 2 BGB. vorschlagen. D as bürgerliche Recht kennt hier bereits den erwei­ terten Täterbegrifs bei der Haftung für unerlaubte Handlungen. Es heißt da, daß Anstifter und Gehilfen den M ittätern, also auch dem Täter gleichstehen. Wir könnten im Strafrecht entsprechend sagen, daß in erster Linie der Täter bestraft wird, und daß ihm gleichsteht derjenige, der mitwirkt. Damit ist nicht gesagt, daß er es ist, sondern er steht ihm nur gleich. Natürlich kann man ebenso gut sagen: Die Strafe des Täters trifft auch den, der mitwirkt. Besser wäre es wohl, wie Graf Gleispach vorgeschlagen hat, den unmittelbaren T äter zunächst selber zu nennen; das ist der, der als Alleintäter unmittelbar handelt. Diesen Normalfall einfach als selbstverständlich zu übergehen, halte ich nicht für sachgemäß. Die S tra f­ barkeit würde sodann auf jeden, der mitwirkt, zu erstrecken sein. Nun die Frage, wie es sich mit der Mitwirkung zum Totschlag verhält, wenn die T at nur eine Körper­ verletzung zur Folge hat. Da hätte ich bei der Fassung: „Die Strafbarkeit erstreckt sich auch auf den, der zu einem Tatersolg mitwirkt" keinen Zweifel, daß der Betreffende, wenn es nicht zum Totschlag, sondern nur zur Körperverletzung kommt, nicht wegen Beihilfe zum Totschlag, sondern nur wegen Beihilfe zur Körperverletzung bestraft werden kann.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Das wollte ich gerade klarstellen, und deswegen vorhin mein Vorschlag: „Jeder, der an der S traftat mittut, wird verantwortlich nach dem Maß seiner Schuld". Sie haben ganz recht. Wenn wir sagen: „Die Strafe des Täters erstreckt sich auch aus den Gehilfen", dann fällt die Entscheidung schwer, wie sie mir nach allem, was bisher gesagt worden ist, not­ wendig erscheint. Die Entscheidung wird doch ge­ wünscht, daß ein kleiner Führer, wenn er zum Tot­ schlag angestiftet oder Beihilfe geleistet hat, und wenn es dann nicht zum Totschlag, sondern zur Körperver­ letzung kommt, wegen Anstiftung zum Totschlag ver­ antwortlich gemacht wird. Oder täusche ich mich da? Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as halte ich nach der Formulierung für undenk­ bar, aber auch gar nicht für nötig. M an muß doch von dem Taterfolg ausgehen, der da ist, und da um­ faßt der Anstifter-Dolus auf Tötung eo ipso auch die bloße Körperverletzung. (Staatssekretär Dr. Freister: Wo bleibt da das Kleesche Gefährdungsstrafrecht? — Reichs­ justizminister D r. Gürtner: D as würde ich nicht als Gegenfrage gegeben haben, sondern: Wo bleibt das Willensstrafrecht?) — W ir strafen die Leute, die bei Herbeiführung eines verletzenden Erfolges mitwirken. D as ist der Aus­ gangspunkt. D as ist der F all der vollendeten M it­ wirkung. Vom Versuch sprechen wir hier gar nicht. W ir müssen daraus abstellen, daß der Betreffende nur wegen dessen, was geschehen ist, wenn es sich um eine vollendete T at handelt, bestraft wird. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Auch wenn es anders ist als das Gewollte?) — J a ; vorausgesetzt allerdings, daß das Geschehene nicht aus dem Rahmen des vom Anstifter Gewollten herausfällt. Handelt es sich bei dem vom Angestifteten begangenen Delikt um ein völliges aliud gegenüber dem, was der Anstifter gewollt hat, sprechen wir von einem Exzeß des Angestifteten, für den der Anstifter nicht zu hasten hat. Reichsjustizminlster Dr. Gürtner: Ich habe mich sehr schlecht ausgedrückt. Ich wollte das auf mein Beispiel bezogen wissen. Wer den Befehl gibt, den angeblichen Landesverräter umzubringen — Anstiftung — , mit dem Erfolg, daß er nur durchge­ hauen wird, müßte nt. E. nach dem Willensstrasrecht als Anstifter zum Totschlag bestraft werden. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as ist nach dem Willensstrasrecht an sich richtig, aber nach der Formulierung, die wir hier ins Auge gefaßt haben, nicht.) — Darauf wollte ich abzielen mit dem Vorsatz: Jeder, der an der S traftat mittut, hastet nach dem Maß seiner Schuld. (Senatspräsident Professor D r. Klee: Vom Standpunkt des Willensstrasrechts wäre ich einverstanden; nur mit der bisher in Aussicht

genommenen Formel würde das nicht zu­ sammentreffen.) — Ich bitte um Entschuldigung, wenn die Debatte in ein Zwiegespräch ausgeartet ist, aber es ist ganz gut, wenn wir uns auf diese Weise klar werden. W ir haben den Fall, daß jemand den Befehl zum Totschlag gegeben hat — nicht einen Befehl im strafrechtlich relevanten Sinne, sondern im Sinne einer An­ stiftung — , und es kommt zu einer Körperverletzung. Nach meiner Meinung müßte nach allem, was hier vertreten worden ist, der Betreffende wegen An­ stiftung zum Totschlag zur Verantwortung gezogen werden, und zwar sowohl dann, wenn nur Körper­ verletzung herauskommt, als auch dann, wenn gar nichts herauskommt oder etwas ganz anderes, das mit dem Anstisterwollen gar nichts zu tun hat. (Professor Dr. Graf Gleispach: D as folgt aus der Versuchsbestimmung.) — Woraus es folgt, ist mir gleich. M ir ist das Ziel wichtig. Senatspräsident Professor Dr. Klee: M it dem Ziel bin ich einverstanden. — Die Frage ist, ob hier „vorsätzlich mitwirkt" hineingeschrieben werden soll, oder ob auch die fahrlässige Mitwirkung unter Strafe gestellt werden soll. Der Herr Minister hat ein Bedenken, die Fahrlässigkeit hier zu erwähnen, daraus abgeleitet, daß man doch schwerlich von einer fahrlässigen Anstiftung und einer fahrlässigen Beihilfe sprechen könne. Ich kann das nur unterschreiben, aber ich glaube, daß das Bedenken dadurch beseitigt wird, daß wir ja bei der Mitwirkungsformel gar nicht von Beihilfe und Anstiftung sprechen, sondern nur von einer Mitwirkung zu einem Taterfolg, und Beihilfe und Anstiftung höchstens beispielsweise erwähnen. M an wird nt. E. nicht bestreiten können, daß fahr­ lässige Mitwirkung, fahrlässige Mitverursachung sprachlich durchaus tragbar ist. Materiell halte ich es sogar für erwünscht, daß wir die Fahrlässigkeit hier nicht herauslassen, und stimme da Herrn Graf Gleis­ pach bei. W ir denken hierbei an den Fall des Ehe­ manns, der aus Versehen einen Gisttrank stehen­ gelassen hatte, den nachher die Geliebte benutzt hat, um die Ehefrau zu töten. I n diesem F all hat das Reichsgericht fahrlässige Tötung angenommen, und ich glaube, wir wollen das mindestens de lege ferenda ebenso halten. Der Hinweis darauf, daß dieser Fall ohne weiteres als fahrlässige Täterschaft strafbar ist, verfängt nicht. Denn es handelt sich in dem Falle nicht um eine unmittelbare, sondern um eine durch die vorsätzliche T at eines anderen, der Geliebten, wenn auch unbewußt vermittelte Täterschaft. Ich sehe auch kein Bedenken dagegen, allgemein von fahr­ lässiger Mitwirkung zu sprechen und diese auch all­ gemein zu strafen, natürlich unter der Voraussetzung, daß die Haupttat als fahrlässige strafbar ist. Letzteres ist selbstverständlich. Darüber haben wir uns schon gestern ausgesprochen, daß z. B. bei Diebstahl fahr­ lässige Mitwirkung nicht in Frage kommt. Warum soll man nun nicht auch die fahrlässige Anstiftung zur Tötung, die ich als fahrlässige Mitverursachung eines

tödlichen Erfolges ansehen würde, genau so wie die fahrlässige Tötung bestrafen? Durch unvorsichtige Redereien kann jemand sehr wohl fahrlässig angestiftet werden. Der Fall kann sehr wohl so liegen, daß sich der Betreffende bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte sagen müssen: Der andere, der solche Pläne schon selbst ausgesprochen hat, geht auch hin und schlägt jemanden tot. Ich sehe also keinen hinreichenden Grund, hier das Wort „vorsätzlich" einzuschieben, und meine mit dem Grafen Gleispach, daß wir schlechthin genau wie bei der Täterschaft auch bei der Mitwirkung aus schuldhaste Verursachung schlechthin abstellen sollten, da, wo die T at sowohl als vorsätzliche wie als fahrlässige mit Strafe bedroht ist. Nun zur Beihilfe! Soll sie als milder strafbar herausgehoben werden? Ich will es mal auf sich beruhen lasten, ob die Beihilfe regelmäßig weniger strafbar ist. M an kann sich damit abfinden, daß die Beihilfe als Typus eine mildere Beteiligungssorm ist. Ich habe mir aber gestern unter Wiederholung eines früheren Vorschlages den Vorschlag erlaubt, auch bei anderen Beteiligten die Möglichkeit einer S tra f­ milderung eintreten zu lassen. Dagegen ist heute ein­ gewandt worden, wenn wir auch dem Anstifter die mögliche Strafmilderung im einzelnen Fall zugute kommen lassen würden — ich behaupte, daß es in der T at Fälle gibt, in denen die Schuld des Anstifters geringer ist als die des Täters — , so würde die Grenze der Strafbarkeit dem geltenden Recht gegen­ über nach unten verschoben. D as ist zweifellos richtig. D as wollen wir aber auch in anderen Fällen tun. B is jetzt wird die Verursachung eines Erfolges durch Unterlassung ebenso gewertet wie die durch Tun. W ir wollen künftig, wie wir das in erster Lesung ins Auge gefaßt haben, für die Herbeiführung eines verbreche­ rischen Erfolges durch Unterlassung die Möglichkeit der Milderung der Strafe vorsehen. Ob wir dabei bleiben werden, weiß ich nicht. Ich habe es damals selber mit angeregt. E s scheint mir nämlich richtig zu sein, weil die Energie des Unterlassenden in sehr vielen Fällen geringer ist als die des aktiven Täters. Den Einwand, daß wir unter das geltende Recht hin­ abgehen würden, schlägt daher m. E. nicht durch. Ich bin im übrigen wohl nicht richtig verstanden worden. Ich will nicht gerade dem Anstifter neben dem Ge­ hilfen eine Strafmilderung fakultativ zuteil werden lassen. Nein, ich möchte jedwedem Beteiligten, wenn sein Schuldanteil am Gesamterfolg verhältnismäßig gering ist, eine Strafmilderungsmöglichkeit zukommen lassen, also unter Umständen auch dem Täter im eigentlichen Sinne. Ich gehe davon aus, daß der Anstifter in vielen Fällen die eigentlich treibende Kraft ist, daß es Fälle gibt, in denen der Haupttäter so im geistigen Banne des Anstifters steht, daß seine Schuld viel geringer ist als die des Anstifters, so daß wir ihn mit der absoluten Strafe der vorsätzlichen Tötung, mit der Todesstrafe, nicht belegen können. (Staatssekretär Dr. Freister: W ir werden keine absolute Todesstrafe haben.) — W ir haben doch bei der Tötung, wenigstens vor­ läufig, in Aussicht genommen, daß der Richter in der

Regel bei Tötung auf Todesstrafe dann erkennen wird, wenn die Gesinnung des Täters verwerflich war. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s ist also keine absolute Todesstrafe.) — D as ist mir zweifelhaft. Die Gesinnung des Täters kann verwerflich sein, aber nicht so verwerflich wie die des Anstifters, dann träfe ihn eben die Todes­ strafe. I n der T at erwächst mein Vorschlag nur aus der Möglichkeit der Existenz absoluter S trafan­ drohungen. (Staatssekretär Dr. Freister: Beim Mord haben wir das nicht. Darauf steht Tod oder lebenslanges Zuchthaus.) — Auch lebenslängliches Zuchthaus erscheint mir als zu hohe Strafe, wenn der Haupttäter ganz im geistigen Banne des Anstifters steht, nur dessen Werk­ zeug ist. Ich wollte also vorgeschlagen haben: wenn der Schuldanteil eines der Beteiligten — es kann sogar der Haupttäter sein — verhältnismäßig gering ist, kann die Strafe bei ihm gemildert werden. Aber ich will mich darauf nicht versteifen, wenn in Aussicht genommen wird, die Strafrahmen noch beweglicher zu machen. Dann könnte ich mich auch damit ab­ finden, daß die Strafmilderung aus § 413 nur beim Gehilfen eintritt. Zur Frage der erfolglosen Beihilfe! Wir wollen darauf hinauskommen: Wenn der Täter nicht einmal unter dem Gesichtspunkt der Vorbereitungshandlung bestraft werden kann, so ist auch der Mitwirkende nicht strafbar. Wenn aber der Haupttäter wegen vorberei­ tender Handlung bestraft wird, so wird der Gehilfe doch wohl schon wegen Beihilfe zur vorbereitenden Handlung bestraft. Ich meine aber, wir müssen sicher­ stellen, daß hier nicht etwa eine Strafe wegen erfolg­ loser Beihilfe zu der von dem Haupttäter ins Auge gefaßten T at unter dem Gesichtspunkt der begonnenen Mitwirkung eintritt. Der Herr Staatssekretär ging davon aus — er betonte ja die Notwendigkeit, die akzessorische Q ualität hier ausnahmsweise anzuer­ kennen — , daß, wenn der Haupttäter nicht strafbar ist, unter keinen Umständen die erfolglose Beihilfe be­ straft werden kann. E r meinte wohl andererseits: wenn der Haupttäter strafbar ist, sei es auch nur wegen vor­ bereitender Handlung, dann ist der erfolglose Gehilfe nicht nur wegen Beihilfe zur vorbereitenden Handlung, sondern wegen versuchter Beihilfe zur Haupttat zu bestrafen. D as würde ich nicht für richtig halten. Ich darf an ein Beispiel aus dem geltenden Recht anknüpfen. W ir haben in § 151 die Bestimmung, daß derjenige, der sich Formen und Platten zum Zwecke des Münzverbrechens verschafft, wegen eines dehctum sui generis bestraft wird. Wenn ein anderer ihm dabei behilflich ist, würde er Beihilfe zu § 151 leisten. Wenn sich nun aber der Gehilfe, der die Platten und Formen beschafft, vorstellt, daß der Haupttäter un­ mittelbar im Anschluß daran ein bestimmtes Münz­ verbrechen begehen wird, was aber hiernach nicht ge­ schieht, so würde bei ihm de lege feren d a versuchte Beihilfe zu einem Münzverbrechen in Frage kommen. Ich nehme schon de lege la ta an, daß, wenn der Haupttäter sich Platten verschafft, die zu einem be-

stimmten Münzverbrechen dienen sollen, diese Be­ schaffung Versuch ist. Nun kann aber der Fall so liegen, daß der Haupttäter nur allgemeine Vorbe­ reitungen trifft, um Münzen zu fälschen, während sein Gehilfe denkt, -der Haupttäter werde in unmittelbarem Anschluß daran ein Münzverbrechen begehen. Dann würde der Gehilfe de lege feren d a nach der jetzt vorgeschlagenen Fassung nicht nur bestraft werden wegen Beihilfe zur Vorbereitungshandlung des Haupttäters, sondern er würde bestraft werden müssen wegen versuchter Beihilfe zu einem bestimmten Münz­ verbrechen. D as wird auszuschließen sein. Ich nehme im übrigen an, daß wir in größerem Umsang als bisher die vorbereitenden Handlungen unter Strafe stellen werden. Zum Beispiel beim schweren Diebstahl. Ich denke da an die Gebrüder S aß. E s hat allge­ meines Befremden hervorgerufen, daß man ihnen nichts anhaben konnte, obwohl sie bereits Werkzeuge zu Einbruchszwecken beschafft hatten, was nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts noch kein Versuch war. Ich möchte also anregen, auch bei Einbruchsdieb­ stählen nicht nur den erweiterten Versuch, sondern auch schon die Handlungen, die unmittelbar die Tat vorbereiten, unter Strafe zu stellen. Noch ein kurzes Wort zum „Beginn" der Tat. Hier hat Herr Staatssekretär Dr. Freister hervor­ gehoben, entscheidend sei das Vorstellungsbild des Täters. Dies ist mir durchaus sympathisch. Ich habe immer dafür plädiert und von der durch das Vor­ stellungsbild des Täters bedingten unmittelbaren Gefahr der Vollendung oder Ausführung gesprochen. Ich wollte den Nachweis für das Vorhandensein einer solchen Gefahr dabei aus der Persönlichkeit des T äters entnehmen. Wer sich einen Revolver kauft, um einen Mord zu begehen, kann bei Zugrundelegung der.„Gesamtplan"-Theorie des Reichsgerichts schon wegen Beginns der Tötungshandlung bestraft werden, wenn er unmittelbar darauf über die Straße gehen und seinen Feind töten will. Sache des Richters wird es sein, festzustellen, ob der Wille des Verbrechers schon so gesättigt war, daß von einer Gefahr der Ausführung gesprochen werden muß. Die Recht­ sprechung des Reichsgerichts würde damit legalisiert werden. Wenn wir das aber nicht ausdrücklich in das Gesetz hineinbringen, dann werden, fürchte ich, die unteren Instanzen, gerade weil wir den Versuch gleich der Vollendung bestrafen wollen, zögern und sich letztlich aus den formalen „Ansang der Ausführung", auf die teilweise Verwirklichung des Tatbestandes und dergl. zurückziehen. Dies wollen wir doch vom S tand­ punkt des Willensstrafrechts aus vermeiden. Endlich zur Frage der Strafmilderung beim Ver­ such. Aus den Gründen, die Herr Staatssekretär Dr. Freister angegeben hat, und auch aus sonstigen E r­ wägungen heraus möchte ich empfehlen, eine S tra f­ milderung vorzusehen, wenn der Versuch unvollendet ist. Bei vollendetem Versuch ist eine Strafmilderung m. E. niemals angezeigt, weil eben hier die Willens­ schuld des Täters eine vollständige ist, während beim unbeendigten Versuch die Tatsache, daß es eben beim Versuch geblieben ist, im einzelnen Fall sehr wohl

daraus zurückgeführt werden kann, daß es dem Täter an der nötigen Willensenergie gefehlt hat. Dieses Ergebnis würde sich durchaus mit den Prinzipien des Willensstrafrechts decken. M an müßte also im Gesetz etwa sagen: Die Strafe des unbeendigten Versuchs kann gemildert werden, wenn die Umstände ergeben, daß die Willensstärke des Täters eine geringere gewesen ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Bemerkung des Senatspräsidenten Dr. Klee über die Gefahr der Vollendung, die aus den Hand­ lungen des Versuchstäters ermittelt werden muß, erinnert an die große Debatte, die wir seinerzeit hatten. Ich sprach damals mehrfach von der „objek­ tiven Prognose", die der Richter über eine Handlung auszusprechen habe. Dies ist damals nicht sehr sympathisch aufgenommen worden; man hat sogar die Möglichkeit einer objektiven Prognose überhaupt be­ stritten. Professor Dr. Kohlrausch wollte die Ab­ grenzung des Versuchs gegen die Vorbereitung nach einem objektiven Gesichtspunkt vornehmen, während bei der Abgrenzung von Versuch und Vollendung das subjektive Moment, der subjektive Akzent entscheidend sein sollte. D as Wort „abzielen" hat einen stark sub­ jektiven Akzent. Ministerialdirektor Schäfer: D as ist die Fassung des neuesten französischen Entwurfs von 1934, wo es heißt: Comm encement d ’execution ou des actes te n d a n t d irectem ent ä le com m ettre. Professor Dr. Mezger: Ich möchte noch einmal ein Wort für die Fassung einlegen: „ A l s T ä t e r w i r d b e s t r a f t , . . . " . Diese Fassung soll in sich schließen den Eigentäter, den mittelbaren Täter und Anstifter. Da ich den Gehilfen ausscheide, bin ich der Notwendigkeit ent­ hoben, nachzuweisen, daß die Formel auch auf den Gehilfen paßt. Gegen die Einbeziehung des Anstifters in diese Formel wehrt sich ein sprachliches Unbehagen. Das ist unbestreitbar. Woher rührt dies? Ich glaube, daher: Unsere Sprache hat verschiedene Bezeichnungen, von denen allerdings bei e i n i g e n feststeht, daß sie sich lediglich auf die Eigenbegehung beziehen. Dies gilt z. B. für den Meineid, sowohl nach dem Gesetz wie nach dem volkstümlichen Sprachgebrauch, in dem Sinne, daß Meineidiger nur der ist, der selbst den Schwurfinger erhebt. Dies gilt ebenso für den Duellanten beim Zweikamps. Auch hier umfaßt die Bezeichnung des Täters nur die Eigenbegehung. Ich möchte dasselbe auch annehmen für den Mord und wohl auch für die Körperverletzung, ebenso, obgleich hier auch andere Auffassungen vertreten werden könnten, für den Ehebruch. F ü r diese Fälle besteht, wie ich zugebe, eine Unstimmigkeit. Aber diese wird abge­ mildert durch drei Gesichtspunkte: Einmal wird der enge Begriff der Eigenbegehung auch hier, und zwar schon im geltenden Recht, in der Denkform der mittel­ baren Täterschaft überschritten. Wenn die Praxis

kein Bedenken hat, die Ausdrücke auch auf den mittelbaren Täter anzuwenden, dann ist der Ansang bereits gemacht, und es ist völlig unbedenklich, die Anwendung auch noch bis zur Anstiftung auszuweiten. Die berührten Bedenken mildern sich durch einen weiteren zweiten Gesichtspunkt: Wir stellen uns den Richter der Zukunft anders vor als den der Ver­ gangenheit, nämlich schöpferischer, schöpferischer auch in der sprachlichen Gestaltung. Empfindet der Richter im Einzelfall das Bedürfnis, den Täter konkreter und bestimmter als „Anstifter" zu bezeichnen, so bleibt ihm dies völlig unbenommen. Die Urteilssormel würde dann zu fasten sein: „Als Anstifter zum Mord wird bestraft.. . " . D as wird durch die allgemeine Fassung des Gesetzes nicht ausgeschlossen.

der als Blutschänder bezeichnen, der den Verkehr von Geschwistern herbeiführt, ohne daß diese um ihre Geschwistereigenschaft wissen. Alle diese Fälle zeigen, daß es dem Sprachgefühl nicht widerstrebt, auch den im Hintergrund Stehenden, den die T at nur Veranlassenden, also den sogenannten mittelbaren T äter und den Anstifter unter die Formel: „Als T äter wird bestraft" zu bringen. Es ist nur ein verschwindender Rest, wo dies nicht von vornherein möglich ist. Aber hier läßt sich leicht abhelfen, wie bereits angedeutet worden ist. Es wäre von Interesse, von den Herren der Praxis zu erfahren, ob man nicht auch bisher schon den Sprachgebrauch ohne Bedenken erweitert und wenigstens die mittelbare Täterschaft im Urteilstenor einfach als Täterschaft behandelt hat.

Schließlich und endlich möchte ich insbesondere auf einen dritten Gesichtspunkt Hinweisen, der alle Be­ denken ganz wesentlich mildert: es sind in Wahrheit nur verhältnismäßig w e n i g e Fälle, in denen sprachlich die Täter-Bezeichnung nur die Eigenbe­ gehung meint. I n der Mehrzahl der Fälle umfaßt die Bezeichnung auch weitere Begehungsformen, ins­ besondere die Anstiftung. Ganz sicher scheint mir dies bei dem Tatbestand der Begünstigung des § 257 S tG B , zu sein. Wer andere veranlaßt, einen Ver­ brecher der Strafe zu entziehen, den bezeichnet der durchaus übliche Sprachgebrauch als Begünstiger, auch wenn er sich lediglich in den Formen bewegt, die wir heute als Anstiftung bezeichnen. Ich möchte dies auch auf die Hehlerei des § 259 S tG B , ausdehnen, wenn­ schon dies vielleicht zweifelhafter ist. Auch wer z. B. zur Unterbringung einer großen Diebesbeute tätig wird, kann meinem Sprachgefühl nach, auch wenn er nur Anstifter ist, sehr wohl als Hehler bezeichnet werden, ohne daß man damit der Sprache Gewalt an­ tut. Auch bei allen Treubruchdelikten scheint mir das unbedenklich zu sein. Landesverräter ist auch derjenige, der ein Spionagebüro organisiert und andere P e r­ sonen anstiftet, ihm Staatsgeheimnisse beizubringen. Ähnliches gilt für den F all der Untreue, § 266 StG B . Einen Vormund, der, ohne selbst einzugreifen, andere veranlaßt Geschäfte vorzunehmen, die das verwaltete Mündelvermögen schädigen, würde ich unbedenklich als Treubrecher bezeichnen. Ebenso kann der Anstifter zum Landfriedensbruch ungezwungen ein Landsriedensbrecher genannt werden. Charakteristisch ist, daß die Sprache auch das Umgekehrte kennt. M an be­ zeichnet auch den Feldherrn, der gar nicht selbst in die Schlacht eingreift, als den Sieger. Wer endlich einen anderen anstiftet, einen Brand zu legen, den kann man durchaus mit dem Täter-Namen als Brandstifter bezeichnen. Ich komme also zu dem Ergebnis, daß die Sprache sich in zahlreichen Fällen nicht im geringsten dagegen wehrt, auch den Anstifter genau wie den mittelbaren Täter als Täter zu bezeichnen. Freilich bleibt daneben eine Reihe zweifelhafter Fälle übrig, die sozusagen eine Zwischenzone bilden. S o kann man beim Betrug zweifeln, ob man Betrüger nur den nennen soll, der den Betrug persönlich begeht. Aber selbst da wäre eine Ausdehnung möglich. Beim Inzest läßt sich auch

Professor D r. Dahm: Ich möchte mich an die Reihenfolge halten, die die Vorredner eingehalten haben, nämlich die Fragen der Mitwirkung, der versuchten Beihilfe und der Ab­ grenzung von Versuch und Vorbereitung erörtern. Zunächst die M i t w i r k u n g. W ir brauchen hier einen Dachbegrifs. Geht man vom Sprachgebrauch aus, so kommt man nicht darüber hinweg, daß die Worte „Töten", „Wegnehmen" usw. nur die un­ mittelbare Ausführung bezeichnen. Andererseits be­ steht Klarheit darüber, daß die Fälle der mittelbaren Täterschaft in die Täterschaft einbezogen werden sollen. Nun genügt es aber nicht, daß die Gerichte diese Worte ausdehnend auslegen, sondern man muß das ausdrücklich sagen. Zwischen mittelbarer T äter­ schaft und Anstiftung ist insoweit kein Unterschied. Die Einwände, die man gegen die Einbeziehung der An­ stiftung in die Täterschaft vorzubringen pflegt, treffen auch für die mittelbare Täterschaft zu. Wer einen Geisteskranken veranlaßt, einen anderen zu töten, „tötet" im Sinne des strengen Sprachgebrauchs eben­ sowenig wie derjenige, der einen Gesunden bestimmt, einen anderen zu töten. Ich würde darum Ausführung, Anstiftung und sonstige Formen der Mitwirkung in den allgemeinen Begriff der Täterschaft zusammen­ fassen und mich auch nicht daran stoßen, daß dabei von Mitwirken und Ausführen gesprochen wird. M an hat das Bild des Daches gebraucht. Ich würde mir hier ein Dach mit zwei Schrägflächen vorstellen, deren eine die Ausführung, die andere die Mitwirkung dar­ stellt, also zwei Seiten einer und derselben E r­ scheinung. Kein Zweifel besteht auch darüber, daß wir diesen allgemeinen Begriff der Mitwirkung sowohl auf die vorsätzlich wie die fahrlässig begangenen Straftaten beziehen müssen. Dazu kommt noch eine zweite, wie ich glaube, noch schwerer wiegende E r­ wägung. Wenn wir allein die Anstiftung hervorheben, aber im Vertrauen darauf, daß die Praxis schon zu­ recht kommen werde, nichts über den Täter sagen, dann besteht die Gefahr, daß Anstiftung und T äter­ schaft zu scharf voneinander getrennt, daß z. B. Urteile mit der Begründung aufgehoben werden, das Gericht habe Anstiftung angenommen, während Täterschaft vorliege und umgekehrt. Diese Schwierigkeiten lassen sich überwinden, sobald wir alles unter einem Dachbegriff vereinigen.

Sodann möchte ich einem Vorschlage das Wort reden, gegen den ich zunächst selbst Bedenken hatte. Ich meine den Vorschlag des Herrn Professor Dr. Kohlrausch, der Täterschaft und Anstiftung nach sub­ jektiven Merkmalen unterscheiden will. Eine solche Unterscheidung im Rahmen unseres Dachbegrisss würde dem Willensstrafrecht durchaus entsprechen. Ich komme zur B e i h i l f e : Was zunächst das Verhältnis von Mitwirkung und Beihilfe angeht, so betrachte ich die Beihilfe als einen Sonderfall der Mitwirkung, für den allerdings besondere Regeln gelten. Herr Vizepräsident Grau hat mich mißver­ standen, wenn er meint, daß ich mir die Beihilfe anders denke als er. Ich habe dieselbe Vorstellung wie er: Beihilfe ist eine Unterart der Mitwirkung, die aber besonders hervorgehoben wird. Nun zur Frage der A k z e s s o r i e t ä t : Wir könnten den Grundsatz, daß jeder Mitwirkende nach seiner Schuld bestraft werden soll, aus doppelte Weise ausdrücken. Einmal könnten wir ausdrücklich sagen, daß jeder Beteiligte nach Maßgabe seiner Schuld be­ straft wird. Zweitens könnten wir in der Bestimmung über die Beihilfe, vielleicht als letzten Absatz, eine Vorschrift nach Art des § 358 Abs. 3 in den Vor­ schlägen des Herrn Professor Nagler einfügen. Was den V e r s u c h d e r A n s t i f t u n g u n d B e i h i l f e angeht, so bin ich im Gegensatz zum Herrn Grafen Gleispach der Auffassung, daß w ir das Unternehmen der Anstiftung und Beihilfe unmöglich schlechthin unter Strafe stellen können. M an braucht sich nur die einfachen Beispiele vor Augen zu halten, die hier erörtert worden sind. Beim Versuch der An­ stiftung müssen wir weiter gehen als beim Versuch der Beihilfe. Ich würde es für richtig halten, wenn der Versuch der Anstiftung in den Grenzen des § 364, also ^ bei den schweren' Delikten, bestraft würde. Darüber hinaus würde ich nicht gehen. Den Versuch der Beihilfe sollte man aber nicht in weiterem Um­ fange bestrafen als die Vorbereitung. M an kommt sonst zu unsinnigen und unvolkstümlichen Ergebnissen. D as zeigen die Beispiele, die Herr Ministerial­ direktor Schäfer angeführt hat. D as leitet über zum dritten Punkt, nämlich zur Vorbereitung und zum Unternehmen. Da möchte ich nochmals auf die Anregungen zurückkommen, die ich m it bereits gestern vorzutragen erlaubte. Ich glaube, wir brauchen neben der Bestimmung über das Unter­ nehmen eine Regel für die Vorbereitung im Allge­ meinen Teil, und zwar stelle ich mir diese Bestimmung so vor, daß die Vorbereitung der schwersten Ver­ brechen, etwa bei Mord, Brandstiftung und dergleichen, ausdrücklich unter Strafe gestellt wird. Nur sollte man nicht von Vorbereitung schlechthin sprechen, sondern etwa von e n t f e r n t e r e n Vorbereitungs­ handlungen. Dadurch würde zugleich ein Licht aus den Begriff des Unternehmens geworfen, nämlich klargestellt, daß gewisse Vorbereitungshandlungen mit unter den Begriff des Unternehmens fallen. Wenn wir das tun, dann können wir uns bei der Definition des Unternehmens unbedenklich auf den

Beginn mit dem Willen, die T at auszuführen, be­ schränken. Ich würde diese Bestimmung nicht durch weitere Zusätze verdunkeln und es vor allem nicht für glücklich halten, wenn wir etwa die Gefahr der Vollendung oder etwas ähnliches aufnehmen würden. Professor Dr. SH rsfstein: Herr Reichsminister! Ich bin durchaus der gleichen Ansicht wie Herr Dahm in der Frage der Formulierung der Mitwirkung. Ich möchte mich aber noch etwas ausführlicher äußern zu der Frage der erfolglosen Beihilfe. Ich glaube, daß man bezüglich der erfolglosen Anstiftung es bei § 364 des Entwurfs belassen kann, meine aber, daß man darüber hinaus die erfolglose Beihilfe ebenfalls in dem Umfang des § 364 unter Strafe stellen könnte, allerdings nur unter der Vor­ aussetzung, daß man in denselben Fällen auch die­ jenigen Vorbereitungshandlungen des Täters selbst, die einen ernsthaften Willen zur Tatverwirklichung zum Ausdruck bringen, bestraft. Ich würde also eine zu schaffende allgemeine Bestimmung über die S tra f­ barkeit der Vorbereitungshandlungen auf alle die in § 364 genannten Fälle ausdehnen. E s würden dann Vorbereitungshandlungen bei denjenigen Delikten strafbar sein, die mit dem Tode oder mit Zuchthaus bedroht sind. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn der ernsthafte Wille dazu vorliegt!) — Jaw ohl, es wird notwendig sein, in diesen Fällen den ernsthaften Willen hervorzuheben. D as würde sich auch mit dem Vorschlag des Herrn S en ats­ präsident Klee decken. Herr Senatspräsident Klee hat bereits auf den Fall der Gebrüder S aß hinge­ wiesen. E r würde ebenfalls hierunter fallen. Gerade für Vorbereitungshandlungen zum Einbruchsdiebstahl würde eine solche allgemeine Bestimmung besonders oft bedeutsam werden. Jedenfalls würde ich es nicht für wünschenswert halten, daß man nur bei einzelnen Delikten im Besonderen Teil die Vorbereitungshand­ lungen unter Strafe stellt, sondern ich würde auch eine Bestimmung in den Allgemeinen Teil aufnehmen. Damit würde dann zugleich auch das Problem der versuchten Beihilfe gelöst sein. W ir würden in ver­ hältnismäßig weitem Umfange die versuchte Beihilfe unter Strafe stellen, ohne den Schwierigkeiten zu begegnen, die gestern Herr Ministerialdirektor Schäfer hervorgehoben hat. Ich möchte nun aber noch auf eine weitere Gruppe von Fällen erfolgloser Beihilfe hinweisen, die in der Aussprache über diesen Gegenstand bisher noch nicht hervorgehoben worden ist. E s sind diejenigen Fälle, in denen zwar die Haupttat begangen oder doch versucht wird,in denen aber dieBeihilsehandlung selbst erfolglos bleibt. Ein Beispiel: Jemand will einen Einbruchs­ diebstahl unternehmen und läßt sich von drei ver­ schiedenen Leuten Schlüssel oder Dietriche geben, mit denen er die T ür öffnen möchte. Der erste Schlüssel, den er anwendet und den er von A bekommen hat, erweist sich als nicht passend: erfolglose Beihilfe. Der zweite Schlüssel paßte: erfolgreiche Beihilfe. Der M ann kommt auf diese Weise in das Haus hinein,

der Diebstahl wird begangen. Der dritte Schlüssel kommt jetzt überhaupt nicht mehr zur Verwendung, weil schon der zweite Schlüssel paßte. E s ist nach meiner Ansicht durchaus zweckmäßig, in diesen drei Fällen die Beihilfe gleichmäßig zu be­ strafen, einerlei, ob der Schlüssel, der angewandt wurde, paßte oder nicht. Denn würden wir das nicht tun, so würden wir ja die Strafbarkeit von einem reinen Zufall abhängig machen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Darf ich die Frage zurückgeben: Is t nach geltendem Recht nicht jeder der drei wegen Beihilfe zum Einbruchsdiebstahl strafbar? — Zuruf: Ganz gewiß! — Senatspräsident Professor Dr. Klee: Die Rechtsprechung schwankt sehr! — Zuruf: D arin nicht mehr! — Reichs­ justizminister Dr. Gürtner: Die objektive Tauglichkeit wird gar nicht mehr gefordert. — Senatspräsident Professor Dr. Klee: Eine psychische Beihilfe liegt doch schon vor durch das Verabfolgen der Schlüssel!) — Ich glaube, daß die Konstruktion der psychischen Beihilfe, die man hier vielleicht verwenden könnte, doch ein recht zweifelhafter Ausweg ist. Nehmen wir nur an, er hätte sich dreißig Schlüssel von verschie­ denen Leuten verschafft. D ann würde keine psychische Hilfe anzunehmen sein, da es völlig gleichgültig für ihn gewesen sein wird, ob er einen mehr oder weniger gehabt hätte. (Staatssekretär Dr. Freister: Der Fall ist ebenso zu behandeln wie der des Täters, der den Schlüssel bekommt, sich dann aber die Sache überlegt und nichts tut!) — D as ist der Fall, den ich vorhin erwähnt habe. Ich würde dabei die Gehilfen immer dann bestrafen, wenn die Vorbereitungshandlung des Täters selbst bestraft würde. Ich meine also, daß man diese Fälle gleich behan­ deln müßte und würde deswegen vorschlagen, die Formulierung etwa so vorzunehmen, daß die H ilfe­ leistung ohne Rücksicht daraus, ob sie selbst für sich allein erfolgreich oder erfolglos ist, jedenfalls immer dann bestraft wird, wenn es zum Beginn der Haupt­ tat kommt, die Beihilfe, auch die erfolglose Beihilfe, dann bestraft wird, wenn die Vorbereitungshandlung des Täters selbst strafbar ist. Dann noch ein paar Worte zu dem letzten Punkt, zu der Frage der Begriffsbestimmung des Unterneh­ mens oder des Versuchs. Ich glaube auch, daß man sich mit der Oberhoser Formel „Beginn der T at" be­ gnügen könnte, und daß es nicht nötig ist, diesen Begriff des Beginnes weiter zu definieren. M ir scheint es auch richtig zu sein, dieses Wort „Beginn" bei dem einzelnen Delikt je nach den konkreten Umständen, nach der Schwere der T at und nach der Beurteilung des Täters vielleicht verschieden auszulegen. D as könnte man der P raxis im Einzel­ sall überlassen. M an kann — um es einmal kraß aus­ zudrücken — nicht überall sagen, daß bei jedem Einzeldelikt eine fünszigprozentige Wahrscheinlichkeit

des Erfolgseintritts bereits vorhanden sein müßte, sondern man würde sagen: bei schweren Delikten be­ deutet „Beginn" schon eine 25- oder lOprozentige Gefahr, und bei weniger schweren Delikten wird man vielleicht unter „Beginn" nach der Lebensauffassung eine Gefahr von, sagen wir einmal, 60 oder 70 % verstehen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie würden das wahrscheinlich auch nach der Person des Täters beurteilen!) — J a , gerade nach dem Willensstrasrecht muß man die Person des Täters in Rücksicht ziehen. W ir wollen aber zum Ausdruck bringen, daß wir unter „Beginn" doch etwas mehr verstehen als die bisherige Ausführungshandlung. D as könnte man außer in der Begründung insofern im Gesetz selbst bringen, daß man, wie Herr Professor Dahm vor­ geschlagen hat, die Bestimmung über die Vorberei­ tungshandlungen so formuliert: Auch die entfernteren Vorbereitungshandlungen werden bei den Straftaten, die mit dem Tode oder mit Zuchthaus bedroht sind, bestraft, wenn in ihnen ein ernstlicher Wille zur Voll­ endung zum Ausdruck kommt. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Aber nun — um an die Folgen anzuknüpfen — wonach betrachtet? Nach dem Strafrahmen der T at?) — Nein. Ich würde sagen: nach einem milderen Strafrahm en, den man besonders festsetzen müßte. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie würden also den Strafrahmen für diese Vorbereitungsdelikte nicht aus der Haupttat hernehmen?) — Nein. M an könnte vielleicht, ähnlich wie das bis­ her bei § 49a S tG B , der Fall ist, einen besonderen Strafrahm en für diesen Fall schaffen, diesen S tra f­ rahmen aber ruhig in den Allgemeinen Teil auf­ nehmen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Unterschied zwischen Herrn Professor Dahm und Herrn Professor Schassstein ist der: Sie würden die Strafbarkeit der Vorbereitungshandlung im engeren S in n für Verbrechen ganz allgemein bevor­ zugen, also in dem Sinne des § 364, während Herr Professor Dahm gemeint hat, wir sollten eine Aus­ wahl unter den Verbrechen treffen. Was hier prak­ tischer und zweckmäßiger ist, kann man aus den ersten Blick nicht entscheiden. Der Gedanke ist der gleiche. Wenn nun eine erfolglose Beihilfe geleistet wird, zum Münzverbrechen zum Beispiel, soll dann der erfolglose Gehilfe wegen versuchter Beihilfe zum Münzver­ brechen bestraft werden oder, was selbstverständlich ist, wegen Beihilfe zu dieser Beschaffungstat? (Professor Dr. Schasfstein: Ich würde ihn genau so bestrafen wie den Täter der Vor bereitungshandlung, damit hier nicht wieder diese Diskrepanz entsteht, die ich gestern schon hervorgehoben habe.)

— S ie würden ihn also wie den Täter der Vor­ bereitungshandlung bestrafen und nach einem S traf­ rahmen, der besonders festgesetzt ist, der sich aber von dem der Haupttat nach unten unterscheiden muß. Ministerialdirektor Schäfer: Ich habe den Eindruck, daß wir jetzt wieder in Gefahr sind, uns ins Uferlose zu verlieren, wenn wir zu überlegen beginnen, ob wir allgemein die Vor­ bereitungshandlung bei Verbrechen mit S trafe be­ drohen wollen. W ir haben uns in der Abteilung schon seit Jahren wiederholt mit diesem Problem be­ schäftigt, weil wir nach Wegen gesucht haben, einen gefährlichen M ann schon im Vorbereitungsstadium zu treffen. Uns haben seinerzeit die Fälle beschäftigt, in denen ein Einbrecher nicht am Tatort, sondern 50 oder 100 Meter davor abgefaßt wurde, sei es mit einer Leiter, sei es mit Diebeswerkzeug oder der­ gleichen, in denen es also ohne weiteres ersichtlich war, was er vorhatte, wo man wirklich sagen konnte, der M ann war gefährlich, und wo man den Eindruck hatte, daß der M ann strafwürdig ist. Aber sowie wir dann anfingen, das in Worte zu fassen, sind wir immer wieder an der Frage gescheitert, wo wir die Grenze ziehen sollen. Daß man die unmittelbaren Vorbereitungshandlungen noch mit Strafe bedrohen kann, darüber läßt sich wohl reden. D as ist das, was wir jetzt in den Versuchsbegriff hineinbringen wollen. Sowie wir nun aber einen Schritt weiter gehen und nicht mehr die unmittelbare Vorbereitungshandlung verlangen, ist die Grenze ins Unermeßliche gezogen; denn dann werden S ie auch die entfernteren, und zwar alle entfernteren Vorbereitungshandlungen mit erfassen müssen. Ich brauche jetzt nur das Beispiel von diesem Dieb auszudehnen. Der bereitet schon genau so vor, wenn er sich einen Dietrich anschafft, wenn er noch gar nicht einen bestimmten Diebstahl, sondern nur irgendeinen Diebstahl vorhat. Dieser Dieb bereitet sich auf seinen Diebstahl auch schon vor, wenn er zu einem Monteur in die Lehre geht, um zu lernen, wie man Geldschränke aufbricht. E r bereitet seinen künftigen Diebstahl auch vor, wenn er als Kriminalstudent in die Sitzung hineingeht und hört, wie man so etwas geschickt macht. Uns ist es niemals gelungen, hier eine Grenze zu ziehen. Ich möchte auch davor warnen zu glauben, es sei eine Grenze, wenn wir jetzt sagen: Verbrechen im engeren Sinne. Der Kreis der Verbrechen ist nach unserem Strafgesetzbuch so unendlich groß, daß das keine Einschränkung ist. Ich erinnere an das, was wir schon auf dem Gebiet des Hoch- und Landesverrats haben, wo wir die Vorbereitungshandlung im weite­ sten Sinne erfaßt haben. Ich bitte S ie nur, einmal zu lesen, was die Rechtsprechung in dem Augenblick, in dem die Vorbereitungshandlung schlechthin für straf­ bar erklärt wurde, alles unter die strafbaren Vorbe­ reitungshandlungen bezogen hat und hat beziehen müssen. Von diesem Standpunkt aus bitte ich S ie nun, noch einmal unsere Erörterungen über den Versuch anzusehen. D a haben wir gesagt, daß wir verlangen

müssen, daß dieser verbrecherische Wille sich genügend kundgegeben, so oder so objektiviert hat, und keiner von uns hat bisher gewagt, über die unmittelbaren Vorbereitungshandlungen hinauszugehen. I m Augen­ blick aber sind wir auf diesem Umweg und laufen plötzlich Gefahr, den Versuch für den gesamten Ver­ brechensbegriff im engeren Sinne ins Unendliche aus­ zudehnen. Ich glaube, da gibt es keine Lösung, oder wir kommen aus eine schiefe Ebene. Ich sehe also mit anderen Worten — wenn ich nun an den praktischen Vorschlag von Professor Schaffstein anknüpfe und auf die Frage zurückkomme, wie weit man die versuchte Beihilfe bestrafen soll — die Lösung nur darin, daß man die Vorbereitungs­ handlung bei ganz bestimmten Delikten im Beson­ deren Teil mit Strafe bedroht. D as war wohl auch der Vorschlag von Herrn Professor Dahm, der die Vorbereitungshandlung nur bei besonderen Delikten mit Strafe bedroht. Dann fällt die versuchte Beihilfe ganz von selbst unter diese Vorbereitungshandlungen. Reichsgerichtsrat Niethammer: Herr Minister! Ich habe zunächst einen Wunsch, der die äußere Ordnung betrifft. Ich hätte diesen Wunsch nicht ausgesprochen, wenn ich den Eindruck gehabt hätte, daß ich hierin allein stehe. Aber ich habe aus den Ausführungen des Herrn Grasen Gleispach entnommen, daß er ebenso empfindet wie ich. Auch ich möchte dringend davor warnen, daß man die Vor­ schrift über den Versuch mit der Vorschrift über die Teilnahme vermengt, weil man durch diese Ver­ mengung in der Anwendung des Rechts außerordent­ liche Schwierigkeiten hervorruft. Den Wunsch, den Herr Graf Gleispach ausge­ sprochen hat, möchte ich aber noch nach einer anderen Richtung ausdehnen. M an kann gewiß gegen unser altes Strafgesetz sagen, daß es Vorstellungen ent­ sprungen ist, die nun überwunden sind. M an kann in diesem Sinne seinen Gehalt anfechten, und es ist nötig, den Gehalt zu ändern. Allein, wir müssen doch an unserem alten Strafgesetz auch große Vorzüge anerkennen, insbesondere die saubere Ordnung, die dieses Gesetz an sich geschaffen hat. Zu dieser Ordnung gehört eines: M an geht in den allgemeinen Bestimmungen vom einfachen Fall, von der Regel aus, und so führt man den Richter vom Einfachen ins Vielfältige hinein. Ein weiteres Gebot dieser Ordnung ist, daß man zunächst sich mit dem Täter abgibt, der allein handelt — das ist nicht in einer besonderen Vorschrift nötig — , dann mit der unvollkommenen T at, mit der T at des Einzelnen, die stecken bleibt — das ist der Versuch — , und daß man dann erst von diesen einfachen Fällen des einen Handelnden übergeht zu dem Vielfältigen, bei dem mehrere zusammenwirken. S o ist es meines Erachtens immer noch richtig, den Versuch voranzustellen und dann erst die T äter­ schaft oder Teilnahme einer Regelung zu unterwerfen. Ich würde es begrüßen, wenn sich das auch äußerlich scharf ausprägte, so daß sich die Unterlassung, die wir zunächst auch beim einzelnen Handelnden oder viel-

mehr Nichthandelnden zu beachten haben, dazwischen schiebt. Ich möchte mich deshalb an die nach meiner Ansicht richtige Ordnung halten und hier zunächst einmal den Versuch betrachten. Nun habe ich bei der Frage, welche Aussage über den Versuch zu machen sei, dasselbe sprachliche Empfinden gehabt, das der Herr Minister uns heute zu Beginn der Sitzung vorgetragen hat. Auch mir war es unerträglich zu sagen: Die S traftat begeht auch, wer sie beginnt. D as ist auch nach meiner Überzeugung eine Vergewaltigung, das steht nicht im Einklang mit dem Leben; deswegen habe ich mir erlaubt, für den § 358, der vom Versuch handelt, eine andere Fassung vorzuschlagen, nämlich die Fassung: „D as Gesetz, das für den Täter gilt, ist auch anzuwenden, wenn er die T at mit dem Willen, sie zu vollenden, beginnt." D as scheint mir das Richtige zu sein; daran kann sich niemand stoßen. D as andere ist die Frage nach dem Beginn. Auch hier befinde ich mich durchaus in Übereinstimmung mit dem Herrn Minister. Wenn man nicht mehr sagt als „beginnt", dann geht die Sache gut, dann wird die Rechtsprechung damit fertig. Sobald man es aber unternimmt, das Beginnen irgendwie begrifflich aus­ einanderzulegen, bereitet man Schwierigkeiten, die schlechte Folgen haben müssen. Nicht nur die Rechts­ wissenschaft, auch die Rechtsprechung hat sich immer wieder um die Frage bemüht, ob es denn möglich sei, allgemein-gültig das zum Ausdruck zu bringen, was die Vorbereitung vom Versuch unterscheidet. Aber keine der Formeln, die das Reichsgericht dafür ge­ funden hat, hat irgendjemanden befriedigt, auch das Reichsgericht selbst nicht. Es fällt mir 'gerade eine dieser Formeln ein: Der Versuch erfordert eine Hand­ lung, die schon in der unabgeschlossenen Entwicklung die Richtung auf den Erfolg zeigt. D as ist erstens nicht so ausgedrückt, daß es dem Volksempfinden ent­ spricht, und zweitens trifft es auch nicht immer zu. Tatsächlich haben wir doch die Erfahrung: W ir dürfen hier die Sache nicht so allgemein betrachten. Wir müssen unterscheiden nicht nur nach den einzelnen Verbrechen, wie sie im Gesetz beschrieben werden, sondern auch nach den einzelnen Lebensvorgängen, die sich als Verbrechen darstellen. W ir dürfen dabei auch die Person dessen, der handelt, nicht völlig unbe­ rührt lassen. Außere Merkmale werden immer aus­ schlaggebend oder jedenfalls mitbestimmend sein müssen. Ich wäre dankbar dafür, wenn man es bei dem Wort „Beginnen" bewenden ließe, und wenn man in der Begründung in dem Sinne, in dem sich Herr Staatssekretär Dr. Freister ausgesprochen hat, zum Ausdruck bringen wollte, daß dem nichts entgegen­ steht, auch die unmittelbare und sehr nahe Vorberei­ tung mitheranzuziehen; denn das hat das Reichs­ gericht auch jetzt schon getan. Ich will mich damit bezüglich des Versuchs be­ gnügen und nun zu der Frage von Täterschaft und Teilnahme wenden. Wenn sich aus dem, was hier gestern und heute vorgetragen ist, für mich irgendein Grund ergeben hätte, meine Ansicht zu ändern, so

würde ich das sagen. Aber es ist nicht so. I m Gegen­ teil, das, was ich hier erfahren und was ich inzwischen gelesen habe, bestärkt mich darin, noch einmal und dringend die Bitte auszusprechen, es möchte von allem Abstand genommen werden, was irgendwie den An­ schein Hervorrufen könnte, als sollte hier der Begriff der Täterschaft bestimmt werden. Denn das eine ist doch sicher: wenn das Strafgesetzbuch vom Jahre 1871 aus der damaligen Anschauung heraus den Begriff der Täterschaft beschrieben hätte, so wäre es dem Reichs­ gericht unmöglich geworden, die mittelbare Täterschaft auszubilden. M an kann nicht sagen: nun ist aber der Begriff der mittelbaren Täterschaft von der Recht­ sprechung mit der Hilfe der Rechtswissenschaft fest­ gelegt; jetzt nehmen wir ihn. D as sind Dinge, die wirklich immer im Fluß sind. Es hat lange gedauert, bis im Begriff der mittelbaren Täterschaft alles das untergebracht war, was jetzt darin steht. Aber wir können auch jetzt nicht sagen: heute ist alles erfüllt, das Gesetz ist vollendet. D as ist eben nicht der Fall, weil das Leben weiter fließt; es wird immer viel­ fältiger und verwickelter. Wie in den Bestimmungen des Besonderen Teils — z. B. beim Diebstahl — , so müssen wir das auch bei den Vorschriften des Allge­ meinen Teils beachten; da muß der Rechtsprechung freier Raum gegeben werden. Nun habe ich inzwischen noch folgendes erfahren. Ich habe den Aufsah des Herrn Ellger über den aus­ gedehnten Täterbegriff im norwegischen Gesetz gelesen. Wer das liest, wird doch dringend davor gewarnt, der Rechtsprechung eine Schranke aufzuerlegen, die sie hindern kann und hindern muß, im Täterbegriff unter Umständen noch weiter zu gehen, als es bis jetzt ge­ schehen ist. Schließlich stimmt eben mit dem weiten Täterbegriff die Teilnahme nicht völlig überein, sie fügen sich nicht zusammen, die Gleichung geht nicht auf, und die Last, die dann bereitet wird, hat die Rechtsprechung zu tragen. Ich möchte bitten, ihr das nicht zuzumuten. Überdies habe ich die einzelnen Vorschläge, die darauf abzielen, den Begriff der Täterschaft zu be­ stimmen, eingehend und mit dem ernstlichen Bemühen durchgearbeitet, festzustellen, ob ich sie als zutreffend, richtig und unschädlich anzuerkennen vermöchte. D as ist aber nicht der Fall. I n allen diesen Begriffs­ bestimmungen lauern viele Gefahren für die Recht­ sprechung; deswegen scheint es mir unbedingt richtig zu sein, zu dem zurückzukehren, was der Herr Minister heute vorgeschlagen hat, also zu sagen: „Die Strafe des Täters trifft auch . . . ." und keine Be­ griffsbestimmung hereinzunehmen. Demgegenüber ist nun noch bemerkt worden, es sei doch sonderbar, wenn man niemals davon rede, daß den Täter selbst diese Strafe treffe. Nun, die Rede davon ist im Besonderen Teil, und wenn man ihm im Allgemeinen Teil noch einmal die Ehre einer Erwähnung tun wollte, könnte man sagen: „Die S trafe des Täters trifft außer diesem auch . . . . " . Dann hätte man ihn hier. Ich halte das für durchaus unnötig. Aber wenn hier ein Mangel empfunden wird, könnte dem abgeholfen werden.

Nun ergeben sich für mich noch zwei einzelne Fragen, die sich mit der mittelbaren Täterschaft be­ fassen. Der Herr Staatssekretär hat gesagt: Indem wir die mittelbare Täterschaft anerkennen, entfernen wir uns von der Volksanschauung; die Volks­ anschauung sieht den mittelbaren T äter nicht als T äter an. (Widerspruch des Staatssekretärs Dr. Freister.) — Dann habe ich das falsch verstanden. Ich würde das nämlich nicht zugeben. Staatssekretär Dr. Freister: Ich habe nur erklärt, wenn man sich darauf beruft, nach dem Sprachgebrauch sei die Anstiftung keine Täterschaft, dann müßte man dasselbe auch von der mittelbaren Täterschaft sagen. Reichsgerichtsrat Niethammer: Eben diesen Unterschied wollte ich darlegen, und zwar aus der Volksanschauung heraus. Bei der mittel­ baren Täterschaft ist es folgendermaßen. Wenn der Täter, der eine andere Person mit Gift umbringen will — ich erwähne jetzt nur den Mord, weil Herr Professor Mezger vorhin vom Mord in mittelbarer Täterschaft gesprochen hat — , nicht selbst das Gift mischt, sondern wenn er das durch einen in Irrtu m versetzten anderen tun läßt, wenn er durch den anderen dann das Gift dem Opfer beibringen läßt, so sieht die Volksanschauung den so Handelnden immer als den Täter an, und niemand wird sich je daran stoßen, wenn dieser in der Urteils­ formel wegen Mordes verurteilt wird, der im Irrtu m Beitragende dagegen gänzlich frei bleibt. Aber ganz wesentlich unterscheidet sich doch die mittelbare Täter­ schaft von der Anstiftung dadurch, daß bei der An­ stiftung zwei mit verbrecherischem Willen Handelnde vorhanden sind. Deswegen habe ich auch immer her­ vorgehoben, daß der Anstifter nach meinem Empfinden der bösartiger, gefährlicher und verwerflicher Han­ delnde ist, weil er nicht nur den verbrecherischen Willen in sich hervorgerufen und nach außen hin ent­ faltet, sondern zugleich diesen verbrecherischen Willen in einem anderen erzeugt hat. D as eine ist sicher völlig ausgeschlossen, was von irgendeinem der Herren gewissermaßen als eine Be­ fürchtung vorgetragen worden ist — ich glaube, es ist Herr Professor Dahm gewesen — , daß nämlich, wenn man die Anstiftung beibehält, Entscheidungen vor­ kommen könnten, bei denen das Reichsgericht sagen würde: Nun ist dieser M ann wegen Anstiftung ver­ urteilt worden, allein er ist Täter; also wird das Urteil aufgehoben, oder umgekehrt: er ist als Täter verurteilt, allein er ist Anstifter. S o etwas gibt es nicht; so etwas Törichtes macht das Reichsgericht nicht, sondern das Reichsgericht wird in diesem Falle die einfache Lösung wählen, daß es die Urteilsformel ändert: Der Angeklagte ist nicht wegen Mordes, sondern wegen Anstiftung zum Morde, oder er ist nicht wegen Anstiftung, sondern wegen Mordes zum Tode verurteilt. D as ist alles, was daraufhin ge­

schieht, weil es in seiner Wirkung für den Täter bei der Gleichsetzung in der Strafe aus dasselbe hinaus­ kommt. D as führt mich nun zum letzten, was ich gegen gewisse Ausführungen des Herrn Professor Dahm bemerken muß. Nach diesen Ausführungen könnte man eigentlich meinen, als ob ich den Vorwurf ober­ flächlichen Verfahrens in Beziehung aus die Begriffs­ bildung erhoben hätte. Das kommt aber gar nicht in Betracht, sondern die Sache ist folgendermaßen. Wenn man in einer Vorschrift als durchaus unter­ einander gleich, mit gleicher Strafe bedroht so viel unter dem Sammelbegriff „Mitwirkung" vereinigt und damit dem Richter die Möglichkeit gibt zu sagen: „Was eigentlich geschehen ist, wissen wir nicht, haben wir nicht ergründet; das zu ergründen ist auch gar nicht nötig; irgendwie hat der Angeklagte teil an der T at; also wird er wegen Mitwirkung bestraft", dann ruft man den Zustand hervor, daß der Richter in der Erforschung der T at oberflächlich wird. D as ist die große Sorge, die ich habe, daß man nicht an die Wahrheit, an den Sachverhalt herankommt, wenn man den Richter nicht zwingt, ins einzelne hineinzu­ gehen. Deswegen habe ich mich mit Lebhaftigkeit gegen den Sammelbegriff ausgesprochen. D as ist bei uns so: Wenn ich etwa nur die Rechtsprechung des Landgerichts Leipzig zu betrachten hätte, wo ich ansässig bin, so wäre ich nicht so mit Sorge erfüllt; denn wir haben Gerichte, die so gründlich und ge­ wissenhaft arbeiten, daß es auf das alles gar nicht ankommt. Aber wir haben doch nicht nur solche Gerichte. Ich will nicht einzelne anführen, aber ich könnte Ihnen im Westen und Osten und anderswo Gerichte nennen, die nun mal zur Oberflächlichkeit neigen und jede Gelegenheit benutzen, in denen sie der Neigung zur Oberflächlichkeit nachgeben können; dem möchte ich steuern. D as hat mit Rechtsbegriffen gar nichts zu tun, sondern diese Oberflächlichkeit ist das größte Übel, an dem die Rechtsprechung überhaupt leiden kann. Denn ob jemand wegen Diebstahls oder Unterschlagung bestraft wird, ob das Recht nun so oder so ist, wenn darin gefehlt wird, ist der Schaden klein, und er berührt auch die Volksgemeinschaft nicht. Daß aber jemand, der die T at nicht begangen hat, wegen der T at bestraft wird, oder jemand, der die T at begangen hat, nicht bestraft wird, das ist der häufigste und schwerste Fehler; ihn will ich nicht aufkommen lassen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Die Anstiftung und die mittelbare Täterschaft stehen sich doch sehr nahe, die Grenze ist außerordent­ lich flüssig. Herr Reichsgerichtsrat Niethammer hat eben als Kennzeichen der Anstiftung hervorgehoben, daß dabei zwei mit verbrecherischem Willen handeln, während bei mittelbarer Täterschaft nur einer damit handelt. Ich darf demgegenüber auf die mittelbare Täterschaft mittels dolosen Werkzeugs hinweisen. Da ist es so, daß zwei mit verbrecherischem Willen handeln, und doch liegt keine Anstiftung, sondern mittelbare Täterschaft vor. D er A stiftet den B an,

für den A eine Sache zu stehlen. D a nimmt ja das Reichsgericht an, daß das nicht Anstiftung zum Dieb­ stahl ist, sondern daß der Diebstahl hier vom Auftrag­ geber begangen wird, weil nämlich der andere gar nicht den zum Tatbestand erforderlichen dolus, die Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen, hat. D as dolose Werkzeug wird wegen Beihilfe zu dem Diebstahl des Auftraggebers bestraft. So ist die Kon­ struktion. Gerade dieser Fall zeigt, daß die Grenze zwischen mittelbarer Täterschaft und Anstiftung sehr flüssig ist und daß es sehr wohl angezeigt ist,' diese beiden Begriffe unter den Oberbegriff der Mitwirkung zu bringen. I m übrigen möchte ich die Bedenken des Herrn Ministerialdirektor Schäfer gegen die Bestra­ fung der vorbereitenden Handlung, auch der ent­ fernteren vorbereitenden Handlung, nicht teilen. Er hat darauf hingewiesen, daß die Rechtsprechung schon jetzt sehr viel unter die Vorbereitung gebracht hat, was vielleicht gar nicht so strafwürdig sei. W as den Hochverrat anlangt, so ist kein Zweifel, daß bei der Gefährlichkeit dieses Delikts auch entfernte vor­ bereitende Handlungen bestraft werden müssen. D as­ selbe würde bei Vorbereitung des Landesverrats zu gelten haben. Heute wird nur die Aufforderung zu Landesverratstaten bestraft. Nun hat Herr Ministerial­ direktor Schäfer auch noch aus den Fall hingewiesen, daß jemand zu Gerichtsverhandlungen geht und zuhört, wie man strafbare Handlungen begeht, und gemeint, man könne unmöglich einen solchen M ann wegen Vorbereitung einer strafbaren Handlung be­ strafen. D as kann man auch nicht; denn der M ann geht dahin, um sich im allgemeinen auszubilden, wie man am besten strafbare Handlungen begeht, er geht aber nicht hin, um eine bestimmte T at vorzubereiten.

Früher sind die Leute ins Kino gegangen, um zu sehen, wie man einen Geldschrank aufknackt. Solche Filme sind heute verboten. Wenn nun jemand nach­ weisbar zu dem Zwecke das Kino besucht und den Film ansieht, um einen ganz bestimmten Einbruchs­ diebstahl vorzubereiten, so wäre das wohl kaum straf­ bar, weil es sich hier nicht um eine unmittelbare Vor­ bereitung handelt. Was im übrigen die allgemeine Ausbildung zum Verbrecher betrifft, so ist doch sehr die Frage, ob wir nicht gut daran täten, im Beson­ deren Teil z. B. solche Leute, die Schulen des Ver­ brechens halten, unter Strafe zu stellen. Im italie­ nischen Strafgesetzbuch wird unter Strafe gestellt, wer Leute zum Taschendiebstahl anleitet. Auch für uns scheint mir hier ein Strafbedürfnis zu bestehen. Profeffor Dr. Dahm: Ich möchte mich nur zu der Frage äußern, ob man sagen soll, daß jemand „als Täter" bestraft wird oder, wie Herr Reichsgerichtsrat Niethammer vor­ schlug, dem Täter gleichgestellt wird. Wir müssen davon ausgehen, daß unser Strafrecht ein Willens­ strafrecht sein soll. Wenn das aber der F all ist, dann ist der Grundtypus des Verbrechens das Unternehmen, und dann darf man auch nicht sagen: Wer die T at nicht vollendet, aber damit beginnt, wird dem Täter gleichgestellt. Nein, wer beginnt, der i st dann der Täter. Staatssekretär Dr. Freister: Hiermit ist die Rednerliste erschöpft. Am heutigen Nachmittag werden die Unterkommissionen arbeiten. Die nächste Sitzung setze ich auf Sonnabend, den 4. M ai, vormittags 9 Uhr an.

(Schluß der Sitzung 13 Uhr 35 Minuten.)

Strafrechtskommission

66. Sitzung 4. Mat 1935 Zweite Lesung Inhalt Die Straftat; Täterschaftssormen (Fortsetzung der Aussprache) Beihilfe, Anstiftung, Versuch Reichsjustizmintster Dr. G ürtn er................................................. 1 Staatssekretär Dr. F reister............................................................ 1

Unterlassung Reichsjustizminister Dr. Gürtner 2, 4, 5, 6, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 16, 18, 19, 21 Berichterstatter Professor Dr. N agler.................................. 2, 20 Professor Dr. M ezger........................................................ 4, 6, 12 Professor Dr. Schaffstein........................................................4, 11 Retchsgerichtsrat Niethammer.........................................6, 9, 20 Staatssekretär Dr. Freister................. 7, 9, 10, 12, 13, 14, 18 Professor Dr. D a h m ...................................................... 8, 14, 19 Ministerialdirektor Schäfer........................................... 10, 13, 17 Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz............................ 10, 18 Professor Dr. Kohlrausch.............................................................. 16 Senatspräsident Professor Dr. K le e .........................................18

Tätige Reue Reichsjustizminister Dr. Gürtner................................ 21, 22, 23 Berichterstatter Professor Dr. N agler........................21, 22, 23 Professor Dr. M ezger.....................................................................22 Professor Dr. Graf Gleispach..................................................... 22 Professor Dr. Schaffstein.............................................................. 23 Ministerialdirektor Schäfer............................................................23 Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz.......................................23 Ministerialdirigent Dr. Schäfer................................................... 23 Senatspräsident Professor Dr. K lee...........................................23

Strafbegründende Eigenschaften und Verhältnisse; Bestrafung nach dem Matz der Schuld (§ 363) Reichsjustizmtnister Dr. Gürtner 23, 24, 25, 26, 27, 29, 30, 31 Vizepräsident G rau.........................................................................23 Professor Dr. Graf Gleispach...............................................24, 29 Senatspräsident Professor Dr. K lee.......................... 24, 25, 28 Professor Dr. Schaffstein........................................................24, 25 Landgerichtsdirektor Leim er......................................................... 24 Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz...................................... 25 Professor Dr. D a h m .......................................................................25 Reichsgerichtsrat Niethammer..................................................... 25 Professor Dr. M ez g e r ........................................... 25, 26, 28, 31 Ministerialdirektor Schäfer................................................... 26, 30 Professor Dr. Kohlrausch.............................. 26, 27, 28, 29, 31 Ministerialdirigent Dr. Schäfer.............................................27, 30 Professor Dr. N agler...................................................................... 28 Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi...................................... 30

(Aussprache abgebrochen) Beginn der Sitzung 9 Uhr 5 Minuten.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie werden aus Ihren Plätzen einen Text finden, der die Frucht der Arbeit der gestrigen Kommission darstellt. Ich höre, daß gegen § 4 in dieser Fassung E in­ spruch erhoben wird, und zwar soll der Abs. 2 so lauten: Als Beginn der S traftat ist jede Handlung des Täters anzusehen, die sich — wenn auch n u r nach der Vorstellung des Täters über den Sach­ verhalt — unmittelbar auf d i e A u s f ü h ­ r u n g s e i n e r T a t richtet. Dann wird weiter vorgeschlagen, den Satz „Die Strafe kann gemildert werden" nicht hier anzuschließen, sondern entweder als neuen Absatz oder an anderer Stelle, wo von Strafmilde­ rungsgründen überhaupt die Rede ist, aufzuführen. Nun wollte ich jetzt nicht die Debatte über die §§ 1 bis 4 fortsetzen, sondern die Herren bitten, diesen Text mitzunehmen und zu prüfen, ob Rechtsprechung und P raxis damit zurechtkommen werden, ob die Grundprinzipien unseres Strafrechts darin gewahrt sind und ob auch aus die kriminalpolitischen Gesichts­ punkte genügend Rücksicht genommen ist. Ich habe den Eindruck, daß die Regelung des „Versuchs" gelungen ist. Auch die anderen Vor­ schriften sind verständlich und werden dem gerecht, was wir wollen. Ich habe nur zur versuchten Beihilfe noch einige Zweifel: Kann der Täter einen anderen anstiften, ihm Beihilfe zu leisten, und strafbar werden, wenn es zu einer Haupttat überhaupt nicht kommt? Das ist mir vorläufig noch nicht klar. Heute ist es doch so, daß die Anstiftung zur Beihilfe zur eigenen T at, wenn diese begangen wird, konsumiert wird. Weiterhin ist die Beihilfe zu einer Tat, die nicht begangen ist, über­ haupt nicht strafbar und infolgedessen eine Anstiftung zu einer solchen Beihilfe oder eine Beihilfe zu einer solchen Beihilfe nicht möglich. Nun verselbständigen wir aber die Beihilfe, indem wir sie ihrer akzesso­ rischen Natur völlig entkleiden und sagen: Die B ei­ hilfe zu einem Verbrechen, das nicht zustande kommt, ist gleichwohl strafbar. D araus ergibt sich, daß der T äter — der Pseudotäter — , der gar keine T a t be­ geht, auch den Gehilfen anstiften kann, ihm zu helfen, und strafbar wird, auch wenn es zu einer Haupttat nicht kommt. Frage: Is t das gewollt? Staatssekretär Dr. Freisler: Eine einzige Ausnahme! M an müßte bei der tätigen Reue prüfen, ob da nicht mit Rücksicht hierauf Konsequenzen zu ziehen sind. Aber sonst ist das in der T at gewollt! Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei der Anstiftung macht mir das keine Schwierig­ keit. I n diesem Falle könnte ich mich damit abfinden, daß jemand, der einen Apotheker bittet, ihm Gift zu verschaffen oder ihm in der Herstellung von Giften Unterricht zu geben, um später seine Frau umzu-

bringen, auch dann bestraft wird, wenn es zu gar keiner Haupttat kommt. Dagegen bin ich bei der Bei­ hilfe zur versuchten Beihilfe vorläufig über das Hin­ dernis noch nicht hinweggekommen. Es scheint m ir zu weit zu gehen, daß jemand, der eine T at begehen will, strafbar sein kann, wenn er einem Gehilfen Beihilfe leistet zu der versuchten Beihilfe zu seiner Haupttat. S o erscheint mir das Ergebnis unmöglich zu sein, daß jemand strafbar sein soll, der dem Gehilfen Geld zum Kauf einer Waffe gibt, während er gar nicht strafbar wäre, wenn er die Waffe selbst gekauft

Ich selber habe gestern den Entwurf gegen schwere Angriffe verteidigt und dann gemeint: M an kann die Sache vielleicht in der Weise lösen, daß bei der Bei­ hilfe ganz allgemein steht: „Die Strafe kann ge­ mildert werden" und im Abs. 2 gesagt wird, daß, wenn die Haupttat nicht einmal begonnen ist, von S trafe abgesehen werden kann und bei Vergehen überhaupt nicht bestraft wird. D as schiene mir für das praktische Bedürfnis genügend, um solche überkonstru­ ierten Fälle aus dem Bereich des Strafrechts weg­ zulassen. Dagegen wurde gesagt: D as könnte man vielleicht für das praktische Ergebnis aufnehmen; aber es wäre eine falsche Stellung des Gesetzgebers, wenn er selber Unsinn in das Gesetz hineinschreibt und dann dem Richter vertraut, daß er so nicht judizieren würde. Gegen diesen Einwand läßt sich auch nicht viel sagen. D ann habe ich noch ein zweites Bedenken, das sich aus den Abs. 2 des tz 3 bezieht: Hat der, welchen der Gehilfe unterstützen wollte, die T at nicht einmal begonnen, so kann das Gericht die S trafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen; ist für diese T at keine schwerere S trafe als Gefängnis an­ gedroht, so bleibt der Gehilfe straflos. — Hier wird von derselben T at zweimal eine Aus­ sage gemacht. M ir ist hieran unsympathisch, daß mir zunächst gesagt wird — etwa bei der versuchten B ei­ hilfe zum Diebstahl — : „D u kannst nach freiem E r­ messen die Strafe mildern oder von Strafe absehen", und m ir eine Zeile später gesagt wird: „D u darfst die Frage überhaupt nicht stellen". Ich möchte gar keine Vorschläge machen, sondern nur den Eindruck wieder­ geben, den ich selber beim Lesen bekommen habe. Ich wäre dankbar, wenn die Herren über S o n n ­ tag diesen Text auf sich wirken ließen und eventuelle Verbefferungsvorschläge machten. Jetzt habe ich den Wunsch, daß wir folgende drei Fragen behandeln: 1) Unterlassung gleich Tun, 2) tätige Reue, 3) Vertreterhaftung. Zu Punkt 1: Unterlassung bitte ich Herrn Professor Nagler zu referieren.

Berichterstatter Professor D r. Nagler: Es handelt sich um das unechte Unterlassungsver­ brechen. Da mein Herr Mitberichterstatter nicht zur Stelle ist, so gestatte ich mir, zunächst aus seine Vor­ schläge hinzuweisen. E r regt an, den § 359 so zu fassen, daß in der bisherigen Wendung „wer es schuldhast unterläßt" das W ort „schuldhaft" weg­ gelassen werde. E r führt dazu aus: D as Abstellen aus eine Rechtspflicht, wie es § 359 vorsieht, sei zu billigen. Die Abstellung auf die gesunde Volks­ anschauung oder auf anerkanntes Sittengesetz führe zur Rechtsunsicherheit. Die hier zu erledigende Frage ist, ob und in welchem Umfange bestimmte Passivität, also das Aus­ bleiben einer erwarteten möglichen Handlung des Täters, der Aktivität gleichgestellt werden soll. Um dieses Problem schärfer zuzuspitzen, habe ich mir er­ laubt, in den § 359 die Worte einzufügen: „Dem Handeln steht das Unterlassen gleich". M an kann nun fragen, ob wir überharcht Veranlassung haben, für das strafbare Unterlassen eine besondere Regelung im Ge­ setz vorzusehen; denn die Entwicklung ist ja noch nicht abgeschlossen. M an könnte ja — wie bisher — das unechte Unterlassungsdelikt der Theorie und Praxis überlassen. § 359 gibt im wesentlichen den heutigen S tand der Rechtsprechung wieder. Die kommende Entwicklung wird dazu aus der im Gang befindlichen Neuordnung unseres Rechts neue, besondere Austriebe erhalten. Die Formel, auf die wir uns bisher geeinigt haben, will dieser Sachlage Rechnung tragen. S ie schließt nichts ab, sie überstürzt nichts und forciert auch nicht die kommende Entwicklung, sie will der Zukunft jede vernünftige Entfaltungsmöglichkeit offen­ halten. Wenn wir uns in erster Lesung zu dieser F o r­ mulierung des § 359 entschlossen haben, so geschah es einmal aus dem äußeren Grunde, daß wir der un­ echten Unterlassung die Strafmilderung zuteil werden lassen wollten. Ferner erwartet man doch von der Gesetzgebung, daß sie endlich Farbe bekennt hinsichtlich der unechten Unterlassungsdelikte. Es soll der Recht­ sprechung das feste Rückgrat gesichert werden. Unser § 359 knüpft nun an eine Rechtspslicht an, also nicht an eine bloß gesetzliche Pflicht. „Recht" wird hier in materiellem S inne verstanden. Der leitende Gedanke ist: Durch die Rechtspslicht wird der Verpflichtete zu einem Garanten dafür, daß es nicht zu einem rechtswidrigen Erfolg kommt. E r ist also als Schranke, als negative Bedingung zum Erfolg einge­ schaltet. Versagt er, so wird er kausal durch Ver­ nichtung der negativen Erfolgsbedingung. Ob es sich hierbei um eine wirkliche Kausalität handelt oder, wie man gesagt hat, um eine Quasi-Kausalität, ist ein Problem der Wissenschaft, das wir hier nicht zu behandeln brauchen. Vorausgesetzt wird natürlich immer, daß der sich passiv Verhaltende überhaupt in der Lage war, sich einzuschalten und dadurch den drohenden rechtswidrigen Erfolg abzu­ wenden. W ir können natürlich nicht mehr von ihm fordern, als daß er nach besten Kräften und vernünf­ tiger Lebenserfahrung sich in den Prozeß einschaltet.

Ich habe das durch die Fassung „insoweit" andeuten wollen. W ir haben auch einmal darüber debattiert, ob man textieren sollte „nach Lage der Sache"; wir sind aber schließlich davon abgekommen, weil wir uns sagten, dieser Zusatz sei eine Selbstverständlichkeit. Weiter tauchte die Frage aus, ob man nach dem Vorschlage der Preußischen Denkschrift noch weiter gehen und einfügen sollte: Auch dann sei die Unter­ lassung der Handlung gleichzustellen, wenn von dem Täter nach gesunder Volksanschauung die Abwendung des Erfolges verlangt werde. Diese Anregung haben wir nicht gebilligt, wir haben gesagt: Hier muß das delictum sui generis in allerlei Variationen ein­ setzen; wir müssen überall, wo sich das praktische Be­ dürfnis herausstellt, mit einer Sonderbestimmung ein­ greifen, das heißt, wir müssen besondere Gebote zum Handeln erlassen, die Zuwiderhandlungen gegen jene Gebote bilden dann die Substanz dieser delicta sui generis. W ir sind denn auch schon z. B. im § 277 Abs. 2 darauf zugekommen, wo es heißt: „Ebenso wird bestraft, wer seine sittliche Pflicht zur Menschenhilse dadurch verletzt, daß er einem Hilflosen, der sich in einer sein Leben gefährdenden Lage befindet, nicht beispringt, obschon die Volksanschauung ihm zumutet, den Hilflosen aus der Lebensgefahr zu retten." W ir werden bei den Verbrechen gegen die Volksgemein­ schaft erwägen müssen, ob wir nicht eine Parallel­ bestimmung schaffen sollten, etwa in dem Sinne, daß bestraft werden soll, wer in einer schweren Notlage der Volksgemeinschaft, obschon er ohne erhebliche eigene Opfer die Gefahr abwenden könnte, diese Ab­ wendung der Gefahr unterläßt. D as wären dann Sorgen des Speziellen Teiles! M an hat auch aus § 826 BGB. abstellen wollen. Aber dieser enthält Verbote, nicht Gebote; eine allgemeine Rettungspslicht im Sinne der Preußischen Denkschrift kann man aus diesem Paragraphen nicht herauslesen. Ich möchte noch darauf hinweisen, daß die neuere Gesetzgebung die Rechtspflichten außerordentlich erweitert hat, und daß wir in Zukunft durch die Weiterentwicklung unserer Gesetzgebung wahrscheinlich noch viele wert­ volle Ergänzungen erhalten werden. S o hat z. B. das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit aus­ drücklich die Fürsorgepflicht des Betriebssührers und andrerseits die Treuepflicht für die Gefolgschaft be­ gründet. Hierbei handelt es sich um echte Rechtspflichten, die auch für unseren § 359 unmittelbar praktisch werden. Der Betriebsführer, der nicht für die nötige Sicherheit des Betriebes sorgt, wird darnach wegen Körperverletzung oder Tötung verantwortlich gemacht, wenn durch diesen Mangel an Sorgfalt ein Arbeiter zu Schaden kommt, sich körperlich verletzt oder gar das Leben verliert. Umgekehrt hat die Gefolgschaft die Verpflichtung, ihrerseits jeden Schaden, welcher dem Betriebe droht, abzuwenden, und zwar als ganz echte und sogar gesetzliche Pflicht. Ich fasse dahin zusammen: W ir sollten uns auf der mittleren Linie, auf die wir uns geeinigt haben, auch heute grundsätzlich halten. Wenigstens ist es bis­

her noch nicht gelungen, eine andere Formel zu finden, welche es gestattet, die Unterlassung nicht allzu weit auszudehnen, sondern alles in vernünftigen Grenzen zu halten. Ich habe letzthin einem befähigten Studen­ ten dieses Problem zur Durcharbeitung ausgegeben; er sollte an der Hand der Preußischen Denkschrift die Dinge durchbehandeln. Dabei hat es sich klar heraus­ gestellt, daß es nicht gelingt, damit eine rechte Grenze zu ziehen. Die Formulierung, die die Preußische Denkschrift gibt, geht zu weit. Darum ist es wohl richtig, wenn wir jetzt eine Formel zur Verfügung stellen, welche in keiner Weise der Zukunft vorgreift und welche der Praxis und Wissenschaft gestattet, aus der neuen Weltanschauung heraus dieses Problem weiter zu entwickeln. W ir haben eine wichtige Einzelfrage im Abs. 2 unseres bisherigen § 359 herausgegriffen; das ist die Frage der sogenannten Jngerenz: „Wer durch sein Tun die Gefahr herbeiführt, daß ein bestimmter Erfolg eintritt, ist in der durch die Umstände ge­ botenen Weise verpflichtet, den Erfolg abzuwenden." Der Begriff der Jngerenz ist gewohnheitsrechtlich durch die Wissenschaft und vor allem durch die Praxis des Reichsgerichts geschaffen worden. S ie besteht im wesentlichen aus zwei Fallgruppen. Bei der ersten Gruppe wird eine sozial wertvolle Tätigkeit entwickelt, bei welcher allerdings ein D ritter zu Schaden kommen könnte. Hierfür hat sich der Rechtssatz gebildet: es ist der Handelnde zur Gesahrabwendung gehalten, er muß eine komplementäre Tätigkeit ent­ wickeln, welche dafür sorgt, daß es nicht zu einem Unheil kommt. Ich erinnere an das bekannte Beispiel aus der Praxis des Reichsgerichts: Es hält jemand einen bissigen Hofhund zu Schutzzwecken; er muß dafür sorgen, daß dieser Hofhund nicht einen harmlos Vorübergehenden anfällt; er muß mithin Vorsichts­ maßregeln dafür treffen, daß der Hund nur zu Wach­ zwecken Verwendung findet. Der zweiten Fallgruppe ist eigen, daß jemand in fremde Rechtssphäre eindringt, daß er also ein aktives Handeln entfaltet, wodurch die Gefahr eines konkreten Erfolges erzeugt wird. Etwa, es hat jemand eine Wohnung abgeschlossen; es stellt sich heraus, daß unversehens ein anderer mit eingeschlossen wurde. Der Abschließende hat natürlich die rechtliche Ver­ pflichtung, die T ür wieder zu öffnen und die E in­ sperrung, die offensichtlich vorliegt, zu beseitigen. Diese Frage ist nur insoweit strittig, als man fragt: S o ll die Rechtspflicht nur entstehen, wenn das E in­ dringen in fremde Rechtssphäre schuldhast geschah, oder auch, wenn es sich schuldlos vollzog? Es hat sich nun die Praxis des Reichsgerichts mit gutem Recht für die weitere Auffassung entschieden, diese Auf­ fassung soll auch in unserem § 359 Abs. 2 zur Aner­ kennung kommen. Wenn ich vorschlage „insbesondere", so soll damit zum Ausdruck gebracht werden, daß die rechtliche Pflicht schon ohnehin bestand, daß der Zusatz mithin nur ein Beispiel des tragenden Prinzips bildet. Nach den Vorschlägen der Preußischen Denkschrift wird nun vorgesehen, daß die Begehung durch

Unterlassung unter mildere Strafe gestellt werden kann; die fakultative Strafmilderung wird mit Rück­ sicht darauf vorgesehen, daß eine geringere Schuld­ intensität bei diesen Kommissionen vorkommen kann, freilich nicht vorkommen muß. I n Fällen wie in dem klastischen Fall Jünem ann muß ja mit aller Energie eingeschritten werden, da ist die volle Strafe verwirkt. Aber andere Fälle, die die P raxis zeigt, liegen eben so, daß darüber Zweifel bestehen können, ob eine materielle Rechtspflicht zum Handeln bestand oder nicht, oder daß die Art, wie diese Rechtspflicht erfüllt werden mußte, zweifelhaft sein konnte. Aus -diesen Erwägungen heraus hat sich die Preußische Denk­ schrift für die fakultative Strafmilderung entschieden, und zu dieser Auffassung hat sich auch die Kommission bisher bekannt. 3 $ glaube, wir sollten daran nichts ändern.

wohl, daß damit eigentlich nichts Neues für den gesagt ist, der eben wirklich auf dem Boden der materiellen Erfassung dieser Verpflichtung steht. Aber es ist doch für die künftige Praxis sehr nützlich, daß das aus­ drücklich unterstrichen wird. Es gibt Situationen einer schuldlosen Herbeiführung der Gefahr, bei denen es durchaus aus die Umstände ankommt, w ie sich das Eingreifen gestalten soll. Ich möchte also bitten, die Worte aus dem Entwurf I: „in der durch die Um­ stände gebotenen Weise" beizubehalten.

Professor Dr. Schaffftem: Ich möchte doch noch einmal zu der grundsätzlichen Frage, in welchem Umfang das Unterlasten dem Tun gleichgestellt werden soll, Stellung nehmen, und ich möchte noch einmal für eine Erweiterung dieser Gleichstellung plädieren. M ir scheint, daß die Formu­ Reichsjustizminister Dr. Gürtner: lierung so, wie es jetzt im Entwurf erster Lesung steht, Die Meinung von Herrn Kollegen Dr. Thierack einen ganz wesentlichen Rückschritt gegenüber der ist schon mit referiert worden. Ich möchte bloß zu Preußischen Denkschrift bedeutet, und das ist um so meiner eigenen Sicherheit aus eine Bemerkung in dem bedauerlicher, als es sich hier wirklich um eine Thierackschen Referat Hinweisen, die lautet: „Zu §359 Glaubensfrage handelt, um eine Frage, bei der die ist M sagen, daß hier allein das echte Unterlassungs­ weltanschaulichen und politischen Grundlagen unseres delikt geregelt werden kann." Ich nehme an, es Strafrechts besonders deutlich in Erscheinung treten. handelt sich um einen Druckfehler und muß heißen Wir sind uns doch wohl darüber einig, daß die bis­ herige Regelung der Frage, die vor allem durch die „das unechte Unterlaffungsdelikt". Die Diskustion über diese Frage wird sich wahr­ P raxis herausgebildet worden ist, durchaus unbefrie­ scheinlich auf wenige Punkte beschränken. W ir haben digend ist. W ir strafen in der Regel nur das positive schon bei der ersten Beratung gesehen, daß der Tun, und in Ausnahmefällen wird das Unterlassen Zentralpunkt der Kontroverse die Art der Verpflich­ dem positiven Tun gleichgestellt. Diese Regelung ist tung war: „rechtlich", „sittlich verpflichtet", „zumut­ ein typisches Produkt der aufklärerischen S taats- und bar nach der Volksanschauung". D as waren die Rechtsvorstellungen, die davon ausgehen, daß es Varianten. Auch bei der ersten Beratung ist schon individuelle Sphären des Einzelnen gäbe und daß klar herausgestellt worden: Wo das Unterlasten dem im wesentlichen die Pflichten des einzelnen S ta a ts­ Tun gleichgestellt wird, muß der M ann verurteilt bürgers nur darin beständen, nicht in fremde indivi­ werden wegen der Haupttat, die dann begangen duelle Sphären einzugreifen, und zwar nicht durch worden ist. Wo wir das nicht wollen, muß ein be­ positives Tun einzugreifen. Verpflichtungen zu sonderes Unterlastungsdelikt geschaffen werden: aktivem Eingreifen im Interesse der Gemeinschaft „unterlassene Lebensrettung", „unterlassene Hilfe­ dagegen werden nur in Ausnahmesällen anerkannt. D as kommt in dem Gegensatz von Unterlassen und leistung" usw. als delicta sui generis. positivem Tun zum Ausdruck. Professor Dr. Mezger: Wenn nun der § 359 des Entwurfs davon aus­ Auf die grundsätzliche Frage des allgemeinen geht, daß es zur Gleichstellung von Unterlassung und Unterlassungsdelikts möchte ich nicht näher eingehen. Tun genüge, wenn eine rechtliche Verpflichtung zur S ie ist durch die erste Lesung bereits entschieden, ist Ersolgsverhinderung bestehe, so ging man mehr davon noch mehr auch dadurch entschieden, daß in der zweiten aus, daß dieses Wort in Zukunft eine andere und Lesung der sogenannte allgemeine Strafrechtssatz ab­ weitere Bedeutung haben werde als bisher. Denn gelehnt worden ist; nur ein Ausfluß dieses Gedankens „rechtlich" ist ja nicht identisch mit „gesetzlich" und wäre das allgemeine Unterlassungsdelikt, und viel­ „rechtsgeschästlich". Trotzdem fürchte ich aber, daß wir leicht sogar noch ein gefährlicherer Ausfluß als der mit der Fassung des § 359 auch in Zukunft nicht allzu­ Grundsatz selbst. sehr über die bisherige Praxis hinausgelangen Ich will nur eine Bemerkung zu dem anfügen, werden. Auch besteht die Gefahr, daß sich eine höchst­ was Herr Kollege Nagler gesagt hat. E r hat sich selbst richterliche Rechtsprechung in dem bisherigen S inn auf den Standpunkt gestellt, daß die Frage der Ver­ entwickeln könnte, und daß dann für alle Zukunft die pflichtung durchaus materiell verstanden werden muß Bahn verbaut ist. und nicht von irgendwelcher formalistischen Erwägung Aus all diesen Gründen möchte ich doch dafür ein­ abhängig gemacht werden darf. Ich habe bei meinem Referat in erster Lesung sehr auf die Einführung der treten, eine andere Fassung zu wählen, allerdings Worte Wert gelegt, die im § 359 Abs. 2 in den E nt­ nicht die außerordentlich weite Fassung der Preußischen Denkschrift. Ich würde die Fassung der Preußischen wurf gekommen sind: „ Ist i n d e r d u rc h d i e U m s t ä n d e gebotenen Weise verpflichtet". Ich weiß Denkschrift zwar zugrundelegen, sie aber noch irgend-

wie einschränken. I n der Preußischer: Denkschrift steht: Bestraft wird auch, wer es unterläßt, den Erfolg abzuwenden, wenn von ihm nach der gesunden Volksanschauung die Abwendung des Erfolgs verlangt werden kann. Ich würde vorschlagen, etwa zu sagen: Wenn nach gesunder Volksanschauung das Unterlassen des Täters als ein schwerer Verstoß gegen seine Pflichten gegen­ über der Gemeinschaft erscheint oder wenn nach der gesunden Volksanschauung der Täter einen schweren Verstoß gegen sittliche Pflichten — oder so ähnlich — begangen hat; also eine Einschränkung gegenüber der Fassung der Preußischen Denkschrift, aber jedenfalls andererseits eine Fassung, die über § 359 hinausgeht. Ich glaube auch nicht, daß es genügt, wenn wir im Besonderen Teil als delicta sui generis einzelne solcher Unterlassungen noch besonders unter Strafe stellen; denn es gibt so unendlich viel Gefährdungen von Rechtsgütern durch Unterlasten, daß wir doch nicht alle Fälle treffen können. Bisher ist im Entwurf vor allem das Unterlasten der Abwendung einer Lebensgefahr genannt. D as allein genügt aber keineswegs. M an braucht sich nur ähnliche Fälle bei den gemeingefährlichen Delikten zu denken und sieht da eine Fülle von Gesetzeslücken. Wenn ich z. B. sehe, wie ein Waldbrand oder der Brand eines Hauses gerade im Entstehen begriffen ist, und nicht lösche, so mache ich mich, glaube ich, nach gesunder Volks­ anschauung durchaus strafbar, wenn ich hier nicht ein­ greife. (Zuruf: Weswegen strafbar?) — Ich würde die Strafandrohung für die B rand­ stiftung anwenden, glaube aber, daß die Bestimmung: „die Strafe kann gemildert werden" völlig ausreicht, um besondere Härten zu vermeiden. Dasselbe ließe sich beispielsweise für alle anderen gemeingefähr­ lichen Delikte, für die Brunnenvergiftung, für den Lawinensturz, für die Überschwemmung usw. lagen. W ir können in dieser Hinsicht im Besonderen Teil nicht so viele Einzelbestimmungen aufnehmen, wie das notwendig wäre, und deswegen scheint es mir erforder­ lich, hier im Allgemeinen Teil die Bestimmung über das strafbare Unterlassen entsprechend zu erweitern. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr Pros. Schaffstein sagt, er wolle gleichwohl die Debatte über das Grundsätzliche aufnehmen. Ich bin auf gar nichts anderes gefaßt als auf die Debatte über die Begründung der Verpflichtung; ich glaube wenigstens, über etwas anderes wird bei der Frage der Unterlassung gar nicht debattiert werden. Nun haben wir, wie ich vorhin schon skizziert habe, in der ersten Lesung ungefähr folgende polaren Punkte be­ rührt: „Wenn jemand sittlich verpflichtet ist zu handeln", — „wenn ihm nach der gesunden Volks­ anschauung zugemutet werden kann, daß er den Erfolg abwendet", — „wenn er rechtlich verpflichtet ist"! D as sind ungefähr die Berührungspunkte des Kreises, in dem sich die Debatte bewegt hat. I m all­ gemeinen hat sich bisher keine starke Meinung — ober ich will sagen: keine Mehrheit — für die Fassung

gefunden: „Wenn er s i t t l i ch verpflichtet ist zu handeln, dann soll das Unterlassen der T at gleich­ stehen." D as wurde damals abgelehnt, weil man sich scheute, den M ann wegen Tötung, wegen Brand­ stiftung, wegen Einbruchdiebstahls zu verurteilen, während eine Scheu, ihn wegen unterlassener Hilfe­ leistung zu verurteilen, auf keiner Seite bestand. Ich muß auch sagen: Hier ist der Punkt, wo wir auch ein wenig nach dem allgemeinen Empfinden forschen müssen. Der M ann in Ihrem Beispiel, Herr Professor Schafsstein, würde doch wegen vorsätzlicher Brandstif­ tung verurteilt werden. (Prof. Dr. Schafsstein: D as kann man durch eine einfache Änderung der Formu­ lierung verhindern; man kann ihn wegen „Nichtverhinderung eines Brandes" strafen. Das kann man irgendwie zum Ausdruck bringen.) — Das ist dann aber eine völlig andere Konstruktion. Wenn wir ein Gleichheitszeichen zwischen Tun und Unterlassen setzen, dann erscheint in allen Fällen, wo das Gleichheitszeichen steht, der Unterlassende wie ein aktiv Handelnder. E r muß dann wegen vorsätzlicher Tötung, wegen vorsätzlichen Einbruchdiebstahls, wegen vorsätzlicher Brandstiftung verurteilt werden. D as ist der Prüfstein, an dem wir unsere Fassung prüfen müssen. Also S ie selbst haben das Empfinden, Herr Professor, daß die Fassung, die abstellt auf die die Abwendung des Erfolges verlangende gesunde Volksanschauung, allein schon zu weit geht, ganz ab­ gesehen von dem Zweifel, ob die gesunde Volks­ anschauung gegen jedermann gleich reagiert, gegen den, der ihr genehm ist, und gegen den, der ihr nicht genehm ist. Sie selbst haben diesem Bedürfnis dadurch Ausdruck gegeben, daß Sie sagen: Die gesunde Bolksanschauung muß das Empfinden haben: ein an­ ständiger Kerl müßte da so oder so gehandelt haben. S ie gehen sogar noch weiter und meinen: Der, der nicht gehandelt hat, ist ein gemeiner Kerl — populär gesprochen. D as wollten S ie doch ausdrücken? (Zustimmung.) — Ich glaube, das ist der einzige Punkt, um den es hier geht. Und wenn wir hier geschrieben haben: „rechtlich verpflichtet", so besteht allgemeine Überein­ stimmung darüber, daß das nicht bloß heißt: „ver­ pflichtet nach Gesetz oder Vertrag", sondern daß hier auch das bei der Analogie Gesagte herangezogen werden muß; dort haben wir gesagt: Rechtsquelle ist das Gesetz oder die gesunde Volksanschauung, aber dazu gehört ein tragender Rechtsgedanke, also eine ähnliche parallele Konstruktion. Vielleicht kann man das auch hier versuchen, wenn man nicht, wie einer der Herren Hauptbeteiligten an diesem Thema, immer wieder allein die sittliche Forderung genügen lassen will. D as ist ein Punkt, der auch in einem etwas kurz gehaltenen Aufsatz des Reichsministers Dr.Frank, der heute in der Tagespresse erschienen ist, immer wieder zum Ausdruck kommt: Verletzung einer sitt­ lichen Pflicht allein begründe die Strafbarkeit. Wenn wir diesem Satze folgen wollen, dann, glaube ich, fallen wir hier aus dem Rahmen des gesamten S tra f­ rechts heraus.

Reichsgerichtsrat Niethammer: Herr Prof. Schafsstein hat den Wunsch, daß noch irgend • etwas von einem aus der gesunden Volks­ anschauung abzuleitenden Gebot in diese Vorschrift aufgenommen werde, u. a. damit begründet, daß sonst die Gefahr bestehe, die Rechtsprechung werde die recht­ liche Verpflichtung zu eng fasten und werde sich so, wie sie es bisher getan habe, unter „rechtlich" nur die durch Gesetz oder Rechtsgeschäft begründete Verpflich­ tung vorstellen. Nun ist es aber doch nicht ganz richtig, daß die Rechtsprechung bisher so vorgegangen sei. Ich muß vielmehr daraus aufmerksam machen, daß — ich glaube, vor etwa drei Jahren — das Reichsgericht folgenden F all entschieden hat: Ein unehelicher Schwängerer, dem daran lag, daß er keine Last aus der Geburt des Kindes haben möge, ist mit der Ge­ schwängerten, als sie gebären sollte, an einen einsamen O rt gegangen; dort ist die Geburt geschehen, und er hat nichts getan, keine Hand gerührt, bis das Kind unter der Kälte gestorben war, dann hat er die Leiche verscharrt. D er Fall kam zur Entscheidung des Reichs­ gerichts; wir haben zunächst das gesagt,'was in dem Vorschlag des Herrn Profestor Nagler als zweiter Teil mit dem „insbesondere" eingeleitet ist: E r hat durch seine Handlung einen Zustand herbeigeführt, in dem eine Gefahr entstanden ist, und damit die Ver­ pflichtung auf sich genommen, eine Gegenwirkung auszuüben; dann haben wir folgendes beigefügt: Allein wenn das alles auch gar nicht wäre, so wäre er doch rechtlich verpflichtet gewesen, tätig zu werden. Die rechtliche Verpflichtung', die wir hier anerkannt haben, war keine rechtsgeschästliche Verpflichtung, sondern wir haben sie so begründet. W ir finden wohl im bürgerlichen Recht, so wie dieses die Beziehungen des unehelichen Vaters zum unehelichen Kind geregelt hat, keine rechtliche Verpflichtung, hier einzugreifen. (Zuruf: Unterhaltspflicht!) — Nein, gerade nicht. Ich bitte, mich diese Sache weiter ausführen zu lasten, ob wir nicht wirklich auf den richtigen Gedanken gekommen sind. W ir haben uns mit der Unterhaltspflicht, mit der Pflicht, die Kosten der Entbindung zu leisten usw., absichtlich nicht abgegeben. W ir haben das weggelassen und haben die Sache viel weiter gefaßt. W ir haben gesagt: Eine rechtliche Verpflichtung für ihn, hier tätig zu werden, hat sich allein schon daraus ergeben, daß ein hilfloser Mensch vor ihm lag und er die Macht gehabt hat, ihn aufzunehmen und sein Leben zu bewahren. Denn Recht — haben wir gesagt — ist nicht nur das, was irgendwo geschrieben ist, sondern Recht ist das, w as nach dem Willen und der Vorstellung der Gemein­ schaft Recht sein soll und was in irgendeinem Gesetz als tragender Rechtsgedanke anerkannt ist. Ich möchte auf die sehr weitgehende Übereinstimmung dieser E nt­ scheidung des Reichsgerichts mit dem jetzigen § 346 hinweisen. Nun mußten wir freilich auch den tragenden Rechtsgedanken irgendwo suchen und finden, und w ir haben ihn aus dem § 221 über die Aussetzung entnommen. Also wir sind nicht eng ge­ wesen, wir sind weit gegangen, wir haben der allge­ meinen Rechtsanschauung, dem allgemeinen Rechts­

willen Rechnung getragen. W ir werden das gewiß künf­ tighin auch tun und die rechtliche Verpflichtung mit Hilfe des § 346 dort finden, wo sie besteht, in der Rechtsüberzeugung und dem Rechtswillen des Volks in Zusammenhang mit dem tragenden Rechtsgedanken, der irgendeinem Gesetz zugrundeliegt. Deshalb bitte ich, es bei dieser einfachen Fassung zu lassen. Professor Dr. Mezger: Nachdem Herr Kollege Schasfstein die g r u n d ­ s ä t z l i c h e Frage des Unterlassungsdelikts aufge­ worfen hat, möchte ich bitten, mit einem kurzen Wort doch auch daraus eingehen zu dürfen. Ich muß den Schasssteinschen Ausführungen in gewissen Punkten entgegentreten, möchte das aber vor allem in Form einer Kritik dieser Vorschläge von ihren eigenen Vor­ aussetzungen aus tun. E s würde nach meiner Über­ zeugung zu den aller u n volkstümlichsten Ergebnissen, führen, wenn man davon ausgehen wollte, es genüge die ganz allgemeine Formel: „Wer nach der gesunden Volksanschauung zu einem Handeln v e r p f l i c h t e t ist". Darum allein handelt es sich nicht, ob eine Pflicht nach gesunder Volksanschauung besteht, sondern viel­ mehr darum, ob die gesunde Volksanschauung die Nichterfüllung dieser Pflicht mit dem daran sich an­ schließenden Erfolg für s t r a f w ü r d i g im Sinne des Erfolges hält. Also es darf nicht nur darauf ab­ gestellt werden, ob die gesunde Volksanschauung über­ haupt ein Handeln verlangt, sondern es muß not­ wendig noch hinzugefügt werden, daß die gesunde Volksanschauung diese Verletzung der Pflicht nicht nur für etwas Widerrechtliches, sondern für etwas Strafwürdiges hält, und es muß außerdem noch hin­ zugefügt werden, daß die gesunde Volksanschauung diese Handlung für strafwürdig im Sinne gerade des­ jenigen Paragraphen hält, der zur Anwendung kommen soll. Dann möchte ich darauf aufmerksam machen, daß selbstverständlich der Grundsatz der Analogie auch für das Unterlassungsdelikt gilt. Es ist also nicht so, daß man für jede rechtliche Verpflichtung konkreter Art unbedingt eine Abweichung gerade von dem ge­ schriebenen Recht feststellen müßte, sondern es bleibt auch da die Möglichkeit einer Gleichbehandlung daneben gelagerter Fälle, die nach gesundem Empfinden analog zu behandeln sind. Ich würde also glauben: Dem, was Schaffstein und ich gemeinsam wollen, kann durch die jetzige Fassung Rechnung getragen werden. Soweit aller­ dings darüber hinausgehend ein allgemeiner S tra f­ rechtssatz begehrt wird, würde das mit den Grund­ sätzen der Einstellung beim Handlungsdelikt nicht übereinstimmen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich kann den Verdacht nicht ganz unterdrücken, daß wir immer an das gesetzte Recht denken, wenn wir das Wort „Recht" und „rechtlich" gebrauchen. W ir haben zwar einmal feierlich versichert, daß wir nie daran denken wollen, und immer betont: Wenn w ir „Recht" sagen, meinen wir nicht nur das Gesetz

und das vertragliche Recht, sondern wir meinen das Recht in jenem weiteren S in n , wie wir es bei der Analogie ausgesprochen haben: „Die gesunde Bolksanschauung ist tragender Rechtsgedanke". Aber wo wir das W ort „rechtlich" gebrauchen, sürchte ich, fassen wir alle oder wenigstens ein großer Teil von uns das immer wieder als gesetztes Recht auf. Denn wenn wir uns bei jedem Gebrauch des Wortes „recht­ lich" in die Sphäre begeben würden, in der wir bei der Analogie waren, dann könnte nt. E. ein Einwurf, daß das zu sehr eingeschränkt ist, gar nicht entstehen. Staatssekretär Dr. Freisler: Herr Minister, ich meine, daß der Einwand, den Sie eben hervorgehoben haben, daß wir doch unter „rechtlich" nicht „gesetzlich" verstehen, nur teilweise durchschlägt. E r schlägt nämlich nur dort durch, wo wir die Verpflichtung zum Handeln aus Strafrechts­ sätzen herleiten. Dort haben wir allerdings eine be­ sondere Auffassung der rechtlichen Verpflichtung da­ durch gesetzlich festgelegt, daß wir als Rechtserkennt­ nisquelle neben dem Gesetz eine andere unmittelbare Rechtserkenntnisquelle in das Gesetz aufgenommen haben. Soweit also die Verpflichtung zum Handeln aus Strafrechtssätzen abgeleitet werden kann oder soll, kann man freilich sagen, daß mit dem „rechtlich" ja nichts anderes gesagt' sei als „sittlich" unter der Voraussetzung, daß die gesunde Volksanschauung ein Handeln verlangt. Aber selbst wenn damit nichts anderes gesagt wäre, so würde das Volk das W ort „rechtlich" doch nicht so auffassen, sondern es würde es wahrscheinlich dem Wort „gesetzlich" gleichstellen. Vielfach ergibt sich aber die Pflicht zum Handeln nicht aus Strafrechtssätzen, sondern sie muß aus anderen Rechtssätzen entnommen werden. Und ob dort überall das Recht als unmittelbare Rechts­ erkenntnisquelle neben dem Gesetz auch so anerkannt ist, wie wir das jetzt strafrechtlich tun, ist mir zweifel­ haft. Denn wir sind im Strafrecht ja über die Zu­ lassung der Analogie weit hinausgegangen. Wenn auch sonst analoge Rechtsanwendung gestattet ist und das bisher im Strafrecht zuungunsten des Ange­ klagten nicht gestattet war, so haben wir jetzt durch unsere Auffassung, die wir im Strafrecht verankern, nicht nur dieses M inus eingeholt, sondern sind dar­ über hinausgegangen. Denn wir haben ja die Analogie selbst überwunden, indem wir uns nunmehr zu den mehreren nebeneinander stehenden Rechts­ erkenntnisquellen bekennen. E s ist also nicht gesagt, daß, wenn das Wort „rechtlich", soweit ich aus dem Strafrecht die Verpflich­ tung zum Handeln erkennen will, mit dem Sittlichen gleichbedeutend ist, das auch auf allen anderen Rechtsgebieten der Fall ist. F ü r diese anderen Rechts­ gebiete würde der Hinweis, daß wir unter „recht­ lich" auch das verstehen, was wir tatsächlich darunter verstehen wollen, nichts nützen, weil wir den Umfang der Rechtsverpslichtung auf anderen Rechtsgebieten hier nicht gesetzlich bestimmen können. I m Grunde sind wir, glaube ich, doch alle der Meinung, daß der Unrechtsgehalt des Handelns, um

dessentwillen wir den Handelnden strafrechtlich zur Verantwortung ziehen, für uns grundsätzlich im S itt­ lichen liegt und nicht in dem Gesetzlichen. Soweit es sich um Handlungen handelt, die eine sittliche Qualifi­ zierung überhaupt nicht erfahren können, gehören diese Tatbestände gar nicht in unser kriminelles S tra f­ recht. W ir scheiden sie ja auch soweit wie irgend möglich schon aus, indem wir ein Ordnungsstrafrecht außerhalb des Strafgesetzbuchs sammeln und regeln wollen. Es kann deshalb meiner Ansicht nach gar kein Zweifel sein, daß der Unrechtsgehalt, um dessentwillen wir eine Handlung bestrafen, im Sittlichen liegt, und daß die Rechtserkenntnisquellen nur dazu dienen, festzustellen, nicht etwa ob ein Handeln sitten­ widrig ist, sondern ob bei ihm der Grad des S itten ­ widrigen so stark ist, daß wir strafrechtlich reagieren müssen. Denn darüber sind wir uns doch von Anfang an klar gewesen, daß nicht jeder Verstoß gegen die völkische Sittenordnung, sondern nur Verstöße von bestimmter Schärfe uns strafrechtlich interessieren. Es gibt aber kein gegen die völkische Sittenordnung verstoßendes Handeln, das nicht bei einer bestimmten Intensität ins Strafrecht einmündet. E s kann also zunächst einmal, wenn wir sagen: „Ein Unterlassen ist strafbar, sofern damit gegen eine sittliche Handlungspflicht verstoßen wird" niemals die Gefahr heraufbeschworen werden, daß irgendeine betätigte Willensrichtung mit Hilfe des § 359 in die Sphäre des Strafbaren hineingezogen wird, wo sie überhaupt nicht hineingehört. E s ' könnte nur die Gefahr bestehen, daß man einen Verstoß gegen eine Pflicht zum Handeln aus Grund der völkischen S itten ­ ordnung auf dem Wege über den § 359 strafrechtlich erfaßt, obgleich der Verstoß nicht schwer genug ist. Dagegen muß allerdings etwas eingebaut werden, weil wir uns ja darüber klar sind, daß wir den engeren Kreis des Sittenwidrigen, den wir für straf­ bar halten, eben bestimmen wollen nach einem be­ stimmten Grade, einer bestimmten Schärfe der Zu­ widerhandlung gegen das sittliche Gebot. Unser Gesetz hat nur den S in n , zum Ausdruck zu bringen: Wenn das erfüllt ist, was in den einzelnen T at­ beständen des Besonderen Teils steht, dann ist dieser Grad immer erreicht. E r kann aber auch, ohne daß ein solcher Tatbestand erfüllt ist, erreicht sein. Denn wir haben ja auch noch die andere Erkenntnisquelle, und bei der anderen Erkenntnisquelle, die wir aner­ kennen wollen und bis zu der wir durch unsere Debatten über die Analogie durchgestoßen sind, haben wir das Mittel, diese Gefahr zu bannen, darin ge­ funden, daß das sittenwidrige Handeln so stark sein muß, daß die gesunde Volksanschauung die Bestrafung verlangt. Genau so muß es meiner Ansicht nach bei der Unter­ lassung gemacht werden. Die Preußische Denkschrift geht übrigens auch nicht weiter. Sie sagt: E s gibt zahlreiche Fälle, in denen das Volksempsinden eine Unterlassung nicht nur sittlich mißbilligt, sondern auch mit Recht für strafwürdig erachtet. Damit ist genau dasselbe gesagt. Die Volksanschauung mißbilligt ein

Verhalten, weil es der völkischen Sittenordnung widerspricht. D as genügt aber noch nicht zur Be­ strafung; die Volksanschauung muß auch der Meinung sein, daß das sittlich zu mißbilligende Verhalten so stark ist, daß es strafwürdig erscheint. Diese Regelung bei der Analogie erschien uns dort als G arant der Durchführung des Grundsatzes der materiellen Gerech­ tigkeit. M ir erscheint die Aufnahme einer ent­ sprechenden Bestimmung für die Unterlassung genau so als G arant der Durchführung dieses Grundsatzes. Natürlich kann man nun mit allen den Ein­ wänden auch hier kommen, um die wir damals ge­ rungen haben, vor allem, daß damit dem Richter eine zu weite Vollmacht gegeben werde. Nun muß ich aber sagen: Die bisherige Vollmacht war zu eng. E s ist richtig und erfreulich, daß es in manchen Fällen der Rechtsprechung trotz dieser engen Vollmacht geglückt ist, ein vernünftiges und schönes Ergebnis herbeizu­ führen. D araus kann und darf man aber nicht schließen, es deshalb bei der engen Vollmacht belassen zu können. Wenn das Reichsgericht hier und dort die engen Schranken zu erweitern verstanden hat, so ist das für uns ein Hinweis, daß diese Erweiterung not­ wendig ist und auch gesetzlich zum Ausdruck gebracht werden muß. Ich bin übrigens der Meinung, daß, wenn wir schon die allgemeine Vorschrift des § 359 und ferner den Tatbestand der unterlassenen Lebenshilfe im § 227 und endlich auch die anderen echten Unterlaffungsdelikte im Besonderen Teil haben, und wenn wir womöglich — was ja diejenigen empfehlen, die hier an dem Erfordernis der rechtlichen Handlungs­ verpflichtung stehen bleiben wollen — in noch stärkerem Maße im Besonderen Teil echte Unter­ lassungsdelikte bilden wollen, daß wir uns dann fragen müssen: Warum scheut man sich dann, schon im Allgemeinen Teil eine über die rechtliche Hand­ lungsverpflichtung hinausgehende allgemeine Rege­ lung zu treffen? Die Einschränkung, die darin liegt, daß die Strafwürdigkeit von der gesunden Volksan­ schauung verlangt werden muß, muß man auch hier als ausreichenden Garanten anerkennen, wenn man sie als ausreichenden Garanten schon bei der Analogie anerkannt hat. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Aussprache führt schon dazu, daß die Punkte klar werden, um die es sich dreht. E s ist einmal die Frage: Was muß die gesunde Volksanschauung verlangen? Hier möchte ich be­ sonders stark akzentuieren, daß hier gesagt wurde: Der Betreffende werde nicht wegen Unterlassung bestraft, sondern wegen Tötung, oder — in einem andern Fall — wegen Brandstiftung. Es sei nicht eine bloße Pflichtverletzung, daß er nicht gehandelt habe, sondern er sei dem Brandstifter gleichzustellen. Denn sonst dürsten wir die Unterlassung nicht so aufbauen wie hier. W ir gehen doch davon aus, daß wir zwischen aktivem Tun und Nichttun ein Gleichheitszeichen machen wollen. Infolgedessen ist die Frage ungenau:

„Verlangt die gesunde Volksanschauung, daß der M ann wegen Unterlassung bestraft wird?"; vielmehr muß die gesunde Volksanschauung die Unterlassung so werten, daß sie sagt: „Der ist gerade soviel wert oder unwert wie der, der den Brand gelegt hat." D ann ein zweiter Punkt. Herr Staatssekretär Dr. Freister hat sehr eindrucksvoll und für mich sehr sympathisch darauf hingewiesen, daß, wenn wir das Wort „rechtlich" gebrauchen, wir dazu auch die Ele­ mente gebrauchen sollen, die wir bei der Gesetzes­ analogie nötig haben. Dazu gehört, daß die gesunde Volksanschauung Strafe verlangt; aber dazu gehört noch etwas, wovon nicht die Rede war, nämlich daß dieser Gedanke als Rechtsgedanke im Recht vorhanden ist; z. B. der Aussetzungsgedanke, der da sagt: „Du darfst keinen Menschen in eine hilflose Lage bringen." Dieser Rechtsgedanke ermöglicht es in dem Fall, den das Reichsgericht 51t behandeln hatte, wegen Tötung zu bestrafen. D as ist das Wesentliche. D as möchte ich akzeptieren. Und dann ein weiteres, nämlich die Scheu, in die Strafliste oder ins Urteil zu schreiben: „wegen Tötung", „wegen Brandstiftung". Es ist vorgeschlagen worden, etwas anderes hinzuschreiben, etwa „wegen Nichtverhinderung", oder aber lediglich eine ziffern­ mäßige Auseinanderlegung („gemäß §§ X, ?)"). Ich meine, solange diese Scheu besteht, besteht keine Klar­ heit darüber, daß Tun gleich Unterlasten ist. I n dem Augenblick, wo wir das Tun gleich dem Unterlasten setzen, habe ich keine Scheu mehr, zu sagen: „wegen Tötung"; und ich darf sie nicht haben, sonst ist unser Unterlaffungsbegriff hier falsch konstruiert. Professor Dr. Dahm: Die Regelung der Unterlassung bietet uns eine Gelegenheit, einen Grundgedanken unseres neuen Strafrechts zum Ausdruck zu bringen. D as neue Recht ist ein Willensstrafrecht und zu­ gleich ein Täterstrafrecht. D as bedeutet, daß die Bestimmungen des Gesetzes auf bestimmte Tätertypen zu beziehen, also nur dann anwendbar sind, wenn der Angeklagte dem betreffenden Tätertypus entspricht. S o begeht der Henker keinen Mord, weil er von vorn­ herein nicht dem Tätertypus Mörder entspricht. Dieser Grundsatz ist auch für die Beurteilung der Unterlassung maßgebend. Wenn wir diesen Maßstab anlegen, dann müssen w ir zwei Gruppen von Unterlassungen auseinander­ halten. Ich möchte das an einfachen Beispielen ver­ deutlichen. Erster Fall: Der Eigentümer eines Bauernhauses betritt seine Scheune, und dabei fällt ihm die Pfeife aus dem Mund. E r überlegt sich, daß er gut versichert ist, und tut nichts gegen das Umsichgreisen des Feuers. Es würde der gesunden Volksan­ schauung entsprechen, wenn man diesen M ann als Brandstifter bestrafte. Zweiter F all: Jem and geht spazieren und sieht, wie ein Brand im Entstehen begriffen ist. Niemand ist in der Nähe. E r könnte den beginnenden Brand leicht austreten, tut das aber nicht, weil er sich sagt: D as geht mich nichts an. Nach gesunder Volksanschauung ist auch dieser M ann zu

bestrafen, aber nicht als Brandstifter. AndereBeispiele! Erster Fall: Die M utter läßt ihr Kind verhungern — Fall Jünemann. Nach gesunder Volksanschauung ist die F rau Mörderin. Zweiter Fall: Ein Fremder hat zufällig in Erfahrung gebracht, daß die F rau ihre Wohnung abgeschlossen hat und die Kinder ver­ hungern läßt. Aus Bequemlichkeit tut er nichts. Auch dieser M ann ist zweifellos zu bestrafen, aber es wäre nicht richtig, ihn als Mörder zu behandeln. E r ist viel­ mehr deshalb zu bestrafen, weil er seine Rettungs­ pflicht nicht erfüllt hat. F ü r die Anwendung des Strafgesetzes auf die Unterlassung sollte es daher daraus ankommen, ob derjenige, der nicht tätig geworden ist, nach gesunder Volksanschauung als Täter erscheint. Durch eine solche Bestimmung würde das Wesen des neuen Rechts als Täterstrafrecht deutlich gekennzeichnet werden. W ir kommen jedoch auf die schiefe Ebene, wenn wir danach unterscheiden, ob eine Rechtspflicht oder eine sittliche Pflicht besteht. I n dem Falle des Feuerwehr­ manns zweifle ich im Gegensatz zu Herrn Ministerial­ direktor Schäfer keinen Augenblick daran, daß der Feuerwehrmann, der das Feuer nicht gelöscht hat, kein Brandstifter ist. M an müßte ihn unter einem anderen Gesichtspunkt bestrafen. Ich komme also zu folgendem Ergebnis: 1. Als Täter wird derjenige bestraft, der nicht handelt, ob­ wohl er verpflichtet war zu handeln, sofern er nach gesunder Volksanschauung als Täter erscheint. 2. Eine Bestimmung im Besonderen Teil des In h a lts, daß jemand dann bestraft wird, wenn er gegenüber der Gemeinschaft verpflichtet war, den Erfolg abzuwenden, dies aber nicht tat, obwohl er dazu in der Lage war, und die gesunde Volksanschauung eine Bestrafung verlangt. D as ist eine durchaus sinnvolle und wesens­ gemäße Unterscheidung, die dem Grundgedanken unseres neuen Strafrechts entspricht und uns in E in­ klang mit der gesunden Volksanschauung bringt. Nun fragt es sich, wie diese Pflicht zu bezeichnen ist. D as Beispiel des Feuerwehrmanns macht deutlich, daß wir nur im ersten Falle von einer Rechtspflicht sprechen dürfen. Die Unterscheidung von Rechtspflicht und anderer Pflicht entspricht nicht der Unterscheidung, die wir hier im Auge haben. W ir sollten daher nicht von einer Rechtspflicht sprechen, sondern von der Pflicht schlechthin. Dafür spricht noch eine Erwägung. M it dem Wort „Rechtspflicht" ist die Vorstellung des Gegensatzes zur sittlichen Pflicht verbunden. W ir halten aber die Entgegensetzung von Recht und S itt­ lichkeit heute für überwunden. W ir kennen nur die Pflicht gegenüber der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft aber ist zugleich die Quelle der sittlichen wie der rechtlichen Pflicht. Beides ist im Grunde dasselbe. Dazu kommt die praktische Überlegung, daß das Wort „Rechtspflicht" doch immer wieder auf positivistische Vorstellungen führt. M an kann etwa darauf hinweisen, daß das Reichsgericht in dem bekannten F all der durch Unterlassung begangenen Kuppelei zunächst versucht hat, die Pflicht des Ehemanns zum Einschreiten aus den Bestimmungen des BGB. herzuleiten. W ir leiten solche Pflichten aus der konkreten Gemeinschaft her

und brauchen bei solchen Entscheidungen keinen Paragraphen. Das Wort Rechtspslicht aber verführt uns immer wieder dazu, zwischen rechtlichen und sitt­ lichen Pflichten zu unterscheiden. M an sollte vielmehr nur danach gehen, ob der Täter nach gesunder Volks­ anschauung zum Handeln verpflichtet war. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wer also nicht als Täter angesprochen werden kann, aber eine Unterlassung begangen hat, irgend­ einer Verpflichtung zu handeln zuwidergehandelt hat. Welcher Verpflichtung zu handeln, braucht nicht gesagt zu werden. Und auch wieder das Korrektiv: Wenn er strafwürdig erscheint, gemessen am Barometer der gesunden Volksanschauung. D as wäre die Ausein­ anderlegung der Sache in zwei Dinge: Ein Unter­ lassungsdelikt, das als Täterdelikt anzusehen ist, und ein Unterlassungsdelikt, das nicht eigentlich als T äter­ delikt angesehen werden kann, sondern eine all­ gemeinere Form der Unterlassungsdelikte ist, die wir schon konzipiert haben. Reichsgerichtsrat Niethammer: D as, was Herr Professor Dahm ausgeführt hat, ist durchaus richtig. Wir müssen bei dem Unterlassen zwei Gruppen unterscheiden, und es handelt sich für irns zunächst darum, daß wir uns erst einmal aus­ schließlich mit dem Unterlassen abgeben, das dem Handeln in jeder Richtung gleichzustellen ist. Denn es muß dem Richter gestattet sein, daß er innerhalb der ersten Gruppe den, der unterläßt, als den T ot­ schläger, Brandstifter, den Dieb bezeichnet. Ich möchte bitten, daß man zunächst die Aufmerksamkeit nur auf die Fälle dieser vollständigen Gleichstellung des Handelns mit dem Unterlassen lenkt und die zweite Gruppe dann gesondert betrachtet. Ob es möglich sein wird, die zweite Gruppe im Allgemeinen Teil zu er­ fassen, oder ob es nötig sein wird, sie in den Be­ sonderen Teil zu verweisen, das wird eine weitere Frage sein. M ir wäre es lieb, wenn es möglich wäre, sie in die allgemeinen Bestimmungen hineinzustellen. Staatssekretär Dr. Freister: Die Ausführungen, die ich machen wollte, er­ übrigen sich. Nach den Ausführungen von Herrn P ro ­ fessor Dahm scheint mir das die richtige Lösung zu sein, und soweit ich vorhin etwas anderes gesagt habe, habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Wenn man aber dazu käme, nur die erste Gruppe der Unterlassungsfälle zu regeln, und dann zu dem Ergebnis gelangen würde, daß die vorgesehene Rege­ lung der zweiten Gruppe nicht möglich sei, wäre auch die Regelung der ersten Gruppe unhaltbar. Ich gebe dieser Meinung Ausdruck, weil Herr Reichsgerichtsrat Niethammer so dringend geraten hat, zunächst nur über die erste Gruppe zu sprechen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D ann knüpfe ich gleich eine Frage daran. D as Unterlaffungsdelikt, das ein echtes Täterdelikt ist, würden S ie doch mit dem Strafrahm en des T äters versehen wollen. Wie würden Sie das andere, wo

der Betreffende nicht als Täter erscheint, behandeln wollen? (Professor Dr. Dahm: Dafür brauchen wir eine besondere Strafdrohung!) — Oder die Strafdrohung der T at mit Milderungs­ möglichkeit. (Professor Dr. Dahm: M it Milderungszwang! Staatssekretär Dr. Freister: M it der M aß­ gabe der Milderungsmöglichkeit wäre auch mein Bild.) — W ir haben ja auch den Milderungszwang immer abgelehnt. (Professor Dr. Dahm: D as würde dafür sprechen, daß man einen besonderen Rahmen ausstellt.) — M ir ist nur nicht klar, wie der Tatbestand dann im Besonderen Teil lauten sollte. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte zunächst einen Zwischenruf von mir klarstellen. Mein Zwischenruf: „Aber der Feuerwehr­ mann kann doch Brandstifter sein!" trifft insofern nicht zu, als dann, wenn der Feuerwehrmann ein­ greift, die Brandstiftung schon vollendet ist. Wenn er während des Brandstiftens hinzukäme, würde er nicht T äter der Brandstiftung sein, sondern käme als Ge­ hilfe in Frage. Dieses Beispiel möchte ich nicht weiter verwenden. Ich möchte mir ein Wort zu der Formulierung erlauben, die Herr Professor Dahm vorgeschlagen hat. Nach dieser Formulierung genügt es für eine Gleich­ stellung der Unterlassung mit der Handlung, daß gegen eine sittliche Pflicht verstoßen wird und die gesunde Volksanschauung die Person als Täter betrachtet. Wenn wir das tun, dann verlassen wir, glaube ich, das, was wir bei der zweiten Rechtserkenntnisquelle klar zum Ausdruck gebracht haben. W ir haben dort gesagt, daß es zur Bestrafung nicht genügt, daß die gesunde Volksanschauung die Bestrafung verlangt, sondern daß wir, um den Boden nicht unter den Füßen zu verlieren, auch noch an irgendeinen Rechts­ gedanken anknüpfen müssen. Es wäre ein Widerspruch in dieser Regelung, wenn wir einen Unterlassenden in mehr Fällen bestrafen würden als einen Han­ delnden. Wenn wir also das Unterlassen dem Handeln gleichstellen wollen, dann müssen wir meiner Über­ zeugung nach entsprechend verfahren und in § 859 Abs. 2 sagen: Eine Pflicht zum Handeln besteht auch dann, wenn der einem Gesetz zugrundeliegende Rechts­ gedanke und die gesunde Volksanschauung von ihm fordern, daß er den E intritt des Erfolges verhindert. Ich würde weiter vorschlagen, dann gleich hineinzu­ arbeiten: Dies gilt insbesondere, wenn er durch sein Tun die Gefahr herbeigeführt hat, daß ein bestimmter Erfolg eintritt. Damit erreichen wir das, was Herr Staatssekretär Freister selbst als nötig bezeichnet hat, vollständig und laufen doch nicht Gefahr, den Richter ohne Richtlinie zu lassen. W as dann den zweiten Tatbestand betrifft, die Frage eines echten Unterlassungsdelikts, so ist das in

meinen Augen nur eine Frage der Formulierung des allgemeinen Hilseleistungsparagraphen, und ich weiß nicht, ob wir gut daran tun, das jetzt hier zu erörtern; das gehört nach meiner Ansicht in den Besonderen Teil. Ich will nur nebenher mitteilen, daß wir in­ zwischen über diesen Hilfeleistungsparagraphen mit dem Innenministerium, dem Polizeiministerium, gesprochen haben, und daß wir von dort vor einer zu weiten Fassung eines solchen Hilfeleistungspara­ graphen gewarnt worden sind. Aber das scheint mir eine Frage für sich zu sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe vorhin schon dem Herrn Staatssekretär entgegengehalten, daß er beim Hinweis auf die Gesetzesanalogie zwar von der Strafwürdigkeit nach gesunder Volksanschauung, nicht aber von dem Rechts­ gedanken, an den das anknüpft, gesprochen hat. Staatssekretär Dr. Freister: Dagegen habe ich von meinem Standpunkt aus keine Erinnerung. Ich hatte darauf vorhin nicht ein­ zugehen brauchen, weil ich ausgeführt habe, daß es keinen Verstoß gegen die völkische Sittenordnung gibt, der nicht bei entsprechender Intensität in die Rechts­ ordnung, in die Sphäre des Strafbaren mündet. Es ist für mich auch gleichgültig, ob betont wird, daß der betreffende Satz der völkischen Sittenordnung in einem Gesetz als Rechtsgedanke Ausdruck gefunden haben muß. E s gibt, glaube ich, überhaupt kein Gebot der völkischen Sittenordnung, das sich nicht irgendwie, als Rechtsgedanke in einem Gesetz findet. Deshalb halte ich es für unmöglich, daß wegen Fehlens dieser Voraussetzung jemals Schwierigkeiten entstehen können. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Schwierigkeit der Verständigung beruht dar­ auf, daß bald von Sittlichkeit, bald von völkischer Sittenordnung die Rede ist, und daß diese beiden Begriffe nicht für jeden miteinander identisch sind. Sittlichkeit ist etwas viel Weiteres und enthält über­ haupt nur Gebote, die gar nicht erfüllbar sind; der Begriff „Sittenordnung" enthält dagegen nur Gebote, die erfüllbar sind, und die infolgedessen auch Rechts­ gebote sein können oder sein sollen. Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: Ich kann mich im ganzen nur mit den Vorschlägen von Herrn Professor Dahm einverstanden erklären. Eine Formulierung, die ich hier inzwischen aufgesetzt hatte, grenzt ungefähr an das, was Herr Professor Dahm sagen will. Entscheidend ist nach meiner Auf­ fassung, daß es in Zukunft unmöglich sein muß, etwa eine Freisprechung zu erlangen, weil keine gesetzliche Pflicht oder keine Rechtspflicht festgestellt werden kann, sondern etwa „nur" ein Verstoß gegen die Sittenordnung. Daß das unter allen Umständen ver­ hindert werden muß, darüber sind wir uns, glaube ich, einig. Es fragt sich nur, ob man sich an diesem Ziel irgendwie behindern lassen soll durch Schwierig-

fetten der Form ulierung. Ic h glaube nicht, daß man sagen kann: D as T u n ist dem Unterlassen gleich; infolgedessen muß der, der m tterläßt, genau so bestraft werden, wie der, der handelt. T u n und Unterlassen sind doch auch verschiedene W orte, aber Spiegelbilder; ebenso sind auch das Töten durch Handeln und durch Unterlassen Spiegelbilder, aber durchaus zwei ver­ schiedene Ausdrücke. M a n braucht nicht unbedingt zu sagen, daß derjenige, der es unterlassen hat eine Tötung abzuwenden, deswegen selbst ein Tötender ist, genau so wenig wie man sagt, daß der, der etwas unterläßt, etwas tut. Auch in der reinen W ortbildung ist man dazu nicht gezwungen. Gerade der W o rt­ gebrauch des Volkes geht davon aus, daß es etwas Verschiedenes, aber im Ergebnis, in der Behandlung gleichzusetzen ist. Deswegen würde ich mich nicht daran stoßen, daß jemand wegen Unterlassung, aber nicht als T äter bestraft w ird . W ir haben uns ja auch noch nicht darüber unterhalten, ob bei dem weiten Täterbegriff derjenige, der n u r Gehilfe ist, wörtlich wegen Täterschaft oder doch wegen B e ihilfe bestraft w ird. E r unterliegt jedenfalls dem großen T ä te r­ begriff. W arum soll nicht jemand, der dem großen Täterbegrisf unterliegt, aber etwas unterlassen hat, im Tenor wegen Unterlassung genau so bestraft werden wie wegen Beihilfe? D a sehe ich keine Schwierigkeiten. D ie Frage ist nun, ob man zwei Tatbestände auf­ nim m t, bezw. ob man, wenn man das tut, sie auf den Allgemeinen und den Besonderen T e il ve rte ilt oder beide in den Allgemeinen T e il stellt. D a kommt es ganz auf die Auffassung des Täterbegriffs an. Wenn man von dem kleinsten T äterbegriff ausgeht, also als T ä te r n u r denjenigen bezeichnet, der eine T a t aus­ führt, dann muß man einen zweiten Tatbestand schaffen. Wenn man aber von dem allgemeinen T äterbegriff ausgeht, der Anstifter und Gehilfen auch um­ faßt, dann würde auch derjenige, der die Unterlassung begeht, mindestens dann, wenn er von der gesunden Volksanschauung als T äte r im weiteren S inne ange­ sehen w ird , als m itverantw ortlich erfaßt werden müssen, also eine Gehilfenstellung dabei einnehmen müssen. Wenn man diesen allgemeinen Täterbegriff hier anwendet, kommt man sogar darum herum, noch einen zweiten Tatbestand aufzubauen, denn dann w ird von diesem allgemeinen T äterbegriff der gesamte T a t­ bestand der Unterlassung erfaßt. Aber das ist vielleicht mehr eine formelle Frage. Ich bin jedenfalls der M einung, daß man sonst den Vorschlägen von Herrn Professor Dahin zustimmen kann, und bitte n u r zu überlegen, ob es überhaupt nötig ist, einen zweiten Tatbestand zu schaffen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Demnach gehen S ie von dem Gedanken aus, daß, wenn B e ih ilfe durch Unterlassung geleistet w ird , eine echte B e ihilfe vorliegt. D as e rfü llt aber nun nicht den ganzen Raum, denn es kann doch sein, daß durch die Unterlassung ganz allein ein strafbarer E rfo lg herbeigeführt w ird . (D r. Gras von der Goltz: D ann ist sie der T a t im engeren S in n e gleichzusetzen.)

— D a gabeln sich die Wege. D ie Herren von K ie l sagen, entweder sei er nach der Volksanschauung der T äter, d. h. so gut wie der T äter, oder er sei es nicht; und sie fordern, daß in dem F alle, wo die Volksanschauung das sagt, m it der Täterstrafe und m it dem Unterlassungsdelikt operiert werden muß. I n dem anderen Falle, wo das Volk den Betreffenden nicht als T ä te r ansprechen würde, wollen die Herren auf einen besonderen Tatbestand hin. Professor D r. Schaffstein: Ich möchte zu den Ausführungen von H errn M in isteria ld ire kto r Schäfer S tellung nehmen. Ich glaube, daß es nicht richtig ist, wenn man nun an­ nim m t, daß die Dahmsche F orm ulierung die Bindung an das Gesetz oder an Rechtsgedanken, die im Gesetz fo rm u lie rt sind, vö llig verschwinden läßt. I m Gegen­ te il stellt die Form ulierung „w enn er nach gesunder Volksanschauung als T äte r erscheint" eine sehr starke B indung an die Rechtsgedanken des Gesetzes dar. Denn wer als T ä te r erscheint, das bestimmt sich doch nach den einzelnen Tätertypen, die sich aus den T a t­ beständen des Besonderen T e ils ergeben. T äter ist also der „M ö rd e r" oder der „Totschläger" oder der „D ie b " oder der ,B e trü g e r". Kurz, wer überhaupt T ä te r ist, läßt sich gar nicht allgemein und abstrakt bestimmen, wie w ir es gestern hier im Hinblick auf die Täterschaftsteilnahmeprobleme getan haben. Vielm ehr handelt es sich um einen konkreten B e g riff, dessen I n h a lt sich aus Delikten des Besonderen T e ils ergibt. Dadurch ist eine außerordentlich starke Bindung an das Gesetz erzielt, sehr vie l stärker, als sie etwa durch eine Form ulierung, die bloß auf den Rechts­ gedanken im Gesetz abstellen würde, jemals gegeben werden könnte. D ann ein paar W orte zu der Frage des zweiten Unterlassungstatbestandes, der noch übrigbleiben würde. Ic h würde ihn auch in den Allgemeinen T e il aufnehmen, denn ich fürchte, daß er, wenn er hinten im Besonderen T e il verschwindet, dort später wieder aufgespalten w ird , und daß dann nicht viel mehr herauskommt als das, was bisher schon in dem E n t­ w u rf steht; und das wäre allerdings v ie l zu wenig. Wenn die ganze Debatte d a r a u f hinauslaufen würde, dann hätten w ir einen S ch ritt zurück und nicht einen S ch ritt vo rw ärts getan. Ich würde es fü r unbedingt notwendig halten, auch diese zweite U nter­ lassungsbestimmung hier schon zu form ulieren, und glaube auch, daß es richtig ist, sie in den Allgemeinen T e il aufzunehmen. Ich würde es auch für richtig halten, sie hinsichtlich der Strafdrohung m it der Täterstrafe zuzüglich K ann-M ilderung zu versehen, denn w ir müssen uns doch darüber klar sein, daß eine scharfe Grenze zwischen der ersten und der zweiten Gruppe der Unterlassungsdelikte nicht besteht. Eine M uß -M ild e ru n g würde deshalb nicht n u r der bisher verfolgten Gesetzestechnik widersprechen, sondern auch dem Zusammenhang beider F älle nicht gerecht werden; sie würde etwas, was unm ittelbar aneinandergrenzt, zu scharf auseinanderreißen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Also der Betreffende muß vom Volk als Täter, bezogen auf einen bestimmten Tatbestand, angesprochen werden. Wenn das gemeint ist, dann ist die Anleh­ nung an den Rechtsgedanken allerdings sehr viel enger, als wir es selbst bei der Rechtsquellenlehre gewollt haben. (Profeffor D r. Dahm: Dieses Bedenken wird doch ausgeräumt durch eine Kann-Milderung!) Professor D r. Mezger: Der Vorschlag des Herrn Kollegen Dahm, bei der Abgrenzung der strafbaren Unterlassung auf die Gleichstellung mit dem T ä t e r Bezug zu nehmen, hat uns meiner Auffassung nach wirklich einen Schritt vorwärts gebracht. D as ist in der T at der ent­ scheidende Gesichtspunkt, um den es sich bei § 359 handelt. Und weil das der entscheidende Gesichtspunkt ist, möchte ich auch dem weiteren Vorschlag zustimmen, sprachlich das Wort „Täter" ausdrücklich zu ver­ wenden. Ich fasse allerdings dabei das Wort „Täter" durchaus im Sinne des umfassenden Täterbegrisfs. Wenn das nicht der F all sein sollte, so müßte das be­ sonders gesagt werden; denn der, der durch sein Unter­ lassen als Anstifter oder Gehilfe erscheint, gehört gleichfalls hierher. Die Fälle des § 359 müssen durch eine scharfe Jdentitätsfeststellung mit dem Täter herausgehoben werden. Dies geschieht in ausgezeich­ neter Weise in dem Vorschlag Dahm. So sehr ich aber dieses Positive betone, so sehr fühle ich mich genötigt, mit aller Schärfe auch die andere, die negative Seite hervorzuheben. E s geht unter keinen Umständen an, dasjenige Unterlassungs­ delikt, das n i c h t mit der Täterschaft gleichzustellen ist, irgendwie wieder auf die konkreten Tatbestände zu beziehen. Insbesondere ist es unzulässig, irgendwie auf die Strafdrohungen zu verweisen, die auf solche konkrete Taten bezogen sind. M it solchen Versuchen, die beiden Gruppen von Unterlassungen einander gleichzustellen — ob das nun unter dem zarten Schleier der Kann-Milderung oder dem etwas dichteren Schleier der Muß-Milderung geschieht — , begeben wir uns in Gefahr, uns im Kreise zu drehen. F ü r das Unterlassungsdelikt, das nach Ausscheidung der tätergleichen Fälle übrigbleibt, muß notwendig ein b e s o n d e r e r Strafrahmen gefunden werden. Deshalb gehören diese Fälle logischerweise in den Besonderen Teil. Ich will aber auf der Berücksichti­ gung dieses formallogischen Gesichtspunktes nicht be­ sonders bestehen; man könnte zur Not den Schönheits­ fehler mit in Kauf nehmen, eine solche besondere Strafdrohung in den Allgemeinen Teil aufzunehmen. Aber Bezug zu nehmen auf die einzelnen Delikte und i h r e Strafdrohungen und dies durch Kann- oder Muß-Milderungen nur etwas abzuschwächen, das geht nicht an; das wäre genau das, was im Anfang gerade vermieden werden sollte. Reichsjustizminister D r. Gürtner: S ie ziehen jetzt die Folgerung aus Ih re r vor­ herigen Belehrung, die S ie uns mit unabwendbarer

Deutlichkeit gegeben haben. S ie sagten vorhin: Beim unechten Unterlaffungsdelikt darf man nicht fragen, ob der M ann strafwürdig sei, weil er die Unterlassung begangen habe, sondern man muß fragen, ob die Be­ strafung aus der T at verlangt wird. Nach der Ansicht der Gruppe Dahm-Schaffstein wird der M ann bloß bestraft, weil er eine Unterlassung begangen hat, er soll nicht als Täter angesprochen werden. Staatssekretär Dr. Freister: Ich will der Notwendigkeit der Trennung beider Gruppen Rechnung tragen, mache aber den Vorschlag, die ganze Frage im Allgemeinen Teil, und zwar im unmittelbaren Anschluß aneinander zu regeln. D as bedeutet nichts anderes als eine Kombination des Vorschlages Graf von der Goltz und des Vorschlages Schäfer. Ich denke mir das etwa so: Erstens: Eine Unterlassung betrachtet das Gesetz als Tun, wenn das Volk das Unterlassen wie das Tun wertet. D as ist der Grundgedanke von Herrn Profeffor Dahm. Es bedeutet zwar eine große Vollmacht an den Richter; aber diese Vollmacht können wir geben. Zweitens: Es wird bestraft, wer es schuldhaft unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, wenn er verpflichtet ist, den E in­ tritt des Erfolges zu verhindern. D as bedeutet eine Anlehnung an den Vorschlag Gras von der Goltz und an unsere Beschlüsse der ersten Lesung unter Weg­ lassung des Wortes „rechtlich" und ohne Einsetzen des Wortes „sittlich". Diese Fassung trägt auch dem Rechnung, was Herr Professor Dahm vorhin ausge­ führt hat, daß es unmöglich sei, nach Rechtspflicht und sittlicher Pflicht zu scheiden. Nun sollte man den Vorschlag von Herrn Ministerialdirektor Schäfer heranziehen: Eine Pflicht zur Verhinderung besteht dann, wenn der einem Gesetz zugrunde liegende Rechtsgedanke und die gesunde Volksanschauung diese Verhinderung fordern, vor allem also, wenn der Unterlassende durch sein Tun selbst die Gefahr des Erfolgs herbeigeführt hat. Bei dieser zweiten Be­ stimmung kommt die Wendung hinzu: „Die Strafe kann gemildert werden". Damit ist weggelassen die Zumutbarkeit, die in dem Vorschlag Graf von der Goltz enthalten ist, allerdings nur scheinbar wegge­ lassen; denn die Prüfung der Zumutbarkeit ist auch erforderlich, um zu entscheiden, ob nach der gesunden Volksanschauung die Pflicht zum Handeln bejaht werden kann. Die Zumutbarkeit ist also nur, um nicht zweimal dasselbe zu sagen, weggelassen worden. Ich muß anerkennen, daß mein Punkt 2 die Funktion eines Tatbestandes des Besonderen Teils hat, Punkt 1 dagegen nicht, und daß deshalb, rein logisch aufgebaut, Punkt 2 in den Besonderen Teil gehört. Ich bin aber nicht der Meinung, daß ein formales Ordnungsprinzip maßgebend sein sollte, und habe auch Herrn Profeffor Mezger so verstanden, daß er sich damit einverstanden erklären würde, wenn man die ganze Regelung in den Allgemeinen Teil brächte. Allerdings würde ich vorschlagen, an Stelle des § 359 zwei getrennte Paragraphen zu setzen, um damit die grundsätzliche Verschiedenheit dieser beiden Bestim­ mungen hervorzuheben.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine Frage! Es heißt also: „Unterlasten ist dem Tun gleich, wenn das Volk die Unterlassung gleich dem Tun wertet". Hat der Satz überhaupt einen In h alt?

wesentlich ab. W ir alle sind doch der Ansicht: W ir wollen im weitesten Umfange eine sittliche Pflicht als Pflicht zum Handeln begründen und anerkennen. Der S treit geht nur darum, wie weit wir die sittliche Pflicht anerkennen wollen, und um die eine Frage, ob wir sagen wollen: Sittliche Pflicht und gesunde Staatssekretär Dr. Freister: Volksanschauung genügen, oder, wie mein Vorschlag J a , Herr Minister, Punkt 1 will an erster Stelle sagt: Sittliche Pflicht plus Volksanschauung plus eine das sagen, was Herr Professor Dahm hervorhebt: Es Bezugnahme aus tragende Rechtsgedanken sollen ge­ gibt Unterlassungsfälle, die das Volk wie Tun ansieht. nügen. D as geht nicht weit auseinander. Ich möchte an einem Beispiel zeigen, worin ich die Gefahr sehe, (Reichsminister Dr. Gürtner: Aber Herr P ro ­ wenn man meinem Vorschlag nicht zustimmt. fessor Dahm spricht nicht vom Tun und Unter­ lassen, sondern vom Täter!) Zunächst aber möchte ich fragen, ob die Fassung — S o ist mein Vorschlag auch gemeint. Ich bitte, ihn Dahm genügt, die besagt „wenn eine sittliche Pflicht entsprechend zu ändern: „wenn das Volk den Unter­ besteht und die gesunde Volksanschauung ihn als lassenden als Täter wertet". T äter behandelt". (Professor Dr. Dahm: Wenn er nach gesunder Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Volksanschauung als Täter erscheint!) Die Wendung „Unterlassen steht dem Tun gleich" scheint mir, abgesehen davon, daß sie etwas akademisch — Ich glaube, daß diese Worte „als T äter erscheint" klingt, doch nicht dasselbe zu sein, als wenn man vom nicht klar genug sind; ich möchte fast meinen, sie passen Täter spräche. Wenn Herr Staatssekretär Dr. Freister gar nicht, um das auszusagen, was wir hier wollen. soeben gesagt hat, daß das der S in n seines Vor­ Die Worte „als Täter erscheint" führen dazu zu schlages sei, dann wäre es besser und deutlicher, vom fragen, ob man die T at als eigene oder als fremde will. Zum mindesten ist diese Betrachtungsweise „Unterlassenden" und vom „Täter" zu sprechen. möglich. I n Wahrheit meinen die Herren Professoren (Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: Dahm und Schaffstein etwas ganz anderes. Sie „Täter" im engeren oder weiteren S in n ?) meinen doch „als strafwürdig wie ein Täter" und — I n dem Sinne, wie der Begriff im Gesetz immer „als strafwürdig wie ein Gehilfe erscheint". Sie gemeint ist: im weitesten Sinne. haben das nachher so ausgedrückt: D as Volk will, daß (Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: er wie ein Täter bestraft wird. Dann ist das vollkommen klar!) Nun darf ich versuchen, ein praktisches Beispiel zu — Auch wenn das nicht der Fall ist, so wird nach dem­ bilden, um zu zeigen, wo ich die Gefahr sehe, wenn selben Strafrahm en wie der Täter bestraft, wer es hier die Bezugnahme auf tragende Rechtsgedanken schuldhaft unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, dessen fortbleibt. Ich setze zunächst den Fall: A verführt ein E intritt zu verhindern er verpflichtet ist. Also auch Ibjähriges, unbescholtenes Mädchen. Die Mutter ist wenn die Sache nicht so liegt, daß das Volk ihn als dabei und greift nicht ein, sondern verläßt nach dem Täter anspricht, soll er wegen Unterlassung wie ein Muster M artha und Gretchen zum gegebenen Zeit­ Täter bestraft werden, punkt das Zimmer und geht für zwei Stunden weg, (Staatssekretär Dr. Freister: J a , aus dem obwohl sie voraussieht, was geschehen wird. D as ist Strafgesetz!) der F all der Beihilfe zur Verführung. Sie werden falls er es schuldhast unterlassen hat, einzugreifen. die M utter für strafwürdig halten; das geltende Recht Nun frage ich: Warum überhaupt die Aufspaltung? würde sie auch bestrafen wegen Beihilfe zur Ver­ führung. Nun ist noch eine Dritte da, die 17jährige Wegen der Strafmilderung! Freundin der 15jährigen. Die sieht, was kommen Staatssekretär Dr. Freister: wird, und sie geht fort. Eine sittliche Pflicht, in J a , das ist der eine Grund, und dann zweitens: diesem Augenblick nicht fortzugehen, werden jedenfalls E r ist nicht der Täter, er wird nicht als solcher be­ viele bejahen. Ob die gesunde Volksanschauung die zeichnet, er trägt nicht den Makel des Täters. E r wird Freundin als Gehilfin für strafwürdig hält, weiß ich entsprechend auch im Strafregister nicht als Täter nicht; vermutlich wird sie es verneinen. Und nun darf ich als viertes Beispiel setzen: Dieser Verführer ist gekennzeichnet. ein Nichtarier. Dann sagt die gesunde Volksanschau­ Ministerialdirektor Schäfer: ung bezüglich der 17jährigen Freundin, die weggeht: Ich will im Augenblick nicht auf die Fassung der S ie hat eine sittliche Pflicht verletzt. Und jetzt stehen Vorschläge von Herrn Staatssekretär Dr. Freister wir vor dem großen Fragezeichen, daß wir nicht eingehen, weil ich glaube, wir müssen uns erst in der wissen, ob die Gerichte hier einheitlich urteilen Sache klar werden, ehe wir über die Fassung selbst würden. D as sind die Fälle, die w ir durchgesprochen sprechen können. Die Ansicht des Herrn Grasen von haben, als wir uns die Frage vorlegten, ob wir bei der Goltz und meine eigene Ansicht gehen, glaube ich, der zweiten Rechtsquelle noch etwas neben den sitt­ gar nicht weit auseinander; auch die Ansichten des lichen Pflichten und neben der gesunden Volksan­ Herrn Staatssekretär Dr. Freister und der Herren schauung brauchten, ob wir da noch etwas Drittes Professoren Dahm und Schassstein weichen nicht brauchten: die Bezugnahme auf tragende Rechtsge-

danken irgendwelcher Art. W as wir dort getan haben, müßten wir auch hier tun, wenn wir es gut mit der Rechtspflege meinen, und -wenn wir uns unserer Verantwortung voll bewußt sind. D as be­ stimmt mich hier zu sagen: Es muß noch etwas hinein, wie bei der zweiten Rechtserkenntnisquelle. Schließ­ lich muß alles, was wir im Strafrecht machen, in Zusammenhang mit dem gesamten Rechtssystem stehen. Deshalb sollten wir auch an dieser Stelle außer der sittlichen Pflicht und der gesunden Volksanschauung die Bezugnahme auf tragende Rechtsgedanken an­ führen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich darf vielleicht einen Gedanken dazwischen­ schalten, der mich bei der ganzen Diskussion begleitet: Der Täter, der durch eine aktive Handlung ein S traf­ gesetz verletzt, verletzt ein Gebot; denn jedes S traf­ gesetz enthält einen Im perativ. Zunächst liegt da der gesetzgeberische Befehl vor, und wenn ein solcher ausdrücklicher Befehl nicht vorliegt, dann sollen diese Elemente eintreten: die gesunde Volksanschauung ver­ langt, daß auch eine Verletzung von Verboten bestraft wird, die nicht im Gesetz stehen. Aber dieser Gedanke müßte doch im Gesetz irgendeinen erkennbaren Kristallisationspunkt haben. Ich meine, eine gesunde Volks­ anschauung oder eine sittliche Auffassung muß doch so weit verdichtet sein, daß sie sich irgendwo im Recht kristallisiert hat. S o, wenn jemand ein Verbot zu handeln verletzt. Wie nun, wenn jemand ein Gebot zum Handeln nicht erfüllt? E s ist schwierig, sich vorzustellen, daß man das nach einem anderen Maßstab messen kann. Denn hier bei der Unterlassung verletzt er nicht ein Verbot zum Handeln, sondern kommt einem Befehl zum Handeln nicht nach. Der Befehl kann in dem Gesetz beruhen, kann auf einem Vertrag beruhen, aus einem gerichtlichen oder bedungenen Recht; aber er kann auch anderswoher kommen, und ich kann mir schwer vorstellen, daß wir das anders skizzieren können, als wir es vorher beim verletzten Gebot ge­ macht haben. Professor Dr. Dahm: Ich würde entscheidendes Gewicht darauf legen, ob der Unterlassende nach gesunder Volksanschauung „als Täter erscheint". Es kommt auf das Wesen des T äters an. Die Bestimmungen über Mord und Diebstahl finden nur auf denjenigen Anwendung, der seinem Wesen nach als Täter erscheint. Die Gleich­ stellung von Tun und Unterlassung entspricht einem Denken, das nur auf das Rechtsgut sieht und keinen Wert daraus legt, wie die Rechtsgutverletzung bewirkt worden ist. Gibt man dieses Denken preis, so gliedert sich die Unterlassung auf. Technisch könnte ich mir diese Gliederung in Gestalt einer Bestimmung denken, die folgendes besagt: „Absatz 1: Wer es schuldhaft unter­ läßt, den Erfolg abzuwenden, wird als Täter bestraft, wenn er verpflichtet ist, den E intritt des Erfolges zu verhindern und nach gesunder Volksanschauung als T äter erscheint. Absatz 2: Auch wer es, abgesehen von den Fällen des Absatz 1, schuldhaft unterläßt, den

E intritt des Erfolges zu verhindern, wird bestraft, wenn die gesunde Volksanschauung Bestrafung ver­ langt. Die S trafe wird dem Gesetz entnommen, das für die T at vorgesehen ist. Die S trafe kann aber gemildert werden." Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich werde eben gefragt, worin der Unterschied zwischen den Absätzen 1 und 2 liege. Nach Absatz 1 würde der Unterlassende von der gesunden Volks­ anschauung als Täter angesprochen werden, während nach Absatz 2 die gesunde Bolksanschauung nicht sagt: „D er ist Brandstifter", sondern: „Der hat es in sehr übler Weise unterlassen, diesen leicht zu löschenden B rand zu verhindern". W ir geraten mit dieser Absatzteilung ziemlich in das Fahrwasser des Unterschiedes von echten und unechten Unterlassungsdelikten, wobei Absatz 1 die unechten, Absatz 2 die echten Unterlassungsdelikte umfaßt. Ich weiß allerdings nicht genau, ob sich das vollständig deckt. Aber ich habe das Gefühl, daß das der Peilkompaß ist. Professor Dr. Dahm: Herr Professor Kohlrausch richtet an mich die Frage, ob mein Vorschlag nicht darauf hinausläuft, daß die unechten Unterlassungsverbrechen in echte verwandelt werden. Diese Frage würde ich für die Fälle des Absatz 2 bejahen. Staatssekretär Dr. Freister: M it diesem Formulierungsvorschlag von Herrn Professor Dahm muß ich naturgemäß einverstanden sein; denn er enthält ungefähr dasselbe, was ich vorhin, allerdings etwas weniger genau, skizziert habe. Ich selbst hatte — und darin unterscheidet sich einzig und allein mein Vorschlag von dem Vorschlage des Herrn Professor Dahm — dem Wunsche Rechnung tragen wollen, daß diese Pflicht zum Handeln irgend­ wie näher bezeichnet wird, und bin nun nicht der Meinung von Herrn Professor Dahm, daß darin eine Gefahr bestände. Ob man nämlich diese unsere Be­ zeichnung der Pflicht aufnimmt oder nicht, scheint mir vollkommen gleichgültig zu sein. Aber ich weiß, daß z. B. Herr Ministerialdirektor Schäfer darüber ganz anderer Meinung ist; denn darüber haben wir ja lang und breit diskutiert, als es sich darum handelte, die Voraussetzungen für die Analogie aufzustellen. Ich bin mit dieser Formulierung bei der Analogie ein­ verstanden gewesen, und deshalb bin ich auch hier damit einverstanden, daß eine nähere Bezeichnung der Pflicht aufgenommen wird. S o sehr und so wenig das dort eine Schwierigkeit machen wird, so sehr und so wenig auch hier. Denn was wird denn verlangt? Es wird nur verlangt, daß der in einem Gesetz nicht aus­ gesprochene und genannte, sondern der einem Gesetz zugrundeliegende Rechtsgedanke ein Handeln fordert. D as heißt natürlich nicht, daß irgendwo im Gesetz ein Befehl enthalten ist, daß gehandelt werden muß, sondern es genügt, daß dem Gesetz z. B. der allge­ meine Grundsatz: Gemeinnutz geht vor Eigennutz —

zugrundeliegt und daß dieser Grundsatz ein Handeln fordert. Es kommt immer darauf an, wie hoch ich als Richter hinaufsteigen darf, um das Land unter mir, nämlich die Gesetze, in denen die Rechtsgedanken sind, zu überschauen, und wieweit ich in die äußersten Rechtsgedanken eindringen darf. Auch die Rechts­ gedanken sind doch nicht etwas anarchisch Nebenein­ anderliegendes, sondern lassen sich ordnen und in allerletzte und höchste Rechtsgedanken, die dann immer Gedanken der sittlichen Volksordnung sind, einordnen. Deshalb bin ich der Meinung, daß eine solche Be­ grenzung weder bei der Analogie noch hier Schwierig­ keiten macht, und wenn wir sie weglassen würden, sowohl dort wie hier, dann wäre es ganz genau das­ selbe. Ich weiß nun, daß Herr Ministerialdirektor Schäfer der Meinung ist, daß eine solche Fassung schon zur Verdeutlichung gut ist; also warum soll man sie dann nicht so wählen? I h r Einwand, Herr Professor Dahm, daß positive Vorschriften: „handle nach diesem oder jenem Rechtsgedanken" in unseren Gesetzen doch nur selten seien, weil ein großer Teil unserer Gesetze Verbotsgesetze sind, scheint mir deshalb nicht durch­ schlagend zu sein, weil das hier gar nicht verlangt wird. Meine Formulierung verlangt nur, daß irgendeinem Gesetz ein Rechtsgedanke zugrundeliegt, aus dem der Richter schließt, daß der Unterlassende handeln mußte; dieser Rechtsgedanke, nicht das Gesetz erfordert das Handeln. Eine solche Einschränkung wird niemals, wenn es daraus ankommt, einen Strafwürdigen zu bestrafen, dem Gericht Schwierig­ keiten machen. Deshalb bin ich der Meinung, daß es sich eigentlich nicht lohnt, uns darüber lange zu unter­ halten, ob es nun richtig oder nicht richtig ist, diese „Begrenzung" aufzunehmen, und ich entnehme aus Ihrem Nicken, daß auch Sie jetzt meinen, daß sie ruhig aufgenommen werden mag. D as bedeutet also, daß wir darüber jetzt völlig einig sind. Nun kommt eine andere, allerdings wesentlich tiefere Meinungsverschiedenheit. Sie bezieht sich auf den Absatz 1 des Vorschlags von Herrn Professor Dahm. Dieser deckt sich, nachdem ich erklärt habe, daß ich durch die Wahl des Wortes „Tun" nichts anderes habe sagen wollen wie „als Täter erscheinen" — voll­ kommen mit meinem Vorschlage. Da aber ergibt sich der Widerspruch von Herrn Ministerialdirektor Schäfer. Dieser meint, die Fassung sei gefährlich und bedenklich, der Absatz sei auch unnötig. Ob er unnötig ist, darüber kann man reden. Wenn wir nämlich im Absatz 2 sagen: Abgesehen von den Fällen des Absatz 1 gilt diese Regelung des Absatz 2, dann ist es natürlich schwierig, dem Einwand zu begegnen, warum über­ haupt die Teilung vorgenommen werde. Die Tatsache, daß im ersten Falle keine Milderung eintritt, während im zweiten Fall die Milderungsmöglichkeit zugelassen wird, sei kein Grund für eine solche Teilung. Denn man könnte darauf vertrauen, daß der Richter in den Fällen des Absatz 1, da er ja nur mildern kann und nicht mildern muß, eben nicht mildern werde. D as ist nicht das, was ich sage, aber was man uns, gesehen von den praktischen Folgerungen dieser Teilung aus, entgegenhalten könnte. Darauf

können wir meiner Ansicht nach nur antworten, daß für unsere Regelung die Erkenntnis entscheidend ist, daß Unterlassung und Unterlassung nicht dasselbe ist, und zwar nicht etwa mit Rücksicht auf juristische Begriffe von echter oder unechter Unterlassung, sondern deshalb, weil die gesunde Volksanschauung eben die Unterlassungstäter tatsächlich nicht gleich betrachtet. Und weil wir nun dieser Meinung sind, müssen wir es auch zum Ausdruck bringen. Sie, Herr Ministerialdirektor, haben selbst vorhin hervor­ gehoben, daß der eine Unterlassungstäter z. B. bei Brandstiftung Brandstifter sei, während der andere dies nicht sei, und haben es als falsch empfunden, daß man den einen, der nicht Brandstifter ist, als solchen bezeichnet. W ir haben, einmal von unserer Grund­ einstellung aus, zweitens aber auch damit zugleich Ihrem Einwand Rechnung tragend und ihn honorie­ rend, nun einen Vorschlag gemacht, der es tatsächlich ermöglicht, ja sogar anordnet, daß der eine eben als Brandstifter, der andere nicht als solcher bestraft wird. Wenn S ie nun von Anfang an — und ganz mit Recht — so viel Wert daraus gelegt haben, daß nicht jemand als Brandstifter gebrandmarkt durchs Leben geht, der keiner ist, dann, meine ich, müßten nun auch S ie einen Formulierungsvorschlag machen, der dieser Unterscheidung Rechnung trägt. W ir haben diese Unterscheidung in unseren Vorschlag ausgenommen, weil sie uns auch grundsätzlich notwendig erscheint. Ih n en erscheint sie mindestens praktisch notwendig. Ich glaube nun nicht, daß S ie in der Lage sein werden, den Brandstifter, den wir auch als solchen bezeichnen wollen, anders zu umschreiben als dadurch, daß S ie sagen: Es ist derjenige, der durch eine Unter­ lassung einen Brand verursacht hat und den das Volk als Brandstifter betrachtet. Ich habe bisher noch keinen Versuch gehört, diesen Täter in anderer Weise zu umschreiben, und deshalb wäre es doch nötig, ein­ mal zu hören, wie Sie denn selbst, da Sie ja die Unterscheidung auch wünschen, diese aufbauen wollen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde bitten, bei der Diskussion das Beispiel vom Feuerwehrmann endgültig fallenzulassen. D as Beispiel ist nach jeder Richtung hin schief, erweckt immer wieder ein falsches Vorstellungsbild, weil es doch eine gebotene Handlung, die Brandstiftung zu unterlassen, nicht geben kann, wenn die Brandstiftung fertig ist. D as war das Falsche an dem Beispiel, und darum führt das Beispiel immer wieder dazu, alle Linien quer und schief anzusehen. (Staatssekretär Dr. Freister: Jem and sticht einem M ann den Dolch in die Brust. Er ist noch nicht bis zum Herzen gedrungen. Dann ist der Mord noch nicht fertig. D ann kommt ein anderer hinzu und tut nichts dagegen.) — Auch dieses Beispiel scheint mir nicht scharf aus dem Leben gegriffen zu sein. Meine Herren, ich habe den Eindruck, daß man sich ungefähr schon in einer Linie und zu einem gemein­ samen Ziel hin bewegt. Was mich aber jetzt sehr stark erfüllt, das ist die Vorstellung, wie kompliziert wir die Unterlassung in dem neuen Strafgesetzbuch machen.

Eine gewisse schwüle Kompliziertheit lagert auf allen Lösungsversuchen, die bisher gemacht worden sind, am wenigsten noch in der Diktion Dahm. Bei dieser Lage der Sache wäre doch auch die Frage begründet: Brauchen wir diese Aufteilung in Täterunterlassung und in die andere Unterlassung, wenn wir sie nicht mit der Kannmilderung begründen wollen? Soweit es sich um echte Unterlassungsdelikte handelt, brauchen w ir die Aufteilung nicht, denn auf die echten Unter­ lassungsdelikte werden w ir in dem Umsang, den wir bisher haben, kaum verzichten können: „D u darfst nicht unterlassen, das und das zu tun." Und soweit es sich um die anderen handelt, kommt dann der, der durch Unterlassung mitwirkt, nicht schon von selbst als Täter oder als Gehilfe in Frage? D as ist mir bis jetzt noch nicht ganz klar geworden. Ich habe das Gefühl, wir verlieren uns jetzt sehr stark ins Akade­ mische und haben wieder einmal die Gesetzessprache mit der Kathedersprache ein wenig verwechselt. Alle Lösungsversuche scheinen mir der Forderung einer einfachen und schlichten gesetzlichen Regelung noch nicht zu entsprechen. D as ist alles viel zu kompliziert. Wir kommen immer mehr zur Aufspaltung der Begriffe und immer mehr zu einer Auffaserung von ganz ein­ fachen Dingen, die bis jetzt gar keine Schwierigkeiten gemacht haben. D as ist vorläufig mein Eindruck. Professor Dr. Kohlrausch: Ich möchte mich abschließend zu dem Vorschlag von Herrn Kollegen Dahm, der eine Zweiteilung vorsieht, noch nicht äußern, weil ich noch nicht ganz klar sehe. Aber alles in allem berührt er mich sympathisch. Ob der Gedanke im Gesetz ausgedrückt werden soll oder ob er der nachträglichen Konstruktion zu überlasten ist, das freilich ist mir zweifelhaft. Ich teile da die Bedenken des Herrn Ministers, daß wir hier eine akademische Frage im Gesetz zu entscheiden im Begriff sind, ohne Folgen aus der Zweiteilung zu ziehen. Wenn wir sie in der Richtung der Strafmilderung ziehen, dann hat sie natürlich Bedeutung. Dann aber, glaube ich, müssen w ir von vornherein unseren T äter­ begriff anders fasten. Ich will hier nicht wiederholen, was ich zur Frage der Täterschaft und der Teilnahme gesagt habe. Aber ich glaube, das, was heute der Herr Kollege Dahm ausgeführt hat, entspricht im Grunde dem Gedanken, daß Täter nur der sein kann, der die T at als eigene will, und daß aber auch immer Täter der ist, der die T at als eigene will. Wichtiger ist die Frage: W o r a u f g r ü n d e t sich d i e P f l i c h t z u m T u n ? Das ist die Frage, zu der der Gesetzgeber bisher nie Stellung genommen hat. Wistenschaft und P raxis treiben in dieser Frage heute eine Verschleierungspolitik. Es haben sich drei Gruppen herauskristallisiert, in denen angeblich eine Pflicht zum Tun bestehen soll. M an sagt: sie kann beruhen erstens auf Gesetz, zweitens auf vorherigem Tun, drittens auf vertraglicher Übernahme. Die erste Gruppe mag halbwegs zweifellos sein. Die zweite und dritte Gruppe schweben aber in Wahrheit in der Lust. E s ist ganz richtig von namhafter Seite gesagt worden: D as sei höchstens Gewohnheitsrecht. Dieses Gewohnheitsrecht jetzt einmal unter die Lupe des

Gesetzgebers zu nehmen, scheint mir richtig zu sein. Wenn man das aber versucht, dann, glaube ich, kommt man zu einer Anschauung, die bisher vom Reichs­ gericht und von der Theorie immer abgelehnt worden ist, daß es sich nämlich in Wahrheit um sittliche Pflichten handelt. Wenn wir also jetzt die sittliche Hilfepflicht ins Gesetz expressis verbis aufnehmen, so halte ich das für eine Konsequenz der Ehrlichkeit. Wenn ferner im Gesetz gesagt werden soll: „Wer durch sein Tun die Gefahr herbeiführt, daß ein schäd­ licher oder ein rechtswidriger Erfolg eintritt, ist ver­ pflichtet, diese Gefahr abzuwenden", so ist das ein Satz, der teils selbstverständlich ist, teils zu weit geht. Die P f l i c h t mag bestehen. Aber daß ihre Nicht­ erfüllung st r a f b a r macht, ist keineswegs selbstver­ ständlich. Sie erinnern sich vielleicht an den Prozeß Stinnes jun., wo diese Probleme zur Entscheidung standen. Stinnes hatte jemandem eine große Summe Geldes geliehen, aus rein geschäftlichen Gründen. E r hat dann erfahren, daß der Geldentleiher im Ausland mit diesem Geld unter Ausnutzung der Devisenlage das Deutsche Reich schwer durch betrügerische Handlungen zu schädigen im Begriff war. E r hat die Amtsstellen des Deutschen Reichs nicht gewarnt, und die Frage w ar: I s t das eine strafbare Beihilfe zum Betrug, begangen durch Unterlassung? Wenn wir uns hier aus den Standpunkt stellen: Wer rein objektiv die Gefahr herbeiführt, der muß, auch wenn die Gefahr in eine Verletzung umzuschlagen droht, den Gefähr­ deten warnen, widrigenfalls er ein Delikt durch Unterlassung begeht, würden wir hier, aber auch in unzähligen anderen, viel harmloseren Fällen strafen müssen. Nehmen wir folgenden Fall: Zu mir kommt ein abgerissener armer Teufel, der aber einen sehr netten und sympathischen Eindruck macht. E r bettelt mich an, und ich schenke ihm einen guten und schönen Anzug. Am nächsten Tage erfahre ich, daß er unter Benutzung dieses Anzuges einen Hochstaplerischen Be­ trug gegenüber dem mir oberflächlich bekannten 3£. begehen will. B in ich strafbar wegen Beihilfe zum Betrug, wenn ich den 3E. nicht warne? D as ist der F all S tinnes ins Harmlose übertragen. Selbst diejenigen, die im Falle Stinnes strafen wollen, werden hier viel­ leicht nicht strafen. Warum eigentlich nicht? Ich komme nicht sehr viel weiter, als daß ich sage: I m ersten Falle — im Falle S tinnes — fordert die gesunde Volksanschauung Bestrafung, im zweiten Falle nicht. Ich habe also nichts dagegen, wenn diese „gesunde Volksanschauung" gerade hier als Quelle einer rechtlichen Pflicht herbeigezogen wird. Ich bin m ir der Gefahr bewußt und vertraue darauf, daß die P raxis nichts anderes tun wird als bisher auch; glaube aber, daß das Gesetz dann ehrlicher aussieht, vielleicht noch etwas stärker der gesunden Volks­ anschauung nachgeht. Wenn nun Herr Ministerialdirektor Schäfer sagt: w ir müssen aber doch irgendwie auf einen i m G e s e tz o d e r i m Recht zu f i n d e n d e n R e c h t s ­ g e d a n k e n B e z u g n e h m e n , so teile ich die Motive, aus denen dieser Wunsch entspringt, durch-

aus. Aber ich stimme hier Herrn Staatssekretär Freister bei, indem ich sage: D as führt zu nichts in unserem Falle. J c h k a n n n i c h t a u s V e r b o t s norm en „analog" auf G e b o ts n o r m e n s c h l i e ß e n . Wenn ich das könnte, brauchte ich mir überhaupt den Kops nicht zu zerbrechen. Daß zum Beispiel das T ö t u n g s v e r b o t ein Rechtsverbot ist, ist unbestreitbar. Aber ob und inwieweit aus ihm ein G e b o t d e r L e b e n s r e t t u n g folgt — das gerade ist doch die Frage. M an kann ein ausdrück­ liches Verbot erweitern zu „ähnlichen" Verboten, auch ein ausdrückliches Gebot zu ähnlichen Geboten. Aber mit „Analogie" kann man niemals aus Ver­ boten Gebote ableiten. Damit würde man sich selber nur etwas vortäuschen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich vertrete den Gedanken, daß wir bei der Gleichsetzung von Unterlaßen und Tun zu der sitt­ lichen Pflicht noch irgendeine Bezugnahme auf den Rechtsgedanken brauchen. Dabei gehe ich davon aus, daß wir das bei der Analogie, bei der zweiten Rechts­ erkenntnisquelle, für nötig erklärt haben. Meine Folgerung, die ich ziehe, ist die, daß wir das, was wir bei der Analogie für nötig gehalten haben, auch hier brauchen. Dagegen hat sich Herr Profeffor Dahm mit Gründen gewandt, die mir nicht ganz klar sind. Herr Professor Dahm sagt zunächst: Durch die Worte, „daß er nach gesunder Volksanschauung als T äter erscheint", nehme ich bereits aus die Rechtsordnung Bezug. Und dann sagt Professor Dahm in seinen nächsten Aus­ führungen: Ich kann aus der Rechtsordnung, da sie im allgemeinen nur Verbotsnormen hat, keine Ge­ botsnormen, nicht einen Rechtsgedanken für die Pflicht entnehmen. Ich weiß nicht, was Herr Professor Dahm eigentlich will. Will er, daß zu der sittlichen Pflicht und der gesunden Volksanschauung noch irgend etwas aus tragenden Rechtsgedanken hinzu­ kommt oder nicht? Meine Ansicht geht dahin: Was wir für Verbots­ normen aufstellen, müssen wir auch für Gebots­ normen verlangen. Ich brauche nur an mein Bei­ spiel mit der Verführung des 15jährigen Mädchens anzuknüpfen. Diese Beihilfe zur Verführung der 15jährigen grenzt nahe an den positiven' T at­ bestand der Kuppelei, des Vorschubleistens der Unzucht. Wir sehen, wie eng sich Verbotsnormen und Gebotsnormen in der Anwendung berühren. M an kann doch nicht für das eine eine Bezug­ nahme aus Rechtsgedanken verlangen, für das andere dagegen nicht. Ich meine, dieses Beispiel hat auch gegenüber den Ausführungen von Herrn Professor Kohlrausch gezeigt, warum ich den Wunsch habe, für die P raxis noch etwas mehr zu haben als die gesunde Volksanschauung und die sittliche Pflicht. Denn über diesen F all des Zusehens bei dem Verführen, des Weggehens, wenn ein solcher Versührungsakt im Gange ist, gehen die Meinungen auseinander, sicher­ lich jedenfalls dann, wenn es sich um den Gegensatz zwischen Ariern und Nichtariern handelt. F ü r diese

Fälle muß zum Ausdruck kommen, daß in der A rier­ frage über eine gewisse Linie nicht hinausgegangen werden soll. Ich sehe diese Linie darin, daß wir bei der Analogie den Zusatz hatten: „und sich nicht aus irgendeinem Gesetz das Gegenteil ergibt". Wir haben das fallenlassen, weil wir uns gesagt haben, daß dies in dem Wort Rechtsgedanke enthalten ist. Diese Richtlinie möchte ich für die P raxis auch hier nicht entbehren. Ich wüßte nicht, was ich dem Richter — der sagte: hier ist die sittliche Pflicht und die gesunde Volksanschauung verletzt, und darum bestrafe ich — entgegenhalten kann, wenn ich ihm nicht sagen kann: Was die Rechtsordnung anerkannt hat, geht bei den Arierfragen so weit und nicht weiter. Herr Staatssekretär Freister hat mich gefragt, wie ich mich zu den Vorschlägen von Herrn Professor Dahm zum ersten Absatz stelle. Ich würde den ersten Absatz streichen und den zweiten Absatz so ausbauen, wie ich es vorhin vorgeschlagen habe, also erweitert um den Gesichtspunkt: Es muß auch von den tragen­ den Rechtsgedanken mit gedeckt werden. Ich würde dann bestrafen als Täter, als Tätergehilfe, d. h. nach einer der Täterformen. D as ist das richtige unechte Unterlassungsdelikt. Die anderen Fälle würde ich in echte Unterlassungsdelikte auflösen, in einen weitgestalteten Hilfeleistungsparagraphen usw., also in Tatbestände des Besonderen Teils. Ich würde dabei die Bezugnahme auf die Tatbestände Mord, B rand­ stiftung usw. vermeiden, weil es damit nichts mehr zu tun hat, sondern eine Verletzung des Grundsatzes ist: Gemeinnutz geht vor Eigennutz. Ich würde also zu einem weitgezogenen Liebesparagraphen kommen. Diese klare Lösung vermisse ich bei den beiden Absätzen von Herrn Profeffor Dahm. Herr Professor Dahm will als unechtes Unterlassungsdelikt nur das Unterlassungsdelikt in seinem Absatz 1 gelten lassen, der Absatz 2 soll nach ihm ein echtes Unterlassungs­ delikt sein. Herr Professor Dahm will die Strafe in den Fällen des Abs. 2 dem Mordparagraphen, dem Brandstiftungsparagraphen entnehmen. Wie soll das im Tenor ausgedrückt werden, und wie soll das im Strafregister erscheinen im Gegensatz zu Abs. 1? (Staatssekretär D r. Freister: Das ist sehr einfach, im Strafregister steht: § 359, 2, § 218.) — Das sind nur Ziffern. Erscheint er im Tenor oder im Strafregister als Brandstifter bzw. als Mörder oder nicht? Dies wird abgelehnt; er erscheint dem Volk nicht als Täter oder Gehilfe oder dergl. Ich kann nur sagen, daß er als einer erscheint, der gegen den Grundsatz verstößt: Gemeinnutz geht vor Eigennutz. (Staatssekretär Dr. Freister: Nein, als einer, der den Mord nicht abgewandt hat.) Nun komme ich zum letzten. Ich bin auch der Meinung, daß wir in erster Linie danach sehen müssen, wie die P raxis mit solchen Delikten fertig werden soll, die sich bis auf eine Kleinigkeit ähneln — wie Abs. 1 und 2 des Vorschlages von Herrn Professor Dahm — und doch in Wahrheit sehr verschieden sind, da der Täter in dem einen Fall ein Mörder ist und im anderen nicht. M it diesem oder ähnlichen P ara-

graphen kann meiner Überzeugung nach weder die Praxis fertig werden, noch wird die Wirkung erzielt, die wir beim Volke wollen. Ich bin der Meinung, wir sollten diese an sich schon schwierigen Unterlassungs­ delikte so schlicht und so einfach wie möglich formu­ lieren und sie nicht komplizieren. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir scheint, die Debatte spitzt sich sehr stark darauf zu: Welche Gründe zwingen dazu, den Abs. 1 und 2 zu trennen, wenn sich diese, abgesehen von der Strafmilderung, nicht unterscheiden und die bis jetzt ungelöste Frage ausgeworfen haben: Weswegen wird der M ann nach Abs. 2 verurteilt? Wegen ver­ weigerter Hilfeleistung? Wegen Mitwirkung an der Tötung? D as scheint mir nicht ganz klar zu sein. Staatssekretär Dr. Freister: Nach Abs. 2 wird der Täter nicht als Mörder usw. bestraft, sondern weil er es Unterlasten hat, einen Mord abzuwenden. D as kann nicht anders sein. Denn wir haben von vornherein gesagt, daß der Abs. 2, wenn man das Gesetz rein nach formalen Gesichts­ punkten aufbauen will, in den Besonderen Teil hineingehört. Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: M ir ist das zweifelhaft. Ich weiß nicht, warum dann, wenn man den Täterbegriff weit saßt, noch der Abs. 2 nötig ist. Wer bestraft wird, weil er es unter­ lassen hat, einen Mord abzuwenden, würde nach der gesunden Volksanschauung nicht als M örder im engeren Sinne, sondern als Gehilfe zum Mord ge­ wertet werden und insofern auch nach Abs. 1 gefaßt werden. Vielleicht könnte man den Abs. 1 so formu­ lieren, daß der M ann danach unter allen Umständen gefaßt wird, dann könnte man sich den Abs. 2 ersparen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Darüber, daß eine Beihilfe durch Unterlastung begangen werden kann, besteht kein Zweifel. Wird nun eine Beihilfe durch Unterlastung begangen, dann wird doch der Betreffende wegen Beihilfe zum T ot­ schlag oder Mord verurteilt, genau so, als wenn er aktiv gehandelt hätte. Nun frage ich: Wozu brauchen wir einen auf alle Spezialtatbestände sich erstreckenden Abs. 2, wenn wir den erweiterten Täterbegriff haben und außerdem noch eine Vorschrift der allgemeinen Hilfeleistung oder so etwas ähnliches? D as ist mir noch nicht klar. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich habe zwar leider nicht der ganzen Diskussion beiwohnen können, aber ich glaube doch als Meinung der Kommission zu entnehmen, daß es zwei Arten von Herbeiführung von strafbaren Erfolgen durch Unterlastung gibt. Bei der einen Art wird das Volk sagen: Der M ann ist zu behandeln wie der aktive Täter. E r ist also Mörder, wenn er durch Unterlastung getötet hat. Und bei der anderen Art würde das Volk sagen: E r ist das zwar nicht, aber ich empfinde doch

ein Bedürfnis, daß der M ann bestraft wird. Wenn ein Kind ins Wasser fällt, und die Angestellte, die dabei ist, das zuläßt und nicht eingreift, trotzdem sie als Aufsichtsperson dazu verpflichtet ist, dann wird sie wie der Täter bestraft, wenn das Kind stirbt. D as ist wohl zweifellos. Wenn aber irgendeiner, den das Kind gar nichts angeht, vorbeigeht und nicht eingreift, können die Fälle verschieden liegen. E s kann so sein, daß er nach gesunder Volksanschauung die sittliche Pflicht hat, zu handeln, z. B. dann, wenn das Kind zu seiner Rettung ganz allein auf ihn angewiesen ist. Dann ist er gleich einem T äter zu behandeln. Es kann aber auch so sein, daß man nicht ohne weiteres von einer sittlichen Pflicht einzugreifen sprechen kann; nämlich dann, wenn vielleicht noch andere P e r­ sonen dabei waren, die auch dem Kinde hätten helfen können. Dann wird es einem widerstehen, zu sagen, daß der M ann wegen Tötung zu bestrafen sei, weil er nicht zugegriffen hat, aber er muß bestraft werden. Ich komme also auch dazu, zwei verschiedene Arten der Herbeiführung eines strafbaren Erfolges durch Unterlastung zu unterscheiden. Ich sehe aber einen inneren Widerspruch darin, daß nach dem Absatz 2 des vorliegenden Vorschlages es möglich sein soll, auch in den mehr indifferenten Fällen der Unterlassung mit der Strafe der Täterschaft zu be­ strafen. Denn wenn hier steht, daß die Strafe dem Gesetz entnommen werden kann, das hier in Frage kommt, dann kann auch der M ann in indifferenten Fällen als Täter bestraft werden. D as wollen wir doch nicht. E s handelt sich vielmehr bei Absatz 2 um ein dehctum sui generis, um ein echtes Unter­ lassungsdelikt, eine unterlassene Hilfeleistung, die m. E. in den Besonderen Teil gehört. Ich glaube also, wir brauchen im Allgemeinen Teil nur den ersten Absatz, und der zweite Absatz hätte aufzugehen in Sondertatbeständen, die wir im Besonderen Teil für unterlassene Hilfeleistung in Lebensgefahr usw. vorzusehen hätten. Es scheint im übrigen die Kommission der Meinung zu sein, daß für die Unterlastung der ersten Art eine Strafmilderung niemals gewährt werden soll. Dagegen habe ich persönlich Bedenken. Ich sehe einen Unterschied zwischen dem Fall, daß eine unehe­ liche M utter ihr Kind nach der Geburt dadurch tötet, daß sie das Kind sich selbst überläßt, daß sie es also nicht ernährt, und dem Fall, daß eine Mutter etwa das Kind nimmt und es mit dem Schädel an die Wand schlägt und dadurch tötet. Es ist ganz zweifel­ los, daß das aktive Tun eine stärkere Energie des Willens anzeigt und darum als gefährlichere Hand­ lung erscheint. D as war doch der Gedanke, der uns in der ersten Lesung dazu gebracht hat, eine Strafmilderung für unechte Unterlassungen in jedem Fall als möglich vorzusehen. Ich möchte doch auf diesen Vorschlag zurückkommen. Demnach würde dann die Sache so aussehen, daß man nur den ersten Absatz aufnimmt unter Einbeziehung der sittlichen Pflicht und der gesunden Volksanschauung, und daß man hier schon sagt: Die Strafe k a n n gemildert werden.

Der zweite Absatz würde wegfallen, er würde unterzubringen sein in dem Besonderen Teil unter dem Gesichtspunkt echter Unterlassungsdelikte. Nun darf ich mit einem Wort noch zu dem „Rechtsgedanken", den Herr Ministerialdirektor Schäfer in die Definition der Unterlassung hinein­ bringen will, Stellung nehmen. Wenn es heißen soll: „Die Unterlassung wird bestraft, wenn ein Rechts­ gedanke es verlangt, der einem Gesetz zugrundeliegt", dann würde man in dem von Herrn Ministerial­ direktor Schäfer gebildeten Fall nicht daran denken, daß der Gesetzgeber den Verkehr von Nichtariern mit Ariern nicht unter Strafe stellt, sondern man würde an ein positives Gesetz denken, nämlich an die Ver­ führung, und der Rechtsgedanke, der diesem Gesetz zugrundeliegt, würde immer herangezogen werden können. Ich sehe also nicht recht ein, wie man bei solcher Formulierung auf den Gedanken kommen soll, daß dieser Fall deshalb nicht strafbar sei, weil wir im übrigen ja anscheinend nicht dazu gelangen werden, den geschlechtlichen Verkehr eines Nichtariers mit einem Arier unter Strafe zu stellen. M an müßte also etwa so formulieren: Die Unterlassung ist dann nicht strafbar, wenn sich aus dem Zusammenhang der Rechtsordnung ein abweichender Wille des Gesetz­ gebers ergibt, es sei denn, daß die Absicht des Gesetzes irgendwie entgegensteht. (Ministerialdirektor Schäfer: D as soll der Gedanke sein.) — Dann würde aber gar kein Parallelism us zu dem Maßstab des Rechtsgedankens bei der Analogie vor­ liegen. Denn da ist die Sache doch so: Wenn jemand mit einem plattgedrückten Zweipsennigstück, das die­ selbe Wirkung hat wie ein Groschen, den Strom bei einem Münzfernsprecher auslöst und benutzt, dann allerdings entspricht es dem Rechtsgedanken des Elektrizitätsgesetzes, die Bestrafung auch auf diesen Fall auszudehnen. Hier bei der Unterlassung kommt aber der Rechtsgedanke eines bestimmten Gesetzes nicht in Frage. Professor D r. Dahm: Ich darf noch einmal aus die Beispiele Hinweisen, die Herr Ministerialdirektor Schäfer früher gegeben hat. Es besteht doch wesensmäßig ein großer Unter­ schied zwischen dem Dienstmädchen, das das Kind die M auer Herunterrutschen läßt, und dem Spaziergänger, der es unterläßt, einem Ertrinkenden zu helfen. Wenn man diese Fälle trennt, so nimmt man eine echte Unterscheidung vor, unterscheidet man wesens­ mäßig und nach der Volksanschauung verschiedene Dinge. Und diesem Wesensunterschied entspricht zu­ gleich ein Unterschied in der Bewertung. Denn das Volk bewertet die M utter, die ihr Kind verhungern läßt, anders als den Fremden, der die Möglichkeit hätte, einen Menschen zu retten, und dies unterläßt. Wollen wir das Gesicht des Strafrechts hervortreten lassen, so müssen wir diesen Tätergedanken und diese Wesensunterscheidung innerhalb der Unterlassung zum Ausdruck bringen. Darum halte ich die Unterscheidung der Absätze 1 und 2 für überaus wichtig. I m Hinblick auf die Be­

denken, die jetzt vorgebracht worden sind, würde ich es doch für richtiger halten, wenn w ir die Fälle des Absatz 2 aus dem Allgemeinen Teil herausnähmen und als Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung in den Besonderen Teil einfügten. W ir dürfen dabei nicht von der scheinlogischen Erwägung ausgehen, daß es sich hier doch um Unterlassungen handle. Nein, die Unterlassung ist eben keine Einheit, sondern die Täterunterlassung ist etwas anderes als die unter­ lassene Hilfeleistung, von der hier die Rede ist. Die Unterlassung ist ein Musterbeispiel dafür, daß der sogenannte Allgemeine Teil des Strafrechts weit­ gehend aufgelöst werden muß. Was die Rechtspflicht angeht, so würde ich es für erträglich halten, wenn man den Vorschlägen des Herrn Ministerialdirektor Schäfer folgte. Ich habe zwar das Bedenken, daß dadurch ein positivistischer Akzent in das Strafrecht hineingetragen wird, und daß man jetzt daran geht, nach gesetzlichen Be­ stimmungen zu suchen, aus denen sich eine Pflicht zum Handeln ergeben mag, aber im ganzen halte ich diese Bestimmung doch für unschädlich. W ir kommen also auf eine Dreiteilung ab: 1. Fälle, in denen jemand als Täter erscheint und als T äter bestraft wird; 2. Fälle, in denen die Volks­ anschauung den Unterlassenden nicht als Täter be­ trachtet, aber doch Bestrafung verlangt: mein Absatz 2, noch besser eine Bestimmung im Besonderen Teil; 3. Fälle, in denen die Volksanschauung das Unter­ lassen mißbilligt, aber keine Bestrafung verlangt. Ich kann dem Herrn Senatspräsidenten Klee nicht darin folgen, daß wir die Fälle meines Absatz 1 mit einer Strafmilderung versehen sollten. Die Mutter, die ihre Kinder verhungern läßt, ist ebenso zu be­ strafen wie die, die ihr Kind ins Wasser wirft. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, wir kämen einen großen Schritt vor­ w ärts, wenn wir diesem Ratschlag folgten. Wenn die Ausführungen, soweit sie sich auf die Beihilfe be­ zogen haben, gegen meine schriftlichen Notizen ge­ richtet waren, so wollte ich sagen: Der Mann nach dem Absatz 2 der jetzt aufgegebenen Fassung kann doch nicht Täter sein! Was kann er denn dann über­ haupt sein? Dann kann er nur entweder Gehilfe sein — solche Fälle sind denkbar — oder Verletzer einer besonderen Beistandspflicht, will ich einmal kurz sagen. F ü r den Fall, daß er Gehilfe sein würde, brauchen wir gar keine besonderen Bestimmungen. D as fällt unter Absatz 1. F ü r den F all aber, daß eine besondere Beistands- oder Hilfepflicht verletzt ist, scheint mir der Platz, wo man das regelt, glücklicher der Besondere Teil zu sein; eine Ausweitung des Gedankens, den wir schon in § 228 niedergelegt haben. Was die Beschreibung der Verpflichtung betrifft, so scheint mir das gar nicht wert, diskutiert zu werden, gleichgültig von welchem Standpunkt man es auch ansehen möge. Denn eine solche Rechtsordnung haben wir nicht, in der nicht sittliche Forderungen wirklich beträchtlicher Art irgendwo einen Kristallisationspunkt haben. S o barbarisch ist unsere Rechtsordnung nicht.

Es handelt sich hier bei diesen sittlichen Pflichten gar­ nicht um die seinstverästelten sittlichen Verpflich­ tungen an der Peripherie dessen, was überhaupt an den menschlichen Willen herantreten kann, sondern das sind alles stark akzentuierte Forderungen: einen Menschen nicht hilflos liegen zu lassen, ihn nicht ver­ hungern zu lassen, ein Kind nicht verkommen zu lassen usw. Diese sittlichen Forderungen haben, glaube ich, alle irgendwo einen Ansatz in der Rechtsordnung. Da braucht keine der beiden Gruppen sich hier Sorge zu machen. Professor Dr. Nagler: Ich stimme im wesentlichen mit den Ausfüh­ rungen des Herrn Ministerialdirektors Schäfer Über­ ein. Nachdem Herr Kollege Dahm seinen Antrag ent­ sprechend modifiziert hat, besteht auch zwischen ihm und mir Übereinstimmung. Denn darüber kann ja gar kein Zweifel aufkommen, daß, wenn wir von einer rechtlichen Verpflichtung sprechen, diese Wendung immer ein Blankett enthält, dessen Ausfüllung durch die Praxis zu geschehen hat. Die Praxis hat sich zwar in erster Linie an das Gesetz angelehnt, ist aber schon längst weit darüber hinausgegangen. Auch das Reichs­ gericht ist in dieser Hinsicht nie formal gewesen. Es hat nur geglaubt, sich möglichst irgendwo im geltenden Recht eine Rückendeckung sichern zu müssen. Es hat z. B. mit der Unterhaltspflicht der Ehegatten usw. gekünstelt operiert, obschon diese im BGB. statuierte Pflicht eigentlich gar nicht maßgebend war, sondern in Wahrheit andere, größere Rechtsgedanken dahinter standen. Ich muß mich dagegen verwahren, daß man die besonderen Gesetze so gering einschätzt, wie das heute in der Debatte gelegentlich geschehen ist. I n erster Linie werden wir uns natürlich an die ausdrücklichen Äußerungen der Volkssührung halten. Darüber hin­ aus werden wir die materiellen Rechtsgedanken zum Durchbruch bringen. Also ich glaube, wir sind auch heute wieder zu einem einheitlichen Ergebnis gekommen. W ir haben uns nämlich dahin geeinigt, daß wir eine Rechts­ pflicht, allerdings im materiellen Sinne, unterstellen und danach die Praxis orientieren. W ir müssen uns aber auch darüber klar sein, daß letztens es ganz darauf ankommen wird, wie die Praxis dieses Blankett ausfüllen wird. W ir können nach der bis­ herigen Judikatur das Vertrauen haben, daß es in unserem Sinne geschieht. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich habe alles, was hier eben ausgeführt worden ist, beobachten müssen als Richter mit dem Gedanken: Wie sollen w ir damit arbeiten? Da war ich zunächst geneigt — und ich habe das ja auch ausgesprochen — , zu sagen: Wenn aus grundsätzlichen Erwägungen so viel daran gelegen ist, daß man die Fälle des Abs. 2 des Dahmschen Vorschlags in die allgemeinen Be­ stimmungen aufnehme, so mag das geschehen. W ir haben in den allgemeinen Bestimmungen, die vorhin Herr Professor Dahm ganz richtig gekennzeichnet hat, schon viele Sondertatbestände gehabt, etwa den § 49a,

die Trunkenheit und ähnliches. Diese Einteilung schadet auch nichts. Aber das ist ja nun dadurch er­ ledigt, daß Herr Professor Dahm selbst sagt, wir wollen den Abs. 2 in den Besonderen Teil verweisen, wir wollen ihn als einen besonderen Tatbestand schaffen und mit einer besonderen Strafdrohung aus­ statten. Also habe ich nur noch Anlaß, mich zu dem Abs. 1 auszusprechen. Dazu habe ich hier viele anregende Gedanken vernehmen können, aber von ihnen allen, soweit sie sich von dem Vorschlag des Herrn P ro ­ fessors Nagler entfernten, doch die Überzeugung ge­ winnen müssen: S ie sind nicht so gefestigt, daß sie jetzt schon Aufnahme in ein Gesetz finden könnten. Was hier dem Richter angesonnen wird, was er unter­ scheiden soll, und worin er den Boden für die Rechts­ findung gewinnen möge, das ist alles zu unbestimmt. Damit kann er nicht arbeiten. W ir dürfen doch nicht immer nur den ausgezeichneten Richter im Auge haben, sondern wir müssen auch an den Schöffen und den Geschworenen denken, an diese einfachen Leute. Wenn wir den Gedanken nachgeben würden, die uns hier entgegengebracht worden sind, dann würden wir eine schwere Zersplitterung des Rechts erfahren. Es würde ganz verschieden geurteilt werden. Wir müßen doch eine sichere Grundlage haben, die uns die Ge­ währ dafür gibt, daß die Rechtsprechung im allgemeinen einheitlich ist. Diese sichere Gewähr bietet uns nur der Naglersche Vorschlag, bei dem man, wenn es nötig erscheint, die Worte „rechtliche Verpflichtung" noch zu unterstreichen, auf § 346 im S inne des Vor­ schlags Schäfer verweisen mag. Dann ist das in Ord­ nung, und ich habe den Eindruck, daß auch die Herren, die heute mit neuen Gedanken hervorgetreten sind, für die Gegenwart dieser Lösung zugeneigt sind. Doch bin ich verpflichtet, noch etwas zu bemerken. W ir Richter beim Reichsgericht haben in dem E nt­ wurf die Vorschrift Über die Gleichheit von Unter­ laßen und Tun gelesen, also die Vorschrift, der wir ohne weiteres bisher schon nachgekommen sind, daß man einen Betrug oder einen Totschlag auch begehen kann, indem man nicht handelt, sondern unterläßt, und doch durchaus und in jeder Form als Täter an­ zusehen ist. W ir haben gesagt: D a steht nun das, was wir bisher schon ausgesprochen haben, und vielleicht haben wir selbst sogar die Anregung dazu geboten, daß es dasteht. W ir haben doch mit Recht erklärt: Es muß dann irgendeine Pflicht zum Handeln gegeben sein. W ir sind vielleicht auch hier, wie immer, etwas langsam vorgegangen. D as Reichsgericht darf sich nicht überstürzen; das geht nicht anders. Deshalb haben wir diese Pflicht bald aus dem vorgängigen Handeln, bald aus einem Schuldverhältnis ent­ nommen und sind hernach, wie ich schon dargelegt habe, dazu übergegangen, zu sagen: Ach nein, da kommt viel Größeres in Frage, was uns diese Pflicht an die Hand gibt, nämlich der Wille des Volkes zum Recht und der tragende Rechtsgedanke, den wir irgendwo in einem Gesetz finden. Deshalb hat es uns gefreut, daß das hier steht.

Befremdet hat uns, daß dieser Vorschlag eine Kann-Milderung vorsieht. W ir haben, offen ge­ standen, bis jetzt das Bedürfnis nach dieser KannMilderung nicht gefühlt, aber wir haben uns gesagt: Wenn der Gesetzgeber, der vielleicht über irgendwelche bestimmte Unterlagen verfügt, glaubt, man müsse in diesen Fällen, die uns durchaus ebenso schwer er­ scheinen wie die Begehung eines Verbrechens durch Tun, etwas weicher sein, so haben wir keinen Anlaß, uns dagegen aufzulehnen. Wenn man uns aber zu­ geben sollte, daß es in diesen Fällen einer Milderung nicht bedürfe, dann möchte ich mir schließlich den Vor­ schlag erlauben, die ganze gesetzliche Vorschrift wegzu­ lassen. Ich muß gestehen, daß mir das eigentlich am liebsten wäre. W ir sind bisher gut ohne gesetzliche Vorschrift ausgekommen und sind einen Weg ge­ gangen, den jetzt der Gesetzgeber auch anerkannt hat. W ir haben schon lange das Bedürfnis gehabt, es möchte uns erlaubt werden, auch einmal das nicht unmittelbar zutreffende Gesetz zur Anwendung zu bringen, und zwar zuungunsten des Angeklagten. W ir haben das so gehalten, wie wir es regelmäßig tun. W ir haben bei dem unehelichen Schwängerer zunächst das vorhergehende Handeln in Betracht gezogen. W ir hätten jetzt schweigen können, aber wir haben nicht geschwiegen, sondern darum gerungen, Bahn für die Anwendung des nicht unmittelbar zu­ treffenden Gesetzes zu schaffen. Deshalb haben wir jenen Grundsatz hineingeschrieben, um zu sehen, wie sich die anderen Senate dazu stellen, was die Rechts­ wissenschaft dazu sagt. Gerade damit haben wir über­ all Entgegenkommen gefunden, und auch die Herren, die heute in dieser Richtung mit neuen Vorschlägen hervorgetreten sind, billigen doch das, was wir getan haben. Nun wäre es nach meiner Meinung sogar förder­ lich, wenn man gar nichts sagen würde, denn das Geschriebene ist uns da, wo die Freiheit vorwärts bringt, immer eine kleine Erschwerung. Würde es aber so geschrieben, wie es im Naglerschen Vorschlag steht und durch die Vorschläge des Ministerialdirektors Schäfer ergänzt wird, dann hätte ich nichts einzu­ wenden. Ob die Milderung beschlossen werden soll, stelle ich dahin. Ich weiß nicht, welche Gründe dafür maßgebend gewesen sind. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Gedanke, der hier die Milderung nahegelegt hat, war seinerzeit aus Erwägungen des Willensstraf­ rechts geschöpft. M an hat gesagt, das aktive Handeln sei doch im allgemeinen ein Zeugnis eines stärkeren Willens als das Unterlassen. Ich darf hinzufügen, daß ich mich schon damals nicht ganz davon habe über­ zeugen lassen können, daß wir eine Kann-Milderung brauchen; wir brauchen sie besonders dann nicht, wenn Absatz 1 nunmehr diese scharfkantige Fassung bekommt: Du wirst als der T äter angesprochen. D as ist kantiger als das, was das gegenwärtige Recht ent­ hält, und ich habe das Gefühl, daß die KannMilderung gar keinen Raum mehr hat. (Dr. Graf von der Goltz: Von einer RechtsPflicht ist doch nicht mehr die Rede, sondern

es kommt nur die Fassung in der letzthin be­ sprochenen Form in Frage?) — Nach dem Vorbild, das wir seinerzeit geprägt haben, daß ein Rechtsgedanke und die Volks­ anschauung die Bestrafung verlangen. D as ist völlig harmlos und ganz unschädlich, und jede Kraft, die auf die Diskussion darüber verwendet wird, halte ich für überflüssig. Wenn wir schon eine Analogie haben, macht es einen guten Eindruck, wenn man das irgend­ wie zum Ausdruck bringt. Ich würde dann vorschlagen, jetzt zu behandeln: Tätige Rene. Berichterstatter Professor Dr. Nagler: Ich habe im § 360 die Gedanken unserer ersten Lesung in einer, wie ich glaube, kürzeren Fassung wiedergegeben. W ir haben außerdem im § 360 noch zusammengefaßt, was sonst zerstreut war, was sich früher bei der Verleitung usw. befunden hat. Daraus würde sich ergeben, daß wir den Rücktritt vom Ver­ such an die letzte Stelle des Kapitels stellen. D as ist das Äußerliche. W as die Sache selbst anlangt, so sind die Gründe, weshalb wir zur Schonung des vom Beginn der straf­ baren Handlung Zurücktretenden gekommen sind, rechtspolitische Erwägungen. Der Gedanke ist: Wer zurückkehrt zur Volksgemeinschaft, soll als Belohnung dafür die Straflosigkeit oder wenigstens eine Milde­ rung der Strafe empfangen. Damit bekennen wir uns also zur Prämientheorie, die ja im wesentlichen auch in der P raxis durchgeführt wird. Daher wirkt die tätige Reue als persönlicher Strafausschließungs­ grund. Ob vom Standpunkt des strengen Willensstrasrechts aus vielleicht eine andere Ausfassung näherliegt, will ich jetzt in diesem Zusammenhang nicht erörtern. Hinsichtlich der Voraussetzungen haben wir zu­ nächst die Freiwilligkeit ausdrücklich hervorgehoben. I n unserem bisherigen Recht — § 46 Abs. 1 StG B . — war sie nur negativ angedeutet. Ich halte es für einen Fortschritt, daß jetzt ausdrücklich die Freiwillig­ keit akzentuiert ist. S ie ist ausgeschlossen, wenn aus äußeren Umständen oder aus fa c ta in te rn a die E nt­ schließung zum Ausgeben der T at zwangsläufig ist. Die Freiwilligkeit ist durchaus relativ. Es kommt darauf an, wie der Täter die Hemmungen, die sich von außen her seiner T at entgegenstellen oder sonst in seinem In n e rn aufsteigen, empfindet; ob er glaubt, daß die Durchführung nicht mehr möglich sei, oder ob er glaubt, daß sie zwar noch möglich sei, er sie aber nicht mehr will. Die zweite Voraussetzung besteht in der End­ gültigkeit der Ausgabe des verbrecherischen E nt­ schlusses. Diese Endgültigkeit bedeutet, daß ein rechts­ förderlicher Wille wieder in die Erscheinung tritt. W as den qualifizierten Versuch anlangt, so ist er im § 360 berücksichtigt mit dem Worte „insoweit". E r ist mithin ungefähr ebenso verborgen angedeutet wie in unserem geltenden § 46 (der Versuch „als solcher", was leicht überlesen wird). I m Rechts-

gedanken sind w ir einig. Beim qualifizierten Versuch ist es so, daß sich innerhalb des begonnenen Ver­ brechens, das nun aufgegeben wird, schon Vollendungs­ tatbestände anderer A rt vorfinden. Einfachstes Bei­ spiel: Versuch des Einbruchsdiebstahls; es ist schon die Sachbeschädigung vollendet (ein Fenster zerschlagen), oder der Hausfriedensbruch ist perfekt. Der Rechts­ gedanke ist: Diese vollendeten Tatbestände sollen nicht auch noch wegen tätiger Reue der Straflosigkeit zuge­ führt werden. Ich habe m ir erlaubt, in einem Absatz 3 diesen Gedanken etwas schärfer herauszustellen. Damit könnte ich eigentlich schließen. Aber ich möchte doch noch anregen, ob diese Rücktritts­ bestimmungen nicht auch auf formal vollendete Delikte, die materiell Versuchs- oder Vorbereitungs­ charakter tragen, analog angewendet werden sollen. Die Frage ist bisher strittig. D as Reichsgericht sagt Nein, andere sagen, die Analogie aus § 46 sei auch hier maßgebend. Diese Fragen sind hier noch im Fluß, und deshalb würde ich nicht raten, daß wir dazu ausdrücklich Stellung nehmen, sondern wir sollten sie m. E. der Zukunft überlassen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Die Vorschläge, die zu der jetzigen Fassung des § 360 gemacht worden sind, sind eigentlich keine sach­ lichen Änderungen. D as eine wäre eine Verdeut­ lichung und das zweite eine Fassungsfrage. Der Herr Referent wäre also mit dem In h a lt vorbehaltlich einer Fassungsänderung einverstanden. Ich möchte glauben, die Herausforderung an die Vertreter des Willensstrafrechts, sich jetzt dazu zu äußern, sollte man gar nicht annehmen; denn gerade vom Willensstrafrecht her kann man die tätige Reue sehr schön begründen, indem man sagt: Der schlechte Wille und der gute Wille werden saldiert, und dann kommt zum Schluß etwas Angenehmes heraus. (Dr. Graf von der Goltz: E s ist zweifelhaft, ob es nicht zweckmäßig wäre, einen Anspruch zu geben, um bei dem Täter einen Anreiz zum Rücktritt hervorzurufen.) — Damals wurde das von der Mehrzahl abgelehnt. Berichterstatter Professor Dr. Nagler: Ich bin mit § 361 Abs. 1 einverstanden bis zu den Worten „verwirklicht hat"; dann würde ich fort­ fahren: „oder im Falle des Unterlassend hätte ver­ wirklicht werden sollen". Die Frage, an welchem O rt eine T at begangen ist, ist doch eine Frage des äußeren Ereignisses. Dieses kann nur danach beurteilt werden, ob die objektive Verwirklichung tatsächlich stattgefunden hat; es kann sich unmöglich danach richten, wo nach dem Willen des Täters die T at hätte verwirklicht werden sollen, aber sich eben tatsächlich nicht verwirklicht hat. Bei­ spiel: E s soll von der Schweiz ein beleidigender Brief nach Deutschland geschickt werden, etwa nach Karls­ ruhe. E r wird aber auf Schweizer Gebiet zurück­ gehalten. Können wir denn da sagen, daß die T at in Karlsruhe begangen ist, weil hier nach dem Willen

des Täters die Beleidigung zur Kenntnis des Adressaten hätte kommen sollen? Nur dort, wo der Erfolg eingetreten oder eine Tatbestandshandlung verwirklicht ist, können wir doch die wirkliche Be­ gehung der T at lozieren. Diese Entscheidung hat nach meinem Dafürhalten mit dem Willensstrasrecht nichts zu tun. Ich bitte also einzusetzen: „im Falle des Unterlassens". Zu Absatz 2 würde ich zunächst der Meinung sein, daß wir den letzten Satz — „Wann der Erfolg ein­ tritt, . . . — streichen, denn wir haben ja die Ver­ jährung ganz ausgegeben. Ich hätte überdies den Wunsch, zu textieren: „oder im Falle des Unterlass end spätestens hätte handeln sollen". Die T at ist ja erst im letzten Augenblick begangen, wo der Verpflichtete etwa seiner Anzeigepslicht nicht genügt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der einzige Punkt, der zur Überlegung Anlaß gibt, ist das „verwirklichen sollte". Nach meiner Meinung handelt es sich hier um folgendes: Ich will eine T at einem örtlichen Raum zuweisen. Ich will eine Aussage darüber machen, wo die T at begangen ist. D as kann ich sehr leicht immer dann, wenn irgendwelche Erscheinungen in die Welt der Wirklich­ keit getreten sind, die man also sehen, feststellen kann. D as gilt für die T at genau so wie für den Versuch, denn einen Versuch ohne sichtbare Handlung gibt es nicht. Schwierig ist es nur da, wo in der Welt der Erscheinungen nichts festzustellen ist. D as ist gerade bei der Unterlassung der Fall, und da muß man m. E. allerdings mit der Fiktion arbeiten: Wo du hättest handeln sollen. Aber haben wir denn damals, als wir die Worte „verwirklichen sollte" schrieben, über­ haupt an den Versuch gedacht? (Wird bejaht.) — Ob das richtig ist, kommt mir jetzt zweifelhaft vor. Professor Dr. Mezger: Ich halte die Anregung des Herrn Kollegen Nagler für durchaus richtig. Beim T ä t i g k e i t s d e l i k t ist es ein Denkfehler, wenn man den O rt der T at, der etwas Objektives ist, mit diesem „ver­ wirklichen s o l l t e " umschreibt. Ich halte dies dagegen für keinen Denkfehler beim U n t e r ­ l a s s u n g s d e l i k t ; denn da bedeutet das „ver­ wirklichen s o l l t e " die objektive Verpflichtung, die von der Rechtsordnung für einen bestimmten O rt auf­ erlegt ist. Hier ist also nicht etwas, das im Willen des Handelnden liegt, sondern etwas, das ihm gegen­ über von außen herantritt, gemeint. D a ist es durch­ aus korrekt, zu sagen: W ir sehen den O rt der Hand­ lung dort als gegeben an, wo die Verpflichtung von Rechts wegen auferlegt ist. Es muß also für die U n t e r l a s s u n g , aber auch n u r für diese, „verwirklichen s o l l t e " heißen. Profeffor Dr. Graf Gleispach: Ich kann dem nicht zustimmen. E s handelt sich ja gar nicht darum, daß der T atort im Sinne der realen Erscheinungen bestimmt werden soll — darauf kommt es gar nicht an —, sondern an einen be­ stimmten Tatort knüpft eine Reihe von Rechtsfolgen

an, und wenn wir wollen, daß diese Rechtsfolgen ein­ treten, verlegen wir den T atort dorthin. Es handelt sich also eigentlich um eine Wertung, aber der Gesetz­ geber ist hier vollkommen frei. Ich könnte, um eine bestimmte Rechtswirkung zu erzielen, auch behaupten, daß die in Australien begangene T at im Gebiet des Deutschen Reiches begangen sei. M an könnte ja auch, um Einwände zu vermeiden, sagen: Der Tatort — nämlich der juristische T atort — liegt da, . . . . Oder man sagt: Die T at gilt als dort begangen. Es kann ja auch im Interesse des Deutschen Reichs liegen, die im Auslande begangene T at als Jnlandsverbrechen aufzufassen. Auf diese Wirkung kann man nicht verzichten. Professor Dr. Schaffstein: Ich nehme nicht nur Anstoß an dem Wort „ver­ wirklichen", sondern auch an dem Wort „Tatbestand". Beide Worte müßte man vermeiden. Vielleicht könnte man folgende Formulierung wählen: „Wenn eine S traftat an verschiedenen Orten begangen worden ist, so gilt sie als an jedem dieser Orte begangen". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Kampf gegen die „Verwirklichung des T a t­ bestandes" ist ein Erbstück, das wir aus der ersten Kommission schon mitgenommen haben. Alle An­ wesenden sind chokiert über den Ausdruck „Verwirk­ lichung des Tatbestandes"; keiner hat aber noch irgendwie einen brauchbaren Ersatz geliefert. Ich glaube aber, wir brauchten uns in dieser Kommission nicht den Kopf darüber zu zerbrechen. Der Gedanke ist klar: Jeder Ort soll als T atort gelten. Wie stellen Sie sich, Herr Professor Schassstein, zu dem „Verwirklichen s o l l e n " angesichts der Kontroverse Nagler-Gleispach? Was Herr Graf Gleispach gesagt hat, hat natürlich materiell-rechtlich große Bedeutung. Professor Dr. Schassstein: Ich stimme an sich Herrn Graf Gleispach zu, sehe aber ein, daß dessen Vorschlag durch meine Formu­ lierung nicht ganz getroffen wird. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte auch Herrn Graf Gleispach beistimmen. D as, was die Fassung von Herrn Graf Gleispach ausdrückte, haben wir zweifellos gewollt. F ü r den F all der Unterlassung brauchten wir — das ist meine Meinung im Gegensatz zu Herrn Professor Nagler — gar keine besondere Bestimmung. Professor Dr. Nagler: Dann müßte man aber die Fiktion ausdrücklich als solche kenntlich machen und sagen: „gilt". Ich möchte übrigens die Frage auswerfen, ob etwa das Auswärtige Amt Bedenken hat. Die Schweizer z. B. könnten vielleicht durch eine solche Fassung unan­ genehm berührt werden. S ie haben früher einmal einen ähnlichen Konflikt mit den Franzosen gehabt.

Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: Ich glaube kaum, daß im Auswärtigen Amt Be­ denken bestehen könnten. Es handelt sich doch um kein Spezialgesetz gegen die Schweiz. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: D as Wort „gilt" paßt eigentlich nur auf die Fälle, wo eine Fiktion vorliegt, nicht auf die Fälle, wo tat­ sächlich das Delikt begangen worden ist. Wenn einer hier in Berlin einen totschießt, kann man nicht sagen, daß die T at als in Berlin begangen „gilt". Senatspräsident Professor Dr. Klee: Herr Minister Thierack war der Meinung, daß man die Bestimmung an den Schluß stellen sollte, weil es eine technische Bestimmung ist und sie hier den ganzen Gedankengang unterbricht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wird eine Sache der Redaktionskommission sein. D ann darf ich bitten, bevor ich zu dem schwie­ rigeren Thema komme, dem § 363 Ih re Aufmerk­ samkeit zu widmen: Wird die Strafbarkeit einer T at durch be­ sondere Eigenschaften oder Verhältnisse begrünbet, so genügt zur Strafbarkeit aller an der T a t Beteiligten, wenn die Eigenschaften oder Verhältnisse bei einem von ihnen vorliegen. Die S trafe dessen, bei dem sie nicht vorliegen, kann gemildert werden. Da würde ich bitten, jetzt auf das blaue B latt über die Täterschaft Rücksicht zu nehmen, das heute morgen verteilt worden ist, in dem steht: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft." Vizepräsident Grau: Gegen § 363 Abs. 1 habe ich nichts einzuwenden. E r enthält die strasbegründenden Eigenschaften und Verhältnisse und normiert eine gewisse Akzessorietät dadurch, daß er sagt: Es genügt, daß diese strasbe­ gründenden Eigenschaften und Verhältnisse nur bei einem der Beteiligten, also z. B. auch nur beim Ge­ hilfen, vorliegen. § 363 Abs. 2 würde vielleicht bei Zugrundelegung eines weiten Täterbegriffs überflüssig sein, zumal wir ja schon bei dem Täterbegriss betonen wollen, daß ein jeder nur nach seiner eigenen Schuld bestraft wird. Damit würde wohl auch klargestellt sein, daß jedem Beteiligten nur diejenigen Eigenschaften und Ver­ hältnisse zugerechnet werden können, die er in seiner Person verwirklicht. Es bestehen aber keine Bedenken, Absatz 2 zur besseren Klarstellung zu belassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S in d S ie sicher, daß der Satz „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft" wirklich den Gedanken umfaßt, der in Absatz 2 enthalten ist? Dort handelt

es sich um besondere Eigenschaften und Verhältnisse, die strafschärfend oder strafmildernd wirken. (Vizepräsident G rau: Der Grundgedanke des weiten Täterbegriffs ist doch der, daß jeder völlig unabhängig von allen anderen bestraft wird.) — Also die Anstiftung zum Aszendentenmord wird wie beim Sohn bestraft! (Vizepräsident G rau: Die erhöhte Strafbarkeit des Aszendentenmordes wird durch eine beson­ dere Eigenschaft des Täters begründet. Es würde also nur bei dem Sohn schwere Bestra­ fung eintreten. Sonst würde nur Anstiftung zum Mord in Frage kommen.) — S ind die Herren sicher, daß es so ist? Professor Dr. Graf Gleispach: Ich halte den Abs. 1 des § 363 für schlechthin untragbar. Ein Beispiel: A verkehrt geschlechtlich mit A; Gehilfe ist B, der Bruder der X. D ann hat also nach Absatz 1 A Blutschande begangen. Dagegen halte ich Absatz 2 für überflüssig, weil allgemein der Satz gelten soll: Jeder wird nach Maß­ gabe seiner Schuld bestraft. D araus folgt von selbst, was der Abs. 2 sagt. Viel wichtiger scheint mir, daß Absatz 1 nicht auf­ rechterhalten werden darf. Es handelt sich um T at­ bestandsmomente, die die Strafbarkeit überhaupt erst begründen. Wenn dieses Moment wie die B luts­ verwandtschaft des Gehilfen vorhanden ist, so kann nicht der Täter, der überhaupt gar nicht mit Strafe bedroht ist, durch die Mithilfe des Bruders strafbar werden. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: Hier ergibt sich das Hineinstrahlen unseres allge­ meinen Täterbegriffs. D as muß sehr genau durch­ dacht werden. W ir sind über den weitergehenden Täterbegrisf zwar herrlich einig; aber sobald es sich um eine handfeste Entscheidung handelt, sind wir sofort verschiedener Meinung. Ich frage eben: Wie soll derjenige bestraft werden, der den Sohn zur Tötung des Vaters anstiftet? D as ist ein Tatbestand, der wirklich nicht akademisch ist, und wir sind nicht in der Lage, das eindeutig an diesem Tisch der Gesetz­ geber zu beantworten. D araus sehen Sie, meine Herren, daß die Sache noch lange nicht unser geistiges Eigentum geworden ist. Das ist ein unhaltbarer Zustand! S o darf das Gesetz aus diesem S a a l nicht hinausgehen, wenn wir in einer so handfesten Sache derartig in unseren Meinungen auseinandergehen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s wird doch so angesehen, als oh hier der An­ stifter selbst die T at begangen hat. D ann hat er einen Menschen getötet, der nicht mit ihm verwandt ist. D ann wird er bestraft, wie wenn e r direkt diesen M ann getötet hätte. (Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: D as ist aber eine kühne Konstruktion!) — S ie ergibt sich aus dem von uns angenommenen erweiterten Täterbegrisf.

Reichsjustizminister D r. GÜrtner: Ich w ar darauf gefaßt. Noch ein Beispiel: Ein M ann, der nicht Beamter ist, stiftet einen Richter zur Rechtsbeugung an. Wie bestraft man? Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der Anstifter schafft hier den Erfolg, daß das Recht gebeugt wird. D as kann nur durch einen Richter geschehen, und darum ist es notwendig, zu sagen: Es genügt, daß in der Person des Richters die strafbegründende Eigenschaft vorhanden ist. (Reichsjustizminister D r. GÜrtner: Alles ein­ verstanden? — Zustimmung und Widerspruch.) Reichsjustizminister D r. GÜrtner: Die Diskussion ist dadurch sehr erschwert, daß wir alle über die Ergebnisse nicht einig sind. Wie ist es, Herr Professor Schasfstein, wenn ein M ann den Sohn anstiftet, seinen Vater umzubringen? Professor Dr. Schassftein: Ich würde glauben, in diesem Einzelfalle hängt die Lösung davon ab, ob wir die Deszendenteneigenschaft als strafbegründende Eigenschaft ansehen. (Widerspruch.) Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: Ich bitte einmal, Herr Professor, völlig abzu­ sehen von allen gewesenen und werdenden Gesetzen und davon auszugehen, daß der Vatermord wie bei Sophokles ein ungeheures, über jeden anderen Mord hinausgehendes Verbrechen ist, und daß der Anstifter weiß, daß der zu Tötende der Vater des Angestifteten ist. Also ein Extraneus stiftet den Sohn an, den Vater zu töten. Würden S ie das als qualifizierten oder als einfachen Mord anschauen? (Professor Dr. Schafsstein: Als qualifizierten Mord!) — Und die anderen Herren? — E s gilt, nicht nur die Köpfe zu schütteln, sondern die gegenteilige Auffassung zu begründen! Landgerichtsdirektor Seltner: Ich darf das Beispiel etwas ändern: A und B morden gemeinsam den Vater des A. Niemand wird sagen, daß nun beide wegen Aszendentenmordes ver­ urteilt werden müßten, sondern nur der eine ist wegen Aszendentenmordes, der andere ist wegen gewöhnlichen Mordes strafbar. Wenn A den B anstiftet, seinen Vater zu ermorden, dann ist der Vater für A irgend­ ein Mensch; dagegen für den B ist es ein besonderer Mensch, eben sein Vater; A will gar nicht haben, daß B gerade einen Aszendentenmord begeht, er will nur, daß B seinen, des A Feind umbringt, und das ist zufällig der Vater des B. Deswegen kann man den Anstifter A nur wegen Anstiftung zum gewöhnlichen Mord verurteilen. S o habe ich es aufgefaßt, wenn es hier heißt: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft". Die Schuld des Anstifters ist nur, daß er zum ge­ wöhnlichen Mord angestiftet hat, die Schuld des anderen ist, daß er seinen eigenen Vater ermordet hat.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Auf diese Widerlegung war ich gefaßt. Ich hätte es genau so widerlegt. Denn meine Schuld besteht darin, daß ich einen M ann töte, seine Schuld, daß er seinen Vater tötet. Ich stelle den Fall weiter zur Diskussion: Zwei töten — der eine als M ittäter — den Vater des einen. Bitte Urteil! Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: Wenn jemand als M ittäter tötet, dann, bin ich der Ansicht, tötet der eine den Vater und der andere einen x-beliebigen Menschen, seinen Feind. Wenn aber der eine den anderen anstiftet, seinen Vater zu töten, dann gehört die Eigenschaft des Angestifteten als Sohn mit zu dem Tatbestand und Vorsatz des anderen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Und wenn Sie die Personen vertauschen? Der Sohn stiftet einen Dritten an, zu töten, dann würden Sie den Sohn wegen Vatermordes bestrafen? (Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: Jaw ohl!) — Und den anderen? — S ie sehen, wie schwierig die Probleme sind, wenn man sie an einzelnen Fällen durchdenkt. Wie ist die Auffassung von Kiel? (Zuruf: Die geht auseinander!) Professor Dr. Schasfstein: M an kann den Fall auch auf die Rechtsbeugung übertragen, und es wäre die Frage, ob man dann nicht zu dem gleichen Ergebnis kommt. Professor Dr. Dahm: Ich möchte auf die Anstiftung zum Aszendenten­ totschlag zurückkommen. Vom Willensstrafrecht und Täterstrafrecht aus muß man anders entscheiden als Schaffstein. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich weiß noch gar nicht, was er wollte!) — E r wollte beide wegen Aszendententotschlages be­ strafen. M an muß aber anders entscheiden. Denn dem Anstifter fehlt die besondere Willens- und T äter­ eigenschaft, die uns veranlaßt, hier besonders zu be­ strafen. E r ist daher wegen gewöhnlicher Tötung zu bestrafen. Reichsgerichtsrat Niethammer: Aber der Anstifter ruft doch den Willen zum Mord des Vaters hervor. Dafür muß er bestraft werden. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich kann nicht glauben, daß das dem Willens­ strafrecht entspricht, was Herr Professor Dahm ausge­ führt hat. Die Anstiftung zu einer gewöhnlichen Tötung und die Anstiftung des Sohnes zum Vatermord, wissend, daß das der Vater ist, ist doch, gemessen auf der Waage der Schuld, eine höchst verschiedene Angelegenheit. (Professor Dr. Dahm: Aber er hat nicht den Willen, den Vater zu töten!)

Senatspräsident Proseffor Dr. Klee: Die T at wiegt schwerer beim Sohn, das ist sicher, und diese Sohneseigenschaft fehlt dem Anstifter. D es­ halb muß man sich auf den Standpunkt stellen, daß er nicht auch wegen Aszendententotschlags bestraft wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir kommen immer mehr ins Gestrüpp. W ir haben die Akzessorietät feierlich abgeschworen; jetzt taucht die Akzessorietät wieder wie ein böses Unkraut zwischen den Pflastersteinen aus, und man sieht, wie wir innerlich doch an dem Begriff der Akzessorietät festhalten. Ich weiß nicht, ob das konsequent ist. Wenn ich Veranlasser eines Vatermordes bin, dann ist das doch ein schwereres Verbrechen, als wenn ich nur Anstifter zu einem gewöhnlichen Mord bin. (Professor Dr. Dahm: Aber nicht dasselbe, wie wenn ich den eigenen Vater ermorde! — Reichsgerichtsrat Niethammer: Noch schlimmer!) — Aber nicht dasselbe, als wenn ich es selber tue! Wir haben vorhin immer gesagt: Der Anstifter kann nicht weniger sein als der Täter. I m Gegenteil: Es gibt Fälle, wo der Anstifter schlimmer ist als der Täter: Ich veranlasse den Batermord; der Sohn war noch gar nicht auf den Gedanken gekommen. Professor Dr. Mezger: Die erste Bitte, die ich stellen wollte, ist besser durch den bisherigen Gang der Debatte begründet worden, als ich sie jemals hätte begründen können: Nämlich die Bitte, über die Frage des Absah 2 nicht mit Stillschweigen hinwegzugehen, sondern zu der Frage im Gesetz Stellung zu nehmen. Es handelt sich um eine konkrete Entscheidung, die vom Gesetz ge­ troffen werden muß. Und die bisherigen Äußerungen haben gezeigt, daß die Meinungen in der Sache in Wahrheit sehr auseinandergehen. Eine g e s e t z l i c h e Regelung ist also gar nicht zu entbehren. Was die Stellungnahme in der strittigen Frage selbst anlangt, so möchte ich der Meinung vom Kollegen Dahm beitreten, und zwar aus folgendem Grunde: I m Falle der Mittäterschaft ist, auch wenn etwa beide M ittäter mit eigennützigem Zweck handeln, die Entscheidung klar, da der eine eben in seiner P e r­ son die erschwerende Eigenschaft trägt und der andere nicht, so daß sie dem ersten anzurechnen ist, dem zweiten nicht. I n dem F all der Anstiftung ist es zu­ nächst allerdings so, daß der Vorsatz des Anstifters dadurch, daß er die Kenntnis der Sohneseigenschaft in sich aufnimmt, ein besonders schweres Gewicht be­ kommt; aber es bleibt doch auch hier so, daß der An­ stifter eine Person ist, die als solche nicht unter die schwere Drohung des Aszendententotschlags gestellt ist. D as geltende Recht (§ 50 S tG B .) und § 363 Abs. 2 treffen also das Richtige. Gewiß ist bei dieser Art Anstiftung der Vorsatz ein besonders schwerer, der zum Maximum der Strafe hindrängt; aber wenn der Be­ sondere Teil ausdrücklich nur einen bestimmten Per-

sonenkreis einer anderen Strafdrohung unterstellt hat, dann ist es doch logisch, daß im Allgemeinen Teil nur gesagt werden kann: Diese Eigenschaft haftet an der Person. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Zunächst besteht eine Unklarheit darüber, was der Satz heißt: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft". D as behaupte ich nicht, sondern das stelle ich fest! Des weiteren: Die Absätze 1 und 2 vom § 363 bedeuten etwas sehr Verschiedenes. I m Absatz 1, wenn ich mich der alten „Grammatik" bedienen darf, ist die Akzesso­ rietät erweitert, (Ministerialdirektor Schäfer: Aber gemildert durch die Kann-Milderung!) und im Absatz 2 ist sie aufgegeben, indem jeder als selbständig handelnd betrachtet wird. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as ist schon im geltenden Recht so!) — D as ist schon im geltenden Recht so. Nur scheint es m ir eine Entscheidungsfrage zu sein, ob man den Absatz 2 halten will, ob man also die strafmildernden und strafschärfenden Umstände, nicht die strafbegrün­ denden, nur in der Person dessen wirken lassen will, bei dem sie vorhanden sind. Wenn man das will, dann muß man es aber im Gesetz sagen. Ich würde dafür plädieren, daß die strafschärfenden und -mildernden Gründe nur aus das Haupt dessen treffen, bei dem sie vorliegen. Beim Absatz 1 fjeifct es: „Wird durch besondere Eigenschaften und Verhältnisse die Strafbarkeit be­ gründet, so genügt es, wenn sie bei e i n e m vorhanden sind". D as ist der F all bei der Rechtsbeugung, bei der Blutschande. Nun frage ich: Glauben die Herren, daß, wenn wir bei der Mittäterschaft schreiben „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft", dieser Satz vereinbar ist mit diesem § 363? Oder in welchem Verhältnis stehen dann diese beiden Bestimmungen zueinander? Ministerialdirektor Schäfer: Nach meiner Meinung, Herr Minister, wird diese Bestimmung „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft" durch unseren Abs. 1 erläutert. Ich rechne ihm aber auch strafbegründende Eigenschaft bei einem anderen Mitwirkenden zu. Dieser Paragraph ist die E rläu­ terung oder auch Erweiterung, wenn man so sagen will, aber mit Kann-Milderung, während der Absatz 2 völlig konform geht mit dem Satze „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft". Reichsjustizminister D r. Gärtner: S ie wollen sagen, der Absatz 2 steht in keinem Widerspruch zu dem Gedanken: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft" — das kann man sagen; Absatz 1 bedeutet eine gewisse Erläuterung und E r­ weiterung, wenn die strafbegründende Eigenschaft nur bei einem vorliegt und beim anderen nicht! Auch wenn du nicht Richter bist, kannst du Beihilfe zur Rechtsbeugung leisten.

Ministerialdirektor Schäfer: Bei Absichtsdelikten würde man sagen: Die Ab­ sicht, die bei dem einen vorliegt, wird dem anderen zugerechnet. Professor Dr. Mezger: Ich würde nicht sagen: eine „Erweiterung", sondern eine „Erläuterung" dieses Satzes. Wenn der Bruder seiner Schwester eine dritte Person zum Ge­ schlechtsverkehr zuführt, so ist dies gar keine T at, die eine Blutschande darstellt, obgleich der Bruder zu ihr Veranlassung gibt; denn das Wesen der Blutschande besteht in einer geschlechtlichen Vereinigung der beiden Geschwister selbst. Es fehlt also hier am Tatbestand selbst. S o kann, glaube ich, vernünftigerweise, selbst wenn der § 363 in seiner mangelhaften Form bleibt, dieser niemals auf solche Fälle angewandt werden. Es ist aber vielleicht angezeigt, zu überlegen, ob die Fassung nicht noch verbessert werden kann. Reichsjustizminister D r. Gärtner: Ich darf noch einmal bitten, sich das Blutschande­ beispiel klarzumachen: Ein Bruder leistet fernem Freund Beihilfe zum geschlechtlichen Verkehr mit seiner Schwester. (Professor Dr. Mezger: E s wird niemand aus den Gedanken kommen, daß dadurch eine B lu t­ vermischung eintritt, so daß dieser Beihilfe leistende Bruder wegen Blutschande bestraft werden könnte!) — Gewiß! Es gibt sicherlich niemand in diesem Raum, der diese Beihilfe des Bruders unter dem Ge­ sichtspunkt des Inzestes ansprechen will. (Professor Dr. Graf Gleispach: Aber der Wortlaut zwingt zu dieser Folgerung!) Professor Dr. Kohlrausch: Ich teile die Bedenken des Herrn Gras Gleis­ pach und sehe andererseits gar keinen Schaden in der Streichung des Abs. 1 des § 363, falls wir wirklich durch die Vorschläge, die uns heute im Umdruck unter­ breitet worden sind: Eine S traftat begeht, wer sie selbst oder durch einen anderen ausführt oder wer durch An­ stiftung, Beihilfe oder sonst mitwirkt die Akzessorietät wieder in das Gesetz hineinbringen wollen. Wenn § 363 Abs. 1 bleibt, dann ist die Konse­ quenz, die Herr Graf Gleispach gezogen hat, unver­ meidlich. D a diese Konsequenz unsinnig ist und der Paragraph nichts nützt, müssen wir ihn streichen. E r ist aus dem Entwurf von 1925 herübergekommen und trotz aller Einwände immer stehen geblieben. Den Abs. 2 des § 363 halte ich für gut und richtig, weil er dort, wo es geht, mit der Akzessorietät bricht. D as tut auch § 50, und wir wollen unser neues Gesetz doch nicht schlechter machen, als es jetzt ist. § 50 hat in sehr vernünftiger Weise in diesen Fällen — und nur in ihnen — von Akzessorietät abgesehen. D as will auch der § 363 Abs. 2, und das scheint mir richtig. Wenn dem aber so ist, dann kann der Abs. 2 des § 1

in der heutigen Vorlage wegfallen, so daß mein Ergebnis wäre: der Paragraph lautet: Absatz 1: Eine S traftat begeht, wer sie selbst oder durch einen anderen ausführt oder wer durch Anstiftung, Beihilfe oder sonst mitwirkt; Absatz 2: Bestimmt das Gesetz, daß besondere Eigen­ schaften oder Verhältnisse die Strafe erhöhen oder mildern, dann gilt das nur für die Be­ teiligten, bei denen sie vorliegen. Ich habe mir seinerzeit erlaubt, einen Vorschlag zu machen, der den Absatz 2 etwas kürzt und sprachlich vielleicht glatter macht, und wollte ihn so fasten — ich wiederhole den Vorschlag — : Wenn das Gesetz eine Strafe aus Gründen, die in der Person des Handelnden liegen, erhöht oder vermindert, so gilt das nur für den Be­ teiligten, bei dem diese Gründe vorliegen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Und der § 363 Abs. 1 würde ausgegeben und auch der Satz „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft"?) — J a , das würde ich auch streichen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Warum eigentlich das Letztere?) — Weil das nur in unklarer Weise sagt, was § 363 Abs. 2 in klarerer Weise sagt. Mehr sagt er nicht, soviel ich ihn verstehe. Wenn er mehr sagen will, wäre ich dankbar dafür, wenn gesagt würde, was er will. (Zuruf: Strafbemessung!) — Wenn er nur darüber etwas sagen will, dann gehört er nicht hierher, sondern in den Abschnitt über Strafbemessung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, der Satz: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft" soll auch den Weg ebnen, daß man bedenkenlos den einen für fahrlässige, den anderen für vorsätzliche Beteiligung bestrafen kann. Professor Dr. Kohlrausch: Es kann doch niemand wegen Vorsatzes bestraft werden, wenn bei ihm nur Fahrlässigkeit gegeben ist. (Prof. Dr. Dahm: An sich wäre es denkbar, daß jemand nur fahrlässig Hilfe leistet, und er wird „nach seiner Schuld" bestraft.) — „Nach seiner Schuld"! D as ist nie bezweifelt worden, daß das so gemacht werden muß. D a das aber absolut selbstverständlich ist, habe ich mir bei Abs. 2 des 1 nichts denken können. I n die S tra f­ zumessung mag es passen. (Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Der Gedanke des § 362 Abs. 3: „Die Strafbarkeit jedes an der S traftat Beteiligten ist unab­ hängig von der Strafbarkeit der anderen Be­ teiligten" sollte schon ein wesentlicher In h a lt dieses Abs. 2 des § 1 sein.) — Den Gedanken, der im Entwurf in § 362 Abs. 3 ausgesprochen ist, habe ich, offen gestanden, in dem

uns heute vorgelegten Entwurf vermißt. Wenn das hier in Absatz 2 stehen soll, dann ist das eine neue Überraschung, und diese Fülle von Überraschungen ist ein Zeichen dafür, daß das Ganze nicht ohne weiteres verständlich ist. Wenn ich von dem Entwurf, der uns heute unterbreitet worden ist, ausgehen darf, so bin ich der Meinung: Der § 1 Abs. 1 muß bleiben. Als Absatz 2 muß der Abs. 2 des § 363 in verbesserter Fassung angefügt werden, und dahinter muß als Absatz 3 stehen: Die Strafbarkeit jedes an der S tra f­ tat Beteiligten ist unabhängig von der Strafbarkeit der anderen Beteiligten. Denn dieser Bruch mit der Akzessorietät trifft ja nicht nur die Schuld. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: § 363 hat m. E. folgende Bedeutung: Es liegt ein Sonderdelikt vor, bei dem besondere Eigenschaften oder Verhältnisse eine Rolle spielen. Nun sind an dem Sonderdelikt Leute beteiligt, bei denen die Eigen­ schaften oder Verhältnisse vorliegen, und Leute, bei denen sie nicht vorliegen. D a soll sich keiner von den Beteiligten darauf berufen können: Mich geht die Sache nichts an, ich bin nicht strafbar, bei mir liegen diese Eigenschaften oder Verhältnisse nicht vor. (Professor Dr. Kohlrausch: D as kann er auch schon jetzt nicht nach der neuen Fassung des tz lA b s .l.) — Der Entwurf des § 363 ist ja einige Jahre älter als das, was heute früh vorgelegt worden ist. Ich spreche jetzt darüber, was die Vorschrift, wie sie hier steht, bedeuten soll. Es handelt sich also um ein Delikt, bei dem bei einem der Beteiligten die Eigen­ schaften oder Verhältnisse, die das Gesetz erfordert, fehlen. D a soll sich keiner darauf berufen können: Bei mir fehlen diese Eigenschaften oder Verhältnisse, infolgedessen falle ich nicht unter das Gesetz und bin straffrei. Nun gibt es zwei Arten Sonderdelikte. Die einen sind solche, bei denen diese Eigenschaften das Delikt erst begründen, und solche, bei denen das Sonder­ delikt ein Qualifikationsdelikt gegenüber einem schon bestehenden einfachen Delikt ist. I m letzteren Falle ist es einfach so, daß man sagt: Deine Schuld ist nur so groß, daß du dich am einfachen Delikt beteiligt hast. D as Gesetz braucht die Sondereigenschaft bei ihm nicht zu berücksichtigen. I m ersteren F all konnte man das nicht, weil ein Delikt ohne die Eigenschaft nicht vorhanden ist. Infolgedessen muß man sagen: D ir wird die Eigenschaft zugerechnet, ich will aber, weil dir die Eigenschaft fehlt, das berücksichtigen, indem ich dir fakultativ Strafmilderung gewähre. S o stimmen die Absätze 1 und 2 auseinander. Die Schwierigkeiten bei der Auslegung der einzelnen Fälle beruhen dar­ auf, ob man die einzelnen Delikte als Fälle des Absatz 1 oder des Absatz 2 bewertet. Sieht man z. B. den Aszendententotschlag als ein ganz anders ge­ artetes Delikt an, als ein Delikt, bei dem die Kindes­ eigenschaft die typische Strafbarkeit erst begründet, dann muß der Anstifter wegen Anstiftung zum Aszendententotschlag aus der Vorschrift gegen Aszendententotschlag bestraft werden. Sieht man

aber AszendenLentotschlag nur als einen Qualifikationstatbestand gegenüber gewöhnlichem Totschlag an — das ist der Fall des Abs. 2 — , dann ist nur der­ jenige des Aszendententotschlags schuldig, bei dem die innere Hemmung, daß er ein Abkömmling des Getöteten ist, nicht genügt hat, um ihn davon abzu­ halten, sich an der T at zu beteiligen. S o fasse ich das auf. Infolgedessen würde ich dafür sein, die beiden Sätze, die jedenfalls viel klarer als § 1 Abs. 2 aus­ drücken, was der Richter machen soll, tnt Gesetz stehen zu lassen, selbst wenn sie überflüssig fein sollten. Professor Dr. Kohlrausch: Ich glaube, die Sache ist historisch zu erklären. Der § 363 Abs. 1 steht in den Entwürfen von 1925 und 1927. D a hat er auch einen S inn. M an kann sogar vielleicht sagen: er war nötig, weil Anstiftung und Beihilfe in einer Weise geregelt waren, daß man ohne diesen § 363 nichts hätte anfangen können. Nach­ dem aber jetzt — nicht nur in der uns heute unter­ breiteten Fassung, sondern schon in unserem Entwurf erster Lesung — steht: gleich dem T äter begeht eine S traftat, wer bei ihr hilft, zu ihr anstiftet oder in anderer Weise bei ihr mitwirkt, ist dieser § 363 ein vorsintflutliches Gebilde, welches in unsere Arbeit noch hineinragt, hier aber nichts mehr zu suchen hat. Aus diesem Grunde bin ich für die Streichung. Sonst lösen wir die Frage doppelt und kommen unweiger­ lich zu den Ergebnissen, aus die Graf Gleispach auf­ merksam gemacht hat. Professor Dr. Mezger: Ich glaube, Herr Kollege Kohlrausch hat übersehen, daß im Abs. 1 eine gesetzgeberische Dispositive ent­ halten ist, nämlich die Anordnung der fakultativen Milderung. Der Abs. 1 des § 363 als solcher muß deshalb bleiben, denn die Kannmilderung ist hier durchaus angezeigt. M an denke etwa an die Anstif­ tung zur Rechtsbeugung. E s ist doch etwas ganz anderes, ob die Person des Handelnden unter dem besonderen Normenkomplex — hier also der Richter­ verpflichtung — steht, oder ob ein beliebiger Außen­ stehender, der nicht unter diesem besonderen Normen­ komplex steht, die Handlung veranlaßt. Jedenfalls muß die Möglichkeit gegeben sein, diese Verschieden­ heit sachlich zu berücksichtigen, und schon aus diesem Grunde muß der Abs. 1 bleiben. I n tz 1 Abs. 2 der heute vorgelegten Fassung: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft", sehe ich meinerseits vor allem eine erfreuliche Beseitigung der Akzessorietät. Professor Dr. Nagler: Die Eigenart des § 363 Abs. 1 besteht doch darin, daß die strafbegründenden Umstände, die nur in der Person eines der Beteiligten bestehen, mobilisiert und auch auf die übrigen übertragen werden. D as ist eine Unmöglichkeit. Nach meinem Dafürhalten hängen die strafbegründenden Umstände, die erst der T at den Straftatcharakter verleihen, lediglich am Haupttäter; sie können nicht von einem aus den anderen über­ tragen werden. Darum ist die Konsequenz des Herrn Graf Gleispach richtig, die er aus dem vorgeschla-

gciten § 363 Abs. 1 gezogen hat. Natürlich darf die von ihm gefundene' Entscheidung nicht rechtens werden, aber sie würde nach § 363, glaube ich, nicht nur möglich, sondern notwendig sein, und darum bin ich der Meinung: W ir müssen § 363 Abs. 1 glatt streichen. D araus würden sich keinerlei andere Schwierigkeiten ergeben. Daß der zu einem Sonder­ verbrechen Mitwirkende aus dem Tatbestand des Sonderverbrechens bestraft wird, ist ja heute schon allgemein anerkannt; es würde auch in Zukunft gar nicht streitig werden können. W as die Wendung des § 1 Abs. 2 „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft" anlangt, so soll sie natür­ lich nicht den § 363 Abs. 2 mitenthalten — das war gestern nicht die Auffassung — , sondern sie soll weiter nichts als die limitierte Akzessorietät wiedergeben; sie deckt sich folglich mit Abs. 3 des § 362 unseres bis­ herigen Entwurfs. W ir würden also den § 363 Abs. 2 immer noch brauchen, ja wir kommen, wie die heutige Debatte gezeigt hat, ohne ihn überhaupt nicht durch. Denn die Fälle, die vorhin im allgemeinen zur D is­ kussion gestellt wurden, werden natürlich nach dem Rechtsempfinden des Einzelnen sehr verschieden be­ urteilt. Ob ein Extraneus, der einen Sohn zum Vatertotschlag anstiftet, nun nach der schweren Aszendententotschlagsbestimmung bestraft werden soll oder nicht, darüber wird, glaube ich, überhaupt keine Einmütigkeit erzielt werden. Hier herrscht individu­ elles Empfinden. Darum hat noch jede neuere Gesetz­ gebung eine ausdrückliche Bestimmung notwendig gehabt, wie sie uns in § 363 Abs. 2 vorliegt. Ich halte sie auch für gerecht. Professor Dr. Kohlrausch: Wenn § 363 Abs. 1 wegen der Kannmilderung und aus keinem anderen Grunde nötig ist — wobei ich bemerke, daß das heutige Recht diese Milderungs­ möglichkeit nicht enthält — , dann kann er natürlich einfach geändert werden. E r würde lauten: „Wird die Strafbarkeit einer T at durch besondere Eigen­ schaften oder Verhältnisse begründet, so kann die Strafe dessen, bei dem sie nicht vorliegen, gemildert werden." Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Ob diese Bestimmung dann hier bleiben soll oder in die Strafzumessungsgründe gehört, ist eine andere Frage. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich glaube jedenfalls, daß der Abs. 2 des § 363 aufrechterhalten werden muß. Der Entwurf, der uns von der Unterkommission vorgelegt worden ist, bietet keinen genügenden Ersatz. Es heißt dort int § 1 Abs. 2: Jeder wird nach seiner Schuld bestraft. D as ist nur eine ganz allgemeine Straszumessungsvorschrift. Was den Abs. 1 betrifft, so will ich einmal an­ nehmen, er wird aufrechterhalten. Der Fall des Herrn Graf Gleispach wird durch diesen Abs. 1 nicht in der Weise geregelt, daß der Bruder wegen Beihilfe zur Blutschande bestraft wird, denn hier fehlt es doch schon an dem objektiven Taterfordernis, daß eben zwei blutsverwandte Menschen miteinander ge­ schlechtlich verkehren. Also kann hier wirklich niemand

aus die Idee kommen, daß der Bruder wegen B lut­ schande bestrast wird. Aber in einem anderen Falle spielt der § 363 Abs. 1 eine Rolle: Es ist der bekannte Fall, daß ein Matrose nach Hamburg in ein Bordell kommt, jahrelang weggewesen ist, aber die Bordell­ wirtin erkennt ihn wieder und weiß gleichzeitig, daß sich in ihrem Bordell seine Schwester befindet, die sie ihm zuführt. Schwester und Bruder erkennen sich nicht wieder, und auf diese Weise führt die Bordellwirtin eine Blutsvermischung, wie sie das Gesetz verhüten will, herbei. Die beiden Personen sind natürlich nicht strafbar, weil sie von ihrer Blutsverwandtschaft nichts gewußt haben. Die Frage ist aber, ob die F rau straf­ bar ist. Sie ist — abgesehen von der Kuppelei — hier strafbar als mittelbare Täterin der Blutschande nach § 363 Abs. 1. Den objektiven Tatbestand haben wir: Hier ist die Blutsvermischung zur Ausführung gekom­ men, und es genügt, daß sie in der Person des Matrosen und der Schwester erfüllt ist. F ü r solche Fälle braucht man den § 363 Abs. 1, aber nur für solche Fälle; der Fall, den Herr Gras Gleispach angeführt hat, fällt meines Erachtens schon aus Mangel an objektivem Tatbestand nicht darunter. Es ist weiter notwendig, den Nichtbeamten wenig­ stens fakultativ für minder strafbar zu erklären, der einen Beamten zum Beamtendelikt veranlaßt, als den Beamten selbst. Vielleicht sollte das auch durch § 2 Abs. 1 des Entwurfs der Unterkommission gedeckt werden; aber ich glaube, deutlicher ist die Ausdrucks­ weise des Entwurfs. Ich möchte daher vorschlagen, beide Absätze so, wie sie hier sind, beizubehalten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich komme wieder aus den Gleispachschen Jnzestfall zurück. Ausgangspunkt ist — damit das Anknüpsungsmoment gegeben ist — : Der Bruder ist dem Freund zum Verkehr mit seiner, des Bruders, Schwester behilflich. Frage: Kann das eine Beihilfe zu einem Inzest sein? Die Fragestellung allein genügt schon. Warum kann das keine Beihilfe zum Inzest sein? Weil ein Inzest gar nicht vorliegt, eine strafbare Handlung gar nicht begangen ist. Allerdings halten wir alle die versuchte, die erfolglose Beihilfe zu einem Vergehen, das sich der Gehilfe vorstellt, für strafbar. Wo liegt hier der Unterschied? E r liegt darin, daß der Gehilfe sich hier überhaupt keine strafbare Hand­ lung vorstellt. Ich glaube, dem Gleispachschen Bei­ spiel können w ir nach jeder Richtung hin ausweichen, mit und ohne Paragraphen. Diese Konstruktion ist auch hier nicht möglich. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der Blutschandefall mit der Bordellwirtin verlangt aber eine Bestrafung nach § 363.) — Da bin ich mir nicht ganz klar. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Die F rau führt denblutschänderischen Erfolg herbei!) — Da würde sich sofort eine Frage anknüpfen: W as der Matrose und die Schwester getan haben, ist keine strafbare Handlung, ist aber rechtswidrig. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Das Gesetz will aber diesen Erfolg verhüten!)

Professor Dr. Graf Gleispach: Die Bedenken, die ich hier geltend gemacht habe, sind vollkommen beseitigt, wenn man der Fassung Kohlrausch folgt. Ich habe natürlich nie die Aus­ fassung gehabt, daß in diesem F all eine Bestrafung eintreten soll. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as haben wir auch nicht angenommen!) — Ich behaupte nur, daß der Wortlaut dieses Gesetzes diese Fälle durchaus ersaßt, und daß zwischen dem Hamburger F all und dem Fall, der vielleicht nur in dem Sinne als „Fall Gleispach" zu bezeichnen sein dürfte, weil ich das Beispiel angeführt habe, ein wesenhaster Unterschied besteht, aus den der § 363 keine Rücksicht nimmt. Nun kann man ja sagen: D as macht nichts, weil man ein Gesetz nicht unsinnig aus­ legen wird. Aber ich bin der Meinung, man solle sich bemühen, ein Gesetz so abzufassen, daß eine unsinnige Auslegung nicht möglich ist. D as habe ich an dein § 363 auszusetzen. Aber das Bedenken ist vollkommen beseitigt, wenn man die Fassung Kohlrausch annimmt, die alles sagt, was gesagt werden muß: E s kann in diesem F all eine Strafmilderung eintreten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Vorschlag Kohlrausch geht dahin, daß man sagt: Eine S traftat begeht, wer sie selbst oder durch einen anderen ausführt oder wer durch Anstiftung oder Beihilfe mitwirkt. D as ist die blaue Fassung, die heute früh vorgelegt worden ist. Der nächste Satz hat keinen Beifall gefunden: Jeder wird nach seiner Schuld bestraft. D as hatten S ie ursprünglich tilgen wollen. Professor D r. Kohlrausch: Ich möchte das streichen und durch § 363 Abs. 2 ersetzen, weil das, w as darüber hinausgeht, unter uns so viele Auslegungen gefunden hat, wie Meinungs­ äußerungen darüber erfolgt sind. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Also Ergebnis: § 363 Abs. 2 ist bis jetzt unbe­ stritten geblieben: besondere strafschärfende und straf­ mildernde Umstände fallen ausschließlich aus das Haupt dessen, bei dem sie vorliegen. D as scheint mir auch richtig zu sein. (Rechtsanwalt Dr. Gras von der Goltz: D ann würde derjenige, der den Sohn zum Vatermord anstiftet, nur wegen einfacher An­ stiftung zum Mord strafbar sein.) — J a ! Aber ich muß ausdrücklich sagen: das ist eine reine Entscheidungsfrage. E s läßt sich für die andere Entscheidung auch allerhand sagen. Wir haben nämlich vorhin einmal losgelöst vom Gesetz ein paar Fälle ßur Entscheidung gestellt, unter anderem den Fall, daß lemand den Sohn anstiftet, den eigenen Vater umzu­ bringen; da hat sich sofort herausgestellt, daß das eigene Gerechtigkeitsempfinden ein außerordentlich

unsicherer Maßstab ist. — Ich darf vielleicht das Beispiel noch einmal wiederholen. (Staatssekretär Dr. Freister: E s ist nicht nötig. Ich bin schon informiert. Ich bin nur erstaunt darüber, daß man da anderer Meinung gewesen ist.) — Also Akzessorietät in des Wortes verwegenstem S inn. (Staatssekretär Dr. Freister: D as hat gar nichts damit zu tun.) — M an kann darüber nicht debattieren; das geht ein­ fach nicht. D as Empfinden in uns scheint, obwohl w ir ein geläutertes Rechtsempfinden zu haben glauben, nicht gleich zu sein. M it derselben Energie ist das eine wie das andere vertreten worden. (Staatssekretär Dr. Freister: D as ist doch un­ möglich! D as andere kann man doch nicht vertreten!) — Selbst die geschloffene Phalanx von Kiel ist ge­ spalten gewesen. (Staatssekretär Dr. Freister: Eben weil sie sich verirrt hatte!) — Wenn man natürlich aus dem Standpunkt steht, dem Herr Staatssekretär Freister durch diese drama­ tische Antwort Ausdruck gegeben hat, dann ist der § 363 Abs. 2 falsch, denn diese Entscheidung ist gegen­ teilig. (Rechtsanwalt Dr. Gras von der Goltz: Nach dieser Fassung muß es anders entschieden werden.) — Nach meiner Meinung ist das einfach eine Willens­ frage. Ich neige dazu, den § 363 Abs 2 doch stehen zu lassen, weil ich aus der Prüfung des Gerechtigkeitsempsindens dieser erlauchten Korona gesehen habe, daß das nicht eindeutig feststeht. Ich war selbst vor­ hin geneigt, aus dem Willensstrafrecht herzuleiten: Wenn jemand einen anderen anstiftet, seinen Vater umzubringen, und weiß, daß das sein Vater ist, so ist das eine schwerere Schuld, als wenn er ihn anstiftet, einen anderen umzubringen. (Staatssekretär Dr. Freister: D as ist doch selbstverständlich! — Prof. Dr. Dahm: Aber er hat doch nicht den Willen des Vatermordes! — Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: E r hat den Willen, daß ein anderer seinen Vater mordet!) — Es sind auch zahlreiche andere Fälle, wo das wieder auftaucht. Unbestritten ist folgendes: Wenn die Strafbarkeit durch die Eigenschaft begründet wird, die in einer Person vorliegen muß, dann kann sich der, bei dem sie nicht vorliegt, nicht darauf berufen. Anstiftung zur Rechtsbeugung wird in der Person des Anstifters nach dem Strafrahm en der Rechts­ beugung bestraft. D as ist unbestritten. (Professor D r. Dahm: D as ist durchaus bestritten!) — Ich würde bitten, die Diskussion nicht ganz aus­ einanderlaufen zu lassen. Ich habe vorhin feststellen wollen, daß das wenigstens unbestritten ist, daß, wenn

die strafbegründende Eigenschaft bei einem von mehreren Mitwirkenden vorliegt, die anderen sich nicht darauf berufen können, daß sie bei ihnen nicht vorliegt. Nun höre ich aber, auch das ist bestritten. (Professor Dr. Dahm: Nein, das ist nicht bestritten.) Ministerialdirektor Schäfer: D ann vermag ich nicht einzusehen, wie dieses Beispiel anders liegt als das Beispiel von Herrn Professor Klee mit der Bordellwirtin in Hamburg. Das, was Bruder und Schwester tun, ohne etwas zu ahnen, war objektiv rechtswidrig, und S ie sagten: Wir wollen die Bordellwirtin wegen Jnzests in mittel­ barer Täterschaft bestrafen. Nun vermag ich nicht einzusehen, warum dann bei dem Beispiel anders zu entscheiden wäre, in dem die Partei den Richter veran­ laßt, daß er im Irrtu m befangen bleibt und dadurch ein falsches Urteil fällt, was objektiv rechtswidrig ist. Es fehlt bei ihm nur der Vorsatz; es bleibt auch in diesem Fall nichts anderes übrig, als zu sagen: Die Partei begeht in mittelbarer Täterschaft eine Rechts­ beugung. Ministerialdirigent D r. Schäfer: Der Unterschied ist der, daß zum Wesen des Inzestes bloß die Geschlechtsvermischung von zwei Blutsverwandten gehört, während zur Rechtsbeugung die Wissentlichkeit des Richters gehört, daß das, was er spricht, nicht Recht ist. Sonst wäre jedes falsche Urteil objektive Rechtsbeugung, auch wenn sie nicht wider besseres Wissen oder vorsätzlich geschieht. Oberregierungsrat D r. von Dohmmyi: Wenn wir die Anstiftung oder Beihilfe so fassen, wie sie in den §§ 2 und 3 gefaßt ist, so würde der­ jenige, der den Richter durch eine falsche Zeugenaus­ sage vor Gericht dazu anstiften will, ein falsches Urteil zu sprechen, auch dann wegen versuchter An­ stiftung zu bestrafen sein, wenn der Richter mit der strafbaren Handlung gar nicht beginnt — voraus­ gesetzt natürlich, daß er mindestens mit der Möglich­ keit rechnet, der Richter werde die Unrichtigkeit der Aussage erkennen. E r wird also wegen versuchter Rechtsbeugung bestraft. D as ergibt sich aus § 2 in Verbindung mit § 363. Reichsjustizminister D r. Gärtner: M ir ist diese Formulierung vorgestern schon vor­ gelegt worden bei der Vorbesprechung über die Lösung der Akzessorietät bei der Anstiftung. Schon vorgestern wurde mir gesagt: Wer wissentlich eine falsche Aussage macht und dadurch bewirken will, daß ein falsches Urteil entsteht, muß wegen versuchter Anstiftung zu einer Rechtsbeugung bestraft werden, auch dann, wenn es überhaupt zu gar keinem Urteil kommt. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: D as Delikt der Rechtsbeugung liegt objektiv über­ haupt nicht vor, wenn nicht der Richter weiß: Hier

ist das Recht, und so spreche ich. E s gibt eben Delikte, bei denen der innere Tatbestand das Wesen des Delikts ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist die Schwierigkeit. Ich sage ja, wir haben uns von der Akzessorietät losgelöst, losgeschworen. Es ist die Frage, ob wir da nicht auch wieder einen Schwur gemacht haben, der nicht stark genug ist, um die Verhältnisse des Rechts und des Lebens zu meistern. Professor Dr. Mezger: E s ist vielleicht richtig und angezeigt, an dieser Stelle daran zu erinnern, daß das T a t b e s t a n d s st r a s r e ch t bisher niemals preisgegeben worden ist und auch künftig nicht preisgegeben werden soll oder kann; denn sonst folgt das Chaos. Der S in n des heutigen W i l l e n s st r a f r e c h t s ist lediglich der, daß die Aufnahme des Tatbestandes in den Willen des Handelnden verschoben ist. Auch das Willensstrafrecht ist also Tatbestandsstrasrecht. Bei der Rechtsbeugung ist es demnach so: I n dem Willen, wie er vorhin geschildert worden ist, steckt das Wollen der Rechtsbeugung gar nicht drin, weil zur Rechts­ beugung schon t a t b e s t ü n d l i c h gehört, daß eine b e w u ß t e Brechung des Rechts durch den Richter erfolgt. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich kann mir die Anstiftung zur Rechtsbeugung natürlich vorstellen. D as setzt aber folgendes Vor­ stellungsbild voraus: Der Richter hat seinen T at­ bestand und wird wahrscheinlich zu meinen Ungunsten entscheiden. Jetzt will ich durch irgendwelche M ittel ihn dazu bringen, daß er, obwohl er anders ent­ scheiden müßte, zu meinen Gunsten entscheidet. Bei dem M ann dagegen, der die falsche Aussage macht, ist das Vorstellungsbild ein ganz anderes. Der will den Richter betrügen, der will ihm blauen Dunst vormachen, damit der Richter die Wahrheit nicht sieht. Aber er stellt sich keineswegs vor, daß der Richter vorsätzlich das Recht anders spricht, als er eigentlich müßte. Professor Dr. Kohlrausch: Daß wir hier in Verwirrung geraten, ist sicher. D as liegt daran, daß wir uns eben n i c h t v o n d e r A k z e s s o r i e t ä t g e l ö s t haben. I n dem M o­ ment, wo wir sagen: „oder bei ihr mitwirkt", treiben wir mit vollen Segeln in sie hinein. W ir machen das

Gegenteil von einem sogenannten extensiven Täterbegriff. Wenn wir den Täterwillen aufnehmen, haben wir ein wirklich nicht akzessorisches Tatsachenstrasrecht. Was den F a l l d e r B o r d e l l m u t t e r be­ trifft, die Blutschande veranlaßt, ohne daß die Täter es wissen, so ist sie selbstverständlich wegen Anstiftung strafbar. Denn das muß immer wieder betont werden: I n einem gewissen R e s t von Fällen, in denen eine mittelbare Täterschaft begrifflich unmöglich ist, bleibt die Strafbarkeit d e r A n s t i s t u n g u n e n t b e h r lich. D as ist keine Konzession an den sogenannten engen Täterbegriff, sondern eine Selbstverständlichkeit. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde vorschlagen, die Aussprache jetzt abzu­ brechen. Sie hat gezeigt, daß ganz einfache Dinge, die wir völlig gelöst zu haben glaubten, noch lange nicht bis zum letzten gelöst sind. Ich will jetzt nicht davon sprechen, wie es ist, wenn die Beihilfe als selbständige strafbare Handlung erscheint. Gesetzt den Fall, wir hätten das erreicht, wie ist es dann, wenn der Täter zu einer erfolglosen Beihilfe zu der Tat, die gar nicht zustande kommt, anstiftet? Kann der T äter zur Bei­ hilfe zu seiner eigenen T at anstiften? Heute wird es verneint. Kann er es in Zukunft? Wie ist es, wenn es zu einer Haupttat nicht kommt? Dann würde der Täter bestraft werden, weil er den Gehilfen angestiftet hat, ihm zu helfen, und der Gehilfe würde bestraft werden, weil er die Beihilfe versucht oder Beihilfe geleistet hat zu etwas, was nicht kam. Is t das wirklich etwas, was demWunschbild der Kommission entspricht? — Diese Fragen tauchen im akzessorischen Recht gar nicht aus, sondern erst im selbständigen Beihilserecht. Ich glaube, wir müssen uns überlegen, ob wir die Beihilfe als strafbare Handlung so verselbständigen wollen, daß der Täter der Haupttat dazu anstiften oder Beihilfe leisten kann und strafbar ist, auch wenn die Haupttat gar nicht begangen, nicht einmal ver­ sucht wird. (Professor Dr. Klee: Dann muß der Gedanke von Herrn Professor Schaffstein wieder leben­ dig werden!) — Wenn man das nicht macht, kommt man auf die absurde Idee, daß der Täter wegen Anstiftung zu einer erfolglosen Beihilfe für eine gedachte und nicht zustande gekommene T at strafbar wird, während er für Vorbereitungshandlungen, die er selber viel inten­ siver getroffen hat, nicht strafbar ist. Ich schließe die Sitzung.

(Schluß der Sitzung 14 Uhr 10 Minuten.)

StrafrechkskommWon

67. Sitzung ö. M al 1935 Zweite Lesung Inhalt Die S traftat; Täterschastssormen Bestrafung nach dem Maße der Schuld (§ 363) (Fortsetzung der Aussprache) Reichsjustizminister Dr. Gürtner 1 ,3 ,4 ,5 ,6 ,7 ,9 ,1 0 ,1 1 ,1 2 ,1 3 Reichsgerichtsrat Niethammer............................................. 1, 12 Ministerialdirektor Schäfer........................................................3, 4 Professor Dr. Graf Gleispach.................................... 3, 8, 9, 10 Professor Dr. D ah m .................................................................. 5, 8 Professor Dr. M ezger......................................................................6 Senatspräsident Professor Dr. K le e ................................ 6, 7, 9 Professor Dr. Schaffstein................................................................. 9 Professor Dr. Kohlrausch......................................................10, 12 Vizepräsident G r a u ........................................................................11

Bertreterhastung Reichsjustizminlster Dr. Gürtner.. 14. 17, 20, 21, 22, 23, 25, 26, 28, 31, 32, 35, 36, 37, 38 Berichterstatter Professor Dr. Mezger 13, 14, 15, 16, 17, 21, 34, 35, 36, 37, 38 Berichterstatter Vizepräsident G r a u ................... 17, 18, 19, 20 Landgerichtspräsident Dr. L orenz.............................................. 21 Oberstaatsanwalt Dr. Reimer.......................................................22 Professor Dr. Graf Gleispach.............................. 23, 24, 25, 36 Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz......................25, 28, 32 Staatssekretär Dr. Freister........................................... 26, 27, 28 Professor Dr. N agler......................................................28, 29, 30 Senatspräsident Professor Dr. Klee................... 30, 31, 36, 37 Ministerialdirektor Schäfer............................................. 33, 34, 37 Professor Dr. Dahm........................................................................36

(Aussprache abgebrochen)

Beginn der Sitzung 10 Uhr 23 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren, ich hatte vor, heute die tätige Reue und das, was von den §§ 364 und 365 noch übrig­ bleibt, zu Ende zu diskutieren und dann zur Vertreter­ haftung überzugehen. Nun ergibt sich aber aus jeder zeitlichen Unterbrechung und Distanzierung, daß man

über die Dinge nachdenkt, gewisse Eindrücke vertieft und gewisse Meinungen sich durch den Kopf gehen läßt. Ich möchte die Gebiete der Mittäterschaft und der Unterlassung jetzt nicht noch einmal zur Erörterung bringen, sondern nur zwei Fragen aus diesem Kapitel stellen. Die Mitwirkung in der Form der erweiterten Täterschaft ist doch schon gegeben, wenn sie rein sub­ jektiv vorliegt, wenn also jemand bei einer Tat, die er sich vorstellt, mitwirkt. D as haben wir schon bejaht; denn sonst wären die versuchte Beihilfe und die versuchte Anstiftung gar nicht strafrechtlich erheblich. Ich halte das für richtig und nach dem Willensstrasrecht eigentlich unvermeidlich. Wie verhält sich dies nun zu dem Satz: Jeder wird nach seiner Schuld be­ straft? Wenn ich frage, was man sich unter diesem Satz denkt, so bekomme ich drei Antworten. Erstens: Der Satz heißt: Wenn bei einem dorr mehreren Mitwirkenden Vorsatz und bei einem andern Fahrlässigkeit vorliegt, so wird jeder nach seiner Schuld behandelt. Beispiel: Die feuergefährliche Wohnung des Fabrikbesitzers, die er den Leuten zuge­ wiesen hat. D as halte ich für selbstverständlich. Zweitens: Wenn eine strafbegründende Voraus­ setzung nur bei einer Person von mehreren vorliegt, soll sie dann auch den andern zur Last gerechnet werden oder nicht? Nimmt der Satz dazu auch schon Stellung? D as ist unklar; es müßte jedenfalls gesagt werden. (Professor Dr. Dahm: D as muß besonders geregelt werden!) — Wenn man darüber etwas aussagen will, dann muß man es besonders sagen, und zwar in der Form : Wenn eine strasbegründende Voraussetzung bei einem Täter vorliegt, soll sie den andern zur Last geschrieben werden, worin ich allerdings ein Bekenntnis zur Akzessorietät sehe, was mich aber nicht stören würde. D rittens: Soll der Satz: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft" auch Antwort geben, wenn straf­ schärfende oder strafmildernde Voraussetzungen bei einem und nicht bei einem andern gegeben sind? D as wurde neulich als wahrscheinlich hingestellt. Ich weiß nicht, ob alle Herren der Meinung sind, daß der Satz auch darauf Antwort gibt. Ich möchte das für zweifel­ haft halten. Dann müßte man diesen Satz von den straferhöhenden und strafmildernden Umständen, die bei einem Täter vorliegen und nur diesen einen treffen, auch besonders aussprechen. Darauf waren wir am letzten Sam stag abgekommen. E s bleibt also nur die zweite Frage übrig: W as bedeutet der Satz nach der Vorstellung jedes einzelnen? Darauf bitte ich die Herren mir jetzt Antwort zu geben. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich bin mir darüber klar geworden, daß dieser Satz, der scharf ausgeprägt das zum Ausdruck bringen wollte, was gesagt werden mußte, um die Abhängig­ keit zu mildern, nicht deutlich genug ist und zu wesent­ lichen Mißverständnissen nicht nur führen kann,

sondern auch führen muß. Ich habe im übrigen die Überzeugung erlangt, daß das, was die Unterkommission an jenem Nachmittag beschlossen hat, auch sonst einer weitgehenden Umarbeitung bedarf, damit das erreicht wird, was sie erreichen will. D as trifft sowohl auf den Absatz 1 über die Täterschaft als auch auf den jetzt angeführten Absatz 2 zu. Die Absicht der Unterkommission bei der Schaffung des Absatzes 2 war lediglich folgende. Nach der Teil­ nahmelehre, wie wir sie aus dem alten Recht über­ nommen haben, war die Abhängigkeit in dem Sinne begründet, daß der Teilnehmer nur verfolgt und be­ straft werden konnte, wenn die Haupttat begangen war, wenn sie rechtswidrig begangen war, und wenn der Täter schuldhast gehandelt hatte. Die Unter­ kommission wollte diese letzte Bedingung beseitigen, die Abhängigkeit von der Schuld lösen, so daß jeder, wenn mehrere an einer strafbaren Handlung beteiligt sind, um seiner Schuld willen bestraft wird, auch wenn die Schuld bei anderen fehlt oder bei anderen geringer ist. D as läßt sich in einem so knappen Satz, wie es beabsichtigt war, nicht zum Ausdruck bringen. E s wird vielmehr nötig sein, dem § 1, den wir ge­ schaffen haben, alsbald einen § 2 nachfolgen zu lassen, der die selbständige Strafbarkeit Beteiligter zum Aus­ druck bringt. Dagegen wird im Absatz 2 des § 1 in einem andern S in n auf den Willen des Einzelnen eingegangen werden müssen. Wenn es gestattet ist, die Fragen, die hier ange­ rührt sind, im Zusammenhang zu erörtern, so darf ich zunächst auf gewisse Mängel aufmerksam machen, die nach meiner Ansicht dem § 1 Abs. 1 anhaften. Hier wird unter anderem gesagt: Eine S traftat be­ geht, wer sie selbst oder durch einen andern ausführt, oder wer durch Anstiftung, Beihilfe oder sonst mit­ wirkt. Schon dieses „sonst" ist falsch und hat bei der Rechtsanwendung eine unerwünschte Wirkung, die zu einer Einschränkung in der Beihilfe führt. Bisher war es in der Rechtsprechung erreicht, daß der Gehilfe bestraft wurde, auch wenn man nicht nachweisen konnte, daß im schließlichen Erfolg irgend etwas von seiner Gehilfentätigkeit steckte. D as war mit gutem Bedacht so geregelt worden; denn das läßt sich in vielen Fällen überhaupt nicht ermitteln. Also scheint es mir zunächst erforderlich, ehe man an die Frage des § 1 Abs. 2 und einer nachfolgenden Vor­ schrift herangehen kann, den § 1 Abs. 1 zu reinigen, von einigem zu entlasten, insonderheit das „sonst" zu beseitigen, damit man nicht sagen kann: hier ist zu­ sammenfassend für Anstiftung, Beihilfe und jede andere Art der Beteiligung eine Wirkung im schließ­ lichen Erfolg verlangt. überdies halte ich es für richtig und sprachlich angemessen, den Absatz 1 anders zu fassen, nämlich dahin: „Eine S traftat begeht, wer sie selbst oder durch einen andern ausführt, oder wer zu ihr anstiftet oder Hilfe leistet oder mitwirkt", damit in die Beihilfe nicht das Erfordernis der Wirkung hineingetragen wird. Nun würde ich einen Absatz 2 folgen lasten, der ganz anders gehalten ist, und der dem entspricht, was man mit dem Willensstrasrecht erreichen will, nämlich

unter allen Umständen den als Täter zu fasten, der den Täterwillen hat. Ich würde also hier sagen: „Wer mit Täterwillen handelt, wird als T äter bestraft". D as hat folgenden S in n : Läßt man den § 1 Abs. 1 so, wie ihn die Unterkommission vorbereitet hat, dann besteht die erhebliche Gefahr, daß das, was bisher als mittelbare Täterschaft, also als Täterschaft rechten S in n s behandelt worden ist, zu einem großen Teil in die Anstiftung abfließt, daß man in dieser auch den Täter unterbringt, der sich eines Geistes­ kranken als Werkzeug bedient. Dem möchte ich durch Einfügen eines Absatzes 2 vorbeugen, der der mittel­ baren Täterschaft wieder die Kraft verleiht, die ihr durch die jetzige Fassung des § 1 entzogen werden kann. Der Satz: „Wer mit Täterwillen handelt, wird als T äter bestraft" schließt jeden Zweifel daran aus, daß der, der einen Geisteskranken als Werkzeug ge­ braucht, unter allen Umständen als T äter zu be­ strafen ist. Die späteren Wirkungen zeigen sich erst bei der erfolglosen Anstiftung und den verwandten Vor­ gängen. Da kommen die lästigen Ergebnisse heraus, mit denen zu rechnen ist, wenn wir die mittelbare Täterschaft in solcher Weise einschränken. E s mag eigenartig erscheinen, daß ich mich immer wieder um die mittelbare Täterschaft bekümmere. Ich weiß auch, daß das nicht im S inne der Entwürfe von 1925 und 1927 ist. D a findet sich vielmehr in den Begrün­ dungen wiederholt der Satz, daß man die mittelbare Täterschaft durch eine solche Umgestaltung überflüssig machen könnte. Allein mir liegt gerade daran, daß sie nicht überflüssig wird. Sie ist ausgebildet von Recht­ sprechung und Rechtswissenschaft, um anpassungsfähig zu sein und zu bleiben; ich möchte diese Anpassungs­ fähigkeit auch für die Zukunft erhalten. Denn wir können nicht nur für den Besonderen Teil nicht über die einzelnen Tatbestände in die Zukunft hinaus­ blicken, sondern dasselbe trifft bei der Vielgestaltigkeit des Lebens auch für die allgemeinen Bestimmungen zu. D as w ar mein Gedanke über die Umarbeitung des § 1. Diesem § 1 wird dann allerdings alsbald ein § 2 nachfolgen müssen, der klarstellt, daß wir an dieser Stelle zunächst nichts anderes vornehmen, als daß wir die echten Teilnahmeformen aus ihrer Abhängig­ keit von der Schuld eines anderen erlösen. Ich würde diesen § 2 überschreiben: Selbständige Strafbarkeit der Beteiligten. Denn er gilt immer nur für die Fälle, in denen nicht nur einer bei einer T at tätig ist, sondern mehrere beteiligt sind, so daß man einen aus den andern beziehen kann. F ü r diesen § 2 würde ich folgende Fassung vorschlagen: „Sind mehrere an einer T at beteiligt, so begründet die Schuld jedes einzelnen seine Strafbarkeit, ohne daß es auf die Schuld eines anderen Beteiligten ankommt". F aßt man die Vorschrift so, dann wird klar, was hier gewollt ist; dann ergibt sich auch ohne weiteres, daß hier nicht von den besonderen Verhältnissen die Rede ist, weder von den schuldbegründenden noch von den schulderhöhenden oder schuldmindernden. An dieser

Fassung liegt mir deshalb, weil irgendeinmal bei der Erörterung davon die Rede war, daß hier eigentlich eine Anweisung für die Strafbemessung vorliege. Diese Annahme geht fehl; es handelt sich hier um das Schulderfordernis an sich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich weiß nicht und bezweifle, ob der letzte Satz wirklich das zum Ausdruck bringt, was wir sagen wollen. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as steht schon in anderer Form im § 362 Abs. 3.) — Ich habe Las Gefühl, daß das nicht ganz stimmt. Aber es kann auch sein, daß ich mich täusche. Ministerialdirektor Schäfer: Herr Minister, ich möchte auf Ih re Frage ant­ worten, was der zweite Absatz int § 1 bedeutet oder was er uns jedenfalls sagen muß. Sie hatten drei Punkte hervorgehoben, zu denen ich mich äußert: möchte. Dieser zweite Absatz bedeutet zunächst, daß dann, wenn bei dem einen Vorsatz, dem anderen F ahr­ lässigkeit in Betracht kommt, jeder nach Maßgabe seiner Schuld, d. h. wegen Vorsatzes oder wegen F ahr­ lässigkeit bestraft wird. Der Absatz 2 darf aber nicht verhindern, daß eventuell gewisse Schuldmomente, die nur bei dem einen vorliegen, auch dem anderen zugerechnet werden. Was wir bei den Absichtsdelikten ausgesprochen haben, muß auch hier erreicht werden; bisher kommt es nicht klar genug zum Ausdruck. Ich glaube, man kann einem Mißverständnis dadurch vorbeugen, daß man alsbald einen Zusammenhang mit dem § 363 Abs. 1 des Entwurfs herstellt, in dem es heißt: „Wird die Strafbarkeit einer T at durch besondere Eigenschasten oder Verhältniße begründet, so genügt es zur S tra f­ barkeit aller an der S tra fta t Beteiligten, wenn die Eigenschaften oder Verhältniße bei einem von ihnen vorliegen". Es ist bereits vorgeschlagen worden, diesen Satz nicht so ausdrücklich auszusprechen, weil er sich von selbst verstehe, aber seinen In h a lt indirekt dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß man den ersten und zweiten Satz des § 363 Abs. 1 zusammenzieht und sagt: Wird die Strafbarkeit einer T at durch besondere Eigenschaften und Verhältniße begründet, so kann die Strafe bei demjenigen, bei dem sie nicht vorliegen, gemildert werden. D rittens brauchen wir noch das, was in dem Absatz 2 des § 363 steht, wonach die Strafverschärfungs-, Strasmilderungs- und Strafausschließungs­ gründe immer nur bei denjenigen berücksichtigt werden, bei denen sie vorliegen. D as liegt nun wieder ganz in der Linie des Absatzes 2: Jeder wird nach seiner Schuld bestraft. Wenn man an dem Aufbau, den die Unterkommission entworfen hat, festhalten will, dann könnte man das Ziel am einfachsten dadurch erreichen, daß man den Absatz 2 des § 1 dort loslöst und ihn mit dem vereinigt, was die Unterkommission neulich formuliert hat und was im § 363 des Entwurfs erster Lesung steht, so daß der Paragraph vorbehaltlich einer

Modifikation in der Fassung etwa lauten könnte: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft. Wird die Strafbarkeit einer T at durch besondere Eigenschaften oder Verhältniße begründet, so kann die Strafe dessen, bei dem sie nicht vorliegen, gemildert werden (§ 413). Bestimmt das Gesetz, daß besondere Eigenschaften oder Verhältniße die Strafe schärfen oder mildern oder ausschließen, so gilt das nur für den Beteiligten, bei dem sie vorliegen." M ir scheint, daß eine solche Fassung die Antwort aus die gestellte Frage gibt und die Frage in dem Sinne löst, wie wir es am vorigen Sonnabend erörtert haben. Darauf möchte ich mich beschränken. Ich selbst habe einen völlig anderen Ausbau für diesen Abschnitt ent­ worfen, aber das würde hier zu weit führen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann würde als In h a lt des lapidaren Satzes „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft" die Schuldform übrigbleiben.) — Jaw ohl. Der Absatz 2 des § 363 wird als eine Anwendung dieses Satzes sogleich in den richtigen Zusammenhang gerückt, und es wird auch das Ver­ hältnis dieses lapidaren Satzes zu dem ersten Absatz des § 363 geklärt, der von einigen Herren für ent­ behrlich bezeichnet wird, von anderen aber, gerade weil er entbehrlich ist und doch gebracht wird, für mißverständlich betrachtet wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre aber kein In h a lt des Satzes, sondern mehr ein Beleuchtungseffekt. Als Jnhaltsbestandsteil bliebe doch nur übrig die Schuldform oder überhaupt die Schuldsrage im ganzen, z. B. bei Unzurechnungs­ fähigkeit eines Beteiligten. Professor D r. Graf Gleispach: Herr Reichsminister! Ich habe mich auch bemüht, den In h a lt dieses zweiten Absatzes zu erkunden. M ir ist ganz klar, was die Verfasser sagen wollten, aber ich glaube, das kommt in keiner Weise zum Ausdruck, wenn ich sage: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft", denn ich setze dabei voraus, daß dieser Jeder strafbar ist. M an kommt daher notwendig auf den Gedanken, es handle sich hier um strafändernde Umstande oder eigentlich um die Strafzumessung, was aber gar nicht gesagt werden soll. Der Satz: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft" geht von der Voraussetzung aus: Ich habe eine Mehrheit von strafbaren Personen und sage jetzt darüber aus, wie sie bestraft werden sollen, näm­ lich — um dieses für den Entwurf gewiß nicht geeignete Wort zu gebrauchen — nach Maßgabe ihrer Schuld. Der Satz ist m. E. dadurch entstanden, daß man sich sagte: Die Beteiligten können ja teils vor­ sätzlich, teils fahrlässig handeln. M an wollte nun diese Frage beantworten: Jeder wird nach der Art seiner Schuld bestraft, der eine wegen Vorsatzdeliktes, der andere wegen Fahrlässigkeitsdeliktes. Gerade diese Frage aber bedarf einer Lösung im Gesetz nicht, wir haben sie bisher nicht gehabt und haben sie nie ver­ mißt. Daß der, der einen anderen zu einer strafbaren Handlung verleitet, ohne den Vorsatz zur Tat in ihm

zu erzeugen, während der andere die T at fahrlässig begeht, als Vorsatztäter bestraft wird, der andere für das Fahrlässigkeitsdelikt haftet, halte ich für ein fest­ stehendes Ergebnis in Rechtsprechung und Wissenschaft. Ich zweifle wirklich, ob es notwendig ist, darüber etwas zu sagen. Der andere Satz dagegen von der Beschränkung der selbständigen Natur der Teilnahme, den w ir doch aussprechen wollen, kommt in diesem Absatz 2 nicht zum Ausdruck. Ich halte es aber für notwendig zu sagen, daß die Zurechnungsunfähigkeit eines Beteilig­ ten auch im alten Sinne nicht auf die anderen wirkt. D as wollen wir ausdrücklich hervorheben. Ich würde hier etwa sagen — das ist eine kleine Abweichung gegenüber dem Text der Unterkommission, die dem Einwand Rechnung trägt, den Herr Reichsgerichtsrat Niethammer zu dem Schluß des Absatz 1 vorgebracht hat — : Die Strafdrohung gelte nicht nur dem un­ mittelbaren Täter, sondern auch jemandem, der die T at durch einen anderen ausführt, zu ihr anstiftet oder bei ihr Hilfe leistet oder sonst sich beteiligt. Die S traf­ barkeit jedes Einzelnen ist von der der übrigen unab­ hängig. Dann aber würde ich anfügen: Wenn die persönlichen Eigenschaften oder Verhältnisse die S tra f­ barkeit einer T at begründen, so soll die Strafe dessen gemildert werden, bei dem sie nicht vorliegen. Wenn persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse die Strase verschärfen oder mildern, so gilt das nur für den, bei dem sie vorhanden sind. (Reichsjustizminister D r. Gürtner: D ann wäre der Formulierung „sonst mitwirkt" aus­ gewichen durch ein neues Wort „sich bebeteiligt".) — Um die Meinung zu verhüten, wir verlangten auch bei der Gehilfschaft den Kausalzusammenhang, was in der T at eine Beschränkung der Haftung wäre, die wir alle nicht wollen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Einwand von Herrn Reichsgerichtsrat Niet­ hammer ist richtig. Die Worte „mitwirken" und „sonst" bilden eine noch größere Gefahr, weil dadurch der Auslegende geradezu daraus gestoßen wird, daß die Beihilfe eine Mitwirkung zur Haupttat sein soll; wenn das ein objektiver Beitrag zur Haupttat sein soll, so ist das einschränkend. Wenn wir aber davon ausgehen, daß die Beihilfe und alle Teilnahmeformen überhaupt nur subjektiv da zu sein brauchen, dann kann man sich allerdings nicht vorstellen, daß die Beihilfe nach der Vorstellung des Gehilfen nicht eine Mitwirkung ist. Oder halten die Herren es für möglich, daß ein Gehilfe nicht die Vorstellung hat, seine Bei­ hilfe fördere die Haupttat? D as liegt doch in dem W ort „Gehilfe", wenn man schon davon abkommt, aus das Objektive abzustellen und zu sagen: Der Gehilfe habe zur Haupttat gar nicht beigetragen. Davon müssen wir abkommen, sonst verstoßen wir gegen unseren Ausgangspunkt; dann bleibt eben nur übrig: Nach deiner Vorstellung hast du die Haupttat unter­ stützen wollen!

Ministerialdirektor Schäfer: Was sollte nach Meinung der Unterkommission durch die Worte „oder sonst mitwirkt" getroffen werden? Wir haben unmittelbare und mittelbare Täterschaft, wir haben die Anstiftung und die Beihilfe. Was gibt es denn sonst noch? (Vizepräsident Grau: Bindingsche Ursachen!) — Ich habe bisher angenommen, sonst gibt es nichts. (Professor Dr. Nagler: Intellektuelle Urheber­ schaft nach § 271!) — D as ist doch mittelbare Täterschaft! (Professor Dr. Nagler: E r stellt kein öffent­ liches Zeugnis aus, sondern der andere! Die­ selbe Geschichte kehrt nachher beim Meineid wieder!) — D as sind beides Fälle, die wir besonders regeln. (Professor Dr. Nagler: Die Meinung war, man solle diese Spezialbestimmungen dadurch illusorisch machen, daß wir das hier schon berücksichtigen.) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich weiß, wie das zustande kam. I n der ersten Lesung war man so erfüllt von der Leidenschaft, einen einheitlichen Täterbegriff zu schaffen, daß man zu­ nächst die Worte Anstiftung und Beihilfe zum Tode verurteilt und begraben hat. Nachdem sie begraben waren, hat sich gezeigt, daß aus dem Grabe die Hand emporwuchs: M an hat gesehen, daß Anstiftung und Beihilfe Vorgänge des Lebens sind, die Bestand haben, die lassen sich nicht wegdiskutieren, die wachsen immer wieder. Da haben wir gesagt: Anstistung und Beihilfe dürfen genannt werden, aber nicht etwa als enumerative Begriffe einer Täterschaft, sondern dann müssen Anstistung und Beihilfe und andere uns viel­ leicht gar nicht vorstellbare Formen der Mitwirkung mit einem M antel umkleidet werden. S o kam man in dem Entwurf auf diese Fassung: „Oder in anderer Weise bei ihr mitwirkt". Nun kommt jemand und sagt: „W as ist eigentlich unter dieser anderen Mitwirkung zu verstehen? Wenn das weder Täterschaft noch mittelbare Täterschaft, noch Anstistung oder Beihilfe ist, was soll es denn sonst sein?" W ir haben bis jetzt nur die Antwort gegeben oder erhalten: „Genau wissen wir das auch nicht, aber es könnte am Ende etwas sein, und deshalb schreiben wir es hin". (Heiterkeit.) — S o ist doch der innere Hergang der Sache gewesen. E s ist noch eine Erinnerung daran, daß die Täterform unter allen Umständen mit einer einheitlichen Firm a überschrieben wird, und zwar — das hat mich dabei immer gewundert, und über diese Verwunderung bin ich auch jetzt noch nicht hinaus — obwohl im Willens­ strafrecht eine größere Differenzierung zwischen Täter und Gehilfen sein müßte als im objektiven Strafrecht. I m Willensstrafrecht ist nämlich die Differenzierung unendlich viel stärker zwischen dem anim us auctoris und dem anim us socii als im objektiven Strafrecht, wo das zu anderen gewichtigen und entscheidenden Fragen nur am Schluß hinzukommt. E s wundert mich

heute immer noch, wie wir im Willensstrafrecht den Gehilfen und den Haupttäter so völlig egalisieren wollen, daß wir sagen: An sich alles gleich, lauter Täter. D as habe ich bis zur Stunde innerlich noch nicht erfaßt. Ich habe bei dieser Diktion immer wieder die Vorstellung gehabt: Juristisch Note 1 für unsere Ver­ fasser; vom Standpunkt des Verständnisses des Volkes aus Note 4 oder 5! Denn das ist absolut lebensfern und volksfremd; es ist keinem beizubringen, daß der Gehilfe und der Täter dasselbe sind. E s versteht schon keiner, daß der Anstifter und der T äter dasselbe sind. Nun kämpfen die Herren Professoren um den Wesensbegrisf des Täters, nicht um den Wertbegrisf. Aber die Wesensbegrifse des Täters kann nicht der Gesetz­ geber geben, fonbent die soll die Wissenschaft formen und soll sagen: Das ist ein Begriff, der in ver­ schiedenen Erscheinungsformen in die Welt tritt. Der Gesetzgeber aber soll dem Wunsche des Volkes gerecht werden, das da sagt: Der Anstifter, der mithilft, ist so schlimm wie der, der es tut. D as ist kein Wesensbegrisf, sondern ein Wertbegriff. Die Herren P ro ­ fessoren wollen einen neuen Täterbegriff schaffen, der nicht sklavisch anknüpft an das Wort Täter, das ja nach der deutschen Grammatik von tun herkommt. Das wäre eine alte Auffassung. Früher ist es so gewesen, jetzt aber hat das Täterwort einen ganz anderen Ge­ halt bekommen. Aber nur bei uns, meine Herren! Das ist die wissenschaftliche Ausfüllung des Begriffs! Ich habe an sich nichts dagegen, wenn diese Meinung sich durchsetzt. M ir kommt das so vor, als wenn wir vor das Strafgesetzbuch eine Art Terminologie schreiben, so wie es mancher Philosoph vor seinem Werke tun sollte, dann würde es keine akademischen Diskussionen geben, die immer daraus entstehen, daß einer unter demselben Wort etwas anderes versteht als der andere. Dieses praem issum würde lauten: W as der Volks­ genosse Z. unter Täter versteht, ist hier belanglos; wir verstehen unter Täter a) den, der etwas tut, b) den, der will, daß ein anderer etwas tut, c) bett, der einem anderen hilft, d) den, der gar nichts tut — den heißen wir auch Täter, nämlich dann, wenn er etwas hätte tun sollen! Wenn man das tut, und darauf geht es hinaus, dann wird alles, was nachher kommt, gemein­ verständlich und ganz klar. Ich bitte Sie, meine Herren, in allem Ernste zu prüfen, ob das den E r­ fordernissen eines volksnahen Rechts gerecht wird. Ich kann das nicht glauben, und ich glaube auch nicht, daß es irgendwie nötig ist, daß irgendein weltanschaulicher Grundsatz oder überhaupt ein Glaubenssatz uns dazu nötigt; denn dieser Glaubenssatz lautet nicht: Der Wesensbegrifs umfaßt das eigenhändige Tun, das Tun durch einen anderen, der Anstifter oder Gehilfe ist, sondern der Wesensbegriff, der aus dem Willens­ strafrecht stammt, sagt: Du hast einen bösen Willen, es ist ganz gleich, was du getan hast! Diese Betätigung des bösen Willens will man in allen Fällen gleich bewerten. D as scheint mir zunächst der Glaubenssatz zu sein. Aber der Satz: Du mußt ein Gleichheits­ zeichen setzen zwischen Meister und Gesellen, zwischen T äter und Gehilfen, das ist doch kein Glaubenssatz. W ir sind jetzt bei diesem schwierigsten Kapitel des

Allgemeinen Teils ein wenig in Gefahr, unserer Lust zu Theorien in der Sprache des Gesetzgebers zu weit entgegenzukommen. Ich komme über diesen Punkt nicht hinweg: Täter ist, wer selbst eine S traftat be­ geht, aber genau so ist Täter, wer sie durch einen anderen begeht usw., während wir doch als Glaubens­ satz nur aussprechen können: W ir werten diesen bösen Willen, ganz gleich, ob er sich mit der eigenen Hand betätigt oder mit der Hand eines anderen oder durch den Willen eines anderen zum Ausdruck kommt. Ich glaube, wenn man scharf hinblickt, kann man sich dem kaum entziehen. Noch schlimmer ist es bei der Unterlassung oder wäre es gewesen, wenn die Dahmsche Fassung, von der ich jetzt zweifelhaft bin, ob sie überhaupt all­ gemeine Billigung gesunden hat, Gesetz würde. P ro ­ fessor Dahm sagt jetzt: Ich achte die Verursachung durch Unterlassung dann der Täterschaft gleich, wenn der Unterlassende hätte handeln sollen und dem Volke als Täter erscheint. D as scheint mir nicht möglich zu sein. Ich glaube es einfach nicht, daß das Volk sagt: Der erscheint mir als Täter, sondern das Volk sagt: Es ist gerade so, als wenn er selber angezündet hätte. (Zuruf: Genau so verantwortlich!) — Dann haben Sie aber den Wertbegrisf dabei, nicht den Wesensbegriff: Ich will dich so ansprechen, wie wenn du Täter wärest, wenn du eigenhändig gehandelt hättest. Ich habe vorhin schon gesagt, meine verba praem issa zum Strafgesetzbuch würde lauten: Täter ist erstens, wer etwas tut, zweitens, wer selber gar nichts tut, aber den anderen anstiftet, und endlich der, der gar nichts tut, obwohl er hätte handeln sollen. D as ist unsere Konzeption. Ich bin mir über den In h a lt vollkommen klar und frage mich nur, ob die Form richtig ist. Professor Dr. Dahm: D as Volk bezeichnet F rau Jünem ann doch zweifel­ los als die Mörderin ihrer Kinder. W ir müssen also die Unterlassung Herausstellen, die nach der Volksan­ schauung wesensmäßig als Täterschaft scheint. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich wäre sehr glücklich, wenn die Herren Beispiele nicht immer vom Mord her nehmen würden. Wenn ich das Beispiel auf den Einbruchsdiebstahl beziehe, so komme ich zu einem anderen Ergebnis: Ich habe nicht einen Einbruchsdiebstahl begangen, wenn ich keinen Alarm geschlagen habe! E s ist natürlich alles sehr schön, am Barometer der Volksmeinung immer abzulesen, aber ich habe den Eindruck, daß jeder sein eigenes Volk meint, jeder denkt dabei an seine Freunde, ich denke an meine Freunde in Berchtes­ gaden und an andere, mit denen ich im Geiste ein solches Gespräch führe. D as Volk als absolut sicher ablesbaren Maßstab gibt es überhaupt nicht. Jeder von uns denkt doch dabei an bestimmte konkrete Kreise. Aber ganz abgesehen davon: Ich lasse das, was Herr Professor Dahm von dieser F rau Jünemann sagte, noch angehen. Die F rau hat die Kinder umgebracht,

als sie sie verhungern ließ. Aber ich kann nicht glauben, daß es bei anderen strafbaren Handlungen genau so ist. D as bestreite ich, daß ich selber als Einbrecher angesprochen werden muß, wenn ich unterlassen habe, die Polizei zu alarmieren, obwohl ich es hätte tun können. Damit tun wir, glaube ich, der Sprache Ge­ w alt an. Professor D r. Mezger: I n dem, was Herr Kollege Dahin zum Unter­ lassungsbegriff vorgeschlagen hat, scheint m ir ein sehr glücklicher Gedanke zu liegen. E s gibt Unterlassungs­ formen, die wie Täterschaft gewertet werden: Sie, aber auch nur sie sollen an dieser Stelle ihre Regelung finden. Dem entspräche etwa eine Formulierung: „W er nach gesunder Volksanschauung wie ein Täter verantwortlich erscheint". E s handelt sich hier um etwas Sachliches, nicht nur um etwas die Form Be­ treffendes. E s gibt Unterlassungssormen, die nach der gesunden Bolksanschauung genau so schwer wiegen wie die T at desien, der selbst handelnd eingreift. Es bedeutet einen großen Fortschritt, wenn dies an dieser Stelle klar gesagt wird und wenn damit andere Formen der (vielleicht gleichfalls strafwürdigen und strafbaren) Unterlassung an dieser Stelle völlig aus­ schieden werden. D i e s e Unterlassungsformen geören mit Sonderstrasdrohungen an a n d e r e Stelle. S ie stehen nicht der aktiven, auf den Erfolg gerichteten Handlung gleich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as trifft genau das Gedankenbild, das ich habe. Ich habe sogar einen leisen Verdacht, wenn ich die Worte gebrauche „wer dem Volke als T äter erscheint", daß das eine getarnte Wertgleichung ist. Ich glaube, daß die Herren dem Volke nicht zumuten, die Begriffe einander gleichzustellen. Professor D r. Mezger: Ich habe meinerseits in dem vorgeschlagenen Satz: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft", n i c h t eine Entscheidung der Frage gesehen, daß ein bei einer vorsätzlichen T at fahrlässig Mitwirkender nur wegen Fahrlässigkeit zu strafen sei. Denn diese Frage ist gar keine Frage, ihre Entscheidung ist absolut selbstver­ ständlich. Ich habe ferner in dem Satze n i c h t eine Ent­ scheidung der Frage der sog. persönlichen Eigenschaften strafbegründender oder strafschärfender oder strafmil­ dernder Art gesehen. Denn für diese Frage hat sich die Notwendigkeit ergeben, sie besonders zu regeln. Hier ist eine gesonderte klare Entscheidung des Gesetz­ gebers notwendig. Ich möchte vielmehr etwas paradox meinen Ein­ druck dahin wiedergeben, daß eine unmittelbare sach­ liche Entscheidung über eine konkrete Frage in dem erwähnten Absatz 2 überhaupt nicht enthalten ist. Und doch halte ich es für sehr wünschenswert, daß dieser Satz in das Gesetz aufgenommen wird. E s handelt sich dabei um die Frage, ob in das Gesetz auch Sätze aufgenommen werden sollen, die nur r i c h t u n g ­ w e i s e n d sind. Denn um einen solchen Satz handelt

es sich hier. Ich sehe sogar in dem Satz mit den chärfsten Ausdruck für das zu schaffende Willenstrasrecht, nämlich eine Anweisung an den Richter )er Zukunft: Maßgebend für die Anknüpfung der Strafe ist in erster Linie und vor allem anderen d a s s u b j e k t i v e T a t b i l d dessen, der straf­ rechtlich beurteilt werden soll. Daß das hier zum Aus­ druck kommt, scheint mir von Wert zu sein. Die Frage ist dabei allerdings die: Will man in ein Gesetz Sätze aufnehmen, die nicht eine konkrete Streitfrage ent­ scheiden, sondern die nur dem Richter Weisung über die R i ch t u n g geben, die er künftig zu befolgen hat. I n dem Satz liegt freilich auch zugleich eine klare Ablehnung der Akzessorietät. Ich halte es meinerseits für richtig, daß man solche Richtungweisungen in das Gesetz aufnimmt. Wenn man das allerdings grund­ sätzlich ablehnt, dann dürfte der Satz nicht so stehen bleiben, weil er eine konkrete Entscheidung nicht enthält. (Zuruf: D as ist eine Art Programmsatz!) — Der Satz ist m e h r als ein bloßer Programmsatz, nämlich eine Anweisung an den Richter, an was er künftig in erster Linie die Strafe anknüpfen soll, näm­ lich an das Vorstellungsbild des Täters, das ist an seine Schuld. Senatspräsident Professor D r. Klee: Ich habe nach den Ausführungen des Herrn Ministers gegen den erweiterten Täterschastsbegrisf in terminologischer Richtung Bedenken bekommen. I n § 1 der Vorlage der Unterkommission heißt es: Eine S traftat „begeht", wer sie selbst oder durch einen anderen ausführt oder sonst mitwirkt. .Ich glaube nicht, daß man so formulieren kann. Ich würde auch nicht alle diese Mitwirkenden als „Täter" bezeichnen. Das, was wir wollen, und worauf doch eigentlich die Schöpfung dieses erweiterten Täterschastsbegrisses zu­ rückgeht, ist doch, daß wir jeden einzelnen, der an einer T at beteiligt ist, strafrechtlich selbständig stellen wollen. W ir wollen;eden Mitwirkenden von den an­ deren loslösen, vor allen Dingen von dem sogenannten Haupttäter. W ir sind alle einig, daß w ir die akzesso­ rische N atur der Teilnahme beseitigen wollen, daß wir also nicht die Schuld des Anstifters oder Gehilfen nach der Schuld des Haupttäters bestimmen wollen. E s ist aber noch ein anderer Gesichtspunkt, der zum Vorschlag des erweiterten Täterschastsbegrisses ge­ führt hat. E s soll die Möglichkeit geschaffen werden, alle Beteiligten, ob es Gehilfen oder Anstifter oder mittelbare T äter sind, mit derselben Strafe zu be­ strafen wie den Täter. D as können wir Gesetz werden lassen, ohne daß w ir die Mitwirkenden als Täter be­ zeichnen. Ich halte es aber auch für bedenklich, wenn es im tz 4 der Vorlage der Unterkommission heißt: Eine S tra fta t „begeht" schon, wer sie beginnt. D as geht mir auch nicht ein, daß jemand, der anfängt, etwas zu tun, schon die T at „begeht". W ir wollen ja hier wieder nur die Möglichkeit schaffen, den Versuch genau so wie die Vollendung zu bestrafen. Auch hier müßte also gesagt werden: „ I n der Strafbarkeit steht gleich — oder genau so wie derjenige, der eine T at vollendet, wird bestraft — wer sie nur beginnt".

Was nun die Fassung des § 1 der Vorlage der Unterkommission betrifft, so halte ich den Absatz 2 auch für dunkel. M an könnte ihn höchstens als Programm­ satz stehen lassen und müßte ihn dann nach mehreren Richtungen erläutern. Erläutert braucht er nicht zu werden, soweit der eine unter Umständen wegen Vor­ satzes, der andere wegen Fahrlässigkeit zu bestrafen ist. D as versteht sich von selbst. Aber einer besonderen Erläuterung bedarf der Satz, wenn wir den In h a lt des § 363 Absatz 1 und 2 in Betracht ziehen. Die strafbegründenden und die strafschärfenden Eigen­ schaften müssen besonders hervorgehoben werden. M it einem so allgemeinen Satz: „Jeder wird nach seiner Schuld bestraft" ist es nicht getan. E s bleibt noch übrig § 362 Abs. 3. Herr Reichs­ gerichtsrat Niethammer wollte dem Satz die Form geben: „Wenn mehrere an einer T at beteiligt sind und die Schuld des einen durch gewisse Merkmale be­ gründet wird, so ist er auch dann strafbar, wenn die anderen nicht mitschuldig sind". Ich möchte der Fassung des Abs. 3 des § 362 den Vorzug geben. I m übrigen würde ich § 1 der Vorlage der Unterkommission so fassen: „Täter ist, wer die Tat unmittelbar ausführt; als Täter kann auch bestraft werden, wer die T at durch einen anderen begeht oder durch Anstiftung oder Beihilfe zu ihr mitwirkt". Die Worte „oder sonst" würde ich weglassen, weil sie irreführend sind. Es gibt nichts anderes als das, was schon erwähnt worden ist. Die mittelbare Täterschaft steckt schon in dem Satze drin: Wer die T at durch einen anderen ausführt. Da könnte auch schon die Anstiftung drinstecken. Da die Anstiftung aber in der volkstümlichen Vorstellung ein selbständiger Begriff ist, würde ich sie doch be­ sonders als Beispiel der Mitwirkung anführen. Eine Definition der Beihilfe halte ich für überflüssig; denn diese haben wir ja nur gegeben, um die Möglichkeit offen zu lassen, die Strafe bei der Beihilfe zu mildern. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Auch wegen der Willensakzentuierung!) — I n erster Linie war doch wohl leitend der Ge­ danke, daß wir die Beihilfe in bezug auf die S tra f­ barkeit besonders auszeichnen wollten. E s wird sich fragen, ob das bei der Weite der Strafrahm en erfor­ derlich ist. Wenn wir bei einer Definition bleiben sollten, dann könnte man ebenso gut die Anstiftung definieren. Sollten wir dabei bleiben, die Beihilfe zu definieren, so würde ich Bedenken haben, nur auf das subjektive Moment abzustellen. Ich nehme folgendes Beispiel: Der A begeht eine Notzucht, und der B hält das Mädchen während­ dessen fest. Da kann der B niemals nach dieser Definition wegen Täterschaft oder mit der Strafe der Täterschaft bestraft werden. E r ist nur der Gehilfe; denn er kann die T at natürlich nicht als eigene wollen, wenn der andere den Geschlechtsakt vollzieht. D as ist aber m. E. nicht gerecht. Ein M ann, der in dieser Weise sich an der Notzucht beteiligt, daß er überhaupt dem anderen erst die Möglichkeit schafft, diese Not­ zucht zu begehen, muß mit der S trafe des Täters belegt werden können. (Zuruf: Kann er ja!)

— Ich meine, es geht nicht an, daß für solche Falle der Gehilfenbegriff zur Strafmilderung aus § 413 des Entwurfs führen kann. Ich glaube, es ist nicht volkstümlich, diesen M ann als bloßen Gehilfen zu behandeln; denn er verwirklicht ein Hauptbestands­ merkmal des Verbrechens, nämlich die Gewalt, während der andere das andere Merkmal, den Bei­ schlaf, verwirklicht. Wenn wir also die Beihilfe definieren sollen, dann komme ich auf den ursprünglichen Vorschlag des Herrn Professor Mezger zurück, dem wir im Entwurf ja gefolgt sind, erstens den anim us socii und zweitens die geringe, die untergeordnete Beteiligung zum Begriffsmerkmal der Beihilfe zu machen. I n erster Linie trete ich für Nichtdefinition der Beihilfe ein und für die vorhin vorgeschlagene Fassung des § 1, die die Beihilfe nur beispielsweise erwähnt, ohne sie dem „Täterschafts"-Begriff zu unterstellen. Genau so künstlich wie die Bezeichnung der Beihilfe als Täterschaft ist es zu sagen: Derjenige „begeht" die Handlung, der sie beginnt. D as hat die Unter­ kommission dringelassen, ich weiß nicht, warum. Es war aber doch überwiegende Meinung hier, daß wir denjenigen, der beginnt, nur in der Bestrafung dem­ jenigen gleichstellen wollen, der die Handlung vollendet. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist der große Streitpunkt!) — Wenn man den Gehilfen und Anstifter nicht als Begeher und Täter bezeichnet, darf man, um die Symmetrie zu schaffen, auch denjenigen, der eine T at beginnt, nicht als den Täter bezeichnen; denn wenn hier und oben das Wort „begeht" steht, und die Überschrift über § 1 „Täterschaft" lautet, dann ist in tz 4 auch der „Beginn" der „Täterschaft" gleich­ gesetzt. Damit ist also gesagt, Täter ist schon der, der die T at beginnt, und das möchte ich genau so be­ anstanden wie die Bezeichnung der Mitwirkenden in § 1 als Täter. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nach meiner Meinung wäre eine Notzucht, die so begangen würde, wie es hier beschrieben worden ist, nämlich dadurch, daß der eine Gewalt gebraucht und der andere den Akt begeht, ein typischer Fall der M it­ täterschaft. Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as Reichsgericht hat bei der Mittäterschaft immer den anim us aucto ris verlangt. (Zuruf: E r will, daß eine Notzucht begangen wird!) — Gewiß. Aber er will sie nicht als eigene T at, er will natürlich nur die geschlechtlichen Zwecke des anderen verwirklichen. (Ministerialdirektor Schäfer: Wenn einer unten Schmiere steht, und der andere bricht oben ein, ist er M ittäter!) — Doch nur dann, wenn er selbst Interesse an dem Diebstahl hat und an der Beute beteiligt ist, wenn

s er also die T at als eigene will. Und das kann der das genotzüchtigte Mädchen Festhaltende gar nicht wollen. Der hat nur den Unterstützungswillen. Gleich­ wohl würde ich ihn nicht als bloßen Gehilfen be­ trachten, denn er verwirklicht einen Teil des zu­ sammengesetzten Tatbestands der Notzucht. Professor Dr. Dahm: W ir müssen unterscheiden zwischen einer wesens­ mäßigen Täterbetrachtung, wie sie gerade bei der Unterlassung fruchtbar wird, und einer bewertenden Betrachtung. Uber die wesensmäßige Täterschaft hat der Gesetzgeber keine Herrschaft. E r kann bestimmen, wie gewertet werden soll, aber er kann nicht eigentlich sagen, wer T äter ist. S o ist es schon sprachlich unmög­ lich, etwa zu sagen: „Eine S tra fta t begeht schon, wer sie mit dem Vorsatz, sie zu vollenden, beginnt." Wir können nur zum Ausdruck bringen, daß verschiedene Formen der Beteiligung in bestimmter Weise gewertet werden. W ir müßten also dem S inne nach sagen: Die Strafdrohungen des Gesetzes gelten für den, der die T at selbst ausführt oder durch einen anderen aus­ führt usw. oder dazu mitwirkt, und entsprechend im § 4: Die Bestimmungen des Gesetzes gelten schon für den, der die S traftat mit dem Vorsatz, sie zu vollenden, beginnt. Dann die A k z e s s o r i e t ä t. W ir brauchen doch wohl eine Bestimmung, die die Unabhängigkeit des Mitwirkenden von den Taten des anderen deutlich zum Ausdruck bringt. Ich würde mir das so denken: Diese Bestimmung würde gleichsam mit einem Vorsvruch beginnen, der den allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck bringt: „Jeder wird nach seiner Schuld be­ straft". Dann muß dem Juristen aber genauer gesagt werden, was darunter zu verstehen ist. Diese Aufgabe erfüllt der § 362 Abs. 3 des Entwurfs erster Lesung gleich § 358a Abs. 3 der Vorschläge des Herrn Nagler. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich bin dem Abs. 2 des § 1 in der Fassung der Unterkommission gegenüber in einer sehr schwierigen Lage. Auf der einen Seite finde ich den Satz — ich saae das nicht als schlechten Scherz — wirklich sehr schön, und es würde mir leid tun. wenn er in dem Entwurf fehlen würde. Auf der anderen Seite glaube ich. er paßt nicht. Als Norspruch zu den folgenden Absätzen scheint er mir nicht reckt erforderlich, und ich bin der Auffassung, daß sein In h a lt als Richtlinie weit über dieses Gebiet der Täterschaft hinausgeht. Darum frage ich mich, ob man nicht dort, wo man programmatisch im zweiten Abschnitt von der Schuld spricht und als Obersatz hingestellt hat: Bestraft wird nur, wer schuldhaft bandelt, unmittelbar anschließen sollte: Jeder wird nach seiner Schuld bestraft. Dann kommt in einem zweiten Paragraphen die Begriffs­ bestimmung des Vorsatzes, der Fahrlässigkeit ufto. Dann wäre der Satz, den ick als Richtlinie für den ganzen Entwurf bewahrt wissen möchte, an der richtigen Stelle, während hier — ich bin sonst mit dem einverstanden, was Herr Kollege Dahm eben ausge­ führt hat — zunächst die verschiedenen Formen des Wesens der Täterschaft, zerlegt in Täterschaft im

juristisch-technischen Sinne, in Anstiftung usw. auf­ geführt würden, und dann die Selbständigkeit der Strafbarkeit jedes Beteiligten auszusprechen wäre, ohne daß wir diesen Satz hier eigentlich brauchen: Jeder wird nach seiner Schuld bestraft. Zu §§ 2 und 3 meine ich, daß die Fassung wesent­ lich vereinfacht werden könnte. Aber die Begriffs­ bestimmung der Beihilfe ist meines Erachtens nur darum gegeben, weil die subjektive Auffassung der Beihilfe hier unterstrichen werden soll. Wenn man das angesichts der Rechtsprechung noch für notwendig hält, dann muß es wohl hier gesagt sein. (Reichsiustizminister Dr. Gürtner: Die fakultative Strafmilderung für die Beihilfe würde es auch notwendig machen!) — J a , aber nicht zu bestimmen, was wir unter Gehilfen verstehen. (Reichsiustizminister Dr. Gürtner: Aber daß man sie besonders erwähnt!) — Erwähnen muß man sie wegen der Strafmilde­ rungsbefugnis und der Befuanis des Richters, von der Strafe bei der versuchten Beihilfe abzusehen. Bei §§ 2 und 3 möchte ich daraus aufmerksam machen, daß meines Erachtens die Begriffsbestim­ mung der Gehilfenschaft, wie sie hier steht, irreführend ist. Dann möchte ick darauf hinweisen, daß hier eigent­ lich nur die erfolglose Anstiftung und die erfolglose Beihilfe getroffen sind, das beistt der Ia ll. daß der, den der Handelnde fick als objektiven T äter vorstellt, wie es hier scheint, nicht einmal zum Beginn der T at qelanat ist. E s gibt aber noch einen anderen Versuch, den eckten Versuch sowohl der Anstiftung als der Bei­ hilfe. Beispiel: Jemand sendet einen Brief ab. durch den er einen anderen zu einem Verbrechen bestimmen will. Der Brief geht auf der Post verloren und er­ reicht überhaupt nickt den Anzustiftenden. Hier kann man nicht sagen, er bat mit der Anstiftung nicht ein­ mal begonnen, die Anstiftung ist im Stadium des Versuchs steckengeblieben. Meiner Ansteht nach must das auch ergriffen werden, aber nach §§ 2 und 3 ist es nicht ergriffen. Ebenso ist es. wenn jemand Hilfe leistet, und es mißlingt die Hilfeleistung, die T at wird aber vollendet. Ich kann nicht sagen, der, dem Hilfe geleistet werden sollte, hat die T at nicht begonnen. D as Hilfeleisten ist gescheitert. (Reichsiustizminister Dr. Gürtner: Würde das nicht nach Abs. 2 § 4 strafbar sein?) — J a , wenn man sagt, ich brauche darüber nichts zu sagen. I n dem Fall will man aber doch Milderung nach freiem Ermessen auch haben. Wenn man sich hier ganz auf den § 4 stützt, dann kommt man nur zur Milderung, aber nicht zum Absehen von Strafe. Ich glaube, von der Wertbetrachtung aus, die hier zu­ grundegelegt wird, ist die echte versuchte Beihilfe zum mindesten ebensowenig strafbar wie die Beihilfe bei einem Verbrechen, das nicht einmal begonnen wurde. Wenn ich für den letzteren Fall sogar ausdrücklich davon absehe, die Strafe zuzulassen, so muß ich das auch für den echten Versuch zulassen. D as geht aber nach § 4 nicht. D as wäre auch ungerecht, daß ich den eigentlichen F all der Beihilfe weniger bewerte als den

anderen Versuch, wo nur der, dem Beihilfe geleistet werden sollte, nichts unternimmt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as gibt zum Nachdenken Anlaß. Nach unserer jetzigen Konzeption würde der Versuch einer Beihilfe nach § 4 strafbar sein; denn die Beihilfe ist ja gleich zu werten, ob sie vollendet oder begonnen ist. Dafür haben wir als Antwort eine Strafmilderung. (Prof. Dr. Gras Gleispach: Aber nur § 413!) — Jawohl. Wenn dagegen eine vollendete Beihilfe zu einer Handlung geleistet worden ist, die gar nicht zustande kommt, auch nicht versucht wird, dann kann von der Strafe ganz abgesehen werden. Ich glaube, der Einwand, daß das nicht ganz kongruent ist, ist richtig, und zwar gerade im letzteren Punkte. Die ver­ suchte Beihilfe muß bestraft werden und kann nur milder bestraft werden. Die vollendete Beihilfe, wenn es bei der Haupttat nicht einmal zum Versuch kommt, kann straflos bleiben. Ich sehe darin auch ein sehr starkes Rudiment akzessorischen Denkens, wie über­ haupt die kriminalpolitischen Einschränkungen, die Zugeständnisse an die Akzessorietät, die wir mit Be­ wußtsein machen, darauf beruhen, daß ein gewisser Zusammenhang zwischen Haupttat und Gehilfenschaft doch besteht. Wenn wir die versuchte Beihilfe oder Anstiftung bei Vergehen an sich straflos stellen, so ist das auch eine Konsequenz aus dem Akzessorietätsgedanken. (Professor Dr. Graf Gleispach: Ich würde es nicht Akzessorietät nennen!) — M ir ist es gleich, wie es genannt wird, mir kommt es nur darauf an, daß das Ergebnis herauskommt.

wenn der Haupttäter, der die T at noch nicht begonnen hat, auch unter dem Gesichtspunkt der Vorbereitungs­ handlung etwa ganz straflos ausginge, und der andere sollte dann bestraft werden. Aber in dem Falle, der uns jetzt beschäftigt, ist es doch so, daß der Haupttäter auf alle Fälle bestraft wird. (Professor Dr. Graf Gleispach: Nein, der tut vielleicht gar nichts!) — Dann greift § 3 Abs. 2 ein. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir reden von zwei Fällen; erster Fall: Die Beihilfe wird geleistet als Versuch, es kommt gar nicht zur Beihilfe, aber die Haupttat wird begangen.) — I n diesem Falle ist doch der Haupttäter strafbar, und dann bedürfen wir einer besonderen Vorschrift für den Gehilfen nicht. Denn wir haben die S tra f­ milderung beim Versuch ganz allgemein in § 4 aus­ genommen. M ir geht das zu weit. Ich würde nur für den unbeendeten Versuch die Strafmilderungsmöglich­ keit geben. Wenn wir eine Strafmilderung für den Versuch vorsehen, dann kommt das natürlich auch dem Gehilfen in dem Fall der versuchten Beihilfe zugute, und dann brauchen wir keine Extramilderung des § 3 Abs. 2, da hier Beihilfe sowieso schon nach § 413 milder bestraft wird.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir ist jede Erklärungsformel recht, mit der man das später wissenschaftlich ausgleichen kann. Ich bin schon zufrieden, wenn es nicht dazu kommt, daß die erfolglose Anstiftung beim Vergehen schlechthin straf­ bar ist. Wie ist die Meinung zu dem Einwand des Grafen Gleispach, daß es nicht zusammengeht? Bei versuchter Beihilfe, bei der es zwar zur Haupttat kommt, die Beihilfe aber nicht kausal dafür ist, kann die Strafe gemildert werden. Dagegen kann die vollendete Beihilfe für eine T at, die nicht zustande kommt, sogar straflos bleiben. D as ist nach Auf­ fassung des Grafen Gleispach eine Inversion.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Das ist nicht der Punkt des S treits, sondern es handelt sich um folgendes: Es ist ungerecht, wenn derjenige straflos bleiben kann, der für ein geplantes Verbrechen Beihilfe geleistet hat, das nicht zustande kam, und wenn gleichzeitig der Mann, der eine Bei­ hilfe leisten wollte, die aber in Wirklichkeit gar keine Hilfe geworden ist, unter allen Umständen bestraft werden muß, wenn die Haupttat begangen wird. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Da ist doch die Möglichkeit der Straffreiheit!) — Eben nicht, da haben wir nur die Milderung. Ich glaube, es ist nur eine schmerzliche Erinnerung an die Akzessorietät, was S ie bewegt, diese Meinung zu be­ gründen, und zwar berechtigterweise. Das ist der Streitpunkt. Zweiter Fall: Es hat jemand Beihilfe geleistet, das Geld ist z. B. an den gekommen, der die Haupt­ tat begehen sollte, und die Haupttat ist nicht begangen, die Strafe kann gleich null sein. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Jawohl, deswegen, weil der Haupttäter auch nicht straf­ bar ist; da haben wir kein Bedürfnis, für den Gehilfen etwas zu machen, da genügen §§ 3 und 4!) — Die Inkongruenz der beiden Fälle bedrückt Sie nicht? (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Nein!)

Senatspräsident Professor D r. Klee: Ich glaube, daß wir es so lassen können, wie es hier vorgeschlagen ist. W ir sollten doch nur deswegen den Abs. 2 vorsehen, weil es eine Ungerechtigkeit wäre,

Professor Dr. Schaffstein: Ich glaube, wir werden diese Inkongruenz gar nicht beseitigen können. Die einzige Möglichkeit dazu wäre die, daß wir die Worte „oder von Strafe ab-

Professor Dr. Graf Gleispach: D as Gehilfesein bezieht sich auf eine viel weniger strafwürdige Tat. Darum ist es milder bestraft, wird hier sogar straflos gelassen. D as hat mit der Akzesso­ rietät nichts zu tun. D as beurteile ich nicht nach der Strafbarkeit des Täters, sondern seine Schuld ist geringer, weil er bei einer minder strafbaren T at mit­ wirkt.'

sehen" in § 3 Abs. 2 streichen. An dieser Stelle sind wir ja ganz bewußt inkonsequent geworden. Wir glaubten eben, das Willensstrafrecht an dieser Stelle nicht rein durchführen zu können, weil wir damit zu einer Vielbestraserei kommen würden, die unerträg­ lich erscheint. Wenn wir diese Inkonsequenz in den Kauf genommen haben, dürfen wir uns jetzt nicht daran stoßen, daß gegenüber anderen Fallen mög­ licherweise Ungerechtigkeiten herauskommen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Oder wenn S ie nach Doktor Eisenbart verfahren wollen, könnten S ie sagen, man muß in § 2 hinein­ schreiben: E s kann gemildert werden, oder es kann von der Strafe abgesehen werden. D as kann man nicht machen.) — D as würde allerdings zu sehr bedenklichen Ergeb­ nissen führen. Ich brachte schon einmal das Beispiel von dem Diebe, der sich von drei Leuten drei ver­ schiedene Dietriche verschafft hat. Der eine Dietrich paßt nicht, der zweite paßt, und der dritte kommt gar nicht zur Anwendung. Damals habe ich den S tand­ punkt vertreten, daß man die Gehilfen gleich behandeln müßte. D aran möchte ich auch heute festhalten. Dann aber dürfen w ir die Möglichkeit, von Strafe abzu­ sehen, nicht einfügen, sondern müssen es bei der bis­ herigen Regelung lassen. Mich bedrückt mehr, daß wir die Vorbereitungs­ handlung beim T äter nicht bestrafen, wohl aber beim Gehilfen. Da möchte ich allerdings immer wieder zu meinen früheren Vorschlägen kommen und meinen, daß man auf einer mittleren Linie den Gehilfen und den Täter gleich behandle und demgemäß in stärkerem Maße als bisher auch die Vorbereitungshandlung des T äters unter Strafe stellt. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I n diesem Rahmen?) — J a , in diesem Rahmen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as würde etwa der Formel entsprechen: D a, wo beim Täter Vorbereitungshandlungen strafbar sind, würden sie auch beim Gehilfen strafbar sein.) — E s wäre m. E. erwünscht, eine generelle Bestim­ mung über die Strafbarkeit der Vorbereitungshand­ lungen bei den schwersten Delikten in den Allgemeinen Teil aufzunehmen. Dann möchte ich kurz zu der Formel Stellung nehmen: Jeder wird nach seiner Schuld bestraft. Ich würde diese Bestimmung nicht dem Schuldabschnitt zuweisen. Es steckt darin nicht nur: jeder wird nach seiner S c h u l d bestraft, sondern außerdem: jeder wird nach s e i n e r Schuld bestraft. D as ist ein Satz, der die Akzessorietät ausschließen soll, und insofern gehört er doch zur Teilnahmeregelung. Wenn man nun etwa in Zukunft daran denken sollte, dem ganzen Gesetz einen grundsätzlichen Teil voranzustellen, so würde es ja möglich sein, eventuell diese programma­ tische Bestimmung in den grundsätzlichen Teil aufzu­ nehmen und die Einzelausführung, die bisher im § 362 Abs. 3 und int § 363 enthalten ist, dem Allge­ meinen Teil zuzuweisen. Doch können wir diese Frage

erst entscheiden, wenn wir uns grundsätzlich über den Aufbau des ganzen Gesetzes klar geworden sind. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich würde überhaupt die Bestimmungen über Ver­ such den Vorschriften über Täterschaft usw. voran­ stellen. D as hat meines Erachtens den Vorzug, daß man bei den Fragen der Anstiftung, der Beihilfe, der versuchten Beihilfe mit dem Begriff des Versuchs als etwas Feststehendem arbeiten kann. Es ergibt sich dann meiner Auffassung nach aus dem Zusammen­ hang der §§ 1 bis 3, wenn ich sie mir hinter den Versuch gestellt denke, ohne weiteres, daß der Versuch in jeder Form dieser erweiterten Täterschaft, auch der Anstiftung, der Beihilfe, etwas Strafbares ist. Dann würde ich nicht den Versuch zu machen brauchen, Anstiftung oder Beihilfe zu definieren. Ich würde einfach sagen, daß bei Versuch der Anstiftung eine Strafmilderung Platz greifen kann, bei versuchter Beihilfe sogar von Strafe abgesehen werden kann. D as erfaßt dann alle möglichen Erscheinungsformen der versuchten Anstiftung und der versuchten Beihilfe. D amit ist mein Einwand gegen die jetzige Fassung erledigt. Hingegen, wenn man bei diesem Text bleibt und es so macht, wie Herr Kollege Schaffstein ausgeführt hat. dann hätte ich die Besorgnis, daß man vielmehr zu dem Ergebnis kommt, diese echte versuchte Beihilfe — der nichtangekommene Anstiftungsbrief — sei überhaupt nicht strafbar. Warum spricht man dann, wenn der Versuch erst nachfolgt, int § 2 besonders von dieser zweiten Art der versuchten Anstiftung oder Bei­ hilfe und stattet diesen F all mit einer bei der Beihilfe bis zum Nullpunkt ausgehenden Strafmilderung aus? Ich glaube, man muß sich da sagen: Darum, weil sonst der Versuch der Beihilfe und der Anstiftung über­ haupt nicht strafbar ist. Wenn ich hier eine Sonder­ regelung treffe für eine Gruppe von Versuchen der Anstiftung und der Beihilfe, dann, glaube ich, folgt daraits, daß dieses Gebiet vom Gesetzgeber hier ab­ schließend geregelt werden soll, daß er also den Ver­ suchsbegriff auf die Beihilfe gar nicht projiziert. D as wäre das Ergebnis, und das entspricht mir natürlich erst recht nicht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Darüber besteht doch Einigkeit, daß das, was wir vom Begehen und Beginnen sagen, nicht bloß von der vollendeten T at oder von der Tathandlung, sondern auch von der Anstiftung und auch von der Beihilfe gelten soll. D araus würde sich ergeben, daß man diese Gleichung Begehen und Beginnen, wenn man fälschlicherweise so sagen kann, voranstellen darf — , und daß man dann von der Mittäterschaft, vom Versuch und von der Anstiftung spricht und damit selbstverständlich den Obersatz, daß die strafbare Hand­ lung auch schon beim Beginn in den Bereich der Strafbarkeit kommt, herunternimmt. D as würde kaum einem Widerspruch begegnen können. Professor Dr. Kohlrausch: Auch ich glaube, int Sinne der Ausführungen, die der Herr Minister am Anfang gemacht hat, daß wir

nicht sagen dürfen: „eine S traftat begeht, wer", sondern daß wir sagen sollten: „bestraft wird, wer". D ann entsteht keine logische Schwierigkeit. (Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Ich glaube, daß dies der Mehrzahl der Herren zu wenig sein wird, denn es soll zum Ausdruck kommen: die Strafdrohung für den T äter soll auch die anderen treffen!) — Ich stelle mich auf den Boden des Vorschlags der Unterkommiffion. Von da aus können wir, glaube ich, nur sagen „bestraft wird, wer". Eine zweite Bemerkung betrifft Abs. 2. Da trete ich den Gründen des Herrn Grafen Gleispach bei. E r ist als plakatmäßig ausgesprochener Grundsatz ausgezeichnet. Da er aber einer sehr verschiedenen Auslegung fähig ist, müssen wir sagen, was wir wollen, und sowie wir genau sagen, was wir wollen, wird er überflüssig. E r gehört in einen Vorspruch zur gesamten Schuldlehre. Die drei Dinge, die wir sagen wollen, stehen im Entwurf in den §§ 362 Abs. 3, 363 Abs. 1 und 363 Abs. 2, wobei 363 Abs. 1 in der mehrfach besprochenen Weise beschränkt werden muß zu einer Milderungsvorschrist, aber nicht gemacht werden darf zu einer konstitutiven, strasbegründenden Vorschrift. Nun komme ich zu den Fällen, die uns augenblick­ lich Schwierigkeiten bereiten. Liegen diese nicht zum Teil daran, daß wir den Gedanken, der heute im § 47 steckt, vollständig aufgegeben haben? Läßt sich nicht eine Reihe von Fällen, die wir hier besprechen, damit lösen, daß wir Fälle, die scheinbar, äußerlich gesehen, Beihilfe sind, als Täterschaftsfälle ansehen sollten, so daß damit auch die Versuchsfrage gelöst wäre? Beispiel: A. und B. wollen im Autobus Taschendieb­ stähle begehen. Sie verteilen die Rollen entsprechend ihrer Geschicklichkeit. B. soll das Opfer in ein Gespräch verwickeln, und A. soll die Brieftasche herausziehen. Ob es dem B. gelingt, den M ann in ein Gespräch zu verwickeln oder nicht, oder ob, wenn es ihm gelingt, es dem A. gelingt, die Brieftasche herauszuziehen: beide sind heute „Täter" und müssen es bleiben; und wenn der ganze P lan mißlingt, sind beide wegen Versuchs strafbar, einfach aus den Grundsätzen heraus, die wir heute für § 47 entwickelt haben. W ir brauchen uns heute gar nicht zu überlegen, wer der Haupttäter und wer der Gehilfe ist. Aber zu diesen Überlegungen zwingt uns der hier ins Auge gefaßte § 1. Denn dieser ist doch wohl so zu lesen: Eine S traftat begeht, 1. wer sie ausführt, 2. wer mitwirkt. Beide Formen zerfallen in mehrere Unterformen: la , wer sie selbst ausführt, 1b, wer sie durch einen anderen ausführt, 2a, wer durch Anstiftung mitwirkt, 2b, wer durch Beihilfe mitwirkt, 2c, wer sonst mitwirkt. Nun gibt es eine ganze Reihe von Fällen, die sowohl unter 1 wie unter 2 fallen. Wie unterscheidet sich der, der eine T at durch einen anderen ausführt, von dem, der durch Beihilfe mitwirkt? W ir werden hier wieder auf den Weg ganz scholastischer Unterscheidungen ge­ drängt, von denen uns die reichsgerichtliche Recht­ sprechung über das Verhältnis von § 47 und 49 erlöst hatte. D a wir auf diese scholastischen Unterscheidungen

gedrängt werden, entstehen dann die Schwierigkeiten, wie es mit dem Versuch gehalten werden soll, wenn entweder der Tatbeitrag des Gehilfen nicht ausreicht, oder wenn er zwar ausgereicht hat, aber die Haupttat fehlt. I n all den Fällen des heutigen § 47 macht das heute keine Schwierigkeiten. Der heutige § 47 ist nicht überflüssig. Er ist es nur dort, wo jeder den ganzen Tatbestand verwirk­ licht. Da kann es gleichgültig sein, ob die Täter im Einverständnis gehandelt oder nichts voneinander gewußt haben. Aber er ist nicht überflüssig in den Fällen, wo jeder nur einen Teil des Tatbestandes verwirklicht, aber darauf rechnet, daß der andere den anderen Teil verwirklichen wird, wo ein reziprokes Mitwirken stattfindet, wo jeder seinen Täterwillen durch den Tatbeitrag des andern ergänzt wissen will. Wenn wir uns zu einem solchen Mittäterschaftsbegriff bekennen in den Fällen, wo ohne den § 47 die Lösung schwierig wäre, dann würden wohl unsere Versuchs­ bedenken geringer werden. Was ich gesagt habe, geht aus von dem Vorschlag, den die Unterkommiffion unterbreitet hat. Ich stelle mich nicht gern aus diesen Boden, weil sich zeigt, daß wir stärker denn je in das Gebiet der Akzessorietät hineingeraten. Aber ich wollte zur Erwägung geben, ob das Zurückgreifen aus § 47 nicht immerhin eine gewisse Erleichterung bringt. Vizepräsident Grau: Die Schwierigkeiten der Beginnregelung bei der Teilnahme liegen doch darin, daß in dem vorläufigen Entwurf ein Teil des Beginns der Teilnahme in § 4 und ein weiterer Teil in den §§ 2 und 3 geregelt ist, und daß ferner die Folgen des Beginns nach § 4 andere sind als die Folgen des Beginns nach § 3. Nun scheint mir der Vorschlag des Grafen Gleispach eine durchaus einfache Lösung zu sein. Man stellt § 4 voraus, beschränkt ihn aber nur auf den Beginn für die Täterschaft, für die Fälle also, in denen jemand selbst oder durch einen anderen handelt, und regelt dann vollständig in den §§ 2 und 3 den Beginn der Teilnahme. D ann entstehen gar keine Schwierig­ keiten, und es ist dies meiner Ansicht nach die einzige wirklich saubere Lösung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S ie wollen diesen Abschnitt mit dem jetzigen § 4 einleiten, der markiert, wo die Strafbarkeit beginnt. (Vizepräsident G rau: Und nur auf den Be­ ginn der Alleintäterschast oder der mittel­ baren Täterschaft abstellen, den Beginn der Teilnahme völlig herauslassen und ihn restlos in den §§ 2 und 3 regeln! — Ministerial­ direktor Schäfer: Unter Fallenlassen des extensiven Täterbegrifss!) — D as ist aber eine andere Variante des Vorschlags Kohlrausch. Professor Kohlrausch wollte den T äter in extensivem Sinne auffassen. Nun reden wir von extensiver Täterschaft, und jeder meint etwas anderes. Professor Kohlrausch sagt: Unter extensiver

Täterschaft verstehe ich alle möglichen Formen der echten Täterschaft: Mehrtäterschast, mittelbare Täter­ schaft. Professor D r. Kohlrausch: Ich nehme alle Fälle der Anstiftung in die Täter­ schaft, es sei denn, daß eigene persönliche Begehung begrisssnotwendig ist, oder das eigene Interesse, der eigene Täterwille fehlt. Damit sind auch die Ver­ suchsfälle gelöst. I n dem Augenblick, wo ich den Anstifter aus subjektiven Gründen des Willensstraf­ rechts heraus T äter nenne, darf ich ihn natürlich auch immer wegen Versuchs bestrafen, wenn die An­ stiftung mißlingt, und das finde ich ihm gegenüber vollkommen gerecht. Wenn dagegen einer wirklich nur Anstifter in dem Sinne ist, daß er eine fremde Tat hervorrufen will, so muß man sich natürlich den Ver­ such der Anstiftung überlegen und etwa so regeln, wie es § 364 des Entwurfs tut. Auch bei der Beihilfe ist derartiges möglich. Es wäre interessant, ob die Herren aus der Praxis sagen: S o etwas können wir unterscheiden. Ich sage immer, sie können es heute schon, wenn sie § 47 und § 49 unterscheiden müssen, und sie tun es dauernd. Warum soll es denn nicht außerhalb dieser Fälle des § 47 gehen? Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich wollte eigentlich darauf hinweisen, daß die Variante im Vorschlag Grau wieder etwas ganz anderes ist. Herr Grau sagt: Die Anstiftung und die Beihilfe und der Versuch dazu machen gewisse Schwierigkeiten, wenn es nicht zur Haupttat kommt. Infolgedessen lasse ich das aus der Versuchslehre heraus und behandle Anstiftung und Beihilfe separatim. Was Professor Kohlrausch unter extensiver Täterschaft verstanden wissen will, ist ganz etwas anderes, als was die übrigen Herren darunter ver­ stehen. Die übrigen Herren sagen: Unmittelbarer T äter, mittelbarer Täter, Gehilfe, Anstifter und sonstiger Beteiligter (?). Professor Kohlrausch aber sagt: Extensiver Täterbegrisf ja, aber nur bezogen auf den Täter; ich kann zu dem Begriff der Täter­ schaft nichts hinzufügen, was ohne Legitimation des Täterwillens nicht Täterschaft ist. D as scheint mir die Offenbarung des subjektiven Strafrechts zu sein, daß die Legitimation, als Täter zu handeln, für mich gegeben sein muß. (Professor Dr. Kohlrausch: Wer den vollen Tatbestand persönlich ausführt, ist natürlich Täter. Auch wenn ich in fremdem Interesse stehle, wenn ich einen anderen unterstützen will, bin ich natürlich Dieb. Aber wenn ich den Tatbestand durch andere verwirklichen lasse, bin ich nur dann Täter, wenn ich den Täterwillen habe.) — D as sind Fragen, deren Unterschiedlichkeit während der ganzen Debatte fühlbar gewesen ist, die aber nicht zu Unklarheiten geführt haben, weil Herr Professor Kohlrausch diesen Unterschied von Anfang an markiert und immer gesagt hat: D as Willensstrafrecht erlaubt es nicht, zu dem Täter einfach den Gehilfen zu

addieren und beide mit dem gleichen Namen zu ver­ sehen, ein Gedanke, dem ich mich nicht ganz ver­ schließen kann. Ein Strafrecht, das subjektiv orientiert und dadurch gegenüber dem objektiven Strafrecht verfeinert ist, kann gerade auf dem Gebiet der Teil­ nahmelehre über diesen Unterschied nicht einfach hin­ weggehen. Ich finde es auch ein wenig roh, zu sagen: Weil an dem, was wirklich äußerlich geschehen ist oder was die beiden gewollt haben, mehrere beteiligt sind, darum verbinde ich die alle durch ein Gleichheits­ zeichen. Nach der subjektiven Lehre geht das doch eigentlich nicht. W ir sind augenblicklich dabei, das zu vergewaltigen. Ich halte es auch für möglich, das zu tun; der Gesetzgeber ist nicht dazu da, Theorien zu verwirklichen. Aber wir müssen uns dessen bewußt sein, daß wir von den Vertretern des Willensstraf­ rechts darauf angesprochen werden, wenigstens von denen, die diesen Grundsatz konsequent durchführen wollen. Ich kann mich diesem Empfinden nicht verschließen, und es verstärkt sich eigentlich mit jeder zeitlich getrennten Betrachtung. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich stimme mit Herrn Graf Gleispach und Herrn Vizepräsident Grau darin überein und habe das schon früher betont, daß es richtiger und für die Rechtsanwendung verständlicher ist, wenn zunächst die unvollkommene T at des einzelnen betrachtet und gesetzlich geregelt wird, und wenn die Weiterung, die sich daraus ergibt, daß bei einer T at mehrere beteiligt sind, erst im folgenden zur Lösung gelangt. Ob es nun möglich ist, auf dem Wege, den Herr Vizepräsident Grau hier bezeichnet hat, zu verfahren, oder ob ein anderer Weg gesucht werden muß, möchte ich jetzt nicht beantworten, weil ich die Wirkungen augenblicklich nicht überschauen kann. Jedenfalls wird sich nach meiner Überzeugung hieraus unter allen Umständen eine wesentliche Förderung für die spätere Behandlung der Anstiftung und der Beihilfe ergeben. Nun zum § 1 Abs. 1! Es ist eigentümlich, daß ich mich am wenigsten oder überhaupt nicht an dem Eingang stoße: „eine S traftat begeht". Denn es ist doch sicherlich richtig, daß Anstiftung und Beihilfe in sich selbst Straftaten sind. Ein Bericht, der hierüber an den Reichsgerichtspräsidenten zu erstatten war, hat dies hervorgehoben. Die Auffassung, daß wir Anstiftung und Beihilfe selbst als Straftaten zu be­ trachten haben, ist bei der Besprechung dieser Frage von den Mitgliedern des Reichsgerichts allgemein gebilligt worden. Nochmals möchte ich im Gegensatz zu dem, was von mehreren Seiten dargelegt worden ist, vor dem W ort „Mitwirken" warnen. Ich hatte zunächst empfohlen, das „sonst" wegzulassen. Es wäre mir noch lieber, wenn auch das Mitwirken wegfiele. Ich glaubte, das nur nicht verlangen zu sollen, weil sich ein so großes Bedürfnis nach dem Gesamtbegriff geltend gemacht hatte. M ir würde tz 1 Abs. 1 am besten gefallen, wenn er nur den In h a lt hätte: „Eine S tra f­ tat begeht, wer sie selbst oder durch einen anderen ausführt oder wer dazu anstiftet oder Hilfe leistet".

Nun liegt mir viel daran — darin stimme ich grundsätzlich mit Geheimrat Kohlrausch überein — , daß da, wo von Täterschaft und Beteiligung die Rede ist, im Sinne des Willensstrafrechts auch deutlich und klar ausgesprochen wird, daß es nur eine Art der Beteiligung gibt, die sich uns als eine mildere Form darstellt und die einer milderen Bestrafung würdig ist, nämlich die Beihilfe, während jede andere Beteili­ gungsform ebenso strafbar erscheint wie die T äter­ schaft selbst; ferner daß wir mit dem geltenden Recht kein anderes Unterscheidungsmerkmal für die Beihilfe finden können als das, was wir aus dem In n e rn des Täters entnehmen. Ich muß das als Richter deswegen aussprechen, weil wir im allgemeinen die Aufgabe, im In n e rn des T äters zu erforschen, nicht leicht nehmen. Denn hier stoßen wir aus die größten Schwierigkeiten, die leicht einen falschen Schluß Hervorrufen können. Aber für die Abgrenzung des Täters vom Gehilfen ist uns aus einer nun doch sehr langen und gefestigten E r­ fahrung nichts anderes übriggeblieben als die Unter­ scheidung nach dem, was der M ann innerlich in sich trägt, was er eigentlich will. Deswegen muß nach meiner Ansicht an irgendeiner Stelle erklärt werden: Wer mit Täterwillen handelt, wird als T äter bestraft. D as scheint mir richtig zu sein. D as hat die Recht­ sprechung bisher schon so gehalten, etwa für das Zu­ sammenwirken bei einem Einbruchsdiebstahl, und das muß künftig so bleiben. D arin liegt auch der Grund, warum wir die Anstiftung nicht beschrieben haben, wohl aber die Gehilfenschaft. F ü r den Gehilfen muß ausgesprochen werden: er kennzeichnet sich dadurch, daß er den anderen nur unterstützen will, das recht­ fertigt die mildere Bestrafung. D as sind die einfachen Grundsätze, die uns Richtern in dieser Frage vorschweben. Die Einzel­ ausführung ist nicht so wichtig. Nun hat Graf Gleispach darauf hingewiesen, daß unter Umständen, wenn der Versuch einer Anstiftung oder einer Beihilfe steckenbleibt und die T at doch ausgeführt wird, eine Ungerechtigkeit sich aus den verschiedenenMilderungsmöglichkeiten ergeben könnte, die der Vorschlag gewähren will. Diese Ungerechtig­ keit führt aber nur ein Scheinwesen im Gesetz; sie kommt in der Wirklichkeit nicht vor; denn diese Milderungsmöglichkeiten sind so beschaffen, daß der Richter die Eigenart des einzelnen F alls beachten kann; ihr wird er sicherlich Rechnung tragen. D as wäre für uns die kleinste Schwierigkeit. Darum brauchen wir uns nicht zu sorgen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich schlage vor, die Diskussion über dieses Thema jetzt nicht fortzusetzen. Ich wiederhole aber noch ein­ mal die Bitte, bei dieser Konzeption immer wieder zu prüfen, ob wir im Einzelfalle zu einem vernünf­ tigen und gerechten Ergebnis kommen. W ir haben noch ein paar offene kleine Fragen, den Vorschlag Schaffstein, Vorbereitung des Täters und Vorbereitung, die der andere leistet; wir haben ferner noch nicht ganz geklärt, wie es mit der An­

stiftung zur Beihilfe für die eigene T at ist, wenn man das nicht mit Ihrem Vorschlag schaffen kann. W ahr­ scheinlich wird es gehen. W ir haben noch nicht ganz sicher die Einleitungsworte gewonnen. W ir müssen uns entscheiden, ob wir die Wert- oder die Wesens­ gleichheit in das Gesetz hineinschreiben wollen. Meine eigene Ansicht kennen Sie. Ich wehre mich immer dagegen, so etwas wie eine Wesensgleichheit in ein Gesetz hineinzuschreiben. Was Herr Professor Dahm gesagt hat, war erfreulich einfach. Der Gesetzgeber hat es doch nicht in der Hand, über die verschiedenen Formen der Täterschaft zu disponieren. E r kann nur eine Aussage über diese verschiedenen Formen von seinem Standpunkt aus machen. Nun würde ich vorschlagen, das letzte Thema dieses Abschnittes zu behandeln, von dem der E nt­ wurf noch gar nichts enthält, nämlich die Bertreterhastung. Da sind die Meinungen noch lange nicht geklart. Berichterstatter Professor Dr. Mezger: E s handelt sich um S t r a f t a t e n v o n OrganenoderAngestelltenderjuristis c he n P e r s o n e n und ähnlicher Gebilde. Dieses Thema umfaßt drei Problemgruppen, die in dem Antrag B 37 genannt und zusammengestellt sind, von denen zwei, nämlich das erste und dritte, rasch erledigt werden können, während das zweite Problem, das Hauptproblem, in neue und schwierige Gebiete führt. Ich will deshalb die beiden einfacheren Dinge vor­ wegnehmen. E r s t e n s handelt es sich um den § 394c des Antrags in B 21. Dort ist eine neue Bestimmung über die Haftbarkeit von Personenvereinigungen vorge­ schlagen worden dahingehend: „Begeht der Täter die S tra fta t in Ausübung der ihm einer juristischen Person gegenüber obliegenden Verpflichtung, insbe­ sondere als ihr Organ, Vertreter oder Angestellter, so kann die juristische Person für die gegen ihn erkannte Geldstrafe für haftbar erklärt werden. Der juristischen Person steht eine Personenvereinigung gleich, die, ohne Rechtsfähigkeit zu besitzen, selbständig verklagt werden kann." I m Prinzip bin ich mit diesem Vor­ schlag einverstanden. Ich habe mich auch in dem Antrag B 30 in diesem S inne darüber geäußert. E s handelt sich nicht etwa darum, daß hier die Körper­ schaftsdelikte als solche nach dem Vorbild der Reichs­ abgabenordnung ausgedehnt werden sollen, sondern es handelt sich um die Erweiterung eines Gedankens, der ebenfalls in der Reichsabgabenordnung angedeutet ist und sich auch in anderen Nebengesetzen findet, daß nämlich eine Mithaftung, eine unterstützende Haftung der Korporation eintritt. Grundsätzlich habe ich gegen die Bestimmung keine Bedenken. Ich halte nur eine gewisse Vorsicht und' eine Äußerung mindestens in der Begründung für angezeigt, daß bei den Personenvereinigungen, die keine juristischen Personen sind, für deren Schulden also die einzelnen Vereinsmitglieder voll haften, diese subsidiäre Haftung im Urteil zu einer entweder personell oder gegenständlich beschränkten Haftung

gemacht w ird und gemacht werden kann. Ob dies in das Gesetz selbst ausgenommen werden muß, ist eine Frage fü r sich. E s könnte vielleicht genügen, es in der Begründung zu sagen. D a n n darf ich z w e i t e n s gleich den anderen verhältnism äßig einfachen F a ll hinzunehmen. Es ist der in dem A ntrag B 37 an d ritte r Stelle genannte: D ie Einfügung eines § 432 a, wie er in dem Antrag B 24 vorgeschlagen ist, und gegen den ich meinerseits keine Bedenken habe. Dieser § 432 a b e trifft die Schließung des Geschäftsbetriebs und lautet: „H a t der T ä te r als O rgan oder gesetzlicher V ertreter einer juristischen Person gehandelt, so kann das Gericht aus die Dauer von mindestens einem oder höchstens fünf J a h re n die Schließung des Geschäftsbetriebs der juristischen Person anordnen, wenn dies erforderlich ist, um die Allgemeinheit vo r weiterer Gefährdung zu schützen. D e r puristischen Person steht eine Personen­ vereinigung gleich, die, ohne Rechtsfähigkeit zu be­ sitzen, selbständig verklagt werden kann." D as ist wiederum eine A r t subsidiärer Haftung fü r das, was jemand als V ertreter fü r eine K orporation tut. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ic h möchte vorschlagen, daß w ir diese beiden F ra g e n : Erstens Haftung der Gesellschaft fü r eine Geldstrafe, die fü r die Person ihres O rgans oder ihres Vertreters eingetreten ist, und zweitens die Betriebsschließung der Gesellschaft, w e il ein Vertreter oder ein O rgan eine Handlung begangen hat, auf die diese Sicherungsmaßnahme Anwendung finden kann, von der anderen viel schwierigeren d ritte n Frage trennen: W ie können w ir der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen, wenn die Personenmehrheit nicht delikts­ fähig ist, wo aber zweifellos Delikte begangen werden, die eine S tra f Wirkung haben müssen? D a s scheint m ir das Zentralproblem zu sein. (Berichterstatter Professor D r. Mezger: Es könnte natürlich dadurch radikal gelöst werden, daß man sie entsprechend der Reichsabgaben­ ordnung einfach fü r deliktssähig erklärt. Aber das möchte ich nicht empfehlen. I n beiden F ä lle n handelt es sich n u r um eine subsidiäre M ith a ftu n g fü r die T a t der Einzelperson.) — E s würde zweckmäßig sein, wenn w ir diese beiden Fragen, subsidiäre Haftung und Betriebsschließung, einm al ausschieden und die andere Frage in den Vordergrund stellten: S ollen w ir die juristischen P e r­ sonen einfach fü r deliktsfähig erklären, wie es der Reichsfinanzminister fü r die Reichsabgabenordnung gemacht hat? I n einem Willensstrafrecht halte ich das fü r ausgeschlossen. D as könnte auch gar nicht ernstlich gemeint sein, und wenn das in der Reichs­ abgabenordnung steht, so dürfte das streng genommen n u r eine Breviloquenz sein. E s kann gar nicht be­ hauptet werden, daß eine Personenmehrheit schuld­ haft handeln kann. D ie zweite Frage wäre: W ie soll der M a n n , der als Vertreter oder O rgan handelt, für die Personenmehrheit strafrechtlich beurteilt werden; soll unterschieden werden, ob er in Ausführung der ihm übertragenen Verpflichtungen, also gewisser­

maßen in seiner referatsmäßigen Zuständigkeit handelt oder nicht? D as wäre nach dem Abteilungs­ vorschlag verschieden aufzufassen. Berichterstatter Professor D r. Mezger: Ic h möchte noch das eine hervorheben und aus­ drücklich klarstellen: B e i der s u b s i d i ä r e n H a f ­ t u n g f ü r d i e G e l d st r a s e b e trifft der V o r ­ schlag „O rgane, V ertreter oder Angestellte", während bei der S c h l i e ß u n g d e s G e s c h ä f t s b e ­ t r i e b s von „O rganen oder gesetzlichen V e rtre te rn" gesprochen w ird . Ich nehme an, daß das nicht bloß als eine Wortverschiedenheit aufzufassen, sondern daß d a rin eine sachliche Verschiedenheit zu erblicken ist. (Reichsjustizminister D r. G ü rtn e r: B e i dieser Sachlage w ird es doch zweckmäßig sein, daß S ie sich in Ih re m Referat auch gleich zu den Absätzen 1 und 2 von § 365 b äußern.) — E s ist also als D r i t t e s nach A n tra g B 37 die im A n tra g B 20 auf Seite 5 als § 365 b vorge­ schlagene neue Bestimmung zu nennen. S ie w ill, wenn der T ä te r fü r einen anderen, insbesondere als O rgan, V ertreter oder Angestellter einer juristischen oder natürlichen Person handelt, daß dieser Umstand seiner Bestrafung — so hieß es dort zunächst — „nicht entgegenstehe". Dieser Ausdruck ist nicht zutreffend, und ich habe deshalb in B 37 die Fassung vorge­ schlagen: „ S o w ird er wie beim Handeln fü r sich selbst bestraft". H ie r handelt es sich darum, daß von einer Einzelperson namens einer K o rporation ge­ handelt w ird , und daß dann diese Einzelperson so behandelt werden soll, w ie wenn sie in eigener Sache gehandelt hätte. E s kommen insbesondere die F älle in Betracht, in denen die K orporation — und n u r diese — Kaufmannseigenschaft besitzt. D er Einzelne, der dann fü r diese K orporation handelt, soll so be­ handelt werden, wie wenn er selbst als Kaufmann in seinem eigenen Geschäft gehandelt hätte. D as ergänzt Absatz 2 dahin, daß, wenn der T ä te r als ärgern oder V ertreter oder als Angestellter fü r einen anderen in Ausführung der ihm über­ tragenen Verpflichtungen handelt, er nicht n u r über­ haupt bestraft w ird , sondern daß ihm dann die be­ sonderen Eigenschaften oder Verhältnisse dessen, fü r den er handelt, zuzurechnen sind. Auch hier sollen nach Absatz 3 den juristischen Personen die nicht rechtsfähigen Vereine usw. gleichgestellt werden. Es handelt sich bei dieser Bestimmung des § 365 b um j u r i s t i s c h e s N e u l a n d . B ish e r ist eine derartige allgemeine Bestimmung, wie sie hier v o r­ geschlagen ist, im Gesetz nicht enthalten. A llerdings führen schon heute zwei S traßen in dieses unbekannte Land, die ich im folgenden kurz aufzeigen möchte. Nach zwei Richtungen h in ist diese V e r t r e t e r ­ h a f t u n g , wie sie hier kurz genannt sei, bisher schon erörtert worden. E in m a l in dem Fragen­ komplex, der sich um den § 244 der Konkursordnung gruppiert, und dann in dem Fragenkomplex der Aneignungsdelikte, bei denen w ir uns im Hinblick auf die §§ 242 und 246 S tG B . (Diebstahl und

Unterschlagung) auf die Frage des Sichzueignens be­ schränken können. Diese beiden Punkte verdienen es, zur Klärung der Fragen des ganzen Gebiets hier kurz behandelt zu werden. Der § 244 KO. hat eine Geschichte, die in der berühmt gewordenen Entscheidung des Preußischen Obertribunals aus dem Jah re 1875 ihren Ausgangs­ punkt nahm. I n Goltd. Archiv Band 23 (B e tte 31 ist diese Entscheidung und was ihr zugrundeliegt wiedergegeben. Damals bestand der § 244 KO. noch nicht, und es war daher die Frage aufgeworfen worden, ob die Strafbestimmungen der Konkursord­ nung auch Anwendung finden dürfen auf eine Person, die nur n a m e n s einer eingetragenen Genossenschaft gehandelt hat. Die Frage lautet in der Überschrift jener Entscheidung: „Können Vorstandsmitglieder einer eingetragenen Genossenschaft, welche ihre Zahlungen eingestellt hat, nach §§ 281/83 des S tra f­ gesetzbuches (heute: §§ 239 bis 241 KO.) angeklagt werden?" Die M e h r h e i t des erkennenden Gerichts hat sich dahin entschieden, daß man diese Bestimmun­ gen (auch ohne daß der heutige § 244 KO. bestand) auch auf eine Person, die nur f ü r eine eingetragene Genossenschaft gehandelt hat, anwenden dürfe. Eine M i n d e r h e i t hat dagegen Bedenken geltend ge­ macht. F ü r das Verständnis der Frage ist es auch heute noch von Interesse zu wissen, woraus sich diese Be­ denken damals gestützt haben: nämlich einmal auf den Wortlaut derjenigen Bestimmungen, die heute in §§ 239 ff. der Konkursordnung vorliegen. D ort sei, heißt es, immer nur die Rede von „Schuldnern", welche ihre Zahlungen eingestellt haben; diese W ort­ fassung gestatte also nicht die Anwendbarkeit auf eine Person, die nicht selbst Schuldner ist, die nicht ihre eigenen Zahlungen eingestellt hat. I n diesem S tand­ punkt der Minderheit ist aber damals noch ein weiterer Gedanke hervorgetreten, der nicht übersehen werden sollte, weil er ein s a c h l i c h e s Gewicht hat. E s hat sich hier nicht nur um einen Wortstreit ge­ handelt, über den wir heute leicht hinwegkämen. Dieses weitere Argument, das damals geltend gemacht worden ist, ging dahin: bei den Strafbestimmungen der Konkursordnung handle es sich um eine Bestrafung dessen, der „die Zahlungen eingestellt hat". Auf die Zahlungseinstellung der eingetragenen Genossenschaft aber habe das Vorstandsmitglied keinen Einfluß. Es sei sachlich also doch etwas ganz anderes, wenn man auch ihn nach diesen Bestimmungen bestrafen wolle, als wenn man den Einzelkausmann bestrafe, in dessen eigenem Betriebe die Zahlungseinstellung eingetreten sei, auf die er selbst den maßgebenden Einfluß gehabt habe. Ich hebe das deshalb besonders hervor, damit man nicht einwende, die ganze frühere Rechtsprechung in diesem Punkte habe sich lediglich auf einen heute bedeutungslosen Wortstreit bezogen. D as für die Beratung der v e r e i n i g t e n A b t e i l u n g e n , an die nunmehr die Entscheidung ging, e r st a t t e t e G u t a ch t e n hat die Haftbarkeit des Vorstandsmitglieds in Übereinstimmung mit der vorherigen Minderheit verneint. Der Generalstaats­

anwalt hatte dementgegen mit der vorherigen Mehr­ heit für Bestrafung plädiert. D as G e r i c h t hat schließlich in Übereinstimmung mit dem Gutachten dahin entschieden, daß das Vorstandsmitglied, das n a m e n s der eingetragenen Genossenschaft gehandelt hatte, n i c h t bestraft werden könne. Es hat sich dabei wiederum aus die beiden Argumente gestützt: auf das Wortargument, dieses Vorstandsmitglied sei nicht „Schuldner", es handle sich nicht um „seinen" Kon­ kurs, und aus das sachliche Argument, dieses Mitglied sei ohne „Einfluß" auf die Zahlungseinstellung gewesen. Diese hier wiedergegebene Entscheidung ist der Anlaß geworden, die Bestimmung des § 244 der Konkursordnung einzufügen: die Strafvorschriften der §§ 239 bis 241 KO. sollen auch gegen die M it­ glieder des Vorstands einer Aktiengesellschaft oder einer eingetragenen Genossenschaft usw. Anwendung finden. Hier ist also ausdrücklich im Wege des Ge­ setzes die sogenannte Vertreterhaftung festgelegt worden, weil die vorhergegangene Entscheidung des Obertribunals hier eine Lücke gefunden hat. Darauf stüfrt sich dann in der Folge, und damit steht im Zusammenhang eine ganze Reihe von Entscheidungen, die ähnliche Dinge behandeln, so z. B. die Entschei­ dung des Reichsgerichts in 93b. 42 S . 278 über eine G.m.b.H., wo eben auch nach dem Vorbild des § 244 der Konkursordnung eine entsprechende Vorschrift gegeben war und deshalb eine Haftbarkeit ange­ nommen werden konnte. Nun ist aber, wie in den Vorschlägen der Herren Sachbearbeiter in B 20 bereits hervorgehoben ist, eine solche ausdrückliche Ausdehnung der Haftung, wie sie § 244 KO. enthält, in vielen Fällen im Gesetze selbst n i c h t vorgenommen worden. Deshalb haben andere Entscheidungen, namentlich die in Bd. 60 S . 234, Bedenken gehabt, hier in gleicher Weise eine Ausdehnung der Haftung des Vertreters anzunehmen. E s hat sich in dieser Entscheidung, die von allen wohl die interessanteste ist. darum gehandelt, daß eine Ver­ urteilung in einem Falle des § 288 S tG B . (Zwangsvollstreckungsvereitlunq) deshalb nicht erfolgen konnte, weil hier der als Vertreter Handelnde nicht eine „ihm" drohende Zwangsvollstreckung abgewendet habe. Auch sonst kehrt der Gedanke wieder: es habe sich eben nicht um seine „eigene" Sache gehandelt. D as Reichsgericht hat im großen sanken den Standvunkt eingenommen — er ist in B 20 durch Hinweise näher belegt — , daß dort, wo im Gesetz keine ausdrückliche Ausdehnuna im S inne des § 244 KO. vorgenommen worden ist, die Rechtsprechung nicht von sich aus diese Ausdehnung vornehmen könne. Hier besteht also weiterhin eine Lücke, wie sie seinerzeit vom Obertribunal empfunden worden und bisher weder durch das Gesetz. noch durch die Recht­ sprechung ausgefüllt worden ist. Soviel zum Fragen­ komplex des § 244 KO. Ein zweiter Weg, der in das oben genannte unbe­ kannte Land führt, betrifft die Fragen des S i c h Z u e i g n e n s in ben §§ 242/46 S tG B , und im

Zusammenhang damit bei andern Delikten, die ähn­ liche Probleme auswerfen. Die Frage läßt sich viel­ leicht am besten am Diebstahl und der von ihm gefor­ derten Absicht, sich die Sache rechtswidrig zuzueignen, demonstrieren. Hier hat bekanntlich das Reichsgericht (siehe JurW o. 1934 S . 1657) in seiner Rechtsprechung den Wortlaut schon dahin ausgeweitet, daß es ent­ scheidend nicht auf die Zueignung der Sache selbst ankomme, sondern auf die Zueignung des Wertes der Sache. D as bekannte Beispiel der Wegnahme des Sparkassenbuchs mit der Absicht der Rückgabe nach der Gelderhebung wird so unter § 242 S tG B , ge­ bracht. Auch wenn die Absicht besteht, das Sparkassen­ buch wieder zurückzugeben, soll dadurch nicht die Ab­ sicht rechtswidriger Zueignung ausgeschlossen sein, wenn die Absicht besteht, einen Geldbetrag abzuheben und sich damit einen Teil des W e r t e s dieses S p ar­ kassenbuches anzueignen. Weiterhin hat die Rechtsprechung des Reichsge­ richts sich dahin entschieden, daß es für die Absicht des Sich-Zueignens auch genügen solle, wenn der Täter die Sache unmittelbar einem a n d e r e n zueignet. Jem and verkauft z. B. den Pflug auf fremdem Acker. I n diesem Falle hat also die Rechtsprechung ebenfalls keine Bedenken getragen, eine Verurteilung eintreten zu lassen. Nur in e i n e m Falle trägt sie solche Be­ denken — das Nähere ist in der Juristischen Wochen­ schrift von 1934 S . 1657 in der Anmerkung zu­ sammengefaßt— .dann nämlich, wenn der Handelnde i n f r e m d e m N a m e n gehandelt hat. Namentlich die Rechtsvrechung des II. S enats des Reichsgerichts bat dies immer wieder stark unterstrichen, am deut­ lichsten vielleicht in einer Entscheidung in Band 64 Seite 406 rum DevotaeleK. D ort ist aefrmt: I n diesen Fällen (die sich an den Tvvus der Unterschlaaung oder des Diebstahls anschließen) liegt ein Sich-Zueiqnen n i c h t vor, sofern der Handelnde i n f r e m d e m N a m e n gehandelt hat. Auch hier lieat also wieder­ um ein Punkt vor, an dem die bisherige Rechtsprechung noch n i ch t a l l e Fälle erfaßt, an deren Einbeziehung unter derartige Tatbestände man denken könnte. Aus Grund dieser Lücke im geltenden Recht ist in einem Aufsah von B r u n s in der „Deutschen Justiz" im Deremberheft 1934 S . 1589 angeregt worden, auch für die noch übrigbleibenden Fälle — ich wieder­ hole: die Fälle, in denen eine ergänzende Bestimmung im Sinne von § 244 KO. vom Gesetz nicht gebracht worden ist, sowie in den Fällen, in denen eine S tra f­ barkeit an dem W ortlaut des: ..sich zueignen" oder einem entsprechenden W ortlaut scheitern soll — eine allgemeine sogenannte N e r t r e t e r h a f t u n g Platz greisen zu lassen. Dieser Vorschlag ist nunmehr von der Abteilung in B 20 . Wenn dann der Angeklagte seine Revision mit der Verletzung des § 390 begründet, so kann ich mir sehr wohl vorstellen, daß das Reichsgericht erklärt: So einfach, wie du, Vorderrichter, dir die Sache gemacht hast, geht es nach § 390 S tG B , nicht. Du mußt dir zunächst die Steuerbücher des Angeklagten vorlegen lassen und mußt all die umfangreichen Ermittlungen vornehmen, um auch ja auf Heller und Pfennig genau die Geldstrafe zu errechnen. Die Folge wird sein, daß in dem Urteil die Ausführungen über die S traf-

zumessung ungefähr den doppelten Raum wie die D ar­ stellung des Tatbestandes einnehmen werden. Und das alles, um festzustellen, daß statt der im ersten Urteil erkannten 100 0WL vielleicht nur 90 £M> oder 95 0MC diejenige Geldstrafe ist, die den für angemessen erachteten zehn Tagewerken entspricht. Wo sollen wir in der Praxis hinkommen, wenn wir bei den Tausenden und aber Tausenden von Bagatellsachen jedesmal ein derart umständliches Verfahren anwenden sollen? (Rechtsanwalt Dr. Gras von der Goltz: D as Reichsgericht übernimmt die Funktion des Reichsfinanzhofs!) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe die Frage nur vom Standpunkt der praktischen Auswirkung aus zur Diskussion gestellt. Ich sehe mich selbst als Amtsrichter die Strafbefehle der Amtsanwaltschaft entscheiden. Ich habe das auch getan. Professor Dr. Schaffftem: Ich möchte die praktische Frage, die eben auf­ geworfen worden ist, zurückgeben. Wie hat man es denn bisher in der P raxis mit § 27 c S tG B , ge­ macht? D ort ist auch vorgeschrieben, daß die wirt­ schaftlichen Verhältniße des Täters usw. zu berück­ sichtigen sind. Sinngemäß bedeutet das, daß alles, was nach § 390 geschehen soll, schon nach geltendem Recht geschehen sollte. Die P raxis entspricht dem freilich keineswegs, und das ist ein Zeichen dafür, daß der § 27 c so, wie er dasteht, unzulänglich ist. Daß hier ganz grobe Mißstände bestehen, läßt sich wirklich nicht leugnen, und jeder von uns wird soundso viele Fälle kennen, in denen man geradezu von Klassenjustiz bei der Bemessung der Geldstrafe sprechen kann. Andererseits schreibt nt. E. § 390 dem Richter gar nicht eine ganz genau aus den Pfennig korrekte Be­ rechnung vor, sondern es steht doch ausdrücklich da: unter freier Berücksichtigung. I m § 390 werden also dem Richter nur Richtlinien gegeben. Ich glaube, daß diese Richtlinien allerdings wirksamer sind als § 27 c StG B ., wo nur von den „wirtschaftlichen Verhält­ nissen des Täters" die Rede ist. Ermessensfreiheit wird der Richter auch weiterhin haben, und eine Auf­ hebung durch das Reichsgericht wird schon aus diesem Grunde gar nicht in Frage kommen. Ich möchte aller­ dings auch vorschlagen, den Tenor auf Tagesbußen lauten zu lassen und nicht etwa aus den danach be­ stimmten Geldstrafenbetrag. Andernfalls würde das Urteil im Volke nicht ohne weiteres gleich verstanden werden. Ich würde also vorschlagen, schon um die äußere Gleichheit nicht zu gefährden, den Urteilstenor in Tagesbußen auszusprechen, es aber im übrigen bei § 390 zu belassen. (Reichsjustizminister D r. Gürtner: S ie müssen doch irgendwo eine Zahl des Geldstrafen­ betrags haben! M an muß doch einen Voll­ streckungstitel haben!) — D as könnte man in den Gründen angeben. (Staatssekretär Dr. Freister: Es kann doch beides darinstehen; es muß sogar beides darin­ stehen!)

— Jedenfalls kann der Richter diese Festsetzung gleich vornehmen, und er braucht dabei nicht alle Einzel­ heiten allzu genau nachprüfen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr Professor Schafsstein hat den Hasen wirklich bei den Löffeln gefaßt: Es kommt darauf an, den Ge­ danken, der schon im § 27 c steht, in einer Form aus­ zudrücken, die eine bessere Gewähr dafür bietet, daß er auch angewandt wird. D as ist das ganze Problem. W ir wollen nichts anderes, als wir bisher schon ge­ wollt haben. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß in den Richtlinien für das Strafverfahren auch diesem Punkt eine große Aufmerksamkeit gewidmet worden ist. D a hat die Staatsanwaltschaft eine prachtvolle Anweisung bekommen, wie sie sich zu verhalten hat. Da heißt es: Der Aufklärung der Vermögens- und Ein­ kommensverhältnisse des Beschuldigten ist beson­ dere Sorgfalt zu widmen, wenn sie zur Beurtei­ lung der S traftat oder des Strafmaßes erforder­ lich, insbesondere wenn mit der Verhängung einer Geldstrafe zu rechnen ist. Diese Feststel­ lungen sind auch insofern von Bedeutung, als sie im Falle der Verurteilung eine wesentliche Unterlage dafür bieten, ob die Kosten des S tra f­ verfahrens von dem Verurteilten ausgetrieben werden können. Die Angabe, daß der Beschul­ digte in geordneten Verhältnissen lebe, genügt also in der Regel nicht. Vielmehr muß, soweit es nach den Umständen des Falles erforderlich er­ scheint, festgestellt werden, durch welche berufliche Tätigkeit der Beschuldigte seinen Lebensunter­ halt verdient (Angabe des Arbeitgebers), wie hoch sein Einkommen in einem bestimmten Zeitraum ist, welche sonstigen Einkünfte (z. B. Zinsen aus Kapital, Mieteinnahmen aus eigenem Grund­ stück) er hat, ob er über Grundbesitz oder sonstiges Vermögen verfügt, wieviel er an Miete und an Steuern zahlt und welche sonstigen Umstände für seine Zahlungsfähigkeit von Bedeutung sein können. — Hier spielen auch Schulden, Alimentationsver­ pflichtungen usw. eine Rolle. — I n geeigneten Fällen soll der Beschuldigte be­ fragt werden, ob er die Finanz- und Steuer­ behörden ermächtige, den Justizbehörden über seine Steuer-, Einkommens- und Vermögensver­ hältnisse Auskunft zu erteilen. Is t der Beschul­ digte erwerbslos, so ist zu ermitteln, wieviel er an Unterstützung erhält und welche Kasse diese auszahlt. Bei Ehefrauen ist der Beruf des Ehe­ mannes, bei Minderjährigen der des Vaters oder der M utter anzugeben. Entstehen gegen die Angaben des Beschuldig­ ten über seine wirtschaftlichen Verhältnisse Be­ denken oder wird vermutet, daß sie sich nachträg­ lich wesentlich geändert haben, so wird in man­ chen Fällen schon die Einholung einer Auskunft des zuständigen Gerichtsvollziehers oder Ge­ richtskassenvollziehers genügen, da diesen Be-

amten die wirtschaftlichen Verhältnisse vieler Gerichtseingesessenen bekannt sind. Läßt sich zur Behebung von Zweifeln die Inanspruchnahme einer Polizei-, Gemeinde- oder sonstigen Behörde nicht vermeiden, so empfiehlt es sich, die Aus­ kunftsersuchen möglichst auf bestimmte Fragen zu beschränken. — Meine Herren, S ie werden diesen Richtlinien nicht den Vorwurf machen, daß sie etwa flüchtig sind. Sie sind sehr genau. M an kann überhaupt nicht mehr sagen. D as ist wie ein Lehrbuch und ist ja auch als solches gedacht. Nun bitte ich, diese Richtlinien an der Praxis zu messen. Glauben S ie — ich sage das hier aus alle Gefahr hin — , daß in jedem Fall, wo Geldstrafe verhängt wird, diese Erhebungen gemacht werden? (Staatssekretär Dr. Freister: Es steht ja darin: soweit erforderlich!) — Was hier steht, ist völlig einwandfrei, sonst hätten wir es nicht unterschrieben und herausgegeben. Aber diese vorsichtige Ausdrucksweise „soweit nach den Um­ ständen erforderlich" usw. zeigt doch schon, daß auch die Bearbeiter dieser Richtlinien sich völlig darüber klar sind, daß z. B. in den Tausenden von Fällen, wo der Akt einfach damit beginnt: „ist zahlungsunfähig" und wo die Frage der Beitreibung überhaupt gar nicht angerührt wird, die praktische Durchführung kaum möglich ist. Ich erinnere Sie daran, daß wir bei den Strafvollzugskosten in den letzten Jahren, die ich selbst noch in der Justizverwaltung in Bayern erlebt habe, nur 8 Prozent eingetrieben haben, und die übrigen 92 Prozent hat man überhaupt nicht einzu­ treiben versucht, weil der Akt schon mit dem Vermerk beginnt, daß der Betreffende zahlungsunfähig ist. D as sind doch die hauptsächlichsten Fälle, auf die es ankommt. Und da fragt es sich nun, ob dieser Hin­ weis, man müßte die Geldstrafen nach Tagesbußen errechnen, eine bessere Gewähr ist, als wenn man auf administrativem Wege versuchen will, dem Gedanken des § 27 c wirklich zur Geltung zu verhelfen. Ich kann nicht leugnen und habe das auch durch mein Automobilbesitzer-Beispiel illustriert, daß aus diesem Gebiete ganz schwere Mißstände bestehen. Sie er­ innern sich sicher, so und so oft gehört zu haben, daß man eine hohe Geldstrafe befiehlt, und daß dann jemand sagt: Ach, das zahlt der aus der rechten Westentasche, das berührt ihn gar nicht. Die Frage ist, ob wir mit der Methode der Berechnung nach Tagesbußen eine bessere Gewähr für die Durchsetzung unseres Gedankens haben. D as ist die einzige Frage; sie ist mehr technischer Art. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Eine einigermaßen objektive Grundlage wäre noch die Steuereinschätzung. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Diese Leute haben doch gar kein Steuerrecht in diesem Sinne!) — Wer keine Steuern zu zahlen hat, auf den wären die niedrigen Sätze anzuwenden. Aber für die Krimi­ nalität des Besitzenden käme der Steuersatz doch in

Frage. Ganz individuell könnte die Tagesbuße doch nicht bestimmt werden. E s kann jemand eine ganz gute Einnahme haben und doch zur Zeit große Lasten durch Unterstützung von Verwandten oder eine Ope­ ration haben, die er an sich selbst oder an einem Ange­ hörigen vornehmen lassen muß. Da entsteht natürlich leicht ein falsches Bild. Die Dinge drängen hier von selbst wieder zu einem durchschnittlichen Maßstab hin. Ich sehe schon voraus, daß der Richter die Tagesbuße nach dem S tand oder nach dem Milieu, in dem jemand lebt, allgemein festsetzen wird. S o kommen wir doch wieder auf den alten Zustand hinaus. W ir können nicht mehr tun, als den Richter in erhöhtem Maße auf die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse hinzuweisen. Vielleicht könnte man die Strafzumessung revisibel machen. (Staatssekretär Dr. Freister: D as meine ich gerade nicht!) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich sehe es mir immer wieder aus dem Büro des Großstadtamtsrichters aus an. D aran scheitert unsere ganze Regelkunst; ich fürchte das wenigstens. Staatssekretär Dr. Freisler: W ir dürfen uns nicht davon leiten lassen, daß wir voraussehen, es werde doch wieder falsch gemacht. Wenn es so ist, wie es jetzt nach der Meinung von Herrn Senatspräsident Klee und nach der Darstel­ lung von Herrn Oberstaatsanwalt Reimer gemacht wird, dann ist das auch heute gesetzwidrig, und dann dürfen wir diese Übung nicht sanktionieren. Auch heute sind der Amtsrichter und der Amtsanwalt bei Bean­ tragung des Strafbefehls verpflichtet, sich zu über­ legen, welche Geldstrafe sie beantragen oder festsetzen wollen. Diese Überlegungen sollten heute im Grunde genommen dieselben sein und sich auf dieselben Gebiete beziehen, auf die sich die Überlegungen beziehen sollen, die wir künftig von dem Richter verlangen wollen, einmal darauf: Wie hart im ganzen muß ich den T äter treffen? — und zweitens: Wie muß ich es ein­ richten, daß ich diesen Täter so hart treffe? Das sind die beiden Gedankengänge. Nach unserer Konzeption würde der eine Gedankengang: Wie hart will und soll ich den Täter treffen, um ihn gerecht zu strafen? — eine Überlegung sein, die der Richter an Hand des § 408 anzustellen hat. Der Richter hat sich eben zu überlegen, wie sich der Täter gegen die Gesamtheit vergangen hat, wie seine Willensschuld usw. ist, wie hart er ihn treffen will. E r glaubt auf Grund dieser Überlegungen z. B., daß 20 Tagesbußen angemessen seien. Dann hat er zweitens — er kann übrigens auch zeitlich umgekehrt verfahren, das ist ganz einerlei — die Erwägung anzustellen: Wie erreiche ich nun mein Ziel, dem Täter diese 20 Tagesbußen zu geben? Denn er muß die Strafe ja in Reichsmark ausdrücken. Dazu muß er dieselben Überlegungen anstellen, die er, wenn er pflichtmäßig handelt, auch heute anstellen muß. E r muß sich nämlich sagen: Is t der Täter ein Millionär, so erreiche ich dieses mein Ziel nicht mit 100 RM., und ist es ein Bettler, so würde ich mit 100 RM. über­ treiben. Diese Überlegung ist nun aber bisher nicht

genügend angestellt worden; und es ist auch sehr natürlich, daß das nicht geschehen ist. Denn der Amts­ richter und jedermann gehen bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines anderen nur allzu leicht von der eigenen Lage aus. S o ist es erklärlich, daß die Geldstrafen, soweit sie nicht Personen getroffen haben, die wirtschaftlich etwa in der Lage waren wie die er­ kennenden Richter, mehr oder weniger ungerecht waren. D as ist ganz natürlich, weil es für einen Menschen sehr schwer ist, sich in die Lage eines M annes hineinzuversetzen, der nach der einen oder anderen Seite hin eine ganz andere Lebensgrundlage als der Richter selbst hat. Wenn wir nun aber ver­ langen, daß der Richter zunächst die Zahl der Tages­ bußen aussprechen soll, so ist dieser Ausspruch voll­ kommen losgelöst von der Frage, was für den ein­ zelnen Angeklagten eine Tagesbuße bedeutet. Die Tat, die zwei M änner begehen, die die gleiche Willensschuld auf sich genommen haben, die den gleichen Überblick über die Verhältnisse hatten, die die gleiche Vorbil­ dung hatten, von denen man gleich viel verlangen kann, wird der Richter z. B. mit 10 Tagesbußen be­ strafen können. Wenn nun das Gesetz ihm vorschreibt zu überlegen, was bei dem einzelnen Täter eine Tagesbuße ist, so ist das ein viel stärkerer Hinweis und Zwang, gerecht vorzugehen. Dann kommt der Richter viel eher daraus, auch entsprechend der Lage der verschiedenen Menschen zu differenzieren. Ich kann nicht anerkennen, daß er damit wesentlich mehr Arbeit hätte, als wenn er heute gesetzmäßig verfährt. Ich glaube deshalb, daß die vorgeschlagene Regelung ein geeignetes M ittel ist, den Richter dadurch, daß sie die Gedankenoperation, die er vornimmt, zwangsweise in zwei Teile zerlegt, zu gerechteren Strasdisferenzierungen zu veranlassen. D as führt nun auch zu bestimmten Folgerungen, z. B. beim Strafregister. Ich bin allerdings der Mei­ nung, daß im Strafregister stehen muß, daß der Täter wegen einer S traftat zu 10 Tagesbußen verurteilt' worden ist. E s interessiert das Strafregister und die, die das Strafregister einsehen, gar nicht, wie hoch die Geldsumme war. I m Strafregister braucht — und ich möchte sagen: soll die Geldsumme nicht stehen. Etwas anderes ist es, ob sie im Urteil stehen soll. Meines Erachtens müßte der Urteilstenor lauten: die Angeklagten werden wegen gemeinsamer Körperver­ letzung zu je 10 Tagesbußen verurteilt, d. h. bei M iller zu 1000 RM . und bei Meyer zu 30 RM . Ich bin nicht der Meinung, daß die Gleichheit in den Tagesbußen und die Verschiedenheit in der Geld­ summe, die im selben Urteil zum Ausdruck kommen, vom Volk nicht verstanden wird. Ganz im Gegenteil glaube ich, daß das Volk dies als Hinweis darauf werten und achten wird, daß man gerecht strafen will. Dann müssen wir auch eins bedenken. Wir haben ja dieses System nicht für das Ordnungsstrafrecht vorgeschlagen, sondern es uns immer nur für das kriminelle Strafrecht gedacht. Ich möchte nicht an­ nehmen, daß wir dasselbe unbedingt auch in das Ord­ nungsstrafrecht aufnehmen sollten. Wir wollen für dieses ja einen eigenen Allgemeinen Teil und ein be­ sonderes Gesetz schaffen.

Dann ist in Privatgesprächen noch eingewandt worden, unter Tagesbuße sei doch eigentlich etwas anderes zu verstehen, sie sei doch eigentlich der Betrag, den man als Buße zahlt, wenn man gewissermaßen diesen Tag des Lebens und die Arbeitskraft dieses Tages zur Verfügung stellt. S o fassen wir die Tages­ buße aber nicht auf. Die Tagesbuße setzt sich eben aus der Betrachtung der Gesamtlage des Betreffenden zu­ sammen. I n der Beziehung hat auch die Abteilung Verbesserungsvorschläge gemacht, denen ich mich in meinem Referat angeschlossen habe. Nach ihnen ist alles zu berücksichtigen: T)as durchschnittliche Tageseinkom­ men, das tatsächliche wie auch das, was der Täter, wenn er arbeiten wollte — er ist vielleicht ein reicher Faulpelz, der nicht arbeitet — , erarbeiten könnte, ferner natürlich das Einkommen, das nicht durch Arbeit, sondern, sagen wir einmal, als Vermögenseinnahme erzielt wird und mit in Rechnung zu stellen ist, und außerdem auch noch das Vermögen selbst, da es allerdings einen Unterschied macht, ob bei dem einen Täter nur das Einkommen ersaßt werden kann, der andere Täter aber außer dem Einkommen noch eine Reserve im Vermögen hat. Auf der anderen Seite sind auch die Verpflichtungen, die der Betreffende hat, sowohl Unterhaltsverpflichtungen wie Lebenshaltung im ganzen zu berücksichtigen. Natürlich hat man dabei keine Garantie, daß bei einem Angeklagten, der in genau der gleichen Lage in Königsberg ist wie ein anderer in Aachen, der Richter in Königsberg zu demselben Tagesbußensatz kommen wird wie der Richter in Aachen. Diese Sicherheit der gleichmäßigen Bestrafung haben wir aber heute in noch geringerem Maße. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, aus den Ausführungen ergibt sich mit aller Deutlichkeit, daß richtig ist, was ich gesagt habe: W ir suchen nach einem Relativitätssaktor, nach einem Faktor, der die Relation zwischen der Leistungsfähig­ keit des T äters und der Summe, die dann verschieden ist, vereinheitlicht. Also die Gleichung würde lauten: 10 gleich 10; aber 10 mal x ist nicht gleich 10 mal y, wobei x und y die Höhe der Tagesbuße ist. Ich will einmal den F all setzen, es würde jemand eine leichte Körperverletzung durch fahrlässige Steuerung seines Autos begehen; besonderer Schaden sei nicht ent­ standen, also eine Sache, für die eine Geldstrafe ab­ solut geeignet ist. Jetzt möge jeder an seine eigenen Verhältnisse denken und sich fragen, wie er da ver­ urteilen würde. Eine Geldstrafe, die sich im untersten Rahmen dessen hält, was man überhaupt als Geld­ strafe ausspricht, müßte nach unserem Vorschlag e i n e Tagesbuße sein. Wieviel wäre das für einen M ann, der ein Gehalt von 12 000 RM., kein Vermögen, eine F rau und zwei Kinder hat? (Staatssekretär Dr. Freister: Bei etwa 30 RM . täglich Gehalt würde ich sagen: Etwa 10 RM . täglich hat er bei seiner Lebenshal­ tung für die F ra u und für die Kinder nötig. Ich würde also etwa 20 RM . für ihn als Tagesbuße annehmen.)

— D as würde also daraus hinauslaufen, ihm zwei oder drei Tagesbußen aufzuerlegen? (Staatssekretär Dr. Freister: Nein, ich würde das als eine Tagesbuße ansehen!) — Schon eine kleine Geldstrafe würde alsdann etwa eine oder zwei Tagesbußen sein. (Zustimmung.) Haben Sie auch daran gedacht, daß wir nicht bloß ein Ordnungsstrafrecht, sondern auch ein Finanzstraf­ recht haben? Und glauben Sie, daß im Finanzstrasrecht diese ganze Denkform akzeptiert werden wird? (Staatssekretär Dr. Freister: D as wird auch gar nicht vorgeschlagen! — Prof. Dr. Schafs­ stein: Da ist schon eine andere Bemessung vor­ geschrieben! — Rechtsanwalt Dr. Gras von der Goltz: Bei Vermöqensdelikten wird die Strafe in ein Verhältnis zu dem zu erwarten­ den Vorteil gesetzt! — Staatssekretär Dr. Freister: Heute ist es auch so, daß der Richter gezwungen ist, zunächst einmal zu berücksich­ tigen, wie leistungsfähig der zu Verurteilende ist, und daß außerdem gesagt wird: Die Strafe soll aber nicht weniger sein als der Gewinn. D as würde sich also gegenüber heute gar nicht ändern.) — Daß es ungefähr ebenso ist wie jetzt, ist kein E in­ wand, der ein Gewicht hat. Reichsgerichtsrat Niethammer: Es ist erklärlich, daß die, die das Recht anzu­ wenden haben, gegen die Vorschrift des § 390 Ein­ wendungen erheben; auch ist beinahe alles richtig, was Herr Oberstaatsanwalt Dr. Reimer vorgetragen hat; teilweise ist sogar das richtig, was er über die Rechtsprechung des Reichsgerichts bemerkt hat, aber nur teilweise. Denn darin steckt doch ein falscher Ge­ danke. Ich gebe das eine ohne weiteres zu: W ir haben immer scharf daraus geachtet, daß wir keinen Verstoß gegen den § 27 c durchtasten. Wir haben viele Urteile aufgehoben, weil wir Grund zur Annahme gehabt haben, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters nicht berücksichtigt seien; das ist auch manchmal geschehen, solange ich Mitglied des II. Strafsenats war, zu dem Berlin gehört. D a sind überaus häufig Verurteilungen zu Geldstrafen bei fahrläfliger Tötung und Körperverletzung im Kraftwagenverkehr vorge­ kommen; wenn wir da gefunden haben, daß die Geld­ strafen zu nieder bemessen waren, daß sie im Hinblick auf den Berus oder das Vermögen des Verurteilten unzulänglich erschienen, dann haben wir allerdings — aber nicht zugunsten, sondern zuungunsten des Verurteilten — aufgehoben. Nun muß man aber doch beachten, daß unsere Einwirkung hier durch das Gesetz stark beschränkt ist. W ir können immer nur eingreifen, wenn zuungunsten des Verurteilten Revision angemeldet ist, etwa mit der Begründung, es sei der § 222 Abs. 2 verletzt, der die Erhöhung der Strafe wegen des Berufs vorsieht. I n diesen Fällen haben wir, auch wenn wir den ge­ rügten Fehler nicht anerkannten, also den Schuld­ spruch bestehen ließen, doch im Strasausspruch auf­

gehoben, sobald uns die Strafe zu gering erschien. Ich meine, das ist eine gute Rechtsprechung des Reichsgerichts. Einen umgekehrten Fall, Herr Ober­ staatsanwalt Reimer, kann ich mir weder als M it­ glied des II. Strafsenats noch irgendeines anderen Strafsenats vorstellen. (Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: W ir legen doch kaum Revision ein, Herr Reichsgerichts­ rat!) — D as ist gerade der Fehler! Nun aber zu etwas anderem. M an könnte daran denken, das, was der § 27 c des jetzt geltenden Rechts in einer ganz schlichten Form ausspricht, näher aus­ zugestalten, dem Richter den Auftrag zu geben, daß er hier in gewisse Einzelheiten eingehe. Dann muß man die künftige Rechtsprechung hierzu ins Auge fassen. D as Reichsgericht hätte niemals Anlaß, ein Urteil aufzuheben, wenn es nicht den Grundsatz des § 390 mißachtet sähe. Die Einzelheiten sind ja rein tatsächliche Fragen, an die das Reichsgericht nicht rühren kann. Also diese Schwierigkeiten werden in dem Maß und in der Richtung, wie Herr Oberstaats­ anwalt Dr. Reimer dies geschildert hat, nach meiner Überzeugung nicht erwachsen. Aber ich bin im E r­ gebnis, wenn ich auch nicht allen Ausführungen zu­ stimmen kann und darf, doch aus der Seite des Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Hier wird zu viel verlangt, und zwar ganz besonders zu viel für den Großstadtrichter. Zunächst ist im Entwurf bei § 390 nur vom Durchschnittseinkommen die Rede; im § 410 des E nt­ wurfs steht dann: Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse. W ir haben diese Fragen beim Reichs­ gericht eingehend geprüft; es lag uns viel daran, dazu so Stellung zu nehmen, daß man zu einem in der Rechtsanwendung wertvollen Ergebnis gelangen möchte; da war unsere Meinung zunächst die, rein äußerlich betrachtet: Die Vorschrift über das Durch­ schnittseinkommen und ihre Umgestaltung in das, was der § 410 bei der Strafbemessung bringt, wieder­ holen dasselbe, sie gehören zusammen. I m Grunde genommen ist aber auch das, was im neuen § 390 vorgeschlagen wird, eben nur die Bezeichnung des Wegs, den der Richter gehen muß, um das richtige Matz für die Strafe zu finden. Schließlich die Strafen als solche. Eine greif­ bare Zahl muß der Vollstreckung wegen in der Urteilssormel stehen. Darüber kommen wir nicht hinweg. Nun hielten wir es, ohne daß wir den neuen § 390 kannten, für ein Gebot der Gerechtigkeit, den § 410, der den § 27 c des geltenden Rechts ablösen sollte, eingehender zu gestalten. I n einem Vorschlag, der von einem anderen Reichsgerichtsmitglied ausge­ arbeitet war und von dem Ausschuß allgemein gut­ geheißen wurde, war vorgesehen, daß insbesondere auch die Lebenshaltung bei dem Täter berücksichtigt werde, der vielleicht gar nicht arbeitet, aber es sich doch so gut gehen läßt, daß man ihm zumuten kann, ein Großes zu leisten. Auf der anderen Seite sah dieser Vorschlag für eme Umgestaltung des § 410 zu-

gunsten des Verurteilten vor zu berücksichtigen, daß diesem die Fürsorge für eine Familie obliegt. Also scheint es mir richtig, den Gedanken nicht an zwei Stellen zu zerstreuen, sondern dort zusammen­ zufassen, wohin er eigentlich gehört: I n der S traf­ bemessung. Wenn daran gelegen ist, den Richter zu zwingen, daß er nicht bloß allgemeine und unfaßbare Erwägungen über das anstellt, was dem Verurteilten mit Rücksicht aus Einkommen, Lebenshaltung, F ür­ sorge für die Familie zugemutet werden kann, sondern daß er sich auf einen Tagesbetrag festlegt, dann mag man das tun. D ann bedarf es noch einer Bestimmung für das Strafregister, daß dort nicht nur steht: 380 RM., sondern daß zum Ausdruck kommt, wie der Betrag errechnet ist, d. h. Hinweis auf Tagessätze. D as mag bestimmt werden, weil es zweckmäßig ist für den Fall, daß der M ann ein andermal wieder vor Gericht gerufen wird. Rechtsanwalt Dr. Gras von der Goltz: Ich glaube, mit dem Gedanken sind wir alle ein­ verstanden. E s handelt sich eigentlich nur um eine Formulierung. Da glaube ich persönlich, daß die Tagesbuße, wie sie hier formuliert ist, den P ara­ graphen länger und komplizierter macht. Jetzt heißt es in dem Vorschlag der Abteilung: Die Geldstrafe besteht in dem ein- oder mehrfachen Betrag einer Tagesbuße. Die Tages­ buße ist unter freier Berücksichtigung des durch­ schnittlichen Tageseinkommens, des Vermögens, der Unterhaltspflichten, der Lebenshaltung und der sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zu bestimmen. Warum heißt es nicht einfach: Die Geldstrafe ist unter freier Berücksichtigung des durchschnittlichen Tages­ einkommens usw. zu bestimmen? Dann ist die Sache vollkommen klar. Dann wird auch die Komplikation ausgeschaltet. Jetzt liegen nämlich zwei Fehlerquellen vor. W ir haben doch auch ein Interesse an einer ge­ wissen Gleichartigkeit der Rechtsprechung im Reich. Hier fragt es sich zunächst einmal, wie bemißt der Richter die Tagesbuße, und es fragt sich zweitens, wie oft multipliziert er die Tagesbuße. I n beiden Fragen können verschiedene Richter durchaus verschiedener Ansicht sein, so daß die Folgen der verschiedenen An­ sichten sich noch multiplizieren. Die Tagesbuße, sagt Herr Staatssekretär Freister, ist sozusagen der Saldo, der nach einem gewissen Existenzminimum verbleibt, und dann werden die persönlichen Verhältnisse usw. abgezogen. Unser Gesetz ging bisher davon aus: Die Geldstrafe beträgt mindestens das Durchschnittsein­ kommen ein einem Tag. Und hier wird der Gedanke der Tagesbuße doch so zu verstehen sein, daß die Tagesbuße dem Tageseinkommen im Normalfall ent­ spricht abzüglich bezw. zuzüglich besonderer persön­ licher Verhältnisse. Hier kann man durchaus verschiedener Ansicht darüber sein, wie die Tagesbuße schon rein am Tages­ einkommen gemessen anzusetzen ist. D ann kann man verschiedener Meinung darüber sein, wie die persönlicherrVerhältnisse zu berücksichtigen sind. Aber wenn

man die persönlichen Verhältnisse und Vermögensver­ hältnisse berücksichtigt, stellt man fest, daß es gar keine „Tages"buße ist, wie es heißt. Insofern verstehe ich nicht, weshalb man das Wort „Tagesbuße" einführen will, wenn es im Ergebnis keine Tagesbuße ist. Denn es sollen ja selbstverständlich auch die Vermögensver­ hältnisse berücksichtigt werden. Wir wollen einmal annehmen, daß sich ein M ann ins Privatleben zurückgezogen hat, er bekommt keine Pension, hat aber 200 000 RM . zurückgelegt und be­ zieht davon, sagen wir, 8000 RM. Zinsen. D as sind monatlich rund 600 RM . und täglich rund 20 RM. Soll nun die Tagesbuße dieses M annes nach dem Einkommen seiner Zinsen berechnet werden? Nein, es muß das sehr erhebliche Vermögen dabei mitberück­ sichtigt werden. Also wird man sagen: nicht die T at­ sache, daß du 20 RM . zu verzehren hast, sondern die Tatsache, daß du 200 000 RM . auf der Bank hast, wird berücksichtigt; infolgedessen ist die Tagesbuße nicht 20 RM ., sondern 1Ö0 RM . J a , wie kann man eine solche Tagesbuße, die nicht nach dem Tageseinkommen von 20 RM. be­ messen wird, sondern nach dem Vermögen, die also zu dem Tag gar keine Beziehung hat, noch eine Tages­ buße nennen? Nein, das ist eine Geldstrafe, bei der alle Verhältnisse berücksichtigt werden. Meiner An­ sicht nach besteht die Gefahr, daß unter dem Begriff Tagesbuße womöglich die Auffassung entsteht, daß bei dem reichen M ann vielleicht sogar das Vermögen nicht mit berücksichtigt wird. Deshalb sage ich: Warum nennt man das Tagesbuße und nicht einfach Geldstrafe? Wie sichert man nun, daß diese Bestimmungen wirklich berücksichtigt werden? Da könnte ich mir eine Vorschrift in der Strafprozeßordnung vorstellen, wonach im Urteil klargestellt werden muß, daß wirk­ lich diese einzelnen Erwägungen angestellt worden sind. D as Reichsgericht, das Berufungsgericht erkennt dann, ob diese Erwägungen angestellt sind. Ich glaube, daß die Sache mit der Tagesbuße auch insofern nicht ganz richtig ist, weil doch das E r­ gebnis des Urteils' bezw. die Gesamtbemessung der Strafe unter Umständen dem Objekt der S traftat ent­ sprechen soll, insbesondere wenn es vermögensrecht­ liche Dinge betrifft. Aber was hat das noch mit Tagesbuße zu tun? D as entspricht schon dem M ulti­ plikator. Ich habe davon gesprochen, daß die Richter verschiedener Ansicht sein können über die Bemessung der Tagesbuße, auch hinsichtlich des Multiplikators. Ich fürchte, daß, wenn man hier zwei Berechnungen anstellt zur Bemessung der Geldstrafe, man zu einer Ungleichheit der Rechtsprechung kommt. Wenn man glaubt, bei den Vorstrafen nicht ge­ nügend erkennen zu können, was 1000 RM . als Geld­ strafe bedeuten, ob viel oder wenig, so trifft das nur den Ausnahmefall. Im Durchschnittsfall wird der Richter es richtig beurteilen, und wenn er Zweifel hat, kann er die Akten des Vorprozesses heranziehen, und er wird dann in der Urteilsbegründung feststellen, ob es ein schwerer oder ein leichter Fall war.

E s handelt sich hier nicht um die Sache. Ich fürchte nur, daß die Bezeichnung der Sache als Tagesbuße und die weitere Folgerung, die aus dieser Bezeich­ nung gezogen wird, daß nämlich der Richter zwei Rechenexempel anstellt, zu einer gewissen Rechts­ unsicherheit und zu einer Kompliziertheit führt, die gerade unter Umständen der gesunden Volksanschau­ ung nicht entspricht.

M onat Gefängnis den Ruin seines ganzen Lebens; bei einem andern dagegen ist dieser M onat eine Un­ annehmlichkeit: er sitzt ihn ab, ohne hinterher ein wesentlich anderes Leben führen zu müssen als vor­ her. Ich fürchte, wir treiben hier einen Gedanken aus die Spitze, der theoretisch schön, aber doch etwas dok­ trinär ist, und von dem wir ja gar nicht beabsichtigen, ihn überall zu befolgen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I n einem möchte ich dem Herrn Gras von der Goltz beitreten. Wenn ich den § 410, den Herr Reichs­ gerichtsrat Niethammer berechtigterweise mit in die Debatte gezogen hat, hier hinzunehme, so muß ich sagen: Der kann so nicht aufgenommen werden, das ist völlig unmöglich. Dann kann die Geldstrafe nur der Schuld entsprechen, und bei der Bestimmung des einen Faktors, den wir da brauchen, der sogenannten Tagesbuße, sind die wirtschaftlichen Verhältnisse und alles zu berücksichtigen, denn sonst ist es ein Durch­ einander. W ir ringen hier um eine Sache, die über­ haupt die Q uadratur des Zirkels ist. W ir haben ein absolutes Element in unserem Denken und ein rela­ tives oder, wenn Sie wollen, ein Element, das sich bezieht auf die T at, und ein Element, das sich bezieht auf den Täter, was uns schon öfter begegnet ist. Ganz läßt sich das nicht lösen. D as Element, das sich auf die T at bezieht, finden S ie mit geradezu grausamer Deutlichkeit in dem § 410 Abs. 2, wo es heißt: Die Geldstrafe soll so bemessen werden, daß sie den aus der T at gezogenen Nutzen, insbe­ sondere das für die T at gewährte Entgelt, über­ steigt. D as ist ein absolutes Element, während die Tages­ buße ein relatives Element sein würde. Wenn wir es so machen, wie die Abteilung vorschlägt: die Geld­ strafe besteht in dem ein- oder mehrfachen Betrag einer Tagesbuße, und dann bestimmen, wie die Tagesbuße berechnet wird, dann muß der Gedanke aus § 410 weg. (Zustimmung.)

Professor Dr. Dahm: Ich sehe den Wert einer Bestimmung über die Tagesbuße in zwei Vorteilen. Einmal wird der Richter bei Verhängung von Geldstrafen gezwungen, zwei Überlegungen anzustellen. E r soll einmal die all­ gemeinen, in der Person des Täters liegenden Ver­ hältnisse, also die Fühlbarkeit der Strafe berücksich­ tigen. E r muß zweitens alles das berücksichtigen, was mit der einzelnen T at zusammenhängt. D as Ergeb­ nis der ersten Überlegung findet seinen Niederschlag in der Bestimmung der H ö h e der Tagesbuße, die zweite Überlegung ihren Ausdruck in der Bestimmung der Z a h l der Tagesbußen. W ir müssen den Richter zu dieser Gedankenoperation zwingen, um die Fest­ setzung bestimmter Preise für bestimmte Straftaten zu unterbinden. Das einzige Bedenken gegen den § 390 in der jetzt vorgeschlagenen Fassung finde ich in dem Ausdruck Tagesbuße. M an kann hier aus den M ann hinweisen, der gar kein regelmäßiges Einkommen be­ sitzt. Aber wenn wir keinen besseren Ausdruck finden, so sollten w ir es doch ruhig bei dem Wort „Tages­ buße" oder „Tagessumme" belassen. Der zweite Vorteil, der mit dieser Lösung ver­ bunden wäre, scheint mir darin zu liegen, daß eine gerechte Strafzumessung nach den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen des Beteiligten gewährleistet ist. D as ist ein Gedanke, der gerade auf diesem Ge­ biet der Idee des deutschen Sozialismus entspricht.

Professor Dr. Kohlrausch: Wenn man Ernst machen will, müßte auch der Urteilstenor aus Tagesbuße lauten. Meines Wissens ist aber dieses schwedische System in Schweden selber aus große praktische Schwierigkeiten gestoßen. Ich bin im einzelnen nicht orientiert, ob man es in Schweden beibehalten hat. Ich glaube, man hat es aufgegeben. D as zweite, was ich sagen wollte, ist folgendes. Der Grundgedanke, daß man die Strafe hier bemessen möchte nach der s u b j e k t i v e n F ü h l b a r k e i t der S trafe für den Täter, ist gewiß schön, obwohl einseitig, denn das objektive Moment gibt es ia schließlich auch noch. Aber namentlich: wenn wir diesen Gedanken der subjektiven Fühlbarkeit h i e r so stark betonen, warum dann nicht auch bei der F rei­ heitsstrafe? Da denkt man gar nicht daran! Ein M onat Gefängnis ist für den A. nicht dasselbe wie für den B. F ür den unbescholtenen M ann, der eine angesehene Stellung im Leben bekleidet, bedeutet ein

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie wären also der Meinung, Herr Professor, daß das Urteil zu lauten haben würde: „ ........ wird wegen fahrlässiger Körperverletzung zu drei Tagesbußen ver­ urteilt." Und daß dann als nächster Absatz kommen würde: „D er Wert dieser Tagesbuße wird auf 60 RM. festgesetzt." (Zustimmung.) Jedenfalls im Tenor müßte es stehen. Die Frage nun, ob man dafür, wie die Tagesbuße zu berechnen ist, eine spezielle Anweisung im Gesetz gibt, ist eine unter­ geordnete Frage. W ir müssen uns nur über das System einig sein, über die Frage, wie man das finden kann, welche Grundlagen man dafür haben muß, bin ich allerdings der Meinung, daß theoretisch kein Unterschied besteht zwischen den gegenwärtigen Forderungen und den künftigen Forderungen, die an den Staatsanw alt oder Richter gestellt werden müssen. An sich sind diese Forderungen schon jetzt die gleichen wie künftig. Staatssekretär Dr. Freisler: Daß es geht, ergibt sich m. E. schon daraus, daß dieses System in einer Reihe von Staaten schon jetzt

besteht. Schweden hat es im neuesten Entwurf, Peru hat es seit 10 Jahren, der neue tschechoslowakische Entwurf enthält es, Portugal hat es schon seit 80 Jahren und hat es inzwischen wieder in sein neues Strafgesetzbuch übernommen. I n der Aufstellung, die ich hier habe, ist außerdem noch Finnland benannt. Ich bedauere, daß nicht ein Vertreter des Propa­ gandaministeriums hier ist. Ich glaube, der könnte uns sagen, wie es im Volke wirken würde, wenn es in einem Urteil heißt: M üller und Meier werden zu je 10 Tagesbußen verurteilt, und zwar beträgt die Tagesbuße bei Müller 20 E und bei Meier 100 M . Dam it würde das Negieren der sozialen Unterschiede in der Bewertung des Handelns der Menschen deutlich zum Ausdruck kommen, und es würde ferner zum Ausdruck gebracht, daß der Reiche und der Arme mit der Geldstrafe gleich getroffen werden. Auf diese außerordentliche Wirkung des Systems der Tagesbuße sollten wir nicht verzichten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn wir den Weg gehen, müßten wir nach meiner Auffaffung in dem Vorschlag der Abteilung den Absatz 3 auch anders fasten. Da heißt es jetzt, nachdem vorher die Rede war von der Multiplikation der Tagesbußen: „Die Geldstrafe ist in einem festen Betrag in Reichsmark zu bestimmen". D as ist irre­ führend. Der feste Betrag in Reichsmark ist im Urteil auszusprechen für den Wert einer Tagesbuße. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Ich habe das Gefühl, daß diejenigen meiner Herren Vorredner, die sich für die Berechnung der Geldstrafe auf dem Umweg über die Tagesbuße ein­ gesetzt haben, gar nicht an die jetzt schon im Urteils­ tenor ausgesprochene Ersatzfreiheitsstrafe gedacht haben. Herr Staatssekretär Freister hat gesagt: Wenn im Strafregister stehe, daß der M ann wegen Körper­ verletzung mit 3000 £M> bestraft worden ist, so besage das gar nichts. D as steht aber gar nicht im S traf­ register, sondern da steht: Bestraft wegen Körper­ verletzung zu 3000 eventuell für je 500 0iM> ein Tag Gefängnis. Wenn das der Richter liest, so weiß er doch sofort, daß es sich bei der Körperverletzung, für die nur auf eine Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Tagen erkannt ist, um eine geringfügige S tra fta t handeln muß. Ich bestreite durchaus, daß die Grundsätze, die der § 390 des Entwurfs aufstellt, nicht schon jetzt in der Praxis regelmäßig beachtet werden. Jeder ver­ nünftige Richter wird doch, wenn er z. B. eine fahrläffige Körperverletzung durch einen Autofahrer zu beurteilen hat, die Höhe der Geldstrafe den wirtschaft­ lichen Verhältnissen des T äters anpassen. S o wird er bei dem gleichen Maße des Verschuldens gegen den Fahrer eines Lieferwagens auf eine Strafe von 30 M t, evtl. 3 Tagen Gefängnis erkennen, während der wohlsituierte Rechtsanwalt mit großer Praxis zu 3000 M t, evtl. 3 Tagen Gefängnis verurteilt wird. (Staatssekretär D r. Freister: Nein, das habe ich noch nicht erlebt!) — Ich weiß nicht, Herr Staatssekretär, ob Ihnen

die von mir in dem Rundsunkprozeß gestellten S tra f­ anträge bekannt sind. Jedenfalls habe ich da die Geld­ strafen, auf die neben den Freiheitsstrafen erkannt werden sollte, genau nach den wirtschaftlichen Verhält­ nissen der einzelnen Angeklagten berechnet. Professor Dr. Mezger: Ich möchte zwei Äußerlichkeiten erwähnen. Zunächst möchte ich, damit der Gedanke, der hier gemeint ist, wirklich klar und scharf heraustritt, davor warnen, zu sagen: Der Angeklagte wird zu 10 Tages­ bußen gleich 100 E verurteilt. D as bringt etwas Unsauberes in den Gedanken. Es muß scharf beides auch äußerlich getrennt werden. D as Urteil lautet auf 10 Tagesbußen, und in einem neuen Satz steht, daß die Tagesbuße für diesen F all so und so festgesetzt wird. D as ist eine Äußerlichkeit, aber es liegt in ihr doch ein tieferer Sinn. D as Zweite ist folgendes: § 410 Abs. 2 bildet kein Hindernis für das System der Tagesbußen. Nur ge­ hört dieser Gedanke nicht in das Kapitel der Strafe, sondern in die Gegend der Sicherungsmaßregeln. Professor Dr. Dahm: E s ist aus den Fall hingewiesen, daß die Verhält­ nisse des Angeklagten sich nach dem Urteil wesentlich ändern. Ich halte jedoch Bedenken gegen das Tages­ bußensystem aus diesem Gesichtspunkt nicht für durch­ schlagend. Es kann immer und auch bei anderen Strafen vorkommen, daß die Voraussetzungen, unter denen die Strafe verhängt worden ist, später ent­ fallen. I n solchen Fällen zu helfen, ist Ausgabe der Gnadeninstanz. M an verschleiert und zerstört aber diesen Gedanken, wenn man ihn unnötig kompliziert. M an darf doch unter halbwegs gleichbleibenden Ver­ hältnissen mit einem gewissen Durchschnittseinkommen rechnen. Ich halte es deshalb für unbedenklich, daß der Richter schon im Urteil einen bestimmten Betrag als Tagesbuße festsetzt. W ir sollten uns doch immer wieder vor Augen halten, daß der sozialistische Charakter unseres neuen Strafrechts kaum in irgend­ einer Bestimmung deutlicher zum Ausdruck käme als hier. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Ich glaube nach der jetzigen Lage der Aussprache eine ziemliche Einigung darüber feststellen zu können, daß wir zu dem System der Tagesbußen übergehen wollen. E s bildet im sozialistischen Strafrecht den gemeinsamen Nenner, aus den wir die verschiedenen wirtschaftlichen Verhältnisse bringen, und dieser ge­ meinsame Nenner hat in der T at vom Standpunkt der sozialistischen Betrachtung aus einen inneren Wert. Nun habe ich meinen Wunsch, daß § 390 Abs. 2 anders gefaßt wird, schon zur Kenntnis gebracht. Es sollte nicht heißen, daß die Geldstrafe einen bestimmten Reichsmarkbetrag beträgt, sondern so, wie es Herr Professor Mezger gesagt hat: Der M ann wird zu soundso viel Tagesbußen verurteilt, und die Tages­ buße wird so und so festgesetzt. Ich habe nur noch eine

Anmerkung zu machen: Bedrückt es Sie nicht, daß wir im Gesetz aussprechen, die Tagesbuße des Ärmsten der Armen sei 3 ML? (Staatssekretär Dr. Freister: Ich habe damals nur 1 ML vorgeschlagen!) — Daß man ein Minimum festsetzt, ist ja klar, aber für den Ärmsten der Armen 3 ML festzusetzen, halte ich nicht für möglich. (Professor Dr. Dahm: Ich würde auf einen Mindestbetrag überhaupt verzichten.) — D as würde ich nicht tun. Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s scheint ja schon ziemlich festzustehen, daß die Tagesbuße als Grundeinheit angenommen werden soll. Ich darf gleichwohl mein Bedenken noch einmal ausdrücken. Ich verkenne die grundsätzliche sozialistische Bedeutung des Gedankens der Tagesbuße nicht; ich bezweifle aber, daß sie das bieten wird, was wir anstreben — eine Gewähr dafür, daß der Richter die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten berück­ sichtigt. Es soll nicht der reiche M ann ceteris paribus mit derselben Strafe belegt werden wie der arme M ann. Daß in der P raxis die Schwierigkeiten, ohne Willkür einen Einheitssatz festzulegen, sehr groß sein werden, scheint mir vor allem aus den Ausführungen des Herrn Graf von der Goltz hervorzugehen: Die Rücksicht auf das Vermögen, aus den Nutzen, den der Täter aus der T at gezogen hat, muß den Grund­ gedanken der Einheit der Tagesbuße notwendig trüben. Ich glaube, man kann denselben Erfolg erreichen, wenn man im Gesetz vorschreibt, daß die wirtschaft­ lichen Verhältnisse berücksichtigt werden, und wenn die Verwaltung Vorsorge trifft, daß die S ta a ts­ anwaltschaft in jedem Falle, wo eine ausfallende Diskrepanz zwischen der Geldstrafe und der Ver­ mögenslage oder der wirtschaftlichen Lage des Ver­ urteilten besteht, angewiesen wird, Rechtsmittel ein­ zulegen. Ein solches Rechtsmittel kann auch die Revision sein. W ir haben von Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer gehört, daß das Reichsgericht wiederholt Urteile, in denen eine solche ausfallende Nichtberück­ sichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse vorlag, aufgehoben hat. Ich kann aus der P raxis des Kammergerichts berichten, daß wir das im Strafsenat auch so gemacht haben. W ir haben nicht nur Urteile aufgehoben, weil die Vorschrift der Ratenzahlung nicht befolgt war, wir haben auch aufgehoben, wenn eine auffallende Höhe — oder Geringfügigkeit, aber meistens Höhe — der Geldstrafe vorlag, wo wir uns sagten: D as kann der M ann nicht bezahlen. Wenn in der Praxis das wirtschaftliche Moment nicht immer genügend berücksichtigt wird, so liegt das doch nur daran — das hat Herr Reichsgerichtsrat Niethammer auch angedeutet — , daß die Staatsanwaltschaft keine genügenden Rechtsmittel einlegt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich fürchte nur, daß diejenigen Herren, die sich mit dem System der Tagesbußen befreundet haben

und es wünschen, Ihnen sofort entgegenhalten werden, daß dann gerade das nicht zum Ausdruck kommt, was ich vorhin mit dem arithmetischen Bild andeuten wollte: Der gemeinsame Nenner für die verschiedenen wirtschaftlichen Verhältnisse, die beim einzelnen vor­ liegen. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as ist gewiß abstrakt richtig, aber der gemeinsame Nenner wird durch zu viel andere Momente wieder verdeckt.) Wenn w ir heute zwei Täter, deren Schuld gleich ist, von denen aber der eine arm, der andere reich ist, verschieden bewerten, dann müssen wir auch gewisse Schätzungen vornehmen, gewisse Unterlagen haben. D as Volk fragt dabei nicht, was der M ann täglich verdient, sondern es fragt, wie der M ann lebt, was er zu verzehren hat, wie der volkstümliche Ausdruck lautet. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as tun wir doch heute schon!) — J a , und anders ist das Problem hier auch nicht. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Es ist nur so konkretisiert, daß die Schwierigkeiten der Feststellung größer werden.) — Ich gebe zu, daß das Wort „Tagesbuße" ein wenig dazu verleitet, an die gigantische Registratur zu denken, wo jeder Mensch seine Karte hat, aus der ver­ zeichnet ist, wieviel er wert ist. Aber ich glaube nicht, daß man die Tagesbuße so errechnen muß, sondern daß schon ungefähr die Unterlagen und Schätzungen genügen, die wir heute sub specie Fühlbarkeit haben. Heute brauchen wir die Schätzungen, um festzustellen, wie denn die Strafe trifft, also gewissermaßen, um die Last zu schätzen, die auf die Schultern des Be­ treffenden gelegt werden soll; jetzt ist das Bild umge­ kehrt, jetzt wollen wir die Kraft der Schultern schätzen, die diese Last tragen sollen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich möchte noch besonders auf das Ordnungs­ strafrecht hinweisen. Der Herr Minister hat selbst vorhin den reichen M ann erwähnt, der eigentlich nur Polizeiübertretungen begangen hatte. D as gehört in das Ordnungsstrasrecht. Ich halte es nicht für gerecht, einen reichen Mann, der eine Polizeiübertretung be­ geht, mit derselben Geldstrafe zu belegen wie den Armen, der dieselbe Übertretung begeht. Der Grund­ satz des geltenden Rechts in § 27 c, daß die wirtschaft­ lichen Verhältnisse berücksichtigt werden müssen, be­ zieht sich auch aus das Übertretungsstrafrecht; de lege feren d a erscheint mir eine gleiche Regelung not­ wendig. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube nicht, daß wir beim Ordnungsstrafrecht dieses subjektive Moment einführen können, schon des­ halb nicht, weil wir da den Schuldbegriff ganz anders behandeln müssen. I m Finanzstrafrecht könnte man dann parallel verfahren. Vielleicht gehen wir etwas zu weit in den inneren Vorstellungen, die wir selber bei dem W ort „Tages-

büße" haben. D as Bild kommt mir Plastisch vor Augen, daß man heute die Fühlbarkeit der Geldstrafe nach den wirtschaftlichen Verhältnißen abschätzt, während man jetzt die wirtschaftliche Leistungsfähig­ keit des Betreffenden abschätzen will. Der Unterschied ist nicht sehr groß. (Senatspräsident Professor D r. Klee: Die Berechnungsweise ist im zweiten Falle schwerer!) — Ein wenig möchte ich Ihnen beitreten. Ich bin auch ein bißchen bekümmert über diese lehrhafte Auf­ stellung, wie das nun berechnet werden soll, während andererseits wieder dasteht: Unter freier Berücksichti­ gung. Darum hätte ich es lieber gesehen, wenn wir bei der Berechnung der Tagesbuße nicht so sehr ins Einzelne gehen würden. M ir sind da die Richtlinien schon ausführlich genug. (Staatssekretär D r. Freister: D as sind Richt­ linien, die sich nicht an den Richter richten!)

— Aber bei dem Wort „Tagesbuße" ist keiner so ganz ohne jedes Bedenken. Es hat sich gezeigt, daß dieses Wort immer die Vorstellung erweckt, als sei das so ähnlich wie bei der Steuerberechnung; und das ist doch nicht gemeint. Ich würde also vorschlagen, dieses Problem nach den nunmehr gewonnenen Gesichtspunkten zu formu­ lieren. Die Mindeststrafe wäre also auf 1 zu setzen, der Absatz 2 des § 410 zu erhalten — wo, bleibt noch vorbehalten — , der Absatz 1 fallenzu­ lassen, und Absatz 3 von § 390 etwas umzustilisieren, so daß der Reichsmarkbetrag nicht als Geldstrafe auf­ tritt, sondern auf den Wert der Tagesbuße bezogen wird. Ich bitte, die Besprechung morgen vormittag um 10 Uhr fortzusetzen. Ich schließe die Sitzung. (Schluß der Sitzung 19 Uhr 15 Minuten.)

Strafrechkskomrnisston

70. Sitzung 9. Mai 1935 Zweite Lesung Inhalt Die Strafen (Fortsetzung der Aussprache) Ersatzfreiheitsftrafe bei Verfallerklärung Reichsjustizminister Dr. Gürtner................................................1, 2 Staatssekretär D r. F r e is te r .........................................................1, 2 Profeffor Dr. Kohlrausch..................................................................... 2

Staatssekretär Dr. Freisler: E s handelt sich um dieFrage, ob an Stelle von Hast immer auf Geldstrafe soll erkannt werden können. W ir wollen ja der Hast eine andere Bedeutung geben. Aus dieser anderen Bedeutung, die die Hast haben wird, folgt nach meiner Ansicht, daß wir an Stelle von Haft auf Geldstrafe nur dann erkennen lasten können, wenn die Hast eine bestimmte Dauer nicht überschreiten würde, sagen wir einmal drei Monate. D as würde bedeuten, daß eine Geldstrafe an Stelle von Haft nur treten kann, wenn mehr als drei Monate Haft nicht in Frage kämen. Ich glaube, aus diesem Wege wird auch ausgeräumt, daß man durch freie Arbeit in ver­ hältnismäßig kurzer Zeit eine unverhältnismäßig hohe Summe wird abverdienen können; denn wenn auf sehr hohe Geldstrafen erkannt werden wird, so wird dies dann nur bei Geldstrafen neben Freiheits­ strafen der Fall sein können, und dabei kommt dann wieder das Abverdienen nicht in Frage. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Höchst­ dauer der Haststrafe haben wir auf zwei Jahre festgelegt. — Ministerialdirektor Schäfer: Die Dreimonatsgrenze wollen Sie einbe­ ziehen?) — Die Dreimonatsgrenze würde ich noch einbeziehen.

Ehrenstrafen Reichsjustizminister Dr. G ürtner___ 2, 8, 11, 12, 13, 15, 18, 20, 21, 22 Berichterstatter Staatssekretär Dr. F r e iste r ................ 2, 16, 22 Berichterstatter Professor D r. Kohlrausch.................... 6, 19, 20 Professor Dr. D a h m ...................................................................... 9, 21 Ministerialdirektor S chäfer......................................................... 11, 22 Vizepräsident G r a u ............................................................................ 12 Senatspräsident Professor Dr. K le e .............................................13 Professor Dr. M e z g e r ........................................................................15 Reichsgerichtsrat N ieth a m m er........................................................16 R echtsanw alt D r. Graf von der G oltz........................................18 Professor D r. N a g le r ..........................................................................18 Professor Dr. Schaffstein...................................................................20

Verlust der Amtssähigkeit Reichsjustizminister D r. G ürtner............................................. 22, 23 Berichterstatter Staatssekretär Dr. F r e is te r .............................. 22 Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch...................................23 M inisterialrat S o r te n ..........................................................................23

Bekanntmachung der Verurteilung Reichsjustizminister Dr. Gürtner............................................. 23, 24 Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch...................................23 Berichterstatter Staatssekretär D r. F r e is le r .............................. 24

Beginn der Sitzung 10 Uhr 7 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bevor wir die Ehrenstrafen beginnen, möchte Herr Staatssekretär Dr. Freisler noch eine Ergänzung zu den gestrigen Ausführungen machen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s würde dahin lauten: Wo das Gesetz wahlweise Haft oder Gefängnis androht, kann an Stelle einer Haststrase, die nicht mehr als drei Monate beträgt, aus Geldstrafe erkannt werden. Die Anregung scheint mir sehr beachtenswert zu sein. (Senatspräsident Professor D r. Klee: Es ist ein Gedanke wie 27 b!) — Ich glaube, man sollte das aufnehmen. Staatssekretär Dr. Freisler: Dann habe ich als Referent vergessen, mich mit dem Antrag B 21 der Abteilung „Erjatzfreiheitsstrase bei Verfallerklärung" zu befassen. Die Versallerklärung wird m. E. eine echte S trafe sein. Deshalb müssen wir eine Vorschrift aufnehmen, wie es sein soll, wenn der für verfallen erklärte Gegenstand sich bei dem Verurteilten nicht mehr befindet. Dann muß — und das soll schon im Tenor des Urteils stehen — der Wert der Sache eingezogen werden, und wenn nun auch dieser Wert nicht einzuziehen ist, dann muß etwas anderes an dessen Stelle treten. D er Vorschlag der Abteilung will aus diesem Grund folgenden § 394b einfügen: Is t eine für verfallen erklärte Sache nicht auffindbar, und ist ein ihrem Wert entsprechender Geldbetrag uneinbringlich, so tritt an Stelle des Wertbetrages Freiheitsstrafe der gleichen Art, mit der die Verfallerklärung verbunden ist; neben Geldstrafe tritt Hast. Die Ersatzfreiheits­ strafe ist im Urteil festzusetzen; sie beträgt min­ destens einen Tag und höchstens zwei Jahre. Dieser Vorschlag scheint mir gerechtfertigt zu sein.

Professor D r. Kohlrausch: Ich sehe ein, daß irgend etwas an die Stelle treten muß. Aber es ist eine Verschiebung der S in n ­ bedeutung des Wortes „Strafe". Staatssekretär Dr. Freisler: Ich glaube, die Berfallerklärung ist eine echte Strafe! I s t sie nicht vollziehbar, so soll diejenige S trasart an ihre Stelle treten, neben der auf Versall­ erklärung erkannt ist. Nur wenn die Verfallerklärung neben Geldstrafe erkannt ist, soll Haft eintreten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s würde sich ergeben, daß man bei Versall­ erklärung den Wertbctrag von vornherein festsetzt, und im übrigen, daß die gleiche S tra fa rt an die Stelle tritt, wenn auch der Wertbetrag uneinbringlich ist. D as ist nichts anderes als eine Parallele zu der Uneinbringbarkeit der Geldstrafe. D ort haben wir es auch so gemacht. Dann kommen wir zu den Ehrenstrasen. Berichterstatter Staatssekretär Dr. Freisler: W ir haben in der ersten Lesung sechs Ehrenstrasen vorgesehen, nämlich: die Achtung, die Ehrloserklärung, den Verlust der Amtsfähigkeit, den Amtsverlust, den Verlust des Wahl- und Stimmrechts und die öffent­ liche Bekanntmachung. Gegen die Ehrenstrasen an sich ist früher von ganz anderen Gesichtspunkten aus, die für uns nicht maßgebend sein können, Sturm gelaufen worden. Daraus will ich nicht mehr eingehen, weil wir uns damit in erster Lesung bereits befaßt haben. Neuerdings ist die Denkschrift „Nationalsozia­ listische Leitsätze für ein neues deutsches Strafrecht" ebenfalls in die Reihe derjenigen getreten, die gegen die Ehrenstrasen sind, und zwar aus Gründen, mit denen ich mich in anderem Zusammenhang bereits auseinandergesetzt habe. Der Grund für die ab­ lehnende Stellungnahme der Denkschrift ist, daß die unteilbare Mannesehre einzig und allein durch ihren Träger selbst getroffen und aufgehoben werden könne, sonst aber unberührt in ihrer Vollkraft bestehen bleibe, ohne daß eine Herabminderung möglich sei. Aus das, was ich darauf glaubte erwidern zu sollen, brauche ich heute nicht mehr einzugehen. Ich glaube, daß wir, da wir ja hier keine Philosophie der Ehre schreiben, sondern ein Strafrecht verfassen wollen, bei der Aus­ nahme von Ehrenstrafen in das Strafrecht verbleiben werden. W as nun die einzelnen Ehrenstrafen anlangt, so haben wir die schwerste, d i e A c h t u n g, an die Spitze gesetzt. Diese Achtung begegnet in der erwähnten Denkschrift ebenfalls drei Bedenken, und man könnte sich ein viertes Bedenken, das in ihr zwar nicht er­ wähnt ist, von dem mir aber bekannt ist, daß es geltend gemacht worden ist, noch dazu denken. Um mit diesem vierten Bedenken anzufangen, so ist es das, daß das Strafrecht ästhetisch sein müsse. Es ist mit großer Entschiedenheit auf der Fischbachauer Tagung

von derem Vorsitzenden hervorgehoben worden, daß man sich gegen die Achtung deshalb wenden müsse, weil sie den Ansprüchen an ein ästhetisches Strafrecht nicht entspreche. D as Bedenken ist mir nicht ganz ver­ ständlich; denn der Stoss, mit dem wir uns im S tra f­ recht befassen müssen, ist nicht immer ästhetisch, und es ist nicht unsere Schuld, daß wir uns mit dem un­ ästhetischen Vorgang z. B. der Kuppelei, des § 175 und mit vielen anderen unästhetischen Vorgängen befassen müssen. Ich meine deshalb, daß man etwas zu sehr im Rahmen feinfühlenden Künstlertums verbleibt, wenn man die Antwort, die man auf solche unästhe­ tischen Vorgänge erteilt, nach ästhetischen Gesichts­ punkten ausbauen will. Auch der Vollzug der Todes­ strafe, einerlei, wie wir ihn gestalten, kann niemals ästhetisch sein. Ebenso können wir den Vollzug der Freiheitsstrafen nicht als den Ausdruck ästhetischer Gedanken auffassen, wie sie etwa der berechtigten Forderung zugrunde liegen, daß auch in der Arbeits­ stätte Freude und Schönheit zum Ausdruck kommen sollen. Ich glaube deshalb, daß man mit diesem Ge­ danken im Strafrecht nicht viel anfangen kann. Die drei anderen Bedenken gegen die Achtung sind in der Denkschrift auf Seite 39 zum Ausdruck ge­ bracht: Erstens sie sei unnötig, da wir ja den Verlust des Staatsbürgerrechtes hätten; zweitens sie sei nicht möglich, da der bürgerliche Tod etwas Unmodernes sei und wir doch ein modernes Strafrecht schaffen wollten; drittens sie widerspreche dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit. Keinen dieser drei Ein­ wände vermag ich anzuerkennen. Daß sie unnötig sei, weil wir doch den Verlust des Staatsbürgerrechts haben, kann die Denkschrift als Argument schon des­ halb nicht verwenden, weil auch sie offenbar von der Betrachtung einer Achtung ausgeht, deren Folgen sich nicht in dem Verlust des Staatsbürgerrechts er­ schöpfen. Denn der nächste Einwand der Denkschrift, die Achtung sei etwas Unmodernes, weil der bürger­ liche Tod unmodern sei, zeigt eben, daß die Verfasser der Denkschrift unter der Achtung grade etwas ver­ standen haben, was neben dem Verlust des S ta a ts­ bürgerrechtes noch weitergehende Folgen haben soll. Der Einwand, die Achtung sei unnötig, weil wir als Ehrenstrafe oder als Ehrensolge schon den Verlust des Staatsbürgerrechtes hätten, kann deshalb keine Durchschlagskraft haben, weil das eine rein formale, ja typisch formalistische Auffassung der Achtung und ihres Wertes und S innes bedeutet. W ir haben nie­ mals daran gedacht, daß Wesen und S in n der Achtung das Sich-Erschöpsen im Verlust eines Rechtes sein sollten. Wir haben vielmehr damit etwas ganz anderes sagen wollen. W ir haben damit zum Ausdruck bringen wollen, daß die Volksgemeinschaft den Ver­ urteilten außerhalb ihrer selbst stehend betrachtet. D as ist natürlich unendlich viel mehr als der Verlust des Staatsbürgerrechtes an sich, weil es sich vom F o r­ mellen bewußt loslöst. Deshalb kann man unseren Begriff der Achtung nicht damit bekämpfen, daß man sagt, er sei unnötig, weil wir schon den Verlust des Staatsbürgerrechtes als Ehrenstrafe aufnehmen wollen.

Wenn weiter gesagt wird, die Achtung sei un­ modern, weil der bürgerliche Tod etwas Unmodernes sei, so ist diese Begründung deshalb irrig, weil die Ächtung, wie sie in dem Entwurf der ersten Lesung vorgesehen ist, den bürgerlichen Tod überhaupt nicht enthält. Ob wir die Achtung als bürgerlichen Tod aufbauen, das zu prüfen haben wir uns ja gerade für die zweite Lesung vorbehalten. E s ist also gar nicht richtig, daß sie schon bisher den bürgerlichen Tod enthält. Würde aber die Achtung den bürgerlichen Tod tatsächlich enthalten, so scheint es mir zwar ein leicht auszusprechenderSatz zu sein, daß dies unmodern wäre. Der Ausspruch des Satzes bedeutet aber noch nicht den Beweis seiner Richtigkeit. Der bürgerliche Tod, irgendeine Form der Auslöschung aus der Volksge­ meinschaft oder aus der staatlichen Zusammenfassung der Einzelmenschen, je nachdem von welchen Begriffen des Volkes und des S taates man ausgeht, ist durchaus nicht unmodern. Ih n haben z. B. heute Ita lie n und Frankreich, und ihn hat es in verschiedenen Formen zu allen Zeiten gegeben, wenn man sich nicht gerade in einer Zeit befand, in der das Volk an sich negiert wurde und der S taat nur als äußere Zweckapparatur betrachtet wurde. M an kann nt. E. die Berechtigung oder Nichtberechtigung der Achtung gar nicht an dem Begriff oder an dem Erfordernis des Modernen messen, zumal ja der Begriff „modern" derart schillernd ist, daß er, ohne daß man sich mit ihm aus­ einandersetzt, gar nichts bedeutet. Ich bin deshalb der Meinung, daß auch dieser zweite Einwand gegen die Achtung, den die Denkschrift bringt, nicht durch­ schlagen kann. Nun kommt der dritte Einwand, die Ächtung widerspreche der materiellen Gerechtigkeit. D as ist für mich nun völlig unverständlich. Die Achtung will ge­ rade dazu verhelfen, daß der Volksgemeinschaft ihr Recht wird durch eine gerechte Beurteilung des Ver­ brechers, dadurch daß der Verbrecher, wenn er nicht zu ihr gehört und sich durch seine T at schon ausge­ schlossen hat, auch erfährt, daß die Volksgemeinschaft ihn als ausgeschlossen betrachtet. Die Achtung ist — zumal das Wertungselement, das ihr innewohnt, für sie geradezu entscheidend ist — hervorragend dazu geeignet, der materiellen Gerechtigkeit zum Durch­ bruch zu verhelfen. Die Gründe, die die Denkschrift auf Seite 39 gegen die Achtung vorgebracht hat, können also meiner Ansicht nach nicht durchschlagen. Ob w ir nun die Achtung an sich wollen oder nicht, darüber sich jetzt auszulassen, würde eine Wieder­ holung der Debatte der ersten Lesung bedeuten, und das scheint mir nicht der S in n der zweiten Lesung zu sein. Jedenfalls ist die nach der ersten Lesung bekannt gewordene Kritik an der Achtung nicht geeignet, unsere seinerzeitige Stellungnahme zu ändern. Hinsichtlich der Gestaltung der Achtung, wie sie in dem Entwurf erster Lesung vorliegt, hat die Unter­ kommission seinerzeit eine Änderung vorgenommen, die in der Kommission selbst noch nicht besprochen worden ist. Sie hat die Achtung auf Personen deutscher Staatsangehörigkeit beschränkt. W ir sind in der Kommission davon ausgegangen, daß die Achtung

den S in n hat, den Täter aus der Volksgemeinschaft auszuschließen und auszusprechen, daß er für immer unwürdig ist, der Volksgemeinschaft anzugehören. Allein der deutsche Staatsangehörige kann aber, da mir als Gesetzgeber gezwungen sind, Staatsangehörig­ keit und Volksgemeinschaft als Einheit aufzufassen, aus dieser Volksgemeinschaft ausgeschlossen werden, während der nichtdeutsche Staatsangehörige eben höchstens aus den Gastzimmern, die wir ihm zur Ver­ fügung stellen, hinausbefördert werden kann. Ich bin deshalb der Auffassung, daß diese Maßnahme der Unterkommission unsere Billigung finden muß. W as nun die einzelnen Fälle der Achtung an­ langt, so haben wir in der ersten Lesung gesagt, daß Achtung dort zulässig sein soll, wo Todesstrafe oder lebenslanges Zuchthaus nicht etwa verhängt werden k a n n , sondern verhängt w i r d . Es ist eine E nt­ scheidungsfrage, ob man die Fälle etwa dahin aus­ dehnen soll, daß auch auf Achtung erkannt werden kann, wenn Todesstrafe oder lebenslanges Zuchthaus nur zulässig sind. Ich halte das für durchaus möglich, in einer gewissen Beziehung sogar für wünschenswert, nämlich deshalb, weil dann der Absatz 2 des § 395 der Gefahr entkleidet würde, in dem Sinne gewertet zu werden, als sei die Achtung eine zwar ausdrücklich auszusprechende Folge, aber doch nur eine Nebenfolge der Verurteilung zu Todesstrafe oder lebenslangem Zuchthaus. W ir haben uns ja alle Mühe gegeben — m.E. ist uns das zwar nicht ganz geglückt — , die Ehren­ strafen und vor allem die Achtung so auszubauen, daß sie nicht als Nebenstrafen oder Nebensolgen an­ gesehen werden können. Andererseits besteht gegen eine solche Ausweitung natürlich das Bedenkens daß es dann vorkommen kann, daß sich ein Geächteter nicht tu Strafhaft befindet. W ir waren uns aber alle darüber klar, daß es unmöglich ist, sich einen Ge­ ächteten vorzustellen, der sich auf freiem Fuße befindet. Es ist in solchen Fällen also nur dann die Achtung erträglich, wenn der zeitigen Zuchthausstrafe die Siche­ rungsverwahrung angeschlossen wird und wenn diese Sicherungsverwahrung tatsächlich auch bis zum Tode vollstreckt wird. Dies müßte man bei der Sicherungs­ verwahrung dann insofern sicherstellen, als man bei ihr vorschreiben müßte, daß die periodische Nach­ prüfung dann nicht stattfindet, wenn der in Siche­ rungsverwahrung Befindliche geächtet ist. Unter dieser Voraussetzung halte ich es für möglich, den Absatz 2 des § 395 entsprechend auszuweiten. Uber die Folgen der Achtung wollten wir uns erst in der zweiten Lesung endgültige Klarheit verschaffen. Es war in erster Lesung die Frage aufgeworfen worden, ob der Geächtete rechtsunsähig sein solle. W ir haben ein Vorbild der Achtung, das die Rechts­ fähigkeit beseitigte. D as war die cap itis dim inutio m axim a der Römer, die Verurteilung ad m etallum . Diese Verurteilung bedeutete das Ausstreichen der Person als solcher. Dies war aber nur deshalb mög­ lich, weil die Römer einen ganz anderen Begriff von der Arbeit hatten als wir, und weil es für sie deshalb erträglich war, daß jemand, der zu lebenslanger Zwangsarbeit im Bergwerk verurteilt war, eben als nicht mehr vorhanden angesehen wurde. Ich bin nun

der M einung, daß diese Betrachtungsweise für uns nicht möglich ist und daß die von m ir in der ersten Lesung erwägungsweise gestellte Frag e der Ausdeh­ nung der Achtungsfolge bis zur Rechtsunfähigkeit in verneinendem S in n e beantwortet werden muß. Ich befinde mich insoweit in Übereinstimmung m it der M e h rh eit der Äußerungen in der ersten Lesung, in Übereinstimmung m it der Stellungnahme der Abtei­ lung und in Übereinstimmung m it dem Gutachten der Z ivilab teilung des M inisterium s. Ic h bin also nicht der M einung, daß die Achtung den bürgerlichen Tod bedeuten soll, wenn w ir darunter die Aberkennung der Rechtsfähigkeit verstehen wollen. N u n muß nicht unbedingt die Aufrechterhaltung der Ehe die Folge davon sein, daß w ir das W eiter­ bestehen der Rechtsfähigkeit des Geächteten aner­ kennen. Ic h bin aber doch der M einu ng, daß w ir die Ehe nicht durch die Rechtskraft des Achtungsurteils als gelöst ansehen sollten. D enn in aller Regel der F ä lle w ird sich die Ehe dann schon in Auflösung be­ finden, auch ohne daß diese Auslösung kraft Gesetzes ein tritt. D a die Z a h l der Achtungssälle sehr gering sein w ird , w ird es sich auch nicht lohnen, ihretwegen sehr schwerwiegende prinzipielle Konflikte heraufzube­ schwören, insbesondere den Konflikt, ob eine Ehe über­ haupt ohne oder gegen den W ille n der Ehegatten vom S taa te entgegen der Auffassung der Kirche als nicht vorhanden angesehen werden kann. Dagegen w ird die Geschäftsfähigkeit des V e ru r­ teilten als durch die Ächtung beseitigt angesehen werden müßen. V o n ausländischen Rechten tun dies schon das italienische und das französische Recht. E t­ was Ähnliches hatte auch das alte preußische S tr a f­ gesetzbuch insofern, als es den Zuchthäusler für die D au er der Zuchthausstrafe als entmündigt ansah, überträgt m an diesen Gedanken auf die Achtung, so führt er dazu, den Geächteten als geschäftsunfähig anzusehen. Ic h würde nun aber vorschlagen, obgleich ich mich da nicht in Übereinstimmung m it dem Gutachten der Z ivilab teilu n g befinde, die Geschäftsunfähigkeit in gewisser Weise rückwirken zu lassen, und zw ar inso­ fern, als die aus der Geschäftsunfähigkeit folgende Testierunfähigkeit dahin erweitert werden sollte, daß auch letztwillige Verfügungen, die der Geächtete bereits v o r der S tr a fta t getroffen hatte, als nicht getroffen anzusehen sind. Letztwillige Verfügungen, die n a c h der S tr a fta t getroffen wurden, w ird man ja ohne weiteres als nicht getroffen ansehen müßen. D enn der unserer Betrachtung zugrunde liegende Gedanke ist ja der, daß der Ausschluß aus der Volksgemeinschaft bereits durch die S t r a f t a t erfolgt ist, und daß die Achtung nur den au toritativen Ausspruch dessen be­ deutet, daß sich der T ä te r durch seine T a t ausge­ schlossen hat. Deshalb ist es unzweifelhaft, daß letzt­ w illige Verfügungen, die nach der S tr a fta t getroffen sind und die ja sogar in E rw artung der Achtung und ihrer Folgen eine bestimmte Richtung genommen haben können, keine Gültigkeit haben können. D an n aber scheint es m ir auch richtig zu sein, überhaupt alle letztwilligen Verfügungen, die bereits getroffen sind, fü r ungültig zu erklären.

W ir haben gestern bei der Vermögenseinziehung darüber debattiert und haben, wenn ich das Ergebnis der Debatte richtig sehe, wohl beschlossen, daß die Vermögenseinziehung überall dort möglich sein soll, wo auf Achtung bezw., was ja bezüglich des Kreises der betroffenen Delikte dasselbe ist, auf Todesstrafe oder lebenslanges Zuchthaus erkannt ist oder erkannt werden kann. E s fragt sich, ob m an diese Vorschrift bei der Achtung bringen soll. Ic h bin der M einu ng, daß man sie besser bei der Vermögenseinziehung be­ lassen sollte, und zw ar schon rein äußerlich deshalb, w eil w ir über die Vermögenseinziehung so außer­ ordentlich wenig gesagt haben. E s taucht weiter die Frage der V erurteilung in Abwesenheit auf. Diese Frag e ist natürlich prozessual, und ich werfe sie deshalb als solche hier nicht auf. Aber ich halte es fü r möglich und gehe davon aus, daß eine V erurteilung zur Achtung in Abwesenheit erfolgen kann. M a n steht dann vo r der Frag e, ob in diesen F ä llen die Achtung auch noch andere Folgen haben soll. Ic h bin der M e in u n g , daß w ir dieser A r t der Achtung andere Folgen geben müssen. D ie Ächtung in Abwesenheit im F a lle , daß der Abwesende sich außerhalb Deutschlands befindet, leidet daran, daß die Achtungsfolgen für den V erurteilten nicht fühlbar sind. W enn ein Geächteter ganz gegen unseren W ille n frei in der W e lt herumläuft, dann müssen w ir wenig­ stens den andern Volksgenossen vorschreiben, daß sie diese Achtung respektieren, also den Geächteten so behandeln, wie ein Deutscher jemanden behandeln muß, der sich außerhalb der Volksgemeinschaft befindet. E s fragt sich, ob man dies als Folge der Achtung, und zw ar in der F o rm eines Verbots an die anderen Volksgenossen, hervorheben soll. Ic h bin der M einu ng, daß m an das tun sollte. M a n sollte also nicht hier im Allgemeinen T e il, sondern im Besonderen T e il ein besonderes D elikt des Verkehrs m it Geächteten aufstellen, wonach jeder geschäftliche und persönliche Verkehr m it Geächteten dem Deutschen verboten ist. D abei w ird m an eine Ausnahme zulassen, die sich daraus ergibt, daß w ir nicht die Auflösung der Ehe als automatische Folge der Achtung aufgestellt haben. M a n w ird also darüber hinwegsehen müssen, daß der Verkehr m it dem Ehegatten und m it Verwandten auf- und absteigender L in ie aufrechterhalten bleibt. A us dem, was ich gesagt habe, ergibt sich eine andere Fassung von § 395 Abs. 3 des E ntw urfs. D e r Absatz 3 leidet daran, daß er die Folgen der Achtung erstens rein formell und zweitens durch eine V e r­ weisung ausspricht. D a s scheint m ir nicht richtig zu sein; es müßte die A rt, wie die Folgen der Achtung ausgesprochen werden, etwas lebensvoller gestaltet werden. D ie zweite Ehrenstrafe, die w ir vorgesehen hatten, w a r die E h r l o s e r k l ä r u n g . D ie Fischbachauer Denkschrift wendet sich auf S eite 38 auch gegen die Ehrloserklärung. S ie sagt: A us diesem Grunde kann es auch keine E hrloserklärung in einem nationalsozialistischen S tr a f­ recht geben, und nichts zeigt deutlicher, wie sehr die untrennbare Verbundenheit von Treuepflicht-

Verletzung und Ehrlosigkeit verkannt wird, als daß Vorschläge unterbreitet worden sind, die auch bei lebenslänglicher Zuchthausstrafe noch eine besondere Erklärung der Ehrlosigkeit als Kannvorschrift vorsehen. Die Gründe für diese Stellungnahme ergeben sich teils aus dem Vorhergehenden, teils sind sie in der letzten absprechenden Wertung enthalten. D as Vorhergehende ist die Wiederholung des Satzes, daß die eine unteil­ bare Mannesehre nur durch ihren Träger selbst ver­ nichtet werden könne, und daß sie nicht geschmälert, sondern nur völlig aufgehoben werden könne. Diese Betrachtung scheint mir, wie ich mehrfach dargetan habe, nicht möglich zu sein. Aber auch die Begrün­ dung, die sich aus dem abwertenden Urteil am Schluffe des vorgelesenen Absatzes ergibt, scheint mir nicht richtig zu sein. Dort wird gesagt, eine Ehrloserklärung stehe im Widerspruch mit der untrennbaren Verbin­ dung von Treuepflichtverletzung und Ehrlosigkeit. Dies führt zurück aus die Betrachtung des Strafrechts als eines Treuepflichtrechtes, eine Betrachtung, von der wir bereits an anderer Stelle uns darüber klar ge­ worden sind, daß auch sie als ausschließliche und das ganze Strafrecht umsaffende Grundlage eine Unmög­ lichkeit ist. Wenn weiter bemängelt wird, daß eine besondere Ehrloserklärung bei lebenslänglicher Zuchthausstrafe vorgesehen sei, wenn man also davon ausgeht, daß der zu lebenslangem Zuchthaus Verurteilte doch selbst­ verständlich ehrlos sein müsse und daß man das nicht besonders zu sagen brauche, so erklärt sich dies aus einer außerordentlichen Überbewertung der Freiheits­ strafen. Diese Überbewertung steht im Gegensatz zu dem einen Ausgangspunkt, den die Denkschrift selbst zugrunde legt, nämlich zur Ehraussaffung. Die Denk­ schrift nimmt die Ehre als Ausgangspunkt, weil sie sie mit dem strafrechtlichen Gedanken der Treuepslicht unlösbar verkoppelt sehen will. W ir haben aber gerade erklärt: Um das Strafrecht auch als ein Ehrenrecht zu kennzeichnen, scheint es uns wichtig zu sein, die Ehrensolgen nicht nur als Folgen der Strafen zu bezeichnen, sondern sie davon zu lösen und zu verselbständigen. Gerade unser Verlangen, die Ehren­ folgen ausdrücklich auszusprechen, bedeutet die Aner­ kennung der Ehre als einer Grundlage des Strafrechts und die Verselbständigung der Ehrenbetrachtung. Auch diese Stellungnahme der Denkschrift und insbe­ sondere ihre Begründung dürften also nicht richtig sein. Nun kann man allerdings gegen das Wort Ehrlos­ erklärung einiges geltend machen. M an kann einmal sagen, daß ja eine Ehrloserklärung, wie wir sie wollen, gar keine Ehrloserklärung sei; denn wenn sie das wäre, so wäre sie im Wesen dasselbe wie die Achtung. M an kann ferner dagegen geltend machen, daß das Wort Ehrloserklärung unter Umständen auch zu Folgen führen könnte, die wir praktisch gar nicht wollen, indem etwa bei der Verleumdung eines Ehr­ losen der Richter auf die Idee kommen könnte, daß eine Ehrenkränkung eines Ehrlosen nicht möglich sei. D as wäre natürlich höchst unerwünscht; denn der Ehr­

lose, der sich ja wieder im Volksleben befindet, soll nicht vogelfrei sein, und Ehrverletzungen des Ehrlosen sollen natürlich möglich sein. Ich glaube aber nicht daran, daß der Richter dieser Gefahr erliegen wird, sondern ich glaube, daß der Richter empfinden wird, daß wir zwischen der Achtung als der eigentlichen E hr­ loserklärung und der Ehrloserklärung, die wir dann mit milderen Folgen versehen, unterscheiden wollten. Ich habe kein W ort für diese Ehrenstrase gefunden, das zum Ausdruck bringen könnte, daß auch dem Ehr­ losen noch ein Ehrenschutz zuteil wird. Denn „Ehren­ minderungserklärung" möchte ich ablehnen, weil ein solches Wort niemals volkstümlich sein würde. D as Wort Ehrloserklärung wird aber vom Volke gar nicht in diesem wörtlichen Sinne der völligen Ehrlosigkeit aufgefaßt werden. Ich meine also, man könnte diese Ehrenstrafe auch weiter so benennen, wie wir sie benannt haben. I m zweiten Absatz des § 396 sind die Fälle vorge­ sehen, in denen wir einen Zwang zur Ehrloserklärung haben wollen. Diese Vorschrift hat im Anhang zur Fischbachauer Denkschrift zu einer Kritik Anlaß gegeben, an der man nicht ohne weiteres vorübergehen sollte. Diese Kritik findet sich im letzten Satz des Anhangs auf Seite 55. Dort steht: Nach § 396 Abs. 2 bestimmt das Gesetz be­ sonders, wann aus Grund einer T at der Täter für ehrlos erklärt werden muß. Bei § 107 muß der Täter nicht für ehrlos erklärt werden, wohl aber bei Kuppelei. D as bedeutet eine Kritik, die, wenn man das Vorher­ gehende dazunimmt, ziemlich unmißverständlich zum Ausdruck bringt, daß der Entwurf das Attentat auf den Führer als weniger ehrenrührig als die Kuppelei betrachtet. Nun könnte man ja über diesen Irrtu m hinweggehen mit Rücksicht darauf, daß die Denkschrift offenbar in erheblichem zeitlichen Druck fertiggestellt worden ist, und daß so etwas dann ungewollt unter­ laufen kann. M an könnte sich also ruhig daraus be­ schränken, zu erwidern, daß der Kritiker vollkommen übersehen hat, daß bei § 107 eben nicht nur die Ehr­ loserklärung, sondern die Achtung in Frage kommt, und daß wir einen Mußausspruch der Achtung deshalb nicht vorgesehen haben, weil wir sie nicht als eine automatische Folge einer anderen Strafe gestalten wollten, sondern weil wir sie dadurch hervorheben wollten, daß sie besonders ausgesprochen werden muß. W ir alle wiffen, daß wir dem deutschen Richter nicht unterstellt haben, daß er im Falle des Verbrechens aus § 107 aus die Idee kommen könne, die Frage der Ehrloserklärung zu prüfen; wir waren vielmehr der Meinung, daß für ihn in diesem Falle die Achtung eine Selbstverständlichkeit sein würde. Immerhin wäre diese vielleicht aus dem Zeitdruck zu erklärende Kritik nicht möglich gewesen, wenn wir nicht im Besonderen Teil Fälle vorgesehen hätten, in denen auf Ehrloserklärung erkannt werden mu ß . Diese Fälle sind nach der Anmerkung Kuppelei, Frauenund Kinderhandel, Rechtsbeugung, Meineid, gewerbs­ mäßige Erpreffung. W ir hatten uns aber auch, wie in der Anmerkung festgelegt ist, weiter vorbehalten,

zu prüfen, ob die Ehrloserklärung bei Verurteilungen zum Tode oder zu lebenslangem Zuchthaus vorge­ schrieben werden soll. Nun bin ich der Meinung, daß wir aus dieser Kritik entnehmen sollten, daß es nicht zweckmäßig ist, bei der Achtung anders zu verfahren als bei der Ehrloserklärung. Wenn wir bei der Achtung keinen F all kennen, in dem auf Achtung erkannt werden m u ß , dagegen bei der Ehrloserklärung solche Fälle kennen, in denen aus Ehrloserklärung erkannt werden m u ß , so ist das für eine rein äußerliche Kritik eine Möglichkeit, zu Mißverständnissen zu kommen, und diese sollte man beseitigen. E s ist nicht nötig, im Besonderen Teil in den Fällen, bei denen wir den Zwang zur Ehrloserklärung eingeführt haben, diesen Zwang aufrechtzuerhalten. W ir würden damit aus­ kommen, wenn w ir in den in der Anmerkung ent­ haltenen Fällen die Bestimmung, daß auf Ehrlos­ erklärung erkannt werden muß, streichen; damit kämen wir auch zur Streichung des § 396 Abs. 2. Was die Folgen der Ehrloserklärung anlangt, so scheint es mir richtig zu sein, nach den Dauersolgen und nach den zeitigen Folgen zu scheiden. Die Ab­ teilung schlägt vor, diese Scheidung auch noch etwas weiter insofern zu differenzieren, als bei den Dauer­ folgen unterschieden wird zwischen dem, was vor­ handen war und verlorengegangen ist, und dem, was zwar als Fähigkeit ebenfalls schon vorhanden war, was aber insofern noch nicht vorhanden gewesen ist, als das, wozu die Fähigkeit bestand, noch fehlte. Das bedeutet, daß § 397 Zisf. 1 beschränkt werden soll auf „die öffentlichen Ämter, die er innehat", und daß danach die Zissern 2, 3 und 4 folgen sollen. Damit bin ich einverstanden. E s würde mir dann aber richtiger erscheinen, nicht einen neuen § 397 a zu bilden, sondern einen neuen Absatz folgen zu lasten, der den Rest des jetzigen § 397 Zisf. 1 und den jetzigen § 399 umfassen würde. Da dies alles Dauer­ folgen sind, so ist es bester, diese Dauerfolgen in einem Paragraphen zusammenzusaffen. Zwischen dem Ver­ lust des Vorhandenen und der künftigen Untauglichkeit kann man auch durch zwei aufeinanderfolgende Ab­ sätze unterscheiden. Danach kämen die zeitigen Folgen. Hierbei erscheint es mir richtig, als weitere Folge noch einzu­ fügen: Die Unfähigkeit, Lehrer oder Erzieher zu sein. Es wäre unerträglich, daß ein solcher M ann etwa Erzieher in einer privaten Anstalt und überhaupt Privatlehrer sein könnte. Außerdem müssen wir uns darüber klar werden, ob es angängig ist, daß in § 398 Ziff. 4 zwar die Befähigung genannt ist, Führer eines Betriebs zu sein, nicht aber die Bauernfähigkeit. Die Bauernfähigkeit hier auszunehmen, scheint mir nicht gut vertretbar. Nun ist mir bekannt, daß die für die Fragen der Bauernsähigkeit zuständigen Stellen Bedenken haben, diese Folge an dieser Stelle einzu­ fügen, natürlich nicht deshalb, weil sie einen für ehrlos Erklärten für würdig halten, Bauer zu sein, sondern deshalb, weil für die Abmeierung ein beson­ deres Verfahren vorgesehen ist, und insbesondere des­ halb, weil mit der Abmeierung erbrechtähnliche

Folgen verbunden sind. Nun glaube ich aber nicht, daß man vom Standpunkt des neuen Bauernrechtes aus die Nachfolge in den Erbhof überhaupt erbrechtlich betrachten kann. Wo das Erbhofgesetz das tut, bedient es sich nur der Einfachheit halber einer solchen Aus­ drucksweise; denn es handelt sich um etwas ganz anderes als um einen erbrechtlichen Vorgang, viel eher um einen Lehnsfolgevorgang. Ferner wird geltend gemacht, daß es sich dabei auch um einen Übergang im Eigentum handle. W as ich aber soeben von erbrechtlichen Gedanken gesagt habe, gilt noch viel mehr von eigentumsrechtlichen Gedanken im E rb­ hofrecht. Vom Rechtsstandpunkt aus kann ich die Abmeierung mit Bezug auf den Eigentumsbegriss nicht viel anders auffassen als die Aberkennung der Befähigung, Führer eines Betriebes zu sein. D as alles ist aber für mich nicht ausschlaggebend; denn das sind alles formale Dinge. Ich meine nur: Wenn anerkannt wird, daß ein Ehrloser nicht Führer eines Betriebes sein kann, dann muß auch anerkannt werden, daß er nicht Bauer sein kann, und das müssen wir hier in irgendeiner Form zum Ausdruck bringen. Die Form, in der das geschieht, ist mir nicht das Wichtigste. Wenn wir nur daran gedacht haben, daß auch für den Bauern Folgen aus der Ehrloserklärung erwachsen, und damit ein anderes Verfahren in Gang bringen und diesem Verfahren, was ich natürlich gerne möchte, von vornherein die Entscheidung mit auf den Weg geben, so würde mir das genügen. W ir können hier also lediglich den sehr dringenden Wunsch aus­ sprechen, daß der § 398 etwas über die Bauernfähig­ keit enthalten soll. Angesichts der Bedenken, die die für die Bearbeitung der Bauernsähigkeit zuständige Stelle hat, muß dies im einzelnen den weiteren B e­ sprechungen vorbehalten bleiben. Endlich kommt es mir etwas merkwürdig vor, daß wir in Ziffer 5 das Recht ausschließen, die Reichs­ und Landeskokarde zu tragen, nicht aber das Recht, die Reichsfahnen zu zeigen. Gewiß, die Beachtung dieser Bestimmung ist nicht so leicht erzwingbar, aber immerhin doch leichter erzwingbar als das Nicht­ tragen der Reichs- und Landeskokarden. Denn das Zeigen der Fahnen fällt eher auf, kann also eher überwacht werden als das Tragen der Kokarde. Nach­ dem wir eine Beschränkung des Rechtes, die Reichs­ fahnen zu zeigen, in einer Verordnung schon heute als Bestandteil des Rechtes haben, scheint es mir durchaus möglich und erwünscht zu sein, die Aushebung des Rechtes, die Reichssahnen zu zeigen, in den § 398 aufzunehmen. Berichterstatter Profestor Dr. Kohlrausch: Dem Grundgedanken der Achtung stimme ich zu. Es gibt in der T at Fälle, in denen jemand unwürdig ist, der Volksgemeinschaft anzugehören. D araus ergibt sich, daß die Maßregel auf In län d er beschränkt werden muß. D as ist nach unserer heutigen Auffassung von S ta a t und Volk eine selbstverständliche Konsequenz. Als diese Frage in der ersten Lesung zur Sprache kam, wurde daran erinnert, daß die Oberste Heeres­ leitung am Ende des Krieges nach längeren Erw ä­ gungen sich dafür aussprach, den Landesverrätern, die

ins Ausland geflüchtet waren, wenn sie zurückkämen, die Staatsangehörigkeit nicht abzuerkennen, weil der S ta a t mit diesen Schuften selbst fertig werden muffe, eventuell durch Strafen, die bis zur Todesstrafe gehen. Der heutigen Auffassung mag es mehr entsprechen, eine Ausgliederung auÄrücklich vorzunehmen. Die Frage ist, in welchen Fällen und mit welchen Folgen das geschehen soll. Was die Fälle betrifft, so könnte in Erwägung gezogen werden, diese Fälle im Besonderen Teil einzeln zu nennen, z. B. bei den Fällen, in denen ein typischer Landesverrat vorliegt, die Achtung für zulässig oder geboten zu erklären. Ich würde diesen Weg gehen, nicht aber den, daß, wenn aus Todesstrafe oder lebenslängliches Zuchthaus er­ kannt wird, es dem Richter anheimgegeben wird zu entscheiden, ob sich der Täter dadurch unwürdig ge­ zeigt hat, der Volksgemeinschaft anzugehören. E s gibt zu viele Fälle, in denen wir jetzt Todesstrafe oder lebenslanges Zuchthaus für anwendbar erklärt haben, die mit der Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft in diesem ethischen Sinne des Absatz 1 nichts zu tun haben, so daß ich glaube, hier kann und soll schon der Gesetzgeber deutlich sagen, welche Fälle in Betracht kommen. S o erscheint es mir als selbstverständlich, daß der Landesverräter in den schweren und schwersten Fällen geächtet werden muß. Es erscheint mir auch beinahe ebenso selbstverständlich zu sein, daß derjenige, der einen Raub mit Todessolge oder eine Notzucht mit Todesfolge, ja sagen wir einen Mord begeht, der also auch mit dem Tode bestraft werden kann, eigent­ lich die Achtung verdient hat. Diese Klärung könnte schon der Gesetzgeber vornehmen. Einigkeit scheint darüber zu bestehen, daß die Ächtung nicht in Betracht kommt gegen in Freiheit befindliche Personen. Nun hat Herr Staatssekretär Freister, wenn ich recht verstanden habe, gesagt: Es soll genügen, daß Todesstrafe oder lebenslanges Zuchthaus zulässig ist. Ich würde dem nicht bei­ treten. Daß ein teilweise für tot Erklärter frei her­ umläuft, ist nicht erträglich. Welche Folgen soll nun die Achtung haben? Hier stimme ich grundsätzlich mit dem Abteilungsvorschlag überein. Die Aberkennung der Geschäftsfähigkeit wird im allgemeinen das Richtige treffen. Allerdings müßten noch die zivilistischen Wirkungen durchgeprüft werden, die durch ein Rechtsgeschäft, welches ein etwa Entwichener abschließt, für den Vettragsgegner ent­ stehen könnten, den wir in irgendeiner Weise vor Schaden bewahren müssen. Aber diese Frage wäre hier nicht näher zu verfolgen. Die Fähigkeit, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten, müßte allerdings nach Rechtskraft des Urteils ausgeschlossen sein. (Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as ergibt sich ja aus dem Verlust der Geschäftsfähigkeit.) — Nicht aber stimme ich zu der Unwirksamkeit einer vorher errichteten Verfügung von Todes wegen. Der Fall kann doch so liegen, daß wir keinen Grund haben, die durch diese Verfügung Bedachten zu schädigen, und zwar auch schon deshalb nicht, weil

der Testator damals ein durchaus würdiges Glied der Volksgemeinschaft war. Eine solche nachträgliche Unwirksamkeitserklärung würde schließlich nur die Bedachten treffen, die durchaus einwandfreie Leute sein können. Den gleichen Zweck können wir, soweit es geboten erscheint, erreichen, wenn wir die Möglich­ keit der Vermögenseinziehung vorsehen. M it dem Verbot, geschäftlich oder persönlich mit dem Geächteten zu verkehren, kann ich mich innerlich nicht befreunden, ebenso auch nicht mit dem Gedanken, im Besonderen Teil hierfür Straftatbestände aufzu­ stellen. W ir greisen hier vielleicht doch in Beziehungen ein, die ethisch nicht nur einwandfrei, sondern sogar sehr achtbar sein können. Ich denke da nicht nur an die Ehefrau, mit der er ja nun nicht mehr ver­ heiratet ist, (Zurufe: Doch!) — die trotzdem zu ihm hält, ich denke auch an den Freund, an die entfernteren Verwandten usw. Mag er als Volksgenosse Verachtung verdienen: Wenn der Freund ihn nicht verkommen läßt, so kann ich ihm das unter Umständen nicht übel nehmen. Wir würden uns hier auf ein Gebiet der Ethik begeben, wo wir nicht immer das Richtige treffen können. Das drängt aber dazu, die Fälle der Achtung zu beschränken auf Fälle, wo aus Todesstrafe erkannt wird. Wenn es so weit gekommen ist, daß wir jemand so restlos aus­ scheiden wollen, daß er für niemand mehr existieren darf, dann sollte eben die Todesstrafe neben der Achtung ausgesprochen werden. Dann besteht für das an sich unerfreuliche Verbot, mit ihm zu verkehren, kein Anlaß mehr. (Staatssekretär Dr. Freisler: D as Verbot soll doch die Fälle treffen, wo der Täter sich im Ausland aufhält.) — Was diese Frage betrifft, so gehört es an sich nicht hierher, ob eine Achtung in contum aciam ausge­ sprochen werden darf. Indessen sie wird hier wichtig. D a muß ich freilich sagen: Bei der Möglichkeit einer Achtung kann von dem Grundsatz „a u d ia tu r e t a lte ra p a rs“ nicht abgesehen werden. Wir können nicht wissen, ob nicht vielleicht doch Gründe vorlagen, die es uns richtig erscheinen ließen, von der Achtung abzusehen. D as Beispiel mit dem Ausland habe ich nicht verstanden. (Staatssekretär Dr. Freisler: Angenommen, wir können den M ann nicht erwischen, weil er im Ausland ist. Wenn wir ihn im Abwesenheitsversahren zur Achtung verurteilen, so hat das praktisch für ihn keine Folgen; der M ann läuft gegen unseren Willen frei herum. I n diesem Falle scheint es mir notwendig zu fern* für die Angehörigen der deutschen Volks­ gemeinschaft ein Verkehrsverbot auszusprechen.) — Ich würde eben die Voraussetzung, daß er in contum aciam verurteilt werden darf, nicht teilen. Aber es gibt auch Fälle, wo er nicht in contum aciam verurteilt ist, sondern wo er entweicht und im Aus­ land lebt. Dann trifft das zu, was ich gesagt habe: Ich halte es durchaus nicht für unter Strafe verbiet-

bar, mit ihm zu verkehren. Jedenfalls reagiert mein Gefühl nach dieser Richtung. Was die zweite Frage, die Ehrloserklärung, be­ trifft, so stimme ich dem zu, was der Herr Bericht­ erstatter gesagt hat, und damit im wesentlichen auch den Abteilungsvorschlägen. Die Überschrift ist viel­ leicht nicht ganz richtig, aber ich weiß keine bessere. Ehrenminderungserklärung ist unschön und unvolks­ tümlich. Eine Frage wäre auch hier, wie sich der Allgemeine Teil zu dem Besonderen Teil verhalten soll. Wir haben bisher, wie auch der Herr Berichterstatter aus­ geführt hat, in den einzelnen angeführten fünf Fällen im Besonderen Teil die Ehrloserklärung des § 397 vorgeschrieben. I n zwei Wuchersällen, §§ 258 und 305, haben wir sie nicht vorgeschrieben, aber als die Regel erklärt. Bei gewerbsmäßiger Begehung des Wuchers ist der T äter in der Regel mit Zuchthaus zu bestrafen und für ehrlos zu erklären. Es wäre wohl möglich, aus dem Weg des heutigen Rechts und aus dem Weg, den wir in der ersten Lesung gegangen sind, fortzufahren und in gewissen Fällen diese Ehrlos­ erklärung obligatorisch zu machen. Auch hier ist eine bindende Anweisung an den Richter, um den Ge­ danken durchzusetzen, durchaus vertretbar. Ich würde dann die Fälle des Wuchers, die wir bisher nur unter starken Druck gesetzt haben, in den Katalog der Fälle aufnehmen, wo die Ehrloserklärung für den Richter obligatorisch ist. W as tm übrigen an Umstellungen von P a ra ­ graphen vorgeschlagen worden ist, scheint mir richtig zu sein. M an muß unterscheiden zwischen dem Verlust von Ämtern und Würden usw., die man schon hat, und der Fähigkeit, solche zu erlangen. Ob Aberkennung des Rechts, die Reichsfahne zu zeigen, von großer praktischer Bedeutung ist, weiß ich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein für ehrlos Erklärter großen Wert darauf legt, die von ihm ge­ zeigte Reichsfahne zerrissen zu bekommen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn ich die Gesichtspunkte, die sich aus den beiden Referaten ergeben, ordnen darf, so kann ich feststellen, daß die Achtung von beiden Referenten als S trafe gebilligt wird. Der Gedanke hat offenbar schon so viel Beisall gesunden, daß ich vor zwei Tagen schon ein Gerichtsurteil in die Hand bekam, einen Landesverratsfall, wo das Wort Achtung bereits gebraucht worden ist. Nun die Voraussetzungen! Ich neige, ohne der Besprechung vorgreifen zu wollen, mehr dazu, die Achtung an die Voraussetzungen zu knüpfen, die hier stehen, sie also nicht bei zeitigem Zuchthaus zuzulassen, weil mir das eine Minderung des Gewichts der Achtung zu sein scheint. Hier soll nun wirklich das Allerschwerste und Äußerste getroffen werden. Den Ausspruch, die Achtung gehe mit der mate­ riellen Gerechtigkeit nicht zusammen, habe ich so ver­ standen: M an soll durch die Achtung nicht andere treffen, Familienangehörige usw.; nach dem Willens­

strafrecht soll sich die Strafe auf den T äter beschränken. Anders hätte die Bemerkung keinen Sinn. (Staatssekretär Dr. Freister: Anders war es auch nie gedacht.) — M an hat vielleicht daran gedacht, daß die Achtung Ausstrahlungen auf Dritte hat, die an der T at wirk­ lich gar nicht beteiligt sind. Nun kann man freilich auch sagen: es gibt keine Strafe, die nicht Ausstrah­ lungen auf D ritte hat. Auch die drei Monate Gefäng­ nis haben Ausstrahlungen aus Dritte. Was nun die Folgen der Achtung anbelangt, so ist der Vorschlag der Abteilung, der übrigens auch von der Zivilabteilung geprüft worden ist, die Geschäfts­ unfähigkeit auszusprechen. M an könnte sich vorstellen, daß das eine Parallele zur Geschäftsunfähigkeit im bürgerlichen Recht überhaupt ist. Die Geschäftsunfähig­ keit im bürgerlichen Recht beruht freilich nicht auf Willens- und moralischen Defekten, sondern aus phy­ sischen und geistigen Defekten. Hier würden dieselben Folgen eintreten, weil der M ann sich in bezug auf Willen, Charakter usw. als minderwertig erwiesen hat. Diese Parallele drängt sich einem auf, wenn man sich das überlegt. Was die Testamente anlangt, so halte ich es nach meinen zivilrechtlichen Kenntnissen für überflüssig zu sagen, daß der Betreffende nicht testierfähig ist; denn das ist er nicht, wenn er geschäftsunfähig ist. E r kann keinen Vertrag schließen und auch keine einseitige Ver­ fügung treffen. Eine andere Frage ist die Behandlung von vor­ handenen letztwilligen Verfügungen. Da darf ich auf den Entwurf des französischen Rechts hinweisen, der einfach sagt: Ein Testament, das vorher errichtet ist, ist nichtig und von keiner Wirkung. Ich frage mich, ob das ganz durchgedacht ist. Ich bin nicht ganz sicher, ob dadurch nicht Dinge entstehen können, die wir nicht wollen. Der Gedanke, den Professor Kohlrausch aus­ gesprochen hat, hat natürlich sehr viel für sich. Wenn ich in dem F all überhaupt das Vermögen vernichten will, vom Standpunkt der Betroffenen aus gesehen, so kann ich das durch die Vermögenseinziehung immer. (Professor Dr. Kohlrausch: I m andern Falle bekommen es die gesetzlichen Erben.) — Der Gedanke ist noch nicht ganz durchgedacht. Ich könnte mir denken, daß aus früherer Zeit ein Testa­ ment stammt, das ganz und gar allen Anforderungen des Anstandes und der Sittlichkeit entspricht. Wenn das durch Achtung vernichtet werden soll, hätte das zur Folge, daß die Bedachten ausfallen und an ihre Stelle die gesetzlichen Erben treten. Ob die Herbei­ führung der gesetzlichen Erbfolge im Falle der Achtung immer etwas Gutes und Befriedigendes ist, scheint mir nicht ganz sicher zu sein. (Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn der Richter das in einem Falle für unerwünscht hält, zieht er das Vermögen ein.) — Ich möchte das zur Diskussion gestellt sein lassen. Dann kam ein Vorschlag von Staatssekretär Dr. Freisler, der etwa den Gedanken hat, es soll den

s Geächteten niemand atzen und tränken, Hausen und Hofen oder, wie es an einer andern Stelle heißt: Wer sein noch Pflegt, wer diesem sich gesellt, nach Reiches Recht der gleichen Acht verfällt! Dieser Gedanke soll ins Moderne übersetzt werden. Der Herr S ta a ts­ sekretär Freister hat den persönlichen und den ge­ schäftlichen Verkehr nebeneinander gestellt. F ü r den geschäftlichen Verkehr würde der Mangel der Geschäfts­ fähigkeit ein genügendes Hemmnis sein. (Staatssekretär Dr. Freister: Aber im Aus­ land wird das nicht anerkannt.) W as den persönlichen Verkehr anlangt, so bin ich betreffs der Leute, die im In la n d einen solchen Ver­ kehr Pflegen — man kann sich das praktisch kaum vorstellen — , der Meinung, daß es eine Reihe von Fällen gibt, die überhaupt unter die Begünstigung fallen würden. Wenn jemand einen Geächteten, der aus dem Zuchthaus entsprungen ist, verborgen halt, so führt das sofort ins Reich der Begünstigung hinein. Es würde also schon ein großer Teil der Fälle weg­ fallen. Ich habe selbst eine gewisse Scheu, diesen Ge­ danken aus dem mittelalterlichen Recht in eine Form des Verbots des persönlichen Verkehrs mit S tra f­ sanktionen in das moderne Recht zu übernehmen, weil sofort diese Ausnahmen, die aus dem ethischen Gebiet hergeholt sind, kommen müssen, und die Sache arg peinlich ist. Nun der zweite Fall: Verkehr mit dem Geächteten im Ausland. Ich weiß nicht, ob wir diesen Zweck erreichen können. Gesetzt den Fall, ein Landes­ verräter, der zugunsten der französischen Regierung tätig war, entkommt ins Ausland. E s wäre doch der Fall denkbar, daß er eine ausländische Staatsange­ hörigkeit erwirbt. Dann ist unsere Waffe sofort erledigt; denn dann steht er unter dem Schutz der anderen Regierung, und alle unsere Aussprüche würden ihn nicht mehr erreichen können. D ann zur Folge der Ehrloserklärung. Die Be­ zeichnung ist nicht ganz befriedigend. Die Abteilung hatte vorgeschlagen: Verlust der Ehrenrechte. D as ist auch nicht sehr viel besser. Ich würde dafür plädieren, die Muß-Bestimmung zu streichen, weil wir sie bei der Achtung auch nicht haben. Ich bin auch der Mei­ nung, daß man bei der Aufzählung nach den Gesichts­ punkten Besitz und Tauglichkeit unterscheiden soll. D as eine ist ein Besitzverlust, das andere die Aberkennung der Tauglichkeit. Die Bauernsähigkeit muß man hier unter allen Umständen erwähnen. Der Nährstand könnte nichts Törichteres tun, als dagegen zu protestieren. Denn die Ehrloserklärung in unserem F all ist ein sehr viel engerer Begriff als die Ehrbarkeit oder Nichtehrbar­ keit des Bauern. So ist es nicht, daß nach den Ideen des Erbhofrechts etwa nur der kleine Kreis der krimi­ nell für ehrlos Erklärten als ehrbare Bauern ausgestrichen werden kann. Die Ehrbarkeit des Bauern wird ja schon durch liederliche Wirtschaft in Frage gestellt, die gar nicht kriminell ist; das war wenigstens bei der Schaffung des Erbhofgesetzes der Gedanke. W as hier den Bauern trifft, ist ein so winzig kleiner Ausschnitt dessen, was ihn unter dem Erbhosrecht

treffen kann, daß ich es nicht verstehen würde, wenn der Nährstand bei richtiger Darstellung des Sachver­ halts Protest erheben sollte. I n der Frage Kokarden und Flaggen bin ich auch der Ansicht, daß die Kokarden und Flaggen gleich­ gestellt werden müssen. Praktisch ist das nicht so sehr wichtig. M an wird nicht glauben können, daß aus dem Fenster des Einbrechers oder schweren Räubers gerade eine Reichsflagge gezeigt wird. Praktisch wird es mehr eine Bekenntnissrage sein, die Kokarden und Flaggen einander gleichzustellen. Professor Dr. Dahm: Zunächst ein Wort über den Ausbau des Ab­ schnitts. W ir müssen hier die Folgerungen aus der Grundaussassung ziehen, zu der wir uns doch schon bei Erörterung des § 383 bekannt haben. Wir sind doch der Meinung, daß die meisten Strafen, nament­ lich auch die Freiheitsstrafen, Ehrenstrafen sind. Darum würde ich den Abschnitt „Ehrenstrafen" über­ haupt auflösen, die Achtung an den Anfang stellen und späterhin von den Folgen der Ehrlosigkeit sprechen. Ich möchte nun zunächst über die Voraussetzungen sprechen, unter denen auf Achtung erkannt werden soll. Dabei setze ich voraus, daß der Grundgedanke der Achtung hier überhaupt keiner Rechtfertigung mehr bedarf. M it Herrn Professor Kohlrausch stimme ich darin überein, daß die Achtung nicht entwertet werden darf und auf eine eng begrenzte Gruppe von Straftaten beschränkt werden muß. Ich meine damit den Volksverrat und was dem ähnlich ist. Es wäre nicht richtig, wenn man den Mörder oder denjenigen, der eine Notzucht begeht, ächten wollte. Aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen wird derjenige, der die Gemeinschaft verrät. Die Achtung ist ein vorzügliches Mittel, um die besondere Verächtlichkeit des Bolksverrats sichtbar zu machen. Nun zur Ausgestaltung der Achtung. Die Achtung soll den völligen Ausstoß aus der Gemeinschaft zum Ausdruck bringen. D as kann aber nicht so ausgedrückt werden, wie das in § 395 geschehen ist: „Hat jemand bewiesen, daß er für immer unwürdig ist, der Gemein­ schaft anzugehören, so kann er aus ihr durch Achtung ausgeschlossen werden". Damit wird verkannt, daß die Strafe der Achtung deklaratorischen Charakter hat, nämlich zum Ausdruck bringt, was schon geschehen ist: den Ausschluß aus der Volksgemeinschaft, der durch die T at erfolgt ist. Die Achtung bringt zum Ausdruck, daß der Verräter sich selbst aus der Gemeinschaft aus­ geschlossen hat. Jetzt die Ausgestaltung im einzelnen: Die Achtung soll keine Nebenstrafe sein, kein Zusatz zur Todesstrafe oder zur lebenslänglichen Freiheitsentziehung, sondern die letztgenannten Strafen sind gerade hier Ausdruck und Folge der Ehrenminderung. Darum müßte man im Gesetz etwa sagen: Die Achtung zieht Todesstrafe oder Zuchthaus nach sich. Kurz: W ir müssen zum Ausdruck bringen, daß — um es einmal überspitzt auszudrücken — Todesstrafe und F rei­ heitsstrafen die Nebenstrafen sind. Damit ist schon

gesagt, daß mit der Achtung nur Todesstrafe oder lebenslängliche Freiheitsentziehung verbunden werden darf. Eine auf Zeit begrenzte Freiheitsentziehung mit der Achtung verbunden, wäre geradezu ein Wider­ spruch in sich. Wenn die Freiheitsstrafe verbüßt ist, so kehrt ja der Zuchthäusler wenigstens äußerlich in die Gesellschaft zurück. D as ist mit der Achtung nicht in Einklang zu bringen. Jrn einzelnen muß die Achtung zur Folge haben, daß der Geächtete aus der Gemeinschaft, aus dem Rechtsverkehr völlig verschwindet. E r sollte nicht nur die Geschäftsfähigkeit verlieren, sondern völlig auf­ hören, Rechtssubjekt zu sein. Daß die Ausstoßung aus der Volksgemeinschaft diese Folgerungen notwendig macht, wird niemand bestreiten können. Wer seine Ehre verloren hat, kann nicht rechtsfähig sein, kein Eigentum haben usw. M an sollte von dieser Forde­ rung nur dann abgehen, wenn wirklich zwingende Gründe dagegen sprächen. Aber ich kann diese zwin­ genden Gründe wirklich nicht entdecken. Wenn wir davon ausgehen, daß der Geächtete für immer aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen ist, und daß er hingerichtet wird oder bis zum Tode seiner Freiheit beraubt bleibt, dann sehe ich kein Bedenken dagegen, daß seine familienrechtlichen Beziehungen sich lösen, daß seine Ehe vernichtet wird, daß er aufhört, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, daß sein Vermögen auf die Erben übergeht usw. Die Gegengründe, die das Gutachten der Zivilabteilung des Justiz­ ministeriums dagegen anführt, können mich nicht überzeugen. D ort wird auf die Möglichkeit hinge­ wiesen, daß man in vielen Fällen gezwungen sei, den Geächteten in Abwesenheit zu verurteilen, wenn er sich etwa im Ausland befindet. Aber wenn man den T äter nicht hat, dann besteht doch kein Grund, ihn deshalb besserzustellen, weil er sich draußen in der Freiheit befindet, Rechtsgeschäfte abschließt usw. Zum mindesten sollte man ihm die Geschäftsfähigkeit aberkennen. Nun hat man gefragt: Wie ist es mit einem vor der Achtung errichteten Testament? Ich glaube, daß auch diese letztwillige Verfügung nicht be­ achtet werden darf. W ir dürfen diese Dinge nicht vom Standpunkt des einzelnen sehen, nicht fragen, ob man damit Personen beeinträchtigt, die durch das Ver­ mächtnis bedacht worden sind, sondern man sollte überlegen: Besteht nach der Achtung, nachdem der T äter sich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen hat, noch ein Grund, seinen Willen für die Zukunft zu beachten? D as möchte ich verneinen. Wie nun, wenn der Geächtete sich im Ausland befindet? Hier taucht die Frage des Abwesenheits­ verfahrens auf. Ich bin Anhänger eines solchen Verfahrens. Denn ich sehe das Wesentliche nicht in der Vollstreckung der Freiheitsstrafe, sondern im Ausspruch der Entehrung. Diesen Ausspruch können wir aber nicht deshalb zurückstellen, weil der Ver­ brecher sich int Ausland befindet. Nun könnte man zunächst einwenden: a u d ia tu r e t a lte ra p a rs! Aber wer ins Ausland geflüchtet ist, hat keinerlei Anspruch aus Rücksichtnahme. (Staatssekretär D r. Freisler: E r kann auch kommen!)

— Zweitens könnte man einwenden: Hat es S inn, jemand zu verurteilen, der sich im Ausland befindet, und gegen den die Strafe nicht vollstreckt werden kann? Dahinter steckt die Vorstellung, die Erzwingbarkeit gehöre zum Wesen des Rechts. Diesen Satz halte ich für grundsätzlich falsch. Ich glaube im Gegenteil, daß Recht auch dann Recht bleibt, wenn es praktisch nicht durchgesetzt werden kann. Auf den Ausspruch der Entehrung sollten wir auch dann nicht verzichten, wenn der Schieber oder Landesverräter sich ins Aus­ land geflüchtet hat. Ich komme also zu einem ent­ schiedenen Bekenntnis für das Abwesenheitsverfahren. D as würde also bedeuten, daß auch derjenige geächtet wird, der sich im Ausland befindet. Wenn das aber richtig ist, dann ist der Vorschlag zu begrüßen, den Herr Staatssekretär D r. Freisler vorhin entwickelt hat, man möge nämlich irgendeine normativ zu fassende Bestimmung aufnehmen, nach der ein Deutscher unter Strafe gestellt wird, der mit einem Geächteten im Ausland verkehrt. Die genauere Formulierung kann ich zur Zeit noch nicht geben. Natürlich muß der F all ausgeschlossen werden, daß etwa jemand mit einem Geächteten eine Tasse Kaffee trinkt. Aber, ich glaube, es wird sich eine Formel finden lassen, durch die jeder nähere Verkehr mit dem Geächteten ausgeschlossen wird. Ich kann nicht zu­ geben, daß man dadurch auf unzulässige Weise in den Bereich des sittlichen Verhaltens eingreift. Es gibt keinen Bereich der Sittlichkeit, der durch die Ächtung unberührt bliebe. Wer der Gemeinschaft angehört, ist sittlich verpflichtet, jeden näheren per­ sönlichen Verkehr mit einem Geächteten zu unterlassen. Wenn wir den germanischen Gedanken der Achtung übernehmen, dann müssen wir auch die Folgerungen ziehen, die sich in allen Rechten finden, die die Achtung anerkennen, also denjenigen bestrafen, der mit dem Geächteten Gemeinschaft hält. Aus allen diesen Bemerkungen ergibt sich die Richtigkeit des grundsätzlichen Standpunkts, den schon die Unterkommiffion im Entwurf zum Aus­ druck gebracht hat, nämlich daß nur ein Deutscher geächtet werden kann, und zwar nur ein deutscher Volksgenosse. M it anderen Worten: aus der deutschen Blutsgemeinschaft kann irn Grunde nicht ausgeschlossen werden ein deutscher Staatsangehöriger, der der Volksgemeinschaft nicht angehört. Trotzdem wird es aus praktischen Gründen unmöglich fein, auf das Merkmal der Staatsangehörigkeit zu verzichten. Der Ausländer darf aber nicht geächtet werden. Gerade die Achtung legt den Gedanken eines besonderen Fremdenrechts nahe, das gerade beim Landesverrat zu entwickeln ist. Wer nicht zur Gemeinschaft gehört, kann nicht aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden, über den Ausländer können Ehrenstrafen überhaupt nur in geringerem Umfange verhängt werden. Den ausländischen Spion braucht man nicht unbedingt zu entehren. Dieser Gedanke des Fremdenrechts ist der notwendige Bestandteil eines jeden echten Gemein­ schaftsrechts. Ich komme dann zur E h r l o s e r k l ä r u n g in den §§ 396 und 397 des Entwurfs. Ich habe nament-

lich gegen § 396 Bedenken. E s heißt dort: „Wer zum Tode oder zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt ist, aber nicht geächtet wird, kann für ehrlos erklärt werden". Weiter heißt es im § 400: „Wer zu zeitigem Zuchthaus verurteilt, aber nicht für ehrlos erklärt wird, verliert gleichwohl für Lebenszeit die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden". Den In h a lt dieser Ehrloserklärung beschreiben die §§ 397 und 398. Wer den § 396 unbefangen liest, muß auf den Gedanken kommen, daß die Ehrloserklärung mit der Zuchthaus­ strafe verbunden sein k a n n , aber nicht verbunden sein mu ß . D as halte ich für falsch. W ir haben uns gestern dahin geeinigt, daß die Ehrlosigkeit mit der Zuchthausstrafe notwendig verbunden ist, daß die Ent­ ehrung des Verbrechers geradezu das Wesen der Zuchthausstrafe ausmacht. Jedenfalls müssen wir sagen, was wir eigentlich wollen. Sollen die beson­ deren Folgen, die in den. §§ 397 und 398 bezeichnet sind, mit a l l e n Zuchthausstrafen verbunden werden? Diese Frage möchte ich bejahen. Ich bin allerdings der Meinung, daß jeden, der einmal im Zuchthaus gesessen hat, sämtliche Folgen treffen müssen, die in den §§ 397 und 398 bezeichnet sind. Dabei mag man die Bestimmung des § 398 Ziff. 5 streichen oder ein­ schränken. über das einzelne ließe sich reden. Aber wer jemals im Zuchthaus gesessen hat und nicht später in irgendeiner Form begnadigt oder rehabilitiert worden ist, der ist doch wohl für immer unfähig, E r­ zieher zu sein oder öffentliche Ämter zu bekleiden. Es ist nicht wünschenswert, daß die Erinnerung an eine entehrende T at später beseitigt wird. Die in den §§ 397 und 398 bezeichneten Folgen sind nur der Ausdruck einer ihrer Otetin: nach unbeschränkten E nt­ ehrung. M an kann überhaupt nicht jemand für die Zeit von zwei bis zehn Jah ren für ehrlos erklären. D as ist in sich widerspruchsvoll. Ich kann gar nicht sagen: Nach fünf Jahren hast du deine Ehre wieder. Darüber hat der Richter überhaupt keine Herrschaft. W ir sollten diese Kasuistik und diese Einschränkungen aufgeben und den Gedanken herausstellen, daß in der Gemeinschaft nur Raum ist für anständige und ehren­ hafte Volksgenossen, daß jeder, der einmal im Zucht­ haus gesessen hat, für immer die Fähigkeiten ver­ loren hat, die in § 397 bezeichnet worden sind. Aber selbst wenn man sich auf den Standpunkt des Entwurfs stellt, bedarf es einer anderen Aus­ drucksform als in den §§ 396 ff. Wir sollten jedenfalls nicht sagen, daß jemand für eine bestimmte Zeit ehrlos ist, sondern, daß der T ater für eine bestimmte Zeit die Rechte verliert, die in den §§ 397 und 398 be­ zeichnet sind. Dabei hätte ich selbst gegen die Wendung „Verlust der Ehrenrechte" Bedenken, weil diese Fassung auf das subjektive Recht hinzudeuten scheint. Ich würde lieber von „Folgen der Ehrlosigkeit" sprechen, um zu zeigen, daß die Ehrlosigkeit sich nicht im Verlust der sogenannten Ehrenrechte erschöpft. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Der Wunsch von Herrn Professor Dr. Dahm geht also dahin, daß auf die Achtung erkannt wird und daß auch ausgesprochen wird: Damit ist verbunden die Todesstrafe oder lebenslanges Zuchthaus. W ir haben

einmal eine solche Fassung gemacht. Beim Meineids­ paragraphen, § 175, heißt es: Wer — dann kommt die Beschreibung des Tatbestands — . . . . wird als Meineidiger für ehrlos erklärt und mit Zuchthaus bestraft. D as wäre also der S til, dem S ie das Wort reden: „ . . . . wird geächtet und mit dem Tode bestraft". Das letzte, was Herr Professor Dahm ausgeführt hat, klang etwas wie ein Plädoyer für die Fassung des alten Strafgesetzbuches, und ich trete dem gar nicht entgegen. D a heißt es int § 31: „Die Verurtei­ lung zu Zuchthaus hat die dauernde Unfähigkeit zum Dienst in Heer und Marine und dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung von öffentlichen Ämtern zur Folge." D as ist der selbstverständliche, wesentliche Zusammen­ hang zwischen Zuchthausstrafe und diesen Ehren­ strafen. Darauf gingen Ih re Ausführungen hinaus. Dann sollten wir noch einen Weg offen lassen für die zeitige Aberkennung? (Professor Dr. Dahm: Aber nicht im Gesetz, sondern durch Rehabilitierung. Wir müßten überhaupt zu einer Rehabilitierung kommen.) — D as ist auch ein Gedanke, der in einzelnen Landes­ rechten verwirklicht gewesen ist. Damit nun das Abwesenheitsverfahren als Be­ griff nicht völlig in der Luft schwebt, wäre es zweck­ mäßig, wenn Herr Ministerialdirektor Schäfer ein­ mal kurz andeutete, wie die kleine Strafprozeß­ kommission sich das Abwesenheitsversahren etwa ge­ dacht hat. Ministerialdirektor Schäfer: W ir haben in dem Entwurf — etwa in dem Sinne, wie Herr Professor Dahm es eben andeutete — bereits eine Hauptverhandlung gegen flüchtige Ver­ brecher vorgesehen. Gegen den flüchtigen Beschul­ digten soll dann eine Hauptverhandlung durchgeführt werden, wenn das Rechtsempfinden des Volkes die alsbaldige Aburteilung der T at verlangt. Ziel dieses Verfahrens ist insbesondere die Anprangerung. W ir wollen dieses Verfahren nicht auf den Fall be­ schränken, daß der Verbrecher sich im Auslande be­ findet; auch wenn der Beschuldigte sich im Jnlande verbirgt und wir ihn gar nicht ergreifen können, soll die Staatsanwaltschaft das Verfahren einleiten können. D as Verfahren ist nicht ein Versäumnisverfahren im Sinne des Zivilprozesses, in dem alles unterstellt wird, sondern wir führen das Verfahren nach den gewöhnlichen Verfahrensvorschristen durch und fällen das Urteil auf schuldig nur dann, wenn die Beweise ausreichen; sonst muß es wegen Ab­ wesenheit einstweilen eingestellt werden. Das ist ein wesentlich anderes Abwesenheitsverfahren, als es etwa Frankreich hat. E s ist ein Verfahren, das durch­ aus mit den Anforderungen der Gerechtigkeit und des Rechtsstaates im Einklang steht. D araus ziehen wir aber auch die Konsequenz: D as Urteil, das im Ab­ wesenheitsverfahren gefällt wird, hat auch Bestand, es ist vollstreckbar usw. Der Beschuldigte kann das

Urteil anfechten, wenn er zurückkommt und dartut, daß sein Ausbleiben durch triftige Gründe gerecht­ fertigt war, oder wenn sonstige Umstände vorliegen, die eine Erneuerung der Hauptverhandlung not­ wendig erscheinen lassen. W ir glauben, daß unser geltendes Recht hier zu Unrecht eine Lücke enthält und haben — mit Rücksicht darauf und weil alle Nach­ barländer ein so ähnliches Verfahren haben — auch die Absicht, dies alsbald in der früher schon erwähnten Novelle einzuführen. Ich glaube, das geht ganz in der Richtung der Ausführungen von Herrn Professor Dahm. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Hervorzuheben wäre nur der Unterschied zum französischen Verfahren, das ein reines Versäumnisverfahren ist, das durch Einspruch — wenn auch das Wort nicht gebraucht ist — sofort annulliert ist. D as ist für uns auch politisch eine gewisse Erleichterung. Wir haben seinerzeit gegen das französische AbwesenheitsVerfahren Sturm gelaufen, ich erinnere an die Kriegs­ verbrecher. Unsere Position ist sehr viel besser, weny wir nicht das französische Abwesenheitsverfahren ein­ führen. (Professor Dr. Dahm: Prinzip der materiellen Wahrheit! — Ministerialdirektor Schäfer: Ein gut fundiertes Abwesenheitsverfahren.) Bon den bisherigen Ausführungen bitte ich eins nicht unter den Tisch'fallen zu lassen: Welche Voraus­ setzungen der Achtung sollen im Gesetz vorgesehen werden? Der Vorschlag Dahm geht auf eine bedeu­ tende Verengung des Anwendungsgebietes der Achtung hinaus, was mir persönlich auch sympathisch ist, weil das Gewicht der Achtung um so größer ist, je kleiner sein Anwendungsgebiet ist. Ich weiß nicht, ob man so weit gehen kann zu sagen: der Raub­ mörder könne unter dem Gesichtspunkt der Achtung überhaupt nie angesehen werden. Ich stelle diese Frage zur Diskussion. Aber daß der Verräter unter dem Gesichtspunkt der Achtung angesehen werden muß, darüber besteht völlige Einigkeit. D as ginge praktisch wieder darauf hinaus, nicht die formelle Voraus­ setzung, sei es die Strafdrohung, sei es die erkannte Strafe, zu machen. D as geht mit der Dahmschen Konzeption schon deswegen nicht zusammen, weil er von der Achtung als der Hauptstrase ausgehen will; also erst Achtung und dann das andere. Vizepräsident Grau: Meine Auffassung von der Achtung deckt sich weit­ gehend mit der von Herrn Professor Dahm. Die Achtung soll nach unserer Vorstellung die schwerste Strafe sein, die einen Deutschen überhaupt treffen kann; sie soll die Ausstoßung aus der Volksgemein­ schaft bedeuten, und diese Ausstoßung soll bestimmte Wirkungen haben. Diese Wirkungen kann man in zwei Richtungen gruppieren: Einmal die Ehrenfolgen, und zwar so schwerwiegende, daß man die Achtung wirklich als d i e Ehrenstrafe bezeichnen kann. Solche Ehrenfolgen sind der Verlust der Staatsangehörigkeit, die Wirkungen der Ehrloserklärung und der Verlust

der Geschäftsfähigkeit. Ich würde nicht so weit gehen, sogar den Verlust der Rechtsfähigkeit des Verurteilten als Ehrensolge festzusetzen; denn die Schwierigkeiten auf zivilrechtlichem Gebiet, die dadurch entstehen, sind zweifellos recht erheblich, wenn man daran denkt, daß der Verurteilte auch ausbrechen kann. Die Aberken­ nung der Testierfähigkeit würde ich dagegen für richtig halten. E s scheint mir aber schwer möglich zu sein, daß auch ein bereits v o r der S traftat errichtetes Testament dadurch ohne weiteres annulliert werden soll. Den Verkehr eines Deutschen mit einem etwa ins Ausland geflüchteten oder im Ausland befindlichen Geächteten würde auch ich unter Strafe stellen. Rosenberg hat im „Mythos" eindringlich darauf hin­ gewiesen, daß es für einen Deutschen unmöglich sein müsse, mit einem Geächteten zu verkehren. Dabei besteht allerdings die Einschränkung und Ausnahme, daß es sich dabei nicht um nahe Angehörige des Ver­ urteilten handelt. Die zweite Gruppe der Achtungsfolgen ist, daß der Täter entweder sein Leben verliert oder dauernd eingeschlossen wird. Bezüglich der Einschließung scheint mir nur das lebenslängliche Zuchthaus, da­ gegen nicht zeitiges Zuchthaus zuzüglich Sicherungs­ verwahrung die richtige Folge dieser schwersten Strafe zu sein. Wenn man die Achtung so aufbaut, ist sie zweifel­ los eine besondere S trafart; sie unterscheidet sich von allen anderen Strafarten dadurch, daß sie zweierlei Folgen in sich birgt. Sie ist deshalb auch keine Ehren­ strafe im Sinne der Ehrenstrafen, die im übrigen in diesem Abschnitt stehen. Denn alle anderen Ehren­ strafen setzen voraus, daß der Betreffende daneben zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, wenn wir sie auch als Hauptstrafen bezeichnen. Die Achtung hat aber als gesetzliche Folge die Freiheitsstrafe, und nach unserer Auffassung ist dies nicht einmal ihre wichtigste Folge; denn ihre wichtigste Folge ist die Ausstoßung aus der Gemeinschaft. Deshalb glaube ich, daß Herr Professor Dahm durchaus recht hat, wenn er die Achtung ausdrücklich bereits im § 383 als besondere S trafart aufnehmen will. Die Strafen sind dann Achtung, Todesstrafe, Freiheitsstrafen, Vermögens­ strafen und Ehrenstrafen. Ferner muß man im bis­ herigen § 395 Abs. 2 klar zum Ausdruck bringen, daß die Freiheitsstrafe und die Todesstrafe nicht Voraus­ setzung für die Verhängung der Achtung, sondern ihre Folgen sind. Ich würde weiterhin die Achtung aus den Ehrenstrasen völlig herausnehmen und sie als schwerste S trafart unmittelbar hinter § 383 regeln. Ferner würde ich sie als selbständige S trafart auch in den Strafdrohungen des Besonderen Teils auftreten lassen, wobei natürlich nur die Delikte in Frage kommen, die mit lebenslangem Zuchthaus oder Todesstrafe schon jetzt bedroht sind. D as wäre meine Auffassung von der Strafe der Achtung, die mit den übrigen Ehrenstrafen durchaus nichts gemein hat, selbst wenn man die übrigen Ehrenstrafen als Haupt­ strafen und nicht als Nebenstrafen auffassen will. W as die Folgen der Zuchthausstrafe in den §§ 400, 402, 403 betrifft, so ist es unerwünscht, diese Folgen

in den Abschnitt „Ehrenstrasen" zu bringen. Denn sie sind keine Strafen, noch nicht einmal Nebenstrasen, sondern die Folgen, die sich kraft Gesetzes an den Ausspruch der Zuchthausstrafe knüpfen. Dasselbe gilt sür die gesetzlichen Folgen der Gefängnisstrafe, die jetzt in § 400 Abs. 2 des Entwurfs enthalten sind. Ich schlage vor, diese Folgen der Freiheitsstrafen im un­ mittelbaren Zusammenhang mit diesen bereits in § 386 des Entwurfs zu regeln. Die Bezeichnung „Ehrloserklärung" scheint mir sprachlich nicht richtig zu sein; denn wir nehmen ja dem Betreffenden nicht die Ehre, sondern wir be­ stimmen nur, daß er bestimmte, auf seiner Ehren­ haftigkeit beruhende Rechte nicht ausüben darf. Ich glaube daher nach wie vor, daß die Bezeichnung „Aberkennung der Ehrenrechte" das beste ist, jeden­ falls besser als „Ehrloserklärung". Zu § 398 möchte ich nur sagen, daß es auch mir notwendig erscheint, das Recht, die Reichsfahnen zu zeigen, aufzunehmen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s besteht also übereinstimmend der Wunsch, daß man gewisse Folgen der Zuchthausstrafe obligatorisch im Gesetz aussprechen sollte, also Rückkehr zu dem Gedanken des § 31, daneben aber die Möglichkeit hat, fakultativ gewisse, sagen wir Ehrenrechte zu nehmen. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wie jetzt beim Ehrverlust!) — Nur daß man das Wort Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nicht als richtig anerkennt. D as paßt nicht hinein. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich gebe zwar zu, daß man die Achtung ausschließ­ lich aus den Verratsgedanken gründen könnte, aber ich glaube, daß das nicht notwendig ist und im Gegenteil ein praktisches Bedürfnis besteht, dem Achtungsge­ danken eine Ausdehnung auf andere Verbrechen als Verratsverbrechen zu geben. Ich komme daher zu dem Vorschlag, die Achtung obligatorisch für die Ver­ brechen festzusetzen, die Volksverrat sind, vor allen Dingen für Landesverrat, im übrigen aber fakultativ die Achtung zunächst bei den mit Todesstrafe und lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Verbrechen zu­ zulassen. Zu diesen Verratsverbrechen würde natürlich auch der F all des § 107, der in der Fischbachauer Denkschrift erwähnt ist, zu rechnen sein. Ich gehe aber noch weiter. Ich glaube, es ist auch ein Bedürfnis bei zeitlicher hoher Zuchthausstrafe — ich würde vor­ schlagen, Zuchthaus über 5 Jahre — die Achtung zuzulassen. Ich knüpfe hier an einen Vorschlag des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen an, der das Wort „lebenslanges" in Absatz 2 des § 395 überhaupt streichen will. Ich würde nicht so weit gehen, würde aber eine erhebliche Zuchthausstrafe sür genügend halten, um die Möglichkeit der Achtung zu geben; denn ich glaube, daß auch durch solche schweren Verbrechen, die mit mehr als 5 Jahren Zuchthaus bestraft werden, doch sehr wohl der Nachweis geführt sein kann, daß der Verbrecher sich für immer unwürdig

gemacht hat, der Volksgemeinschaft anzugehören. Darum geht mein Antrag dahin, die Möglichkeit der Achtung auf die Fälle schwerer Zuchthausstrafe über 5 Jah re auszudehnen. (Staatssekretär Dr. Freister: Und der Ge­ schäftsunfähige, der in der Welt herumläuft?) — Der Geschäftsunfähige kann ruhig in der Welt' herumlaufen; erst einem in der Freiheit befindlichen Geächteten gegenüber erhält die Geschäftsunfähigkeit eigentliche Bedeutung. Auch derjenige, der lebens­ langes Zuchthaus bekommen hat, kommt nach 20 Jahren vielleicht wieder heraus. S o ist doch die P raxis im allgemeine!:. Ich habe ja immer dafür gestimmt, daß man aus dem lebenslangen Zuchthaus die Konsequenz der Todesstrafe ziehen soll. Da wir das nicht getan haben, müssen wir nach wie vor praktisch damit rechnen, daß jemand nach 15, 20 Jahren aus dem Zuchthaus herauskommt und dann als Geschäftsunfähiger sich in der Freiheit bewegt. (Staatssekretär Dr. Freister: Der Geächtete kommt nicht heraus!) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as glaube ich nicht. Wenn man sich den F all vorstellt, daß ein Geächteter, der lebenslanges Zucht­ haus hat, aus irgendeinem Grund begnadigt würde, dann muß sich die Begnadigung aus die Achtung beziehen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: D ann wäre die unentrinnbare Konsequenz, die Todesstrafe in allen Fällen zu verhängen, wo aus Achtung erkannt ist. Wenn jemand ernstlich für alle Zeiten aus der Volksgemeinschaft ausgeschaltet werden soll, dann ist nicht seine Internierung, sondern seine Vernichtung das gegebene Mittel. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Darf ich einen Gegengedanken hier aussprechen, geschöpft aus den Erfahrungen des täglichen Lebens. Ein M ann wird zum Tode verurteilt, das Urteil wird nicht zur Vollstreckung vorgeschlagen. E s ist ein Indizienbeweis. M an ist sehr scharf bei der Prüfung, ob wirklich jede andere Möglichkeit ausgeschlossen ist. Es wird, obwohl die T at abscheulich ist, wegen einer einzigen kleinen Möglichkeit, die vorhanden wäre, lebenslange Zuchthausstrafe im Gnadenwege vorge­ schlagen. Der M ann ist geächtet. Die Achtung bleibt natürlich. Nun ist es dock fiter und da in der Geschichte der Justiz vorgekommen, daß sich nach zehn Jahren der wahre Täter herausgestellt hat. Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as lebenslange Zuchthaus möchte ich nicht als gesetzliche Strafe anerkannt wissen. F ü r den Gnaden­ fall ist das etwas anderes. W as nun die Behandlung des Ausländers be­ trifft, so sagt die Zivilabteilung des Ministeriums: „Entscheidende Bedenken gegen die Ausdehnung der Achtung auf Ausländer und Staatenlose bestehen nicht". Ich möchte vorausschicken, daß ich auch nur

den Verlust der Geschäftsfähigkeit als Folge der Achtung zulasten möchte und nicht den Verlust der Rechtsfähigkeit, und zwar aus dem Grunde, weil man jemanden nicht für völlig vogelfrei erklären kann, was ja die Folge wäre, wenn man ihm die Rechts­ fähigkeit absprechen würde. Cr würde auch keine Rechtsfähigkeit im Sinne des Strafrechtes haben und gegen strafbare Handlungen nicht geschützt werden können. Die ausländischen Gesetze — Ita lie n und Frankreich — beschränken sich auch nur auf den Ver­ lust der Geschäftsfähigkeit. Die Zivilabteilung sagt weiter: „E s ist vor allem nicht ersichtlich, weshalb der Ausländer, der das ihm gewährte Gastrecht zu schweren strafbaren Handlungen gegen Volk und S ta a t mißbraucht, milder zu behandeln sein sollte als der deutsche Staatsangehörige. Zwar würde es wohl nicht möglich sein, den sonst mit der Achtung verbundenen Verlust der Staatsangehörigkeit auch in diesen Fällen eintreten zu lasten. Dagegen würden die sonstigen an die Achtung geknüpften Nachteile, insbesondere der Verlust der Geschäftsfähigkeit, jeden­ falls mit Wirkung für das deutsche Rechtsgebiet und für hier befindliches Vermögen, auch hier Platz greifen können." Ich halte es durchaus für richtig, was in diesem Gutachten gesagt worden ist. Ich sehe nicht ein, warum ein internationaler Verbrecher, der sich hier nicht aus irgendeinem Heimatgefühl aufhält, weder bei uns noch woanders, sondern nur, weil hier ver­ brecherische Geschäfte am besten zu machen sind, aus unserem Rechtsverkehr durch Verlust der Geschäfts­ fähigkeit nicht ausgeschloffen werden soll. Es kann das natürlich nicht Achtung genannt werden, Aus­ schluß aus der Volksgemeinschaft; aber es müßte eine entsprechende Folge der Strafe auch beim Ausländer eintreten können, die in einem besonderen P a ra ­ graphen geregelt werden könnte. (Staatssekretär Dr. Freister: Den können wir viel schöner an die Grenze bringen!) — Wenn bei zeitlicher Zuchthausstrafe — das setze ich allerdings hierbei voraus — eine Achtung möglich ist, und der M ann würde wieder herauskommen, dann würde die Sache praktisch werden. M an kann ihn als lästigen Ausländer über die Grenze bringen. I n allen Fällen wird sich das nicht machen lasten. Auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus muß im S traf­ gesetzbuch ausgesprochen werden, daß der schwere Mißbrauch des Gastrechts dieses aufhebt und den T äter aus der Rechtsverkehrsgemeinschast in unserem Lande ausschließt. Dann soll die Testierfähigkeit ausgeschlosten werden. Die Frage, ob die früher errichteten Testa­ mente gültig sein sollen, verneine ich gerade aus dem Gedanken des letzten Willens heraus. Der Gedanke des Testamentes ist, daß der letzte Wille des Be­ treffenden gilt. Die Persönlichkeit besten, der testiert, wird fortdauernd gedacht bis zu dem Moment, wo der Erbfall eintritt. Wenn man sein Testament nicht widerruft, dann ist das auch noch nach 20 und 30 Jahren der letzte Wille des Betreffenden. Ich muß dann mir den M ann auf den letzten Willen hin an­

sehen, und der ist dann eben mit einer ganz anderen Persönlichkeit verknüpft, deren Willen die Rechts­ ordnung nicht respektieren kann. Den Verkehr mit einem Geächteten im Auslande von deutschen Staatsangehörigen würde ich auch be­ strafen. Ich kann nicht anerkennen, daß hier der ethische Gesichtspunkt der Freundschaft durchschlägt. Die ethische Verpflichtung, mit einem solchen aus der Volksgemeinschaft ausgestoßenen Menschen nicht zu verkehren, steht höher als die sittliche Pflicht, mit einem solchen Menschen als altem Freunde den Ver­ kehr nicht ganz abzubrechen. W ir wollen ja selber im Sinne des Herrn Staatssekretärs nahe Angehörige, Eheleute usw. ausschalten, das ist wohl auch berechtigt. Vor allem würde ein Verbot für solche nahen Ange­ hörigen praktisch gar nicht durchführbar sein. Aber durchführbar ist es gegenüber anderen deutschen Staatsangehörigen, die dem deutschen Namen Unehre machen, wenn sie mit einem M ann, der aus der deutschen Volksgemeinschaft ausgestoßen ist, im Aus­ land öffentlich verkehren. Um den Quasiächtungs-Paragraphen für die Aus­ länder zu rechtfertigen, möchte ich noch auf folgendes Hinweisen. Einen Ausländer würden wir für ehrlos erklären, wenn er hier mit zeitlicher Zuchthausstrafe bestraft wird. Die praktische Bedeutung der Ehren­ folgen ist gerade für den Ausländer sehr gering. Der Verlust der Fähigkeit, Titel und Orden zu erlangen, spielt bei ihm keine Rolle, auch nicht die Unfähigkeit, Schöffe oder Vormund zu sein; das kann er als Nicht­ deutscher so wie so nicht werden. Alles, was wir in den Bestimmungen über den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte haben, ist gegen den Ausländer ein Schlag ins Wasser. Wirksam kann der M ann nur durch Beseitigung seiner Geschäftsfähigkeit im deut­ schen Rechtsgebiete getroffen werden. (Staatssekretär Dr. Freister: Den befördern wir raus!) — Damit kann man alles machen. (Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Da heben wir das Gastrecht auf!) — E s sind auch Fälle denkbar, wo der M ann nicht hinausbefördert werden kann. Die Grenzen sind ge­ schloffen, es kann Krieg eintreten oder dergleichen. Dann müssen wir auch zu einem solchen Ausländer Stellung nehmen, den wir nicht hinauswerfen können. Deshalb sollte das Gesetz doch eine Beschränkung des Commercium vorsehen. Was sonst die Ehrloserklärung betrifft, so bin ich durchaus der wiederholt ausgesprochenen Meinung, daß die Ehrensolgen, wie wir sie in §§ 397 ff. des Entwurfs haben, unbedingt und nicht nur fakultativ mit Zuchthaus verbunden werden müssen. E s würde ein Rückschritt gegenüber dem geltenden Recht (§ 31 S tG B .) sein, wenn hier von F all zu Fall zu ent­ scheiden wäre, ob die Ehrensolgen zu verhängen sind oder nicht. W ir haben nur sehr wenig Ehrenfolgen, die obligatorisch an die Tatsache der Zuchthausstrafe geknüpft werden, in § 400 des Entwurfs. D as be­ deutet so gut wie gar nichts praktisch. Die Leute, die infolge ihrer Verurteilung zu Zuchthaus die Amts-

fähigkeit verlieren, stammen in der Regel aus Schichten, die Ämter nicht zu bekleiden Pflegen. M it Zuchthaus bestraften rückfälligen Dieben und anderen Berufsverbrechern muß unter allen Umständen ein Stigma ausgedrückt werden. D as kann dadurch ge­ schehen, daß die anderen Ehrenfolgen, die bisher von dem Entwurf noch nicht aus sie ausgedehnt sind, wie sie in § 398 stehen, aus sie ausgedehnt werden; denn die Leute dürfen natürlich nicht Vormünder, auch nicht Jnstrumentszeugen usw. sein. Was die Rehabilitierung anlangt, so stimme ich dem Gedanken des Herrn Kollegen Dahm zu, daß man hier nicht auf zeitlichen Verlust kommen sollte, sondern daß ein positiver Akt eintreten muß, um die Ehrlos­ erklärung zu beseitigen, ein Staatsakt, der feststellt, daß der M ann sich eine Zeit lang anständig geführt hat. Wenn einer für drei Jahre für ehrlos erklärt wird, ist er nach drei Jahren wieder im Vollbesitz seiner bürgerlichen Ehrenrechte, obwohl er seiner Ge­ sinnung nach noch ein Mensch ist, der das nicht ver­ dient. Darum muß ein Verfahren eingeführt werden, das den M ann rehabilitiert. Rehabilitiert kann er aber nur werden, wenn er sich bewährt hat und ein anderer Mensch geworden ist. Auch für Gefängnis muß wohl doch eine Möglich­ keit, gewisse Ehrenrechte abzusprechen, vorgesehen werden. Bisher haben wir da nur den § 400 Abs. 2 und den § 401. Da ist aber nur vom Verlust der öffentlichen Ämter die Rede. D as ist viel zu wenig; die Personen, die mit längeren Gefängnisstrafen be­ straft werden, machen sich sehr oft gar nichts daraus, daß sie kein öffentliches Amt bekleiden können. Sie müssen in anderer Weise getroffen werden. Sie dürfen, wie das die §§ 397 und 398 für Zuchthäusler vorschreiben, vor allen Dingen auch nicht das Recht haben, die Kokarde zu tragen und die Reichsfahne herauszustecken. Wenigstens muß das Gericht die Möglichkeit haben, wenn der Verurteilung zu einer mehr als einjährigen Gefängnisstrafe eine ehrlose Handlungsweise zugrundeliegt, diese Ehrenrechte ab­ zuerkennen. Professor Dr. Mezger: Zum Anwendungsgebiet der Achtung teile ich den Standpunkt des Herrn Kollegen Dahm, daß diese schwerste Strafe nur mit dem eigentlichen Verrat an der Volksgemeinschaft verbunden werden sollte. Selbst, gegenüber einem Räuber z. B. würde ich diese Form der Ehrenstrafe nicht für angezeigt erachten. Auch nach meiner Ansicht kann die Verbindung nur mit lebens­ langem Zuchthaus und nicht mit zeitlichem Zuchthaus stattfinden. Ich muß mich auch gegen den Vorschlag des Herrn Senatspräsidenten Klee wenden, die Ver­ bindung obligatorisch zu machen. E s ist doch so, daß durch die Landes- und Hochverratsbestimmungen mitunter auch Personen einbezogen werden, deren Verhalten an der Grenze des eigentlichen Verrats steht, die durch Verführung und durch Verleitung mit hineingekommen sind. Nur der wirkliche Verräter aber soll besonders stigmatisiert werden. Es ist gerade­ zu notwendig, die Fassung so zu lassen, wie sie ist, und die ganze S trafart eben nur aus eine besondere

Art von schwerstem Verbrechertum, auf den eigent­ lichen Verrat zu beschränken. Ich möchte zu Absatz 5 des § 395, der bisher nicht berührt worden ist, noch einem Bedenken Ausdruck geben, über das ich nicht hinwegkomme. Dieses Bedenken geht aus von dem Standpunkt, den seiner­ zeit Herr Staatssekretär Freisler sehr eindrucksvoll dargelegt hat, daß die lebenslange Zuchthausstrafe eine Strafe ist, mit der man sich innerlich kaum ab­ finden kann, wenn man sie wirklich ernst nimmt. Aber es mag sein, daß eine Nötigung besteht, diese Strafe im Gesetz vorzusehen. Es mag der Gesichtspunkt durch­ schlagen, daß die Todesstrafe nicht zu weit ausgedehnt werden soll, obgleich konsequenterweise in einem Fall, bei dem man wirklich das Zuchthaus als eine lebens­ lange Strafe meint, dies so gut wie Todesstrafe ist. Von diesem Standpunkt aus will es mir aber jedenfalls nicht einleuchten, in Absatz 5 von Arbeiten zu reden, die dem Verurteilten l e b e n s l a n g beson­ ders fühlbar die Schwere seines Verbrechens zum Bewußtsein bringen sollen. Ist das ein Gedanke, mit dem man innerlich wirklich einig sein kann? Es sind keine ästhetischen Bedenken, die gegen eine solche Be­ stimmung sprechen, wohl aber Bedenken, die sich aus der Würde und aus der Vornehmheit des strafenden S taates herleiten. Es widerstrebt einem, wenn im Gesetz steht, der lebenslänglich Eingeschlossene soll l e b e n s l ä n g l i c h nun auch noch b e s o n d e r s gequält werden. Ich ließe es mir gefallen, wenn im Strasvollzugsgesetz ein Geächteter innerhalb des Zuchthauses irgendwie differenziert wird. Aber so, wie es dasteht, kann es im Strafgesetzbuch m. E. nicht bleiben. W as die Ehrloserklärung anlangt, so teile ich den grundsätzlichen Standpunkt des Herrn Kollegen Dahm. M it der Zuchthausstrafe müssen mindestens die Wirkungen des § 397 obligatorisch verbunden werden. D as ist zugleich ein Mittel, die Ehrlosigkeit, die die Zuchthausstrafe zur Folge hat, deutlicher im Gesetze selbst zum Ausdruck zu bringen. Ich kann es mir nicht vorstellen, daß es beim bisherigen Recht bleibt, wonach etwa ein wegen Abtreibung zu Zucht­ haus verurteilter Arzt, wenn er die Zuchthausstrafe verbüßt hat, die Approbation als Arzt behält. D as muß schon im Gesetz zwingend ausgeschlossen sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin Ihnen, Herr Professor Mezger, sehr dank­ bar für die Anregung zu Abs. 5. Ich selber würde dieser Anregung sofort ohne jedes Bedenken beitreten. Ich finde es kleinlich und mit dem großen Format, das die Achtung hat, wirklich schwer vereinbar, im Gesetz zu sagen: Du mußt Arbeiten verrichten, die dir das Verwerfliche deiner Verfehlung besonders zum Bewußtsein bringen. Ich glaube auch, daß wir von denjenigen, die vom Ethos der Arbeit sprechen, nicht gut angesehen werden. Ich habe schon einmal gefragt: Welche Arbeiten sind das? Auf diese Frage sind wir in der Kommission zu keiner Antwort gekommen. Ich habe an die Disziplinarstrafen der Fremdenlegion er­ innert, die gewisse sehr üble und gesundheitsschädliche

Arbeiten als Zwangsarbeiten hat. Ich habe damals das Beispiel gebracht: D as Kanalräumen und Mist­ räumen ist eine Arbeit, die jeder Bauer machen muß, von der man nicht sagen kann, daß sie einen besonders degradierenden Charakter hat. Das Bild, das sich jetzt allmählich für den Aufbau der Achtung abzeichnet, ist so: E s finae an im § 383: Als Strafen kennt das Gesetz die Achtung, Todes­ strafe, Freiheitsstrafen, Vermögensstrafen und Ehren­ strafen, nicht „andere Ehrenstrafen", sondern Ehren­ strafen; denn die Achtung ist gar keine Ehrenstrafe. Eine Strafe, bei der ich meinen Kopf oder meine Freiheit verliere, kann ich nicht gut als Ehrenstrafe bezeichnen. Wenn wir die Achtung beschreiben und dem Dahmschen Vorschlag folgen würden: Der Mann wird geächtet und zum Tode oder zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, dann scheint mir der Gedanke, der uns damals aus der Betrachtung des Strafvoll­ zuges heraus veranlaßt hat, den Abs. 5 aufzunehmen, nicht recht notwendig zu sein. Reichsgerichtsrat Niethammer: Die Achtung kann nur gegenüber einem Verbre­ cher deutscher Staatsangehörigkeit in Frage kommen. I m übrigen hat sich aus der Verhandlung doch wohl ergeben, daß der S in n der Achtung es erfordert, sie auf gewisse ausgezeichnete Verbrechen zu beschränken. Der S inn der Achtung soll der sein: Der Täter hat sich an der Volksgemeinschaft so schwer vergangen, daß er sich selbst ausgeschlossen hat. D as muß zur Folge haben, daß die Achtung nur bei Verbrechen stattfindet, die sich unmittelbar und nicht nur mittel­ bar gegen die Volksgemeinschaft richten. D as ist der Gedanke, dem Prof. Dahm Ausdruck gegeben hat; ihm stimme ich bei. Ich habe dann Anlaß, gewisse Anmerkungen dar­ über zu machen, was Prof. Dahm sich unter anderem als Rechtsfolgen der Achtung vorstellt, daß nämlich nicht nur die Geschäftsfähigkeit, sondern auch die Rechtsfähigkeit verloren werde, daß der Geächtete überhaupt nicht mehr Träger von Rechten und Pflichten sein könne, daß seine Ehe von selbst aufhöre, und daß, wie Abs. 3 dies vorsieht, auch die weiter zurückliegenden letztwilligen Verfügungen unwirksam werden. Ich bitte, es m ir nicht zu verargen, wenn ich alles dieses als ein im bürgerlichen Recht erzogener Richter betrachte und vor alledem warne. D as gilt zunächst für den Verlust der Rechtsfähigkeit. Diese Frage ist von der Zivilabteilung eingehend geprüft worden; die Gründe, die sie gegen den Verlust der Rechts­ fähigkeit vorbringt, sind für den, der sich im bürger­ lichen Recht auskennt, überzeugend. D as nächste ist, daß die Ehe von selbst aufhören soll. Dem gegenüber möchte ich nicht nur die recht­ liche, sondern auch die kirchliche Seite erwähnen. Wir haben eine christliche Kirche, die daran festhält, daß die Ehe nicht gelöst werden kann. Daß hier eine Verletzung eintritt, ist unnötig. Und überdies, wenn die F rau dem, der geächtet und im Anschluß an die Achtung zum Tode verurteilt ist, vom Urteil ab noch,

bis er hingerichtet wird, die Treue wahren will, warum sollen wir das nicht zulassen? I n dieser Treue auch im Kleinen, in der engen Beziehung liegt doch etwas Deutsches. Wer im Engen treu ist, der ist für die Regel auch im Weiten treu. Schließlich kommt der dritte und letzte Vorschlag, die Unwirksamkeit letztwilliger Verfügungen. Um ihn zu begründen, wird gesagt, der Wille des Geächteten darf nicht mehr vollzogen werden, sein Wille gilt nicht mehr. Nun ist aber folgendes zu bedenken. Es gibt nicht nur einseitige, sondern auch zweiseitige letzt­ willige Verfügungen: den Erbvertrag. Wenn der Erb­ vertrag zehn Jah re vor der T at geschloffen ist und eine vollkommene Unantastbarkeit in sich trägt, wenn damals beide Beteiligte, der spätere Verbrecher und der andere Teil, ein in jeder Weise einwandfreies Leben führten, warum sollen wir den Willen des andern auch vernichten? D as sehe ich nicht ein. Dazu muß ich noch eines sagen: Die Achtung ist etwas so Schweres und Ernstes, warum sollen wir uns da lange mit Dingen abgeben, die im Grunde genommen eigentlich doch bloß wirtschaftlicher Art sind? Was liegt daran, ob ein Stück aus dem Vermögen des Ge­ ächteten schließlich noch frei herumläuft und an einen andern kommt? W ir dürfen nicht Rechtswirkungen mit der Achtung verknüpfen, die w ir hier — denn wir sind doch überwiegend Strafrichter und denken in strafrechtlichen Vorstellungen — nicht ganz über­ sehen können. Ich würde das vermeiden; es ist nicht nötig, es kann Erschwerungen nach sich ziehen. Zum andern möchte ich mich der Bitte des Herrn Prof. Mezger dringend anschließen, den Satz 2 des Abs. 5 wegzulassen. E r wirkt für jeden, der den Ernst der Achtung beachtet, nicht anziehend, sondern weit eher abstoßend. Uber die Ehrlosigkeit denke ich durchaus so, wie Herr Präsident Grau hier ausgeführt hat. Ich habe dem nichts beizufügen. Staatssekretär Dr. Freisler: Herr Professor Dahm hat die grundsätzliche Debatte der ersten Lesung wieder aufgegriffen. Ich habe das als Berichterstatter absichtlich nicht getan. Nun ist aber diese Debatte wieder aufgegriffen worden, und da kann ich mich Herrn Professor Dahm bezüglich der A c h t u n g nur in allen Punkten an­ schließen. Es ist zutreffend, daß in § 383 die Achtung an die Spitze zu stellen ist, allerdings nicht mit der Maßgabe, daß die Achtung nun nicht mehr als eine Ehrenstrafe angesehen wird. Eine Ehrenstrafe ist sie nach wie vor. Der S in n und die innere Bedeutung der Achtung besteht nicht aus dem ihr folgenden dauernden Eingeschlossensein im Zuchthaus oder in der Todesstrafe, sondern in der Ehrenausstreichung. Ob das in § 383 zum Ausdruck kommen muß, wird wesentlich davon abhängen, ob wir den Gedanken verwirklichen wollen, daß im § 383 auch ein Teil der Freiheitsstrafen als Ehrenstrafen bezeichnet wird. Ich glaube, wir sollten diesen Gedanken verwirklichen. Dann würde der Ausdruck „andere Ehrenstrafen" sowieso schon darin stehen. Jedenfalls hin ich dafür,

die Achtung in § 383 an der Spitze aller Strafarten, die wir haben, ausdrücklich zu erwähnen. Hinsichtlich ihres Umfanges möchte ich die Achtung auf Delikte mit V erratsnatur beschränken. D as be­ deutet, daß an die Stelle der formellen die materielle Umreißung der Achtungsfälle treten muß. Dann bin ich ebenfalls dafür, die Achtung im Ver­ hältnis zur Todesstrafe und zum lebenslangen Zucht­ haus als Hauptstrase zu bezeichnen und sie deshalb in den Strafdrohungen des Besonderen Teils auszu­ führen. Wenn die Achtung in den Strafdrohungen an erster Stelle genannt wird, dann kann nicht mehr die Meinung auskommen, als sei sie nur eine Nebenfolge einer Todes- oder lebenslänglichen Zuchthausstrafe. Was die Frage des Umfangs der Wirkungen an­ langt, so läßt sich grundsätzlich nicht sehr viel gegen den Wunsch von Herrn Professor Dahm sagen, die Rechtsunsähigkeit als Folge der Achtung auszu­ sprechen. Aber es läßt sich nur grundsätzlich nicht viel dagegen sagen. Praktisch scheint mir diese weitgehende Folge nicht richtig zu sein. Aber auch nach meiner Meinung ist der Geächtete in gewissem Umfange rechtsunsähig, nämlich insofern er unfähig ist, als S ub­ jekt höherer Rechte gedacht zu werden als derjenigen, zu bereit Ausübung die Geschäftsfähigkeit gehört. Ich denke dabei an die Rechte, die der vollwertige deutsche M ann hat, nämlich an sein Recht und seine Pflicht zur Mitwirkung im Volksleben und bei der Volksführung, also an allem, was auf öffentlich-rechtlichem Gebiete liegen würde. Davon abgesehen sollte man sich aber auf die Geschäftsunfähigkeit beschränken. Nun fragt es sich, ob die Geschäftsunfähigkeit rück­ wirkende Folgen haben soll. Ein Erbvertrag, der schon vorher geschlossen ist, kann natürlich nicht als nicht geschlossen angesehen werden, weil sonst jemand be­ troffen würde, der gar nichts mit der S traftat zu tun hat. Aber ich kann nicht anerkennen, daß der, zugunsten besten ein Testament errichtet ist, überhaupt schon eine Rechtsstellung hat. D a ist das Argument von Herrn Profeffor Klee juristisch schlagend, daß das Testament nur als l e tz t w i l l i g e Verfügung rechtliche Bedeu­ tung hat. W ir müssen deshalb das Testament so be­ trachten, daß es nicht dem Willen entspricht, der im Augenblick des Testierens bestand, sondern jeder Augenblick, in dem es nicht abgeändert ist, ist an sich ein neues Testieren, und wesentlich ist der Wille im letzten Augenblick des Lebens. D as scheint mir schon juristisch dazu zu führen, daß man nicht gut ein vor der S traftat errichtetes Testament als güttig ansehen kann. Aber auf diese juristische Begründung kommt es meines Erachtens weniger an. Ich bin der Meinung, mit dem Wesen der Achtung ist es nicht zu verein­ baren, daß ein vor der T at errichtetes Testament weiter Gültigkeit haben soll. W as nun die Frage der Bestrafung des Verkehrs mit dem Geächteten anlangt, so kann ich nicht aner­ kennen, daß mit Ausnahme der nächsten Verwandt­ schaft eine anzuerkennende Verpflichtung oder ein zu achtender Wunsch eines deutschen Volksgenossen be­ stehen könnte, mit einem Geächteten, der zwar aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen, aber doch noch ein

Mensch sei, weiter zu verkehren. Eine solche Betrach­ tungsweise halte ich für unmöglich. Ich kann natür­ lich mit jemand verkehren, der nicht zur Volksgemein­ schaft gehört, weil es eben anständige Menschen bei allen Völkern gibt. D as ist ja selbstverständlich. Aber einen achtenswerten Wunsch, mit jemand zu verkehren, der in schmachvollster Weise aus der Volksgemeinschaft herausgekommen ist, vermag ich nicht aus ethischen Gründen anzuerkennen, auch dann nicht, wenn jemand behauptet, eine Mission aus Rückgewinnung des Ver­ urteilten zu haben. Diesen wollen wir gar nicht zu­ rückgewinnen. E s besteht ein Bedürfnis, der Achtung des nicht in unserer Hand befindlichen Verurteilten, soweit wir das können, eine Folge zu geben, daß er fühlt, nicht mehr zur deutschen Volksgemeinschaft zu gehören. Es besteht also ein Bedürfnis, dem deutschen Volksgenossen zu verbieten, mit ihm zu verkehren. Einig bin ich mit Herrn Professor Dahm dahin, daß man den Begriff des Verkehrs etwas enger umreißen muß. Wahrscheinlich muß man ein normatives Ele­ ment einfügen: etwa „in anstößiger" oder „in einer mit der Tatsache der Achtung nicht in Einklang zu bringenden Weise" verkehrt. Damit würden auch die Bedenken hinfällig, die sich etwa daraus ergeben könnten, daß der Verurteilte in eine andere Volks­ gemeinschaft aufgenommen werden und dort sogar eine amtliche Stellung haben könnte, so daß man ge­ radezu gezwungen sein könnte, mit ihm zu verkehren. W as nun die E h r l o s e r k l ä r u n g anlangt, so kann ich mich mit den Vorschlägen von Herrn Professor Dahm nicht in vollem Umfang einverstan­ den erklären. Wenn ich Achtung und Ehrloserklärung als Ehrenstrafen ansehe, so ist es natürlich richtig, daß das, was ich grundsätzlich zur Achtung sage, auch grundsätzlich für die Ehrloserklärung gelten kann, ja vielleicht gelten muß. Aber daraus nun etwa zu folgern, diese Ehrloserklärung müsse grundsätzlich zeit­ lich unbeschränkt sein, scheint mir praktisch nicht richtig zu sein. Ich glaube auch nicht, daß es gerecht wäre, etwas Derartiges zu sagen. Ich erinnere mich eines Falles, der sich vor einigen Monaten abgespielt hat. Ein M ann von etwa 75 Jahren hatte ein Ver­ gehen begangen, das ihm drei Monate eingetragen hatte. E r siel nicht unter die letzte Amnestie, weil er vor mehr als 50 Jahren als etwa zwanzigjähriger M ann, ich glaube, eine Notzuchtshandlung begangen hatte. Natürlich kann man in einem solchen Fall helfen, und es ist auch geholfen worden. Diesem M ann, der nach seiner ersten S traftat ehrlich und anständig 50 Jah re lang gelebt und gearbeitet hatte, konnte man die vergangene T at nicht mehr zurechnen. Ich halte es deshalb nicht für richtig, die Ehrloserklärung so zu gestalten, daß sie dem Verurteilten für immer anhängt. I m Gegenteil, die Vorstellung, die wir von dieser Ehrenstrase haben, ist doch die, daß der Verurteilte, wenn auch in langer Zeit, wieder zu einem achtbaren Gliede der Volksgemeinschaft werden kann, aus der wir ihn ja auch nicht weiter ausge­ schlossen haben. Nun gebe ich zu, daß es nicht gerade sehr schön ist, die Ehrloserklärung auf zwei bis zehn Jahre auszu-

sprechen. I m Grunde ist ja das, was wir unter Ehr­ loserklärung verstehen, auch gar nicht eine Ehrlos­ erklärung auf zwei bis zehn Jahre. Denn es treten zunächst einmal Folgen für immer ein; das ist das Prim äre. Diese Folgen irgendwie zeitlich zu be­ grenzen, ist schon innerlich widersinnig. Natürlich be­ kommt der Verurteilte nach zehn Jahren sein Amt nicht wieder. Daneben aber sagt der Richter bei Be­ trachtung dieser Persönlichkeit, seiner T at und der zu erwartenden Zukunstsentwicklung: B is du wieder bestimmte Stellungen im Volk mit Erfolg überhaupt sollst anstreben dürfen, sollst du nach verbüßter Strafe zwei oder fünf oder zehn Jahre warten. D as scheint mix ganz richtig zu sein. Ich darf auch daraus hin­ weisen, daß sehr viele mitbeteiligte Stellen — hier ist eine ganze Reihe anderer Stellen mitbeteiligt — sich mit dieser Regelung der Ehrloserklärung nur unter der Voraussetzung ihrer zeitlichen Beschränkung und auch unter der Voraussetzung, daß ihre Folgen nicht für alle Zuchthäusler gelten, einverstanden er­ klärt haben. D as bitte ich einmal zu bedenken. Unter § 397 Abs. 3 fällt auch die Zugehörigkeit zur Arbeits­ front. Wenn S ie die Unfähigkeit, der Arbeitsfront anzugehören, für alle Zuchthäusler gelten lassen wollen; so machen S ie es diesen Leuten unmöglich, überhaupt wieder in irgendeine Stellung hineinzu­ kommen. Es scheint mir deshalb, daß der Ausbau der Ehrloserklärung so richtig ist, wie wir ihn vorge­ nommen haben. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr Staatssekretär Dr. Freister hat gesagt, die Ausführungen von Senatspräsident Klee, ein zurück­ liegendes Testament wäre nicht der letzte Wille, wären ein juristisch schlagendes Argument. Ich darf einen Gegenschlag versuchen. Ein M ann errichtet in völliger geistiger Frische ein Testament. Nach drei Jahren wird er geisteskrank. M an kann den E intritt der Geistes­ krankheit infolge einer Kopfverletzung aus Tag und Stunde feststellen. Is t es selbstverständlich, daß dann das Testament nicht gelten soll? Wenn wir dann zwischen der einseitigen und der zweiseitigen letztwilligen Verfügung aufspalten, so wird das eine sehr komplizierte Angelegenheit. Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: Ich trete bezüglich der Achtung in vollem Umfange Herrn Professor Dahm bei. Was § 395 Abs. 5 be­ trifft, so würde ich den Satz über die Arbeiten und die Schwere und Verwerflichkeit der Verfehlung heraus­ nehmen. Die Strafverschärfung würde ich in § 388 hineinnehmen, wo die Strafverschärfungen erwähnt sind. Ich würde sagen: I m Fall der Achtung ist aus Strafverschärfung zu erkennen. M an kann sich nicht gut denken, daß jemand, der geächtet wird, nicht die im Gesetz vorgesehene schwerste Form der S trafe er­ hält. Darum muß die Strafverschärfung bleiben. Das andere könnte wie eine kleinliche Schikane wirken. W as das Testament betrifft, so ist zu sagen, daß der T äter ja noch am Vorabend der Tat sein Testament

machen kann. Aber das ist vielleicht zu weit gedacht. (Reichsjustizminister D r. Gürtner: Bezieht sich I h r Einverständnis mit Prof. Dahm auch auf die Frage der Rechtsfähigkeit?) — Ich bin persönlich der Ansicht, daß man konse­ quenterweise so weit gehen müßte. (Reichsjustizminister D r. Gürtner: Aus diesem Konjunktiv „müßte" ist zu entnehmen, — ) — daß Herr Professor Dahm in dieser Beziehung allein auf weiter F lu r steht. Aber ich kann nicht leugnen, daß ich diese Ansicht für richtig halte. Professor Dr. Nagler: Ich halte es für eine glückliche Lösung, daß die Achtung sich verselbständigt, also zur Ausstoßung aus der Volksgemeinschaft sich ausweitet und in ihrer Konsequenz zur Todes- oder lebenslänglichen Zucht­ hausstrafe führt. § 395 Abs. 4 müssen wir dann aufrechterhalten. E r stimmt sehr gut zu dem Achtungsgedanken. Die Zucht­ hausstrafe, welche als Folge der Achtung eintritt, muß obligatorisch mit dieser Verschärfung ausgestattet sein und sich von anderen Strafen artmäßig abheben. Wenn wir die Achtung so schneidig gestalten, kann natürlich der Umfang, in dem wir sie zur Anwendung bringen, nur relativ gering sein. Ich halte es für ganz richtig, daß Herr Kollege Kohlrausch ihre Speziali­ sierung auf die Verratsverbrechen beantragt hat. Ich würde selbst Mord und dergleichen in diesen Zusam­ menhang nicht hineinbringen. M it dem Radikalismus des Herrn Kollegen Dahm kann ich mich allerdings nicht einverstanden erklären. Ich gebe zu, daß seine Deduktion sehr besticht. Aber ich glaube, der servus poenae, aus den er doch schließ­ lich hinauskommt, ist nicht diskutabel. Die Vernich­ tung der Rechtspersönlichkeit ist nicht durchführbar. D as hat zu Ansang des 19. Jahrhunderts z. B. Bayern verspürt, als es den bürgerlichen Tod ein­ führte und sich sehr schnell an allen Ecken und Enden ergab, daß praktisch damit nicht auszukommen ist. W ir werden uns damit bescheiden müssen, daß wir dem Geächteten nur die Geschäftsfähigkeit nehmen. Die Degradation der Persönlichkeit, die darin liegt, ist doch wahrhaftig schon hart genug! Diese Degradation kann nach meinem Dafür­ halten aber nicht rückwärts bezogen werden. S ie kann nur eintreten ex nunc und nicht ex tune. Dahin ging doch bisher unser aller Auffassung. Ich glaube schon aus Gründen des bürgerlichen Rechts ist es nicht möglich, daß wir die Aberkennung der Geschäfts­ fähigkeit schon an den Augenblick der T at anknüpfen. W ir kennen übrigens schon jetzt Rechtserscheinungen, die auch automatisch Rechtsminderungen mit der T at­ begehung eintreten lassen. Ich erinnere an die excom m unicatio latae sen ten tiae des kanonischen Rechts. Bei bestimmten Delikten gilt der Täter ohne weiteres als exkommuniziert, ohne daß dazu erst noch ein Gerichtsurteil notwendig wird. Aber selbst im kanonischen Recht kann die Rückdatierung aus die T at­ begehung kaum wirklich durchgeführt werden.

Nun schien es mir so, als ob Herr Staatssekretär Freister wenigstens die Lestiersähigkeit ex tu n e dem T äter nehmen will. Wenn schon, dann müßte man die Geschäftsfähigkeit im ganzen von jenem Augen­ blicke an auslöschen. Diese Regelung halte ich prak­ tisch nicht für zweckmäßig oder möglich, ich würde also auch die eine Ausnahme, die Vordatierung der Testier­ unfähigkeit nicht befürworten. W as das Testament des Geächteten anlangt, so glaube ich nicht, daß man es für null und nichtig erklären kann. D as ausgeworfene Problem ist nach meinem Dafürhalten freilich genau sowenig befriedi­ gend wie die rechtliche Behandlung des Testaments des Geisteskranken. Es kann sein, daß das Testament sehr vernünftig war und auch in dem Augenblick, wo dann der Testator stirbt, noch eine sehr gute und ver­ nünftige Regelung enthält. Es kann aber ebenfalls auch sich ergeben, daß das Testament beim Todesfall sachlich längst überholt ist; da der Testator die Testiersähigkeit nicht mehr hatte, konnte er das Testament nicht mehr zeitgemäß korrigieren. Ich bin also der Meinung, das Problem als solches wird auch für den Geächteten überhaupt nicht befriedigend gelöst werden. Gleichwohl würde ich mich dafür entscheiden, ein schon vorhandenes Testament aufrechtzuerhalten. Es wird wohl in der Regel auch noch am Todestag des Geächteten eine verständige und sachgemäße Ergän­ zung des gesetzlichen Erbfolgerechts enthalten. Gewiß kann die Vermögenseinziehung inzwischen wirksam geworden sein; sie kann also das Testament eigentlich gegenstandslos gemacht haben. Aber es kann dem Geächteten auch einmal nachträglich ein neues Ver­ mögen angefallen sein; dieses neu anfallende Ver­ mögen fällt doch wohl nicht unter die Vermögens­ einziehung. Ich würde deshalb dafür plädieren, daß wir an der bloß konstitutiven Wirkung des Achtungsurteils in jeder Hinsicht festhalten. Andererseits bin ich sehr dafür, daß wir den Ver­ kehr mit dem Geächteten unterbinden und auch unter Strafe stellen. Nach meinem Dafürhalten ist unter allen Umständen der geschäftliche Verkehr darunter zu begreifen, aber auch der persönliche Verkehr in ziem­ lich weitem Umfange. Wenn w ir den Tatbestand des verbotenen Umgangs mit dem Geächteten entwickeln sollten, werden wir natürlich den Beistand des Geistlichen und des Arztes in irgendwelcher Form herausnehmen, ebenso auch jede ehrliche Einwirkung auf den Geäch­ teten, damit er durch eine verdienstliche Handlung wieder die Rückkehr zur Volksgemeinschaft findet. W as die Ehrloserklärung anlangt, so erscheint es mir nützlich, daß wir den Zuchthäuslern bestimmte Ehrenrechte nehmen, im übrigen aber von F all zu Fall unterscheiden. Die Zuchthäusler stellen doch nicht samt und sonders ein und denselben Verbrechertyp dar. Es gibt doch z. B. auch eine Reihe von Affekt­ verbrechern, die wir ins Zuchthaus schicken müssen. Alle diese Leute mit der Ehrlosigkeit zu stigmatisieren, geht nicht an. Ich würde mich also dem Herrn S ta a ts­

sekretär Freister anschließen, auch seinen Vorschlägen auf anderweitige Anordnung des M aterials. Professor Dr. Kohlrausch: Zu § 398 Abs. 5: Sollten wir nicht die Gelegen­ heit benutzen, um hier die Reichs- oder Landeskokarde zu beseitigen? Schon die Bestimmung des geltenden Rechts in § 34, wonach der Betreffende das Recht verliert, die Landeskokarde zu tragen, ist ja gegen­ standslos geworden. F ü r Soldaten kommt sie nicht mehr in Frage, weil sie dem Militärstrafgesetzbuch unterliegen, für Beamte würde das aus anderen Be­ stimmungen folgern, und das Recht von Privaten, irgendwelche Abzeichen anzulegen, soll wohl nicht berührt werden. Dieses Residuum ließe sich wohl streichen. Zweitens wollte ich sagen, daß wir selbstverständ­ lich unterscheiden müssen zwischen den Folgen, die sich automatisch an das Zuchthaus anschließen, und denen, aus die besonders erkannt werden kann. Uber die erste Kategorie ist noch nicht berichtet worden und sollte wohl noch nicht verhandelt werden; das sind die §§ 400 ff., in denen sehr viel Wichtiges und vielleicht auch Ergänzungsbedürftiges steht. Meiner Ansicht nach müßten diese Bestimmungen dann vorgenommen und unmittelbar an die Regelung der Freiheitsstrafen angeschlossen werden. Zu der wichtigsten Frage kann ich mich nur wiederholen. Mein Vorschlag zu § 395 Abs. 1, die Achtung auf typische, bestimmt zu nennende Verrats­ fälle zu beschränken, wird offenbar allgemein gebilligt. Ich stimme ferner mit Herrn Kollegen Mezger für die Streichung des Satzes: „E r ist nach Möglichkeit zu Arbeiten zu verwenden, welche ihm die schwere Verwerflichkeit seiner Verfehlung besonders zum Be­ wußtsein bringen". W as daran richtig ist, wird von selber im Strafvollzug geschehen. Was darüber hin­ ausgeht, klingt kleinlich. Ausdrücklich möchte ich noch einmal an meinem Standpunkt festhalten, daß es meinem Gefühl nicht entspricht, den Verkehr mit dem Geächteten unter Strafe zu stellen. D as ist eine grundsätzliche Frage, und deshalb bitte ich, mich wiederholen zu dürfen. Ich stelle mir zwei Kriegsfreunde vor, die Jah re hindurch dem Tod gegenübergestanden und sich da fürs Leben verbunden haben. Nach dem Kriege haben sich ihre Wege getrennt. Der eine ist Kommunist geworden, hat ein schweres politisches Verbrechen begangen, für das er geächtet wird. E r flieht ins Ausland. Sein Kriegssreund trifft ihn in P a ris als einen voll­ kommen heruntergekommenen, halb verhungerten Menschen, schenkt ihm etwas Geld, einen Anzug, und lädt ihn ein paarmal zum warmen Mittagessen ein usw., ohne sich irgendwie innerlich mit ihm zu identi­ fizieren. Ich meine, es liegt nicht mehr in der Zu­ ständigkeit des Rechts, ihm hieraus einen Vorwurf zu machen; die Treue gegen sein Volk bricht er nicht dadurch, daß er seinem Freund aus der Not hilft, wenn der auch seinerseits die Treue gegen das Volk ge­ brochen hat. S o können wir doch die Schuld sich nicht fortpflanzen lassen und geradezu für infektiös erklären.

Kollege Dahm hat schon gesagt: E s kann natürlich nicht verboten werden, mit ihm eine Tasse Kaffee zu trinken. Staatssekretär Freister hat gemeint, man müßte vielleicht das Düterium aufnehmen: I n besonders anstößiger Weise. Diese Konzessionen beweisen mir, daß wir im Begriff sind, hier zu weit zu gehen. Ich bin also nicht dafür, dieses mittelalter­ liche Verbot des Hausens und Hofens, über das übrigens auch geschichtlich manches zu sagen wäre, hier wieder aufleben zu lassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei diesem Tatbestand — er könnte ja nicht hier erscheinen, sondern müßte irgendwo im Besonderen T eil aufgenommen werden, bei der Verletzung der Ehre des deutschen Volkes oder der Treuepflicht oder bei der Begünstigung — haben wir alle das Gefühl: E s genügt nicht, einfach von einem Verkehren zn sprechen, sondern man müßte dieses Verkehren mit einem Attribut ausstatten. D as ist der Gedanke der Herren Freister und Dahm gewesen. Die Meinungs­ verschiedenheiten würden sich leichter klären, wenn man sich überlegen würde, welches Attribut dieser Verkehr haben soll. Ich will einmal ein sehr starkes W ort nehmen: I n einer Weise in Verbindung tritt, die mit dem Ansehen des deutschen Volkes unverein­ bar ist oder die eine Verletzung der Treuepslicht gegen das deutsche Volk darstellt. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Öffent­ lich würde schon genügen.) Professor Dr. Kohlrausch: Ich bin durch die Vorredner nicht überzeugt worden. Hier maßt sich der S ta a t ein Urteil über mein Inneres an, welches ich ihm innerlich nicht zu­ erkenne. Gewiß, der Täter würde die S trafe hin­ nehmen; er würde aber in eine Trotzstellung zum S ta a t geraten und würde sagen: Hier hast du deine Kompetenzen überschritten. Professor Dr. Schajfstein: Ich möchte zunächst über die Frage sprechen, für welche Delikte die Achtung vorzusehen ist. Hier sind bisher immer die eigentlichen Berratsdelikte, Hoch­ verrat und Landesverrat, genannt worden. M an sollte sich aber überlegen, ob nicht noch einige andere Delikte in Frage kommen. Ich denke z. B. an die besonders ßemeingefährlichen Verbrechen des § 234. Wenn jemand ein ganzes Dorf, einen Stadtteil oder ein Schiff ansteckt oder zur Explosion bringt, so wäre wohl die Achtung am Platze; denn auch hier handelt es sich um ein Delikt, das unmittelbar das Verhältnis des Täters zur Volksgemeinschaft berührt. I n der zweiten Frage, ob durch die Achtung auch die Rechtsfähigkeit verlorengehen soll, bin ich durch­ aus der Auffassung von Herrn Dahm. Triftige Gründe dagegen könnten kaum angeführt werden. Sieht man sich einmal die Gutachten der Zivil­ abteilung des Ministeriums durch, so findet man, daß abgesehen von der Frage der Auflösung der Ehe, über die man ja besonders sprechen könnte, vor allem zwei Bedenken geltend gemacht werden könnten, nämlich

einmal Komplikationen, wenn die mit der Achtung verbundene Dauerzuchthausstrafe in eine zeitige umge­ wandelt werden würde, oder wenn der Geächtete aus der Strafanstalt entweicht. M an muß indessen davon ausgehen, daß der Geächtete, soweit er sich überhaupt in Deutschland aufhält, sich in Verwahrung befindet, und daß die übrigen Fälle ganz seltene Ausnahme­ fälle darstellen. Bei der Umwandlung in eine zeitige Zuchthausstrafe, die doch nur im Wege der Begnadi­ gung von der Strafe der Achtung denkbar wäre, könnte immer noch eine Sonderregelung Platz greisen; vor allem würde dann die Achtung selbst wegfallen können und die Rechtsfähigkeit wieder hergestellt werden. Natürlich würde das Vermögen möglicher­ weise verloren, an die Erben verteilt und nicht mehr greifbar sein. Ich sehe aber darin keine wesentlichen Nachteile. Soweit wirklich Unbilligkeiten und Schwierigkeiten entstehen würden, könnte man sich im Falle des Wiederaufnahmeverfahrens, eventuell auch bei der Begnadigung dadurch helfen, daß man eine Entschädigung aus der Staatskasse zahlt, wie man es bei der Wiederaufnahme ohnehin möglicherweise tun muß. Warum sollte man es dann in den ganz seltenen Achtungsfällen nicht auch noch tun? Der Fiskus wird dadurch wirklich nicht sehr beschwert werden. Ich sehe also nicht ein, warum man aus diesen praktisch gar nicht so bedeutsamen Bedenken nun ein Argument gegen den Verlust der Rechtsfähig­ keit herleiten soll. (Reichsjustizminister Dr. G ürtner: S ie würden also im Augenblick der Rechtsfähigkeit des Urteils den M ann beerben lassen?) — J a . I n der Frage der Auflösung der Ehe könnte man allerdings eine andere Stellung einnehmen. Ich meinerseits hätte kein Bedenken, auch die Auflösung der Ehe durchzuführen. Aber es mag sein, daß da vielleicht kirchenpolitische Fragen zu einer anderen Lösung führen müssen. Hinsichtlich der Frage des Verkehrs mit dem Ge­ ächteten würde ich ganz entschieden für eine S tra f­ bestimmung in dem Besonderen Teil bei anstößigem oder mindestens bei öffentlichem, besonders anstößigem Verkehr eintreten. Gerade bei der Kontumazialverurteilung würde der Geächtete durch eine solche Strafandrohung besonders fühlbar getroffen werden. Dann ein Wort zu § 395 Abs. 5. Ich bin auch dafür, den zweiten Satz dieses Absatzes zu streichen. E s müßte dann aber im Strasvollzugsgesetz eine Be­ stimmung getroffen werden, daß dem Geächteten nicht etwa besonders angenehme Arbeiten im Strafvollzug zugewiesen werden dürfen. Bisher ist es doch viel­ fach so gehandhabt worden, daß Landesverräter und Hochverräter, die ja häufig Intellektuelle sind, in den Bibliotheken der Strafanstalten oder bei ähnlichen Beschäftigungen verwandt worden sind. Bei Besichti­ gungen von Zuchthäusern habe ich wiederholt ge­ funden, daß Hochverräter und Landesverräter in den Bibliotheken, auf dem Büro oder sonstwo beschäftigt wurden. D arin liegt eine Gefahr, die jetzt durch diesen zweiten Satz ausgeschlossen war und die in Zukunft

durch das Strasvollzugsgesetz ausgeschloffen werden müßte, indem etwa vorgeschrieben wird, daß für Ge­ ächtete nicht eine besonders privilegierte Art der Arbeit in Frage kommt. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as waren wohl preußische Anstalten?) — Preußische und thüringische. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist darauf zurückzuführen, daß wir in Preußen aus der Idee des Gesinnungstäters heraus ganz besonders ausgeprägte Vorschriften ge­ habt haben; mit der Verminderung der Breitengrade nach Süden ist das anders gewesen.) — Aber auch wenn man keinerlei besondere Privile­ gierung des Uberzeugungsverbrechers im Strafvoll­ zug anerkennt, liegt es doch nahe, daß solche Intellek­ tuellen schon wegen ihrer Fähigkeit zu solchen Arbeiten benutzt werden. Ich könnte mir denken, daß solche Leute gerade im Büro oder bei Schreibarbeiten verwendet werden. D as würde m. E. dem S in n der Achtung widersprechen. Zum Schluß noch ein Wort zur Frage der zeit­ lichen Begrenzung der Ehrloserklärung! Ich stimme hier den Ausführungen von Staatssekretär Freister durchaus zu, möchte aber noch einmal die Frage aus­ werfen, ob man diesen Bedenken nicht besser durch die Einführung einer ausdrücklichen Rehabilitierung Rechnung tragen kann. Ich denke mir das etwa so, daß die zeitliche Begrenzung der Ehrloserklärung die Folge hatte, daß das Gericht nach Ablauf dieser Zeit die Frage der Rehabilitierung noch einmal prüft. Vielleicht könnte man sogar nach einer weiteren Frist eine solche Nachprüfung noch einmal vornehmen lassen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nach dem Vorbild der Sicherungsverwahrung.) — D as hätte den großen Vorzug, daß man damit zugleich für den für ehrlos Erklärten einen Anreiz schassen würde, sich durch besonderes Wohlverhalten wieder die Ehre zurückzugewinnen. D as hätte gerade auch kriminalpolitisch durchaus erfreuliche Wirkungen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S ie gehen aber auch davon aus, daß an die Zuchthaus­ strafe bestimmte Folgen als dauernd geknüpft werden, z. B. der Verlust der Ämter, und daß das, was wir Ehrloserklärung nennen, eine Absprechung von Fähigkeiten, von Tauglich­ keiten ist, nicht von Besitz.) — Aus der Formulierung müßte hervorgehen, daß dieser Verlust an sich zeitlich unbegrenzt ist oder zum mindesten sein kann, daß aber dann eine zeitliche Be­ grenzung insofern herbeigeführt werden kann, als nach einer bestimmten Zeit noch einmal nachgeprüft werden muß, ob die Ehre wiedergewonnen ist. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist ge­ nau das Vorbild der Sicherungsverwahrung.)

Professor Dr. Dahm: Z ur Frage der Rechtsfähigkeit kann ich nur wiederholen, daß die vorgebrachten Bedenken nicht durchschlagend sind. M an hat auf den F all hinge­ wiesen, daß der Geächtete aus dem Zuchthaus ent­ kommt. Dann scheinen sich in der T at Schwierigkeiten zu ergeben, aber diese Schwierigkeiten beziehen sich doch mehr auf den Mangel der Geschäftsfähigkeit als aus den Mangel der Rechtsfähigkeit. Geschäfte, die ein solcher M ann abschließt, erweisen sich später als ungültig, aber das kommt ja auch sonst vor. W as aber die Wiederaufnahme des Verfahrens angeht, so ist daraus hinzuweisen, daß schon dem geltenden bürgerlichen Recht die Vorstellung eines Menschen, der zunächst die Rechtsfähigkeit scheinbar oder wirklich verloren hatte, dann aber in das Rechts­ leben zurückkehrt, nicht vollkommen fremd ist. S o regelt das BGB. den Fall, daß jemand, der für tot erklärt worden ist, wieder zurückkehrt. Ebenso könnten wir den Fall regeln, daß der Geächtete später ins bürgerliche Leben zurückkehrt. Darum muß ich schon sagen, daß die Beweislast auf der andern Seite liegt. Denn dem Grundgedanken der Achtung entspricht die Beseitigung der Rechtsfähigkeit. Wer diese Folge­ rung ablehnt, müßte schon zwingende Gründe dagegen ins Feld führen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nachdem über den Punkt Rechtsfähigkeit so starke Argumente von Kiel vorgebracht worden sind, darf ich auch noch eines sagen. Ich hatte vorhin denööergleich gezogen zwischen dem M ann, der aus geistigen, körperlichen und seelischen Gründen nicht geschäfts­ fähig sein kann, und dem, der aus Defekten des Willens und Charakters nicht geschäftsfähig sein soll. F ü r mich ist es etwas schwer, in Ih ren Gedankengang hineinzukommen. Die Toterklärung kann hier nicht als Beispiel dafür gegeben werden, daß irgendein Geschöpf, das Menschenantlitz trägt, nicht rechtsfähig ist. Den Gedanken gibt es zur Zeit nicht. S ie können sich einen Kretin vorstellen, der sich äußerlich unvor­ teilhaft vom Tier unterscheidet und geistig sogar unter dem Niveau des Tieres steht; der ist aber doch ganz unbestritten und anerkanntermaßen Subjekt der Rechtsordnung. Da fällt es mir natürlich schwer, Ih re n Weg zu gehen; denn dann hat mein Vergleich gar keine Beweiskraft mehr. E s ist mir vorläufig noch nicht klar, aus welchen anderen als dogmatischen Gründen man auf die Rechtsunfähigkeit abkommen müßte und sich nicht mit der Geschäftsunfähigkeit be­ gnügen könnte. Die Toterklärung entspringt aus einem ganz anderen Grunde: Der M ann wird so be­ handelt, wie wenn er gestorben wäre, weil unsere Erkenntnisquellen nicht absolut sicher sind. Wir müssen da einen Punkt setzen; sonst würden 100 oder 1000 nicht mehr leben. Hier aber handelt es sich um einen Willensakt, hier will ich einem Menschen der Rechtsfähigkeit durch einen Willensakt der S ta a ts­ gewalt entkleiden, und das scheint mir in all unserm Denken keinen Anschluß und kein Vorbild zu haben.

Staatssekretär Dr. Freister: Ich bin nach wie vor der Meinung, daß wir die Rechtsunsähigkeit als Folge der Achtung nicht auf­ nehmen können. Früher hat man sich einmal die Frage überlegt, ob der bürgerliche Tod im Sinne der Aushebung der Rechtsfähigkeit der Staatsgewalt überhaupt noch die Begnadigungsmöglichkeit gibt, und man hat diese Frage sogar verneint; denn einen Toten könne man im Gnadenwege nicht wieder lebendig machen. Darüber könnte man vielleicht noch hinwegkommen. Bor einem absoluten Widerspruch anderer Stellen stehen wir aber z. B. auf dem Gebiete der öffentlichen Versicherungen. Die Anwartschaft der Ehefrau auf die Hinterbliebenenversorgung kann jetzt nur aufrechterhalten werden, wenn aus betn Arbeits­ ertrag des Gefangenen die entsprechenden M ittel abge­ zweigt werden. Eine Änderung dieses Rechtszu­ standes ist kategorisch abgelehnt worden, da sonst 20 oder 30 Bestimmungen der Reichsversicherungs­ ordnung und der Vorschriften über den Lastenausgleich mit den Fürsorgeverbänden geändert werden müßten. M it einem Aufhören dieser Anwartschaften im Falle der Achtung könne man sich keineswegs abfinden. Nun steckt aber in dem Gedanken von Herrn Professor Dahm doch etwas Richtiges. Ich habe vor­ hin schon gesagt, daß ich auch bei unserer Regelung den Verurteilten für öffentlich und politisch rechtlos halte. Denn derjenige, der aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen ist, der damit das Staatsbürgerrecht verloren hat und es, weil er geächtet ist, nie wieder bekommen kann, scheint mir allerdings politisch rechtsunsähig zu sein. Zivilistisch aber möchte ich den Geäch­ teten doch nur für geschäftsunfähig erklären. Ministerialdirektor Schäfer: Denken Sie, wenn S ie die Rechtsfähigkeit zer­ stören wollen, auch an die Zerstörung der Pflichten, die der Betreffende eventuell hat! Es bestehen doch vielleicht Unterhaltspflichten; diese gehen nicht alle auf den Nachlaß über. Unterhaltspflichten setzen doch bis zu einem gewissen Grade voraus, daß der Unter­ haltspflichtige lebt. S ie betrachten ihn aber als ge­ storben. S ie müssen also weitere Bestimmungen dar­ über treffen, was z. B. aus solchen Unterhaltspflichten des unehelichen Vaters werden soll. D as ergibt Komplikationen, wenn beispielsweise der Nachlaß auf einen weiteren Seitenverwandten übergegangen ist; dieser hat keine Unterhaltspflichten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an kann behaupten, daß die Vorstellung, daß ein lebendiger Mensch rechtsunfähig ist, in unserem ganzen Rechtsdenken überhaupt keinen Anschluß hat, und wenn man so etwas ausspricht, kann man die Aus­ strahlungen auf alle Rechtsgebiete gar nicht übersehen. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der Be­ treffende ist doch strafrechtlich gegen allerlei Verletzungen schutzfähig; es ist ein unmöglicher Gedanke, daß man ihn für vogelfrei erklärt.)

Ich würde vorschlagen, jetzt bei § 400 unserer Prägung fortzufahren: Verlust der Amtsfähigkeit. Berichterstatter Staatssekretär D r. Freister: Bezüglich des V e r l u s t e s d e r A m t s s ä h i g k e i t schließe ich mich den Abteilungsvorschlägen an. Es ergibt sich aus dem bisherigen Aufbau, wenn wir ihn so lassen sollten, daß wir von dem Verlust der Amtsfähigkeit nur sprechen können bei Verurteilung zum Tode und zu lebenslangem und zeitigem Zucht­ haus. W ir haben den Verlust der Amtsfähigkeit inso­ weit als eine automatische Folge ausgebaut, und dies sollte auch so bleiben. Die Ehrenstrafe im § 400 Abs. 2 scheint mir eine besondere Ehrenstrafe zu sein, nämlich die des A m t s v e r l u st e s ; ich bitte, sie deshalb als besondere Strafvorschrift einzuschieben. Diese Bestimmung wird aber inhaltlich zu ändern sein, einmal dahin, daß der Amtsverlust schon bei einjährigen Gefängnisstrafen eintritt, weil das gerade ein sehr häufiger Fall ist. Zweitens sollte die Bestimmung beschränkt werden auf Vorsatzdelikte. D as entspricht einer hier eingegangenen, meiner Ansicht nach berechtigten Eingabe des Verbandes der Lokomotivführer. Aus § 403 würde ich die Kirchenämter heraus­ nehmen. Denn die Kirchen wünschen ja, ihre In te r­ essen selbst wahrzunehmen. Zu § 404 habe ich inhaltlich nichts auszuführen. Es entsteht lediglich die Frage, ob diese Bestimmung im Beamtengesetz oder hier stehen soll. Ich meine, sie sollte sich mit gleichem In h a lt sowohl hier wie dort befinden; ich bin also dafür, daß w ir sie hier stehen lassen. Zu § 405, V e r l u s t d e s W a h l - u n d S t i m m r e c h t s , wirst die Abteilung die Frage auf, ob diese Vorschrift überhaupt nötig sei, und ob sie nicht verknüpft werden sollte mit dem Verlust der Amtsfähigkeit. Ich glaube, man sollte beides gesondert belassen. I m übrigen halte ich den Aufbau dieser Vorschrift nicht für sehr schön. Die beiden Fälle in Absatz 1 sind grundsätzlich verschieden. Der eine ist eine automatische Folge, der andere eine besondere Strafe neben der Freiheitsstrafe. W ir sollten auch äußerlich beide Fälle mehr voneinander scheiden und den zweiten Fall näher an den F all des Absatz 2 angleichen. I m übrigen habe ich hierzu und zu § 406 im Rahmen der Berichterstattung nichts weiter zu sagen. Zu § 407, Bekanntmachung, habe ich lediglich zu erklären, daß der Gedanke der Anprangerung darin in einer viel zu farblosen Weise zum Ausdruck kommt, daß also die Vorschrift eine praktischere Fassung be­ kommen müßte. Ich nehme aber an, daß H 407 nicht in den Kreis der jetzt zu besprechenden Vorschriften hineingehört, und will deshalb augenblicklich nichts weiter dazu ausführen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn wir daraus abkommen, an die Zuchthaus­ strafe obligatorisch gewisse Folgen zu knüpfen, so

ergeben sich gewisse Faffungsänderungen daraus. M ir ist noch nicht ganz klar, wie man das machen soll. Vorn würde z. B. stehen: M it der Zuchthausstrafe ist de facto verbunden Amtsunfähigkeit, Verlust des Wahl- und Stimmrechts, oder sagen wir bloß: Die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden. Wie müßte dann, wenn das vorausgeht, § 400 lauten? Dann könnte doch nur der Absatz 2 stehen bleiben. (Staatssekretär Dr. Freister: Jaw ohl, bei mehr als einem Jah r. Aber § 401, Verlust der Amtsfähigkeit, würde als eine besondere Strafe doch bleiben.) — Da, wo sie besonders ausgesprochen wird, aber nicht da, wo sie obligatorische Folge ist! W ir würden also bei der Auszählung der Strafen beginnen mit der Ächtung, dann kommt die Todes­ strafe. Da müßte doch eigentlich schon gesagt werden: M it der Todesstrafe treten auch gewisse obligatorische Wirkungen ein. Bei der Zuchthausstrafe müßten wir wieder dasselbe sagen, und bei der Gefängnisstrafe müßten wir sagen: Es k a n n auf Ehrensolgen erkannt werden. Dann bleibt für das Kapitel „Ehren­ folgen" nichts übrig. Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch: Ich stimme inhaltlich dem Herrn Berichterstatter zu, insbesondere auch seinen Änderungsvorschlägen zu § 400 Abs. 2. Bei § 403 ist die Frage, ob man hier weiter­ gehen soll. Der Juristenbund hat vorgeschlagen, alle approbierten Ämter hierher zu rechnen. Den übrigen Paragraphen bis § 406 einschließlich stimme ich zu. Natürlich kann man den Stoff ver­ schieden anordnen. Am besten würde es mir scheinen, wenn man bei den Freiheitsstrafen, wie Zuchthaus und Gefängnis, die Charakterisierung durch ihre Ehrensolgen unmittelbar anschließt und dann Verlust der Amtssähigkeit besonders behandelt. So wie es hier ist, ist es vielleicht das Kürzeste, aber, wenn man es liest, auch das am wenigsten Verständliche. Viel­ leicht kann die Unterkommission versuchen, das in der von Herrn Staatssekretär angedeuteten Weise zu machen. Nicht geäußert habe ich mich über § 407, der wohl einer Sonderdebatte bedürftig wäre. ' Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Frage, wie man disponiert, wollen wir nicht diskutieren. Die Disposition soll so werden, daß man rasch und sicher und ohne Umblättern weiß, was gemeint ist. D as wäre natürlich bei dem Kohlrauschschen Gedanken richtig, schon bei Zuchthaus zu schreiben, was daran hängt. Auf der andern Seite aber bleibt uns für das Kapitel „Ehrenstrafen" nichts mehr übrig. Ministerialrat Dörken (Reichskriegsministerium): Zu § 400 Abs. 2 legt der Herr Reichskriegsminister den größten Wert daraus — und ich glaube, daß das auch berücksichtigt werden kann — , daß er abgestellt wird auf eine vorsätzlich begangene T at, nicht aus

Fahrlässigkeit. Soweit ich mich aus einer Abhand­ lung des Führers des Reichsbeamtenbundes, Herrn Neef, erinnere, hat er auch für das Beamtenrecht Ähnliches ausgeführt. Bei der Wehrmacht kommen häufiger als sonstwo Fälle vor, in denen ein Soldat durch Fahrläffigkeit ein Verschulden auf sich nimmt. Wegen einer fahrlässig begangenen T at darf aber nicht auf eine Ehrenstrafe erkannt werden. Das ist vom militärischen Standpunkt aus untragbar. Ich habe deshalb die Bitte vorzutragen, den § 400 Abs. 2 nur aus die vorsätzlich begangene T at abzustellen. I n dem Entwurf des Wehrgesetzes ist das bereits ent­ sprechend festgelegt worden. Bei § 403 bitte ich, den W ortlaut: „Den öffent­ lichen Ämtern stehen gleich der Dienst in der Wehr­ macht" so zu ergänzen, daß es heißt: „Der aktive Dienst in der Wehrmacht". Nach der jetzigen Fassung des Wehrmachtgesetzes ist die Sache anders geregelt als in der alten Wehrmacht. Jetzt ist unter Wehr­ macht lediglich der aktive Wehrmachtskörper zu ver­ stehen, das, was man früher stehendes Heer nannte. Die Wehrmacht umfaßt aber nicht mehr den Beurlaubtenstand, der ist besonders geregelt. Früher hat der Ausdruck „Heer und M arine" auch den Beurlaubtenstand mit ersaßt. Jetzt soll derjenige, der mit Amtsverlust oder mit Gefängnis von längerer Dauer als einem J a h r wegen vorsätzlich begangener T at bestraft wird, nur aus dem aktiven Wehrdienst ausscheiden, nicht aus dem Beurlaubtenstand. Eine Erklärung habe ich noch abzugeben zu § 404, wo steht: M it dem Verlust eines öffentlichen Amtes oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ä m ter. . . und so weiter und so weiter . . . laufende Versorgungsgebührnisse nach dem Wehrmachtversorgungsgesetz. Ich beantrage hinzuzufügen: „und dem Reichsver­ sorgungsgesetz". D as würde entsprechend auch für Absatz 2 gelten. D as beruht daraus, daß nach § 33 des Wehrmachtversorgungsgesetzes in der neuen Fassung Ruhegeldberechtigte wählen dürfen zwischen der Versorgung nach dem Reichsversorgungsgeseh und nach dem Wehrmachtversorgungsgesetz. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I h r erster Wunsch ist schon von der Abteilung berücksichtigt worden; er deckt sich mit dem noch dringender geäußerten Wunsche des Verkehrsministe­ riums. D as Verkehrsministerium bat im großen und ganzen nur mit Fahrlässigkeitsdelikten zu tun und hat uns gesagt, daß Amtsverlust auch bei fahrlässigen Straftaten nicht annehmbar wäre. D as ist aber im Abteilungsvorschlag schon berücksichtigt worden. W ir könnten dann § 407 noch erledigen: Bekanntmachung der Verurteilung.

Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch: Ich bin mit dem vorgeschlagenen § 407 einver­ standen; ich finde ihn auch nicht zu farblos. Als Be­ richterstatter stelle ich zur Diskussion einen Vorschlag, den Herr Senatspräsident Lobe im „Gerichtssaal"

gemacht hat: ob nicht auch bei Freispruch aus dem Gesichtspunkt der Genugtuung die Veröffentlichung zugelassen werden soll. M ir scheint der Antrag er­ wägenswert zu sein. Dasselbe ist übrigens auch von Hamburg aus vorgeschlagen. (Ministerialdirektor Schäfer: Diese Vorschrift ist in der Strafprozeßordnung schon enthalten. — Reichsjustizminister D r. G ärtner: Wenn wir das hier aufführen, dann muß es wohl heißen „Verurteilung", nicht etwa „des Urteils".) — Wenn das schon in der Strafprozeßordnung steht, dann ist das erledigt. Berichterstatter Staatssekretär D r. Freisler: Die Auffassung der öffentlichen Bekanntmachung als eine Ehrenstrafe ist bisher nur dadurch zum Aus­ druck gebracht, daß sie in diesem Abschnitt eben unter Ehrenstrafen erscheint. M an sollte das aber irgendwie auch in dem Paragraphen selbst sagen. (Reichsjustizminister Dr. G ärtner: D as wäre ein anderer Ausdruck der Worte: wenn sie im öffentlichen Interesse geboten ist!)

— J a . Ich will nicht etwa den Anprangerungs­ gedanken in anderer Form im Gesetz zum Ausdruck gebracht haben als in der der öffentlichen Bekannt­ machung. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Der Borwurf der „Farblosigkeit" richtet sich wohl gegen den Konditionalsatz: „wenn sie im öffentlichen Interesse geboten ist". D as kann man allerdings als eine gewisse Farblosigkeit bezeichnen. (Senatspräsident Professor D r. Klee: Der Vorschlag vom Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen geht dahin: „bei Straftaten, die eine besondere Brandmarkung verdienen".) — Nach der Richtung müßte es orientiert sein. Dann wären wir mit diesem Abschnitt fertig. D as Ergebnis der Besprechung hat ein hohes Maß der Befriedigung bei mir hinterlassen. Die von uns fest­ gelegten Grundgedanken werden sich unschwer formu­ lieren lassen. (Schluß der Sitzung 13 Uhr 52 Minuten.)

Strafrechkskommisston

71. Sitzung 10. Mai 1935 Zweite Lesung Inhalt Die Strafbemeffung Im Allgemeinen Reichsjusttzminister Dr. Gürtner 1, 4, 7, 8, 9, 10, 11, 13, 14, 16, 19, 20, 21, 22 Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch................................... 1 Berichterstatter Landgerichtsdirettor Leimer...............................3 Staatssekretär Dr. F reister......................................................5, 7 Professor Dr. Graf G leispach................................ 7, 10, 16, 19 Reichsgerichtsrat Niethammer............................................... 9, 15 Senatspräsident Professor Dr. Klee............................ 10, 14, 18 Professor Dr. Schaffstein............................................................... 12 Vizepräsident G ra u ........................................................................ 13 Professor Dr. Mezger......................................................................14 Ministerialdirektor Schäfer........................................... 16, 19, 21 Professor Dr. N agler......................................................................17 Professor Dr. Dahm ......................................... 17, 19, 20, 21, 22 Oberstaatsanwalt Dr. Reimer.......................................................20 Rechtsanwalt Dr. Graf von der G oltz......................................21

Bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung Reichsjusttzminlster Dr. G ü rtn er..22. 26. 28, 30, 33, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 42, 43, 44 Berichterstatter Landgerichtspräsident Dr. L orenz.........22, 35 Berichterstatter Professor Dr. N agler..........................................24 Vizepräsident Grau........................................ 26, 36 Staatssekretär Dr. Freister......................30, 35, 36, 37, 39, 43 Senatspräsident Professor Dr. K lee.................................... 29, 40 Ministerialdirektor Schäfer......................................................31, 36 Reichsgerichtsrat Niethammer.......................................................33 Professor Dr. Schaffstein................................................37, 42, 43 Professor Dr. Mezger......................................................................37 Professor Dr. Graf Gleispach.......................................................38 Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz.............................. 39, 40

(Aussprache abgebrochen) Beginn der Sitzung 10 Uhr 14 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich eröffne die Sitzung. W ir kommen nunmehr zu dem Abschnitt: Die Strafbemeffung.

Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch: Ich gehe in meinem Bericht aus von dem Entwurf in der Fassung der ersten Lesung. Hierzu liegen uns vor die Anträge B 11 des Mitberichterstatters Land­ gerichtsdirektor Leimer und B 22 der Abteilung. W ir haben uns eingehend über die Möglichkeiten unterhalten, dem Richter in einem Gesetz eine An­ leitung für die Strafbemessung zu geben. Die früheren Entwürfe hatten schon versucht, einzelne Straszumessungsgründe auszustellen. Der Katalog dieser Strafbemessungsgründe wurde mehr und mehr ver­ größert, bis er schließlich in § 69 der Reichstagsvorlage derart umfangreich wurde, daß man einsah: So geht es nicht. Es kam dazu, daß der Richter zwar auf mancherlei Gründe und Gesichtspunkte hingewiesen wurde, aus denen die Strafe zu bemessen war, und zwar charaktermäßige und dem Einzelfall ent­ nommene; aber der Entwurf war nicht imstande zu sagen, wieweit diese Gründe den T äter belasten oder entlasten. Dies war wohl der Hauptfehler der früheren Bestrebungen und der Hauptgrund, weshalb wir von ihnen abgerückt sind. Ich würde nicht empfehlen, zu einem solchen Verfahren zurückzukehren; es kommt nichts dabei heraus. Es ist eben unmöglich generell anzugeben, w a n n die Willens­ richtung des Täters verwerflich ist, und namentlich w a n n gewisse Umstände den T äter belasten oder entlasten. Aus diesen Erwägungen heraus haben wir uns in der ersten Lesung darauf beschränkt, einen allge­ meinen Grundsatz der Strafbemessung in § 408 Abs. 1 festzulegen. Die Fassung beruht auf meinem Vor­ schlag. Ich halte ihn auch heute inhaltlich für richtig. Aber es mag sein, daß er nicht hierher gehört, weil er eben weniger eine Strafbemessungsregel für den Einzelfall, als eine Charakterisierung der wichtigsten Funktion der S trafe enthält. Im m erhin ergibt sich die Strafbemessung aus dem Strafzweck. Aber der Richter erfährt auch hieraus nicht, wie er sich im einzelnen F all bei der Strafbemessung zu verhalten hat. Ich glaube deshalb, dem Mitberichterstatter Leimer darin beitreten zu sollen, daß § 408 Abs. 1 nicht an diesen Platz gehört. E s bliebe also § 408 Abs. 2: Die Strafe soll dem Schutzbedürsnis der Volksgemeinschaft entsprechen. Diesen Grundsatz hat seinerzeit die Unterkommission vorgeschlagen. Seine Richtigkeit ist unbestreitbar. Seine Vollständigkeit nicht — wo bleibt z.B. der Schuldgedanke? Und ich zweifle, ob er dem Richter etwas helfen wird. Ich komme also eigentlich zu dem Ergebnis, daß man mit allgemeinen Worten dem Richter hier nicht helfen kann. Ein guter Richter wird das richtige Strafm aß eben auch so finden; einem schlechten Richter werden die besten und erschöpfendsten Strafbemessungsvorschriften nicht viel nützen. Der Vorschlag der Abteilung geht dahin, die Abs. 1 und 2 des § 408 zu verbinden. Mitberichterstatter Leimer schlägt vor, Absatz 1 zu streichen. Ich

widerspreche keinem der beiden Vorschläge. Ich habe auch nichts dagegen, wenn beide Absätze gestrichen werden. Was den Absatz 3 anlangt, so vermißt die Ab­ teilung darin den Hinweis auf die Persönlichkeit des Täters, auf die es doch in erster Linie ankommet M. E. umfaßt Absatz 3 durchaus auch die Persönlich­ keit des T äters: Vor allem ist der verbrecherische Wille des Täters zu beachten, nicht der Erfolg. Der verbrecherische Wille des Täters ergibt sich aus der A rt des Angriffs auf Lebenskraft und Friedens­ ordnung des Volkes, aus den verschuldeten Folgen der T at und aus seinem Verhalten nach h er Tat. Das sind alles Indizien für Art und Maß des verbreche­ rischen Willens. Ich kann somit in dem Zusatz der Abteilung keinen Fortschritt sehen, sondern im Gegenteil eine Ablenkung in eine falsche Richtung. Ob die Worte „Lebenskraft und Friedensordnung des Volkes" richtig gewählt sind, ob sie nicht etwas hoch und abstrakt gegriffen sind, wenn man an die kleine Kriminalität des täglichen Lebens denkt, das möchte ich dahingestellt sein lasten. M ir würde der Ausdruck „Rechtsordnung" genügen. Wenn man damals daran Anstoß nahm, so deshalb, weil wir damals noch positivistischer dachten als heute. Wenn man den Begriff „Rechtsordnung" im Sinne der materiellen Rechtsordnung, also der zum Ausdruck gebrachten Friedensordnung des Volkes gebraucht, so dürfte dagegen kaum etwas einzuwenden sein. Wenn man dabei freilich positivistisch denkt, dann würde das, wie ich zugebe, ein falscher Ausdruck sein. Ich glaube daher, man könnte ruhig statt „Lebenskraft und Friedensordnung" einfach „Rechtsordnung" sagen. Zu § 409 habe ich nichts anzumerken. Ich halte ihn so, wie er hier steht, für richtig: Wo das Gesetz bereits fahrlästiges Handeln mit Strafe bedroht, ist der Täter nach der Größe seines Leichtsinns und seiner Gleichgültigkeit zu bestrafen. Die Gefahr und der Schaden, den er verursacht hat, sind dabei zu beachten. Ich halte diese Fassung für richtig und erschöpfend. Es ist auch gut, daß wir in dieser Weise das Subjek­ tive in den Vordergrund stellen und die Gefahr und den Schaden in einem Nachsatz anfügen. Mitbericht­ erstatter Leimer möchte beides zusammenziehen und dadurch den objektiven Tatbestand mehr in den Vor­ dergrund rücken. Ich halte aber die Fassung der ersten Lesung für richtiger. § 410 werde ich erst später erörtern. I n § 411 wollten wir zum Ausdruck bringen, daß das Gesetz besonders bestimmt, ob und wie sich in besonders schweren Fällen Art und Maß der ordent­ lichen Strafe ändern. Abs. 2 bestimmt, wann ein be­ sonders schwerer Fall namentlich anzunehmen ist. Abs. 1 für sich allein betrachtet ist ziemlich gegen­ standslos. Aber man kann ihm immerhin den Hinweis entnehmen, daß wir keine allgemeinen Strafschär­ fungsfälle kennen, sondern sie bei den einzelnen T at­ beständen suchen müssen. D as ist eine Selbstverständ­ lichkeit. Entscheidend ist aber, daß ein besonders schwerer Fall unter zwei Voraussetzungen angenom­

men werden soll: Erstens: Wenn die T at das Wohl des Volkes besonders schwer geschädigt oder gefährdet hat und der Täter hiermit rechnen mußte; zweitens: Wenn sich ein besonders verwerflicher verbrecherischer Wille des Täters gezeigt hat. I m ersten Falle handelt es sich um eine Art der Ersolgsqualisizierung. Ich denke hier vor allem an Tatbestände wie Betrug und Untreue. Die Fälle des Hoch- und Landesverrats brauchen wir hier nicht her­ anzuziehen. Wenn jemand aber einen großen Bank­ betrug begeht, so daß dadurch, wie es im Sommer 1931 der Fall war, die ganze Volkswirtschaft in M it­ leidenschaft gezogen wird und das ganze deutsche Volk in Gefahr gerät, so ist das ein Beispiel für einen be­ sonders schweren Fall. W ir stellen dabei aber aus­ drücklich auf das Willensstrafrecht ab: Der T äter muß hiermit auch gerechnet haben oder mindestens haben rechnen können. Dies ist der S inn von Abs. 2 Nr. 1, dem ich große Bedeutung beimeste. Entsprechendes gilt für Abs. 2 Nr. 2: Ein be­ sonders schwerer Fall ist namentlich auch dann anzu­ nehmen, wenn sich ein besonders verwerflicher verbre­ cherischer Wille des Täters gezeigt hat in der Art der Begehung der T at oder in der vorsätzlichen Verur­ sachung schwerer Schäden für andere. Ich gestehe offen: Ich weiß nicht, warum die Abteilung Abs. 2 sortlaffen will mit der Begründung, es bestehe für ihn ein Bedürfnis um so weniger, als der Gesetzgeber sich bemüht habe, dem Richter durch Beispiele zu zeigen, wann ein besonders schwerer Fall anzunehmen ist. Dem kann ich nicht zustimmen. Erstens gibt es im Besonderen Teil eine ganze Reihe von Fällen, wo der Gesetzgeber sich nicht dieser Mühe unterzogen hat und auch nicht unterziehen konnte, weil das zu mannig­ faltig sein könnte. Aber selbst dort, wo der Gesetz­ geber sich ausgesprochen hat wie bei der Brandstif­ tung, hat er doch nur Beispiele gegeben. § 411 Abs. 2 soll ja auch nicht erschöpfend die Fälle regeln, wo ein besonders schwerer Fall angenommen werden darf; er soll außer den Tatbeständen des Besonderen Teils, wo ein besonders schwerer F all ausdrücklich erwähnt ist, einen allgemeinen Fingerzeig geben. Ich bin daher für Beibehaltung des Äbs. 2, den ich nicht nur nicht für schädlich, sondern für nützlich halte. Zu § 412 habe ich nichts hinzuzufügen. Die Ab­ teilung hat hierzu auch keinen Änderungsvorschlag ge­ macht, wohl aber einen Erweiterungsvorschlag, dem man beistimmen kann. M an sagt, aus den Kreisen der P raxis seien Zweifel darüber entstanden, wie § 20a Abs. 3 auszulegen sei, worauf er sich beziehe. Die Abteilung will die Frage dadurch klären, daß sie Abs. 3 Satz 1 an Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 an Abs. 2 anschließen will. Damit sind die Zweifel behoben. Dem Vorschlag der Sachbearbeiter ist wohl beizu­ treten. Zu den §§ 413 und 414 habe ich meinerseits nichts zu sagen. Selbstverständlich muß in § 413 Abs. 1 das letzte Sätzchen gestrichen werden; der Klammerzusatz kann wohl fallen; er ist in der T at überflüssig. § 414 würde ich so lassen, wie er ist.

Berichterstatter Landgerichtsdirektor Leimer: I n der ersten Lesung wurde eingehend erörtert, daß es eine Zeit gab, in der die Strafbemessung allzu­ sehr nach einer ungerechtfertigten Milde hin abirrte. M an hat sich bemüht, die Gründe dafür festzustellen und die geeigneten M ittel zu finden, um späterhin ein solches Abgleiten zu verhindern. M an kam schließ­ lich zu dem Ergebnis, daß es ein gesetzliches Mittel nicht gebe, das den Richter zwingen könne, in jedem Falle eine angemeffene Strafe auszusprechen. Hier kann nur die Erziehung des Richters helfen, wie Herr Staatssekretär Freister in dem zweiten Bänd­ chen des „Kommenden Deutschen Strafrechts" zu­ treffend ausgeführt hat. M an muß zum Richter auch das Vertrauen haben und kann es nach den Erfah­ rungen der letzten Jahre auch haben, daß hier Wandel geschaffen wird. I n der früheren Zeit genoß der Richter in diesem Punkte keinen Schutz; jedes Urteil wurde mindestens von einer Seite angegriffen, weil es entweder zu scharf oder zu mild sei. Heute genießt der Richter Vertrauen und den erforderlichen Schutz, wie sich aus den obenbezeichneten Ausführungen des Herrn Staatssekretär Freister ergibt. W ir Richter danken dem Herrn Staatssekretär für diese Worte, wir werden das Vertrauen zu rechtfertigen wissen. Es ist danach unnötig und überflüssig, einen Katalog von Gesichtspunkten auszustellen, nach denen der Richter bei der Strafzumessung sich zu richten habe. M an würde auch mit einer weitgehenden Zu­ lassung der Revision für die Strafzumessungsgründe nichts erreichen, sofern man nicht das Reichsgericht zu einem Kassationsgerichtshof machen will, übrigens sind auch heute die Strafzumessungsgründe nicht der Revision entzogen; dies haben wir kürzlich auch von Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer gehört. Auch wenn man einen Katalog der Strafbemessungsgründe aufstellen und dem Reichsgericht die Möglichkeit der Nachprüfung geben würde, würde das Reichsgericht sich sicher nicht dazu bereitfinden, ein Urteil, das im Endergebnis richtig ist, nur deshalb aufzuheben, weil vielleicht die eine oder andere Nummer des Katalogs im Urteil nicht ausgeführt ist. Was sodann die einzelnen Bestimmungen über die Strafbemesiung betrifft, so schlage ich zunächst wie in meinen Anträgen B 11 vor, den § 408 Abs. 2 als Grundsatz der Strafbemesiung an die Spitze zu stellen, also zu sagen: Die Strafe soll nach Art und M aß dem Schutz­ bedürfnis der Volksgemeinschaft entsprechen. Dieser Grundsatz gibt den allgemeinen Richtpunkt. Wenn er auch bei der kleinen Kriminalität nicht immer so ganz brauchbar ist, so kann er jedenfalls nicht schaden und ist auch hier dem Richter ein Finger­ zeig. Mehr braucht man nicht zu sagen. Die Sachbearbeiter schlagen vor, die Abs. 1 und 2 des § 408 zu verbinden. Davon kann man aber m. E. absehen. I n Absatz 1 wird nicht ein Grundsatz der Strafzumesiung ausgesprochen, sondern nur der Zweck der Strafe überhaupt bezeichnet. D as kann man hien entbehren. J e kürzer, desto besser. M an braucht überhaupt nichts über die Strafbemesiung im Gesetz

zu sagen; tut man es aber, dann genügt eine kurze und präzise Bestimmung. § 409 behandelt die Strafbemesiung bei F ah r­ lässigkeit. Die Gedanken des § 408 Abs. 3 gelten auch hier. Deshalb hatte ich zunächst vorgeschlagen, man solle in zwei Paragraphen je eine Vorschrift für die Strafbemessung bei Vorsatz und Fahrlässigkeit schaffen. M ir gefällt aber der Vorschlag der Abteilung in B 22 besser, der beide Bestimmungen verbinden will und aus diese Weise jede unnütze Wiederholung vermeidet. § 408 in der Fassung der Abteilung ent­ hält alles, was notwendig ist. § 410 handelt von der Bemessung der Geldstrafe. Nachdem die Tagesbuße eingeführt wird und in § 309 ihre gesetzliche Festlegung findet, müßte man hier etwas über den Multiplikator sagen, denn der M ulti­ plikator soll ja aus den allgemeinen Grundsätzen über die Strafbemesiung gefunden werden. Ohne einen bestimmten Vorschlag formulieren zu wollen, möchte ich anregen, etwa zu sagen: Bei Verhängung einer Geldstrafe bestimmt sich nach diesen'allgemeinen Grundsätzen auch, wie oft auf eine Tagesbuße zu erkennen ist. Hier würde sich dann nach dem Vorschlag der Sach­ bearbeiter der Satz anschließen: Dabei soll die Geldstrafe so bemessen werden, daß sie den aus der T at gezogenen Nutzen, insbe­ sondere das für die T at gewährte Entgelt über­ steigt. § 411 regelt die besonders schweren Fälle. I m Gegensatz zum Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen wäre ich nicht dafür, besonders schwere Fälle allgemein zuzulassen. Ein Bedürfnis dafür hat sich bisher nicht ergeben. Der Besondere Teil erwähnt besonders schwere Fälle im ganzen fünfzigmal; davon sind zehn von Beispielen begleitet. Es stimmt also nicht ganz, wenn die Sachbearbeiter meinen, man könne § 411 Abs. 2 überhaupt entbehren, weil den einzelnen Tatbeständen des Besonderen Teils Bei­ spiele beigefügt sind, aus denen der Richter herleiten könne, was der Gesetzgeber im Einzelfall als beson­ ders schweren Fall verstanden haben will. Man sollte also Absatz 2 stehen lassen; allenfalls könnte man ihn etwas anders formulieren. E r wäre entbehrlich, wenn man im Besonderen Teil überall Beispiele anbringen würde. D as läßt sich aber schwer machen. Jedenfalls könnte man eine Entscheidung erst nach der Lesung des Besonderen Teils treffen. § 412 behandelt den Gewohnheitsverbrecher. Der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen will den Gewohnheitsverbrecher nach den allgemeinen Grundsätzen über die besonders schweren Fälle bestraft sehen. Ich Halte das nicht für tunlich. Ich stimme dem Vorschlag der Sachbearbeiter zu, den Absatz 3 zu zerteilen und dessen Satz 1 an Absatz 1, Satz 2 an Absatz 2 anzuschließen. Bei dieser Gelegenheit müßte man noch klären, daß im Absatz 1 die dritte Freiheits­ strafe nicht Hast sein darf. S o ist es auch jetzt schon gemeint. Ebenso sollte man klarstellen, daß bei Absatz 1, wenn eine Gesamtstrafe vorliegt, nur e i n e Verurteilung gegeben ist und nicht zwei; ins-

besondere dann, wenn eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet wird. Anderenfalls könnte jemand auf den Gedanken kommen, es lägen zwei Verurteilungen vor und deshalb könne Absatz 1 angewendet werden. So ist diese Bestimmung aber nicht aufzufassen. Anderseits würde es sich auch empfehlen, in Absatz 2 hervorzuheben und klarzustellen, daß die drei vorsätzlichen Taten nicht etwa drei strafrechtlich selb­ ständige Taten sein müssen. Angenommen, ein aus­ gesprochener Gewohnheitsbetrüger, der in zehn oder zwanzig schweren Fällen betrogen hat, kommt zum ersten Male vor den Richter. Der Richter nimmt eine fortgesetzte T at an. Nun könnte gesagt werden: Hier liegt nur eine, wenn auch fortgesetzte T at vor, des­ halb kann Absatz 2 hier nicht angewendet werden. Zweifellos besteht aber in diesem Falle ein praktisches Bedürfnis, eine erhöhte Strafe aussprechen zu können. Freilich kann man sich bei Betrug auch mit der An­ nahme eines besonders schweren Falles helfen und auf diesem Wege zu einer Zuchthausstrafe kommen, aber besonders schwere Fälle sind bisher nicht überall vorgesehen. Zum letzten Absatz wird noch klarzustellen sein, ob nicht die Fälle, in denen der Besondere Teil Gefängnis bis zu zwei Jahren o d e r H a f t androht, ausge­ schlossen sein sollen. I n § 412 Abs. 4 heißt es: Eine ausländische Verurteilung steht einer inländischen gleich, wenn die geahndete T at auch nach deutschem Recht mit Gefängnis oder einer schwereren Strafe bestraft werden kann. Hier hat man offenbar nicht daran gedacht, daß neben einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren bei gewissen Tatbeständen auch Haft zulässig ist. Zu § 413 ist richtig, daß man das Zitat in der Klammer streichen kann, weil es bisher nur eine An­ merkung war. Die Frage, ob für die Androhung von Gefängnis ohne besondere Untergrenze, also mit der Untergrenze von 14 Tagen, die wir jetzt beschlossen haben, noch eine Milderung in Haft vorgesehen werden muß, hängt wohl davon ab, ob dann, wenn man die Untergrenze von 14 Tagen unterschreiten will, Haft zulässig sein soll. Ich habe die bisherigen Erörterungen so verstanden. Dann braucht man darüber keine weitere Vorschrift. Zu § 414 habe ich in meinen Vorschlägen einen Antrag gestellt, der sich im großen und ganzen mit dem deckt, was die Sachbearbeiter in B 22 vorge­ schlagen haben. Ich habe diese außergewöhnlich leichten Fälle dahin bestimmt: Is t die T at nach der Art ihrer Begebung ein besonders mild zu beurteilender Ausnahme­ fall und ist auch sonst die Willensschuld des Täters außergewöhnlich gering, so daß auch die mildeste ordentliche Strafe noch zu hart erscheint, so kann auf eine mildere als die ordentliche Strafe erkannt werden. D as Mindestmaß der Strafe bestimmt sich nach § 413. Eine weitere Milderung ist auch dann nicht zulässig, wenn noch besondere gesetzliche Milde­ rungsgründe (§ 413) vorliegen.

Die Herren Sachbearbeiter haben vorgeschlagen, die Vorschrift so zu fassen: Is t die T at ein besonders milde zu beur­ teilender, s e l t e n e r Ausnahmefall derart, daß auch die mildeste ordentliche S trafe noch als zu hart erscheint, so k a n n aus eine mildere Strafe als die ordentliche Strafe erkannt werden.......... Es ist also hier auf die Häufigkeit abgestellt. Ich halte das nicht gerade für glücklich, denn auch Fälle, die nicht gar so selten vorkommen, können schließlich einmal Milde verdienen. Ich denke gerade daran, daß bei uns in ganz eng gedrängter Zeit nicht weniger als drei Fälle vorgekommen sind, in denen eine M utter sich mit einem Kind oder mit mehreren Kindern aus einer gewissen Verzweiflung heraus in die Küche eingesperrt und den Gashahn geöffnet hat. Die Kinder haben infolge ihrer geringeren Wider­ standsfähigkeit den Tod erlitten, die Mutter ist mit dem Leben davongekommen. Und nun stand die M utter vor dem Schwurgericht. D as sind doch Fälle, die nicht so selten vorkommen, sich schließlich aber doch gerade unter § 414 bringen lassen. Ich bin mir klar, daß das Beispiel nicht ganz durchschlägt, weil man hier ohnedies von der Todesstrafe bis aus sechs Monate Gefängnis heruntergehen könnte, allein es zeigt doch, daß die Milde nicht von der Seltenheit des Falles abhängig gemacht werden kann. Sonst habe ich nichts zu bemerken. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich folgender Meinung Ausdruck geben und folgende Fragen zur Diskussion stellen: Ich fürchte, wir sind in dem Bestreben, immer und an jeder Stelle zum Aus­ druck zu bringen, daß das Strafrecht ein Willens­ strafrecht ist, ein wenig zu weit gegangen. Ich habe den Eindruck, daß zum Beispiel die Ziffer 2 des § 411 genau das gleiche besagt wie das, was in § 408 steht, nur mit dem Wort „besonders". Es ist nicht einzu­ sehen, warum die Qualifikation bei dem dritten Ab­ satz des § 408 anders sein sollte. Der Maßstab ist doch der verbrecherische Wille, und nun geben wir hier drei Indizien, aus denen man schließen kann: a) Angriff, b) die verschuldeten Folgen, c) das Ver­ halten nach der Tat. § 411 lautet allerdings nicht wörtlich ebenso, es ist eines der drei Indizien über­ haupt weggelassen; warum, ist eigentlich nicht zu er­ kennen. Ich habe das Gefühl: Eine gute Sache kann man auch ein wenig verwässern, wenn man sie zu oft ausspricht. Ich kann mich ferner nicht ganz dem Eindruck entziehen, als ob das, was wir nun in § 408 gesagt haben, in der T at nicht bloß eine S tra f­ bemessungsaussage ist. § 408 soll doch auch die Frage nach dem Zweck des Strafrechts ganz allgemein beantworten. Es ist doch kein Zufall, daß § 3 dieses skizzierten Vorschlags mit den Worten be­ ginnt: „Zweck des Strafrechts is t-----" Was nun kommt, ist der In h a lt des § 408 in einer anderen und glücklicheren Fassung. Ich halte unsere Fassung des § 408 nicht für glücklich. Ich weiß nicht, ob wir hier

plötzlich von einer „Friedensordnung" sprechen sollen; ein Ausdruck, der im ganzen Strafgesetzbuch nicht vor­ kommt. D as Wort „Friedensordnung" mag in einem Vortrag oder in einer Schrift angebracht sein, aber nicht im Gesetz. Hier wäre die Entscheidung zu treffen, wie und wo die Gedanken, die in § 408 nicht gut gefaßt wiedergegeben sind, zum Ausdruck kommen sollen. Ich bin der Meinung: Der Grundgedanke des § 408 muß in der Einleitung zum Ausdruck kommen, so, wie es im Vorschlag Freister ungefähr gefaßt ist. D as wäre das eine. Sodann habe ich nicht ganz verstanden, was Herr Landgerichtsdirektor Leimer gemeint hat. Die drei Absätze von § 408 habe ich immer auf die vorsätzlichen Taten bezogen. Hatten S ie nicht gemeint, daß auch die fahrlässigen darunter verstanden sein sollten? (Landgerichtsdirektor Leimer: D as soll jetzt verbunden werden!) — Schon, aber der verbrecherische Wille ist doch etwas anderes als die Größe des Leichtsinns! Ich hatte an­ genommen, diese drei Absätze bezögen sich nur auf Vorsatzhandlungen, und wenn ja, dann soll man das auch hineinschreiben. Bei der Täterstrafe bin ich der Auffassung, daß der Vorschlag Leimer „die Zahlung der Tagesbußen muß nach gewissen Gesichtspunkten geschehen" ungefähr das gleiche ist, wie wenn wir hineinschreiben: die Zahl der Gesängnistage oder die Zahl der Zuchthausjahre muß nach den und den Gesichtspunkten bemessen werden. Ich glaube nicht, daß für die Geldstrafe ein anderes Wort gewählt werden kann als für die allge­ meine Strafzumessung. Daß die Tagesbußen nach den wirtschaftlichen Verhältnißen usw. berechnet werden, das gehört nicht hierher. (Staatssekretär Dr. Freisler: D as erste braucht nicht gesagt zu werden, weil es im Allgemeinen Teile steht!) — F ü r den Multiplikator der Geldstrafe gibt es keine besondere Aussage, und genau dasselbe gilt für die Zahl der Gefängnis- und Zuchthaustage. Was die besonders schweren Fälle anlangt, so habe ich die kritischen Anmerkungen schon gemacht. Was darin steht, ist vollkommen richtig und genau das gleiche wie das, was in § 408 steht. Zu tz 412 habe ich nichts zu bemerken. I n tz 413 fallen die Zahlen weg; das ist allgemein anerkannt. Zu § 414 aber möchte ich ernsthaft die Frage stellen: Wollen wir für die Charakterisierung des außergewöhnlich leichten Falles überhaupt so ein Moment wie das Zahlenmoment gelten lassen? D as scheint mir nicht richtig zu sein. Aber ich stelle es zur Diskussion. Staatssekretär Dr. Freisler: Bei dem Abschnitt „Strafbemessung" sollten wir nicht den Zweck des Strafrechts angeben. Denn er gehört nicht hier hin, er muß vielmehr im Grundsätz­ lichen Teil stehen. § 408 muß aber etwas über das Maß der Strafe bringen. Ich halte den Abteilungs­ vorschlag für besser als die Fassung des Entwurfs,

und zwar deshalb, weil dieser die Strafbemessung in konsequenterer Weise subjektiviert, was durchaus rich­ tig ist. D as kommt auch in der Reihenfolge des Aus­ baues des Vorschlags der Abteilung zum Ausdruck. Nur spricht die Abteilung in § 408 zu wenig von dem M aß und zu viel von dem Zweck des Strafrechts; sie behandelt das Strafm aß nur dort, wo sie sagt: Die S trafe solle nach Art und M aß dem Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft entsprechen. I m übrigen bin auch ich der Meinung, daß man, nachdem nun die Abteilung schon die „Lebenskraft" herausgenommen hat, auch die „Friedensordnung" hier nicht mehr braucht. Die beiden Worte stammen von mir und sind als Bestandteil einer Begründung und eines Aussatzes von Ihnen, Herr Minister, nicht beanstandet worden. Aber ich muß auch zugeben, daß es merkwürdig erscheint, wenn wir diese Begriffe hier bei der Strafbemessung bringen. M an kann solche Worte sehr wohl bei dem Zweck des Strafrechts, also in einem Paragraphen des Grundsätzlichen Teils bringen. Hier halte auch ich sie nicht mehr für ange­ bracht. Sie klingen hier etwas bombastisch in Anbe­ tracht der vielen kleinen Fälle, die ja auch durch die Strafbemessungsvorschrift geregelt werden sollen. Gegen die Zusammenfassung der §§ 408 und 409, die die Abteilung vorschlägt, habe ich keine Bedenken. Nach unserer gestrigen Debatte glaubte ich, daß das Wort „Geldstrafe" in unserem Strafgesetz nicht mehr vorkommen werde. Ich war der Meinung, daß wir jetzt an Strafarten hätten: Die Achtung, verschie­ dene Freiheitsstrafen, darunter solche mit besonders entehrendem Charakter, dann Ehrenstrafen, Ver­ mögenseinziehung und schließlich Tagesbußen. Ich hatte unsere Besprechungen so aufgefaßt, daß § 383 auch in diesem Sinne geändert werden sollte, und daß wir die Geldstrafe mit dieser Bezeichnung auch da nicht mehr haben würden, wo auf Tagesbußen erkannt wird, die nach und nach nicht abgearbeitet werden, weil sie im Zusammenhang mit einer Freiheitsstrafe erkannt worden sind. Dies habe ich für einen sehr großen Fortschritt gehalten. D araus folgt aber für mich, daß wir in § 410 von einer Bemessung der Geld­ strafe nicht mehr sprechen können, eben weil wir die Geldstrafe als solche im Gesetz gar nicht mehr kennen. Es fragt sich dann, ob wir etwas von der Be­ messung der Tagesbußen sagen sollen. D a bin ich nun der Meinung, daß es Bemessungsregeln, die sich nur auf Tagesbußen beziehen, gar nicht geben kann, sondern daß die Bemessungsregeln für alle S tra f­ arten, die eine Abstufung nach dem Grad der Härte, nach der Dauer, der Fühlbarkeit usw. zulassen, immer gleich sein müssen, und daß deshalb die Bemessungs­ regeln, die sich aus die Tagesbußen beziehen, dieselben sein müssen, wie sie die Abteilung in ihrer Fassung der §§ 408 und 409 vorschlägt. Deshalb entfällt jede weitere Bemessungsregel für die Tagesbuße oder, wie es hier noch heißt, für die Geldstrafe. Es fragt sich nur, ob noch für den Abs. 2 des § 410 ein Bedürfnis besteht. Die Vorschrift des Abs. 2 ist in der besonderen Beziehung von Vorteil aus dem Verbrechen und Sühne begründet. Es läßt sich eine

solche Beziehung zwischen dem Vorteil und der Todes­ strafe, dem Vorteil und der Achtung, dem Vorteil und der Freiheitsstrafe nicht Herstellen. Bei der Geld­ strafe liegt aber die Beziehung auf der Hand. Deshalb bin ich schon der Meinung, daß wir eine solche Be­ stimmung haben müßten; nur weiß ich nicht, ob sie nicht bester zu der Tagesbuße gehört. (Ministerialdirektor Schäfer: M it der Tages­ buße hat das aber eigentlich nichts zu tun!) — D as ist richtig, sie hat mit der Tagesbuße an sich nichts zu tun, aber sie hat auch hier eigentlich nichts zu suchen. Dann suche man einen anderen, besseren Platz! Abs. 1 des § 411 ist zweifellos überflüssig; denn daß die besonderen Bestimmungen des Gesetzes gelten, das brauchen wir im Allgemeinen Teil nicht besonders zu sagen. Abs. 2 scheint mir aber nicht ganz dasselbe zu sein, was in § 408 gesagt wird. Der Abs. 2 ist der Versuch zu einer Definition des besonders schweren Falles. Nun meine ich, wir sollten den besonders schweren Fall hier überhaupt weglasten und Ihrem Vorschlag, Herr Minister, folgen, die besonders schweren Fälle zum Anlaß zu nehmen, dem Beson­ deren Teil mehr Leben zu geben. W ir sollten also bei der erneuten Durchsicht des Besonderen Teils darauf achten, durch lebendige Beispiele in möglichst vielen Fällen den besonders schweren F all zu illustrieren, und sollten bei dem ersten Beispiel eines besonders schweren Falles im Besonderen Teil den Gedanken ausführen, wie er hier in § 411 Abs. 2 zum Ausdruck gebracht ist. D as brauchen wir dann nur einmal zu tun; dann wird man schon wissen, daß dies auch für die anderen Fälle gilt. Dann würde § 411, besten erster Absatz nichts sagt und besten zweiter Absatz mir nur als ein Versuch einer Definition des besonders schweren Falles erscheint, hier wegfallen können. Die Aufbauvorschläge der Abteilung zu § 412 scheinen mir berechtigt zu sein, also die Herübernahme des ersten Satzes des Absatzes 3 an den Schluß des Absatzes 1, die Herübernahme des zweiten Satzes des Absatzes 3 an den Schluß des Absatzes 2 und die Be­ lastung des dritten Satzes des Absatzes 3 als selbstän­ digen dritten Absatz. Ich habe zur Begründung nichts hinzuzufügen. Wenn ich mich recht erinnere, möchte die Abteilung den ersten Absatz insofern ändern, als sie sagen will: „Ergibt die Gesamtwürdigung der P er­ sönlichkeit des T äters und seiner Taten . . ." Das ist richtig, und die Voranstellung der Persönlichkeit des Täters ist meiner Ansicht nach auch von unserem Standpunkt aus notwendig. Aber die Belastung der Worte „und seiner Taten" scheint mir unrichtig zu sein. Ich würde zwar hineinschreiben: „. . . ergibt die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des T ä te rs. . .", würde aber „und seiner Taten" fortlaffen, weil ich mir eine Würdigung der Taten nicht selbständig neben der Würdigung der Persönlichkeit denken kann. Die Taten des T äters sind eben ein Erkenntnismittel seiner Persönlichkeit. (Ministerialdirektor Schäfer: D ann fällt das weg, was gerade heute wichtig ist, nämlich daß die Einzeltat Symptomtat ist!)

— D as fällt nicht weg! (Ministerialdirektor Schäfer: Jedenfalls wird die Prüfung oberflächlicher, wenn man nicht von jeder T at verlangt, daß sie Symptom­ tat ist!) — Ich habe nichts dagegen, daß dies, wenn man es zur Verdeutlichung für nötig hält, irgendwie hinein­ geschrieben wird. D as ist aber etwas anderes, als wenn ich die Persönlichkeit des T äters und seine Taten nebeneinander auf eine Linie stelle; denn dann ist die T at eben nicht nur als Erkenntnismittel der Persönlichkeit hier eingesetzt, sondern sie hat eine selb­ ständige Bedeutung neben der Persönlichkeit des Täters. Ich halte einen solchen Zusatz aber für über­ flüssig, weil ich überzeugt bin, daß der Richter die T at in erster Linie zur Erkenntnis der Persönlichkeit heranziehen wird, auch dann, wenn man dies nicht besonders vorschreibt. Bezüglich des zweiten Absatzes habe ich Bedenken insofern, als ich es tatsächlich nicht für erwünscht halte, daß der gewerbsmäßige Hehler und Zuhälter der „Wohltat" des Absatzes 2 nicht ohne weiteres teil­ haftig werden kann. Dieser hat womöglich jahrelang eine T at nach der anderen begangen, aber wir fasten das eben als e i n e T at auf, und deshalb fällt der Täter nicht ohne weiteres unter den Absatz 2. Das scheint mir nicht berechtigt zu sein, sondern dieser Täter muß auch nach Absatz 2 behandelt werden können. M an müßte den Absatz 2 daraufhin nochmals überprüfen. Ferner führt der letzte Satz des Absatzes 1, also der jetzige erste Satz des Absatzes 3, wenn wir ihn so stehen lasten, mindestens dazu, daß der Täter, auf den der Absatz 2 zutrifft, schlechter dasteht als derjenige, auf den der Absatz 1 zutrifft, obgleich der Täter des Absatzes 1 gefährlicher und bekämpsenswerter ist. Denn dieselbe — übrigens meiner Ansicht nach völlig unnötige — Schutzbestimmung für den Täter, der unter Absatz 1 fällt, findet sich in Absatz 2 nicht. M an sollte sich deshalb meines Erachtens überlegen, ob man diesen letzten Satz des Absatzes 1, also den jetzigen ersten Satz des Absatzes 3, nicht weglassen muß. (Ministerialdirektor Schäfer: Herr S ta a ts­ sekretär, S ie haben doch auch gerade den Vor­ schlag gemacht, daß Absatz 1 und 2 konform gestaltet werden sollen!) — Jaw ohl, sie sollen konform gestaltet werden. Ich bin auch grundsätzlich damit einverstanden. Nur ist dies hier keine Konformgestaltung insofern, als die Schutzbestimmung für den Täter des Absatzes 1 weit­ gehender ist als die für den Täter des Absatzes 2. (Zuruf: Dafür ist ja Absatz 2 eine Kannbestimmung!) — D as ist richtig, das kann man mir entgegenhalten. I n § 413 werden wir die eingeklammerten Zahlen am besten weglassen. Der letzte Satz des ersten Ab­ satzes fällt zweckmäßigerweise ebenfalls fort. Ich komme zu § 414. Ich weiß nicht, ob wir uns da nicht etwas verrannt haben, indem w ir die außer­ gewöhnlich leichten Fälle im Allgemeinen Teil zuge-

lassen haben. Ich glaube, daß unsere Revision der Strasrahmenpolitik, die wir ja jetzt vornehmen, zwar auf der einen Seite dazu führen kann zu sagen, daß wir nun die besonders leichten Fälle nötiger als bis­ her haben; denn bei den Strafrahmen, die eigentlich grundsätzlich bis zur untersten Grenze gingen, hatten wir die besonders leichten Fälle kaum nötig. Aber ich meine, daß es eine gewisse Übertreibung der Beach­ tung von Ausnahmefällen ist, wenn wir die außer­ gewöhnlich leichten Fälle hervorheben, obgleich wir doch bei ihnen die Möglichkeit haben, erstens durch die Bagatellbestimmungen, zweitens durch die Durch­ brechung des Legalitätsprinzips zu helfen, ohne daß wir zu dem dritten Hilfsmittel, dem Hilfsmittel des Gnadenwesens, das gewiß nicht besonders befriedigt, zu greisen brauchen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie wollen also die besonders schweren Fälle ebenso wie die Ausnahmefälle aus dem Allgemeinen Teil überhaupt herausnehmen, (Staatssekretär Dr. Freister: J a ! ) die besonders schweren Fälle gesondert auftreten lassen, mit einer besseren Erläuterung als bisher, vielleicht auch mit mehreren Beispielen versehen — das bleibt alles vorbehalten — und die besonders leichten Fälle auch nicht in den Spezialtatbeständen erwähnen. Staatssekretär Dr. Freisler: W ir waren uns darüber klar, daß die leichteren Fälle des Besonderen Teiles etwas anderes sind als die außergewöhnlich leichten Fälle, denen wir durch § 414 Rechnung tragen wollten. Ich meine aber, wir haben jetzt etwas zu viel Mittel, um den Fällen des § 414 gerecht zu werden. W ir können ihnen gerecht werden und werden ihnen auch irgendwie gerecht werden durch die Durchbrechung des Legalitätsprinzips; das ist doch ziemlich sicher. Dann können wir ihnen auch gerecht werden durch die Bagatellbestim­ mungen — ich meine jetzt die Bagatellbestimmungen, die wir in der Strafprozeßordnung haben — ; dann durch die leichteren Fälle des Besonderen Teiles, die ich vorhin gar nicht erwähnt habe. Zum Schluß steht immer noch das Gnadenwesen dahinter. D as scheint mir darauf hinzudeuten, daß wir gerade der Äusweitungsmöglichkeit nach der Seite der Nichtverfol­ gung hin — in der Richtung läuft es ja doch — etwas zu viel Aufmerksamkeit gewidmet haben. Deshalb könnte ich mir denken, daß die außergewöhnlich leichten Fälle in dem Allgemeinen Teil nicht er­ scheinen, ohne daß ich damit sagen will, daß es sich bei der zweiten Durchsicht des Besonderen Teiles in diesem oder jenem Falle als notwendig erweisen sollte, außer den leichten Fällen auch noch einen außerge­ wöhnlich leichten Fall anzuerkennen. D as kann ich jetzt nicht überschauen; aber wenn dies der Fall sein sollte, dann möchte ich diese Fälle auch nur im Beson­ deren Teil regeln. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bon den kritischen Bemerkungen zu § 412 möchte ich eine zur Beachtung empfehlen, nämlich zu Absatz 2

Satz 1 der jetzigen Fassung. E s wurde vorgeschlagen, von der Beschränkung auf drei selbständige Taten abzusehen, weil der Mann, der gewerbsmäßig oder gewohnheitsmäßig handelt, vielleicht viel näher dem Begriff des Gewohnheitsverbrechers steht. Es müßte also eine entsprechende Ausweitung des Tatbestandes erfolgen. Professor Dr. Graf Glerspach: Ich glaube, daß manches in diesem Titel der Strafbemessung geändert werden muß, zunächst der Ausbau. § 408 enthält als Überschrift: „Grundsatz der Strafbemessung"; § 409 hat die Überschrift: „Strafbemessung bei Fahrlässigkeit". D as geht nicht an. Es ist ja heute schon mehrfach eine Umgestaltung in der Richtung befürwortet worden, daß der Grund­ satz der Strafbemessung für Vorsatz- und Fahrlässig­ keitsdelikte nicht derselbe sein könne. Der erste Absatz des § 408 ist meines Erachtens zu streichen. Ich schließe mich dem Gedanken vollkommen an, daß die Strafe ausdrücken soll, daß der Täter sich gegen die Gesamtheit vergangen hat. Daß er sich ihr gegenüber zu verantworten und seine T at zu sühnen hat, wird zum Ausdruck gebracht durch die Verurteilung, durch das Schuldurteil, aber nicht durch Art und Maß der Strafe. Daß der, der sich vergangen hat, das verant­ worten muß, ist etwas, wo eine Abstufung gar nicht zulässig ist. Ich nehme also an, daß der erste Absatz des § 408 wegfällt. Dann bleibt eigentlich als oberster Grundsatz der Strafbemessung: „Die Strafe soll dem Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft entsprechen". Dieser Satz ist sicher nicht unrichtig; aber er ist meines Erachtens als Grundsatz der Bemessung der Strafe viel zu weit ge­ faßt. Wenn man fragt, wie es denn bei der Verhän­ gung von Sicherungsmitteln ist, so würde man zu ganz gleichen Grundsätzen kommen: Auch das Siche­ rungsmittel soll dem Schutzbedürfnis der Volks­ gemeinschaft entsprechen. W ir haben eigentlich die Sicherungsmittel bisher regelmäßig gerade durch diesen Satz begründet und dadurch einen gewissen Gegensatz zu der Bestrafung und namentlich zu dem Ausmaß der Strafe zum Ausdruck gebracht. Ein wesentlicher Gegensatz auch zum Aufbau des Entwurfs ist ja die Bestimmtheit des Übels bei der Strafe, die Unbestimmtheit des Übels wenigstens der Ausdehnung nach bei dem Sicherungsmittel. Ich glaube daher, daß dieser Satz als oberster Grundsatz der Bemessung der Strafe in einem Gesetz nicht stehen kann, das so aufgebaut ist wie unser Entwurf. Dafür hat sich das Schlagwort „Willensstrasrecht" eingebürgert. Ich glaube, dem Bemühen, ein Willensstrafrecht zu schaffen, muß der oberste Grundsatz für die Strafbe­ messung angepaßt sein, ohne daß ich das jetzt näher ausführen wollte. S o ergibt sich daraus für mich zwingend, daß oberster Grundsatz der Strafbemessung nur Art und M aß der Schuld sein können. Ich würde also sagen: „Die Strafe ist nach der Schuld des Täters zu bemessen", und ich würde eigentlich nicht die Besorgnis haben, daß das mißverstanden werden könnte. Im m erhin kann man der Auffassung sein, es sei gut, diesem allgemeinen Satz noch eine gewisse Er-

läuterung beizufügen, und zwar jetzt notwendiger­ weise getrennt für Vorsatz und für Fahrlässigkeit. Ich würde dagegen gar nichts einzuwenden haben, etwa auf die besondere Verwerflichkeit der Gesinnung des Täters, auf das hohe M aß und überhaupt das Maß seines Leichtsinns hinzuweisen, ähnlich wie der Ent­ wurf das versucht. Aber — und da darf ich mich auf das berufen, was Sie, Herr Reichsminister, früher schon ausgeführt haben — sobald man das tut, kann man zur Kennzeichnung der besonders schweren und der besonders milden Fälle nt. E. nichts Neues bei­ bringen und kommt dann notwendigerweise in eine Wiederholung dessen hinein, was schon in dem Haupt­ grundsatz gesagt worden ist. Darum würde ich eigent­ lich auch die Technik vorziehen, als Grundsatz der Strafzumessung den einzigen fundamentalen Satz auszusprechen: „D er Richter bestimmt die Strafe nach der Schuld des T äters", wie es der Schweizer Ent­ wurf auch sehr schön gerade mit diesen Worten gesagt hat, und dem Bedürfnis nach einer Erläuterung durch eine Begriffsbestimmung der besonders leichten und der besonders schweren Fälle noch entgegenzukommen. E s könnte ungefähr so bleiben, wie es ist, mit kleinen Änderungen. D araus ergibt sich ja ein Rückschluß auf das, was wir hier unter Schuld verstehen. Eine Er­ läuterung ist sicherlich empfehlenswert; aber ich glaube, sowohl eine Erläuterung des Hauptgrund­ satzes der Strafbemessung wie der Versuch, die be­ sonders schweren und leichten Fälle noch zu be­ schreiben, führt notwendigerweise dazu, daß man eigentlich denselben Gedanken nur wiederholt und seine Wirksamkeit dadurch eher abschwächt. Nach dem Gesagten fällt § 409 als solcher weg. Ich möchte hier nur zur Formulierung die Bitte aus­ sprechen, daß man das W ort „Gleichgültigkeit" weg­ läßt. Ich fürchte, daß dadurch eine Abschwächung des Gebietes des eventuellen Vorsatzes und eine Ver­ engerung der Fahrlässigkeit entstehen könnte. Denn wir sind ja ursprünglich sogar von der Tendenz aus­ gegangen, das Gebiet des eventuellen Vorsatzes gegen das der bewußten Fahrlässigkeit hin womöglich etwas zu erweitern. Wenn das auch jetzt fallengelassen wurde, so wollen wir doch sicher keine Einschränkung des eventuellen Vorsatzes, und ein ganz wesentliches Element des eventuellen Vorsatzes ist die Gleichgültig­ keit des Täters gegenüber den einzelnen als möglich erkannten Folgen seiner Tat. Darum sollte man dieses psychologische Moment, das gerade für den eventuellen Vorsatz bedeutsam ist, nicht in einer Regel oder in einer Erläuterung der Schwere der Schuld­ form der Fahrlässigkeit verwenden. § 410 (Bemessung der Geldstrafe) fällt nt. E. rest­ los weg. Es ist über die Bemessung der Geldstrafe nicht mehr zu sagen als das, was der allgemeine Grundsatz der Strafbemessung enthält. Was bei Bemessung einer Geldstrafe Besonderes gilt, haben wir schon an einer anderen Stelle zum Ausdruck ge­ bracht. Der Absatz 2 ist schlechthin zu streichen. Die Geldstrafe soll und darf nicht die Funktion haben, dem Täter den erzielten Gewinn abzunehmen, sondern das ist Sache einer besonderen Maßregel. Ich glaube, daß es kaum notwendig ist, das noch weiter zu erläutern,

weil ja der richtige Weg schon ungefähr angenommen zu sein scheint. Ich würde sonst nur darauf verweisen, daß die Bemessung der Geldstrafe auch nach dem Vor­ teil, den der Täter erlangt hat oder erlangen wollte, gegen den Gedanken verstößt, den Herr Staatssekretär Freister vorgestern sehr stark unterstrichen hat, man solle doch die Entschädigung des durch das Verbrechen Geschädigten nicht unmöglich machen durch die Höhe, der Geldstrafe. Aber auch andere Gründe sprechen gegen diesen Vorgang. über die besonders schweren Fälle und die be­ sonders leichten Fälle habe ich nach dem, was ich schon früher ausgeführt habe, nichts mehr zu sagen. Wenn § 411 beibehalten bleibt, so würde ich nur der Mei­ nung sein, daß Zahl 1 und Zahl 2 umzustellen sind. Zu tz 412 (Gewohnheitsverbrecher) würde ich die Umstellung, die die Sachbearbeiter des Reichsjustiz­ ministeriums angeregt haben, durchaus billigen und möchte im übrigen nur zwei kleine Anmerkungen machen. Ich frage mich, ob es eigentlich dem jetzigen S til des Entwurfs entspricht, die sogenannte Rückfall­ verjährung zwingend mit der doch rein formalen Grenze von fünf Jahren beizubehalten. D as sollte zum mindesten abgemildert werden. Es ist ziemlich brutal, daß deshalb, weil die T at fünf Jah re und zehn Tage zurückliegt, die T at nicht mehr soll berück­ sichtigt werden können. Ich würde hier dem Richter doch eine gewisse Freiheit geben. Ebenso frage ich mich, ob der letzte Absatz des § 412 als zwingend auf­ rechterhalten werden soll. Grundsätzlich ist es sicher richtig, daß die ausländische Verurteilung der inlän­ dischen gleich gehalten werden muß. Ich kann mir aber doch mit Rücksicht auf die verschiedene Kulturhöhe der Staaten und auch mit Rücksicht auf die besonderen politischen Verhältnisse, wie sie gerade in der Gegen­ wart so stark hervortreten, vorstellen, daß die Berück­ sichtigung ausländischer Verurteilungen zu einem Ergebnis führen könnte, das eben nicht richtig ist, so daß also die Vorschrift vielleicht als bloße Kann-Vorschrist oder in irgendeiner Ausweitung besser wäre als die jetzige Vorschrift. Wenn schließlich zu § 414 noch ein W ort gesagt werden soll, so würde ich es sehr begrüßen, wenn es möglich wäre, ihn ganz zu streichen. Ich glaube, daß hier in der T at die Gefahr eines starken Abgleitens von einer durchschnittlichen Strafhöhe, die wir wünschen, gegeben ist. Ich würde so, wie der Herr Staatssekretär Freister, meinen, man sollte zum mindesten den Paragraphen nur bedingt aufrecht­ erhalten und bei der Durchprüfung und ja teilweisen Neugestaltung der Strafsätze im Besonderen Teil, die jetzt in Aussicht steht, wohl zu dem Ergebnis kommen, daß man mit ein paar Ausnahmebestimmungen int Besonderen Teil das Auskommen finden kann, daß aber § 414 als allgemeine Ermächtigung nicht mehr erforderlich wäre. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Eingangsworte des Herrn Gras Gleispach möchte ich auch besonderer Beachtung empfehlen. Die Frage nach der Strafbemessung kann man nur klar beantworten nach dem M aß der Schuld. W ir können

s also hier eigentlich nur den Maßstab bestimmen, nichts anderes. Ich würde nur dann vorschlagen, die beiden Grenzpunkte hier zu beschreiben, wenn es uns gelänge, irgendwelche typischen Formen dafür aufzustellen, wann der erste und wann der andere Grenzfall ein­ tritt. D as gelingt, behaupte ich, nicht und ist auch im Entwurf nicht gelungen, der mit dem Wort „besonders" nichts als eine Umschreibung gibt. Auch der Begriff der „Schädigung des Volkes" ist schon vorn anzu­ treffen als: „Angriff auf die Gesamtheit". Reichsgerichtsrat Niethammer: Auch ich erachte die Vereinfachung des § 408, die Herr Gras Gleispach vorgeschlagen hat, für begründet. Ich bin der Meinung, daß der § 410, der von der Bemessung der Geldstrafe handelt, in keinem Stück mehr hier aufrechterhalten wird. I m übrigen habe ich Anlaß, mich insbesondere über den § 412 (Ge­ wohnheitsverbrecher) auszusprechen. M it dem § 20 a des S tG B , und mit dem Artikel 5 des Gewohnheits­ verbrechergesetzes, der die Übergangsvorschriften trifft, ist außerordentlich schwer zu arbeiten. M an mag das schon allein daraus entnehmen, daß das Erläuterungs­ werk, das für diese Vorschriften geschrieben worden ist, einen überaus großen Umfang angenommen hat. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Begriff des Gewohnheitsverbrechers ist nach meiner Überzeugung bis jetzt noch nicht befriedigend. D as hängt damit zusammen, daß zunächst einmal, als die Vorschriften neu waren, im Übermaß beantragt worden ist, die Leute in Sicherungsverwahrung zu nehmen, zumal die Insassen von Gesängnisanstalten, daß das Reichs­ gericht dadurch veranlaßt worden ist, hemmend zu wirken, und daß es hierbei allgemeine Grundsätze auf­ gestellt hat, deren Durchführbarkeit bei den einzelnen Gerichten mindestens fraglich ist. M an hat zu viel verlangt; man ist genötigt, langsam abzubauen, die Sache leichter, lockerer zu gestalten, um dem Einzelfall mehr gerecht werden zu können. Aber einiges, was heute hier berührt worden ist, hat sich aus der Rechtsprechung als durchaus not­ wendig hervorgehoben. D as ist zunächst die von Herrn Staatssekretär Freister beanstandete Erwäh­ nung der Taten. Der Richter ist zunächst in weiten Bezirken des Reiches geneigt gewesen, sich wegen der hier zu entscheidenden Frage an das Strafregister zu halten. D a hat er ja die Persönlichkeit. Dieses Ver­ fahren haben wir immer bekämpft und müssen wir immer bekämpfen. D as geht nicht. Der Richter muß die Taten selbst ansehen, die den T äter als einen Gewohnheitsverbrecher in seiner Persönlichkeit kenn­ zeichnen. Ich lege großen Wert darauf, daß die Worte „und Taten" bleiben. I n welchen sprachlichen Zu­ sammenhang dies gebracht wird, ist von verhältnis­ mäßig geringer Bedeutung. Nun das andere! Zu Absatz 2 soll bestimmt werden, daß für die Fälle, in denen mehrere ver­ brecherische Handlungen, die für sich den Tatbestand erfüllen, zu e i n e r T at zusammengefaßt werden, weil ein Zusammenhang obwaltet — Gewerbsmäßigkeit, Gewohnheitsmäßigkeit oder Fortsetzung — , die Strafe

verschärft werden kann. Auch mir erscheint es uner­ träglich, daß man den, der jahrelang gewerbsmäßig Abtreibungen vorgenommen hat oder in vielen Fällen in anderer Weise gegen dasselbe Gesetz gefehlt hat, nicht unter den Absatz 2 sollte bringen können. Doch glaube ich, daß wir uns an dieser Stelle mit dieser Frage vorläufig nicht abgeben sollten. W ir haben uns beim Reichsgericht, als wir den Entwurf mit seinen Vorschlägen für Tateinheit und Tatmehr­ heit besprachen, besonders eindringlich mit der Frage abgegeben, wie eigentlich die Gewerbsmäßigkeit, die Gewohnheitsmäßigkeit und der Fortsetzungszusam­ menhang zu gestalten seien. Uns drängte sich da ein Mißstand auf, der vielfach zu Ungerechtigkeiten zu­ gunsten des Schuldigen führt. W ir sind der M ei­ nung, daß grundsätzlich von der bisherigen Regelung, die alles als eine Einheit auffaßt, abgerückt werden muß, sowohl bei der Gewerbsmäßigkeit und Gewohn­ heitsmäßigkeit als auch besonders beim Fortsetzungs­ zusammenhang, daß die Selbständigkeit der einzelnen, für sich allein den Tatbestand erfüllenden Handlungen für die Regel Platz greifen muß. Daß gewisse Schwierigkeiten bestehen, daß Ausnahmen erforderlich sind, wird noch an Ort und Stelle zu besprechen sein. Aber wir möchten aus dem herauskommen, was uns bei den versahrensrechtlichen Vorschriften über die Rechtskraft außerordentlich hindert. W ir möchten in die Lage versetzt werden, den, der gewerbsmäßige Hehlerei nachgewiesenermaßen in fünf Fällen be­ gangen hat, auch wegen fünf Verbrechen der gewerbs­ mäßigen Hehlerei zu bestrafen, damit uns nicht irgend etwas entgeht, was durch den Zusammenhang in die Rechtskraft hineingepreßt wird. Ich bitte, mir zu erlauben, diese Frage eingehend bei den §§ 415 ff. darzulegen und vorzutragen, was das Reichsgericht in dieser Richtung vorschlägt. Wenn das gutgeheißen würde, dann wäre der Absatz 2 des § 412 durchaus unbedenklich. M it der ausländischen Verurteilung haben w ir keine Erfahrungen gemacht. Ich kann also darüber nichts sagen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Den Wunsch nach Auflockerung, den auch Herr Gras Gleispach ausgedrückt hat, könnte man in der jetzigen Fassung des Absatzes 3 auch so zum Ausdruck bringen: „Eine frühere Verurteilung kann außer Betracht bleiben, wenn . . .". D as würde, glaube ich, Ihrem Gedanken ungefähr entsprechen. (Professor Dr. Graf Gleispach: J a !) — Dann würde ich die Frist eine Art Verjährungs­ frist nennen, wenn man mit der Kann-Vorschrist einleitet. Wegen der ausländischen Verurteilung sehe ich eine besondere Gefahr deswegen nicht, weil der letzte Absatz nur eine Aussage darüber enthält, wie eine ausländische Verurteilung im Verhältnis zu einer inländischen Verurteilung zu bewerten ist, aber gar nichts darüber sagt, ob diese ausländische Verurteilung irgendeine besondere Rolle für die Bewertung der Gesamtpersönlichkeit hat oder eine Symptomtat ist.

Professor Dr. Graf Gleispach: Ich weiß nicht, ob nicht, wenn man die auslän­ dische Verurteilung der inländischen gleichstellt, damit eigentlich doch gesagt ist: du Richter mußt diese Tat und dieses Verhalten in dem Sinne des ausländischen Urteils werten. Sonst ist es eigentlich nicht gleich­ gestellt. (Ministerialdirektor Schäfer: Gesamtwürdi­ gung bleibt unbenommen!) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn wir die Persönlichkeit hier auftreten lasten, sei es mit, sei es ohne Taten, dann ist die letzte Frage doch die: Is t der M ann ein Gewohnheitsverbrecher? D aß dazu auch eine ausländische Verurteilung heran­ gezogen werden darf, das und nicht mehr sagt der letzte Absatz. Professor Dr. G raf Gleispach: Darf ich ein Beispiel anführen! Ich nehme an, jemand hat sich in einem ausländischen S ta a t wieder­ holt gegen die Staatsgew alt vergangen, aber unserer Auffassung nach in berechtigtem Kampfe für sein Volkstum gegen eine Staatsgew alt, die dieses Volks­ tum vergewaltigt. Jetzt begeht er ein solches Delikt hier. Der Richter ist dann nicht berechtigt zu sagen, „das charakterisiert diesen M ann nicht", sondern ich glaube, er müßte dann vom Standpunkt der auslän­ dischen Verurteilung aus sagen: „Er hat bereits zweimal diesen verbrecherischen Willen betätigt, gegen die Staatsgew alt anzugehen; jetzt tut er es das dritte M al. Ergo ist er ein gefährlicher Gewohnheits­ verbrecher". (Ministerialdirektor Schäfer: Es ergibt die Gesamtwürdigung der Taten, daß er ein ge­ fährlicher Gewohnheitsverbrecher ist!) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin ewas im Zweifel darüber, ob man in der Regel den Gewohnheitsverbrecher im Gebiet des Hochverrats suchen wird. D as glaube ich nicht. Nach meiner Kenntnis über die englische Statistik aus dem Jah re 1908, als die lex C axton eingebracht worden ist, findet sich das Gewohnheitsverbrechertum im Gebiete des Diebstahls, des Betruges und der S itt­ lichkeitsverbrechen, also bei verschiedenen, aber ganz typisierten Formen des Verbrechens. Der Diebstahl umfaßt nach meiner Erinnerung ungefähr Dreiviertel der Fälle, gewerbsmäßige Betrügereien in allen Formen, internationales Falschspielen usw. einbe­ griffen; dann kommt noch ein ganz kleiner Ausschnitt: Sittlichkeitsverbrechen. S o sieht das Bild in Wirk­ lichkeit aus. M an muß die ausländische Verurteilung also nicht gerade ignorieren. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as versteht sich von selber!) — M ir scheint der Kampf gegen das internationale Verbrechertum doch immerhin am Platze zu sein. Es ist durchaus angebracht, es als Unterlage für die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit zu benutzen,

wenn jemand in Berlin, Rom und P a ris wegen Falschspiels verurteilt ist. (Ministerialdirigent Dr. Schäfer: M an muß auch das Urteil haben, um die T a t als Sym p­ tomtat werten zu können!) Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich meine auch zu § 408, daß aus dieser Stelle alles heraus muß, was nur mit dem Strafzweck zu tun hat, auch der zweite Satz: „Die Strafe soll dem Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft entsprechen"; denn gerade die Sicherung der Volksgemeinschaft ist der Hauptzweck der Strafe. D as muß dann also in den Allgemeinen Bestimmungen oder in der Präam bel ausgesprochen werden. I m übrigen schließe ich mich dem Vorschlage an, an d i e s e r Stelle zu sagen, daß der Täter nach dem Maß seiner Schuld zu bestrafen ist. D as würde also der Satz sein, den wir neulich bei der Teilnahme erörtert haben, und der nach unserer Auffassung dort deplaziert war. F ü r den Vorsatz würde ich — es besteht Einigkeit darüber — daran festhalten, daß wir, um eben von dem alten Ersolgsstrafrecht abzurücken, hier die Intensität des verbrecherischen Willens als Hauptstrafmaß in den Vordergrund stellen müssen, des Willens, wie er sich aus der Art des Angriffs auf die Friedensordnung oder Rechtsordnung — das ist be­ anstandet worden; man könnte ja einfach sagen: „Wie er sich aus der Art und Weise der Ausführung der T at" — ergibt, ferner aus den verschuldeten Folgen der T at und aus dem Verhalten nach der Tat. D as würde ich stehen lassen. Bei der Fahrlässigkeit würde ich — das ist bis jetzt noch nicht hervorgehoben worden — statt „ver­ ursacht" sagen: „verschuldet", so daß der Satz lauten würde: „Die Gefahr und der Schaden, die er ver­ schuldet hat, sind dabei zu beachten". D as steht übrigens auch schon im Abteilungsvorschlag. D as, was Herr Graf Gleispach gegen die „Gleich­ gültigkeit" als Maßstab der Fahrlässigkeit ausgeführt hat, kann ich nicht unterschreiben. Es ist ja gerade das Kennzeichen, daß auch der unbewußt fahrlässig Handelnde eine Einstellung gegen die Rechtsordnung hat, die man als Gleichgültigkeit gegen die Erhaltung der Lebensgüter bezeichnen muß. D as trifft doch nicht nur für den dolus eventualis zu. Letzterer ist doch eigentlich mehr als Gleichgültigkeit; wenn auch in unserer Definition des dolus eventualis die Gleich­ gültigkeit anklingt. Sie ist jedenfalls ersahrungsmäßig ein Hauptmaßstab der Fahrlässigkeit, so daß ich glaube, man könnte Gleichgültigkeit neben Leicht­ sinn stehen lassen. § 410 würde nach allem, was bisher erörtert worden ist, wegzufallen haben. Ich weiß nicht, ob die Meinung gelten soll, daß die Wiedereinbringung des aus der T at gezogenen Nutzens oder die Berücksichtigung dieses Nutzens bei Bemessung der Geldstrafe ganz wegfallen soll, und zwar aus dem Gedanken heraus, daß wir dem Täter nicht sein Geld wegnehmen sollten, damit die Ge-

schädigten auch noch etwas bekommen. An sich ist es ein gesunder Gedanke, daß z. B. jemand, der in großem Umfange gewuchert hat, der Allgemeinheit das, was er durch seine wucherische T at erlangt hat, wieder herausgeben muß. D as Land Thüringen hat hier angemerkt, das könne nicht gelten, wenn der Betreffende das Geld, das er gewonnen habe, schon verschleudert habe; dann sei diese Bestimmung nicht gerecht. Das ist wohl richtig. I m übrigen wird die Mitberücksichtigung des aus der T at gezogenen Nutzens bei den §§ 391 ff., wie wir gestern besprochen haben, immerhin noch in Erwägung zu ziehen sein. Die besonders schweren und die außergewöhnlich leichten Fälle muß man meines Erachtens zusammen behandeln. W ir waren in der ersten Lesung davon aus­ gegangen, daß wir gegenüber der Verweichlichung des Strafrechts in der früheren Periode einen besonderen Hinweis auf die Verschärfung der strafrechtlichen Ver­ antwortlichkeit brauchen. Wir wollten dem Richter das Rückgrat stärken und haben das getan durch Einfüh­ rung der besonders schweren Fälle. Als Gegengewicht wollten wir außergewöhnlich leichte Fälle anerkennen. Ich gehe davon aus, daß wir auf die außergewöhnlich leichten Fälle werden verzichten können, wenn wir sie im Besonderen Teil bei einzelnen Tatbeständen vor­ sehen, wozu hier und da sicher ein Bedürfnis vorliegen wird. Ich erinnere mich aus der ersten Lesung des Be­ sonderen Teils, daß z. B. Fälle, wie die Sterbehilfe, nicht besonders geregelt werden sollten und daß dabei auf die außergewöhnlich leichten Fälle verwiesen wurde. Wenn wir von den außergewöhnlich leichten Fällen jetzt absehen sollten, müßten wir doch einen derartigen Tatbestand im Besonderen Teil berücksich­ tigen. Ich halte das, wie später auseinanderzusetzen sein wird, für nötig. Fallen aber nun im Allgemeinen Teil die außergewöhnlich leichten Fälle fort, wogegen ich kein Bedenken hätte, dann würden auch die beson­ ders schweren Fälle als Gegengewicht nicht mehr not­ wendig sein, und ich würde mich damit abfinden, daß die besonders schweren Fälle aus dem Allgemeinen Teil auch herauskämen. Zum § 412 meine ich auch, daß wir ihn freier und großzügiger gestalten sollten. Der Kerngedanke ist der, daß der gefährliche Gewohnheitsverbrecher als solcher besonders getroffen werden soll. Dabei kann man nicht einseitig und vorwiegend auf die Tatsache des Rück­ falls abstellen. E s ist ferner von verschiedenen Seiten bemängelt worden, daß in Abs. 2 von verschiedenen Taten die Rede ist. Die Eigenschaft eines Menschen als gefährlichen Gewohnheitsverbrechers kann sich schon aus einem erstmaligen Fall ergeben, insbeson­ dere aus einer fortgesetzten oder gewerbsmäßigen oder gewohnheitsmäßigen Tat. Ich würde daher so formu­ lieren, daß der Rückfall nicht im Vordergründe steht, sondern nur als Beispiel, als eines der Hauptindizien für das Vorliegen des Zustandes eines gefährlichen Gewohnheitsverbrechertums angeführt wird. Auf Ein­ zelheiten, daß der Täter zweimal rechtskräftig verurteilt und ausgerechnet zu einer Freiheitsstrafe von minde­ stens 6 Monaten verurteilt sein muß, würde ich nicht abkommen. Ich halte das für eine kleinliche Zufalls­ mathematik und darf darauf hinweisen, daß der Natio­

nalsozialistische Huristenbund sich auch gegen solche festen Maßstäbe für die Beurteilung der Frage des ge­ fährlichen Gewohnheitsverbrechers ausgesprochen hat. D as sind doch Richter, die aus der Praxis heraus urteilen, vor allen Dingen Richter, die in der Front­ praxis stehen und sich nicht dabei wohlfühlen, wenn sie gezwungen sind, Einzelheiten, ähnlich wie es nach dem geltenden Recht § 244 ist, daß jemand etwas be­ gangen und dann Strafe verbüßt und noch einmal etwas begangen und wieder Strafe verbüßt hat, fest­ zustellen. Das ist meines Erachtens hemmend, so daß ich zu dem Vorschlag komme zu sagen: Ergibt die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters, ins­ besondere seines Vorlebens — darin würde die Rück­ sicht auf die Vorstrafen stecken — , daß er ein gefähr­ licher Gewohnheitsverbrecher ist, so ist er zu diesen schweren Strafen zu verurteilen. M an könnte nun, da ein Rückfall als solcher immerhin in der Praxis eine große Rolle spielt, vielleicht noch anfügen: D as kommt insbesondere in Betracht, wenn der Täter zweimal e r h e b l i c h vorbestraft worden ist, ferner, wenn der T äter gewerbsmäßig gehandelt hat. Ich würde es also nicht auf die sechs Monate abstellen; denn wir wissen ja, von welchen Zufälligkeiten es abhängt, ob jemand 5, 6 oder 7 Monate bekommt. Ich würde also den Rückfall nur als Unterfall, als Anwendungsfall und als Indiz hervorheben und in den Vordergrund den Gedanken des Gewohnheits-(Berufs-)Verbrechertums stellen. Das ergibt sich in erster Linie aus der Gesamt­ würdigung des Täters und der Tat. Die Gefährlich­ keit kann sich schon aus einer einmaligen Handlung ergeben. Ich würde also Abs. 2 vollständig weglaffen. W ir hasten noch viel zu sehr am Rückfallgedanken, der in unserem Gesetzbuch ja ganz willkürlich und kasuistisch geregelt worden ist. Ich glaube aber, inzwi­ schen ist der Gedanke stark geworden, daß es einzig und allein auf den gefährlichen Zustand des Verbre­ chers als solchen ankommt. Die Bestimmungen über die Rückfallverjährung, die ich auch für recht formal halte, könnten dann wegfallen. Gemildert würde das Bedenken gegen die Verjährungsvorschriften werden, wenn aus der Muß-Vorschrift eine Kann-Vorschrift würde. Gegen die Berücksichtigung der ausländischen T at habe ich gar kein Bedenken. Es liegt doch sehr nahe, wenn ich z. B. einen internationalen Hochstapler vor m ir habe, der so und so oft im Auslande verurteilt ist, die ausländische T at bei der Gesamtwürdigung der Persönlichkeit zu berücksichtigen. E s soll nur verhin­ dert werden, daß ganz geringfügige Verurteilungen hier herangezogen werden. Es soll eine gewisse Glei­ chung geschaffen und ein Maßstab an die Hand gegeben werden, ob wir noch wenigstens Gefängnis geben würden. Aber ich glaube, der ganze Absatz ist überflüssig. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zwei Anmerkungen! Der Gedanke des § 410 Abs. 2, wonach die Geldstrafe so bemessen werden soll, daß sie den Nutzen nicht übersteigt, läßt sich mit dem System der Tagesbuße nicht darstellen. Denn das hat gar keine Beziehung zur Wirtschaftskraft des Täters,

sondern hängt von ganz anderen Dingen ab. Wenn wir also sagen wollten, daß der aus der T at gezogene Nutzen ihm nicht verbleiben soll, müßten wir einen anderen Weg finden, den der Einziehung oder sonst einen, aber nicht den der Geldstrafe. Eine zweite Anmerkung, und da hoffe ich die Unterstützung des Herrn Reichsgerichtsrat Niet­ hammer zu finden: Die ideale Lösung wäre zu sagen: Wenn der Richter aus der Gesamtpersönlich­ keit den Eindruck hat, daß der Täter ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, dann hat er die Siche­ rungsverwahrung anzuordnen. Ich kann aber vor nichts so dringend warnen, als vor einem solchen ge­ setzlichen Ausspruch, weil die P raxis zeigt, daß von den Möglichkeiten der Sicherungsverwahrung im Anfang ein Gebrauch gemacht worden ist, der geradezu unver­ ständlich war. Ich wäre dankbar, wenn sich Herr Reichsgerichtsrat Niethammer dazu äußern würde. Aus einer seiner Bemerkungen glaube ich entnommen zu haben, daß er sich selbst ähnliche Gedanken ge­ macht hat. Professor Dr. Schafsftein: Herr Minister, wenn ich zum § 412 Stellung nehmen darf, so halte ich die von Ihnen eben vorge­ brachten Bedenken auch für durchschlagend. Ich habe Ähnliches auch immer wieder von Richtern aus der Praxis, insbesondere auch von den Herren des Reichs­ gerichts gehört. M an sollte es im wesentlichen bei dem System des § 412 belassen und nicht etwa eine Gene­ ralklausel einfügen. — I m übrigen möchte ich ent­ schieden die Vorschläge des Grafen Gleispach unter­ stützen, vor allem soweit sie sich auf die Fassung der §§ 408 ff. beziehen. Auch ich glaube, daß es sich im Abs. 1 des § 408 um eine Bestimmung handelt, die gar nicht in die Strafbemessung hineingehört. D as ist dagegen in Abs. 2 der Fall: „Die Strafe soll dem Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft entsprechen." W ir können nun aber, besonders wenn Abs. 1 weg­ fällt, diese Bestimmung nicht allein stehen lassen; denn dieser Abs. 1 allein würde einem Präventivstrafrecht entsprechen und das Gegenteil von dem sein, was wir im Strafrecht erstreben. D as Willensstrafrecht ist nicht etwa ein spezialpräventives Täterstrasrecht im Sinne der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung. Würde man den Abs. 2 hier stehen lassen, so müßte man das notwendigerweise daraus schließen. I n diesem Zusammenhang möchte ich auch auf den meines Erachtens ganz verfehlten § 1 des Entwurfs der Strafversahrensordnung Hinweisen, der ausdrücklich besagt: Ausgabe der Strafrechtspflege ist es, das Ver­ brechen mit den M itteln der Strafe und der sichern­ den Maßnahmen zu bekämpfen, die Rechts- und F rie­ densordnung des Volkes zu schützen und so dem Ge­ meinwohl zu dienen. D arin ist dasselbe enthalten wie hier im Abs. 2 des § 408. Es wird sogar als Ziel der Strafrechtspflege ausgegeben. Wenn wir hier eine unserer Grundanschauung entsprechende Bestimmung über die Strafzumessung einfügen wollen, muß auch der § 1 der Versahrensordnung fallen. Ich weiß nicht, ob später noch einmal Gelegenheit dazu gegeben ist, zu der Strafversahrensordnung Stellung zu nehmen.

Wenn aber die Strafverfahrenskommiffion in ihrem Entwurf zu einer unserer ganzen Grundanschauung entgegengesetzten Bestimmung des Zieles der S tra f­ rechtspflege gelangt, scheint es mir notwendig zu sein, die Notwendigkeit einer einheitlichen Zielsetzung mit aller Schärfe an dieser Stelle zum Ausdruck zu bringen. D as Richtige wäre nach meiner Auffassung, festzustellen: „Die Strafe ist nach der Schuld des Täters zu bemeffen" und in der allgemeinen Bestim­ mung über die Strafbemessung weiter nichts zu sagen. Was wir uns unter Schuld vorstellen, könnte an der Aufzählung der besonders schweren Fälle näher erläu­ tert werden; ich stelle sie mir allerdings auch ähnlich vor wie im § 411 Abs. 2. Dort würde ich die Ziffern 1 und 2 aber umstellen, weil die Ziffer 2 dem Willens­ strafrecht entspricht. Den § 414, die außergewöhnlich leichten Fälle, sollte man streichen und die besonders leichten Fälle im Besonderen Teil aufzählen. Weiter möchte ich vor­ schlagen, in der allgemeinen Bestimmung über die Frage, wie die Schuld des Täters zu bemeffen ist, es nicht wie bisher bei einer Soll-Bestimmung zu be­ lassen, sondern eine Ist-Bestimmung einzufügen; denn das ist die einzige Strafzumeffungsregel, die wir geben können. Es handelt sich nicht etwa wie in Abs. 2 nur um einen von mehreren Gesichtspunkten, der bei der Strafbemessung zu berücksichtigen ist. Ich möchte also vorschlagen: Die Strafe ist nach der Schuld des Täters zu bemessen. Die praktische Bedeutung würde sein, daß damit die Strafzumessungsentscheidung ganz eindeutig als revisibel gekennzeichnet würde. Denn wenn ein Richter die Strafe nicht nach der Schuld des Täters bemißt und dabei nicht den Schuldbegriss zu­ grundelegt, den wir zugrundelegen, so würde er eine Rechtsverletzung begehen. Ich halte eine solche Revisi­ bilität der Strafzumessungsentscheidung für unbedingt geboten; sie setzt nur den Schlußstein für eine Entwick­ lung, die das Reichsgericht schon angebahnt hat. Herr Landgerichtsdirektor Leimer hat mit Recht darauf hin­ gewiesen, daß das Reichsgericht in neuerer Zeit oft auch die Strafzumessungsentscheidung einer Nachprü­ fung unterzogen hat. Ich glaube, daß diese in den letzten Jahrzehnten stark zum Ausdruck kommende Tendenz durchaus nützlich und berechtigt ist. Ich könnte mir den Rechtsverstoß bei den Strafzumes­ sungsentscheidungen in doppelter Hinsicht vorstellen. Ich könnte mir erstens vorstellen, daß die Richter den Begriff der „Schuld" in unserem Sinne mißverstehen würden. S o könnte etwa ein Richter eine Straszümessungsentscheidung aus rein spezialpräventiven Gesichtspunkten begründen und irrtümlich glauben, daß das dem Schuldbegriff unseres Gesetzes ent­ sprechen würde. Ich könnte mir auch denken, daß er vom Standpunkt einer Tatvergeltung im Sinne der klassischen Schule ausgeht, und das würde dem Willensstrafrecht auch nicht gerecht werden. Geht ein solcher Irrtu m aus der Begründung hervor, so wäre das Urteil aufzuheben. D as Reichsgericht würde auf diese Weise dazu kommen, den Begriff der Schuld ge­ rade auch bei der Strafzumessung näher zu entwickeln. E s würde diese Lösung auch wesentlich besser sein, als wenn wir einen Katalog einzelner Strafzumessungs-

gründe ausstellen würden, deren Nichtbeachtung das Urteil revisibel machen würde und seine Aufhebung zur Folge hätte. Zweitens wäre es aber möglich, daß eine Revision darauf gestützt würde, daß überhaupt keine hinreichende Begründung der Straszumessungsentscheidung gegeben ist. Ich dachte bisher, die Wen­ dung von einer „schablonenhaften" Strafzumessungs­ entscheidung sei nur eine Redensart. Aber sie soll tat­ sächlich wörtlich wahr sein, und es soll vorkommen, daß manche Richter Stempel verwenden. Auch darin würde eine Rechtsverletzung liegen. Auf diese Weise würde dann das Reichsgericht seine neue und vor­ dringliche Funktion, vor allem das gute Gewissen des Richters zu sein und dieses Gewissen zu schärfen, er­ füllen. Vielleicht könnte man auch in die Strafver­ fahrensordnung, etwa im Zusammenhang mit § 376 des Entwurfs, eine ausdrückliche Bestimmung auf­ nehmen, nach welcher die Straszumessungsentscheidung ebenfalls revisibel ist. Aber selbst wenn das nicht geschehen würde, würde es doch eindeutig aus den Worten „ist nach der Schuld des Täters zu bemessen" hervorgehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wollen die Herren, die für diesen lapidaren E in­ gangssatz in der Ist-Form plädieren, den ich für richtig halte, auf die Beschreibung des Referentenentwurss verzichten, wonach es auf den verbrecherischen Willen ankommt, wie er sich aus den Indizien — P e r­ sönlichkeit, Art des Angriffs usw. — ergibt? (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich möchte das nicht.) — Ich bin mir darüber nicht klar geworden. Herr Graf Gleispach wollte auch auf Abs. 2 ganz verzichten. Die Herren, die auf die Beschreibung der Abteilung verzichten wollen, wollen dasselbe zum Ausdruck bringen durch eine Qualifizierung der schweren Fälle. Ein besonders schwerer Fall liegt vor bei einem be­ sonderen verbrecherischen Willen, einer besonderen Art des Angriffs usw. So kann man natürlich auch ver­ fahren. Ich glaube aber, daß wir, wenn wir die be­ sonders leichten Fälle weglassen, die besonders schweren Fälle nicht brauchen, jedenfalls vorläufig nicht. Vizepräsident Grau: Wenn ich mit einer Äußerlichkeit beginnen darf, so möchte ich zu § 408 vorschlagen, diese Vorschrift einfach mit „Strafbemessung" zu überschreiben und nicht „Grundsatz der Strafbemessung" zu sagen. Denn das ist sprachlich nicht richtig, zumindest müßte es dann heißen: „Grundsatz f ü r die Strafbemessung". § 408 soll die allgemeine Strafbemessungsregel enthalten; diese muß nach meiner Ansicht so aufgebaut werden, daß sie auch für die Fahrlässigkeit und für die Geldstrafe gilt und daß sie die besonders schweren Fälle mit umfaßt. Ausgangspunkt für die Strafbe­ messung in einem Willensstrafrecht muß der Satz sein, daß die Schuld für die Höhe der Strafe maßgebend ist. Es ist nun zweifelhaft, ob man einen solchen Satz in das Gesetz hineinschreibt. Ich würde in der Vorschrift sagen, daß die für die Strafbemessung maßgebliche

Schuld des Täters bei vorsätzlichen Delikten aus der Stärke seines verbrecherischen Willens, bei Fahrlässigkeitsdelikten aus dem Maße seines Leichtsinns und seiner Gleichgültigkeit zu entnehmen ist. Beides gehört in § 408 Abs. 1 hinein. Besonders wichtig scheint es mir ferner, in dieser Vorschrift auch klar zu bestimmen, woraus der Richter nun den Grad und die Stärke des verbrecherischen Willens und der Fahrlässigkeit schließen soll und kann. Die Erkenntnisquellen für die Stärke des verbrecherischen Willens und für den Grad des Leichtsinns und der Gleichgültigkeit sind die P er­ sönlichkeit des Täters und seine Tat. Der Vorschlag der Abteilung zu § 408 Abs. 2 will diese Erkenntnis­ quellen nur bei dem verbrecherischen Willen des Täters mitteilen, sie müssen aber nach meiner Ansicht auch bei Leichtsinn und Gleichgültigkeit des Täters betont wer­ den. M an würde dann ungefähr zu folgender Fassung kommen: F ür Art und Höhe der S trafe ist die Stärke des verbrecherischen Willens des Täters und bei fahr­ lässigem Handeln die Größe seines Leichtsinns und seiner Gleichgültigkeit, wie sie sich aus seiner Persön­ lichkeit und seiner strafbaren Tätigkeit ergeben, maß­ gebend. Ferner muß als weiterer Strafbemessungs­ grund in gleicher Rangfolge das Schutzbedürfnis der Gemeinschaft erwähnt werden. Ich erinnere an die Fälle, in denen dieses Schutzbedürfnis für die S tra f­ höhe ausschlaggebend sein muß, so z. B. bei dem Lan­ desverrat durch einen Ausländer. D a ist die Schuld­ frage höchst zweifelhaft, es muß deshalb das Schutz­ bedürfnis der Volksgemeinschaft für die Höhe der Strafe ausschlaggebend sein. Als Anhängsel würde dann noch der letzte Satz des Vorschlages der Ab­ teilung zu § 408 Abs. 2 kommen: „Die Gefahr und der Schaden, die der Täter verschuldet hat, sowie sein Verhalten nach der T at sind zu beachten." Wenn man so verfährt, so kommt klar zum Aus­ druck, daß die Stärke des verbrecherischen Willens für die Strafbemessung maßgebend ist, und weiter wird klargestellt, woraus der Richter die Stärke dieses verbrecherischen Willens schließen muß. Zudem wird auch dem Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft ein angemessener Rang in der Strafbemessung zuteil. Die §§ 409 und 410 würde ich dann völlig streichen. Der Gedanke in § 410 Abs. 2, daß die Geld­ strafe mit der Höhe des aus der T at gezogenen Nutzens in Verbindung gebracht werden soll, spielt vor allem dann eine Rolle, wenn der Täter für die T at ein Entgelt bekommen hat. M an könnte daran denken, ganz allgemein die Versallerklärung des empfangenen Entgelts als Sicherungsmaßnahme einzuführen. § 411 würde ich völlig streichen und an dieser Stelle gar nichts von den besonders schweren Fällen sagen. Dagegen wäre im Besonderen Teil daraus zu achten, daß in allen Fällen, in denen für besonders schwere Fälle eine schwerere Strafe angedroht ist, Bei­ spiele angeführt werden, aus denen der Richter ersehen kann, was der Gesetzgeber im einzelnen Tatbestand unter den besonders schweren Fällen verstanden wissen will. § 412 würde ich in der Fassung des Abteilungs­ vorschlages belassen und würde auch leine Rücksicht

darauf nehmen, daß durch Abs. 2 nicht auch Kollektiv­ delikte erfaßt werden. D as kann man um so eher, als in den meisten der hier in Frage kommenden Einzel­ tatbestände bei schwereren Fällen der Übergang zu Zuchthaus schon sowieso ermöglicht ist. Dann möchte ich weiter zur Erwägung stellen, ob wir nicht den § 414 am besten völlig streichen. Die außergewöhnlich leichten Fälle sind nach meiner Auf­ fassung eine ganz gefährliche Einrichtung. W ir haben schon so viel Milderungsmöglichkeiten, daß man auf diese Vorschrift verzichten kann. W ir haben im Allge­ meinen Teil Muß-Milderungen und Kann-Milderungen vorgesehen. W ir haben ferner im Allgemeinen Teil das Absehen von Strafe vorgesehen. W ir haben weiterhin im Besonderen Teil schon in allen Fällen, in denen es uns tunlich erschien, leichtere Fälle vorgesehen. Wenn man dann noch daran denkt, daß wir prozessual auch noch von Strafe absehen können, so besteht kaum ein Bedürfnis noch für die außergewöhnlich leichten Fälle des § 414. Ich fürchte, je mehr wir allgemein Milderungen in dem Gesetz zu­ lasten, und wenn es auch nur in der engumriffenen Art des § 414 geschieht, um so eher kommen wir im Gesamtergebnis dahin, wo wir im geltenden Recht stehen, nämlich zu einer allgemeinen Erweichung der Strafdrohungen durch die mildernden Umstände. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Eine Zwischenfrage, die sich mir aus den Ausfüh­ rungen von Herrn Vizepräsident Grau aufdrängt! M ir schien und scheint es einleuchtend zu sein zu sagen: D as M aß der Strafe ist nach dem M aß der Schuld zu bestimmen. Wenn man das in dieser Aus­ schließlichkeit sagt, kann man das Verhalten nach der T at nicht berücksichtigen. Senatspräsident Prof. Dr. Klee: Aber das Verhalten nach der T at, also die tätige Reue im weiteren Sinne des Wortes, mildert doch auch die Schuld. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Eine Schuld nach vollendeter T a t gibt es nicht mehr. Ich halte es für eine schiefe Konstruktion, das anzunehmen. Der Rücktritt ist nicht eine Schwäche der Schuld bei der T at, sondern eine Gegenbewegung gegen die ursprüngliche Willensbewegung. Aber für die Beurteilung, welche Schuld der T äter bei der T at hatte, ist das belanglos. E s ist eigentlich bedauerlich, daß man selber auf die Schwierigkeit gestoßen ist. Aber ich halte es nicht für ganz richtig, alles lapidar auf die Schuld abzustellen. Daher fragte ich, ob Sie auf den Abs. 2 des Vorschlags der Abteilung ganz ver­ zichten wollen. Professor D r. Mezger: Bei der Gestaltung des Grundsatzes der S tra f­ zumessung in § 408 ist zunächst Klarheit darüber not­ wendig, welche p r a k t i s c h e F u n k t i o n dieser Bestimmung zukommen soll. Nach der negativen Seite hin ist dies schon geklärt: Es soll an dieser Stelle nicht noch einmal das Wesen der S trafe be­

schrieben werden; das gehört an eine andere Stelle. Dagegen sollen positiv zwei praktische Wirkungen erreicht werden: Einmal soll der Richter gezwungen werden, die Strafbemessung nicht nur nach Gefühls­ gründen vorzunehmen, sondern er soll sich über die einzelnen Zumessungsgründe klar und bewußt werden und sie auch im Urteil ausdrücklich aussprechen; zweitens soll hinter diese Forderung der Druck der Revision gesetzt werden. Erkennt man diese beiden Funktionen als notwendig an, so würde es nach meinem Dafürhalten durchaus genügen, in § 408 zu sagen: „Die Strafe ist nach Art und M aß der Schuld zu bestimmen". Dieser eine Satz würde beiden ge­ nannten Funktionen genügen. Es liegt freilich der Einwand nahe, der Satz besage zu wenig. E r sagt aber in Wahrheit alles Nötige und Wichtige. E r sagt dem Richter, daß es bei der Schuldseststellung nicht nur aus das „ob" der Schuld ankommt, sondern daß der Schuldbegriff Abstufungen kennt, mit denen der Richter bei der Strafbemessung sich zu beschäf­ tigen hat. M an könnte ferner vielleicht einwenden wollen, mit jenem Satz sei über die Persönlichkeit des Täters und über ihre Berücksichtigung bei der Strafbemessung nichts ausgesagt. Auch diesen Einwand halte ich nicht für stichhaltig. Früher war es vielleicht zweifelhaft, ob im Schuldbegriff die Berücksichtigung der Persön­ lichkeit des Täters eingeschlossen ist. Bei der heute geltenden Bestimmung des § 20 a S tG B , über den Gewohnheitsverbrecher, die künftig wiederholt werden wird und nach der die Strafe mit Rücksicht aus die Persönlichkeit des Täters erhöht wird, kann darüber kein Zweifel mehr bestehen. Ich würde ferner kein Bedenken tragen zu sagen, daß in dem Schuldbegriff auch die Berücksichtigung der nachträglichen Vorkommnisse nach der T a t drin­ steckt. Dieses nachträgliche Verhalten wird mit Recht bei der Strafbemessung berücksichtigt, und zwar des­ halb, weil es auf die ganze Einstellung des Täters und auf die in der Vergangenheit liegende T at einen Rückschluß zuläßt. E s scheint mir durchaus gerecht­ fertigt zu sein, für die ganze Einstellung des Täters neben der zur Aburteilung stehenden T at bei der Strafbemessung auch dieses nachträgliche Verhalten zu berücksichtigen. Dies alles ist in einer geläuterten Schuldauffaffung mit enthalten. Ein weiterer Einwand geht vielleicht dahin, daß man mit jenem „lapidaren" Satz noch nicht voll­ kommen das erreicht, was man hier erreichen will: Die Revisibilität der Strafbemessung. Hier bin ich der Auffassung, daß die Revisibilität mit einem solchen einfachen Satz viel besser gesichert ist als mit einer zu sehr ins einzelne gehenden Aufzählung. Hier würde auch die Revision nicht dem Bedenken unter­ liegen, das Herr Landgerichtsdirektor Leimer vorge­ bracht hat, der befürchtet, daß das Reichsgericht, wenn es die Strafbemessung nachprüfen soll, zu einem formalistischen Kassationshof herabgedrückt werde. Der Gedanke einer solchen Revisibilität ist vielmehr ein sehr substantieller: D as Revisionsgericht soll nach­ prüfen, ob der Unter-Richter sich Mühe gegeben hat,

Schuld und Strafe zueinander in richtige Beziehung zu setzen, und ob er dabei von einer materiell richtigen Auffassung der Schuld ausgegangen ist. Nach meiner Überzeugung kann jener einfache, lapidare Satz durch­ aus die praktische Wirkung auslösen, die von § 408 bezüglich der Strafbemessung erstrebt wird und erstrebt werden muß. Dann noch eine kurze Bemerkung zu § 414, in dem die außergewöhnlich leichten Fälle behandelt werden. Ich glaube nicht, daß es nützlich ist, ihn schon jetzt zu streichen. E s sollen doch die Strafrahm en der einzelnen Delikte nicht weiter herabgesetzt werden, weil die Ausweichmöglichkeit des § 414 besteht. Würde diese entfallen, so wäre dies von einem nicht erwünschten Einfluß aus die Gestaltung der S tra f­ rahmen. Diese müßten allgemein nach unten gesenkt werden. Jedenfalls ist die Gestaltung des S tra f­ rahmens die V o r frage für die Entscheidung über den § 414. Eine andere V o r frage ist die Gestaltung der Verwarnung mit Strasvorbehalt. Weil das alles noch offen ist, sollte § 414 zunächst einmal stehen bleiben. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich komme gern der Aufforderung nach, über die Erfahrungen zu berichten, die das Reichsgericht mit der Sicherungsverwahrung und den anderen Siche­ rungsmaßregeln gemacht hat. Es dauert immer ge­ raume Zeit, bis die Dinge an uns herankommen. Als diese Zeit erreicht war, ergab sich ein geradezu erschreckendes Übermaß in der Anordnung von Siche­ rungsmaßnahmen. Monatelang war die Hälfte unserer Tagesordnungen nur mit Sicherungsver­ wahrungen und Entmannungen besetzt. Die Leute, die in Sicherungsverwahrung gebracht wurden, hatten, um das Rechtsmittel der Revision zu be­ gründen, regelmäßig keinen anderen Weg als die Aufnahme durch die Urkundsbeamten. Die Revisions­ begründungen der Urkundsbeamten gehen allgemein aus einzelne Fehler nicht ein. Also war es an sich möglich, die Revisionen durch Beschluß zu verwerfen. Von dieser Möglichkeit machte der Oberreichsanwalt höchstens in einem Zehntel der Fälle Gebrauch — ich kann die Zahl hier nur schätzungsweise angeben — ; bei den übrigen neun Zehnteln forderte er die Nach­ prüfung durch das Gericht in Form eines Urteils. Ich möchte die Zahl der Urteile, die wir nicht aufgehoben haben, ziemlich gering anschlagen. I n den weitaus meisten Fällen waren wir genötigt aufzuheben. Wir beobachteten zunächst eine große Ungleichmäßigkeit in den einzelnen Reichsgebieten. Wir gewannen Einblick in den Geschäftsverkehr der Staatsanwaltschaften mit den Gefängnisvorständen. Einzelne Vorstände von Strafanstalten, die nicht aus dem Richterstand oder aus der Verwaltung hervorgegangen waren, achteten meist nur aus die äußeren Voraussetzungen der Siche­ rungsverwahrung, nahmen aber auf die Persönlich­ keit des Verurteilten keine ausreichende Rücksicht. Ih re Äußerungen hielten die Richter davon ab, sich das Bild der Persönlichkeit des Täters aus den Taten herzustellen, die zur Verurteilung geführt hatten. W ir mußten in einzelnen Bezirken eine Ober­ flächlichkeit wahrnehmen, die uns große Sorge ein­

flößte. Viele wirklich harmlose, geistig beschrankte, Willensschwäche Menschen, die in ärmlicher Umgebung aufgewachsen waren und sich im Kleinen häufig ver­ fehlt hatten, wurden zur Sicherungsverwahrung mit unbestimmter Zeitdauer verurteilt. Wenn solche Urteile an das Reichsgericht kamen, nahmen wir An­ laß, gründliche Aufklärung zu verlangen. Wurden daraufhin Erhebungen auch bei Gemeindebehörden, Geistlichen usw. eingezogen, so ergab sich ein ganz anderes Bild des Verurteilten. Insgesamt wurde also der Grundgedanke des Gesetzes bei vielen Gerichten zunächst falsch aufgefaßt. Der In h a lt des § 408 ist nach meiner Ansicht so zu gestalten, daß außer der Schuld das nachträgliche Verhalten des Täters gebührend berücksichtigt wird. Gegen den Vorschlag, die ganze Vorschrift als eine Ist-Vorschrift zu fassen, ist nichts einzuwenden. Als Soll-Vorschrift bindet sie übrigens den Richter genau so wie als Ist-Vorschrift. D as „Ist" bringt die Pflicht dem Richter nur noch eindringlicher zum Be­ wußtsein. Ich glaube also nicht, daß es unbedingt nötig ist, die Soll-Fassung im sachlichen Recht durch eine Ist-Fassung zu ersetzen. Wohl aber halte ich für erforderlich, daß die Strasverfahrensordnung zwin­ gend vorschreibt, daß im Urteil die Gründe, die für die Strafbemessung maßgebend waren, angegeben werden müssen. Der Richter muß sich darüber aus­ sprechen, wie er zu dieser Art und diesem Maß der S trafe gelangt ist. D as Reichsgericht hat bisher schon in diesem Sinne gearbeitet, allerdings mit dürftigen Hilfsmitteln. D as Versahrensrecht enthielt keine IstVorschrift, sondern nur eine Soll-Vorschrift. W ir haben uns trotzdem um die Strafbemessung geküm­ mert. D as Reichsgericht hat, als die Rechtsprechung in weitem Umfang zu erweichen schien, jede Möglich­ keit, die ihm gegeben war, ausgenutzt. Es hat erklärt, wohl seien im angefochtenen Urteil Gründe für die Strafbemessung angeführt, aber sie seien ungenügend, unklar und unvollständig. D as Reichsgericht hat in seinem Urteil erklärt, worauf es ankam, was zu­ gunsten oder zuungunsten des Angeklagten besonders ins Gewicht fallen mußte. Nach meiner Ansicht läßt sich das, was erreicht werden soll, durch eine zwingende Vorschrift im Verfahrensrecht herbei­ führen. Zu § 414 wird vorgeschlagen, diese Bestimmung in den Besonderen Teil zu verpflanzen. Ich bin gewiß weit davon entfernt, etwas zu befürworten, was weichlich erscheint. Aber die gegenwärtige Rechtspre­ chung bietet doch nicht das Bild der Weichlichkeit. Im Gegenteil, sie schlägt da und bort sogar über das Ziel angemessener Härte hinaus. Ich glaube nicht, daß wir hier einen Schaden zu besorgen haben. Anderseits muß man auch einzelnen besonders gelagerten Fällen, die eine ausnahmsweise milde Beurteilung verdienen, Rechnung tragen können. Landgerichtsdirektor Leimer hat die verzweifelte M utter erwähnt, die mit ihren Kindern in den Tod gehen will, aber selbst am Leben bleibt, während die Kinder hinweggerafft werden. D as sind Vorgänge aus der unerschöpflichen Fülle des Lebens, die das Gesetz in den einzelnen Tatbeständen

nicht berücksichtigen kann. Im m er wieder tritt eine Not auf, die nicht Notstand ist, wo der Richter aber empfindet, daß die gesetzliche Regel versagt. Ich glaube also nicht, daß menschlicher Voraussicht nach eine Vor­ schrift wie § 414 der Gefahr des Mißbrauchs ausge­ setzt sein wird; sie wird vielmehr den Richter darin unterstützen, daß er eine wirklich gerechte Entscheidung findet. Professor Dr. Graf Gleispach: Ohne in eine Aussprache über die Prozeßsorm ein­ treten zu wollen, möchte ich doch sagen, daß ich mich für eine Revision bei der Strafzumessung nicht er­ wärmen kann. D as führt zu einer fürchterlichen Stei­ gerung der angegriffenen Urteile, und das praktische Ergebnis ist nichts weiter als eine Verzögerung des Strafvollzugs. Unter Umständen ist der Schaden ge­ ringer, wenn eine nicht richtig bemessene Strafe bald vollzogen wird, als wenn Monate vergehen, bis die S trafe an dem Verurteilten vollstreckt werden kann. Es besteht noch keine völlige Klarheit über die Be­ rücksichtigung oder Nichtberücksichtigung des Verhal­ tens des Täters nach der Tat. W ir sind uns darüber einig, das Verhalten nach der T at bei der S traf­ bemessung zu berücksichtigen als eine Erkenntnisquelle für die Schwere der Schuld, aber nicht mehr. Die Fälle liegen ganz verschieden. Es kann so sein, daß die Gutmachung des Schadens nach verübter Tar eine Schwäche des verbrecherischen Willens anzeigt und er­ gibt, daß die T at mit der Persönlichkeit des Täters nicht verwurzelt ist. Die Schadensgutmachung kann aber auch auf eine Drohung mit der Anzeige zurück­ zuführen sein. Die Schadensgutmachung kann auch äußerlich durch eine andere Person veranlaßt oder be­ wirkt sein. D as alles dem Täter anzurechnen, das würde ich ablehnen. An sich hat die Schadensgut­ machung mit der Strafbemessung nichts zu tun. Nun ist mir allerdings bekannt, daß die Praxis weiter­ geht und die Schadensgutmachung zum Anlaß nimmt, um von einer Verfolgung abzusehen. D as ist vom Willensstrafrecht aus gesehen absolut unmöglich. Wenn eine T at eine Schuld enthüllt, dann kann die Schuld nicht dadurch getilgt werden, daß der Geschä­ digte zu seinem Recht kommt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn gesagt wird, daß bei der Strafbemessung auch das Verhalten nach der T at zu berücksichtigen ist, so kann das für den Täter nicht nur günstig, sondern auch ungünstig sein. Wird festgestellt, daß der Täter nur durch Drohung zur Schadensgutmachung be­ stimmt worden ist, dann kann das auf die Strafbe­ messung nicht im günstigen Sinne einwirken. Ministerialdirektor Schäfer: Auch ich bin der Meinung, daß eine Fassung, die dahin ginge, daß die Strafe sich nach der Schuld bemißt, noch lange nicht alle Gesichtspunkte trifft. M an wird z. B. auch das Verhalten des Täters zur Zeit der Aburteilung mit zu berücksichtigen haben, das nur wenig mit dem Verschulden zur Zeit der T at zu tun

hat. Ich darf das auf die Erziehungsgesichtspunkte übertragen: Wenn ich meinen Jungen strafe, dann berücksichtige ich ganz stark, wie ich ihn im Augenblick der Bestrafung beurteile, und nicht nur, wie er sich bei der T at verhalten hat. Dazu kommt noch ein anderer Gesichtspunkt. Die S trafe hat nicht nur Sühnefunktion, sie hat namentlich heute, wo wir die Sicherung der Volksgemeinschaft so sehr in den Vor­ dergrund rücken, auch Abschreckungsfunktion. Aus meiner Erfahrung als praktischer Richter weiß ich, daß man oft eine Strafe bemißt, um dem Täter eine W ar­ nung zu geben und ihn davon abzuhalten, so etwas wieder zu tun. D as ist eine durchaus vernünftige Erwägung. Ich habe weiter Zweifel — und Reichsgerichtsrat Niethammer hat sie nicht zu beseitigen vermocht — , ob es richtig wäre, die Soll-Vorschrift in eine IstVorschrift umzuwandeln. Was erreicht man damit? Den Herren schwebt vor, man erreiche damit, daß der Richter immer nach der Schuld und den anderen Strafbemessungsgründen abmißt. Aber man muß hier das Augenmerk auf die große Masse der Bagatell­ sachen richten. Bei diesen wird der Richter schon aus Gründen der Zeitnot die Strafmaßsrage im Urteil mit ein paar Worten abmachen müssen. Die Mehrzahl der Bagatellsachen verdient auch keine so umfangreiche Abmessung. Aber meinen S ie, es würden solche Formulare, die bis in die P raxis des höchsten Gerichts vorkommen, durch ein „ist" beseitigt werden? Es würden dann eben folgende Worte im Urteil stehen: Nach der Höhe der Schuld ist die Strafe auf soundso viel bemessen. Ob im Urteil die Worte „nach der Höhe der Schuld" stehen oder etwas anderes, das bleibt sich schließlich gleich; das wird in unendlich vielen Bagatellsachen ewig so bleiben und ohne jeden Schaden bleiben müssen. Nicht unbedenklich scheinen mir die möglichen Folgen einer Ist-Vorschrift für die Revisibilität zu sein. Nehmen wir ein Urteil, in dem steht: Um den Täter vor künftigen Wiederholungen dieser T at ge­ bührend abzuschrecken, ist die Strafe auf soundsoviel bemessen worden. Wenn auf eine Revisionsrüge, daß die Schuld nicht erörtert worden sei, das Urteil ganz aufgehoben werden müßte, so würde ich das in vielen Fällen nicht für einen Gewinn, sondern für einen Schaden für die Rechtspflege halten. Wenn wir aber eine Soll-Vorschrift haben — wir müssen dabei zwischen einer Soll-Vorschrift im materiellen Recht, die die Gesichtspunkte für die Bemessung der Strafe enthält, und einer Vorschrift im prozessualen Recht, die angibt, was die Urteilsgründe enthalten müssen, unterscheiden — , so gehe ich davon aus, daß ein Urteil auch wegen Verletzung einer Soll-Vorschrift des materiellen Rechts aufgehoben werden kann. Wenn wir auch schon mit einer Soll-Vorschrift erreichen, daß das Reichsgericht oder das Revisionsgericht das Urteil in den Fällen aufheben kann, in denen die S tra f­ bemessung nicht sorgfältig genug ist, dann sollten wir uns damit begnügen. Bei der Verfahrensordnung sind wir immer bestrebt gewesen, im Interesse einer schleunigen Rechtspflege mit absoluten Revisions-

gründen möglichst sparsam zu sein. Diesen Gesichts­ punkt sollten wir auch hier beachten. Mein Vorschlag würde dahin gehen, § 408 nur als Soll-Vorschrift zu gestalten und eine Fassung zu wählen, die nicht nur aus die Schuld abstellt, sondern auch die anderen Gesichtspunkte mit berücksichtigt, die bei jeder vernünftigen Strafbemessung ein e' Rolle spielen müssen. Was den § 412 betrifft, so stimme ich dem zu, was Herr Reichsgerichtsrat Niethammer ausgeführt hat. Auch unsere Beobachtungen gehen dahin, daß die Gefahr besteht, daß von der Anwendung der Siche­ rungsverwahrung und der Strafschärfung für Ge­ wohnheitsverbrecher nicht zu wenig, sondern eher zu viel Gebrauch gemacht wird. W ir sollten daher in diesen Paragraphen etwas mehr Positives hinein­ legen und die Fassung nicht zu weit dehnen. Professor Dr. Nagler: Ich kann mich im wesentlichen mit dem einver­ standen erklären, was Herr Ministerialdirektor Schäfer ausgeführt hat. Vor allem möchte ich darauf hin­ weisen, daß im Einklang mit § 408 Abs. 2 des Vor­ schlages der Herren Sachbearbeiter auch die ver­ schuldeten Folgen der T at, die Gefahr und der Schaden Berücksichtigung finden müssen. Ich glaube, es ist die Gefahr einer übersteigerten Subjektivierung vorhanden, wenn wir nur von der Schuld sprechen, und wenn wir nicht auf die Folgen der Schuld und der T at aufmerksam machen. E s ist noch jetzt die Frage, ob Absatz 2 bleiben soll, oder ob nur der erste Satz ,,. . . ist nach Art der Schuld zu bestimmen" stehen bleiben soll. Soweit ich verstanden habe, war Stimmung dafür, Absatz 2 weg­ zulassen, (Widerspruch) — sonst hätte doch der Herr Minister nicht die Frage auswerfen können, wie es mit dem Verhalten nach der T at ist. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie haben recht. Die Frage, ob man diese Beschreibung in Absatz 2 des Entwurfs des Hauses haben will oder nicht, ist noch nicht eindeutig, auch nicht stimmungsmäßig, entschieden!) — Ich möchte mich grundsätzlich dafür einsetzen, daß wir diesen Absatz 2 beibehalten. Der objektive T at­ bestand ist tatsächlich mehr als ein bloßes Symptom für die Schuld; von der Fahrlässigkeit will ich noch gar nicht besonders sprechen. Der objektive Tatbe­ stand hat eine durchaus selbständige Bedeutung, wie auch Herr Staatssekretär Freister in letzter Zeit wiederholt ausgeführt hat. Infolgedessen darf man eben die verschuldeten Folgen der T at nicht einfach unter den Tisch fallen lassen; sonst könnte eine Zeit kommen, in der man nur das Subjektive sieht und nicht mehr die T at selbst. I n gleichem Sinne hat sich auch Herr Reichsgerichtsrat Niethammer ausge­ sprochen, der auch immer auf die T at, neben der P er­ sönlichkeit des Täters, abgehoben wissen will, und zwar nicht bloß aus theoretischen, sondern vor allem aus praktischen Gründen. Natürlich müßte man, selbst

wenn nur von Art und M aß der Schuld die Rede wäre, immer auch aus den objektiven Tatbestand, auf die Folgen der T at zurückkommen. Das würde sich schon deshalb zwangsläufig ergeben, weil die S tra f­ zumessung nichts weiter ist als die Konkretisierung der im Allgemeinen Teil aufgestellten Grundsätze. Wenn wir z. B. zwischen Beginn und zwischen Vollendung differenzieren und beim Beginn eine fakultative Milderung zulassen, so muß sich die Entwicklung der T at natürlich auch sonst bei der Strafzumessung als wirksam erweisen. Aber ich glaube, es ist notwendig, daß wir in diesem Absatz 2, also im Gesetz selbst, auf die Tatfolgen aufmerksam machen. Was § 414 anlangt, so würde ich in Übereinstim­ mung mit Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer diese Bestimmung doch als eine wesentliche Hilfe für den Richter ansehen und im Gesetz belassen. Ich gebe zu, es ist kein großer Schaden, wenn sie herausfällt, aber wir sollten dem Richter bei der Strafzumessung doch etwas mehr Möglichkeiten geben. Dazu kann auch § 414 eine Stütze sein. Endlich noch das „ist" oder „soll" in § 408 Abs. 1: die Strafe s o l l so und so bemessen werden. Ich glaube, praktisch kommt nicht allzuviel darauf an, sondern es kommt praktisch immer darauf an, ob das Revisionsgericht im Dienste der Gerechtigkeit das an­ gefochtene Urteil aufheben will oder nicht. Wenn es das will, dann sagt es: Die Feststellung ist rechts­ irrig, und wenn nicht, dann sagt es: Das Urteil beruht nicht darauf. Im m erhin scheint es mir doch gut zu sein, aus das Obligatorium hinauszugehen, um eben eine Abkehr von der jetzt doch etwas zu bequemen Art herbeizuführen, wie unsere Gerichte die Strafzu­ messung erledigen. Ich glaube, es ist von pädago­ gischem Wert mindestens für die nächste Zukunft, mit diesem „ist" eine besondere Pression auf den Richter auszuüben, der bisher doch gewohnt war, diese Fragen etwas schematisch zu behandeln. Es ist richtig, stereo­ type Wendungen kommen überall vor, auch beim höchsten Gerichtshof und auch in der Theorie, aber in der Judikatur haben sie sich etwas zu stark einge­ bürgert. Wenn man sich erinnert, wie man erschreckt war, wenn man als junger Jurist in die Praxis kam und das, was man als das Wichtigste ansah, die Strafzumessung, nur nebenher abgemacht und die ein­ zelnen Straszumessungsgründe gar nicht richtig aus­ gewogen fand — mir wenigstens ist es so gegangen — , so wird man es begrüßen, daß jetzt einmal ein Obliga­ torium ausgestellt wird. Diese energische Einschärfung hat außerordentlich große erzieherische Bedeutung. W ir sind uns alle darüber klar, daß das Schwerge­ wicht natürlich in der Anordnung der Strafprozeß­ ordnung liegen wird. Aber auch hier sollten wir schon auf das Obligatorium abkommen. Professor D r. Dahm: Ich möchte zu zwei Fragen Stellung nehmen, ein­ mal zu der „ist"-Formel und zweitens zu Absatz 2 und 3 des § 408. Diese Fragen scheinen mir noch nicht völlig geklärt zu sein.

Zunächst die „ist"-Formell Ich habe, insbesondere nach den Ausführungen des Herrn Ministerialdirektor Schäfer, den Eindruck, daß wir uns noch nicht darüber im klaren sind, was wir eigentlich wollen. Der S inn dieser „ist -Formel ist doch nicht der, daß der Richter jetzt gezwungen sein soll, in den Strafzumessungsgründen langatmige Ausführungen über die Schuld zu machen, sondern der Richter soll seinem Urteil über die Strafzumessung in erster Linie ein sittliches Wert­ urteil über den Täter zugrundelegen. I n Zukunft sollen Urteile unmöglich sein, in denen die Strafzu­ messung nach ausschließlich spezialpräventiven Ge­ sichtspunkten erfolgt. I n jedem Falle muß der Richter in erster Linie die sittliche Schuld des Täters berück­ sichtigen. Wenn man aber „soll" schreibt, so entsteht leicht der Eindruck, als komme es auf die Schuld nicht entscheidend an. Genügt eine derartige „ist"-Bestimmung? Ich glaube, nein. Da wird zunächst aus das Verhalten nach der T at hingewiesen. Nun halte ich zwar das, was die Herren Graf Gleispach und Professor Mezger ausgeführt haben, für theoretisch richtig, nämlich, daß das Verhalten nach der T at auch für die Schuld von Bedeutung ist. Denn die Schuld ist nach unserer Betrachtung nicht nur die Tatschuld, sondern das Urteil über die Persönlichkeit des Täters und sein Verhältnis zur Gemeinschaft. Trotzdem sollten wir auf das Verhalten nach der T at ausdrücklich hinweisen, denn dieser Zusammenhang ist keineswegs selbstver­ ständlich. Es gibt eine Schuldaufsassung, nach der alles das, was nach der T at geschieht, mit der Schuld nichts zu tun hat. Wir müssen also zum Ausdruck bringen, daß das Urteil über die Schuld auch dem Ver­ halten nach der T at entnommen werden kann. Sonst entstehen Zweifel. Die T at aber hat nicht als solche Bedeutung, sondern nur in ihrer Bedeutung für die Bewertung des Täters. Deshalb möchte ich dem Vorschlage des Herrn Professor Nagler widersprechen, der meinte, man müsse die Folgen der T at neben der Schuld berücksichtigen. D as halte ich nicht für richtig, sondern ich bekenne mich im Gegensatz zu den Auffassungen der klassischen Schule zur symptomatischen Verbrechensauffassung, zu der Ansicht, daß die verschuldeten Folgen der T at zunächst als Anzeichen für die Bewertung des Täters und für das Verhältnis des Täters zur Ge­ meinschaft bedeutsam sind. Deshalb würde ich eine Bestimmung nach den Vorschlägen der Herren Sach­ bearbeiter aufnehmen etwa des In h a lts: Es ist der verbrecherische Wille zu berücksichtigen, wie er sich nach der Persönlichkeit des Täters, nach der Art seines Verbrechens und aus seinem Verhalten nach der Tat ergibt. Nun fragt sich, ob das ausreicht, und da sind allerdings die Bedenken, die Herr Ministerialdirektor Schäfer geäußert hat, durchaus beachtlich. Ich glaube auch nicht, daß dies schon genügt. Wir haben damit zwar den wichtigsten Gesichtspunkt, aber noch nicht alle Gesichtspunkte hervorgehoben. Auch ich würde es für eine Überspitzung halten, wenn wir es nur auf die Schuld ankommen ließen. Insbesondere ist der Ein­

druck zu berücksichtigen, den die T at in der Gemein­ schaft hervorruft. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist der Erfolg zu berücksichtigen. Gerade diese F ern­ wirkung der T at, die von der Schuld des Täters nicht unmittelbar abhängig ist, muß mit berücksichtigt werden, und ich bitte, einen Absatz 3 einzuschalten, der diese Wirkungen der T at und der S trafe berücksichtigt. Die Bedenken, die Herr Graf Gleispach gegen die Revisibilität der Strafzumessung angeführt hat, scheinen mir nicht überzeugend. Der S in n der Revi­ sibilität ist doch nicht der, daß alle Straszumessungserwägungen in der Revisionsinstanz nachgeprüft werden sollen. D as Revisionsgericht wird sich nicht mit der Frage besassen, ob zwei oder drei Monate Gefängnis am Platze waren. Es kann nur darüber entscheiden, ob der Vorderrichter rechtlich und grund­ sätzlich gefehlt hat. Senatspräsident Professor D r. Klee: Herr Professor Dahm hatte, wenn ich recht gehört habe, eben damit begonnen zu sagen, daß Gründe der Spezialprävention bei der Strafzumessung künftig ausgeschlossen sein sollten. (Professor D r. Dahm: Nein, das habe ich nicht gesagt! Nicht nur Spezialprävention!) — Nun ja, es ist ja nachher auch gesagt worden, daß die Persönlichkeit des Täters berücksichtigt werden müsse, denn damit hänge ja die Spezialprävention zusammen. Ich möchte aber doch besonders aus die Generalprävention Hinweisen, zu deren Berücksichti­ gung Herr Professor Dahm auch gekommen ist. W ir haben die Erfahrung gemacht, daß der Richter häufig gezwungen ist, in einem Bezirk, wo eine T at infolge des Nachahmungstriebes überhand nimmt, eine exemplarische Strafe festzusetzen. D as hat mit der Schuld des einzelnen Täters nichts zu tun, sondern das sind allgemeine Gesichtspunkte. Diesem Gedanken würde m. E. Rechnung getragen, wenn man am Schluß allgemein von dem Schutzbedürfnis der Volks­ gemeinschaft spräche. Ich wollte das vorhin als Strafzumessungsgrund ausschließen, weil ich glaubte, daß das mehr ein Strafgrundgesichtspunkt sei. Aber ich habe mich überzeugt — das war wohl auch die Meinung des Herrn Vizepräsident Grau — , daß das Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft auch beim Strafmaß berücksichtigt werden muß. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Is t das nicht identisch mit dem Grauschen Gedanken?) — Jawohl. I m übrigen möchte ich noch kurz zu § 412 be­ merken, daß mich die Debatte überzeugt hat, daß ge­ wisse konkrete Maßstäbe als Kautelen gegen eine über­ mäßige Anwendung der Sicherungsverwahrung doch wohl aufgestellt werden müssen. Ich möchte aber bei dem Vorschlag bleiben, daß nicht gerade zweimalige Vorbestrafung und gerade mit mindestens sechs Monaten Voraussetzung für die schärfere Reaktion sein sollte. E s scheint mir überdies auch der Auffassung der Mehrheit zu entsprechen, in Absatz 2 doch eine Mög-

lichkeit vorzusehen, daß bei gewerbsmäßiger und fort­ gesetzter Handlung auch schon eine T at genügt. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Auf­ lockerung der starren Bestimmung würden Sie dann auch zustimmen: Eine frühere Verurtei­ lung kann außer Betracht bleiben, wenn zwischen dem E intritt . . . . usw.?) — K a n n , ja. Zu der Frage, ob es in § 408 Abs. 3 heißen soll „ist" oder „soll", möchte ich nur noch bemerken, daß ich die „ist"-Formel für richtiger halte, weil wir uns gegen die in der Praxis eingerissene Gewohnheit wenden müssen, daß der Richter die Höhe der Strafe von dem mehr oder weniger zufälligen Umfang des Schadens abhängig macht. Ich schließe mich auch dem Vorschlag Dahm an zu sagen: Die Strafe ist in erster Linie nach der Schuld zu bemessen, das dann zu erläutern und am Schluß von dem Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft zu sprechen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, es ist nun klar, daß wir bei der S tra f­ bemessung neben der Schuld des Täters auch noch andere Umstände berücksichtigen müssen. Nun ist nur die Frage: Wie sollen wir diesen Eingangssatz fassen? D as „ist" und „soll" sind ja nur Teile davon. Die Dahmschen Fassungen sind alle nach der Richtung hin orientiert, daß sie zum Aus­ druck bringen: Neben der Schuld und neben der P er­ sönlichkeit des Täters können Strafbemessungs­ momente auch aus anderen Dingen geschöpft werden, aber das Grundsätzliche der S trafe ist die Schuld. D as sind alles Versuche, diese T ür offen zu lassen. Letzten Endes ist das eine Faffungsfrage, aber eine sehr wichtige Frage. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte glauben, daß durch die Fassung „in erster Linie" der zwingende Charakter der S tra f­ bemessungsgründe schon hinreichend bestimmt ist. Was ich erreichen möchte, ist nur das, daß es nicht zu einem Urteil etwa in folgender Form kommt: Da der Ange­ klagte nachträglich Reue gezeigt und den Schaden nach Kräften wieder gutgemacht hat, ist von einer F rei­ heitsstrafe abgesehen und die Strafe auf zehn Tagesbußen bemessen worden. Ein derartiges Urteil darf nicht gefällt werden; der Richter muß sich die S tra f­ zumessungsgründe genügend überlegen. Bei der Strafzumessung spielt aber noch etwas anderes eine große Rolle, nämlich die persönlichen Verhältnisse des Täters zur Zeit des Urteils. S ie werden z. B . genug Urteile finden, in denen es heißt: Da der Angeklagte sieben unmündige Kinder hat, ist die Geldstrafe auf eine Tagesbuße bemessen worden. Die persönlichen Verhältnisse zur Zeit des Urteils haben gar nichts mehr mit der Schuld zur Zeit der T at zu tun; sie sind aber trotzdem ein sehr wichtiger Straszumessungsgrund. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde nur das Beispiel der Tagesbuße nicht akzep­ tieren, sondern sagen: Der M ann mit sieben

Kindern wird auch zu zehn Tagesbußen ver­ urteilt, aber die Tagesbuße beträgt dann eine Reichsmark!) — Ich berücksichtige jedenfalls unbedingt die Familienverhältnisse des Täters zur Zeit des Urteils, was mit der Frage der Schuld nichts zu tun hat. Die Familienverhältnisse können sich seit der Tat voll­ kommen verändert haben; die F rau kann jetzt krank geworden sein, es können die und die Unfälle in der Familie vorgekommen sein. Das muß ich als ver­ ständiger Richter berücksichtigen, wenn ich mich nicht zu der Meinung meiner Volksgenossen in dem be­ treffenden Ort in den krassesten Widerspruch setzen will. Professor Dr. Dahm: Dem, was der Herr Ministerialdirektor soeben gesagt hat, kann ich nur zustimmen. Ich habe schon ausgeführt, daß neben der Schuld auch noch andere Gesichtspunkte mit zu berücksichtigen sind. Vor allem aber ist die Schuld zu bewerten. Professor D r. Graf Gleispach: Das Beispiel des Herrn Ministerialdirektors ist nicht gut zu diskutieren. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Schuldige zwischen T at und Verurteilung sieben Kinder erst bekommen hat. (Heiterkeit. — Zuruf: Aber eine kranke Frau!) — Wohl aber kann ich mir vorstellen, daß er die T at als Lediger begeht und inzwischen eine Witwe mit sieben Kindern heiratet. F ü r die Bemessung der Strafe, die uns hier beschäftigt, kann dieser Umstand aber keine Bedeutung haben. Ganz etwas anderes aber ist es, die persönliche Empfindlichkeit für die Strafe in Rechnung zu stellen, wie Professor Kohlrausch gestern ausgeführt hat. M an soll das nicht nur bei der Geldstrafe tun. Aber wir haben jetzt bei der Geldstrafe durch das technische M ittel der Tagesbußen die Berücksichtigung aller dieser Umstände nicht als Regel für die Bemessung der Strafe, sondern für die Bemessung der Strafgröße, die den M ann treffen soll, zugrundegelegt, damit diese Strafe größer oder kleiner sein kann als bei dem anderen. Ich glaube, das ist nicht derselbe Gedanke. Wenn wir von der Strafbemessung sprechen, so wollen w ir doch zu einer gewissen Strafgröße kommen. Diese kann diskutiert werden, und ich kann beispielsweise sagen: Diesen M ann würden zehn Tage Gefängnis viel härter treffen als einen anderen bei gleicher Schuld. Ich hätte nichts dagegen, wenn man diesen Gedanken, den wir jetzt bei der Geldstrafe durch eine besondere Technik ausgedrückt haben, allgemein her­ ausstellte. Aber das ist nicht die Strafbemessung in meinem Sinne. Aber ich muß mich noch gegen das wenden, was jetzt wieder in den Vordergrund getreten ist, daß neben dem Gesichtspunkt der Schuld noch ein Zweites bedeutsam sein soll. Wenn man das tut, dann ver­ nichtet man den ganzen Wert eines Strafzumeffungsgrundsatzes. E s kann zweifelhaft sein, was unter Schuld zu verstehen sei, und offenbar ist es hier von

manchen, die sich dagegen gewandt haben, in einem Sinne verstanden worden, der den Grundsatz: „die S trafe ist nach der Schuld zu bemessen" nicht als alleingültig hinstellen will. W ir sind nicht der Auf­ fassung, daß der Charakter und die Folgen der Tat dadurch ausgeschaltet sind, sondern das sind Faktoren, die die Schuld mit bestimmen; das ist selbstverständlich. Aber ich habe schon, als ich das erstemal zu diesem Kapitel sprechen durfte, hervorgehoben: eine Erläu­ terung dessen, was wir in dem Entwurf unter „Schuld" verstehen, halte ich für durchaus gut, sei es in § 408, sei es bei der Erläuterung der leichten und der schweren Fälle; das ist eine rein technische Frage. Nur ist meine Auffassung allerdings die, daß der Hinweis auf die Folgen der Tat, auch das Verhalten nach der T at und auch der Hinweis auf den Eindruck der T at auf die Gemeinschaft immer nur unter dem Gesichtspunkt der Schuld zu betrachten ist. Betrachten wir nur einmal den Eindruck auf die Gemeinschaft! Ich nehme an, jemand hat ein schweres Verbrechen begangen. Die Gemeinschaft glaubt, das sei das erste Verbrechen seiner Lebensführung. Der Richter erkundet dann aber, daß das ein Gewohn­ heitsverbrecher ist. J a , ich glaube, der Eindruck der T at auf die Gemeinschaft würde hier sogar die richtig bemessene sehr strenge S trafe abschwächen. Aber eben­ so kann es umgekehrt sein. Die Verhandlung kann eine Reihe von Umständen ergeben, die die T at in einem viel milderen Licht erscheinen lassen, als es der Gemeinschaft zunächst schien. Jedenfalls, ich kann es nicht richtig finden, daß man das bei der Strafbe­ messung berücksichtigt. Der Eindruck auf die Gemein­ schaft kann davon abhängig sein, wo und zu welcher Tageszeit die T at etwa begangen worden ist. Es kann der Eindruck vielleicht gar nicht entstehen, weil die T at mehr oder minder geheim geblieben ist. Ob also das Reaktionsbedürfnis im Augenblick stärker oder weniger stark ist — auf Grund eines nicht zu­ treffenden Bildes von T at und T äter — , das kann meines Erachtens für die Bemessung der Strafe nicht bedeutsam sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, das trifft nicht ganz den Kleeschen Gedanken. Ich habe das nicht so aufgefaßt, daß die Strafbemessung beeinflußt werden soll durch die Be­ wertung der T at in der Öffentlichkeit. Ich würde es bedauern, wenn das als Strafzumessungsgrund von jemandem nur in den Mund genommen würde. Wir haben doch die Fälle erlebt, in denen infolge einer großen Presseausmachung ein M ann als ein fabel­ hafter Betrüger und Bankerotteur erscheint, und hinterher stellt sich heraus, daß die Sache gar nicht so schlimm ist. Also darauf ist nicht abgezielt, sondern ich hatte mehr an die Beispielgebung gedacht. Irgendeine Form einer Verbrechensbegehung z. B. reizt zur Nach­ ahmung. Plötzlich wird es Mode, die Streuschober anzuzünden, weil man erfahren hat: wenn man das macht, wird man von der Versicherung gut bezahlt. Nun macht es der Nachbar auch, dann auch der andere

usw., und nun kommt eine ähnliche Brandseuche wie im vorigen Jahre in Mecklenburg, wo ein Dorf nach dem anderen niedergebrannt ist. D as haben S ie doch gemeint, nicht die Resonnanz, die die T at findet? (Senatspräsident Professor D r. Klee: Jaw ohl, natürlich!) Professor Dr. Dahm: Ich halte es natürlich für zulässig, daß der Richter bei der Strafzumessung auch rationale Zweckmäßigkeitserwägungen anstellt. S o kann etwa die politische Lage eine Rolle spielen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: M ir persönlich liegt das auch näher. Ich habe vorhin schon gesagt: nach der T a t ist die Schuldsrage für mich erledigt, natürlich nicht die Frage, wie ich den M ann beurteile, ob er schließlich als viel anständiger erscheint, als ihn die T at charakterisiert hat. W ir sollten uns hier nicht darüber streiten, was einer unter Schuld versteht. Ich habe ein wenig das Gefühl, daß wir in die Erbsündenlehre abgleiten, wenn wir die Schuld in diesem weiten und etwas verwässerten Be­ griff fassen. Das ist aber für uns jetzt nicht wichtig. Ich glaube, über das, was wir wollen, sind wir doch alle einig. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Ich würde es für außerordentlich bedenklich halten, wenn wir nach dem Vorschlag des Herrn Reichsge­ richtsrats Niethammer die Strafzumessungsgründe durch Umwandlung der Soll-Borschrift in eine IstVorschrift revisibel machen würden. Abgesehen davon, daß hierdurch die Zahl der eingelegten Revisionen derart zunehmen würde, daß möglicherweise die Senate des Reichsgerichts um 50 % vermehrt werden müßten, würde sich dies im wesentlichen doch nur zugunsten der Angeklagten auswirken. Ich darf nur auf die jetzt neu gegebenen Richtlinien für das Strafverfahren in der Allgemeinen Verfügung des Herrn Reichsjustiz­ ministers vom 13. April 1935 hinweisen, in denen die Staatsanwaltschaft ausdrücklich angewiesen ist, bei Einlegung von Rechtsmitteln ganz allgemein Zurück­ haltung zu üben und insbesondere wegen zu geringer Strafe möglichst überhaupt von der Einlegung eines Rechtsmittels Abstand zu nehmen. S o besagt Nr. 237 der Richtlinien: Die Einlegung eines Rechtsmittels, das sich nur gegen das Strafm aß wendet, wird im allge­ meinen auf diejenigen Fälle zu beschränken sein, in denen die erkannte Strafe in einem offenbaren Mißverhältnis zur Schwere der T at steht. Wenn aus die Revision des Angeklagten wegen unzureichender Straszumeffungsgründe das Urteil aufgehoben wird, dann wäre der Endeffekt, daß das Jnstanzgericht, an das die Sache zurückverwiesen wird, doch genau dieselbe Strafe verhängt, aber über die Strafzumessungsgründe vielleicht ein oder zwei Seiten mehr schreibt, anstatt die etwas formularmäßige Wendung zu gebrauchen, mit der das Gericht in seinem ersten Urteil die in der Beratung aufs einge-

hendste erwogenen Strafzumessungsgründe zum Aus­ druck gebracht hat. Ich habe den Eindruck — und damit stimme ich mit meinen sämtlichen Kollegen aus der Praxis überein — , daß das Reichsgericht immer mehr das Bestreben zeigt, sich als Tatsacheninstanz aufzutun, und infolgedessen viele Urteile zurück­ verweist, die unserer Auffassung nach eine Zurück­ verweisung nicht verdient hätten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich würde nun für die Fassung dieses Abschnittes vorschlagen: Erstens, in § 408 auszugehen von einem Eingangssatz, der den Gedanken gerecht wird, die hier ausgesprochen worden sind: „D er Ausgangspunkt der Strafbemestung ist in erster Linie die Schuld" — Fassung Vorbehalten — , und der die Möglichkeit offen läßt, auch andere Gründe für die Strafbemessung noch heranzuziehen. Zweitens, diesem Paragraphen einen zweiten Absatz zu geben nach dem Grundgedanken der von der Abteilung vorgeschlagenen Fassung mit einer gewissen Verbesserung — möglicherweise kann man auch das Schutzbedürfnis, die Schutzbedürftigkeit des Volkes da hereinnehmen — ; ferner in § 409 F ah r­ lässigkeit und Vorsatz mit klarer Absetzung gegen­ einander zu fassen und nach dem Vorschlag der Ab­ teilung auszudrücken. § 410 fällt weg. Bei § 411 würde ich unbedingt für Wegfall plädieren, und zwar deshalb, weil er nichts enthält. § 412 würde mit den vorgeschlagenen Änderungen bestehen bleiben, wobei ich jetzt noch dahingestellt sein lasse — ich ersuche, eine Fassung zu finden — , ob bei drei vor­ sätzlichen Taten irgendwie der gewerbsmäßige Täter gleichgestellt werden kann. Ministerialdirektor Schäfer: Ich habe verstanden, daß wir diese Frage zurück­ stellen sollten, bis wir über den Fortfetzungszusammenhang usw. sprechen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Gut! Dann scheint mir im allgemeinen die Stimmung dahin gegangen zu sein, beim Rückfall diese Auflockerung zu machen: „Die T at kann außer Be­ rücksichtigung bleiben, wenn sie mehr als 5 Jahre zurückliegt".' Zu § 413 ist nichts zu sagen, außer daß der letzte Satz des vorletzten Absatzes wegfällt. Nun käme nur noch § 414. D a bin ich selber nicht ganz schlüssig. Eines muß ich sagen: Wenn ich vorhin gemeint habe, daß sich aus der Weglassung der be­ sonders schweren Fälle leicht folgern lasse, man brauche die besonders leichten Fälle nicht, so ist das nicht ganz schlüssig; denn die besonders schweren Fälle haben hier, wie gesagt, keinen sachlichen In h alt. Die außerordentlich leichten Fälle haben auch keinen sachlichen In h a lt — das gebe ich ganz gern zu — ; denn alles, was darin steht — Ausnahmesall, mildeste Strafe zu hart erscheint usw. — , ist ja nichts als eine inhaltlose Paraphrase . der Überschrift. Darüber müssen wir uns klar sein. Aber die Frage ist, ob unsere Strafrahmenpolitik — wie Herr Staatssekretär Freister es immer ausdrückt — es überhaupt nicht am Ende ratsam erscheinen läßt, diesen Paragraphen

doch aufzunehmen. Nur von diesem Gesichtspunkt aus, nicht von seinem In h a lt her möchte ich die Frage stellen. D as Beispiel von der Mutter, die ihre Kinder umbringen will und die nach unserem Vorschlag mit 6 Monaten Gefängnis in m inim o bestraft werden könnte, scheint mir doch nicht so ganz überzeugend zu sein; denn wenn sie nun wirklich 2 oder 3 Kinder vergiftet hat, scheinen mir 6 Monate immerhin eine mögliche und entsprechende Antwort zu sein. Aber es gibt auch andere Fälle. Also ich möchte das festhalten: Die besonders schweren Fälle scheinen mir entbehrlich zu sein, weil wir nichts darüber aussagen können als dasselbe, was wir oben schon gesagt haben. Bei den besonders leichten Fällen liegt es, was den In h a lt anlangt, genau so. Aber für die besonders oder außergewöhnlich leichten Fälle könnte die Erwägung eine Rolle spielen, ob uns das nachher die Strafrahmenbildung nicht erleichtert. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: Diese Frage können wir vielleicht zurückstellen!) Professor Dr. Dahm: Ich glaube, wir können diese Frage erst dann entscheiden, wenn wir den Besonderen Teil durchge­ gangen sind und uns darüber klar geworden sind, welche Strafrahm en wir vorsehen wollen. Wir haben am Schluß der Oberhofer Sitzung doch festgestellt, daß das Strafrecht unseres Entwurfs, wenn man es wirk­ lich durchdenkt, eine weitgehende Milderung der ge­ samten Strafzumessung bedeutet. Denn w ir haben die Strafrahm en nach unten ungeheuer erweitert. W ir sind zwar sehr stolz darauf, daß wir die mildernden Umstände beseitigt haben. I n Wirklichkeit aber sind die mildernden Umstände zur Regelstrafe geworden. Hier bedarf es noch einer gründlichen Überprüfung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist nun nicht der richtige Betrachtungsstand­ punkt; denn wenn wir hier die außergewöhnlich leichten Fälle aufnehmen, so würde ich das tun, um die M inima der Strafrahmen erhöhen zu können, (Zustimmung) — z. B. bei Verbrechen nicht die Gefängnisstrafe soundso oft zu haben. (Professor Dr. Dahm: Dann ist es etwas anderes!) — Um das tun zu können, hatte ich gemeint, daß wir die außergewöhnlich leichten Fälle aufnehmen könnten. D as ist der einzige Gesichtspunkt, unter dem § 414 betrachtet werden kann. Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: D as halte ich für absolut richtig. Ich möchte die außergewöhnlich leichten Fälle und die Strafrahmen dafür strenger fassen, damit der Normalfall unter allen Umständen streng bestraft wird. Hier muß durch die Fassung dafür gesorgt werden, daß es wirklich nur Ausnahmen sind, in denen der Paragraph angewendet wird. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as haben wir versucht!)

Professor Dr. Dahin: Diese Kritik richtet sich nur gegen die Verbindung des § 414 mit den Strafdrohungen des Entwurfs, wie er vorliegt. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Dann würde ich vorschlagen, in ev en tu m § 414 jetzt in den Entwurf in der Fassung, die die Unter­ kommission festzulegen hat, aufzunehmen. Meine Idee ist die, daß wir die völlig zerflossenen S traf­ rahmen des Besonderen Teils damit in der unteren Linie etwas festigen können. (Mittagspause.) Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich würde vorschlagen, jetzt den Abschnitt vorzu­ nehmen, der die Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzte Handlung, also die Jdealkonkurrenz usw. betrifft. Bericht­ erstatter sind die Herren Professor Nagler und Land­ gerichtspräsident D r. Lorenz. Berichterstatter Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: E s liegen vor die Vorschläge B 25 und B 33. Ich möchte vorausschicken, daß ich mit meinem Herrn Mitberichterstatter nicht ganz übereinstimme. E r will — anscheinend resignierend — für die Gleichbehand­ lung von Real- und Jdealkonkurrenz eintreten (Ein­ heitsstrafe!). Ich möchte mich dagegen entschieden gegen eine Gleichbehandlung aller Arten von Kon­ kurrenz aussprechen. Nach den Beratungen der ersten Lesung war die Kommission zu dem Ergebnis gekommen, die Jdealund die Realkonkurrenz bei der Strafbemessung im materiellen Strafrecht gleichzustellen. D as entsprach der Preußischen Denkschrift, und das entspricht auch den in Fischbachau aufgestellten Grundsätzen. Dort ist die Einheitsstrafe gefordert worden. Ich hatte mich bereits in der ersten Lesung für die Beibehaltung der verschiedenen Behandlung von Ideal- und Real­ konkurrenz eingesetzt und nehme insoweit Bezug auf meine damaligen in den Protokollen niedergelegten Ausführungen (Protokoll der 19. Sitzung S . 6/7). Ich hatte mich in der Hauptsache den Vorschlägen des Referentenentwurfs angeschlossen. Inzwischen sind uns nun die Anträge Nr. B 25 der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums vorgelegt worden. Von Anfang an war man sich darüber im klaren, daß die einheitliche Behandlung der Ideal- und Real­ konkurrenz ganz besonders im Strafverfahren zu Schwierigkeiten führen würde. Die genannten An­ träge B 25 bringen das auch wieder zum Ausdruck. S ie sagen, daß die verfahrensrechtliche Durchführung z w a r m ö g l i c h sei, aber zu praktisch wenig be­ friedigenden Ergebnissen führe. Diese Schwierigkeiten treten ganz besonders im Rechtsmittel- und im Wiederaufnahmeverfahren zutage. D as Nähere ist in B 25 ausgeführt. Dort ist auch gesagt, wie etwa Ab­ hilfe geschaffen werden kann. M an kommt dort schließlich zu dem Ergebnis, daß Ideal- und Real­

konkurrenz aus prozessualen Gründen verschieden be­ handelt werden müssen, und daß praktisch die Fest­ setzung von Einzelstrafen für jede selbständige T at den Vorzug verdient. Abzulehnen ist dagegen, was auch vereinzelt vorgeschlagen worden ist, etwa grund­ sätzlich für j e d e Rechtsverletzung Einzelstrafen aus­ zuwerfen, also auch bei z. B. drei idealiter kon­ kurrierenden Delikten drei Einzelstrasen. E s kommt noch hinzu, daß die Gleichbehandlung den Dingen Gewalt antut, weil für die natürliche Betrachtungs­ weise, und zwar gerade vom Standpunkt des Willensstrasrechts aus, zwei selbständige Straftaten regel­ mäßig strafwürdiger sind als eine T at, die zufällig den Tatbestand z w e i e r Strafgesetze verwirklicht, wie ich auch bereits in der ersten Lesung ausgeführt habe. Es wäre durchaus denkbar, daß das Gesetz einen Tatbestand dieser Art auch enthält, also nur e i n Gesetz verletzt ist, und es ist ein Zufall, wenn dem nicht so ist. Bezeichnend ist ja z. B. auch, daß man in der ersten Lesung erwogen hat, die Unterscheidung zwischen Ideal- und Realkonkurrenz für das S tra f­ register beizubehalten, da ein Strafregisterauszug, der sich über die Frage der Tateinheit oder Tatmehrheit ausschweigt, eben über einen wesentlichen Punkt, nämlich das M aß der Schuld des Täters, nur eine unvollkommene Auskunft gibt. D as gilt aber noch in viel höherem Maße für den Urteilsspruch. Die jetzt geltenden Vorschriften über Tateinheit und Tatmehrheit haben sich im großen und ganzen doch bewährt. Die Unterscheidung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit ist begrifflich gegeben und deshalb auch nicht zu entbehren. Jeder Versuch, den Unter­ schied zwischen den beiden Formen des Zusammen­ treffens zu verwischen oder sie gleich zu behandeln, muß zu Schwierigkeiten führen. D as haben auch die Erörterungen im Verlaufe der Debatten über die Strafrechtserneuerung klar erwiesen. Die Regelung, die der jetzt vorliegende Entwurf für die Frage ent­ hält, begegnet wiederum diesen Bedenken. Ich habe auch früher bereits auf eine andere Schwierigkeit oder auf ein anderes Bedenken hingewiesen, das ich darin sehe, daß die Gefahr besteht, daß die Gerichte sich oft unter dem Druck der Belastung dazu verleiten lassen würden, die sorgfältige Unterscheidung zwischen ein­ heitlicher Handlung oder Mehrheit der T at zu unter­ lassen, was dann bedeuten würde, daß sich das Gericht über die Art der Entschlußbildung des Täters, über das Verhältnis der verschiedenen Akte seines T uns untereinander nicht volle Klarheit verschafft. Wenn das so ist, dann wird der Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt, und es können Urteile herauskommen, die Gleiches ungleich und Ungleiches gleich behandeln, und die mit dem Prinzip der Gerechtigkeit nicht ver­ einbar sind. Der genannte Vorschlag der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums spricht sich nach alledem für grundsätzliche Beibehaltung des g e l t e n d e n Rechtes aus. Der uns vorgelegte Entwurf einer Strafversahrensordnung der amtlichen Prozeßkommission geht

auch davon aus, daß die Fälle der Ideal- und Real­ konkurrenz verschieden zu behandeln sind. M an kann doch wohl annehmen, daß diese Kommission am besten hat feststellen können, auf welche Schwierigkeiten eine Gleichbehandlung dieser beiden Konkurrenzen stößt. I n diesem Entwurf weise ich hierzu z. B. hin auf die §§ 29, 57, 81 und 82. I n der vorletzten Nummer der „Deutschen Justiz" (Nr. 18) tritt zwar der Amtsrichter Baldus in einem größeren Aussatz für die Einheitsstrafe bei beiden echten Konkurrenzformen ein. Das, was er gegen eine verschiedenartige Behandlung der Ideal- und Real­ konkurrenz und gegen die Gesamtstrasbildung anführt, deckt sich zu einem großen Teil mit dem, was auch hier in der ersten Lesung dagegen vorgebracht worden ist. Dem kann man aber durch die Fassung des Gesetzes zu einem großen Teil abhelfen, und zu einem anderen Teil kann man sehr wohl auch anderer Ansicht sein. Ob es so einfach ist, über die verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten hinwegzukommen, wie der Verfasser des Aufsatzes andeutet, möchte ich doch nach den Erfahrungen, die bisher gemacht worden sind, be­ zweifeln. I m übrigen führt er sein Prinzip der Einheitsstrafe in seinen Formulierungsvorschlägen auch nicht restlos durch, allerdings aus durchaus beachtlichen Gründen. Einem Einwand, der oft gegen die Unterscheidung von Ideal- und Realkonkurrenz erhoben wird, daß nämlich die verschiedenartige Behandlung häufig rechtlich schwierige und unfruchtbare Untersuchungen erfordere, kann durch eine Verfahrensvorschrift abge­ holfen werden, die nach dem Vorschlag B 25 (S . 12) etwa lauten könnte: Ist zweifelhaft, ob sich der Angeklagte mehrerer Rechtsverletzungen durch eine oder durch mehrere selbständige Taten schuldig gemacht hat, so darf das Gericht, o h n e insoweit eine Feststellung treffen zu müssen, die Strafe gemäß § 415 festsetzen. Ich persönlich glaube, daß man auf eine derartige Be­ stimmung verzichten kann; denn der genannte Ein­ wand würde höchstens noch in ganz beschränktem Um­ fange gelten. Es wäre also zu prüfen, ob eine solche Bestimmung aufzunehmen wäre. Ich möchte mich demnach im großen und ganzen für die in Anlage I von B 25 vorgeschlagene Fassung einsetzen, mit einigen Abänderungen und Ergän­ zungen. § 415 behandelt die Tateinheit. Absatz 1 könnte vielleicht noch dahin ergänzt werden, daß der Begriff der Tateinheit noch nach dem Gesichtspunkt der soge­ nannten natürlichen Handlungseinheit ausdrücklich ergänzt wird, daß also auch als e i n e T at gilt, wenn mehrere Handlungen örtlich oder zeitlich derart zu­ sammentreffen, daß sie der natürlichen Betrachtung als Einheit erscheinen. D as geschieht zwar praktisch bereits meist schon; aber es ist vielleicht ganz gut, wenn das im Gesetz ausdrücklich gesagt wird. § 416 behandelt die Tatmehrheit. I n der hier vorliegenden Fassung sind Anregungen, die ich bereits bei der ersten Lesung gegeben hatte (Anträge Nr. 18),

zum Teil mitberücksichtigt worden. I n Absatz 3 wird wohl aus die künftige Fassung der dort zitierten §§ 392 und 394a Rücksicht zu nehmen sein, die wahr­ scheinlich anders lauten werden, als zunächst vorge­ sehen war. Eines fehlt meines Erachtens noch. Der Angriff gegen diese Gesamtstrasbildung wird oft damit be­ gründet, daß es unsinnig sei, mehrere Todesstrafen nebeneinander oder Todesstrafe neben lebenslangem Zuchthaus und ähnliche Zusammenstellungen auszu­ sprechen. Hierzu habe ich in meinen früheren Anträgen eine Fassung vorgeschlagen, die das verhindert und nach der dann n u r auf Todesstrafe oder n u r auf lebenslanges Zuchthaus als Gesamtstrafe zu er­ kennen sei. § 417 enthält die fortgesetzte Handlung. Meines Erachtens ist eine gesetzliche Definition der fortge­ setzten Handlung nötig, und zwar eine solche, die dem praktischen Bedürfnis entspricht. E s muß dadurch auch eine in der P raxis sehr gebräuchliche, allerdings mit dem Gesetz und auch mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts kaum vereinbare Übung sozusagen ge­ setzlich sanktioniert werden. E s wird unendlich oft aus einem praktischen Bedürfnis heraus von Tateinheit gesprochen, obwohl in Wirklichkeit Tatmehrheit vor­ liegt. M itunter handelt es sich um 30 oder 40 und noch mehr einzelne Fälle und selbständige Hand­ lungen, die auch zeitlich ziemlich auseinanderfallen. Jeder Einzelfall erfüllt den gesetzlichen Tatbestand. Die genaue Zahl der Einzelfälle läßt sich oft gar nicht feststellen. Eine gerichtliche Erledigung ist nur dadurch möglich, daß man eben von einer einheitlichen T at, von einer Sammeltat ausgeht, wobei es oft noch riskant ist, die übliche Frage an den Angeklagten zu stellen: „Hatten S ie schon von vornherein den E nt­ schluß gefaßt, alle diese Taten zu begehen?" Denn in Verkennung der rechtlichen Folgen antwortet dieser fast stets: „Nein!". Infolgedessen wird oft der routinierte Richter diese Frage gar nicht stellen, sondern von sich aus in das Urteil schreiben, daß der Angeklagte nach Lage des Falles annehmbar auf Grund eines einheitlichen Vorsatzes gehandelt habe, um so eine einheitliche T at feststellen zu können. M an wird der Wirklichkeit wohl gerechter, wenn man solche Fälle als das behandelt, was sie sind, als T at m e h r heit und sie mit einer Sondervorschrift regelt. Ich knüpfe hier an das, was heute morgen Herr Reichs­ gerichtsrat Niethammer bei Besprechung des § 412 Abs. 2 andeutete. Um Fortsetzungshandlungen im bis­ herigen S inne handelt es sich nur in ganz seltenen Fällen; meist liegt eine A rt Samm eltat vor, d. h. eine Häufung gleichartiger, selbständiger Taten, Ein­ zeltaten, so daß an sich die Behandlung nach § 416 (Mehrheit von Taten) nötig wäre. E s besteht nur dann die Schwierigkeit, daß sich die Z a h l dieser Ein­ zeltaten oft gar nicht mehr ermitteln läßt. Aus diesem Grunde ließe sich vielleicht folgendes vorschlagen. M an kann die Fortsetzungstat und die Sammeltat, die sich mitunter gar nicht scharf voneinander scheiden lassen, einheitlich regeln und so definieren, daß beide Arten unter einen Begriff fallen, und kann dann vielleicht bestimmen, daß, wenn jemand durch eine Fortsetzungs-

oder durch eine Sam m eltat dasselbe Strafgesetz mehr­ fach verletzt hat, das Gericht davon absehen k a n n , Einzelstrafen festzusetzen und statt dessen sogleich auf eine Gesamtstrafe erkennen kann. Diese Behandlung würde auch mehr dem tatsächlichen Zustand entspre­ chen, da es sich ja bei beiden Formen (der soge­ nannten fortgesetzten Handlung u n d der Sammeltat) in Wirklichkeit um T at m e h r heit handelt, wobei man nur aus praktischen Erwägungen heraus von einer Einheit ausgeht. D as würde man erreichen durch eine entsprechende Definition der fortgesetzten Handlung, vielleicht im Anschluß an die in der Preu­ ßischen Denkschrift auf Seite 123 enthaltene Defini­ tion. Dort ist so definiert: Eine fortgesetzte strafbare Handlung liegt vor, wenn der T äter aus derselben Lebenslage heraus oder unter Ausnutzung gleicher Gelegen­ heit oder auf Grund eines von vornherein ge­ faßten Vorsatzes dasselbe Rechtsgut wiederholt verletzt. Der Ausdruck „Rechtsgut" ist jetzt verpönt; dafür müßte man einen Ersatz finden. I m Gegensatz zu der bisherigen Rechtsprechung des Reichsgerichts ist davon auszugehen, daß nicht nur durch die Einheitlichkeit des Vorsatzes, die in den meisten Fällen nur eine Fiktion ist, sondern auch durch andere Umstände der Fortsetzungszusammenhang be­ gründet werden kann, und das sogar in erster Linie. § 417 wäre dann dementsprechend abzuändern. Berichterstatter Prof. Dr. Nagler: Unsere Kommission hat sich in erster Lesung für einen Systemwechsel gegenüber dem geltenden S traf­ gesetzbuch entschieden. D as ist die grundsätzliche Frage, die hier endgültig ausgetragen werden muß. W ir sind erst nach längeren Diskussionen zu der Entschließung i. S . der Einheitsstrafe gekommen, und sehr gewich­ tige Stimmen, z. B. aus der Praxis, haben sich schon damals für die Beibehaltung des Systems des jetzigen Strafgesetzbuchs erklärt. Ich bin trotzdem der Mei­ nung, daß wir zu der Einheitsstrafe übergehen sollten, und ich glaube, daß jede subjektive Rechtsauffassung, darum auch das Willensstrafrecht, bei diesen Konse­ quenzen ausmünden muß. E s ist charakteristisch, daß überall da, wo man die subjektive Unrechtsaufsassung vertrat, also die Schuldseite in den Vordergrund rückte, die Nivellierung aus der Seite der Handlung in ziemlich weitem Umfange die Folge war und damit für die Konkurrenz die Verwischung von Ideal- und Real­ konkurrenz als das Gegebene erschien. Schon Merkel hat darauf abgehoben, und er hat von seinem subjek­ tiven Standpunkt aus klar die Konsequenz gezogen, daß die Unterscheidung zwischen Ideal- und Realkonkürrenz weiter nichts als ein Werk des Zufalls sei; es komme auf die Mehrheit des Willens an, es sei ganz gleichgültig, ob diese Mehrheit des Willens in einer oder in mehreren Handlungen zum Ausdruck komme. Aus den gleichen Boden ist die Konferenz in Fischbachau getreten. Auch die Akademie für Deutsches Recht hat sich in dem gleichen Sinne grundsätzlich für eine Einheitsstrafe, wenn auch in anderem Sinne als

wir, entschieden. D as praktische Hauptargument für diese Auffassung ist die Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen Ideal- und Realkonkurrenz, über die wir nun mal nicht hinwegkommen. E s läßt sich eben nicht ver­ kennen, daß jeder Autor die Verbrechenseinheit etwas anders sieht, weil er die Handlung von ganz verschie­ denen Gesichtspunkten aus bestimmt. Ob man also die Rechtswidrigkeit oder die Tatbestandsmäßigkeit und das angegriffene Rechtsgut für die Verbrechenseinheit entscheidend sein läßt, ist eine grundsätzliche Entschei­ dungsfrage, die sich hier bei der Ideal- und Realkon­ kurrenz unmittelbar praktisch auswirkt. Infolgedessen reden w ir Theoretiker gerade auf dem Gebiete der Konkurrenz fortgesetzt aneinander vorbei. F ür uns selbst ist die Unterscheidung immer wundervoll einfach, aber für den anderen, der die Dinge mit ganz anderen Augen sieht, ist es nicht die Lösung, die er braucht. Darum wäre es außerordentlich zu begrüßen, wenn die Notwendigkeit der Abgrenzung von Real- und Jdealkonkurrenz dadurch fiele, daß wir die Gleichbe­ handlung beider bestimmten. Nun haben wir schon das vorige M al nicht verkannt, daß schwere prozessuale Bedenken bestehen. Diese prozessualen Schwierigkeiten bildeten ja damals den Eingang unserer Diskussion, und damals war es die Meinung dieses Hauses, daß man über die prozessualen Schwierigkeiten hinweg­ kommen könne. Inzwischen haben die Ausführungen der Herren Sachbearbeiter, die sehr exakt sind, gezeigt, daß die Schwierigkeiten doch größer sind, als wir da­ mals annahmen. Aber ich habe doch den Eindruck, als ob man darüber bei einigem guten Willen hinweg­ kommen könnte. W ir müssen bedenken, daß sich wie bei allen Fragen auch hier das Gesetz der Schwere, die Kontinuität des Denkens und Entscheidens, fühlbar macht. Auf die Unterscheidung von Ideal- und Real­ konkurrenz sind wir seit 150 Jahren eingespielt, auch prozessual eingespielt, infolgedessen sind alle P ro ­ bleme, die sich uns bieten, im wesentlichen bekannt und von dem einen oder anderen Standpunkt aus ge­ löst. Jetzt sollen wir uns plötzlich materiellrechtlich umstellen. Dieser Stellungswechsel muß auch pro­ zessual zu einer Umstellung führen. W ir stehen also vor ganz neuen Situationen. Prozessual ist eben die Brauchbarkeit der Einheitsstrafe noch nicht auspro­ biert, und daher rühren die großen Bedenken, welche man dagegen erhebt. Aber ich will nicht in Einzel­ heiten eintreten; wir würden uns sonst in eine große prozessuale Diskussion verlieren müssen. Ich glaube, wenn wir wollen, kommen wir auch über die Ver­ fahrens-Schwierigkeiten glatt hinweg. W ir können die Einheitsstrafe getrost aufrechterhalten. Wenn wir aber das Prinzip wechseln sollten, würde ich die Ausfüh­ rungen von Herrn Kollegen Lorenz grundsätzlich unterschreiben. Sie stehen im wesentlichen im E in­ klang mit den Ausführungen, welche uns die Herren Sachbearbeiter gegeben haben. Ich würde es insbe­ sondere als einen Fortschritt begrüßen, wenn bei der Jdealkonkurrenz die Erhöhung der S trafe vorgesehen wird. Dazu liegt ganz zweifellos ein praktisches Be­ dürfnis vor. Sodann die Frage der Gesetzeskonkurrenz: E s ist wiederholt in den letzten Monaten angeregt worden,

man solle die Gesetzeskonkurrenz definieren. Ich würde mich mit aller Entschiedenheit dagegen aussprechen, und zwar deshalb, weil der Begriff der Gesetzes­ konkurrenz theoretisch noch nicht voll ausgetragen ist. Vor allem deshalb, weil wir noch bezüglich der Kon­ sumtion mitten in der Entwicklung stehen, können wir heute für die Gesetzeskonkurrenz noch keine abschlie­ ßenderen Ergebnisse vorlegen. Nun das fortgesetzte Verbrechen! D as fortgesetzte Verbrechen ist nicht ein Gebilde der Theorie, sondern es ist von der Praxis geschaffen, und zwar schon von der Praxis der Italiener. Durch Carpzow ist es in Deutschland zur Anerkennung gebracht worden. Feuerbach hat der deutschen Entwicklung eine zunächst abschließende Darstellung gegeben. Seitdem kehrt das fortgesetzte Verbrechen in den meisten Partikular­ gesetzen wieder; es ist dort ausdrücklich formuliert und seine Behandlung auch im einzelnen geordnet. Preu­ ßen und das Reichsstrafgesetzbuch schwiegen zwar über das fortgesetzte Verbrechen sich aus, aber nichtsdesto­ weniger hat sich der Fortsetzungszusammenhang auch in Preußen und in der Reichspraxis reibungslos durchgesetzt. Wenn ich einen Blick auf das Ausland werfen darf, so ist es im wesentlichen nur der angel­ sächsische Kreis, welcher den Fortsetzungszusammen­ hang nicht anerkennt. Die Engländer wollen vielmehr jedes einzelne Stück der Einheit selbständig abgelten. Ich bin der Meinung, daß das fortgesetzte Verbrechen praktisch unentbehrlich ist. Es ist eben so, daß man Zu­ sammengehöriges nicht auseinanderreißen kann. Die Einzelakte des fortgesetzten Verbrechens sind unselb­ ständig — das ist das Entscheidende — , und wegen dieser Unselbständigkeit kommt es schließlich bei einer großen Anzahl von Einzelakten, bei ihrem maffenhaften Auftreten auf den einen oder andern gar nicht mehr an. Der Vorzug des fortgesetzten Verbrechens ist die Generalbereinigung, die Gesamtliquidation, die einheitlich vorgenommen werden kann, ohne daß man alle Einzelheiten zu ermitteln braucht, und ohne daß man jeden einzelnen Vorgang selbständig bewerten müßte. M an kann den Einzelakt ja schließlich über­ haupt nicht selbständig bewerten. D as Reichsgericht, welches das fortgesetzte Verbrechen von jeher aner­ kannt hat, hat es freilich, wie ich glaube, etwas zu eng begrenzt. Wenn ich von der objektiven Gleichartig­ keit der einzelnen Bestandteile des fortgesetzten Ver­ brechens absehe, so stellt das Reichsgericht immer auf die Einheit des Vorsatzes ab, fordert also einen Gesamt­ vorsatz. Dabei handelt es sich nach meinem Dafür­ halten eigentlich gerade um diejenigen Fälle, welche in der Praxis am seltensten vorkommen. Die Stellungnahme des Reichsgerichts erweist sich schon beim fahrlässigen Verbrechen als zu eng. Auch dort haben wir natürliche Einheiten, wir haben den klaren und unzerreißbaren Fortsetzungszusammenhang. D a­ für ein einfaches Beispiel: Ein Apotheker verliest ein Rezept eines Arztes, das dieser schlecht ausgefüllt hat, und nimmt infolgedessen die Giftdosis zu groß; das Rezept wird wiederholt angefertigt, und immer wieder verliest der Apotheker das Rezept, das Ergebnis ist fahrlässige Tötung des Patienten. Daß hier ein ein­

heitlicher Zusammenhang besteht, muß auch das Reichsgericht anerkennen, tut es aber in der unmög­ lichen Form eines sogenannten Dauerdelikts. Ich glaube, es ist richtiger, wenn man auch hier das fort­ gesetzte Verbrechen anerkennt, also nicht auf die Ein­ heit des Vorsatzes, sondern auf die Einheit des E n t ­ s c h l u s s e s abstellt. W as nun die Hauptgruppe des fortgesetzten Ver­ brechens anlangt, so war nach meinem Dafürhalten die Auffassung des Reichsgerichts bisher insofern zu eng, als das fortgesetzte Verbrechen nicht anerkannt werden konnte bei der Weiterentwicklung des Verbre­ chens, also der Steigerung seines Verletzungsumsangs, sobald die S traftat ursprünglich begrenzt geplant war. Jem and will z. B. dem anderen nur einen Schlag ver­ setzen, kommt aber schließlich durch den Widerstand des Opfers oder dergleichen dazu, nun die Körper­ verletzung in größerem Ausmaß zu verabreichen. Hier liegt eine bloße Steigerung dieses einen Verbrechens vor, wir können es nicht auseinanderreißen. Ebenso steht es bei der Benutzung der gleichen objektiven Situation, also der Benutzung desselben Verhält­ nisses, derselben Handlungsmöglichkeit oder Gelegen­ heit. W ir bringen immer als Schulbeispiel für unsere Studenten den Diener, der ohne einheitlichen Vorsatz heute eine Zigarre aus dem V orrat seines Herrn nimmt, übermorgen wieder eine usw. Im m er ist es dieselbe Gelegenheit und Versuchung, die ihn dazu führt. Ich glaube, wir werden die Weiterführung dieses Gedankens, die sich im Laufe der Zeit in Theorie und Praxis herausgebildet hat, unbedingt an­ erkennen müssen. D as Entscheidende ist eben, daß auch ohne einen Gesamtvorsatz unselbständige Entwick­ lungsstufen eines einheitlichen Vorganges sich uns bieten. Die tatsächliche Unselbständigkeit der Einzelvorgänge werden w ir auch rechtlich gelten lassen müssen und darum den Begriff des fortgesetzten Ver­ brechens etwa in dem S inne fassen, wie ich es vorge­ schlagen habe: Eine fortgesetzte Handlung ist anzu­ nehmen, wenn der Handelnde dieselbe Rechtsver­ letzung unter Ausnutzung derselben Gelegenheit oder desselben dauernden Verhältnisses oder in Ausfüh­ rung desselben Entschlusses in zeitlichem Zusammen­ hang wiederholt hat. Auf diese Weise würde die natür­ liche Einheit der Geschehnisse anerkannt und gleich­ zeitig der Praxis ein ziemlich freier Spielraum zur Bewegung gegeben sein. Es ist ja so, daß beim fort­ gesetzten Verbrechen nicht eine rechtliche Qualifizie­ rung stattfindet, sondern daß es sich um quantitatives Abwägen eines mehr oder weniger engen Zusammen­ hanges handelt. D as Maßgebliche ist der enge sach­ liche Zusammenhang der Einzelakte, der nicht ohne eine gewisse zeitliche Begrenzung möglich ist. W as nun die Bestrafung des fortgesetzten Ver­ brechens anlangt, so kann natürlich davon keine Rede sein, daß der Fortsetzungszusammenhang immer privilegierend wirken müsse. Die fortgesetzten Verbrechen sind gewöhnlich sogar besonders verwerflich. Ich stelle vor allem die Fälle des Gesamtvorsatzes in diesen Zu­ sammenhang. Denn wenn jemand von Anfang an einen großen Verletzungsumfang plant und dann

auch wirklich durchführt, so ist er nach meinem Empfinden strafbarer, als wenn er nur der Ver­ suchung unterliegend ohne einen von Anfang an be­ stehenden Gesamtwillen den Verletzungsumsang all­ mählich gesteigert hat. D as Hauptbeispiel ist die fort­ gesetzte Mißhandlung von Kindern. Wenn etwa jemand von Anfang an die Absicht hat, das Stief­ kind immer schlecht zu behandeln und es daraufhin fortgesetzt mißhandelt, so ist das ein ganz besonders verwerfliches Verhalten. Soweit die Kollektivdelikte hierher gehören, gilt dies auch für gewerbsmäßige und gewohnheitsmäßige Verbrechen. Auf der andern Seite gibt es einen Fortsetzungszusammenhang, wobei die Mehrheit der Einzelakte ziemlich gleichgültig ist, wo w ir die Steigerung des Verletzungsumsanges nicht besonders schwer in die Waagschale werfen, wo wir also — ich wähle als Beispiel wieder die Tracht Prügel, also die Mehrheit von Schlägen — den Fall genau so behandeln, als wenn nur ein kräftiger Schlag gefallen wäre. Ob ich jemand mit einem Schlage knockout schlage oder eine Reihe von Schlägen zu demselben Verletzungsumfang benötige, ist doch im praktischen Ergebnis ganz gleich. M an darf also das fortgesetzte Verbrechen nicht unter dem Gesichtspunkt ansehen, daß ein Vorteil für den T äter dabei heraus­ geholt werden soll, sondern w ir müssen auch hier der materiellen Gerechtigkeit Rechnung tragen und die einzelnen Fälle des fortgesetzten Verbrechens differen­ zieren, daher das eine M al den Fortsetzungszusam­ menhang qualifizierend bewerten, das andere M al den Fall so behandeln, als wenn nur eine einzelne Handlung vorgekommen wäre. E s kommt nur darauf an, dem Richter bei der Straszumeffung einen gewissen Spielraum zu gewähren; dies würde dadurch erreicht, daß wir, falls wir die Einheitsstrafe für die Kon­ kurrenz im ganzen beibehalten, diese erhöhte Einheits­ strafe auch für das fortgesetzte Verbrechen zur Ver­ fügung stellen. Kommen wir dagegen zu dem andern System, dem System des geltenden Rechts, so würde ich die Vorschläge von Herrn Präsident Lorenz auch für das fortgesetzte Verbrechen in allem unterstützen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn wir uns über diese Dinge aussprechen, möchte ich Sie bitten, sich zu zwei Fragen zu äußern, und zwar zunächst dazu: Hängt die Regelung der Konkurrenzen mit irgendeinem unveräußerlichen Glaubenssatz zusammen? Und weiter: Gebietet uns das Willensstrafrecht eine bestimmte Regelung und welche? Diese zweite Frage stelle ich mit Rücksicht auf die Bemerkung von Herrn Professor Nagler, nach dem Willensstrafrecht sei es naheliegend, die Kon­ kurrenzen im Sinne der Einheit zu orientieren. Diese beiden Fragen möchte ich an den Anfang stellen. Vizepräsident Grau: Ich möchte die erste Frage des Herrn Ministers, ob aus grundsätzlichen Erwägungen die jetzige Rege­ lung der Realkonkurrenz abzulehnen ist, mit einem J a beantworten. Nach meiner Auffassung ergibt sich aus dem Willensstrafrecht, daß bei der Realkonkurrenz nur die Bildung einer Einheitsstrafe möglich ist. Wir

sind uns heute morgen darüber schlüssig geworden, daß für die Strafbemessung die Stärke und der Grad des verbrecherischen Willens ausschlaggebend sein soll, und wir waren uns ferner darüber klar, daß dieser verbrecherische Wille aus der Gesamtpersönlichkeit des Täters zu schließen sei. Die Einsatzstrafen des geltenden Rechts werden aber überwiegend nach dem äußeren Geschehen bemessen. Die Gesamtpersönlichkeit des Täters findet allenfalls bei der Bildung der Gesamtstrafe Berücksichtigung. Daß dies nicht genügt und zu unerwünschten Ergebnissen führt, zeigt sich vor allem dann, wenn von der früheren Gesamtstrafe nur e i n e Einsatzstrafe rechtskräftig und vollstreckt wird. Wenn man die Strafe an die Persönlichkeit des Täters anschließt, so ist es unmöglich, diese Persön­ lichkeit zu zerlegen und zu sagen: F ü r die eine T at hat die Persönlichkeit des Täters diese Strafe zu erwarten, für die andere T at diese! M an kann viel­ mehr nur die Gesamtpersönlichkeit beurteilen, wie sie sich aus a l l e n Taten ergibt. Erst aus der Gesamt­ heit der Taten ergibt sich die Stärke des ver­ brecherischen Willens. M an muß zu einem schiefen Ergebnis kommen, wenn man die Einzeltat und den sich hierbei zeigenden verbrecherischen Willen des Täters beurteilt, dann dasselbe bei der nächsten Einzeltat tut und aus diesen unrichtig gewonnenen Einzelstrasen dann die Gesamtstrafe bildet. Nein, der verbrecherische Wille ist richtig nur dann zu bewerten, wenn man sich die Gesamipersönlichkeit und a l l e Taten des Täters vorstellt. Deshalb ist nach meiner Auffassung die Bildung einer aus verschiedenen Ein­ satzstrafen sich zusammensetzenden Gesamtstrafe mit einem Willensstrafrecht tatsächlich nicht zu vereinigen. Auch aus einem andern Grunde ist die jetzige Behandlung der Realkonkurrenz für ein Willensstrafrecht nicht möglich. S ie geht davon aus, daß im Falle von mehreren Straftaten grundsätzlich ein anderer Strafrahmen zur Verfügung gestellt werden müsse als beim Vorliegen mehrerer Rechtsverletzungen durch dieselbe Tat. Ich halte auch dies für grundsätzlich unrichtig. W ir haben in erster Lesung gerade über diese zweite Frage ausgiebig gesprochen. Es sind Beispiele aufgeführt worden, aus denen sich vor allem bei der gleichartigen Jdealkonkurrenz ganz klar ergab, daß diese Fälle, von der Willensschuld des Täters aus gesehen, mindestens genau so verwerflich und strafwürdig waren wie unmittelbar hintereinander folgende selbständige Taten. Wir haben sogar Fälle erörtert, bei denen ganz zweifellos Fälle der Jd eal­ konkurrenz viel strafwürdiger erschienen, als die der Realkonkurrenz. Ich darf ein Beispiel, in dem das Gesetz dies selbst anerkennt, geben: Diebstahl und Nötigung in Jdealkonkurrenz (Raub) liegen viel schwerer als nur realiter konkurrierender Diebstahl und Nötigung. E s gibt auch andere Fälle, in denen es zweifellos ist, daß vom Standpunkt des Willensstrafrechts die als eine Handlung angesehene T at viel schwerer wiegt als mehrere real konkurrierende Taten. D as ist z. B. auch der F all bei der fortgesetzten Hand­ lung. Tatsächlich ist es doch so, daß, wenn man vom Willen des Täters ausgeht, ein Täter, der sich von

Vornherein vornimmt, 20 schwere Diebstahle zu beehen, einen viel stärkeren und gefährlicheren Willen at als derjenige, der sich von einem Entschluß zum Diebstahl zu dem andern schleppt. I n diesem Falle bestraft also das geltende Recht die als eine T at sich darstellende fortgesetzte Handlung ganz zu Unrecht milder als mehrere selbständige Taten. Wenn man nun aber noch sieht, wie die Ideal- und die Real­ konkurrenz tatsächlich voneinander abgegrenzt werden, dann kann man nur schwer verstehen, warum an die Tatmehrheit ein viel schwereres Strafm aß als an die Tateinheit geknüpft ist. Die Trennung zwischen Realund Jdealkonkurrenz beruht ja nicht auf einem materiellen Gesichtspunkt; es ist ja nicht etwa so, daß die Abgrenzung nach dem Maße der Strafwürdigkeit der einzelnen Formen erfolgt. Die Trennung geschieht vielmehr rein formal, und zwar so formal, daß man es eigentlich kaum begreifen kann. Das Reichsgericht läßt Tateinheit stets dann vorliegen, wenn die Aus­ führungshandlung für die Verwirklichung mehrerer Tatbestände ganz oder teilweise identisch ist. Dieses rein formale Kriterium hat durchaus nichts mit dem materiellen Gehalt der Handlung zu tun. Ich vermag nicht einzusehen, wie der Gesetzgeber bei dieser Lage dafür eintreten kann, daß Jdealkonkurrenz grundsätz­ lich milder zu bestrafen sei als Realkonkurrenz. Nun hat die Abteilung, die einen Vermittlungs­ vorschlag macht, geglaubt, daß man diejenigen Fälle der Tatmehrheit, die derart nahe an der Jd eal­ konkurrenz liegen, daß man von einem einheitlichen historischen Vorgang im Sinne des Prozeßrechts sprechen kann, in die Jdealkonkurrenz hereinnehmen und ihr gleich behandeln könne. Die Abteilung schlägt also selbst vor, daß gewisse Taten, die nach jetziger Auffassung realiter konkurrieren, ebenso wie die Jdealkonkurrenz behandelt werden sollen. D as ist ein Vorschlag zur Güte, aber er befriedigt nicht völlig; denn es bleiben die anderen Fälle der Realkonkurrenz übrig, die nicht befriedigend gelöst werden. E s gibt Fälle der Jdealkonkurrenz, die so gestaltet sind, daß sie, historisch betrachtet, so weit auseinanderliegen, daß jeder unjuristische Beschauer sie für verschiedene Taten ansieht. Trotzdem werden sie nach dem geltenden Recht milder als die Tatmehrheit bestraft. D as sind alle die Fälle, bei denen ein Dauerdelikt eine Rolle spielt. Amtsrichter Baldus führt in seinem Aussatz über die Einheitsstrafe im Heft 18 der Deutschen Justiz das Beispiel an, über das auch in erster Lesung gesprochen worden ist. Wenn jemand eine Waffe kaust in der Absicht, damit Gewalttaten zu begehen, und er schießt dann alle 14 Tage einen M ann nieder, so sind nach Ansicht des Reichsgerichts sämtliche Körperverletzungen in Jdealkonkurrenz miteinander begangen, und zwar deshalb, weil bei jeder Körper­ verletzung die Waffenführung ideal konkurriert und deshalb die Körperverletzungen auch untereinander ideal konkurrieren sollen. (Widerspruch.) — D as hat das Reichsgericht wiederholt ausge­ sprochen, zuletzt noch im 66. Bande. Aber selbst wenn das Reichsgericht diese Auffassung jetzt aufgegeben

haben sollte, so würde doch die rein formale Ab­ grenzung zwischen den beiden Konkurrenzfonnen bleiben, die niemals ein gerechter Grund für eine verschiedenartige strafrechtliche Bewertung von T at­ einheit und Tatmehrheit sein kann. Ob es überhaupt ein materielles Kriterium für die Abgrenzung der beiden Konkurrenzsormen voneinander gibt, ist mir zweifelhaft. Jedenfalls wird diese Abgrenzung nie­ mals das ausschlaggebend berücksichtigen können, worauf es in einem Willensstrafrecht ankommt, näm­ lich die Stärke des verbrecherischen Willens. Es kann doch gar keinem Zweifel unterliegen, daß es Fälle von mehreren Rechtsverletzungen durch eine T at gibt, in denen der verbrecherische Wille derartig stark ist, daß die T at strafwürdiger erscheint, als wenn meh­ rere selbständig hintereinander liegende Taten be­ gangen sind. Andererseits gibt es eine ganze Gruppe von Fällen, in denen, nach dem verbrecherischen Willen bemessen, die Strafwürdigkeit von Tateinheit und Tatmehrheit durchaus gleich erscheint. Daraus muß man den Schluß ziehen, daß ein Grundsatz nicht aufgestellt werden kann, daß mehrere Rechtsver­ letzungen einen milderen gesetzlichen Strafrahmen verdienen als mehrere selbständige Taten. Nun kommt noch folgendes hinzu: Die Anhänger der verschiedenen Behandlung von Real- und Jdeal­ konkurrenz wollen ja in Wirklichkeit diesen Grundsatz gar nicht durchführen. S ie wollen ja selbst die S tra f­ rahmen für Ideal- und Realkonkurrenz derart an­ nähern, daß eigentlich das, was ich jetzt auszuführen mich bemühe, tatsächlich dadurch schon verwirklicht wird. Wenn aber auch nach ihrem Vorschlag der Unter­ schied zwischen den beiden Strafrahmen so gering ist — und praktisch dürfte er dadurch noch geringer wer­ den, daß wir in den einzelnen Tatbeständen die S tra f­ rahmen fast immer bis zu den Strafmaxima haben hinaufgehen lassen — , dann sehe ich nicht ein, warum man nicht noch einen kleinen Schritt weiter tut, um tatsächlich einen einheitlichen Strafrahm en zu schaffen. Wenn man das tun würde und weiterhin auf die Bildung von Einsatzstrafen bei der Tatmehrheit ver­ zichten würde, so läge darin der besondere Vorteil, die für ein Willensstrafrecht unmögliche Tatsache, daß eine einheitliche Täterpersönlichkeit in verschiedene Teile zerlegt werden muß, vermeiden zu können. Nun die Einwände, die gegen diese Gedanken im prozessualen Strafrecht immer erhoben werden! Ich darf dazu zunächst betonen, daß es keineswegs eine Folgerung aus der einheitlichen Behandlung der Realund Jdealkonkurrenz im Strafgesetzbuch ist, daß diese gleiche Behandlung auch in der Strafprozeßordnung fortgesetzt werden müßte. Ich bin im Gegenteil der Ansicht, daß die jetzige verschieden gestaltete Regelung in der Prozeßordnung im allgemeinen durchaus bleiben kann; nur die Konsequenz muß aus dieser ein­ heitlichen Regelung gezogen werden, die sich aus dem Wegfall der Einsatzstrafen ergibt. Diese Folgerungen sind in dem Antrage der Sachbearbeiter bereits im einzelnen angeführt. Hierzu darf ich folgendes aus­ führen:

Wenn wegen mehrerer Straftaten eine Einheits­ strafe gebildet ist und der T äter das Urteil nur wegen einer T at anficht, so erwachsen wie bisher die Schuldfeststellungen hinsichtlich der anderen Taten in Rechts­ kraft. D as Berufungs- oder Revisionsgericht hat also nur bezüglich der angefochtenen Schuldfeststellung zu entscheiden. D as Berufungsgericht hat nach dieser Entscheidung eine neue Einheitsstrafe zu bilden. Sollte das Revisionsgericht das Urteil hinsichtlich des ange­ fochtenen Teils aufheben, so wird es die Sache zur Bildung einer neuen Einheitsstrafe an das Instanzgericht zurückverweisen, und zwar auch dann, wenn es hinsichtlich des angefochtenen Teils bereits selbst auf Freisprechung erkannt hat. D as weitere Verfahren ist dann so wie im geltenden Recht. Ein kleiner Unter­ schied besteht nur darin, daß im geltenden Recht außer den rechtskräftigen Schuldseststellungen auch noch die Einsatzstrafen da sind. Ich möchte nun bestreiten, daß bei sorgfältiger Bildung der neuen Gesamtstrafe nach geltendem Recht irgendein Unterschied zu dem neuen Verfahren besteht. Denn bei sorgfältiger Bildung der neuen Gesamtstrafe darf das Gericht nicht einfach auf die rechtskräftigen Einsatzstrafen schauen, sondern es muß sich den Angeklagten selbst ansehen; denn nach seiner Persönlichkeit richtet sich die neue Gesamtstrafe. M it denselben M itteln wird aber die neue Einheits­ strafe gebildet werden. Nehmen wir nun an, der Angeklagte sitzt in Unter­ suchungshaft und ficht die Einheitsstrafe nur wegen einer T at an. D ann wäre es ein höchst unerwünschtes Ergebnis, wenn er nicht in Haft bleiben könnte. Es tauchen hier dieselben Fragen wie bei der Gesamtstrafe des geltenden Rechts auf. Denn wenn eine Gesamt­ strafe gebildet ist, existieren theoretisch jedenfalls die Einheitsstrafen nicht mehr. Auch jetzt muß sich die Strafvollstreckungsbehörde, wenn eine Gesamtstrafe nur teilweise angefochten wird, darüber schlüssig machen, ob sie den Angeklagten wegen der rechtskräftig gewordenen Einsatzstrafen in Strafvollstreckung bringen darf. Ich weiß, daß dies in der P raxis regel­ mäßig geschieht. Ich weiß aber auch, daß dieses Ver­ fahren durchaus nicht ganz ungefährlich ist. Denn wenn nun das Reichsgericht wegen der angefochtenen Einsatzstrafe aufhebt und freispricht, und der Täter in­ zwischen die anderen Einzelstrasen voll verbüßt hat, so hat er, da eine neue Gesamtstrafe gebildet werden muß, tatsächlich zu viel verbüßt. Jetzt könnte man ohne weiteres dadurch helfen, daß künftig das erken­ nende Gericht erster Instanz in solchen Fällen einen Beschluß faßt, in welcher Höhe die Einheitsstrafe zu vollstrecken ist. D as wäre jedenfalls bester und ge­ rechter als die heutige Regelung bei der Gesamtstrafe. Dasselbe würde natürlich zu gelten haben, wenn das Wiederaufnahmeverfahren nur wegen einer von meh­ reren Straftaten betrieben würde. Alle übrigen Einwände der Abteilung gehen da­ von aus, daß man im Prozeßrecht zu einer weiter­ gehenden einheitlichen Behandlung beider Konkur­ renzarten kommen muffe. Daß das durchaus nicht not­ wendig ist, habe ich bereits betont. W ir sehen also, daß die prozessualen Schwierigkeiten, die durch die Ein­

führung der Einheitsstrafe entstehen könnten, weit überschätzt werden. Wenn man der Auffassung ist, daß aus materiell-rechtlichen Gründen und im Hinblick auf das Willensstrasrecht die bisherigen Einsatzstrasen nicht möglich sind, und wenn man erkennt, daß es unrichtig ist, die Fälle der Jdealkonkurrenz grund­ sätzlich mit einem milderen Strafrahm en auszustatten als die Fälle der Realkonkurrenz, dann sollte man daraus die Folgerungen ziehen und unter Einführung der Einheitsstrafe den gleichen Strafrahmen für beide Konkurrenzarten zur Verfügung stellen. Daß auch die Abteilung schon im wesentlichen gleiche Strafrahm en für beide Konkurrenzarten in Vorschlag gebracht hat, habe ich bereits ausgeführt. Auf Verbesserungen des Textes des Entwurfs möchte ich einstweilen nicht eingehen. Betonen möchte ich nur jetzt schon, daß entgegen der Fassung des § 418 eine nachträgliche Bildung der Einheitsstrafe nur im Falle der Tatmehrheit möglich sein kann. Wenn ich endlich noch ein Wort zur fortgesetzten Handlung sagen darf, so erinnere ich an meine Aus­ führungen, daß der Täter bei der fortgesetzten Hand­ lung häufig einen viel stärkeren verbrecherischen Willen zeigt als bei Fällen der Tatmehrheit. Eine grundsätzliche Milderbestrasung ist also nicht gerecht­ fertigt. Wenn dem aber so ist, so muß man erstreben, auch den Strafrahmen für die fortgesetzte Handlung über das geltende Recht hinaus nach oben auszuweiten und ihn nach Möglichkeit dem Einheitsstrasrahmen gleichzustellen. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: Ich darf feststellen, daß Herr Vizepräsident G rau meine bilden Vorfragen bejaht hat. Die Einheits­ strafe wäre danach also eine weltanschaulich gebun­ dene Folgerung aus dem Willensstrafrecht. F ü r den unnatürlichen Vater in unserem Beispiel würden nach der Fassung der Abteilung folgende T a t­ bestände zur Verfügung stehen: Erstens Strafe für den Ehebruch, zweitens S trafe für die Notzucht und drittens S trafe für die Blutschande. Wenn man das alles summiert, dann darf nicht überschritten werden die Summe der angedrohten Höchststrafen dieser drei Verbrechen, es darf ferner nicht überschritten werden das gesetzliche Höchstmaß der anzuwendenden S tra f­ art. Die Höchststrafe wäre also 15 Jahre Zuchthaus. Ich meine, dieses Ergebnis würde allen Forderungen der P raxis genügen. Vom Willensstrafrecht her wäre dagegen nichts einzuwenden. Weiter, als hier vor­ geschlagen ist, kann man nicht gehen. Wenn man bei Tateinheit für jede T at eine Strafe aussetzt, so gilt der Satz, daß die Strafe nach der Persönlichkeit des Täters festzusetzen sei, natürlich für die Gesamtstrafe. Nun ist mein Eindruck der, daß die Festsetzung von Einzelstrafen zweifellos etwas Konstruktives an sich hat. Es handelt sich um eine Hilfskonstruktion. Die S trafe dagegen, die vollstreckt wird, kann auf Grund der Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit des T äters bemessen werden. Is t es nun aus irgendwelchen prak­ tischen Gründen zweckmäßig, eine solche Hilfskonstruk­ tion einzuführen? Wenn ich sage, daß es sich nur um

rs eine Hilfskonstruktion handelt, so kann man aus dem Willensstrasrecht keine Einwendungen herleiten. Alles, was damit zusammenhängt, die Besserungsmöglichkeit usw., soll ja in Betracht gezogen werden. Ich stelle nur die Frage: Ist diese Hilfskonstruk­ tion, die man vom Standpunkt des Strafprozesses her gewünscht hat, wirklich ein Bruch mit unseren Forderungen aus dem Willensstrafrecht? Um diesen Punkt dreht sich die Diskussion. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wenn wir klarstellen, ob wir die Konkurrenz, Ideal- und Realkonkurrenz, gleich behandeln wollen, so scheidet unbestrittenermaßen die Möglichkeit aus, die Jdealkonkurrenz wie die Realkonkurrenz zu be­ handeln. Wenn man bei blutschänderischer Notzucht erst für die Blutschande, dann für den Ehebruch und schließlich für die Notzucht je eine Strafe auswerfen würde, so würde kein vernünftiger M ann aus dem Volke verstehen, daß der Täter wegen e i n e r Hand­ lung d r e i verschiedene Strafen bekommen soll. Das scheidet von vornherein also aus. Es wäre nur zu fragen, ob umgekehrt die Real­ konkurrenz genau so zu behandeln ist wie die Jd eal­ konkurrenz, d. h. ob eine Einheitsstrafe festzusetzen ist unter — das scheint m ir entscheidend zu sein — Weg­ fall der Einsatzstrafen. Ich glaube in der T at, daß vom Willensstrafrecht aus diese Hilfskonstruktion der Einsatzstrafen nicht haltbar ist, weil die Taten isoliert werden und der Blick des Richters sich nicht von vorn­ herein auf die Gesamtpersönlichkeit des Täters ein­ stellt. I n der Regel ist bei den Gerichten der Vorgang bei der Urteilsberatung gerade umgekehrt: M an wirft zunächst nach dem gesamten Eindruck des Täters eine Gesamtstrafe aus, und erst dann setzt man die Strafen für die einzelnen Taten fest. Hier zeigt sich der ge­ sunde Instinkt, die Gesamtpersönlichkeit des Täters einheitlich zu würdigen. Nun spricht noch ein anderer Gesichtspunkt dafür, keine Einsatzstrafen auszuwerfen, sondern eine Ein­ heitsstrafe wie bei der Jdealkonkurrenz festzusetzen. Wenn wir die Definition des Reichsgerichts von der fortgesetzten Handlung zugrundelegen, ist oft schwer festzustellen, ob der T äter den einheitlichen Vorsatz hatte oder nicht. Steht die Einheit des Vorsatzes fest, o ist es von vornherein ausgeschlossen, für die unselbtLndigen Einzelakte der fortgesetzten Handlung Einätzstrasen auszuwerfen, sondern es wird eine Ein­ heitsstrafe für alle zusammen verhängt. Die Grenze zwischen fortgesetzter Handlung und mehreren selbstän­ digen Handlungen ist^ wie jeder Praktiker weiß, flüssig. Auch dieser Gesichtspunkt führt dazu, zwischen den beiden Fällen keinen wesentlichen Unterschied bei der Strafzumessung zu machen. D as gilt übrigens auch dann, wenn man den Begriff der fortgesetzten Handlung mehr nach objektiven Momenten bestimmt. M an begründet die Notwendigkeit, Ideal- und Real­ konkurrenz verschieden zu behandeln, vor allem mit prozessualen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben würden, daß im Fall der Realkonkurrenz keine Einsatzstrasen festgesetzt werden. Ich möchte dahingestellt

sein lassen, ob die Auffassung des Herrn Vizepräsi­ dent Grau richtig ist, daß man die materiell-recht­ liche und die prozessuale Betrachtungsweise voll­ kommen voneinander trennen kann. Vielleicht ist es richtiger, hier einen Parallelism us anzuerkennen. Läge dieser Parallelism us nicht vor, dann wären die Bedenken, die man hier geltend gemacht hat, mehr oder weniger gegenstandslos. Dann würde man trotz der Bildung einer Einheitsstrafe sehr wohl die Verur­ teilung wegen einer Handlung anfechten können, wegen einer anderen Handlung aber nicht. Dann ergeben sich höchstens Schwierigkeiten in bezug aus die Strafe. M an brauchte ferner den Grundsatz ne bis in idem deshalb, weil eine Einheitsstrafe festgesetzt wurde, nicht in dem Sinne gelten lassen, daß nun die Rechtskraft sich auf alle selbständigen Handlungen zu erstrecken hätte. Hier würde ich jedenfalls für eine Differenzierung der materiell-rechtlichen und der pro­ zessualen Frage eintreten. Prozessuale Schwierig­ keiten haben wir auch heute schon im F all der T at­ einheit und der fortgesetzten Handlung. E s kommt gar nicht so selten vor, daß ein Dieb, der wegen fort­ gesetzten Diebstahls, also wegen mehrerer unselbstän­ diger Einzelakte verurteilt worden ist, geltend macht, er sei zwar in den Fällen a und b schuldig, nicht aber in den Fällen c und d. Da muß der Gesamttatbestand aufgerollt werden, weil es sich um eine einheitliche fortgesetzte T at handelt. Wenn das Revisionsgericht aus Rechtsgründen zur Aufhebung der Schuldfest­ stellung in den Fällen c und d kommt, dann ergibt sich immer die Notwendigkeit, die ganze Sache zurückzu­ verweisen und eine neue Strafe festzusetzen. Das Be­ rufungsgericht kann das mühelos selber machen. Es kann davon ausgehen, daß eine andere Strafe in Frage kommt; es kann aber auch erklären, daß der T äter im Hinblick auf seine Gesamtpersönlichkeit gleichwohl dieselbe Strafe verdiene. D as Revisions­ gericht kann das unter Umständen auch machen, wenn es aus dem Gesamtbild der T at und des Täters, das dem Urteil zu entnehmen ist, schließt, daß es für den Tatrichter bei der Bemessung der Strafe unerheblich war, ob vier oder fünf Akte als erwiesen anzusehen waren. Schwierigkeiten prozessualer Art können auch schon heute weiter bei der Jdealkonkurrenz entstehen. Wenn jemand wegen Betrugs und Urkundenfälschung in Tateinheit verurteilt worden ist, und er legt in seiner Berufung Gewicht daraus, er sei kein Betrüger, sondern er habe bloß eine Urkundenfälschung be­ gangen, so kann die T at nur einheitlich beurteilt werden, und es müssen beide Tatbestände wieder auf­ gerollt werden. Nun kann es sein, daß in der Berusungs- oder Revisionsinstanz die Verurteilung wegen Betrugs wegfällt. Hier muß das Berufungs­ oder Revisionsgericht prüfen, ob dieser Fortfall der Verurteilung wegen Betrugs auf die S trafe von E in­ fluß ist. Häufig wird dies nicht der F all sein; wenn Betrug im Rückfall in Frage kommt, kann ein solcher Einfluß vorhanden sein. Also, die Schwierigkeiten, auf die die Abteilung hinweist, aber mit dem Hinzu­ fügen, es seien Ausweichmöglichkeiten vorhanden, treten auch schon nach geltendem Recht aus im Falle

3Ö der fortgesetzten Handlung und im Fall der Idealkonkurrenz. Aber diese prozessualen Schwierigkeiten sind kein Grund, den Grundgedanken von der Hand zu weisen, daß es vom Standpunkt des Willensstraf­ rechts aus aus die Würdigung der Gesamtpersönlich­ keit des T äters ankommt, daß daher die Hilfskonstruk­ tion der Einsatzstrafen als unnatürlich zu entfallen hat. Die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit ist einer der wesentlichen Züge im Antlitz des neuen Strafrechts; das sollte sich auch bei der Behandlung der Realkonkurrenz auswirken. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, so weit dürfen wir doch nicht gehen zu sagen, daß Real- und Jdealkonkurrenz Erfindungen der Juristen oder aus einem Trennungsgedanken liberalistischer Art erwachsen seien. Die Grundlage von Real- und Jdealkonkurrenz ist einfach eine Tatsache: der eine handelt einmal, der andere mehrere Male. Nun sind wir auch hier wieder genötigt, die Grenzfälle anzusehen, muffen dabei aber immer beachten, daß die Regel nicht der Grenzsall ist. Ich meine also, man muß unter allen Umständen festhalten, daß es selbstverständlich zwei ganz ver­ schiedene Vorgänge sind, die zur juristischen Bezeich­ nung „Realkonkurrenz" und „Jdealkonkurrenz" ge­ führt haben. Staatssekretär Dr. Freister: Die Abteilung stellt fest, es werde gelingen, die Schwierigkeiten, die bei der einen oder anderen Rege­ lung auftauchen können, zu beseitigen und zu einer befriedigenden technischen Ausgestaltung zu kommen. Daher brauchen wir uns bei der grundsätzlichen Ent­ scheidung gar nicht mit der Frage der Überwindung dieser Schwierigkeiten abzugeben. Natürlich müssen wir das nachher auch tun, aber zunächst haben wir uns mit der grundsätzlichen Frage zu besassen. Daß sowohl der eine wie der andere Weg technisch befriedi­ gend gelöst werden kann, darüber besteht Klarheit. Ob die Entscheidung der Frage, die uns zunächst zu beschäftigen hat, eine grundsätzliche oder eine tech­ nische ist, darüber sind verschiedene Meinungen. Der Ausschuß der Akademie für Deutsches Recht ist der Meinung gewesen, es handle sich hier um eine tech­ nische Frage. Aus Seite 53 der Akademie-Denkschrift ist zu lesen, daß die Lösung der Konkurrenzfragen das Arbeitsziel des neuen Strafrechts nicht berühre. Die Preußische Denkschrift hat sich dagegen mit größter Klarheit auf einen anderen grundsätzlichen S tand­ punkt gestellt. S ie hebt hervor, daß die Regelung der Realkonkurrenz im geltenden Strafrecht an lebens­ fremdem Formalismus leide und das Volk den Unterschied der Begriffe Ideal- und Realkonkurrenz nicht begreife. E s sei sogar einfach unmöglich, einem Juristen diesen Unterschied klarzumachen. Weiter weist die Preußische Denkschrift darauf hin, daß die P raxis der Strafgerichte im F all der Realkonkurrenz bei der Strafbemessung gerade den umgekehrten Weg gehe, als der Gesetzgeber ihn sich gedacht habe. Das ist zweifellos auch richtig. Der Richter fragt sich in der Mehrzahl der Fälle, was der Täter für seine

Taten im ganzen für eine S trafe verdient. Diese Gesamtstrafe wird dann auf die einzelnen Hand­ lungen ausgeteilt, und zwar so, daß die Summe der Einzelstrafen etwas höher ist, weil das Gericht ja für mehrfache Straftaten dem Gauner einen Rabatt zuer­ kennen muß. Zuerst wird also in der Praxis nicht die Einzelstrase für jede S traftat gebildet und daraus die Gesamtstrafe errechnet, sondern das Gericht wirft eine dem Gesamtverhalten des Täters angemessene Ge­ samtstrafe aus und setzt dann erst die einzelnen Strafen fest. Anders vorzugehen ist für den Richter auch kaum möglich. Der Richter kann nicht von den einzelnen Taten ausgehen, zumal wenn man sich dafür entscheidet, nicht die Taten, sondern den Willensträger zu bestrafen. Die T at losgelöst vom Willensträger zu betrachten, das ist ein Vorgang, der vollkommen außerhalb des strafrechtlichen Interesses liegt. E s ist derselbe Vorgang, wie wenn ein B rand durch einen vom Himmel fallenden Meteor, durch einen Blitzschlag oder durch ein Streichholz, losgelöst vom Willens­ träger, der das brennende Streichholz entweder vor­ sätzlich entzündet oder schuldhast weggeworfen hat, verursacht wird. Der Vorgang an sich, die T at als solche, interessiert die Rechtsordnung nur in engster Verknüpfung mit dem Willensträger, dem Täter. Nun frage ich: Wie soll ein Richter überhaupt in der Lage sein, den Willensträger mit Bezug aus die ein­ zelnen Straftaten, die er nebeneinander begangen hat, zu betrachten und ihn gleichzeitig auszuschaltend Wenn wir dem Richter vorschreiben, er solle zunächst die T at A, dann die T at B und schließlich die T a t C desselben Täters betrachten, dann zwingen w ir ihn Scheuklappen anzulegen und bei der Bewertung der T at A, der T at B und der T at C zunächst überhaupt nicht an den Täter zu denken. Dabei steht doch fest, daß der Täter mehrerer solcher Straftaten einen weit gefährlicheren verbrecherischen Willen an den Tag legt als der Willensträger einer einzigen solchen Tat. Diesen Gesichtspunkt darf der Richter bei der Bewer­ tung der T at A nicht berücksichtigen, ebenso wenig bei der Beurteilung der Taten B und C. E r fingiert also wider besseres Wissen bei Bewertung der T at A, daß dieser selbe M ann nur ein einziges M al sich vergan­ gen habe. E r fingiert wider besseres Wissen, ge­ zwungen vom Gesetz, dasselbe bei Bewertung der T at B, und er fingiert wider besseres Wissen noch einmal dasselbe bei Bewertung der T a t C. Nachdem er das getan hat, hat er also herausbekommen 5 Monate plus 6 Monate plus 7 Monate, macht zusammen 18 Monate. Nun wartet der Richter daraus: Wann kann ich denn nun berücksichtigen, daß dieser Kerl ein M ann ist, der sich nicht nur einmal gegen ein S tra f­ gesetz vergangen hat, sondern dreimal hintereinander? Der Richter hofft also, dies nun endlich tun zu dürfen. Dann aber kommt der Gesetzgeber und sagt: Nein, das darfst du nicht tun; im Gegenteil, du bist gezwungen, dem Manne dafür, daß er sich dreimal vergangen hat, was du nicht berücksichtigen durstest, auch noch einen Rabatt zu gewähren, einen R abatt nicht für Leistungen, sondern für Übeltaten!

D as ist ein Kreislauf, aus dem der Richter nicht herauskommt, wenn er bei der Realkonkurrenz so vor­ gehen will, wie es ihm bisher gesetzmäßig vorge­ schrieben war. E r kann und darf in keinem einzigen Augenblicke den Täter in seiner Gesamtheit berück­ sichtigen. D araus ergibt sich, daß die Regelung der Realkonkurrenz, wie wir sie bisher hatten, zwar die richtige Regelung ist für ein Strafrecht, das ein Tatstrasrecht sein will, aber eine unmögliche Regelung für ein Strafrecht, das ein Willensstrafrecht sein will. Deshalb bin ich der Meinung, daß die Ablehnung des Zwanges für den Richter, von Einsatzstrafen für jede einzelne T at auszugehen, sich aus unserer Grund­ ausfassung ergibt, daß sich das Strafrecht als Ganzes gegen den Willensträger richtet. Damit ist noch gar nichts darüber gesagt, ob es im Wesen dasselbe ist, wenn jemand durch eine Hand­ lung gegen mehrere Strafbestimmungen verstößt oder aber durch zwei Handlungen gegen zwei oder gegen dieselben Strafbestimmungen verstößt. Aber es ist damit gesagt, daß ich den Richter nicht zwingen darf, die einzelnen Straftaten, die nebeneinander be­ gangen sind, voneinander gesondert zu betrachten. Vielmehr muß ich dem Richter aufgeben, den M ann so zu beurteilen, wie er vor ihm steht, und ich darf ihn nicht zwingen, Scheuklappen aufzusetzen, sondern ich muß ihn gerade daran hindern, das zu tun, also ihm sagen: du mußt, nachdem du festgestellt hast, daß der M ann die Straftaten A, B und C begangen hat, ihn so beurteilen, wie er es danach verdient. Dann kommen wir dazu — weil wir ja bei der Jdealkonkurrenz von selbst schon, und das ist ja außer allem Zweifel, zu dieser Betrachtungsweise kommen — , daß wir dem Richter nichts Verschiedenes vorschreiben in den Fällen, in denen es sich um Realkonkurrenz, und in den Fällen, in denen es sich um Jdealkonkurrenz handelt. Ich meine also, daß der Vorschlag von Herrn Vizepräsident G rau sich tatsächlich aus unserer grund­ sätzlichen Betrachtung des Strafrechts ergibt. Ich hatte vorhin erklärt, ich wollte im Verlaufe meiner weiteren Ausführungen dartun, daß der Richter, wenn er gerecht urteilt, schon bisher gar nicht anders verfahren konnte. Ich glaube, dieses Ver­ sprechen auch eingelöst zu haben, und zwar durch die Ausführungen, durch die ich dartat, daß der Richter, wenn er in den Fällen der Realkonkurrenz so verfährt, wie es ihm bis jetzt vorgeschrieben ist, gezwungen ist, bei jeder einzelnen seiner Strafbemessungen die Ge­ samtpersönlichkeit des Täters bewußt auszuschalten und zu ignorieren. Ich habe eingangs gesagt, daß es meiner Ansicht nach bei der grundsätzlichen Entschei­ dung noch nicht darauf ankommt, sich darüber klar zu werden, wie wir technisch die bei einer solchen Ent­ scheidung entstehenden Schwierigkeiten meistern können. W ir sind uns klar, daß wir sie meistern können. Im m erhin darf ich darauf hinweisen, daß Herr Vizepräsident Grau aus einige Einwürfe hin die technischen Vorschläge, die das ermöglichen, bereits gebracht hat.

Ministerialdirektor Schäfer: Wenn ich zunächst auch ein Urteil darüber abgeben darf, ob ich unter dem Gesichtspunkt des Willensstraf­ rechts mehr für die Vereinheitlichung oder für das Getrennthalten der beiden Konkurrenzen bin, so würde ich glauben, daß das Willensstrafrecht gerade mehr für ein Getrennthalten der beiden Konkurrenzen spricht. Herr Vizepräsident Grau argumentiert etwa so: Willensstrafrecht heißt Strafrecht nach der P er­ sönlichkeit des Täters. Ähnlich, allerdings um eine Nuance verschieden, argumentiert auch Herr S ta a ts­ sekretär Freisler. E r sagt: Willensstrasrecht heißt Strafrecht nicht nach der Persönlichkeit, sondern nach dem Willensträger, auf den Willensträger abgestellt. M an setzt also mit anderen Worten Willensstrasrecht und Täterstrasrecht auf eine Gleichung. Ob diese Gleichung richtig ist, erscheint mir allerdings zweifel­ haft. Ich erinnere mich, daß auch Herr Professor Mezger einmal in einem Aufsatz ungefähr dieselbe Gleichung ausgestellt hat. (Staatssekretär Dr. Freisler: Dann müssen S ie uns Ih ren Begriff des Willensstrafrechts sagen!) — Ich verstehe unter Willensstrasrecht folgendes: W ir wollen nach der Stärke des durch die T at bewiesenen verbrecherischen Willens strafen. Danach die Frage: Macht es einen Unterschied bezüglich der Stärke des verbrecherischen Willens, ob jemand einmal handelt oder ob er zweimal handelt? Ich bin geneigt zu sagen: es ist mir ein Beweis für einen stärkeren ver­ brecherischen Willen, wenn jemand am 1. August und am 1. Oktober handelt, als wenn er am 1. August durch eine Handlung zwei Erfolge herbeiführt. Vielleicht wird das noch klarer, wenn ich mir einmal vorstelle, daß ich einen ganz bestimmten Willensträger abzuurteilen habe. Ich habe das eine M al einen M ann abzuurteilen wegen — ich kann vielleicht ein Beispiel aus der Reichsgerichtsentscheidung in Band 32 anführen — Beischlafserschleichung mit Hausfriedensbruch; es handelt sich um den gleichen historischen Vorgang am 1. August. Denselben Willensträger habe ich vielleicht ein J a h r später wegen eines Hausfriedensbruchs, begangen am 1. Au­ gust des folgenden Jahres, und wegen einer Beischlafs­ erschleichung, begangen am 1. Oktober desselben Jahres, abzuurteilen. Das eine M al hat dieselbe Persönlichkeit in einem historischen Vorgang gegen zwei Gesetze verstoßen; das zweite M al liegen zwei ganz selbständige historische Vorgänge vor. Wenn ich mir das vergegenwärtige, so komme ich vom Stand­ punkt des Willensstrafrechts aus zu einer anderen Entscheidung als Herr Senatspräsident Klee, Herr Vizepräsident G rau und Herr Staatssekretär Freisler. Aber ich will diese Frage einmal auf sich beruhen lasten und unterstellen, daß sich das Argument Willensstrasrecht vielleicht für beide Ansichten ver­ werten läßt. Ich stehe allerdings auf dem Standpunkt, daß es sich mehr für die Trennung verwerten läßt. Die Darlegungen der Abteilung zu dieser Frage dürften aber dargetan haben, daß die Schwierigkeiten auf prozessualem Gebiet wesentlich größer sind, wenn

man Ideal- und Realkonkurrenz auch für das Prozeß­ recht nicht unterscheiden würde, als wenn man sie unterscheidet. Hier befinde ich mich im Einklang mit Herrn Vizepräsident Grau, der auch festgestellt hat, daß auf dem Gebiete des Prozeßrechts einige Punkte bleiben, bei denen man nicht vereinheitlichen kann. Wenn das aber der Fall ist, dann ist zunächst klar, daß wir durch ein Zusammenwerfen, durch eine Verein­ heitlichung auch auf dem Gebiete des materiellen Rechts keinesfalls die Unterscheidung zwischen Jdealund Realkonkurrenz aus der Welt schaffen. W ir ver­ ringern zwar die Bedeutung der Auswirkung dieser Unterscheidung, aber mit dieser Unterscheidung werden sich Wissenschaft und Rechtsprechung auch weiterhin beschäftigen müffen. D as stelle ich zunächst einmal fest. Außerdem aber möchte ich als unbestreitbar auch folgendes noch feststellen: Wenn man genötigt ist, die Unterscheidung auf dem Gebiete des Strafprozeßrechts beizubehalten, dann ist das jedenfalls nicht schön. Ich darf nun auf die eigentliche Frage kommen, ob die Vereinheitlichung auf dem Gebiete des mate­ riellen Rechts überhaupt erträglich wäre. Hier scheiden sich allerdings die Wege. Ich gehe von der natürlichen Auffassung aus und sage, daß das Leben scheidet, ob ein oder mehrere historisch weit auseinander liegende Vorgänge vorhanden sind. M an muß dabei von den Regelfällen ausgehen. Die Regelfälle, die in der täglichen Praxis vorkommen, liegen nach dieser Rich­ tung hin völlig klar. Außerdem aber ist nach meiner Kenntnis der Praxis der Fall der Realkonkurrenz unendlich viel häufiger als der der Jdealkonkurrenz, der bis zu einem gewissen Grade vom Gesetzgeber erst geschaffen wird. Die Regelfälle der täglichen Praxis sind die Fälle der Realkonkurrenz, eben die Fälle, in denen das Leben ganz natürlich zwischen zwei ver­ schiedenen historischen Vorgängen und zwischen einem historischen Vorgang scheidet. W ir vergewaltigen meines Erachtens etwas das Leben, wenn wir den Richter nicht zwingen, in dieser großen Zahl der Regelfälle zu scheiden, während das Leben diese Unterscheidung doch trifft. Die Fragestellung ist für mich etwas anders als für Herrn Staatssekretär Freister. W as verlange ich eigentlich von dem Richter, wenn ich materiell-recht­ lich zwischen Ideal- und Realkonkurrenz scheide? Ich sage ihm doch nur, daß er sich klar machen muß, ob der M ann nur am 1. August, oder ob er am 1. August und am 1. Oktober gehandelt hat. Eine Anklageschrift, die beispielsweise nur davon spräche, daß der Mann Hausfriedensbruch und Erschleichung des Beischlafs begangen habe, dabei aber nicht sagte, daß er das eine M al am 1. August und das andere M al am 1. Oktober gehandelt hat, oder nicht sagte, daß beides am 1. August, bei demselben historischen Vorgang geschehen ist, wäre irreführend, unklar und gäbe überhaupt nicht die Wirklichkeit wieder. D as zeigt doch, daß, weil das Leben darauf Wert legt, auch der Gesetzgeber Wert darauf legen muß, zu scheiden, ob es sich um zwei verschiedene historische Vorgänge oder nur um einen historischen Vorgang handelt.

Richtig ist — darin folge ich Herrn Vizepräsi­ dent G rau — , daß eine Jdealkonkurrenz, also eine T at, die gegen zwei verschiedene Gesetze verstößt, unter Umständen schwerer sein kann als zwei ver­ schiedene Taten. D as ist aber nichts weiter als die Binsenwahrheit, daß z. B. ein Mord schwerer sein kann als 10 Diebstähle oder dergleichen. Die Folge­ rung, die wir daraus ziehen können, ist doch eigentlich auch nur die, daß ich folglich auch für die Fälle der Jdealkonkurrenz — weil diese Fälle unter Umständen einmal ebenso schwer wiegen können wie die Fälle der Realkonkurrenz — einen möglichst großen Spiel­ raum lassen muß. I n diesem Punkte also nähern wir uns, denn die Vorschläge der Herren Sachbearbeiter geben genau das gleiche Maximum. D as Zweite aber, worin wir uns ebenfalls sehr nähern, ist, daß die Grenzfälle — das sind die Fälle, die das Reichsgericht allein beschäftigt haben, die Fälle eines einheitlichen historischen Vorgangs — von der Praxis bisher zu Unrecht zu scharf nach der Rich­ tung der Ideal- oder Realkonkurrenz unterschieden worden sind. Daher auch unser Vorschlag für diese Grenzfälle, bei denen die Strafwürdigkeit unserer Meinung nach nicht davon abhängt, ob man eine T at im Sinne des Strafgesetzbuches als eine T at oder als zwei Taten aufsaßt. D as hätte zugleich den großen Vorzug, daß dann auch Prozeßrecht und materielles Recht künftig nicht mehr auseinanderzugehen brauchten. I m Sinne des § 264 der Strafprozeß­ ordnung zieht das Reichsgericht die Grenze des histo­ rischen Vorganges viel weiter als das materielle Recht. Wenn wir das künftig vereinheitlichen würden, würde ich das wiederum als einen großen Vorzug betrachten. S o erreichen wir meiner Meinung nach praktisch Ähnliches wie Herr Vizepräsident G rau und behalten doch die Scheidung, die wir einmal aus prozessualen Gründen brauchen, dann aber, wie ich allerdings glaube, auch mit Rücksicht auf die natürliche Auf­ fassung von materieller Gerechtigkeit, mit der wir dann aus sicherem Boden stehen. I n dieser Richtung liegt auch das, was Herr Reichsgerichtsrat Niethammer hier angeregt hat, nämlich die Auflockerung der fortgesetzten Handlung und der Sammeltat. Der Vorschlag des Herrn Reichs­ gerichtsrat Niethammer geht dahin, wir sollten bei der fortgesetzten Handlung und bei der Samm eltat mit dem bisherigen Grundsatz brechen, daß die fort­ gesetzte Handlung unbedingt nur als eine einzige T at anzusehen ist. M it diesem Grundsatz sollten wir aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit und aus pro­ zessualen Gründen brechen. F ü r diesen Vorschlag scheint mir sehr viel zu sprechen, und ich unterstütze ihn. W ir haben diesen Gedanken in der ersten Lesung innerhalb des Strafrahm ens erwogen. I n dem Augenblick, wo wir uns aus einem Bedürfnis der P raxis heraus vielleicht entschließen, die fortgesetzte Handlung und die Sammeltat nach der Richtung einer gewissen Verselbständigung der Taten und einer ge­ wissen selbständigen Bewertung der einzelnen T at aufzulockern, in diesem selben Augenblick wollen w ir

umgekehrt bei der Realkonkurrenz die Verselbständi­ gung sehr stark in Richtung auf die Samm eltat ein­ schränken. D as scheint mir wiederum ein Widerspruch in sich zu sein. Wenn wir jetzt bei der fortgesetzten Handlung und der Samm eltat diesen Weg gehen wollen, was ich auch aus praktischen Gründen befür­ worte, dann sollte uns das um so mehr Anlaß geben, an einer gewissen Unterscheidung zwischen Ideal- und Realkonkurrenz auch bezüglich des materiellen Rechts festzuhalten. (Vizepräsident Grau: Die Einsatzstrafe soll aber doch wohl die Hauptsache sein?) — Ich habe eine lange richterliche Praxis hinter mir und habe in dieser nichts anderes kennen gelernt — von Ausnahmefällen abgesehen, in denen man aus Mangel an Zeit die Sache vielleicht etwas summarisch machen mußte —, als daß man sich erst ein Urteil darüber bildete, was man unter diesem und unter jenem Gesichtspunkt dem Manne geben würde, und daß man sich dann ein Gesamtbild formte. (Staatssekretär Dr. Freister: D as können Sie dann gar nicht mehr sagen!) — Natürlich. (Staatssekretär Dr. Freister: Nein! Wenn Sie die Strafen für die einzelnen Taten festgesetzt haben, können S ie diese Strafen nur noch mit der Rechentafel zusammenzählen!) — S o haben wir es allerdings nie gemacht, Herr Staatssekretär. Wenn wir so verfahren wären, dann hätten wir ja einfach sagen müssen: F ü r die erste T at geben wir drei Jahre, für die zweite T at zwei Jah re und für die dritte T at ein Ja h r; drei plus zwei plus eins gleich sechs Jahre abzüglich eines Rabatts von 10 oder 15 Prozent! S o etwas hat es natürlich nie gegeben, einen festen Rabatt zu gewähren! (Staatssekretär Dr. Freister: Aber wie konnten Sie bei der Zusammenzählung von 3 plus 2 plus 1 gleich 6 Jahren dazu kommen, 7 Jah re zu geben, was doch unter Berücksichti­ gung der Gesamtpersönlichkeit erforderlich ist?) — D as konnten wir natürlich nicht geben; wir haben jetzt aber den Rahmen entsprechend weit gezogen. (Staatssekretär Dr. Freisler: Nein! S ie durften doch nur die Strafe für jeden einzelnen Fall ohne Berücksichtigung der anderen T at festsetzen, und die Tatsache, daß das dreimalige Begehen derselben oder verschiedener S tra f­ taten auf einen viel gefährlicheren Willens­ träger schließen läßt, den S ie deshalb schärfer anpacken müssen, konnten S ie nicht berücksich­ tigen!) — D aran sind w ir aber niemals gescheitert. I m übrigen, Herr Staatssekretär, dürfen S ie auch nicht außer Betracht lassen, daß eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren, hintereinander vollzogen, doch etwas ganz Enormes ist. (Staatssekretär Dr. Freisler: Sie können das Beispiel ja auch mit Monaten bilden, dann bleibt es grundsätzlich doch dasselbe!)

— Die Praxis, die ich kenne, ist jedenfalls — außer in seltenen Ausnahmefällen — so gewesen. Die Ge­ samtwürdigung der Persönlichkeit und des Willens ist sicher nicht zu kurz gekommen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich glaube, der Stein des Anstoßes ist der Punkt, ob man, wenn man so verfährt, wie man es meiner Ansicht nach bei der Hilfskonstruktion tun müßte, gerade bei der Hilfskonstruktion schon die erste Wieder­ holung usw. bei der zweiten T at mit berücksichtigen kann. Es bleibt nun nur die Frage übrig, Herr Ministerialdirektor, warum Sie den Richter zwingen wollen, weniger auszusprechen, als S ie für die ein­ zelne T at ausgesprochen haben. (Ministerialdirektor Schäfer: E s ist mir aber noch nie eine Klage aus der P raxis bekannt geworden, daß unter dem geltenden System der Richter gehindert gewesen sei, die genügende Strafe auszuwerfen! — Staatssekretär Dr. Freisler: Nun, der Richter konnte bei der Ge­ samtstrafe ja eben auch einmal anders ver­ fahren! Sie sagten vorhin ja selbst, daß auch Sie es in Ausnahmefällen getan haben!) — Ich würde vorschlagen, nicht zu sehr auf die Praxis abzustellen, denn die Erfahrungen aus der Praxis sind nicht gleich. Aber ich stelle nun nochmals die Frage: Ist es wirklich notwendig, daß man bei der zweiten Strafe die erste nicht berücksichtigt und bei der dritten auch nicht die zweite? Ich habe vorhin gemeint, bei der Hilfskonstruktion müßte man das so machen. Dann bleibt aber immer noch die Frage zu beantworten: Warum soll der Richter gezwungen werden, unter die Summe der Einzelstrasen herunterzugehen, und nicht selbständige Strafen verhängen können? Geben wir ihm aber diese Freiheit, dann braucht man das System der Einzelstrafen nicht. I m übrigen bin ich der Meinung, daß die Praxis tatsächlich keine Schwierigkeiten bietet und niemals gehabt hat, bei fünf Diebstählen eine Strafe auszu­ sprechen, die dem Täter entspricht. Ich glaube auch nicht, daß diese starre, begrifflich überspitzte Betrach­ tung richtig ist, die sich in gewissen Antithesen immer wieder offenbart: wir bestrafen nicht die T at, sondern den Willensträger. Den Willensträger bestrafen wir auch nur, wenn er durch eine T at seinen Willen be­ kundet hat. W ir wollen also festhalten: Die Gesamtpersönlichkeit des Täters muß bei dem zugrunde gelegt sein, was am Schluß als vollstreckbare Strafe im Urteil drinsteht. D as ergibt sich schon aus dem Grund­ sätzlichen. Reichsgerichtsrat Niethammer: W ir haben den § 415 und was aus ihn folgt mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet, weil wir an diese Vorschriften gewisse Wünsche knüpfen, die große Bedeutung haben. Der Herr Ministerialdirektor hat sie vorhin schon, kurz bezeichnet.

W ir möchten um der Gerechtigkeit willen, damit nicht der wirklich Schuldige sich der ihm angemessenen S trafe entziehen kann, von dem Zwang, wenn nicht gänzlich, so doch einigermaßen befreit werden, daß der Richter wegen Gewerbsmäßigkeit oder Gewohnheits­ mäßigkeit und wegen Fortsetzungszusammenhanges eine ganze Reihe von Taten nur als eine einzige Tat ansehen soll, was den Zugriff auf zunächst nicht be­ kannte Taten in einem unerträglichen Maße erschwert. Aus dem, was uns mitgeteilt worden war, haben wir allerdings nicht entnommen, daß aus grundsätz­ lichen Erwägungen so großes Gewicht auf das Ver­ schwinden der Einsatzstrafe gelegt wird. Vielmehr glaubten wir, daß hier Erwägungen der Zweckmäßig­ keit im Vordergründe stehen, die sich dann aber über das Gebot der Zweckmäßigkeit hinaus zu Forderungen der Gerechtigkeit verdichten. Nun haben wir bei der Prüfung des § 415 unser geltendes Recht angesehen und dieses zunächst unabhängig davon, wie es sich mit den verfahrensrechtlichen Vorschriften vertragen möge, rein sachlich betrachtet; wir haben uns die Frage vorgelegt: Is t es denn eigentlich richtig und mit der jetzigen Auffassung vereinbar, daß einer, der durch mehrere selbständige Handlungen gefehlt hat, nicht mindestens zu der Strafe verurteilt werden müsse, die insgesamt wegen der mehreren Handlungen festgesetzt wird? W ir sind dabei doch von gewissen Bildern ausgegangen, die sich uns, den versammelten Richtern, aus unserer richterlichen Tätigkeit darboten; da kamen wir zu dem Ergebnis, daß auch vom Boden des Willensstrafrechts aus die jetzt geltende Regelung durchaus nicht ungerecht sein muß, ich möchte sogar sagen, für die Regel durchaus nicht ungerecht ist. Die Sache liegt so. M an kommt hier leicht zu etwas schiefen Vorstellungen, wenn man zu sehr an den Fort­ setzungszusammenhang denkt, nämlich daran, daß immer dasselbe geschehen sei, einmal ein Diebstahl, dann wieder ein Diebstahl oder eine T at, die sich dem Diebstahl nähert. Hier treffen im Leben oft ganz verschiedene Dinge zusammen, die uns zu ganz ver­ schiedenen Blicken in das Innere des T äters führen. Ich möchte in diesem Zusammenhang etwas erwähnen, was ein bayerischer Richter aus seinem Amt erzählt hat: Auf der Kirchweih versetzt ein Knecht im betrunkenen Zustand einem seiner Genossen in der Wirtschaft einen Messerstich und geht dann durch; der Landjäger, der bei ihm nachsuchen muß, ob das Messer in seinem Besitz ist und B lut aufweist, entdeckt bei dieser Ge­ legenheit eine Hose, die einem anderen Knecht gehört und die der Beschuldigte vor einem J a h r gestohlen hatte. Nun glaube ich zunächst nicht, wie der Herr Staatssekretär es meinte, daß die Bolksanschauung darin nur eines sähe, sondern die Volksanschauung trennt scharf. (Staatssekretär Dr. Freister: D as habe ich auch nicht gemeint!) — Nun, dann habe ich das falsch aufgefaßt. — Die Volksanschauung sieht das zweifellos als zwei ganz verschiedene Vorgänge an. Diesen verschiedenen Vor­ gängen ist doch das eigentümlich: Hier zeigen sich Schäden in der Seele des Täters, die sich durchaus

nicht vergleichen lassen, das eine M al bei dem, was sich zuletzt ereignet hat, bei der gefährlichen Körper­ verletzung, das Unbeherrschtsein, die Rücksichtslosigkeit und Roheit, im anderen F all bei dem, was zu einer anz anderen Zeit und aus einer ganz anderen Lage eraus ein J a h r vorher geschehen war, der Mangel an Treue gegenüber dem Kameraden, mit dem er die Schlafkammer teilte. Ich halte es gar nicht für mög­ lich, nun zu sagen: D as ist alles Ausfluß einer ein­ heitlichen Persönlichkeit. Jeder Mensch ist doch in seinem In n e rn so vielfältig zerlegt, hat diese und jene Tugenden und Fehler; es ist am Platze, diese Viel­ seitigkeit zu berücksichtigen. Ich erinnere mich auch, daß jener bayerische Richter erklärte: W ir haben beide Taten besonders betrachtet. (Staatssekretär Dr. Freister: M an kann aber nicht bloß die eine Hälfte des Menschen ins Gefängnis setzen und die andere nicht!) — Nein! Ich komme noch darauf. — Der bayerische Richter hat gesagt: „W ir haben uns zunächst mit der Körperverletzung besaßt und uns entschlossen: Dafür geben wir ihm drei Wochen Gefängnis; den Diebstahl sehen wir schlimmer an; dafür bestrafen wir ihn mit 4 Wochen Gefängnis, und nun verurteilen wir ihn im ganzen zu 6 Wochen Gefängnis". Danach ist zu prüfen: Is t das ungerecht? Ich glaube nicht. Hier gilt doch der alte Grundsatz, den wir im geltenden Recht entwickelt haben. D as Aneinanderreihen macht die Last um so viel schwerer für den Knecht. W ir wollen annehmen: E r ist bis dahin nie bestraft worden. Wenn man ihm 6 Wochen auferlegt, dann wirkt das auf seine ganze Tätigkeit, auf sein Leben so ein, daß das Herabgehen, das der Herr Staatssekretär als „Rabatt" bezeichnet, sich aus diesen Gründen als ge­ recht darstellen kann. (Staatssekretär Dr. Freister: Der Vorschlag G rau würde den Richter auch nicht hindern, auf 6 Wochen zu kommen!) — Gewiß nicht! — Jedenfalls sind wir aus E r­ wägungen des sachlichen Rechts heraus zu dem Schluß gekommen: W ir haben keinen Grund, hierin vom geltenden Recht abzuweichen. Nun erst sind wir an die Frage herangegangen: Wie wirkt der neue Vorschlag verfahrensrechtlich, wie kann man mit nur einer Strafe für mehrere selb­ ständige Taten arbeiten? D a vermag ich nur zu wiederholen, was schon vorgetragen worden ist. D as gibt versahrensrechtlich solche Hindernisse, belastet den Richter mit einer so eigenartigen und für die Regel gar nicht durchführbaren Arbeit, daß ich dringend vor der Neuerung warnen möchte. Wenn man auch vieles durch verfahrensrechtliche Vorschriften ausgleichen, vieles erleichtern kann, über eines kommt man nach meiner Überzeugung nicht hinweg. D as ist die ernste Wirkung der Rechtskraft. W ir müssen doch für jede T at einen Richterspruch haben, der zunächst einmal Recht werden kann. Wenn wir nur die Einheitsstrafe nehmen, auf die wegen mehrerer oder vieler Taten erkannt wird, entstehen bei einer nur teilweisen An­ fechtung von Seiten des S taatsanw alts oder des An-

geklagten ganz lästige Schwierigkeiten und kaum lös­ bare Verwicklungen. An dieser Stelle knüpft das an, was wir für den Fortsetzungszusammenhang, für Gewerbsmäßigkeit und Gewohnheitsmäßigkeit als Wunsch in uns tragen. Aber darüber jetzt nähere Ausführungen zu machen, erscheint mir verfrüht; denn das muß ich sagen: Wenn man für mehrere selbständige Handlungen zu nur einer Strafe kommt, dann ist alles, was wir wünschen, eigentlich gegenstandslos, dann nützt es uns nichts. Im m erhin kann ich hier schon eines versichern: Die Gewerbsmäßigkeit, die Gewohnheitsmäßigkeit und der Fortsetzungszusammenhang sind schädliche Gebilde geworden. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Ich wollte bloß zu zwei Behauptungen, die aufge­ stellt worden sind, aus den Erfahrungen der Praxis heraus etwas sagen; einmal, was die Bildung der einzelnen Einzelstrasen anlangt: Nach meinen Erfah­ rungen ist es immer so gehandhabt worden, daß für jede Einzeltat nicht getrennt von den anderen und losgelöst von allen anderen Taten eine Einzelstrase ausgeworfen worden ist, sondern daß im Gegenteil stets alles mitberücksichtigt worden ist. Handelte es sich beispielsweise um 5 selbständige Rücksallsdiebstähle, so ist etwa gesagt worden: Der erste verdient mil­ dernde Umstände, Zuchthaus scheidet also aus, er ver­ dient eine Gefängnisstrafe, vielleicht sogar die M in­ deststrafe; bei dem zweiten kommen auch noch mildernde Umstände in Betracht, aber die Mindeststrafe ist zu wenig, es ist schon eine höhere Strafe am Platze; beim dritten ist vielleicht die Intensität des verbreche­ rischen Vorgehens nun so stark, daß wir nicht auf mildernde Umstände zukommen können, sondern aus Zuchthaus erkennen müssen, oder, wenn vielleicht bei den ersten beiden Taten eine Notlage vorgelegen hat und inzwischen durch die vorausgegangenen Diebstähle der Notstand beseitigt worden ist, so spricht auch das gegen die Zubilligung mildernder Umstände, und man muß auf eine Zuchthausstrafe abkommen, und so fort. S o ist also jede T at immer vom Gesamtstandpunkt aus betrachtet worden. Ich muß sagen: W ir haben bewußt jetzt schon die Gesamtpersönlichkeit des Täters bei jeder einzelnen T at in Betracht gezogen. D as weiß ich aus meinen Anträgen als S taatsanw alt —- diese Anträge habe ich dementsprechend begründet — , und das kenne ich aus meinen Kammerberatungen. Meiner Erfahrung nach kann das nicht zutreffen, was vorhin ausgeführt worden ist. W as dann die Bildung der Gesamtstrafe anlangt, so habe ich bereits bei der ersten Lesung gesagt, daß die Sache nach meinen Erfahrungen vom Gericht nicht so gehandhabt wird, wenigstens kenne ich es nicht so, daß man fragt: „W as muß er kriegen?" und dann rückwärts aus einer primären Gesamtstrafe die Einzel­ strafen bildet. W ir haben stets nach den Grundsätzen, die ich eben dargelegt habe, Einzelstrasen ausgeworfen und haben dann daraus eine Gesamtstrafe gebildet.

I m übrigen möchte ich dem beipflichten, was Herr Ministerialdirektor Schäfer hinsichtlich des Willens­ strafrechts in bezug aus Real- und Jdealkonkurrenz ausgeführt hat; das ist auch meine Ansicht. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Es will mir vorkommen, als ob die Verschieden­ heit der Praxis, auf die man sich von allen Seiten beruft, sich vielleicht so erklärt: Wenn die Taten gleich­ artig sind, wenn es sich etwa um 5 Diebstähle handelt, hat man sich vielleicht um die Einzelstrase nicht so sehr bemüht, dann geht es mehr in den Bezirk der fort­ gesetzten Handlung, der Gewohnheitsmäßigkeit hinein, und dann nähert man sich der Auffassung, daß es ein einheitliches Handeln ist; dagegen wenn es sich um zwei völlig heterogene Dinge handelt, um schwere Körperverletzung, zu der Hehlerei zufällig hinzu­ kommt, dann ist, glaube ich, die Versuchung oder der Zwang sehr viel größer, sich zunächst einmal die Kör­ perverletzung daraus anzuschauen, wie man sie be­ werten würde, und dann die damit nicht verwandte Hehlerei zu bewerten. D as ist vielleicht einer der Gründe, warum es in der P raxis am Ende verschieden ist. Staatssekretär Dr. Freisler: Unser Vorschlag würde den Richter nicht hindern, wenn ihm das angemessen erscheint, auch diese E r­ wägung anzustellen. E r könnte sagen: der Mann ist Zuhälter; dafür würde ich ihm soundsoviel geben; er ist Hehler, dafür würde ich ihm soundsoviel geben. Dann kann aber nach unserem Vorschlag der Richter auch sagen: ein Mann, der Zuhälter und Hehler ist, verdient eine strengere Lektion, als wenn ich ihn nur als Zuhälter und nur als Hehler ansehe. Diese Be­ trachtung macht aber die bisherige Behandlung der Realkonkurrenz unmöglich. Alles das, was einmal im einzelnen zweckmäßig erscheinen kann, daß der Richter insofern auch einmal erwägt: „Wenn der Angeklagte nur die eine S traftat begangen hätte, was würde ich ihm dann geben? Wenn er nur die andere T at be­ gangen hätte, was würde ich ihm geben?" und dann addiert, macht der Vorschlag Grau nicht unmöglich. Der Vorschlag gibt dem Richter aber die Freiheit, die Gesamtpersönlichkeit zu beurteilen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as Denken und das Erwägen können wir durch Gesetz überhaupt nicht verbieten. Darum handelt es sich aber nicht, sondern es handelt sich darum, ob der Richter das zum Ausdruck bringen soll wegen der Folgen auf dem technischen Gebiet. Ich habe die Vor­ stellung: Wenn S ie die Einheitsstrafe unter Weg­ lassung von Einzelstrasen bei der Realkonkurrenz schassen, können Sie im Prozeß nur die Anfechtung pro toto zulassen. Alles andere führt auf absolut ge­ künstelte Konstruktionen. Staatssekretär D r. Freisler: D as kann man nur, wenn man den bisherigen Begriff der Rechtskraft unbedingt als etwas Unab­ änderliches ansieht. D as muß man doch nicht. D as ist auch rein formal.

Reichsjustizminister D r. GÜrtner: D as ist ein Mißverständnis. Ich meine: Der Täter, der diese Einheitsstrafe anfechten würde, würde sagen: „Ich bin euch als ein so fluchwürdiger Mann erschienen, weil ihr geglaubt habt, ich hätte viermal gestohlen. D as ist aber gar nicht richtig. Ich habe nur zweimal gestohlen. Bitte, rekonstruiert mein P er­ sönlichkeitsbild unter der Voraussetzung, daß ich nur leichten Diebstahl begangen habe." Dann ist die folgerichtige Konsequenz: E s gibt nur eine Be­ rufung, eine Revision p ro toto. Vizepräsident G rau: Nach meiner Auffassung wird im Urteilstenor stehen: Der Angeklagte wird wegen Diebstahls und Urkundenfälschung zu 1 J a h r Gefängnis verurteilt. Ministerialdirektor Schäfer: F ü r die Grenzfälle bleibt die Frage offen. Dann müssen Sie bei der Rechtskraft klar scheiden. (Vizepräsident Grau: D as soll in den Urteils­ tenor hinein, genau wie jetzt auch!) Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: D as halte ich für unmöglich. Wenn man dieser Persönlichkeitskonstruktion folgt und sagt: „Ich kann überhaupt nur den M ann und die verdiente Strafe gegeneinanderstellen; alles andere sind bloß Unter­ lagen für das Urteil", dann ist das unmöglich, und es ist auch unmöglich, daß es eine partielle Anfechtung gibt. Wenn Sie sagen: „Ich halte am Schuldspruch fest, soweit er nicht angefochten ist", müssen S ie also einzelne Schuldsprüche im Urteil haben. D as scheint mir dann auch ein Atavismus des Glaubens an die Rechtskraft zu sein. Dann kann die Rechtskraft nur das Gesamturteil betreffen oder nicht. Staatssekretär Dr. Freister: E s ist auch etwas daran, wenn wir sagen: Der M ann ist verurteilt worden nach seiner Gesamt­ persönlichkeit unter Berücksichtigung der Tatsache, daß er sowohl Hehler, wie Dieb, wie Zuhälter ist. Nun sagt der Angeklagte: „Ich bin kein Zuhälter". Das ist natürlich für die Beurteilung seiner Gesamtpersön­ lichkeit bedeutungsvoll, und das muß man deshalb als eine Anfechtung des Urteils im ganzen auffassen. E s würde dann in der Berufungsinstanz — das ist ganz klar — nicht mehr erörtert zu werden brauchen, ob der Angeklagte Hehler und Dieb ist; es würde aber noch einmal geprüft werden müssen, ob er auch Zu­ hälter ist. Nun kann die Möglichkeit bestehen, daß die zweite Instanz sagt: „Nein, Zuhälter ist der Mann nicht." Dann wird selbstverständlich in aller Regel der Fälle der Strafausspruch eine Änderung erfahren müssen. Dies könnte nur dann zu einer unangenehmen Folgerung führen, wenn man etwa annehmen wollte, man müsse in diesem Falle mit der ganzen Voll­ streckung bis zur Rechtskraft der Einheitsstrafe warten. D as muß man aber gar nicht, sondern meines E r­ achtens müßte das Gericht vor der Hauptverhandlung im Berusungsverfahren eine umgekehrte Erwägung

anstellen, die eine gewisse Verwandtschaft mit der E r­ wägung hat, zu der der Richter bei der bisherigen Regelung der Realkonkurrenz in jedem Fall ge­ zwungen sein soll. D as Gericht stellt folgende Erallermindestens IV2 Jahre. Dann wird einfach B e­ schluß gefaßt, daß die Einheitsstrafe in Höhe von W2 Jahren vollstreckbar ist. D as Weitere wird sich später entscheiden. (Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: Also vor­ läufige Zwangsvollstreckung!) — Meiner Ansicht nach ist das keine vorläufige Voll­ streckung, sondern es ist eine endgültige Teilvoll­ streckung. Vizepräsident G rau: Jetzt ist es doch genau so. Jetzt vollstrecken wir Einzelstrafen, die später auch nicht bestehen bleiben, sondern durch die neue Gesamtstrafenbildung wieder aufgehoben werden. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: Ich sehe in dieser Vollstreckungsfrage überhaupt keine wichtige Frage. W ir sollten diese Frage in der Diskussion gar nicht vertiefen. Ich sehe mir diese Kon­ sequenz vor mir; sie scheint mir die einzige zu sein, die man ziehen kann; denn sonst kämen wir am Ende dazu, daß beim Wegfall einer dieser Taten, eines dieser Teilurteile ein Gericht die Gesamtpersönlichkeit schließlich beurteilen soll auf Grund der rechtskräftig gebliebenen Feststellungen und des Papiers, das in den Akten ist. D as kann doch nicht möglich sein. Dem Revisionsgericht kann ich nicht die Aufgabe zumuten, die Gesamtpersönlichkeit des Täters richtig zu be­ urteilen, da es ja den Täter in aller Regel nie gesehen hat. D a kommen wir zu einem schriftlichen Strafver­ fahren ausgerechnet in dem Augenblick, in dem wir es durch die Beziehung der Strafe zum Täter — nicht zur T at — verlebendigen wollen. Staatssekretär Dr. Freisler: D as ist in gewisser Weise richtig. E s ist aber jetzt noch viel schlimmer; denn jetzt zwinge ich schon den Richter der ersten Instanz, sich den Täter nicht als Ganzes anzusehen. (Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: E r hat ihn vor sich!) — Aber er darf ihn nicht als Ganzes behandeln. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: D as ist zu formal gedacht. Wenn die Richter in der Hauptverhandlung den Täter vor sich haben, haben sie doch einen Eindruck von dem Menschen. Einen besseren und größeren Eindruck können wir dem Richter nicht geben. Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn ich nur einmal erfahren könnte, in welchem Augenblick seiner Beurteilung der Richter diesen An­ geklagten, den er allerdings vor sich hat, nach seiner

Gesaintpersönlichkeit beurteilen sann. E r darf ihn nach der jetzigen Regelung eigentlich in keinem Augen­ blick als Ganzes beurteilen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist eine andere Frage, die Summierungs­ frage, die hierbei keine Rolle spielt. Ich sage nur: Wenn man das einheitliche Urteil irgendwie mit einer Art Rechtskraft festnagelt, dann werden wir uns selber untreu. Ich habe schon vorhin an Herrn Ministerial­ direktor Schäfer die Frage gestellt: „Wie wollen Sie die Ermäßigung begründen?" Herr Reichsgerichtsrat Niethammer hat das in der uns geläufigen Weise ge­ tan. Ich sage nur: Wenn wir das Urteil schon als eine Bewertung der Gesamtpersönlichkeit anschauen, die aus gewissen Feststellungen beruht, und wenn dann von diesen Feststellungen einige fortfallen, dann kann ich ein neues Urteil nur wieder für die gesamte P er­ sönlichkeit treffen; am allerwenigsten kann das Revi­ sionsgericht sie aus den Akten oder gar im Beschluß­ verfahren usw. treffen. D a muß man eine neue Haupt­ verhandlung machen. Professor Dr. Schaffstein: M an kann zurückverweisen. D as Gericht, an das zurückverwiesen wird, hat ja dann den Täter vor sich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich sage ja nur: Wenn das Gericht nach dem Weg­ fall eines Teiles dieser Feststellungen den M ann pro toto beurteilen muß, muß es sich ihn auch wieder vor­ stellen. Ich halte es nicht für logisch, wenn man die Güte der neuen Vorschläge damit begründet, daß es ja jetzt auch schlecht sei. Staatssekretär Dr. Freisler: Damit begründen wir unsere Vorschläge ja gar nicht. W ir weisen nur daraus hin, daß der Einwand gegen den Vorschlag der Abteilung genau so gilt; denn es muß nun auch wieder die neue Gesamtstrafe festgesetzt werden. Professor Dr. Schasfstem: Nur wenn mehr als zwei Taten vorliegen! Professor Dr. Mezger: Ein radikaler Bruch mit der Grundaussassung des geltenden Strafrechts ist nach meiner Meinung an dieser Stelle keine notwendige Konsequenz des Willensstrafrechts. I n dieser Hinsicht möchte ich mir erlauben, aus z w e i B e d e n k e n gegen die abwei­ chende Meinung hinzuweisen, welche die Verknüpfung eines ganz neuen Systems einer r e i n e n G e s a m t s t r a f e mit dem Willensstrasrecht fordert. D as e r s te B e d e n k e n ist folgendes. D as W i l l e n s s t r a f r e c h t , wie wir es bisher aufgefaßt haben und wie es sich auch in der ganzen Gestalt des bisherigen Entwurfs ausprägt, ist ganz sicher n i c h t e in r e i n e s P e r s ö n l i c h k e i t s s t r a f r e c h t . Die Forderung eines solchen reinen Täterstrasrechts gab es in der Vergangenheit; aber sie ist von ganz anderen Richtungen als den heutigen, nämlich von

den materialistisch orientierten Richtungen der sog. modernen Strafrechtsschulen vertreten worden. Sie ist der Ausfluß einer deterministischen Einstellung und ant folgerichtigsten in der sogenannten symptomatischen Strafrechtsausfaffung zutage getreten, die jede M aß­ regel nur auf den Täter als solchen abstimmen will und die einzelnen Taten dazu lediglich als Symptom der Persönlichkeit wertet. D as ist aber ganz sicher nicht der Standpunkt unserer bisherigen Arbeit. Für ein Willensstrasrecht hat die T at E i g e n b e d e u t u n g , der Standpunkt des Willensstrafrechts ist der Stand­ punkt der t a t bezogenen Strafe unter weitgehender Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters. Es bedeutet eine Synthese von Tat- und Täterstrasrecht. Die Strafe wird unter Berücksichtigung sowohl der T at wie der Gesamtpersönlichkeit des Täters fest­ gesetzt. Nicht nur das eine o d e r das andere darf be­ rücksichtigt werden. Deshalb fordert und verträgt das Willensstrasrecht n i ch t die reine Persönlichkeitsstrafe, das heißt: die ausschließliche Gesamtstrafe. Mein z w e i t e s B e d e n k e n gegen die Ver­ knüpfung des neuen Systems einer reinen Gesamt­ strafe (ohne Einzelstrafen) mit dem Willensstrasrecht geht dahin, daß in ihm die notwendige K l a r h e i t und O r d n u n g in der Strasenbildung n o t l e i ­ d e n würde. Die Beseitigung der Einzelstrafen ist gar nicht nötig, um den Grundgedanken des Willensstrasrechts durchzuführen. Denn in der bisherigen Form findet die erforderliche Tatbeziehung u n d Persönlich­ keitsberücksichtigung durchaus Raum und kann dies künftig noch viel mehr finden als bisher. Denn für die Einzelstrafe ist es selbstverständlich, daß jeweils schon in ihr die Persönlichkeit, d. h. auch das, was der T äter daneben getan hat, mitberücksichtigt wird. Es steckt schon in der Einzelstrafe, was als selbstverständ­ lich nie angefochten worden ist, die Berücksichtigung bereits abgeurteilter Straftaten, wie sie im S trafaus­ zug dem Richter vorliegen. Wie viel mehr muß das gelten für Taten, mit denen er sich im Augenblick gleichzeitig beschäftigen muß! D as ist geltendes Recht und vom Reichsgericht wiederholt sogar in einer Plenarentscheidung anerkannt worden (E. 25. 297, insbesondere S . 310/11; ferner in E. 35. 64). I n der E i n z e l strafe steckt also schon ein großes Stück Persönlichkeitsbeurteilung drin. Ebenso setzt dann noch ein zweites M al die Persönlichkeitsberücksich­ tigung bei der Gesamtstrafe ein. Ich habe kein Be­ denken, die Gesamtstrafe im Einzelfall auch die Summe der Einzelstrasen erreichen zu lassen. (Staatssekretär Dr. Freisler: Oder übersteigen!) — ü b e r st e i g e n würde ich an sich nicht gerne sagen; denn die erschwerenden Umstände, die sich aus den gleichzeitigen Nebentaten ergeben, stecken ja schon in den Einzelstrafen drin. Aber ich würde selbst nicht einmal ein prinzipielles Bedenken gegen ein solches übersteigen haben; denn es kann ja sein, daß bei der Bildung der Einzelstrasen in besonderen Fällen noch nicht alles Erschwerende berücksichtigt werden konnte. Also auch dies ist keine prinzipielle Frage. Das Herab­ setzen der Summenstrafe stammt aus einem ganz anderen Gedankenkreis, nämlich aus der Erwägung,

daß 10 Jah re Freiheitsstrafe ein schwereres Übel sein sollen als zweimal 5 Jahre. Bei alldem aber soll es bei der E i n z e l strafe und der aus ihr zu bildenden Gesamtstrafe als einem notwendigen OrdnungsPrinzip bleiben. Diese „Hilfskonstruktion" ist von prozessualer Seite als ein sehr erwünschtes prozessual-technisches Hilfsmittel bezeichnet worden. S ie ist ferner ein sehr nützlicher Zwang für den Richter, nicht in Bausch und Bogen auf eine Strafe rein gefühlsmäßig zu erkennen, sondern in der Einzeltat sorgfältig alle Einzelheiten festzustellen und zu würdigen, daneben schon hier die Gesamtpersönlichkeit zu werten und so aus Einzel­ steinen zum Schluß das Gesamtgebäude der Gesamt­ strafe zu errichten. Wenn heute gerade aus der Praxis der Wunsch kommt, bei Taten, bei denen wir es bisher noch nicht getan haben, nämlich beim fortgesetzten oder gewerbsmäßigen Handeln usw., auch diesen sorgfälti­ geren Weg zu gehen, so ist das ein Anzeichen dafür, daß solche Zergliederung ein dringendes praktisches Bedürfnis ist. Zusammenfassend möchte ich sagen: Nach meiner persönlichen Ausfassung ist die Hilfskonstruktion der Einzelstrasen eine Hilfskonstruktion, die nichts am W e s e n des Willensstrafrechts ändert. Wenn sie dabei aus juristisch-technischen Gründen und aus erzieherischen Gründen gegenüber dem Richter der unteren Instanzen erwünscht ist, sehe ich nicht ein, warum man sie fallen lassen sollte. S ie ist eine sehr n ü tz l ic h e und auch für die Zukunft g e e i g n e t e „Hilfskonstruktion". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin Herrn Professor Mezger für diese Aus­ führungen sehr dankbar; denn er ist der erste, der zu der von mir offen hingestellten Frage Stellung ge­ nommen hat, wie denn die Einzelstrase gefunden werden müsse. Muß sie wirklich so gesunden werden, und was würde ich aussprechen, wenn ich nur die Kenntnis dieser einzelnen T at hätte? Herr Professor Mezger sagt ganz klar und offen: bei jeder einzelnen T at muß man berücksichtigen, was vorhergeht, nicht bloß das rechtskräftige Urteil, sondern auch die zwei oder drei anderen Taten, die ich mit abzuurteilen habe. S o bringt er also die Wertung der Gesamtper­ sönlichkeit schon bei den Einsatzstrafen. Bleibt nur die Frage übrig, ob man durch Summierung der Einzel­ strasen nunmehr die richtige Bewertung der Gesamt­ persönlichkeit erreichen kann, oder ob man dazu die völlig freie Hand des Richters braucht. Nimmt man das letztere an, dann braucht man keine Einzelstrafen. Prosessor Dr. Graf Gleispach: Ich möchte nur kurz die Frage von meinem S tand­ punkt aus beantworten, auf die S ie, Herr Minister, in erster Reihe hingewiesen haben. Ich gebe gern zu, daß es Gebiete gibt, die von noch grundsätzlicherer Be­ deutung sind als diese Frage, aber daß sie keine grund­ sätzliche Bedeutung hat, würde ich nicht zugeben können, und ich würde glauben, daß der Vorschlag, den wir in erster Lesung in viel geringerer Zahl, aber doch mit großem Nachdruck und siegreich vertreten haben, die Gleichstellung der Konkurrenzarten und die

Einheitsstrafe, durch das Willensstrafrecht bedingt ist. Nun hat Herr Ministerialdirektor Schäfer, der ein sehr guter Taktiker ist, sich freilich die Einwände nicht entgehen lassen, die man aus dem Namen oder Schlag­ wort Willensstrafrecht ableiten kann. D as erinnert aber an die Aussprache von heute vormittag, daß zumindest in erster Reihe für die Bemessung der S trafe die Schuld maßgebend sei. Bei einer T a t­ mehrheit kann nicht das der richtige Vorgang sein, die einzelnen Willensakte zu zerlegen, sondern maßgebend ist die Persönlichkeit des Täters, wie sie sich aus diesen mehreren Willensakten ergibt; sonst wäre das eine Auffassung der Willensschuld, die viel zu sehr die einzelnen Willensakte summieren würde. S o ver­ stehen wir das Willensstrasrecht nicht! Nun sagt man, es habe große prozeßrechtliche Vorteile, wenn man diese Einsatzstrafen bemessen läßt. Ich darf da vielleicht auf den Ausspruch eines Prak­ tikers mit sehr großer Erfahrung hinweisen, der etwas drastisch den Vorgang in der Praxis dahin gekenn­ zeichnet hat: Zuerst fragt man sich: was verdient dieser Kerl? und dann wird es aufgeteilt! Ein Teil der Praxis geht heute tatsächlich so vor, und das halte ich schon rechtspolitisch für ganz verfehlt, im Gesetz eine Vorschrift aufzustellen, von der man weiß, daß ihr der Richter regelmäßig oder in großen Teilen der Urteilsbildung überhaupt nicht folgt, und wenn er ihr folgt, begibt er sich meines Erachtens auf einen Weg der Strafbemessung, der unrichtig ist und zu falschen Ergebnissen führt. Wenn ich nun den Herrn Kollegen Mezger richtig verstanden habe, so faßt er allerdings die Bildung dieser Einsatzstrafen anders auf, als ich und die große Mehrzahl sie sich bisher vorgestellt haben. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, so meint er, daß der Richter bei Aburteilung dreier durchaus real miteinander konkurrierender strafbarer Handlungen bei Bemessung der Einsatzstrafe bei T at 1 die Taten 2 und 3 mitberücksichtigt. Wenn das richtig ist, ist damit der ganze Vorzug der Einsatzstrafe vernichtet. Es wird immer hingewiesen auf Rechts­ kraft und nachträgliche Bemessung der Strafe, wenn etwa durch die Entscheidung des Berufungs- oder gar Revisionsgerichtes von der Verurteilung wegen drei Taten nur eine übrigbleibt. Wenn ich jetzt Einsatz­ strafen verwende, strafe ich den Täter für etwas, was er gar nicht getan hat; denn die Strafe, die ich ihm für das übriggebliebene einzelne Delikt geben muß, darf doch nicht nach den Taten bemessen sein, die er gar nicht begangen hat. Diese Auffassung ist weder die der Praxis noch die des geltenden Rechts; sie hätte aber auch nicht die Vorzüge, die man uns hier immer vorhält. M an sagt geradezu, es sei prozessual unmöglich, aus die Einsatzstrafen zu verzichten. D as trifft aber nicht zu, und damit fällt dieser Versuch, die Einsatzstrafen mit dem Willensstrafrecht in Zu­ sammenhang zu bringen. Nun noch ein Wort über die prozessualen Schwie­ rigkeiten! Ich unterschreibe jedes Lob, das der D ar­ stellung der Sachbearbeiter des Justizministeriums heute schon gezollt worden ist, mit der einen Aus-

nähme, daß mir die Darstellung doch nicht so ganz objektiv erscheint. (Heiterkeit.) I n vier Abteilungen werden elf Bedenken geltend gemacht. Dabei ist Licht und Schatten etwas ungleich verteilt. Es wird immer gerade noch ein Ausweichen zum Schluß gezeigt, wie man um die Schwierigkeiten herumkommen könnte. Ich anerkenne die Schwierig­ keiten bei der Rechtskraft und kann nicht bestreiten, daß dort Schwierigkeiten entstehen, daß, wenn das höchste Gericht, ein Revisionsgericht, das Urteil auf­ hebt, eine Neubemefsung der Strafe stattfinden muß und nicht von der Revisionsinstanz vorgenommen werden kann, daß also eine Rückverweisung statt­ finden muß. D as bedeutet eine gewisse Erschwerung in der Praxis. Es fragt sich nur, ob dieser Nachteil wirklich schwerer wiegt als der Vorteil der Regelung, die wir grundsätzlich für die richtige halten. M it allem Vorbehalt und einigem Bangen möchte ich sagen: wenn man schon diesen Bedenken große Be­ deutung beilegt, wäre ja ein Ausweg noch in der Weise möglich, daß zunächst die Einheitsstrafe zu be­ messen ist, und daß man nur etwa im Prozeßrecht sagt: nachträglich soll der Richter für den Fall der teil­ weisen Aufhebung des Urteils die Einzelstrafen be­ messen. Der Vorteil dieser Lösung ist klar: man würde auf diese Weise verhüten, daß die Bemessung der allein gerechten S trafe und der richtige Weg zur Bemessung der Gesamtstrafe durch das Auswerfen von Einsatzstrafen beeinflußt ist. Der Richter müßte primär, wie er es heute nicht tut, die richtige Einheits­ strafe für diese Persönlichkeit auswerfen und in eventu sagen: Bei Anfechtung wird soundso viel vollstreckt, gilt das als die gerechte Strafe, — gewissermaßen als Vorsorge für den F all einer Abänderung der Entscheidung. Reichsjustizminister D r. GÜrtner: Ich darf dabei darauf hinweisen, daß, wenn es sich um 5 Taten handeln würde, die Zahl der Kombi­ nationen 120 wäre. (Staatssekretär Dr. Freister: Nicht mehr als

jetzt.)

— Ich muß, wenn ich 5 Taten habe, diesen Weg gehen. D araus mögen die Herren sehen, wie gekün­ stelt es wirkt, nicht bloß zu sagen: wenn die T at 1 wegfällt, dann will ich die Strafe so machen, sondern ich muß ein Gesamtbild machen und sagen: wenn die T at 1 und 2 wegfällt und 3 bleibt, muß ich es so machen, dann sehe ich das Gesamtbild des Täters so an. Sonst kommen wir auf das Additionsverfahren. Staatssekretär Dr. Freisler: D as ist richtig. Deshalb hat Herr Graf Gleispach auch erklärt, mit einigem Bangen würde er es so machen. Dahinter muß man viele Fragezeichen setzen. Schließlich könnte man dies um der prozessualen Schwierigkeiten willen sagen; das wäre das Äußerste, was man tun könnte. Nötig scheint es mir nicht zu sein. S o habe ich auch die Ausführungen von Herrn Graf Gleispach aufgefaßt. (Professor Dr. Graf Gleispach: Es ist kein Vorschlag.)

Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: Der scherzhafte Gedanke, daß man bei 5 Taten 120 Kombinationen hätte, sollte nur die Schwierigkeit beleuchten. I n Wirklichkeit wäre es doch so, wie jetzt die Praxis vielfach verfährt, daß nämlich der Richter eine Strafe ausspricht und in den Gründen sagt: „Ich würde für die T at das und das aussprechen". Machen wir das aber, dann haben wir wieder alle die Nachteile, die S ie bekämpfen; denn dann wird der Richter bei Aufhebung der Fälle a und b die Fälle c, d und e auch nicht einfach addieren können, sondern er muß aus den einzelnen Punkten auch wieder nach dem Persönlichkeitswert eine Gesamtstrafe bilden. Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: Ich möchte meine Ansicht dahin formulieren: Verschwinden muß die Einsatzstrafe mit der Bestim­ mung, daß sie in Anbetracht der sonstigen anderen Strafen um ein Geringes zu erhöhen ist. Wenn man sagt: der Angeklagte ist verurteilt worden zu 3 plus 3 plus 3 Monaten, macht zusammen drei Monate drei Wochen, so versteht das kein Mensch. I n der Be­ ziehung muß man die Bindung für den Richter auf­ heben. Praktisch wird es so gemacht, daß eine Strafe immer etwas erhöht wird. Damit ist dann das Ganze abgemacht. An sich ist die einheitliche Strafe in Ansehung der Gesamtpersönlichkeit des Täters zu erstreben. Es fragt sich, ob man den technischen Be­ denken, die geltend gemacht worden sind, dadurch gerecht werden kann, daß man den Richter zwingt, die Erwägungen, die ihn zu der Gesamtstrafe gebracht haben, im Urteil zu formulieren, also ähnlich, aber nicht ganz so wie Herr Professor Mezger zu sagen: für die vier Taten, die hier begangen worden sind, werfe ich für jede einzelne T at, vorausgesetzt, daß die anderen nicht begangen wären, unter Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters eine Strafe in der und der Höhe aus. Aber da ich die Gesamtpersön­ lichkeit des Täters ansehe, die sich aus der Häufung der Strafen ergibt, komme ich dazu, daß ich die sich theoretisch an sich ergebende Gesamtstrafe entweder mildere nach freiem Ermessen oder womöglich, wie Herr Staatssekretär Freisler sehr richtig gesagt hat, auch mit Rücksicht auf die Hartnäckigkeit des verbreche­ rischen Willens sogar erhöhe. Aber vollkommen frei! D as würde ich dann auch in den Gründen zum Aus­ druck bringen. Kommt dann ein Teil des Urteils zur Anfechtung, so bleibt das bestehen, was für die ein­ zelnen Strafen in den Gründen als Strafmaß gesagt worden ist. E s ist hinfällig für den F all teilweiser Aufhebung des Urteils das, was für die betreffende aufgehobene T at an Strafe ausgeworfen worden ist, und selbstverständlich auch die Gesamtstrafe. Diese muß genau wie heute auch, wenn mehr als zwei Taten vorhanden sind, neu gebildet werden, weil das Ge­ samtbild der Persönlichkeit des Täters ein anderes ist, wenn er weniger Taten begangen hat; denn dieses Gesamtbild wird bei der Gesetzesfassung gerade in Ansehung aller Taten zusammen gewonnen, während die Persönlichkeit des Täters sonst unabhängig von der Tatsache, daß er mehrere Taten begangen hat, be­ reits in den einzelnen Strafen zum Ausdruck kommt.

Ich glaube, daß man mit dieser Maßgabe, indem man den Richter zwingt, das schriftlich zu denken, was er pflichtgemäß für sich denken müßte, bei der Urteils­ findung die technischen Schwierigkeiten für den Fall der Anfechtbarkeit des Urteils ausräumen kann. Nun noch zur Frage der Gleichsetzung von Jdealund Realkonkurrenz! D as Beispiel, das Herr Vize­ präsident G rau gebracht hat, trifft nicht ganz zu. M an kann immer nur Gleichartiges vergleichen. Man wird sagen müssen: mehrere leichte S traftaten der­ selben Art sind immer strenger und schwerer zu be­ strafen als eine S traftat derselben Art. Eine schwere S traftat kann unter Umständen selbstverständlich schwerer zu bestrafen sein nicht nur als eine leichte S traftat, sondern auch unter Umständen als die Summe von mehreren geringen Straftaten. D as ist praktisch nicht zu vergleichen. M an kann nicht mit dieser Begründung behaupten, daß Jdealkonkurrenz den gleichen Strafrahm en haben und gleich bestraft werden müsse wie Realkonkurrenz. W ir haben von der schwersten T at auszugehen. Wenn jemand Taten schwerster Art begeht, so daß man sich sagt, wenn er eine T at begangen hätte, würden wir die schwerste Form des Strafrahm ens anwenden, muß er zwangs­ läufig strenger bestraft werden, wenn er mehrere dieser schweren Taten begangen hat. D araus ergibt sich zwingend, daß bei der Realkonkurrenz nicht die Not­ wendigkeit, aber die Möglichkeit geschaffen werden muß, auch über den Strafrahmen hinauszugehen. Bei der sogenannten Jdealkonkurrenz, bei der Tateinheit, sehe ich die Notwendigkeit nicht ein; denn es liegt nur eine T at vor. Alle möglichen Erschwerungen müssen von uns im gesetzlichen Strafrahmen bereits voraus bedacht sein, und es ist letzten Endes eine juristische Angelegenheit, daß der Täter mit einer natürlichen T at, die mit den schwersten der verschiedenen verletzten Strafrahm en bereits bedacht ist, noch soundso viele andere Strafrahm en verletzt. D as kann ihm nicht zu Lasten gerechnet werden, sondern da kann man nach meiner Aussaffung nicht über das hinausgehen, was w ir als schwerste Möglichkeit für eine T at vorsehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as würde etwa heißen, daß man bei der Fest­ setzung des Strafrahm ens für Notzucht auch daran denken muß, daß das ein Vater bei seinem Kinde begehen kann. Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: Bei allen Strafrahm en muß man bedenken, daß sie in allerschwersten Formen begangen werden können. Allerdings ist man dadurch entlastet, daß immer der schwerste Strafrahmen verschiedener gleich­ zeitig verletzter Gesetze gilt. (Staatssekretär Dr. Freister: Also muß man bei jeder S traftat zur Todesstrafe kommen. — Widerspruch.) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ein Bild ist schon richtig: W ir muffen bei Fest­ setzung der S trafe für Sittlichkeitsverbrechen daran denken, daß es ein Vater bei seiner Tochter begangen

haben könnte. Diese Frage hat uns schon häufig be­ schäftigt. W ir haben es jedoch abgelehnt. Blutschande und Ehebruch z. B. sind ganz typische Tatbestände, die man nicht in andere Strafrahm en Hineingeheimnissen kann, weil die wohl mal vorliegen könnten. (Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: M an könnte auch umgekehrt sagen: bei B lut­ schande wäre daran zu denken, daß sie auch unter Anwendung von Gewalt begangen werden könnte und dann schwerer zu bestrafen wäre.) Senatspräsident Professor D r. Klee: Ich würde dem Vorschlag nicht beitreten können, die Strafrahmen der Delikte so auszuweiten, daß die ganz besonders gelagerten Fälle auch noch darunter fallen können — die Fälle, in denen z. B. Blutschande, Ehebruch und Notzucht zusammentreffen — , sondern es würde doch dem Bedürfnis genügen, wie § 416 Abs. 2 vorschlägt, die Überschreitung des Höchstmaßes bei den schwersten Strafen um ein gewisses M aß vor­ zusehen. Die Fälle sind zu selten, als daß daraus die Berechtigung hergeleitet werden könnte, den S tra f­ rahmen schlechthin weiter zu spannen. Herrn Professor Mezger möchte ich erwidern, daß das Täterstrafrecht dem Willensstrafrecht sehr nahe­ steht, und zwar einfach aus dem Grunde, weil wir es bei dem Täter mit dem Willensträger, wie Herr Staatssekretär Freister ausgeführt hat, zu tun haben, und ich glaube, daß alle Prinzipien aus der T äter­ strafe auch auf die Willensstrafe zutreffen. Ich möchte zur Rechtfertigung der Einheitsstrafe noch kurz auf einen historischen Zusammenhang hinweisen. I n der Praxis bestand schon von jeher das Bedürfnis, in Fällen, in denen es ungewiß war, ob 20 oder 30 Fälle von Betrug oder anderen Delikten von einem und demselben Täter begangen waren, dem S ta a tsa n ­ walt die Möglichkeit zu geben, nur etwa wegen eines Dutzends anzuklagen und die anderen Fälle auf sich beruhen zu lassen. Hier half der § 208 der alten Strafprozeßordnung. Dieser Gedanke ist in den § 154 der Prozeßordnung in der jetzigen Fassung überge­ gangen. Hier hat also bereits der Gedanke seinen Niederschlag gesunden, daß es nicht so sehr auf die Zahl der einzelnen Taten, aus das zufällige Wieviel, aus das Mehr oder Weniger ankommt, sondern aus die Gesamtpersönlichkeit des T äters, und daß die S trafe danach bemessen werden soll. Dieser Gedanke ist auch bei der Bemessung der S trafe im Falle der Realkon­ kurrenz nach meiner Ansicht maßgebend. Nun hat Herr Ministerialdirektor Schäfer ausge­ führt, es sei gar kein Zweifel, daß es für die natürliche Auffassung des Volkes etwas Verschiedenes ist, ob jemand eine Handlung oder mehrere Handlungen be­ geht. D as ist zweifellos richtig, und man kann sogar zugeben, daß in der Regel der Fälle derjenige, der öfter delinquiert, cete ris p arib u s den stärkeren Willen betätigt als derjenige, der nur einmal delin­ quiert. Aber darum dreht sich meines Erachtens der Streit gar nicht, sondern es kommt für uns nur darauf an, wie der Richter in dem Falle, daß er sich mehreren Einzelhandlungen eines T äters gegenüber-

sieht, die Strafe finden soll. D a möchte ich mich nicht wiederholen. Die Argumente, die hier für den Weg­ fall der Einsatzstrafen und für die Einheitsstrafe vor­ getragen sind, sind meines Erachtens durchschlagend, unbeschadet der Regelung der prozessualen Schwierig­ keiten, die sich daraus ergeben, aber allerdings sich auch nur dann daraus ergeben, wenn man glaubt, daß ein Parallelism us zwischen materieller Betrachtung und prozessualer Betrachtung bestehen muß, wie der Herr Minister anzunehmen scheint, indem er vorhin davon ausging, daß, wenn jemand bei Realkonkurrenz das Urteil anficht, weil er die eine oder andere Hand­ lung nicht begangen habe, dann das Urteil im Falle einer Einheitsstrafe als pro to to angefochten gelten müsse. D as ist eine Frage, über die man sicher ver­ schiedener Ansicht sein kann. M an könnte sie auch anders regeln. M an könnte sie auch der Einfachheit halber so regeln, daß die pro toto-Ansechtung nicht als vorliegend erachtet wird, sondern daß man hier eben trennen kann. Grundsätzlich kommt es nur darauf an, wie die erste Instanz bei Bemessung der Strafe vorgeht. D arin liegt der Kern der ganzen Frage. Ich glaube im übrigen, wenn wir die Einsatz­ strafen wegfallen lassen und eine Einheitsstrafe vor­ sehen, so ist damit in sehr vielen Fällen die leidige Streitfrage, ob Real- oder Jdealkonkurrenz vorliegt, aus der Welt geschasst, und das wäre auch schon ein Gewinn. Herr Ministerialdirektor Schäfer hat darauf hingewiesen, daß der Unterschied prozessual immer eine Rolle spielen wird. Aus der Welt geschafft mag deshalb die Unterscheidung zwischen Ideal- und Real­ konkurrenz nicht sein, aber sie ist immerhin auf einen viel engeren Kreis begrenzt, als es früher der Fall war, wenn wir dem erstinstanzlichen Tatrichter un­ mittelbar die Täterpersönlichkeit gegenüberstellen und ihn nicht verpflichten, für einzelne Handlungen Einsatzstrasen festzusetzen. Es ist weiter hervorgehoben worden, es wäre ein gewisser Widerspruch, daß man jetzt einerseits daran dächte, die fortgesetzte Handlung und das Sammel­ delikt aus prozessualen Gründen aufzulockern, und andererseits für die Einheitsstrafe plädiere. Ich kann diesen Widerspruch nicht als vorliegend aner­ kennen; denn die Auflockerung des Begriffes der fort­ gesetzten Handlung und der Samm eltat soll doch im Interesse der materiellen Gerechtigkeit erfolgen. Es läßt uns z. B. unbefriedigt, daß ein gewerbsmäßiger Hehler, der mit einer verhältnismäßig niedrigen Strafe bestraft ist, weil man den erst nach Rechtskraft des Urteils offenbar werdenden großen Umfang seines Hehlereibetriebes ^ nicht gekannt hatte, wegen des Satzes ne bis in idem hinterher nicht noch eine ange­ messene Zusatzstrafe erhalten kann. Ähnlich bei ge­ wohnheitsmäßiger Kuppelei: Jemand unterhält ein Absteigequartier und wird bestraft; nachher stellt sich heraus, daß er ein ganzes Dutzend unterhalten hat. Auch er ist vor Erhöhung der Strafe kraft des Satzes: ne bis in idem sicher. Das ist unbefriedigend, und es fragt sich, ob hier nicht die Möglichkeit geschaffen werden soll, eine neue Anklage zu erheben. Wenn ich nicht irre, ist diese Möglichkeit in der neuen S tra f­ verfahrensordnung vorgesehen. D as dient der mate­

riellen Gerechtigkeit, aber ebenso dient es der mate­ riellen Gerechtigkeit, wenn eine Einheitsstrafe bei Realkonkurrenz festgesetzt wird. D as ist also nach meiner Auffassung kein Widerspruch. Nun darf ich noch kurz zur fortgesetzten Handlung sprechen. I n der bisherigen Debatte ist die Frage noch gar nicht näher berührt worden, wie wir uns künftig den Begriff der fortgesetzten Handlung und die Folge­ rungen daraus praktisch denken. Ich unterscheide zwei ganz verschiedene Arten von fortgesetzten Handlungen, und zwar die eine unter Zugrundelegung der reichs­ gerichtlichen Voraussetzungen, daß nämlich ein ein­ heitlicher Vorsatz sich von vornherein aus den Gesamt­ erfolg richtet. Ich bin derselben Ansicht wie einige Herren, die das schon ausgedrückt haben, daß es sich hier um einen ganz intensiven Willen des Täters handelt, der nicht dazu führt, nur eine Strafe inner­ halb des gewöhnlichen Strafrahm ens zu verhängen, sondern dazu führen muß, unter Umständen über das Höchstmaß hinauszugehen, was ja auch schon im § 419 des Entwurfs vorgesehen ist. Heute ist die Tendenz der Praxis eine ganz andere: heute gilt es als ein Glück für den Angeklagten, wenn er plausibel machen kann, daß er von vornherein den einheitlichen Vorsatz hatte. E r wird häufig auf der Anklagebank ausdrück­ lich gefragt zu dem Zweck, damit man nicht mehrere Einzelstrasen festzusetzen braucht und aus eine einzige S trafe kommen kann: Hast du von Anfang an den Gesamtersolg gewollt? und es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß der Angeklagte diese Frage in den meisten Fällen verneint, weil er die Konsequenzen nicht kennt und sich sagt: wenn ich das zugebe, daß ich von vornherein schon den Gesamtvorsatz gehabt habe, gebe ich damit einen viel intensiveren Vorsatz zu, als wenn ich sagen würde: ich habe mich von Fall zu F all immer wieder zur T at entschlossen! — D as beweist eben gerade, daß der jetzige Begriff der fortgesetzten Handlung mindestens nicht erschöpfend ist. Nun gibt es noch andere fortgesetzte Handlungen, und zwar solche, die dann zustande kommen, wenn jemand immer wieder derselben Versuchung unterliegt und unter dem Einfluß derselben Umgebung und unter Ausnutzung derselben Gelegenheit immer wieder straffällig wird. Der T äter faßt seinen Vorsatz von F all zu Fall, aber seine Hemmungen werden immer geringer. D as deutet eigentlich auf die Notwendigkeit einer Strafherabsetzung hin, und das ist eigentlich der Ausgangspunkt für die Konstruktion der Figur der fortgesetzten Handlung gewesen, einen Weg zu finden, die Strafe zu mildern. Ich würde also vorschlagen, die fortgesetzte Handlung zu definieren, damit endlich einmal Klarheit geschaffen wird, ob wir auch die objektive fortgesetzte Handlung hineinziehen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Vorbild ist die Preußische Denkschrift.) — Ich glaube, Herr Professor Nagler hat denselben Vorschlag gemacht. — Ich würde nur für den Fall, daß ein einheitlicher Vorsatz vorliegt, also die fortge­ setzte Handlung im ersten Sinne, eine Überschreitung des Höchstmaßes des anzuwendenden Strafrahm ens vorsehen, für. den andern Fall aber nur bestimmen,

daß es dann so anzusehen ist, als ob nur eine Hand­ lung vorliegt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D arf ich einmal bitten, zu folgendem Fall Stellung zu nehmen. Ich habe vorhin gesagt, wenn wir von dem materiellen Bilde ausgehen, das wir uns vorstellen, wäre es die notwendige Konsequenz im Strafrecht, das Urteil nur als Gesamturteil an­ fechten zu lassen. Wir brauchen aber in der Gesetz­ gebung nicht konsequent zu sein und können es auch anders machen. Der Fall soll folgender sein: Jemand hat einen Raub begangen und zu einer ganz anderen Zeit und damit gar nicht zusammenhängend eine Er­ pressung. Es besteht kein innerer Zusammenhang, es sind zwei absolut selbständige Taten. Nun würde das Urteil nach den jetzt vorliegenden Vorschlägen zu lauten haben: 3£ wird wegen eines Verbrechens des Raubes und eines Verbrechens der Erpressung zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt. E s wird Revision eingelegt, die dazu führt, daß das Urteil in bezug auf die eine der beiden Taten hinfällt. (Senatspräsident Professor D r. Klee: Die Sache wird zurückverwiesen.) — Wird sie nun zurückverwiesen, so ist es verhältnis­ mäßig einfach: dann muß es zu einer Verhandlung kommen. Wie nun aber, wenn der Fall so liegt, daß er in der Revisionsinstanz zur Freisprechung wegen einer der beiden Taten führen kann? W as würden S ie dann tun? Dann hat das Revisionsgericht für die Bewertung der anderen bestehenbleibenden Tat, die auch gar nicht angefochten ist, kein M aterial. (Senatspräsident Professor D r. Klee: D ann muß das auch zurückverwiesen werden, damit vom Tatrichter eine neue S trafe festgesetzt wird, und zwar in der neuen Hauptverhand­ lung.) — D as halte ich für konsequent: eine Hauptverhand­ lung über einen rechtskräftig gewordenen Schuld­ spruch, über den natürlich nicht verhandelt wird; ver­ handelt wird nur über die Festsetzung der Strafe. So müßte es auch gemacht werden. Professor Dr. Schafsstein: D as meiste von dem, was ich sagen wollte, ist durch die Ausführungen meiner Herren Vorredner bereits erledigt. Ich möchte deshalb nur betonen, daß ich an sich auch der Einheitsstrafe zuneige, und mich in diesem Zusammenhange doch gegen ein Argument von Herrn Professor Mezger wenden. Herr Professor Mezger hat vorhin gesagt, der Richter könne ja schon bei den Einsatzstrafen die Täterpersönlichkeit berücksichtigen, und deshalb sei es unbillig, nun auch noch eine Möglichkeit der S tra f­ schärfung über die Summe der Einsatzstrasen hinaus zuzulassen. Ich halte das doch nicht für ganz zu­ treffend, denn zumindest bei der ersten Einsatzstrafe weiß der Richter — wenn es sich um mehrere S tra f­ verfahren handelt — noch gar nichts von den sonstigen Taten des Verbrechers, den er abzuurteilen hat. Es wird sogar häufig so sein, daß der Richter eines

späteren Verfahrens von dem früheren Verfahren gar nichts wissen muß und auch die Akten darüber nicht hat. Dann wird die Gesamtpersönlichkeit bei den ver­ schiedenen Einsatzstrafen erst recht nicht hinreichend berücksichtigt, sondern nur bei der Bildung der Ge­ samtstrafen. D araus folgt, daß bei der Gesamtstrafenbildung die Möglichkeit gegeben werden muß, über die Summe der Einzelstrafen hinauszugehen, und dies wiederum spricht im ganzen natürlich für das System der Einheitsstrafen. Nun könnte man gegen die Einheitsstrafe die be­ kannten prozessualen Bedenken geltend machen, die hier erörtert worden sind. Ich halte diese Bedenken nicht für so erheblich, daß sie nicht überwunden werden könnten. Wenn man nun aber glaubt, daß diese prozessualen Bedenken zwingend gegen die Einheits­ strafe sprechen, dann möchte ich mich zum mindesten dafür aussprechen, daß in den Vorschlägen der Ab­ teilung in § 416 Abs. 2 die Möglichkeit vorgesehen wird, daß die Gesamtstrafe die Summe der Einsatz­ strafen übersteigen kann, wenn die Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters das erfordert. Dann wäre jedenfalls den stärksten Einwendungen vom Standpunkt des Willensstrafrechts aus Rechnung getragen. E s wäre das eine Kompromißlösung, die vielleicht diskutabel ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: F ü r seltene Ausnahmen würde das ja praktisch zutreffen. Aber es bleibt dann doch immer die Rück­ frage übrig: Welchen Wert hat dann eigentlich die Einzelstrafe? (Professor D r. Schaffstein: Ich bin an sich gegen dieses System der Einzelstrafen. Ich glaube nur, daß die prozessualen Bedenken . . . ) — J a , Herr Professor, das ist aber eine nicht ganz umfassende Betrachtung. S ie sagen: Wenn die pro­ zessualen Bedenken groß sind, können w ir das Einzel­ strafensystem anwenden; aber ich verlange, daß die Summe der Einsatzstrafen überschritten werden kann. Dann frage ich zurück: W as hat eine solche Strafe, auch prozessual, für eine Bedeutung? (Ministerialdirektor Schäfer: F ü r die große Masse der Falle, in denen kein seltener Aus­ nahmefall vorliegt, wo die Addition auf Grund der Gesamtwürdigung überschritten werden muß! — Prof. D r. Schaffstein: I n diesen seltenen Fällen könnte man sich mit den prozessualen Schwierigkeiten abfinden! — Staatssekretär Dr. Freister: E s ist aber die Mehrzahl der Fälle, in denen überschritten worden ist!) — Nein, Herr Staatssekretär, das ist völlig ausge­ schlossen, dagegen spricht ja die ganze Praxis! Glau­ ben Sie denn, daß die Fälle die große Mehrzahl sind, in denen die Gesamtstrafe die Summe der Einzel­ strafen übersteigt? (Staatssekretär Dr. Freister: Nein, weil das Gesetz es verboten hat!)

— Nein, das halte ich für eine kühne Behauptung! D as glaube ich nicht. (Staatssekretär Dr. Freister: Ich kann es sofort beweisen!) — Bitte! (Professor Dr. Schasfstein: Herr Minister! Darf ich zuvor noch ein Argument anführen?) — Bitte! Professor Dr. Schassstein: Ich habe als Strasanstaltspraktikant die Erfah­ rung gemacht, daß die Gefangenen selbst meist gar nicht verstanden, warum eigentlich bei der Gesamt­ strafenbildung ihre Strafen noch gemildert wurden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es kommt mir nicht recht annehmbar vor, diesen Weg zu gehen, der aus praktischen Gesichtspunkten empfohlen worden ist. Wenn man die Einzelstrafen zusammensetzt, um die Herren Prozessualisten zu be­ friedigen, gleichzeitig aber sagt: Irgendeine Bedeu­ tung für die Gesamtstrafe hat das nicht, theoretisch wenigstens, dann, hat es auch keine Bedeutung für das Prozeßrecht. Das habe ich schon einmal festzu­ stellen versucht. Staatssekretär Dr. Freister: Ob ein Bedürfnis besteht, bei mehreren Straftaten über die Summe der Einzelstrasen hinauszugehen, oder ob es regelmäßig richtiger ist, nicht darüber hin­ auszugehen oder gar einen Rabatt zu geben, wie es heute geschieht, das kann man doch nur-entscheiden, wenn man auch die Fälle einbezieht, die materiell genau so liegen, wie wenn die beiden Taten von einem Richter in derselben Hauptverhandlung berücksichtigt würden. D as sind die Fälle, daß jemand bestraft ist, das Urteil rechtskräftig geworden ist, der M ann die S trafe abgesessen hat, daraufhin eine neue S traftat begeht und nun erneut vor demselben oder einem anderen Richter erscheint. Dann wird dem M ann doch die Vorstrafe vorgehalten und diese wird ihm selbst­ verständlich zu Lasten geschrieben, und zwar auch dann, wenn er die Strafe nicht abgesessen hat, sondern begnadigt worden ist. D as ist auch das Richtige und Gesunde. Nun finde ich, daß wir bisher eine merk­ würdige Richtungslosigkeit hatten. Es war uns bis­ her im Strafrecht etwas Selbstverständliches, daß in solchen Fällen die Tatsache, daß der M ann schon ein­ mal eine strafbare Handlung begangen hatte und des­ wegen bestraft worden ist, ihm zu Lasten geschrieben wurde. Wenn nun aber — was doch nur ein forma­ ler Unterschied ist — diese erste S traftat erst während der Untersuchung der zweiten S traftat bekannt wird, dann haben wir plötzlich ein ganz anderes Prinzip. Dann heißt es: Der M ann ist deshalb, weil er meh­ rere Straftaten begangen hat, nicht schwerer anzu­ packen, sondern er hat sogar einen Anspruch darauf, daß wir ihm einen Rabatt geben. Ich bin der M ei­ nung, daß man diese Zwiespältigkeit gar nicht weg­ disputieren kann. Die Diskussion hat nun aber etwas anderes, was Sie, Herr Minister, geklärt haben wollten, sehr.schön

geklärt. S ie haben vorhin gefragt: J a , ist es denn notwendig, daß der Richter so vorgeht, wie ich es vor­ hin als allein gesetzmäßig angesehen habe, daß er sich die Scheuklappen aufsetzt und bei der Beurteilung und Bewertung der S tra fta t A absichtlich nicht daran denkt, daß der M ann auch die S traftat B und die S traftat C begangen hat? Herr Professor Mezger hat den Standpunkt vertreten, daß dies gar nicht not­ wendig sei, sondern der Richter auch schon bei Be­ wertung der S traftat A berücksichtigen könne, daß der M ann auch die Straftaten B und C begangen habe. (Professor D r. Mezger: E r muß!) — Also er muß es sogar! Wenn das richtig wäre, dann muß ich all das an prozessualen Bedenken und Schwierigkeiten, was gegen unsere Lösung geltend gemacht wird, auch an­ führen gegen die Regelung des geltenden Rechts. Denn hat nun schon bei der Einsatzstrafe, bei Beur­ teilung der S traftat A, der Richter berücksichtigt, daß der M ann auch die S traftat C begangen hat, und stellt sich nachher in der Verhandlung heraus, daß er die S traftat C gar nicht begangen hat, dann bleibt es doch ungerecht, eine Gesamtstrafe zu bilden unter Berücksichtigung von Einsatzstrafen, die bereits davon ausgegangen sind, es sei auch die S traftat C be­ gangen worden. Ich bin also der Meinung, daß dieses Ergebnis außerordentlich wesentlich ist. Es zeigt nämlich, Herr Minister, daß man so, wenn man das geltende Recht richtig anwenden will, nicht vorgehen darf. Man darf nur so vorgehen, wie ich es vorhin, natürlich überspitzt, gesagt habe. Dann ist es aber unmöglich, und zwar gerade deswegen, weil ich dem Richter diese Scheu­ klappen ausgezwungen habe, daß der Richter sich in irgendeinem Augenblick die Persönlichkeit als Ganzes ansehen kann. E r kann die Persönlichkeit als Ganzes unmöglich richtig bewerten, wenn er die Teilpersön­ lichkeit bei der T at A, die Teilpersönlichkeit bei der T at B und die Teilpersönlichkeit bei der T at C jeweils für sich allein ansehen und summieren muß, von dem Rabatt ganz abgesehen. Die Beurteilung der Einzel­ taten ist in ihrer Summierung aber nicht gleich der Beurteilung des Gesamttäters. Deshalb, Herr Minister, bin ich auch der Mei­ nung, daß bei gerechter Betrachtung des Täters aller­ dings die Zahl der Fälle, in denen die Summe der Einsatzstrafen, wenn man sie wirklich ganz gesetzmäßig zustande kommen läßt, überschritten werden müßte, überwiegt. Daß das bisher nicht so war, ist klar; das Gesetz hatte ja das Gegenteil vorgeschrieben. Was nun den Vorschlag von Herrn Graf von der Goltz anlangt, so geht auch er in genau derselben Richtung, nämlich dahin, die Gesamtpersönlichkeit zu berücksichtigen. Herr Graf von der Goltz hat vorge­ schlagen, man möge prozessual dem Richter vorschrei­ ben, er müsse sich im Urteil darüber auslaffen, wie er zu dieser einheitlichen Beurteilung des Angeklagten gekommen ist. D as ist richtig. Nur habe ich Herrn Graf von der Goltz so verstanden, daß man dem Richter auch eine bestimmte Art vorschreiben müsse, wie er seine Erhebungen aufbaut, nämlich die, daß er sagt:

Unterstellt, der Angeklagte hätte nur die S traftat A begangen, so würde ich ihm drei Monate geben; unterstellt, er hatte nur die S tra fta t B begangen, so würde ich ihm vier Monate geben; unterstellt, er hätte nur die S trafta t C begangen, so würde ich ihm fünf Monate geben; macht 3 plus 4 plus 5 gleich 12; da nun aber aus der Tatsache, daß er sich mehrfach vergangen hat, ein besonders verbrecherischer Wille folgt, gebe ich ihm nochmals zwei Monate, macht ins­ gesamt 14 Monate. Ich bin mit Herrn Graf von der Goltz der Mei­ nung, daß der Richter gezwungen sein muß, in der Urteilsbegründung sich darüber zu äußern, wie er zu dieser einheitlichen Gesamtbewertung gekommen ist. Aber wenn ich Herrn Graf von der Goltz insoweit richtig verstanden habe, dann müßte ich dagegen an­ merken, daß ich dem Richter zum mindesten nicht vor­ schreiben darf, daß er in dieser Weise vorgehen mu ß . M ir würde da eine andere A rt des Vorgehens richtiger erscheinen, nämlich die, daß er sich zunächst gar nicht überlegt, was er für die einzelnen Taten an­ setzen soll, sondern vielmehr das tut, wovon Sie, Herr Minister, sagen, daß es aus der schösfengerichtlichen Erfahrung stamme, nämlich sich fragt: W as hat der M ann verdient? E s ist übrigens bezeichnend, daß das Schöffengericht es so macht; denn dort ist man offen­ bar aus das natürliche Denken der Nichtjuristen ange­ wiesen. Ich würde also dem Richter zwar vorschreiben, daß er sich über die Persönlichkeit an Hand der ein­ zelnen Taten äußert, würde ihn aber nicht zwingen, nun gerade diese Gedankensolge zu wählen, sondern ihm die Möglichkeit geben, auch eine andere Ge­ dankenfolge, die er für richtig hält, dabei zum Aus­ druck zu bringen. Herr Reichsgerichtsrat Niethammer hat erklärt, die Arbeitsgemeinschaft des Reichsgerichts sei bei der Beurteilung dieser Frage nicht von der Vorstellung ausgegangen, daß diese Frage von grundsätzlicher Be­ deutung sein könüe. Dies muß man berücksichtigen, wenn man das Protokoll der Arbeitsgemeinschaft der Reichsgerichtsräte liest. Trotzdem muß ich sagen, daß die Arbeitsgemeinschaft in einer etwas bedenklichen Weise deduziert hat. E s heißt in dem Protokoll, die Unterscheidung zwischen Tateinheit und -Mehrheit sei begrifflich gegeben und deshalb keineswegs zu ent­ behren. Weiter ist gesagt, jeder Versuch, die Unterschei­ dung zwischen den beiden Formen des Zusammen­ treffens zu verwischen oder sie gleich zu behandeln, müsse notwendig zu Schwierigkeiten führen. Darin scheint mir eine erhebliche Schwäche der Deduktion zu liegen. Denn wenn es schon nötig sein sollte, be­ grifflich zu scheiden, so folgt daraus doch keineswegs, daß man die verschiedenen Begriffe auch verschieden behandeln muß. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: D arf ich eine einzige Frage stellen: Angenommen, es sind mehrere Taten begangen, von denen einige mit Gefängnis, andere mit Zuchthaus bedroht sind. Aus welchem Strafrahmen würden S ie den Täter be­ strafen?

(Staatssekretär Dr. Freister: Wenn beispiels­ weise Raub darunter ist, auf den Zuchthaus steht, würde det T äter Zuchthaus bekommen.) — Ich sehe hier noch nicht klar. Die Sache ist noch nicht bis zu Ende durchgedacht. Bei dem Zusammen­ treffen verschiedener Strafarten ist das ein Mischmasch. (Staatssekretär Dr. Freister: Der Richter muß in das Urteil schreiben: „Der Angeklagte wird wegen eines Verbrechens des Raubes und dreier Vergehen des Diebstahls z u ......... Zuchthaus verurteilt.") — Ich möchte vorschlagen, die Beratung jetzt abzu­ brechen. — Ich habe nur noch zwei Gedanken anzu­ bringen, die mir während der Ausführungen der Herren gekommen ftrtb. Staatssekretär Dr. Freister hat die Auffassung vertreten, in der Mehrzahl der Fälle müsse die Summe der Strafen erhöht werden. Praktisch würde die Frage an die Richter so lauten: S ind die Richter gezwungen gewesen, die Einsatz­ strafen höher zu setzen, als sie sie eigentlich nach der T at hätten setzen sollen, um eine gerechte Gesamtstrafe zu finden? Die P raxis hat immer gewollt, daß eine vollstreckbare Strafe herauskommt, die dem Verhalten des Täters entspricht. Nun würde die Deduktion prak­ tisch so lauten: Ich will auf eine gerechte Gesamtstrafe hinaus; wenn ich aber die Einzeltaten so bewerte, wie ich eigentlich nach diesen Feststellungen müßte, komme ich nicht auf meine Summe, weil ich noch einen Ab­ zug machen muß; infolgedessen setze ich für die E in­ satzstrafen höhere Summanden ein. I s t das niemals der F all gewesen? D as führt mich zu der zweiten Bemerkung: Unter uns besteht eine erfreuliche Einmütigkeit darüber, daß es sehr ungerecht wäre, nach dem Vorschlag von P ro ­ fessor Dr. Mezger zu verfahren. Sie sagten, dieses Verfahren gehe nicht an. Ich nehme nun folgenden Fall: Ein Wildschütz hat einen Förster getötet und wird zu einer schweren Strafe verurteilt. Nach drei Jahren begeht er eine schwere Körperverletzung und bekommt dafür eine ordentliche Strafe aufgebrummt, weil er durch seine Vorstrafe bewiesen hat, was für ein gefährlicher Mensch er ist. Hinterher wird nun im Wiederaufnahmeverfahren die erste S trafe aufge­ hoben. (Staatssekretär D r. Freister: Hier muß eben auch das zweite Urteil im Wiederaufnahme­ verfahren beseitigt werden.) — Der Fall ist kein Unikum. Aber wir wollen das T or der Wiederaufnahme des Verfahrens doch nicht sehr viel weiter öffnen. M an soll das nun nicht als besonders schwer­ wiegendes Argument ansehen, daß das geistige P rin ­ zip, das der Unterscheidung von Real- und Idealkonkurrenz zugrundeliegt, gang und gäbe ist, uns täg­ lich begegnet und letzten Endes eine Unvollkommen­ heit ist. Damit möchte ich die Sitzung schließen. F o rt­ setzung Sonnabend, den 11. M ai 1935, 10 Uhr. (Schluß der Sitzung 19 Uhr 48 Minuten.)

StrafrechtskommWon

72. Sitzung 11. Mai 1935 Zweite Lesung Inhalt Die Strafbemessung bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung (Fortsetzung der Aussprache) Retch-justizminifter Dr. Gürtner 1, 2, 5, 8, 9, 11, 12, 13, 14, 16, 19 Ministerialrat L eh m ann.............................................................. .1 Reichsgerichtsrat Nietham m er................................................. .3 Staatssekretär Dr. Freister................................................6, 9, 13 Ministerialdirektor Schäfer................................ 9 Professor Dr. D a h m ......................................................................11 Vizepräsident G r a u ........................................................................13 Senatspräfident Professor Dr. K le e ..........................................15 Professor Dr. Graf Gleispach.................. ........................16, 19 Professor Dr. Kohlrausch............................................................... 17

Beginn der Sitzung 10 Uhr 15 Minuten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: W ir fahren in der Besprechung unseres gestrigen Themas fort. M inisterialrat Lehmann: D er H err Minister hat mich gestern nach der Sitzung gefragt, warum die Mitglieder der Prozeßlomrniffion nicht gesprochen haben. Ich mochte das Versäumnis gutmachen. Ich habe gestern absichtlich nicht Stellung genommen, weil die rein prozessuale Frage gestern aus der Betrachtung im wesentlichen ausgeschieden worden ist; sie ist nur an der P eri­ pherie behandelt worden. Wenn der Scttz, daß es keine Einsatzstrasen geben dürfe, wirklich ein grundlegender Satz ist, dann müßten wir ihn auch durch den ganzen Prozeß durch­ führen und das tun, was der Herr Minister gestern gesagt hat: W ir müßten diesen Weg bis zum bitteren Ende gehen. Aber gerade dagegen wehren sich auch die Befürworter der Einheitsstrafe, die eine völlige Durchführung des Grundsatzes im Prozeßrecht selbst nicht zu wünschen scheinen. Diesen Standpunkt halte ich aber für bedenklich. Wenn ein Prinzip ein Prinzip ist, dann muß man es auch durchführen.

D as Prozeßrecht kann wohl einzelne Unebenheiten glatten und in einzelnen Fällen helfen und das Ver­ fahren so praktisch und handlich wie nur irgend mög­ lich gestalten; aber man darf der Prozeßkommiffion, die Ih re n Beschluß auszuführen hat, später nicht den Vorwurf machen dürfen, daß sie festgelegte Grundsätze in das Gegenteil umgebogen oder stark abgeschwächt hat. Nun erhebt sich die Frage, ob die Durchführung des Grundsatzes der Einheitsstrafe im Prozeß möglich ist. I n den Darlegungen der Abteilung ist am Schluß jeden Bedenkens gegen die Einheitsstrafe eine Ausweichmöglichkeit gezeigt; die kann man benutzen. Es ist nur die Frage, ob es praktisch ist, das zu machen. Wenn — um ein Beispiel zu gebrauchen — ein Bankier angeklagt worden ist wegen Untreue und wegen einer fahrlässigen Körperverletzung, dann bekommt er für die Untreue ein J a h r Gefängnis und für die fahrlässige Körperverletzung, sagen wir, eine Woche Gefängnis; das ist zusammen eine Einheitsstrafe von einem Ja h r und einer Woche Gefängnis. Wie man sie bei diesen in ihren Motiven und ihrer Durchführung vollkommen verschiedenen Taten ohne Ansehung der e i n z e l n e n T at und ihrer Schwere bilden kann, ist mir allerdings nicht klar; darauf komme ich nachher noch zurück. Jeden­ falls lautet die Einheitsstrafe ein J a h r und eine Woche Gefängnis. Nun wird Revision eingelegt, und das Reichsgericht hebt die Verurteilung wegen der fahrlässigen Körperverletzung auf und verweist die Sache zurück. D as hat doch zur Folge, daß der ganze Prozeß in bezug auf die Straffrage noch einmal ge­ führt werden muß; denn nur dann läßt sich ein Urteil über die Gesamtpersönlichkeit des Täters bilden. Nun unterstellen S ie, daß es ein Prozeß gewesen ist, der drei, vier oder gar fünf Wochen gedauert hat. Is t es nun wünschenswert, daß man in einem zweiten P ro ­ zeß die Beweggründe, die der T äter bei der bereits festgestellten und vielleicht auch gar nicht bemängelten Untreue gehabt hat, noch einmal aufrollt? Daß das geschehen muß — wenn man es nicht etwa ausdrück­ lich verbieten wollte — ist klar, ist eine unausbleib­ liche Folge. Wenn man den Gedanken durchführen will, läßt sich das gar nicht anders machen, als daß man das Gericht noch einmal in die Erörterung der Straffrage eintreten läßt. Jetzt haben wir eine E in­ satzstrafe, von der das Gericht ausgeht, eine be­ stimmte Einsatzstrafe von einem J a h r Gefängnis für die Untreue; sie steht fest, sie war auch gar nicht ange­ fochten. Aber in Zukunft haben wir diese Einsatz­ strafe nicht. Wenn man das Prinzip ernst nimmt, daß sich das Gericht ein Urteil über die Gesamtpersönlich­ keit bilden muß, dann sehe ick auch noch nicht, wie man in dem Fall, wo zwei Taten rechtskräftig mit Strafe belegt worden sind, bei der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe an einer erneuten Ver­ handlung über die beiden Straftaten vorbeikommen will. E s ist endlich auch möglich, daß ein Gericht bei Verhängung des Urteils nicht gewußt hat, daß noch ein zweiter F all irgendwo anhängig w ar; das ist erst nachher herausgekommen. Auch in einem solchen Falle müßte man — bei folgerichtiger Durchführung des

Grundsatzes — dem Gericht die Möglichkeit geben, diese Tatsache nachträglich strafschärfend zu berücksich­ tigen. D a muß man auch hier noch einmal in eine Würdigung des Falles eintreten und muß sich nun ein B ild von dieser Täterpersönlichkeit machen. Daß das alles nur auf Grund einer Hauptverhandlung geht, vor allem dann, wenn man nachträgliche Strafver­ schärfungen über die Einheitsstrafe hinaus zulasten will, scheint mir allerdings ganz unbestreitbar zu sein. Ich würde mich niemals als Richter entschließen können, nur auf Grund der Aktenlage, ohne den Angeklagten zu sehen, eine Verschärfung über die Einsatzstrafen hinaus vorzunehmen. Die Bedenken, die gestern hervorgehoben worden sind, richten sich nach meinem Dafürhalten nur zum T eil gegen das Prinzip der Einsatzstrafen; sie richten sich, vor allem in dem, was der Herr Staatssekretär Freister gesagt hat, vorwiegend gegen den Grundsatz des Asperationsprinzips überhaupt. D as hält Herr Staatssekretär Freister für unrichtig, und ich glaube, man muß zunächst einmal diese beiden Fragen von­ einander trennen und fragen, in welcher Form , mit welchen Strafbemestungsgrundsätzen wollen wir die realkonkurrierenden Taten behandeln? D as muß Ausgangspunkt sein. Dann erst taucht die Frage auf: Wie ist das Verhältnis zur Jdealkonkurrenz? D a komme ich auf das Gebiet des materiellen Rechts, Einzelausführungen in dieser Hinsicht zu machen ist nicht meine Aufgabe. Ich glaube freilich nicht, daß die Einsatzstrafe so verwerflich ist, wie es gestern dargestellt worden ist. D as tritt besonders deutlich in den Vorschlägen von Herrn G rau hervor, der ja im Tenor zum Ausdruck bringen will, was der Angeklagte alles gemacht hat. (Zuruf: D as wollen wir doch alle!) — Wo ist da der Unterschied von der Einsatzstrafe? Wenn ein M ann eine fahrlästige Körperverletzung und eine Untreue begangen hat, dann müssen S ie doch auch für jede einzelne dieser strafbaren Handlungen zu der Feststellung kommen, welchen Grad der Schuld er bei ihr gehabt hat, und die Auswerfung der Strafe ist doch eigentlich weiter nichts als die Antwort, die Reaktion des S taates aus die Feststellung des Maßes der Schuld. Dieses M aß prüft man selbstverständlich zunächst bei der Einzeltat. Wenn gestern eine Diffe­ renz zwischen Herrn Staatssekretär F reister und H errn Profestor Mezger in der Frage aufgetreten ist „Wie geht der Richter bei Bemeffung der Einsatz­ strafen vor?" so kann ich nur sagen: Ich halte beide Ansichten für richtig. Die Ansicht des Herrn S ta a ts­ sekretär Freister, daß der Richter die Summe der T aten betrachtet, ist im wesentlichen zutreffend für gleichartige Delikte, die eine einheitliche Bewertung und Beurteilung zulassen, die Ansicht von Herrn P ro ­ fessor Mezger, daß bei jeder einzelnen T at die Be­ wertung erfolgt, scheint mir mehr zutreffend zu sein für völlig ungleichartige Handlungen, die zueinander in keiner inneren Beziehung stehen. Daß ein Richter in der Lage ist, einen Menschen so zu zerlegen, daß er sich bei der Begehung von verschiedenartigen straf­ baren Handlungen für jede einzelne T at ein einzelnes

Bild von dem Täter macht, einen eigenen Schuldvor­ wurf herstellt, das ist doch eigentlich sicher. D as macht doch jeder von uns, das macht auch jeder Beamte, der in der Lage ist, Qualifikationen auszustellen. I n allen Fällen, wo ein Charakter nicht glatt aufgeht, sondern wo es sich Um einen komplizierten Charakter handelt, wo eine Differenzierung notwendig ist, da ziehen S ie auch nicht eine Schlußsumme, sondern kommen zu einer doppelten Schlußfeststellung, und diese Schlußfeststellung bewertet eben die einzelnen Seiten des Charakters dieses Mannes. D as ist keines­ wegs etwas Unerlaubtes, sondern eine durchaus natürliche und jeden Tag vorkommende Betrachtungs­ weise. D as gilt nur dann nicht, wenn der Charakter vollständig aufgeht, wenn man sagt: Guter Charakter, fester Charakter, schlechter Charakter. Aber in allen anderen Fällen ist die Endsumme, der glatte General­ nenner, meiner Ansicht nach nicht zu ziehen. D as ist ganz alltäglich, und deshalb halte ich den Borwurf, daß w ir die Gesamtpersönlichkeit des T äters ver­ nachlässigen, wenn w ir Einsatzstrafen zulasten, nicht für zutreffend. Was den Ausgangspunkt selbst betrifft, so bin ich der Überzeugung, daß man den Boden des Lebens verläßt, wenn das Gesetz zwei so verschiedene Lebens­ vorgänge, wie es Realkonkurrenz und Jdealkonkurrenz sind, nicht grundsätzlich verschieden behandelt und für sie verschiedene Strafbemessungsregeln aufstellt. Ich möchte nicht unerwähnt lasten, daß die S trafprozeßkommiffion darin völlig einhellig war, daß die Einheitsstrafe für den Prozeß wenig handlich sei. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn ich hier das Bild des Reflexes unserer gestrigen Verhandlungen wiedergeben darf, so muß ich sagen: Ich bin völlig irre geworden an dem, was gestern behauptet worden ist: daß es sich um Glau­ benssätze handele; und zwar habe ich die zugespitz­ testen Argumente in zeitlicher Distanz auf mich wirken lassen, und der Rückblick hat ergeben, daß wir gestern wieder in den Wolken von Theorien den Erdboden nicht nur mit den Füßen, sondern auch mit den Augen verloren haben. W ir haben gestern angenommen: Wenn man über den M ann, der die Untreue und die fahrlässige Körperverletzung begangen hat, einzelne Werturteile oder bester Unwerturteile fällt, so sei das eine Aufspaltung der Persönlichkeit in zwei Täter A und B. Wenn man das in der Entfernung aus sich wirken läßt, verliert dieses Argument jedes Gewicht. E s ist genau so, als wenn ich in ein Urteil über einen Menschen hineinschreibe: D as ist ein fabelhaft be­ gabter Mann, aber sehr faul. D as ist auch keine „Auf­ spaltung der Persönlichkeit in die Täter A und B", sondern damit sind zwei Seiten seines Wesens wieder­ gegeben, die auf mich einen Eindruck gemacht haben. E s ist keine Trennung des Denkens, wenn ich ver­ schiedene Wert- oder Unwerturteile an einen Menschen knüpfe. Infolgedessen hat alles, w as gestern gesagt worden ist, auf mich keinen Eindruck gemacht, und ich komme auf die Anfangsfrage zurück: Ist das wirklich ein Glaubenssatz? E s handelt sich nur um die Beant-

Wortung der Frage: Welche Regelung ist im mate­ riellen und im prozessualen Recht angebracht, wenn jemand verschiedene Taten begangen hat? Uber Idealkonkurrenz reden wir jetzt gar nicht; das scheidet vor­ läufig aus. I n der zeitlichen Distanz, wo sich die Konturen von allen Bildern, die wir uns gegenseitig vorhalten, vereinfachen, ist mir der Blick für das wirklich Proble­ matische an der Frage aufgegangen. Wenn jemand eine T at begangen hat, macht es gar keine Schwierig­ keiten. Ich sage: D as ist der Spiegel, in dem ich seine Persönlichkeit sehe; dieses Spiegelbild hast du mir ge­ liefert zur Beurteilung deiner Persönlichkeit. D as macht gar keine Schwierigkeiten im Urteil und in der Strafzumessung. Nun liegt aber die Sache anders, wenn er verschiedene Taten an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten begangen hat; diese sind von verschiedenen Richtern beurteilt worden, vielleicht unter verschiedenen Gesichtspunkten, weil der eine Richter nicht gewußt hat, was sonst noch gegen den M ann vorliegt. Nun wird die Sache schwieriger! Jetzt ist es nicht so, daß ein Spiegel da ist, in dem ich die Persönlichkeit sehen kann, sondern nur eine Reihe von Spiegelscherben, die eine vom Landgericht Dachau, die andere vom Landgericht Kottbus usw. Die Zusam­ menschau dieser Scherben macht Schwierigkeiten, und da treffen w ir immer wieder auf das nicht ganz ein­ fache Problem: „Täter und T at". Dies liegt freilich nach meiner Meinung nicht so einfach und primitiv, daß man sagen kann, es wäre eine Aufspaltung des Täters, wenn ich zwei verschiedene Unwerturteile ab­ gebe. Restlos läßt sich das Problem überhaupt nicht lösen. W ir können aus den Spiegelscherben, die wir von überall her geliefert bekommen, niemals in der einfachen Weise ein deutliches Bild des Täters ge­ winnen, wie wenn wir einen einzigen Tat-Spiegel haben. W ir haben damit eine relativ beste Lösung, und nach der müssen wir trachten. W ir sind gestern immer wieder auf die Schwierigkeiten gestoßen, die entstehen, wenn der T äter von verschiedenen Gerichten beurteilt wird, und zwar unabhängig voneinander; das werden wir auch nicht ganz beseitigen können, und deshalb ist es mir augenblicklich völlig zweifelhaft geworden, ob die gestern so vielfach ausgesprochene Behauptung, hier handle es sich um einen national­ sozialistischen Glaubenssatz, richtig ist. Ich habe diesen Glauben vorläufig wieder aufgegeben. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich darf vielleicht an dieser Stelle der Erörterung sagen, was das Reichsgericht in dieser Sache als wünschenswert ansieht. W ir haben uns vorgestellt, daß eine Vorschrift geschaffen werden könnte, die ungefähr den In h a lt hat: „Wer mehrere selbständige Taten be­ gangen hat — Tatmehrheit — , wird wegen jeder von ihnen besonders bestraft"; ferner lag uns viel daran, daß an diese Vorschrift noch eine andere angeknüpft werde, dem In h a lt nach etwa so beschaffen: „Verletzt der Täter dasselbe Gesetz mehrmals, so ist jede T at, die den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, als selbständig auch dann anzusehen, wenn er sie gewerbsmäßig, ge­ wohnheitsmäßig oder fortgesetzt begangen hat. Ich

werde später darüber reden, warum uns viel an einer solchen Regelung gelegen ist. Zunächst aber muß ich mich in dem Sinne, in dem der Herr Minister ge­ sprochen hat, wieder mit der Frage abgeben, ob wir eigentlich an die ganze einheitliche und unteilbare Persönlichkeit des Täters als Richter heranzukommen in der Lage sind. Ich muß gestehen: W ir Richter urteilen in diesen Dingen nüchterner, bescheidener, wir sind mißtrauischer gegen uns selbst und gegen andere. W ir halten dafür, daß es uns überhaupt, selbst den großen und seltenen Menschenkennern unter uns, nicht vergönnt ist, das innere Wesen des Täters zu erschöpfen; gerade bei der Arbeit, die sich darum bemüht, hiervon soviel wie möglich an den Tag zu bringen, haben wir immer die Empfindung, daß alles, was wir leisten, nur Stückwerk ist. Darum scheint es uns geradezu notwendig, daß wir uns hier auch mit einer Betrachtung begnügen, die sich nur auf einzelne Stücke richtet, die dem Rechnung trägt, daß die ein­ zelne T at nur einen kleinen und geringen Ausschnitt aus dem Wesen des Täters an uns bringt. Wer die Sache so ansieht, der hat dagegen wohl nichts zu er­ innern, daß jede selbständige T at besonders bestraft wird nach dem, was sich in ihr Einzelnes aus der Seele des Täters geoffenbart hat. Warum wir nun viel Gewicht darauf legen, daß die Möglichkeit gewährt werde, besonders zu bestrafen, ist in folgendem begründet. Uns stört die Art, wie jetzt Gewerbsmäßigkeit, Gewohnheitsmäßigkeit und F o rt­ setzungszusammenhang in ihren Folgen herausgebildet sind. Der hier maßgebende Grundsatz zwingt zu Un­ gerechtigkeit zugunsten des schlimmen Schädlings; das wollen wir nicht haben, davon wollen wir loskommen. W ir haben uns darum bemüht, mit unseren eigenen M itteln der Rechtsprechung frei zu werden. Es ist uns bisher nicht gelungen. Ich darf dies vielleicht an einem einfachen Beispiel schildern, zunächst nur für die Ge­ werbsmäßigkeit, an einem Beispiel, das bei jedem S enat oft wiederkehrt. Die Gewerbsmäßigkeit treffen w ir im Leben wie im Gesetz vornehmlich bei Hehlerei und bei Abtrei­ bung. D a kommt sie immer wieder an uns, etwa in folgendem Vorgang: Eine bisher unbescholtene F rau wird vor Gericht gestellt, weil sich ergeben hat, daß sie im Jahre 1932 einmal und ein zweites M al eine Ab­ treibung begangen hat, für die sie sich hat bezahlen lassen, und daß dasselbe im J a h r 1934 noch einmal geschehen ist. D er Richter, der das Gesetz so an­ wendet, wie es geschrieben ist, kann nun nicht anders vorgehen, als daß er die F rau wegen gewerbsmäßiger Abtreibung verurteilt, als ob ihr ganzes Treiben eine Einheit sei und nur einheitlich beurteilt und bestraft werden könne. W ir wollen einmal sagen, sie ist unter Anerkennung mildernder Umstände zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt worden und hat die Strafe ab­ gesessen. Wenn nun der Landjäger des Dorfes nach­ träglich ermittelt, daß sie in dem Jahre, aus das sich die Betrachtung noch gar nicht gewendet hat, im Jah re 1933, in viel größerem Maße und mit viel größerem Schaden, etwa in Verbindung mit einer fahrlässigen Tötung, die gewerbsmäßige Abtreibung betrieben hat,

dann ist der Staatsanw alt gehemmt: dann liegt die könnte man eigentlich die schädliche Wirkung des Rechtskraft des Urteils vor, die Strafe ist sogar ver­ Grundsatzes der Rechtskraft abwenden? Doch muß ich büßt; der S taatsanw alt kommt so, wie das Gesetz jetzt gestehen: Alles, was ich bisher darüber in wissen­ beschaffen ist, nicht weiter. E r kann nichts machen, es schaftlichen Werken gelesen habe, hat mir bis jetzt ist dieselbe T at, sie ist erledigt. Der Grundsatz der kein- Ergebnis geboten, das irgendeine Aussicht ge­ Rechtskraft steht entgegen. währen würde, daß w ir von diesem Grundsatz in er­ heblichem Maße abkommen könnten. Denn irgendein (Staatssekretär D r. Freister: Den müssen wir Rechtssatz der Einmaligkeit, wonach das Gericht sich eben ändern!) — J a , das ist auch meine Meinung, daß irgend etwas nur einmal mit einer T at befassen, nur einmal über sie urteilen darf und, wenn das Verfahren noch im geändert werden muß. Fluß ist, sie nur an einer Stelle, wenn auch in meh­ (Staatssekretär D r. Freister: Nur den Grund­ reren Rechtszügen untersuchen darf — irgend so ein satz „N e b is in idem " müssen wir ändern!) Satz muß bestehen, sonst bricht im Versahrensrecht — Es fragt sich, ob w ir die Änderung nicht schon im das zusammen, was das Recht sichert. sachlichen Recht eintreten lassen müssen. D aß sie, wenn S o steht es also mit der Gewerbsmäßigkeit; die im sachlichen Recht nichts geschieht, im Versahrensrecht bewirkt werden muß, ist mir durchaus klar, Herr Gewohnheitsmäßigkeit fügt sich an, darüber ist nichts Staatssekretär. Denn wir haben uns einmal vor weiter zu sagen. Ich habe auch den Besonderen Teil einem eigenartigen F all gerade in dieser Lage be­ des Entwurfs nicht so im Kopf, daß ich wissen könnte, funden. Irgendein Landgericht — ich weiß nicht mehr, wo überall Gewerbsmäßigkeit strafschärfend wirkt. Ich welches — erklärte: Ich kümmere mich nicht mehr um habe sie bei Hehlerei und bei Abtreibung gefunden; diesen Grundsatz, ich verurteile doch. D er Fall war sie mag auch sonst noch irgendwo vorkommen. Aber nun wirklich so kraß, daß wir uns sagen mußten: das Beispiel der Abtreibung genügt. In d e s ist der Mißstand noch größer beim F o rt­ Wenn w ir hier das Verfahren einstellen würden, so wäre das ein unerträgliches Ergebnis. Deshalb haben setzungszusammenhang. D a habe ich selbstverständlich wir ein Urteil erlassen, das die angefochtene Entschei­ dem nichts beizufügen, was aus wissenschaftlicher E r­ dung aufrechterhalten und die Sache so aufgenommen kenntnis über die Geschichte des Fortsetzungszusam­ hat, als ob sich etwas ganz Selbständiges im Jahre menhanges von Herrn Professor Nagler vorgetragen 1933^dazwischengeschoben hätte. W ir waren aber ver­ worden ist. Auch muß ich das Bekenntnis ablegen, daß anlaßt, dieses Urteil nicht in die Sammlung einzu­ der Rechtssatz, den das Reichsgericht über den Begriff reihen. E s war uns selbst unbehaglich. Ich habe das des Fortsetzungszusammenhangs aufgestellt hat, ein Urteil auch nirgends sonst veröffentlicht gesunden, und Kunstgebilde des Beratungszimmers ist. Der „einheit­ ich glaube: Wenn es einmal veröffentlicht wird, etwa liche Vorsatz, der sich auf stoßweise Verwirklichung in einer Zeitschrift, in der die Vertreter der Rechts­ eines schon abgesehenen Endes richtet", hat im Leben lehre unsere Urteile mit Anmerkungen zu versehen keinen sicheren Boden. Ich gebe ferner zu, daß, wenn pflegen, so werden uns unsere Schwächen und Sünden man überhaupt zur Anerkennung des Fortsetzungszu­ erbarmungslos vorgehalten werden. Also wenn wir sammenhanges kommt und den Begriff bestimmen abhelfen könnten, so würden wir es tun; aber wir will, das, was in der Preußischen Denkschrift steht, können es nicht, ohne dem Gesetz untreu zu werden. weit überlegen ist. Nun sagt der Herr Staatssekretär: J a , mit dem Aber nun bitte ich doch, das eine zu bedenken. „N e bis in idem " müssen wir eben aufräumen. Wenn es genügt, daß die gleiche Gelegenheit, die (Staatssekretär D r. Freister: „Aufräumen" gleiche Lebenslage zur gleichen Rechtsverletzung ver­ ist ein bißchen zuviel gesagt!) leitet, dann dehnt sich ja der Fortsetzungszusammen­ — Oder sagen w ir: W ir müssen es etwas lösen. Es hang in einem ungeheuren Maße aus. Der Zweck der ist aber doch wohl so: Wenn wirklich der Grundge­ etwas eigenartigen und allzu gelehrten Begriffsbe­ danke des kommenden Rechts, wenn die Lehre von der stimmung des Reichsgerichts geht ja gerade dahin, einheitlichen und unteilbaren Persönlichkeit, die hier Schranken aufzuerlegen, damit der Richter nicht immer in ihrem vollen Wesen bei jeder einzelnen Tat zuviel in eins zusammenschalte. Nun muß ich als erfaßt werden muß, wenn diese Lehre zutreffend ist, Richter auch bei Betrachtung des Fortsetzungszusam­ dann gibt es überhaupt keine Rechtskraft mehr, dann menhanges Vorgänge ins Auge fassen, die uns regel­ müßte, wenn ein Bestrafter neu vor Gericht kommt mäßig zur Entscheidung unterbreitet werden. Sonder­ und wenn sich zeigt, er ist noch viel schlimmer, als er barerweise ist der Fortsetzungszusammenhang hier nur sich früher dargestellt hat, alles wieder aufgerollt bei Diebstahl und bei Urkundenfälschung erwähnt wor­ werden, regelmäßig zu seinen Ungunsten, seltener zu den; er kommt aber überaus häufig bei Unzucht vor. seinen Gunsten. Nun fügt es sich, daß ich mich dem D as ist unsere Erfahrung. Ein voreheliches Kind, das Versahrensrecht stets mit einiger Leidenschaft zuge­ die Ehefrau in die Ehe eingebracht hat, ist in das wendet habe, und zwar deshalb, weil in ihm die Hauswesen aufgenommen; der Ehemann hat die Regeln liegen, die der Erforschung der Wahrheit Stellung eines Pflegevaters erlangt, er vergeht sich dienen, und weil mir an ihnen ganz besonders viel an dem Kind. Wenn die Nachforschungen einsetzen, gelegen ist; denn wenn wir nicht den richtigen und so ist das unsittliche Verhältnis in der Regel schon wahren Tatbestand ergreifen, ist all unsere Weiter­ ziemlich weit gediehen, die Unzucht hat sich oft wieder­ arbeit falsch. Ich habe mich oft darüber besonnen: Wie holt. D a ist es nun schwer, durch Befragen des Kindes

oder der M utter aufzuklären: Wann ist es erstmals, wie oft ist es geschehen? Allein ich meine, wenn wir diese Regelfälle betrachten: D as muß der Richter schließlich leisten können, daß, wenn das Verbrechen im Jah re 1935 zutage kommt, er zunächst einmal den Anfang ermittelt und wenigstens ungefähr aufklärt, wie oft der T äter das Kind unzüchtig angegriffen hat. Möglich ist das, und wenn bei einer Verselbständi­ gung der einzelnen Verbrechen das eine oder andere, weil es nicht sicher festgestellt werden kann, nicht be­ rücksichtigt wird, so schadet das nicht viel. Allerdings muß ich beifügen: E s gibt auch andere Fälle, und ich muß dies hervorheben, weil ich als Amtsrichter solche Fälle oft abzuurteilen hatte. Ich war Amtsrichter in einer Württembergischen S tad t, in der Edelmetalle verarbeitet werden. D a entsteht Abfallstaub. Gold mischt sich in anderen Abfall, in Unwertes ein; da ge­ schieht es häufig, daß ein Arbeiter an einem Tag etwas weniger, an einem anderen Tag etwas mehr von dem Staub aufnimmt und daß sich das im Lause der Jah re erheblich ansammelt und einen großen Wert erreicht. Also kommen Fälle vor, wo die Erforschungs­ tätigkeit des Richters auf außerordentliche Schwierig­ keiten stößt. Aber auch hier muß es möglich sein, wenn man die Selbständigkeit der einzelnen T at begründet, dieser Schwierigkeit durch irgendwelche Anzeichen Herr zu werden. M an weiß ja, wann der M ann den Dienst angetreten hat, wann er an diesem Platz zu arbeiten begonnen hat usw.; es ergeben sich irgend­ welche Abschnitte, die man als Unterbrechung ansehen kann. Zu leisten ist das, wenn es auch nicht leicht geht. Deshalb wäre es, um zu vermeiden, daß wir an wirk­ lich schwere Schädlinge nicht herankommen, viel wert, wenn es möglich sein sollte, die Selbständigkeit auf­ rechtzuerhalten und sie sogar noch weiter auszu­ dehnen, wie ich dies hier vorgeschlagen habe. Geht es im sachlichen Recht nicht, Herr Staatssekretär, dann muß es im Verfahren geschehen. M it diesem Zustand kommen wir nicht weiter. I h n dürfen wir unter keinen Umständen dulden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte die persönliche Bitte aussprechen, daß jeder der Diskussionsredner, die zu diesem Thema sprechen wollen, zu erkennen gibt, wie er im Tenor und in den Gründen folgendes Urteil machen würde: Eine vorsätzliche und eine fahrlässige T at, nämlich schwere Untreue eines Bankdirektors und fahrlässige Körperverletzung und Sachbeschädigung mit dem Auto. Mich würde es interessieren, wie nach dem Vor­ stellungsbild der einzelnen Herren das Urteil im Tenor und in den Gründen aussieht. Herr Grau hat gestern eine Bemerkung gemacht, aus der man ersehen konnte, wie die Tenorierung ungefähr aussieht. (Vizepräsident G rau: Genau wie im geltenden Recht!) — D as würde also hier heißen: er wird wegen des Verbrechens der Untreue und eines Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung verurteilt — zu? (Vizepräsident G rau: Zu I Y 2 J a h r Zuchthaus!)

— Nun bitte ich gleich zu ergänzen: was steht in den Gründen? (Vizepräsident Grau: E s werden die beiden Schuldfeststellungen getroffen, und dann kommt die Strafbemessung. E s wird keine Einsatzstrafe ausgesprochen.) — Die Schuldseststellungen endigen damit: Nach diesen Feststellungen ist das Gericht zu der Überzeugung ge­ kommen, daß der Beschuldigte des Verbrechens einer schweren Untreue schuldig zu sprechen ist. — Und das nächste M al: . . . daß er des Vergehens der fahr­ lässigen Körperverletzung schuldig ist. Nun kommen die Strafzumeffungsgründe. Vielleicht können S ie diese ganz kurz skizzieren. W as würde ungefähr darin geschrieben sein? (Vizepräsident Grau: Es werden die Strasbemessungsregeln angewandt, die wir gestern beschlossen haben: die T at, das Verhalten des Täters usw.) — S ie haben zwei selbständige Schuldseststellungen. D aran müssen wir festhalten. Nach den gestrigen Beschlüssen muß man ja bei der Strafe in erster Linie von der Schuld ausgehen. Wenn S ie also jetzt eine Aussage über die Strafe machen wollen, müssen Sie doch von den Schuldfeststellungen ausgehen. (Vizepräsident Grau: Die S trafe bemißt sich einmal nach der Bewertung der Persönlichkeit und nach der Bewertung der Tat. Erst wird die T at bewertet. E s werden Betrachtungen angestellt, welche Strafrahm en das Gesetz für die einzelnen Taten vorsieht. Wenn wir aus diesen Taten die Gesamtpersönlichkeit gewertet haben, wird nun der gesetzliche Strafrahmen, der eben für Tateinheit und Tatmehrheit zu­ lässig ist, angewandt.) — Leicht ist die Sache nicht. D as ergibt sich schon daraus, daß statt eines einfachen Z itats dieser drei Urteilszeilen diese abstrakte Beschreibung gegeben wird. Aus diesen beiden Schuldsprüchen: E r hat erstens eine schwere Untreue bei der Bank begangen, dann ist er rücksichtslos durch die Voßstraße gefahren und hat eine Körperverletzung und Sachbeschädigung begangen, — daraus das Bild der Gesamtpersönlich­ keit zu bilden, ohne daß S ie über die Schuldaussprüche irgend etwas sagen, was unserer gestrigen Strafbe­ messungslehre entspräche, ist nicht leicht. Ich wäre sehr dankbar, wenn mir die Herren aus diesem Wege folgen wollten. Wie lautet I h r Tenor? W as schreiben Sie in die Gründe hinein? I n den Gründen steht dann: E r ist schuldig eines Verbrechens der schweren Untreue, schuldig eines Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung und der fahrlässigen Sachbeschädi­ gung. Dann kommt keine Folgerung daraus, sondern es wird ein Strich gemacht, und am Schluß kommt eine Beschreibung der Gesamtpersönlichkeit. Und dieser M ann ist, nebenbei bemerkt, gar kein Typus. D as ist ja das Schwierige. Da komme ich wieder auf die Gleichartigkeit. Wenn ich sagen kann: Dieser Räuber, dieser Dieb, dieser Hehler sind Typen, so kann man darüber ein einfaches Urteil aussprechen. Aber dieser M ann, der Untreue und Körperverletzung

begangen hat, ist gar kein Typus, es handelt sich um eine mehr oder weniger zufällige Addition von Ver­ fehlungen, und wenn es sich um eine solche zufällige Addition von strafbaren Handlungen handelt, ist das Urteil über die Gesamtpersönlichkeit nicht leicht. Die eine Tat entspricht einer ganz anderen Seite des Wesens als die zweite T at. Wenn es leicht wäre, hätte Herr Kollege G rau uns jetzt einfach das Z itat seines letzten Urteilssatzes geboten. (Ministerialdirektor Schäfer: Bei Haft muß die Strafe selbständig ausgesprochen werden!) — Ich will es gar nicht dadurch erschweren, daß etwa die eine Verfehlung so ist, daß sie mit Geldstrafe oder Haft geahndet werden würde. Worauf ich hinaus will, ist deutlich zum Ausdruck gekommen. Wenn also die Täterpersönlichkeit, die in Frage kommt, ein Typus ist, den wir als solchen ansprechen können, dann ist die Sache ja verhältnismäßig einfach. Aber wenn schwere Untreue und fahrlässige Körperverletzung zusammen­ treffen, dann ist diese Zusammensetzung der Gesamt­ persönlichkeit nach meiner Meinung eben eine Fiktion, eine Selbsttäuschung, der wir unterliegen, und wir können in Wirklichkeit gar nicht ein solches Bild der Gesamtpersönlichkeit gewinnen. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich will Ihrem Wunsche, Herr Minister, Rech­ nung tragen, bei dem Beispiel der schweren Untreue und der fahrlässigen Körperverletzung zu bleiben, ich darf aber doch gleichzeitig anmerken, daß mir dieses Beispiel etwas sehr aus dem Randgebiet des P ro­ blems genommen zu sein scheint. Denn hier sind eine vorsätzliche Handlung und eine fahrlässige Handlung zusammengestellt, und w ir sind bekanntlich der Mei­ nung, daß die fahrlässige Handlung etwas ist, was nach ganz anderen Gesichtspunkten, wenn ich mal so sagen soll, nach anderen strafrechtlichen Glaubens­ sätzen zu behandeln ist als die vorsätzliche Handlung. Zweitens aber ist dieses Beispiel als typisch so ge­ wählt, daß man aus der Begehung der einen T at und aus dem Unterlaufen der anderen T at nicht leicht und nicht ohne Künstelei zu einer einheitlichen Gesamt­ bewertung des T äters kommen kann. D as gebe ich zu. Darum will ich zwar dieses Beispiel nicht ignorieren, muß aber um die Erlaubnis bitten, auch noch drei andere Beispiele anzuführen, nämlich wenn dies das Beispiel a ist, das Beispiel b: Diebstahl, Hehlerei und Zuhälterei, und das Beispiel c: drei Diebstähle, und schließlich d: Notzucht an der eigenen Tochter. Ich würde nun als Richter in diesen vier Fällen wie folgt tenorieren. Ich würde sagen bei dem letzten Beispiel: Der Angeklagte hat an seiner Tochter Not­ zucht begangen, er wird deshalb zu soundsoviel Jahren Zuchthaus verurteilt. Damit ist zum Ausdruck ge­ bracht, daß im Tenor unterschieden werden soll, ob es sich um e i n e n Lebensvorgang, um e i n e Hand­ lung oder um m e h r e r e Handlungen handelt. Das bedeutet also, daß ich nicht der Meinung bin, daß das, was wir bisher als realkonkurrierende und als ideal­ konkurrierende Fälle bezeichnet haben, dasselbe sei. Denn es ist natürlich was anderes, ob ich mehrere Handlungen oder eine Handlung begangen habe. M an

darf also nicht von der These ausgehen, Realkon­ kurrenz und Jdealkonkurrenz seien dasselbe. Und wenn sie es nicht sind, so habe ich gar nicht nötig, wenn ich mich über die richtige Behandlung der Real­ konkurrenz äußere, außerdem noch mit einem Blick hinüberzusehen, ob die Fälle der Jdealkonkurrenz ebenso oder anders zu behandeln sind. Ich behandle also nur die Fälle der Realkonkurrenz, weil ich mich allein erst darüber schlüssig werden will. I m F all des Diebstahls, der Hehlerei und der Zuhälterei würde ich tenorieren: Der Angeklagte wird als Dieb, als Hehler und als Zuhälter zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Damit würde ich zum Ausdruck bringen, daß dieser Fall anders liegt als der vorher­ gehende. Denn hier liegen drei selbständige Taten vor. Bei den drei Diebstählen würde ich auch teno­ rieren: Der Angeklagte hat mehrfach gestohlen, er wird als Dieb mit zwei Jahren Gefängnis bestraft. Bei der schweren Untreue und der fahrlässigen Körperverletzung endlich würde ich tenorieren: Der Angeklagte hat eine schwere Untreue begangen, außer­ dem hat er fahrlässig das Leben anderer gefährdet, er wird wegen der schweren Untreue zu zwei Jahren Zuchthaus und wegen der fahrlässigen Körperver­ letzung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Ich will also anerkennen, Herr Minister, daß es tatsächlich Fälle gibt, die so sind, daß ich nicht die einheitliche Gesamtbewertung der Persönlichkeit des Täters in einer Strafe zum Ausdruck bringen kann. Ich glaube aber nicht, daß dieses Verfahren dann das­ selbe ist wie das, was wir bisher getan haben. Denn ich habe mir gestern erlaubt darzulegen, daß die Be­ rücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters, wenn man den Richter zwingt, von Einsatzstrafen auszugehen und dann eine Gesamtstrafe zu bilden, nicht möglich ist. Wenn der Richter aber der M ei­ nung ist, daß die fahrlässige Körperverletzung und die schwere Untreue innerlich in gar keinem Zusammen­ hang stehen, und es geradezu künstlich und lebens­ fremd wäre, in solchem Falle auf eine Einheitsstrafe zu erkennen, dann will ich nur ihn nicht hindern, ausnahmsweise zwei getrennte Strafen auszuwerfen. E s ergibt sich aus dieser Art der Tenorierungen, wie ich sie mir denke, auch das entsprechende für die Urteilsgründe. Ich würde in Ihrem Beispiel, Herr Minister, ausgehen von den beiden Taten und etwa sagen: Der Angeklagte hat sich gekennzeichnet als ein schwerer egoistischer Schädling. D as erkenne ich aus der schweren Untreue, die er begangen hat. Dafür gebe ich ihm zwei Jahre Zuchthaus. Außerdem hat sich der Angeklagte aus ganz anderem Gebiet als ein höchst nachlässiger M ann erwiesen, der ein Menschen­ leben gefährdet hat. Dafür gebührt ihm auch Strafe. Ich halte danach für diesen M ann zwei Jah re Zucht­ haus und drei Monate Gefängnis für richtig. D a­ gegen würde ich bei dem Beispiel des Diebstahls, der Hehlerei und der Zuhälterei sagen: Der Angeklagte ist der Typ eines volksgefährlichen Verbrechers, dem es vollkommen gleichgültig ist, auf welchem Gebiet er gegen das Gesetz verstößt; das ist ein M ann, der morgen raubt und übermorgen mordet; dieser M ann

verdient Zuchthaus. D as Gesetz ermöglicht mir, so­ undso viel zu geben. Ich wähle drei Jahre. Und dann würde natürlich in den Gründen stehen: Daß das ein so volksgefährlicher Verbrecher ist, erkenne ich a aus den Diebstählen, b aus der Hehlerei, c aus der Zu­ hälterei, d daraus, daß er auch sonst ein höchst schlüpf­ riges, aber strafrechtlich nicht erfaßbares Leben führt, e aus seinem ganzen Auftreten vor Gericht, aus der Umgebung, in der er gelebt hat, usw. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I n diesem Urteil würden S ie aber doch nicht auf eine tatsächliche Feststellung verzichten, daß er dann und dann oder soundso oft oder gewerbsmäßig gestohlen hat?) — Nein, ich würde das ausdrücklich feststellen. Und um noch einmal hinüberzuschauen zu dem anderen Fall, zu dem Fall der Notzucht an der Tochter. Hierbei würde ich mich um juristische Erwägungen, um irgendwelche Konkurrenzerwägungen überhaupt nicht kümmern, sondern ich würde als Richter nur sagen: Der Angeklagte hat an seiner Tochter Notzucht begangen. D as dürste nach meiner Auffassung genügen. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nicht ganz; denn Sie müßen das Gesetz noch bestimmen, aus dem S ie den Strafrahmen nehmen.) — Herr Minister, das ist ja das Traurige, daß dies der Richter tun muß. D as halte ich für falsch. Aber ich weiß, daß ick damit nicht durchkomme. Ich bin der Meinung, nach oben sollte man die Strafrahm en ruhig offen laßen; ihre Höchstgrenzen erscheinen mir überflüffig. W ir haben hier an diesem Tisch zwei Meinungen. Diese Meinungen unterscheiden sich insofern, als die eine Richtung sagt: ein Glaubenssatz verbietet mir, den Richter zu zwingen, von den einzelnen Taten auszugehen; ich muß deshalb, um diesen Glaubenssatz nicht zu verraten, eine Regelung schaffen, die es dem Richter nicht nur ermöglicht, sondern die ihn zwingt, alle Aufmerksamkeit auf die Beurteilung der Gesamt­ persönlichkeit des Täters zu richten. Dabei sind mir strafprozessuale Schwierigkeiten — ich will es einmal überspitzt ausdrücken — völlig gleichgültig; denn diese muß ich eben überwinden, .um meinem Glaubenssatz zu entsprechen. Sollte die Regelung dann kompli­ zierter werden, als sie wäre, wenn ich den Glaubens­ satz verraten würde, dann muß ich die kompliziertere Regelung in Kauf nehmen. Die andere Meinung sagt: Die Regelung der Konkurrenzfrage, und zwar beson­ ders jetzt die Frage der realkonkurrierenden Hand­ lungen, ist durch einen Glaubenssatz nicht bedingt. Deshalb wähle ich die Regelung, die mir technisch handlicher ist. Ich will noch einmal betonen, daß hier tatsächlich ein Glaubenssatz beachtet werden muß, und zwar der Glaubenssatz, daß der Strafrichter nicht Taten, sondern Willensträger zu beurteilen hat. Wenn ich davon ausgehe, dann folgt daraus für mich, daß ich den Richter keineswegs in eine andere Ge­ dankenrichtung treiben darf. Der jetzige Zwang, von Einsatzstrasen für einzelne Taten auszugehen, be­ deutet aber für den Richter, nicht in erster Linie immer

den Willensträger als Gegenstand der Bestrafung anzusehen. Ich könnte zur Begründung dessen die ganze gestrige Debatte wiederholen. D as tue ich aber nicht. Ich könnte auch darauf hinweisen, daß es nie­ mand geglückt ist, darzutun, daß dieses Scheuklappen­ bild von mir unrichtig ist. Der einzige, der es gestern versucht hat, w ar Herr Profeßor Mezger. Heute hat Herr Ministerialrat Lehmann den Versuch wieder auf­ gegriffen, meines Erachtens aber ebenfalls ohne Erfolg. Denn wenn ich auf Grund des jetzigen Rechts es zulaße, so vorzugehen, wie es Herr Profeßor Mezaer gestern als zulässig bezeichnet hat und heute in ähnlicher Weise Herr M inisterialrat Lehmann ge­ tan hat, dann komme ich entweder versteckt zu der Regelung, die wir offen für richtig halten, daß ich nämlich in Wirklichkeit gar nicht nach den einzelnen Taten beurteile, sondern den T äter als ganzen an­ schaue, oder ich gebe offen den gesetzlichen Grundsatz auf, der unrichtigerweise von Einsatzstrafen für die einzelnen Taten ausgeht. Wenn die eine Seite nun an diesem Tische sagt, daß bei dieser Frage die notwendige Folgerung aus einem Glaubenssatz zu ziehen sei, während die andere Seite sagt, diese Frage sei der Grundanschauung nach neutral, aber zugibt, die technische Regelung auf die eine wie auf die andere Art gestalten zu können, dann scheint mir die andere Seite sich grundsätzlich nichts zu vergeben, wenn sie unserer Auffassung Rechnung trüge. Wenn man von uns den Vorschlag einer technisch prozessualen Regelung verlangt, die se m Grundsatz der Gerechtigkeit bis in die feinsten Verästelungen hinein Rechnung trägt, dann erlaube ich mir darauf hinzuweisen, daß wir mit viel größerem Recht darum bitten könnten, doch einmal bei dem eigenen Vorschlag dem Grundsatz der Gerechtigkeit wenigstens in etwas Spielraum zu geben. Nun bin ich aber der Meinung, daß es nicht gut angeht, jetzt hier darüber zu debat­ tieren, ob und welche prozessualen Regelungen im einzelnen erforderlich sind, um unserem Grundsatz in der Prozeßordnung auch Ausdruck zu verleihen. Denn sonst müßte über einen Rechtssatz des prozessualen Rechts debattiert werden, von dem ich überzeugt bin, daß er uns mindestens einen Tag kosten würde. D as ist der Rechtssatz „ne bis in idem " und der Umfang seiner Aufrechterhaltung oder Einschränkung. Ferner gehe ich von der Funktion des Prozeßrechtes aus, dem materiellen Recht und dem, was dort gewollt ist, zu dienen. Ich muß es deshalb ablehnen, einem Argu­ ment der Schwierigkeit aus der Prozeßordnung, aus dem Verfahrensrecht, überhaupt in einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung irgendeine Kraft zuzu­ sprechen. D as heißt nicht, daß ich das Prozeßrecht nicht für außerordentlich wichtig halte. Aber ich kann aus dem Prozeßrecht kein Argument für oder gegen eine materielle Regelung entnehmen, sondern das Prozeßrecht hat die wichtige und schwierige Aufgabe, sich nach dem materiellen Recht zu richten und dafür zu sorgen, daß das, was das materielle Recht will, auch durchgeführt wird. I m übrigen hat Herr Vizepräsident Grau bereits gestern angedeutet, wie man diese Schwierigkeit auf

prozessualem Gebiete beseitigen könnte. Ich bin über­ zeugt, er wird noch eingehendere Vorschläge nach dieser Richtung machen können. Endlich bin ich auch damit einverstanden, daß diejenigen, die diesen Vorschlag machen, wie wir ihn hier vertreten, die Aufgabe er­ halten, Vorschläge für die prozessuale Regelung bis zur nächsten Tagung auszuarbeiten. Dazu sind wir gern bereit. Ich müßte einen geringen Glauben von den Möglichkeiten haben, die der Jurist hat, wenn ich nicht annehmen wollte, daß es möglich sei, alle diese fra g e n auch auf verfahrensrechtlichem Gebiete zu lösen. Reichsjustizminister Dr. Gürlner: Dem letzteren möchte ich absolut zustimmen. Es ist ja von niemandem behauptet worden, daß technisch etwas nicht geht. W ir haben so viele technisch geschulte Kräfte, daß das sicher gemacht werden könnte. Ich bin also auch der Meinung, daß man aus technischen Schwierigkeiten keine Entscheidungsargumente her­ leiten soll. Ich glaube, daß wir uns mit diesem Thema noch einige Zeit besassen müssen, weil sich jetzt doch zeigt, in welchen Irrtüm ern wir gestern befangen waren. Einen Glaubenssatz kann man verteidigen oder be­ kämpfen, aber wenn man darüber diskutiert, ob etwas überhaupt ein Glaubenssatz ist, dann kann das nur einen Grund haben, nämlich den, daß man sich über den In h a lt dieses Satzes nicht klar ist, daß sich jeder etwas anderes darunter vorstellt. Was ist denn das, was hrer von der einen Seite als Glaubenssatz hinge­ stellt und von der anderen Seite nicht als solcher angesehen wird? D as kann doch nur das sein, worüber w ir uns schon so oft ausgesprochen haben: Bei der Beurteilung des M annes, der eine strafbare Hand­ lung begangen hat, soll ich mich nicht allein an die tatsächlichen Feststellungen halten, die ich da getroffen habe, sondern soll die Handlungen betrachten als einen Ausschnitt aus dem Gesamtbild des Täters. Wir sollen also von der Persönlichkeit ausgehen. D as ist doch der Glaubenssatz, und es wird hier wahrscheinlich niemanden geben, der das in Abrede stellen wird. Daß man aber diesen Glaubenssatz so formuliert, daß man sagt, wir wollen nicht Taten bestrafen, sondern den Willensträger, halte ich für falsch, und zwar des­ wegen, weil nicht der W illensträger bestraft wird, sondern der, der einen bösen Willen durch seine Hand­ lung zu erkennen gegeben hat. Denn Willensträger sind wir alle, aber strafbar sind wir nur dann, wenn w ir etwas getan haben, was der Richter oder das Recht als Bekundung eines Willens ansieht, der straf­ würdig ist. I s t das nun in dieser Fassung wirklich eine neue Erkenntnis? Haben wir denn früher wirklich den Diebstahl bestraft und nicht vielmehr den Joseph Meyer wegen Diebstahls? Ich habe gestern schon das Gefühl gehabt: M an würde doch den deutschen Rickter, mindestens den des letzten Jahrhunderts, in ein sehr schiefes Licht rücken, wenn man ihm nachrühmen würde, der Tenor in seinem Urteil habe gelautet: Der dann und dann von dem und dem begangene Diebstahl wird mit 6 M onaten Gefängnis bestraft.

D as hat doch niemand getan, sondern der Dieb ist bestraft worden. S o dürfen wir das also nicht über­ spitzen. Nun komme ich aber zu etwas anderem. Die ab­ weichende Behandlung meines Beispielfalles durch die beiden Herren Vorredner ist kein Zufall, sondern darin steckt viel mehr. Herr Vizepräsident Grau scheut sich, überhaupt Schuldsprüche wegen der schweren Untreue und der fahrlässigen Körperver­ letzung auszusprechen. E r fürchtet, in den Verdacht der Aufspaltung der Persönlichkeit in zwei Persönlich­ keiten zu geraten. Diesem Standpunkt trägt er da­ durch Rechnung, daß er sagt: Ich sage überhaupt nichts darüber; dann mache ich es anders als sonst, ich spreche einen Schuldspruch aus, aber was da sonst drin steht, daß die Strafe gewissermaßen der Reflex der Schuld ist, das überhöre ich. Der Herr S ta a ts­ sekretär sagt: Die Täterpersönlichkeit kann ich aus diesen beiden Bildern nicht feststellen; das sind zwei völlig auseinandersallende Dinge; ich sage einfach, der M ann bekommt für das eine soviel und für das andere soviel. D as halte ich nun für ein sehr gefährliches Argu­ ment, Herr Staatssekretär; denn Sie sagen: Aus der schweren Untreue und der Körperverletzung kann ich das Bild der Persönlichkeit nicht eindeutig feststellen, weil das zwei zu verschiedene Reflexe sind. W ir haben doch gestern davon gesprochen, daß wir schon aus einem einzigen Schuldvorwurf das Bild der Gesamt­ persönlichkeit feststellen sollen. D as haben wir doch dem Richter auferlegt. W arum soll denn das nun nicht gehen, wenn ich zwei solche Spiegel habe, in denen der Mensch sich offenbart hat? — Also das ist nicht ganz schlüssig. (Staatssekretär Dr. Freister: S o war das nicht gemeint!) — Aber so hat es gelautet. (Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz: E s kann doch nur so verstanden werden, daß bei so verschiedenen Strafarten aus der Häu­ fung dieser Taten nichts Besonderes für die Persönlichkeit des T äters entnommen werden kann, sondern daß man den Saldo nach oben und nach unten ziehen muß.) — Jaw ohl, damit kommen S ie auf den richtigen Weg. Ich sagte ja, daß die typische Täterpersönlichkeit, eine Persönlichkeit, die sich durch Taten offenbart hat, etwas ganz anderes ist. Wenn jemand Diebstahl und Hehlerei begangen hat, dann kann man daraus eher etwas schließen, als wenn jemand schwere Untreue und fahrlässige Körperverletzung begangen hat. Diese ganze Sache ist ein sehr bedenklicher Wandel auf dem Gebiete dessen, was im M ittelalter das Recht der schädlichen Leute genannt worden ist. W ir haben solche Anklänge an das Recht der schädlichen Leute in gewissen Fällen schon heute, aber mit weiser Zurück­ haltung, z. B. das Anschaffen und Aufheben von Diebeshandwerkzeug. W ir müssen uns aber der Grenzen dieser Möglichkeit immer bewußt bleiben, denn sonst schaffen wir kein Täterstrafrecht, wie es uns vorschwebt. W as uns gestern — auch mir — als

eine gangbare Münze erschien, das müssen wir doch noch einmal prüfen. Aus der Behandlung der Beispiele, die der Herr Staatssekretär sehr einleuchtend ausgewählt hat, hat sich eine scheinbare Komplizierung ergeben; denn es ist nicht ganz einfach, sich vorzustellen, wie man das gesetzgeberisch fassen kann: I n dem einen F all zwei Taten und eine Strafe, in dem anderen F all werden auch Taten festgestellt werden, so daß w ir auf das Gebiet der fortgesetzten, gewerbsmäßigen und gewohn­ heitsmäßigen Handlungen kommen, wo alles das, was Herr Reichsgerichtsrat Niethammer vorgeschlagen hat, besondere Bedeutung erhält; denn der Wunsch, bei der Gewerbsmäßigkeit und Gewohnheitsmäßigkeit an der Selbständigkeit der T at in irgendeiner Weise festzu­ halten, geht ja genau nach der entgegengesetzten Richtung. W ir sollten also die Frage der prozessualen Mög­ lichkeit und der unter Umständen bestehenden Schwie­ rigkeiten ausschalten. Ich möchte noch einmal bitten, daß jeder von Ihnen sich zunächst mal zu dem Urteil über die schwere Untreue und die fahrlässige Körper­ verletzung äußert. Was soll hineingeschrieben werden? Nun habe ich nur noch eine Rückfrage: Herr Staatssekretär, würden Sie sich mit dem Aushilfs­ mittel des österreichischen Rechts abfinden, das alle Schwierigkeiten sofort beseitigt, nämlich der Möglich­ keit einer beschlußmäßigen Änderung der Strafzu­ messung außerhalb des Hauptverfahrens? Könnten S ie das akzeptieren? Staatssekretär Dr. Freister: Ich würde die Freiheit der Änderung der Ein­ heitsstrafe, wenn in der Revisionsinstanz eine S tra f­ tat weggefallen ist, dem Revisionsgericht geben. Ebenso muß dieses aber auch die Sache zur Bildung einer neuen Einheitsstrafe zurückverweisen können. Dies muß in die Wahl des Gerichts gestellt werden, weil ich mir Fälle vorstellen kann, wo es so oder so gemacht werden muß. Wenn in einem Prozeß, etwa im gegenwärtigen Rundfunkprozeß, von vielen S tra f­ taten eine, die nicht gerade die wichtigste ist, wegfällt, dann würde ich dem Reichsgericht die Möglichkeit geben, zu bestimmen, daß sich an der Einheitsstrafe nichts ändert. Ich könnte mir aber auch denken, daß das Reichsgericht sagt: Jetzt ist ein für die Beurteilung des Ganzen so wichtiges Moment weggefallen, daß die S trafe geändert werden muß. Wenn das Reichs­ gericht sich für in der Lage hält, auf Grund der ge­ nauen Darstellung der Urteilsgründe zu bestimmen, welche Strafe nun erkannt werden soll, dann mag es das tun; wenn es sich dazu nicht in der Lage hält, dann mag es die Sache zur Bildung einer neuen Ein­ heitsstrafe zurückverweisen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Damit wäre die Formel, die wir jetzt auch schon haben, auf diese Fälle ausgedehnt. E s muß die Über­ zeugung ausgesprochen werden, daß die Gesamtstrafe die gleiche wäre, auch wenn dieser eine F all geblieben wäre. Wenn aber die Gesamtstrafe von dem einen

F all abhängig ist, würde das Reichsgericht zurück­ verweisen. (Staatssekretär Dr. Freister: Oder ändern!) — Oder ändern. D as wäre also die eine Grenze der Vernunft, wobei die Gesamtpersönlichkeit des T äters aus dem In h a lt der Akten geschöpft wird. D as würden S ie also hinnehmen. Wenn nun aber die Schuldsprüche gar nicht angefochten sind durch die übrigen Taten, dann kommt meine weitere Frage: Würden S ie sich dann mit einer beschlußmäßigen Änderung der Strafzumessung einverstanden erklären können? Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn zurückverwiesen worden ist, dann erhebt sich die Frage, ob sich das Jnstanzgericht den Täter wieder vorholen soll, ob es die Hauptverhandlung erneuern soll oder ob die Bildung der neuen Strafe auch durch einfachen Beschluß zulässig sein soll. Ich muß mich grundsätzlich auf den Standpunkt stellen, den einfachen Beschluß nicht zuzulassen. Denn wenn das Reichsgericht selbst sagt, es halte sich für außer­ stande, darüber ohne neue Verhandlung zu entscheiden, dann können wir nicht zulassen, daß das Instanzgericht nun aktenmäßig die neue Strafe bildet. Ministerialdirektor Schäfer: Ich bin gestern grundsätzlich für die Beibehaltung der Scheidung zwischen Ideal- und Realkonkurrenz im materiellen Recht eingetreten. Danach beantwortet sich die von dem Herrn Minister gestellte Frage von selbst im Sinne des geltenden Rechts. Ich möchte noch einmal auf die Frage selbst ein­ gehen, wobei ich nur nebenbei bemerken darf, daß ich selbst früher auf der anderen Seite gestanden habe. I n den Strafrechtsausschüssen des Reichstags habe ich den Standpunkt eingenommen, den heute Herr Staatssekretär Freisler vertritt, und zwar mit den­ selben Argumenten, die Herr Staatssekretär Freisler anführt. Ich bin heute nicht mehr dieser Ansicht, und zwar mit Rücksicht auf die prozessualen Schwierig­ keiten. Darum sind wir schon bei der Aufstellung des Referentenentwurfs 1933 zum geltenden Recht zurück­ gekehrt. Wenn ich mir nach dem Gang der Debatte ein objektives Urteil zu bilden versuche, so möchte ich den Satz voranstellen, daß für mich die Debatte gezeigt hat, daß weder die eine noch die andere Ansicht zu einer restlos befriedigenden Lösung führt. Ich stehe innerlich dem Herrn Staatssekretär Freisler gar nicht so fern. Ich gebe ihm durchaus darin recht, daß die Auswerfung einer Einsatzstrafe und von Einzelstrafen einen gewissen Mangel an sich hat; denn ich stehe mit Herrn Staatssekretär Freisler im Gegensatz zu Herrn Professor Mezger grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß bei Auswerfung der Einsatzstrafe und der Einzel­ strafen der Richter zwar neben der T at die Persönlich­ keit des Täters selbstverständlich zu berücksichtigen hat, aber dabei doch die anderen Taten auszuschalten hat. Zu einer Gesamtwürdigung kann es erst kommen, nachdem zunächst die Einzelstrafen ausgeworfen

worden sind. Die Addition der Einzelstrafen gibt nach meiner Meinung aber genügend Gelegenheit zu einer Gesamtwürdigung. Ich möchte glauben — und das ist allein schon klar durch die Praxis bewiesen —, daß die Fälle, in denen sich die Gesamtstrafe der Summe der Einzelstrafen nähert, ganz selten sind, was doch zeigt, daß der Spielraum für die Gesamt­ würdigung groß genug ist. Aber ich gebe Herrn Staatssekretär Freister zu, daß es Fälle geben kann, in denen die Gesamtwürdigung vielleicht dazu führen könnte, etwas mehr zu geben, als die Addition der Einzelstrafen ergibt. Herr Professor Schaffstein hat für diese Fälle einen Ausweg gezeigt. Ich würde diesen Ausweg nicht gehen, sondern lieber diese kleine Ungerechtigkeit in Kauf nehmen und gegenüber dem Mangel abwägen, den die andere Lösung mit sich bringt. Der Mangel, den wir auf dem prozessualen Gebiet schaffen, wenn wir beide Konkurrenzfälle materiell-rechtlich zusammenwerfen, ist größer als der kleine Mangel, die kleine Ungerechtigkeit einer viel­ leicht nicht ganz genügenden Ahndung in seltenen Ausnahmesällen. Das ist das, was mich bestimmt, grundsätzlich an der Scheidung festzuhalten. Nun darf ich auch einmal darauf hinweisen, daß S ie, wenn Sie der Ansicht des Herrn Vizepräsident G rau oder des Herrn Staatssekretär Freister folgen wollen, damit gar nicht durchkommen würden. Ich er­ innere an die sogenannten Serienprozesse. Wenn Sie sich da auf den Standpunkt stellen, daß S ie eine Ein­ zelstrafe nicht festsetzen können, ohne die anderen Taten zu berücksichtigen, dann könnten Sie in der­ artigen Serienfällen einen Prozeß wegen einer Ein­ zeltat oder wegen einiger Taten gar nicht durchführen, sondern müßten warten, bis die gesamten Taten, die überhaupt für diese Person in Betracht kommen, spruchreif sind. Das würde also zu einer Verzögerung der Rechtspflege und zu Monstreprozessen führen, mit denen die Praxis kaum fertig werden würde. Es würden praktisch so erhebliche Mängel eintreten, daß S ie wahrscheinlich bald die Konzession machen würden, doch zu sagen: W ir führen zunächst einen Prozeß wegen einzelner Taten durch. Die Durchfüh­ rung des Prozesses verlangt dann auch das Auswerfen einer Strafe. Bei dem ersten, zweiten und dritten Prozeß dürfen Sie und können S ie natürlich noch nicht berücksichtigen, daß der Angeklagte möglicher­ weise auch die Taten begangen hat, die in späteren Prozessen zur Aburteilung stehen. S ie würden also dazu kommen, den Mangel in Kauf zu nehmen, den S ie selbst, Herr Staatssekretär, bei der Auswersung von Einzelstrafen aufgedeckt haben. Wenn ich weiter das Problem der fortgesetzten Handlung und des Kollektivdelikts dazu nehme, so drängen die Bedürfnisse der P raxis geradezu zu einer Verselbständigung der Einzelteile dieses Kollektiv­ delikts. D as scheint mir wiederum dahin zu deuten, daß es aus praktischen Gründen richtiger ist, für die große Masse der Fälle grundsätzlich an der Scheidung zwischen Ideal- und Realkonkurrenz festzuhalten; für Sonderfälle werden Ausnahmen zu machen sein. D a berühren sich meine Ansichten weitgehend mit dem

Vorschlag, den Herr Staatssekretär Freisler vorhin selbst gemacht hat. Auch ich möchte glauben — ich habe das schon gestern vertreten — , daß man dem Richter die Möglichkeit geben muß, Einzelhand­ lungen, die an sich selbständige Handlungen sind, wie eine große Handlung anzusehen, also nach dem S tan d ­ punkt der Einheitstheorie zu betrachten. Die Abtei­ lung hat das für die Grenzfälle vorgeschlagen, in denen der große historische Vorgang einheitlich ist. Das ist ein Abweichen von der bisherigen zu engen Betrachtungsweise der Rechtsprechung. Mein Vor­ schlag würde dahin gehen, diese Möglichkeit für die fortgesetzte Handlung und für das Kollektivdelikt zu geben, also grundsätzlich von dem bisherigen Ver­ fahren abzuweichen und umgekehrt zu sagen: W ir wollen das als Einzelakte betrachten, aber dem Richter die Möglichkeit geben, das als eine T at zu betrachten. Herr Staatssekretär Freisler geht eigentlich nur einen Schritt weiter, indem er sagt: Ich will es überhaupt in das Ermessen des Gerichts stellen, ob es Einzel­ handlungen getrennt behandeln, getrennt bewerten will, nicht nur im Tenor, sondern auch in der ausge­ worfenen Strafe. (Staatssekretär Dr. Freisler: Der Richter soll von der Einheit als von der Regel ausgehen!) — Jedenfalls ist der Unterschied nicht so stark. M ir geht diese Auflockerung etwas zu weit. Ich glaube, daß die Masse der Richter eine Richtlinie braucht. Die richtigere Richtlinie scheint mir die Betrachtung der Einzeltaten als selbständiger Taten zu sein, weil das nach meiner Überzeugung die große Masse der prak­ tischen Fälle sein wird. Wenn ich mich frage, wonach wir unser Gesetz bei der Entscheidung dieser Frage ausrichten sollen, so meine ich, wir müßten hierbei ganz stark auf die Auf­ fassung des Lebens, auf die Auffassung der Laien Rücksicht nehmen. Ich habe den Herren schon bei der ersten Lesung über meine Erfahrungen bei der Be­ handlung dieser Frage vor den Reichstagsausschüssen berichtet. Ich habe schon erwähnt, daß wir vor diesen Ausschüssen namens der Regierung für die Einheitstheorie eingetreten sind, weil unser Ausgangspunkt auch damals war: Berücksichtigung der Täterpersön­ lichkeit, allerdings in einem etwas anderen Sinne. Die Persönlichkeit sollte auch im Sinne aller der Um­ stände berücksichtigt werden, die zugunsten eines Täters sprechen. Von diesem Standpunkte aus sind wir also für die Einheitstheorie eingetreten, und ich habe schon in der ersten Lesung berichtet, daß wir dabei auf allen Seiten auf Kopfschütteln gestoßen sind. Die Herren haben uns eigentlich allgemein ganz ge­ fühlsmäßig gesagt: I h r werft damit Sachen in einen Topf, die ganz verschieden liegen. Nur mit sehr viel Überredung, und zwar gerade mit theoretischen Argu­ menten, die wir aus dem Persönlichkeitsstrafrecht ins Feld geführt haben, ist es uns immer gelungen, gerade eine knappe Mehrheit für dieses Zusammenwerfen zu sammeln. Am Schluß haben wir dann aber immer ge­ hört: B is zur nächsten Lesung müssen wir uns das doch noch einmal überlegen. Diese Erfahrungen scheinen mir doch ein sehr starkes inneres Argument

dafür zu sein, daß der Nichtjurist oder der nicht so stark Eingeweihte, also der Nichttheoretiker, und der Laie kein rechtes Verständnis für das Zusammenwerfen der beiden Konkurrenzformen haben. I n den Grenz­ fällen hat das Volk meiner Meinung nach kein Ver­ ständnis für die Scheidung zwischen Ideal- und Real­ konkurrenz, und für diese Fälle müssen wir diese Scheidung beseitigen. Dagegen würde das Volk kein Verständnis dafür haben, wenn wir bei ganz klar­ liegenden Fällen beide Sachen in einen Tops werfen würden, wenn es sich deutlich um zwei verschiedene Vorgänge handelt. Darum komme ich dazu, grundsätzlich an der Schei­ dung zwischen Ideal- und Realkonkurrenz auch im materiellen Recht festzuhalten, die Strafrahm en aller­ dings stark anzunähern und Auflockerungsmöglich­ keiten für die Grenzfälle und für die Fälle der fort­ gesetzten Handlung und des Kollektivdelikts zu geben. Reichsjustizminister Dr. GÜrlner: Wenn es gelänge, diesen Gedanken irgendwie ge­ setzgeberisch zu erfaßen, wenn es also gelänge, das Bild von der schweren Untreue und der fahrlässigen Körperverletzung abzugrenzen gegenüber dem anderen Bild des 20mal nacheinander begangenen Diebstahls, dann könnte man wohl diesen Weg gehen. D as führt in das Kapitel der fortgesetzten, gewerbsmäßigen, ge­ wohnheitsmäßigen Handlungen hinein. I n diesem Gedankenbereich liegt auch das, was ich einmal ganz roh den „typischen Täter" genannt habe. Es ist ja schon schwierig, bei der fortgesetzten Handlung den Spannungsbogen des Vorsatzes sich vorzustellen, und es ist wirklich nach dem Leben kaum zu unterscheiden, ob der M ann, der von Diebstahl und Betrug lebt, alle 6 Wochen einen neuen Entschluß faßt, oder ob sich sein Entschluß auf sein ganzes Leben erstreckt. Dieser von mir „typischer T äter" genannte Mensch und der gewohnheitsmäßige, der gewerbsmäßige Verbrecher sind so nahe verwandt, daß der Grundgedanke derselbe ist. Daß man das nicht ausdehnen kann auf die zu­ fällige Summierung mehrerer Straftaten bei einer Person, scheint mir auch ziemlich einleuchtend zu sein. D a kommen wir mit der Auffassung von der Gesamt­ persönlichkeit nicht durch. Wenn man das herausarbeiten könnte, also den Fall, in dem eine Mehrheit von Straftaten so charak­ teristisch ist, daß ein Tätertypus dadurch charakteri­ siert ist, dann könnten wir, glaube ich, diese ver­ wandten Fälle, die ich vorhin aufgeführt habe, einer besonderen Behandlung zuführen. Aber wir können nicht die zufällige Addition von völlig verschiedenen Straftaten in einer Hand unter dieses Schema pressen. Professor D r. Dahm: Der Grund dafür, daß wir gestern und heute zu keinem Ergebnis gelangt sind, liegt meiner Ansicht nach darin, daß eine einheitliche Entscheidung dieser Fragen gar nicht möglich ist. W ir geraten auf die schiefe Ebene, wenn wir die Dinge abstrakt sehen und eine allgemeine Lösung erstreben. Zunächst möchte ich die grundsätzliche Frage er­ örtern, ob unsere Auffassung vom Willens- und Täter­

strafrecht eine einheitliche Behandlung der einzelnen Straftaten und einen Verzicht auf Einsatzstrasen er­ fordert. Ich glaube, wir laufen hier Gefahr, denselben Irrtu m zu begehen wie seinerzeit, als wir den exten­ siven Täterbegrisf besprachen und der Meinung waren, das Willensstrafrecht mache ein völliges Aufgehen von Anstiftung und Beihilfe in der Täterschaft notwendig, weil uns nur die Persönlichkeit des Täters und nicht der äußere Vorgang angehe. D as hat sich inzwischen als falsch erwiesen, und wir haben eingesehen, daß das Täterstrafrecht eine Betrachtung des konkreten Willens erfordert, der bei der Beihilfe, aber auch beim An­ stifter anders aussieht als beim Täter. Ähnliche Über­ legungen sollten die Annahme ausschließen, daß wir beim Zusammentreffen mehrerer Straftaten die ein­ zelne T at nicht mehr bewerten, sondern nur die P e r­ sönlichkeit des Täters schlechthin berücksichtigen dürften. Ich weiß aber, daß ein Teil der hier An­ wesenden einer, wenn ich so sagen darf, abstrakten Täterbetrachtung, ein anderer Teil einer konkreteren Täterbetrachtung zuneigt. Die einen fragen: Ist der Täter ein Volksfeind oder nicht? Die anderen sagen: Die Beantwortung dieser Frage genügt uns nicht, sondern wir wollen noch mehr wissen, nämlich: M it welchem Täter haben wir es zu tun? Is t der Täter ein Dieb, ein Zuhälter usw.? Ich glaube nun, daß die Entscheidung für diese zweite, konkretere Täterauffassung in dem Augenblick gefällt ist, in dem wir Tatbestände in das Gesetz aufnehmen und S tra f­ rahmen schaffen. Denn wenn es nur auf die allge­ meine Kennzeichnung der Persönlichkeit schlechthin an­ käme, so könnte ich nicht begreifen, warum überhaupt noch jemand wegen Diebstahls, wegen Mordes usw. bestraft wird. W ir müßten dann folgerichtig zum russischen System kommen, das keine bestimmte S tra f­ tat verlangt. I n dem Augenblick, in dem wir mit dem Willensstrafrecht die Ausnahme von Tatbeständen verbinden, entscheiden wir uns zwar nicht für ein Tatstrafrecht, aber für ein konkretes Willensstrasrecht. M it diesen Grundsätzen würden wir uns geradezu in Widerspruch setzen, wenn wir auf die Bewertung der einzelnen Taten und der k o n k r e t e n Tätergesinnung verzichten wollten. W ir tun nun aber gut daran, uns die Beispiele vor Augen zu führen, die der Herr Minister und Herr Staatssekretär Freister gegeben haben, und müssen uns fragen: Hat es einen S inn zu sagen: „Dieser M ann bekommt für den ersten Dieb­ stahl soundso viel, für den zweiten Diebstahl soundso viel, Gesamtstrafe soundso viel"? Zweitens: Hat es einen S in n zu sagen: „D er Täter bekommt für den Diebstahl soundso viel, für Notzucht soundso viel, die Gesamtstrafe ist soundso viel"? W ir kommen doch wohl dazu, beide Fragen verschieden zu beantworten. Die erste Frage würde ich verneinen. Der Täter erscheint uns seinem Typus nach als Dieb, und es hat keinen Wert, noch einzelne Taxen für die Einzeltaten festzu­ setzen. Ich würde hier also zur Einheitsstrafe kommen, also keine Einsatzstrafen für die einzelnen Diebstähle festsetzen. Ebensowenig hat es S inn, etwa bei Dieb­ stahl und Hehlerei Einsatzstrafen zu unterscheiden und dann eine Gesamtstrafe zu bilden. Ich würde mich mit dem Urteil begnügen: „Der Täter wird wegen Dieb-

stahls und Hehlerei so und so bestraft." Dasselbe kann ich aber nicht beim Zusammentreffen von Diebstahl und Notzucht sagen. Ich kann nicht urteilen: „Der T äter wird als Dieb und Sittlichkeitsverbrecher so und so bestraft." Worin liegt der Unterschied? Das erste M al handelt es sich um zwei Delikte, die ihrem Wesen nach gleich sind, im zweiten Fall um zwei Straftaten, die wesensmäßig völlig verschieden sind. Ich darf auf eine Parallele verweisen, nämlich auf die Erwägungen, die wir bei der Entscheidung über die wahldeutige Feststellung angestellt haben. Auch dort tauchte ja die Frage auf: Wieweit können wir bei der Bewertung der Taten von ihrer konkreten Beschaffen­ heit absehen? W ir kamen zu dem Ergebnis, daß eine wahldeutige Entscheidung zulässig sei, wenn es sich um Straftaten handelt, die ihrem Wesen nach gleich­ artig sind: Diebstahl und Hehlerei, Diebstahl und Unterschlagung usw. Dagegen ist die wahldeutige Ent­ scheidung — jedenfalls meiner Ansicht nach — dann unzulässig, wenn verschiedenartige Verbrechen zur Wahl stehen. Ähnliche Gesichtspunkte müssen uns jetzt leiten bei der Beantwortung der Frage, ob es einen S in n hat, einzelne Straftaten zu unterscheiden und verschiedene Strafen auszusetzen. (Staatssekretär Dr. Freister: Bei der wahldeutigen Feststellung haben wir es ja ganz anders gemacht! — Ministerialdirektor Schäfer: Aber gegen den Widerspruch von Herrn Professor Dahm; der wollte sagen: „kann"!) — Ich komme also zu folgendem Ergebnis: E s kommt auf die Verschiedenheit der einzelnen Taten dann nicht an, wenn die verschiedenen vom T äter begangenen Straftaten ihrem Wesen nach gleichartig sind: Dieb­ stahl und Hehlerei, Diebstahl und Unterschlagung oder dergleichen. Einheitsstrafe, Verzicht auf Einsatz­ strafen. Dagegen ist die Einzeltat und der konkrete Wille des Täters dann zu berücksichtigen, wenn es sich um wesensmäßig verschiedenartige Straftaten handelt. Beispiel: Diebstahl und Notzucht oder Mord. I n diesen Fällen — und das sind, glaube ich, die A u s n a h m e f ä l l e — bleibt uns nichts anderes übrig, als den Richter zur Aussetzung von Einsatzstrafen und zur Bildung einer Gesamtstrafe zu zwingen. Bei der Bildung der Gesamtstrafe muß sich der Richter natür­ lich ein Gesamturteil über die Persönlichkeit des Täters bilden. Sodann möchte ich mich zur Jdealkonkurrenz und Realkonkurrenz äußern. Ich habe in der ersten Lesung die Ansicht vertreten, man müsse mit diesem, wie mir damals schien, scholastischen Plunder aufräumen und beide Konkurrenzen miteinander vereinigen. Ich halte das jetzt nicht mehr für richtig. Bei anderer Gelegen­ heit hat man die Wesensbetrachtung und die Wert­ betrachtung einander gegenübergestellt, und wir haben uns immer mehr zu einer wesensmäßigen Betrachtung der Dinge durchgerungen. Darum müssen wir uns die einfache Frage vorlegen: Is t es wirklich dasselbe, wenn jemand durch e i n e Handlung einen Betrug und eine Urkundenfälschung begeht, oder wenn er zu­ nächst eine Urkundenfälschung und später einen Betrug

allein begeht? Beide Fälle sind wesensmäßig eben­ so voneinander verschieden, wie Baum und Tier von­ einander verschieden sind. Es könnte sich aber fragen, ob sie gleich zu b e w e r t e n sind. Diese Frage würde ich verneinen. E s wäre eine rein normativistische und abstrakte Betrachtung, wenn w ir sagten: E s ist gleich­ gültig, ob jemand Betrug und Urkundenfälschung durch e i n e T at begeht, oder ob er zwei verschiedene Taten begeht, von denen die eine einen Betrug, die andere eine Urkundenfälschung enthält. Der Täter hat seinen Willen das zweite M al anders betätigt als das erste Mal. D as ist auch wertmäßig nicht dasselbe. M an hat nun eingewandt, der Vorzug der Vereinigung be­ stehe darin, daß der ganze Wust der Streitfragen auf diesem Gebiet beseitigt werde. Auch das halte ich nicht für richtig. Denn die Hauptstreitfragen knüpfen sich bekanntlich an die Abgrenzung der Gesetzeskonkurrenz von der echten Konkurrenz. Diese Streitfragen bleiben aber auch dann bestehen, wenn wir Ideal- und Real­ konkurrenz miteinander vereinigen. Auf jeden Fall müssen wir also Ideal- und Realkonkurrenz vonein­ ander unterscheiden. Ich halte es aber für falsch, bei der Bildung der Gesamtstrafe einen Rabatt zuzulassen. W ir müssen die Möglichkeit zulassen, daß die Strafe im Hinblick aus die Gesamtpersönlichkeit des T äters über die Summe der einzelnen Strafen hinaus verschärft wird. I n der Regel halte ich einen „Rabatt" allerdings für richtig, und zwar deshalb, weil die Schwere der F rei­ heitsstrafe sich mit ihrer Dauer steigert. Aber wir müssen auch in der Lage sein, anders zu entscheiden, nämlich zu sagen: W ir würden die einzelnen Taten als solche als verhältnismäßig harmlos ansehen. Aber der Umstand, daß der Täter noch andere Taten be­ gangen hat, nötigt uns dazu, seine Gesamtpersönlich­ keit strenger zu beurteilen und über die Summe der Einzelstrafen hinauszugehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Ausführungen von Herrn Professor Dahm, die S ie auf sich bezogen haben, waren an die Adresse von Herrn Vizepräsident G rau gerichtet. S ie hätten Herrn Grau ansprechen müssen, wo Sie sich dagegen gewandt haben, daß man Einzeltaten ver­ schiedener Art nicht schuldmäßig bewerten soll. D as ist nicht die Auffassung von Herrn Staatssekretär Freister, sondern von Herrn Vizepräsident Grau gewesen. Ich habe S ie, Herr Grau, gefragt: „Wie lautet das Urteil?" D ann haben S ie gesagt: „E s lautet in den Gründen: er ist schuldig einer schweren Untreue und einer fahrlässigen Körperverletzung". Dann habe ich gefragt: „Kommt dann nichts mehr?", worauf Sie antworteten: „Nein, jetzt kommt die Strafbildung!" Dagegen wandten sich die Dahmschen Ausführungen, während Herr Staatssekretär Freister gesagt hat: „Nein, so ist es nicht; sondern es werden wegen Un­ treue zwei Jah re Zuchthaus ausgeworfen und wegen fahrlässiger Körperverletzung drei Monate Gefängnis, und das addiere ich dann".

Staatssekretär Dr. Freister: Nur mit einer gewissen Maßgabe: Wenn ich das Vermögen einer Aktiengesellschaft ausstelle, dann führe ich, wenn keine Schulden vorhanden sind, die M ateria­ lien, die Gebäude, die Liegenschaften und manches andere, ferner die Außenstände und schließlich die Firm a auf. Diese Firm a ist in Ihrem Bilde gleich­ bedeutend mit der Persönlichkeit des T äters, und zu ihr gelangt man aber nicht, wenn man von der Be­ wertung der Taten ausgeht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich will gar nicht diskutieren, sondern nur fest­ stellen: S ie haben sich vorhin gegen Herrn Professor Dahm wegen eines unberechtigten Angriffs gewandt. Ich möchte feststellen, daß dieser Angriff gar nicht gegen S ie gedacht sein konnte, sondern gegen Herrn Grau, und der Grund ist dieser: Herr Vizepräsident Grau hat ausdrücklich erklärt, mit einer Strafaussage beantworte ich meine tatsächliche Feststellung gar nicht; während S ie gesagt haben: Jaw ohl, ich will eine Strafaussage im Urteil haben. Vizepräsident Grau: Ich möchte zuerst ein Wort zu dem sagen, was Herr Ministerialdirektor Schäfer besonders betont hat, daß nämlich bei den früheren Reformbestrebungen gerade aus Kreisen der Praktiker die Ablehnung der Einheitsstrafe erfolgt sei. D as ist durchaus richtig und mir auch bekannt. Aber damals erstrebte man ja mit der Einheitsstrafe etwas völlig anderes als heute. Damals hatte man tatsächlich vor, die Fälle der Jdealkonkurrenz und Realkonkurrenz im Prozeß ganz gleich zu behandeln. Diese einheitliche Behandlung völlig getrennter Lebensvorgänge im Prozeß wider­ strebte natürlich den Praktikern. Aber wir wollen dies ja durchaus nicht. W ir wollen nicht den tatsächlich bestehenden Unterschied zwischen einer T at und meh­ reren Taten im Prozeß beseitigen, sondern bekämpfen nur die Einsatzstrafen und die verschiedenen S tra f­ rahmen für die beiden Konkurrenzarten. Wenn man den Praktikern unsern jetzigen Vorschlag unterbreiten würde, so glaube ich nicht, daß der Protest groß wäre. Nun zur Frage, die Herr Professor Dahm ange­ schnitten hat, zur Bestrafung der Jdealkonkurrenz. Natürlich ist in vielen Fällen der Tateinheit die S tra f­ würdigkeit geringer als bei mehreren Taten. Daß es aber auch anders sein kann, habe ich bereits ausge­ führt. W ir wollen ja auch bei der Einheitsstrafe einen so weiten Strafrahm en geben, daß alle Fälle beider Konkurrenzarten darunter gebracht werden können. Wenn man einmal den Strafrahmen, den die Abtei­ lung für Tateinheit vorsieht, und den Strafrahmen, den sie für Tatmehrheit vorsieht, miteinander ver­ gleicht, so ist kaum ein Unterschied festzustellen. S ie sind beide sehr weit und gleichen sich fast. D arin liegt also gar keine große Verschiedenheit zwischen den beiderseitigen Auffassungen. Auch auf dem Gebiete des Prozesses — und ich sage das nochmals, weil wiederum besonders betont worden ist, die Schwierig­ keiten lägen auf prozessualem Gebiet — wollen wir durch die Einführung der Einheitsstrafe gar nicht

etwas grundstürzend Neues. Wir wollen allein die Auswirkungen der Einheitsstrafe im Prozeß geregelt haben, die durch den Fortfall der bisherigen Einsatz­ strafen entstehen. Diese Auswirkungen habe ich mir gestern abend noch einmal durch den Kopf gehen lassen, und ich kann betonen, daß durch diese Umge­ staltung des Prozesses nicht nur keine Schwierigkeiten entstehen — es sei denn, daß man jede Änderung des Prozesses als Schwierigkeit bezeichnet — , sondern sogar materiell gerechtere Lösungen herauskommen als im geltenden Recht. Ich bin bereit dies nachzu­ weisen, wenn auf diese Fragen im einzelnen einge­ gangen werden soll. Nun ist ja nicht zu verkennen, daß es tatsächlich ganz verschiedenartig gelagerte Fälle gibt. Es ist schon ein Unterschied, ob ein Täter Hehlerei und Dieb­ stahl in mehreren Taten begangen hat, oder ob er, wie in dem Beispiel des Herrn Ministers, sich der schweren Untreue und der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht hat. I n dem letzteren F all ist es natürlich schwer, die Gesamtpersönlichkeit des Täters aus den Einzeltaten zu werten. Dieselbe Mißlichkeit haben wir aber jetzt schon im geltenden Recht. E s ist jetzt schon höchst mißlich, Zuchthaus wegen schwerer Un­ treue zu verhängen, diese Strafe nachher mit einer kleinen Gefängnisstrafe zu kombinieren und durch die Gesamtstrafenbildung zu dem Ergebnis zu kommen, daß die Zuchthausstrafe um eine Woche erhöht wird, so daß der T äter wegen der fahrlässigen Körperver­ letzung tatsächlich Zuchthaus bekommt. M an kann sich dabei aber damit trösten, daß die Persönlichkeit des Täters eben durch die schwerste T at völlig überstrahlt und ausschlaggebend bestimmt wird. Weiterhin sprechen die Grundsätze des Strafvollzugs für eine solche einheitliche Strafe. E s hat keinen Zweck, gegen einen Verurteilten zwei Jah re Zuchthaus zu voll­ strecken und tut Anschluß daran etwa einen M onat Gefängnis. Biel zweckmäßiger ist es, an die Zucht­ hausstrafe eine kleine Zusatzstrafe anzuschließen. Auch bei der Einheitsstrafe werden diese Erwägungen maß­ gebend sein. Auch hier wird man davon ausgehen, daß die Persönlichkeit eines Täters durch e i n e T at von mehreren völlig klargestellt werden kann. Ich würde auch keine Bedenken dagegen haben, für solche Fälle, in denen es sich um völlig verschiedene, eine Gesamtbeurteilung des T äters nur schwer zulassende Taten handelt, vielleicht eine Ausweichmöglichkeit da­ hin zu geben, daß dem Richter ausnahmsweise erlaubt wird, zwei getrennte Strafen nebeneinander zu ver­ hängen. Allerdings weiß ich nicht, wie es mit dem Strafvollzug werden soll, wenn man dies gestatten würde. Denn welchen Zweck es haben soll, den Ver­ urteilten erst Zuchthaus verbüßen zu lassen und ihn dann vielleicht eine Woche in das Gefängnis zu stecken, vermag ich nicht einzusehen. Keinesfalls bin ich aber der Auffassung von Herrn Professor Dahm, daß stets dann eine Einheitsstrafe nicht gebildet werden könne, wenn die Delikte wesens­ verschieden sind. E s darf für diese Frage allein daraus ankommen, ob aus den verschiedenen Delikten die Gesamtpersönlichkeit des T äters bewertet werden kann

oder nicht. S ie könnte z. B. durchaus auch aus einem Diebstahl und einer Notzucht bewertet werden; da­ gegen würde es schwerer sein, sie aus einer Untreue und einer fahrlässigen Körperverletzung zu werten. Ich würde aber auch in solchen Fällen die Einheits­ strafe zulassen, schon aus Gründen des Strafvollzugs, und nur für Ausnahmefälle dem Richter gestatten, auf getrennte Einzelstrafen zu erkennen. M it einer Auflockerung der „fortgesetzten Hand­ lung" sind auch die Anhänger der Einheitsstrafe durchaus einverstanden. Diese Frage hat aber mit der Einheitsstrafe an sich nichts zu tun. M an könnte durchaus bestimmen, daß in bestimmten Fällen der fortgesetzten Handlung, ferner bei gewissen Fällen von Kollektivdelikten nicht e i n e S traftat, sondern meh­ rere Straftaten vorliegen. D ann käme man auch zu der Möglichkeit, neu bekannt werdende Einzelakte noch nachträglich zu bestrafen. Auch dies würde dann in der Form einer nachträglich gebildeten Einheitsstrafe geschehen. Die nachträgliche Einheitsstrafenbildung durch Beschluß ist ein besonderes Sorgenkind; ich möchte aber behaupten, daß diese Sorgen auch bereits im geltenden Recht bei der Gesamtstrasenbildung durch Beschluß in gleicher Weise vorhanden sind. Denn es entspricht nichts weniger der materiellen Gerechtigkeit, als der nachträgliche Gesamtstrasenbeschluß. E r kommt auf rein formellem Wege zustande, und die Verur­ teilten — das war interessant, was Herr Professor Schasfsthin darüber sagte — sind nicht selten ehrlich erstaunt darüber, was ihnen auf diese Weise geboten wird; es wird ihnen ohne Verdienst und Würdigkeit etwas geschenkt, oft Jahre werden ihnen geschenkt, und sie sehen nicht ein, warum das geschieht. E s muß im künftigen Recht die Möglichkeit gegeben werden, neben dieser rein formellen Erledigung der Einheitsstrasenbildung, die für unwichtigere Fälle beizubehalten ist, die nachträgliche Einheitsstrafe auf einem Verfahren und einer mündlichen Verhandlung aufzubauen. Jedenfalls ist das notwendig, wenn es sich um schwer­ wiegende Sachen handelt, in denen der erkennende Richter auf Grund der Akten kein Bild von der Per­ sönlichkeit des Täters gewinnen kann. Wenn Herr Professor Dahm weiter ausgeführt hat, man möge doch die Gesamtstrafe bei den Delikten beibehalten, die wesensmäßig voneinander verschieden sind, aber in diesen Fällen die Bindung des Richters an die obere Strafrahmengrenze verschwinden lassen, dann muß ich, offen gestanden, fragen, was dann die Einsatzstrafen überhaupt noch für einen Zweck haben. Denn sie bezwecken doch in erster Linie, die Strasgrenze nach oben festzulegen. Wenn ich dies nicht mehr will, dann brauche ich überhaupt keine Einsatzstrasen mehr. Ich glaube nach alledem, daß die Einheitsstrafe das richtige ist und daß man zu der Einheitsstrafe, die ja in erster Lesung auch schon beschlossen war, zurück­ kehren sollte. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe den Eindruck, als wären wir dem Boden der Tatsachen näher gekommen. Allein die Fest­

stellung, daß Jdealkonkurrenz und Realkonkurrenz etwas Trennbares, sogar nach Dahmscher Meinung etwas zu Trennendes ist, halte ich für einen ganz großen Fortschritt. Wenn ich mir die Ausführungen von Herrn Professor Dahm vergegenwärtige, dann scheint mir, als ob die Gedanken, die im Referenten­ entwurf vorgeschlagen sind, seine Billigung fänden: Wenn mehrere Strafgesetze verletzt werden, dann soll aus dem schwersten Gesetz bestraft und außerdem eine Überschreitung der Summe der Einzelstrafen zuge­ lassen werden. (Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as steht im Entwurf § 416 Abs. 2!) Ich glaube, wir kommen rascher voran, wenn wir nicht aus die Möglichkeit des Beschlußverfahrens ein­ gehen und sie in ihren Folgerungen durchsprechen, sondern die Diskussion verengen aus die Behandlung des Falles, in dem ein Täter mehrere selbständige Straftaten begangen hat. Hier hat sich schon eine gewisse Aufspaltung der Betrachtung ergeben. Diese selbständigen Straftaten, die nacheinander begangen worden sind, können an den Bezirk der fortgesetzten Handlung angrenzen. S o möchte ich es einmal aus­ drücken. S ie sprachen vorhin von wesensfremden Straftaten. Wenn wir also an dem von der Ju d i­ katur gebildeten Gedanken der fortgesetzten Handlung festhalten, der auch keine Einsatzstrase kennt, sondern nach welchem 25 Diebstähle als ein fortgesetzter Dieb­ stahl betrachtet werden, so scheint es mir gar nicht allzu schwierig zu sein, diesem Gedanken dahin eine Ausweitung zu geben, daß es nicht gerade 25 Dieb­ stähle zu sein brauchen, sondern daß es Delikte sein müssen, die ungefähr denselben Bezirk betreffen. M an denke an einen M ann, der nicht gern durch Arbeit, sondern lieber aus fremden Taschen seinen Lebens­ unterhalt nehmen will: Der wird heute einen Dieb­ stahl, morgen einen Betrug begehen; der Spezialist bleibt bei einer Form , der Stümper versucht es in ver­ schiedenen Formen. Aber diese Betrachtung mündet doch in die fortgesetzte Handlung ein, und das schien mir ein Ansatzpunkt zu sein, durch den man auf den richtigen Weg kommt. Wenn w ir nun die anderen Fälle betrachten, wo diese typische Ähnlichkeit nicht vorliegt — wie man das gesetzlich ausdrücken kann, ist mir selbst noch nicht klar, früher hätten wir gesagt: die dasselbe Rechtsgut betreffen, aber das wollen wir ja nicht, und das Wort „wesensgleich" ist auch kein gesetzlich brauchbarer Ausdruck — , also diejenigen Fälle, bei denen die Handlungen ganz verschieden liegen, dann taucht wieder die Frage auf, die schon verschiedentlich gestellt worden ist: S oll man die Strafen summieren dürfen bis zur Gesamtsumme, oder soll man nicht am Ende darüber hinausgehen dürfen? Herr Professor Dahm hat mit Recht hervorgehoben, daß der F all des Darüberhinausgehens der seltenere F all ist, also der Fall, in dem ich als Richter sage: F ü r diesen Schuft genügt die Summe der Einzelstrasen nicht, hier muß ich über diese Grenze hinausgehen. Ich könnte mich dazu verstehen, auch diesen Gedanken gesetzlich fest­ zulegen, nur nicht in der Form, daß man dem Richter,

nachdem er die provisorischen Überlegungen angestellt und die provisorischen Strafaussprüche ausgesprochen hat, nun völlig anhaltslos sagt: nun kannst du die Gesamtstrafe bilden, wie du willst. Ich könnte mir vielmehr denken, daß das gesetzlich so zum Ausdruck gebracht wird, daß der Richter dann, wenn die Summe der Strafen nach der Gesamtpersönlichkeit eine Erhöhung der Strafe erfordert, auch darüber hinausgehen kann. D as scheint mir notwendig zu sein; denn völlig freie Hand zu geben und zu sagen: Erst mußt du provisorisch überlegen, aber dann hast du völlig freie Hand, das würde ich nicht für richtig halten. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Die Verschiedenartigkeit der Tatbilder in den beiden Beispielen ist ja schon wiederholt hervorge­ hoben worden. I n der T at unterscheiden sie sich da­ durch, daß in dem einen Falle die Handlungen Aus­ fluß einer ganz bestimmten negativen Sinnesrichtung gegenüber der Rechtsordnung, also typisch für diesen Täter sind, charaktergebunden als Ausfluß seiner Persönlichkeit erscheinen; im anderen Falle sind es Handlungen, die ohne jeden psychologischen Zu­ sammenhang miteinander rein zufallsmäßig in einer Person vereinigt sind. Es ist ganz klar, daß diese ver­ schiedenen Komplexe verschieden behandelt werden müßen, und ich glaube, daß der Gedanke des Herrn Ministers, daß der erste Handlungstypus in sehr engem Zusammenhang mit der fortgesetzten Handlung steht, sehr fruchtbar ist. M an könnte die ganze Frage lösen, ohne Verschiedenheiten zwischen Real- und Jdealkonkurrenz aufzurollen, und könnte es sogar bei dem geltenden Recht lassen, bei Einsatzstrafen, die dann aber nur bei zusallsmäßiger Verbindung von verschiedenen Handlungen zur Anwendung kommen würden, wenn man den Begriff der fortgesetzten Handlung gehörig ausdehnen würde. W ir haben eine gewisse Ausdehnung des Begriffs schon insofern befür­ wortet, als w ir ihn nicht auf den einheitlichen Gesamt­ vorsatz abstellen wollen, sondern auch die Ausnutzung derselben Gelegenheit usw. für genügend ansehen wollen. W ir brauchten nur noch ein Stück weiter zu gehen und bei der fortgesetzten Handlung das Erfor­ dernis derselben Tatbegehung fallenzulassen. Heute und auch nach dem Entwurf kann wegen fortgesetzter Handlung nur der bestraft werden, der immerzu Dieb­ stahl oder immerzu Betrug begeht. Es ist gar nicht einzusehen, warum der Begriff der fortgesetzten Hand­ lung an eine bestimmte Begehungsart geknüpft werden soll. I n der Praxis hat man auch schon in gewisser Beziehung — ich erinnere mich an Kammergerichts­ urteile aus der Zeit der Wirtschaftsgesetzgebung — den Begriff der fortgesetzten Handlung über dieselbe Begehungsart hinaus und über dasselbe Delikt hinaus ausgedehnt, wenn die Handlungen im selben Rahmen lagen, gewissermaßen einem Oberbegriff tatbestandlich unterstanden. Ich. könnte den Begriff der fortgesetzten Handlungen auf gleichartige Delikte überhaupt aus­ dehnen. Also man könnte es für möglich erklären, daß der T äter in Fortsetzungszusammenhang Dieb­ stahl und Hehlerei begeht — das liegt sogar sehr nahe

—, darüber hinaus aber auch andere Eigentums­ delikte; das ist durchaus denkbar. Wenn w ir uns dazu entschließen könnten, würde die ganze Diskussion hier überflüssig sein, denn dann würden gerade die Fälle, die wir unter die Einheitsstrafe bringen wollen, durch den erweiterten Begriff der fortgesetzten Handlung erledigt sein. Ich weiß nur nicht, wie die Kommission über die Ausdehnung des Begriffs der fortgesetzten Handlung denkt. Sehr viel Neigung scheint \a an gewissen Stellen nicht zu bestehen. Herr Reichsge­ richtsrat Niethammer sehnt sogar eine Auflockerung dieses Begriffs der fortgesetzten Handlung und auch des Kollektivdelikts herbei, anscheinend nur aus prozessualen Gründen, aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit. Diese prozessuale Frage hat meines Erachtens mit den Begriffen des materiellen Rechts nichts zu tun. W ir können nicht im materiellen Recht anerkannte und einen Fortschritt bedeutende Begriffe, weil sie die Täterpersönlichkeit in den Vordergrund rücken, nur deshalb auflockern, weil wir prozessual zu materiell gerechten Ergebnissen kommen wollen. Die materiell gerechten Ergebnisse im Prozeß lassen sich auch auf anderem Wege erzielen. Ich hatte gestern schon aus die Möglichkeit hingewiesen, eine Wieder­ aufnahme trotz des Satzes „ne bis in idem " in ge­ wissem Umfang vorzusehen. Ich weiß nicht, ob wir uns dazu entschließen wollen, den Begriff der fort­ gesetzten Handlung auszudehnen. Wenn wir das nicht tun, müssen wir allerdings eine Fassung finden, die diesen ganz bestimmten Typus von Handlungskom­ plexen, den wir der Einheitsstrafe im Falle der Real­ konkurrenz unterstellen wollen, umschreibt. Das ist nur eine Frage der Formulierung. W as w ir wollen, steht ja fest. Nun die Frage der Behandlung der anderen Fälle, in denen also z. B. der Bankier eine Untreue begeht und daneben fahrlässige Körperverletzung. Diese Handlungen sind auf ganz veisschiedenen Feldern ge­ wachsen. Hier gibt es keine einheitliche Täterpersönlichkeit. D as zu sagen, wäre falsch. D as Prinzip der Täterstrafe greift nur im ersten Typus von Fällen Platz. Da müssen wir auch daran festhalten. Da kann ich nicht von der Zufälligkeit ausgehen, ob der Täter 20 oder 30 Handlungen begangen hat, sondern da tritt die Persönlichkeit in den Vordergrund, und da muß ich allerdings eine Täterstrase verhängen. Ich kann aber keine Täterstrafe verhängen wegen Untreue plus fahrlässiger Körperverletzung. Da kann ich höchstens eine Täterstrafe einerseits wegen Untreue und andererseits wegen Körperverletzung verhängen, die einander ganz unvermittelt gegenüberstehen. Hier kann von einer Einheitsstrafe, ja auch von einer Gesamtstrafe nicht die Rede sein. Also der Bankier muß mit 2 Jahren Zuchthaus wegen schwerer Untreue verurteilt werden, außerdem zu einer Hast­ strafe oder zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung. Die beiden Strafen stehen unver­ mittelt nebeneinander. Ich sehe auch kein Bedürfnis, auch keine innere Notwendigkeit, hier auf eine Gesamt­ strafe zu erkennen. Es würde, da beide Taten und beide Strasarten inkommensurabel sind, befremdlich

wirken, wenn man gegen den Bankier, der zwei oder drei Jahre Zuchthaus wegen der schweren Untreue bekommt und wegen fahrlässiger Körperverletzung mit 6 Monaten Hast bestraft wird, eine Gesamtstrafe aus den 6 Monaten Haft und den 3 Jah ren Zuchthaus etwa in der Weise bilden wollte, daß man zu den 3 Jahren Zuchthaus nun noch 2 oder 3 Monate Zucht­ haus hinzunimmt, oder wenn es nur eine kleine Hast­ strafe oder eine Geldstrafe wegen fahrlässiger Körper­ verletzung ist, ihn etwa zu 3 Jah ren und 1 Tag Zuchthaus verurteilen würde. Ich kann hierbei an unser geltendes Recht an­ knüpfen. I n den §§ 75 und 77 S tG B , ist vorge­ schrieben, daß Festungs- und andere Freiheitsstrafen nebeneinander vollstreckt werden, ferner, daß Haft­ strafen neben anderen Freiheitsstrafen selbständig zu vollstrecken sind. E s ist auch vorgeschrieben, daß Geld­ strafen kumulativ neben Freiheitsstrafen zu verhängen sind, während doch sonst die Möglichkeit besteht, Geld­ strafen in Freiheitsstrafen umzuwandeln. I n allen diesen Fällen nimmt das S tG B , von der Bildung einer Gesamtstrafe Abstand. Ich glaube, nicht aus technischen Gründen, weil die Strasarten sich von­ einander wesentlich unterscheiden, tut das der Gesetz­ geber, sondern ich glaube, weil er die verschiedene N atur der verschiedenen Straftaten im Auge hat. Wenn jemand einen Zweikampf begeht, und er würde daneben einen Diebstahl begangen haben, dann kann man nicht eine Gesamtstrafe geben, meint das Gesetz, sondern der M ann hat durch das Duell eine Hand­ lung begangen, die mit custodia h o n esta zu bestrafen ist, während der Diebstahl Gefängnis verdient. Der­ selbe Gesichtspunkt trifft auf unser Bankierbeispiel zu, in dem der Bankier eine Untreue und eine fahrlässige Körperverletzung begangen hat. Diese Taten ent­ ziehen sich auch der Festsetzung einer Einheitsstrafe und ebenso der Bildung einer Gesamtstrafe. Ich wäre also im Anschluß an das geltende Recht da, wo zwei wesensgetrennte Handlungen abgeurteilt sind, dafür, es bei den selbständigen Strafen für jede T at zu belasten, andererseits aber die Gesamtstrafe zu vermeiden. Ich wäre daher dafür, erst die 2 Jahre Zuchthaus und dann eine Woche Haft absitzen zu lasten oder umgekehrt erst eine Woche Haft und dann Zuchthaus. Zu der Additionsfrage brauche ich gar nicht Stellung zu nehmen. Wenn ich die Einheitsstrafe in den Fällen befürworte, in denen typisch gleiche Hand­ lungen vorliegen, und wenn ich bei den anderen Taten, die zufällig nebeneinanderstehen, gar nicht für eine Gesamtstrafe plädiere, sondern die Einzelstrasen dann eben nebeneinandertreten sollen, dann brauche ich mich nicht mit der Frage zu beschäftigen, ob die Einzelstrafen addiert werden sollen, oder ob über die Summe hinausgegangen werden soll. Die prozessualen Schwierigkeiten würden sich ja nun von meinem Standpunkt aus so darstellen. Ich möchte auf der einen Seite sagen: Bei dem zufälligen Nebeneinanderstehen von Taten wie Untreue und Körperverletzung würden gar keine Schwierigkeiten eintreten. Ich will ja nicht einmal eine Gesamtstrafe

für diese Fälle. I n den anderen Fällen, wo ich für eine Einheitsstrafe unter Anlehnung an den Ge­ danken der fortgesetzten Handlung eintrete, würde keine neue Schwierigkeit gegenüber dem geltenden Recht auftauchen, denn ganz dieselben Schwierig­ keiten, die sich bei der Einheitsstrafe für wesensgleiche realkonkurrierende Handlungen zeigen werden, zeigen sich heute schon bei der fortgesetzten Handlung, bei welcher wir mit den prozessualen Schwierigkeiten stets fertig geworden sind. Diese Schwierigkeiten bieten nicht den geringsten Grund, dem Grundgedanken der Zusammenfassung der T at unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Täterpersönlichkeit irgendwie un­ treu zu werden. Dieser Gedanke leitet den Begriff der fortgesetzten Handlung, der Gedanke leitet auch den § 154 S tP O . (Wegfall von Serien- und Monstreprozesten) und leitet auch die Bildung einer Einheits­ strafe für mehrere zwar rein handlungsmäßig selb­ ständige, psychologisch aber einander wesensgleiche Handlungen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn ich Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer recht verstanden habe, so sieht er die beklagenswerten Zustände, die ihn zu dem Wunsch einer Auflockerimg der fortgesetzten Handlung treiben, in den Wirkungen der Konsumtion. D as ist das prozessuale Problem. Proseffor Dr. Graf Gleispach: Herr* Reichsminister, S ie haben heute die Aus­ sprache eröffnet mit dem Ruf an alle, ein praktisches Beispiel von dem Gesichtspunkt der Einheitsstrafe aus zu behandeln. Gestern sind die Fahnenträger dieser Auffastung in einer alle Erwartungen über­ treffenden Weise immer zahlreicher geworden, und heute bietet sich das merkwürdige Bild, daß vor diesem Beispiel fast alle die Fahne eingezogen haben. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß ich den Herrn Kollegen Dahm dazu nicht rechne, denn er hat dazu überhaupt keine Fahne entrollt. Aber ich möchte doch versuchen, ein Urteil zu skizzieren, wie es in diesem Beispiel meiner Aussastung nach zu fasten wäre. Erstens: Erörterung der Schuldfrage bei der schweren Untreue und dann bei der fahrlässigen Körperverletzung, der Annahme nach jedesmal abschließend mit einer Ver­ urteilung. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß ich nicht nur in den Fällen der Realkonkurrenz, sondern auch in den Fällen der Jdealkonkurrenz immer wegen aller der Tatbestände die Verurteilung im Schuldspruch aussprechen würde, die eben in diesem der Beurteilung des Richters unterworfenen Lebensausschnitt des Ver­ urteilten zu finden sind, also auch in den Fällen der Jdealkonkurrenz im Gegensatz zu dem, was Herr Staatssekretär Dr. Freister früher ausgeführt hat. Ich würde dann, um die Bemessung der Einheitsstrafe zu rechtfertigen, hier gewiß mit dem schweren Delikt der erschwerten Untreue beginnen und versuchen, im Rahmen des Tatbestandes, also genauer gesagt des durch den Tatbestand bestimmten Tätertypus, die er­ schwerenden und mildernden Umstände des Falles herauszustellen. Dann würde ich zu der Tatsache übergehen, daß das einheitliche Individuum auch eine

fahrlässige Körperverletzung begangen hat, und würde wiederum versuchen, hier im Rahmen des durch den Tatbestand gegebenen Tätertypus die Psyche des Täters zu ermitteln, die sich aus dem Tatbild ergibt. Nun ist es meines Erachtens ganz unmöglich zu sagen: Daß diese zwei Taten zusammenkommen, ist kein Zufall, sondern das liegt an der Gestaltung der Persönlichkeit, die man nicht als etwas Zufälliges be­ trachten kann, wenn man sie strafrechtlich als eine gegebene Größe zu bewerten hat. Etwa angenommen, daß die Bewertung der Untreue eine sehr starke Aus­ beutung, eine Verletzung des Grundsatzes, daß Ge­ meinnutz vor Eigennutz geht, ergibt, ein besonders gewisienloses Handeln, einen besonderen Mißbrauch des Vertrauens, das man in den Täter gesetzt hat; dazu kommt als weiterer Zug hinzu, daß dieser M ann, sagen wir, um das Vergnügen besonders raschen Fahrens zu genießen, ganz ohne Bedenken die Sicher­ heit seiner Mitmenschen aufs Spiel setzt, und daß sich ein hoher Grad dieser Gefährdung durch E intritt der Körperverletzung herausgestellt hat. Ich würde also sagen: E s zeigt sich, daß dieser Mensch nicht nur aus dem Streben nach rechtswidrigem Gewinn heraus andere schädigt, sondern daß er derart veranlagt ist, daß er auch auf anderen Gebieten, um anderer Genüße willen und dergleichen gefährlich handelt. Ich glaube, daß ich hier den Gedanken des Tatbestandsstrasrechts, den der Herr Kollege Dahm ja stark unterstrichen hat, nicht verlasse, wenn ich hier zu einer ganz allgemeinen Bewertung der Persönlichkeit über­ gehe, daß ich aber doch sehr wohl imstande bin, die Einheitsstrafe, zu der ich schließlich komme, auch hier genau so zu begründen, wie das in einem Fall erforderlich ist, wo überhaupt nur eine T at zur Abur­ teilung steht. D as wäre ungefähr der Ausbau der Strafbemessung in diesen Fällen. Nun möchte ich weiter noch hervorheben — das hat Herr Vizepräsident G rau auch schon in seinen Ausführungen anklingen lassen — , daß man bei der Einheitsstrafe vermeidet, daß nacheinander ganz ver­ schiedenartige Freiheitsstrafen ausgesprochen werden und vollzogen werden müssen. Ich würde nicht so sehr aus die praktischen Schwierigkeiten hier hinweisen, es sei nicht ohne weiteres möglich, den M ann aus dem Zuchthaus für kurze Zeit in die Hast zu bringen. Nur frage ich mich, ob das mit dem Grundgedanken der Unterscheidung dieser zwei oder, wenn man will, drei Typen von Freiheitsstrafen überhaupt vereinbar ist. Wenn ich jemand zu Zuchthaus verurteile, will ich ihn damit für längere Dauer als ehrlos anerkennen — das ist als Zweck ganz besonders unterstrichen worden — ; ich will meines Erachtens damit auch sagen, daß er einer Strasbehandlung durch die Haft gar nicht würdig ist. Die Entehrung, die durch Zucht­ hausstrafe ausgesprochen wird, soll ja das Ende der Strafzeit durchaus überdauern, und es scheint mir nun ein absoluter Widerspruch mit dieser Idee, daß jemand auf ein J a h r ins Zuchthaus und dann etwa für 10 Tage in die Hast kommen würde. D as kann man aber nur vermeiden, wenn man hier nicht trennt, sondern für die einheitliche Persönlichkeit des Täters

eine einheitliche Strafe für all die Taten zur Ver­ fügung stellt, die überhaupt abzuurteilen sind. Worauf es mir also eigentlich ankäme, ftttb zwei Dinge. Erstens, daß man die Einsatzstrafe vermeidet, und zweitens, daß man eine Einheitsstrafe verhängt und hier nicht trennt, wobei ich ohne weiteres zugebe, daß es richtig sein kann, neben einer Freiheitsstrafe eine Geldstrafe zu verhängen; das liegt auf einem anderen Gebiet. Aber daß das System der Einsatzstrafe zu unmöglichen Ergebnissen führt, zeigen ja die Urteile des geltenden Rechts, wo jemand zu Todesstrafe und Freiheitsstrafe und noch anderen Strafen verurteilt wird, und da möchte ich wohl die Behauptung wagen, daß kein Mensch, der nicht raffinierter Jurist ist, ein solches Urteil überhaupt versteht, und daß diese Urteile im Volk geradezu als unverständlich betrachtet werden. Nun sieht der Entwurf ja Sonderbestimmungen vor, um solche Ergebnisse zu beseitigen. Gerade das beweist aber, daß das Prinzip eben falsch ist, wenn man für gewisse Fälle Sonderbestimmungen machen muß, um derlei Korrekturen zu erzielen. Ich möchte nicht auf die prozessualen Schwierig­ keiten usw. eingehen, möchte nur eins sagen. Ich glaube, die Schwierigkeiten, die heute bei Aburteilung gewerbsmäßiger, fortgesetzter Verbrechen usw. ein­ treten und aus einer sehr starren Auffassung der Rechtskraft des Urteils oder, wie der Herr Minister früher deutlicher sagte, der konsumtiven Wirkung des Urteils erwachsen, könnte man doch wesentlich be­ schränken, wenn man bei solchen Aburteilungen genau Ort und Zeitraum bezeichnet, auf die sich das Urteil bezieht, so daß dann auch die Rechtskraft nicht weiter­ gehen dürfte. (Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as be­ rührt sich mit dem Niethammerschen Vor­ schlag!) Professor Dr. Kohlrausch: Ich bin heute, da ich gestern nicht zuhören konnte, verhältnismäßig unbelastet in die Diskussion einge­ treten und kann nicht leugnen, daß die eingehenden Ausführungen von Herrn Ministerialrat Lehmann mir zunächst großen Eindruck gemacht haben. Aber ich bin doch zu demselben Standpunkt gekommen, den ich in der ersten Lesung eingenommen habe, daß wir die prozessualen Schwierigkeiten irgendwie überwinden und hier zunächst strafrechtlich und kriminalpolitisch das Richtige finden müssen. Wenn wir davon aus­ gehen, dann möchte ich folgendes sagen: erstens, daß die Fälle der Ideal- und Reaüonkurrenz getrennt be­ handelt werden müssen. Wie ich heute sehe, scheint das ja jetzt allgemeine Meinung zu werden. Ich habe schon in der ersten Lesung gesagt — genau was heute Herr Professor Dahm sagte — , daß es doch für die Bewer­ tung der Persönlichkeit etwas geradezu artmäßig anderes ist, ob sich jemand z. B. an drei weiblichen Wesen vergangen hat — einmal mit seiner Tochter verkehrt, dann eine zweite F rau genotzüchtigt, und dann in einem dritten Falle öffentlich Ärgernis erregt hat — , oder ob das alles bei einer F rau in Idealkonkurrenz zusammentrifft. Also daß Jdealkonkurrenz und Realkonkurrenz getrennt werden müssen, ist für

IS mich eigentlich eine Selbstverständlichkeit, und es scheint ja, daß die Entscheidung auch in dieser Weise fallen wird. Ich beschranke mich nun auf die Realkonkurrenz, und da stimme ich weitgehend mit dem überein, was Herr Staatssekretär D r. Freister und namentlich wohl auch Herr Präsident G rau ausgeführt haben, bis zu einer gewissen Linie auch mit dem, was Herr P ro ­ fessor Dahm ausgeführt hat. Aber ich gehe noch über diese Linie hinüber. Es sind zwei Erwägungen, die mich dazu veran­ lassen, hier zu einer Gesamtstrafe zu kommen, von den schon ausgeführten abgesehen. Die eine ist die, daß meiner Meinung nach Zuchthaus und Gefängnis nie zusammengezogen werden sollten. W ir verwischen sonst die scharfe Unterscheidung, die w ir zwischen Zuchthaus und Gefängnis machen wollten und die neulich die Unterkommission im Anschluß an die Aus­ führungen des Herrn Staatssekretärs D r. Freister im kommenden Strafrecht zu formulieren versucht hat. W ir verwässern diese Unterscheidung, wenn wir sagen: E s besteht die Möglichkeit, eine Strafe, die sich, einzeln gesehen, etwa aus zwei Jahren Zuchthaus und drei Monaten Gefängnis zusammensetzt, in eine Strafe von 2 Jahren und 1 M onat Zuchthaus zusammenzu­ ziehen. — D as ist das eine, wovon ich ausgehe. Das zweite ist, daß die Festsetzung von Einzelstrasen für die einzelnen Taten und die nachherige Bildung einer Gesamtstrafe notwendig zu einem Taxensystem führen muß. Ich glaube, mich damit besonders in Überein­ stimmung mit Herrn Präsident Grau zu befinden. Wenn ich nicht bei den Einzelstrafen schon berück­ sichtigen darf, daß der Täter auch noch andere Taten ähnlicher oder anderer Art begangen hat, dann komme ich zu einem Taxensystem, wonach ich sage: Ein erst­ maliger Einbruchsdiebstahl ist soundso viel wert, eine Beleidigung pflegt in Moabit soundso viel zu kosten usw., und ich komme dann hinterher an Hand irgend­ welcher Berechnungsmaßstäbe, die sich auch gewohn­ heitsmäßig herausbilden, zu einer Erhöhung der ver­ wirkten schwersten Strafe. D as halte ich für uner­ träglich. Davon müssen wir los. W ir müssen zu einer Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit des Täters kommen, und bei dieser Beurteilung läßt sich gar nicht vermeiden, daß wir sofort die verschiedenen Taten in­ einanderrechnen. E s fragt sich nur, wieweit wir bei diesem Jneinanderrechnen gehen dürfen oder inwie­ weit wir der Tatsache Rechnung tragen müssen, daß unter Umständen die Taten so verschieden sind, daß w ir sie nicht ineinanderrechnen können. Um das so viel gebrauchte Beispiel der schweren Untreue und der fahrlässigen Körperverletzung anzuwenden: Das können w ir nicht ineinanderrechnen. E s ist ja sehr interessant, was Herr Gras Gleispach sagte; aber den Gesichtspunkt so hoch zu bewerten, daß man sagt: Bei dem M ann geht der Eigennutz restlos vor dem Ge­ meinnutz, gleichviel ob er sich geschäftlich betätigt oder Auto fährt, ist doch auch nicht angängig. W ir müssen von der Frage ausgehen: Welche S tra fa rt hat der T äter verdient, und zwar können wir zunächst ruhig die Frage stellen: Welche Strafe hat der Täter

meinetwegen für die einzelne T at verdient? D as läßt sich sehr wohl sagen. D a bin ich eben der M ei­ nung, daß der Täter unter Umständen für eine T at, die, einzeln betrachtet, nur Gefängnis wert wäre, i n d i e s e m Z u s a m m e n h a n g schon Zuchthaus ver­ dient hat, daß w ir die einzelne T at unter Umständen schon im Hinblick auf dieses Gesamtpersönlichkeitsbild bewerten müssen, das dem Richter vorgeführt wird. Ich glaube, daß man das auch gesetzgeberisch zum Ausdruck bringen könnte. Ich habe folgende Form u­ lierung versucht: „Hat jemand mehrere selbständige Handlungen begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, so kann auf eine Gesamtstrafe erkannt werden, wenn für jede der Taten die gleiche S trafart ange­ messen erscheint oder wenn auch die Taten, für die gesetzlich eine leichtere S tra fa rt angedroht ist, nach dem Gesamtverhalten des Täters eine Strafe der schwereren A rt verdienen. Liegt keine dieser Voraussetzungen vor, so sind die Taten einzeln zu bestrafen". — Die Beispiele, die ich mir dabei gedacht habe, wären folgende. 1. Fall: schwere Untreue und fahr­ lässige Körperverletzung, die aber so ist, daß w ir sie sühnen zu müssen glauben. D a würde ich sagen: der Angeklagte wird wegen schwerer Untreue zu zwei Jahren Zuchthaus und wegen fahrlässiger Körperver­ letzung zu zwei Monaten Gefängnis oder Haft ver­ urteilt. 2. Fall: drei Fälle schwerer Untreue. Hier bin ich der Meinung, daß es nicht mehr möglich ist, zu sagen, der erste Fall verdient x Monate oder Jahre, der zweite y, der dritte z. D as kann man nicht, wenn man bei dem ersten F all daran denkt, daß der Täter auch den zweiten und dritten begangen hat, und beim zweiten daran denkt, daß er auch den ersten und dritten begangen hat usw. Ich würde hier den Richter von der Ausgabe entheben, hier überhaupt Einzel­ strafen auch nur theoretisch auszusprechen, obwohl ich mir der prozessualen Schwierigkeiten bewußt bin, sondern ich würde sagen: der Angeklagte wird wegen dreier Fälle schwerer Untreue z. B. zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. I n der Begründung kann dann entsprechend ausgeführt werden, was sich für eine Persönlichkeit aus diesem Gesamtverhalten ergeben hat, auch wenn es keine fortgesetzte S traftat war. Aber zu sagen: die erste T at ergibt ein Ja h r, die zweite 6 Monate, die dritte 3 Jahre, macht zusammen 4 Jahre, das ist eine unehrliche Begründung. Denn darüber sind wir uns doch klar, daß viele Gerichte von dem Resultat ausgehen. Und die, die das tun, haben nicht einmal Unrecht. Die anderen treiben Mathe­ matik. S ie sind zwar gesetzestreu, aber treu einem Gesetz, welches eine einem Proportionalitätsgedanken, einem Taxensystem huldigende Straffestsetzung ver­ langt, das wir nicht anerkennen. Ich finde es durch­ aus richtig, wenn der Richter sagt: Ich will drei Jahre Zuchthaus geben, wie ich das nachher herausrechne, damit es formell stimmt, das wird sich schon bei der Begründung im Beratungszimmer ergeben. Aus dem Zustand, daß ein solches Verfahren eigentlich gesetz­ widrig ist, müssen wir den Richter befreien.

3. Fall: zwei Einbruchsdiebstahle und zwei ein­ fache Diebstähle. Hier liegt die Sache wahrscheinlich so, daß jene einfachen Diebstähle in der Gesamt­ persönlichkeit dieses Täters auch als zuchthauswürdig erscheinen, was nicht der F all wäre, wenn sie allein be­ gangen wären. Da würde ich sagen: Der Angeklagte wird wegen dieser vier Diebstähle zu soundso viel Zuchthaus verurteilt, ohne daß ich zu sagen brauche: an sich sind die Taschendiebstähle nur Gefängnis wert. Der letzte Fall ist der, wo die Taten nicht so eng juristisch zusammenhängen, wie einfacher und schwerer Diebstahl, aber doch enger als bei der Untreue und der fahrlässigen Körperverletzung. Herr Kollege Dahm hat das Beispiel gebraucht: ein Zuhälter begeht Dieb­ stähle. Hier bin ich der Meinung, daß diese typischen Zuhälterdiebstähle — Taschendiebstähle usw. — der­ artig mit seiner Zuhältertätigkeit in Zusammenhang stehen, daß die Zuhälterstrafe auch für diese Zuhälter­ diebstähle paßt, obwohl wir Zuhälterdiebstahl nicht als Tatbestand, auch nicht als erschwerten Tatbestand im Besonderen Teil kennen. Wenn solche Zuhälterdiebstähle begangen sind, würde ich nicht wie bei dem Bankier mit der schweren Untreue und der fahrlässigen Körperverletzung sagen: zwei Jah re Zuchthaus und zwei Monate Gefängnis, sondern ich würde sagen: der Angeklagte wird wegen Zuhälterei und wegen dreier Diebstahlsfälle zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Der prozessualen Schwierigkeiten bin ich mir na­ türlich bewußt. Aber es sind auch von Herrn Reichs­ gerichtsrat Niethammer selbst schon Vorschläge ge­ macht worden, wie man die Aufgabe des Revisions­ gerichts etwas lockern könnte. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe den Eindruck, die Linien unserer Be­ trachtung nähern sich doch einem gewissen Schnitt­ punkt. D as kann man auch nach den Ausführungen der Herren Professor Graf Gleispach und Professor Kohlrausch sagen. Nicht mitmachen kann ich dieses Hinaufklettern bis zur Kirchturmspitze — dieses Bild habe ich einmal bei der Analogie gebraucht — , das Herr Graf Gleispach uns an dem Fall des Bankiers gezeigt hat. Wie würden S ie sich nun zu folgendem Beispiel stellen. Ein SA .-M ann begeht zugunsten eines Unterführers einen vorsätzlichen Meineid, und der­ selbe SA.-M ann, der als Blockwart für die N S Volkswohlfahrt sammeln muß, begeht in dieser Eigenschaft zuungunsten dieser Kaffe eine Unter­ schlagung oder Veruntreuung. Wie müßte nach Ih re r Meinung da der Generalnenner lauten? Ich glaube, es würde doch sehr schwierig sein, hier einen Generalnenner zu finden. Da würde man am Schluß vielleicht sagen: Na, der kümmert sich eben um die Rechtsordnung nicht. Wo ist da das Gemeinsame, was man für die Beurteikrng des T äters noch herausdestillieren kann? Professor Dr. Graf Gleispach: Der Täter der Unterschlagung allein würde wahr­ scheinlich als ein ganz verabscheuungswürdiges In d i­

viduum erscheinen. Und nun kommt eine neue Farbe dazu: der Meineid zugunsten seines Vorgesetzten. Es ist schwer, das in ein paar Strichen zu behandeln. M an müßte untersuchen, was das Motiv für ihn war, vielleicht daß er glaubte, die Verdeckung der Unter­ schlagung zu erreichen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nein, das hängt nicht zusammen. D as eine spielt in einem Prozeß, der Jahre zurückliegt; das andere, diese Veruntreuung oder dergleichen, liegt in der neuesten Zeit. Da ist es doch schwer, auf eine solche Gleichung abzukommen und zu sagen: Der Mann denkt eben immer nur an sich, einmal auf vermögens­ rechtlichem Gebiet und dann auch bei der Achtung des Lebens eines anderen. Daß unsere Linien sich einem Schnittpunkt nähern, scheint mir auch aus den Ausführungen von Herrn Professor Kohlrausch hervorzugehen. Eine Frage ist noch wichtig: Kann man denn an einem M ann, der zu einer schweren Zuchthausstrafe verurteilt ist, nachher noch eine Haftstrafe oder eine Gefängnisstrafe, eine Geldstrafe oder Festungshaft vollstrecken? Da muß ich allerdings sagen, daß der­ jenige, der das Strafrecht sehr stark auf die sittliche Abwertung der Persönlichkeit projiziert, eigentlich nicht dazu kommen kann, daß er dem M ann, den er wegen einer S traftat für zuchthauswürdig hält, wegen einer anderen S traftat eine andere Strafe auferlegt. Aber im Grenzfall ließe sich folgende Meinung sehr wohl vertreten: Der, der wegen der schweren Untreue zu Zuchthaus verurteilt worden ist, erhält wegen der fahrlässigen Körperverletzung nicht Gefängnis, sondern man ahndet sie durch einen Annex der Zuchthausstrafe. D as scheint mir durchaus möglich zu sein. Es ist ja auch im geltenden Recht so. Ich sehe jetzt die Aufgabe, die wir haben, darin, den Gedanken, der jetzt verschiedentlich ausgedrückt worden ist, und den ich — ich bitte das nicht als Form alismus aufzufassen — immer wieder sehe als eine Erweiterung dessen, was wir uns unter fortge­ setzter Handlung vorstellen, gesetzgeberisch einzufangen. Bor meinem Auge steht folgendes Bild: Das, was wir heute fortgesetzte Handlung nennen, spielt sich in den Elementen im Erdgeschoß ab; aber das muß etwas Gleichartiges sein. E s kann nur einen fortge­ setzten Diebstahl oder Betrug geben. W ir müssen uns fragen, ob wir bei der Vorstellung einer fortgesetzten Handlung, wie wir sie uns denken, nicht doch ein Stockwerk höher gehen können und müssen, wobei ich wieder die Warnung aussprechen muß, nicht auf den Dachgiebel zu steigen und die Gleichung nicht da zu suchen, wo man bloß noch sagen kann: Verletzung des Rechts. Ich würde vorschlagen, diese Besprechungen jetzt abzubrechen und bis zur nächsten Tagung allen Kommissionsmitgliedern eine Fassung zuzuschicken, die wir nach den bisher entwickelten Gedankengängen uns überlegen werden. W ir könnten uns dabei gleichzeitig die prozessualen Wirkungen überlegen, obwohl ich selber der Meinung bin, daß diese Frage gar nicht von

ausschlaggebender Bedeutung ist. Wenn w ir die fort­ gesetzte Handlung ein wenig ausweiten, dann kommen w ir zu denselben Fragen, die wir jetzt schon bei der fortgesetzten Handlung stellen müssen. Ich sehe, wie ich schon gesagt habe, die Lösung hauptsächlich in der Beseitigung der Konsumtion. D as bereitet keine wesentlichen Schwierigkeiten. Die Frage ist nur, ob es gelingt, dieses erste Stockwerk richtig zu bezeichnen, also das, was wir jetzt leichthin als Wesensgleichheit bezeichnen, in eine gesetzgeberische Sprache zu bringen. Ich habe das Gefühl, daß w ir auf diesem Wege zu einer Lösung kommen könnten, die von jedem Gesichts­ punkte aus, auch von dem der Gerechtigkeit aus, gut wäre. Natürlich bleiben immer gewisse Nebenfragen übrig. E s ist ja stets ein Zufall, daß diese zwei oder drei Handlungen, die ganz verschieden sind, aus ein­

mal zur Aburteilung kommen; d as hätte ja auch in verschiedenen Verfahren geschehen können. Hier handelt es sich im letzten Grunde um den Mangel, daß wir nicht allwissend sind, denn sonst würde das nicht passieren. Alle die Fragen, die sich ergeben, wenn die Taten nacheinander zur Aburteilung kommen, wenn ein Urteil rechtskräftig ist, das andere nicht, wenn eine Strafe verbüßt ist, die andere nicht, können nicht gelöst werden, solange es nicht möglich ist, dem Menschen anzusehen, welche Schuld er in seinem Herzen trägt. Da gibt es nur relativ gute Lösungen, eine absolute Lösung überhaupt nicht. (Hierauf macht Ministerialdirektor Schäfer Mitteilungen über die geschäftlichen Disposi­ tionen der Strafrechtskommission.)

(Schluß der Sitzung 13 Uhr 25 Minuten.)

Strafrech tskommiffion

73. Sitzung 20. Juni 1935 (Hahnenklee) Zweite Lesung Inhalt Die Maßregeln der Sicherung, Besserung und Heilung Reichsjustizminister Dr. Gürtner 1, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25 Berichterstatter Reichsgerichtsrat Niethammer 1, 6, 9, 12, 19, Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch 3, 8, 9, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 25 Ministerialdirektor Schäfer 4, 6, 7, 9, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 23, 24 Staatssekretär Dr. Freister . . .4, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 6, 8, 11, 13, 16 Professor Dr. D a h m ..................................................................6, 24 Senatspräsident Professor Dr. K lee............. 7, 13, 18, 22. 25 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack 8 ,9 ,1 2 ,1 4 ,1 7 ,2 2 Professor Dr. Graf Gleispach...............................................10, 19 Ministerialrat Rietzsch..............................................................11, 16 Professor Dr. N agler..................................................................... 12 Professor Dr. Schaffstein.......................................13, 14, 18, 20 Landgerichtspräsident Dr.L orenz................................................14 Professor Dr. M ezger............................................................. 16, 20 Landgerichtsdirektor Leim er.........................................................17 Professor Dr. Henkel..................................................................... 24

(Aussprache abgebrochen) Beginn der Sitzung 10 Uhr 5 Minuten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Meine Herren, ich heiße S ie zur Fortsetzung der Beratungen herzlich willkommen. Ich habe keinen anderen Wunsch, als daß unsere jetzigen Beratungen so vortrefflich ausfallen mögen wie die bisherigen. Die Änderungen in der Besetzung der Kommission, die sich in den letzten Tagen ergeben haben, habe ich den Herren schon bekanntgemacht. Heute begrüße ich als neues Mitglied Herrn Professor Henkel. W as den Stoff anbelangt, so habe ich mich ent­ schlossen, nicht mit der Besprechung der Konkurrenz fortzufahren. Ich habe den Eindruck, daß es zweckmäßiger wäre, diese Frage zunächst in engerem Kreise klarzustellen. Der Gedanke, die fortgesetzte Handlung etwa nach der Richtung der gewerbs- und gewohnheitsmäßigen Delikte hin zu erweitern, hat sich bis jetzt nicht in eine

Fassung bringen lassen. F ü r heute hatte ich mir vor­ genommen, zunächst die Maßregeln der Sicherung und Besserung, in unserem gedruckten Entwurf die §§ 423 ff., zu behandeln, und darf die Herren Bericht­ erstatter Niethammer und Kohlrausch bitten, dazu das Wort zu nehmen. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ein Bericht über die Maßregeln der Sicherung und Besserung muß unterscheiden zwischen der Ein­ ziehung einerseits und den sonstigen Maßregeln andererseits. F ü r die Einziehung steht fest, daß sie im neuen Strafgesetzbuch eine völlig neue Gestalt erhalten muß. Die Meinungen darüber, wie diese Neugestaltung erfolgen soll, gehen aber wesentlich auseinander. Ich werde daraus noch zurückkommen. I m übrigen handelt es sich , nur um einen Ausbau der Novelle vom Jah re 1933, deren einzelne Be­ stimmungen klarer zu gestalten sind und untereinander besser in Einklang gebracht werden müssen. Grund­ sätzliche Fragen treten hier zurück. Soweit sachliche Änderungen zu erwägen sind, kann es sich, wie die Erfahrung der Rechtsprechung, insbesondere des Reichsgerichts, lehrt, jedenfalls nur um eine E in­ schränkung des geltenden Rechts handeln, eine Aus­ dehnung kommt nicht in Betracht. E s ist bekannt, daß die Gerichte bisher mit der Novelle allzu heftig ver­ fahren sind, und daß dem das Reichsgericht ständig hat entgegentreten müssen. Ich komme nun zu den einzelnen Bestimmungen und beginne mit § 423: Hier schlage ich vor, die Reihenfolge in der Be­ nennung der Maßregeln zu ändern und dadurch besser zu ordnen. Die Schutzaufsicht gehört ihrem Wesen nach unmittelbar hinter die drei Maßregeln, an deren Stelle sie vorläufig treten kann, also vor die E nt­ mannung, die Untersagung der Berussausübung und die Einziehung. Ich werde in meinem weiteren Be­ richt eme neue Bestimmung (§ 432 a) über die Schließung des Geschäftsbetriebs vorschlagen. Diese Maßregel muß dann zusammen mit der Untersagung der Berussausübung genannt werden, mit der sie dem Wesen nach zusammengehört. Schließlich würde ich im § 423 nicht von der Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher, sondern nur von der E nt­ mannung sprechen, weil die Worte „gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher" hier überflüssig sind. Zu § 424 (Sicherungsverwahrung) darf ich dar­ aus hinweisen, daß bei der Auslegung des § 4 2 e des geltenden Rechts der Zweifel aufgetaucht ist, ob die Sicherungsverwahrung auch ausgesprochen werden kann, wenn das Gericht den § 20 a S tG B , nicht ange­ wendet hat. D as Reichsgericht hat entschieden, daß auch in solchen Fällen die Sicherungsverwahrung zulässig ist. Nach dem W ortlaut ist dies nicht ganz zweifelsfrei; um diesen Zweifel zu beseitigen, schlage ich vor, in § 424 lediglich § 412 in Klammer zu setzen und nicht zu sagen „wird jemand nach § 412 als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher verurteilt". § 425 (Unterbringung in einem Arbeitshaus) be' bars einer Ergänzung. Entsprechend der Anregung

der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums muß die Verurteilung zu Freiheitsstrafe nach § 66 unter die Gründe für die Anordnung der Unterbringung in einem Arbeitshaus aufgenommen werden. Mein Vorschlag zu § 426 schließt sich ebenfalls an die Anregungen der Sachbearbeiter des Ministeriums an. Während § 42 c des geltenden Rechts sagt „wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das mit einer solchen Gewöhnung in ursächlichem Zusammenhang steht", schlage ich eine Verbesserung der Fassung dahin vor, daß gesagt wird „wegen einer T at, die in einem solchen Hang ihren Grund hat", um z. B. auch die Fälle zu ersassen, die sich als Betrug zur Erlangung des Rauschgiftes darstellen. § 427 über die Unterbringung in einer Heil- und Pslegeanstalt bedarf meines Erachtens einer völligen Umarbeitung. Der § 42 b des geltenden Rechts ist nach Ansicht des Reichsgerichts in der Rechtsprechung nicht richtig angewendet worden. Ich darf auf einen Fall verweisen, der kürzlich dem Reichsgericht zur Ent­ scheidung unterbreitet worden ist und der die fehler­ hafte Auffassung über § 42 b erkennen läßt. Der T äter war ein verblödeter Mensch, der in seinem Dorf nur zum Viehhüten verwendet werden konnte. Im Februar des Jahres zündete ex aus freiem Feld dür­ res Reisig an. Die Staatsanwaltschaft griff ein und wollte auf Grund des § 42 b die Unterbringung des Täters in einer Heilanstalt durch gerichtlichen Spruch herbeiführen. W ir beim Reichsgericht waren aber der Meinung, daß für solche Fälle § 42 b nicht geschaffen ist, daß hier regelmäßig die Verwaltungsbehörde ein­ zugreifen hat. Die gerichtliche Anordnung soll hier nur die Ausnahme bilden, wenn insbesondere die Zurechnungsunfähigkeit nicht von vornherein feststeht, son­ dern erst im Lause des Verfahrens hervortritt und Freispruch erfolgen muß. Die Fälle, in denen in einem selbständigen Verfahren gegen einen Zurech­ nungsunfähigen vorgegangen wird, sollten selten sein. Ich halte eine weitgehende Zurückhaltung des Gerichts für notwendig, weil es sich um Aufgaben der Ver­ waltungsbehörde handelt. Deshalb schlage ich eine durchgreifende Änderung des § 427 vor, insbesondere hinsichtlich des Aufbaus. Da die Fälle der vermin­ derten Zurechnungsfähigkeit die Regel bilden, das selbständige Verfahren gegen Zurechnungsunsähige regelmäßig außerhalb des gerichtlichen Aufgaben­ kreises liegt, würde ich auch im Aufbau der Bestim­ mung die ersteren Fälle im ersten Absatz voranstellen, die Ausnahme im zweiten Absatz folgen lassen, und zwar lediglich als Kannvorschrift. F ü r die Fälle des zweiten Absatzes kommen aber dann nicht alle Fälle der Zurechnungsunfähigkeit, sondern nur die der Geisteskrankheit und der mit Taubstummheit verbun­ denen geistigen Mangelhaftigkeit in Betracht. Es ist zweifelsfrei, daß die Zurechnungsunfähigkeit des Kindes oder des Jugendlichen überhaupt nicht hierher gehört; das muß auch in der Fassung klargestellt werden. Zu § 428 über die Dauer der Unterbringung habe ich nur Vorschläge zu machen, die auf eine äußere Um­ arbeitung hinzielen. I n Abs. 5 Satz 2 möchte ich klar­

stellen, daß es sich hier nur um die Fälle des Abs. 3 handeln kann. Die Zwischenprüfung soll nicht erfaßt werden. I m Endersolg bedeutet das keine sachliche Änderung. Von anderer Seite ist zu § 428 ferner vor­ geschlagen worden, dem Vollstreckungsgericht zu er­ möglichen, eine andere Maßregel zur Anwendung zu bringen, als das erkennende Gericht angeordnet hat. Ich halte das nicht für richtig; gegen eine solche Vor­ schrift bestehen meines Erachtens durchgreifende Be­ denken. D as erkennende Gericht ist stets zur Prüfung der Frage verpflichtet, ob bei der Persönlichkeit des Täters die Anordnung mehrerer Maßregeln neben­ einander erforderlich ist, oder ob eine von ihnen ge­ nügt. Wird ein Urteil, das nur eine Maßregel an­ ordnet, rechtskräftig, so ist es nicht möglich, später ein neues Verfahren mit dem Ziel der Anordnung einer weiteren oder einer anderen Maßregel einzuleiten. Wenn das aber selbst einem neuen Hauptverfahren verwehrt ist, so würde ich es für bedenklich halten, im Vollstreckungsverfahren eine solche Erlaubnis zu er­ teilen, ihm zu gestatten, aus ganz anderem tatsäch­ lichen Boden eine Änderung der auf Grund der Hauptverhandlung getroffenen Entscheidung eintreten zu lassen. Ich verkenne keineswegs, daß bei den M aß­ regeln der Sicherung und Besserung der Grundsatz der Rechtskraft schwächer sein muß als bei der Ver­ hängung der Strafe. Eine Abänderung des gericht­ lichen Beschlusses durch die Vollstreckungsbehörde halte ich aber für mißlich, weil dieser die sicheren M ittel der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung stehen. Ich darf darauf hinweisen, daß dies die einhellige M ei­ nung der Mitglieder des Reichsgerichts ist. Zu § 429 will ich mich darauf beschränken, das ein­ zuarbeiten, was die Sachbearbeiter des Ministeriums vorgeschlagen haben. § 430 über die Schutzaufsicht wendet sich lediglich an das Vollstreckungsgericht. D as ergibt sich aus dem Wort „aussetzen". Aussetzen bedeutet die Unter­ brechung einer Maßregel, deren Vollzug bereits be­ gonnen hat. Ich frage mich, ob es sich nicht empfiehlt, auch dem erkennenden Gericht die Möglichkeit des Auf­ schubs zu geben, also eine dem § 456 d S tP O , ähnliche Vorschrift zu schaffen. Meines Erachtens wäre das zweckmäßig. Wenn das gebilligt wird, wäre dieser Gedanke in § 430 einzuarbeiten. Ich schlage ferner eine neue Bestimmung § 430 a vor, in der ausge­ sprochen wird, daß die Maßregeln des Arbeitshauses, der Trinkerheilanstalt, der Heil- und Pslegeanstalt und der Schutzaufsicht auch selbständig angeordnet werden können, wenn das Strafverfahren gegen den Beschuldigten undurchführbar ist. E s muß nämlich mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß ein S tra f­ verfahren gegen den Beschuldigten nicht durchgeführt werden kann, daß aber die Anordnung einer der zuvor bezeichneten Maßregeln zweckmäßig und begründet ist. Ich denke hier vor allem an die Fälle der Gewährung von Straffreiheit. Hier muß die Möglichkeit des selbständigen Sicherungsverfahrens eröffnet werden. Es handelt sich also um eine Ausdehnung des Ge­ dankens, den schon der § 427 enthält, indem er den

Weg zur selbständigen Unterbringung in einer Heilund Pflegeanstalt eröffnet. § 431 (Entmannung) ist in der Handhabung lästig, weil er sprachlich ein zu langes Gebilde ist. Durch eine Teilung kann ich die Vorschrift faßlicher machen. Ich möchte aus diesem Gesichtspunkt im ersten Absatz alle Voraussetzungen nennen, die für sämtliche Fälle notwendig sind, und im zweiten Absatz dann diese einzelnen Fälle nacheinander beschreiben. Dabei bin ich der Ansicht, daß man das Große vor­ anstellen und das Kleine nachfolgen lassen soll. Des­ halb möchte ich zunächst den schwersten Fall des M or­ des und des Totschlags anführen. Bei diesem Aufbau gerät die Nummer 2 des Entwurfs in die Nummer 3 meines Vorschlags. Ich muß hier ferner wieder meinen Wunsch bezüglich der fortgesetzten Handlung anmel­ den. Ich halte es für falsch, daß die Maßregel nicht angeordnet werden kann, weil die mehreren Taten einer fortgesetzten S traftat eine künstliche Einheit bil­ den. Um das, was ich will, sicherzustellen, ist es not­ wendig, ausdrücklich im Gesetz zu sagen, daß im Sinne dieser Vorschrift die Teile einer fortgesetzten Handlung als selbständige Taten gelten sollen. Vielleicht werden wir bei der Regelung der Tatmehrheit eine Vorschrift schaffen, die allgemein die Selbständigkeit der ein­ zelnen Teile der fortgesetzten Handlung ausspricht. Eine besondere Erwähnung wäre dann hier über­ flüssig. F ü r § 432 über die Untersagung der Berufsaus­ übung besteht kein Anlaß, vom geltenden Recht abzu­ weichen. I n meinem Antrag handelt es sich nur um sprachliche Änderungen. Als neue Maßregel muß aber entsprechend dem Ergebnis des letzten Verhandlungs­ abschnitts die Schließung des Geschäfts gegen juristische Personen in das Gesetz eingearbeitet werden. Ich würde das in einem neuen § 430 a tun. Die in meinem Antrag vorgeschlagene Vorschrift weicht in Jn halt und Form erheblich von dem Beschluß der Unter­ kommission Nr. 4 vom 10. M ai 1935 ab. S o muß im Abs. 1 zum Ausdruck gebracht werden, daß die M aß­ regel nur stattfindet, wenn der als Vertreter handelnde Täter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt worden ist. Ferner ist die ent­ sprechende Anwendung des § 406, die der erwähnte Beschluß vorschlägt, nicht richtig. E s wäre meines Erachtens unbillig, die Frist erst von dem Tage an zu berechnen, an dem die Strafe verbüßt ist. Die Fassung in meinem Antrag beseitigt diese Härte. Professor Dr. Kohlrausch: Ich möchte in meinem Bericht in den Fällen, in denen ich Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer beitrete, dies nur feststellen, ohne im einzelnen die Gründe zu wiederholen. Dies gilt auch bezüglich der Anregungen der Sachbearbeiter des Ministeriums. M it dieser Maßgabe habe ich folgendes zu bemerken: Auch wenn die Frage der Zweispurigkeit für die Kommission vielleicht res iudicata ist, möchte ich doch dem Gedanken der Einspurigkeit noch einmal das Wort reden. Ich kann in der sogenannten Zweispurig­ keit nur eine Uebergangslösung sehen, vor allem inso­

weit, als es sich um das Verhältnis zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung handelt. Dualismus ist hier Doktrinarismus. Ein einheitlicher Gedanke wird künstlich zerlegt. Ich würde es immerhin für denkbar halten, daß wir eine Konzession machen in der Weise, daß die Sicherungsverwahrung an die Stelle der Strafe treten kann. Dadurch fällt der Sühnegedanke keineswegs weg. I n der P raxis hat sich ja immer mehr herausgestellt, daß wir hier ein Spiel mit Worten treiben, daß vor allem die Abschreckung durch die Sicherungsverwahrung mindestens so groß ist wie durch die Strafe, weil es sich um eine Maßregel auf unbestimmte Dauer handelt. Zu § 423 habe ich nichts zu bemerken. Zu § 424 (Sicherungsverwahrung) möchte ich die Möglichkeit eines Uebergangs zu einer anderen M aß­ regel zunächst nicht erörtern, immerhin aber den Vor­ schlag machen, daß die Voraussetzungen der Siche­ rungsverwahrung wenigstens etwas aus der Ver­ kettung mit § 20 a S tG B , beziehungsweise mit § 412 des Entwurfs gelöst werden. Diese Verkettung hat dazu geführt, auch im § 412 eine Fülle von Voraussetzun­ gen zu machen, die vielleicht für die Strafschärfung gar nicht nötig sind. Andererseits ist infolge dieser Verkettung Sicherungsverwahrung möglich, obwohl der Täter noch keinerlei Freiheitsstrafe verbüßt hatte. Ich möchte deshalb zu § 424 einen Vorschlag von Exner aufgreifen, daß nämlich eine Sicherungsver­ wahrung nur angeordnet werden kann, wenn der Täter schon einmal eine erhebliche Freiheitsstrafe verbüßt hat. Ohne Verbüßung einer solchen ist meines Erachtens der Richter nicht berechtigt, mit der nötigen Sicherheit zu sagen, daß die Strafverbüßung auf den T äter keinen Eindruck machen wird und des­ halb unzureichend ist. Ich schlage deshalb vor, die Sicherungsverwahrung nur für zulässig zu erklären, wenn der Täter bereits einmal Freiheitsstrafe von mindestens einem J a h r verbüßt hat. I m übrigen trete ich Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer darin bei, daß es genügend sein muß, wenn die Voraus­ setzungen des § 20 a bloß vorliegen, daß also nicht erforderlich ist, daß der Richter aus § 20 a wirklich verurteilt hat. M an kann diesen Gedanken durch die Fassung ausdrücken: „Liegen bei dem Täter die Voraussetzungen vor, unter denen er nach § 412 zu einer verschärften Strafe verurteilt werden kann." Bezüglich des § 425 (Arbeitshaus) trete ich den Vorschlägen der Sachbearbeiter des Ministeriums und Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer bei. Ob das A r­ beitshaus noch praktisch ist, kann ich nicht beurteilen. Meines Erachtens ist seine Bedeutung nicht sehr groß. Ich weise in diesem Zusammenhang auf eine Zeitungs­ notiz aus Mecklenburg hin. Die Mecklenburgische Re­ gierung hat danach eine sogenannte Erziehungshast eingeführt, die an keine Zeit gebunden ist und die im Landesarbeitshaus in Güstrow vollstreckt wird. Ob eine solche Maßnahme rechtsgültig ist, erscheint mir zum mindesten zweifelhaft. Jedenfalls durchkreuzt sie unsere Arbeit. Bezüglich § 426 halte ich die von Herrn Reichs­ gerichtsrat Niethammer vorgeschlagene Fassung des

Abs. 1 für richtig. I m Abs. 2 ist aber meines Er­ achtens noch eine weitere Lücke auszufüllen. Ich denke an die Fälle, in denen ein Nauschdelikt begangen wird und der T äter unzurechnungsfähig, aber nicht gemein­ gefährlich ist. F ü r diese Fälle fehlt eine Regelung in dem Entwurf. Ich schlage vor, diese Lücke auszufüllen durch einen Abs. 2, der folgendermaßen lauten soll: „D as gleiche gilt, wenn der T äter unter den Voraussetzungen des Abs. 1 eine mit S trafe be­ drohte Handlung begangen hat, aber wegen Schuldunfähigkeil: nicht für sie bestraft werden kann, es sei denn, daß die öffentliche Sicherheit gemäß § 427 die Unterbringung in einer Heil­ oder Pflegeanstalt erfordert." Diese Ausdehnung ist auch deshalb nötig, um die öffentlichen Pflegeanstalten von solchen Elementen zu entlasten, die nicht gemeingefährlich sind. Zu § 427 trete ich den Vorschlägen von Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer bei. Daß Kinder und Jugendliche nicht unter die Vorschrift fallen, sondern nur die Fälle der Krankheit und Taubstummheit ge­ troffen werden sollen, sollte selbstverständlich fein. Eine ausdrückliche Klarstellung ist aber vielleicht zu empfehlen. Bezüglich des § 428 (Dauer der Unterbringung) halte ich die Vorschläge der Sachbearbeiter des M ini­ steriums für richtig. Herr Reichsgerichtsrat Nietham­ mer hat ausgeführt, die Rechtskraft dürfe nicht stärker durchbrochen werden als unbedingt nötig sei. Hier aber; ist diese Durchbrechung notwendig. I m Grunde wird der Rechtskraftgedanke schon dadurch durch­ brochen, daß, da zur Zeit der Urteilsfindung die not­ wendige Dauer der Maßregel noch nicht feststellbar ist, sie auf unbestimmte Dauer anzuordnen ist. Deshalb ist es richtig, alle nach der Urteilsfindung zu treffenden Maßnahmen vom Vollstreckungsgericht treffen zu lassen. F ü r richtig halte ich auch deshalb die von den Sachbearbeitern vorgeschlagene Fassung des § 428 Abs. 3 Satz 4, der dahin lautet: „Ergibt die Prüfung, daß die Voraussetzungen für eine andere der in Satz 1 bezeichneten Formen der Unterbringung vorliegen, so kann das Gericht die Ueberführung des Untergebrach­ ten in diese Form der Unterbringung anordnen." Der Abs. 4 ist dem anzupassen. Ich komme zu § 429 über die Wirkung der Ent­ lassung. Ich stimme auch hier Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer im wesentlichen zu, möchte aber einen Vorschlag aufgreifen, den Herr Ministerialdirektor Dr. D ürr in den Anträgen Nr. B 29 unterbreitet hat: Bei der widerruflichen Entlassung eines Untergebrach­ ten die Anordnung der Schutzaufsicht zuzulassen. Ich trete dem bei. Zu § 430 über die Schutzaufsicht hatte ich mich in meinem Antrag zunächst für die Vorschläge der Sach­ bearbeiter des Ministeriums entschieden. Ich halte aber das, was heute Herr Reichsgerichtsrat Nietham­ mer ausgeführt hat, für sehr beachtlich und unterstütze seinen Antrag. Zu § 431 über die Entmannung schlage ich vor, die Entmannung auch für unzurechnungsfähige Täter vorzusehen, um die öffentlichen Anstalten möglichst

von schwachsinnigen Sittlichkeitsverbrechern zu ent­ lasten. I m übrigen hat Herr Reichsgerichtsrat Niethammer meines Erachtens die klarste Fassung der Vorschrift vorgeschlagen. Bezüglich § 432 trete ich den Sachbearbeitern des Ministeriums und Herrn Reichsgerichtsrat Nietham­ mer bei. Ich halte insbesondere die Gründe für rich­ tig, die für die Einstellung des § 432 a über die Schließung des Geschäfts gegen juristische Personen angeführt worden sind. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich glaube, es ist in diesem Fall praktisch, daß wir von Bestimmung zu Bestimmung vorgehen und uns eine Generaldebatte ersparen. Ich möchte im voraus folgendes fagen: Die Idee der Ein- und Zweispurig­ keit, über die wir oft gesprochen haben, läßt sich natür­ lich, wenn man den heutigen praktischen Vollzug der Sicherungsverwahrung ansieht, sehr leicht von der Seite des Herrn Professor Kohlrausch betrachten. W ir haben vorläufig keine Verwahrungsanstalten, es ist ein Anhängsel zum Zuchthaus. Wenn man davon aus­ geht und nicht auf den Sühnegedanken abhebt, lernn man freilich sagen, daß die Sicherungsverwahrung sich nicht von der Zuchthausstrafe unterscheidet. M an kann sich jedoch auch eine völlig andere Gestaltung der Sicherungsverwahrung vorstellen, z. B. wenn man Kolonien dafür verwenden könnte, gewisse Verbrecher aus der Volksgemeinschaft zu entfernen. Wenn wir zunächst § 423 ansehen, so ergeben sich einige Anregungen: 1. Halten die Herren es für not­ wendig, die Schließung des Geschäftsbetriebes bei juristischen Personen besonders aufzuführen, oder meinen S ie, daß das schon unter der jetzigen Ziffer 0 enthalten ist? 2. Es ist angeregt worden, die E nt­ mannung von dem Attribut „gefährlicher Sittlich­ keitsverbrecher" zu befreien; das kann man nach meiner Meinung tun. 3. Es ist vorgeschlagen, die Schutz­ aufsicht als Ziffer 5 voranzustellen und dann mit der Entmannung, der Untersagung der Berufsausübung und der Einziehung zu schließen. D as halte ich alles nicht für sehr wichtig. Ministerialdirektor Schäfer: W ir müßten nur Ziffer 6 ausdehnen auf die „Ge­ werbeausübung". Ein neuer § 423 a trägt dann die Überschrift „Untersagung der Gewerbeausübung und Schließung des Geschäftsbetriebes". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wie stellen sich die Herren zu der Frage der B or­ anstellung der Schutzaufsicht? Meiner Meinung nach kann man das auch tun. Staatssekretär Dr. Freister: Ich wollte zu § 423 noch einiges sagen, was man bei den einzelnen Paragraphen nicht sagen kann, weil es zu dem ganzen Abschnitt gehört. Auf die Frage der Zweispurigkeit oder Einspurigkeit will ich nicht mehr zurückkommen, da sie meines Erachtens entschieden ist. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß der Aufbau des

s ganzen Abschnitts überprüft werden muß. W ir haben im Entwurf die große Gegenüberstellung: Strafen einerseits und Maßregeln der Sicherung und Besse­ rung andererseits. Diese Gegenüberstellung ist nicht ganz richtig. Denn der Entwurf kennt außerdem noch Maßnahmen, die bei dieser Gegenüberstellung nicht erfaßt werden, nämlich die Heilmaßnahmen. Gerade diese Heilmaßnahmen aber sollten dort, wo sie am Platze sind und Erfolg versprechen, angewendet wer­ den; sie dürfen in einem modernen Strafgesetzbuch nicht nur nicht fehlen, sondern sie müssen sogar beson­ ders hervorgehoben werden. Deshalb kann ich mich mit der Überschrift „Maßnahmen der Sicherung und Besserung" nicht einverstanden erklären. Sie ist im Grunde nichts anderes als eine Umschreibung für die Strafe, sagt also gerade das Gegenteil von dem, was gesagt werden soll. Denn die S trafe ist auch eine Maßnahme der Sicherung und der Besserung; sie ist nur noch mehr, weil sie außerdem noch die Sühne will. Die Bezeichnung des Entwurfs erweckt also den Eindruck, als ob die Strafe nicht die Sicherung und nicht die Besserung bezwecke. D as ist aber zweifellos falsch. Tatsächlich haben wir im Entwurf: Strafen, sonstige Nur-Sicherungsmaßnahmen und Heilmaß­ nahmen. Dementsprechend würde ich vorschlagen, diese drei Arten der Antwort des S taates auf das Verbrechen in drei gleichgeordneten Abschnitten unter­ zubringen. Zu den Sicherungsmaßnahmen, also ge­ nauer zu den Nur-Sicherungsmaßnahmen, würde ich rechnen: die Sicherungsverwahrung, die Entmannung, das Berufsverbot, die Schutzaufsicht, falls sie nicht ab­ gelehnt werden sollte, und schließlich die Einziehung. Nicht hierunter rechnen würde ich: die Kassierung der juristischen Person, weil es sich hier um etwas ganz Besonderes handelt. Die Unterbringung in der Heil­ and Pflegeanstalt gehört zwischen die Sicherungsmaß­ nahmen und die Heilmaßnahmen, weil hierfür nach dem Entwurf zwei verschiedene Gründe maßgebend sein können. Weil es also nicht ganz sicher feststellbar ist, um was für eine Maßnahme es sich hierbei handelt, würde ich die Unterbringung in einer Heil- und Pslegeanstalt als erste Heilmaßnahme nennen. Weitere Heilmaßnahmen sind das Arbeitshaus und die T rin­ kerheilanstalt. Ich rechne das Arbeitshaus auch hier­ her, weil ich unter Heilung nicht nur die physische Heilung verstehe. D as Arbeitshaus ist weder als Strafe noch als Sicherungsmaßnahme notwendig; es kann also nur eine Heilmaßnahme sein.

Über diese geringe Zahl bin ich um so mehr erstaunt, als doch gerade im ersten Jah re die Versäumnisse der Vergangenheit nachzuholen waren und naturgemäß der Zugang der Asozialen zur Sicherungsverwahrung in Zukunft entsprechend geringer sein wird, es sei denn, daß eine erweiterte Anwendung Platz greisen würde. D as hat nichts mit der Frage zu tun, ob der T at­ richter im vergangenen J a h r bei der Anordnung der Maßregel in allen Fällen so gewissenhaft war, wie es der Gesetzeswortlaut vorschreibt. Wenn das Reichs­ gericht diese Sorgfalt des Tatrichters bisweilen ver­ mißte, so war es selbstverständlich verpflichtet, auf eine gewissenhafte Gesetzesanwendung zu drängen. Soviel ich weiß, hat aber das Reichsgericht in den letzten Monaten die Zügel schon wieder etwas ge­ lockert. Die Tendenz des Reichsgerichts war also durchaus zu billigen; Argumente für eine Einschrän­ kung des geltenden Rechts können aber aus dieser Tatsache keinesfalls hergeleitet werden. Ich bin also der Meinung, daß eine Erweiterung der Anwendung notwendig ist, und zwar muß die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung und der sonstigen Sicherungsmaßregeln eröffnet wer­ den, weil sich die Notwendigkeit ihrer Anordnung vielfach erst später herausstellt, da der Täter.nicht selten erst im Verlause des Strafvollzugs völlig durch­ schaut werden kann. Wie eine solche Regelung im einzelnen aussehen müßte, will ich jetzt nicht erörtern. M it dieser Möglichkeit der nachträglichen Anordnung eng verwandt ist die Frage des Hinüberwechselns von einer zur anderen Sicherungsmaßnahme und von einer Sicherungsmaßnahme zu einer Heilmaßnahme und umgekehrt. Auch dieser Wechsel muß noch nach­ träglich möglich sein. Schließlich müßten, allerdings bedarf diese Frage noch einer eingehenden Durch­ prüfung, die Maßnahmen der Sicherung und Heilung auch bei völlig unzurechnungsfähigen T ätern möglich sein. M an wendet dagegen ein, das sei nicht mehr das Gebiet des Strafrechts. Ich bin aber doch dieser Ansicht; denn u n s e r Strafrecht dient eben nicht allein dem Sühnezweck, jedenfalls solange nicht, wie dieser Abschnitt im Entwurf steht. Wenn diese Maß­ nahmen der Sicherung und Heilung völlig gleich­ wertigen Zwecken dienen, d. h. auf einer Stufe mit der S trafe stehen, dann muß die Möglichkeit gegeben werden, Sicherung und Heilung auch gegen un­ zurechnungsfähige Täter durchzuführen, obwohl ihnen eine Sühne nicht auferlegt werden kann.

Ich komme dann zur Frage der allgemeinen E r­ weiterung dieses Abschnitts. Ich bin nicht der Mei­ nung, daß die bisherigen Erfahrungen in der Recht­ sprechung zu einer Einschränkung des geltenden Rechts zwingen. E s ist im Gegenteil eine Ausdehnung not­ wendig. Ich bin erstaunt, in wie geringem Maße in der Praxis von der Anwendung der Sicherungsmaßnahmen Gebrauch gemacht worden ist. I m ersten Jah re der Geltung der Novelle sind rund 4000 Aso­ ziale in Sicherungsverwahrung gebracht worden. Rechnet man die Asozialen zu 1 Prozent, so ergibt sich die Zahl von 65 000 Asozialen im Deutschen Reich. 4000 Sicherungsverwahrungen sind also sehr wenig.

Ich muß schließlich noch auf folgendes hinweisen: Die Formulierung des Entwurfs schließt sich fast wört­ lich an die Novelle vom Jah re 1933 an. Damals war eine Frage noch nicht ausgetragen, die jetzt entschieden ist, nämlich die Frage der künftigen Abgrenzung der Aufgaben von Gericht und Staatsanwaltschaft. D a­ mals bestand noch der Grundsatz absoluter Aufgaben­ teilung zwischen beiden. Aber dieser Grundsatz hat sich gewandelt; die Wandlung ist erstmalig hervor­ getreten bei der Übertragung der Aufgabe der beding­ ten Strafaussetzung an die Staatsanwaltschaft. Warum soll die Aushebung einer Maßregel der Siche­ rung und Besserung anders behandelt werden als die

bedingte Strafaussetzung, warum soll diese Aufhebung unbedingt Sache des Gerichts sein? Ich meine, daß jode Bestimmung dieses Abschnitts unter diesem Ge­ sichtspunkt durchgesehen werden muß. Endlich wäre noch die Frage der grundsätzlichen Unbegrenztheit aller Sicherungsmaßnahmen zu prüfen. Gehört diese grundsätzliche Unbegrenztheit nicht zu dem Wesen einer jeden Sicherungsmaßnahme? Wenn man diese Frage bejaht, dann muß grundsätzlich auch das Berufsverbot für immer ausgesprochen werden können. Reichsjustizminister D r. Gürlner: Bei einer Aufteilung der Reaktionen gegenüber dem Täter, wie sie Herr Staatssekretär Freister vorschlägt, derart, daß ein Abschnitt die Strafen behandelt und der andere in sichernde und heilende Maßnahmen auf­ gespalten wird, ist eine Grenzlinie nicht ganz scharf zu ziehen, wie sich bei der Irrenanstalt von selbst gezeigt hat. Ich hätte gegen eine solche Austeilung an sich keine Erinnerung. Die Grenzlinie zwischen den beiden Gebieten, wo die Behörden der Justiz tätig werden und wo die Behörden der Polizei, müssen wir fest finden, sonst entstehen Schwierigkeiten. Wenn, um bei einem all­ täglichen Beispiel zu bleiben, jemand geisteskrank und gemeingefährlich ist, aber mit dem Strafrecht objektiv nicht in Berührung kommt, bleibt die Verwahrung eine justizfremde Polizeiausgabe. Wenn er dagegen mit dem Strafrecht objektiv in Berührung tritt, dann, glaube ich, ist der Zeitpunkt gegeben, wo wir die Justizbehörde einschalten sollen. Natürlich kann man auch sagen, daß in diesem Falle die Justiz nicht einzu­ greifen habe, weil eine Schuld nicht gesunden werden kann. Ich bin aber geneigt, das nicht zu tun. Man könnte die Grenzlinie vielleicht in den Worten präven­ tive und repressive Tätigkeit ausdrücken. Die Frage, ob die Untersagung der Berussaus­ übung grundsätzlich unbeschränkt sein soll, könnten wir, glaube ich, aus der allgemeinen Diskussion weg­ lassen und später behandeln. Bei den sichernden Maßnahmen, die ohne Schuld­ spruch erfolgen, spielt praktisch nur die Sicherungs­ verwahrung und die Entmannung eine Rolle. Bei der Entmannung darf ich folgendes historisch bemerken: Als seinerzeit die Entmannung in den Bereich der Gesetzgebungstätigkeit trat, da hat das Reichsjustiz­ ministerium den Standpunkt vertreten, daß die Ent­ mannung genau so zu behandeln sei wie die Unter­ bringung in einer Heilanstalt. D as Kabinett hat das ausdrücklich abgelehnt und die Entmannung nur in dem Fall zugelassen, der jetzt Gesetz ist. Die Begrün­ dung im Kabinett war eine doppelte: 1. Die Ent­ mannung ist eine Sache, die von seiten der Kirche sehr ernst angesehen wird, und die eine große Belastung in dieser Richtung bedeutet. M an wollte sie nicht über den Fall ausdehnen, wo moralisch von einer Sünde gesprochen werden kann. 2. Die Entmannung eines in einer Heilanstalt Untergebrachten sei aus prak­ tischen Gründen nicht erforderlich. Nun darf ich die Herren bitten, sich zu den Ge­ danken des § 423 zu äußern.

Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich würde es für richtig halten, den Anregungen des Herrn Staatssekretärs so weit nachzukommen, daß man von b e s o n d e r e n Maßregeln der Sicherung und Befferung spricht. Ob man weiter die Heilung von der Befferung unterscheiden soll, wird eine Frage der Einzelausführung sein und kann wohl später be­ sprochen werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir könnten einmal versuchen, ob es damit über­ sichtlicher wird. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Der von Herrn Staatssekretär D r. Freister ge­ machte Vorschlag einer Dreiteilung Strafe, Siche­ rungsmaßnahme und Heilmaßnahme ist meines E r­ achtens nicht gangbar, und zwar deshalb nicht, weil zu viele der Maßnahmen gemischte Maßnahmen sind, also sowohl Sicherung wie Heilung bezwecken. D as gilt insbesondere von der Unterbringung in der Heil­ anstalt und vom Arbeitshaus. Darüber hinaus aber scheinen mir alle Maßnahmen auch Heil- oder Befferungsmaßnahmen zu sein. Der Sicherungsver­ wahrung liegt doch der Gedanke zugrunde, daß eine Besserung des Untergebrachten möglich ist. Sonst dürften wir nicht die Möglichkeit der Nachprüfung und Entlastung eröffnen. Der Verbrecher müßte grundsätzlich für immer in der Sicherungsverwahrung bleiben. M an kann natürlich die Heilung noch neben der Besserung in der Überschrift nennen. W ir waren der Meinung, daß die Heilung mit unter die Beffe­ rung fällt. Professor Dr. Dahm: Auch ich bin der Meinung, daß man sichernde und heilende Maßnahmen nicht trennen kann. E s kommt hinzu, daß diese Zweiteilung nicht erschöpfend ist. S o kann man die Unterbringung im Arbeitshaus nicht gut als heilende Maßnahme bezeichnen. M it einer solchen Komplizierung des Aufbaues ist nichts gewon­ nen. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, daß die Maßnahmen der Verbrechensverhütung gegen die Strafe abgehoben werden. Dem entspricht ein z w e it e i l i g e r Aufbau: Strafen und das, was wir heute „Maßregeln der Sicherung und Befferung" nennen. Vielleicht könnte man allerdings diesen Ausdruck durch einen besseren ersetzen, etwa von „Maßregeln der Ver­ brechensverhütung" sprechen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte glauben, wir sollten es doch bei dem bisherigen Aufbau laffen. W ir müssen dabei auch immer unsern Blick auf das Strafvollzugsgesetz wen­ den. Der § 5 des Artikels 3 der Strafvollzugsgrund­ sätze vom 14. 5. 1934 lautet: „Gemäß dem Siche­ rungszweck, dem die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt in erster Linie dient, ist sicherzustellen, daß die Untergebrachten nicht entweichen und nicht durch neue strafbare Handlungen der Volksgemein­ schaft Schaden zufügen können. Daneben ist das Ziel,

zu versuchen, sie, soweit es möglich ist, zu heilen und aus sie in geeigneter Weise Einfluß zu nehmen, um sie zu befähigen, ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben in der Freiheit zu führen." Dies ist ein Beispiel dafür, wie eine Maßnahme beiden Zwecken dient. Auch beim Arbeitshaus wird man scheiden können. Bei der erstmaligen Unterbringung wird der Besse­ rungszweck im Vordergründe stehen; dagegen wird bei denen, die auf Lebenszeit untergebracht werden, mehr Gewicht aus die Sicherung gelegt. S o gehen diese beiden Arten von Maßnahmen ineinander über, und darum sollte man sie auch zusammen lassen. Ich möchte nicht noch zu einer Dreispurigkeit übergehen. Ob man sagen soll: Maßregeln der Sicherung und Besserung oder Maßregeln der Sicherung und Heilung, ist eine Fassungssrage. Heilen paßt mehr für diejenigen, die medizinisch zu heilen sind; beim Arbeitshaus ist dagegen das W ort heilen weniger gut eeignet. D as sind die Gründe, die dazu geführt aben, die Worte „Sicherung und Besserung" zu wählen. Ich glaube auch, sie haben sich schon ziemlich eingebürgert. Ich möchte vorziehen, diese Antithese, die Zweispurigkeit, mit diesen Ausdrücken zu lassen, und würde auch nicht das W ort „besondere" davor­ setzen. E s handelt sich bei diesen Überschriften nur darum, das Wesentliche herauszuarbeiten. Darüber, ob man die Maßnahmen erweitern soll, läßt sich schwer sprechen, ohne daß man sofort auf die einzelnen Arten der Maßnahmen eingeht. Ich möchte nur die Frage behandeln, ob man eine nachträgliche Anordnung ganz allgemein zulassen kann. Sobald man es zuläßt, daß das Strafgericht sich auf die Strafe beschränken kann, und die Maßregel nachträg­ lich angeordnet werden kann, verführt man die Ge­ richte dazu, daß sie sich erst einmal mit der Strafe begnügen und sagen: nach einigen Fahren läßt sich viel besser beurteilen, ob eine Maßregel angebracht ist. W ir haben diese praktischen Erfahrungen gemacht, und ich fürchte, daß die Praxis auch in der Zukunft so lausen würde. E s besteht die Gefahr, daß die Richter es sich im Urteil leicht machen: dann wird die wichtige Entscheidung über die Maßregeln jahrelang später ge­ troffen, etwa an das Ende der fünfjährigen Zucht­ hausstrafe gelegt, und dann haben wir den Zusam­ menhang mit der S traftat ziemlich ganz verloren. W ir sind der Meinung, es ist von diesem praktischen Standpunkt aus klüger, daß das Gericht, wenn es die Strafe auswirft, auch schon über die Maßregel der Sicherung und Besserung die Entscheidung trifft. Eine gewisse Beweglichkeit wollen auch wir einführen. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Meine Herren, vielleicht kürzt es die Debatte ab, wenn wir uns über folgende Frage klar werden könnten: Den Gedanken, daß man den vierten Ab­ schnitt in zwei selbständige Unterabschnitte auflöst, halte ich nicht für sehr wichtig. Wichtiger ist, die Antithese zu der Überschrift „S trafe" zu finden, und dabei kommt es wieder weniger auf die begriffliche Geschliffenheit als aus die Gemeinverständlichkeit und den Eindruck an. Herr Professor Dahm schlägt „M aß­

nahmen zur Verbrechensverhütung" vor. Da kann man natürlich auch sagen, daß die Strafe denselben Zweck hat. M ir kommt es darauf an, ein Wort zu finden, das holzschnittartig den Gegensatz zur Strafe zum Ausdruck bringt, daß die Strafe die Reaktion gegen die Schuld ist, und daß dann etwas anderes kommt, bei dem es sich nicht um die Beantwortung der Schuldsrage handelt. Einer weiteren äußeren Unterteilung würde ich auch nicht das W ort reden. Jetzt wird also vorgeschlagen, Maßregeln der Siche­ rung und Heilung zu sagen. Ministerialdirektor Schäfer: Müßte man vielleicht nicht nur sagen, Maßregeln der Sicherung? S o ist es international. Die Siche­ rung dient der Besserung. Staatssekretär Dr. Freister: Unser Strafrecht wird im Ausland zu Unrecht als atavistisch bezeichnet. Aus sicherer Grundlage steht die Erkenntnis, daß Menschen aus physischen Gründen strafbar werden können. Aus diesem Grunde bin ich für die Bezeichnung „Heilmaßnahme". Senatspräsident Professor Dr. Klee: Alle diese Fragen hängen doch mit dem Problem der Einspurigkeit zusammen. Wenn im Vierten Ab­ schnitt statt „Maßregeln der Sicherung und Besse­ rung" die Fassung „s o n st i g e Maßregeln der Siche­ rung und Besserung" gewählt werden soll, so ist das nichts anderes als der Standpunkt der Einspurigkeit. F ü r mich ist dieser Vorschlag also sehr sympathisch. Denn ich bin immer für das System der Einspurigkeit eingetreten. Daß der Standpunkt der Einspurigkeit der richtige ist, zeigt sich vor allem beim Problem des Arbeitshauses. Wenn es eine Gruppe von Delinquen­ ten gibt, die zur Arbeit angehalten und an ein gesetz­ mäßiges und geordnetes Leben gewöhnt werden müssen, so ergibt sich meines Erachtens schon daraus die Notwendigkeit einer Hauptarbeitshausstrafe von unbestimmter Dauer. Es hat gar keinen Zweck, zu­ nächst eine reine Übelstrafe zu verhängen und zu voll­ strecken und anschließend zu versuchen, den Täter an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen. Deshalb aber ist weiterhin richtig der Gedanke des unbestimmten Strafurteils, jedenfalls für diese Fälle, weil sich hier erst beim Vollzug herausstellen kann, mit was für einem Täter man es zu tun hat. Beim Arbeitshaus sagt sich jedoch jeder, daß bei der Eigen­ a rt der Täter die dem Arbeitshaus vorausgehende Hauptübelstrase gar keinen Zweck hat. D ann aber ver­ stehe ich nicht, warum man nicht von vornherein die Maßnahme festsetzen will, die auf die betreffende Täterkategorie Paßt. Reichsjustizminister Dr. (Büttner: Ich möchte bitten, das nicht zu tun, denn das Ar­ beitshaus ist ein großes Problem für sich. Alles ist erfüllt von dem Gedanken, man müßte den Teil der deutschen Bevölkerimg, der sich in die Rechtsordnung nicht fügt, ausschalten. Gelungen ist das bis jetzt nach meiner Meinung noch nie. Ich glaube, die Frage des

s Arbeitshauses hängt damit auf das innigste zusam­ men. Was ich gesehen habe, ermutigt nicht zur Fort­ setzung. Ich kenne Arbeitshäuser, mit denen ein ge­ ringer landwirtschaftlicher Betrieb verbunden ist, in dem 10 Prozent der Insassen beschäftigt werden können, während die übrigen schlechter als in den preußischen Gefängnissen beschäftigt werden. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Ich mochte auf ein gesetztechnisches Bedenken hin­ weisen, das gegen die Aufteilung des Abschnittes in zwei Unterabschnitte spricht. Die Paragraphen über die Dauer der Unterbringung und die Aussetzung unter Schutzaufsicht müßten auseinandergezogen wer­ den und im zweiten Unterabschnitt wiederholt werden. Gegen die Überschrift „Maßnahmen der Ver­ brechensverhütung" spricht der Gedanke, daß sie gar keine Abgrenzung gegenüber den eben erwähnten Präventivmaßregeln gibt. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Der Vorschlag des Herrn Staatssekretärs Dr. Freister trägt meines Erachtens nichts Grundsätz­ liches in sich. E s handelt sich nur um eine Benennungs- oder Einteilungsfrage. Weil einige der Maß­ nahmen in erster Linie den Heilzweck verfolgen, soll £tne Trennung durchgeführt werden. Aber fast alle Maßnahmen des Abschnitts haben doppelte Natur. ^Die Sicherungsverwahrung ist zum Beispiel auch Heilmaßnahme, weil wir die nachträgliche Entlastung vorsehen, also die Möglichkeit einer Besserung unter­ stellen. Ich darf erwähnen, daß ich das Arbeitshaus für keine heilende Maßnahme halte, weil die Leute, die in das Arbeitshaus kommen, nicht krank sind. Ich bin also gegen eine Trennung in zwei Abschnitte, weil technische Gründe für die Trennung nicht angeführt werden können. Nun kommt es also nur daraus an, die Überschrift so herauszustellen, daß man gleich sieht, es handelt sich um keine Strafe. Meines Erachtens ist das aber im Entwurf schon geschehen. Denn die dritte Gruppe des Zweiten Buches ist überschrieben: „Strafen und sonstige Maßnahmen". Damit ist alles ganz klar gesagt. Die Möglichkeit einer Vikariierung vorzusehen, ist vielleicht zweckmäßig. Ich halte es aber nicht für richtig, daß etwa die Staatsanwaltschaft nachprüfen darf, ob das Gericht die richtige Maßnahme angeord­ net hat, wie Herr Staatssekretär Dr. Freister ange­ regt hat. (Staatssekretär Dr. Freister: D as habe ich nicht gesagt.) — Dann ist meine Erklärung beendet. Professor Dr. Kohlrausch: Ich habe mich über die Frage des Dualismus falsch ausgedrückt. Was ich in erster Linie vertrete, ist nicht etwa, die Sicherungsverwahrung bei Gemein­ gefährlichen an die Stelle der Strafe treten zu lasten, sondern die Strafe an die Stelle der Sicherungsver­ wahrung. D as geht natürlich nur in Verbindung mit

einem unbestimmten Strafurteil. D as andere würde den Sühnegedanken in einer Weise hervortreten lasten, wie ich es nicht will. Ein Zweites: Wenn wir den Dualismus beibe­ halten, dann müssen wir durchweg den Gedanken des Vikariierens sorgfältiger prüfen, als das bisher ge­ schehen ist. D as gilt namentlich für die Unterbringung in der Heil- und Pflegeanstalt. Hier ist vorherige Strafverbüßung künftig höchst unzweckmäßig. D as Dritte betrifft die Überschrift. Ich stimme dem Herrn Staatssekretär durchaus zu, daß zwischen Sicherung, Besserung und Heilung grundsätzlich ein Unterschied besteht. Aber im Einzelsall sind die Zwecke miteinander verflochten. Deshalb scheint mir der Vorschlag des Herrn Präsident Thierack richtig zu sein, lediglich in der Überschrift „Maßregeln der Siche­ rung, Besserung und Heilung" zu sagen, den In h a lt des Abschnitts aber nicht unterzuteilen. D as Wort Besserung ist überhaupt heute etwas antiquiert, es er­ innert an die Aufklärung aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, es hat etwas Rationalistisches an sich, überdies kann ich nur jemand bessern, der schlecht ist; wer krank ist, ist zu heilen. Staatssekretär D r. Freister: Meinen Vorschlag, den Gesamtabschnitt in selb­ ständige Abschnitte aufzuteilen, habe ich zurückgezogen. Herr Präsident Thierack hat eben auf die Überschrift des Abschnitts hingewiesen. Ich frage mich, ob diese Überschrift richtig ist. Meines Erachtens zeigt sie schon deutlich, daß es sich um eine Verlegenheitslösung handelt. Jedenfalls muß die Bezeichnung „Maß­ regeln der B e s s e r u n g" vermieden werden. Nicht deshalb, weil ich die Möglichkeit einer Besserung leugne. Außer dem problematischen und nicht gewich­ tigen Arbeitshaus sehe ich aber im ganzen Abschnitt keine einzige Maßnahme, bei der der Befferungszweck wichtiger wäre als bei der Strafe. Auch die Strafe hat untergeordnet den Befferungszweck; und ebenso untergeordnet ist der Befferungszweck bei den hier zur Erörterung stehenden Maßnahmen. Richtiger ist also die Überschrift „Maßnahmen der Sicherung und Heilung". I m übrigen halte ich die von Herrn Reichsgerichts­ rat Niethammer vorgeschlagene Umstellung für richtig mit der Maßgabe, daß ich nach dem Gesichtspunkte der Sicherung und Heilung aufbauen würde. Ich würde etwa folgende Reihenfolge wählen: Sicherungsver­ wahrung, Entmannung, Berufsverbot, Schutzaufsicht, Einziehung, Heil- und Pflegeanstalt, Trinkerheilan­ stalt, Arbeitshaus. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Meine Herren, ich glaube, zu § 423 wären wir doch ungefähr auf der Ebene der Faffungsmöglichkeiten angelangt und sollten die Diskussion hier nicht fortsetzen. Wenn wir aus der Überschrift die Besserung her­ auslassen, kommen w ir in Konflikt mit unseren Richt­ linien, die immer davon sprechen, daß w ir Befferungszwecke verfolgen.

Staatssekretär Dr. Freister: Dann muß man das Arbeitshaus abschaffen und die Leute im Gefängnis ordentlich arbeiten lasten. Ministerialdirektor Schäfer: M an kann doch die Asozialen nicht lebenslänglich ins Gefängnis stecken, dann werden wir uns selbst untreu. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich glaube, der intensive Wunsch, die Besserung entfernt zu sehen, ist nur der üble Geruch, den das Wort heute an sich trägt. D as darf uns aber nicht stören, dieses Wort zu gebrauchen, wenn wir eine der 8 Maßnahmen als Besterungsmaßnahme ansehen. Professor Dr. Kohlrausch: Einen Geisteskranken will man nicht bessern, son­ dern heilen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich hätte keine Bedenken gegen das Wort „Besse­ rung". Meine Herren, ich würde vorschlagen, wir kämen nunmehr zu § 424. Da sind die Vorschläge wohl schon von einiger Bedeutung. Zwei Gedanken sind es, die diskutiert werden sollen, einmal der Vorschlag Kohl­ rausch, der den Vordersatz so formuliert: „Liegen bei dem T äter die Voraussetzungen vor, unter denen jemand nach § 412 zu einer verschärften S trafe ver­ urteilt werden kann, -----". D as, glaube ich, ist doch jedenfalls dieselbe Gedankenrichtung wie Ih re, Herr Reichsgerichtsrat? (Reichsgerichtsrat Niethammer stimmt zu.) — Nun kommt aber das Zweite: „und hat er bereits einmal eine Freiheitsstrafe von mindestens einem J a h r verbüßt-----". Meine Herren, wenn wir das machen, zerstören wir den Gedanken, den wir in § 412 Abs. 3 haben, völlig. W ir haben damals, als das Gewohnheitsverbrechergesetz gemacht wurde, schon auf diesem Gedanken von Herrn Professor Kohlrausch auf­ gebaut, daß jemand bewiesen haben muß, daß die Strafe ihn nicht abschreckt. D ann trat ein anderes Bild vor die Augen, nämlich daß jemand eine ganze Reihe von gemeingefährlichen Taten vollbracht hat und nicht erwischt worden ist; das hat dazu geführt, den Absatz 2 zu schaffen. Ich glaube, diesen Gedanken vernichten wir, wenn wir den Vorschlag Kohlrausch annehmen. Professor Dr. Kohlrausch: E r kann 15 Jahre Zuchthaus bekommen. M an wollte aber gerade etwas anderes. E s sind Bilder aufgetaucht wie diese: Der schwere S itt­ lichkeitsverbrecher oder der Gewohnheits- und gewerbsmäßige Einbrecher, der hat es seiner Ge­ rissenheit zu verdanken, daß er jahrelang nicht gefaßt worden ist. Da habe ich ein Bedenken, ob man diese Voraussetzung hinzusetzen darf, ohne diesen Gedanken zu vernichten. Dagegen habe ich gegen den weiteren Vorschlag nichts zu erinnern.

Ministerialdirektor Schäfer: I n der Frage, ob wir die Worte „Wird jemand nach § 412 als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher verurteilt" in der Fassung ändern sollen, möchte ich den Vorschlag von Herrn Reichsgerichtsrat Niet­ hammer dem Vorschlag von Herrn Professor Kohlrausch vorziehen. Der Vorschlag Kohlrausch schießt über das Ziel hinaus. W ir wollen erreichen, daß bei dem gefährlichen Gewohnheitsverbrecher eine Ver­ urteilung aus dem schweren Strafrahmen erfolgt und daneben die Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Nun sind in der P raxis Fälle vorgekommen, in denen ein Gericht vergessen hat, die schwere Strafe auszu­ sprechen; das Reichsgericht mußte sich fragen, ob wenigstens die Sicherungsverwahrung angeordnet werden könne. D as soll bejaht werden und durch die Fassung erreicht werden; das wird durch die Fassung Niethammer sichergestellt. Wenn ich aber die Fassung Kohlrausch wähle, dann fürchte ich, geht die Praxis den Weg, daß sie gar nicht den Strafrahmen des § 412 anwendet, sondern sich mit Sicherungsver­ wahrung begnügt; das wollen wir doch zweifellos alle nicht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr Kollege Niethammer, sind S ie der Meinung, daß Ih re Fassung den praktischen Bedürfnissen ge­ nügen würde? Reichsgerichtsrat Niethammer: Gewiß, Herr Minister, sie ist aus den Erfahrungen des Reichsgerichts geschöpft; wenn wir § 412 in Klammern setzen, haben wir alles, w as wir brauchen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir ist nicht ganz klar, warum die Hinzufügung in Klammern und das Wort „nach" ein großer Unter­ schied sein soll. Reichsgerichtsrat Niethammer: Die jetzige Fassung kann so ausgelegt werden, daß der T äter nach § 412 mit der Strafschärfung ver­ urteilt sein müsse. Ministerialdirektor Schäfer: Wenn wir das scharf herausarbeiten wollten, müßte es lauten: „Wird jemand nach § 412 ver­ urteilt oder hätte er nach § 412 verurteilt werden müssen. . . " . Ich möchte herausarbeiten, daß in aller Regel beides Platz greifen muß, erstens die Verur­ teilung zu der schärferen Strafe und zweitens die Sicherungsverwahrung; ich glaube, dem tut die Fassung Kohlrausch Abbruch, vielleicht bewußt unter dem Einfluß der Einspurigkeit. Professor D r. Kohlrausch: Zwischen Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer und mir besteht ein Unterschied in den Vorschlägen für die Fassung des § 424. Mehr als eine Ausdrucks-

differenz scheint mir das aber nicht zu sein. Als ich den Vorschlag von Herrn Reichsgerichtsrat Nietham­ mer las, fragte ich mich, wo eigentlich der Unterschied gegenüber dem geltenden Recht liege. Erst durch die Begründung erfuhr ich den Zweck der Fassungsänderung. Ich halte die Rechtsprechung des Reichsgerichts, wonach es nicht daraus ankommt, ob das Gericht auch tatsächlich aus § 20 a S tG B , bestraft, für richtig. Ich halte aber diese Auslegung durch die Fassung Niet­ hammer nicht für sicherer gestellt, als sie dies nach dem geltenden Rechte ist. Wesentlich ist dann noch die Frage, ob der Täter schon einmal eine Freiheitsstrafe verbüßt haben muß, bevor die Sicherungsverwahrung angeordnet toerbeit kann. Ich weiche hier bewußt vom Entwurf ab. Der Entwurf will in gewissen Fällen die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch dann zulassen, wenn der T äter zum erstenmal vor Gericht steht. E s geht hier aber meines Erachtens über menschliches Vermögen, festzustellen, daß den T äter die Verbüßung der Frei­ heitsstrafe nicht beeindrucken wird und daß deshalb -die Anordnung der Sicherungsverwahrung notwendig ist. Ich verlange also, daß die Sicherungsverwahrung nur angeordnet werden darf, wenn der T äter schon einmal eine längere Freiheitsstrafe verbüßt hat. Mit diesem Vorschlag verfolge ich aber noch einen zweiten Zweck. Ich bin nämlich grundsätzlich für eine Auf­ lockerung des § 412. Die Strafschärfung soll leichter möglich^ sein als die Anordnung der Sicherungsver­ wahrung. D as bedeutet aber eine Lösung der Ver­ quickung zwischen § 412 und § 424. Staatssekretär Dr. Freister: Ich bin nicht der Meinung, daß man durch eine 15jährige Zuchthausstrafe das erreichen kann, was man will. Wenn solche Vorschläge gemacht werden, so werden dabei die vielen Fälle der verminderten Zurechnungsfähigkeit übersehen. I n solchen Fällen kann man, ohne ungerecht zu werden, keine derartig lange Sühne auferlegen. Ich habe dann noch eine Anregung zu § 412 Abs. 2. Nach der Fassung des Entwurfs ist es wohl zweifelsfrei, daß unter den drei vorsätzlichen Taten auch amnestierte Taten sein können. Wenn dies aber nicht sichergestellt sein sollte, so halte ich eine Klar­ stellung für notwendig. § 412 sollte aber auch im ganzen noch einmal durchgesehen werden, weil er zu sehr zeigt, daß hier zwei Meinungen miteinander gerungen haben, ohne daß sich eine als die sicher richtige erwiesen hätte. W ir müssen hinwegkommen über die formale Not­ wendigkeit einer mehrfachen Verurteilung. E s muß möglich sein, daß die Sicherungsverwahrung ange­ ordnet wird, obwohl der Täter noch nicht bestraft ist und obwohl er nur e i n e strafbare Handlung began­ gen hat. Natürlich sind aber in diesem F all weit­ gehende Einschränkungen notwendig. E s muß sich um Taten bestimmter Art handeln. Im m erhin gibt es Verbrechen, die erfahrungsgemäß aus einem Hang be­ ruhen, der die T at leicht zur Gewohnheit werden läßt,

wenn die Hemmung einmal überwunden ist. Seefeldt ist nur einmal vorbestraft. Wer weiß, ob nicht der erste Richter, wenn er damals die Möglichkeit gehabt hatte, auf Sicherungsverwahrung erkannt und damit das Leben von 20 Knaben gerettet hätte! Dieses Bild verfolgt mich, wenn ich beanstande, daß nach der jetzi­ gen Fassung des Entwurfs immer mehrere Straftaten vorliegen müssen, wenn auf Sicherungsverwahrung erkannt werden kann. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Der Gedankengang ist folgender: Jemand wird wegen eines Verbrechens vor den Richter gebracht, und der Richter soll eine kriminelle Prognose stellen. Dem Richter muten wir zu, zu beurteilen, ob dieser Mann voraussichtlich das weiter begehen wird, wenn er seine 3 Jah re Zuchthaus verbüßt hat. Ich weiß nicht, ob man das mit menschlichen Mitteln wird machen können. Staatssekretär Dr. Freisler: Nehmen wir an, es stellt sich heraus, daß derselbe Täter schon mehrfach Straftaten begangen hat, die verjährt sind oder nicht zur Anzeige gekommen sind, daß kein Strafantrag gestellt worden ist oder daß es nicht zur Verurteilung kam, weil die betreffende F ra u nicht recht aussagte. Ich kann mir sehr wohl Fälle denken, in denen der Richter in der Lage wäre, die Notwendigkeit der Sicherungsverwahrung zu bejahen. Es wird von seiner Einstellung abhängen, ob er lieber den Täter in Sicherungsverwahrung bringen will, oder ob er lieber das Volk weiter gefährden will. E s muß sich aber um Verbrechen handeln, bei denen man weiß, daß sie auf einem Hang beruhen. Professor Dr. Graf Gleispach: Zu § 424 liegen jetzt noch drei Fragen vor. Die erste Frage ist die, wie man seine Voraussetzungen umschreiben soll. Zwei Wege sind vorgeschlagen wor­ den. Ein dritter Weg scheint mir richtig zu sein. Die Verweisung in § 424 ist technisch unbefriedigend. M an sollte also die Voraussetzungen des § 412 einfach in § 424 wiederholen. Die zweite Frage ist die, ob zur Anordnung der Sicherungsverwahrung unter allen Umständen Rückfall erforderlich sein soll. Ich halte es für eine wesentliche Verbesserung, daß wir Rückfall und Realkonkurrenz gleichgestellt haben. D as bedeutet doch, daß wir den Glauben an eine Besserung eines jeden Verbrechers fallenlassen. Und das scheint mir richtig zu sein, und deshalb ist die Gleichstellung von Rückfall und Realkonkurrenz richtig. Die dritte Frage ist die, die Herr Staatssekretär Dr. Freisler aufge­ worfen hat. E r will die Sicherungsverwahrung auch bei e i n e r T at zulassen. Alle hier angeführten Bei­ spiele sind aber Fälle der Tatmehrheit. E s handelt sich meines Erachtens n ur darum zu verhüten, daß eine dogmatische Verbrechenseinheit hier Unheil an­ richtet und im Rahmen des § 424 nicht als Tatmehr­ heit angesehen wird. Wenn w ir das tun, so ist meines Erachtens jedes praktische Bedürfnis erfüllt.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist der Gedanke, der mich bei der ganzen De­ batte beherrscht. I n allen diesen Beispielen der jüngsten Vergangenheit ist es ja nicht so, daß ein völlig unbestrafter M ann vor den Richter kommt. Das Gegenbeispiel ist: Der Bauernbursch, der in die Jahre kommt, begeht einen Notzuchtsversuch; ich glaube, daß man hier nicht die Frage des Gewohnheitsverbrechers stellen kann. Der wunde Punkt ist, ob die fortgesetzte Handlung als eine T at gezählt wird; das darf bei § 412 nicht sein, darüber sind wir uns jetzt alle einig. Aber den völlig unbestraften M ann, über besten Ver­ gangenheit nichts Böses gesagt werden kann, darf man doch nicht als gefährlichen Gewohnheitsverbrecher be­ trachten. D as kann ich mir ganz einfach nicht vor­ stellen. Ich bitte das Beispiel eines M annes zu geben, der bisher zu einer strafrechtlichen Beanstandung keinen Anlaß gegeben hat. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich muß daran festhalten, daß es Fälle gibt, in denen die Sicherungsverwahrung schon bei der ersten S traftat angeordnet werden muß. Ein M ann ist wegen Notzucht angeklagt. Es stellt sich in der Haupt­ verhandlung heraus, daß er in gewisser Hinsicht erblich belastet ist, daß sein Vater auch schon unter der An­ klage der Notzucht gestanden hatte. Es wird auch fest­ gestellt, daß er als Strafunmündiger schon ähnliches getan hat. Ich glaube, daß in solchen Fällen der Richter eine sichere Prognose stellen kann, und daß er dann sofort, obwohl nur eine S traftat vorliegt, die weitere Einschließung anordnen muß. Professor Dr. Kohlrausch: W ir werden eben doch auf die Frage zurückge­ worfen, wie weit wir auf die Spezialprävention und ihre Gedanken zurückgreifen wollen. E s ist zwar durchaus möglich, daß ein Täter, der noch nie bestraft worden ist, als einer entlarvt wird, der die Absicht hatte, eine ganze Reihe von schweren Verbrechen zu begehen. Aber stehen w ir zunächst nicht auf dem Standpunkt, daß wir versuchen sollen, ihn durch eine schwere Strafe von künftigen Straftaten abzuhalten? Erst wenn wir nach Verbüßung das Gefühl haben, es hat nichts genützt, und dies Gefühl können wir vor Verbüßung nicht haben, darf die Frage der Siche­ rungsverwahrung auftauchen. W ir verlieren ja selber jede Achtung vor der Wirkung der Strafe, wenn wir glauben, selbst 10 Jahre Zuchthaus werden den M ann nicht umstimmen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß dieser Gedanke, die Wirkung des S traf­ vollzuges sei sehr wesentlich, bei der Beurteilung der Rücksallverjährung des § 412 eine bedeutende Rolle spielt. W ir haben ihn dort in der Unterkommiffion gemildert, aber gerade das zeigt, daß die Ver­ quickung von § 412 und § 424 gelöst werden muß. Die Unterkommission hat die Rücksallverjährung in einer Kann-Vorschrift zum Ausdruck gebracht. Aber nunmehr scheint mir die starre Verquickung von § 412 und § 424 erst recht falsch zu sein. E s kann sehr wohl sein, daß der Richter sagt, ich will diese frühere Ver­

urteilung außer Betracht lassen, die höhere Strafe verdient er nicht, aber Sicherungsverwahrung ver­ dient er trotzdem. Ich würde glauben, daß man ver­ suchen müßte, § 424 auf eigene Beine zu stellen und in ihm die Voraussetzungen für die Sicherungsver­ wahrung selbständig aufzustellen. M inisterialrat Rietzsch: D arf ich vielleicht folgendes mitteilen: Die Frage, ob § 412 einer Erweiterung bedarf, habe ich Herrn Liebermann von Sonnenberg, dem Leiter der Berliner Kriminalpolizei, vorgelegt; ich habe ihn auf die Fälle des fortgesetzten und des gewerbsmäßigen Delikts hin­ gewiesen und ihn auch um Stellungnahme gebeten, ob eine Erweiterung für die Zuhälterei erforderlich sei. E r hat bei allen in Betracht kommenden Krimi­ nalkommissaren in Berlin Umfrage gehalten und m ir danach mitgeteilt, daß die Berliner Kriminalpolizei keine Veranlassung habe, eine Erweiterung des § 412 zu befürworten. Nach ihrer Erfahrung machten die Gerichte von §§ 20 a, 42 e R S tr.G B . eher zu viel als zu wenig Gebrauch. Die Vorstrafen, die man brauche, seien immer da, wenn Strafschärfung bzw. Siche­ rungsverwahrung erwünscht sei. Er hält es auch nicht für nötig, Bestimmungen nach Art des Art. 84 des polnischen Strafgesetzbuches aufzunehmen, der das gewerbs- und gewohnheitsmäßige Delikt dem dritten Rückfall gleichstellt. Staatssekretär Dr. Freisler: Der Gesichtspunkt, w ir selbst glaubten nicht an die Wirkung unserer Strafe, zieht dort nicht, wo man die Augen verschließen muß, um nicht zu sehen, daß die Strafe deshalb gar nicht wirken kann, weil die S tra f­ tat auf physischer Grundlage beruht. Ich betrachte eine abnorme Veranlagung als eine solche physische Grundlage. Da zeigt die Erfahrung, daß die Strafe nicht wirkt, weil sie die physische Grundlage eben nicht ändert. F ü r diese Fälle muß ein erstmaliges Vor-denRichter-Kommen unter allen Umständen schon die Sicherung ermöglichen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as verschiebt die Debatte auf eine ganz andere Linie. D a fällt das Beispiel von dem Bauernburschen, der seine Manneskraft erprobt, fort; die Frage ver­ engert sich auf den Fall, daß jemand wegen vermin­ derter Schuldfähigkeit eine strafbare Handlung begeht, und daß diese verminderte Schuldfähigkeit den Schluß zuläßt, daß er nach der Richtung immer wieder fehl­ gehen wird. Ministerialdirigent D r. Schäfer: Der kommt zunächst in die Heilanstalt. Wenn sich herausstellt, daß er dort nicht mehr hineinpaßt, wird später vom Vollstreckungsgericht angeordnet, daß er in die Sicherungsverwahrung kommt. Staatssekretär Dr. Freisler: S o wird das nicht werden.

Professor D r. Kohlrausch: Ich wollte nur noch darauf Hinweisen, daß in ge­ wissem S in n die Vikariierung schon geltendes Recht ist. Wahrend des Winters habe ich im Institut für gerichtliche Medizin gearbeitet und konnte dort fest­ stellen, daß die Gerichte häufig § 51 Abs. 2 in der letzt geltenden Fassung attestieren, gerade um die Leute dauernd in die Heil- und Pslegeanstalt bringen zu können. Die Strafe wird dann häufig ausgesetzt. Wozu sie aber dann erst aussprechen? Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich habe Anlaß, etwas zu bemerken, weil die E r­ örterung sich dem § 412 Abs. 2 mit den drei vorsätz­ lichen Taten und dem § 431 Nr. 2 mit den zwei vor­ sätzlichen Taten zuwendet. W ir beim Reichsgericht reden im allgemeinen Ausdehnungen nicht das Wort, aber unsere Erfahrungen mit diesen Vorschriften gehen dahin, daß sie anders gestaltet, daß das fortgesetzte und das gewerbsmäßige Verbrechen hier aufgenom­ men werden müssen, und zwar besonders bei § 431 Nr. 2. Im m er wieder kommt uns die Unzucht an einem Kinde vor, die nur eine T a t sein soll, auch wenn sie sich zehnmal wiederholt und sich über Jah re er­ streckt. Davon möchten wir unter allen Umständen frei werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Diesem Einwand kann man schwer etwas ent­ gegensetzen. Dieser Vorschlag, daß man hier nicht mit der Auslegung, die unserem W ortlaut gegeben wird, durchkommt, scheint mir sehr beachtlich zu sein. Professor Dr. Kohlrausch: D as ist aber eine Stütze für meinen Vorschlag, bei der Bestimmung über die Sicherungsverwahrung die Voraussetzungen selbständig aufzustellen. Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: Ich möchte nochmal unterstreichen, was Herr P ro­ fessor Kohlrausch gesagt hat. E s liegt zweifellos eine Diskriminierung der Strafwirkung darin, wenn wir sie im allgemeinen von vornherein nicht anerkennen, sondern zulassen wollen, daß die Sicherungsverwah­ rung sofort verhängt werden kann. M ir scheint aber ein anderer Gesichtspunkt ebenso wichtig zu sein: Dem Richter muß eine sichere Grundlage gegeben werden, er muß zu einer Prognose kommen, deren Grundlagen ihm absolut sicher sind. M an kann die sicheren Grund­ lagen nicht schaffen, wenn überhaupt nichts in der Welt ist oder nur Vermutungen, daß der Verbrecher aus einer degenerierten Familie stammt oder etwas getan hat, was nicht als strafbare Handlung verurteilt worden ist. Deshalb komme ich zu dem Vorschlag Kohl­ rausch zurück. Ich glaube, daß w ir den § 424 wohl mit § 412 koppeln können, und daß wir darüber hinaus noch besondere Voraussetzungen aufnehmen können; aber das geht nicht, ohne daß etwas vorliegt. Professor D r. Nagler: Ich wollte später zu § 427 den Antrag stellen, daß in den Fällen der verminderten Zurechnungsfähigkeit außer aus Unterbringung in einer Heil- oder Pflege­

anstalt auch auf Sicherungsverwahrung erkannt wer­ den könne. Dieser mein Wunsch steht in Einklang mit den Forderungen vieler Psychiater. Der Vorschlag würde in gewissem S inne den Anregungen des Herrn Staatssekretärs Dr. Freister entgegenkommen. Denn alle von ihm angeführten Beispiele gehen in die Rich­ tung der Psychopathen. Durch die Ergänzung des § 427 kämen wir über alle Schwierigkeiten hinweg. Ich meine also, daß für gewisse Fälle eine Erweite­ rung des § 427 notwendig ist, halte aber andererseits für diese Erweiterung noch besondere Kautelen für erforderlich, damit kein Unheil angerichtet werden kann. Die Sicherungsverwahrung soll natürlich nur „zugelassen" werden. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Bei dem M ann, der zum erstenmal vor Gericht kommt und keinen Defekt aufweist, ist doch zunächst die Erwartung berechtigt, daß die Strafe auf feinen Willen wirken werde. Hat aber dieser M ann Defekte, dann läßt sich die Frage auswerfen, ob man eine Prognose stellen kann, die zu einer Verwahrung oder zur Unterbringung in der Heilanstalt führt. Sonst würden wir dabei landen, daß wir nach einem ge­ wissen diskretionären Ermessen entscheiden. D as würde doch zu weit gehen. Staatssekretär Dr. Freister: Der Grundsatz, an dem man festhalten muß, ist, daß nur bei erstmaliger Straffälligkeit defekter Menschen eine sichere Prognose gestellt werden kann. M an kann dies ja ausdrücklich im Gesetz sagen; das wäre dann eine feste Umgrenzung, wie sie Herr Minister Thierack fordert. Mein Vorschlag hat aber auch noch eine weitere Umgrenzung; denn ich wollte ja die Erweiterung nur für ganz bestimmte Täter­ typen vorsehen. Wenn man beides berücksichtigt, so ist die Gefahr einer Uferlosigkeit ausgeschlossen. Eine weitere Ausweitung hat Herr Reichsgerichtsrat Niet­ hammer mit Recht gewünscht. Die fortgesetzte, die gewerbsmäßige und die gewohnheitsmäßige S traftat darf im S inne der hier zur Erörterung stehenden Be­ stimmungen nicht als e i n e S traftat angesehen wer­ den; alle ihre Teilakte müssen selbständig sein. Die letzte Ausweitung muß endlich die Vorschrift des § 24 Abs. 2 über Landesverrat sein, die entsprechend auch beim Hochverrat, vielleicht auch beim Volksverrat er­ scheinen muß. W ir haben also im ganzen vier Grup­ pen von Voraussetzungen, unter denen die Siche­ rungsverwahrung zulässig sein soll. Ich knüpfe nun an den Vorschlag von Herrn Professor Kohlrausch an, der § 412 von § 424 loslösen will. Die erwähnten vier Gruppen werden mit anderen Worten in § 424 nochmals besonders zu nennen sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s würden sich also im großen und ganzen zwei Gruppen herausbilden: Der Gewohnheitsverbrecher, wo von der Mehrheit der Taten die Rede ist, und der defekte Sittlichkeitsverbrecher. Brauchen wir dafür eine besondere Vorschrift? Wie steht es beim Sittlich­ keitsverbrecher, der schuldunfähig ist?

Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Der kann entmannt werden, wenn das ausreicht. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: E r kommt in die Heilanstalt. Gesetzt den Fall, er würde dort als geheilt betrachtet, dann würde er auch in die Sicherungsverwahrung kommen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Wenn er weiter gefährlich bleibt, dann soll er vom Vollstreckungsgericht aus der Anstalt in die Siche­ rungsverwahrung überführt werden können. Professor Dr. Kohlrausch: Seine krankhafte Anlage bestand doch darin, S itt­ lichkeitsverbrechen zu begehen; wenn er geheilt ist, ist er nicht mehr gefährlich. Staatssekretär Dr. Freister: E r wird als geheilt entlassen, ist aber doch nicht geheilt. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Ich glaube, der Fall wird heute nicht sehr praktisch werden. Aber wie steht es mit dem Sittlichkeitsver­ brecher, der vermindert schuldfähig ist? Wie können wir darauf reagieren? W ir können ihn bestrafen, weil er einen Teil des Willens hat, und er kann doch jetzt schon in die Heil- oder Pflegeanstalt gebracht werden. Professor Dr. Kohlraufch: Seine Gemeingefährlichkeit kann sich entweder ergeben aus der Krankhaftigkeit — dann kommen wir über § 51 Abs. 2 zur Sicherung der Gesamtheit — oder aus der ersahrungsmäßig festgestellten Wirkungs­ losigkeit des Strafvollzuges — dann kommen w ir zur Sicherstellung wie bei dem Gesunden. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Es muß in § 412 heißen: „Hat jemand mindestens drei vorsätzliche Taten oder eine fortgesetzte T at oder ein gewerbsmäßiges Verbrechen, das sich aus min­ destens drei Einzelhandlungen zusammensetzt, be­ gangen, und ergibt die Gesamtwürdigung. . . " Staatssekretär Dr. Freister: Wenn man auf dem Standpunkt steht, man muß dauernd sichern, warum soll man dann aus einen ver­ steckten Umweg verweisen? Warum soll man dann nicht offen sagen können, daß der Täter in Sicherungs­ verwahrung genommen werden soll? Professor Dr. Kohlrausch: Ich glaube, das soll deshalb nicht geschehen, weil diese Leute fast immer Psychopathen sind. Ist es ein Mensch von sozialer Haltung, dann müssen wir zu­ nächst einmal versuchen, mit der Freiheitsstrafe zu wirken. Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s gibt doch auch gewohnheitsmäßige Verbrecher, die nicht Psychopathen sind. Herr Professor Kohlrausch

will derartige Leute mit langen Freiheitsstrafen be­ denken. M an muß aber berücksichtigen, daß durch die lange Reihe der Delikte das Hemmungsvermögen immer schwächer wird, und daß infolgedessen eine volle Schuld nicht mehr vorliegt. E s wäre also unge­ recht, hier auf die Höchststrafe zu erkennen. Aus diesem Grunde muß die Möglichkeit der Sicherungs­ maßnahme gegeben sein. Professor Dr. Schaffstein: Ich wollte nur darauf hinweisen, daß die Mehr­ zahl der Psychiater der Meinung ist, daß die Psycho­ pathie als solche noch keine verminderte Zurechnungs­ fähigkeit begründet. Der Umweg über § 51 Abs. 2 S tG B , nützt also nichts. D as aber spricht für den Vorschlag von Herrn Staatssekretär Freister, d. h. es muß die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung Vollzurechnungsfähiger für gewisse Fälle geschaffen werden, auch wenn nur e i n e S traftat vorliegt. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Wenn der M ann nicht vermindert zurechnungs­ fähig ist, dann ist er eben voll zurechnungsfähig. Ministerialdirigent D r. Schäfer: Von diesen drei vorsätzlichen Taten braucht noch keine abgeurteilt zu sein, er steht zum ersten Male vor Gericht und kommt sofort in die Sicherungsverwah­ rung. Wir müssen nur die Auslegung verhindern, daß die fortgesetzte T at nur e i n e T at ist. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Ich sehe vor mir den Mann, der den guten Willen hat, und bei dem ich hoffen darf, mit der Strafe eine Reaktion zu erzielen. W ir sind gezwungen, mit Rücksicht auf die vorge­ schrittene Zeit jetzt abzubrechen. (Pause von 13.05 bis 16.35 Uhr.) Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Herr Professor Schafsstein hatte zuletzt angeregt, für einen M ann, der pathologisch, aber trotzdem voll verantwortlich ist, auch beim ersten Zusammentreffen mit dem Strafrichter die Möglichkeit der Sicherungs­ verwahrung vorzusehen. Ich möchte einmal folgendes zusammenfassen: Ich bin der Meinung, daß der Mensch, der mit dem Strafrichter in Konflikt kommt, entweder krank oder schlecht ist. Is t er krank, so werden wir mit den Mitteln, die wir hier haben, reagieren; ist er schlecht, so werden w ir mit der S trafe und der Sicherungsverwahrung reagieren. Nun sollte man nach dem Vorschlag Kohlrauschs die Sicherungsver­ wahrung in ihren Voraussetzungen besonders und selbständig regeln, sie sollte möglich sein beim Gewohn­ heitsverbrecher im Sinne des § 412, wobei der wunde Punkt mit den drei vorsätzlichen Taten berührt wor­ den ist. Übereinstimmung besteht im großen und ganzen, daß hier eine Ausweitung nach der Seite des fortgesetzten und des gewohnheitsmäßigen Verbrechens vorgenommen werden soll. Dann hat der Herr

Staatssekretär noch angefügt, er möchte die Siche­ rungsverwahrung für den defekten Sittlichkeitsver­ brecher selbständig haben. D as ist wohl die Zwielicht­ gestalt, die Herr Professor Schassstein produziert hat. Danach ist der T äter verantwortlich, birgt aber in­ folge entarteter Veranlagung die Gefahr der Wie­ derholung in sich. Wenn diese beiden Gedanken sich etwa schneiden würden, könnte man sich damit irgend­ wie abfinden; denn richtig ist es ja, daß gerade bei gewissen Formen des Sittlichkeitsverbrechens die Ge­ fahr der Wiederholung infolge entarteter Veranla­ gung vorhanden sein kann. Wollen wir das tun, dann würde ich vorschlagen, es im Besonderen Teil zu machen. Nach meiner Meinung kann man natürlich nur an solche Sittlichkeitsverbrechen denken, die auf eine gewaltsame Begehung hinauskommen und auf eine Entartung zurückzuführen sind.

Landgerichtspräsident D r. Loren-: Ich halte es für ausgeschlosien, daß ein Richter lediglich aus Grund der ersten T at die Sicherungsver­ wahrung anordnet, da er es sich gar nicht zutrauen kann, aus dieser e i n e n T at festzustellen, daß die ge­ setzlich geforderten Voraussetzungen für die Siche­ rungsverwahrung gegeben sind.

Professor D r. Schafsftein: Ich glaube, daß darunter Notzucht, unzüchtige Handlungen an Kindern und Pflegebefohlenen sowie notzuchtähnliche Fälle, also gewaltsame Unzucht und Schändung, vielleicht auch Blutschande, fallen.

Landgerichtspräsident D r. Lorenz: Die Bestimmung wird auf dem Papier stehen bleiben, weil kein Richter den M ut haben wird und auch kaum haben kann, sich zu einer solchen Entschei­ dung zu entschließen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Also psychisch gewaltsam im Sinne von Abhängigkeitsverhältnis, physisch gewaltsam und Blutschande. Ich muß immer wieder darauf verweisen, daß der Notzuchtversuch im allgemeinen nicht ein Ausdruck entarteter Veranlagung ist; er kommt meist nur zur Anzeige, wenn man sich später entzweit. Wenn man im Bereich des § 175 darauf hinzielen wollte, dann wäre hier eine ähnliche Scheidung in physische und psychische Gewalt zu machen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei dem M ann, der ein grausames Sittlichkeits­ verbrechen begeht, das mit dem Tode bestraft wird, muß es so liegen, daß der Sachverständige feststellt, er ist verantwortlich, aber sein Trieb ist so groß, daß die Gefahr der Wiederholung besteht.

Ministerialdirektor Schäfer: W ir komplizieren immer mehr. W ir haben zu­ rechnungsfähige, vermindert zurechnungsfähige und zurechnungsunfähige Sittlichkeitsverbrecher und unter­ scheiden dann wieder in gesunde, die schlecht sind, und in andere, die weniger schlecht sind. Staatssekretär D r. Freisler: W ir lassen die Sicherungsverwahrung bis jetzt nur bei dem schuldsähigen Sittlichkeitsverbrecher, der ent­ artet und gefährlich ist, zu. Ministerialdirektor Schäfer: Die Entmannung haben wir außerdem noch bei den Sittlichkeitsverbrechern neben zwei Arten der Sicherungsverwahrung. Staatssekretär Dr. Freisler: W ir haben aber, falls mein Vorschlag angenom­ men wird, ein gutes Gewissen, wenn ein neuer Fall Seeseldt kommt. Ministerialdirektor Schäfer: Dem begegnen wir auf andere Weise. Der Herr Minister will außerdem die Ausweitung auf das fort­ gesetzte und das Kollektivdelikt vorsehen.

Staatssekretär Dr. Freister: Und bei der zweiten Verurteilung? Landgerichtspräsident D r. Lorenz: Dann ist eine Vortat vorhanden. Staatssekretär Dr. Freisler: Aber selbst die haben wir nicht erfaßt.

Ministerialdirektor Schäfer: 15 Jahre Zuchthaus genügen doch schon. Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: Grundsätzlich hat natürlich Herr Staatssekretär Freisler recht. Ich habe aber schon heute vormittag wiederholt betont, daß man dem Richter für die Beur­ teilung eine solide Grundlage in die Hand geben muß, damit in der Rechtsprechung keine unerwünschten E r­ gebnisse die Folge sind. E s ist gesagt worden, kein Richter werde sich zutrauen, schon bei einer T at eine sichere Prognose für die Zukunft zu stellen. Ich bin durchaus gegenteiliger Meinung. Ich glaube, daß von der Maßnahme gerade zuviel Gebrauch gemacht wird, wenn wir keine Kautelen in den Gesetzestext einbauen. Gerade die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die Fälle, die ihm unmittelbar nach Inkrafttreten der No­ velle unterbreitet worden sind, bestärken mich in diesem Glauben. W ir müssen deshalb eine Fassung wählen, die erkennen läßt, daß es sich um einen ganz beson­ deren Ausnahmefall handelt. Dann bleibt die Aus­ dehnung tragbar. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as war ohnehin der P lan. Eine Frage übrigens: W ir haben bei der E nt­ mannung die zweite Verurteilung maßgebend sein lassen, können wir dann die Sicherungsverwahrung bei den Sittlichkeitsverbrechern anders behandeln?

Staatssekretär Dr. Freister: Die Sicherungsverwahrung ist reparabel, die E nt­ mannung nicht und wird deshalb erst beim zweiten Fall zugelassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ganz unanfechtbar ist die Beweisführung nicht. Denn es ist gerade vorgesehen, daß bei der ersten Be­ rührung mit dem Gericht die Sicherungsverwahrung möglich ist, nämlich bei fortgesetzten Handlungen. Ministerialdirektor Schäfer: Die Gerichte haben gesagt, die Entmannung ist zwar irreparabel, aber in aller Regel viel weniger einschneidend als eine lebenslängliche Freiheitsent­ ziehung, und ich möchte den Verurteilten sehen, der nicht die Entmannung vorziehen würde. Staatssekretär Dr. Freisler: S ie dürfen aber nicht die dreijährige Nachprüfung vergessen. Ministerialdirektor Schäfer: E r kann aber nur auf Widerruf herauskommen. E r ist lebenslang hinter M auern oder unter dem Druck, sofort wieder hineinzukommen. D as Reichs­ gericht hat immer ausgesprochen, daß die Entmannung die mildere Maßnahme ist. Professor Dr. Kohlmusch: Ich kann dem Herrn Ministerialdirektor nicht ganz folgen. I m Berliner gerichtsärztlichen Institut hat mir Professor Müller-Heß jedesmal gesagt, die Zu­ stimmung zu einer Entmannung sei für ihn der schwerste Entschluß, der ihm in seiner Tätigkeit auf­ erlegt werde, nicht nur wegen der Jrreparabilität und der weiteren seelischen Wirkungen, die w ir noch nicht kennen, sondern auch wegen der Diskreditierung der Familie. D as ist irreparabel und weit einschneiden­ der, als wenn er in Sicherungsverwahrung sitzt und alle paar Jahre geprüft wird, ob er hinauskann. Vom Standpunkte des Staates aus ist die Entmannung eine ungeheuer ernste Maßregel. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Vielleicht suchen wir zunächst einmal dem § 412 eine Fassung zu geben; w as gewollt ist, ist klar. Gewissen Wert möchte ich auf die Frage legen, ob wir die Anknüpfung an den § 412 fallenlassen. Jede Verselbständigung der Sicherungsverwahrung be­ deutet eine Minderung des Gewichts der Strafe. Ich glaube, es besteht auch kein Bedenken, wenn der § 412 so stehen bleibt; damit sind alle Wünsche erfüllt, nur nicht hinsichtlich des Sittlichkeitsverbrechers. Professor Dr. Kohlrarrsch: Beim § 424 wollen Herr Minister eine Vorstrafe verlangen? Dann sehe ich aber nicht ein, warum hier beim Sittlichkeitsverbrecher besondere Bestimmungen nötig sind. Ich habe es so verstanden: § 424 soll ab­ hängig gemacht werden von § 412 plus Verbüßung einer Freiheitsstrafe.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Der Unterschied ist folgender: D as „P lus", das von Ih n en vertreten worden ist, beruht auf dem Ge­ danken, daß man zuerst sehen müsse, ob die Strafe gewirkt hat. D as spielt in der jetzigen Fassung schon keine Rolle, wenn jemand nach Abs. 2 verurteilt wird. Bei dem Sittlichkeitsverbrecher soll abweichend von § 412 Abs. 2 auch eine T at genügen. Deswegen wollte ich an S ie die Frage richten, weil S ie gerade die verbüßte Vorstrafe verlangt haben, ob S ie sich mit diesem Gedanken befreunden können. Professor Dr. Kohlrausch: D as hat eigentlich damit nichts zu tun; es ist die Frage, ob bei Sittlichkeitsverbrechen eine noch größere Erweiterung eintreten soll als nach § 424. Reichsjustizminister D r. Gürtner: W ir haben z. B. bei der Entmannung auch den F all der Körperverletzung auf sexuellem Untergründe. M an kann sich vorstellen, daß Körperverletzungen in einer Form begangen werden, die nur deshalb nicht zum Lustmord geworden sind, weil der Täter noch nicht die nötige Energie hatte. I n diesem Fall soll nach dem Vorschlage Schasfsteins auch schon nach der ersten Verurteilung Sicherungsverwahrung erfolgen können. Professor Dr. Kohlrausch: Bei vernünftigem Gericht und vernünftigem Sach­ verständigen sehe ich keine Gefahr. Es aber zur all­ gemeinen Norm zu machen, eisscheint mir bedenklich. Reichsjustizminster D r. Gürtner: Gegen diesen Gedanken scheint doch kein grund­ sätzlicher Widerspruch zu bestehen, er hat auch etwas für sich, was einleuchtet. Nun kommt ein weiterer Punkt, das ist der nach­ trägliche Ausspruch der Sicherungsverwahrung. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich muß sagen, daß der Einwurf, den Herr M i­ nisterialdirektor Schäfer heute vormittag gemacht hat, doch erhebliches Gewicht hat. Wenn wir die nachträg­ liche Anordnung der Sicherungsmaßnahmen grund­ sätzlich zulassen, so wird der Richter in der T at ver­ führt werden, eher von der Anordnung einer notwen­ digen Sicherungsmaßnahme Abstand zu nehmen, weil er sich sagt, daß die Sache ja noch nachgeholt werden kann. Der pädagogische Gesichtspunkt von Herrn Ministerialdirektor Schäfer ist also durchaus berech­ tigt. Es kommt aber noch etwas weiteres hinzu. Die Erfahrung lehrt, daß die schweren Jungen die zahm­ sten Hotelgäste in den Zuchthäusern sind. I h r Ver­ halten in der Strafanstalt wird also in aller Regel keine Veranlassung geben, nachträglich die Siche­ rungsmaßnahme anzuordnen. Wenn sich diese Leute schon einmal im Zuchthaus gegen die Ordnung auf­ lehnen, dann ist das regelmäßig Meuterei, und dann bedarf eZ keiner Sicherungsmaßuahme, well ja eine

neue Strafe verhängt wird. Ich ziehe also meine Anregung, grundsätzlich die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zuzulassen, zurück. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Eine weitere Frage ist die der Umwandlung einer Maßnahme in eine andere. W ir haben drei Formen, die theoretisch lebenslänglich sind, die Sicherungsver­ wahrung, die Unterbringung in einer Heilanstalt und das Arbeitshaus. N ur diese drei ihrer N atur nach gleichen Maßnahmen könnten vikariiert werden. Eine zweite Frage ist die, ob auch der Übergang von der Sicherungsverwahrung zur Unterbringung in der Irrenanstalt ausdrücklich im Gesetz vorgesehen werden soll. D as wird von selbst gemacht, der Unter­ schied wäre nur, daß der Täter entweder einsitzt als Sicherungsverwahrter oder als Insasse der Irre n anstalt, was gewiffe Wirkungen für die Verantwort­ lichkeit hat. Ich wäre der Meinung, daß man diese V ariation ohne weiteres zulassen muß. Wie soll es technisch gemacht werden, wer soll es aussprechen, wer soll es beantragen? E s muß in der Disposition der Justizbehörde bleiben. Ich hätte mir gedacht: Antrag des Staatsanw alts, Entscheidung durch das Gericht. Wie ist es nun umgekehrt: Soll auch bei einem Mann, der in der Heilanstalt verwahrt und als geheilt be­ trachtet wird, nach unserer Auffassung aber lebens­ länglich interniert bleiben soll, die Variation in Siche1nmg3bertmf)nmg zulässig sein? (Zurufe: J a .) — D as ist die allgemeine Meinung. Profeffor Dr. Kohlrausch: Kommt nicht für den Übergang zu einer anderen Maßregel auch der F all in Betracht, daß jemand in eine Heilanstalt gebracht wird, die Annahme der Krankheit sich aber nachträglich als ein Irrtu m her­ ausstellt?

sich, daß der M ann nicht mehr geisteskrank ist; kann er nun in Sicherungsverwahrung gebracht werden? Muß man dann nur fragen: Bedeutet der M ann eine Gefahr für die Allgemeinheit, und erfordert dieser Ge­ sichtspunkt seine Unterbringung? Soll das die einzige Fragestellung sein, oder muß ich in dem Augenblick auch prüfen, ob die anderen Voraussetzungen, nämlich die drei Taten, vorliegen? F ü r die Unterbringung in der Heilanstalt genügt eine einzige Tat. Die Fassung der Sachbearbeiter lautet: „Ergibt die P rü ­ fung, daß die Voraussetzungen für eine andere der im Satz 1 bezeichneten Form der Unterbringung vor­ liegen, so kann das Gericht Vikariieren". W as heißt „die Voraussetzungen"? Is t das nur die Gemein­ gefährlichkeit, oder sind es auch die anderen Voraus­ setzungen? Staatssekretär Dr. Freister: Gemeingesährlichkeit muß allein entscheidend sein. Ministerialdirektor Schäfer: Dann würde jetzt mit anderen Worten der Voll­ streckungsrichter die Unterbringung in einer Heil­ anstalt in die Sicherungsverwahrung umwandeln können, und zwar auch bei den erstmalig Straffälli­ gen; da habe ich doch Zweifel. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Es kann deshalb schon nicht stimmen, weil die erste T at kein schwerer Raub zu sein braucht; es kann eine beliebige strafbare Handlung sein, bei der man sonst von Sicherungsverwahrung gar nicht reden kann. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: E s wäre auch unmöglich, daß das Vollstreckungs­ gericht etwas anordnet, was das erkennende Gericht überhaupt nicht hätte aussprechen dürfen. Ministerialdirektor Schäfer:

Professor D r. Mezger: Meines Erachtens ist das Bedürfnis, zwischen den verschiedenen Maßregeln der Sicherung und Besserung wechseln zu können, durchaus nicht gering, weil eben Irrtü m er und Veränderungen der Sachlage stets mög­ lich sind. M an kann aber diesem Bedürfnis schon im geltenden Recht Rechnung tragen. Denn nach § 4 2 n S tG B , hat das Gericht die Möglichkeit, mehrere Maßregeln der Sicherung und Besserung nebenein­ ander anzuordnen. Meines Erachtens ist eine solche mehrfache Anordnung gerade in den zweifelhaften Fällen sehr angezeigt und häufig notwendig. Sie sollte sich in der Praxis mehr einbürgern, was viel­ leicht auch durch geeignete Anweisung an die S ta a ts­ anwaltschaft gefördert werden könnte.

Ich bin von dem Gedanken ausgegangen, daß, wenn jemand grundsätzlich lebenslänglich unterge­ bracht ist, der S ta a t im Ergebnis über die Art der Unterbringung soll befinden können, daß es also aus­ reichen soll, wenn die formellen Voraussetzungen für eine Änderung gegeben erscheinen.

Ministerialdirektor Schäfer: M ir scheint noch ein Punkt der Klärung zu be­ dürfen; ich bin mir selbst darüber nicht ganz klar. Ich setze den Fall, daß jemand wegen Raubes oder Mord­ versuchs als vermindert zurechnungsfähig zu einer Zuchthausstrafe und außerdem zur Unterbringung in einer Heilanstalt verurteilt worden ist. Nachher ergibt

Reichsjustizminister Dr. G ürtner: D as würde ich nicht machen; ich meine, wenn man das Arbeitshaus, das für die Vagabunden, Prosti­ tuierten und Liederlichen gedacht ist, in dieser Form beibehalten will, ist ein Übergang nicht möglich, sonst würden wir den Charakter ändern. D as ist augen­ blicklich keine sehr wichtige Frage. Ich muß üder-

Wenn man sich dies klar gemacht hat, ist mir zweifelhaft, ob überhaupt das Vikariieren zwischen Sicherungsverwahrung und Arbeitshaus praktisch werden kann. Denn das Arbeitshaus haben wir nur bei Bettlern usw.; für diese Gruppen ist ein Vika­ riieren mit Sicherungsverwahrung nicht möglich. Ministerialrat Rietzsch:

Haupt sagen, diese Frage der Präventivhaft und der Erziehungshaft muß irgendwie einheitlich behandelt werden. Professor Dr. Kohlrausch: Ich habe noch eine Frage. Nach den Vorschlägen der Sachbearbeiter des Ministeriums sollen die An­ stalten, zwischen denen gewechselt werden kann, nur diejenigen sein, die auf Lebenszeit verhängt werden, also die Sicherungsverwahrung und die Heil- und Pflegeanstalt. Nicht einbezogen werden soll vor allem die Trinkerheilanstalt. E s sind aber auch gerade hier Fälle denkbar, wo ein Bedürfnis nach einem Hin­ überwechseln besteht. Bei einem Trinker besteht viel­ leicht zunächst die Notwendigkeit einer Entziehungskur. E s kann aber sein, daß er auch nach der Heilung gemeingefährlich bleibt. Es muß daher die Möglichkeit bestehen, ihn noch nachträglich in die Sicherungsver­ wahrung zu überführen. Vielleicht wird ja, wenn er sofort in Sicherungsverwahrung gebracht wird, die Anstaltsverwaltung von sich aus eine Entziehungskur anordnen. Wenn aber das Gesetz das Hinüberwech­ seln nur bei einigen Anstalten ausdrücklich zuläßt, so besteht die Gefahr, daß daraus ein a rg u m en tu m e co n trario hergeleitet wird. Staatssekretär Dr. Freister: Eine vernünftige Anstaltsleitung wird meines E r­ achtens schon von sich aus die erforderlichen Maß­ nahmen ergreifen. Professor Dr. Kohlrausch: D as glaube ich nicht. Die Anstaltsbeamten können vielfach die medizinisch notwendigen Maßnahmen nicht übersehen. Landgerichtsdirektor Leimer: Die Sache ist doch in der Sicherungsverwahrung sehr einfach. Der M ann bekommt eben kern Morphium. Professor Dr. Kohlrausch: D as ist aber keine Entziehungskur. S o einfach ist das nicht. Der M ann wird verrückt, wenn ihm das Gift einfach plötzlich entzogen wird.

Meine Herren, ich würde dann zu § 424 und § 412 die Anmerkung vorschlagen, bei den Sittlichkeitsdelik­ ten auf die Frage der sofortigen Sicherungsver­ wahrung zurückzukommen. Bei § 412 ist immer noch offen, ob wir an dem Erfordernis der drei vorsätz­ lichen Taten, von denen z. B. eine infolge einer Am­ nestie nicht zur Verhandlung gekommen ist, festhalten sollen. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich halte es für irrelevant, daß von den drei Handlungen des Täters zwei unter eine Amnestie ge­ fallen sind. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as hat auch viel für sich. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Es könnte dann eine amnestierte T a t ausgerollt werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Frage ist praktisch nicht belanglos, weil die Vorstrafen sein müssen Todesstrafe oder Zuchthaus — das spielt in aller Regel keine Rolle — , aber auch Gefängnis bis zu 6 Monaten. E s gab Amnestien, die bis zu 6 Monaten Gefängnis und sogar weiter ge­ gangen sind. Ministerialdirektor Schäfer: Es spielt weiter in Abs. 2 eine Rolle, wenn man an das niedergeschlagene Verfahren denkt. Dann wäre doch nötig, daß das neue Verfahren dieses nieder­ geschlagene Verfahren durchführt. Staatssekretär D r. Freisler: D as ist selbstverständlich, das muß auch sonst ge­ schehen, um die Persönlichkeit des gefährlichen Ge­ wohnheitsverbrechers zu erkennen. Ministerialdirektor Schäfer: W ir werden eine Niederschlagung durch einen Einzelakt, die gerade erfolgt, damit die Sache nicht verhandelt wird, ebenso berücksichtigen müssen. Staatssekretär D r. Freisler:

Staatssekretär D r. Freisler: Ich vermag diesen F all nicht anders anzusehen als die Fälle, in denen ein Sicherungsverwahrter sonst krank wird. Wenn er eine Blinddarmentzündung be­ kommt, so muß er operiert werden, und nach der Heilung wird er wieder in die Sicherungsverwahrung überführt.

Dann würde ich die Einzelnioderschlagung aus­ nehmen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: E s ist aber die Frage, ob die Amnestie nicht das Recht gibt, daß die Sache nicht verhandelt wird. Staatssekretär D r. Freisler:

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich muß allerdings zugeben, daß eine Ent­ ziehungskur nicht darin bestehen kann, daß man ihm kein Morphium mehr gibt, dann geht er zugrunde. Ich glaube aber doch, daß eine Entziehungskur in der Anstalt wie eine Behandlung anderer Krankheiten durchgeführt werden kann.

Ich gebe zu, daß bei den Amnestien, die im Sinne einer politischen Befriedung herausgekommen sind, eine gewisse Schwierigkeit entsteht, weil bei ihnen der Wunsch der Staatssührung ist, daß diese Fälle über­ haupt nicht vor Gericht behandelt werden. Es steht aber nichts entgegen, bei anderen Amnestien das Ver­ fahren nachträglich aufzurollen.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Die praktische Frage wäre also: Glauben Sie, meine Herren, daß durch die letzte Saaramnestie eine Reihe von Gewohnheitsverbrechern ihrem Schicksal soll entzogen werden können? Ministerialdirektor Schäfer: Allgemeine Amnestien über 6 Monate werden kaum noch kommen, wohl aber Amnestien, die für ganz bestimmte Fälle einmal höher gehen; und dafür paßt es. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich glaube, wir sollten es nicht definieren. Z ^den §§ 412 und 424 wären jetzt also jedenfalls die Wünsche klargestellt. D as Arbeitshaus lasten wir vorläufig erst einmal stehen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Soll man die kleine Kriminalität, die Beischlassdiebinnen usw., nur der Sicherungsverwahrung vor­ behalten? Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde allen Vorschlägen für die Beibehaltung des Arbeitshauses zustimmen. F ü r mich ist es aber vorläufig n u r ein Begriff. Senaispräsident Professor Dr. Klee: Gerade was diese Kategorien von Delinquenten abschreckt, ist die Ungewißheit, und dieses Element muß irgendwie erhalten bleiben, und es kann erhalten blei­ ben, wenn wir für diese Gruppen ein unbestimmtes S trafurteil einführen, vorausgesetzt, daß das Arbeits­ haus in der Form der Nachhast fallen und Haupt­ strafe werden würde. Der Maßstab für die Entlassung aus der Sicherungsverwahrung ist außerordentlich schwer, aber wenn es sich darum handelt, ob der Be­ treffende gelernt hat fleißig zu arbeiten, da ist der Maßstab durchaus einfach.' Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich hatte gemeint, wir sollten das Arbeitshaus hier einmal stehen lassen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Dann würde ich bitten, sein Anwendungsgebiet auszudehnen.

vor allem auch in der Art der Verwahrung. Vor allem die Überwachung ist beim Arbeitshaus eine viel ein­ fachere als bei der Sicherungsverwahrung. Wenn man also das Anwendungsgebiet des Arbeitshauses gegen­ über der Sicherungsverwahrung ausdehnt, so kann man auch erhebliche Kosten sparen. Zweifellos ist die Sicherungsverwahrung teurer. Ministerialdirektor Schäfer: Wenn man das Arbeitshaus erhalten will, ist es wichtig, daß die Insassen ziemlich homogen sind; es müssen die labilen Asozialen sein. Wenn wir jetzt den Kreis der Personen, die für das Arbeitshaus in Be­ tracht kommen, erweitern, besteht die Gefahr einer sehr ungleichmäßigen Gerichtspraxis. Dann kommt eine ungleiche Masse in die Arbeitshäuser hinein, und die Arbeitshäuser taugen überhaupt nichts mehr. Diese Erfahrungen haben wir mit den Zuhältern gemacht. Die Beischlafsdiebe sind Personen, die noch hinein­ passen. Aber diese Leute stehlen nicht nur, sie treiben auch Gewerbsunzucht, und dadurch bekommt man st­ öhne weiteres hinein. Wenn einmal jemand doch nicht hineingebracht werden kann, dann kommt er eben ins Gefängnis, darum sollten wir nicht so ängstlich sein und glauben, es könnte eine Lücke entstehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube auch, wir sollten den Charakter nicht verwischen. W ir würden doch im wesentlichen auf das Publikum abkommen, das wir jetzt haben. Dann käme die Unterbringung in einer Trinker­ heilanstalt; da sind einige Anregungen für Änderun­ gen von den Herren Schafsstein und Niethammer ge­ macht worden. Professor Dr. Kohlrausch: Ich habe eine Ergänzung zu § 426 vorgeschlagen. W ir brauchen eine Maßnahme für unzurechnungs­ fähige, aber nicht gemeingefährliche Täter von Rauschdelikten. M it solchen Leuten können wir zur Zeit nach dem Entwurf überhaupt nichts machen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie wollen also die Maßnahme der Trinkerheil­ anstalt auch zur Anwendung bringen, wenn keine Ver­ urteilung zu Strafe erfolgt? Professor Dr. Kohlrausch: Jaw ohl, und zwar wenn wegen Unzurechnungs­ fähigkeit keine Strafe verhängt werden kann.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich will einmal versuchen, wie man das irgendwie machen kann. Ich muß aber die Anmerkung machen, daß wir weder in den Zuchthäusern noch in den Ge­ fängnissen noch in den Arbeitshäusern Arbeit haben, sondern m it dem Arbeitsdienst einen erbitterten Kampf führen, um die Moorkulturen für die Gefan­ genen zu erhalten.

D as wäre also eine Parallelerscheinung zur Heilund Pflegeanstalt, die auch angeordnet werden kann, wenn Verurteilung zu Strafe nicht erfolgt.

Professor Dr. Schaffstein: Meines Erachtens darf man das Arbeitshaus nicht nur von dem Gesichtspunkt der Arbeit sehen. Der Unterschied gegenüber anderen Maßnahmen liegt aber

Professor Dr. Kohlrausch: Die Volltrunkenheit schließt nicht die Zurech­ nungsfähigkeit aus. Es kann aber sein, daß eine E nt­ ziehungskur nötig ist.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner:

Professor Dr. Graf Gleispach: Die Fassung des Entwurfs beruht auf der An­ nahme, daß durch § 426 alle Trinker ersaßt seien. Nach dem Text kommen folgende Falle in Betracht: 1. Die Begehung im Rauschzustand und 2. die Be­ gehung in Volltrunkenheit. Nun hat aber Professor Gruhle darauf hingewiesen, daß bei dieser Fassung eine Lücke bestehen bleibt. Nicht ersaßt würde nämlich derjenige, der sich im Zustand der Unzurechnungs­ fähigkeit betrinkt. M an wies darauf hin, daß diese Fälle besonders bei Epileptikern häufig sind, daß sie eine unüberwindbare Sucht nach Rauschgiften haben. Diese Leute können wir nach der Fassung des E nt­ wurfs überhaupt nicht erfassen, weil § 426 eine Be­ strafung voraussetzt. Denn Professor Gruhle har meines Erachtens auch darin recht, daß solche Leute nicht etwa geisteskrank sind und deshalb in einer Heil­ oder Pflegeanstalt untergebracht werden könnten. F ür sie kommt lediglich eine Entwöhnungskur in Betracht. Es bedarf also in dieser Richtung einer Ausdehnung des § 426. Ich weiß nicht, wieweit ich mich bei diesem Vorschlag mit denen von Professor Kohlrausch und Reichsgerichtsrat Niethammer decke. Ich halte jeden­ falls den von Professor Kohlrausch vorgeschlagenen Zusatz für durchaus richtig, weil Fälle möglich sind, die über § 426 nicht erfaßt werden können. Professor Dr. Kohlrausch: W as Herr Graf Gleispach sagt, ist ein Anwen­ dungsfall, zweifellos ein sehr wichtiger. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an geht doch davon aus, daß irgendeine straf­ bare Handlung vorliegt. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich halte den Zusatz Kohlrausch für durchaus be­ gründet. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn das die allgemeine Meinung ist, würde ich bitten, die Fassung zu suchen. Professor Dr. Kohlrausch: Wenn der Betreffende gemeingefährlich ist, muß natürlich nach § 427 verfahren werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann käme die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt. E s ist der Einwand gemacht worden, daß man das Wort Schuldunfähigkeit so allgemein nicht gebrauchen kann, weil die Kinder darunter fallen würden; das ist wohl nicht zu widerlegen. Es wurde weiter gefordert, den vermindert Zurechnungsfähigen an die erste Stelle zu setzen — Vorschlag Nietham­ mer — . D as müßte anders formuliert werden. I m Wortlaut kann man es nicht vorausnehmen. Der Vor­ schlag lautet: „Hat jemand eine S traftat im Zustand der verminderten Zurechnungsfähigkeit begangen, so ordnet das Gericht neben der S trafe die Unterbrin­ gung in einer Heil- oder Pflegeanstalt an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert."

Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte nochmals aus die Reihenfolge in der Anordnung der einzelnen Fälle in § 427 zurück­ kommen. Ich würde es vorziehen, den F all der Zu­ rechnungsunfähigkeit zuerst zu nennen. Ich kann hier Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer nicht folgen. Herr Reichsgerichtsrat Niethammer meint, die Aus­ nahme müsse der Regel nachfolgen, und der Fall der Zurechnungsunfähigkeit sei die Ausnahme, weil die Polizei in aller Regel diese Dinge zu erledigen habe. Ich bin aber der Meinung, daß die Staatsanw alt­ schaft alle Fälle der objektiven S traftat an sich zu ziehen und durchzuführen hat, und daß diese Fälle keine Ausnahme bilden dürfen. Auch sind die Fälle eines Irrtu m s gar nicht so selten. Wenn man aber beides anerkennt, so würde ich die schweren Fälle der Zurechnungsunfähigkeit zuerst nennen und § 427 so ausbauen wie bisher. Ich habe aber auch sachliche Bedenken gegen die von Herrn Reichsgerichtsrat Niet­ hammer vorgeschlagene Formulierung. Wenn es heißt, daß die Unterbringung angeordnet werden k a n n , so klingt das meines Erachtens merkwürdig, nämlich als prozessuale Vorschrift; und das haben wir doch nicht gewollt. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich habe den Vorschlag auf Grund der Erfahrun­ gen, die wir mit dieser Anordnung gemacht haben, so ausgearbeitet. Weitaus die überwiegende Zahl der Fälle betrifft die Anordnung gegen den vermindert Zurechnungsfähigen. Die wenigen Fälle, in denen wir über Schuldunfähige zu befinden hatten, waren so beschaffen, daß man sagen mußte, es ist irregegan­ gen worden. Ich möchte doch den Grundsatz aufrecht­ erhalten, daß, wenn das Gericht überhaupt in die Lage kommt, diese Anordnung gegenüber Schuldunsähigen zu treffen, etwas vorgegangen sein muß, was nicht nur das äußere Bild einer strafbaren Handlung bietet. D as eine ist sicher richtig: Bleibt die Schuldsähigkeit bis zur Hauptverhandlung im Zweifel, so kann das Gericht diese Anordnung treffen; dasselbe gilt, wenn eine Mehrzahl von Personen beteiligt und darunter eine ist, bei der Schuldunfähigkeit in Frage kommt. Aber wenn ein solcher Zusammenhang von vornherein nicht gegeben ist, ist es nicht Sache des Gerichts, sich mit der Vorbeugung abzugeben. Die Verwaltungs­ behörde arbeitet in diesen Dingen rascher, leichter und mit einfacheren Mitteln. E s liegt uns viel daran, durch die Fassung zum Ausdruck zu bringen, daß das sichernde Einschreiten des Gerichts gegen die von Geisteskranken drohenden Gefahren eine Ausnahme bilden soll. Staatssekretär D r. Freister: Ich möchte zu diesem Punkt noch auf eine E r­ fahrung hinweisen, die wir im Jahre 1933 in Preußen gemacht haben. W ir haben nämlich festgestellt, daß die Nichtjustizbehörden in solchen Dingen sehr viel schlechter arbeiten als die Gerichte, und w ir glauben, daß der Grund hierfür in der Kostensrage zu suchen ist. Deshalb lausen heute noch sehr viele Leute in der

Freiheit herum, die gefährlich ftttb, an die die Ge­ richte aber nicht herankönnen. Deshalb scheint mir das, was Herr Ministerialdirektor Schäfer gesagt hat, sehr richtig zu sein. Professor D r. Mezger: Ich muß gegen die Fassung von Herrn Niethammer in Abs. 2 gewisse Bedenken anmelden. Dieser Abs. 2, der also die Fälle der völligen Schuldunfähigkeit be­ trifft, soll nach der jetzigen Fassung eine bloße Kannvorschrift werden. Dagegen habe ich Bedenken. Die Gerichte werden das so auffassen, als ob die Anord­ nung der Maßregel nur in ihrem pflichtmäßigen E r­ messen stünde. Reichsgerichtsrat Niethammer: Eine Kannvorschrist ist das nur insofern, als die Staatsanwaltschaft von der Einleitung eines Ver­ fahrens absehen kann, wenn sie es für richtig hält. Geht aber die Staatsanwaltschaft vor, so muß das Gericht selbstverständlich die Maßregel anordnen, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen. D as scheint m ir aus der von mir vorgeschlagenen Fassung klar hervorzugehen. Bei der selbständigen Einziehung drücken wir uns z. B. genau so aus. Professor D r. Mezger: Ich glaube, die Gerichte werden das nach der Fassung so nicht auslegen. Ich würde bitten, ganz klar zu stellen, daß der Rechtszustand so bleiben soll, wie er heute ist. Reichsgerichtsrat Niethammer: Dieselben Bedenken kann man gegen § 42 des geltenden Strafgesetzbuchs erheben. D ort ist auch ge­ sagt, daß aus die Maßnahme der Einziehung selb­ ständig erkannt werden kann. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Ich möchte der Redaktionskommission zu diesem Punkt ganz allgemein einen Vorschlag machen. Meines Erachtens wird das, was wir wollen, doch am besten durch folgende Fassung klargestellt: D as Gericht ord­ net an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert. Professor D r. Kohlrausch: Ich glaube, Herr Reichsgerichtsrat Niethammer meint in der T at das, was wir alle wollen. Es ist hier kein Können, das im Gegensatz zum Müssen steht, sondern ein Ermächtigungskönnen. Aber ich trete Herrn Mezger darin bei, daß das Gericht es mißver­ stehen kann. W ir haben dieselbe Fassung jetzt im § 4 des Strafgesetzbuchs, und hier ist daraus eine große Streitfrage entstanden. Ministerialdirektor Schäfer: Herr Reichsgerichtsrat Niethammer sieht nur die Fälle, die an das Reichsgericht kommen. Da handelt es sich fast immer um verminderte Zurechnungsfähig­ keit. Ich möchte aber die Zurechnungsunfähigkeit an die erste Stelle setzen, die wohl doch — im ganzen ge­ sehen — die größte Rolle spielt!

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich halte die Frage nicht für sehr wichtig und bitte die Unterkommission zu entscheiden. W ir kommen zu § 428. Hier ist der Platz, wo über die Variation zu sprechen ist. Soweit ich sehe, ist Herr Niethammer ein Gegner dieses Gedankens, während er sonst einigermaßen Anklang gefunden hat. W ir waren uns nicht klar, ob wir die V ariation nur zwi­ schen Heilanstalt und Sicherungsverwahrung zulassen oder auch das Arbeitshaus einbeziehen sollen. Da meine ich, wenn wir das Arbeitshaus als Land­ streicherunterkunst markieren wollen, können wir es eigentlich nicht tun. Wird zu § 429 sonst das Wort gewünscht? Staatssekretär D r. Freisler: Zu § 428 habe ich noch anzumerken, daß ich es nicht für richtig halte, wenn man das Gericht über die Aussetzung der Maßnahmen entscheiden läßt. D as frühere Herauskommen aus der Anstalt muß meines Erachtens von derjenigen Behörde bestimmt werden, die die Maßnahme vollzieht. Die im § 428 vorge­ schriebene Prüfung sollte also das Gericht nicht vor­ nehmen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es ist das eine Frage, die wir entscheiden müssen. D as Gericht hätte nach der Anordnung nichts mehr zu sagen, das müßte der Staatsanw alt machen. Professor D r. Kohlrausch: Ich habe § 428 dahin aufgefaßt, daß mit dem Ge­ richt, das von Zeit zu Zeit die Notwendigkeit der Maßnahme nachzuprüfen hat, das Vollstreckungs­ gericht gemeint ist. Ich halte aber weder das erken­ nende noch auch das Vollstreckungsgericht für geeignet zur Entscheidung dieser Frage. Hier muß die schon so oft geforderte besondere Behörde geschaffen werden. D as war immer einer der Kernpunkte, um die bei Einführung der Sicherungsmaßregeln gerungen wurde. Wie soll diese Behörde beschaffen sein? Darüber haben wir uns bisher noch nicht den Kopf zerbrochen. Der Kostengesichtspunkt kann gegen die Einführung einer solchen besonderen Behörde nicht geltend gemacht werden, weil die Zugänge in Zukunft viel seltener sein werden als im letzten Ja h r, unmittel­ bar nach Inkrafttreten der Novelle. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn man die Staatsanwaltschaft hier einführen wollte, dann wäre hier zu lesen: Justizminister. Der Justizminister müßte dann Richtlinien herausgeben, die lauten würden, daß Äußerungen des S ta a ts­ anwalts, der Polizei und des Arztes einzuholen seien. Professor Dr. Schassftein: Ich wollte eigentlich dasselbe einwenden, was schon der Herr Minister gesagt hat. Ich sehe aber aus denselben Gründen nicht ein, warum man diese Ent­ scheidung nicht der Staatsanwaltschaft übertragen will. Wenn wir eine besondere Behörde schaffen, so

soll das doch eine Kollegialbehörde sein, in der eine Abstimmung notwendig ist. Diese Abstimmung aber widerspricht unseren Auffassungen über das Führer­ prinzip im Strafprozeß und der Gerichtsverfassung. Wenn man aber diese Abstimmung nicht zuläßt, dann wäre das Ergebnis genau dasselbe, wie wenn man diese Aufgabe dem Staatsanw alt überträgt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist theoretisch alles sehr schön. Staatsanw alt heißt in diesem Falle Justizminister. Aber glauben S ie gar nicht, daß eine Jndividualbehandlung der Fälle im Justizministerium irgendeine Besserung ist. Zentralisierung von Entscheidungen bei der Zentrale bedeutet keine besondere Garantie. Professor Dr. Kohlmusch: Ich würde hier vor einer Abstimmung gar keine Angst haben. Es soll sich doch um eine Behörde han­ deln, die in ihrer Struktur mit Erbgesundheitsgerichten sehr ähnlich ist. Hier hat der Führergesichtspunkt gar keine Berechtigung. Es handelt sich um ein Gre­ mium von Sachverständigen, von Ressortvertretern, bei dem jeder sein besonderes Wissen mitbringt und das Interesse seines Ressorts — das polizeiliche, ge­ sundheitliche usw. — vertritt. E s hat hier keinen S inn, einen von diesen Sachverständigen zum Führer zu machen. Ministerialdirektor Schäfer: Es handelt sich um eine Frage, die im Voll­ streckungsstadium zu entscheiden ist. Wir haben uns in der Strafvollzugskommission grundsätzlich die Frage vorgelegt: Trifft die Enscheidung die Vollzugs­ behörde, das wäre der Anstaltsleiter, trifft sie die Vollstreckungsbehörde, das wäre der Staatsanw alt oder der Amtsrichter, oder trifft sie das Vollstreckungs­ gericht? W ir sind von den früheren E nt­ würfen, die das Vollstreckungsgericht stark ein­ schalten, abgegangen und haben in hohem Maße die Vollzugs- und die Vollstreckungsbehörde eingebaut, haben mitunter aber das Vollstreckungsgericht dann gelassen, wenn es sich um die Auslegung, Ergänzung oder Ausfüllung eines Urteils handelt, weil wir meinen, daß dann die richterliche Tätigkeit in den Vordergrund tritt. W ir haben geglaubt, daß die E nt­ scheidung darüber, ob dieses bis jetzt auf „lebenslang" lautende Urteil aufrechterhalten werden soll, aller­ dings zur richterlichen Tätigkeit gehört, und zwar ist das Vollstreckungsgericht zuständig, wobei wir noch nicht entschieden haben, wie es zusammenzusetzen ist. Es ist offengeblieben, ob ein Sachverständiger hinzu­ gezogen werden soll. Aber ich möchte glauben, daß wir nicht davon abgehen dürfen, daß eine solche wich­ tige Entscheidung weder der Vollstreckungs- noch der Vollzugsbehörde übertragen werden darf. M an könnte sogar zweifeln, ob die Entscheidung nicht so einschnei­ dend ist, daß sie eine besondere Verhandlung erfordert. Wenn wir von der Entscheidung durch das Bollstreckungsgericht abgehen und die Entscheidung dem Staatsanw alt allein überlassen, würde auf die Dauer nicht ausbleiben, daß die Gerichte Bedenken tragen,

dem Staatsanw alt eine solche Blankovollmacht aus­ zustellen. W ir müssen doch bei gewissen Garantien des Rechtsstaats bleiben, und hier scheint es sich für mich um die Frage der Aufrechterhaltung einer solchen Garantie zu handeln. Staatssekretär Dr. Freister: Der einzige Grund, mit dem man den Vorschlag von Herrn Ministerialdirektor Schäfer verteidigen kann, ist der, daß die Garantien des Rechtsstaats er­ halten bleiben müssen. Damit hat sich nämlich die Argumentation zum Kernpunkt vorgeschoben. M an fragt sich, ob im Staate irgendjemand zuverlässig genug ist, damit man ihm die Entscheidung über diese Frage anvertrauen kann. Herr Ministerialdirektor Schäfer sagt, diese Entscheidung sei so besonders wich­ tig, daß sie die Staatsanwaltschaft nicht treffen könne. Also ist die Staatsanwaltschaft nicht wert, die Ent­ scheidung zu treffen, die Staatsanwaltschaft ist nicht zuverlässig, sie ist kein G arant der Ordnung, und diese Garantie muß man doch haben. Wenn dann weiter gesagt wird, die Gerichte würden bei der von mir vor­ geschlagenen Regelung Bedenken tragen, SicherungsMaßnahmen anzuordnen, so kann nicht deutlicher ge­ sagt werden, daß die Gerichte auf die S taatsanw alt­ schaft herabsehen. Und so kommt man dazu, von den Garantien des Rechtsstaats zu sprechen. Daraus ver­ mag ich gar nichts zu geben. Der Herr Minister hat schon gesagt: Wenn wir Staatsanwaltschaft sagen, so meinen wir den Minister. Wenn das richtig ist, und es ist richtig, dann führt also die Argumentation mit den Garantien des Rechtsstaats zu der Schlußfolge­ rung, daß die Garantie geringer ist, wenn der M i­ nister entscheidet, als wenn diese Entscheidung in der Hand eines Amtsgerichtsrats liegt. E s handelt sich bei dieser Entscheidung um gar nichts anderes wie bei der bedingten Strafaussetzung. Es hat sich aber durchaus bewährt, daß wir die Ent­ scheidung hierüber den Gerichten im Jah re 1933 ge­ nommen haben. M ir ist kein einziger F all bekannt geworden, in dem die Staatsanwaltschaft in Gnaden­ sachen unsachgemäß gearbeitet hätte. Ich bin weiter der Meinung, daß w ir den Grundcharakter der Siche­ rungsverwahrung ändern, wenn wir die Entscheidung über die spätere Aufhebung der Maßnahmen dem Vollstreckungsgericht übertragen. Es ist dann weiter nichts als die Verurteilung auf unbestimmte Zeit, die w ir gerade nicht haben wollen. Wenn ferner auf die Ergebnisse der Beratung der Strafvollzugskommission hingewiesen wird, so muß ich anmelden, daß diese Ergebnisse dem Herrn M i­ nister bisher nicht vorgelegen haben. F ü r mich liegt also darin gar kein Argument. Wollten wir den Weg des Entwurfs gehen, so müssen wir auch die Gnaden­ entscheidungen konsequenterweise an die Gerichte zu­ rückgeben. Ich würde es aber ganz außerordentlich bedauern, wenn das Vertrauen, das wir jetzt gottseidank der Staatsanwaltschaft entgegenbringen, wieder schwinden würde. Selbstverständlich kann man im Gesetz vorschrei­ ben, daß sich der Oberstaatsanwalt in solchen Fällen

beraten lassen muß. Dagegen bestehen gar keine Be­ denken. E s genügt aber auch eine Allgemeine Ver­ fügung des Ministers. Ich könnte mir sogar eine Entscheidung des Oberstaatsanwalts ohne diese Be­ ratung gar nicht vorstellen. E r muß sicher in aller Regel vor seiner Entscheidung einen Facharzt oder einen maßgebenden Anstaltsbeamten hören. Ich glaube also nach allem, daß es gar keine Schwierigkeiten machen dürfte, diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft anzuvertrauen. Wenn hier schon Schwierigkeiten auftauchen, so werden sie an anderen Stellen der Neuordnung noch viel mehr erscheinen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine Zwischenfrage! Warum wollen Sie dann die Sicherungsmaßnahmen nicht auch von der Staatsanwaltschaft anordnen lassen? Staatssekretär Dr. Freister: Ich bin immer davon ausgegangen, daß die bis­ herigen Arbeiten im Strafverfahrensrecht drei zeit­ liche Stadien unterscheiden, das Stadium bis zur Hauptverhandlung, das ausnahmslos der Leitung des Staatsanw alts unterstellt ist, das Stadium bis zum Urteilsspruch, das der Herrschaft des Gerichts untersteht, und das Stadium der Vollstreckung und der Gnade; das sollte dem Gericht nicht gegeben werden. Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß die A n o r d n u n g der Sicherungsverwahrung dem''Gericht gebührt. Zweifelhaft hätte das sein können, wenn man auch auf eine nachträgliche An­ ordnung abgekommen wäre. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sehr viel Gewicht hat diese Beweisführung an sich nicht, weil nirgends geschrieben steht, daß mit dem Urteil die Sicherungsverwahrung ausgesprochen wer­ den müsse. Wenn wir davon ausgehen, daß die Siche­ rungsverwahrung mit Schuld und Sühne nichts zu tun hat, müßten wir sie konsequenterweise gar nicht als Richtersache, sondern als reine Verwaltungsmaßnahme, die nach Zweckmäßigkeitserwägungen erfolgt, betrachten. Dann könnten S ie so weit gehen und sagen, der Staatsanw alt ordnet auf Grund der Hauptver­ handlung die Maßregel an. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich komme zu demselben Ergebnis wie Herr Ministerialdirektor Schäfer. Von dem Gesichts­ punkt rechtsstaatlicher Garantien will ich absehen. Wenn man die Staatsanwaltschaft selbst, nicht die Unterlagen, aus denen sie ihre Entschließungen schöpft, betrachtet, so bietet sie sicher dieselbe Garantie wie das Gericht. Wenn man aber das Gericht einen Blankoausspruch fällen läßt, so ist es meines Erach­ tens die Konsequenz, das Gericht auch an der Aus­ füllung des Blankoausspruchs zu beteiligen. W as war an dem früheren Rechtszustand so unbefriedigend? Die Tatsache, daß das Gericht nur die Zulässigkeit der bessernden Maßnahme aussprechen durfte. Nachher machte dann die Verwaltungsbehörde w as ihr gut­ dünkte. Die Novelle vom November 1933 brachte

den großen Fortschritt, daß man dem Gericht die Be­ fugnis gab, die Maßregel bindend für die Verwal­ tungsbehörde anzuordnen. Wenn überhaupt das Ge­ richt an der Vollstreckung der sichernden Maßnahmen beteiligt werden soll, dann ist hier der Platz für diese Beteiligung. Noch aus einem anderen Grunde sollte man das Gericht beteiligen. Die Staatsanwaltschaft wird bei ihrer Entscheidung ganz auf das Gutachten der Anstaltsleitung angewiesen sein. I n diesem Gut­ achten werden sicher häufig Zweckmäßigkeitsgesichts­ punkte (Überfüllung der Anstalt) maßgebend sein, und von solchen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten wird sich ein Gericht viel eher freihalten. Ich glaube also doch, daß die Beteiligung des Gerichts notwendig ist. M in­ destens müßte die Staatsanwaltschaft das Gericht hören, bevor sie die Entscheidung trifft. D as scheint mir unbedingt notwendig zu sein. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Meine Herren, ich glaube, alle Gedanken, die sich um diesen Punkt drehen, müssen wir von einem grund­ sätzlich entlasten, nämlich von dem Minderwertigkeits­ komplex. Ich habe immer den Standpunkt vertreten, und zwar entgegen der preußischen Auffassung, daß das, was der Staatsanw alt tut, von seiner Person aus gesehen, sich von dem, was der Richter tut, nicht sehr viel unterscheidet. E r wird anklagen, wenn er von der Schuld überzeugt ist, sonst handelt er falsch. Ein anderer Punkt ist schon der: Die Unterbringung dauert so lange, wie der Zweck es erfordert. Darin liegt eine Blanketteigenschaft des Spruches. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich möchte nur kurz einen Punkt richtigstellen, den Herr Staatssekretär Freister erwähnt hat: Es sei kein Widerspruch in sich, wenn man dem Gericht zwar die Anordnung der Maßregel übertrage, ihm aber den Einfluß auf den weiteren Verlaus der Sache nehme. Meines Erachtens hat Herr Senatspräsident Klee völlig recht darin, daß das Gericht, wenn es die Maßregel anzuordnen hat, auch die Möglichkeit haben muß, darüber zu entscheiden, ob die Maßregel noch weiterhin notwendig ist. Ich möchte dann noch auf einzelne Punkte kurz eingehen, die in der Debatte hervorgetreten sind. Herr Professor Kohlrausch hat gesagt, die Entscheidung über die Fortdauer der Maßregel sei keine echte Führerentscheidung. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Denn gerade diese Entscheidung weist gestaltend in die Zukunft. Herr Ministerialdirektor Schäfer hat gesagt, die Anordnung der Sicherungsverwahrung sei ein so ungeheurer Blankoausspruch, daß man dem Gericht auch die weitere Kontrolle über die Siche­ rungsverwahrung einräumen müsse. Dieser Ansicht bin ich-nicht. Denn wenn ein Gericht lebenslanges Zuchthaus verhängt, so ist das im Grunde nichts anderes. Ich würde folgenden Weg für den richtigsten hal­ ten: Die Staatsanwaltschaft soll die Entscheidung tref­ fen, jedoch unter Anhörung des Gerichts. Diese An­ hörung des Gerichts halte ich deshalb für zweckmäßig,

weil es in den Augen des Volkes sicher sehr wichtig ist, daß die Entscheidung in dieser Weise untermauert ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Vergleich mit der Gnadenentscheidung bei dem lebenslangen Zuchthaus ist etwas angreifbar, denn so wollen wir es doch nicht machen; es handelt sich vielmehr um die Erfüllung des Satzes: Solange der Zweck es erfordert. Staatssekretär Dr. Freister: Darüber, ob die Entscheidung mit Anhörung oder mit Zustimmung des Gerichts von der S taatsanw alt­ schaft zu treffen ist, scheint mir eine lange Debatte nicht notwendig zu sein. An eine Zustimmung könnte wohl nur gedacht werden, wenn der betreffende Täter aus der Sicherungsverwahrung entlasten werden soll. Deshalb scheint mir nur der Weg der Anhörung gang­ bar zu sein. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich würde bitten, es bei der Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts zu lassen. Als ich die §§ 428 und 430 gelesen habe, habe ich keinen Zweifel daran gehabt, daß hier das Vollstreckungsgericht zu entschei­ den hat. Der Abschnitt ist bei uns am 30. März in einer Beratung, an der der Oberreichsanwalt und mehrere Neichsanwälte teilgenommen haben, be­ sprochen worden. Niemand ist auf den Gedanken ge­ kommen, daß man da eine Wertvergleichung anzu­ stellen hätte. M ir selbst liegt das auch fern, da ich 9 Jah re Reichsanwalt und 5 Jahre Neichsgerichtsrat gewesen bin. Wenn wir alle davon ausgegangen sind, daß hier das Vollstreckungsgericht angerufen werden muß, so war für uns allein der In h a lt der Entschei­ dung maßgebend, daß es sich um etwas handelt, das in die richtende^ Tätigkeit fällt oder doch eng mit ihr verwandt ist. Ein Vollstreckungsgericht wird immer bestehen müssen, und hier ist es doch so, daß der Rich­ terspruch ausgefüllt wird. Irgendeine andere Lösung, etwa daß das Gericht nur zustimmen soll, wird zu Verzögerungen führen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Eine Konstruktionsform, die mir schriftlich vor­ gelegt wird, wäre die: Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Ministerialdirektor Schäfer: Ich würde mich mit diesem Vorschlage ohne weite­ res einverstanden erklären; vielleicht ist das eine mitt­ lere Linie, aus die wir kommen können. M an muß davon ausgehen, daß die Entscheidung über die Siche­ rungsverwahrung eine Blankoentscheidung ist. Die Entscheidung besagt, daß die Verwahrung lebenslänglich dauern kann, daß aber von 3 zu 3 Jahren festzustellen ist, ob der Zweck die Verwahrung noch erfordert. D as ist ein sehr großer Unterschied von einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe. E s ist aber noch etwas anderes zu berücksichtigen, was Herr Präsident Thierack genau so gesehen hat, wie

ich es sehe: Wer ist in den Augen des Volkes der­ jenige, der die Verantwortung tragen kann? D as Volk versteht es nicht, daß der S taatsanw alt die E n t­ scheidung trifft. Allerdings hat das Herr Präsident Thierack vorgeschlagen; aber er hat doch betont, daß das Volk nach einer anderen Stelle verlange. Ich kann auch nicht den Vergleich mit dem Erlaß einer Reststrafe gelten lassen. F ü r diesen Erlaß haben wir die Ermächtigung nur bis zu 6 Monaten erstreckt, und hier geht es von 3 zu 3 Jahren. Um jeden Ver­ dacht, als sei der Staatsanw alt nicht gleichwertig, zu beseitigen, möchte ich den Vorschlag aufgreifen, daß das Gericht an die Zustimmung des S taatsanw alts gebunden ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir wollen einmal überlegen, was nach diesen 3 Jahren geschieht. Es soll entschieden werden, ob er herauskommt oder nicht. Der Vertreter des Staates in diesem mehr verwaltungsmäßigen Sinne scheint mir der Staatsanw alt zu sein. Wenn das Gericht den M ann nicht herauslassen will, kann es der S ta a ts­ anwalt nicht erzwingen; wenn das Gericht ihn heraus­ lassen will, und der Staatsanw alt widerspricht, dann ist das ausschlaggebend. Staatssekretär Dr. Freister: Warum kann man das nicht offen so machen: Wenn das Gericht sagt, er darf nicht hinaus, kann ihn der S taatsanw alt doch hinausschicken, denn dann taucht die Frage auf, ob er begnadigt werden kann. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nein, das kommt hier nicht in Frage, weil es sich um eine Sicherungsmaßnahme handelt. Staatssekretär Dr. Freister: Ich bin der Meinung, daß man ihn doch begna­ digen kann. Aber abgesehen davon, bezieht das Gericht das M aterial vom Staatsanw alt; denn der Generalstaatsanwalt und der Vollzugspräsident sind eine Person geworden. Ministerialdirektor Schäfer: Der Oberstaatsanwalt ist nicht Vollzugsbehörde. Staatssekretär Dr. Freister: D er Oberstaatsanwalt ist weisungsgebunden gegenüber dem Generalstaatsanwalt, und die Voll­ zugsbehörde ist vom Generalstaatsanwalt unmittelbar abhängig; es ist eine Behörde, und von dieser bezieht das Gericht die Beurteilung des Mannes. Deshalb glaube ich nicht, daß es praktisch werden kann, daß das Gericht den M ann weiter einsitzen lassen will, obgleich die Vollzugsbehörde ihn herauslassen will, Ich verstehe nicht, warum man die Entscheidung einer Stelle geben muß, die ganz außerhalb steht. Wenn man das Gericht beteiligen will, mag man es hören; das ist keine Herabsetzung des Gerichts, w ir haben dasselbe auch bei der Begnadigung. M an kann eine Verwaltungsversügung herausbringen, wonach der

S taatsanw alt an den Minister zu berichten hat, wenn er die Verwahrung fortsetzen will, obwohl das Gericht für ihre Aufhebung ist. Ministerialdirektor Schäfer: Wer soll nun aber die Entscheidung treffen, wenn es sich um das Hinüberwechseln zu einer anderen Maßregel handelt? Staatssekretär Dr. Freister: W ir wollen die eine Frage nicht mit der anderen belasten. W ir können doch beides getrennt behandeln. Nachdem w ir diesen Wechsel nur zugelassen haben zwischen Sicherungsverwahrung und Heil- und Pflege­ anstalt, kann die Entscheidung über diesen Wechsel unbedenklich dem Gericht überlassen werden. D as hat aber mit meiner Frage gar nichts zu tun. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Hier liegen doch die Dinge wesentlich anders; die Unterlagen, auf denen das Urteil beruht, haben sich geändert. D as Gericht hätte auf Heilanstalt erkannt, wenn es gewußt hätte, daß der M ann geisteskrank ist. E s ist eine Korrektur der eigenen Entscheidung, und da muß das Gericht entscheiden. Professor Dr. Dahm: Von allen Vorschlägen, die hier gemacht worden sind, sollte einer von vornherein ausscheiden: der Kompromißvorschlag, der dahin geht, man möge den Richter an die Zustimmung des S taatsanw alts bin­ den oder umgekehrt. Hier gibt eine grundsätzliche E r­ wägung den Ausschlag. Wie überall, so muß auch hier das System mißtrauischer Kontrollen und wechselseiti­ ger Hemmungen, muß die Verdunkelung der Verant­ wortung beseitigt werden, die bisher den Prozeß ge­ kennzeichnet hat. Darum müssen wir den Richter aus dem Vorverfahren und dem Strafvollzug, den S ta a ts­ anwalt aus dem Hauptverfahren herausnehmen und so klare Verantwortungen schaffen. Es kommt hier darauf an, das Wesen der Ent­ scheidung richtig zu bestimmen. Meiner Meinung nach handelt es sich um eine typische Verwaltungsentschei­ dung, die von praktischen Zweckmäßigkeitserwägungen abhängig ist. Wenn keine zwingenden praktischen Gründe dagegen sprechen, so muß die Entscheidung also dem Staatsanw alt übertragen werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Und bei der Anordnung der Sicherungsver­ wahrung? Professor Dr. Dahm: Diese Entscheidung möchte ich allerdings dem Richter überlassen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: F ür die Anordnung der Sicherungsverwahrung wollen S ie das Gericht behalten, das ist der Bruch in der Linie. Wenn S ie sagen würden, der Richter entscheidet über Schuld und Sühne, über Recht und Unrecht, nachher wird der M ann angesehen, wie er

sich unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Sicher­ heit ausnimmt, das ist keine rechtliche Entscheidung, und deswegen bestimmt der Staatsanw alt und der Minister, daß dieser M ann von der öffentlichen B ild­ fläche verschwindet, dann wäre es konsequent. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist ebenso typisch verwaltungsmäßig wie ihre Aufhebung. Wenn die diskretionäre Entscheidung über die Freiheit von Menschen völlig unkontrolliert in der Hand einer Behörde ist, dann liegt der Bazillus in der Luft, daß das keine Rechtsgrundlage sei. Professor Dr. Dahm: M an hat hier einen Widerspruch darin gesehen, daß die Entscheidung über die A n o r d n u n g der Sicherungsmaßnahme dem Richter, dagegen die E nt­ scheidung über die Fortdauer der Maßregel dem Staatsanw alt übertragen werden soll. D as hat darin seinen Grund, daß die Anordnung der Sicherungs­ maßnahme an die Feststellung einer strafbaren Hand­ lung gebunden ist, eine Feststellung, die späterhin nicht mehr notwendig ist. D as ist der innere Grund dafür, daß wir für die Anordnung der Maßnahmen den Rich­ ter brauchen, nicht aber für die spätere Aushebung. Professor Dr. Henkel: M ir scheint, daß man die Frage nicht unter dem Gesichtspunkt betrachten darf, ob es sich hier um eine richterliche oder eine Verwaltungsmaßnahme handelt. W ir wollen für die Strafversahrenserneuerung eine klare Abgrenzung der Verantwortung der am Ver­ fahren beteiligten Staatsorgane und die Gliederung des Strafverfahrens in dem Sinne erstreben, daß für bestimmte Versahrensabschnitte jeweils ein S ta a ts­ organ in vollem Umfang verantwortlich sein soll. S o scheint es mir für die vorliegende Frage ganz zwin­ gend, daß die Entscheidung über die Anordnung der Maßregel nur durch den Richter getroffen werden kann, weil er das Entscheidungsverfahren führt. W ir müssen uns aber hinsichtlich der Fortdauer der M aß­ regel fragen, wer in diesem Stadium des Ver­ fahrens der Sache am nächsten steht. Dieses Strafrechtspslegeorgan soll dann auch entschei­ den. Da scheint es mir ganz zwingend die Vollstreckungsbehörde zu sein, der die Entscheidung gebührt. Um die Entscheidung, die von besonderer Bedeutung ist, aus dem alltäglichen Arbeitsbetrieb der Strafvollstreckungsbehörde herauszunehmen, könnte man den Generalstaatsanwalt als den S trafvollzugspräsidenten für zuständig erklären und die beratende Mitwirkung von Sachverständigen vor­ sehen. Jedenfalls ist es nicht einleuchtend, weshalb hier ein Gericht entscheiden soll, das der Sache in diesem Teil des Verfahrens fremd gegenübersteht und dem die Sachkunde fehlt, das also hier keine G aran­ tien für eine bessere Entscheidung bietet. Wir betrach­ ten heute die Funktionen der am Strafverfahren be­ teiligten Staatsorgane (Staatsanwaltschaft und Ge­ richt) nicht mehr — wie nach der liberalen Ver­ fahrensausfassung — als gegensätzlich, sondern als einander ergänzend. Deshalb ist nichts dagegen ein­ zuwenden, wenn der Strafvollstreckungsbehörde in

Zukunst eine Entscheidung zugesprochen wird, die im liberalen Verfahrensdenken als eine nur richterliche Entscheidung erschien. Profeffor Dr. Kohlrausch:

Selbstverständlich handelt es sich, auch wenn die Staatsanwaltschaft entscheidet, keineswegs um eine Entscheidung nach freiem Ermessen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner:

Obwohl ich sicher des Wunsches nach rechtsstaarlichen Garantien hinreichend verdächtig bin, würde ich diese Entscheidung dem Gericht nicht übertragen, weil ich das Gericht hierfür nicht geeignet halte. F ür die Anordnung zwar ist das Gericht deshalb geeignet, weil die Entscheidung über die Strafe und Siche­ rungsmaßnahme im Grunde eine Einheit ist, wenn auch äußerlich zwei verschiedene Aussprüche vorgenom­ men werden. Die Entscheidung des Gerichts wird aber bei der Entlassung notwendig eine aktenmäßige sein. Und dann ist das Gericht nicht mehr „zuständig" als die Staatsanwaltschaft; denn dann bietet das Gericht auch keine sachliche Garantie mehr. Wenn nun gesagt wird, das Gericht genieße mehr Vertrauen im Volke als die Staatsanwaltschaft, so ist dies zwar für das Strafverfahren begründet, weil die S ta a ts­ anwaltschaft hier verständlicherweise die Schuld­ momente mehr herauskehren wird, da sie das Ver­ fahren eingeleitet hat. Wenn aber das Urteil ge­ sprochen ist, kann von dieser einseitigen Tendenz keine Rede mehr sein. Die Staatsanwaltschaft ist in erster Linie hier zur Entscheidung berufen, weil ausschließ­ lich Zweckmäßigkeitsgründe maßgebend sind, die Staatsanwaltschaft ist dem Wesen der Entscheidung nach die richtigere Behörde. Mein cete ru m censeo geht aber dahin: weder Staatsanwaltschaft noch Ge­ richt, sondern eine besondere Vollstreckungsbehörde, in der Gericht und Staatsanwaltschaft irgendwie ver­ treten sind. Wenn dieser Vorschlag jetzt am Führer­ prinzip scheitert, so bedaure ich das. Eine halbwegs sichere Entscheidung (Prognose) kann nur ein sach­ verständiges Gremium treffen. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich möchte nur darauf Hinweisen, daß hier das Argument nicht zum Zuge kommen darf, eine diskretionäre Entscheidung über Menschenfreiheir sei grundsätzlich schädlich. Die Notwendigkeit des ge­ ordneten Verfahrens ist doch bei Staatsanwaltschaft und Gericht in genau der gleichen Weise gegeben. Das Verfahren wird das gleiche sein, gleichgültig, welcher Behörde man die Entscheidung überträgt, und deshalb sind auch beide Behörden gleich geeignet für die Ent­ scheidung. Die Entscheidung wird entweder mehr aktenmäßig getroffen werden, oder man wird einen Zwang zu eingehenderer Nachforschung vorschreiben.

Ich darf nur bemerken, daß ich eine Verfügung der Staatsanwaltschaft, wenn sie in dieser Weise ge­ troffen wird, nicht als diskretionäre bezeichne. Senatspräsident Profeffor Dr. Klee: Ich bekenne mich ja ebenfalls zur Einspurigkeit. Trotzdem komme ich zu einem anderen Ergebnis als Herr Profeffor Kohlrausch. Das Gericht wird über die Strafe und Maßregel einheitlich entscheiden, und die Länge der Strafe wird sicherlich davon abhängig sein, ob die Maßregel angeordnet wird oder nicht. Deshalb aber muß man auch das Gericht bei der Voll­ streckung einheitlich beteiligen. Wenn man das Gericht an der Ausfüllung des Blankoausspruchs nicht be­ teiligt, so wird das Gericht, wenn die Staatsanw alt­ schaft später den Täter aus der Verwahrung heraus­ läßt, nicht selten sagen, wenn ich das gewußt hätte, dann hätte ich eine längere Strafe verhängt und so die Sicherheit in anderer Weise gewährleistet. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Beweisführung wäre schwer zu widerlegen, wenn der erkennende Richter nachher noch da wäre. Professor Dr. Kohlrausch: E s wird aber sehr häufig so sein, und es ist auch das Ideal. Aber ich möchte es doch auf diesen Zufall der Personenverschiedenheit abstellen. Es handelt sich um das Prinzip, das Gericht hat eine Blankoentschei­ dung gefällt, es ist berufen, diese Blankoentscheidung auszufüllen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s kommt nur darauf an, wie man die Entschei­ dung des Gerichts auslegt. M an kann sich auch folgen­ des vorstellen: D as Gericht hat in dem Urteil ausge­ sprochen, daß der Täter ein gefährlicher Gewohnheits­ verbrecher sei, und zieht daraus die Folge. Der Staatsanw alt hat doch eigentlich nichts anderes zu tun, als in einem bestimmten Zeitpunkte zu sagen, daß der Täter nicht mehr gefährlich sei und infolge* dessen herausgelassen werden könne. F ü r den S ta a ts­ anwalt darf allein die Erwägung maßgebend sein, ob noch eine Gefährdung der Allgemeinheit bestehe. ^ Meine Herren, ich schlage vor, diese Frage in den frühen Morgenstunden weiter zu erörtern.

(Schluß der Sitzung: 19 Uhr 15 Minuten.)

73. Sitzung Anwesenheitsliste Mitglieder 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

Dr. Gürtner, Reichsminister der Justiz Dr. Freister, Staatssekretär Dr. Thierack, Vizepräsident des Reichsgerichts Schäfer, Ministerialdirektor Dr. Schäfer, Ministerialdirigent Rietzsch, Ministerialrat Grau, Vizepräsident Dr. von Dohnanyi, Oberregierungsrat Dr. Schäfer, Oberlandesgerichtsrat Niethammer, Reichsgerichtsrat Professor Dr. Klee, Senatspräsident Dr. Lorenz, Landgerichtspräsident Dr. Reimer, Oberstaatsanwalt Leimer, Landgerichtsdirektor Professor Dr. Gras Gleispach Professor Dr. Kohlrausch Professor Dr. Nagler Professor Dr. Mezger Professor Dr. Dahm Professor Dr. Schassstein Professor Dr. Henkel Dr. Krug, Oberstaatsanwalt Ebert, Staatsanwaltschaftsrat

Protokollführer (abwechselnd) 24. 25. 26. 27. 28. 29.

Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr.

Meeske, Landgerichtsrat Baldus, Amts- und Landrichter Goetze, Amts- und Landrichter Schänke, Gerichtsafleflor Raudszus, Gerichtsasseflor Bruns, Gerichtsafleflor.

Strafrechlskommisfion

74. Sitzung 21. Juni 1935 (Hahnenklee) Zweite Lesung Inhalt Die Maßregeln der Sicherung, Besserung und Heilung (Fortsetzung der Aussprache) Reichsjusttzminister Dr. Gürtner 1, 2, 3, 4 ,5 , 6, 8, 9 ,1 0 ,1 1 ,1 2 Staatssekretär Dr. Freister. . .1, 2, 3, 4, 5, 7, 9, 10, 11, 12 Professor Dr. D ahm .................................................................1, 11 Oberstaatsanwalt Dr. Reimer........................................................1 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack............... 2, 3, 9 Ministerialdirektor Schäfer.......................................2, 3, 6, 8, 9 Professor Dr. Schaffstein................................................... 2, 5, 10 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 3, 4, 5, 6, 10, 11 Senatspräsident Professor Dr. Klee............... 3, 6, 7, 8, 9, 10 Professor Dr. Kohlrausch...........................................4, 5, 6, 7, 9 Professor Dr. Graf Gleispach.........................................................5 Reichsgerichtsrat Niethammer.........................................5, 11, 12 Professor Dr. M ezger................................................. 6, 9, 10, 11 Landgerichtspräsident Dr. Lorenz..............................................10 Professor Dr. Henkel..................................................................... 11

Verwarnung mit Strafvorbehalt Reichsjustizminister Dr. Gürtner..........................12, 13, 15, 16 Professor Dr. Mezger............................................................12, 13 Vizepräsident G r a u ....................................................................... 12 Professor Dr. Henkel..................................................................... 13 Oberstaatsanwalt Dr. R eim er.................................................... 14 Staatssekretär Dr. Freister................................................. 15, 16 Ministerialdirektor Schäfer...........................................................16

Beginn der Sitzung: 9 Uhr 15 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir hatten uns gestern zuletzt darüber unter­ halten, wer darüber entscheiden soll, ob jemand aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden kann. Eine Einigung ist nicht erfolgt. E s stehen sich die Meinung derjenigen, die das Gericht für geeignet halten, und derer, die den S taatsanw alt als die geeig­ nete Person ansehen, gegenüber; zwischen diesen bei­ den Meinungen stehen verschiedene Kompromißvorschläge. Eine neue Variante dieser Kompromißvor­

schläge geht dahin, daß die Staatsanwaltschaft dann, wenn sie der Meinung ist, daß der M ann in Siche­ rungsverwahrung bleiben soll, nichts veranlassen soll; wenn die Staatsanwaltschaft etwas veranlassen will, soll sie die Sache an das Gericht geben. Auch dieser Vorschlag würde alle Geister auf den P lan rufen, die sich gestern gegen die Einbeziehung des Gerichts ge­ wandt haben. Die Fortsetzung dieser Debatte ver­ spricht kein fruchtbares Ergebnis. Ich möchte nur noch 2 Punkte klarstellen. Es ist schon geltendes Recht, daß die prüfende Behörde in jedem Augenblick der Verwahrung eine Prüfung vornehmen kann, und daß sich der Verwahrte in jedem Augenblick an diese Be­ hörde wenden kann. Wenn man daraus abkommt, daß die S taatsan ­ waltschaft über die Frage der Entlastung zu entschei­ den hat, so hätte der Verwahrte keinen Anspruch, diese Prüfung zu erzwingen. Staatssekretär Dr. Freisler: Die Prüfung ist eine Pflicht der Stelle, die ent­ scheidet; der Verwahrte hat aber kein Beschwerderecht. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Eine Dienstaussichtsbeschwerde ist natürlich immer

Professor Dr. Dahm: Hier taucht die liberale Vorstellung des subjektiven öffentlichen Rechts wieder auf. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Würde das nicht ähnlich gehandhabt werden, wie das frühere Haftprüsungsversahren, d. h., daß dem Verurteilten gegen den jeweils nach drei Jahren zu treffenden Beschluß über die Aufrechterhaltung der Sicherungsverwahrung die Beschwerde und gegebe­ nenfalls die weitere Beschwerde zusteht, so daß in der Regel also das Oberlandesgericht die letzte Entschei­ dung fällen würde? Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Diese Frage hängt davon ab, wer die entscheidende Behörde sein soll. Wenn das Gericht entscheidet, wäre eine prozessuale Beschwerde zu geben. Wenn der Staatsanw alt die entscheidende Behörde sein soll, gibt es die Aufsichtsbeschwerde beim Oberstaatsanwalt. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bin der Meinung, daß das ein weiteres schwer­ wiegendes Argument dagegen ist, diese Entscheidung dem Gericht zu überlassen. Die Möglichkeit einer Beschwerde widerspricht ganz der Natur dieser E nt­ scheidung. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Die Dienstaufsichtsbeschwerde bis zur obersten Verwaltungsspitze können S ie nicht abschneiden. Wenn man auf die gerichtliche Entscheidung abkommt, müßte es eine formelle Beschwerde geben.

Staatssekretär Dr. Freister: Wenn man es so machen würde, daß die S taats­ anwaltschaft die Sache dem Gericht dann vorlegen muß, wenn der Verurteilte herauskommen soll, dann könnte es keine Beschwerde des Verwahrten geben, wenn das Gericht entgegen der Meinung der S ta a ts­ anwaltschaft der Ausfassung wäre, der Verurteilte müßte in Verwahrung bleiben. D ann bestünde aber noch die Möglichkeit, daß der Verwahrte im Ver­ waltungsweg Herausgelaffen wird; dann kommt das Verfahren wieder an den Minister. E s kommt immer wieder auf die Linie der Staatsanwaltschaft zurück. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Die Frage ist hier, ob der in Sicherungsverwah­ rung Sitzende im Wege der Gnade entlasten werden kann. Ich kann mir das nicht denken; das wäre ein Widerspruch zu dem Charakter dieser Maßnahme, der nicht erträglich ist. Staatssekretär Dr. Freisler: M an nehme an, daß die Frage der Entlastung nicht im Verwaltungswege entschieden wird, sondern durch das Gericht. Dann kann die höchste richterliche I n ­ stanz sagen, der M ann muß weiter sitzen. Wenn aber der Minister die Überzeugung hat, daß dieser Mann ungefährlich ist, so muß die Staatssührung die Mög­ lichkeit haben, ihn herauszubringen. D as spricht da­ für, die Entscheidung über die Entlastung nicht dem Gericht zu übertragen. Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: Ich bin der Meinung, der S ta a t kann jeden Strafausspruch korrigieren, auch den über die Todes­ strafe; dann muß er auch den Ausspruch über die Sicherungsverwahrung korrigieren können. Die Macht des S taates ist die primäre. Dieses Argument spricht stark dafür, die Entscheidung nicht dem Gericht zu überlasten. Ministerialdirektor Schäfer: Die Staatsführung kann den in Sicherungsver­ wahrung Befindlichen unter dem Gesichtspunkt Her­ auslasten, daß die Entscheidung ein Fehlgriff gewesen ist. D as sind die Fälle, in denen wir die Begnadigung Platz greifen lasten sollten. Sonst können Gnaden­ maßnahmen bei den in Verwahrung Befindlichen nicht in Betracht kommen, weil sie so lange in Verwahrung bleiben müssen, wie der Sicherungszweck es erfordert. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bin der Meinung, daß das kein Gnadenakt ist, sondern eine Verwaltungsmaßnahme, die nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu beantworten ist; zu einer solchen Verwaltungsmaßnahme muß die S ta a ts­ spitze herangezogen werden. Wenn man das auch unter dem Gesichtspunkt der Korrektur eines Fehlgriffs zuläßt, so habe ich nichts dagegen. Warum soll aber die Staatsführung nur in diesem einen Fall einen Fehlgriff korrigieren können?

Ministerialdirektor Schäfer: I m allgemeinen ist Lies ebenso wenig möglich, wie etwa die Anordnung der Staatsbehörde, ein F rei­ gesprochener müsse ins Zuchthaus kommen. Staatssekretär Dr. Freisler: Bei der Verwahrung hat aber das Gericht gesagt, daß der Verurteilte auf Lebenszeit eingesperrt wird; die Entscheidung des Gerichts ist kein Blanko-Urteil. Ministerialdirektor Schäfer: W ir geben aber nie der Staatsbehörde allein das Recht, jemand in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Staatssekretär Dr. Freisler: Hier lautet aber das Urteil aus längere Verwah­ rung; es ist nur nach einiger Zeit eine Prüfung vor­ zunehmen. Das ist dasselbe, wie wenn w ir prüfen, ob wir jemand vor völliger Verbüßung der Strafe herauslasten wollen, nur daß bei der Verwahrung der Sühnezweck ausscheidet. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Praktisch spielt sich diese Frage z. B. bei der E nt­ lassung aus der Heil- und Pflegeanstalt einfach ab. Wenn ich zu entscheiden hätte, ob ein Geisteskranker zu entlasten ist, würde ich niemals gegen das Votum des Arztes entscheiden. Ich werde dabei durch eine Erfahrung bestimmt, die ich als Referendar gemacht habe. Ein Förster war wegen Geisteskrankheit ent­ mündigt; er stellte den Antrag, die Entmündigung aufzuheben. Der Förster machte auf mich den E in­ druck eines geistig Gesunden. Der Richter hob ent­ gegen dem Gutachten des Arztes die Entmündigung auf; der Förster ging nach Hause und erschoß seine Frau. Eine einzige solche Erfahrung würde mich dazu bringen, niemals gegen das Votum des Arztes zu entscheiden. Staatssekretär Dr. Freisler: Stellen wir uns an diesem Fall einmal vor, wie sich dies in der Hand des Staatsanw alts und des Gerichts entwickeln würde. Liegt die Entscheidung in der Hand des Staatsanw alts, so würde in der Allge­ meinen Verfügung stehen: Will der Staatsanw alt je­ mand entlasten, der vom Arzt für krank gehalten wird, so hat er zu berichten. Die höhere Justizverwaltungs­ behörde könnte dann dem S taatsanw alt die E nt­ lassung verbieten. D as Gericht wäre dagegen an das Gutachten des Arztes nicht gebunden; ihm könnten keine Weisungen erteilt werden. Professor Dr. Schasfftein: D as Beispiel der Heil- und Pflegeanstalt zeigt, daß die Entscheidung über die Entlastung auch des­ wegen ohne Bedenken der Staatsanwaltschaft gegeben werden kann, weil die Verwaltungsbehörde ohnehin dafür in den Fällen zuständig ist, in denen die Unter­ bringung von der Polizei angeordnet wird.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as geltende Recht gibt der Polizei nicht die Möglichkeit, jemanden dauernd in der Irrenanstalt zu internieren. Ministerialdirektor Schäfer: Der von der Polizeibehörde in die Heil- und Pflegeanstalt Eingewiesene kann das Verwaltungs­ streitverfahren durchführen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: I m Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes von 1927 ist vorgesehen, daß das Vollstreckungsgericht den Ver­ urteilten, die Bollzugsbehörde und die S taatsanw alt­ schaft zu hören hat; die gleiche Regelung hat die neue Strasvollzugskommission vorgesehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Diese Beteiligung ist selbstverständlich, man müßte sie für alle Falle haben. F ü r den Fall, daß die Staatsanwaltschaft von dem Gutachten der Irrenanstalt abweichen wollte, müßte sie berichten. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Wenn eine Meinungsverschiedenheit der anzu­ hörenden Stellen besteht, muß berichtet werden. Staatssekretär D r. Freisler: D as ist alles eine Frage des Aufbaues der Allge­ meinen Verfügung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Anhörung müßte gesetzlich festgelegt werden. D as andere kann in der Allgemeinen Verfügung ge­ regelt werden. Als Richtlinie für die Unterkommistion würde ich vorschlagen, daß die Staatsanwaltschaft die entschei­ dende Behörde sein soll. I n Anlehnung an das Vor­ bild im Entwurf des Strafvollzugsgesetzes müßten die Beteiligten festgelegt werden. Es wäre dann zu über­ legen, wie bei senten tiae difform es zu verfahren ist. Ich bin der Meinung, daß die Strafanstalts­ diagnose, ob jemand gemeingefährlich ist oder nicht, sehr schwer werden würde. I n der Strafanstalt hal­ ten sich die gefährlichen Verbrecher meist sehr gut. Die Funktionen, die von den Kalfaktoren wahrgenommen werden, werden meist von „schweren Jungen" aus­ geübt. Schwer zu behandeln sind in den S trafan­ stalten meist nur die Anfänger. Die Strafanstalt kann die Frage, ob jemand gemeingefährlich ist oder nicht, aus dem Verhalten in der Strafanstalt meist nicht beurteilen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Beim Arbeitshaus ist der Maßstab etwas zuver­ lässiger. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Beim Arbeitshaus ist diese Entscheidung nicht so verantwortungsvoll. Der Schaden, der entstehen kann, ist nicht so schwer. Anders ist es beim gemeingefähr­

lichen Sittlichkeitsverbrecher; da ist die Verant­ wortung sehr groß. Wegen des Laufs der Fristen gibt es keine Diffe­ renzen; diese Fristen sangen von der Ablehnung an zu laufen. Zu § 429 liegt ein Vorschlag von Ministerial­ direktor D ürr dahingehend vor, daß das Gericht bei der bedingten Entlassung auch die Schutzaufsicht an­ ordnen kann. Nun käme die Entlastung als solche. Kann der M ann, der als gemeingefährlicher Gewohnheitsver­ brecher interniert worden ist, wieder frei werden, ohne daß ihn eine Bindung verfolgt? Bei der Unsicherheit der Prognose sollte die Entlastung immer als wider­ ruflich angesehen werden. Wenn die Herren der Meinung sind, daß man das Wort widerruflich ge­ brauchen kann, so kämen wir damit auf die Fassung der Sachbearbeiter hinaus. Bei der Anordnung der Entlastung kann das Ge­ richt besondere Pflichten auferlegen; es kann sie auch nachträglich ändern, aufheben. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bin der Meinung, daß es einen Augenblick geben muß, in dem die Widerruflichkeit aufhört. Ich denke dabei an folgenden Fall. M it 20 Jahren ist jemand wegen eines Sittlichkeitsverbrechens zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden; er hat die Strafe verbüßt. E r ist jetzt über 70 Jahre alt. I n diesem Alter begeht er einen kleinen Betrug, der durch die letzte Amnestie ganz zweifellos erledigt gewesen wäre, wenn nicht die Zuchthausvorstrase dagewesen wäre. Es hat 6 Monate Zeit gekostet, bis die erste Strafe gelöscht wurde und das kleine Vergehen von der Amnestie ergriffen wurde. Diesen Fall kann man sich in Verbindung mit einer Sicherungsverwahrung denken. M an muß auch diesen Leuten die Möglichkeit geben, wieder ganz frei zu werden. Ich würde daher sagen: Nach 20 Jahren tadellosen Benehmens fällt die Bedingung bei der Entlastung fort. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Herr Staatssekretär Dr. Freisler konstruiert einen Fall, der ganz besonders liegt. Der Druck auf den Verurteilten, daß er wieder hineinkommt, ist so notwendig, daß ein Einzelfall nicht ins Gewicht fällt. Denn es liegt doch in der Hand der Verwaltungs­ behörde, ob sie einen Menschen wieder hineinnehmen will. Der Druck, daß der M ann nach einer gewissen Zeit wieder untergebracht werden kann, ist wichtiger, als für einen Sonderfall eine besondere gesetzliche Be­ stimmung zu treffen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as berührt sich etwas mit dem Gedanken, den wir bei der Verjährung durchgesprochen haben. Auch dort ist die Frage aufgetaucht, ob w ir eine heilende Wirkung der Zeit anerkennen sollen. Dabei ist der Unterschied zwischen § 429 und § 430 zu beachten. I n § 429 ist der Betreffende in Sicherungsverwahrung gewesen, bei § 430 kommt er überhaupt nicht in Siche-

rungsverwahrung. Der Widerruf ist nach den bis­ herigen Vorschlagen zunächst unbefristet. Jetzt kommt ein anderer Vorschlag, nämlich eine absolute Zeit­ spanne einzuführen, die die Widerrussmöglichkeit hin­ fällig werden läßt. D as eine ist die relative Frist, das andere die absolute Frist. E s wird kein Einwand dagegen erhoben, daß die Entlastung auf Widerruf er­ folgt, daß sie an Bedingungen geknüpft werden kann, die geändert werden können. Bei § 430 ist die Überschrift zu beanstanden, weil das Wort „Aussetzung" im allgemeinen nicht so ver­ standen wird, wie es hier gemeint ist; hier ist gemeint „Aufschub". Wollen w ir überhaupt einen Aufschub mit Bedingungen zulassen? Ministerialdirigent D r. Schäfer: Der Aufschub kommt nur für heilende Maßnahmen in Betracht. Es liegt aus der Hand, daß bei diesen Maßnahmen vielfach die Androhung des Vollzugs der Maßregel genügt, um das Ziel der Unterbringung zu erreichen. Wenn man dem Trinker sagt, daß die Unterbringung vollzogen werden wird, wenn er weiter trinkt, so genügt das oft. Ebenso liegt es beim Ar­ beitshaus und bei den vermindert Zurechnungs­ fähigen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich habe gegen diese Konstruktionsmöglichkeit keine Erinnerung. Professor Dr. Kohlrausch: Ich möchte anregen, diese Möglichkeit auf die Sicherungsverwahrung auszudehnen. D as Damokles­ schwert der Sicherungsverwahrung kann auch bewir­ ken, daß der aus der Strafe Entlassene sich vorsieht. Ich würde das für eine gesunde Maßregel halten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Auch für Geisteskranke? Professor Dr. Kohlrausch: D as wird der Sachverständige zu entscheiden haben. Eine kriminalpolitische Frage ist es dagegen, ob die Sicherungsverwahrung mit hineingenommen werden soll. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dagegen scheint mir zu sprechen, daß die Siche­ rungsverwahrung nur angeordnet werden soll, wenn der M ann gemeingefährlich ist. Professor Dr. Kohlrausch: Das erkennende Gericht soll die Prognose stellen, ob jemand nach Verbüßung der S trafe gemeingefähr­ lich ist. Wenn das Gericht diese Prognose nicht mit absoluter Sicherheit stellen kann, würde durch einen Aufschub der Sicherungsverwahrung diese Schwierig­ keit gemildert werden können; gleichzeitig würde auf den Verurteilten ein Druck ausgeübt werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zur Unterstützung dieses Gedankens könnte man sagen: I n § 429 ist die Möglichkeit der Entlassung mit Widerruf unter Bedingungen vorgesehen, und

zwar auch dann, wenn jemand in Sicherungsverwah­ rung gewesen ist. Staatssekretär Dr. Freister: Wenn man das für nötig hält, so braucht man es doch nicht in das Gesetz zu schreiben; denn die S ta a ts­ anwaltschaft kann das schon nach einem Tag Siche­ rungsverwahrung veranlassen. Wenn man sagt, daß das Gericht diese Prognose schwer stellen könne, so ist es der Staatsanwaltschaft nach Verbüßung der Strafe genau so schwer, diese Prognose zu stellen, weil das Benehmen des Strafgefangenen keine geeignete Grundlage für eine neue Prognose ist. Ich beantrage, § 430 zu streichen. Der Paragraph bedarf zu seiner inneren Begründung der Annahme, daß die Unterbringung ein Übel sei. I n Wirklichkeit ist sie aber kein Übel, sondern eine Wohltat. D as Wesentliche ist aber, daß mit Hilfe dieses Paragraphen niemals ein wohlhabender M ann, der einer Kur bedarf, in eine solche Anstalt kommen wird. Der wohlhabende M ann wird immer dartun können, daß bei ihm der Zweck in anderer Weise erreicht werden wird. E r wird in irgendeiner privaten Anstalt die Entziehungskur durchmachen. Ich glaube, daß der unbefangene Leser diesen Paragraphen als ein Privileg der reichen Trinker auffassen wird. Professor Dr. Kohlrausch: Herr Staatssekretär Dr. Freister hat gegen den § 430 zwei Argumente vorgebracht. Einmal, daß die Prognose in der Strafanstalt auch nicht gestellt werden könnte. Kann sie aber in der Sicherungsverwahrung besser gestellt werden? Wenn jemand 5 Jah re gesessen hat, hat die Gesängnisverwaltung das Bild erhalten, das überhaupt für die menschliche Erkenntnis möglich ist. Daß die Erkenntnismöglichkeit durch einen Tag Sicherungsverwahrung besser wird, glaube ich nicht. Ich habe mich gestern für die Staatsanwaltschaft als entscheidende Behörde ausgesprochen; aber das auch in diesem F all der Staatsanwaltschaft zu überlassen, geht zu weit. Der zweite Grund, den Herr Staatssekretär Dr. Freister angeführt hat, geht dahin, daß diese Be­ stimmung ein Privileg der Reichen sei. Wenn es sich nur darum handelt, die Rauschgiftsucht abzugewöhnen, so kann es für die Gesellschaft gleichgültig sein, ob diese Abgewöhnung in einer privaten oder in einer öffentlichen Entziehungsanstalt geschieht. E s handelt sich doch nur um eine Heilung; warum soll der Be­ treffende diese Heilung nicht auf eigene Kosten vor­ nehmen können? Staatssekretär Dr. Freisler: S ie können nur nicht feststellen, ob der M ann eine wirkliche Kur macht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an könnte darauf abkommen, auch einen Aufschub mit Bedingungen zuzulassen. Warum man das nicht in das Gesetz hineinschreiben sollte, ist mir nicht klar. Herr Professor Kohlrausch will den § 430 noch aus­ gedehnt wissen.

Professor Dr. Kohlrausch: Alle Vollzugspraktiker, die sich literarisch geäußert haben, sind für diesen Vorschlag. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich bin gegen diesen Vorschlag, der literarisch namentlich von Exner vertreten worden ist. Es wider­ streitet dem Wesen einer Sicherungsmaßnahme, sie bedingt anzudrohen. Eine Analogie mit der Strafe ist nicht zutreffend. Wenn ein Zustand als gemein­ gefährlich beurteilt wird, so widerspricht sich das Ge­ richt, wenn es dann sagt, daß diese Verwahrung auf­ geschoben wird. M an kann auf die Sühne verzichten, die in der Strafe liegt, aber nicht auf den Schutz der Allgemeinheit gegen eine Gemeingefährlichkeit. Eine andere Frage ist die, ob man nicht in dem Katalog der Sicherungsmittel eine Schutzaufsicht vor­ sehen soll, die das Gericht für die Fälle einer gerin­ geren Gefährlichkeit zu verhängen hätte. D as ist auch von einem Psychiater empfohlen worden. Ich glaube aber nicht, daß es erforderlich ist, für die Fälle, in denen eine Einweisung in eine Anstalt zuviel ist, noch eine besondere Schutzaufsicht im Katalog der Siche­ rungsmittel vorzusehen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Jede Unterbringung soll so lange dauern, wie der Zweck es erfordert. Wenn durch die Vollstreckung der Strafe der Zweck erreicht ist, braucht man den M ann nicht noch auf einen Tag oder auf einen M onat in eine Anstalt einzuweisen. Es muß die Möglichkeit bestehen festzustellen, daß die Unterbringung unter­ bleiben kann. § 273 des alten Entwurfs des Strasvollzugsgesetzes eröffnet diese Möglichkeit; etwas ähn­ liches muß auch künftig möglich sein. Professor Dr. Schassftein: Ich habe starke Bedenken, den § 430 auf die Sicherungsverwahrung auszudehnen; denn damit würde den Gerichten eine Ausweichmöglichkeit eröffnet, die leicht mißbraucht werden könnte. Wegen der Schwierigkeit der Prognose würden sich die Ge­ richte vielleicht überhaupt scheuen, die Maßnahme zu verhängen; sie werden dann oft lieber von der Aus­ weichmöglichkeit des § 430 Gebrauch machen; dann wäre aber der Zweck der ganzen Maßnahme nicht erreicht. Andererseits würden die Gerichte titek leicht auch in Fällen, in denen sonst nicht aus Siche­ rungsverwahrung erkannt werden würde, allzu leicht eine solche bedingte Verwahrung anordnen. I m Anschluß an die Ausführungen von Herrn Ge­ heimrat Schäfer könnte man einen Ausweg vielleicht in der Richtung finden, daß die Staatsanwaltschaft nach Verbüßung der Strafe ermächtigt wird, auf Grund des Gutachtens der Strafvollzugsbehörde von dem Vollzug der Sicherungsverwahrung abzusehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn man diese Möglichkeit nicht schafft, wird das Gericht in manchen Fällen auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung verzichten. Der Richter wird auch sagen: Wenn ich wüßte, wie der M ann auf die

5 Jah re Freiheitsstrafe reagiert, würde ich vielleicht noch Sicherungsverwahrung anordnen. Die Möglich­ keit, sie mit Aufschub anzuordnen, habe ich nicht, also ordne ich die Verwahrung überhaupt nicht an. Professor Dr. Schassstein: Wenn der Richter weiß, daß die Anordnung nach­ geprüft wird, wird er nicht so große Bedenken haben, die Verwahrung anzuordnen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wollen S ie sagen: D as Gericht ordnet an, und die Staatsanwaltschaft prüft nach? Professor Dr. Schassstein: M an könnte die Staatsanwaltschaften durch eine Verwaltungsverfügung in einem bestimmten Sinne anweisen; dann hielte ich das für möglich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist eine sehr heikle Frage, wer nach dem Voll­ zug der Freiheitsstrafe meritorisch zu entscheiden hat. Staatssekretär Dr. Freister: W ir lösen jetzt alles auf und machen einen Schritt zu einer zeitlich unbestimmten Verurteilung. Das Gericht ordnet die Verwahrung an, es muß sich zu einem Entschluß durchringen und soll die Entscheidung nicht auf später verschieben. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as befreit nicht von der Frage: Wie hat der Strafvollzug gewirkt? Niemand kann voraussehen, wie der Vollzug der Freiheitsstrafe wirken wird. Es kommt vor, daß der Vollzug der Freiheitsstrafe die Verwahrung überflüssig macht. Professor Dr. Schassstein: Könnte nicht in das Strafvollzugsgesetz eine Be­ stimmung aufgenommen werden, daß die S taatsan ­ waltschaft die Frage nach dem Bedürfnis einer weite­ ren Verwahrung nachprüfen muß, wenn die S traf­ vollzugsbehörde eine solche Nachprüfung für notwen­ dig erachtet? Professor Dr. Kohlrausch: Dann ist nicht einzusehen, warum überhaupt das Gericht unbedingt Sicherungsverwahrung anordnen soll. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich habe das Wort „aussetzen" so genommen, wie es in den Gesetzen gebraucht wird, nämlich als Unter­ brechung einer im Vollzug befindlichen Maßnahme. Der Aufschub wäre immer Sache des erkennenden Gerichts; diese Entscheidung müßte im Urteil getroffen werden. E s berührt mich schmerzlich, wie hier vorgegangen wird. Der Staatsanwaltschaft vertraut man alles an; sobald eine Wirkungsmöglichkeit für das Gericht geschaffen werden soll, wird von Mißbrauch ge­ sprochen. Wenn so mit einem Mißtrauen gegen das Gericht gearbeitet wird, dann soll man das Gericht doch überhaupt nicht mit der Anordnung der Siche-

s rungsmaßregeln befaßen. Denn die hier gemachten Vorschläge entwerten einen gerichtlichen Spruch in einer Weise, die für die Gerichte untragbar ist. Diese Entscheidung kann dem Gericht nicht genommen wer­ den. Das Wesentliche im § 430 ist die Schutzaufsicht. D as Gericht, das den M ann betrachtet, muß sich über­ legen, wie die Strafe wirken wird, und ob dann noch eine Verwahrung nötig ist, oder ob eine Schutzaufsicht genügt. Hinter der Schutzaufsicht hat aber eine Maß­ regel zu stehen; die Entscheidung, daß sie zu vollziehen ist, muß man dem Gericht anvertrauen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Das würde zu einer anderen Grundkonstruktion des § 430 führen; angeordnet wird die Schutzaufsicht dann vom Gericht. Ministerialdirektor Schäfer: Das ist der S in n dieser Bestimmung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Schutzaufsicht wird von dem Gericht angeord­ net; wenn sich der M ann den Auslagen entzieht, steht im Hintergründe die Unterbringung. Ministerialdirigent . Dr. Schäfer: Die Vorschrift müßte überschrieben werden: Schutzaufsicht unter Aufschub der Unterbringung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Das ist eine Konstruktionsmöglichkeit. Profeffor D r. Koylrausch: Einzubeziehen wäre aber die Sicherungsver­ wahrung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Regelung sollte möglichst elastisch sein. Ich kann mir vorstellen, daß das Gericht auf Schutzauf­ sicht erkennt und dann, wenn sich der M ann der Schutzaufsicht entzieht, die Möglichkeit der Unter­ bringung vorsieht. D as scheint mir sympathisch zu sein. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich bin für Aufrechterhaltung des § 430 unter der hier vorgeschlagenen Ausdehnung. Ich bin auch dafür, daß diese Entscheidung dem Gericht vorbehalten bleibt. Die Opposition gegen diesen Paragraphen erklärt sich aus dem Dualismus, der einen scharfen Unterschied zwischen Sühne und Sicherung macht. Die Erfahrung wird zeigen, daß die Unterbringung in der Strafanstalt häufig schon die Zwecke erfüllt, die man mit der Sicherungsverwahrung und den anderen Verwahrungsarten verfolgt. Dann muß aber die Möglichkeit gegeben werden zu sagen: Jetzt, nach­ dem die Strafe mehrere Jah re vollstreckt worden ist, erscheint die Unterbringung in den Anstalten über­ flüssig. Das Gericht kann doch jetzt schon während des Laufs der Fristen prüfen, ob die Unterbringung noch nötig ist; das kann das Gericht schon nach sehr kurzer Zeit mit dem Ergebnis der Entlassung tun. Daraus folgt für mich logisch zwingend, daß diese Prüfung

auch schon vor E intritt in die Verwahrungsanstalt möglich sein muß. E s ist sehr wohl denkbar, daß man bei einem Menschen, bei dem eine Entziehungskur angeordnet worden ist und der schon zwei oder drei Jah re in der Strafanstalt gesessen hat, sagen kann, daß er jetzt schon von der Trunksucht geheilt ist. Es ist vielleicht nicht mehr nötig, daß er noch in die Trinkerheilanstalt kommt. Dasselbe kann ich mir auch in bezug auf das Arbeitshaus vorstellen. W ir haben schon im geltenden Recht eine gewisse Ersetzungs­ möglichkeit im Verhältnis zwischen S trafe und Unter­ bringung. I m § 456 b der Strafprozeßordnung wird gesagt, daß dann, wenn nebeneinander auf Strafe und Unterbringung erkannt worden ist, grundsätzlich zunächst die Freiheitsstrafe vollstreckt werden soll. Es kann nach dieser Vorschrift aber auch umgekehrt vor­ gegangen werden: Der Verurteilte kann zunächst in die Heilanstalt, in die Entziehungsanstalt gebracht werden, und dann kann sich herausstellen, daß sich die vorläufig ausgesetzte Unterbringung in die S tra f­ anstalt erübrigt; auch auf das Arbeitshaus im Ver­ hältnis zum Gefängnis könnte diese Methode künftig ausgedehnt werden. W ir haben also schon im geltenden Recht eine Vikariierungsmöglichkeit. D as befreit uns von der Abstraktion, daß vor dem Vollzug der sichernden Maßnahme eine Sühnestrafe erforder­ lich ist. Es kann gleich das einsetzen, was für den M ann paßt. Ich komme also dazu, daß der § 430 aufrechterhalten und auf alle Verwahrungssälle, ein­ schließlich des Arbeitshauses, ausgedehnt werden sollte. Professor Dr. Mezger: § 430 enthält den gleichen Konstruktionsfehler wie die Verwarnung mit Strafvorbehalt. Wenn das Gericht erklärt, daß die öffentliche Sicherheit eine Unterbringung in irgendeiner dieser Anstalten er­ fordert, so ist es ein Widerspruch, daß die Maßnahme dann ausgesetzt werden kann. D arin trete ich dem bei, was Herr Graf Gleispach ausgeführt hat. Dog­ matisch einwandfrei ist dieser Gedanke dann, wenn die bedingte Anordnung als eine selbständige Maß­ nahme konstruiert wird. Es besteht immer wieder Veranlassung darauf hinzuweisen, daß die große Masse der Psychopathen durchaus motivierbar ist, wenn eine scharfe Drohung hinter ihnen steht. Ich halte es für sehr nützlich, daß eine Maßnahme ge­ schaffen wird, die als schwere Drohung hinter der S trafe steht. Diese Maßnahme kann nur in die Hand des Gerichts gelegt werden, wie Herr Reichs­ gerichtsrat Niethammer überzeugend betont hat. Herrn Graf Gleispach kann ich insoweit nicht zu­ stimmen, daß § 430 nur eine Schutzaufsicht ohne Drohung mit einer Anstalt enthalten sollte. Hinter der Schutzaufsicht muß die Drohung mit einer Anstalt stehen. Mein Vorschlag geht also dahin, diesen be­ dingten Aufschub als eine selbständige Maßregel der Sicherung auszugestalten und im Anschluß an den Vorschlag Kohlrausch diese Maßregel auch auf die Sicherungsverwahrung auszudehnen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as würde also bedeuten, daß das, was als Wenn-Satz im § 430 enthalten ist, zum Hauptsatz

erhoben wird. Das Gericht ordnet die Schutzaufsicht an; wenn diese Anordnung nicht zum Erfolge führt, kommt es zur Unterbringung. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Bei § 430 wird doch sicherlich vorausgesetzt, daß die Freiheitsstrafe vorher vollstreckt worden ist. § 456 b der Strafprozeßordnung gibt andererseits die Möglichkeit, die sichernde Maßregel vorher zu vollstrecken. I n diesem Falle könnte man die Aus­ dehnung der sichernden Maßnahmen von der Tatsache der verbüßten Strafe gar nicht abhängig machen. Es müßte also für § 430 sichergestellt werden, daß die Strafe vollzogen worden ist. Professor Dr. Kohlrausch: Es ist zunächst zweifelhaft, ob § 456 b in das neue Recht übernommen werden soll. Geschieht dies, so würde er wohl in das Strafgesetzbuch gehören. Staatssekretär Dr. Freister: Der Zorn von Herrn Reichsgerichtsrat Niet­ hammer war gerecht; denn er wehrte sich gegen die Herabsetzung des Gerichts. Der Zorn beruht aber auf einem Mißverständnis; denn ich habe nicht über das gesprochen, worüber Herr Reichsgerichtsrat Niet­ hammer gesprochen hat. Herr Reichsgerichtsrat Niet­ hammer hat über das Thema s e i n e s § 430 ge­ sprochen, wir haben aber bisher den § 430 des E n t w u r f s behandelt. Wenn wir die Verhängung der Schutzaufsicht zu etwas erheben, was z. B. neben der Anordnung der Unterbringung steht, so ist es natürlich Sache des Gerichts, sie anzuordnen; da­ gegen habe ich mich überhaupt nicht gewandt. Wenn ich den reichen M ann vorgeführt habe, der nicht in die Trinkerheilanstalt kommt, so richtete sich dies gegen die Möglichkeit der Anordnung der Schutzauf­ sicht an Stelle von Trinkerheil- und sonstiger E r­ ziehungsanstalt, ganz einerlei, wer diesen Ersatz ausgesprochen hat. Mein Bestreben geht nur dahin, kein Privileg für die Reichen zu schaffen. Die Diskussion soll jetzt auf einer neuen Basis weitergeführt werden, nämlich auf Grund des § 430 des Vorschlages Niethammer. D as bedeutet die Auf­ werfung der Frage, ob die Schutzaufsicht ein selb­ ständiges Sicherungsmittel sein soll. Ich halte die Schutzaufsicht für ein denkbar ungeeignetes Siche­ rungsmittel. Die beiden verschiedenen Fälle, für die die Schutzaufsicht als Sicherungsmittel in Frage kommen kann, sind getrennt zu betrachten. Der eine F all ist der, daß das Gericht einen Trinker vor sich hat. E s überlegt sich, ob dieser M ann unter einer bestimmten sicheren Aufsicht und Garantie, nämlich in einer staatlichen Trinkerheilanstalt, geheilt toerbeti kann. Der Fall kann so liegen, daß das Gericht sagt, der M ann braucht nicht unter einer solchen Aufsicht geheilt zu werden, aber nichts zu tun, ist auch bedenk­ lich. D as Gericht kann aber auch sagen: E r müßte zwar geheilt werden, aber versuchen wir es einmal zunächst mit einem anderen Mittel. J e nachdem, ob wir den einen oder den anderen F all treffen wollen, müssen wir die Schutzaufsicht anders konstruieren. I n

dem einen F all ist die Unterbringung zuviel, im Hintergründe kann dann nicht noch die Trinkerheil­ anstalt stehen. Wenn das Gericht aber sagt, der M ann müßte eigentlich in die Trinkerheilanstalt, aber ver­ suchen wir es noch einmal anders, so bin ich der Meinung, daß das Gericht lieber das Wort „eigent­ lich" weglassen sollte. Wenn wir dieses Mittelgebilde schaffen,' das sich in einem sehr düsteren Helldunkel bewegt, dann kommen wir dazu, daß das Gericht auf Trinkerheilanstalt nicht erkennt, weil es noch etwas hat, was dazwischen steht. Es ist nicht gut, zuviel Zwischenlösungen zur Wahl zu stellen. Der andere Fall, für den die Schutzaufsicht als Sicherunasmittel in Betracht kommen könnte, ist der, daß das Gericht vor der Frage steht, ob es den M ann in Sicherungsverwahrung bringen soll oder nicht. Hier befürchte ich, daß in sehr erheblichem Umfange an die Stelle der Sicherungsverwahrung die Schutz­ aufsicht treten wird. Dies befürchte ich deshalb, weil auch die Richter Menschen sind. Die Anordnung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung ist eine Anordnung von ganz außerordentlicher Tragweite. Wenn zwischen einer solchen Anordnung von außer­ ordentlicher Tragweite und dem Erledigtseinlassen allein durch die Strafverbüßung noch etwas steht, so wird dieses Zwischenaebilde sehr leicht gewählt werden. Der Erfolg ist der. daß die Zahl der Vorstrafen oder Straftaten, die iemand begangen haben muß, um tatsächlich in Sicherungsverwahrung zu kommen, um eine vermehrt wird. M an würde aber über dies alles reden können, wenn die Schußaufsicht etwas wäre, was befriedigen kann. Die Schutzaufsicht kann aber überbauvt nicht funktionieren. M an muß sich diese Schußaufsicht ein­ mal in ihrer Wirkung vorstellen. E s sind Zwei Kaffe m unterscheiden: 1. im Dorf und 2. in der Großstadt. Die größere Zahl derieniaen. die in Sicherungsver­ wahrung kommen können, stammt aus der Großstadt. I n der Großstadt wirkt die Schußausiicht überhaupt nicht; da bleibt nur eins übrig: D as Melden auf dem Volizeirevier. Es ist klar, daß diese Meldevslicht überhauvt nichts bedeutet. daß sie den Verbrecher nicht hindert, troßdem Einbrüche m begehen. Die Schutz­ aufsicht aus dem Lande ilt aber nicht notwendig: denn aus dem Lande ist die Nachbarschaft die beste Schutz­ aufsicht. I n kleinen Städten wirkt sich die Schutz­ aufsicht sehr verhängnisvoll aus; denn sie verhindert den Wiederaufstieg dessen, der unter Schutzaufsicht steht. Die Schutzaufsicht in Verhältnißen, in denen sie möglich ist. ist also entweder unnötig, weil die Nachbarschaft sie ausübt, oder sie ist zweckwidrig, weil sie den Ausstieg verhindert. F ü r die Großstädte be­ deutet diese Schutzaufsicht die Gefahr der Unterhöh­ lung der Sicherungsverwahrung, und zwar durch ein Mittel, das überhaupt nicht wirkt. Aus diesen Gründen bin ich der Meinung, daß die Schutzaufsicht kein geeignetes Sicherungsmittel ist. M it dieser Be­ gründung beantrage ich zu dem neuen Thema, den von Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer vorgeschla­ genen § 430 zu streichen.

Schließlich noch ein W o rt zu der Frage der W irkung des Strafvollzuges. Es kann sein, daß die Strafverbüßung den M a n n geändert hat. W ird die Justizverwaltung über den einen T ag oder über die eine M in u te stolpern, die theoretisch vergangen sein muß, dam it der M a n n dann in F re ih e it kommt? Ic h zweifle keinen Augenblick daran, daß die Heraus­ lassung eines Menschen, der nicht in die Sicherungs­ verwahrung gehört, keine Schwierigkeiten bereitet. Diesen ganz seltenen F a ll kann man ohne Gesetz, ja ohne eine allgemeine Verwaltungsordnung lösen. Schassen w ir etwas Derartiges, wie es hier vorge­ schlagen ist, im Gesetz, so w ird es keinen F a ll geben, in dem die Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist und in dem nicht durch alle Instanzen versucht werden w ird , den M a n n herauszubekommen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Das Ergebnis des H errn Staatssekretär F re isle r wäre also: 1. D ie Schutzaufsicht kommt überhaupt nicht in das Gesetz. Dabei w ird von einer unbrauchbaren Schutzaufsicht ausgegangen. 2. Ob eine angeordnete Sicherungsverwahrung nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe vollzogen werden soll, w ird der Entscheidung der Staatsanwaltschaft überlassen. D a m it kommen w ir in das Zulässigkeits>perfahrien. Ich weiß, daß die Frage der Zulässigkeit der Polizeiaufsicht m it das schwerst umkämpfte In s ti­ tu t ist. S ollen w ir diese als falsch erkannte Konstruk­ tio n jetzt wieder in einem vie l größeren Umfang einführen? M in isterialdirektor Schäfer: Ic h stehe der Schutzaufsicht recht skeptisch gegen­ über und möchte doch nicht so weit gehen wie Herr Staatssekretär D r. F re isle r. Schlechtweg ablehnen möchte ich die Schutzaufsicht dann, wenn nicht das Damokles-Schwert des Vollzuges einer Sicherungs­ maßregel hinter ih r steht. Es ist aber im einzelnen zu überlegen, bei welchen Maßnahmen die Schutzaufsicht m it einer bedingten schweren Maßnahme verbunden eingeführt werden kann. Ablehnen möchte ich diese Verbindung fü r die Sicherungsverwahrung, fü r das zweite Arbeitshaus und fü r die Heilanstalt der Unzurechnungsfähigen. F ü r die Sicherungsverwahrung scheint m ir eine V er­ koppelung zunächst aus dem von Herrn Staatssekretär D r. F re is le r angeführten Grunde nicht möglich zu sein, daß nämlich dann die Gerichte die volle Siche­ rungsverwahrung n u r noch in wenigen F ällen an­ ordnen werden. A u f der anderen Seite besteht die Gefahr, daß die Gerichte die halbe, die bedingte Sicherungsverwahrung zu häufig gebrauchen werden. W enn man dann noch die Entscheidung darüber, ob die Sicherungsverwahrung nach der Verbüßung der S tra fe vollzogen werden soll, der Staatsanwaltschaft überläßt, so ist die V erantw ortung bei dieser halben Sicherungsverwahrung dem Gericht zu sehr abge­ nommen. Ähnlich wie bei der Sicherungsverwahrung steht es bei dem zweiten Arbeitshaus. I n diesen

F ällen kann man auch kein Vertrauen dazu haben, daß der, der schon einm al im Arbeitshaus w ar, durch die Schutzaufsicht gebessert w ird. Ebenso verbietet es sich, bei dem, der als unzurechnungsfähig in die H e il­ anstalt kommen soll, ein Damoklesschwert im H in te r­ gründe vorzusehen. Ic h befinde mich hier in Überein­ stimmung m it den Vorschlägen von Herrn Reichs­ gerichtsrat Niethammer. Z u überlegen ist dagegen, ob w ir diese Verbindung bei den anderen Maßnahmen zulasten wollen, vor allem bei der Trinkerheilanstalt und dem ersten Arbeitshaus. Ich meine, daß bei diesen Maßnahmen fü r diese Verbindung Platz wäre, wenn sich der Richter zur Z e it der A burteilung sagt, daß voraus­ sichtlich eine Schutzaufsicht m it dem Damoklesschwert genügt, und daß n u r fü r den F a ll, daß sie nicht genügt, der Vollzug der Maßregel eingreifen soll. Wenn sich diese Prognose stellen läßt, warum sollte man dann nicht dieses M itte l ergreifen? I n diesem beschränkten Umfange würde ich die Schutzaufsicht in Verbindung m it dem bedingten V o ll­ zug der Trinkerheilanstalt und des ersten A rb e its­ hauses befürworten. Zw eifelhaft ist m ir, ob man diesen Versuch auch bei der Heilanstalt m it den ver­ m indert Zurechnungsfähigen machen kann. Es ist eine mehr medizinische Frage, ob man auch fü r diese F älle die Prognose stellen kann, daß der M a n n zwar verm indert zurechnungsfähig ist, sich aber aufrappeln kann, wenn die Drohung, in eine Anstalt zu kommen, im Hintergründe steht. Wenn man diese Prognose stellen kann, ist es gesund und b illig , die Verbindung auch fü r diese Gruppe von F ällen zuzulasten. I n diesem beschränkten Umfange wäre ich dafür, die Schutzaufsicht m it dem Damoklesschwert einer sichernden Maßnahme einzuführen. Senatsprästdent Profestor D r.

Klee:

Es bedeutet eine Schwächung des Unterbringungsgedankests, wenn das Gericht sagen kann, ich ordne die Unterbringung b e d i n g t an. Erst n a ch V e r büßung d e r F r e i h e i t s s t r a f e sollte man zur Frage der Unterbringung S tellung nehmen. Hat jemand 10 Jahre im Zuchthaus gesessen, dann ist es sehr w o h l möglich, daß das Gericht auf G rund des neuesten Standes der D inge erklärt: W ir verzichten jetzt auf die Sicherungsverwahrung. Eine lange S tra fe kann eventuell auch die W irkung der Siche­ rungsverwahrung haben. A u f G rund der S tra fv e r­ büßung kann auch das U rte il bezüglich der Notwen­ digkeit der Verweisung in die Trinkerheilanstalt fest­ stehen. Hierbei darf l e d i g l i c h d a s U r t e i l d e r Strafvollzugsbehörde maßgebend sein. D ie Vollstreckung der Freiheitsstrafe muß sich stets der Eigenart des Verbrechers anpaffen. D ann kann die Freiheitsstrafe auch das Z ie l erreichen, dem verm indert Zurechnungsfähigen einen H a lt zu geben. G laubt man diese W irkung der S tra fe bejahen zu können, und w ird er dementsprechend zunächst nicht in die Heilanstalt verbracht, dann bleibt immer noch das Damoklesschwert über ih m : Eine Nachprüfung der

Notwendigkeit der Unterbringung in der Heilanstalt kann noch nach Jahren erfolgen. Eine besondere Schutzaufsicht anzuordnen, dürfte keinen Zweck haben. Ih re praktische Durchführbarkeit ist zweifelhaft. Die Möglichkeit des Widerrufs der Freilassung ist weit wirkungsvoller. Von der Unterbringung ist also abzu­ sehen, wenn der mit der Anordnung der Unter­ bringung verfolgte Zweck bereits mit der Vollstreckung der Freiheitsstrafe erreicht ist. Die Entscheidung über die Unterbringung bleibt in der Schwebe; jederzeitiger Widerruf ist möglich. Die Entscheidung trifft das Gericht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as erkennende Gericht beurteilt den Rechts­ brecher und seine T at. Kommt derselbe Rechtsbrecher nach 10 Jahren, und ergibt eine Kontrolle des Urteils: E r ist inzwischen ein anderer Mensch geworden, dann ist eine Unterbringung nach 10 Jahren überflüssig.

einem Aufschub erkennen kann. Die Schutzaufsicht in § 430 aufrechtzuerhalten, ist an sich nicht nötig. Die Schutzaufsicht ist eine Art Siegel, unter dem alles — Bedingung, Auflage — verstanden werden kann. Beizubehalten würde dagegen sein die Auferlegung „besonderer Pflichten". § 430 Abs. 2 ist in Ordnung. Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn ich recht verstanden habe, soll das Gericht nach Ih re r Auffassung, Herr Minister, nur im Augen­ blick des Urteils entscheiden. M it allen späteren M aß­ nahmen soll jedoch das erkennende Gericht nichts zu tun haben, sondern nur die Staatsanwaltschaft. Ministerialdirektor Schäfer: Die Frage der Änderung der Auflage hängt mit der Frage des Widerrufs zusammen. Gibt man das erstere der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung, dann muß man das auch bezüglich des Widerrufs tun.

Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: § 430 des Entwurfs darf zu keiner Durchlöcherung der Maßnahmen der Sicherung und Besserung werden. § 430 bedeutet eine Art Privileg, das nicht nötig ist. § 430 kann wegfallen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an darf nicht nur an das Freislersche Beispiel des reichen M annes bei § 430 denken. Wenn z. B. ein junger M ann durch schlechte Umgebung verführt ins Trinken gerät und infolge dieser Gewöhnung eine S traftat begeht und später aber — durch seine F rau — wieder vom Trinken abkommt, so ist in diesem Falle Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt nicht nötig. Profeffor Dr. Kohlrausch: M it der Verschiebung des Strafvollzuges wird die Anordnung der Trinkerheilanstalt nicht überflüssig. Wenn ein Trunksüchtiger im Gefängnis keinen Alkohol erhält, dann weiß man noch lange nicht, wie sein Verhalten in der Freiheit sein wird. Bedingte Anordnung der Trinkerheilanstalt ist unerläßlich. D as Damoklesschwert der Anstalt muß über dem Täter bleiben. D as Gefängnis darf kein Beurtei­ lungsmaßstab sein. § 430 darf nicht vollständig ge­ strichen werden. Ob die Sicherungsverwahrung herauszunehmen sein wird, ist eine Frage für sich. Hat das Gericht die Möglichkeit, die Unterbringung in einer Anstalt bedingt auszusetzen, so wird es diese bedingte Unterbringung vielleicht da aussprechen, wo es sie unbedingt nicht aussprechen würde. D as be­ deutet eine Verstärkung, aber keine Durchlöcherung. § 430 ist nötig bei heilenden Maßnahmen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D er Auffassung des Herrn Professor Kohlrausch bezüglich der heilenden Maßnahmen ist Gewicht beizu­ messen. M it der Konstruktion der bedingten Unter­ bringung kann man auskommen. Ich möchte vor­ schlagen, den § 430 Abs. 1 so zu fassen, daß das erkennende Gericht auf heilende Maßnahmen mit

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wie soll ein solches Urteil mit Aussetzung der Unterbringung lauten? Ministerialdirektor Schäfer: Der Angeklagte wird zu . . . verurteilt. Zugleich wird Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt mit der Maßgabe angeordnet, daß diese bedingt ausgesetzt wird, wenn er die . . . Bedingungen erfüllt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn die Staatsanwaltschaft Herrin des Vollstreckungsversahrens in weiterem S inne sein soll, dann müssen auch die Fragen der Erfüllung der Auf­ lagen Sache der Staatsanwaltschaft sein. Ministerialdirektor Schäfer: M it dem Urteil hört die Tätigkeit des Gerichts auf. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Die Ausdehnung des § 430 auf Sicherungsver­ wahrung und Arbeitshaus ist also abgelehnt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir kommen jetzt zur Frage der E n t m a n n u n g (§ 431). Ich bitte zunächst, zu der schwierigen Frage der Entmannung Schuldunsähiger Stellung zu nehmen. Professor Dr. Kohlrausch: Bon psychiatrischer Seite wird eine solche Ent­ mannung dringend gewünscht, da sonst in den Heil­ anstalten zuviel schwachsinnige Sittlichkeitsverbrecher herumlaufen würden. Professor Dr. Mezger: Zahlreiche Arzte sind der Auffassung, daß die Kastration die schwerste Maßnahme nach der Todes-

strafe ist. M it der Kastration ist ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeit des davon Betroffenen ver­ bunden. Zudem sehen manche in der Kastration eine wirkliche Strafe, im Sinne einer verstümmelnden Leibesstrafe, keine bloß sichernde Maßnahme. Wenn die Kastration als sichernde Maßregel gelten soll, dann muß sie konsequenterweise auch auf Zurechnungsu n fähige ausgedehnt werden. Sonst müßte sie als richtige Strafe ins Gesetz ausgenommen werden. Gegenüber einer zu weiten Ausdehnung der Maßregel bestehen begreifliche Bedenken, damit darf aber kein Halt gerade vor sexueller Perversität (Homosexualität) gemacht werden. Die Hereinnahme der Homosexuellen in den Bereich der Kastration wäre also weiter zu prüfen. I n der Rechtsprechung besteht die Neigung, in Fällen des jetzigen § 176 Ziff. 3 S tG B , von der Entmannung abzusehen, wenn das Verbrechen aus gleichgeschlechtlicher Anlage beruht. Diese Neigung ist höchst bedenklich, denn dies sind gerade die gefähr­ lichsten Verbrecher im Rahmen der genannten Be­ stimmung. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Weitere Anregungen zu § 431 werden nicht gegeben. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Ich habe bei den Vorsitzenden der großen S traf­ kammern des Landgerichts Leipzig eine Umfrage hin­ sichtlich der Maßregeln der Sicherung und Besserung veraüstaltet. Alle sind dabei für die Zulässigkeit der Entmannung auch der Schuld u n fähigen eingetreten, da durch Unterbringung in einer Anstalt die Gefahr für die öffentliche Sicherheit wegen der Möglichkeit des Entweichens nicht restlos beseitigt werde. Weiter­ hin sind sie für Entmannungsmöglichkeit homosexu­ eller Sittlichkeitsverbrecher sowie für die Entmannung taubstummer Sittlichkeitsverbrecher eingetreten. I n besonders schweren Fällen muß auch in anderen Fällen als denen des § 42 k Abs. 1 Nr. 3 R S tG B . Ent­ mannung schon beim e r s t e n Sittlichkeitsverbrechen zulässig sein. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: 1. Gegen die Entmannung auch bei Schuld­ unfähigen ist nichts zu sagen. 2. Zur Frage der Entmannung homosexueller Sittlichkeitsverbrecher möchte ich folgendes bemerken: Während vor I Y 2 Jahren die Medizinalabteilung des Reichsinnenministeriums der Auffaffung war, die Entmannung solle auf Homosexuelle nicht ausgedehnt werden, hat sich diese Auffassung jetzt schon ins Gegenteil verkehrt. Richtig ist es, daß, wenn die Be­ gehung einer Notzucht zur Entmannung führen soll, dies auch bei homosexueller Notzucht der Fall sein muß. Andererseits aber ist folgendes zu bedenken: Wird ein noch junger Homosexueller kastriert, dann verweichlicht er im Typus, und er wird erst recht begehrenswert für homosexuelle Kreise. Hält man das alles zusammen, dann komme ich zu dem Ergebnis, daß bei Homosexuellen nur in besonders qualifizierten Fällen (mit Gewalt; unter Ausnutzung eines Ab­ hängigkeitsverhältnisses; gewerbs- oder gewohnheits­

mäßig; Verführung) Entmannung stattfinden soll, in einfachen Fällen jedenfalls nicht. I n welchen Fällen des § 87 Entw. (Päderastie) z. B. soll Entmannung eintreten? Ministerialdirigent Dr. Schäfer: I n Betracht kämen nur die Fälle von § 87 Nr. 1 und 2, und auch dies ist noch zweifelhaft. § 87 Nr. 3 käme nicht in Betracht, da der Täter hier ja meist gar keine perverse Triebrichtung hat. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich würde Sicherungsmaßnahmen nur für die besonders gefährlichen homosexuellen Sittlichkeits­ verbrecher vorsehen, nämlich bei den mit Gewalt und gegen Schutzlose Handelnden. Bezüglich der unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses Han­ delnden bin ich der Meinung, daß eine Entmannung dort Strafcharakter haben würde. Wenn jemand sich zur Befriedigung seines homosexuellen Triebes an Abhängige wagt, dann sind diese Vorgesetzten lediglich aus ihrer Vorgesetztenstellung zu entfernen. Die Anordnung einer Entmannung würde hier keine Sicherungsmaßnahme bedeuten. Professor Dr. Mezger: § 87 Ziff. 1 gehört nicht unter die Fälle der Entmannung; die darin genannten Fälle sind situa­ tionsbedingt. § 87 Ziff. 2 steht im Vordergrund. Die gebotene Schranke des § 431 muß durch das T a t Zeitalter, nicht durch die Zeit der E n t s c h e i ­ d u n g bestimmt sein. I n der Pubertät läßt ein homosexuelles Verhalten noch keinen endgültigen Schluß auf eine bleibende homosexuelle Anlage zu. Vor dem 21. Lebensjahr ist eine labile Zeit. Der T a t z e i t kommt daher eine entscheidende Rolle zu. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Ich bitte darum, stets die Parallele zum hetero­ sexuellen Verkehr nicht aus dem Auge zu lassen. Professor Dr. Schaffstein: Ich möchte die Entmannung des homosexuellen Sittlichkeitsverbrechers in den Fällen gewaltsamen Handelns befürworten. § 87 Ziff. 1 geht schon zu weit. D as Alter des Täters scheint m ir mit 21 Jahren zu niedrig gegriffen zu sein. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wird der homosexuelle Trieb durch die E nt­ mannung vernichtet? Reichsjustizminister D r. Gürtner: Darüber besteht keine einheitliche Meinung. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Dann würde ich lediglich den F all des mit Ge­ walt handelnden Homosexuellen als Fall der E nt­ mannung anerkennen. Wo es zweifelhaft erscheint, ob der Trieb beseitigt wird, dort ist Entmannung als sichernde Maßnahme nicht am Platze.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ein pervers veranlagter M ann in guter Stellung läßt eine Schule für Jugendausbildung gründen. I n Wahrheit dient diese Schule der Heranbildung päderastischen Nachwuchses. Hier würde eventuell auch Entmannung am Platze sein. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Von der Entmannung ist bei Homosexuellen bisher abgesehen worden, weil die entartete Triebrichtung durch die Entmannung nicht geändert wird. Wenn ihre Zulassung vom Innenministerium jetzt befür­ wortet wird, so deshalb, weil die libido und damit die Gefährlichkeit für andere vermindert wird. Staatssekretär Dr. Freisler: Bei Handlungen Homosexueller gegen Jugendliche ist besonderer Schutz nötig, der aber auf beischlafs­ ähnliche Handlungen und auf ein Alter von 25 Jahren zu beschränken ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Abhängigkeitsverhältniffe sind nicht hinein­ zunehmen. Professor Dr. Mezger: Ich möchte die Frage auswerfen, ob wirklich die Exhibitionisten (§ 88 Entw.) hier einbezogen werden sollen? F ü r Maßregeln so einschneidender Art muß die T at selbst eine schwerwiegende sein. Ob dazu der Exhibitionismus gehört, erscheint mir fraglich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: F ür Kinder bedeuten Exhibitionisten eine große Gefahr. Exhibitionismus ist schwer zu heilen. E r ist eine Form der Impotenz. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bitte um Ausweitung der Kastration auf per­ verse Brandstifter. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Gibt es überhaupt Brandstiftung aus perversen sexuellen Hintergründen? M ir ist darüber nichts Näheres bekannt. Ich möchte davor warnen, die Ent­ mannung zu sehr auszudehnen. Der Fall des § 87 Ziff. 2 Entw. (Päderastie und Verführung Jugendlicher unter 15 Jahren) ist in der Neufassung (Anträge B 45) enthalten. Staatssekretär Dr. Freisler: D as Alter des zu Entmannenden zur Tatzeit muß auf 25 Jah re erhöht werden. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich bin gegen eine Heraufsetzung des Alters auf 25 Jahre. Auch bei 21jährigen kommen rohe, schwere Fälle vor. Ich würde deshalb die Altersgrenze von 21 Jahren belassen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir kommen jetzt zur U n t e r s a g u n g B e r u f s a u s ü b u n g (§ 432 Entw.).

der

Staatssekretär Dr. Freisler: Es muß die Möglichkeit geschaffen werden, auch auf Lebenszeit die Untersagung der Berufsausübung auszusprechen. Ich denke da an schwer volksschädigende Großschieber. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte sagen, Berufsverbot auf Zeit oder lebenslang in besonders gefährlichen Fällen. Staatssekretär Dr. Freisler: D as Berufsverbot wird viel zu selten ausge­ sprochen. M an sollte hier nichts komplizieren. Professor D r. Henkel: D as berufsständische Recht greift hier schon weit­ gehend ein, indem es Ausschluß aus dem Berufsstand vorsieht. Es ist also zu fragen, wie sich das Berufs­ verbot zu der Regelung des ständischen Rechts ver­ halten soll. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an könnte da beim Amtsverlust ebenso auch an das Dienststrafrecht denken. Die richtige Lösung fin­ det sich, wenn man bedenkt, daß nur das Allergröbste durch das Strafgesetzbuch geahndet werden soll. Alles, was Ziselierung bedeuten würde, muß aus dem S tra f­ gesetzbuch herausgelassen werden. D as ständische Strafrecht soll subsidiär sein. Professor Dr. Dahm: Meiner Meinung nach muß das Berufsverbot h i e r geregelt werden. Der Hinweis auf das stän­ dische Strafrecht scheint mir nicht überzeugend. Ich sehe überhaupt eine Gefahr in einer Übertreibung dieser Gedanken. W ir sollten die Idee eines gesamt­ völkischen Strafrechts im Auge behalten, damit wir nicht in eine Auslösung des Rechts hineingeraten, wie sie für das spätmittelalterliche Recht kennzeichnend war. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: § 431 Entw. ist also auf ein lebenslanges Berufs­ verbot auszuweiten. W ir gelangen nunmehr zur Untersagung der Ge­ werbeausübung und Geschäftsschließung gegen j u r i s t i s c h e P e r s o n e n . I n den Beschlüssen der Unterkommission des Hauses Nr. B 5 ist vorgeschlagen: „Hat der Täter als Organ oder gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person gehandelt, so kann das Gericht auf die Dauer von mindestens einem J a h r und höchstens 5 Jahren der juristischen Person die Ausübung des Gewerbes oder Ge­ werbezweiges untersagen oder die Schließung ihres Geschäftsbetriebes anordnen, wenn dies er­ forderlich ist, um die Allgemeinheit vor weiterer Gefährdung zu schützen.

Der juristischen Person steht eine Personen­ vereinigung gleich, die ohne Rechtsfähigkeit zu be­ sitzen selbständig verklagt werden kann. § 432 Abs. 2 und § 406 gelten entsprechend." Der Ursprungsgedanke ist der, ein Berufsverbot wie bei einer physischen Person auch bei einer nicht­ physischen zu verhängen. Reichsgerichtsrat Niethammer: I n § 432 a Abs. 1 muß zum Ausdruck gebracht werden, daß die Maßregel nur stattfindet, wenn der als Vertreter handelnde Täter zu F r e i h e i t s st r a f e verurteilt wird. Die Mindestdauer der Strafe muß wie in § 432 aus 3 Monate angesetzt werden. Staatssekretär Dr. Freisler: M an muß sich fragen: wem tue ich durch Unter­ sagung des Gewerbebetriebes bei einer juristischen Person ein Übel an? D as Übel wird nicht dem Kapi­ tal zugefügt, wohl aber den Arbeitern, die ihren Ar­ beitsplatz verlieren, sowie evtl, den unbeteiligten Kre­ ditgebern. D as Reichswirtschastsministerium wird gegen § 432 a sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei § 432 wird zu sehr von der Gleichung juristi­ scher Person — physischer Person ausgegangen. Staatssekretär Dr. Freisler: Bei einer Ein-M ann-G. m. b. H. muß man schließen können. (Pause von 1.00 bis 16.45 Uhr.) Reichsjustizminister Dr. G ürtner: W ir haben nunmehr die Berwarmmg mit Strasvorbehalt zu besprechen. Berichterstatter sind die Herren Mezger und Grau. Berichterstatter Professor Dr. Mezger: Die §§ 420 fs. scheinen mir an demselben Kon­ struktionsfehler zu leiden wie § 430. Die Verwarnung mit Strasvorbehalt ist ein Mittelding, von dem man nicht weiß, ob sie Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung oder Vorwegnähme eines Gnaden­ aktes ist. Ich möchte vorschlagen, sie als echte Strafe, als neue S trasart auszubauen, wie dies schon in 1. Lesung — mit Hinweis aus das Consilium abeundi — zutreffend betont worden ist. W as den Vorwurf anlangt, die Verwarnung mit Strafvorbe­ halt sei eine Äußerung liberalistischer Geisteshaltung und Mißbrauch damit zu befürchten, so ist unbestreit­ bar, daß ein Mißbrauch leicht möglich ist. E s kommt jedoch auf den Geist an, in dem das Strafm ittel an­ gewandt wird. D as wird künftig nicht mehr der Geist des Individualism us sein. F ü r das Rechtsinstitut der Verwarnung mit Strafvorbehalt fällt am schwersten folgende Erwägung in die Waagschale. Praktiker von allen Seiten haben erklärt, daß etwas wie die Verwarnung mit Strafvorbehalt unentbehrlich sei. Bedenklich ist, wenn diesem Bedürfnis nur durch gnadenweise Anordnung genügt wird; denn das er­

schüttert die richterliche Autorität auf schwerste. Des­ halb scheint es mir richtig, das Institut zur vollen S trafart auszubauen und sie in die Hand des Richters zu legen. D as bietet außerdem den Vorteil, daß nicht weiter am Strasminimum gerüttelt zu werden braucht. Nicht Verwarnung mit Strasvorbehalt, sondern Strafe der Verwarnung mit dem Vorbehalt weiterer Strafe muß es heißen. Ich schlage vor, den § 420 folgendermaßen zu fassen: „Hat der T ä t e r -----ver­ wirkt, so kann ihn das Gericht zur S trafe unter Fest­ stellung der Schuld verwarnen und eine weitere Strafe vorbehalten, wenn sich der Verurteilte während einer Probezeit nicht gut führt." I m übrigen kann die technische Durchführung, wie sie der Entwurf 1. Lesung bringt, beibehalten werden: die Feststellung der Schuld schon im ersten Verfahren, die alsbaldige Festsetzung der Strafe in den Urteilsgründen, das Absehen von einer Verkündung in der Urteils­ formel, die Bekanntgabe an den Verwarnten in den Urteilsgründen und die weitere Strafe, wenn die Verwarnung keinen Erfolg hat. Es bleibt nur eine Zweifelsfrage offen: A u f w e l c h e S t r a f e n s o l l die V e r w a r n u n g m i t S t r a s v o r b e h a l t e r s t r e c k t w e r d e n ? Der Entwurf sieht im § 420 Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten vor. Die Sach­ bearbeiter des Ministeriums haben Freiheitsstrafe bis zu 3 Monaten vorgeschlagen. Meines Erachtens würde eine Herabsetzung der 6 Monate auf 3 Monate im § 420 die Möglichkeit verringern, die Verwarnung auch für schwerere Fälle genügend ernst und nach­ drücklich zu gestalten. Zu § 420 Abs. 3 und § 422 wird zu erwägen sein, ob außer Einziehung und Schutzaufsicht nicht auch Unterbringung in eine Trinkerheilanstalt und Heil­ anstalt zweckmäßigerweise neben der Verwarnung zu­ gelassen werden soll. Berichterstatter Vizepräsident G rau: Gegen die von Herrn Professor Mezger vorge­ schlagene Ausgestaltung der Verwarnung mit S tra f­ vorbehalt als Strafe trage ich Bedenken. I n erster Lesung ist stets mit Recht betont worden, daß der Täter bei guter Führung gar nicht bestraft sein soll. Die Verwarnung mit Strafvorbehalt ist lediglich eine Strafandrohung. Der Täter soll sich durch gute Führung verdienen, daß ihn keine Strafe trifft. Die Verwarnung ist ein Zwischending zwischen einer Strafe und einer sichernden Maßnahme. Der Stell­ vertreter des Führers hat allerdings die Verwarnung als „Kind liberalistischer Geisteshaltung" abgelehnt. Derselben Ansicht war auf der Fischbachauer Tagung des Reichsrechtsamts auch der Generalstaatsanwalt von Steinaecker. Auch aus der P raxis sind vereinzelt Bedenken geltend gemacht worden. Trotzdem bin ich für Beibehaltung des Instituts, jedoch mit dem fol­ genden Vorbehalt: Es geht nicht an, daß in einem Fall das G e r i c h t eine Verwarnung mit Strasvor­ behalt des schuldigen T äters ablehne,' die S t a a t s ­ a n w a l t s c h a f t aber nunmehr von sich aus be­ dingte Strafaussetzung gewähren sollte. Bleibt die Verwarnung mit Strafvorbehalt, so muß die Gnaden­ delegation an die Vollstreckungsbehörde eingeschränkt

werden. Die Einschränkung muß dahin gehen, daß die Gnadenbesugnis der Vollstreckungsbehörde bei Taten, bei denen das Gericht die Verwarnung aus­ sprechen kann, nur dann Platz greift, wenn das Ge­ richt die Frage der Verwarnung gar nicht geprüft haben sollte, oder wenn nachträglich neue Tatsachen bekannt geworden sind, die einen Gnadenerweis recht­ fertigen. Ferner muß die Verwarnung materiell ein­ geengt werden; die bisherige Fassung des § 420 gibt ihr ein wohl zu weites Anwendungsseld. Ich möchte vorschlagen, die Grenze aus Freiheitsstrafen bis zu 3 Monaten festzusetzen. Einen Anhaltspunkt für die künftig zu ziehende Grenze gibt die Statistik über das Anwendungsgebiet der bedingten Strafaussetzung in Preußen im 1. Kalenderhalbjahr 1934. Danach sind in dieser Zeit in P r e u ß e n durch die Strafvoll­ streckungsbehörde ausgesetzt: 3197 ganze Strafen von 1 Woche oder weniger, 5115 ganze Strafen von mehr als einer Woche bis zu 1 Monat, 2610 ganze Strafen von mehr als 1 M onat bis zu 3 Monaten, 895 ganze Strafen von mehr als 3 bis zu 6 M o­ naten. Zieht man die Grenze bei 3 Monaten, so ver­ bleiben nicht allzu viele Fälle der Aussetzung ganzer Strafen. Diese Fälle könnten von den Gnaden­ behörden ohne weiteres bewältigt werden. Dagegen besteht ein Bedürfnis, für Freiheitsstrafen von 1 Tag bis zu 3 Monaten die Verwarnung mit Strasvorbehalt einzuführen. F ü r Geldstrafen würde ich die Ver­ warnung nur insoweit zulassen, als sie 90 Tages­ bußen entsprechen. M it dieser Beschränkung möchte ich die Verwarnung mit Strasvorbehalt bestehen lasten, vor allem auch deshalb, weil ich zuversichtlich glaube, daß der nationalsozialistisch erzogene Richter von ihr den richtigen Gebrauch machen wird. Gegen die in 1. Lesung vorgesehene geheime S tra f­ androhung hat sich Lobe ausgesprochen. Die S ta a ts­ anwaltschaft müßte ja im Plädoyer sowieso von der Strafhöhe sprechen. Eine Belastung des Täters ent­ stehe dadurch nicht. Dieser Einwand scheint mir be­ rechtigt zu sein. Ich schlage vor, die verwirkte Strafe nicht nur in die Urteilsgründe hineinzuschreiben, son­ dern sie im Urteil ausdrücklich zu verkünden. Ein zweiter Angriffspunkt Lobes wie auch von Peters be­ zieht sich auf die Frage der Rechtsmittel. S ie tragen dagegen Bedenken, daß ein Rechtsmittel weder gegen die Höhe der verwirkten Strafe, noch gegen die mit der Verwarnung verbundenen Nebenanordnungen zu­ lässig sein soll. D as scheint mir aber durchaus richtig zu sein. Denn der T äter darf ein Rechtsmittel nicht damit begründen können, daß ihm eine im Falle schlechter Führung drohende S trafe zu hoch sei. E r hat es ja in der Hand, durch gute Führung zu er­ reichen, daß er überhaupt nicht bestraft wird. Gegen die Nebenanordnungen kann schon deshalb ein Rechts­ mittel nicht gegeben werden, weil diese von der Ver­ warnung nicht zu trennen sind, und der T äter durch die Verwarnung, wenn sie auf zutreffender Schuldsest-

stellung beruht, nicht beschwert ist. Der Angeklagte wird also nur hinsichtlich der Schuldseststellungen und etwaigen mit der Verwarnung verbundenen Siche­ rungsmaßregeln ein Rechtsmittel haben. I m übrigen scheint es mir richtig zu sein, in § 421 hinter die Worte „daß er künftig seinen gesetzlichen Verpflich­ tungen" die Worte „und die ihm etwa durch das Ge­ richt auferlegten Pflichten" einzuschalten. I m § 421 S . 2 möchte ich die Worte „öffentliches Interesse" vermeiden und dafür lieber sagen „wenn das Schutz­ bedürfnis der Volksgemeinschaft es erfordert, d aß . . . " I m § 422 würde ich neben Schutzaufsicht die Unter­ bringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt erwähnen und als Überschrift im § 422 „Besondere Maßregeln und Pflichten" vorschlagen. Professor Dr. Mezger: Ich möchte mich nur kurz zur Rechtsmittelfrage äußern. Ich bin in Übereinstimmung mit Präsident Grau der Auffassung, daß kein Rechtsmittel gegen die vorbehaltene Strafe zulässig sein soll, weil ein Rechts­ mittel mit dem Hinweis aus eventuelle schlechte Führung ein Unding sein würde. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ein erfahrener Praktiker hat mir als Kern, als das Wesentliche der Verwarnung mit Strafvorbehalt folgende Formulierung gesagt: Du hast gestohlen; hüte Dich wohl; andernfalls wirst Du eingesteckt. Es fragt sich, wie man das gesetzlich am besten ausdrückt. Hat der Verwarnte sich gut geführt, kommt die Verwarnung nicht ins Strafregister, sondern es wird ein Zettelvermerk niedergelegt, der 1 J a h r oder län­ gere Zeit darin liegen bleibt. Nach 1 J a h r usw. kann dann der Zettel vernichtet werden, und das Register ist sauber. Professor Dr. Henkel: Ich trage zunächst Bedenken gegen die Art der Verwarnung, insbesondere gegen die Austeilung der Verwarnung in 2 Akte, nämlich in die mündliche E r­ öffnung und die nach Rechtskraft des Urteils erfol­ gende Zustellung der Urteilsgründe mit Angabe der zu erwartenden Strafe. Die mündliche Verwarnung ohne Angabe der Strafe wird keine Wirkung haben, ebensowenig aber auch die demnächst erfolgende Be­ kanntgabe der Strafhöhe in den Urteilsgründen. Es empfiehlt sich, schon bei der Verkündung des Schuld­ spruchs zugleich auch zu sagen, welche Strafe bei schlechter Führung zu erwarten ist. Nur nebenbei möchte ich bemerken, daß ich die nach § 267 a S tP O . (Entwurf S . 97 Anm. 1) vorgesehene Verwarnung mit Strafvorbehalt im Strafbefehl für unmöglich halte. F ü r die Aufteilung der Verwarnung in zwei Akte (Mitteilung des Schuldspruches, Zustellung der Urteilsgründe mit Strafangabe) wird immer ange­ führt, dem Täter werde auf diese Weise der Makel der Bestrafung erspart. D as ist nicht richtig. Schon bei der heutigen Erteilung der Bewährungsfrist ist

die Einstellung der Verurteilten verschieden: Die einen sehen sich als bestraft an, die anderen haben nicht das Bewußtsein, beim Ausbleiben der S trafe bestraft zu sein. Dies würde sich bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt in der vorgesehenen Art nicht ändern. Die Folge eines Makels durch den Schuldspruch ist nicht zu vermeiden und soll m. E. auch nicht vermieden werden. Ich stelle mir die Regelung folgendermaßen vor: An die Verkündung des Schuldspruchs schließt sich die Verwarnung und der bedingte Strasausspruch an. Wir würden uns damit dem belgisch-französischen System nähern. Aber während im belgisch-franzö­ sischen System die Verurteilung auflösend bedingt ist (bei Wohlverhalten gilt die Verurteilung als nicht erfolgt), ist sie hier aufschiebend bedingt. D er Täter ist mit der Verwarnung noch nicht zu der in Aussicht gestellten Strafe verurteilt, doch zieht schlechtes Ver­ halten während der Probezeit das Wirksamwerden des Strafausspruches nach sich und löst die Voll­ streckung der in Aussicht genommenen Strafe aus. Auf diese Weise kann die Verwarnung wirksam ge­ macht werden. Es wäre im Urteilstenor dem Sinn nach etwa zu verkünden: Der Angeklagte ist des Be­ truges schuldig. E r wird verwarnt. Führt er sich während einer Probezeit von drei Jahren schlecht, so hat et eine in Aussicht genommene Gefängnisstrafe von 6 Monaten zu verbüßen. Auch gegen die Art, in der nach dem Entwurf die Entscheidung über den E intritt der Strafe erfolgen soll, habe ich Bedenken. D as nach dem Ablauf der Probezeit über E intritt oder Nichteintritt der Strafe befindende Gericht ist nicht mehr das erkennende Ge­ richt in seiner damaligen Besetzung (wie z. B. bei Teilnahme von Laienrichtern). Hier ist die Sache schon in ein weiteres Stadium vorgerückt. Warum soll die Entscheidung über E intritt oder Nichteintritt der Strafe nicht durch die Vollstreckungsbehörde ge­ troffen werden, die den Verwarnten überwacht und die daher sachkundig ist, also auch die Verantwortung für die Entscheidung tragen soll. Die Vollstreckungs­ behörde hätte im gegebenen Fall festzustellen, daß der Verwarnte sich schlecht geführt, damit also die Be­ dingung für den Strafausspruch gesetzt und demzu­ folge die in Aussicht genommene S trafe zu verbüßen hat. Außerdem ist noch folgendes zu bemerken: M it der Verwarnung mit Strafvorbehalt in der nach bem Entwurf vorgesehenen Art würde man sicherlich nicht auskommen. W ir hätten dann womöglich zwei solcher Einrichtungen: Verwarnung mit Strasvorbehalt und bedingte Strafaussetzung. Diese Häufung der Aus­ nahmen von der sofortigen Bestrafung wäre aber untragbar. Besser schiene mir die einheitliche Rege­ lung: Verwarnung mit bedingtem Strasausspruch im Urteilstenor und Entscheidung der Vollstreckungs­ behörde über E intritt oder Nichteintritt der Strafe nach Ablauf der Probezeit. Oberstaatsanwalt D r. Reimer: I m Gegensatz zu den beiden Herren Bericht­ erstattern möchte ich mich für eine restlose Streichung

der §§ 420 bis 422 oder doch zum mindesten für eine ganz wesentliche Einschränkung des Anwendungs­ gebiets dieser Bestimmungen einsetzen. Wenn in der ersten Lesung gegen das Rechtsinstitut der „Verwarnung mit Strasvorbehalt" von keiner Seite Widerspruch erhoben wurde, so glaube ich das darauf zurückführen zu können, daß man da­ mals alles mehr oder minder dem Bestreben nach einer möglichsten Differenzierung der Strafen unterordnete, und man froh war, in der „Verwarnung mit S tra f­ vorbehalt" eine neue S tra fa rt gefunden zu haben. Nachdem aber jetzt durch die Stellungnahme des Stellvertreters des Führers und Thüringens die grundsätzliche Frage des pro und c o n tra der „Ver­ warnung mit Strafvorbehalt" wieder akut geworden ist, möchte ich mir doch erlauben, meine Bedenken zusammenfassend vorzutragen: Wenn Herr Vizepräsident Grau bereits er­ wähnt hat, daß zahlreiche Stimmen in der Praxis sich gegen die geplante Regelung ausgesprochen haben, so kann ich das aus meiner eigenen Erfahrung in vollem Umfange bestätigen. Von der Denkschrift des Herrn Reichsjustizministers über den Allgemeinen Teil des kommenden Strafgesetzbuchs ist gerade das Kapitel der Verwarnung mit Strasvorbehalt in der P raxis sehr lebhaft diskutiert worden, weil das das tägliche B rot des Praktikers ist, und dieser aus den Erfahrungen der Praxis heraus die Auswirkung der­ artiger Bestimmungen am besten zu beurteilen in der Lage ist. Hierbei hat sich eine geradezu erstaunliche Einhelligkeit in der Gegnerschaft gegen die geplante Neuregelung ergeben, und zwar im wesentlichen aus den gleichen Erwägungen, die den Stellvertreter des Führers zu seiner ablehnenden Stellungnahme ver­ anlaßt haben. Allgemein wurde die Auffassung ver­ treten, daß die gesetzliche Verankerung der Verwar­ nung mit Strasvorbehalt noch dazu in dem vorge­ sehenen Ausmaße für die Gerichte ein Danaergeschenk sei, das sich sehr bald einbürgern und dann zu einer höchst unangebrachten Milde führen würde. Denn über eins muß man sich m. E. klar sein: F ü r den Juristen bedeutet allerdings die Verwar­ nung mit Strafvorbehalt eine neue S trafart, aber das Volk, für das ja schließlich das Strafgesetzbuch geschrieben wird, wird diese neue S tra fa rt immer nur als eine etwas modifizierte bedingte S trafaus­ setzung empfinden. Wenn der Berliner früher sagte: „Erst klau ick, dann bewähr ick m ir!", so wird er das bei der Verwarnung mit Strasvorbehalt genau so sagen. Weiterhin spricht nt. E. gegen die Verwarnung mit Strafvorbehalt noch der Umstand, daß wir neben dieser auf jeden Fall doch noch die durch die Gnaden­ instanz zu bewilligende bedingte Strafaussetzung be­ halten müssen, da diese insbesondere bei der Aus­ setzung von Restfreiheitsstrasen eine erhebliche Rolle spielen wird. Wir würden also auch hier zu einer keineswegs erfreulichen Zweispurigkeit gelangen. Wie sich die Verwarnung mit Strasvorbehalt in der P raxis auswirken wird, möchte ich an folgendem Beispiel darstellen: Ein bisher unvorbestraster Ange-

stetster veruntreut seinem Arbeitgeber mehrere hundert Mark. Aus Grund der Auflockerung des Legalitäts­ prinzips, tote es in § 28 des Entwurfs der S tra f­ prozeßordnung vorgesehen ist, wird zunächst einmal der Versuch gemacht werden, den Staatsanw alt zu veranlassen, von der Verfolgung der T at abzusehen. Dieser lehnt ab. Der Verteidiger des Angeklagten legt gegen diese Verfügung des S taatsanw alts die Dienstaussichtsbeschwerde bei dem Generalstaatsan­ walt und, weil auch diese zurückgewiesen wird, weitere Dienstaufsichtsbeschwerde beim Justizministerium ein. Nachdem auch dieses sich für die Verfolgung der T at ausgesprochen hat, erfolgt die Anklageerhebung. Trotz aller Versuche des Verteidigers, für seinen Mandanten bei dem Gericht erster Instanz eine Verwarnung mit Strafvorbehalt zu erreichen, wird der Angeklagte zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt. Selbstverständlich wird der Angeklagte sich damit nicht zufrieden geben und wenigstens den Versuch machen, durch Anrufung der Berufungsinstanz doch noch die Bestrafung von sich abzuwenden und die Verwarnung mit S trafvor­ behalt zu erreichen. Wird aber ein Sachverhalt, der vielleicht einen Grenzsall für die Anwendung der Verwarnung mit Strafvorbehalt darstellt, von zwei Instanzen ge­ prüft, so bin ich überzeugt, daß es in zahlreichen Fällen einem Angeklagten gelingen wird, in der Berufungsinstanz eine mildere Beurteilung seiner Straftaten zu erzielen; denn daß aus die Berufung eines Angeklagten die zweite Instanz das Strafm aß herabsetzt, ist doch an der Tagesordnung. Die Gründe für diese Herabsetzung liegen auf der Hand. Der Angeklagte hat aus der Verhandlung der ersten I n ­ stanz gelernt, seine Verteidigungstaktik einzurichten, und bemüht sich, in der Berufungsinstanz all das, was ihm als strafschärfend angerechnet ist, nach Möglich­ keit zu bagatellisieren und dagegen die strafmildernden Umstände in den Vordergrund zu rücken. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß das Institut der Verwarnung mit Strafvorbehalt der Anlaß zur Einlegung zahl­ reicher Berufungen werden wird, mit denen die Ge­ richte sonst nicht behelligt werden würden. Die gleiche Erfahrung haben wir mit dem Strassreiheitsgesetz vom 7. August 1934 gemacht, das für Nichtvorbestrafte als Amnestiegrenze gleichfalls eine Strafe von sechs Monaten Gefängnis vorsah. Wenn nun Herr Professor Mezger meint, daß die in -der früheren individualistischen Zeit festgestellte mißbräuchliche Anwendung der bedingten S trafau s­ setzung bei der Verwarnung mit Strasvorbehalt nicht mehr zu befürchten sei, weil der Richter der kommenden Zeit in einem anderen Geiste erzogen sei und das Recht anders handhaben werde, so ist das m. E. ein bloßes Wunschbild. Ob in einem Grenzfalle der Richter verurteilt oder die Verwarnung mit S tra f­ vorbehalt wählt, hat mit Erziehung im national­ sozialistischen Geiste nt. E. gar nichts zu tun, sondern hängt von der mehr oder minder großen Fähigkeit des Richters ab, die Persönlichkeit des Angeklagten richtig zu beurteilen; und in dieser Hinsicht hat mich die Erfahrung gelehrt, skeptisch zu denken. W ir dürfen

doch auch das Laienelement in der Strafrechtspflege nicht vergessen. Solange Laien bei der Urteilsfindung und der Straffestsetzung beteiligt sind, insbesondere solange sie bei der Frage der Bewilligung von S tra f­ aussetzung mit zu entscheiden haben, liegt es im Interesse einer wirksamen Verbrechensbekämpfung, die Grenze, bis zu welcher eine Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgesprochen werden darf, möglichst herabzusetzen. Denn daß Laien in der Regel zu einer milderen Auffassung neigen als die Berufsrichter und sich leichter als diese zur Bewilligung einer bedingten Strafaussetzung entschließen, ist eine alte Erfahrung, die jedem Strafrichter und S taatsanw alt M a n n t ist. Als letztes Argument gegen die Einführung der Verwarnung mit Strafvorbehalt möchte ich noch aus einen Punkt hinweisen: Solange die Strafaussetzung dem Gericht genommen und in die Hand der S ta a ts­ anwaltschaft gelegt ist, hat die Reichsjustizverwaltung jederzeit die Möglichkeit, durch einen Federstrich jede mißbräuchliche Anwendung, wie es vornehmlich in der Systemzeit der Fall gewesen ist, zu verhüten. Das Preußische Strasvollstreckungs- und Gnadenrecht vom l. August 1933 und ihm folgend die Gnadenordnung des Reichsjustizministers vom 6. Februar 1935, durch welche die Befugnis zur Bewilligung einer bedingten Strafaussetzung den Gerichten genommen wurde, haben sich in der Praxis durchaus bewährt, so daß m. E. kein Anlaß besteht, durch Einführung der Ver­ warnung mit Strasvorbehalt den alten Zustand wieder ausleben zu lassen. Zusammenfassend schlage ich daher vor, entweder die Bestimmungen über die Verwarnung mit S tra f­ vorbehalt ganz zu streichen oder zum mindesten deren Anwendungsgebiet aus eine Strafe von 1 M onat Gefängnis herabzusetzen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Verwarnung ist für den Bereich der Bagatellstrasbarkeit am Platze. Doch scheint mir die Grenze von 6 Monaten Freiheitsstrafe für die Verwarnung mit Strafvorbehalt zu hoch zu sein. Am zweckmäßig­ sten wird man die Verwarnung bei Freiheitsstrafen von 1 bis 3 Monaten aussprechen. Sich auf § 153 S tP O , zu beschränken und die Verwarnung wegzu­ lassen, halte ich nicht für angebracht. Staatssekretär Dr. Freister: Wenn man die Frage stellt, welchen Bezirk man mit der Verwarnung mit Strasvorbehalt treffen will, so heißt das auch die Frage auswerfen, zu welchem Zweck man dieses Institut einführen will. I n der ersten Lesung ist dies nicht so ganz genau überdacht worden. W ir haben bisher mit dieser Maßnahme einen Bezirk getroffen, für den eine solche Maßnahme nicht nötig ist, nämlich den Bezirk der Gefängnisstrafe von 6, 5 und 4 Monaten. D as sind empfindliche Strafen, für die ein solches In stitu t nicht erforderlich ist. Auch eine dreimonatige Gefängnisstrafe scheint mir schon eine empfindliche S trafe zu sein, die ein solches Institut nicht angezeigt erscheinen läßt. F ü r alle diese Fälle kann man nicht gut sagen, daß auf

keine Strafe erkannt werden soll. I n diesen Fällen kann man nur die Frage stellen, ob es nötig ist, daß diese Strafe verbüßt wird. W ir haben das Gnadenverfahren, um für geeignete Fälle von der Verbüßung absehen zu können; dieses Verfahren hat sich bewährt. Ich halte es nicht für gut, daneben für denselben Be­ zirk ein zweites Verfahren auszubauen; die beiden Verfahren würden in Konkurrenz treten; sie würden in der Hand verschiedener Behörden sein. Daraus ergibt sich, daß ich der Meinung bin, daß w ir den Be­ zirk, der mit der Verwarnung mit Strafvorbehalt bedient werden könnte, zu weit nach oben ausgedehnt haben. M ir scheint der Gedanke richtig zu sein, daß man den hier zu treffenden Bezirk auf e i n e n Monat abgrenzt. Ich käme also dazu, daß wir eine solche Einrichtung, wenn es sich um eine Verurteilung von mehr als einem M onat handelt, nicht nötig haben. Haben wir für Freiheitsstrafen bis zu einem M onat etwas Derartiges nötig? Ich glaube, daß wir die Geringsügigkeitsbestimmung nicht allzusehr aus­ dehnen sollten; dann haben w ir aber zwischen der Verurteilung, für die wir das Gnadenversahren als Regulativ haben, und dem Geringfügigkeitsverfahren etwas anderes nötig; das könnte die Verwarnung mit Strafvorbehalt sein. Sollen wir die Verwarnung mit Strafvorbehalt als Strafe oder als Erziehungsmittel ansehen? Es scheint mir ein sehr guter Gedanke und richtig zu sein, daß diese Einrichtung keine Strafe sein soll. I n bezug aus die technische Ausgestaltung glaube ich, daß es sich im Register nicht mit Zetteln machen läßt, weil wir davon ausgegangen sind, daß niemand zweimal mit dieser Verwarnung davonkommen soll. S ta tt des Zettels müßte man aber nur eine neue Spalte einführen, um das technisch brauchbar zu machen. I m übrigen bin ich der Meinung, daß das Institut im einzelnen im großen und ganzen so ausgebaut werden muß, wie es Herr G rau vorgetragen hat. Daß das liberalistisch sei oder eine Verweichlichung be­ deute, vermag ich nicht anzuerkennen. Ich kann es nicht für liberalistisch halten, wenn man den T at­ sachen des Lebens offen ins Auge schaut. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s würde mich interessieren zu hören, wie sich die Herren den Tenor eines Urteils vorstellen, der in einem solchen Verfahren ergeht. M an könnte wohl sagen: 3E ist des Diebstahls schuldig; er wird ver­ warnt. Staatssekretär Dr. Freister: I n dem Urteilsspruch sollte weiter nichts erscheinen. Die Höhe der Strafe kann in dem Beschluß stehen, der gleichzeitig ergeht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as haben wir bei der bedingten Begnadigung auch gemacht. I m Tenor kommt so schon zum Aus­ druck, daß die Verwarnung keine Strafe ist. Die D auer der Verwarnung und die Folgen müssen noch irgendwie in die Erscheinung treten.

Ich bin der Meinung, daß es dem Erziehungs­ gedanken des nationalsozialistischen S taates wider­ sprechen würde, wenn man sagen wollte, daß in Kleinigkeiten nur durch den § 153 S tP O . Abhilfe geschaffen werden könnte. Die Frage, ob die Verwarnung eine Strafe ist oder nicht, ist sehr leicht zu beantworten. Enthält sie nur die Androhung einer Strafe für den Fall einer Wiederholung der Tat, so kann man wohl nicht von einer S trafe sprechen. Ich möchte feststellen, daß wir bei der Verwarnung über die Grenze von einem M onat nicht hinausgehen wollen. Dann ist kein Widerspruch dagegen erhoben worden, daß auch die im Hintergründe schwebende Strafe ausgesprochen und bekanntgegeben wird. Die Frage der Führung des Strafregisters ist rein technisch. Die Auskunft aus dem Register wäre nur beschränkt zu erteilen. Herr Kollege Grau hat ferner noch folgende Ge­ danken geäußert: Wenn das Gericht ausgesprochen hat, daß es sich die Frage der Verwarnung überlegt, aber abgelehnt hat, wird dies der Staatsanw alt nicht korrigieren dürfen. I m Verwaltungswege muß verhindert werden, daß dann, wenn das Gericht eine Strafe von 14 Tagen verhängt und eine Verwarnung abgelehnt hat, der Staatsanw alt dieses Urteil korrigiert. Der letzte Absatz von § 420 und der § 422 paffen noch nicht ganz zusammen; diese Vorschriften müssen noch aufeinander abgestimmt werden. Bei § 421 kann ich die Bemerkung nicht unter­ drücken, daß w ir in diesem Paragraphen etwas in das Lehrhafte verfallen sind; es muß versucht werden, dies abzumildern. Vielleicht läßt sich der ganze § 421 etwas vereinfachen. Nun käme der § 422. Ich würde die Schutzaufsicht bei der Bagatellgerichtsbarkeit fortlassen und den ganzen § 422 bis auf den Gedanken, der im letzten Satz zum Ausdruck gekommen ist, streichen. Den Gedanken des letzten Satzes möchte ich erhalten haben. Die Schadensersatzleistung auf das bürgerliche Recht zu verweisen, bedeutet praktisch, sie in den Kamin zu schreiben. Allerdings wäre dieser Gedanke nicht allein auf die materiellen Güter zu beschränken. Ministerialdirektor Schäfer: Ich darf wohl annehmen, daß sich damit auch die Anregung, die Trinkerheilanstalt einzufügen, erledigt hat? Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Diese Anregung soll nicht weiter verfolgt werden. Um die Formulierung der Bestimmungen über die Verwarnung mit Strafvorbehalt bitte ich die Herren Professor Dr. Mezger, Vizepräsident Grau und M inisterialrat Rietzsch bemüht zu sein. (Schluß der Sitzung 18 Uhr 35 Minuten.)

Strafrechlskommiffion

75. Sitzung 22. Juni 1935 (HahnenNee) Zweite Lesung Inhalt Die Maßregeln der Sicherung, Besserung und Heilung (Fortsetzung der Aussprache) Relchsjusttzmintster Dr. Gürtner........................1, 2, 3, 4, 5, 6 Staatssekretär Dr. Freister................................................. 1, 3, 4 Professor Dr. Kohlrausch..................................................... 1, 3, 4 Professor Dr. Graf G leispach...................................................... 1 Reichsgerlchtsrat Nietham m er................................ 2, 3, 4, 5, 6 Ministerialdirektor Schäfer.............................................3, 4, 5, 6 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 3, 6 Senatspräsident Professor Dr. K lee............................................4 Vizepräsident G r a u ..........................................................................5 Ministerialrat Rietzsch................................................................ 5, 6 Oberlandesgertchtsrat Dr. Schäfer.........................................5, 6

Aufbau des Besonderen Teils Retchsjustizmtnister Dr. Gürtner 6 ,8 , S, 1 0 ,1 1 ,1 3 ,1 4 ,1 5 ,1 6 ,1 7 Staatssekretär Dr. Freister................... 6, 8, 9, 11, 13, 16, 17 Professor Dr. Graf G leispach.......................................................9 Professor Dr. D ahm ................................................. 9, 11, 13, 17 Professor Dr. M ezger.............................................................. 14, 15 Vizepräsident G r a u ........................................................................15 Professor Dr. Schaffstein........................................................15, 16 Senatspräsident Professor Dr. Klee....................................16, 17

Beginn der Sitzung 9 Uhr 5 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren, aus den gestrigen Beratungen ist mir folgende Frage nicht ganz klar geworden: Is t es die Meinung der Kommission gewesen, daß die Widerruflichkeit der Entlassung aus der Sicherungs­ verwahrung zeitlich unbeschränkt sein soll, oder daß die Entlassung nach einer bestimmten Frist von Jahren unwiderruflich sein soll? Staatssekretär Dr. Freisler: Es ist die Meinung der Kommission gewesen, daß nach einer bestimmten Frist Unwiderruflichkeit ein­ treten soll. Nur bin ich der Meinung, daß die Frist geändert werden muß.

Reichsjustizminister Dr. GÜrtnerr E s handelt sich demnach also nur noch um die Frist selbst. Darüber hat sich eine feste Meinung noch nicht gebildet. Professor Dr. Kohlrausch: Bei einer Frist von 20 Jahren ist die Widerruf­ lichkeit wertlos. D as bedeutet dann soviel wie lebenslängliche Verwahrung. Staatssekretär D r. Freisler: Ich habe an die Zeit von der Strafverbüßung ab gedacht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die absolute Frist von 10 Jahren würde von der Entlassung ab laufen. Wie ist es aber mit der Ent­ lastung eines Geisteskranken aus der Heilanstalt? Auch hier reicht eine Frist von 10 Jahren nicht aus. Denn wenn der Entlastene später wieder geisteskrank werden sollte, so wird er wieder in die Anstalt ge­ bracht, aber nicht wegen der alten Straftat. Ich habe nach den gestrigen Beratungen noch zu folgendem Punkte Bedenken bekommen: Ich habe gestern den Vorschlag gemacht, immer den Ausdruck zu verwenden: „D as Gericht ordnet an." Es ist mir aber zweifelhaft geworden, ob man das bei der Ent­ mannung auch so fasten soll. Über die Wirksamkeit der Entmannung sind die Meinungen verschieden. Es gibt auch die Möglichkeit, den Täter anders unterzu­ bringen. Deshalb glaube ich, daß die Fassung des Entwurfs doch vorzuziehen ist. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich sehe darin einen wesentlichen Fortschritt, daß alle anderen Sicherungsmittel zwingend sind, die Entmannung aber nicht. Alle anderen können im Gegensatz zur Entmannung rückgängig gemacht werden. Ferner ist der Erfolg bei den anderen M itteln ein absolut eindeutig feststehender, nicht aber bei der Entmannung. Bei dieser besteht in der Regel nur ein höherer Grad von Wahrscheinlichkeit für den Erfolg. Ist diese Wahrscheinlichkeit nur gering, dann soll das Gericht die Größe der Gefahr gegenüber dem Grad der Wahrscheinlichkeit abwägen können. Weiter kommt hinzu, daß es gegen gefährliche Sittlichkeits­ verbrecher auch andere Sicherungsmittel gibt als die Entmannung. Deshalb sollte hier die Entmannung nur fakultativ zugelassen werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre also eine Unterstützung der Fassung des Entwurfs. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich vermag nicht einzusehen, daß es eine Aus­ weitung bedeutet, wenn man anstatt des Wortes „kann" schreibt: „ordnet an, wenn es erforderlich ist". D as „kann" liegt auch in dieser letzteren Formulie­ rung. Es zeigt nur eine festere Haltung des Gesetz­ gebers, wenn man dem Gericht vorschreibt, daß auf Entmannung zu erkennen ist, dann aber natürlich mit

dem Zusatz „wenn es erforderlich ist". Ich glaube aber, daß es bei der jetzigen Fassung bleiben kann. F ü r unmöglich halte ich es dagegen, daß man schreibt: „D as Gericht kann anordnen, wenn es die Ent­ mannung für erforderlich hält". Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Ich schlage vor, es bei der bisherigen Fassung zu belassen. Ich bitte dann Herrn Reichsgerichtsrat Niet­ hammer, das Ergebnis der Besprechung über die Einziehung mitzuteilen. Reichsgerichtsrat Niethammer: W ir sind in der Unterkommission über eine Fassung einig geworden, obwohl unsere Ansichten zu­ nächst weit auseinandergegangen sind. Meine per­ sönliche Ansicht war auf eine weitergehende Fassung gerichtet. Die Sachbearbeiter des Ministeriums wollten jedoch vorsichtiger sein. Dem ist die Unter­ kommission nachgekommen. Vorauszuschicken ist, daß die Einziehung nur als Sicherungsmaßregel erscheint. Eine gefährliche Sache wird weggenommen und in das Eigentum des Reichs überführt. Es handelt sich also um eine reine Verwaltungsaufgabe, die an sich von anderen Stellen als den Gerichten besorgt werden müßte. Deshalb liegt viel daran, daß der Auftrag an das Gericht zu diesem Verwaltungsgeschäst so eng wie möglich begrenzt wird. Denn wenn irgendwo auf der Straße eine Sache gesunden wird, die eine Gefahr für die Allgemeinheit hervorrufen kann, so ist es nicht das Gegebene, daß man den Amtsrichter anruft, sondern die Polizei. Diese Beschränkung, die sich schon der § 40 S tG B , aus anderen Erwägungen auferlegte, muß nach unserer Überzeugung auch in dem neuen Gesetz zum Ausdruck kommen. Die Einziehung nach § 433 — die gefährlichen Schriften usw. sind zunächst außer Betracht gelassen — muß ähnlich geregelt werden wie die Sicherungsverwahrung gefährlicher Menschen. Die gefährliche Sache wird in Verwahrung genommen, wenn sie in einer bestimmten Beziehung zu einer vom Gericht abgeurteilten S traftat steht. Dieser Grundsatz wird dann für einige Ausnahmen durchbrochen. Zunächst ist zu prüfen, was als Gegen­ stand der Einziehung anzusehen ist. I m Entwurf kommen in Anlehnung an den Entwurf von 1927 die Worte „Sachen und Vermögenswerte" vor. E s ist unsere Meinung, daß es stattdeffen heißen muß: „Sachen und Rechte". M an muß sich hier an die Begriffe des bürgerlichen Rechtes halten. Gegen den Begriff des Vermögenswerts habe ich das Bedenken, daß man einen Wert des betreffenden Gegenstandes voraussetzen müßte. Doch müssen viele Gegenstände als gefährlich eingezogen werden, die keinen Ver­ mögenswert darstellen. E s ist daher besser, hier von Sachen und Rechten zu sprechen. I n bezug auf die Rechte kommen vor allem Forderungen, Bankgut­ haben usw. in Betracht. Bei einer strengen Auffassung dieser Vorschrift muß man sagen, daß es auf die Schuldart nicht ankommt, da.es sich um eine Sicherungsmaßnahme

handelt. Allein es sprechen triftige Grunde dafür, für den Fall der bloßen Fahrlässigkeit Milderungen zuzulassen. Ferner sind auch gewisse Rücksichten auf den an der S traftat nicht beteiligten Eigentümer zu nehmen. Wenn die Sache nicht im Eigentum eines an der S traftat Beteiligten stand, so muß die Mög­ lichkeit gegeben sein, die Einziehung zu vermeiden. Deshalb wird folgendes vorgeschlagen: § 433 Neben der S trafe ordnet das Gericht an, daß Sachen oder Rechte, die zur Begehung oder Vorbereitung einer S traftat bestimmt waren oder gebraucht oder durch sie hervorgebracht worden sind, ganz oder teilweise eingezogen werden, wenn sie ihrer Art nach gefährlich sind oder sich in der Hand eines an der S traftat Beteiligten als gefährlich erwiesen haben. Von der Einziehung kann abgesehen werden, wenn die S traftat fahrlässig begangen ist oder wenn die Gegenstände ohne Schuld des Eigen­ tümers zu der T at verwendet worden sind. Abs. 1 ordnet als Regel an, daß auf die Einziehung neben der Strafe erkannt werden soll. Der zweite Absatz sieht dann als Milderungsmöglichkeiten vor: Die fahrlässige Begehung der S traftat und den Ge­ brauch der Gegenstände ohne Schuld des Eigen­ tümers. Alles dies betrifft den Kreis der Sachen und Rechte im allgemeinen. Wie das jetzt geltende Recht eine weitere Ein­ ziehungsmöglichkeit für gefährliche Schriften, Ab­ bildungen usw. geschaffen hat, so muß das auch hier geschehen. Diese gefährlichen Schriften usw. begegnen uns vor allem bei zwei an sich nicht verwandten Ver­ brechensarten: dem Hochverrat und der Unzucht. Bei diesen Straftaten besteht häufig nicht die Möglichkeit, dem, der die Schrift weitergeleitet hat, nachzuweisen, daß er vom In h a lt Kenntnis gehabt oder daß er den In h a lt verstanden hat. I n einem solchen Falle muß die Möglichkeit gegeben sein, wenn die Schuld dessen, der zunächst verfolgt wird, nicht erweislich ist, die Schrift dennoch um ihrer Gefährlichkeit willen aus dem Verkehr zu ziehen. D as war früher so ausge­ drückt, daß man auf den strafbaren In h a lt der Schrift abstellte. D as ist mit Recht als unzutreffend gerügt worden. Denn der In h a lt ist an sich nicht strafbar, sondern nur die Verbreitung der Schrift. Dieser Aus­ druck ist daher hier verbessert worden. E s ist hier ferner zu berücksichtigen, daß es eine Verbreitung gibt, die unter allen Umständen strafbar ist, und eine Verbreitung, die nur unter bestimmten Umständen strafbar ist, z. B. wenn sie unter Jugend­ lichen geschieht. S o wird hier bei § 434 danach unter­ schieden, ob die Verbreitung allgemein oder nur unter besonderen Umständen strafbar ist. Den ersteren Fall regelt Abs. 1 des § 434. Anders als in § 433 ist in § 434 Abs. 1 gesagt, daß die Anordnung „bei der Entscheidung über die mit der Darstellung begangene S traftat" erfolgt, nicht „neben der Strafe". E s ist nach geltendem Recht häufig notwendig, in Hoch­ verratsprozessen freizusprechen und dennoch die E in­ ziehung und Unbrauchbarmachung anzuordnen. Ich

kann in Anmerkung hinzufügen, daß der Übergang vom ordentlichen Verfahren zum Sicherungsverfahren in der Verfahrensordnung erleichtert werden muß. W ir unterstellen das hier. Es verknüpft sich hier mit der Einziehung immer die Vorschrift über Unbrauch­ barmachung (Abs. 1 des § 434). I m 2. Absatz des § 434 ist dann eine Vorkehr für die Fälle getroffen, in denen die Verbreitung nur unter bestimmten Um­ ständen strafbar ist. Hier kann es sich nur darum handeln, daß man die Schrift wegnimmt, um eine s o lc h e Verbreitung zu verhindern. I n Absatz 3 wird etwas ausgedrückt, das altes Recht ist. Wenn nämlich nur ein Teil der Schrift inhaltlich so be­ schaffen ist, daß die Verbreitung strafbar wäre, dann soll nur dieser Teil von der Anordnung getroffen werden. I n der nächsten Vorschrift (§ 435) folgt die Wirkung der Einziehung. Diese ist in der geschicht­ lichen Entwicklung verschieden gewesen. Jetzt steht aber nach der Rechtsprechung fest, daß der Rechts­ übergang sich mit der Rechtskraft des Erkenntnisses vollzieht. Diese Rechtsprechung wird anerkannt werden müssen. Daraus folgen die Vorschriften für das selbständige Verfahren (§ 435 a). Bei diesen muß man zwischen der Einziehung der gefährlichen Sachen im allge­ meinen und der Einziehung von gefährlichen Schriften unterscheiden. Auch diese Unterscheidung wird in dem vorliegenden Vorschlag nach den Erfahrungen der Rechtsprechung getroffen. Bei der Einziehung der Sachen im allgemeinen ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß sich der Durchführung des Verfahrens tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstellen. Z. B. der T äter flieht, oder er wird geisteskrank usw. Dann muß trotzdem die Einziehung von bei der S traftat verwendeten Sachen ermöglicht werden. Die selbständige Anordnung muß jedoch anders geregelt werden, soweit es sich um die Einziehung und Un­ brauchbarmachung von Schriften handelt. Hier ist es nach meiner Überzeugung am Platze, das geltende Recht zu übernehmen, das sich bewährt hat: § 42 StG B . Ich lege auf diese Fassung entscheidenden Wert. Es geschieht häufig, daß jemand mit gefähr­ lichen Druckschriften gefaßt wird. Dies allein darf nicht genügen, um das selbständige Verfahren hervor­ zurufen, sondern in einem solchen Fall müssen die Strafverfolgungsbehörden weiter nach dem dahinter­ stehenden eigentlichen T äter forschen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bestehen hiergegen irgendwelche Bedenken? (Wird verneint.) Ich würde dann zusammenfassen: Zu § 433: Is t es mit Absicht geschehen, daß in Satz 1 von Gegenständen gesprochen wird, die „bestimmt" oder „gebraucht" worden sind, in Satz 2 dagegen nur von Gegen­ ständen, die „verwendet" worden sind und nicht mehr von zur S traftat „bestimmten" Gegenständen? Reichsgerichtsrat Niethammer: Nein. E s handelt sich nur um eine sprachliche Verschiedenheit.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde dann vorschlagen, die beiden Sätze einander sprachlich anzugleichen. Dann noch eine Frage: Genügt es, in Satz 2 des § 433 zu sagen: „ohne Schuld des Eigentümers"? Reichsgerichtsrat Niethammer: Nach meiner Überzeugung ja. Staatssekretär D r. Freister: Nach meiner Ansicht müßte es heißen: „ohne Schuld des rechtmäßigen Besitzers". Ministerialdirektor Schäfer: Ich bin der Meinung, w ir sollten hier eine Härte­ klausel einführen, z. B. für den Fall, daß eine Sache ohne Wissen des Nießbrauchers zu einer S traftat ver­ wendet worden ist. I n einem solchen F all muß die Möglichkeit bestehen, zugunsten des Nießbrauchers die Einziehung zu vermeiden. Staatssekretär Dr. Freister: Deshalb schlage ich eben vor zu sagen: „ohne Schuld des rechtmäßigen Besitzers". Ministerialdirektor Schäfer: Ich würde vorschlagen zu sagen: „ohne Schuld des Betroffenen oder Berechtigten". Staatssekretär D r. Freister: Meiner Ansicht nach kommt es aus die Schuld dessen an, der die Sache im rechtmäßigen Besitz hat, z. B. wenn es sich um ein Grundstück handelt, das verpachtet ist. Ich kann nicht einsehen, warum der Pächter geschädigt werden soll, wenn der Eigentümer hinter seinem Rücken das Grundstück für strafbare Zwecke zur Verfügung gestellt hat. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: M an kann sich auch folgendes Beispiel vorstellen: Der Eigentümer eines überbelasteten Grundstückes hat kein Interesse mehr daran und verwendet es zu einer strafbaren Handlung. Wird es nun eingezogen, so werden allein die Gläubiger des Eigentümers ge­ schädigt. Professor Dr. Kohlraufch: D as kann ich nicht einsehen. Die Hypothek bleibt doch trotz des Eigentumsüberganges auf das Reich bestehen, so daß nunmehr das Reich als Eigentümer haftet. Staatssekretär D r. Freister: Ich glaube, die Härteklausel ist doch besser. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Praxis des Alltages zeigt, daß wir immer wieder Einziehungen im Gnadenwege rückgängig machen müssen, vor allem bei Einziehung von Rund­ funkgeräten. M an kann dies im Verwaltungswege machen, kann es aber auch dem Gericht überlassen. Wie ist die Meinung der Kommission darüber?

Staatssekretär Dr. Freister: Ich habe noch eine andere Frage: Wie steht es, wenn mehrere Berechtigte vorhanden sind? Ich per­ sönlich möchte mich für die Härteklausel aussprechen. Professor Dr. Kohlrausch: Ich würde die jetzige Fassung beibehalten und die Härteklausel hinzufügen. Reichsgerichtsrat Niethammer: D as Wort „Eigentümer" kann nicht stehen blei­ ben, weil es aus Forderungen nicht paßt. M an hat also nur die Wahl, entweder zu schreiben „Berech­ tigte" oder „der von der Einziehung Betroffene". D as letztere lehnt sich an das Bersahrensrecht an. Sachlichrechtlich müßte man sagen: „des Berechtig­ ten". Ich hatte vorgeschlagen, nur zu sagen: „wenn es erforderlich ist". Alles andere sollte dann der Recht­ sprechung überlassen bleiben. Aber wenn MilderungsVorschriften geschaffen werden sollen, so möchte ich mich dagegen aussprechen, daß man hier noch Billig­ keitserwägungen einschaltet. Schon ohne diese müssen wir hier immer eine ungleichmäßige Rechtsprechung beobachten. Jede Billigkeitsvorschrift vermehrt eine solche Ungleichmäßigkeit. Ob sie aus anderen Grün­ den, z. B. Gnadenerwägungen, nötig ist, kann ich nicht beurteilen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sehr groß ist dieses verwaltungsmäßige Bedürf­ nis allerdings nicht. E s handelt sich immer um ver­ einzelte Fälle. Reichsgerichtsrat Niethammer: Dann bitte ich, die Billigkeitsvorschrist wegzu­ lassen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn sich kein Widerspruch erhebt, schließe ich mich dem an. Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s heißt in dem Vorschlag: „Sachen oder Rechte ............., wenn sie ihrer Art nach gefährlich sind". Ich kann mir nun ein gefährliches Recht nicht vorstellen. Ich meine, daß dieser Nebensatz überhaupt wegsallen kann, den wir im geltenden Recht auch nicht haben. E s genügt der Gebrauch zu einer strafbaren Handlung. Staatssekretär Dr. Freisler: I n der Hand eines Beteiligten kann doch auch ein Recht gefährlich sein. Reichsgerichtsrat Niethammer: Solche Erscheinungen begegnen uns bei Landes­ verratssachen. Z. B. ein Agent unterhält irgendwo ein kleines Bankguthaben, aus dem er die bedient, die ihm willfährig sind. E s gibt also schon Rechte, die in der Hand eines Beteiligten gefährlich sind. Richtig ist allerdings, daß ein Recht seiner Art nach nicht wohl gefährlich sein kann. Aber wir müssen die Merk­

male für Sachen oder Rechte gemeinsam fassen. Die Gefährlichkeit ist die Bedingung für die Einziehung. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Herr Professor Klee, ich glaube, die Frage hängt damit zusammen, ob man die Einziehung obligatorisch oder fakultativ macht. I m ersteren Falle muß man sie im Nachsatz nur etwas einschränken. E s scheint mir der Wunsch der Herren Praktiker zu sein, die Einziehung obligatorisch zu machen. Dann müssen wir aber auch die vorgeschlagene Einschränkung übernehmen. D as von Herrn Staatssekretär Freisler erwähnte Beispiel mit dem Grundstück ist keine Phantasie. M ir ist z. B. ein F all bekannt, wo ein Grundstückseigentümer sein Grundstück für ein Sprengstoffunternehmen zur Ver­ fügung gestellt hatte. Staatssekretär D r. Freisler: Ich habe nachträglich doch Bedenken, ob hier unter dem Begriff „Sachen" auch Grundstücke mitzuver­ stehen sind, weil w ir im Strafrecht den Sachbegriss nicht immer so fassen wie im bürgerlichen Recht. Ministerialdirektor Schäfer: Ich glaube, daß hier kaum Bedenken bestehen. Ich verweise nur auf die Rechtsprechung zur Sachbeschädi­ gung, nach der unter Sachen ohne weiteres auch Grundstücke mit verstanden werden. Wo das S tra f­ gesetzbuch unter dem Begriff „Sachen" die Grund­ stücke nicht mit ersaßt sehen will, spricht es stets von „beweglichen Sachen"; so z. B. beim Diebstahl. Reichsgerichtsrat Niethammer: Von seiten der Rechtsprechung aus bestehen keine Bedenken. Die Auslegung des Wortes Sachen muß auch Grundstücke einbeziehen. Senatspräsident Professor D r. Klee: Es gibt viele Fälle, in denen ein Bedürfnis für die Einziehung einer Sache nicht besteht, obwohl sie zu einer S traftat gebraucht worden ist. Deshalb halte ich die Härteklausel für angemessen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine Art Härteklausel liegt ja an sich schon darin, daß wir es auf die Schuld des Eigentümers abstellen. Senatspräsident Professor D r. Klee: Ich weiß nicht, ob es nötig ist, für alle strafbaren Fälle eine Mußvorschrist vorzusehen. Ministerialdirektor Schäfer: Wenn z. B. mit einem Auto ein leichtes vorsätz­ liches Verkehrsdelikt begangen wird, müßten wir nach der vorgeschlagenen Fassung das Auto einziehen. E s sind vorsätzliche Verkehrsdelikte denkbar, die nicht als so schwer zu beurteilen sind. Bei der obligatorischen Ausgestaltung der Einziehung hätten wir aber keine Ausweichmöglichkeit; das würde das Volk nicht verstehen.

Vizepräsident Grau: Auch aus praktischen Gründen muß eine Ausweichmöglichkeit bestehen; ich denke z. B. an Schlägereien. Die Werkzeuge, mit denen geprügelt worden ist, würden der Einziehung unterliegen, auch wenn sie nicht in die Hände der Strafverfolgungs­ behörde gelangt sind. E s müßte also zur Vollstrekkung des Urteils erst eine Haussuchung usw. erfolgen, die meist ohne Erfolg sein wird. D as bedeutet einen großen Aufwand, der in solchen Fällen ganz un­ nütz ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich sehe ein, daß bei den genannten geringfügigen Delikten eine Einziehung nicht obligatorisch sein darf. Ministerialdirektor Schäfer: Würden sich die Bedenken des Herrn Vizepräsi­ dent G rau nicht dadurch erledigen, daß w ir ein ob­ jektives Verfahren haben, bei dem die Einziehung aus prozessualen Gründen nicht nötig ist? Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I n dieser Hinsicht bestehen wohl keine Bedenken. I n solchen Fällen wird doch immer schon im Vorver­ fahren eine Durchsuchung usw. stattgefunden haben. Is t die einzuziehende Sache dabei nicht gefunden wor­ den, so hat das Gericht keinen Anlaß, von sich aus nochmals solche Maßnahmen anzuordnen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s muß also eingezogen werden, auch wenn das Gericht schon weiß, daß die Sache nicht zu bekom­ men ist? Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich habe die Schwierigkeiten vorausgesehen. Ich darf daher wieder auf meinen ursprünglichen Vor­ schlag zurückkommen, nämlich es darauf abzustellen, ob die Einziehung ..erforderlich" ist. Nur in solchem Fall sollte man die Einziehung zwingend vorsehen. Die Rechtsprechung kann dieses Merkmal weiter ausbilden. Ausschlaggebend ist, daß auf die Zukunft, nicht auf die Vergangenheit abgestellt wird. Es kommt bei meiner Fassung nur darauf an. ob die Sache in Zu­ kunft gefährlich werden kann. Damit wird man auch den Milderungsnotwendigkeiten gerecht. Wenn man diese alle einzeln aufnehmen will, dann entstehen Lücken und Schwierigkeiten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir scheint dieser Gesichtspunkt zu eng zu sein. M inisterialrat Rietzsch: Ich habe Bedenken, auf die Gefährlichkeit der Sache für die Zukunft abzustellen. E s wäre sonst fol­ gender Fall denkbar: Ein Kommunist plant ein Sprengstoffattentat, wird jedoch vorher gefaßt; es steht fest, daß er in Zukunft kein derartiges Verbrechen mit dem Sprengstoff mehr begehen wird. Aus der Ansicht von Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer würde dann folgen, daß der Sprengstoff nicht einge­ zogen werden kann, weil insoweit eine Gefahr für die Zukunft nicht mehr besteht.

Reichsgerichtsrat Niethammer: Dem kann ich nicht zustimmen. Es muß doch auf die allgemeine Gefährlichkeit des Sprengstoffs abge­ stellt werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Würde sich die Kommission dem anschließen können, daß man den § 433 so läßt wie vorgeschlagen und die Härteklausel hinzufügt? (Allgemeine Zustimmung.) Zu § 434 habe ich nichts zu bemerken. Bei § 435 ist bestimmt, daß das Eigentum auf das Reich über­ geht. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß schon vor der Rechtskraft des Urteils eine Sicherung des zukünftigen Eigentumsüberganges vorhanden sein muß. D as dürfte aber wohl schon durch die Beschlag­ nahme gewährleistet sein. M an kann diese Beschlag­ nahme doch in das Grundbuch eintragen lassen? Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Jawohl. Denn es handelt sich um ein absolutes Veräußerungsverbot. Die Fassung erscheint mir je­ doch nicht unbedenklich. S ie lehnt sich an § 42 StG B , an. Dort wird von Nichtaussührbarkeit des Ver­ fahrens gesprochen. I m geltenden Recht ist über die Auslegung dieser Worte S tre it entstanden. Nach einer Meinung muß nur der äußere Tatbestand vorhanden sein, nach einer anderen dagegen sowohl der äußere wie der innere Tatbestand, und die Durchführung des Verfahrens muß nur aus prozessualen Gründen nicht möglich sein. Diese letztere Ansicht schränkt die Ein­ ziehung stark ein, so daß dem praktischen Bedürfnis in keiner Weise genügt wird. M an kann auch nicht sagen, daß auch die Polizei hier die erforderlichen M aß­ nahmen ergreifen könne. S ie kann nämlich zwar aus präventivpolizeilichen Gründen beschlagnahmen, aber die Beschlagnahme nicht mit der Wirkung vornehmen, daß das Eigentum übergeht. Ich schlage daher vor zu sagen: „Wenn keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann". Reichsgerichtsrat Niethammer: D as rührt an die grundsätzliche Verschiedenheit der Einziehung im allgemeinen und der Einziehung gefährlicher Schriften im besonderen. E s ist richtig, daß hier in seltenen Fällen eine Lücke entstehen kann. Aber bei den Bestimmungen, die hier vorliegen, müssen w ir uns mit dem Regelfall begnügen. Die Rechtsprechung ist darin erzogen, zwischen den Fällen der §§ 40, 41 zu unterscheiden. Bei § 40 wird alles, was zur Strafbarkeit erforderlich ist, verlangt, bei § 41 nur der äußere Tatbestand. Ich bitte, es bei der vorgeschlagenen Fassung zu belassen. Die erwähnten Fälle sind nur selten. Die Lücke kann ertragen werden. S ie ist nicht schlimm. Wenn man sie schließen will, dann muß man § 435 a so fassen, daß für § 434 und § 433 dasselbe, nämlich die Unmöglichkeit der Verfolgung und Verurteilung einer bestimmten Person, verlangt wird. Aber die Unterscheidung, die wir ausgebildet haben und die sich bewährt hat, verdient den Vorzug. M an trägt mit

dem anderen Vorschlag den Gerichten zuviel auf, in­ dem man sie zwingt, die Einziehung auch da auszu­ sprechen, wo sie bester der Verwaltungsbehörde über­ lasten wird. W ir können niemals alles erfassen. Oberlandesgerichtsrat D r. Schäfer: Die von mir vorgeschlagene Fassung findet sich in einer Reihe von strafrechtlichen Nebengesetzen der letzten Jahre. Würde man für das neue Strafgesetz­ buch eine hiervon abweichende Fassung wählen, so würde sich diese wiederum nur auf das allgemeine Strafgesetzbuch beschränken. Diese Verschiedenheit sollte man besser vermeiden. Ministerialdirektor Schäfer: Herr Reichsgerichtsrat Niethammer hat mich nicht ganz davon überzeugt, daß w ir beide Fälle verschieden behandeln müssen. Meiner Ansicht nach könnten wir sie auch gleichmäßig behandeln, die notwendige Be­ weglichkeit aber dadurch erreichen, daß wir sagen: „Die Einziehung kann selbständig erfolgen, wenn keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt wer­ den kann." Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich hatte das Wort „kann"- auch in meinem Vor­ schlag, es aber auf Wunsch des Herrn Ministers fallen­ lassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Hier macht das Wort „kann" keine Schwierig­ keiten, so daß man den Vorschlag von Herrn Reichs­ gerichtsrat Niethammer in der Formulierung von Ministerialdirektor Schäfer übernehmen kann. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Ich vermisse noch einen Punkt. Es kommt häufig vor, daß jemand einen wertvollen Gegenstand, der der Einziehung unterliegt, noch rechtzeitig verschiebt. Hier muß doch wohl eingegriffen werden'können. Reichsgerichtsrat Niethammer: D as gehört aber in den Besonderen Teil als selb­ ständige Strafdrohung. Ministerialrat Rietzsch: Eine solche Strafdrohung ist in den Vorschlägen der Sachbearbeiter bereits vorgesehen, und zwar in Anpassung teils on § 164 des Entwurfs (Vereitelung der Strafvollstreckung und sichernder Maßnahmen), teils an § 338 (Vollstreckungsvereitelung); sie gehört in den Abschnitt „Angriffe auf Rechtspflege und Ver­ waltung". Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Dann ist mein Bedenken erledigt. M an hätte auch an die Einziehung eines dem Wert des verschobenen Gegenstandes entsprechenden Geldbetrages denken können. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Nach dem P lan von gestern sollte jetzt über den Aufbau -es Besonderen Teils

gesprochen werden. Ich bitte, die 1. Seite des ge­ druckten Entwurfs vorzunehmen. Herr Staatssekretär Freister hat das Wort. Staatssekretär Dr. Freister: Die erforderliche Kritik an dem Aufbau des Ent­ wurfs erster Lesung veranlaßt mich zu folgenden Bemerkungen: 1. W ir haben die Mängel, die in der Zweiteilung der Preußischen Denkschrift lagen, die aber an sich gegenüber dem geltenden Recht ein Fortschritt war, überwunden, indem wir durch eine Mehrteilung den Eindruck des Gleichstehens von Volk und einzelnen Volksgenossen beseitigt haben. W ir haben aber dabei doch, wie ich glaube, einige Fehler gemacht. Einmal den, neben den Schutz des Volkes, den Schutz der Bolksführung und den Schutz der Volksgenossen eine besondere Gruppe „Schutz des Volksguts" zu stellen. Der Begriff „Volksgut" ist kein Begriff, unter dem sich zunächst irgendjemand etwas vorstellen kann. Ich schlage nun nicht vor, den Schutz des Volksguts überhaupt zu streichen. Denn ich meine, daß man sich mit dem Zusatz „körperliche" Volksgüter wohl etwas darunter vorstellen kann. Aber ich glaube, wenn wir den In h a lt der Gruppe ansehen, so werden wir finden, daß manches in einen anderen Abschnitt ge­ hört. Am deutlichsten ist das bei dem 3. Abschnitt „Angriffe auf die Arbeitskraft". W ir haben mit Recht die Angriffe auf die Wehrkraft in die erste Gruppe „Schutz des Volkes" übernommen. Ich bin der M ei­ nung, daß wir eine Untergruppe bilden müssen, in der der Schutz der Lebens- und Willenskräfte des Volkes zusammengefaßt wird. Tun w ir das, so ergibt sich, daß wir dort den Schutz der Wehrkraft, der F o rt­ pflanzungskraft und der Ärbeits- und Wirtschafts­ kraft, die beiden letzteren zusammengefaßt, behandeln müssen. E s ist auch falsch, die Arbeitskraft als ein Gut des Volkes anzusehen. M an müßte dann die Wehrkraft auch als ein solches Gut ansehen. D as bedeutet, daß man zwischen etwas, zwischen dem es keine Beziehungen mehr gibt, unnötigerweise einen dritten Begriff, den des Volksgutes, einschiebt. Es ist also klar, daß die Arbeitskräft e eine solche Gruppe nicht hineingehört. Dasselbe ist zu sagen von dem 2. Abschnitt der 3. Gruppe, den Angriffen auf die Volksgesundheit. Volksgesundheit ist der natürliche Zustand des Volkes. Sie gehört daher zum Schutz des Volkes. Dann hätten wir noch zwei Abschnitte: Einmal die „Angriffe aus die körperlichen Volks­ güter". Ich möchte vorschlagen, diese ebenfalls, und zwar als letzte Untergruppe, in die Gruppe „Schutz des Volkes" aufzunehmen. Es bleiben dann noch die gemeingefährlichen Handlungen übrig. Ich schlage vor, diese mit der Störung des Bolksfriedens zu­ sammenzufassen, die den 8. Abschnitt der zweiten Gruppe (Schutz der Bolksführung) darstellt. Die Störung des Volksfriedens gehört nicht in die Gruppe „Schutz der Volksführung", sondern in Zusammen­ hang mit den gemeingefährlichen Handlungen. Eine zusammenfassende Überschrift für die von mir gebildete Untergruppe E habe ich noch nicht gefunden. Ich

sage daher vorläufig: „Gemeingefährliche Handlungen und Störung des Volkssriedens". Die 3. Gruppe des Entwurfs „Schutz des Volksguts" ist also zu streichen. Die einzelnen Abschnitte sind so unterzu­ bringen, wie ich ausgeführt habe. Der zweite wesentliche Fehler scheint mir in der 4. Gruppe zu liegen: Schutz der Volksgenossen. Diese umfaßt Dinge, die nichts damit zu tun haben, daß es sich um Einzelne handelt, nämlich den ganzen 6. Abschnitt. Dieser ist erstens falsch überschrieben, wenn vom Schutz des Vermögens gesprochen wird. Aber zweitens ist keineswegs alles, was In h a lt dieses Abschnittes ist, daraus beschränkt, daß nur der e i n ­ z e l n e Volksgenosse angegriffen wird. Es w irt­ schaften der S ta a t und die öffentlichen Körperschaften genau so wie der Einzelne. Sie können genau so bestohlen und betrogen werden wie der einzelne Volksgenosse. M ir scheint deshalb, daß der 6. Ab­ schnitt herausgenommen werden muß. Wenn wir ihn in der 4. Gruppe untergebracht haben, so haben wir den Wunsch etwas übertrieben, alles, was die wirtschaftliche Betätigung anlangt, zu verstecken. Ich wäre also dafür, daß der 6. Abschnitt der jetzigen 4. Gruppe zu einer letzten selbständigen Gruppe des Besonderen Teils erhoben wird, und zwar unter der Überschrift „Schutz der wirtschaftlichen Betätigung". Es ergibt sich dann folgende Gruppeneinteilung: 1. Gruppe: Schutz des Volkes. 2. Gruppe: Schutz der Volksführung. 3. Gruppe: Schutz der Volksgenossen. 4. Gruppe: Schutz der wirtschaftlichen Betäti­ gung. D as nächste, was ich zu bemerken habe, ist, daß wir einzelne Gruppen ziemlich amorph gelassen haben. S o liegt z. B. in der Gruppe 1 „Schutz des Volkes" und in dem bisherigen 6. Abschnitt der Gruppe „Schutz der Volksgenossen" alles ungeordnet nebeneinander. Ich bin der Meinung, daß man zu einer natürlichen Zusammenfassung einzelner Ab­ schnitte dieser Gruppe kommen kann. Ich darf mit der 1. Gruppe anfangen: Ich gehe davon aus, daß der von mir gestellte Antrag, in dieser 1. Gruppe den 8. Abschnitt der 2. Gruppe und die ganze 3. Gruppe unterzubringen, angenommen wird. Unter dieser Voraussetzung sollte man die Abschnitte Hochverrat, Landesverrat und Volksverrat zu einer Untergruppe zusammenfassen, die man bezeichnen könnte: „Schutz des Volkes als Ganzen". M ir ist bekannt, daß von Herrn Präsident Grau angeregt worden ist, dem Ab­ schnitt Volksverrat eine andere Bezeichnung zu geben mit Rücksicht darauf, daß verschiedene Teile des Ab­ schnitts keine Verratsdelikte seien. Ich will dazu keine Stellung nehmen, weil dies im wesentlichen von unserer Debatte über den Aufbau der ersten drei Ab­ schnitte abhängig ist. Kommt man aber zu dem Ergeb­ nis von Herrn Grau, dann würde man die Unter­ gruppe A der ersten Gruppe als Volksverrat bezeich­ nen können und hätte als die beiden Arten des Bolksverrats den Landesverrat und den Hochverrat. Die Ehrverletzung des Volkes würde man als selbständige Untergruppe B behandeln müssen. Zunächst bleibe

ich aber noch bei dem Vorschlag, die Untergruppe A „Schutz des Volkes als Ganzen" zu nennen und ihr die drei Abschnitte Hoch-, Landes- und Volksverrat einzugliedern. Sollte sich bei der Debatte das Be­ dürfnis herausstellen, einen im Wesen normativ aus­ gerichteten gemeinsamen Tatbestand für diese drei Abschnitte zu bilden, dann würde ich gar nichts darin finden, diesen Tatbestand den drei Abschnitten als Dachtatbestand voranzustellen. Es taucht hier die weitere Frage auf, ob man aus der 2. Gruppe „Schutz der Volksführung" die beiden ersten §§ 107 und 108 des 1. Teils und 1. Abschnitts herausnehmen soll. Ich bin nicht dieser Meinung. Es ist richtig, daß die Tatsache, daß ein so schwerwiegendes Delikt erst im § 107 behandelt wird, kritisiert worden ist. Ich bin aber der Meinung, daß das ein sehr äußerlicher Ein­ wand ist. Ob etwas an der Spitze steht oder an einer anderen Stelle im Besonderen Teil, das kann man nicht davon abhängig machen, wie schwer die S tra f­ androhung im Einzelsall ist. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß die natürliche Betrachtung dazu führt, den Schutz des Führers allerdings an eine Spitze zu stellen, aber an die Spitze der zweiten Gruppe „Schutz der Volksführung". Ich werde vorschlagen, diese Gruppe etwas anders auszubauen und die beiden ersten Paragraphen als einen ersten Teil besonders herauszuheben, nämlich den Teil: „Tötung des Führers und Reichskanzlers", einschließlich des jetzi­ gen § 108. Wenn ich nun den Versuch, den amorphen Charakter des bisherigen Aufbaues zu beseitigen, weiterführe, so ist es natürlich, nach dem Schutz des Volkes als Ganzen von dem „Schutz der Lebens- und Willenskräfte des Volkes" zu sprechen. An sich ist ja alles ein solcher Schutz. Hier handelt es sich aber um u n m i t t e l b a r e Angriffe. Darunter sind zu er­ fassen die Angriffe auf die Wehrkraft, auf die F o rt­ pflanzungskraft und auf die Arbeits- und Wirtschafts­ kraft. Diese drei Abschnitte würde ich unter dieser zweiten Untergruppe in der Reihenfolge, in der ich sie genannt habe, einfügen. Rein theoretisch könnte man die Frage auswerfen, ob nicht die Fortpslanzungskraft vor der Wehrkraft genannt werden sollte. Ich verneine aber diese Frage. Der Abschnitt F ort­ pflanzungskraft würde nur das umfassen, was bisher der erste Titel des 5. Abschnitts war, nämlich die „Erhaltung der Bolkskraft". D as Wort „Volkskrast" ist zu weitgehend; denn auch die Wehrkraft ist Bolks­ kraft. Es handelt sich in Wirklichkeit um die F ort­ pflanzungskraft. Dieser bisherige Titel und künftige Abschnitt muß ausgebaut werden. Es gehört auch manches hinein, was anderwärts im Besonderen Teil enthalten ist: z. B. Angriffe auf die Mutterschaft und Abtreibung. Es liegen hierzu schon Vorschläge vor. Dieser Abschnitt würde dann ein Ausmaß bekommen, das seine Ausgestaltung zu einem selbständigen Ab­ schnitt rechtfertigt. Dann folgt die sittliche und seelische Haltung des Volkes. Daher muß die nächste Untergruppe lauten „Schutz der sittlichen und seelischen Haltung des Volkes". Ich würde als ersten Abschnitt ausstellen die „Angriffe auf Gottesglauben und Religion". Ich

lege auch Wert daraus, daß die Überschrift nicht wie bisher lautet „Gotteslästerung", sondern „Angriffe auf Gottesglaube und Religion", und zwar deshalb, weil nach Möglichkeit schon in der Benennung zum Ausdruck zu bringen ist, daß das Recht um des Volkes willen, nicht um Gottes willen da ist. Der zweite Ab­ schnitt hieße dann: „Schutz der Totenruhe", der dritte Abschnitt: „Schutz der Sittlichkeit", der m. E. hierher gehört. Der Name „Unzucht" als Überschrift ist nicht schön. Der vierte Abschnitt würde sein: „Schutz von Ehe und Familie". Alsdann würde der Schutz des natürlichen Zu­ standes des Volkes, der Volksgesundheit, als vierte Untergruppe kommen, die ich aus der bisherigen dritten Gruppe herausnehme. Als fünfte Untergruppe folgen dann „Gemeingefährliche Handlungen und Störung des Volksfriedens", und als sechste Unter­ gruppe: „Schutz der körperlichen Volksgüter". Damit haben wir dieser Gruppe etwas den Eindruck des Amorphen genommen. Denselben Eindruck, daß wir uns bei der Ein­ teilung zu wenig bemüht haben, habe ich bei der künftigen vierten Gruppe, dem „Schutz der wirtschaft­ lichen Betätigung". I n 8 Titeln haben wir die ein­ zelnen Delikte aneinandergereiht ohne einen ver­ einigenden Gedanken. E s ist mir nun allerdings nicht gelungen, eine Unterteilung dieser künftigen letzten Gruppe zu finden, die auf der Anwendung eines ein­ heitlichen Divisors beruhte. Ich glaube, das kann man gar nicht, und es ist auch nicht notwendig. Es ist auch früher nicht geglückt. Ich hebe dies ausdrück­ lich hervor. Ich schlage vor, drei Abschnitte zu bilden: 1. Abschnitt: Strafbarer Eigennutz. 2. Abschnitt: Schutz von Treu und Glauben im Wirtschaftsleben. 3. Abschnitt: Schutz des Eigentums. D as Wort „Eigentum" fasse ich hier nicht im juristischen, sondern mehr im wirtschaftlichen Sinne auf. Unter den ersten Abschnitt (oder Untergruppe) würde ich einen Titel „Wucher und Preistreiberei", einen Titel „Rechtsvereitelung", einen Titel „Wil­ derei" und einen Titel „Glücksspiel" rechnen. I n den zweiten Abschnitt würde ich drei Titel einstellen, und zwar: 1. Titel „Treubruch", 2. Titel „Erpressung und Betrug" und 3. Titel „Hehlerei". Unter den Abschnitt „Schutz des Eigentums" würde ich zwei Titel stellen: 1. Raub, Diebstahl, Unterschlagung einschließlich Entziehung elektrischer Arbeit und Gebrauchsan­ maßung; 2. Sachbeschädigung. D as wäre das Gerippe des Ausbaues für die von m ir vorgeschlagene letzte Gruppe „Schutz der wirt­ schaftlichen Betätigung". Wenn ich nun in der Kritik des bisherigen Aus­ baues weitergehe, so habe ich noch folgendes zu be­ merken: W ir haben die 2. Gruppe „Volksführung" in zwei Teile geteilt: „Schutz der staatlichen Führung" und „Schutz der Bewegung". W ir haben einen Fehler gemacht, als wir in den Schutz der staatlichen Führung den Schutz des Führers und Reichskanzlers einge­ ordnet haben. Denn er stellt nicht nur die staatliche, sondern die gesamte Führung dar. W ir müssen daher

die §§ 107 und 108 aus dem Teil „Schutz der staat­ lichen Führung" herausnehmen. D araus ergibt sich der Vorschlag einer Dreiteilung: 1. Teil: Tötung des Führers und Reichs­ kanzlers. 2. Teil: Schutz der staatlichen Führung. 3. Teil: Schutz der Bewegung. Meine Ausführungen stehen unter dem Vorbehalt, daß die Bewegung sich entschließt, einen ins einzelne ausgearbeiteten, eigenen strafrechtlichen Schutz pa­ rallel dem der staatlichen Führung zu wünschen. W ir waren uns klar, daß das eine Frage des Entschlusses der Bewegung ist. Sollte diese das nicht wünschen, dann würde ich für eine Zweiteilung sein unter Her­ aushebung der Tötung des Führers als besonderen ersten Teil und für einen zweiten Teil unter der Über­ schrift „Schutz der Führung" (nicht: „S taats" Führung). Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Antithese wäre dann also: Führer und Führung. Staatssekretär Dr. Freisler: Jawohl. Ich glaube aber, wir müssen erst noch die Frage an die Bewegung stellen. W as nun die Einteilung des zweiten Teiles „Schutz der staatlichen Führung" im einzelnen anbe­ langt, so habe ich nur noch zweierlei auszusetzen: D as eine betrifft die Stellung der Störung des Volks­ friedens. Darüber habe ich vorhin schon gesprochen. Zweitens gehört der Abschnitt „Zweikampf" über­ haupt nicht in das Strafgesetzbuch. Diesen Vorbehalt muß ich hier machen. W ir werden aber darauf noch beim Zweikampf zurückkommen müssen. Ich komme nun noch zu einer Einzelbeanstandung, die mit diesem Ausdruck aber vielleicht etwas zu scharf bezeichnet ist. E s ist eine Frage, die uns schon in 1. Lesung bewegt hat, nämlich die Reihenfolge des Ehrenschutzes und des Lebensschutzes. W ir haben uns entschlossen, den Lebensschutz an die Spitze zu stellen, obgleich man sich auf den Standpunkt stellen kann, daß der Ehrenschutz an die Spitze gehört. Ich möchte nicht versäumt haben, diese Frage neu zu erwähnen. Ich bin schon auf Grund der Betrachtung der P a ­ rallele zum Schutz des Volkes dazu gelangt, den Le­ bensschutz vor den Ehrenschutz zu stellen. Denn was nie gelebt hat, kann auch nicht unter dem Gesichts­ punkt der Ehre betrachtet werden. Allerdings können wir die drei ersten Abschnitte nicht so neben- und nacheinander wie die in 1. Lesung beibehalten. Da hatten wir a) Tötung, b) Körperverletzung und c) Ehrenkränkung. Der 1. und 2. Abschnitt müssen in einem Abschnitt unter der Überschrift „Schutz von Leib und Leben" zusammengefaßt werden, der wieder in zwei Titel „Angriffe auf das Leben" und „Körper­ verletzung" zerfällt. Dann folgt als zweiter Abschnitt die Ehrenkränkung. Damit sind meine Beanstandungen und Vor­ schläge erledigt. Ich habe aber an meinem eigenen

Vorschlag selbst Kritik zu üben: Ich habe die Be­ nennung der Gruppen und Untergruppen nicht ein­ heitlich durchgeführt. D as müßte natürlich noch ge­ schehen. Ich kann mir denken, daß wir Gruppen, Untergruppen und Abschnitte bilden. D as Wort „Teil" kann ich nicht verwenden. Vielleicht benötigen wir das Wort „Titel" nicht, das ich schlecht finde. Ich glaube auch, daß überall eine Dreiteilung genügt. Nur der Abschnitt „Angriffe auf das Rechtsleben" würde eine weitere Unterteilung erforderlich machen. (Zwischenruf: Und der Raub?) — Der Raub wäre unter die „Angriffe auf persön­ liche Freiheit und Sicherheit" einzustellen (H I € ). Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir müssen uns darüber klar werden, wie w ir die Bezeichnung der Einteilungen vom Paragraphen aufwärts nennen wollen. Nach dem Paragraph sollen kommen Titel, Abschnitt, Untergruppe, Gruppe und endlich Teil. Wir brauchen also sechs Worte, um die Einteilungskategorien auszudrücken. Gegen das Wort „Untergruppe" werden Bedenken geltend gemacht. M an kann die Bezeichnung entweder nur vom Ver­ teidiger oder vom Angreifer aus wählen. Entweder muß es immer heißen „Angriffe" oder immer „Schutz". E s muß aber nicht jede Überschrift mit dem Worte „Schutz" beginnen. Bisweilen genügt auch die Bezeichnung des betreffenden Deliktes selbst, z. B. Landesverrat. Staatssekretär Dr. Freister: Ich habe das bereits durchzuführen versucht. Es ist mir aber nicht ganz geglückt. Wenn ich mich mehr den einzelnen Delikten nähere, dann habe ich von An­ griffen gesprochen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an darf jedenfalls nicht den Eindruck der Will­ kür erwecken. Ich bitte nunmehr Herrn Graf Gleispach, das Wort zu nehmen. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich kann mich sehr kurz fassen, weil ich bei den Überlegungen über den Aufbau davon ausgegangen bin, es solle nicht die Ordnung aus der ersten Lesung grundlegend geändert, sondern ungefähr das vorlie­ gende System beibehalten werden. Ich möchte sagen, daß ich die Vorschläge des Herrn Staatssekretärs als wesentliche Verbesserung ansehe und ihnen im allge­ meinen zustimme. D as gilt jedoch nicht von der Be­ handlung der ersten Gruppen, der eminent politischen Gruppen, und nicht von den §§ 107, 108. Darüber möchte ich aber jetzt nicht weiter sprechen, weil wir unmittelbar im Anschluß an diese Aussprache diese Delikte behandeln sollen. Es ist besser, dann davon zu sprechen. I m übrigen begrüße ich es, daß die Gruppe der Volksgüter nunmehr aufgelöst ist. D as stimmt im wesentlichen mit meiner Kritik in erster Lesung überein. Ich würde es auch begrüßen, wenn die Fortpflanzungskraft als besonderer Angrifssgegenstand hereingenommen und auch die Abtreibung hier behandelt wird. Hingegen habe ich Bedenken,

wenn man vom Schutz der Lebens- und Willenskräfte des Volkes spricht, ob es dann richtig ist, die sittliche und seelische Haltung an die letzte Stelle zu setzen, insbesondere nach der Wirtschaftskraft des Volkes. D ann habe ich nach wie vor Bedenken gegen den Ab­ schnitt und die Überschrift „Schutz der Volkssührung". Unter diesen Begriff sind auch die Münz- und Ur­ kundsdelikte eingestellt. D as dürfte nicht recht zu­ treffen. Problematisch ist auch die Stellung des Zwei­ kampfes. Wo er jetzt ist, kann er unmöglich bleiben. Die Lösung, ihn aus dem Strafgesetzbuch überhaupt herauszunehmen, scheint mir auch nicht richtig zu sein. D as ist aber später zu besprechen. Zu dem zuletzt be­ handelten Problem, Leib und Leben und Ehre, möchte ich dem Herrn Staatssekretär zustimmen. Der Ab­ schnitt beginnt besser mit den Angriffen aus Leib und Leben. Darauf möchte ich mich beschränken. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn man die beiden Skizzen vergleicht, so er­ geben sich gewisse Punkte, in denen in erster Linie Übereinstimmung besteht. Problematisch erscheint mir nach der Einteilung von Herrn Staatssekretär Freister die Gruppe Ü mit der Überschrift „Schutz der Volkssührung" und vielleicht in gewisser Hinsicht die Gruppe IV. E s ist mir schwer verständlich, daß der Diebstahl sozusagen das Strafgesetzbuch beschließen soll, der doch den Hauptprozentsatz aller Vergehen in der Praxis ausmacht. E s wäre wohl zweckmäßig, wenn nun Herr Professor Dahm das Wort nähme. Professor Dr. Dahm: Ich möchte zunächst über die Frage sprechen, ob man vom „Angriff" oder vom „Schutz" sprechen soll. Dahinter steht eine grundsätzliche Frage, nämlich die, ob man die Dinge mehr vom Rechtsgut oder mehr vom Angreifer und von der Gesinnung des Täters her sehen will. Die Schwierigkeit liegt darin, daß diese beiden Gesichtspunkte sich immer wieder durch­ kreuzen. Eben darum ist es so schwierig, einen klaren und wirklich befriedigenden Aufbau zu finden. Ich würde versuchen, beides miteinander zu verbinden, ich würde nämlich bei der Einteilung der Hauptgruppen von der Angriffsrichtung, vom geschützten Objekt aus­ gehen, zugleich aber den A n g r i f f auf diesen Ge­ genstand hervortreten lassen. Ich glaube, daß dieses Verfahren unserem Willens- und Täterstrafrecht besser entspricht. Ich halte die Frage aber nicht für sehr wichtig. I n der Kritik des Entwurfs stimme ich Herrn Staatssekretär Freister weitgehend zu. Nur glaube ich, daß seine Kritik nicht weit genug geht, und daß auch seine Vorschläge nicht in allem Zustimmung ver­ dienen. Zunächst habe ich Bedenken gegen die von Herrn Staatssekretär Freister vorgeschlagenen Über­ schriften. „Schutz des Volkes" ist alles. Man kann daher diese Bezeichnung unmöglich auf einen Teil­ ausschnitt beschränken. Die Verbrechen, die unter der ersten Gruppe zusammengefaßt sind, sind die schwersten Verbrechen überhaupt. S ie gefährden den Bestand des deutschen Volkes und die Grundlagen des völkischen Lebens. D as würde ich noch deutlicher zum

Ausdruck bringen als durch die allgemeine Wendung „Schutz des Volkes". Noch gewichtiger aber scheinen mir die Bedenken, die gegen die Bezeichnung „Schutz der Volksführung", namentlich gegen die Gegenüber­ stellung „Schutz des Volkes" und „Schutz der Volks­ führung" sprechen. W ir müssen uns schon hier über die grundsätzliche Frage klar werden, wieweit der Schutz der Volksführung mit dem Schutz der völkischen Grundordnung zusammenfällt. Meiner Meinung nach ist der Angriff auf die Volksführung Hochverrat. Er bildet geradezu den Kerntatbestand des Abschnitts, in dem die Angriffe aus die Grundordnung des völkischen Lebens geregelt sind. Der Angriff aus den Führer gefährdet die völkische Grundordnung schlechthin. Ist das aber richtig, so kann man nicht die zweite Gruppe mit den Worten „Schutz der Volksführung" über­ schreiben, weil dieser Angriff ja gerade unter die erste Gruppe fällt. Stellt man in dieser Weise Volk und Volksführung einander gegenüber, dann kann der Eindruck entstehen, als wären Angriffe aus die Volks­ führung und gar aus den Führer selbst keine Angriffe aus den Bestand des Volkes. I n Übereinstimmung befinde ich mich wieder mit dem, was Herr Staatssekretär Freister über den Schutz des Volksgutes gesagt hat. Ich würde die Worte „Schutz des Volksgutes" an anderer Stelle verwenden. Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, daß has Eigentum des Einzelnen heute nicht mehr als Rechtsmacht des Einzelnen, sondern nur noch als Lehen der Volksgemeinschaft anerkannt werden darf. D as Wort „Volksgut" sollte daher als Überschrift für die Delikte gegen das Eigentum und Vermögen der Einzelnen dienen. Die Überschrift „Schutz der Volks­ genoffen" würde ich beibehalten. Ich würde diesen Abschnitt aus Angriffe gegen Leib, Leben und Freiheit, also auf Angriffe gegen die Persönlichkeit des Ein­ zelnen beschränken. Aus dieser Kritik ergeben sich schon die Grundzüge für den positiven Ausbau, den ich vorschlagen möchte. Ich würde fünf Gruppen bilden: Erst e G r u p p e : „ A n g r i f f e a u f den B e s t a n d d e s d e u t s c h e n V o l k e s " . „Bestand" ist die Verdeutschung des Wortes „Existenz". Darunter fallen diejenigen Verbrechen, die das Sein des deutschen Volkes in Frage stellen. Diese Verbrechen zerfallen wieder in drei Gruppen: Erstens „Volks­ verrat", der den bisher sogenannten Hochverrat und Landesverrat zusammenfaßt. Dahin gehört auch der Angriff auf den Führer. Zweitens „Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes". Denn die Ehre des Volkes ist nicht von dem Sein des Volkes zu trennen. D rittens gehört hierhin der Schutz der Bewegung, soweit er nicht schon unter den Abschnitt Volksverrat fällt. Denn wer die Bewegung zerstört, vernichtet den Bestand des deutschen Volkes. I m Anschluß an den Volksverrat — nicht im Abschnitt über den Volks­ verrat selbst — müßten auch die Angriffe von Aus­ ländern gegen das deutsche Volk geregelt werden. Z w e i t e G r u p p e : Von den Angriffen auf den Bestand des deutschen Volkes würde ich die A n ­ g r i f f e auf.die G r u n d l a g e n des v ö l k i ­

s c hen L e b e n s unterscheiden. Ich verkenne nicht, daß derjenige, der die Grundlagen des völkischen Lebens zerstört, auch den Bestand des deutschen Volkes in Frage stellt. Aber trotzdem besteht hier ein Bedürf­ nis' zu trennen. Ich möchte die schwersten Verbrechen möglichst geschloffen zusammenfassen. Daher sollten die eigentlichen Verratsdelikte, die den Bestand des deutschen Volkes unmittelbar in Frage stellen, in der ersten Gruppe zusammengefaßt werden. Von ihnen sollte man diejenigen Verbrechen unterscheiden, die den politischen Bestand des Reiches nicht unmittelbar gefährden, aber — gleichsam auf weite Sicht — die Existenz des deutschen Volkes vernichten. Hier könnte man zwischen natürlichen und geistigen Grundlagen unterscheiden. Die natürlichen Grundlagen sind Volks­ kraft und Rasse, Volksgesundheit, Ehe und Familie (die im Entwurf auseinandergerissen sind). Hierhin gehören auch die meisten Angriffe aus die Sittlichkeit. Angriffe auf die geistigen Grundlagen des völkischen Lebens enthalten die Vergehen gegen Religion und Totenruhe. Darüber hinaus aber gehören die Be­ stimmungen gegen die Zersetzung des Wehrwillens und gegen Angriffe aus Arbeitskraft und Wirtschafts­ kraft in diesen Abschnitt hinein. D as sind keine An­ griffe auf bestimmte „Rechtsgüter", sondern Angriffe aus die Substanz des deutschen Volkes überhaupt. Dies alles soll unter der zweiten Gruppe zusammen­ gefaßt werden. I n der d r i t t e n G r u p p e sollten die A n ­ griffe auf V o lk s f r i e d e n und V o l k s ­ o r d n u n g geregelt werden. Hier würde ich mit den gemeingefährlichen Verbrechen beginnen. D as Wesen der Brandstiftung ist nicht so sehr die Vernichtung von Vermögenswerten, sondern in erster Linie die Störung des Volkssriedens. Angriffsgegenstand ist die Friedensordnung. Zum Volksfrieden gehört auch die Erhaltung der äußeren Ordnung. Beides läßt sich nicht voneinander trennen. I m Anschluß an die gemeingefährlichen Handlungen würde ich also die­ jenigen Delikte erwähnen, die jetzt in der Gruppe II aufgeführt sind, etwa den Widerstand gegen die Staatsgewalt. Die v i e r t e G r u p p e enthält die A n g r i f f e a u s d e n V o l k s g e n o s s e n , aus seine Persön­ lichkeit. Dahin gehören die Angriffe aus Leib, Leben und Freiheit des Einzelnen. Als f ü n f t e G r u p p e folgt dann der S c h u tz d e s V o l k s g u t e s , der gleichermaßen die Delikte gegen Güter der Gesamtheit wie die Angriffe gegen das Eigentum des Einzelnen umfaßt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich darf zwei Fragen stellen: Beide Herren Be­ richterstatter wollen unter dem Abschnitt „Schutz der Volksgenossen" die Angriffe auf Ehre und Freiheit, die Geisteswerke und den Geheimnisschutz behandelt wiffen. D as wären die Dinge, die ad personam ge­ dacht werden müssen, so daß man sie vom Schutz des Privateigentums trennen kann. Ein zweites: I n der Dahm'schen Skizze heißt es „Schutz des deutschen Volkes". Es ist nicht nur die natürliche Existenz,

sondern auch die Ehre des Volkes gemeint. D as kann man sagen, wenn man vorher erklärt, was unter dem „Bestand" des deutschen Volkes zu verstehen ist. Dann noch eine Frage: Die Grundlagen des völkischen Lebens sind ausgeteilt in natürliche und geistige Grundlagen. Diese Antithese ist etwas schwierig. Professor Dr. Dahm: D as Wort „natürlich" soll eine Übersetzung des Wortes „biologisch" sein. Die „geistigen Grundlagen" sollen die sittliche und seelische Haltung des Volkes bezeichnen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: F ü r mein Gefühl ist die Totenruhe mit den geisti­ gen Grundlagen schwer zusammenzubringen. Ich dachte mehr an Angriffe auf den körperlichen Bestand, wie z. B. Abtreibung usw. Dann drängt sich mir folgende Frage aus: Nach der Dahmschen Skizze ist das Privateigentum keine Grundlage des völkischen Lebens? Professor Dr. Dahm: E s gehört aber nicht eigentlich zur Substanz des völkischen Lebens. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Eine neue Frage: D as Wort Volksgut ist doch zu verwenden, aber in einem anderen Sinne als bisher. W ir haben bisher an Bodenschätze usw. gedacht. Nicht dagegen soll das Wort überhaupt bedeuten alle ma­ teriellen Güter des Volkes, ganz gleich, wer ihr Träger im rechtlichen Sinne ist. Von diesem Aus­ gangspunkt müßte man auch sagen, daß im P riv at­ eigentum stehende Sachen ihren strafrechtlichen Schutz daraus ableiten, daß es Volksgüter sind. D as steht dann in scharfer' Antithese zu Leib, Leben, Ehre, Freiheit, Geisteswerken und Geheimnisschutz des Ein­ zelnen. W ir müssen uns bemühen, bei diesen Über­ schriften nicht ins allzu Intellektuelle zu verfallen. Staatssekretär Dr. Freister: Ich bin der Meinung, daß der Gegenbericht in einigen Punkten nicht haltbar ist. Es besticht zunächst sehr der Vorschlag, das, was ich in meiner Ausstellung in der Gruppe I F als Schutz der körperlichen Volks­ güter bezeichnet habe, zusammenzubringen mit dem, was ich den Schutz der wirtschaftlichen Betätigung nenne. Bestechend ist der Vorschlag deshalb, weil er damit begründet wird, daß damit dem Substrat der wirtschaftlichen Betätigung eine sozialistische Berech­ tigung zuerkannt werde. Aber ich glaube, das besticht nur im ersten Augenblick, weil das, was in Gruppe IV meines Vorschlages steht und was nach Gruppe V Abschnitt 2 und 3 des Vorschlages von Herrn P ro ­ fessor Dahm dazu kommen soll, teils nur sehr mittel­ bar mit dem Volksgut zu tun hat, zum größeren Teil aber gar nicht zum Schutz von Volksgut bestimmt ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Bestimmungen über Treubruch Volksgut schützen. Dasselbe gilt vom Betrug und von der Hehlerei. Vielmehr sollen hierbei nur Treu und Glauben im Wirtschaftsleben geschützt

werden. W ir können aber noch weiter sagen: Wucher und Preistreiberei wollen wir doch nicht deshalb be­ strafen, weil ein Gegenstand von einer Hand in die andere Hand gebracht wird, sondern weil es ein un­ anständiges Verhalten ist, das gegen den Satz „Ge­ meinnutz vor Eigennutz" verstößt. Ähnlich ist die Lage bei Rechtsvereitelung und Glücksspiel. E s soll nur die Art und Weise des Verhaltens unter S trafe gestellt werden. Meines Erachtens würden bei näherem Zu­ sehen unter die Gruppe von Herrn Dahm nur noch der Diebstahl und die Hehlerei passen. Bei der Unter­ schlagung möchte ich das auch schon nicht annehmen, weil diese doch das unanständige Verhalten an sich viel mehr in den Vordergrund stellt als den Gedanken des Schutzes eines Volksguts, das ja schon in der Hand des anderen ist. Außer dem Diebstahl und der Hehlerei paßt vielleicht noch die Sachbeschädigung darunter. Ob es aber richtig ist, das Volksgut, das wir bisher mehr unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Volkes betrachtet haben, mit dem Diebstahl, der Hehlerei und der Sachbeschädigung zu verkoppeln, scheint mir sehr fraglich zu sein. M an kann das zwar tun, aber nicht unter dem Gesichtspunkt, dem Eigen­ tum hier die sozialistische Berechtigung zuzuerkennen. Ich glaube, daß dieser zunächst sehr bestechende Wunsch, die sozialistische Natur des Eigentums hier zu bestäti­ gen, teils nicht durchführbar, teils nicht am Platze, teils nicht zutreffend ist. Nun kommt aber ein anderer Vorschlag, der auch von grundlegender Bedeutung ist. D as ist der, die erste Gruppe „Schutz des Volkes" „Angriffe auf den Bestand des Volkes" zu nennen und einen Teil dieser Gruppe als „Angriffe auf die Grundlagen des völkischen Lebens" zu verselbständi­ gen. Ich erlaube mir darauf aufmerksam zu machen, daß die erste Gruppe von Herrn Professor Dahm im wesentlichen zunächst das ist, was in meinem Vor­ schlag „der Schutz des Volkes als Ganzen" darstellt. Denn die Gruppe I I des Vorschlages Dahm ist nur die Betrachtung der Gruppe I unter einem anderen Gesichtspunkt. Es ist selbstverständlich, daß ich den Volksverrat im weitesten S inne bei einem Ausländer nicht als Verrat bezeichnen kann. Insoweit handelt es sich vielmehr um eine reine Schutzvorschrist. Als sittliche Pflicht des Ausländers kann nur die Gast­ pflicht erscheinen. Ich bin der Meinung, daß man trotzdem das Begehen desselben Deliktes, auch wenn es einmal durch einen Deutschen und ein andermal durch einen Ausländer geschieht, im selben Abschnitt lassen und dabei hervorheben sollte, daß es sich bei einem Ausländer nicht um ein Verratsverbrechen han­ delt. D araus würde noch nicht folgen, daß der Ab­ schnitt 1 fallen müßte. Der Vorschlag Dahm bringt den Volksverrat an derselben Stelle wie mein Vorschlag. Ich habe mir bereits erlaubt darauf hinzuweisen, daß man sich je nach dem Ausgang der Diskussion vom nächsten Montag auch vorstellen kann, daß unter dem Begriff des Volksverrats auch der Landes- und Hochverrat einschließlich der Angriffe auf den Führer erfaßt wer­ den und danach der Rest des bisherigen Volksverrates als Angriff auf die Ehre des deutschen Volkes zu-

sammengefaßt werden kann. D as würde sich alles noch innerhalb meiner Untergruppe A „Schutz des Volkes als Ganzen" abspielen, die dann Volksverrat heißen würde. Nun hat Herr Professor Dahm im unmittelbaren Anschluß daran den Schutz der Be­ wegung gesetzt. Dagegen habe ich Bedenken. E s wird und kann, wenn ich das sage, sicher nicht als ketzerisch aufgefaßt werden, daß der Schutz der Bewegung nicht hierher gehört. Es ist richtig, daß mit der Zerstörung der Bewegung die Zerstörung des Volkes einhergeht. M an kann also das sagen, was Herr Dahm sagt. D ann muß man aber genau so sagen, daß der Angriff auf den S ta a t, wenn er zur Vernichtung führt, auch das Volk angreift. Nun könnte man ja sagen: Ich will hier nur das an Bewegungsschutz bringen, was ebenso bedeutsam ist wie der Volksverrat, und das andere erst weiter hinten bringen, wo ich von Bolksfrieden und Volksordnuna spreche. Aber auch das erscheint mir bedenklich. Und zwar einmal deshalb, weil es nicht gut erscheint, den Schutz der Bewegung zu teilen. Zweitens aber, weil ich nicht neben den Volksverrat den Schutz der Bewegung fetten möchte. Soweit der Führer betroffen ist. habe ich Verständnis für die Vorwegnähme der §§ 107 und 108. Aber im übrigen dann daneben auf einer völlig gleichen Einteilunasstufe den Bewegungsschutt zu stellen, nicht aber den Staatsschutz, das, glaube ich, entspricht nicht der Auffassung vom Anteil am Lebenskern des Volkes, den auch der S taat hat. D as entspräche mehr der Auffassung, als sei der S ta a t eine von außen, nämlich der Bewegung, hergeleitete Maschinerie. Und dieser Standvunkt ist dock nicht richtig. Daher habe ich Bedenken, hier die Bewegung zu nennen. Als viertes wird nun beim Schutz des Volkes als Ganzen von Herrn Dahm der Schutz der Wehrkraft behandelt. Da bin ich der Meinung, daß man dann die Fortvflanzungskraft auch dorthinstellen müßte. Herr Dahm bat allerdings offengelassen, ob der Schutt der Wehrkraft auch bei den Angriffen auf die Volkskraft, also in seiner Gruppe II, behandelt wer­ den könnte. D as letztere würde die Rückkehr zu dem von mir voraeschlagenen Aufbau der Untergruvve A der Gruppe I bedeuten mit Ausnahme des Schuttes der Bewegung. Im übrigen wären nur noch die An­ griffe auf den Führer hineinzubringen, um eine völlige Übereinstimmung der beiden Vorschläge inso­ weit zu erzielen. Dagegen ist vielleicht nichts einzu­ wenden. Nun stellt Herr Dahm das. was ich in den Untergruppen B, C und D meiner Gruppe I zusam­ mengefaßt habe, im großen und ganzen auch zusam­ men. aber als einen selbständigen Teil auf derselben Basis wie den Schutz des Volkes und unter Weg­ lassung einer Zusammenfassung für beides. Das scheint mir mißglückt zu sein. Herr Dahm nennt seine zweite Gruppe die „Grundlagen des völkischen Lebens". M an kann das, was bei mir unter B, C und D steht, auch als Grundlage des völkischen Lebens bezeichnen; ob es aber zweckmäßig ist, diese Abschnitte aus einer großen Gruppe herauszunehmen, kann zweifelhaft sein. „Natürlich" und „geistig" sind keine

Gegensätze. Außerdem ist auch „geistig" und „seelisch" nicht dasselbe. Ich würde das Seelische vermissen. W as bei Herrn Dahm unter den geistigen Grundlagen steht, das sind gar keine geistigen, sondern seelische Grund­ lagen. Ferner scheint mir von großer Bedeutung der Gedanke zu sein, den Sie, Herr Minister, hervorge­ hoben haben: Wenn ich schon von den Grundlagen des völkischen Lebens spreche, dann glaube ich, daß heute, wo kein Fleckchen Erde unausgenutzt ist, um Volksgenossen leben zu lassen, die grundlegende Rechtsform, das Eigentum, bei diesen Grundlagen vermißt werden würde. Auch der Führer hat wieder­ holt ausdrücklich das Eigentum als eine naturgegebene Grundlage des menschlichen Zusammenlebens be­ zeichnet. M an würde also sofort fragen: Wo bleibt hier das Eigentum? Der Vorschlag Dahm kann daher nicht so übernommen werden wie er ist. Bei der Gliederung könnte ich nachholen, daß es auch merk­ würdig erscheint, neben den natürlichen Grundlagen die Arbeits- und Wirtschaftskraft gesondert zu be­ handeln. Ich glaube daher, daß die Gruppe 2 von Herrn Dahm weder in der Zusammenfassung noch in der richtunggebenden Bezeichnung noch in der Gliede­ rung haltbar ist. Meiner Ansicht nach muß man, wenn man ein Volk als Lebewesen ansieht, zuerst von dem Bestände sprechen. Ich würde es als Verbesserung ansehen, wenn man an Stelle der von mir vorgeschla­ genen Überschrift „Schutz des Volkes als Ganzen" etwa sagen würde „Schutz des Bestandes des Volkes", wenn wir nicht dazu kommen, das als Volksverrat zu bezeichnen. E s würde aber dem Wunsche des Herrn Ministers widersprechen, zunächst vom „Schutz" zu reden. Sonst würde ich also die Gruppe 1 meines Vorschlages als Schutz des Bestandes des Volkes bezeichnen. Damit wäre auch der Einwand von Herrn Dahm erledigt, daß auch alles Spätere den Schutz des Volkes betrifft. Natürlich scheint mir zu sein, nach dem unmittelbaren Schutz des Volkes gegen die schändlichsten Angriffe, nach den Verratsdelikten, zu sagen: M as ist nun S aft und Kraft des Organismus? Diese Kräfte muß ich nebeneinander behandeln: Sckutz der Wehrkraft, der Fortpflanzungskraft und der Arbeits- und Wirtschaftskraft. Dann sehe ich mir den Zustand an. in dem das Volk bei Vorhandensein dieser Kräfte ist. D as ist die erreichte sittliche und geistige Haltung des Volkes. M an kann vielleicht sagen, daß der körperliche Zustand dieses Organismus, die Volksgesundbeit, vorher kommen müßte. Es ent­ spricht jedoch nicht meiner Einstellung, diese vorweg­ zunehmen. Es ließe sich aber darüber reden. E s ließe sich auch darüber reden, ob man nicht die Unter­ gruppe D Schutz der Bolksqesundheit in der Unter­ gruppe B aufgehen lassen könnte. Ich habe mich nun weiter mit dem auseinander­ zusetzen, was Herr Professor Dahm unter i n vor­ schlägt. D as ist im wesentlichen das, was bei mir die Gruppe I I ausmacht, aber mit folgenden M aß­ nahmen: Aus dem Schutz des Volkes sind über­ nommen und hier an die Spitze gestellt die gemein-

gefährlichen Handlungen und die Störung des Volks­ friedens, ferner aus meiner Gruppe I I der erste Teil „Schutz des Führers und Reichskanzlers". Ich will davon ausgehen, daß am Montag mein Vor­ schlag, das nicht in Gruppe I hineinzunehmen, abge­ lehnt wird. Dann würde diese Verschiedenheit auch nicht mehr vorhanden sein. E s besteht dann nur noch eine Bezeichnungsverschiedenheit: Ich habe den Ab­ schnitt „Schutz der Volkssührung" genannt, während Herr Dahm es „Schutz von Volkssrieden und Volks­ ordnung" nennt. Würde Herr Dahm die gemeinge­ fährlichen Handlungen hier nicht gebracht haben, so würde er die Gruppe wohl „Schutz der Volksordnung" nennen. E s ist manches Berechtigte an der Kritik von Herrn Dahm. E s bedarf einer geistigen Überlegung, um einzusehen, warum Eidesverletzungen ein Angriff auf die Volksführung sind. S ie sind es aber doch als Angriffe aus die Rechtspflege. Ich halte es für richtig, hier nicht von Volksführung, sondern von Volksordnung zu sprechen, also mehr die staatliche Ordnung zu betonen, zumal wenn ich unterstelle, daß der Angriff gegen den Führer hier herauskommt. Mein Vorschlag würde verbessert, wenn man die Gruppe II „Schutz der Volksordnung" nennt. Der Schutz der Bewegung gehört nt. E. hierher. Ob ich das allumfassende Wort „Schutz der Volksordnung" wähle oder „Schutz der staatlichen Ordnung" sage, das hängt davon ab, wie weit der Schutz der Be­ wegung überhaupt strafrechtlich durchgeführt wird. Es bleiben dann die gemeingefährlichen Handlungen übrig, die immer eine gewisse Verlegenheit bezüglich ihrer Stellung auslösen. Ich glaube, daß man sie nicht mehr bei der Volksordnung behandeln sollte. M an könnte sie in einem fünften Abschnitt E unter­ bringen. E s bleibt dann noch zu Gruppe I meines Vorschlages die Frage übrig, wo die körperlichen Volksgüter hinkommen sollen. Da ich mich nicht dazu verstehen kann, einen besonderen Abschnitt dafür zu bilden, so würde ich sie in der Gruppe I belassen. Dann attestieren wir nämlich, daß dies Güter des Volkes sind und daß man das Volk angreift, wenn man sie angreift. Dahin gehört auch der Schutz der Denkmäler, die man nicht im Zusammenhang mit der Sachbeschädigung bringen darf. I m übrigen würde man dazu kommen, den nächsten Abschnitt von Herrn Dahm anzunehmen. E s bleibt dann nur noch übrig, was Herr Dahm unter Gruppe V, Abschnitt 2, 3, und was ich unter Gruppe IV habe. Hier kann ich nicht weiter diskutieren, weil Herr Dahm nicht gesagt hat, wie er sich eine Unterteilung denkt. Ich muß nur noch dazu bemerken, daß in diesen Abschnitt auch der Dieb­ stahl hineingehört. I m übrigen habe ich einen ein­ heitlichen Einteilungsvorschlag nicht gefunden. Es würde aber unbedenklich sein, wenn man meine Untergruppe C zur ersten Untergruppe A machen würde. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine Frage an Herrn Professor Dahm: Ich habe ein unangenehmes Gefühl, daß nach Ihrem Vorschlag der Betrug unter dem Schutz des Volksgutes stehen soll. Ich halte das nicht für ganz geglückt.

Professor D r. Dahm: Ich halte selbstverständlich Betrug und Untreue zunächst für Treubruch und Neidingswerk. Zugleich liegt darin aber doch ein Angriff aus ein Volksgut. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir wollten doch aber gerade bei diesen Delikten den darin liegenden Treubruch hervorheben. Wenn ich die ganze Einteilung aus mich wirken lasse, so zieht sich als ein fester Faden immer wieder der Gedanke der Treuverletzung hindurch. Zu dem gesamten Aufbau habe ich folgendes zu sagen: Zunächst einmal muß das Volk überhaupt da sein, dann muß es auch gesund sein, und es muß auch eine seelische und sittliche Haltung haben. Das führt zu den anderen Abschnitten gut hinüber. B is dahin ist alles klar. Problematisch wird es bei den gemein­ gefährlichen Handlungen und bei dem Volksfrieden. I n diesem Augenblick tritt ein Moment aus, das bisher nicht da war, nämlich ein Ordnungsmoment. Wenn ich von gemeingefährlichen Handlungen spreche und von der Störung des Volksfriedens, dann kann ich mich nicht mehr von der Vorstellung loslösen, daß ein Einzelner in ein böses Verhältnis zu einem anderen gesetzt wird. Dieses Ordnungsmoment findet sich weder bei der Volksgesundheit noch sonst irgend­ wo. I n demselben Augenblick, wo ich von gemein­ gefährlichen Handlungen und Störung des Volkssriedens spreche, tritt die Zweiheit aus. Deshalb ist dieser Punkt etwas schwierig. Staatssekretär Dr. Freisler: M an kann insoweit auch den Vorschlag von Herrn Professor Dahm annehmen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Hier taucht ein neues Moment auf. Der Einzelne tritt in ein Verhältnis zur Gesamtheit. D as würde es mir erleichtern, über die Bedenken gegen die Über­ schrift: „Angriffe auf den Bestand des Volkes" hin­ wegzukommen. Nur bei der gemeingefährlichen Hand­ lung ist es etwas schwieriger. Hier liegt jenes Ver­ hältnis etwas ferner. Ein zweiter Gedanke: Ich möchte vorschlagen, die Frage des Verrats nicht im engeren zu diskutieren. Wenn wir davon ausgehen, den Schutz des Führers und Reichskanzlers als besonders wichtig an die Spitze zu stellen, so kehren wir damit zum alten S tra f­ gesetzbuch zurück. Dagegen habe ich keine Erinnerung. Der zweite Abschnitt von Herrn Staatssekretär Freisler bringt — als „Volksordnung" bezeichnet — gerade das Ordnungsmoment zum Ausdruck. Ich würde auch hier das Wort „Ordnung" für nötig halten. Dann würde sich, wenn wir den Führerschutz weglassen, diesem Begriff alles zwanglos unterordnen lassen. Die gemeingefährlichen Handlungen ließen sich hier eingangs mit behandeln. Dann kommen wir zum Dritten, dem Schutz der Volksgenossen, soweit es sich um Leib, Leben, Ehre, Freiheit, Geisteswerke und Geheimnisschutz handelt. D as erscheint mir am wenigsten problematisch. Es

bleibt nur noch die Frage mit dem Volksgut und den materiellen Volksgütern übrig. Herr Professor Dahm will alle materiellen Güter in einem Atem nennen. Dagegen ist die Anmerkung zu machen, daß von den materiellen Gütern, die im Eigentum eines Einzelnen stehen können, diejenigen zu scheiden sind, die stets der Gesamtheit gehören, wie z. B. Denkmäler. Eine Zusammenfassung dieser verschiedenen Güter würde einen Gesichtspunkt verwischen, den wir gegenüber dem geltenden Recht gerade herausstellen wollten, nämlich daß z. B . die Beschädigung einer Fahne etwas anderes ist als eine bloße Sachbeschädigung. Über alles dies bin ich mir noch nicht ganz klar. Vielleicht äußern sich die Herren noch zu diesem Punkt. Der schwerste Einwand gegen Herrn Professor Dahm scheint mir zu sein, daß er den Betrug und die Un­ treue unter der Überschrift „Schutz des Volksgutes" bringt. Hier müßen wir wohl bei dem Treubruch bleiben. Professor Dr. Mezger: Meines Erachtens muß man radikal sein, wenn man zu einem klaren Ausbau des Besonderen Teils gelangen will. Die einzelnen Delikte zeigen Be­ ziehungen nach den verschiedensten Seiten des Lebens. Daher steckt in jeder Gliederung notwendig eine gewisse Vergewaltigung. -Es muß der Gesichts­ punkt durchgeführt werden, im Besonderen Teil und seinem Aufbau die Grundgedanken des Allgemeinen Teils zum Ausdruck zu bringen. Ich möchte dabei noch etwas radikaler sein als der von Herrn Professor Dahm vorgelegte Entwurf. Der „Angriff" muß der Ausgangspunkt aller Betrachtungen sein, wenn wir die „Schuld" zum Ausgangspunkt des Strafrechts überhaupt machen. Es muß also zunächst von den Angriffen als Einteilungsmaßstab ausgegangen werden. E s handelt sich dann aber darum, wie diese Angriffe im einzelnen zu kennzeichnen sind. Schuld ist nach unserer Ansicht das Wollen einer bestimmten Angrisfsrichtung. W ir müssen den Gesichtspunkt der Verwerflichkeit des einzelnen Angriffs ausscheiden, denn er stört die Einteilung. Wenn wir nach der Verwerflichkeit gliedern wollten, dann würde dies eine Einteilung nach der Höhe der angedrohten Strafe werden. D as geht aber nicht an. S o ergäbe sich für mich, daß, nachdem zunächst der Angrisfsgedanke ganz scharf und klar in den Vordergrund gestellt ist, nunmehr die Angriffs r i ch t u n g das Einteilungs­ prinzip für alles Folgende ist. Ich darf dabei ein­ schalten: F ü r mich hat sich aus diesen Erwägungen ergeben, daß es doch falsch war, den Allgemeinen Teil hinter den Besonderen Teil zurückzustellen. Auf dieser Grundlage will ich noch einige einzelne Bemerkungen hinzufügen: Die Gliederung in die fünf Teile von Dahm ist meines Erachtens als richtiger Ausgangspunkt annehmbar. Ich würde, um den „Bestand" und die „Grundlagen" des Volkes etwas schärfer gegenüberzustellen, den ersten Teil bezeichnen mit '„Angriffe gegen das Dasein des Deutschen Volkes". Als zweiten Teil würde ich die „Angriffe gegen die Grundlagen des völkischen Lebens" über­ nehmen. Damit würden die einzelnen Grundlagen

für das Dasein des Volkes gemeint sein. Ich würde mich nicht daran stoßen, das Privateigentum hier wegzulassen. Ich würde in diesen zweiten Teil auf der einen Seite das aufnehmen, was man die natür­ lichen Grundlagen des Volkslebens nach der körper­ lichen und geistigen Seite nennen kann, auf der anderen Seite daneben den Ausbau des völkischen Lebens in S ta a t und Bewegung. M ir würde es nicht widerstreben, auch dazu noch nicht das Privateigentum zu rechnen, sondern dies als eine noch speziellere Ord­ nung in Beziehung auf den späteren fünften Teil auffassen. Als dritter Teil folgen bei Dahm die „Angriffe gegen den Volkssrieden". Ich glaube, das Wort Volksordnung ist zu vieldeutig und daher besser wegzulassen. Es kommen dann nach diesen Angriffen auf das Ganze Dinge, die i n n e r h a l b der Volks­ gemeinschaft Störungen hervorrufen. Als vierten Teil schlage ich daher im Anschluß an Dahm die „Angriffe gegen die Volksgenossen" und als fünften Teil die „Angriffe gegen das Volksgut" vor. Bei dem ersten Teil würde ich mich auf das Aller­ wichtigste beschränken. Ich würde nur die Tötung des Führers und Reichskanzlers, und zwar an der Spitze, und dann den Hoch-, Landes- und Volks­ verrat aufnehmen. Diese Delikte betreffen das D a­ sein des deutschen Volkes in seiner gegenwärtigen politischen Organisation. Alles andere würde ich in den zweiten Teil übernehmen. Der Unterschied gegen­ über dem ersten Teil besteht darin, daß in den zweiten Teil die einzelnen Grundlagen gehören. E s scheinen mir zwei Grundlagen wesentlich zu sein: Einmal die vorhandene, gewachsene, natürliche Lebensgrundlage und dann die Organisation im S ta a t und in sonstigen Gliederungen. E s ergeben sich also hier zwei Ab­ schnitte: 1. Angriffe gegen die Lebenskräfte des Volkes, im Anschluß an den Vorschlag Freisler I B, C, D; 2. Angriffe gegen die politische (staatliche) Führung, also gegen die Grundlagen der S ta a ts­ organisation. Ich würde schon hier die Rechtspflege, Verwaltung und Münzhoheit erwähnen, nicht aber die Urkundenfälschung. Denn mit den Erscheinungs­ formen der letzteren sind doch sehr häufig die Angriffe auf das Volksgut verbunden. Es gehören hierher also im wesentlichen die Abschnitte H B und II C in dem Vorschlag von Freisler. I m dritten Teil, also bei den Angriffen gegen den Volkssrieden, sind vor allem die gemeingefähr­ lichen Delikte und die Störung des Volkssriedens — I E von Freisler — zu bringen. I n den vierten Teil gehören die Angriffe auf Leib und Leben usw. I m fünften Teil würde ich den Diebstahl voranstellen und in diesen Teil auch die Urkundenfälschung aufnehmen. I m übrigen schließe ich mich den Vorschlägen von Herrn Staatssekretär Dr. Freisler an. I n diesen fünften Teil gehören meines Erachtens auch die Delikte mit Treuverletzung, wenn sie die Richtung auf das Volksgut nehmen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine Frage: Wohin soll die Sachbeschädigung am Kriegerdenkmal kommen?

Professor Dr. Mezger: S ie gehört zu den Angriffen auf die Grundlage des völkischen Lebens. E s ist dies ein Angriff aus die ideellen Grundlagen des Volkes. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe das doch richtig verstanden: S ie würden auch Betrug und Untreue mit der Überschrift „Volks­ gut" erfassen? Professor Dr. Mezger: Jaw ohl. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich bedaure es, daß wir Treubruch und Unter­ schlagung unter eine Überschrift bringen wollen, die irgendwie das Wort „Gut" enthält, also etwas Mate­ rielles bezeichnet. Die Untreue wird zunächst gar nicht vom Gesichtspunkt einer Schädigung aus betrachtet, sondern dahin, daß jemand das ihm gewährte Ver­ trauen mißbraucht hat. Ich möchte diesen Weg nicht mehr zurückgehen. Ich stelle dabei noch immer die Frage, ob die Überschrift „Schutz der wirtschaftlichen Betätigung" richtig wäre. Professor Dr. Mezger: Hierzu darf ich noch bemerken: D as Widerstreben gegen die Aufnahme von Urkundenfälschung, Betrug und Untreue in den Teil V bedeutet, daß für unsere heutige Auffassung der Treugedanke schwerer für die Charakteristik wiegt, als die Beschädigung des Volks­ guts. Die Konsequenz dieses Gedankens wäre, alle Treuverletzungen weiter nach vorn zu stellen. Ich würde dies sehr wohl mitmachen können. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s handelt sich nicht darum, einen Generalnenner, etwa „Schutz von Treu und Glauben" anstatt „Schutz der wirtschaftlichen Betätigung" zu finden. Ich wehre mich nur gegen die Bezeichnung „Schutz des mate­ riellen Gutes". Professor Dr. Mezger: Dann müßte man aber auch den Diebstahl nicht mehr als eine Verletzung des Volksgutes, sondern als eine Veruntreuung des Volksgutes auffassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre gekünstelt. Der gemeinsame Betrach­ tungspunkt soll zum Ausdruck gebracht werden durch die Überschrift „Schutz der wirtschaftlichen Betäti­ gung". D as ist allerdings nicht sehr gut. E s wäre noch ein guter Generalnenner zu finden. Jedenfalls wende ich mich aber dagegen, den Betrug unter „Schutz der materiellen Güter" zu bringen. Vizepräsident G rau: Herr Minister! Auch ich möchte mich gegen den Vorschlag von Herrn Professor Dahm wenden. E s geht nicht an, daß wir den Schutz der dem Volk inne­ wohnenden Kräfte auf verschiedene Abschnitte ver­

teilen und Wehrkraft und Arbeitskraft getrennt be­ handeln. Der Schutz der Volksgüter darf nicht den Schutz des Eigentums mitumfassen. Unter Volks­ güter verstehen wir nur solche, die vom Volke getragen werden. Ich glaube, daß die Grundeinteilung des Herrn Staatssekretärs im allgemeinen richtig ist. Der erste Teil sollte „Schutz des Volkes" genannt werden, nicht „Schutz des Bestandes des Volkes". Gerade am Beginn des Gesetzes sollte zum Ausdruck kommen, daß wir den lebendigen Organismus des Volkes schützen wollen. Der zweite Abschnitt könnte dann heißen „Schutz t>er Volksordnung". Ich würde mich bezüg­ lich dieses Abschnitts im wesentlichen dem Herrn Staatssekretär anschließen. I n den Abschnitt I „Schutz des Volkes" gehören als Unterabschnitt A „Volksverrat" die Ziffern 1 bis 3 des Vorschlags Freister und anschließend der An­ schlag aus den Führer. M it dem Ausdruck Verrat sollten wir sparsam umgehen und ihn nur dort ge­ brauchen, wo es sich um Verrat im eigentlichen Sinne handelt. I n dem jetzigen Abschnitt Volksverrat ist viel enthalten, was mit Verrat nichts zu tun hat. Als Unterabschnitt B müßten nun folgen die Angriffe auf die Ehre des Volkes; im übrigen wäre die Einteilung beizubehalten. Den Abschnitt Volksgesundheit würde ich an späterer Stelle bringen. Der Abschnitt F „Schutz der körperlichen Volksgüter" gehört in den Unterabschnitt I. Dagegen muß der Abschnitt E „Schutz gegen gemeingefährliche Handlungen und Störungen des Volkssriedens" in den Hauptabschnitt II „Schutz der Volksführung" eingegliedert werden. Diesen II. Abschnitt würde ich folgendermaßen unter­ teilen: 1. „Angriffe auf die staatliche Führung"; dann unmittelbar danach 2. „Schutz der Bewegung". Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß die Volkssührung auf zwei Schultern ruht. Der Schutz der Bewegung darf nicht von dem Abschnitt Angriffe auf die staatliche Führung zu weit getrennt werden. Die noch übrigbleibenden Unterabschnitte einschließlich der gemeingefährlichen Handlungen müssen ebenfalls in den Abschnitt II eingegliedert werden. Es folgt dann der Abschnitt III „Schutz der Volksgenossen". Hier wäre zu erwägen, ob die Angriffe auf die Geisteswerke nicht besser in den Abschnitt „Schutz der wirtschaftlichen Betätigung" eingegliedert werden können. Der Raub gehört zum Diebstahl. Aus dem Abschnitt IV würde ich die Preistreiberei heraus­ nehmen; im Gegensatz zum Jndividualwucher gehört sie nicht in diesen Zusammenhang und muß in den Abschnitt „Schutz der Wirtschaftskraft" eingruppiert werden. Professor D r. Schaffftein: Meiner Ansicht nach sollte man mit den Herren Dahm und Mezger nicht vom „Schutz", sondern stets nur vom „Angriff" sprechen. Es ist dies eine grund­ sätzliche Frage, wenn wir nach Len Grundgedanken des Willensstrafrechts nicht vom Rechtsgüterschutz, sondern vom T äter ausgehen. I m übrigen möchte ich mich im wesentlichen dem Vorschlag von Herrn Staatssekretär Freister anschließen, aber anstatt 4 Gruppen deren 5 bilden, wie Herr Mezger vorge-

schlagen hat. Die Angriffe auf den Bestand des Volkes würde ich mit Herrn Mezger aus die schwersten Fälle beschranken. Alle übrigen Fälle würden dann als Angriffe auf die Volkskraft zusammenzufassen sein. Vielleicht ließe sich noch eine bessere Überschrift finden. Als Gruppe 3 wäre das zu behandeln, was im Vor­ schlage Freister unter Gruppe 2 steht. Ich würde aber nicht von Angriffen auf die „staatliche Führung" sprechen.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: E s ist noch der Vorschlag gemacht worden, unter die Gruppe „Schutz des Bestandes des Volkes" die Führertötung zu bringen. Ferner ist gesagt worden, man solle teilen, was jetzt unter gemeinsamer Über­ schrift steht, etwa die Angriffe auf die Volkskrast. Endlich ist vorgeschlagen worden, die gemeingefähr­ lichen Handlungen in die Gruppe I I zu übernehmen. Auf die Einzelheiten möchte ich jetzt nicht eingehen. D as Wort „Volksführung" ist hier abgelehnt worden. M an sollte die D ualität S ta a t und Bewegung nicht zum Ausdruck bringen. Unterschiede zwischen Frieden und Ordnung sind kaum vorhanden. D er Begriff Ordnung hat einen gewissen formellen Charakter, der gut für die Angriffe auf das Rechtsleben paßt.

S ta a t und Bewegung wird wegfallen. W ir haben dann die gemeingefährlichen Handlungen und den Ordnungsschutz. D ann wird von „staatlicher Führung" nicht mehr gesprochen. Zu der Überschrift „Schutz des Bestandes des Volkes" hat Herr Grau mit Recht ausgeführt, daß es sich stets um den Schutz des Volkes handele. Z ur Diskussion steht also nur noch, was in meinem ursprünglichen Vorschlag in Unter­ gruppe F und Gruppe IV enthalten ist. Herr P ro ­ fessor Mezger meint, daß die Angrisssrichtung den ersten Einteilungsgesichtspunkt abgeben müsse. D as haben wir auch vollkommen durchgeführt. Ich würde aber auch den Unrechtsgehalt bei der Einteilung zum Ausdruck bringen. Die Gruppe „Schutz der w irt­ schaftlichen Betätigung" weist aus die Angriffsrichtung hin, besagt aber über den eigentlichen sittlichen Un­ rechtsgehalt nichts. Wenn man diese Gruppe als „Schutz des Volksguts" bezeichnen wollte, und wenn man damit auch die Angrisssrichtung angeben will, dann muß man feststellen, daß sich zwischen der ersten und zweiten Lesung die Meinung über die Angrisfsrichtung bei Wucher, Preistreiberei, Glücksspiel, Treu­ bruch, Betrug und Hehlerei vollkommen geändert hat. Denn wir sind in jedem dieser Fälle der Meinung gewesen, daß die Angrisssrichtung hier nicht im Materiellen liegt, sondern etwas ganz anderes ist. Nicht der Gegenstand wird angegriffen, sondern die Beziehung, die der Gegenstand zu dem Berechtigten hat. Angegriffen wird der Anstand im wirtschaftlichen Verkehr. Und beim Treubruch haben wir das dank der Anregung von Herrn Professor Dahm so monu­ mental herausgearbeitet, daß ich gar nicht begreifen kann, wie man jetzt plötzlich, nur um hier die körper­ lichen Volksgüter unterbringen zu können, alles um­ stoßen will. Ich bin der Meinung, daß die richtige zusammenfassende Angriffsrichtung gefunden ist. Ich habe sie nur nicht sehr schön als wirtschaftliche B etäti­ gung benannt. Es kann sich nur darum handeln, dafür einen besseren Ausdruck zu finden. Ich gehe also da­ von aus, daß es tatsächlich richtig ist, wenn man in erster Linie die Angrisssrichtung bezeichnen will, hier von der wirtschaftlichen Betätigung zu sprechen. Die Unterteilung „strafbarer Eigennutz" und „Angriffe auf Treu und Glauben im Wirtschaftsleben" ist gerade die, die den sittlichen Unrechtsgehalt hervorhebt. D as haben wir auch sonst getan, z. B. bei den V errats­ delikten. Und das ist gerade das, was uns als der wesentliche Zweck erschien, um derentwillen w ir den Wucher, den Treubruch, den Betrug und die Hehlerei mit Strafe belegten. Ich muß allerdings anerkennen, daß als drittes etwas, nämlich der Schutz des Eigen­ tums, dazu kommt, was diesen sittlichen Gehalt nicht hervorhebt. D as wird man aber nicht ändern können. M an kann dies auch mit Rücksicht auf die Bedeutung des Eigentums in Kauf nehmen. Ich hatte ange­ nommen, daß Kritik geübt werden würde bezüglich des Raubes und der Erpressung. Darüber ließe sich eher reden.

Staatssekretär Dr. Freister: Ich glaube, daß die Gruppe II heißen wird „Schutz der Volksordnung". D as Nebeneinander von

Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich glaube, das der Schutz der eigentlichen staat­ lichen Ordnung bei dem Ausbau eine zu untergeord-

Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as würde ich auch nicht tun. Professor Dr. Schassftein: Ich würde gleichzeitig dort die Angriffe aus die einzelnen staatlichen Betätigungen nennen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Und die gemeingefährlichen Delikte? Professor Dr. Schassftein: Diese würde ich auch dort unterbringen. Die Gruppe H I des Vorschlages Freister ist nicht proble­ matisch. Die letzte Gruppe würde ich „Wirtschaft­ licher Eigennutz" nennen und hier ausnahmsweise von dem Worte „Angriff" absehen. D as gesinnungsmäßige Moment kommt durch die von mir vorge­ schlagene Überschrift gut zum Ausdruck. Allerdings können nicht alle einzelnen Delikte so erklärt werden, z. B. vielleicht nicht die Wilderei. M an könnte sich aber mit dieser Unebenheit hier abfinden oder allen­ falls die Wilderei irgendwoanders einstellen. Die Sachbeschädigung bietet eine weitere Schwierigkeit. S ie kommt aber auch aus wirtschaftlichem Eigennutz vor. Eine wirklich alle Fälle erfassende Gruppenbe­ zeichnung wird man nie finden. Staatssekretär Dr. Freister: Zur Debatte stehen also noch: a) die Frage des Schutzes der körperlichen Volksgüter und b) die Frage des Ausbaus der Gruppe IV „Wirtschaftliche Betäti­ gung". Ich vermag eine weitere Meinungsver­ schiedenheit von Bedeutung nicht zu sehen.

nete Rolle spielt. M it Recht wird zunächst vom Schutz der Wehrkraft — Existenzbedingung des Volkes nach außen — gesprochen. D as Volk kann aber nicht leben, wenn nicht der Schutz gegenüber dem inneren Feind, gegenüber der Störung der inneren Ordnung, vor­ handen ist. Dieser Schutz müßte daher in den ersten Abschnitt hinein im Anschluß an den Schutz der Wehr­ kraft. Der Schutz des Volksfriedens durch Rechts­ pflege und Verwaltung schließt sich ganz natürlich an. Die Zurückdrängung der staatlichen Ordnung ist da­ durch entstanden, daß man in den Vordergrund das Volk gestellt hat, in dem S ta a t nur eine Form des Volkes sieht. Dabei geht man aber an den Tatsachen vorbei, an der Staatsmacht. Ich würde deshalb dafür eintreten, daß hinter den Schutz der Wehrkraft der Schutz der Staatsgew alt kommt, die Angriffe auf das Rechtsleben, der Widerstand gegen die Staatsgew alt usw. D as müßte doch sicher vor den Angriffen auf die Sittlichkeit stehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine Bemerkung: Wenn wir die Ziffernreihenfolge immer als Rangreihensolge ansehen, dann kommen wir sehr oft in Schwierigkeiten. Wir haben z. B. auch im Kapitel Landesverrat Bestimmungen, die sehr ge­ ringfügig sind. Senatspräsident Professor Dr. Klee: D ann ist der Kern aber immerhin der schwere Landesverrat. Ich glaube, daß die Reihenfolge der Bedeutung der geschützten Rechtsgüter entsprechen muß. M it dem Willensstrafrecht hat diese Reihenfolge nichts zu tun. Das Prim äre ist der Schutz der Lebens­ bedingungen der Volksgemeinschaft. Der natürliche Aufbau des Strafgesetzbuchs ist der, daß es sich gliedert nach der Bedeutung, nach dem Wert des geschützten Rechtsguts für die Gesamtheit. D as ist ja im wesent­ lichsten auch geschehen; meines Erachtens aber inso­ fern nicht, als die Angriffe auf die Staatsgew alt zu spät kommen. Die Wehrmacht steht in Parallele mit der Staatsmacht.

spielen. Der Schutz der Funktion der staatlichen Ge­ walt ist doch weit wichtiger als etwa der Schutz des Volkes gegen die Angriffe auf die Religion oder die Sittlichkeit, weil von letzteren nicht unmittelbar die Existenz des Volkes berührt wird. Das Volk muß in erster Linie als S ta a t geschützt werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an könnte überspitzt sagen: Ein Volk, dessen Fortpflanzungskraft zerstört wird, braucht keine staat­ liche Ordnung mehr. D as ist natürlich eine grobe Überspitzung. I h r Einwand ließe sich bei jeder E in­ teilung vorbringen. Wenn wir einen Schutz der Staatsgew alt in die Gruppe I hineinbringen, dann fällt die ganze Einteilung auseinander. W ir dürfen auch niemals sagen, daß ein Delikt, das vom steht, deshalb höherrangig ist. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Dieser Eindruck entsteht aber bei jedem unbefan­ genen Leser. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Bedeutung hebt doch aber der Abschnitt mit seiner Überschrift und seinem grundlegenden T a t­ bestand hervor. Professor Dr. Dahm: Es ist doch ganz unrichtig, daß der Schutz des S taates erst in zweiter Linie geregelt werden soll. Der Angriff aus den Bestand des S taates fällt doch unter die erste Gmppe. Nur ein kleiner Rest folgt später nach. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich halte aber die Angriffe auf die Rechtspflege und die Verwaltung für viel bedeutsamer, sie wirken sich elementarer und unmittelbarer für die Existenz des Volkes aus als z. Ä. die Angriffe auf die S itt­ lichkeit.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich fürchte, da liegt eine leichte Verwischung der Grenzlinien vor. S ie haben häufig die Worte S ta a ts ­ macht, Staatsgew alt und staatliche Ordnung ge­ braucht. Viele damit verbundene Vorstellungen sind doch wohl schon unter der Gruppe I erfaßt.

D as ist eine Frage der gmndlegenden Anschauun­ gen von Volk und S taat.

Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as ist richtig. Aber auch die Staatsgew alt als G arant des Volksfriedens muß eine größere Rolle

Ich schlage vor, auf Gmnd der heutigen Aus­ sprache die endgültige Gliederung aufzustellen, und bitte dämm die Herren Staatssekretär Freisler, Graf Gleispach und Professor Dahm.

Staatssekretär Dr. Freisler:

Reichsjustizminister Dr. G ürtner:

(Schluß der Sitzung 13 Uhr 35 Minuten.)

Strafrechkskommission

76. Sitzung 24. Juni 1935 (Hahnenklee) Zweite Lesung Inhalt Landesverrat, Hochverrat, Bolksverrat Reichsjusttzminister Dr. Gürtner 1, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24 Berichterstatter Professor Dr. D ahm ............. 1, 16, 18, 21, 22 Berichterstatter Professor Dr. Graf Gleispach..........................4 Staatssekretär Dr. F reister.......................................4, 7, 13, 14 Berichterstatter Reichsgerichtsrat Niethammer. .5, 15, 16, 19, Professor Dr. Henkel........................................................ £ U , 16 Berichterstatter Senatspräsident Professor Dr. Klee 6, 15, 16, 18, 20 Senatspräsident G rau.......................................9, 19, 20, 22, 23 Professor Dr. Nagler........................................................ 9, 15, 16 Professor Dr. Mezger.............................. 11, 15, 20, 21, 22, 23 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack............... 11, 14 Ministerialdirektor Schäfer............................12, 15, 19, 22, 23 Staatsanwaltschaftsrat E bert...................................................... 12 Professor Dr. Kohlrausch........................15, 19, 20, 21, 22, 23 Landgerichtsdirektor L eim er.........................................................15 Professor Dr. Schaffstein......................................................16, 19 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 18, 19, 21, 22, 23, 24 Ministerialrat Rietzsch................................................................... 22

(Aussprache abgebrochen.) Beginn der Sitzung 9 Uhr 5 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zur Geschäftsordnung besteht eine Reihe von Wünschen: E s möge über den Aufbau des Besonderen Teils nicht diskutiert werden; diesem Wunsch ist Rech­ nung getragen. Weiter besteht der Wunsch, das Zu­ sammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen heute nicht zu erörtern, weil ich vor meiner Abreise einen Aufsatz darüber zu lesen bekomme. E s ist der allge­ meine Wunsch, nunmehr über Landesverrat, Hoch­ verrat und Volksverrat die Debatte zu eröffnen. Dazu liegt ein Antrag Dahm vor, der im wesentlichen darauf hinausgeht, den Einzelbestimmungen über Verrat einen allgemeinen Tatbestand vorauszuschicken. E s liegen weiter noch Vorschläge vor: 1. den V errats­ bestimmungen einen Obertatbestand voranzusetzen, 2. die Behandlung der Ausländer bei Hoch- und Lan­ desverrat mit Rücksicht auf den Unterschied von Treu­ pflicht und Gastrecht besonders zu regeln, 3. die Ver­

einigung von Hoch- und Landesverrat ganz allgemein durchzuführen, was in dem Vorschlag Dahm geschehen ist, und 4. die Frage, an welche Stelle der Anschlag auf den Führer kommen soll. Ich wäre dankbar, wenn die Herren sich zunächst zu diesen allgemeinen Fragen äußern würden, in erster Linie die Herren Gleispach, Schaffstein und Dahm, die Anreger dieser Ideen. Professor D r. Dahm: Meinen Ausführungen liegt ein Antrag zugrunde, den ich gemeinsam mit den Herren Graf Gleispach und Schasfstein ausgearbeitet habe. Dieser Antrag hat nicht nur den Landesverrat zum Gegenstände. Vielmehr läuft unser Vorschlag darauf hinaus, daß die Tatbestände des Landesverrats und des Hochver­ rats in einem Generaltatbestand miteinander ver­ einigt werden, Hochverrat und Landesverrat als selbständige Begriffe also verschwinden. Zunächst muß man sich darüber Klarheit verschaffen, wie das geltende Verratsrecht ent­ standen ist. Hochverrat und Landesverrat sind verhältnismäßig junge Begriffe. I m altdeutschen Recht war der Verrat der Treubruch gegen­ über der Volksgemeinschaft schlechthin, ein Gedanke, der später im Delikt des Crim en m a je sta tis aufging und durch die Vorstellung verdrängt wurde, daß Ver­ rat Ungehorsam gegen den Landesherrn sei. Die Aufspaltung des V errats in Hochverrat und Landes­ verrat ist erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts er­ folgt. Zunächst wird die eigentliche Majestätsbeleidi­ gung von den Staatsverbrechen getrennt, später — zuerst im Allgemeinen Landrecht — aber auch der Hochverrat vom Landesverrat abgehoben. Diese Trennung hat sich fast überall durchgesetzt. Das eng­ lische Recht kennt aber auch heute noch den einheit­ lichen Verratsbegrisf, und dasselbe gilt für das öster­ reichische Strafgesetzbuch von 1852, das unter „Hoch­ verrat" Landesverrat u n d Hochverrat in unserem S inne versteht. Dazu aber kommt ein zweites. Hochverrat und Landesverrat wurden mit der Zeit auch in sich auf­ gespalten und in eine Vielzahl von Einzeldelikten zerlegt. S o ist namentlich der Landesverrat völlig atomisiert worden. D as heute geltende Landesver­ ratsrecht hat mit dem einfachen und volkstümlichen Begriff des Landesverrats, insbesondere mit der Vor­ stellung des V errats so gut wie nichts mehr zu tun. Landesverrat ist vielmehr nach der landläufigen Vor­ stellung der Angriff gegen den äußeren Machtapparat des S taates, gegen seine militärischen und diploma­ tischen Machtmittel. I n ähnlicher Weise wurde der Begriff des Hochverrats zerlegt und ganz äußerlich gesehen. Hochverrat kann heute nur noch durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt begangen werden. Der nicht gewaltsam begangene Verrat, die geistige Zersetzung, fällt aus dem Verratstatbestand heraus. D as ist im großen und ganzen das Ergebnis dieser Entwicklung, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollendet hat. Erst in jüngster Zeit zeigt sich ein gewisser Wandel. Die national­ sozialistische Strafgesetzgebung hat in weiterem Um­ fange auch die geistige Zersetzung zu ersassen versucht.

Aber die Verratsnovelle von 1934 hält doch an Len alten Trennungen und Atomisierungen auch heute noch fest und trägt dem Verratsgedanken noch nicht hinreichend Rechnung. Eine Stellungnahme zu diesen Fragen ist nur vom Standpunkt einer bestimmten weltanschaulichen und politischen Grundeinstellung aus möglich. Denn es handelt sich hier um grundsätzliche Probleme, nicht um Fragen der Gesetzestechnik. Unser Leitsatz kann nur sein: Der höchste Rechtswert ist das deutsche Volk. Verrat ist Treubruch am deutschen Volk. Das bedarf für den Landesverrat keiner Begründung. Zweifel könnten über den Hochverrat auskommen. So könnte man sagen, der Hochverrat richte sich gegen den S taat, nicht wie der Landesverrat gegen Volk und Gemeinschaft. Aber nach unserer Ausfaßung sind ja Volk und S ta a t keine Gegensätze, sondern wir ver­ stehen den S taat als lebendigen Organismus und zugleich als das Werkzeug des Volkes. Daher enthält auch der Hochverrat einen Angriff gegen das V o l k. D araus folgt, daß auf Hochverrat und Landesverrat grundsätzlich dieselben Regeln anzuwenden sind, daß insbesondere die Strafe der Ächtung auch beim Hoch­ verrat angemeßen ist. Die Richtigkeit dieser Über­ legungen wird dadurch bestätigt, daß es auch im ein­ zelnen völlig unmöglich ist, Hochverrat und Landes­ verrat gegeneinander abzugrenzen. S o ist das Unter­ nehmen, das auf die Abtrennung eines Gebietsteils vom Reiche gerichtet ist, der Separatism us, einerseits Hochverrat, andererseits Landesverrat. Die Tatsache, daß der sogenannte Gebietsverrat in verschiedenen Rechtssystemen bald als Hochverrat, bald als Landes­ verrat behandelt wird, zeigt, daß er beides ist. Ein zweites Beispiel ist der Anschlag auf den Führer. Er ist sicher Hochverrat. Zugleich zerstört er aber die Handlungsfähigkeit des Reiches nach außen hin und stellt deshalb auch einen Landesverrat dar. W ir ziehen aus diesen Erwägungen die Folge­ rung, daß Hochverrat und Landesverrat in einem e i n h e i t l i c h e n Begriff, dem des V o l k s v e r ­ r a t s , zusammengefaßt werden müßen. M it diesem Vorschlag befinden wir uns in Übereinstimmung mit anderen Rechten, die sich vom liberalen Rechtsdenken abgewandt haben. So kennt das italienische S traf­ gesetzbuch von 1930 den Oberbegriff der d e litti contro la personalitä dello Stato. Der Begriff des Volksverrats darf aber nicht auf Angriffe beschränkt werden, die den äußeren Macht­ apparat des Staates gefährden und mit Gewalt und Drohung begangen werden. Vielmehr gilt es auch die geistige Zersetzung zu erfassen. Hieran knüpft sich dann die weitere Frage an, ob die geistige Zersetzung durch eine allgemeine Formel bezeichnet werden soll, oder ob w ir nach dem Vorbilde des italienischen Strafgesetzbuchs spezialisierte Einzeltatbestände ein­ führen sollen, die bestimmte Fälle der geistigen Zer­ setzung umfassen. Diese Frage bedarf noch eingehender Prüfung. I m Ergebnis wünschen wir also einen weitge­ spannten, normativen, wertausfüllungsbedürstigen

Tatbestand. Der von uns vorgeschlagene § 1 enthält den Versuch einer solchen Umschreibung. Die B e d e n k e n gegen einen solchen Tatbestand sind mir sehr wohl bekannt. E s sind das Bedenken, die zweifellos ernst genommen werden müßen. E s wird gesagt, daß ein solcher Tatbestand die Gefahr der Rechtsunsicherheit mit sich bringe, daß auf diese Weise der Verrat die festen Umriße verliere, und daß dadurch die Wirkung und Schlagkraft des Gesetzes beeinträch­ tigt werde. Selbstverständlich liegt auch uns nichts ferner als Willkür. Der Mißbrauch, der in SowjetRußland mit dem Begriff des gegenrevolutionären Verbrechens getrieben wird, ist überaus abschreckend. W ir glauben, diese Gefahr aber vermieden zu haben, und dürfen daraus hinweisen, daß unser § 1 ja nur Anregungen des Entwurfs erster Lesung aufnimmt und auf brauchbare Vorbilder in ausländischen Rech­ ten zurückgreift. S o ist in unserem § 1 von der „völkischen Grundordnung" die Rede. Der Entwurf spricht jetzt schon in § 27 von der „rechtlichen Grund­ ordnung". E r verwendet also gleichfalls einen norma­ tiven Begriff. Unser Entwurf spricht sodann von der „Freiheit des deutschen Volkes". § 26 des Entwurfs will die „Schmälerung der Unabhängigkeit des Reichs" ersaßen. D as ist kein sachlicher Gegensatz, sondern nur ein Unterschied in der Formulierung. Schon das geltende Strafgesetzbuch und der Entwurf enthalten sodann einen Generaltatbestand beim Lan­ desverrat, den der landesverräterischen Begünstigung. Dieser Tatbestand ist heute zwar aus die Zeit des Krieges beschränkt. E s ist aber nicht einzusehen, warum er nicht aus Friedenszeiten ausgedehnt werden kann. Gegen unsern Vorschlag wird weiter eingewandt werden, er ziehe auch belanglose Handlungen unter den Tatbestand des Volksverrats. Auch diese Sorge ist meiner Ansicht nach unbegründet. Schon aus der Schwere der Strafdrohung ergibt sich die Notwendig­ keit einer sachlichen Beschränkung. W ir wollen nur die schwersten Verratssälle in unsern Samm eltat­ bestand aufnehmen. S o fordern wir eine „Zerstörung" der Einheit des Reiches usw. W ir wollen uns ja auch nicht auf einen Grundtatbestand beschränken. An ihn schließen sich weitere Tatbestände an, die zahlreiche Einzelsälle besonders regeln, ohne daß § 1 zur An­ wendung käme. M an könnte fernerhin einwenden, unser § 1 greife zu sehr in das Wirtschaftsleben ein, er umfasse auch den wirtschaftlichen Landesverrat. Aber unser § 1 ist schon seinem Wortlaut nach nicht auf den wirtschaft­ lichen Landesverrat anwendbar. E s kommt hinzu, daß wir die Angriffe auf die Wirtschaftskraft in einem besonderen Abschnitt erschöpfend regeln. M an könnte zum Überfluß in der Begründung des Gesetzes noch einmal besonders hervorheben, daß die Vorschriften über den Volksverrat nicht in das Wirtschaftsleben eingreifen sollen. Die letzten Bedenken aber müßte ein Blick auf Art. 241 des italienischen Strafgesetz­ buchs zerstreuen. Dieser Artikel enthält ein Gegenstück zu unserem § 1. W as aber auf diesem Gebiet in

Ita lie n möglich ist, das sollte bei uns nicht unmöglich sein. Ich darf jetzt unsern § 1 in seinen Einzelheiten erläutern. W ir überschreiben den § 1 mit dem Wort „Volksverrat". Auf das Wort V e r r a t legen wir Wert. Selbstverständlich kann nur der D e u t s c h e Verrat begehen. Der Ausländer steht in keinem Treu­ verhältnis zur deutschen Volksgemeinschaft, wobei die Frage des Gastrechts zunächst beiseite bleiben mag. W ir haben in unserm § 1 nur von dem „Deutschen" gesprochen und möchten auch weiterhin das farblose „Wer" durch die Worte „ein Deutscher, der" ersetzen. Wer soll nun als Deutscher im Sinne dieses Ab­ schnittes angesehen werden, und welche Regeln gelten für den Ausländer? Unter dem D e u t s c h e n können wir schon aus außenpolitischen Gründen grundsätzlich nur den Reichsangehörigen verstehen. Daß A u s ­ l ä n d e r in Fällen der hier geregelten Art bestraft werden müßten, ist selbstverständlich. W ir glauben aber, daß die T at des Ausländers ihrem Wesen nach etwas anderes ist als der Verrat des Volksgenossen. Der Ausländer verletzt das Gastrecht, er ist aber kein Verräter. Diesen Unterschied gilt es deutlich zu machen. Darum sind wir gezwungen, die Delikte des Ausländers in einem besonderen Abschnitt für sich zu behandeln. Die Sachbearbeiter des Ministeriums haben diese Frage schon erörtert und ausgeführt, es gebe hier zwei Möglichkeiten. M an könne entweder jedem einzelnen Paragraphen einen weiteren Absatz über die Bestrafung des Ausländers anfügen oder die Delikte der Ausländer in einen besonderen Abschnitt verweisen. Dieser letztere Weg hat allerdings schein­ bar den technischen Nachteil einer umfassenden Ver­ weisung. W ir möchten aber diesen Nachteil in Kauf nehmen, um das Wesen der Verratsdelikte klarer her­ vortreten zu lassen. Eine Ausnahme würde ich für den deutschen Volksgenossen machen, der nicht Reichs­ angehöriger ist, aber auf deutschem Reichsgebiet tätig wird. Da es uns freisteht, den Ausländer, der bei uns tätig wird, überhaupt unter dieselbe Strafdrohung zu ziehen wie den Deutschen, müßte es doch auch möglich sein, einen Teil der Ausländer den Deutschen gleich­ zustellen. D as letzte W ort dürste hier aber das Aus­ wärtige Amt haben. Zu erwägen wäre noch eine zweite Ausnahme. Soll man nach dem Vorbilde des Artikels 242 des italienischen Strafgesetzbuchs Emi­ granten, denen das Staatsbürgerrecht aberkannt wor­ den ist, als Verräter behandeln? Ich würde das nicht für richtig halten. E s handelt sich hier doch meisten­ teils um Juden, die überhaupt nicht zur Volksgemein­ schaft gehören. Aber auch sonst: Wenn man jemand aus der Volksgemeinschaft ausstößt, soll man auch die Folgerungen ziehen und solche Menschen nicht mehr als Volksgenossen behandeln. D er Volksverrat kann zunächst die E i n h e i t d e s R e i c h s i n Frage stellen. Beispiel: der Separa­ tismus. E r erscheint bei uns im § 1 als erste Alter­ native. Durch den Volksverrat kann zweitens die F r e i h e i t de s deutschen Reiches und V o l k e s , seine Souveränität in Frage gestellt wer­ den. Beispiel: Ein Deutscher zieht eine fremde Be­

satzung ins Land. Darunter fällt überhaupt jede Zu­ sammenarbeit des Deutschen mit dem Auslande zum Schaden des Deutschen Reiches und Volkes, jeder Versuch, die Bewegungsfreiheit der deutschen Regie­ rung zu gefährden. Drittens möchten wir den A n ­ gri ff auf den Bestand des deutschen V o l k s t u m s einbeziehen, ein Vorschlag, der auf eine Anregung des Herrn Graf Gleispach zurück­ führt. W ir haben dabei die Zerstörung des deutschen Volkstums jenseits der Reichsgrenzen im Auge. W ir denken also an den Deutschen, der etwa die Unter­ drückungspolitik der Italiener in Südtirol unterstützt oder den Litauern im Memelgebiet hilft. Hier soll der Volksdeutsche Gedanke seinen Ausdruck finden. Die Formulierung wird aber nicht einfach sein. Ein Aus­ länder kann dieses Delikt natürlich nicht begehen. An vierter Stelle kommt der Angriff auf die v ö l k i s c h e G r u n d o r d n u n g , d. h. der bisher sogenannte Verfassungshochverrat. Hier bedarf die Frage der Klärung, ob wir von „völkischer" oder von „rechtlicher" Grundordnung sprechen sollen. Wir haben gegen das gute Wort „rechtlich" an sich keine Be­ denken. W ir wenden uns nur gegen die Häufung von Begriffen, die dasselbe besagen. Denn die völkische Grundordnung ist eben s e l b s t schon rechtliche Ord­ nung. Es besteht daher die Gefahr, daß das W ort „rechtlich" in diesem Zusammenhang als eine E in­ schränkung verstanden wird. Daß diese Auslegung naheliegt, zeigen die Ausführungen des Herrn P ro ­ fessor Mezger im nationalsozialistischen Handbuch, wonach „rechtlich" soviel bedeuten soll wie gesetzlich festgelegt. D as ist aber viel zu eng. E s ergibt sich die Frage, ob mit diesen vier Alter­ nativen alles erfaßt ist. So taucht die Frage auf, ob unser § 1 nicht vor allem d e n A n s c h l a g a u f d e n F ü h r e r erfassen muß. W ir möchten aber gerade den Anschlag auf den Führer um seiner besonderen Bedeutung willen als besonderen und schwersten F all des Volksverrats für sich regeln. M an kann weiterhin fragen, warum in unserem § 1 nicht das enthalten ist, was der Entwurf erster Lesung „Volksverrat" nennt, also die V o l k s V e r ­ l e u m d u n g und die B e s c h i m p f u n g d e s d e u t s c h e n V o l k e s in ihren verschiedenen E r­ scheinungsformen. W ir sind aber der Meinung, daß der Begriff Volksverrat für die schwersten Fälle, für Landes- und Hochverrat vorbehalten werden muß. Sodann ein kurzes Wort zur Frage nach den M i t t e l n der Tatbegehung. Wir müssen von der Vorstellung abkommen, daß der Volksverrat nur mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt begangen werden kann. Es ist bezeichnend, daß es in der Rechts­ lehre noch bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts bestritten war, ob das Wort „gewaltsam" in den früheren Hochverratsbestimmungen im Sinne von Brachialgewalt aufzufassen sei. Bekanntlich war Binding der Meinung, gewaltsam bedeute nichts anderes als verfassungswidrig, eine Ansicht, die sich aber nicht durchsetzen konnte. W ir möchten heute ganz allgemein j e d e n Angriff auf die Grundordnung

erfassen. W ir wollen also auf die Worte „gewaltsam oder durch Drohung mit Gewalt" verzichten. Ich komme endlich zur Frage der S t r a f ­ d r o h u n g . Sollen wir in den § 1 überhaupt eine Strafdrohung aufnehmen? Oder sollen wir § 1 nur als Auslegungsregel, als eine Art Vorspruch gestalten? Ich möchte die Frage entschieden im ersteren Sinne beantworten. Eine Verratsregel ohne Strafdrohung hat keinen Wert. S ie ist ein Messer ohne Klinge. Gerade hier ist Raum' für die A c h t u n g . S ie soll zum Ausdruck bringen, daß der V erräter nicht mehr zur Volksgemeinschaft gehört. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Z ur Geschäftsordnung möchte ich fragen, ob einer der Herren Unterzeichner zu dem Antrag Nr. 73 das W ort nehmen will. Professor Dr. Graf Gleispach: E s liegen zu diesem Abschnitt Anträge von Herrn Klee — B 59 — und Anträge der Sachbearbeiter vor. Ich habe mich mit Herrn Dahm ins Benehmen gesetzt, und das Ergebnis war der Antrag zu den Abschnitten 1 und 3, der von Dahm, Schaffstein und m ir ge­ zeichnet ist. Herr Dahm hat den Antrag so eingehend begründet, daß ich mich darauf beschränken möchte, den Teil des § 1 $u unterstreichen, der den Angriff nuf den Bestand des deutschen Volkstums betrifft. Die Formulierung, die wir vorläufig vorschlagen, möchte ich nicht beibehalten; ich möchte sagen: „Wer es unter­ nimmt, Teile des deutschen Volkes ihrem Volkstum zu entfremden oder ihr Volkstum zu unterdrücken . . . " D ann ist der Gedanke etwas klarer herausgestellt. Der Ausgangspunkt ist eigentlich der, daß es sich hier darum handelt, den Bestand des deutschen Volkes zu schützen gegen die schwersten Angriffe, die mit Gewalt oder mit geistigen M itteln erhoben werden können. Wenn man vom nationalsozialistischen Standpunkte aus versucht, dieses Problem strafrechtlich zu lösen, so steht man vor dem tragischen Konflikt der Idee eines Gesamtdeutschtums und dem nur einen Teil des Volkstums umfassenden Staatsgebiet des Deutschen Reiches. E s ist ganz unleugbar, daß außen- und staatspolitische Erwägungen es unmöglich machen, das Id eal der Gesetzgebung zugrunde zu legen, das uns als letztes Ziel vorschwebt. Aber man darf doch deshalb nicht soweit gehen, daß man den Schutz des Deutschtums in der Welt in einer Gesetzgebung von heute ganz verschwinden läßt. E s ist sicher, daß die Lage des Volkstums außerhalb der Grenze gegen­ wärtig besonders gefährdet ist. F ü r die Treue der Deutschen außerhalb des Reichs zur Idee der deutschen Volksgemeinschaft sollte irgendein Widerhall aus dem Reiche in seiner Gesetzgebung kommen. D as möchte ich darin sehen, daß w ir den Deutschen zurufen: Wir sehen als Verräter an, wer die Unterdrückung des deutschen Volkstums irgendwie unterstützt. Nun ist es sicher, daß man soweit nicht gehen kann, einen T at­ bestand zu formulieren, der eine Reihe von heute im Amt befindlichen Staatsm ännern als Volksverräter erklären würde. Diese Angriffe auf das deutsche

Volkstum müssen beschränkt werden aus die Taten, die auf dem Boden des Deutschen Reiches begangen werden. D as ist für uns sehr schmerzlich, aber es ist eine Einschränkung, die geeignet wäre, politische Bedenken auszuschalten. I m übrigen hat Herr Dahm schon dargelegt, daß unser Vorschlag alles umfaßt, was gegenwärtig in den Tatbeständen über Hochverrat enthalten ist. Ich glaube kaum, daß uns der Vorwurf gemacht werden kann, etwas weggelassen zu haben. Allerdings würde ich vorschlagen, nicht nur von der Zerstörung der Einheit des Deutschen Reiches, sondern auch von der Schmälerung zu sprechen. Auf der anderen Seite haben wir das M ittel der Gewalt oder der Drohung mit Gewalt aus dem Tatbestand ge­ strichen; das ist auch in den Anträgen der Sachbe­ arbeiter empfohlen, und der Mitberichterstatter, Herr Klee, hat es geradezu beantragt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bevor ich den Herren Berichterstattern das Wort geben möchte, möchte ich für die Diskussion ein paar Fragen stellen. Von den Unterzeichnern des Antrags Nr. 73 ist behauptet worden, § 1 wäre ein Dachtat­ bestand. I s t das richtig? Wenn ich den § 1 mit der Formel vergleiche, die wir bei den Hochverratstat­ beständen verwendet haben, so muß ich sagen, daß im wesentlichen § 1 die §§ 26 und 27 des Entwurfs wiedergibt mit einer im einzelnen verbesserten Fassung. Nun frage ich mich: D as ist also im wesentlichen die Wiedergabe der beiden Tatbestände, wie wir sie ge­ macht haben; welches ist der Oberbegriff, unter den der Landesverrat fällt? D as ist wohl die Freiheit des Volkes. Staatssekretär Dr. Freister: Die Einheit des Reichs, das ist beides. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as scheint mir nicht ganz gelungen zu sein. Ich glaube, wenn w ir Hoch- und Landesverrat zusammen­ fassen wollen, müßten wir aus einen einfacheren Generalnenner kommen. Was unter dem Zerstören des deutschen Volks­ tums hier gemeint ist, weiß niemand, der das liest, wenn er nicht den Kommentar hört, der heute gegeben worden ist. Weiter haben wir den Ausdruck Volksverrat für Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes gebraucht. Nun hat man mit Recht die Frage gestellt, soll man das Wort Volksverrat dadurch verbrauchen, daß man es auf Dinge anwendet, für die diese Etikette etwas zu groß ist, soll man das W ort Verrat z. B. dafür gebrauchen, daß jemand Symbole des deutschen Volkes beschimpft? Diese Frage halte ich für berechtigt, es wäre auch gar nicht schwierig, diesem Gedanken gerecht zu werden. M an könnte natürlich neben die Angriffe auf den Bestand des deutschen Volkes Angriffe auf die Ehre stellen. Würde man das tun und dieses sich aus dem Gruppentatbestand herausdenken, dann wäre die Herstellung eines Gruppentatbestandes erleichtert, wenn nicht gerade erst ermöglicht.

Reichsgerichtsrat Niethammer: Als Berichterstatter für den Landesverrat habe ich mich für verpflichtet erachtet, die Änderungsvor­ schläge zum Entwurf tunlichst auf ein Mindestmaß zu beschränken. Dabei war für mich die Erwägung maßgebend, daß der Entwurf die Umarbeitung eines neuen Gesetzes bedeutet, eines Gesetzes, das knapp ein J a h r alt ist. Maßgebend war für mich ferner die Erwägung, daß wir gerade in diesem Abschnitt auf die Forderungen anderer Reichsstellen Rücksicht nehmen müssen, und daß ich als Richter hierüber kein Urteil auszusprechen habe. Als mir Herr Professor Dahm zu Beginn der Tagung sagte, er werde eine Gesamt­ vorschrift für den Verrat am Volke vorschlagen, da hat mich diese Absicht zunächst angezogen. Ich glaubte, ein solcher Tatbestand werde den Richter von manchen Schwierigkeiten des bisherigen Rechtes erlösen. Ich habe mich daraus besonnen, wie wohl dieser Tatbe­ stand des Volksverrats aussehen müßte. Mein Ergeb­ nis deckt sich in vielem mit dem Vorschlag des Herrn Professor Dahm. Ich sagte mir, ein solcher Tatbestand muß beginnen: Ein Deutscher, der das deutsche Volk verrät, indem e r . . ., dann folgen gewisse Tatbe­ stände, die die schwersten Angrifse auf die Volksge­ meinschaft darstellen. Alsbald aber stellte sich die Schwierigkeit ein, wie diese Tatbestände zu bestimmen seien. Eins habe ich mir jedenfalls als ganz unum­ gänglich gedacht: Diese Tatbestände müssen äußerst scharf sein, sie müssen so bestimmt werden, daß es kein Abgehen von ihnen gibt. Jetzt hat der Vorschlag des Herrn Professor Dahm einen vieldeutigen Sammel­ tatbestand gebracht. Ich halte den § 1 dieses Vor­ schlags sür völlig unmöglich. M it einem solchen T at­ bestand darf der Richter nicht arbeiten. Unter­ suchungen, die ein solcher Tatbestand erfordert, dürfen dem Richter nicht zugemutet werden. Die Gedanken, aus denen § 1 erwachsen ist, sind geschichtliche Erinne­ rungen und Rücksichten auf ausländisches Recht. Wenn ein solcher Tatbestand als das Id e a l der Gesetz­ gebung bezeichnet wird, so muß ich demgegenüber be­ merken, daß die in ihm verkörperten Gedanken sich von dem loslösen, was im Leben im Vordergrund steht. W ir müssen aber die Lebensvorgänge und die Menschen in ihnen berücksichtigen, damit wir uns in dem Streben zum Id e a l nicht allzusehr vom Boden abheben. Ich hatte als Vertreter der Anklage und als Richter beim Reichsgericht lange Jah re Gelegen­ heit, solche Lebensvorgänge zu untersuchen; meine Erfahrungen sind so beschaffen, daß sich mir das völlig Unmögliche des § 1 mit Gewalt aufdrängt. Sicher fließen, wie das Beispiel des Gebietsverrats zeigt, Landesverrat und Hochverrat vielfach ineinander über. Jeder Hochverrat erschüttert nicht nur die Ord­ nung im In n ern , sondern schwächt auch die Kraft des Reiches nach außen. D as alles aber gehört in das Gebiet der rein begriffsmäßigen Betrachtung und wird den Vorgängen im Leben nicht ausreichend ge­ recht. Ich habe in der vergangenen Zeit sowohl Kommunisten wie Offiziere des alten Heeres vor Gericht gesehen, die des Hochverrats angeklagt waren. S ie hätten sich, wenn man ihre T at als Landesverrat

bezeichnet hätte, mit aller Macht dagegen gewehrt. Das muß uns warnen, das, was im Leben ungleich ist, in allzu weitem Umfang im Gesetz gleichzustellen. W as nun besonders die Tatbestände meines Be­ richts betrifft, so kann doch in den Sammeltatbestand nur das Große aufgenommen werden, die Verbrechen, die mit Todesstrafe und Achtung bedroht sind, also die landesverräterische Untreue und die Herbeiführung einer Kriegsgefahr. Gerade diese Fälle aber sind mir in der Rechtsprechung niemals vorgekommen. I n dieser engen Begrenzung erscheint auch der Landes­ verrat keineswegs in dem Vorschlag des Herrn P ro ­ fessor Dahm. E r spricht vielmehr ganz allgemein von einer Schmälerung der Freiheit des deutschen Volkes. Eine solche Schmälerung kommt doch bei jeder landesverräterischen Handlung in Betracht. Jeder Verrat eines militärischen Geheimnisses stellt einen Angriff auf die Freiheit des Volkes dar und wird daher durch den Sammeltatbestand des Herrn Professor Dahm erfaßt. Es ist aber ganz unmöglich, die täglichen Vorkommnisse des Verrats militärischer Geheimnisse in seiner äußeren Vielgestaltigkeit und mit seinen großen Unterschieden im inneren Vorgang unter ein Dach zu bringen. W ir müssen nun einmal damit rechnen, daß in unserem Recht die Begriffe des Hochverrats und des Landesverrats weit ausgedehnt und fein zergliedert worden sind, daß auch Kleinig­ keiten unter diesen Begriffen vorkommen. Ich fasse mein Urteil zusammen: S o ist der von Herrn Professor Dahm vorgeschlagene § 1 unmöglich. Wir dürfen die ernste Gefahr einer Unsicherheit in der Gesetzesanwendung durch den Richter gerade auf diesem Gebiet der schwerwiegendsten Straftaten nicht heraufbeschwören. Der Dachtatbestand wird ja auch in den folgenden Vorschriften Stück sür Stück abge­ tragen. D as gefällt mir als Richter nicht: Das all­ mähliche Abtragen eines großen und gewaltigen Ge­ dankens. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Hier drängt sich folgende Frage auf: Wenn wir die Strafdrohung int § 1 ansehen, so entsteht das Bild eines Prokrustesbettes, in das man gewaltsam alles hineinzwingen will, was nachher kommt. D as Verhältnis des § 1 zum § 3 ist von den Herren wechselnd beleuchtet worden; einmal hieß es, § 1 sei subsidiär zu § 3, und dann hieß es, das Beherrschende fei § 1. E s ist bedenklich, wenn man sich über das Verhältnis zweier Vorschriften verschieden aussprechen kann. Wie würden die Ausführungen des Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer gelautet haben, wenn er sich vorgestellt hätte, daß § 1 überhaupt keine Strafdrohungen enthielte, sondern nur ein Urteil darüber, wer ein Volksverräter ist. Ich glaube, daß viele von den beachtenswerten Bedenken, die der Herr Reichsgerichtsrat vorgetragen hat, dadurch beseitigt werden könnten, daß der § 1 nicht an einen unge­ wöhnlich allgemein gefaßten Tatbestand die S tra f­ drohung anschließt. Dann würde auch die Frage des Verhältnisses zu § 3 überhaupt nicht verschieden be­ antwortet werden können.

Professor Dr. Henkel: Ich habe den Eindruck, daß bei den Antrag­ stellern einerseits und in den Ausführungen des Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer andererseits Bestre­ bungen zum Ausdruck gelangen, die in der bisherigen Aussprache als unvereinbar aufgefaßt wurden. D ar­ auf, daß sie unter Umständen vereinbar sind, haben S ie, Herr Reichsminister, andeutend hingewiesen. Es steht wohl bereits jetzt fest, daß § 1 in der Form des von den Herren Graf Gleispach, Schassstein und Dahm eingebrachten Antrags Nr. 73 nicht handlich ist, daß man an einen Generaltatbestand vop so völlig unbestimmter Fassung eine derartige Strafdrohung wie die vorgeschlagene (Achtung, Todesstrafe, Zucht­ haus) nicht anschließen kann. Die P raxis würde diesen Tatbestand nicht handhaben können. Unbe­ friedigend ist auch, daß in Wirklichkeit dieser § 1 schon alles das umfassend vorwegnimmt, was nachher in den folgenden Bestimmungen gebracht wird. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es mir ungereimt, daß die nachfolgenden Tatbestände keineswegs nur Bei­ spiele für den Generaltatbestand des § 1 bieten, sondern eine in sich selbständige Einzelregelung ent­ halten, eine Einzelregelung, die im ganzen gesehen erschöpfend ist, jedenfalls bei weiterem Ausbau an­ nähernd erschöpfend gestaltet werden kann. Bemer­ kenswert ist ferner, daß die Strafdrohung des § 1 in der Form des vorliegenden Antrages in zahlreichen Fällen durch die Strafdrohungen der folgenden T at­ bestände abgeändert und dadurch praktisch weitgehend außer Kraft gesetzt wird. Meines Erachtens wäre folgender Weg gangbar: Unbefriedigend ist an der im Entwurf vorgesehenen Regelung von Hoch- und Landesverrat (§§ 1 bis 34), daß bei ihr der Grundgedanke in keiner Weise zutage tritt: nämlich, daß es sich hier um Volksverrat handelt. I n dem Hinweis auf diesen tragenden Ge­ sichtspunkt sehe ich das Beachtliche bei dem Vorschlag der Antragsteller. Andererseits steht unumstößlich fest, daß, selbst wenn man einmal den Generaltatbestand als praktisch brauchbar unterstellt, auf eine eingehende Einzelregelung zum mindesten des Landesverrats nicht verzichtet werden kann. Diese Einzelregelung werden w ir hier und da ausbauen können (z. 93: hin­ sichtlich der Vorbereitung zum Landesverrat), aber doch in keinem wesentlichen Punkt völlig ändern dürfen. Zwar haben Hoch- und Landesverrat vieles gemeinsam; aber sie haben sich andererseits in der tatbestandlichen Einzelgestaltung im Laufe der Zeit doch auch derart differenziert, daß mir der Versuch einer vollkommenen Zusammenfassung beider als Rückschritt erscheint. Der Landesverräter handelt schimpflicher als der, der eine hochverräterische Handlung in der regelmäßig vorkommenden Erscheinungsform begeht. Ich schlage vor, einen Abschnitt „Volksverrat" zu schaffen und an den Beginn dieses Abschnittes einen Richtlinientatbestand ohne Strafdrohung zu stellen, in dem zu sagen wäre, daß, wer gewisse Handlungen begeht, des Volksverrats schuldig ist und nach Maß­ gabe der folgenden Bestimmungen bestraft wird. Diese Tatbestände wären etwa folgendermaßen zu

gliedern: E s wäre zu beginnen mit dem Anschlag auf den Führer, der Volksverrat ist (§ 2 des Antrages Nr. 73). D aran hätten sich Landesverrat und Hoch­ verrat anzuschließen. Dadurch würde einerseits die Gefahr des mit Strafdrohungen versehenen General­ tatbestandes beseitigt, andererseits wäre der tragende Gedanke herausgestellt, daß es sich hier um Angriffe auf den Bestand des Volkes handelt. Wenn dabei in diesem Abschnitt auch einige weniger bedeutsame T a t­ bestände des Zusammenhanges wegen miterscheinen, so schadet dies nicht. Jedenfalls würde ein Richt­ linientatbestand, der den Volksverräter kennzeichnet, die Bedeutung dieses Abschnittes eindrucksvoll heraus­ stellen. E r würde insbesondere die Richtlinie für die Auslegung der folgenden Bestimmungen geben, den Richter auf die Möglichkeit der Analogie be­ sonders aufmerksam machen und ihn auffordern, etwaige Lücken der Einzelregelung durch Analogie zu schließen. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Wenn ich noch einmal zurückfragen darf: Sie wollen diesen Grundtatbestand an die Worte Einheit, Freiheit oder Unversehrtheit anknüpfen? Professor Dr. Henkel: Ich würde etwa sagen: „Ein Deutscher, der es unternimmt, die Einheit des Reichs, die Unabhängig­ keit des deutschen Volkes oder die Grundordnung Lu schmälern, ist des Volksverrats schuldig (oder: ist Volksverräter) und wird nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen bestraft". Eine bessere Formulierung könnte man noch finden. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Damit haben S ie meine andere Frage schon be­ antwortet, ob nämlich das Wort Volksverrat aus die Ehrverletzung auszudehnen ist. Professor Dr. Henkel: Diese Frage ist damit verneint. Ich würde an­ nehmen, daß der Volksverrat folgende Gruppen ent­ hält: Angriffe aus den Führer, Landesverrat, Hoch­ verrat, vielleicht auch die Angriffe auf die Volks­ deutschen im Auslande, und als Anhang die feind­ lichen Handlungen des Ausländers. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich sehe den Wert des Antrags Nr. 73 darin, daß er uns eindringlich auf den Zusammenhang von Hochund Landesverrat hinweist. Beiden ist in der T at der Treubruch wesentlich. Ferner ist ein Hochverrat ohne Schwächung der Volksgemeinschaft gegenüber dem Auslande nicht denkbar, und eine Stärkung des Feindes ist nicht möglich, ohne daß gleichzeitig der innere Bestand des S taates erschüttert wird. Des­ wegen glaube ich, daß wir einheitlich von einem Volksverrat sprechen müssen, und zwar unter Aus­ scheidung der Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes. E s fragt sich, ob es möglich ist, die praktischen Konsequenzen zu ziehen. E s ist daraus hingewiesen

worden, daß § 1 keinen Dachtatbestand enthält^ sondern verschiedene Fälle des Hochverrats, die §§ 26, 27, erschöpfend behandelt. Herr Dahm hat die F o r­ derung aufgestellt, daß hier neben dem Angriff auf die Einheit des Reiches noch ein besonderer Tatbe­ stand, der den Gebietshochverrat regelt, erscheinen soll; ich möchte dem beitreten. E s kann sich weiter fragen — ich knüpfe an meinen Antrag Nr. 59 an — , ob nicht neben diesem § 1 noch als besonderer Tatbestand der Versuch der Neubildung von Parteien aufzuführen wäre. Die Herren Sach­ bearbeiter nehmen das nicht an, weil es schon mit der Grundform des Volkes zusammenhängt, daß wir nur eine P artei haben, die Neubildung einer Partei also stets die Grundordnung verletzen würde. Ich glaube aber doch, daß es erwünscht wäre, diesen T at­ bestand aufzuführen, weil es vom Standpunkt der Technik der Strafverfolgung erwünscht ist, die unteren Organe auf ganz bestimmte Angrisssrichtungen hin­ zuweisen. Weiter möchte ich vorschlagen, auch den Angriff auf den Führer dem schwersten Tatbestand des Volks­ verrats einzufügen. Die §§ 107 und 108 wären um­ zuarbeiten. I n dem weiteren Aufbau würde ich nicht mit dem Verrat von Staatsgeheimnissen fortfahren; es gibt noch schwerere Delikte des Landesverrats, z. B. den Gebietshochverrat und die Waffenhilse, §§ 14, 15, sie enthalten unmittelbare Angriffe auf das Reich, der Verrat von Staatsgeheimnissen nur mittelbare. Es ist m. E. eine Lücke, daß im geltenden Recht die Vorbereitung des Landesverrats nicht schlechthin bestraft wird. Eine gemeinsame Bestimmung für Hoch- und Landesverrat wäre hier am Platze. F ü r die Strafdrohungen würden sich auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten ergeben. E s ist insbe­ sondere nicht einzusehen, warum nicht beim Hoch­ verräter ebenso wie beim Landesverräter die Siche­ rungsverwahrung möglich sein soll. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn die allgemeine Meinung dahin ginge, daß man das Wort Volksverrat nicht für Angriffe auf die Ehre verbrauchen sollte — und mir würde das sym­ pathisch sein — , so kommt die zweite Frage: Sollen Hochverrat und Landesverrat überhaupt als etwas Trennbares angesehen werden? Nun muß ich sagen, schon die Bezeichnungen sind Anschauungsweisen. Es scheint mir sehr starke Neigung zu bestehen, die ge­ meinsamen Punkte in Worte zu fassen; das würde dazu führen, daß wir auch einen gemeinsamen Aus­ druck gebrauchen müssen, und dafür würde ich „Bolksverrat" vorschlagen. Die Frage ist, wie man das gesetzestechnisch lösen kann. Zwei Wege stehen zur Verfügung: § 1 als Tatbestand mit Strafdrohung, und der Vorschlag Henkel, der gewissermaßen nur eine Definition des Begriffes „Volksverrat" geben würde, ohne daran gleich eine bestimmte Strafdrohung zu knüpfen.

Staatssekretär Dr. Freister: W ir haben in erster Lesung den Landesverrat zu sehr und fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Geheimnisverrats gesehen, der gar nicht sein eigentliches Wesen, sondern nur der häufigste Fall des Landesverrats ist. Der Antrag Dahm verlangt eine Grundfrage zu erörtern und zu entscheiden. W ir müssen uns über den Charakter des Hochverrats und des Landesverrats schlüssig werden. Vor allem erhebt sich die Frage, was ist der Anschlag auf den Führer, wohin gehört er? Wie steht der Anschlag auf den Führer zum Hochverrat, Landesverrat und Volks­ verrat? W ir müssen uns auch darüber schlüssig werden, wer überhaupt das Delikt des Verrats be­ gehen kann. Bei dieser Untersuchung dürfen wir nicht von einer verschiedenen Betrachtung bezüglich des Angrisssobjekts ausgehen. Diese verschiedene Betrachtung beruht darauf, daß in der Zeit des Zwischenreichs Hochverrat und Landesverrat ganz anders gewertet wurden und auch ganz anders gewertet werden mußten. Jeder Hochverräter wehrte sich damals gegen den Vorwurf des Landesverrats. D as konnte damals auch gar nicht anders sein. Denn das Leben des Volkes konnte gedacht werden bei völligem Untergang des S taates oder jedenfalls bei grundlegender Ände­ rung der Staatsform , weil dieser S ta a t nur eine äußere Ordnung sein wollte. Dieser S ta a t hatte keine ethische, sondern nur eine Zweckmäßigkeitsbe­ gründung. Dem Landesverrat begegnete man mit dem Selbsterhaltungstrieb. Den Hochverrat konnte man aber sittlich nicht abwerten; denn man kannte Hochverräter, denen man die Anständigkeit beschei­ nigen mußte. I n dieser Zeit konnte man also gar nicht auf die Idee kommen zu untersuchen, ob ein Unterschied zwischen Landesverrat und Hochverrat besteht. Deshalb kann man aber auch aus dieser Zeit kein positives Argument für die Richtigkeit der Unter­ scheidung entnehmen. M ir scheint es festzustehen, daß heute Hochverrat und Landesverrat bezüglich des Unrechtsgehalts und bezüglich des Angriffsobjekts durchaus dasselbe sind. Unterschiede treten hier erst aus einer sekundären Linie auf, aber solche sekundären Unterschiede haben wir auch anderswo. Ich erinnere z. B. an die Modalitäten der Handlung bei der Tötung. M an kann jemand in verschiedener Weise töten, es ist aber immer Tötung. Ich glaube nun nicht, daß die Verschiedenheiten beim Landesverrat und Hochverrat auf einer höheren Ebene liegen als diese Modalitäten beim Tatbestand der Tötung. Ich glaube, daß das deutsche Volk als Organismus nicht leben kann, wenn man anderen ermöglicht, dieses Volk zu töten oder die natürliche Arbeit seines Orga­ nismus zu stören. Deshalb bin ich jetzt auch über­ zeugt, daß auch der Anschlag aus den Führer hierher­ gehört; er ist echter Verrat. Bisher war ich anderer Meinung. D as beruhte aber darauf, daß wir bisher noch nicht alle Folgerungen aus der Erkenntnis von der völligen Einheit des Volkes gezogen hatten. Ich vergleiche das Volk immer mit einem Bienenschwarm. Wer die Königin tötet, vernichtet das Leben des

Schwarms. S o muß auch der Anschlag aus den Führer als Angriff auf das Leben des Volkes ange­ sehen werden. Ich fasse den Antrag Dahm als den Versuch aus, dieses einheitliche Delikt zu begründen und die not­ wendigen Folgerungen daran zu knüpfen. Vor der Debatte verstand ich den § 1 als einen Dachtatbestand. D arunter verstehe ich einen Tatbestand, der ausschließ­ lich durch Wertungen aussüllbar ist. § 1 bedarf aber so, wie er formuliert ist, gar keiner Ausfüllung durch Wertung mehr. E r ist seiner Natur nach schon die Wertung, so daß weitere Wertausfüllungen durch den Richter nicht mehr in Betracht kommen können. Des­ halb kommt auch ein Dachtatbestand nicht in Frage, in Betracht kommt der klare Tatbestand des Volks­ verrats. Wenn das § 1 sein soll, dann will er nichts anderes sein als der Grundtatbestand für Landes­ verrat, Hochverrat und Anschlag auf den Führer, also der Grundtatbestand, der uns in erster Lesung nicht geglückt ist. Es entsteht also die Frage, ob in der Formulierung des § 1 wirklich der klare Tatbestand des Volksverrats geglückt ist, und es taucht die weitere Frage auf, ob diesem Tatbestand noch etwas P ro ­ grammatisches vorangestellt werden soll. Ohne S tra f­ drohung wäre er nur ein Bekenntnis, und die Not­ wendigkeit, ein solches Bekenntnis abzulegen, vermag ich zunächst noch nicht einzusehen. I n dem einheit­ lichen Tatbestand des Volksverrats liegt bereits ein Bekenntnis, nämlich das Bekenntnis, daß es nur einen einheitlichen Verrat am Volke gibt, daß die Trennung endgültig überwunden ist, daß wir diese Trennung überwinden mußten, weil sie nur auf der Annahme beruhen konnte, daß der Nationalsozialis­ mus eine vorübergehende Staatsform ist. W ir werden dann in diesem Abschnitt noch Dinge regeln müssen, die nicht dasselbe sind wie der Verrat im eigentlichen Sinne. Es sind das die Handlungen, die in irgendeiner Weise das Leben des Volkes un­ mittelbar gefährden. Hierhin gehören vor allem der V errat militärischer Geheimnisse, der, wie ich bereits erwähnt habe, gar nicht der Typus des Landesverrats ist. Wenn ich an den typischen Landesverrat denke, so denke ich an Förster und Tucholski. Ferner gehören hierhin die Volkszersetzungsdelikte, die Herr Reichs­ gerichtsrat Niethammer mit Recht nicht als Hoch­ verrat empfindet. Andererseits halte ich es nicht für richtig, wenn Herr Reichsgerichtsrat Niethammer argumentiert, das Gebiet des Landesverrats und Hochverrats bedürfe keiner grundlegenden Erneue­ rung, weil dieses Gebiet erst durch die Novelle vom Jah re 1934 neu gestaltet sei. I n Wirklichkeit hat der Nationalsozialismus eine Erneuerung und Über­ prüfung auf diesem Gebiet noch gar nicht vorge­ nommen, sondern lediglich die Strafdrohungen erhöht. Die grundsätzliche Betrachtung muß erst jetzt kommen. Ich würde nach allem den ersten Teil des S tra f­ gesetzbuchs in der Weise aufbauen, daß zunächst die echten Verratsdelikte kommen, daß sich daran die De­ likte anschließen, die wir als Verrat von Staatsge­ heimnissen bezeichnen, und daß schließlich die Volks­ verhetzung kommt.

Eine weitere grundsätzliche Frage ist die, wer diese Delikte begehen kann. W ir haben in der Debatte be­ reits die Antwort erhalten: nur der Deutsche. W ir müssen uns aber hüten, diesen Gesichtspunkt zu weit auszudehnen. Der Unrechtsgehalt beim Verrat mili­ tärischer Geheimnisse und bei der Volksverhetzung ist nicht anders, wenn ein Ausländer die T at begeht. Hier brauchen wir keine verschiedenen Strafrahmen. Ein etwaiges edles Motiv des Ausländers kann bei der Strafbemessung berücksichtigt werden, vielleicht kann man auch im Gesetz hieraus besonders hinweisen, um der Staatssührung nicht die Verlegenheit zu be­ reiten, die Spionage des Ausländers mit einer B e­ gnadigung beantworten zu müssen. Den echten Bolksverrat dagegen kann nur der Deutsche begehen. Es ist also nicht erforderlich, dem Abschnitt einen beson­ deren Abschnitt über die Bestrafung der Ausländer anzufügen. W ir müssen nur beim Volksverrat im engeren S inne überlegen, wieweit und wie hoch wir hier auch den Ausländer bestrafen wollen; die Vor­ schrift hierfür wäre als Anhang zu dem Volksverrat im engeren Sinne zu bringen. Die Tatbestände des Verrats von Staatsgeheimnissen und der Volksver­ hetzung können dagegen auch weiterhin mit dem Worte „wer" beginnen, weil hier nur in seltenen Fällen der Ausländer gar nicht oder minder zu bestrafen ist. Ab­ sichtlich habe ich den Aufbau des § 1 nicht besprochen. D as Lehrhafte darin würde ich gar nicht beanstanden. Denn auch der Gesetzgeber soll Erzieher sein, nicht nur der Richter. Unsere Gesetze sind nämlich meiner An­ sicht nach gerade deshalb so wenig volkstümlich, weil sie jede Lehrhaftigkeit peinlich vermeiden. § 1 ist im übrigen gar nicht sehr lehrhaft. I n der Debatte ist dann immer wieder gefragt worden, wo in § 1 der Landesverrat und wo der Hochverrat liege. Diese Fragestellung halte ich für falsch, weil sie von der trennenden Auffassung ausgeht. Damit brauche ich mich also nicht weiter zu beschäftigen. Zugeben muß ich, daß die Alternative, in der von dem Bestand des deutschen Volkstums die Rede ist, nicht ohne weiteres verständlich ist, und daß man über das, was damit gemeint ist, erst durch die in der De­ batte gegebene Kommentierung Aufklärung erhalten hat. Diese Alternative fiel bisher weder unter Lan­ desverrat noch unter Hochverrat. Ich frage mich, ob sie unter unsern Begriff des Volksverrats im engeren Sinne fällt. Nach der gedanklichen Fundierung unseres S taates sicher! Der Vorschlag gewinnt da­ durch an Gewicht, daß er gerade von Herrn Graf Gleispach unterstützt worden ist, der ja so eng ver­ wurzelte Beziehungen zum Auslandsdeutschtum hat. M an kann für diese T at nur den Deutschen bestrafen, und zwar nur den Reichsdeutschen. Es scheint mir nicht möglich zu sein, den fremdstaatlichen Deutschen durch eine Strafsanktion in ein näheres Verhältnis zu uns zu bringen als sonstige Ausländer. M an könnte uns sonst vorwerfen, wir wollten die Unab­ hängigkeit z. B. Liechtensteins angreifen. Ein anderer Weg ist außenpolitisch unmöglich, da andere Staaten unsere Auffassung hierüber nicht anerkennen. Obwohl

wir also im Herzen anders denken, muffen wir dieses Gesetz auf deutsche Staatsbürger beschränken. Vielleicht läßt es sich auch ermöglichen, § 1 noch etwas klarer zu fassen und schärfer zu umreißen. Im m erhin muß ich Herrn Reichsgerichtsrat Niet­ hammer daraus aufmerksam machen, daß viele V or­ schriften im Entwurf durchaus nicht genauer mo­ delliert sind. M it diesen Ausführungen scheinen mir die tech­ nischen Fragen schon mit erledigt zu sein. Wenn man § 1 nicht als Dachtatbestand, auch nicht als Hilfstat­ bestand, sondern als selbständigen Grundtatbestand ausgestaltet, dann wird die Frage eines besonderen Vorspruchs überhaupt nicht akut. Dieser Vorspruch wäre auch nur eine Verlegenheitslösung. Auch die Frage des Anschlags auf den Führer ist mitgelöst in dem Sinne, daß eine solche T at Verrat im engeren Sinne ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren, ich habe einmal versucht, das Ge­ meinsame zusammenzusaffen: Ein Deutscher, der es unternimmt, die Freiheit seines Volkes, die Macht oder die Einheit des Reiches zu schmälern oder die Grundordnung des völkischen Lebens zu zerstören, macht sich des schwersten Treubruchs gegen sein Volk schuldig und wird als Volksverräter bestraft. S o würden sich mir die Worte formen. Ich bin der Meinung, der Landesverrat trifft in erster Linie die Macht des deutschen Volkes; die Freiheit kann man nur auf Stelzen erreichen. Nun knüpfen sich zwei Fragen an: Soll man das hier oder am Eingang des Strafgesetzbuches aussprechen, und entsteht durch einen solchen Ausspruch nicht eine gewiffe Schwierigkeit in bezug auf die subjektive Seite der Tatbestände, die nachher kommen? Mich würde es gar nicht stören, wenn nachher kommt: Wer ein Festungsgelände be­ tritt und seinen Namen falsch a n g ib t. . . Senatspräsident Grau: Daß der stärkste innere Zusammenhang zwischen Hochverrat und Landesverrat besteht, ist unzweifel­ haft. E s handelt sich in beiden Fällen um den schwersten Treubruch des Volksgenoffen gegenüber seinem Volk. M an hat versucht, Unterschiede in den Täterpersönlichkeiten bei den beiden Delikten festzu­ stellen. Aber gerade diesen Unterschied vermag ich am wenigsten anzuerkennen. Es ist uns allen schmerzlich, daß der Volksgerichtshof gegen angeklagte Kommu­ nisten nicht auf Aberkennung der bürgerlichen Ehren­ rechte erkannt hat mit der Begründung, daß die Täter aus politischer Überzeugung gehandelt hätten. Auch bezüglich des Unrechtsgehalts und des Angriffsobjekts besteht kein Unterschied zwischen beiden Delikten. Die Unterbringung von Landesverrat und Hochverrat in e i n e m Abschnitt ohne Unterabschnitte liegt daher für mich auf der Hand. M an kann auch die einzelnen Tatbestände durchaus nebeneinander bringen. E s ist aber eine andere Frage, ob man diese Zusammen­ gehörigkeit auch dadurch zum Ausdruck bringen will, daß man einen gemeinsamen Grundtatbestand auf­

stellt. Hier müssen wir berücksichtigen, daß die Grenzen der Strafbarkeit beim Landesverrat und beim Hoch­ verrat sehr verschieden sind, daß z. B. beim Hochverrat anders als beim Landesverrat schon jede Borberei­ tungshandlung bestraft werden muß, daß ferner die Delikte des Landesverrats aus den Erfolg abgestellt sind, ein Gedanke, der beim Hochverrat einfach un­ möglich ist. Erhebliche Unterschiede bestehen auch be­ züglich der Strafdrohungen. F ü r hochverräterische Taten ist die schwerste Strafe nur am Platz, wenn sie mit Gewalt begangen werden. Der Landesverrat aber wird fast niemals mit Gewalt begangen. Alle diese Schwierigkeiten können meines Erachtens kaum überwunden werden. Bestes Zeichen dafür ist ja auch die Tatsache, daß der vorgeschlagene § 1 die häufigst vorkommenden Fälle des Landesverrats überhaupt nicht umfaßt, sondern nur kaum vorstellbare mehr theoretische Fälle. Ich würde einen Grundtatbestand sehr begrüßen, sehe aber einen gangbaren Weg für einen solchen Vorschlag einstweilen noch nicht. Noch ein kurzes Wort zur Bestrafung des Aus­ länders. Daß das echte Verratsdelikt nur der Deutsche begehen kann, ist selbstverständlich. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Bestrafung des Ausländers nicht so einfach geregelt werden kann, wie es in dem Gleispachschen Vorschlag vorgesehen ist. Ich erinnere daran, daß wir Tatbestände haben, die nur den Deutschen mit Strafe bedrohen, die eine gleiche S tra f­ drohung für I n - und Ausländer haben, und solche, die eine verschiedene Strafe für I n - und Ausländer androhen. Wenn es überhaupt einen Weg eines be­ sonderen Abschnitts für den Ausländer gibt, so scheint mir nur der Weg gangbar zu sein, den die Sachbear­ beiter des Ministeriums vorgeschlagen haben. Sicher sind aber die notwendigen Verweisungen in diesem Vorschlag scheußlich; und ich glaube deshalb doch, daß insofern die Methode des Entwurfs noch die beste ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die eine Frage des Herrn Kollegen Grau möchte ich auch stellen: Glauben S ie nicht, daß S ie mit Ih re r Fassung den Landesverrat überhaupt der Todesstrafe entziehen? D araus ergibt sich wieder, daß § 1 ein Dachtatbestand überhaupt nicht ist. Professor Dr. Nagler: Ich werde zu den §§ 35 ff. zu referieren haben, die bisher unter dem Namen „Volksverrat" gingen. W ir sind zu diesem Namen deshalb gekommen, weil w ir für die schwersten Angriffe gegen die rechtlich organisierte Volksgemeinschaft bereits die Bezeichnungen Hochund Landesverrat verwendet hatten und nun von der rechtlich nicht organisierten Volksgemeinschaft aus­ gehend diese besonderen Tatbestände kennzeichnen wollten. Aber schon damals hatten wir das Bedenken, daß der Ausdruck „Volksverrat" für die §§ 35 ff. zu eng ist. Ich begrüße es daher durchaus, wenn wir jetzt eine Namenumstellung vornehmen. Dann ist der Abschnitt §§ 35 ff. freilich namenlos geworden; ich würde jetzt vorschlagen: „Verrat am deutschen Volke".

W as die Ausgangsstellung für diesen Abschnitt anlangt, so tritt hier die Volksgemeinschaft als solche in die Erscheinung. Sie bildet einen selbständigen Organismus; es geht um die Blut-, Sprach-, Kulturund schließlich auch Schicksalsgemeinschaft des deut­ schen Volkes. I n ihr finden wir die Substanz alles rechtlichen, staatlich-politischen und kulturellen Lebens. S ie ist älter als der S ta a t und kann auch ohne S taat existieren. Substantiell ist kein Unterschied zwischen S ta a t, Bewegung und Volk. C arl Schmitt hat diesen Gedanken einmal so ausgedrückt: „S taat, Volk und Bewegung sind unterschieden, aber nicht getrennt", substantiell völlig gleich, funktionell jedoch differen­ ziert. Der Strafrechtsschutz der Volksgemeinschaft als solcher bildet eine ganz neue Materie. W ir werden bei den Formulierungen der Tatbestände vorsichtig vorgehen müssen, weil wir dafür keine Erfahrungen in der Rechtsprechung und keine dogmatischen Fun­ dierungen bisher haben. Die Generalklausel des § 1 des Antrags 73 berührt meine Materie mit den Worten „Angriff aus den Bestand des deutschen Volks­ tums". Ich möchte nicht, daß diese Materie in den seitherigen Hoch- und Landesverrat einbezogen werde; daß das deutsche Volkstum „zerstört" werden könnte, ist schlechterdings unvorstellbar. Die Generalklausel des § 1 hat zwei Funktionen, sie löst unsere bisherigen Bestimmungen über den Hochverrat vollständig ab, und sie schafft für den bis­ herigen Landesverrat einen Grundtatbestand, der zur Anwendung kommt, soweit nicht spezielle Bestimmun­ gen getroffen sind. Hinsichtlich der Formulierung des § 1 würde ich mich an der Wendung „Freiheit des deutschen Volkes" stoßen; gemeint ist die Souve­ ränität des Reiches. Wir sprechen vorher von der „Einheit des Reiches", es handelt sich um die Unab­ hängigkeit des Deutschen Reiches. Den Gedanken der Souveränität hat unser bisheriges Rechtsdenken so klar entwickelt, daß wir ihn unbedingt verwenden können. Den „Bestand des deutschen Volkstums" würde ich überhaupt herausnehmen und für die §§ 35 ff. reservieren. Endlich scheint mir „völkische Grundordnung" viel zu weit zu sein. Der Ausdruck ist außerordentlich mißverständlich, auch die sittliche und die religiöse Ordnung gehören z. B. zur Grund­ ordnung des Volkes. Ich frage mich nun, besteht ein Bedürfnis für die in § 1 enthaltene Ausweitung, also einmal dafür, den Hochverrat ganz allgemein zu fassen, und zum an­ deren, eine subsidiäre Bestimmung für den bisherigen Landesverrat ins Leben zu rufen? Ich selbst halte zwar zum Hochverrat eine Ergänzung der bisherigen Vorschläge für notwendig; denn ich glaube, daß es nicht angeht, den Angriff auf die rechtliche Grund­ ordnung nur auf Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu beschränken. I m übrigen aber sind die Tatbestände, die w ir formuliert haben, so gut durchgearbeitet, daß wir dem Richter eine ganz klare Richtlinie geben. Ich würde daher die bisherigen Formulierungen des Hochverrats vorziehen. Zum Landesverrat bin ich auch der Meinung, daß wir uns klar werden müssen, welche Lücken bestehen.

Die praktischen Erfahrungen mit der Novelle können allein darüber belehren. Soweit ein praktisches Be­ dürfnis besteht, sollten w ir in Einzeltatbeständen die Ergänzung bringen. Die Entwicklung des Landes­ verrats ist ganz zweisellos heute noch nicht so weit vorgeschritten, daß wir schon die Schlußbilanz in einer Generalbestimmung ziehen können. Nun das Verhältnis des bisherigen Hoch- und Landesverrats zu einander. Ich begrüße ihre Zu­ sammenfassung zum Volksverrat. Die bisherigen Schwierigkeiten der Grenzziehung und der Konkur­ renzen entfallen damit. Ich bin der Meinung, daß die Differenzierung zwischen Hoch- und Landesverrat dogmatisch sehr wertvoll gewesen ist, weil wir uns daran gewöhnten, die Tatbestände spezieller und ge­ nauer zu sehen. Aber ich glaube, die Entwicklung ist jetzt so weit gediehen, daß wir wieder die Zusammen­ fassung unter dem großen Gedanken der Sicherheit des Reiches vornehmen können. Dann wird auch das alte Streitobjekt Gebietsverrat entfallen. Nun die Frage: Wer soll Täter sein? Es ist die alte Frage, ob wir von dem Deutschen, der treulos ist, oder von dem Sicherheits- und Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft ausgehen sollen. W ir haben bisher den zweiten Ausgangspunkt gewählt uyd sind uns da­ bei darüber klar gewesen, daß wir den Deutschen und den Ausländer nicht ganz gleich behandeln können. Die Differenzierung tritt jetzt wegen der Achtung, in ein akutes Stadium ; diese bedeutet ja die Ausschei­ dung aus der deutschen Volksgemeinschaft. Ich glaube, es ist doch letztens eine Frage der Technik, wie wir das gesamte M aterial am besten zur Darstellung brin­ gen. Ich hätte durchaus nichts dagegen, daß man erst den Deutschen als Täter bezeichnet und dann in einem neuen Abschnitt den Ausländer anschließt, unter der Voraussetzung, daß es sich technisch lesbar machen läßt. I n erster Lesung waren w ir uns darüber klar, daß ein Teil der Tatbestände des Hochverrats den Führer­ schutz mit umfaßt. Die inzwischen eingetretene Än­ derung der Verfassung des Reichs erzwingt jetzt die selbständige Organisation des Führerschutzes im neuen Volksverrat. Zusammenfassend wende ich mich gegen den vorgeschlagenen Generaltatbestand aus grundsätz­ lichen und speziellen Erwägungen. Ebenso erkläre ich mich gegen Voransetzung eines Leitmotivs oder von Orientierungspunkten vor den Abschnitt „Volksver­ rat", denn wenn wir das hier tun, müssen wir es auch an anderen Stellen wiederholen. Aber allenfalls könnten wir den Grundgedanken in dem Vorspruch erwähnen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s ist immer wieder die Vorstellung, man sollte einen Generaltatbestand schassen, und demgegenüber die Vorstellung, man sollte ein Bekenntnis voran­ stellen. Den Einwand, dann müßte man es überall tun, würde ich nicht für durchschlagend halten. Es ist erörtert worden, ob man es in einem allgemeinen Vorspruch tun kann. Meine Herren, darauf bitte ich die Diskussion allein zu beschränken.

Ich möchte noch einmal zusammenfassen: 1. W ir sind jetzt soweit, daß ich auch nach der Äußerung des Herrn Professor Dr. Nagler annehmen darf, das Wort Volksverrat soll nicht für die Ehrangriffe ver­ braucht werden. 2. M an will versuchen, über Hochund Landesverrat gemeinsam etwas auszusagen; diese gemeinsame Aussage ist im Vorschlag Dahm mit einer Strafdrohung verbunden worden. Dagegen sind Be­ denken erhoben worden. Professor Dr. Mezger: Ich bin meinerseits im Gebiete des V errats am deutschen Volke f ü r den Vorschlag eines Generaltat­ bestandes, der an die Spitze zu stellen wäre. Ich glaube aber, daß aus diesem Vorschlag noch nicht alle notwendigen Folgerungen gezogen sind. Meines E r­ achtens handelt es sich darum, aus dem Landesverrat und dem Hochverrat ein einheitliches Delikt heraus­ zuheben und an die Spitze des Strafgesetzbuchs zu stellen. Herr Reichsgerichtsrat Niethammer hat sich gegen einen solchen Generaltatbestand erklärt und sich für diese Ablehnung auf seine Erfahrungen als Richter berufen. W ir müssen aber fragen, ob gerade d i e E r­ fahrung, auf die Bezug genommen wird, uns hier etwas Entscheidendes sagen kann. Ich halte dies für fraglich; denn es handelt sich dabei um die Erfahrung des Zwischenreichs, die wir mit der genannten Be­ stimmung nicht kodifizieren wollen. W ir müssen des­ halb hier von der Idee und nicht von der Induktion aus der Erfahrung ausgehen. I n ihren Grundgedanken weisen die §§ 1 und 2 des Dahmschen Vorschlags in die richtige Richtung. Sachlich wird aus dem Landesverrat und dem Hoch­ verrat ein neues Delikt des Volksverrats gebildet. D as ist aber noch nicht mit der notwendigen Folge­ richtigkeit gelungen. Mißlich ist, daß in § 1 vom Landesverrat fast nichts enthalten ist. Ich darf in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit auf § 9 Abs. 3 des Entwurfs lenken. Der Verrat nach dieser Definition ist etwas ganz anderes als das, was wir in § 1 unter Verrat verstehen wollen. Die Definition des § 9 Abs. 3 beschränkt sich auf den Verrat, genauer gesagt: auf das Aufdecken von Staatsgeheimnissen. Wenn wir aber mit dem neuen Tatbestand ernst machen wollen, dann muß dieses allgemeine V errats­ delikt aus der A n g r i s s s r i c h t u n g des Täters her gekennzeichnet werden. D arin liegt das Wesent­ liche. Deshalb ist in dem Dahmschen Entwurf aus richtigem Gefühl heraus der Tatbestand in die Form des Unternehmens gekleidet. D as ist hier nicht ge­ dacht als Abgrenzung von Versuch und Vollendung, sondern ist eine Kennzeichnung der Angriffsrichtung. Dieser Grundgedanke einer bestimmten Angriffsrich­ tung gegen die völkische Grundordnung ist etwas an­ deres als das, was bisher dem Landesverrat zu­ grunde lag. Ich begrüße diesen neuen Grundgedanken deshalb, weil er den wirklichen und echten Landes­ verrat aus einem Wust von Einzelbestimmungen herausschält, die bisher teilweise sein Wesen ver­ dunkelt haben.

Aus diesen Erwägungen heraus muß ich dem Vor­ schlag von Herrn Kollegen Henkel, den Generaltat­ bestand ohne Strafdrohung zu lasten, entgegentreten. Dieser Vorschlag ist als Vergleichsvorschlag gedacht. Es ist aber kein Vergleich, wenn man dem einen alles nimmt und dem anderen nichts gibt. Denn ein Ge­ neraltatbestand ohne Strafdrohung ist ein bloßer Vorspruch. Auch die Konsequenzen des Verhältnistes zwischen Generaltatbestand und Einzeltatbestand scheinen mir noch nicht gezogen zu sein. Herr Profeffor Dahm w ar der Ansicht, die Anwendung des § 1 mäste entfallen, wenn einer der Einzeltatbestände erfüllt sei. D as scheint mir unmöglich zu sein. M an kann den Täter nicht dafür privilegieren, daß er zu seinem Verrat einen bestimmten Weg gegangen ist. D as Verhältnis kann nur das sein, daß Generaltatbestand und Einzel­ tatbestände nebeneinander stehen und der Generaltat­ bestand v o r geht, wenn besten Voraussetzungen vor­ liegen. D as bedeutet, daß alle Einzeltatbestände des Entwurfs einer ganz gründlichen Revision unterzogen werden mästen. Die Einzeltatbestände, die nur unter § 1 fallen, mästen verschwinden. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich bin Herrn Profestor Mezger sehr dankbar, daß er mit unwiderleglicher Schärfe den Punkt, um den es sich handelt, herausgestellt hat, nämlich ob wir einen echten Tatbestand schassen wollen oder nicht. Nun wäre ich den Herren, die dafür plädieren wollen, dankbar, wenn sie herausarbeiten: 1. Wie soll dieser lauten? 2. Was soll aus den §§ 1 bis 15 werden? Folgerichtig müßte man sagen, daß man weitere ein­ zelne Tatbestände überhaupt nicht brauche. Ich möchte hier daraus hinweisen, daß der Kriegsminister aus­ drücklich angemeldet hat, daß wir Spezialtatbestände brauchen. Ein Dachtatbestand, der alles umfaßt, muß eine Strafdrohung von der Todesstrafe bis zum Ge­ fängnis enthalten; das ist eindruckslos und ausdrucks­ los. Ich wäre dankbar, wenn die Herren, die einen Dachtatbestand wünschen, den Wortlaut geben wollten. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Daß w ir uns mit § 1 so lange beschäftigen, zeigt, daß wir fühlen, diesem Vorschlag liegt ein guter Ge­ danke zugrunde. Ich halte diesen Gedanken sogar für ganz ausgezeichnet. Es fällt aber sofort auf, daß wir mit diesem § 1 praktisch nichts ansangen können. Die Väter des Gedankens sollten einmal versuchen, mit dieser Bestimmung Recht zu sprechen. Hinzu­ kommt, daß an den Einzeltatbeständen mit Rücksicht aus das Kriegsministerium in keiner Weise gerüttelt werden darf. Die Folge ist, daß sich Einzeltatbestände und § 1 sehr stark überschneiden werden, was not­ wendig eine gewisse Unsicherheit zur Folge hat. Un­ sicherheit sollte aber gerade auf diesem schwierigen Gebiet peinlich vermieden werden. Aus diesen Erwägungen heraus taucht der Ge­ danke auf, die Strafdrohung in tz 1 zu streichen. Also keinen Grundtatbestand zu schassen, sondern nur einen

Borspruch voranzuschicken, der in erster Linie ein leuchtendes F anal für den sein soll, der das S traf­ gesetzbuch liest, der aber auch den Richter darauf hin­ weist, daß die nachfolgenden Taten die Taten des Verräters sind. Dieser Gedanke des Vorspruchs un­ mittelbar vor der Trilogie Landesverrat, Hochverrat und Bolksverrat (Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes) scheint mir sehr richtig zu sein. M an könnte einwenden, bei anderen Abschnitten hätten wir einen solchen Vorspruch nicht. Dieser Gegensatz scheint mir aber berechtigt zu sein, weil wir hier die Hauptsache, die Grundfesten des deutschen Volkes schützen wollen. I n diesem Vorspruch würde ich als Angrifssobjekt herausstellen die Einheit des Reiches, die Freiheit des Volkes und die deutsche Volksgemeinschaft. Dann brauchen wir die Parteienbildung, die Volkszersetzung und die Beschimpfung des deutschen Volkes nicht be­ sonders zu erwähnen, weil wir dies alles unter dem Gesichtspunkt der Volksgemeinschaft wieder finden. Wenn dieser Gedanke gebracht werden soll, dann würde ich ihm also folgende Fassung geben: Der Deutsche, der es unternimmt, die Einheit seines Reiches, die Freiheit seines Volkes und den Bestand seiner Volksgemeinschaft zu ver­ raten, ist des Volksverrats schuldig. Ich wiederhole nochmals, daß ich den Gedanken, >einen Hammeltatbestand zu finden, für einfach un­ möglich halte. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte nur meine Stellungnahme kurz skiz­ zieren. Ich weiche wesentlich von Herrn Präsident Thierack ab und möchte in allen wesentlichen Punkten dem Herrn Staatssekretär beitreten. Ich bin der Meinung, daß man versuchen soll, die Abschnitte Hochund Landesverrat zu einem Abschnitt Volksverrat zusammenzufassen, und daß man an die Spitze dieses Abschnitts einen Tatbestand setzen soll, der die wichtig­ sten Fälle im Sinne eines echten Verbrechenstatbestandes wiedergibt. Dieser echte Verbrechenstatbestand hat nichts mit einem Generaltatbestand gemeinsam; das kann er auch nicht haben, weil er nicht alle Fälle umfassen kann. Dieser Tatbestand hat auch nicht die Bedeutung eines Dachtatbestandes, unter dem ich mir nichts vorstellen kann, oder eines Grundtatbestandes, wie ihn Herr Senatspräsident Grau nannte, der wohl dasselbe wie ein Dachtatbestand ist, sondern er ist ein echter Deliktstatbestand. Ich glaube, daß es gelingen muß, einen solchen Tatbestand zu schaffen, wenn man sich nu r das Ziel setzt, die bedeutsamsten Fälle heraus­ zugreifen. D as ist beim Hochverrat ohne weiteres möglich, wenn man die §§ 26 und 27 aufnimmt; ich meine, es müßte auch beim Landesverrat möglich sein. Wenn es uns gelingt, einen solchen Tatbestand zu schaffen, dann haben wir eine sehr wuchtige Einlei­ tung für den Abschnitt über den Volksverrat; technische Gefahren sind daraus nicht zu fürchten. E s ist von vornherein klar, daß das Verhältnis dieses Tatbe­ standes zu den folgenden umgekehrt ist, als es Herr Professor Dahm wollte; der erste Tatbestand ist etwas anderes als die folgenden. Wenn die Formulierung

eines solchen Tatbestandes gelingt, möchte ich diesen Tatbestand einem Vorspruch vorziehen. Ich möchte auch glauben, daß wir zu einem bloßen Vorspruch keinen Anlaß haben, weil es in der Vorstellung jedes Volksgenossen lebt, daß diese T at besonders verab­ scheuungswürdig ist. Zu dieser Erwägung kommt ein technischer Grund. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man nach einem solchen Vorspruch fortfahren will. Der folgende Paragraph wird diesen Vorspruch gleich wieder in Einzelsälle auflösen müssen, die diese S tra f­ drohung wiederholen; das würde mir nicht möglich erscheinen. Wenn man an die Spitze des Abschnitts diesen echten Verbrechenstatbestand stellt, erreicht man allerdings nicht, daß dieser Paragraph die Funktion übernehmen könnte, Lücken auszufüllen. Ich möchte allerdings einstweilen glauben, daß wir einen P a ra ­ graphen mit dieser Funktion nicht brauchen. Sicher brauchen wir ihn nicht beim Hochverrat, wo wir eine subsidiäre Generalklausel haben; beim Landesverrat müßte man sich überlegen, ob ein Bedürfnis dafür besteht. M an kann das Bedürfnis nicht mit der von Herrn Professor Dahm gegebenen Begründung be­ jahen, daß man sagt: W as beim Hochverrat nötig ist, ist auch beim Landesverrat nötig. Ein Wort darüber, wie die §§ 1 bis 15 zu ge­ stalten seien. Ich würde glauben, daß man sie sich darauf ansehen soll, ob einer dieser Paragraphen neben dem voranzustellenden Tatbestand entbehrlich ist; ich glaube, sie werden mehr oder weniger alle nötig sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist wieder ein Schritt weiter. W ir haben gehört, was in einem echten Tatbestand, wenn wir darauf abkommen wollen, stehen soll. Ich glaube, der sachliche In h a lt der §§ 26 und 27 des Entwurfs ist in der Dahmschen Fassung ungefähr aufgenommen. Es würde sich nur fragen, ob wir aus dem sachlichen I n ­ halt der gedruckten Landesverratsbestimmungen einige Fälle herausnehmen wollen; denn so, daß wir unter dem Landesverrat alle Fälle des Geheimnisverrats verstehen, geht es nicht. Bei der Lösung, die Herr Ministerialdirektor Schäfer vorgeschlagen hat, kann ein Verhältnis der Subsidiarität zwischen den ein­ zelnen Paragraphen nicht entstehen. Staatsanwaltschaftsrat (Stiert: Meines Erachtens ist der Wunsch, der die D is­ kussion verursacht, doch ein zweifacher. M an will ein­ mal ein Strafgesetzbuch schaffen, das plastisch und dem Volke verständlich ist. Sodann sollen die Lücken der geltenden Kasuistik ausgefüllt werden. Ich bin der Ansicht, daß beide Wünsche unbedingt erfüllt werden müssen. F ü r die volkstümliche Fassung der Gesetzes­ vorschriften haben wir ja bereits im Entwurf Vor­ bilder. Ich erinnere an die Tätertypen des Räubers und des Mörders. E s ist schon ohne weiteres plastischer, wenn man nicht vom „V errat", sondern vom „Verräter" spricht. Der Typ des Verräters ist uns von Jugend aus eingeimpft. W ir dürfen aber den Verratsgedanken nicht beschränken auf den Hochverrat

und Landesverrat im bisherigen Sinne, sondern wir müssen ihn ausdehnen auf den Wehrverrat. Denn gerade in der Zersetzung des Wehrwillens sehe ich den Landesverrat im eigentlichen Sinne. Voraus­ setzung äußerer Machtstellung des Reiches ist ein starker Wehrwille und eine schlagkräftige Wehrmacht. Ich erinnere an Äußerungen intellektueller Landes­ verräter, „nachdem die Körper entwaffnet seien, müßten auch die Geister entwaffnet werden", und „es müsse dafür gesorgt werden, daß die Kategorie der Helden aussterbe". Auch die Wehrmittelbeschädigung wird regelmäßig Landesverrat sein, weil sie dem Ausland Vorschub leistet und auch meist mit dieser Absicht begangen wird. Darüber hinaus gehört der Fall des § 35 des Entwurfs, d. h. die echte Volks­ verleumdung hierher. Wer sein Volk verleumdet, ist ein Verräter. Ich bin auch der Ansicht, daß ein Vorspruch nicht genügt. M an sollte vielmehr den Tätertyp des Ver­ räters schaffen. M an sollte auch nicht nur einen programmatischen Satz in das Gesetz aufnehmen, sondern eine Anleitung für den Richter, die gerade in der Herausstellung dieses Tätertyps liegt. W ir werden sicher nicht bei allen Titeln Tätertypen schaffen können. Zweifellos aber hier. D as bedeutet die ernste Aufforderung an den Richter, zu einer Analogie zu greisen und keine Lücke entstehen zu lasten, wenn ein derartiger Verräter vor ihm steht. Ich würde also diesen Abschnitt in folgender Weise einleiten: E in Deutscher, der die äußere Machtstellung, insbesondere die Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes, der den inneren Bestand des Deutschen Reiches untergräbt — ein Deutscher, der sein Volkstum verrät, ist ein Volksverräter. Als Volksverräter wird insbesondere bestraft, wer folgende Straftaten begeht___ Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W as hier vorgeschlagen wird, ist der Vorspruch, denn der Satz enthält keine Strafdrohung. Eines müssen wir uns klar machen: J e mehr S ie in diesen Tatbestand hineinschreiben wollen — nach dem Vorschlag Ebert sind es jetzt 14 Tatbestände ge­ worden — , desto weniger paßt eine einheitliche S tra f­ drohung. Wenn wir den echten Tatbestand Dahmscher Prägung aufnehmen wollen, dann können nur die groben Fälle hineingestellt werden, und alle Fein­ arbeit muß nachgeholt werden. Staatssekretär Dr. Freisler: D as Grundsätzliche und Technische des Problems ist bereits klar herausgearbeitet worden. Bisher ist aber die Frage noch nicht entschieden, ob für uns Hochverrat und Landesverrat dasselbe ist. E s hat sich auch noch niemand zu meiner Behauptung ge­ äußert, daß hierbei ein Trennungsdenken nur möglich ist, wenn man den Nationalsozialismus als etwas Vorübergehendes ansieht. F ü r mich ist es selbstver­ ständlich, daß Hochverrat und Landesverrat dasselbe

ist. Wenn aber kein innerer Unterschied besteht, dann wäre es traurig, wenn wir dafür nicht einen echten Tatbestand finden würden. Herr Professor Dahm hat jetzt eingeräumt, daß sein § 1 ein echter Tatbestand sein soll. Wir brauchen dann nichts anderes zu tun, als dieses neue Delikt des Volksverrats so zu um­ schreiben. Volksverrat ist aber zunächst nicht die Spionage. Ich kann diese nicht als den Landesverrat im eigentlichen Sinne ansehen, weil er dem Ausland erst die M i t t e l in die Hand gibt, die Freiheit des deutschen Volkes zu beeinträchtigen. Spionage ist nicht Verrat im eigentlichen Sinne, sondern nur eine besonders gefährliche Handlung. W ir müssen nun versuchen, eine genauere Gliede­ rung zu schaffen. Ich denke mir vier Gruppen: 1. Volksverrat, 2. Spionage, d. h. die §§ 2 bis 7 des Entwurfs, 3. Volksverhetzung, das sind die Delikte, denen Herr Reichsgerichtsrat Niethammer mit Recht den Charakter des Hochverrats absprechen will, 4. Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes. Nun einige Einzelfragen: Was wäre unter diesem Volksverrat im engeren S inne zu verstehen? Ich würde dazu rechnen den Separatism us, die Tätigkeit Försters, den Kriegsverrat, den diplomatischen Landesverrat und den Versuch der selbständigen Reichspolitik (ich erinnere an Röhrn); hierher gehört ferner, wie ich schon zu Beginn der Debatte erwähnt habe, der Anschlag auf den Führer. Ferner sind Volksverrat die Hauptdelikte des Hochverrats im bis­ herigen Sinne. Von den Angriffen auf die Ehre des Volkes rechne ich hierher die echte Volksverleumdung, aber auch nur diese. Wer unwahre Behauptungen wider besseres Misten ausstellt, der ist ein Verräter. Damit ist mir klar geworden, daß als weitere Folge dieser Allsfassung die Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes den zweiten Unterabschnitt bilden müssen. Ich würde also jetzt so aufbauen: 1. Volks­ verrat, 2. Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes, 3. Spionage, 4. Volksverhetzung. Jetzt bin ich, Herr Minister, noch verpflichtet, Ih re r Aufforderung entsprechend, einen Formulie­ rungsvorschlag für den Volksverrat zu machen. D as kann ich aber im Augenblick nicht. Ich glaube jedoch, daß wenige Stunden ausreichend sind, um eine geeig­ nete Formulierung zu finden. Den technischen Weg für diese Formulierung kann ich aber jetzt schon an­ geben. Ich halte nämlich insoweit das für richtig, was Herr Ebert vorgeschlagen hat. Herr Ebert dachte sich die Formulierung wohl ähnlich, wie wir sie beim Mord gewählt haben. Es sollen einige Tatbestände als Beispiele des Grundtatbestands gebracht werden. Ich würde einen solchen Ausbau für den technisch besten halten, und ich glaube auch nicht, daß dagegen andere Restorts Bedenken geltend machen können. Ich darf noch einmal meine grundsätzliche Auf­ fassung betonen. Wenn Hochverrat und Landesverrat ein und dasselbe sind, dann muß sich auch ein echter Tatbestand dafür finden lasten. Wenn er sich nicht finden läßt, dann handelt es sich eben um kein einheit­ liches Verbrechen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: So kämen wir wieder dazu, den Begriff Volks­ verrat gar nicht eingeschränkt, sondern noch viel weiter zu gebrauchen. Es sollen darunter auch Spionage, Ehrverletzung und Verhetzung fallen. W as eben vor­ geschlagen ist, scheint mir nicht das Thema „Grund­ tatbestand", sondern das Thema „Einteilung des Abschnitts" zu sein. Staatssekretär Dr. Freisler: Nein, es ist eine andere Betrachtung; es ist der Versuch, das Verbrechen des Volksverrats, das un­ teilbar ist, zu umreißen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Aber bei der Umreißung ist es zu einer großen Erweiterung gekommen, indem jetzt neben Hoch- und Landesverrat, den ich in seinen großen Formen als Volksverrat bezeichnen möchte, auch noch Spionage, Bolksverhetzung und Ehrverletzung treten. Staatssekretär D r. Freisler: Bezüglich des Landesverrats geht mein Vorschlag von folgendem aus: W ir haben einen Landesverrats­ tatbestand überhaupt nie gehabt, sondern nur eine Reihe von Einzeltatbeständen, und wir haben die Spionage fälschlich als Landesverrat betrachtet. Ich bin nicht der Meinung, daß es eine Ausweitung be­ deutet, sondern daß man sich jetzt darüber klar wird, was bisher mit Recht Hochverrat und mit Recht Landesverrat war, und daß man diese beiden als ein einheitliches Delikt erkennt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe es vielleicht mißverstanden, ich war der Meinung, daß Spionage, Ehrverletzung und Ver­ hetzung auch unter den großen Titel Volksverrat ge­ setzt werden sollen. Staatssekretär D r. Freisler: Ich wollte einen Abschnitt mit vier Unterab­ schnitten. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Meine Herren, S ie sehen an der Darstellung des Herrn Staatssekretärs, wie schwierig es ist. Der Herr Staatssekretär sagt, Spionage ist nicht Landesverrat, weil das Volk sie als solche, d. h. selbständig betrachtet. Wer das Geheimnis haben will, der treibt sicher S pio­ nage, aber der Deutsche, der es sich beschafft, begeht Landesverrat, denn er beschafft es sich, um es zu ver­ raten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn ich die Gruppen 2 bis 4, die besondere Formulierungen brauchen, unterscheide, dann tritt jetzt wieder mein ursprünglicher Wunsch nach einem Wortausdruck für dieses Einheitsdelikt auf. Diesem selben Wunsch dienen alle bisher vorgeschlagenen Formeln. Professor Dr. Henkel: I n der praktischen Zielsetzung scheinen mir nach dem Verlaus der Aussprache drei Meinungen zu be­

stehen. Die erste ist die von den Antragstellern, den Herren Gras Gleispach, Dahm und Schafsstein ver­ tretene; danach soll ein Grundtatbestand gebildet werden, der möglichst umfassend gedacht ist. Herr Ministerialdirektor Schäfer wünscht einen Grundtatbe­ stand, der die in diesem Abschnitt behandelten schwersten Verbrechen vorwegnimmt, also sozusagen nur „die groben Klötze" enthält, und deshalb eng zu fasten ist. Die dritte Auffassung geht dahin, einen Richtlinien­ tatbestand ohne Strafdrohung zu schaffen, um den Grundgehalt dieses Abschnittes vorauszustellen. Dies ist die Aussastung, die von Herrn Präsident Thierack, von Herrn Ebert und mir übereinstimmend vertreten wird. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Meine Herren, wir müssen jetzt abbrechen. (Pause von 13.15 Uhr bis 17.15 Uhr.) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren, wir haben inzwischen eine Reihe von Unterhaltungen gehabt, die folgendes ergeben haben: 1. D as neue Strafgesetzbuch soll die Ausdrücke Hochverrat und Landesverrat an keiner Stelle ge­ brauchen. 2. Der Ausdruck Volksverrat soll für die Tatbestände gebraucht werden, die man früher zum Teil als Hochverrat, zum Teil als Landesverrat be­ zeichnet hat. 3. Wie soll zum Ausdruck kommen, was nun als Volksverrat angesprochen werden soll? D as ist eine technische Frage, über die wir uns jetzt nicht zu unterhalten brauchen. Eine Skizze würde davon ausgehen, daß man als Abschnittsüberschrift etwas allgemeiner den Ausdruck „Verrat am deutschen Volke" und als Unterüberschrift den Ausdruck „Volks­ verrat" gebraucht und darin hineinnimmt als echte und wahre Strastatbestände: 1. „Ein Deutscher, der es unternimmt, die Unabhängigkeit des Reichs oder die Unversehrtheit des Reichsgebiets anzutasten oder durch Gewalt oder Bedrohung mit Gewalt die völ­ kische Grundordnung umzustürzen, wird als Volks­ verräter geächtet und mit dem Tode bestraft." 2. „Ein Deutscher, der einen Anschlag aus Leib oder Leben des Führers verübt oder vorbereitet, wird als Volks­ verräter geächtet und mit dem Tode bestraft." 3. „Ein Deutscher, der es unternimmt, einen Krieg oder Zwangsmaßregeln gegen das Reich usw. herbeizu­ führen, wird geächtet und mit dem Tode bestraft." Diese drei Tatbestände sollten den Volksverrat bilden. Die Meinungen der Herren, mit denen ich gesprochen habe, gingen dahin, den Geheimnisverrat nicht schlechthin in dieses Gebiet zu nehmen, sondern unter der Überschrift Geheimnisverrat zu bringen. M it diesem Vorschlag, mit dem sich auch die Herren Schafs­ stein und Dahm einverstanden erklärt haben, wäre nach der positiven Seite erreicht: Es wäre das Trennungsdenken abgelöst und die Gefahr vermieden, daß man etwas schafft, was kein Straftatbestand ist oder ein Tatbestand, dem nachher Beispiele folgen. Wenn wir von diesem Ausgangspunkt ausgehen, glaube ich, könnten wir die Straftatbestände, die jetzt kommen, ungefähr übernehmen, wobei bloß zu er-

wägen wäre, ob einige von ihnen zusammenzuziehen wären. Halten die Herren dies auch für richtig und empfehlenswert? Professor Dr. Kohlrausch: Ich möchte nur zwei kleine Zweifelsbemerkungen machen. Ich frage: Is t der Ausdruck „anzutasten" überhaupt auslegbar? Bestehen ferner nicht sehr starke Überschneidungen mit dem Geheimnisverrat? Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nein, es heißt Unabhängigkeit des Reichs. D as wurde auch erwähnt. Ministerialdirektor Schäfer: Es ist doch nur eine andere Fassung für § 26, Herr Professor Kohlrausch. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Möglichkeit von solchen Überschneidungen be­ steht, obwohl versucht worden ist, einen echten S tra f­ tatbestand zu schaffen. Professor Dr. Mezger: Ich möchte mich mit diesem Aufbau einverstanden erklären, weil darin zum Ausdruck kommt, daß die Fälle des Geheimnisverrats nicht alle unter dem­ jenigen Gesichtspunkt gesehen werden können, den § 9 Abs. 3 des Entwurfes enthält. Gegen die Über­ schneidung des Haupttatbestandes mit den einzelnen kleineren Tatbeständen kann ein ernsthaftes Bedenken nicht geltend gemacht werden; denn diese Überschnei­ dung liegt im Wesen der Sache. D as ist eine einfache Konkurrenzfrage. Meines Erachtens besteht das Ver­ hältnis der Gesetzeskonkurrenz mit Vorrang des Generaldelikts. Wollte aber einmal ein Richter Jdealkonkurrenz annehmen, so wäre auch das un­ schädlich. Der Vorteil des neuen Aufbaus scheint mir darin zu bestehen, daß jetzt die Fälle des V errats von Staatsgeheimnissen richtigerweise in zwei ihrem Wesen nach verschiedene Gruppen geteilt werden. Landgerichtsdirektor fieimcr: Ich kann mich mit dem soeben bekanntgegebenen Vorschlag einverstanden erklären. Ich wollte zu der bisherigen Debatte im wesentlichen auch ausführen, daß man den Tatbestand, den die Herren Gras Gleispach, Schasfstein und Dahm vorgeschlagen haben, in dieser Form nicht brauchen kann, daß man ihn aber auch nicht als echten Verbrechenstatbestand über­ nehmen sollte. Ich wollte deshalb vorschlagen, daß man die §§ 26, 27,1 Abs. 1, 10 Abs. 1 und 13 Abs. 1 hier zu einem echten Straftatbestand zusammenfaßt; das ist nunmehr geschehen, so daß ich mich weiter nicht zu äußern brauche. Professor D r. Nagler: W as das Grundsätzliche anlangt, kann ich durch­ aus zustimmen, denn es handelt sich weder um die Präam bel, noch um einen Grundtatbestand. Nach meinem Eindruck findet bloß eine Umgruppierung des bisher gebotenen M aterials statt. Die Bedenken des

Herrn Kohlrausch wegen der Überschneidungen teile ich nicht, weil sie auch schon bisher bestanden. Der Gedanke einer Jdealkonkurrenz kann doch nicht mehr aufkommen, das schwerere Delikt geht selbstverständ­ lich vor. Ich habe indessen nach wie vor allerschwerste Bedenken gegen die Wendung „völkische Grundord­ nung", weil sie überaus mißverständlich ist. M ir scheint die bisherige Fassung „rechtliche Grundord­ nung der Volksgemeinschaft" ganz unvergleichbar besser zu sein. S ie hat ja auch in dem Schrifttum und beim Reichsgericht vollste Zustimmung gesunden. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich war von vornherein der Auffassung, daß es möglich sein müßte, einen Tatbestand zu schassen, in dem beides zusammenkommt, nämlich Hochverrat und Landesverrat im g r o ß e n S i n n e . Die Absicht geht dahin, aus dem bisherigen Landesverrat nur die Herbeiführung eines Krieges oder einer Kriegsgefahr in diesen Haupttatbestand hereinzunehmen. E s ist sicher richtig, daß diese S traftat hierher gehört. Ich verstehe aber nicht, warum nicht auch das schwere Verbrechen der landesverräterischen Untreue einbe­ zogen werden soll. Dann ist die Frage aufgetaucht, ob ein solcher Haupttatbestand eine hinlängliche Abgrenzung gegen­ über den Fällen des Geheimnisverrats ermöglicht. Meines Erachtens werden hier die Gerichte nicht auf ernste Schwierigkeiten stoßen. Beim Geheimnisverrat liegen die Fälle in der Regel so, daß der Täter nicht den Vorsatz hat, die Freiheit des deutschen Volkes oder die Unversehrtheit des Reiches anzutasten. Ich möchte mich aber grundsätzlich gegen die Ausführungen von Herrn Professor Mezger wenden, wonach wir die Erfahrungen der letzten 15 Jahre hier überhaupt nicht benutzen könnten und berücksichtigen dürften. Meine Erfahrungen reichen über das Ja h r 1918 zurück und beziehen sich schließlich auch auf die Zeit nach 1933. F ü r mich ist entscheidend, daß die Erfahrungen, die für eine Trennung zwischen Hoch­ verrat und Landesverrat sprechen, sich aus den zahl­ reichen kleinen Fällen des Lebens ergeben. Wer solche Lebensvorgänge in großer Zahl beurteilt hat, dem drängen sich die Unterschiede derart auf, daß er sie berücksichtigen muß, und daß er es bedauern müßte, wenn der Gesetzgeber hier vor der Wirklichkeit die Augen schließen wollte. Die kleinen Ausspäher von Staatsgeheimnissen sind andere Leute als die kleinen Hochverräter. Die Landesverräter kennzeichnen sich als schwächliche, entwurzelte Menschen, die nur aus Eigennutz handeln. Ganz anders die Leute, die im S inne des Gesetzes Hochverrat begehen, indem sie etwa Hetzschriften austragen; ihre Tat hat häufig nur darin ihren Grund, daß sich in ihr ein gewisser Trotz gegenüber bestimmten Zuständen entlädt. Diese Unterschiede, auf die Herr Professor Mezger nichts geben will, muß der Gesetzgeber achten, sonst schafft er kein Recht. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich finde es schade, daß wir auf einen einleitenden Hinweis verzichten wollen. M an könnte ja sagen, daß

jeder Abschnitt so eingeleitet werden könnte, aber es handelt sich hier um die schwersten Verbrechen. Ein technischer Gesichtspunkt ist auch, daß ein solcher Hin« weis am Anfang des Strafgesetzbuches stehen würde. E s ist allerdings die große Schwierigkeit, eine solche Abstraktion zu schaffen, ohne schon auf die einzelnen Tatbestände hinzuweisen. Aber vielleicht könnte doch hervorgehoben werden, daß es sich um Verbrechen handelt, die den Bestand des Volkes berühren. Im übrigen bin ich mit diesen neuen Vorschlägen einver­ standen. Ich begrüße vor allen Dingen, daß der V errat der Staatsgeheimnisse jetzt nicht mehr von dem Begriff des V errats am deutschen Volke abge­ sondert wird. Nur glaube ich, daß es richtig ist, nicht gleich in den ersten Tatbestand diesen Geheimnisverrat aufzunehmen, weil es sich hier nur um einen mittel­ baren Angriff auf den Bestand des Volkes handelt. Ich glaube aber, daß hier vielleicht schon von landes­ verräterischer Untreue gesprochen werden könnte. Be­ denkliche Überschneidungen sind wohl nicht zu finden, denn wenn ich den Antrag richtig verstehe, will er nur die Tatbestände der §§ 26, 27 kürzer zusammen­ fassen. Unter Verrat am deutschen Volke scheinen mir auch die Angriffe auf das Volkstum zu fallen. Reichsjustizminister Dr. (Büdner: Über die Frage ist nicht gesprochen worden. Ich bin der Meinung, wenn wir das Wort Verrat zweimal gebrauchen, einmal in der Abschnittsüberschrift und dann in der kürzeren, prägnanten Fassung „Volks­ verrat", daß wir dann unter diese prägnante Formel nichts weiter nehmen sollen, um die Bedeutung nicht zu beeinträchtigen. Professor D r. Dahm: E s ist richtig, daß die §§ 26, 27 des Entwurfs in unserm Vorschlag vereinigt sind. Ein Unterschied liegt aber darin, daß der Angriff auf die Unversehrt­ heit des Reichsgebiets nach unserm Vorschlag auch dann — und zwar durch § 1 — ersaßt werden soll, wenn er n i ch t mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt begangen wird. Den nicht gewaltsamen An­ griff auf die Grundordnung möchten wir dagegen mit einer selbständigen und milderen Strafdrohung be­ legen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s wurde geltend gemacht, daß der Angriff auf die Unversehrtheit des Reichs eigentlich nicht mit Ge­ walt verübt wird; der Separatism us z. B. ist nicht mit Gewalt begangen worden. Professor Dr. Henkel: I n dem zusammenfassenden Volksverratstatbe­ stand wird der Hochverrat gegen die Grundordnung der Volksgemeinschaft nur unter Strafe gestellt, wenn er mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt be­ gangen wird. D as ist sicher zu eng. Zweifellos ist ein besonderer Tatbestand, allerdings mit anderer Strafdrohung, notwendig auch für die Fälle, in denen solche M ittel nicht angewendet werden.

Reichsjustizminister Dr. (Büdner: Aber doch nicht hier unter der Todesstrafdrohung. Professor Dr. Nagler: Jetzt heißt es nicht mehr Grundordnung „ändern", sondern „erschüttern". Was ist damit bezweckt? Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s wurden m ir verschiedene Zeitwörter zuge­ flüstert: gefährden, erschüttern, umstürzen. Alle diese Zeitwörter bitte ich mit der Einleitung „unternimmt" zusammenzunehmen. Professor Dr. Nagler: Ich würde „ändern" unbedingt beibehalten. E s ist wohl ausgewogen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Gefahr besteht auch hier nicht, daß es zu weit ist. E s ist mehr eine Fassungssrage. Professor Dr. Schasfstem: Zwischen „erschüttern" und „ändern" besteht ein grundsätzlicher Unterschied. Erschüttern deutet an, es gibt nur eine, nämlich die bestehende national­ sozialistische Grundordnung des deutschen Volkes. S agt man ändern, so geht man davon aus, daß es ver­ schiedene mögliche Grundordnungen gibt. Ich würde deshalb das Wort „erschüttern" vorziehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, am S in n ändert das alles nicht sehr viel; es ist eine Frage der Schönheit und des Aus­ drucks. Senatspräsident Professor D r. Klee: „Erschüttern" ist noch nicht „ändern". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde vorschlagen, weiterzukommen. Dieser Abschnitt finge mit der Überschrift „Verrat am deut­ schen Volke" an; wo er aufhört, bleibt vorläufig noch offen. E s kämen die Unterabschnitte Volksverrat mit dem angegebenen In h a lt, also Versassungshochverrat, Kriegshochverrat, gegen die Unabhängigkeit des Reichs gerichteter Hochverrat, Anschlag auf den Führer, Herbeiführung einer Kriegsgefahr. Dann ginge es weiter mit den Gedanken, die im jetzigen § 1 stehen: Verrat von Staatsgeheimnissen. Nunmehr stünden die §§ 1 ff. unseres Entwurfs zur Diskussion. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich werde meinem folgenden Bericht über Einzel­ fragen des Landesverrats meinen schriftlichen Antrag Nr. B 52 zugrunde legen. Ich habe in diesem Antrag die Erörterung des § 9 des Entwurfs vorangestellt, und zwar deshalb, weil alles, was nachfolgt, nur ver­ standen werden kann, wenn der Begriff des S ta a ts­ geheimnisses feststeht. Den Abs. 1 des § 9 habe ich dahin erweitert, daß in erster Linie Menschen als der Geheimhaltung bedürftig bezeichnet werden. Auch

dieser Vorschlag beruht auf dem Ergebnis unserer Erfci^ruriQ. 2Btr ^ctttcn tüicbct^olt $älle ju cixtfd^cibcn^ in benen ein Mensch als solcher in bte Gewalt ber auslänbischen Regierung gebracht wirb. Selbstverstanblich sinb wir solcher Fälle auch ohne ausbrückliche Hervorhebung im Gesetz Herr geworben. D as würbe auch in Zukunft nicht anbers sein, zumal uns jetzt bas M ittel ber entsprechenben Anwendung gegeben wer­ ben soll. Daß in § 9 Abs. 1 Sachen imb Tatsachen anzuführen sinb, ist selbstverstänblich. Ich halte es aber nicht für förberlich, wenn bte Sachen noch näher zergliebert werben, inbem von Schriften unb Zeich­ nungen gesprochen wirb. Die Gerichte werben es leichter haben, wenn ihnen allein ber weite Begriff ber Sache zur Verfügung gestellt wirb. Die besonbere Erwähnung ber Nachrichten ist aus bem gleichen Grunbe nicht erforberlich. § 9 Abs. 2, ber bte gefälschten Staatsgeheimnisse betrifft, bereitet erheblich größere Schwierigkeiten. S ta tt von gefälschten Staatsgeheimnissen sollte rich­ tiger von falschen Staatsgeheimnissen gesprochen wer­ ben. Als solche falschen Staatsgeheimnisse kommen nur Sachen unb Tatsachen in Betracht. S ta tt von unechten, gefälschten ober verfälschten Sachen zu sprechen, sollte man zutresfenb unb allgemein verständ­ lich biese Sachen mit „unrichtig" kennzeichnen. Die vom Entwurf gewählten Ausbrücke greifen meines Erachtens fehl, sie können jebensalls mißverstanben werben. D as Gewehrschloß, bas als angeblich neu eingeführt ausgeliefert wirb, i s t u n r i c h t i g , wenn es in Wirklichkeit im beutschen Heer nicht gebraucht wirb; bte Abschrift eines angeblich von ber obersten Heeresleitung erlassenen Geheimbefehls ist u n r i c h ­ t i g , wenn ein solcher Befehl tatsächlich nicht er­ gangen ist; bte Zeichnung einer angeblich neuen Verteibigungsanlage ist unrichtig, wenn sie an betn be­ zeichneten O rt nicht Vorhängen ist ober eine völlig anbere Gestalt hat. Hier von unecht, gefälscht, ver­ fälscht zu sprechen, wäre nicht zutresfenb. D as ein­ fachere „unrichtig" wirb ben Richter am leichtesten ben rechten Weg weisen. Bei ben Tatsachen habe ich bas Wort „unwahr" gewählt, weil bas einer allge­ mein unb seit langem eingebürgerten Übung ent­ spricht. Ich verkenne nicht, baß ber Begriff unwahre Tatsache in gewissem Sinne ein Wiberspruch in sich ist. W ir sinb aber an biesen Begriff gewöhnt. Abs. 3 bes § 9 bes Entwurfs spricht nur von betn Vorsatz, bas Wohl bes Reiches zu g e f ä h r b e n . Ich würbe auch ben Vorsatz, bas Wohl bes Reiches z u s c h L b i g e n , besonbers erwähnen, unb zwar vor bem „gefährben", weil sich in zahlreichen Fällen ber Vorsatz unmittelbar auf bte Schäbigung richtet unb sich nicht lange mit betn Zwischenzustanb ber Gefährbung abgibt. Die am Enbe bes Absatzes 3 stehenben Worte „ober öffentlich mitteilt" sinb ein Rückstanb aus ber geschichtlichen Entwicklung ber Vorschrift. Währenb früher nur bte Mitteilung an eine auslänbische Regierung mit Strafe bebroht war, will ber Entwurf jebe Weitergabe an irgenbeine Person mit Strafe bebrohen; beshalb bebarf bte öffentliche M it­ teilung keiner besonberen Erwähnung mehr. Die

Worte sinb überflüssig unb werben baher besser ge­ strichen, bamit ber Richter nicht zu einer rechtsirrigen einschränkenben Auslegung verleitet wirb. I n betn Gelangenlassen bes Staatsgeheimnisses an einen anberen ist bte öffentliche Mitteilung bereits enthalten. Zu § 1 sachliche Anberungen vorzuschlagen, habe ich keinen Anlaß. I n ber Erörterung ist aber ber Gebanke aufgetaucht, auch bte Tatbestänbe bes Lanbesverrats in bte Form bes Unternehmens zu kleiben unb bemgemäß auch ben Versuch bes Lanbesverrats ber Tobesstrasbrohung zu unterstellen. Dagegen habe ich Bebenken. Zu § 2 hatte ich in meinem schriftlichen Antrag lebiglich eine Anbetung bes Abs. 2 vorgesehen, bte aber nur bte gleiche Wortfassung wie im § 1 wählen wollte. Ich habe erst später von ben Anträgen ber Sachbearbeiter bes Ministeriums Kenntnis erhalten. I n biesen Anträgen ist ausgeführt, statt „um es zu verraten" müsse es heißen „mit bem Vorsatz, es zu verraten". Ich halte bas aus ben von ben Sach­ bearbeitern angeführten Grünben für richtig. I n tz 3 will ich, wie schon zu § 9 erwähnt, folge­ richtig statt von gefälschten von falschen Staatsge­ heimnissen sprechen. I m übrigen habe ich vorgeschla­ gen, ben Abs. 2 als Satz 2 in ben Absatz 1 einzu­ stellen, währenb ber bisherige Satz 2 bes Abs. 1 als Abs. 2 nachfolgen soll. Zur Begrünbung bieses Vor­ schlags barf ich auf meinen schriftlichen Antrag ver­ weisen. Mein Vorschlag zu § 4 will ben Entwurf verein­ fachen unb aus betn Gesetz etwas ausschalten, was ben inneren Vorgang betrifft. § 4 Abs. 2 kann so ausgelegt werben, baß im Sinne bes § 373 Abs. 1 ber bestimmte Glaube bes Täters an bte Falschheit bes Staatsgeheimnisses, bas er sich verschafft, ersorbert werbe. Vielleicht soll hierdurch hervorgehoben werben, baß ber Täter ber schwereren Strafe bes § 2 unterfällt, wenn er keine Gewißheit barüber hat, ob bas in ber Absicht bes Verrats verschaffte S ta a ts­ geheimnis ein wirkliches Staatsgeheimnis ober ob es falsch ist. Diese Absicht bes Entwurfs ist zu billigen. D as Ziel wirb aber bereits burch bte Vorschriften bes Allgemeinen Teils (§ 373 Abs. 2) erreicht, so baß bte besonbere Hervorhebung an biefer Stelle überflüssig ist unb zu Mißverstänbnissen Anlaß geben kann. Zu § 5 habe ich keine Veranlassung zu Vorschla­ gen, bte ben sachlichen In h a lt betreffen. D as Anwenbungsgebiet bes § 5 ist sicher nicht groß. Ich halte aber eine anbere Strasbrohung für notwenbig. Der Tatbestanb setzt nämlich voraus, baß ber Täter bas Wohl bes Reiches vorsätzlich gefährbet. Bei einer berartigen Einschränkung ist bte Gefängnisminbeststrafe nicht tragbar. Ich würbe eine Minbeststrafe von sechs Monaten für angebracht halten. Meine übrigen Vorschläge zu § 5 bezwecken nur eine Vereinfachung ber Gesetzesfassung, ich verweise insoweit aus meinen schriftlichen Antrag. Der Tatbestanb bes § 6 verlangt fahrlässige Gefährbung bes Wohles bes Reiches. Es ist aber selbstverstänblich, baß bas Gelangenlaffen bes Staatsgeheimnisses an einen anbeten vorsätzlich ge­ schehen muß. Ich bin nur grunbsätzlich ber Auffassung,

daß, wo innerhalb eines Tatbestandes ein Wechsel in der Schuldform auftritt, dies stets hervorgehoben werden sollte. Anlaß zu diesem Vorschlag gibt mir auch ein vom Reichsgericht kürzlich entschiedener Fall. Zu tz 7 habe ich ebenfalls keine inhaltlichen Än­ derungen vorzuschlagen. Ich würde aber wie übrigens auch int § 6 hier nicht nur von gefährden, sondern auch von schädigen sprechen aus den Gründen, die ich zu § 9 angeführt habe. F ür 8 8 erscheint es mir geboten, den Zeitpunkt der Vollendung vorzuverlegen. Nach dem Entwurf ist die T at vollendet, wenn der Täter in Beziehungen tritt. Unter der Herrschaft des alten Verratsgesetzes waren die Fälle häufig, in denen der Nachweis, ob eine abgesandte Schrift in die Hände des Beauftrag­ ten der ausländischen Regierung gefallen war, nicht erbracht werden konnte. Daraus aber sollte es für die Vollendung nicht ankommen. Ich schlage deshalb vor zu sagen „wer eine Beziehung a u f n i m m t " . Ich möchte an dieser Stelle, wenn S ie es gestatten, Herr Reichsminister, meinen Bericht unterbrechen, weil hiermit ein bestimmtes Teilgebiet abgeschlossen ist. Professor Dr. Dahm: I n den 8§ 8 und 9 des Entwurfs wird voraus­ gesetzt, daß die Nachrichten einer ausländischen R e g i e r u n g zukommen. D as ist zu eng. Diese Be­ stimmungen müssen auch dann anwendbar sein, wenn jemand zu internationalen Organisationen oder Privatpersonen in Beziehungen tritt, ohne daß die fremde Regierung beteiligt ist. Gegen die Umschreibung des Staatsgeheimnisses in dem Vorschlage des Herrn Reichsgerichtsrats habe ich ein sprachliches Bedenken. M an kann nicht sagen, „Staatsgeheimnisse sind auch Menschen". Ebenso­ wenig sollte man in 8 9 Abs. 2 von „unrichtigen Sachen" sprechen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wie stellen S ie sich zu der Frage, die Begriffs­ bestimmung vorwegzunehmen? Professor Dr. Dahm: D as halte ich für richtig, da wir ja den Geheim­ nisverrat in einen größeren Zusammenhang ein­ ordnen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner:

sie kann nur eintreten, wenn das Ausbleiben des E r­ folges auf eine geringere verbrecherische Energie zu­ rückzuführen ist. Allerdings steht unter den Strasbemessungsgründen, daß das M aß dieser Energie zu berücksichtigen ist, aber es heißt nicht, daß nur die Stärke des verbrecherischen Willens entscheidet. Meines Erachtens besteht die Gefahr, daß allein die Tatsache, daß der Erfolg ausgeblieben ist, zum Anlaß genommen wird, die Strafe zu mildern. Ich bin dafür, daß in dem Beschluß der Unterkommissron noch der Zusatz gemacht wird, daß gemildert werden kann, wenn das Ausbleiben des Erfolges aus eine geringere verbrecherische Energie zurückzuführen ist. Tut man das nicht, dann möchte ich das Unternehmen, auch des Landesverrats, unter dieselbe S trafe stellen wie die Vollendung. Ich möchte daraus hinweisen, daß 8 2 eigentlich schon eine Vorbereitungshandlung unter die Todesstrasdrohung stellt, denn „sich verschaffen" ist noch kein „beginnen". Dann müssen wir den Beginn des Verrats erst recht bestrafen. Ich möchte mich daher dem Vorschlage der Sachbearbeiter anschließen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir wird von den Herren Sachbearbeitern gesagt, „wer es unternimmt" ist hier zwingend wegen des Absatzes 3. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: I m Absatz 3 wird nur ein Teil der Versuchsfälle, nämlich nur der untaugliche Versuch, mit einer S tra f­ milderung versehen, die übrigen Fälle sollten nach dem Ergebnis erster Lesung unter die generelle Todes­ strafe des Abs. 1 fallen. Wenn wir das beibehalten wollen, ist es notwendig, die Versuchsfälle unter die Vollendungsstrafe des Absatz 1 zu ziehen und dann die Ausnahme des Absatz 3 hinzuzunehmen. Wenn für den Versuch allgemein schon im Grundtatbestand die Strafmilderung zugelassen wird, so wäre Absatz 3 überflüssig. E s träte aber int ganzen eine wesentliche Abschwächung des Strafschutzes gegenüber der Novelle ein, die wohl nicht beabsichtigt ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Würde diesem Bedürfnis genügt, wenn man schreibt „wer es unternimmt"? Ministerialdirigent D r. Schäfer: Dann ist der Versuch mit der Vollendungsstrafe bedroht, und es ist möglich, aus dem Unternehmen einen Teil des Versuchs wieder mit der Milderung des Absatz 3 herauszuschälen.

D as ist auch das Natürliche. W ir haben es anders gemacht, weil wir mit einer Begriffsbestimmung nicht anfangen wollten. Meine Herren, ich möchte einmal die Frage stellen: Hier heißt es „Wer ein S ta a ts­ geheimnis verrät"; wir müssen doch nicht etwa sagen „Wer es unternimmt zu verraten"?

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Fassung: „Wer es unternimmt, ein S ta a ts­ geheimnis zu verraten" deckt sich für ntich mit der Ausspähung.

Senatspräsident Professor Dr. Klee: I m Vorschlag der Sachbearbeiter ist gesagt „Wer es unternimmt"; ich halte das für erforderlich. Herr Reichsgerichtsrat Niethammer hat es abgelehnt, von „Unternehmen" zu sprechen. Diese Frage hängt eng mit der Kannmilderung für den Versuch zusammen;

Ministerialdirigent D r. -Schäfer: D as Unternehmen des Verrats beginnt doch erst, wenn es nach der Meinung des T äters der Beginn des Verrats ist. E r muß z. B. zum mindesten zum Bahnhof gehen oder die Grenze überschreiten wollen. D as Verschaffen ist dagegen Vorbereitungshandlung

zum Verrat, und das Unternehmen des Verschafsens ist eine noch weiter zurückliegende Vorbereitungs­ handlung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S ie sprechen immer vom Unternehmen, obwohl wir den Begriff nicht mehr haben. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: W ir haben zu diesem Abschnitt vorgesehen, daß im Gesetz definiert werden muß, daß Unternehmen gleich Vollendung und Beginnen ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Unternehmen wäre dann Versuch plus Vollendung. Die Fassung würde dann lauten: „Wer es unter­ nimmt, ein Staatsgeheimnis zu verraten . . .". Dann ist angeregt worden, den Absatz 3 des § 1 und den Absatz 2 des § 2 gleich zu fassen. Senatspräsident Grau: Herr Reichsgerichtsrat Niethammer will in § 9 als Gegenstände des Verrats nennen Menschen, Sachen und Tatsachen. Nach dem Entwurf sollten neben den Sachen die Schriften und Zeichnungen noch besonders genannt sein. Herr Reichsgerichtsrat Niethammer hält die besondere Erwähnung der Schriften und Zeichnungen für überflüssig. D as mag richtig sein; ich würde aber trotzdem die Fassung des Entwurfs beibehalten, weil dann das Gesetz plastischer wirkt. Fälle, in denen ein Mensch ein Staatsgeheim­ nis ist, scheinen mir nicht denkbar zu sein. Wenn ein Mensch einer ausländischen Regierung als spionage­ geeignet bezeichnet wird oder in ihre Hände gespielt wird, so ist das doch eine Tatsache. M it der E r­ wähnung der Tatsachen müßen wir also meines E r­ achtens auskommen. Die Nachrichten können wir nicht weglassen. Denn es gibt auch Nachrichten über etwas anderes wie Tatsachen, z. B. Nachrichten über den In h a lt einer militärischen Kritik. Die Aufzählung des Entwurfs ist auch vom Reichswehrministerium gebilligt worden; man sollte daher nicht ohne Grund hiervon abgehen. Zu Abs. 2 des § 9 hatte die Abteilung keine Än­ derung vorgeschlagen. Ich halte auch die Fassung des Entwurfs für durchaus richtig. Der Vorschlag Niet­ hammer, der von unrichtigen Sachen sprechen will, scheint mir schon sprachlich nicht möglich zu sein. Daß Abs. 3 in der Fassung des Entwurfs insofern zu eng ist, als er als Adressaten nur die ausländische Regierung und den ausländischen Regierungsagenten nennt, hat Herr Professor Dahin mit Recht erwähnt. Die Fälle, in denen das Staatsgeheimnis z. B. einer Wirtschaftsorganisation eines fremden S taates be­ kanntgegeben wird, müßen auch ersaßt werden. Die Abteilung hat, um alle möglichen Fälle erfaßen zu können, die ganz weite Fassung gewählt: „an jemand, der für das Ausland tätig ist". M it dieser Fassung scheint mir jede Lücke ausgefüllt zu sein. Was die Stellung des § 9 angeht, so möchte auch ich jetzt vorschlagen, ihn den Tatbeständen voranzu­

stellen. W ir hatten ja bekanntlich die jetzige Stellung im Entwurf gewählt, um den Abschnitt oder sogar das ganze Strafgesetzbuch nicht mit einer Begriffs­ bestimmung 'zu beginnen. Dieser Grund ist aber jetzt weggefallen, nachdem den Spionagetatbeständen ein besonderer Abschnitt Volksverrat vorangestellt werden soll. I n der T at lesen sich die Tatbestände leichter und verständlicher, wenn die Begriffsbestimmung schon bekannt ist. Ministerialdirektor Schäfer: Eine Frage zu Abs. 3: Sie schlagen vor „jemand, der für das Ausland tätig ist". Is t im Abs. 3 über­ haupt ein Zweifel möglich? E s gehen die Worte „an einen anderen" voraus; das trifft doch alles. Senatspräsident G rau: Wir haben es nur geschrieben, um die Vorschrift dem § 8 anzupassen; dort ist es notwendig, hier aller­ dings nicht. Ministerialdirektor Schäfer: Herr Reichsgerichtsrat, legen Sie großen Wert aus Ih re Änderungen? Reichsgerichtsrat Niethammer: Auf die Hinzufügung des Menschen lege ich keinen großen Wert. Ich glaube aber immer noch, daß der Begriff der Sachen und Tatsachen in der schlichten Form für den Richter leichter zu behandeln ist als die Gliederung in Schriften usw. Anders liegt es bei Abs. 3 mit dem öffentlichen Mitteilen. Ich möchte dringend bitten, das wegzulassen; sonst werden ein­ zelne Gerichte Folgerungen ziehen, die hinderlich sind. Professor Dr. Schafsstein: Ich glaube nicht, daß der Vorschlag der Sach­ bearbeiter für das Ausland das Richtige trifft. Es gibt eine Reihe von Organisationen, die man nicht unter den Begriff Ausland fassen kann, z. B. jüdische Boykottorganisationen in Amerika. Ich würde vor­ schlagen „ausländische Regierung oder ausländische Organisationen"; das trifft alle Fälle. Im übrigen scheint es mir, daß man einige Bestimmungen mit Rücksicht auf die Möglichkeit der Analogie verein­ fachen kann. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Halten die Herren den Zusatz „öffentlich mitteilen" für erforderlich? (Wird verneint.) — Also niemand. Professor Dr. Kohlrausch: Ich sehe nicht, worin die Gefahr liegen soll. Ich weiß nicht, ob nicht wegen Mitteilungen in der Presse Bedenken bestehen, das zu streichen. Ministerialdirektor Schäfer: Angewandt hat man es schon, wenn es sich um Mitteilungen in der Presse handelte. Allerdings wird man meist damit helfen können, daß man sagt, was öffentlich mitgeteilt wird, liest auch jemand.

Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich möchte nur nochmals darauf Hinweisen, daß Fälle, in denen ein Mensch als Staatsgeheimnis in Betracht kam, während des Krieges oft vom Reichs­ gericht entschieden werden mußten. E s handelte sich meistens darum, daß bestimmte Leute, die im deutschen Abwehrdienst standen, der ausländischen Regierung verraten wurden. Ich lege aber auf die Annahme meines Vorschlags kein entscheidendes Gewicht, weil wir mit diesen Fällen bisher fertig wurden und auch in Zukunft fertig werden. Dagegen rate ich bringend, das „oder öffentlich mitteilt" am Schluß des § 9 wegzulassen. D as Reichs­ gericht insgesamt war dieser Meinung, weil wir grundsätzliche Bedenken haben, Überflüssiges im Gesetz zu sagen; denn wir machen immer wieder die Er­ fahrung, daß solche überflüssigen Worte die Gerichte irreführen. Daß es schwer ist, das falsche Staatsgeheimnis zu beschreiben, gebe ich zu. Die Beschreibung der Ge­ genstände als verfälscht oder falsch trifft aber einfach nicht das Wesen der Sache. E s handelt sich um un­ richtige Sachen. Dieser mein Vorschlag erhält eine Stütze durch die Protokolle erster Lesung. Schon da­ mals hat, soweit ich mich entsinne, Herr Professor Kohlrausch an den Bezeichnungen des Entwurfs An­ stoß genommen. Professor Dr. Kohlrausch: Die Frage der Begriffsbestimmung ist meines Erachtens doch noch nicht völlig geklärt. Es stehen sich gegenüber die Fassung Niethammer und die Fassung des Entwurfs. Herr Reichsgerichtsrat Niet­ hammer will einerseits als Staatsgeheimnisse die Menschen aufnehmen, andererseits die Nachrichten weglassen. D as erstere ist sprachlich unmöglich und meines Erachtens auch sachlich nicht ganz richtig. Es stbt allerdings Fälle, für die wir bisher keine Regeung hatten. Herr Reichsgerichtsrat Niethammer hat ie genannt: in einem neutralen Land wird ein beut* cher Spionageagent dem Feind körperlich ausge­ liefert. Eine solche T at ist doch regelmäßig Mord oder Menschenraub. Ich frage mich, ob eine solche T at überhaupt als Landesverrat bezeichnet werden kann. Die Tatsache, daß der Betreffende deutscher Agent ist, ist doch gar kein Geheimnis. Derartige Fälle, die sicher strafwürdig sind, würden also in einen ganz falschen Abschnitt geraten, wenn wir dem Vorschlag von Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer folgen wollten. Höchstens kann doch der Aufenthalt des Agenten ein Geheimnis sein. D ann handelt es sich aber um eine Tatsache. Wenn wir also diese Fälle überhaupt regeln wollen, dann müssen wir uns auch schon besondere Bestimmungen ausdenken. Solche Bestimmungen werden aber richtiger weggelassen, eine Lücke scheint mir dadurch nicht zu entstehen. Die Nach­ richten sollen nach dem Vorschlag von Herrn Reichs­ gerichtsrat Niethammer gestrichen werden. S ie wur­ den seinerzeit durch das Spionagegesetz von 1914 aus­ genommen, in dem alten Gesetz von 1893 waren sie noch nicht genannt. Unvollständig wird das Gesetz

nicht, wenn wir die Nachrichten nicht erwähnen. Denn die Nachrichten sind immer zugleich Tatsachen. Ich ßlaube auch, daß die Lückengesahr um so größer ist, je mehr der Tatbestand spezialisiert wird. Anderer­ seits verkenne ich nicht, daß wir den Wünschen des Reichswehrministeriums Rechnung tragen müssen. Den Schlußsatz des § 9 „oder öffentlich mitteilt" halte ich für ungefährlich und auch für praktisch besser. Wenn er nämlich gestrichen wird, so muß jedesmal im Einzelfall nachgewiesen werden, daß irgendjemand Kenntnis erhalten hat. I n § 8 muß eine weitere Ausdrucksweise gewählt werden. Jndustriegeheimnisse können unter Umständen für die Wehrkraft von sehr großer Bedeutung sein. Wenn z. B. ein Angestellter der I . G. Farben solche Geheimnisse der ausländischen Industrie mitteilt und dabei gar nicht weiß, daß diese ausländische Industrie mit ihrer Regierung in Beziehungen steht, so würde dieser F all durch § 8 nicht gedeckt werden. Von ausländischen Organisationen zu sprechen, wie vorgeschlagen wurde, wäre doch wiederum eine E in­ engung. M ir scheint, daß der ganz farblose Ausdruck „an das Ausland", den die Sachbearbeiter des Ministeriums vorgeschlagen haben, das meiste umfaßt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I h r Vorschlag zu § 8 würde lauten: „Wer zu einer ausländischen Regierung oder zu jemand, der für das Ausland tätig ist . . ", zu tz 9: „an einen anderen, insbesondere an eine ausländische Regierung oder an jemand, der für das Ausland tätig ist". Senatsprasident G rau: Es macht nicht sehr viel aus, wenn man „öffentlich mitteilt" streicht. Aber es sind theoretisch Fälle denk­ bar, in denen vollendeter Verrat nur vorliegt, wenn die Worte bestehen bleiben; sonst würde bloß ver­ suchter Verrat gegeben sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es kommt aber immer hinzu „wer es unternimmt". Senatspräsident G rau: Aber w ir bestrafen das Unternehmen nur m § 1 gleich, nicht in den anderen Fällen. Professor Dr. Mezger: Ich möchte die Worte: „öffentlich mitteilen" streichen. Ich halte die Worte in dieser Form für unrichtig. W ir wollen es als Verbrechen kennzeichnen, wenn jemand das Geheimnis an einen anderen ge­ raten läßt. Ein M i t t e l dazu ist das öffentliche Mitteilen. Wenn das öffentliche Mitteilen aber mit „oder" anschließt, glaube ich, daß die Gefahr besteht, daß das Gericht sich überlegt, was denn damit N e u e s noch hinzugefügt werden soll. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wenn jemand versucht, einen Mann, der vom deutschen Abwehrdienst angestellt ist, in die Hände des feindlichen Auslandes zu spielen, so dürfte das

ein typischer Landesverratssall sein; er wäre von dem Vorschlag Niethammer gedeckt. Der Ausdruck Mensch als Staatsgeheimnis ist nicht schön, das schließt aber nicht aus, daß dieser F all als Landes­ verrat unter Strafe gestellt wird. Ein anderer Fall hat uns Kopfschmerzen gemacht. Es kam öfter vor, daß an der Grenze dem Ausland Leute als Spione zugeführt wurden; es wurde gesagt, das ist der M ann, der für euch spionieren würde. Es war schwer, das unter einen strafrechtlichen Tatbestand zu bringen. D as Reichsgericht hat in einer etwas künstlichen Weise gesagt, es handele sich hier um den Verrat des Geheim­ nisses, daß ein Mensch, der spionieren will, da ist. D as ist aber künstlich; dieser Fall bedarf daher wohl einer besonderen Strafvorschrift. M an kann die Zuführung des Spions freilich auch in anderer Weise bestrafen, nämlich als Beihilfe zu der noch zu leistenden S p io ­ nage. Wenn es nicht dazu kommt, wäre es nur erfolg­ lose Beihilfe. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zu tz 9: Schriften und Zeichnungen sind auch Gegenstände; aber ich fürchte, wir beschwören eine sehr lange Diskussion mit dem Kriegsministerium herauf, wenn wir die „Schriften" streichen. D ann wurde vorgeschlagen, anstatt: „gefälschte Staatsgeheimnisse" zu sagen: „falsche"; gefälscht setzt voraus, daß sie einmal richtig waren. Falsch ist viel­ leicht besser. E s wären dann nur noch zu prüfen die „Aus­ lieferung eines Menschen" und „die öffentliche Mitteilung". Ich weiß nicht, ob wir die „Aus­ lieferung eines Menschen" als Tatbestand brauchen. Vielfach wird die Auslieferung dieses Menschen auch ein Mitteilen sein, wo er sich befindet. Wo die Ver­ schleppung oder ein Mord vorkommt, können wir auf anderem Wege bestrafen. Uber die öffentliche Mitteilung hat sich eine ein­ heitliche Meinung nicht gebildet. Professor Dr. Mezger: Der Vorsatz geht dahin, das Staatsgeheimnis an einen andern gelangen zu lassen. Es führt zu Unklar­ heiten, wenn man dem mit einem „oder" noch etwas anderes hinzusetzt. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Mich stört auch etwas das Verhältnis zu § 5. § 5 ist zum Begriff des Staatsgeheimnisses etwas parallel aufgebaut. I n § 5 kann die öffentliche Mitteilung nicht wegfallen; wenn wir sie nun hier streichen, so wird diese erwünschte Parallele beseitigt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir ist die Einwendung von Herrn Mezger auch nicht ganz klar; der Vorsatz erstreckt sich auf das öffentliche Mitteilen. Professor Dr. Mezger: M an schafft für den künftigen Ausleger Unklar­ heiten.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich glaube, das wäre alles richtig, wenn „und" da stünde. Professor Dr. Kohlrausch: Ich glaube doch, daß ein Unterschied besteht. I n einem Fall muß ein bestimmter Adressat ins Auge gefaßt sein, im anderen Falle ist es ganz gleichgültig. Da ich aber keinen Schaden bei einer Beibehaltung sehe, vielleicht aber einen Nutzen, möchte ich es beibe­ halten. Reichsgerichtsrat Niethammer: Wenn diese Folgerung gezogen wird, würde man deutlich sehen, daß das öffentliche Mitteilen falsch ist. E in bestimmter Empfänger wird mit den Worten „an einen anderen gelangen lassen" nicht erfordert. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Es scheint mir ein S treit um den In h a lt zu sein. Professor Dr. Dahm: Ich würde die Bestimmung stehen lassen, weil die Auslegung naheliegt, auf die Herr Kohlrausch hinge­ wiesen hat. Ein zweiter Grund ist der, daß die öffent­ liche Mitteilung früher erfolgen kann als das Ge­ langenlassen an eine andere Person. Auch dieser F all muß doch wohl bestraft werden. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Herr Professor Mezger will gerade, daß das nicht strafbar sein soll, was S ie eben in den Bereich der Strafbarkeit ziehen würden. Professor Dr. Mezger: Jedenfalls nur unter den gekennzeichneten V or­ aussetzungen. Ministerialdirigent D r. Schäfer: Als dritter Grund kommt hinzu, daß das Gesetz anschaulich sein soll. Wenn ein Laie das liest, meint er, die Spionage muß von Person zu Person gehen, und denkt nicht an den Fall, daß es auch durch eine Zeitung oder in einer öffentlichen Rede geschehen kann. Es hat doch erzieherische Wirkung, wenn ich ausdrücklich hervorhebe, daß man Staatsgeheimnisse auch öffentlich nicht ausplaudern darf. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich kann vorläufig eine Gefahr nicht erkennen, wenn es stehen bleibt. Ministerialdirigent D r. Schäfer: D as Kriegsministerium wird m. E. sofort vor­ stellig werden, wenn die öffentliche Mitteilung ge­ strichen wird. W ir würden die Streichung auch gar nicht überzeugend begründen können. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zu § 1 möchte ich noch fragen, wollen w ir die Ausländer irgendwo am Schluß zusammen behandeln,

oder wollen wir sie im Anschluß an die einzelnen Delikte behandeln? Wenn man dem Gedankenkreis folgt, daß der Landesverrat für den In län d er Treu­ bruch und für den Ausländer Verletzung des Gastrechts ist, müßte man sie besonders behandeln. Es fragt sich nur, ob wir nicht statt „wer" „ein Deutscher" sagen müssen. Zu § 2 ist der Vorschlag gemacht, den Zwecksatz durch „mit dem Vorsatz" zu ersetzen. Professor Dr. Kohlraufch: D arf ich mir eine Frage erlauben? Wie wäre folgender F all zu entscheiden? Ein Ausländer hat sich in B erlin ein wichtiges Staatsgeheimnis ver­ schafft. E r läßt eine entsprechende Mitteilung durch einen Landsmann an den Militärattache seines Hei­ matlandes gelangen. Dieser Landsmann ist vielleicht der Portier in dem Botschaftsgebäude. Kann man in diesem Fall davon sprechen, daß der P ortier sich das Staatsgeheimnis verschafft hätte? M. E. ist es ihm nur anvertraut. Is t dieser Ausländer wirklich nach § 1 strafbar? Ich würde das nicht für tragbar halten, und es scheint mir, als ob der Treupflicht­ gedanke in dem Strafgesetzbuch von 1871 viel besser durchgeführt war als in der Novelle. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: D as Merkmal „sich zu verschaffen" bedeutet nt. E. nicht, -a ß der Betreffende irgendwie die In itiative ergreifen müßte. Professor Dr. Kohlrausch: E s ist aber doch kein Verschaffen, wenn ein Bote den Transport der Mitteilung übernimmt. Ministerialdirigent D r. Schäfer: D as ist keine Täterschaft, sondern Beihilfe zu § 1. Professor Dr. Kohlrausch: M ir scheint aber doch sehr zweifelhaft zu sein, ob ein solcher M ann lebenslanges Zuchthaus verdient. Reichsjustizminister D r. Gürtner: F ü r die augenblickliche Debatte wäre die Frucht dieser Betrachtung nur, daß man die Ausländer hier wegläßt. Wollen wir hier nun beim Geheimnisverrat die Achtung obligatorisch vorsehen? Professor Dr. Dahm: Ich würde die obligatorische Achtung auf die schwersten Delikte beschränken und hier eine fakultative Achtung vorsehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s kann doch kein Bedenken dagegen bestehen, daß der Gesetzgeber sagt, hier muß geächtet werden und hier kann geächtet werden. M inisterialrat Rietzsch: Wenn man schreiben würde, er „kann" geächtet werden, würde das nach den bisherigen Beschlüssen

bedeuten, daß er auch mit lebenslangem Zuchthaus davonkommen kann. Ministerialdirektor Schäfer: W ir können die Achtung auch bei Delikten, die mit absoluter Todesstrafe bedroht sind, zulassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir wollten den Geheimnisverrat als Verrat am deutschen Volke stempeln, aber doch etwas distanzieren von dem schweren Eingangsdelikt. Dann darf man doch hier nicht die gleiche schwere Strafdrohung aus­ sprechen. I m tz 2 wird vorgeschlagen, den Zwecksatz zu wandeln in „mit dem Vorsatz"; was hat das für einen Grund? Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Wenn die Absicht zu verraten verlangt wird, muß es dem T äter gerade darauf ankommen zu verraten. I n der Regel kommt es ihm aber nur darauf an, Geld zu verdienen. Deshalb ist es richtiger, nur den Vorsatz, einschließlich des Eventualvorsatzes, zu ver­ raten, zu fordern. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D ann kommen wir zu § 3. Senatspräsident Grau: Die Sachbearbeiter haben noch eine Änderung der §§ 3 und 4 vorgeschlagen. Der Entwurf hat bisher unterschieden zwischen dem Verrat (§ 3) und der Ausspähung (§ 4 Abs. 2) gefälschter Staatsgeheim­ nisse. Diese Unterscheidung beruht auf der Annahme, daß man zwar gefälschte Gegenstände, nicht aber ge­ fälschte Tatsachen oder Nachrichten ausspähen könne. D as ist aber nicht zutreffend, und deshalb haben wir jetzt vorgeschlagen, sowohl die Ausspähung wie den Verrat zusammen in § 3 zu bringen. Wenn man das akzeptiert, dann kann die Fassung viel einfacher und klarer werden. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Bei der Ausspähung hatten wir noch für den letzten Absatz den Vorschlag, die Mindeststrafe aus zwei Ja h re Zuchthaus zu erhöhen, um nicht gegenüber dem geltenden Recht zurückzugehen. Professor D r. Mezger: Ich möchte doch mein Bedenken zu einem Vor­ schlag der Herren Sachbearbeiter bezüglich des § 2 zum Ausdruck bringen. § 2 sagt bisher: „Wer sich ein Staatsgeheimnis verschafft, um es zu verraten". S ta tt dessen soll es jetzt heißen: „mit dem Vorsatz, es zu verraten". Begründet ist dieser Vorschlag damit, daß die bisherige Einschränkung, wonach der Verrat der Zweck des Handelns sein muß, nicht gerechtfertigt sei. Die neue Fassung umfaßt aber auch den dolus eventualis. Jüngst hat das Reichsgericht mit Recht darauf hingewiesen, daß es einen Eventualdolus der-

art, daß sich der Täter sagt, er s e l b st könnte vielleicht spater das oder das tun, nicht gibt. Wenn die neue Fassung einen solchen Eventualdolus umfassen sollte, so müßte ich mich dagegen aussprechen. Denn ein solcher Eventualdolus ist ein Unding. M. E. ist der Eventualdolus nur in der Art denkbar, daß sich jemand das Staatsgeheimnis verschafft und dabei damit rechnet, daß ein a n d e r e r es verraten könnte. D as gehört aber nicht hierher. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as wirft eine Frage auf, die in den Allgemeinen Teil weit hineinreicht, nämlich ob man einen Even­ tualdolus in bezug auf seinen eigenen Willen haben kann. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Wenn ich falsches Geld herstelle und mir vorbe­ halte, es in den Verkehr zu bringen, so habe ich es mit diesem Eventualdolus hergestellt. Professor Dr. Mezger: Dann wird die Strafbarkeit aber erst begründet, wenn der Täter den Entschluß saßt, das Geld in den Verkehr zu bringen, und d i e s e n Entschluß betätigt. Professor Dr. Kohlrausch: E s verschafft sich jemand Mobilmachungspläne, weil es ihn zunächst interessiert, die technische Leistungsfähigkeit der deutschen Eisenbahnen zu stu­ dieren. Wenn er sich dabei gesagt hat, ich werde es auch zu Geld machen, wenn sich dazu Gelegenheit bietet, dann würde dieser Fall nach dem Ref.Entwurf nicht mit der schweren Strafbestimmung getroffen werden, wohl aber nach dem Entwurf der Sach­ bearbeiter. E r muß m. E. aber bestraft werden, wenn er von vornherein den Eventualvorsatz der Ver­ wertung hatte. Professor Dr. Mezger: I n dem Kohlrauschschen Beispiel beginnt die Ver­ ratshandlung, wenn der Täter den Vorsatz faßt, das Geheimnis weiterzugeben und diesen Vorsatz betätigt. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Selbstverständlich muß der Eventualvorsatz, es zu verraten, schon zur Zeit des Verschafsens vorhanden gewesen sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde vorschlagen, dem Entwurf der Sach­ bearbeiter zu folgen. Dann käme § 4. D a möchte Herr Reichsgerichtsrat Niethammer „Gegenstände, von denen er weiß, daß sie falsch oder verfälscht sind" streichen. Bei § 5 ist der Wunsch geäußert worden, die Ge­ fängnisstrafe auf das Minimum von 6 Monaten zu setzen. Senatspräsident Grau: Nach dem Vorschlage des Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer sollte die Gefährdung zur Bedingung der

Strafbarkeit gemacht werden. Ich würde bitten, es bei der jetzigen Fassung zu belassen. Die hohen S tra f­ drohungen sind nur dadurch gerechtfertigt, daß der T äter weiß, daß das Wohl des Reiches durch sein Handeln gefährdet wird. Bei den übrigen Tatbestän­ den brauchte das nicht ausdrücklich gesagt zu werden, weil das schon in der Verratshandlung liegt. Hier muß es aber ausdrücklich gesagt werden. Wenn wir gar noch das Strafm aß erhöhen sollten, können wir die Gefährdung des Staatswohles unmöglich zur Be­ dingung der Strafbarkeit machen. M an muß doch bedenken, daß hier Gegenstand des Verrates auch frühere Staatsgeheimnisse sind, und daß die Falle verhältnismäßig harmlos sein können. Ich möchte deshalb auch die Mindeststrafe nicht erhöhen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wie denken die Herren darüber? Professor D r. Kohlrausch: Hier ist es ganz unerläßlich, daß der Vorsatz sich auf die Gefährdung bezieht; denn es sind strafun­ würdige Fälle, wenn der Täter nicht einmal weiß, daß etwas passieren könnte. Eine Heraufsetzung des Strafmaßes halte ich für angebracht. M an kann m. E. nicht mit zwei Wochen Gefängnis bestrafen; ich würde 6 Monate als Mindeststrase nehmen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde für die Unterkommission festlegen, daß der Vorsatz sich auf die Gefährdung bezieht. Die Mindeststrase könnte man vielleicht auf drei Monate festsetzen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: I m 2. Absatz haben wir jetzt zur Strafverfolgung die Anordnung der Reichsregierung verlangt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zu tz 6 ist vorgeschlagen worden, „vorsätzlich" in den Vordersatz einzuschalten; das ist nur eine Ver­ deutlichung, die ich für gut halte. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: W ir müssen auch Hast hinzunehmen, sonst ist keine Geldstrafe möglich. E s kommen recht leichte Fälle in Frage, wenn z. B. jemand etwas seiner Frau erzählt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I m nächsten Paragraph ist gewünscht worden, vor das W ort gefährdet einzusetzen „schädigt oder". D as halte ich für keine Sinnesänderung. Ministerialdirektor Schäfer: Da ist uns, glaube ich, im § 9 Abs. 3 vorher ent­ gangen, daß Herr Reichsgerichtsrat Niethammer auch „gefährden oder schädigen" vorgeschlagen hat. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Schädigung ist natürlich noch mehr und wird zweckmäßig mit hereingenommen.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: E s ist eine Frage, die öfter wiederkehrt, sollen w ir das tun? Reichsgerichtsrat Niethammer: M an sollte neben der Gefährdung auch von der Schädigung sprechen und dabei die Schädigung vor­

anstellen, weil sie die Regel bildet. Ich sehe nicht ein, warum man die Regel im Gesetz unterdrücken soll. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe dagegen gar nichts einzuwenden; ich möchte nur an unsere stundenlange Debatte über das Gefährdungsstrafrecht erinnern. Die Schädigung wäre also in den §§ 5, 6, 7 und 9 zu erwähnen.

(Schluß der Sitzung 19 Uhr 35 Minuten.)

Strafrechtskommission

Der § 9 ist erledigt. Ich darf die Herren Berichterstatter bitten, mit § 10 fortzufahren. Reichsgerichtsrat Niethammer:

77. Sitzung 25. Juni 1935 (Hahnenklee) Zweite Lesung Inhalt Landesverrat, Hochverrat (Fortsetzung der Aussprache) Reichsjustizminister Dr. Gürtner 1 ,3 ,4 ,5 ,6 ,7 ,8 ,9 ,1 0 ,1 1 ,1 2 ,1 3 Berichterstatter Reichsgerichtsrat Niethammer 1, 3, 4, 5, 6 ,1 2 Berichterstatter Professor Dr. Dahm 2, 3, 4, 5, 6, 7, 9, 10, 11 Senatspräsident Grau.........................................2, 3, 5, 8, 9, 11 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 3, 4, 6, 7, 8 Berichterstatter Professor Dr. Graf Gleispach.........3, 4, 8, 9 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack 4 ,5 ,6 ,7 , 8 ,1 1 ,1 2 Profestor Dr. Kvhlrausch...........................................4, 6, 7, 8, 9 Ministerialdirektor Schäfer........................4, 5, 6, 7, 8, 11, 12 Profestor Dr. Schaffstein.............................................5, 6, 8, 11 Profestor Dr. Henkel................................................................ 5, 10 Berichterstatter Senatspräsident Professor Dr. Klee 5, 9, 12 Professor Dr. Nagler....................................................................... 7 Ministerialrat Rietzsch................................................................... 12 Oberstaatsanwalt Dr. R eim er.................................................... 12

Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes Reichsjusttzminister Dr. Gürtner..........................13, 14, 15, 16 Berichterstatter Professor Dr. N agler........................................13 Berichterstatter Senatspräsident G rau....................................... 14 Professor Dr. Dahm ........................................................................14 Senatspräsident Professor Dr. Klee...................................15, 16 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack.......................15 Reichsgerichtsrat N ietham m er.................................................... 15 Professor Dr. M ezger.................................................................. 15 Professor Dr. Graf G leispach................................................... 15 Professor Dr. Kohlrausch............................................................. 15 Oberstaatsanwalt Dr. R eim er.................................................... 16 Professor Dr. Schaffstein...............................................................16 Oberregierungsrat Dr. von D ohnanyi..................................... 16 Professor Dr. Henkel.................................................................... 16

Beginn der Sitzung 9 Uhr 5 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren! W ir sind gestern bis zum Ende des § 7 gekommen und kämen jetzt zu § 8. F ü r den § 8 sind verschiedene Fassungsänderungen vorgeschla­ gen worden, die von der Unterkommission nachzu­ prüfen sind.

I n tz 10 Abs. 1 ist von mir eine andere Fassung vorgeschlagen worden; im Abs. 2 habe ich eine sprach­ liche Änderung angeregt. Der § 11 muß nach dem, was bisher beschlossen worden ist, eine andere Fassung erhalten, und zwar dahin: Ein Deutscher, der es u n tern im m t,........., wird mit Zuchthaus bestraft. Abs. 2 ist mit den bis­ herigen Vorschlägen sprachlich in Einklang zu bringen. Die landesverräterische Bestechung (§ 12) ist ent­ sprechend dem bisher Vorgeschlagenen nicht auf das Fordern oder Annehmen eines Entgelts von einer ausländischen Regierung oder von dem Beauftragten einer ausländischen Regierung zu beschränken, son­ dern so zu beschreiben, daß das Entgelt von jeder für das Ausland tätigen Person erfaßt wird. Auch hier ist statt „Verlangen" zu setzen „Anordnung". Die Herbeiführung einer Kriegsgefahr (§ 13) scheidet aus diesem Abschnitt aus, da sie in die Be­ stimmungen des echten Volksverrats aufgenommen werden soll. Eine inhaltliche Frage ist es, wo der Absatz 2 des § .13 des Entwurfs untergebracht werden'soll. Ich habe vorgeschlagen, den Absatz 2 nicht in diesem Ab­ schnitt zu belassen. Die Sachbearbeiter wollen eine solche Vorschrift in den Abschnitt Landesverrat auf­ nehmen und die Worte: „unverdiente Nachteile" ein­ fügen. Ich kann mir aber keinen Sachverhalt vor­ stellen, der es rechtfertigen könnte, eine Vorschrift dieses In h a lts in diesem Abschnitt erscheinen zu lassen. M ir sind aus der Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen Fälle bekannt, die von dem Absatz 2 getroffen werden würden, und die doch nicht unter eine solche Vorschrift gehören. Eine deutsche Maschinen­ fabrik hatte mit der türkischen Regierung Verträge über die Lieferung von Papiermaschinen abgeschlossen. Ein anderer Unternehmer versuchte, die alte Fabrik zu verdrängen. D as wäre ein Fall, auf den der T a t­ bestand des Entwurfs zutreffen würde, für den aber eine Zuchthausdrohung nicht angemessen ist. I m Tatbestand der Wasfenhilfe (§ 14) kann nach meiner Meinung alles unverändert gelassen werden. Die Sachbearbeiter wollen in minder schweren Fällen eine geringere Strafe vorsehen. D as Streben nach Milderungsmöglichkeiten ist aus die Erfahrungen zu­ rückzuführen, die während des vergangenen Krieges mit Fremdenlegionären gemacht worden sind. Die Verhältnisse waren aber damals so eigenartig, daß man solche Ausnahmeverhältnisse für die Zukunft nicht vorausberechnen kann. Wenn sich derartige Fälle wieder zutragen sollten, wäre es zweckmäßig, durch ein Sondergesetz Abhilfe zu schaffen. F ü r den tz 15 habe ich keine inhaltlichen Änderun­ gen, sondern nur Änderungen in der Fassung vor­ geschlagen; ebenso für die 8§ 16— 19.

F ür den § 20 weiche ich von den Vorschlägen der Sachbearbeiter ab, da ich glaube, daß diese Vorschrift hier fortgenommen und dem § 174 angegliedert wer­ den sollte. Denn bei den Mitteilungen über ein Landesverratsversahren ist nicht das Erfordernis aufzu­ stellen, daß dem Täter der Vorwurf zu machen ist, er habe dem Reich Abbruch tun wollen oder diesen Erfolg fahrlässig verursacht. Die §§ 21—23 sind hier auszuscheiden, da es sich um Straftaten von geringerer Bedeutung handelt, die besser in den Abschnitt: „Angriffe aus die Wehrmacht" paffen. Zu dem § 24 habe ich keine sachlichen Änderungen vorzuschlagen. Die Achtung braucht hier nicht allge­ mein erwähnt zu werden. I m § 25 ist der Abs. 1 durch die Neufassung des § 433 überflüssig geworden. Dagegen bleibt der Abs. 2 bestehen. Es ist aber nicht zweckmäßig, im Abs. 2 von „Einziehung" zu sprechen; das kann zu Mißverständnissen führen. M an sollte lieber den Ausdruck „für verfallen zu erklären" wählen. Professor Dr. Dahm: Ich kann mich nach den Ausführungen des Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer mit einigen kurzen Bemerkungen begnügen. M ir ist zunächst zweifelhaft, ob es richtig ist, die Bestimmung des § 11 über die Beweisvernichtung auf solche Tatsachen zu beschränken, die für die auswärti­ gen Beziehungen von Bedeutung sind. Ich möchte den Art. 255 des italienischen Strafgesetzbuchs zum Ver­ gleich heranziehen. Art. 255 des italienischen S tra f­ gesetzbuchs ersaßt alle Urkunden, die überhaupt von politischem Interesse sind. Ich schlage vor, den § 11 entsprechend zu erweitern. Auch § 12 muß erweitert werden, und zwar in derselben Richtung wie § 8. Z ur Zeit wird durch § 12 nur ein Deutscher erfaßt, der von einer ausländischen R e g i e r u n g oder von einem Agenten, der für eine ausländische Regierung tätig ist, ein Entgelt fordert. Ebenso wie den § 8 sollten wir auch den § 12 des Entwurfs auf alle Personen ausdehnen, die für das Ausland tätig sind und ein Entgelt annehmen. Damit würde auch die Tätigkeit für private Auslandsorgani­ sationen getroffen. Gegen § 13 habe ich keine grundsätzlichen Be­ denken. Aber auch hier geht das italienische S tra f­ gesetzbuch einen Schritt weiter. E s stellt im Art. 243 die Verbindung mit Staatsfremden zum Zwecke der Herbeiführung eines Krieges gegen den italienischen S ta a t unter Strafe. Während § 13 nur die Verbin­ dung mit einer ausländischen Regierung oder von einer für die ausländische Regierung tätigen Person erwähnt, wird im italienischen Strafgesetzbuch die Beziehung zum Staatsfremden schlechthin unter Strafe gestellt. Darüber hinaus enthält das ita­ lienische Strafgesetzbuch zwei Tatbestände, die im Ent­ wurf fehlen. Art. 244 des italienischen Strafgesetz­ buchs stellt feindliche Handlungen gegen einen aus­ ländischen S ta a t unter Strafe, die den italienischen S ta a t der Kriegsgefahr aussetzen. Eine solche Be-

stinmmng sollten auch wir aufnehmen, wobei ich aller­ dings dahingestellt lassen will, ob es nicht besser wäre, diesen Tatbestand in den Abschnitt über die Störung der Beziehungen zum Ausland aufzunehmen. Zweitens schlage ich die Einfügung einer Bestimmung nach Art des Art. 245 des italienischen Strafgesetz­ buchs vor. Der Grundgedanke dieses Artikels ist folgender: Es soll jeder unter Strafe gestellt werden, der die Bewegungsfreiheit der Regierung hemmt. D as Wohl des Reiches wird nicht nur dadurch beeinträch­ tigt, daß man es zum Kriege zwingt, sondern auch dadurch, daß man es zur Neutralität nötigt, wenn das Wohl des Reiches einen Krieg fordert. Die ita­ lienische Vorschrift beruht auf den politischen E r­ fahrungen des Jahres 1915, die auch für uns Be­ deutung haben. Die Strafdrohung des § 14 möchte ich in Über­ einstimmung mit Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer nicht geändert haben. Zwar können unter § 14 auch Handlungen fallen, die sich dem Notstände nähern. Trotzdem scheint mir gerade die Wafsenhilfe ein typischer Fall des Landesverrats zu sein. Gerade hier können wir nichts ablassen. Ich schlage hier auch die fakultative Achtung vor. Zu tz 15 hätte ich nichts zu bemerken. Ich gehe dabei davon aus, daß § 15 eine Art Generalklausel für den Volksverrat während des Krieges enthält und auch die geistige Zersetzung, also das, was das ita­ lienische Strafgesetzbuch Defaitismus nennt, unter Strafe stellen will. Wenn das die Auffassung ist, so würde ich dem § 15 zustimmen. Was § 16 betrifft, so vermag ich nicht einzusehen, warum die Bestimmung aus die ö f s e n t l i ch e Auf­ forderung oder Anreizung beschränkt werden soll. Ich möchte zur Erwägung geben, ob w ir nicht auf das Merkmal der Öffentlichkeit verzichten können. Ob über die Aufforderung hinaus die Vorbereitung zum Landesverrat schlechthin unter Strafe gestellt werden soll — so wie ja auch die Vorbereitung zum Hoch­ verrat bestraft wird — , möchte ich hier noch nicht erörtern. Zum § 17 hätte ich nur die Frage zu stellen, ob darunter auch die Nichterfüllung von Arbeitsverträgen fällt. Das scheint mir nämlich unbedingt notwendig. Vielleicht empfiehlt sich ein klarstellender Zusatz. Zu den §§ 18 und 19 habe ich nichts zu bemerken. Die §§ 20—23 würde ich aus diesem Abschnitt herausnehmen. Es handelt sich hier um Polizeiüber­ tretungen, die nicht in der Nähe des Volksverrats geregelt werden dürfen. Ich würde diese Bestimmun­ gen in den Abschnitt über die Delikte gegen die Wehr­ macht aufnehmen. Senatspräsident Grau: Zu § 10 hat die Abteilung vorgeschlagen, auch die Achtung vorzusehen; mindestens die fakultative Achtung würde hier am Platze sein. Auf Wunsch des Auswärtigen Amtes ist § 10 a in den Vorschlag der Abteilung eingeführt worden. Die Fassung ergibt sich aus Anmerkung 1 auf Seite 4 des Entwurfs.

Bei der landesverräterischen Beweisvernichtung muß das „Unternehmen" in den Tatbestand aufge­ nommen werden, um die Grenze der Strafbarkeit des geltenden Rechts zu erreichen. Es ist ferner angeregt worden, diesen Tatbestand über die Beweismittel hin­ aus, die für die auswärtigen Beziehungen von Bedeu­ tung sind, aus alle politischen Urkunden auszudehnen. D as scheint mir in diesem Abschnitt nicht möglich zu sein; für den Landesverrat ist gerade die Verbindung mit dem Ausland typisch. Professor Dr. Dahm: W ir haben doch keinen Landesverrat mehr. Senatspräsident Grau: Aber dasselbe muß für den Volksverrat gelten. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Die Bedenken gegen die Einbeziehung von Ur­ kunden, die nicht auswärtige Beziehungen betreffen, sind nicht mehr so groß wie bei der Trennung der Abschnitte Hochverrat und Landesverrat. Senatspräsident G rau: I m § 12 ist bisher Adressat nur die ausländische Regierung oder jemand, der für die ausländische Re­ gierung tätig ist; nach den Vorschlägen soll jetzt auch hier die Tätigkeit für das Ausland schlechthin erfaßt werden. § 13 muß entgegen dem Vorschlag der Abteilung beginnen: Ein Deutscher, d e r----- Auch hier ist die Frage, ob man die Achtung fakultativ vorsehen soll. Reichsgerichtsrat Niethammer: Die Achtung ist jetzt zwingend vorgesehen. Senatspräsident Grau: I n § 13 ist ferner statt „in Beziehung tritt" vor­ geschlagen worden: „Beziehungen aufnimmt". D as scheint mir richtiger zu sein. Bei § 14, der die Wassenhilfe behandelt, dreht es sich ebenfalls um die Frage, ob die Achtung vorgesehen werden soll. Ich würde vorschlagen, auch hier die Achtung einzuführen; fakultativ würde sie mir jeden­ falls notwendig erscheinen. F ür den Abs. 2 des § 13 ist vorgeschlagen worden, minder schwere Fälle auszunehmen, und zwar gerade mit Rücksicht auf die Fremdenlegionäre. E s gibt Fälle, in denen man nicht mit Notstand Helsen kann. D as geltende Recht trägt dem in § 91 a Rechnung. W ir wollten vorschlagen, für minder schwere Fälle Zuchthaus nicht unter 2 Jahren einzuführen. Bei der Begünstigung des Feindes (§ 15) muß auch das Unternehmen eingesetzt werden. Ich würde auch hier fakultative Achtung vorsehen. Die Abteilung hat weiter vorgeschlagen, als § 1 5 a den tz 13 Abs. 2 des Entwurfs aufzunehmen; es handelt sich um den Fall, daß nicht dem Reich während eines Krieges Nachteile zugefügt werden, sondern daß die Nachteile einem einzelnen Deutschen erwachsen. E s kann zweifelhaft sein, ob diese Bestimmung überhaupt

in diesen Abschnitt hineingehört. W ir haben eingefügt „schwere u n v e r d i e n t e Nachteile" und haben daran gedacht, daß z. B. ein Deutscher, der einen anderen Deutschen bei einer ausländischen Polizei­ behörde wegen eines Eigentumsdeliktes anzeigt, nicht mit lebenslangem Zuchthaus bedroht werden kann. Reichsgerichtsrat Niethammer: Die von mir erwähnten Fälle werden aber auch von dieser Vorschrift erfaßt. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Diese Fälle haben aber mit Strafrecht nichts zu tun. Reichsgerichtsrat Niethammer: Diese Fälle können aber doch unter diese Be­ stimmung gebracht werden und werden den Gerichten große Schwierigkeiten machen. Senatspräsident G rau: Der Tatbestand des § 16 ist bisher auf die öffent­ liche Aufforderung beschränkt gewesen. E s ist vorge­ schlagen worden, auch die nicht-öffentliche Aufforde­ rung in diesen Tatbestand aufzunehmen. Meines E r­ achtens sind diese Fälle aber bereits anderweitig er­ saßt; die nicht-öffentliche Aufforderung richtet sich regelmäßig an einen bestimmten Personenkreis und kann deshalb, wenn sie erfolgreich ist, als Anstiftung bestraft werden. Bleibt sie erfolglos, so können wir sie ebenfalls als versuchte Anstiftung erfassen. Den § 17 wollten wir hier herausnehmen und in den Abschnitt „Angriffe auf die Wehrkraft" setzen. Zu den §§ 18 und 19 ist nichts weiter zu sagen. Zu § 20 ist vorgeschlagen worden, ihn in § 174 e des Entwurfs einzugliedern. D as scheint mir durch­ aus zweckmäßig zu sein. Die §§ 21 bis 23 sollen nach den Vorschlägen der Sachbearbeiter ebenfalls in den Abschnitt „Wehr­ kraft" kommen. Zu § 24 ist nichts zu sagen. § 25 Abs. 1 soll nach den Vorschlägen der Sach­ bearbeiter fortfallen; die Überschrift dieses P a ra ­ graphen wird dann „Versallerklärung" lauten. I n Abs. 2 wird für „einzuziehen" besser gesagt „für ver­ fallen zu erklären". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zu § 10 sind die Meinungen nicht ganz einheitlich. M ir wäre es am sympathischsten, wenn man von einem Deutschen als Beauftragten sprechen würde. Professor Dr. Graf Gleispach: Darf ich fragen, warum im § 10 nicht vom „Unternehmen" gesprochen wird? Nach der jetzigen Fassung ist der E intritt eines Nachteils notwendig. Wenn man vom Unternehmen spricht, braucht der Nachteil nicht eingetreten zu sein, sofern er nur im Vorsatz des Täters lag.

Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Solange ein solches Geschäft nicht abgeschloffen ist, ist es sehr schwer zu sagen, daß es zum Nachteil geführt worden ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I n mir wehrt sich das Sprachgefühl dagegen zu sagen: „Wer es unternimmt, zum Nachteil zu führen". D er Versuch wird sowieso strafbar bleiben. I n § 10 wäre auf den Deutschen abzustellen. Die fakultative Achtung ist von allen Seiten vor­ gesehen worden. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Soll im 10 die Überschrift stehen bleiben? Oder soll es jetzt heißen: Volksverräterische Untreue? Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es muß wohl jetzt heißen: Volksverräterische Un­ treue; das Wort Untreue kann man nicht entbehren. § 10 a ist dem Wunsche des Auswärtigen Amtes entsprechend eingefügt worden. Reichsgerichtsrat Niethammer: Dann muß es auch im § 1 0 a heißen: Deutscher.

Ein

Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Wie ist es mit dem Ausländer? Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Das kommt in den Katalog der Straftatbestände gegen Ausländer. Proseffor D r. Gras Gleispach: Geht § 1 0 a nicht weiter als beabsichtigt? Jede Berichterstattung könnte danach strafbar sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Das letzte Regulativ hat die Reichsregierung selbst. Proseffor D r. Gras Gleispach: Unter diesen Tatbestand würde es auch fallen, wenn ein Verwaltungsbeamter die Verhältniffe in seinem Bezirk zu günstig schildert. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E r muß aber wissen, daß die Tatsachen unwahr sind. Professor D r. Graf Gleispach: Es gehört aber auch alles hierher, was nicht mit der außenpolitischen Lage des Reiches in Verbindung steht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Anstoß richtet sich gegen das Wort „wer" im Absatz 2; gemeint ist aber auch im Abs. 2 „wer im auswärtigen Dienst steht".

Zu tz 11 ist vorgeschlagen worden zu sagen: „Wer es unternimmt"; ferner soll auch hier nur ein Deutscher erfaßt werden. Es wurde ferner angeregt, diese Bestimmung nicht nur aus die auswärtigen Be­ ziehungen des Reiches, sondern auf alles abzustellen, was für die innenpolitischen Verhältniffe des Reiches von Bedeutung ist. Ich weiß nicht, ob das nicht viel zu weit geht. Darf ich bitten, einen F all mitzuteilen, für den diese Bestimmung praktisch würde? Professor Dr. Dahm: Aus einem bestimmten innerpolitischen Anlaß ent­ steht zwischen hohen Reichsbehörden ein Briefwechsel, z. B. über eine verfassungsrechtliche Frage. Der Briefwechsel wird geändert, unterdrückt oder ver­ fälscht. Auch hier muß bestraft werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich fürchte, daß das eine zu große Ausweitung bedeutet. Der Briefwechsel zwischen den höchsten Reichsbehörden über eine Einrichtung des Reichs, z. B. darüber, ob der Chef einer unmittelbaren Reichs­ behörde diesem oder jenem Reffortminister verant­ wortlich ist, kann nicht diesen Strafschutz erhalten. Professor Dr. Graf Gleispach: F ü r diese Fälle haben wir ohnehin einen T at­ bestand bei den Urkundendelikten. Die Frage ist, ob die Beweismittel für die Sicherung des Reiches her­ ausgehoben werden sollen. Professor Dr. Kohlrausch: Die hier entstehenden Schwierigkeiten hängen z. T. damit zusammen, daß wir immer noch von dem Landesverratsgedanken ausgehen, d. h. daß wir eine Schädigung des Reichs im Verhältnis zum Ausland verlangen. Diese Stellungnahme kommt z. B. auch in der Begriffsbestimmung der Staatsgeheimnisse zum Ausdruck. I n der ersten Lesung ist schon die Frage aufgeworfen worden, ob wir nicht zu den S ta a ts­ geheimnissen auch das rechnen sollten, was für die innere Lage von Bedeutung ist; z. B. die Pläne, wie die Regierung im Falle innerer Unruhen vorgehen wird. Die jetzt auftauchenden Schwierigkeiten er­ klären sich z. T. daraus, daß wir immer noch unter dem Banne des alten Landesverratsgedankens stehen. Nach­ dem wir im § 9 diese Beschränkungen aus die Be­ ziehungen zum Auslande getroffen haben, kann man sie im 8 11 nicht ausgeben. Dieser ganze Gedanke paßt aber nicht zu unserem Volksverrat. Ohne eine Änderung des 8 9 können wir freilich auch den 8 H nicht ändern. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dieser Hinweis scheint mir richtig zu sein. Ministerialdirektor Schäfer: Ich fürchte, daß wir ins Uferlose kommen, wenn wir den Begriff des Staatsgeheimnisses ganz allge­ mein fassen. Ich möchte ein Beispiel geben. Bei einem großen Explosionsunglück bestehen über die Zahl der Toten Vermutungen; das wirkliche Ausmaß des Unglücks wird nicht bekannt-

gegeben. Nach der neuen Begriffsbestimmung wäre dies auch ein Staatsgeheimnis. Wir kommen mit dieser Begriffsbestimmung ins Uferlose. W ir müssen auch beachten, daß wir noch Vorschriften über den Schutz des Geheimnisses bei den eigentlichen Geheim­ nisträgern haben. Professor Dr. Dahm: D as Beispiel des Herrn Ministerialdirektor Schäfer bestärkt mich in der Auffassung, daß § 11 erweitert werden muß. Professor Dr. Schassftein: W ir können nicht alle Staatsgeheimnisse schützen, die für die Innenpolitik von Bedeutung sind; aber die schwersten Fälle auch dieses Geheimnisverrats müssen wir unter Strafe stellen. Ich würde aber nach einer Bestimmung suchen, die wirklich nur die schwersten Fälle ersaßt. Denn w ir würden ins Ufer­ lose kommen, wenn wir alle Fälle treffen wollten. D as von Herrn Ministerialdirektor Schäfer ange­ führte Beispiel würde ich allerdings unter diese Be­ stimmung mitgesaßt wissen wollen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Geheimnisse, die im Bereich der Amtsver­ schwiegenheit liegen, können S ie nicht meinen. Die Begriffsbestimmung des Staatsgeheimnisses beim bisherigen Landesverrat ist deswegen sehr ein­ fach, weil jemand auftritt, vor dem etwas geheim­ zuhalten ist, nämlich das Ausland, und auch der Zweck umgrenzt das Gebiet, nämlich die Beziehung aus die Landesverteidigung. Bei den Geheimnissen, die nicht vor der ausländischen Regierung geheimzuhalten sind, ist dagegen noch eine Abgrenzung zu suchen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich kann mir schwer ein für das innerpolitische Leben sehr wichtiges Geheimnis denken, das nicht auch gegenüber dem Ausland von Bedeutung ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es müßte also ein Fall sein, in dem es gleichgültig ist, ob das Ausland das Geheimnis erfährt. Professor Dr. Dahm: Ein solches Beispiel hat Herr Professor Kohlrausch gebildet. Der Verrat eines Aktionsplans der Polizei für den Fall eines kommunistischen Aufstandes muß doch bestraft werden. Reichsgerichtsrat Niethammer: Gerade für den von Herrn Professor Kohlrausch angeführten Fall hat das Reichsgericht ausgesprochen, daß solche Pläne auch vor dem Ausland geheimzu­ halten sind. Diese für das innenpolitische Leben wich­ tigen Geheimnisse fallen immer unter den Schutz gegen Verrat an das Ausland. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dieser Mobilmachungsplan ist auch deswegen ein schlechtes Beispiel, weil er vor einem S ta a t des Aus­ landes sicher geheimzuhalten ist.

Professor Dr. Henkel: „Wohl des Reiches" ist auch weiter als „Sicherung des Reiches". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir sollten nicht versuchen, das in Worten auszu­ drücken; wir kommen sonst in eine böse Nachbarschaft zum Bruch der Amtsverschwiegenheit. Professor Dr. Dahm: E s sollen gerade die Fälle erfaßt werden, in denen der Täter kein Beamter ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde vorschlagen, es bei der bisherigen Be­ stimmung zu lassen. § 11 muß parallel gestaltet werden. Senatspräsident Professor Dr. Klee: § 159 und § 160 decken das Strafbedürfnis nicht ganz. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an könnte diese Fälle für die Urkundenvernich­ tung und Beweismittelvernichtung vormerken; dort werden wir die Frage nachzuprüfen haben. I m § 12 soll der „Jemand" eine Person sein, die für das Ausland tätig ist. Is t unter „Wohl" auch der Wirtschastszustand des Reiches zu verstehen? Ministerialdirektor Schäfer: § 12 ist durch die Novelle in das geltende Recht eingefügt worden. Man muß bei der Formulierung vorsichtig sein. Wenn das Erfordernis einer Tätigkeit für die ausländische Regierung fallengelassen wird, könnten unter diese Bestimmung auch die Berichte der Pressevertreter ausländischer Zeitungen fallen; denn auch diese Berichterstatter werden vom Ausland be­ zahlt. Senatspräsident Grau: Der Tatbestand ist aber aus Deutsche beschränkt. Ministerialdirektor Schäfer: Jetzt kommen aber auch z. B. die Jndustrievertreter hinzu. Nehmen wir einen ausländischen Konzern. Diese Konzerne haben deutsche Vertreter, deutsche Anwälte. Diese Vertreter nehmen die Interessen ihres Konzerns wahr; dies geht nicht anders, als daß sie möglicherweise mit deutschen Interessen in Kollision geraten; das Verhalten dieser Vertreter kann daraus hinauslaufen, das Wohl des Reichs zu gefährden. D as wollen wir aber nicht verbieten oder unter Strafe stellen. Deswegen ist die Beschränkung, daß der Betreffende für eine ausländische Regierung oder für einen ausländischen Agenten, der mit der ausländischen Regierung in Be­ ziehungen steht, tätig wird, erforderlich.

Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich teile diese Bedenken nicht. Es handelt sich um nichts anderes als um eine Auslegung der Worte: Wohl des Reiches. Ein Vertreter eines ausländischen Unternehmens, der einen Vertrag abschließt, der die Einfuhr erhöht, gefährdet nicht das Wohl des Reiches in dem hier gemeinten Sinne. I m wirtschaftlichen Wettbewerb müßen solche Kämpfe um den Absatz mög­ lich sein, ohne daß dies das Erfordernis „Gefährdung des Wohls des Reiches" erfüllt. D as Beispiel, das Reichsgerichtsrat Niethammer aus der Rechtsprechung der Zivilsenate anführt, kann auch nicht unter diese Bestimmung fallen. Ich sehe keine Bedenken, diese Bestimmung so zu fassen, wie es hier beantragt wor­ den ist. Profeffor Dr. Kohlrausch: Ich teile gerade auf Grund der Beispiele des Herrn Präsident Thierack die Bedenken, die Herr Ministe­ rialdirektor Schäfer vorgetragen hat, auf das leb­ hafteste. S o sehr auch in den anderen Bestimmungen die Ausdehnung auf eine Tätigkeit für das Ausland schlechthin richtig war, ist diese Ausdehnung hier zu weit. Unter dem Ausdruck „Wohl des Reiches" kann auch die wirtschaftliche Wohlfahrt gemeint sein. Wir kommen durch den § 12 aus Umwegen zu der Strafvorschrist gegen den Wirtschastsverrat, die wir früher besprochen und abßelehnt haben. Wie wollen wir verhindern, daß jemand, der als Vertreter eines großen Konzerns ein P atent verkauft, von dieser Vor­ schrift erfaßt wird? Diese Bestimmung kann sich auch auf eine Erfindung beziehen, die vielleicht in der weiteren Auswirkung für die Wehrmacht von Be­ deutung ist. W ir weiten diese Vorschrift in einer un­ übersehbaren Weise auf das wirtschaftliche Gebiet aus, wenn wir sogar die Gefährdung des Wohls des Reiches genügen lassen. Der Tatbestand über den Wirtschastsverrat traf diese Fälle, war sehr vorsichtig gefaßt und ist trotzdem überwiegend aus Bedenken gestoßen. Profeffor Dr. Schassftein: Durch eine Abänderung des Wortes „Wohl" kann man vielleicht zum Ziele kommen. M an könnte viel­ leicht sagen: „Macht und Sicherheit des Reiches".

Ministerialdirektor Schäfer: Als wir diesen Paragraphen formulierten, schwebte uns als Beispiel vor, daß ein deutscher Reichstagsabgeordneter von einer ausländischen Re­ gierung bezahlt wird; dies schien uns strafwürdig zu sein. F ü r diese Fälle brauchen wir eine Strafbestim­ mung, die auch dann zutrifft, wenn der Betreffende im Dienst wirtschaftlicher Interessen des Auslandes steht. Den Ausdruck „Wohl des Reiches" gebrauchen wir auch für das wirtschaftliche Wohl. Wenn wir diese Bestimmungen auf die Fälle ausdehnen würden, in denen der Ausländer im Dienste privater J n ­ tereffen steht, und dann auf die wirtschaftlichen Be­ ziehungen bezögen, würde das viel zu weit gehen; denn das würde ganz legale Fälle treffen. Ich möchte noch einmal für die engere Fassung: Bestechung durch ausländische Regierung oder durch einen für die aus­ ländische Regierung tätigen Agenten eintreten.

Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Überlegen S ie sich etwa folgenden Fall: I n Deutschland ist eine Erfindung gemacht worden. Diese Erfindung wird an einen ausländischen S ta a t ver­ kauft. Is t das ein Treubruch des M annes gegenüber dem deutschen Volke? Ich möchte das dann bejahen, wenn der M ann weiß, daß die fremde Macht diese Erfindung militärisch gegen das Deutsche Reich anwen­ den kann. Dann sind aber auch die Erfordernisse für die Beeinträchtigung des Wohls des Reiches erfüllt. Ich wehre mich aber dagegen, in dem Wort „Wohl des Reiches" eine wirtschaftliche Verflechtung zu sehen.

Die Abteilung hat vorgeschlagen: „Für das Aus­ land tätig ist".

Profeffor D r. Kohlrausch: Die Möglichkeit besteht aber immer, daß der Ver­ kaufende auch eine weitergehende Schädigung in Kauf nimmt.

Profeffor Dr. Dahm: Gerade für die Zukunft müssen wir damit rechnen, daß uns anonyme, wirtschaftliche, „private" Mächte entgegentreten.

Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Große ausländische Konzerne können in dieser Richtung ebenso gefährlich sein wie die ausländische Regierung. Reichsgerichtsrat Niethammer: Dann kann § 346 (entsprechende Anwendung des nicht unmittelbar zutreffenden Gesetzes) abhelfen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn wir „Macht und Sicherheit" nehmen, wer­ den die Fälle nicht getroffen, die wir gerade treffen wollen. Wenn wir an dieser Stelle das weitere Wort gebrauchen, scheint es mir richtig zu sein, als B e­ stechenden nur die Regierung oder die Regierungs­ vertreter auftreten zu lassen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Wenn wir hier im Gegensatz zu den anderen Be­ stimmungen den Regierungsagenten ausdrücklich hin­ einschreiben, schließt das dann nicht die analoge Aus­ dehnung auf Personen, die nicht Regierungsagenten sind, aus? Reichsjustizminister Dr. Gürtner:

Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Die T at wird auch nur auf Anordnung der Reichs­ regierung verfolgt; das ist eine ausreichende Siche­ rung gegen Strafverfolgung in ungeeigneten Fällen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: W ir müssen die Tätigkeit für das Ausland schlecht­ hin genügen laffen; denn es gibt große Machtgruppen, die gefährlicher sind als die Regierung.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as wäre ein Plädoyer für den Vorschlag der Sachbearbeiter. Wenn man die Anordnung der Reichsregierung vorsieht, kann man diese Erweiterung hinnehmen. Professor Dr. Kohlrausch: Durch den letzten Absatz kann zwar den gröbsten Mißgriffen vorgebeugt werden. Aber es handelt sich nicht nur um den Verkauf von Patenten, sondern auch um die Fälle, daß sich ein deutscher Chemiker für ein ausländisches Unternehmen engagieren läßt. Dieser Chemiker ist im Besitz von Geheimnissen. E r bekommt dann Geld für eine Handlung, die vielleicht für das Wohl des Reiches als gefährdend angesehen wird. Wenn man sich auf den Ausweg des Abs. 2 verläßt, so ist das ein Eingeständnis dafür, daß der Abs. 1 zu weit ist. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Es können dies aber durchaus Fälle sein, die schwere Treubrüche sind. Professor Dr. Dahm: M an soll doch nicht so ängstlich sein. Ich könnte mir vorstellen, daß der Chemiker wirklich bestraft wer­ den müßte. Professor Dr. Kohlrausch: Ich bin für Ängstlichkeit, weil Freizügigkeit in diesen Dingen wünschenswert und auch gar nicht zu vermeiden ist. I m übrigen sollte über diese Frage wohl das Wirtschaftsministerium gehört werden, das hier sicher interessiert ist. Professor Dr. Nagler: W ir werden den Wirtschaftsverrat noch behandeln müssen; aus dieser Spezialregelung wird sich dann e co n trario ergeben, daß die Bestechung beim W irt­ schaftsverrat nicht int § 12 getroffen ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei den Patenten ist auf einem anderen Wege ein Riegel vorgeschoben worden. Nach dem neuen Entwurf des Patentgesetzes können Patente, die für die Landesverteidigung wichtig sind, nicht ohne Zu­ stimmung des Kriegsministeriums in das Ausland gegeben werden. Nur wenn sich das Kriegsministe­ rium für uninteressiert erklärt, kann das Auslands­ patent nachgesucht werden. Ich würde vorschlagen, die letzte Fassung der Sachbearbeiter aufzunehmen und Bedenken mit dem Wirtschastsministerium zu erörtern, insbesondere den Fall des Engagements. § 13 Abs. 1 gehört nicht hierher, sondern in den großen umfassenden Tatbestand. Diese Bestimmung muß auf den Deutschen abgestellt werden. Bei Abs. 2 ist die Hauptfrage, wohin diese Vorschrift systematisch gehört. Ferner ist eine Ausweitung nach folgenden Richtungen angeregt worden: „Jem and begeht feind­

liche Handlungen gegen das Ausland in der Absicht, das Ausland zum Kriege zu reizen", und „Jemand begeht eine Handlung, die den Zweck hat, die Be­ wegungsfreiheit des eigenen Landes zu beengen". Wohin sollen diese Bestimmungen gehören? Ministerialdirektor Schäfer: F ü r diese Fälle wäre ein besonderer Paragraph zu formulieren; systematisch würden diese Fälle in diesen Abschnitt gehören. Professor Dr. Dahm: Ich würde die Strafdrohung für feindliche Hand­ lungen gegen das Ausland, die darauf abzielen, das Ausland zum Kriege zu reizen, hier bringen. Denn der Ton einer solchen Bestimmung liegt nicht auf der Unfreundlichkeit gegen den fremden S taat, sondern darauf, daß das Deutsche Reich gefährdet wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist ein Unterfall der Herbeiführung einer Kriegsgefahr. Endlich sollen die Handlungen, die die politische Bewegungsfreiheit einengen, erfaßt werden. Sollen wir diesen F all besonders erwähnen? Ich würde das nicht empfehlen. Professor Dr. Dahm: Ich würde sagen: Es wird bestraft, wer sich mit einem Fremden verbindet, um die deutsche Regierung zu einer bestimmten Politik zu zwingen. I m übrigen wäre wohl für den ersten Tatbestand eine Anordnung der Reichsregierung zu fordern? Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as kann man bei den Dingen der hohen Politik wohl immer erfordern. Ministerialdirektor Schäfer: W ir würden den Paragraphen formulieren und mit dem Auswärtigen Amt besprechen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zunächst ist also der F all der drohenden Kriegs­ gefahr, ein Unterfall der Herbeiführung der Kriegs­ gefahr, des weiteren die Hemmung der Bewegungs­ freiheit der Politik zu berücksichtigen. Zu § 14 ist zunächst fraglich geworden, ob die Strafdrohung beibehalten werden soll. Das würde ich bejahen, und zwar auch auf die Gefahr hin, daß wir gewisse Fälle auf anderem Wege ausnehmen müssen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Es besteht hier noch ein Zweifel hinsichtlich der Achtung. W ir haben bisher vorgesehen, daß Ächtung nur neben Todesstrafe und lebenslangem Zuchthaus ausgesprochen werden kann. Neuerdings ist in Aus­ sicht genommen, die Ächtung nur neben der Todes­ strafe vorzusehen. Kann sie dann hier beibehalten werden?

Ministerialdirektor Schäfer: . D as macht aber keine Schwierigkeit; es bleibt dabei, daß die Achtung nur neben der Todesstrafe oder neben dem lebenslangen Zuchthaus ausge­ sprochen werden darf. Wenn nur aus 10 Jahre Zucht­ haus erkannt wird, kann die Achtung nicht ausge­ sprochen werden. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich wäre schon dafür, die Hauptstrafdrohung nicht beim lebenslangen Zuchthaus enden zu lassen. Ich wehre mich nur gegen die minder schweren Fälle. Dann käme der § 15. Der Tatbestand muß auf das Unternehmen erweitert werden. Soll der T at­ bestand auch auf einen Deutschen beschränkt werden? Ich glaube, daß wir das tun müssen. Unter diesen Tatbestand gehört auch die Propaganda. Fraglich ist, ob auch die Achtung vorgesehen werden soll. Die Sachbearbeiter haben die Achtung vorgeschlagen. Nach meiner Meinung sollte jedenfalls fakultativ die Achtung vorgesehen werden. Zu Abs. 2 ist vorgeschlagen worden, diese Be­ stimmung im S tile dem untauglichen Versuch anzu­ passen. Als Strafdrohung wäre zeitiges Zuchthaus vorzusehen. § 15 a nach dem Vorschlag der Sachbearbeiter ist der zweite Absatz -des bisherigen Paragraphen 13. Diese Bestimmung ist schon bis auf den „unverdienten Nachteil" erörtert worden. M ir ist nicht ganz klar, welche Fälle unter diese Bestimmung kommen sollen. Senatspräsident Grau: Wenn ein Deutscher im Ausland eine strafbare Handlung begangen hat und ein anderer Deutscher ihn bei einer Behörde des ausländischen S taates an­ zeigt, so können wir dies nicht mit Zuchthaus be­ strafen. Lasten wir den „ u n v e r d i e n t e n " Nach­ teil fort, so würde dieser F all von der Bestimmung erfaßt werden. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Es soll z. B. der Fall getroffen werden, daß ein Deutscher einen anderen Deutschen denunziert und diesem dann die Aufenthaltserlaubnis in dem fremden S ta a t entzogen wird. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Gemeint ist hier wohl z. B. der Fall, daß ein Deutscher, der als Spion im Ausland tätig ist, der ausländischen Kriminalpolizei angezeigt wird. Besteht aber nicht die Besorgnis, daß Handlungen unter diese Vorschrift fallen, die wir nicht darunter fasten wollen? Wenn ich z. B. einen Deutschen an­ zeige, der in P a ris bei mir eingebrochen ist, müßte ich nicht nach dieser Vorschrift bestraft werden? Professor Dr. Kohlrausch: Ein Deutscher bricht in P a ris in mein Hotel­ zimmer ein; den möchte ich aber in P a ris anzeigen können.

Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich möchte, daß das „unverdient" fortbleibt. Wenn ich den Deutschen anzeige, der mein Gepäck ge­ stohlen hat, so darf das Anzeigen nicht bestraft wer­ den. Zur Ausscheidung nicht strafwürdiger Fälle könnte man vielleicht auf die Anordnung der Reichs­ regierung zurückkommen. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Wenn man auch diese T at nur auf Anordnung der Reichsregierung verfolgen läßt, sehe ich keine Ge­ fahr. M ir ist allerdings etwas unbehaglich, wenn man alles auf die Anordnung der Reichsregierung abstellt. Wie stellen sich die Herren zum „unverdienten Nachteil"? Profeffor Dr. Schassstein: Würde man nicht zu sehr einschränken, wenn man eine Verfolgung dieser Fälle nur auf Anordnung der Reichsregierung zuläßt? Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Es muß auch dann berichtet werden, wenn eine Anordnung der Reichsregierung nicht vorgesehen wird. E s handelt sich bei diesem Tatbestand aber um ganz seltene Fälle. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Es ist zweckmäßig, eine Anordnung der Reichs­ regierung vorzusehen. Denn hier handelt es sich um Dinge, die die Deutsche Regierung mit der auslän­ dischen Regierung in Konflikt bringen können. Wenn wir auf diese behördliche Maßnahme im Ausland mit einer Strafverfolgung gegen den Denunzianten reagieren, so kann das leicht zu diplomatischen Ver­ wicklungen führen. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich würde also vorschlagen, das Merkmal „un­ verdient" fortzulassen und eine Anordnung der Reichsregierung zu verlangen. Die Aufforderung zum Landesverrat kann hier nicht erscheinen. Diese Aufforderung gehört zu § 29. Was bte Öffentlichkeit anlangt, so muß dieses E r­ fordernis bestehen bleiben, und zwar deswegen, weil es eine Erweiterung zu der schon bestehenden S tra f­ bestimmung der Aufforderung zum Landesverrat ist. Zu § 17 ist vorgeschlagen worden, diese Bestim­ mung in den Abschnitt über die Wehrkraft zu stellen. Professor Dr. Gras Gleispach: M an kann auch hier die Frage auswerfen, ob man diesen Tatbestand bisher nicht zu Unrecht nur auf den Landesverrat beschränkt hat. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich weiß nicht, ob wir die Tatbestände nicht zu sehr entfärben, wenn wir alles auf die höhere Kate­ gorie bringen. Die Beziehung aus die Landesver­ teidigung ist etwas so Bestimmtes, daß man diese

Figur bestehen lassen sollte. Ich würde vom S tand­ punkt des Kriegsministeriums aus wünschen, daß diese Figur bestehen bleibt. D as ist keine materielle Entscheidungsfrage, ich glaube aber, daß wir sonst zu ganz farblosen Tatbeständen kommen würden. Professor Dr. Kohlrausch: Früher stand diese Bestimmung unter den gemein­ gefährlichen Handlungen; jetzt befindet sie sich'in dem Abschnitt über den Landesverrat. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde vorschlagen, bett § 17 in den Bestim­ mungen über die Wehrmacht einzureihen. Es fragt sich, ob auch die Arbeitsverträge von dieser Vorschrift erfaßt werden. Senatspräsident Grau: Früher war in diesem Tatbestand von Lieferungs­ verträgen die Rede; weil auch die Arbeitsverträge erfaßt werden sollten, wird jetzt schlechtweg von Ver­ trägen gesprochen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte auch glauben, daß die Dienst- und Arbeitsverträge erfaßt werden. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Bei den gemeingefährlichen Handlungen ist diese Frage auch schon erörtert worden; man ist auch schon damals zu einer weiteren Fassung gekommen. Professor Dr. Dahm: Ich möchte diese Bestimmung auch so auslegen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Damit ist die Frage des Munitionsarbeiterstreiks positiv entschieden. Zu § 18 ist vorgeschlagen worden, diese Bestim­ mung zu den Vorschriften über die Landesverteidi­ gung zu nehmen; sie gehört auch in diesen Abschnitt. Zu § 19 sind keine sachlichen Änderungen vorge­ schlagen. Zu § 20 ist angeregt worden, diese Bestimmung zu dem § 174 zu nehmen. Die §§ 21 bis 23 einschließlich sollen in die Be­ stimmungen über die Wehrmacht eingereiht werden; dagegen besteht keine Erinnerung. Zu § 24 ist nachzuprüfen, ob die Strafdrohungen stimmen. über § 25 besteht Einigkeit; der Absatz 1 fällt fort; in Abs. 2 wird von Verfallerklärung gesprochen. W ir kämen jetzt zum alten Hochverrat. Wie kann man diese Vorschrift unterbringen, ohne wieder auf eine Begriffsspaltung zu kommen? Professor Dr. Graf Gleispach: Über den Abschnitt des alten Hochverrats bleibt wenig zu berichten, weil die Haupttatbestände durch den ersten, umfassenden Tatbestand aufgenommen

worden sind. Die §§ 26 und 27 sind dadurch erledigt. Es bleibt nur noch übrig zu entscheiden, ob von der rechtlichen oder völkischen Grundordnung gesprochen werden soll. Ich möchte vorschlagen, den Ausdruck „völkische Grundordnung" zu gebrauchen. Gegenüber dem gedruckten Entwurf ist zu ändern, daß jetzt nicht mehr Gewalt oder Drohung mit Gewalt gefordert wird; darüber ist bereits gestern eine Eini­ gung erzielt worden. Über die M ittel ist also über­ haupt nicht zu sprechen. D as italienische Strafgesetz­ buch stellt ausdrücklich das Erfordernis auf, daß aus anderem als verfassungsmäßigem Wege vorgegangen werden muß; das versteht sich aber von selbst. Der Hochverrat gegen die Volksführung ist in dem neuen Vorschlag bereits vorgesehen, und zwar so, daß der Anschlag gegen Leib und Leben und gegen die Freiheit des Führers einbezogen ist; dadurch wird der § 28 ersetzt. Der Fall, daß der Führer seiner ver­ fassungsmäßigen Gewalt beraubt werden soll, ist nicht besonders zu nennen. § 29 wäre mit dem früher be­ sprochenen Paragraphen der Aufforderung zum Volksverrat überhaupt zu vereinigen. Schwieriger ist die Frage der Vorbereitung (§ 30). I m gedruckten Entwurf finden wir hier die Technik, daß die Vorbereitung überhaupt mit Zuchthaus be­ straft wird und besonders schwere Vorbereitungshand­ lungen mit lebenslangem Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter 5 Jahren; daran schließt sich eine Aus­ zählung an. Nach den Vorschlägen des Mitbericht­ erstatters und der Sachbearbeiter soll an dieser Technik festgehalten werden. I n Zukunft muß auch die Bestimmung über die Strafbarkeit der Vorbereitung auf den ganzen Ab­ schnitt bezogen werden. I n dem jetzt durchberatenen Teil ist eine Reihe von Tatbeständen aufgestellt, die vertatbestandlichte Vorbereitungshandlungen dar­ stellen; für diese Fälle kann man nicht noch einmal die Vorbereitung unter Strafe stellen. Ein Vorschlag über die Regelung dieser Frage kann aber erst dann vorgelegt werden, wenn die vorhergehenden Tatbe­ stände formuliert worden sind. Die Sachbearbeiter schlagen eine Bestimmung über die Straflosigkeit beim Rücktritt vor; ich stehe diesem Vorschlag nicht gerade freundlich gegenüber. Der § 31 muß jetzt an den Generaltatbestand an­ geschlossen werden, den wir über den Volksverrat auf­ gestellt haben. Zu § 32 ist eine kleine technische Änderung vor­ geschlagen worden; diese Bestimmung kann sonst auf­ rechterhalten bleiben. Die Vorschrift über die Ein­ ziehung (§ 34) fällt fort. Die Bestimmung über die Strafen (§ 33) ist auf den ganzen Abschnitt auszudehnen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich trete dem, was der erste Berichterstatter aus­ geführt hat, bei, und möchte einige Punkte hervor­ heben, in denen vielleicht noch etwas zu ergänzen ist. Bei § 26 könnte die Frage auftauchen, ob auch die Einheit des Reiches als Gesährdung^objekt zu er-

wähnen wäre; das würde aber wohl schon unter die Grundordnung nach § 27 fallen. Auch nach meiner Ansicht müßten die vorbereiten­ den Handlungen zum Landesverrat strafbar sein, wenn auch die Typen, die in § 30 als qualifizierte Fälle hervorgehoben werden, beim Landesverrat nicht als Typen in Betracht kommen. Aber es sind doch Fälle der Vorbereitung denkbar, die nicht unmittelbar das Verschaffen eines Staatsgeheimnisses, um es zu verraten, betreffen. Es ist auch prinzipiell richtig, bei einem so schweren Verbrechen grundsätzlich die S traf­ barkeit der Vorbereitungshandlungen auszusprechen. Ich halte das nicht für gefährlich oder bedenklich. Ist es beweisbar, daß jemand einen Landesverrat, wie auch immer, vorbereitet, so muß S trafe eintreten. Der Antrag Nr. 73 hat die allgemeine Strafbarkeit der Vorbereitungshandlungen gleichfalls vorgesehen. Zu § 30 Ziffer 1 habe ich eine kleine Anregung aus der Praxis mitzuteilen. Diejenigen, die Beiträge für die Aufrechterhaltung eines organisatorischen Zu­ sammenhalts bezahlen, fallen nach der Auslegung derPraxis nicht unter Ziffer 1. Die P raxis faßt unter diese Vorschrift nur die Leute, die in leitender Stellung sind. Die Leute, die nur Beiträge bezahlen, würden aber erfaßt werden, wenn man von Förde­ rung sprechen würde. Vielleicht ist es aber mit Rück­ sicht auf den erweiterten Täterbegrisf nicht notwendig, hier etwas zu ändern. Dann kann die Frage kommen, ob die Neubildung von Parteien als besonderer Tatbestand aufgenom­ men werden soll; die Neubildung von Parteien ist jetzt Gegenstand eines Nebengesetzes. Die Neubildung von Parteien ist eine ganz schwere Störung der rechtlichen Grundordnung. § 27 würde vielleicht genügen; ob es aber nicht doch wünschenswert ist, ein besonderes Verbot des Unternehmens, den organisatorischen Zu­ sammenhalt einer anderen Partei als der N SD A P, herzustellen, in den Entwurf aufzunehmen, möchte ich zur Erwägung stellen. E s handelt sich nicht um ein nur vorübergehendes, zeitgebundenes Verbot, sondern dieses Verbot hängt so eng mit den Grundlagen der völkischen Ordnung zusammen, daß man es als für immer vorhanden ansehen muß. Die Aufmerksamkeit der Verfolgungsbehörde würde wirksamer durch ein Sonderverbot aus die gefährliche Neubildung von Parteien gelenkt werden. Die Sachbearbeiter des Ministeriums halten eine solche Hervorhebung nicht für erforderlich. Zu § 32 sind in der P raxis zwei Merkmale be­ anstandet worden. Es wird in dieser Bestimmung vor­ ausgesetzt, daß die Schriften zum Zwecke der Ver­ breitung vorrätig gehalten werden. Die Sachbear­ beiter schlagen vor, statt dessen die Weitergabe für genügend zu erklären. D as wäre im Sinne der Praxis. E s ist oft schwierig zu beweisen, daß der Täter die Schriften einem größeren Personenkreise zugänglich machen wollte. Ebenso wird in der Praxis das Merkmal des Borrätighaltens als Fessel empfun­ den, weil die Praktiker sich häufig nicht einigen können, wie viele Stücke einer Schrift dazu gehören, um einen Voxrat darzustellen. Darum wird vorge­

schlagen, nicht von Borrätighalten, sondern von dem Besitz zu sprechen. Ich möchte diese Anregungen, denen praktische Erfahrungen zugrundeliegen, hiermit weitergegeben haben. Proseflor Dr. Dahm: Neben dem gewaltsamen muß auch der nicht ge­ waltsame Angriff gegen die völkische Grundordnung bestraft werden. Ich denke etwa an den Versuch, einen Umsturz mit Hilfe wirtschaftlicher Maßnahmen herbei­ zuführen. Auch die schwersten Formen der geistigen Zersetzung müssen erfaßt werden. Diese Bestimmung würde ich im Anschluß an die Vorschrift über den Volksverrat bringen. Die Vorbereitung auf den Landesverrat würde ich in demselben Umfange wie die Vorbereitung auf den Hochverrat, also schlechthin unter Strafe stellen. Ich würde es aber nicht für glücklich halten, wenn in § 30 Abs. 2 eine Bestimmung gegen die Neubildung von Parteien ausgenommen würde, weil das doch für die Zukunft ohne praktische Bedeutung ist. D as sollte man jedenfalls nicht in das Gesetz hineinschreiben. Anders steht es mit dem Versuch zur Zersetzung der N S D A P . Diesen F all würde ich in Zifs. 2 ausdrück­ lich nennen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meines Erachtens ergibt sich bei der Betrachtung dieses Abschnitts, daß die Vereinigung von Hoch- und Landesverrat den ganzen Abschnitt wesentlich ver­ einfachen wird. über die §§ 26 und 28 ist nichts zu sagen. § 27 muß noch auf andere Fälle als die Begehung durch Gewalt oder Drohung ausgedehnt werden. Allerdings können wir den Angriff aus die völkische Grundordnung, der nicht mit Gewalt geschieht, nicht mit der Todesstrafe bedenken. Aber wo sollen wir das systematisch unterbringen? Dieser Gedanke muß weiter vorn zum Ausdruck gebracht werden. Professor Dr. Henkel: W ir können den Tatbestand des Hochverrates, der mit anderen M itteln als durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt geschieht, nicht an der Stelle des jetzigen § 27 stehen lasten. E r gehört in den Zu­ sammenhang mit dem Grundtatbestand des Volks­ verrats. Allerdings ist die Bezeichnung „Volksverrat" nach der jetzigen Beschlußfaffung für den Grundtat­ bestand mit Todesstrafdrohung vorbehalten, also nicht auch für den erweiterten Hochverratstatbestand ver­ wertbar. D as ist eine Folge dieser Beschlußfassung, an der man nichts ändern kann, ohne daß man den Grundgedanken, die schwersten Verbrechen zusammensaffen zu wollen, preisgibt. Denn jene Handlungen des erweiterten Hochverratstatbestandes (andere M it­ tel als Gewalt oder Drohung mit Gewalt) sind we­ niger strafwürdig, jedenfalls mcht todeswürdig. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir müssen ein Wort finden, um den Zusammen­ schluß dieser Bestimmungen zu erreichen. D as ita­ lienische Strafgesetzbuch sagt: Aus anderem als ver-

fassungsmäßigem Wege. D as ist nicht glücklich. Ich würde lieber sagen: I n anderer Weise als durch Ge­ walt oder Drohung mit Gewalt.

Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Sie würden also auch daraus abkommen zu sagen: „Wer mit anderen M itteln"?

Ministerialdirektor Schäfer: Ich bin nicht davon überzeugt, daß wir diese Be­ stimmung wirklich brauchen. W ir sehen hinter dem ersten Tatbestand über den Volksverrat eine General­ klausel über die Vorbereitung vor, die ähnlich wie der § 30 ist und etwa lautet: Wer ein volksverräte­ risches Unternehmen vorbereitet . . . W ir wollen die ideelle Vorbereitung des Volksverrats treffen; das Ziel wird letzten Endes immer Gewalt oder Drohung mit Gewalt sein; dieses Ziel wird durch die ideelle Zersetzung vorbereitet. Dies ersaßen wir alles durch die Generalklausel über die Vorbereitungshandlungen.

Ministerialdirektor Schäfer: Es sollen aber immer nur die gefährlichen Fälle ersaßt werden.

Professor Dr. Dahm: D as glaube ich nicht. Wenn wir uns mit der Be­ stimmung über die Vorbereitungshandlungen be­ gnügen, so ist das Unternehmen im Sinne des § 1 zu bestimmen. E s wäre also notwendig, daß die T at durch Gewalt oder durch Drohung begangen werden soll. W ir wollen aber gerade auch die Fälle ersaßen, in denen jemand hofft, ohne Gewalt, z. B. durch geistige Zersetzung, sein Ziel zu erreichen. Professor Dr. Schassftein: Ich bitte daran erinnern zu dürfen, daß die N S D A P , auf versaffungsmäßigem Wege ohne Ge­ walt zur Macht gekommen ist. M an könnte sich vor­ stellen, daß ein solcher gewaltloser Umsturz eines Tages von anderer Seite versucht werden könnte. Auch diese Fälle muß man erfassen. Eine gewaltsame Aktion als Endziel erstrebt doch nur die kommunistische P a r­ tei; man sollte aber nicht nur gegen den Kommunis­ mus einen Schutz errichten. Insbesondere müßen auch die Fälle, die Herr Ebert gestern vorgetragen hat, als geistige Zersetzung unter diese Bestimmung fallen. Reichsjustizminister D r. Gärtner: M ir erscheint das, was den Herren vorschwebt, schon einleuchtend. Vorhin ist von geistiger Zersetzung gesprochen worden. Aber so weit können S ie doch nicht gehen, daß das, was Sie als geistige M obil­ machung bezeichnen, in gar keiner inneren Beziehung zu einem künftigen Umsturz der Grundordnung zu stehen braucht; sonst wäre hier nicht die sedes m ateriae für eine solche Bestimmung. Ich kann mir vor­ stellen, daß jemand eine Bewegung ins Leben ruft, damit bei einer Volksabstimmung mit Nein gestimmt wird. Diese Fälle sollen wohl getroffen werden. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Vielleicht kann man noch eher an ein anderes Beispiel denken. Nehmen S ie den Fall, daß aus der N S D A P , heraus eine Zersetzungsarbeit mit dem E r­ folge eingeleitet wird, daß an der Spitze der Bewe­ gung stehende Leute für diese Zersetzungsarbeit ge­ wonnen werden. D as ist außerordentlich gefährlich und nicht unmöglich.

Senatspräsident Grau: Es gibt Fälle, in denen eine Änderung der Grund­ ordnung nicht auf gewaltsame Weise erstrebt wird. Hierhin würde z. B. ein aus jüdischen Emigranten­ kreisen der Tschechoslowakei verbreitetes Flugblatt gehören, in dem zum wirtschaftlichen Boykott gegen Deutschland aufgefordert wird. M it solchen Flug­ blättern ist tatsächlich ein Jude abgefaßt worden. Nach dem Bericht des Oberstaatsanwalts wußte man nicht recht, was man mit dem M ann machen sollte. I n solchen Fällen muß aber eine schwere Strafe ausgesprochen werden können. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich glaube, man soll in der Weise verfahren, daß dieser aus dem § 27 übrigbleibende Tatbestand nicht hier, sondern in der Nachbarschaft der umfassenden Bestimmung über den Volksverrat untergebracht wird. Zu § 28 ist nichts zu sagen. Zu § 29 ist nur zu bemerken, daß diese Bestim­ mung mit dem § 16 int Zusammenhang zu bringen ist. Der § 30 enthält verschiedene Probleme inhalt­ licher und technischer Art. Die Abteilung hat vorgeschlagen, bei Rücktritt Straflosigkeit eintreten zu lassen. Ich wäre sehr dank­ bar, wenn Sie sich davon überzeugen könnten, daß dieser Vorschlag wünschenswert ist. Die Straflosigkeit ist der P reis, den wir für den Verrat oft zahlen müssen. E s gibt eben Fälle, in denen man die S tra f­ losigkeit zusichert, um sich den M ann zu sichern. Die zweite Frage bei § 30 $ef)t dahin, ob die 6 Nummern, die sich bisher nur auf das beziehen, was wir früher Hochverrat genannt haben, auf alle Verratshandlungen ausgedehnt werden sollen. Ministerialdirektor Schäfer: Die Ziffern brauchen nur etwas umgeändert zu werden; dann sind sie für alle Verratstatbestände brauchbar. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Die Frage der Neubildung von Parteien ist hier nicht besonders hervorzuheben. S ie ist bereits in Ziffer 1 zwanglos entschieden. Professor Dr. Schassftein: Ich habe Bedenken gegen den Vorschlag von Herrn Senatspräsident Dr. Klee, in Nr. 1 des § 30 statt „herzustellen" zu sagen: „zu fördern". Wer M it­ gliederbeiträge bezahlt, braucht nicht mit einer Mindeststrafe von 5 Jahren Zuchthaus bestraft zu werden, da genügt der Abs. 1 des § 30,

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Jetzt ist die Zahlung der Mitgliedsbeiträge Vor­ bereitung zum Hochverrat nach Abs. 1. Diese Vorbe­ reitung in Abs. 1 ist die c ru x der Justiz. Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: Sollte die Zersetzungsmöglichkeit in § 30 in eine besondere Zisfer gebracht werden, oder sollten diese Fälle durch einen besonderen Paragraphen erfaßt werden? Wenn wir diese Fälle in eine Ziffer dieses Paragraphen bringen, was durchaus möglich ist, und wenn wir dann die Rechtswohltat der Nichtbestrafung am Ende zulasten, habe ich Bedenken, ob dieser Weg gangbar ist. Es könnte in der Partei bereits in einem Umfang Zersetzungsarbeit geleistet worden sein, daß eine Begnadigung nicht mehr möglich erscheint. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich würde von der Zersetzung der Partei ebenso­ wenig ausdrücklich sprechen wie von der Neubildung einer Partei. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wenn jemand eine Partei neu bilden will, so braucht das nicht stets Hochverrat zu sein; es braucht nicht immer unter Ziffer 1 zu fallen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Ziffer ist mit Absicht so abgegrenzt worden. Denn sonst würde z. B. der Fall erfaßt werden, daß die Haus- und Grundbesitzer sich stärker organisieren, um gegen die Idee F ront zu machen, daß der nichtzahlende Mieter nur von ihnen zu erhalten ist. Ministerialdirektor Schäfer: Diese Frage ist bereits mit dem Innenministerium erörtert worden; das Innenministerium hat die Ein­ arbeitung dieses Spezialgesetzes nicht gewünscht; es will dieses Spezialgesetz erhalten haben. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wir sollten auch nicht über die Wünsche der Partei hinausgehen; solange die Partei nicht entsprechende Wünsche geäußert hat, sollten wir das nicht straf­ rechtlich schützen. Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: Ich glaube auch, daß die Parteienbildung unter Zisfer 1 fällt. Nicht getroffen wird die Zersetzung innerhalb der N S D A P . Wenn man diese Zersetzung hier aufnimmt, ist die Wohltat der Straflosigkeit un­ möglich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Als Kannbestimmung wäre dies möglich.

wohl

doch

Ministerialdirektor Schäfer: Vielleicht können wir die Frage, ob eine S traf­ bestimmung für die Zersetzung innerhalb der Partei erforderlich ist, mit dem Stellvertreter des Führers erörtern.

I n § 30 Abs. 2 lerntet bisher die Strafdrohung auf Tod, lebenslanges Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. Diese Strafdrohung ist nur aus systematischen Gründen gewählt worden, weil wir keinen anderen pastenden Strafrahmen hatten. I n ­ zwischen haben wir den Strafrahmen Zuchthaus nicht unter zwei Jahren erhalten. Diesen Strafrahm en könnten wir hier wohl verwenden; denn für eine Mindestzuchthausdrohung von fünf Jahren besteht kein Bedürfnis. M inisterialrat Rietzsch: Praktisch wird aber ganz überwiegend der nächste Paragraph, der bisherige § 31, angewendet. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn wir für die minder schweren Fälle einen privilegierten Strafrahm en vorsehen, brauchen wir hier den Strafrahm en nicht herunterzusetzen. E s ist vorgeschlagen worden, in § 32 des E nt­ wurfs statt des Wortes „Verbreitung" Weitergabe zu sagen und auch den Fall einzuschließen, daß die Weitergabe nur an e i n e Person erfolgt ist. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Ich halte es für richtiger, den Ausdruck „Ver­ breiten" beizubehalten, da andernfalls diejenigen Fälle nicht getroffen würden, in denen Mitteilungen hochverräterischen In h a lts an andere beispielsweise durch Vorführung von Filmen oder Vorspielen von Grammophonplatten erfolgen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Weitergabe bezieht sich in der T at auf körperliche Dinge, nicht aus den Schall. Ministerialrat Rietzsch: An Stelle der fahrlässigen „Verbreitung" die fahrlässige „Weitergabe" von Schriften in § 32 mit Strafe zu bedrohen, ist nicht unbedenklich. M an kann eine fahrlässige T at doch wohl nur dann unter Strafe stellen, wenn'die T at auch bei vorsätzlicher Begehung strafbar ist. Die vorsätzliche „Weitergabe" einer kommunistischen Druckschrift ist aber nicht unter allen Umständen strafwürdig. Wird dem Arbeiter A. eine kommunistische Schrift durch die T ür seiner Wohnung geschoben, und fragt er in seinem Betriebe einen Arbeitskollegen und auf dessen Vorschlag den Ver­ trauensmann des Betriebes um Rat, was er mit der Schrift machen solle, so hat er die Schrift schon zwei­ mal „weitergegeben", kann aber nicht als strafwürdig angesehen werden. D as Strafwürdige ist die vor­ sätzliche „Verbreitung", die sich von der Weitergabe durch den Willen unterscheidet, für die Schrift zu werben. Wo dieser Wille fehlt, ist die bloße vorsätz­ liche Weitergabe nicht strafwürdig. Dann muß aber auch dasselbe für die fahrlässige Weitergabe gelten. Danach empfiehlt sich wohl die Beibehaltung der bisherigen Fassung. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich schlage vor, die frühere Fassung beizubehalten.

Brachlegung v ö l k i s c h e r E r z i e h u n g s- und A u s g l e i c h s w e r k e (NSV. z. 33.) unter Strafe zu stellen. Diese Anregung hat die von der Akademie für Deutsches Recht preisgekrönte Arbeit Ritters gegeben. 3. Es fragt sich endlich, ob nicht gegen die S t ö r u n g d e r F e i e r n der deutschen Volksgemeinschaft ein Strasschutz zu gewähren ist. Auch dieser Vorschlag geht aus R itter zurück. Die Gesetzgebung Litauens straft überdies die A n g r i f f e auf das N a t i on a l b ew u ß t s e i n sowie auf die Volkseinheit (organisiert also Strafschutz gegen die Volkszerklüftung, nicht zuletzt gegen die Wiederausrichtung von Klaffen- oder Konseffionsgegensätzen). I n der ersten Lesung ist endlich aus dem Schoße unserer Kommiffion die Anregung gegeben worden, die Herabsetzung der k u l t u r e l ­ l e n L e i st u n g e n des deutschen Volkes unter Strafe zu stellen. Ob der eine oder andere dieser zur Debatte ge­ stellten neuen Tatbestände ins StG B , ausgenommen werden soll, ist von der politischen Führung zu ent­ scheiden. Dabei wird ins Gewicht fallen, ob sich bisher schon aus dem Fehlen des Strafschußes praktische Un­ zuträglichkeiten größeren Ausmaßes ergeben haben. Senatspräsident Grau: Der Volksverrat enthält zwei Grundtatbestände: Dis Volksverleumdung und die Beschimpfung des deutschen Volkes. Die §§ 37—40 sind nur leges speciales zu § 36. Eine Entweihung von Ehren­ malen z. B. (§ 39) ist ohne gleichzeitige Volksbe­ schimpfung kaum möglich. I n § 35 haben die Sachbearbeiter mit Recht die öffentliche Begehung als Grundtatbestand herausge­ stellt. Die nichtöffentliche Begehung muß strafbar sein; andernfalls würde man hinter dem geltenden Recht (Art. I tz 1 des Gesetzes gegen heimtückische An­ griffe aus S taat und Partei und zum Schutz der P a r­ teiuniformen v. 20. 12. 1934) zurückbleiben. Daß nicht nur Behauptungen tatsächlicher Art, sondern auch Werturteile hierher gehören, ist selbstverständlich. Der Ausdruck Behauptung „t a t s ä ch l i ch e r A r t" muß daher, wie die Sachbearbeiter auch vorgeschlagen haben, wegfallen. I m Abs. 2 des § 35 differenziert die Abteilung bezüglich der Strafdrohung zwischen öffentlicher und nichtöffentlicher Begehung. Dies ist zutreffend; aber auch bei nichtöffentlicher Begehung erscheint ein erhöhtes Strasmindestmaß angebracht. Es fragt sich, ob § 35 Abs. 3 nicht besser als selb­ ständige Bestimmung erscheinen soll. § 36 Abs. 2 ist zu streichen. Bei § 37 empfiehlt sich eine Einschränkung des inneren Tatbestandes durch Einfügung des Wortes „böswillig" vor „Ver­ ächtlichmachen". Dann dürsten keine praktischen Schwierigkeiten entstehen. § 37 Abs. 3 soll nach dem Vorschlage der Sachbearbeiter im § 39 a untergebracht werden; ebenso § 38 Abs. 2. I n § 39 (Entweihung von Ehrenmalen) sollte man statt „M änner" „P er­ sönlichkeiten" sagen. D arin würden auch Frauen ein­ begriffen sein. § 40 (Beschimpfung deutschen Brauch­ tums) scheint mir an sich nicht nötig zu sein. Wirklich

strafwürdige Fälle dürften schon unter § 36 (Be­ schimpfung des deutschen Volkstums) fallen. Jeden­ falls kann aber nicht schlechthin j e d e s Brauchtum geschützt werden, sondern nur solches, was zum S in n ­ bild deutschen Wesens geworden ist, nicht etwa Kom­ merse, der Karneval usw., wohl aber die Sonnen­ wendfeier, die Maifeier. Gegen den Naglerschen V or­ schlag, die Volksentfremdung als besonderen Tatbe­ stand einzuführen, trage ich, soweit ich den Vorschlag jetzt überschauen kann, keine Bedenken. § 41 kann wegfallen, da die Einziehung im Allgemeinen Teil geregelt ist. Reichsjustizminister Dr. Güriner: M ir scheinen hier drei Fragen wichtig zu sein: 1. soll die Entfremdung deutschen Volkstums in diesem Abschnitt geregelt werden?, 2. soll dieser Abschnitt unter dem Gesichtspunkt der Ehrenverletzung statt des Verrates angeschaut werden?, 3. soll man bei der Strafdrohung unterscheiden, ob die T at durch einen I n - oder Ausländer begangen worden ist? Meines Erachtens ist eine solche Unterscheidung bei der S tra f­ drohung erforderlich. Die Strafbestimmung des § 40 (Beschimpfung des deutschen Brauchtums) halte ich für entbehrlich. S ie gehört nicht ins Strafgesetzbuch. I n § 37 würde man meines Erachtens statt „als Verkörperung deut­ schen Wesens Gegenstand der Verehrung des deutschen Volkes geworden sind" besser sagen: „vom deutschen Volke Verehrung zuteil wird". Professor Dr. Dahm: Zur Systematik des Abschnitts möchte ich be­ merken, daß man die Strafbestimmung gegen die E nt­ fremdung des Volkstums hier weglassen und den Ab­ schnitt auf Angriffe gegen die Ehre des Volkes be­ schränken sollte. Diesen Abschnitt würde ich von den Verratsdelikten trennen. Die Ausländer sind hier den Deutschen grundsätzlich gleichzustellen. Auf § 40 (Be­ schimpfung des deutschen Brauchtums) möchte ich ganz verzichten. Hinsichtlich der §§ 35 und 36 (Volksver­ leumdung und Beschimpfung des deutschen Volkes) bin ich an sich derselben Auffassung wie Herr P ro ­ fessor Nagler. Ich würde aber nicht das Merkmal „böswillig" einfügen. M an rührt hier wieder an die Frage des Überzeugungsverbrechers, den wir auch hier nicht anerkennen dürfen, üble Beschimpfungen können auch durch sogenannte wissenschaftliche D a r­ stellungen erfolgen. I n § 34 (Beschimpfung der deutschen Vergangenheit) würde ich den Ausdruck „Verkörperung deutschen Wesens" beibehalten. Es muß sich um Deutsche handeln, die deutsches Wesen verkörpern. Ferner möchte ich in Anlehnung an Art. 272 und 273 des italienischen Strafgesetzbuchs (Umstürzlerische oder antinationale Werbung und Verherrlichung; unerlaubte Gründung von Vereini­ gungen mit internationalem Einschlag) eine S tra f­ bestimmung g e g e n g e i s t i g e Z e r s e t z u n g ein­ geführt wissen. Eine öffentliche Propaganda, die das Nationalgefühl erschüttert, muß strafrechtlich ersaßt werden.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Bedenken sind wohl durchschlagend. § 32 wäre also zu belassen wie er ist. Zu den §§ 33, 34 ist nichts Besonderes zu bemerken. Wir kommen jetzt zu dem Abschnitt, der „Volks­ verrat" überschrieben ist. S ta tt „Volksverrat" ist jetzt empfohlen „Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes". Es taucht die Frage auf, ob der Abschnitt unter dem Obertitel „Verrat am deutschen Volke" stehen bleiben soll. Ich bin der Meinung, die Frage der Überschrift am Schlüsse der Aussprache zu regeln. Professor Dr. Nagler: Die §§ 35 und 36 behandeln die Volksverleum­ dung und die Beschimpfung des deutschen Volkes. Ich möchte vorschlagen, bei der jetzigen Diskussion sich grundsätzlich an die Anregungen der Sachbearbeiter zu halten. Es geht um unerträgliche Angriffe auf die Würde des deutschen Volkes, die als Schutzobjekt im Laufe des 19. Jahrhunderts verlorengegangen war. Ich halte den Ausdruck „Würde" für zutreffender als „Ehre", damit man nicht die genaue Parallele zum Ehrenschutz zu ziehen versucht wird und etwa auf den Gedanken der Zulässigkeit eines Wahrheitsbeweises oder dergleichen kommt. Die Würde und Autorität des deutschen Volkes müssen schlechthin unantastbar bleiben. E s ist erforderlich, auch d i e n i c h t ö f f e n t ­ l i c h e Verleumdung für strafbar zu erklären, andern­ falls würde ja die Strafbarkeit der Volksverleumdung gegenüber dem geltenden Recht (Art. 1 tz 1 des Ge­ setzes gegen heimtückische Angriffe auf S ta a t und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934) eingeschränkt sein. I n Abs. 2 des § 35 ist daher das Wort „öffentlich" zu streichen. § 35 Abs. 3 läßt nicht klar erkennen, ob der zweite Fall („mit der Absicht, auf das Ausland zu wirken") auch dann gegeben sein soll, wenn die T at im Inland begangen wird. Auch ist nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht, daß in beiden Fällen nur der Deutsche strafbar sein soll. § 35 Abs. 4 ist abzulösen und zu verselbständigen. Es handelt sich hier um keine Verleumdung, sondern um einen substantiierten nichtverleumderischen An­ griff auf die Würde des deutschen Volkes. Diese Be­ stimmung des § 35 ist — analog der Ehrabschneidung — selbständig zu entwickeln. Sollte es bei der Einbe­ ziehung der groben Fahrlässigkeit verbleiben, so möchte ich vorschlagen, hierbei wenigstens die Haftstrafe zuzulassen. Zu § 36 möchte ich ebenfalls dem Antrage der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zustim­ men und § 36 Abs. 2 in § 39 a verselbständigen. Es erscheint m ir angebracht, die Qualifizierung der Aus­ landstaten in einer besonderen Bestimmung zu­ sammenzufassen. § 37 betrifft eine andere Materie: die Beschimpfung der deutschen Vergangenheit. Hier erscheint es mir

zunächst recht zweckmäßig, vor „Verächtlichmachung" „böswillig" einzuschieben, damit nicht etwa eine scharfe, aber tendenzlose, historischer Forschung ent­ sprechende Kritik unter die Strafbestimmung des § 37 einbezogen wird. Es gibt ja keine absolute oder offizielle geschichtliche Wahrheit: jedes neu erschlossene M aterial oder jede neue Grundeinstellung muß zur Geltung kommen können. Jede ehrliche Kritik muß möglich bleiben. Weiterhin ist die Zweifelsfrage zu klären, was „Gegenstand der Verehrung des deutschen Volkes" bedeuten soll. Müssen die genannten Persön­ lichkeiten Gegenstand der Verehrung des g a n z e n deutschen Volkes sein? M an denke an die konfessionelle Spaltung und die sich daraus für die Wertschätzung bestimmter Persönlichkeiten ergebenden Differenzen. Was ist ferner unter „Vergangenheit" zu verstehen? Sollen darunter nur abgeschlossene Entwicklungs­ Perioden deutscher Geschichte oder auch die jüngste Vergangenheit fallen, trotzdem bei letzterer der nötige Abstand zur Gewähr einer objektiven Würdigung noch nicht besteht? Ich bin der Meinung, daß alle diese Fragen von uns nicht entschieden werden, sondern der Rechtsprechung überlassen bleiben können. Bei § 38 ist zweifelhaft, was unter National­ liedern zu verstehen ist. Sind hier lediglich die offi­ ziellen oder auch nichtoffiziellen Nationallieder ge­ meint? M an wird sich im ersteren Sinne zu ent­ scheiden haben. Das Erfordernis der Öffentlichkeit bezieht sich auch aus das böswillige Verächtlichmachen. Es empfiehlt sich, hier § 111 (Verletzung von Hoheitsabzeichen) als Absatz 2 einzubeziehen, um Zu­ sammengehöriges nicht auseinanderzureißen. I n § 39 (Entweihung von Ehrenmalen) sind die F r a u e n den Männern gleichzustellen. M an denke an die Königin Luise. Den im Vorschlag der Sach­ bearbeiter enthaltenen neuen § 39 a (besonders schwere Fälle) empfehle ich zur Annahme, er bedeutet eine erleichternde Zusammenfassung. Die Expa­ triierten stehen hier den Ausländern gleich; man kann sie für die Angriffe gegen das deutsche Volkstum nicht mit demselben Maße wie den deutschen Volksgenossen messen. § 40 halte ich für sehr bedenklich und anfechtbar. Was ist deutsches Brauchtum? Gehört hierher z. B. der traditionelle Trinkkomment der Studenten? D as Brauchtum ist doch meist ortsgebunden. Sein Begriff entzieht sich exakter Feststellung. § 40 scheint mir tatbestandsmäßig nicht gelungen zu sein. Ich möchte ihn streichen. I m Anschluß an meinen Bericht möchte ich noch folgende Anregungen geben: E s ist zu erwägen, ob wir nicht 1. einen Tatbestand der V o l k s e n t f r e m d u n g schaffen sollten, etwa des In h a lts: „Wer es unternimmt, im Ausland lebende Teile des deutschen Volkes ihrem Volkstum rechtswidrig, ins­ besondere durch Mißbrauch seines Erziehungs- oder Pflegerechts, zu entfremden, wird bestraft". E s sollte dafür Sorge getragen werden, daß der Volksbestand erhalten bleibt. Diesen Vorschlag hat von Weber im Gerichtssaal Band 104 S . 238 gemacht. 2. Weiter steht zur Diskussion die D i s k r e d i t i e r u n g oder

Senatspräsident Professor Dr. Klee: Auch ich bin für das Weglassen des Tatbestandes der Volksentfremdung aus diesem Abschnitt. Auch ich trete für Schaffung einer Bestimmung gegen geistigen Defaitismus ein. Bezüglich der Beschimpfung deut­ schen Brauchtums und der deutschen Vergangenheit (Sonnenwendseiern) scheint es mir — da wir in einem anderen Tatbestand eines anderen Abschnitts von gröblicher Verletzung des religiösen Empfindens reden — richtig zu sein, einen Tatbestand folgenden W ortlauts etwa vorzuschlagen: Wer das nationale oder völkische Empfinden gröblich verletzt. . wird bestraft. Die Beschimpfung nationaler Symbole würde auch darunter fallen. Damit würde sich auch eine Strafbestimmung gegen zersetzende Vereinigungen erübrigen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ein gemeinsamer Nenner für sämtliche Tatbe­ stände des Abschnitts wird sich zweifellos ausstellen lassen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: M an könnte diesen Abschnitt überschreiben: An­ griffe auf das Gefühl, aus die seelische Haltung des Volkes. E r hat mit dem Verrat nichts zu tun. Es handelt sich um eine Abart des religiösen Gefühls. Die in diesem Abschnitt enthaltenen Delikte gehören nicht zur Ehrverletzung des einzelnen; sie gehören in einen Abschnitt: „Angriffe auf die seelische Haltung des Volkes", der vor den Abschnitt: „Angriffe auf körper­ liche Volksgüter" gestellt werden müßte. § 40 mit dem Schutz des Brauchtums geht zu weit. Ich möchte vor­ schlagen, § 40 unter § 38 (Beschimpfung nationaler Symbole) zu bringen, im übrigen aber zu streichen. Zu dem in § 37 enthaltenen Ausdruck: „Verkörperung deutschen Wesens" wäre zu bemerken, daß ein solches objektives Tatbestandsmerkmal nötig ist; man könnte vielleicht auch sagen: die als Verkörperung deutschen Wesens verehrt werden. Reichsgerichtsrat Niethammer: Der Auffassung von Herrn Präsident Thierack, daß die Vorschriften dieses Abschnitts das reine Empfinden des Volkes schützen und sich nicht gegen Verrat richten, ist beizustimmen. F ü r die Bestrafung der hier in Frage stehenden Taten sind die Ausländer den Inländern gleichzustellen. Bestimmte Verschärfun­ gen erscheinen lediglich für die von Deutschen im Aus­ land begangenen Beschimpfungen und dergl. not­ wendig. I m vorliegenden Abschnitt werden Handlungen mit Strafe bedroht, die durch Wort oder Gebärde begangen werden. Solche Strafdrohungen öffnen dem Angebertum die Tür. Allzu leicht sind Mißverständ­ nisse möglich. E s werden zweckmäßig scharfe, klare Be­ stimmungen gewählt. Ein Ausdruck wie „gröbliche Verletzung nationalen Empfindens" ist nicht faßbar. Es muß hier hineinkommen: „Wer böswillig verächt­ lich macht". Zu der Bestimmung des § 37 ist zu

sagen, daß es nicht in das Arbeitsgebiet des S tra f­ rechts gehört, Erörterungen über deutsche Geschichte herbeizuführen. Den Ausdruck: „Verkörperung deut­ schen Wesens" würde ich wenigstens inhaltlich be­ lassen. Eine große Genugtuung wäre es mir, wenn § 40 wegfiele, auch nicht durch einen anderen T a t­ bestand ersetzt würde. Professor Dr. Mezger: D as Merkmal „böswillig" liegt im Beschimpfen, aber zum Ausdruck „Verächtlichmachen" muß es not­ wendig hinzugesetzt werden. Professor Dr. Graf Gleispach: Um den Kern der Verratsdelikte scharf hervor­ zuheben, scheint es mir richtig, die Verletzung des Nationalgefühls vom Verrat abzutrennen. Der Vorsatzbegriss braucht hier nicht durch das Wort „bös­ willig" gestärkt zu werden. I m Vorsatz liegt schon der böse Wille. F ü r den Tatbestand der Volksentfremdung möchte ich folgenden W ortlaut vorschlagen: Wer außerhalb des Reichs lebende Teile des deutschen Volkes ihrem Volkstum zu entfremden oder ihr Volkstum zu unterdrücken versucht, w ird -----bestraft. Bestraft werden sollen nur Reichsangehörige. Durch die Strafdrohung soll verhindert werden, daß Deutsche eine Entdeutschung fördern. Leider gibt es Deutsche genug, die ihre Nation durch Förderung solchen Verhaltens verraten haben. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Tatbestand der Volksentfremdung würde nach Ihrem Vorschlag, Herr Graf Gleispach, also lauten: Wer außerhalb des Reiches lebende Volks­ genossen ihrem Volkstum entfremdet oder in ihrem Volkstum zu unterdrücken versucht, ist zu strafen. Der Tatbestand würde sich also beschränken aus solche Reichsangehörige als Täter, die die T at auf deutschem Boden begehen. Professor Dr. Kohlrausch: Der Kern des ganzen Abschnitts liegt in § 36 und § 37 Abs. 2. Gegenüber § 37 Abs. 1 bin ich sehr skeptisch, und zwar vor allem bezüglich des objektiven Tatbestandes. Ein Gericht ist nicht die geeignete I n ­ stanz, darüber zu urteilen, wer die Verehrung des Volkes genießt und verdient. M an denke an den Sachsenherzog Widukind und Karl den Großen; oder an Heinrich den Löwen und Friedrich Barbarossa! Nord- und Süddeutschland denken und fühlen hier recht verschieden! D as Merkmal „böswillig" paßt zu § 37 Abs. 2 (ich erinnere an den Fall Gumbel), aber nicht in den § 37 Abs. 1. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Gewollt ist in § 37 eine Strafe für die Verun­ glimpfung deutschen Nationalstolzes. Professor Kohl­ rausch hat nur auf die Schwierigkeiten einer Ab-

grenzung in § 37 hingewiesen. Daß wir hier zu einem Heldenkatalog gelangen werden, glaube ich nicht. I n § 37 Abs. 2 ist unbedingt die Ehrfurcht vor einem Menschen zu schützen, der bereit war, für sein Vater­ land zu sterben. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Ich möchte mich daraus beschränken, die Aus­ führungen von Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer zu unterstreichen. Wenn dieser den Vorschlag gemacht hat, den ganzen hier zur Erörterung stehenden Ab­ schnitt nach Möglichkeit einzuschränken, so hat er uns Praktikern damit aus der Seele gesprochen. Wie un­ bedingt notwendig es ist, klar abgegrenzte Tatbestände zu schaffen, das haben vor allem die Erfahrungen gezeigt, die wir in der Praxis mit dem Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf S ta a t und Partei und zum Schutze der Parteiunisormen vom 20. Dezember 1934 gemacht haben: Kein anderes Strafgesetz hat die P raxis vor derartige Schwierigkeiten gestellt, wie gerade dieses Gesetz, das nur aus wenigen Bestim­ mungen besteht und dessen Hauptanwendungsgebiet, die §§ 1 und 2 so formuliert sind, daß die Auffassun­ gen darüber, ob ein bestimmter Tatbestand hierunter zu subsumieren ist, in ganz außergewöhnlichem Maße divergieren. E s ist geradezu an der Tagesordnung, daß beispielsweise die Ausfassung, die von der land­ gerichtlichen Staatsanwaltschaft in dem Bericht ver­ treten wird, den sie dem Ministerium vor Anklage­ erhebung zu erstatten hat, von der Staatsanwaltschaft des Oberlandesgerichts nicht gebilligt wird, daß da­ gegen der Bearbeiter im Ministerium wieder der Auf­ fassung der landgerichtlichen Staatsanwaltschaft b e ­ tritt. Schuld hieran ist ausschließlich der Mangel an einem klar abgegrenzten Tatbestand, ein Fehler, der auch der jetzigen Fassung des § 37 anhaftet. W as den § 40 anbelangt, so halte auch ich dessen Streichung für geboten. Der Begriff „Deutsches Brauchtum" ist m. E. derart flüssig, daß man damit als Tatbestandsmerkmal eines Strafgesetzes in der P raxis nicht viel wird anfangen können. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Auffassung von Oberstaatsanwalt Reimer ist zutreffend. D as Gesetz gegen heimtückische Angriffe zeigt das in jedem einzelnen Falle. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich möchte vorschlagen, einen allgemeinen Dach­ tatbestand zu schaffen, etwa: Wer gröblich das nationale Empfinden ver­ letzt, insbesondere dadurch, daß e r . . . Die Einwendungen von Herrn Niethammer tref­ fen auch auf § 53 des Entwurfs (Beschimpfung des religiösen Volksempfindens) zu. Ein Schutz der

nationalen Symbole und der Heldenverehrung ist un­ bedingt erforderlich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei den §§ 38, 39 ist bie Idee des Dachtatbestan­ des nicht nötig; es würde also nur die Heldenver­ ehrung und das Brauchtum unter diesen Dachtat­ bestand fallen. Professor Dr. Schassstein: Ich möchte folgende Bestimmung vorschlagen: Wer öffentlich das völkische Empfinden gröb­ lich verletzt, insbesondere M änner der Vergan­ genheit usw. beschimpft, wird mit Gefängnis bestraft. Diese Fassung ist weiter als § 37 des Entwurfs, weil sie auch den Schutz des Brauchtums umfaßt. Sie ist aber auch zugleich enger, weil eine solche Bestim­ mung einen Heldenkatalog unnötig macht. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Schützt man in § 53 das religiöse Volksempfinden vor gröblicher Beschimpfung, dann muß man auch das nationale Empfinden schützen. Kommt man zu einem allgemeinen Schutz des nationalen Empfindens, etwa durch Hineinarbeiten in § 36, dann ist § 37 Abs. 1 nicht nötig. Nur § 37 Abs. 2 würde ich als selb­ ständigen Tatbestand bestehen lassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr von Dohnanyi will also die Volksverleum­ dung stehen lassen und in § 36 eine dem § 53 ähnliche Bestimmung einfügen, § 37 Abs. 1 streichen und ledig­ lich § 37 Abs. 2 stehen lassen. Professor Dr. Henkel: Ich möchte § 36 und § 37 Abs. 1 tatbestandlich getrennt lassen und getrennt davon die Beschimpfung des Heldentodes (§ 37 Abs. 2) bringen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, wir können jetzt das Ergebnis fest­ legen. I m wesentlichen wäre den Abteilungsvorschlä­ gen zu folgen, insbesondere hinsichtlich der Umgestal­ tung der Volksverleumdung. Außerdem erhält § 38 einen zweiten Absatz durch Einarbeitung des § 111 über die Verletzung deutscher Hoheitszeichen. Die Überschrift soll jetzt lauten: Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes. Der Gesichtspunkt des Verrates scheidet also hier aus. Deshalb kann der Tatbestand der Bolksentsremdung an dieser Stelle jedenfalls nicht erscheinen; und eine unterschiedliche Behandlung der Inländer und Ausländer ist nicht notwendig. Die Unterkommiffion bilden die Herren Niet­ hammer, Klee, Nagler und von Dohnanyi.

(Schluß der Sitzung 13 Uhr 5 Minuten.)

Strafrechtskommissiou

Beginn der Sitzung: 9 Uhr. Staatssekretär Dr. Freister:

7S. Sitzung 2ö. Juni 1935 (Hahnenklee) Zweite Lesung Inhalt Angriffe auf die Wehrkraft Staatssekretär Dr. Freister...........................................1, 3, 4, 5 Berichterstatter Senatspräsident G rau....................................1, 4 Berichterstatter Professor Dr. Nagler...................................... 3, 4 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 3, 4 Ministerialdirektor Schäfer......................................................... 4, 5 Reichsgerichtsrat Niethammer...................................................4, 5 Professor Dr. Graf Gleispach........................................................ 5 Landgerichtsdtrettor L eim er.......................................................... 5

Angriffe auf die Reinheit der Amtsführung Staatssekretär Dr. F reister...........5, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14 Berichterstatter Landgerichtspräsident Dr. Lorenz...........5, 13 Berichterstatter Professor Dr. Schaffstetn............... 7, 8, 12, 13 Senatspräsident Professor Dr. Klee...................................... 8, 11 Professor Dr. Dahm ......................................................................... 9 Reichsgerichtsrat Niethammer........................................................ 9 Ministerialdirektor Schäfer..................................................... 10, 14 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack...................... 10 Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer.............................. 12, 13, 14 Professor Dr. Kohlrausch...............................................................13 Professor Dr. N agler..................................................................... 14

Unzucht Staatssekretär Dr. F reister.. .14, 17, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28 Berichterstatter Oberstaatsanwalt Dr. Reimer 14, 19, 20, 21, 22, 24, 25, 27 Berichterstatter Professor Dr. Mezger 16, 17, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27 Professor Dr. Graf G leispach.................................... 17, 21, 26 Senatspräsident Grau..............................................................18, 19 Senatspräsident Professor Dr. Klee................... 18, 21, 25, 27 Ministerialdirektor Schäfer............................18, 20, 21, 26, 27 Reichsgerichtsrat Niethammer...............................................18, 26 Professor Dr. Schaffstetn.......................................18, 21, 24, 28 Professor Dr. Kohlrausch........................19, 21, 22, 25, 27, 28 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack................. 19, 25 Professor Dr. Nagler..................................................................... 20 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 23, 24, 28 Staatsanwaltschaftsrat Ebert...................................................... 25 Landgerichtspräsident Dr. Lorenz........................................ 25, 26 Professor Dr. Dahm....................................................................... 26

Ich habe mir gedacht, daß wir heute mit den „Angriffen auf die Wehrkraft" beginnen. Ich glaube nicht, daß diese Erörterungen viel Zeit in Anspruch nehmen werden, weil wir hier den Wünschen des dafür zuständigen Ministeriums Rechnung tragen müssen. W ir würden danach zu den Angriffen auf die Reinheit der Amtsführung über­ gehen, um dann noch die Referate über die Unzucht zu hören. Nachmittags würden wir die Besprechung über die Unzucht beenden können. Die Berichterstatter zu den Angriffen auf die Wehrkraft sind die Herren Professor Dr. Nagler und Senatspräsident Grau. Ich bitte Herrn Grau zu beginnen. Senatspräsident Grau: Der Abschnitt, so wie er im Entwurf steht, ist in zwei Teile gegliedert, in den Schutz der geistigen Wehrkraft und in den Schutz der materiellen Wehr­ kraft. M an wird diese Gliederung beibehalten können. Die Tatbestände, die sich aus die materielle Wehrkraft beziehen, bedürfen aber der Ergänzung infolge der Wiedereinführung der allgemeinen Dienstpflicht. Wenn ich mit dem ersten Unterabschnitt, dem Schutz der geistigen Wehrkraft, beginnen darf, so be­ darf zunächst § 42 einer Änderung. W ir hatten in der ersten Lesung diesen Tatbestand beschränken müssen, weil wir damals von einer allgemeinen Dienstpflicht noch nicht sprechen konnten. I n Über­ einstimmung mit dem Abteilungsvorschlag schlage ich jetzt vor, den Tatbestand entsprechend zu erweitern und zu sagen: „Wer öffentlich zur Verweigerung der Dienst­ pflicht in der deutschen Wehrmacht auffordert.. I m übrigen ist hierzu nichts zu sagen. § 43 kann unverändert aus dem Entwurf erster Lesung übernommen werden. Auch zu § 44 habe ich neue Vorschläge nicht zu machen. $)et innere Tatbestand ist durch die Worte „beschimpft" und „böswillig" auf das erforderliche M aß eingeschränkt. Die Gründe hierfür sind bereits wiederholt vorgetragen worden, so daß sich ein er­ neutes Eingehen hierauf erübrigt. Ich komme nun zu den Bestimmungen zum Schutz der materiellen Wehrkraft des deutschen Volkes. Die Abteilung schlägt hier die Einfügung eines § 44 a vor, und zwar auf ausdrücklichen Wunsch des Reichs­ kriegsministers. Dieser hat den Wunsch ausgesprochen, daß die Oberbefehlshaber der einzelnen Wehrmachts­ teile, des Landheeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe, denselben Schutz genießen sollen wie der Stellvertreter des Führers und die Reichsleiter der Partei. Diesem berechtigten Wunsch wird durch den Vorschlag der Abteilung durch Einfügung eines neuen § 44 a Rechnung getragen. Der Wortlaut wird im Anschluß an die §§ 109 und 214 des Entwurfs erster Lesung wie folgt zu fasten sein:

§ 44 a Gewalttätigkeiten gegen die Führung der Wehrmacht. Wer einen Angriff auf Leib und Leben oder die Freiheit des Oberbefehlshabers des Heeres, der Kriegsmarine oder der Luftwaffe begeht, wird, soweit die T at nicht nach anderen Vor­ schriften mit schwererer S trafe bedroht ist, mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft. Ebenso wird bestraft, wer einen dieser Ober­ befehlshaber mit Gewalt oder durch Drohung nötigt oder hindert, seine Befugnisse überhaupt oder in einem bestimmten Sinne auszuüben. § 45 bedarf verschiedener Änderungen. Da die Aufwiegelung eines unbestimmten Kreises von S o l­ daten bereits durch § 154 des Entwurfs gedeckt wird, wird der Tatbestand auf die Verleitung eines bestimm­ ten Soldaten zu beschränken sein. Es muß daher heißen: „Wer e i n e n deutschen S o ld aten .. Ferner ist auf Wunsch des Reichskriegsministers die Aufwiegelung zum Ungehorsam zu streichen, weil hier­ für kein Bedürfnis mehr besteht, da der einfache Un­ gehorsam gegen Dienstbefehle nur noch disziplinarisch verfolgt werden soll. Der Reichskriegsminister legt Wert darauf, hier nur die Aufforderung zu mili­ tärischen Straftaten zu ersaßen. Rein sprachlich sind wir gebeten worden, anstatt „Widersetzlichkeiten" zu sagen „Widersetzung". S ta tt „verleitet" werden wir auch hier wie bei jeder erfolglosen Aufforderung sagen müssen „auffordert oder anreizt". Der Paragraph lautet dann also folgendermaßen: § 45 Aufwiegelung von Soldaten. Wer e i n e n deutschen Soldaten zur G e ­ h o r s a m s v e r w e i g e r u n g ode r zum B e h a r r e n i m U n g e h o r s a m oder z u r W i d e r s e t z u n g oder zu Tätlichkeiten gegen einen Vorgesetzten a u f f o r d e r t o d e r a n ­ r e i z t oder in anderer Weise die Manneszucht in der Wehrmacht untergräbt, wird, soweit die T at nicht nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist, mit Gefängnis bestraft. I n besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. Bei § 46 wird aus denselben Gründen wie bei § 45 anstatt „Verleitung" „Aufforderung" zur Fahnenflucht zu sagen sein und entsprechend „auf­ fordert oder anreizt". Ferner muß sich auch hier die Aufforderung auf einen bestimmten Soldaten beziehen. § 48 des Entwurfs erster Lesung wird künftig besser vor § 47 zu stellen sein, weil auch er sich wie die vorhergehenden Tatbestände gegen den Personal­ bestand der Wehrmacht richtet. Sachlich ist an der Bestimmung nur die Strafdrohung zu ändern, die wohl aus Gefängnis nicht unter drei Monaten erhöht werden muß.

Dann kommen die Bestimmungen, die infolge Einführung der allgemeinen Dienstpflicht hier einzu­ fügen sind. Diese Bestimmungen sind im einzelnen mit dem Reichskriegsminister durchgesprochen worden und entsprechen der Neufassung der §§ 140 ff. S tG B ., die zur Zeit dem Kabinett zur Beschlußfassung vorliegt. F ü r den Entwurf sind Änderungen nur inso­ weit nötig, als das geltende Recht den Versuch und die Ehrenstrasen anders behandelt. Es kommen fol­ gende Tatbestände in Betracht: § 47 a : Dienstpslichtentziehung, § 47 b: Verbotene Auswanderung, § 47 c: Verlassen des Reichsgebietes während eines Krieges, § 47 d: Dienstpslichtentziehung durch Selbstver­ stümmelung, § 47 e: Dienstpslichtentziehung durch Täuschung. Aus Einzelheiten brauche ich wohl nicht einzu­ gehen. D aran schließen sich die Bestimmungen über den Schutz der Wehrmittel an. Die Abteilung hatte vor­ geschlagen, die Wehrmittelbeschädigung, den bisheri­ gen § 47, unverändert zu lassen. Inzwischen ist jedoch in der Novelle auch diese Bestimmung etwas abge­ ändert worden. Es soll nicht mehr notwendig sein, daß die Absicht besteht, die Landesverteidigung zu schwächen. Es soll vielmehr schon jede Sachbeschädi­ gung eines Wehrmittels unter besondere Strafe ge­ stellt werden. Als Strafdrohung ist Gefängnis nicht unter sechs Monaten oder Zuchthaus vorgesehen. § 145 S tG B , in der Fassung der Novelle sieht da­ neben noch besonders schwere Fälle vor, die ebenfalls übernommen werden sollten. Danach kommen die Tatbestände, die wir aus dem Landesverrat herausgenommen haben und die hier eingestellt werden müssen. § 49 des Entwurfs erster Lesung kann als über­ flüssig gestrichen werden. An seine Stelle tritt der bisherige § 17, die Nichterfüllung von Verträgen über Kriegsbedürfnisse. Es ist hier erwünscht, die S tra f­ drohung bei fahrlässigem Handeln (Abs. 3) herab­ zusetzen. M an wird den nicht selten sehr leicht liegen­ den Fällen besser gerecht werden, wenn man als S trafe nur Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft androht. Dann folgt als § 49 a der bisherige § 21, die falsche Namensangabe in Festungen. Hier habe ich nur kleine sprachliche Änderungen vorzuschlagen. S ta tt „Reichsmarine" muß es auf Grund des Wehr­ gesetzes heißen „Kriegsmarine"; statt „einem Be­ amten oder Soldaten" wird besser „einem Amts­ träger oder einem Angehörigen der Wehrmacht" ge­ sagt. Ferner wird vorgeschlagen, die Strafdrohung des Abs. 1 auf Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft zu erhöhen. Dann könnte aus die besondere Strafdrohung des § 23 ganz verzichtet werden, der eine Verdachtsstrafe enthält und daher den G rund­ sätzen des Willensstrafrechtes widerspricht. Es ist ferner von der Abteilung vorgeschlagen worden, den

Abs. 3 zu streichen, und zwar mit Rücksicht auf § 145 Abs. 2 Satz 2, der den Widerstand gegen die S ta a ts­ gewalt nur dann straflos läßt, wenn er sich gegen einen ossensichtlich groben Mißbrauch der Amts- oder Dienstgewalt richtet. Es ist nicht gut möglich, hier die Straflosigkeit schon dann eintreten zu lasten, wenn der Soldat nur nicht befugt war, die Nennung des "Namens zu verlangen. Als § 49 b folgt der bisherige § 22, die unbefugte Ausnahme in Festungen. Hier sind Änderungen da­ durch bedingt, daß die §§ 21 und 22 des Entwurfs insofern nicht übereinstimmen, als im § 22 die Schiffe der Kriegsmarine nicht genannt und als geschützte Gebäude nur solche aufgeführt sind, in denen Heeresbedürsniste g e l a g e r t werden, nicht dagegen auch solche Gebäude, in denen Wehrmittel h e r g e s t e l l t oder ausgebessert werden. F ü r eine derartige unter­ schiedliche Behandlung besteht aber kein Grund. Um die beiden Bestimmungen einander anzupassen, hat die Abteilung folgende Fassung des bisherigen § 22, nunmehr § 49 b, vorgeschlagen: Wer u n b e f u g t von einer militärischen Anlage, a u f e i n e m S c h i f f d e r K r i e g s ­ m a r i n e , innerhalb eines amtlich bekanntge­ machten Sicherungsbereichs oder von e i n e r gewerblichen A n l a g e , in der Ge­ genstände für den B e d a r f der deutschen Wehrmacht herges t el l t , a u s g e b e s s e r t o d e r a u f b e w a h r t wer­ den, Aufnahmen oder Zeichnungen anfertigt oder wer u n b e f u g t derartige Ausnahmen oder Zeichnungen in Verkehr bringt, wird m i t G e ­ f ä n g n i s b i s zu z w e i J a h r e n o d e r mit Hast bestraft. Die Strafdrohung ist auch hier auf Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft erhöht worden, wodurch § 23 des Entwurfs dann ganz überflüssig wird. Es folgt dann als § 49 c der bisherige § 18. Seine Überschrift hieß bisher: „Ungehorsam gegen Anordnungen der Reichsregierung" und beschränkte sich demgemäß allein aus Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen der Reichsregierung. Diese Fassung ist zu eng. E s müssen schon alle Zuwiderhandlungen er­ faßt werden, die gegen Anordnungen irgendwelcher militärischen Dienststellen, wenn diese zur Sicherung der Landesverteidigung erlassen wurden, begangen sind. § 18 Abs. 2 des Entwurfs ist dahin geändert worden, daß die Qualifikation nicht mehr auf den Kriegszustand beschränkt, sondern allgemein auf schwere Fälle ausgedehnt worden ist. Damit ist dieser Abschnitt beendet. Professor Dr. Nagler: I n allem Grundsätzlichen bin ich mit den Aus­ führungen von Herrn Senatspräsident Grau ein­ verstanden. Ich würde jedoch bei den §§ 42 und 45 den Unternehmenstyp vorziehen. Dann habe ich einige Bedenken für § 46. E s handelt sich hier um Ergänzungstatbestände zum Militärstrafgesetzbuch. Endgültig kann daher erst dann Stellung genommen werden, wenn wir das neue Militärstrasgesetzbuch und

seine dem jetzigen § 78 M S tG B . entsprechenden Bestimmungen vor uns hätten. Heute ist die Lage so, daß die Strafen für Fahnenflucht außerordentlich hoch sind. S o ist es gekommen, daß man selbst im Militärstrafgesetzbuch, und zwar im § 78, die Teil­ nahme von Militärpersonen an der Fahnenflucht unter einen selbständigen Tatbestand gebracht hat. Diesem § 78 M S tG B . entspricht der bisherige § 141 S tG B , für Nichtmilitärpersonen. Soweit ein Zivilist T äter ist, wird die Strafe im Verhältnis zu § 78 M S tG B . herabgesetzt. An und für sich würde in unserem § 46 nach dem Vorschlag der Abteilung mit dem Wort „erleichtert" auch die echte Beihilfe zur Fahnenflucht getroffen sein. D as Anreizen oder Auffordern würde dagegen u. a. die erfolglose An­ stiftung erfassen. Ich bin der Meinung, daß es zu hart wäre, wenn man den Zivilisten, der anstiftet, nach dem Militärstrafgesetzbuch, und zwar nach dessen Grundtatbeständen unter Strafe stellen würde. Ich schlage daher vor, in dem § 46 vor den Worten „auf­ fordert oder anreizt" die Wendung „anstiftet" ein­ zufügen. Zu den §§ 47, 47 a und b habe ich nichts zu bemerken. Bei § 47 c frage ich, ob die Strafe nicht erhöht werden müßte. Denn § 47 c enthält zwei Tatbestände: Die Dienstpflichtentziehung oder die Auswanderung mit und ohne den Willen, sich der Dienstpflicht zu entziehen. Zu dem ersteren Tatbe­ stand wäre eine Straferhöhung angebracht. § 47 d hat eine etwas unglückliche Überschrift, weil der Tatbestand u. a. auch die Verstümmelung durch einen anderen mit Zustimmung des Verstümmelten erfaßt. D as ist aber nur eine Kleinigkeit. Bei § 48 würde ich ebenfalls für die Verwendung des Singu­ lars sein. Bereits die neue Fassung der Novelle über­ holt diesen Vorschlag jedoch. Den § 49 d könnte man mit Volksverrat zusammen behandeln. Die übrigen Bestimmungen geben mir zu Beanstandungen keinen Anlaß. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich möchte zunächst die Frage stellen, ob jemand sich zum Grundsätzlichen dieses Abschnittes äußern will. Da keine Wortmeldung erfolgt, schlage ich vor, nun die einzelnen Bestimmungen durchzugehen. Ich lege dabei den Antrag B 46 der Abteilung zugrunde. W ir kommen zunächst zu § 42. Herr Professor Nagler hat hierzu vorgeschlagen, die Unternehmensfassung zu wählen. Ministerialdirigent D r. Schäfer: Dafür besteht wohl kein Bedürfnis. Wir haben den Unternehmensbegriff auch zu anderen ähnlichen Tatbeständen nicht. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich vermag nicht einzusehen, was aus dem Vor­ schlag von Herrn Professor Nagler praktisch folgen soll. Professor Dr. Nagler: Ich stoße mich daran, daß man nicht schon wie in anderen Fällen im Haupttatbestand das Beginnen

als Regelform der Begehung berücksichtigt. Ich gebe aber zu, daß dieser Änderung keine große BÜeutung zukommt. Senatspräsident G rau: Meiner Ansicht nach hat Herr Professor Nagler recht. Es muß bereits das Bestreben zur Zersetzung des Wehrwillens von der Strafdrohung erfaßt werden. Ich schlage daher vor zu sagen, „wer . . . zu zersetzen sucht". Ministerialdirektor Schäfer: Der Versuch ist schon bei der jetzigen Fassung strafbar. Die einzige Folge der Fassungsänderung wäre, daß die im Allgemeinen Teil vorgesehene Kann-Milderung ausgeschlossen wird. Senatsprästdent G rau: D as ist richtig. Aber eine wirkliche Zersetzung wird doch fast nie eintreten. Deshalb halte ich es für angebracht, bereits den Zersetzungsversuch in den Tatbestand hereinzubringen. Staatssekretär Dr. Freister: Ich schließe mich dem Vorschlag von Herrn Senatspräsident G rau an. D a sich kein Widerspruch erhebt, ist der Vorschlag also angenommen. Zu § 43 habe ich keine Bemerkungen. Die Bestimmung wird also unverändert übernommen. Auch zu § 44 sind keine Vorschläge gemacht. E s bleibt also bei der jetzigem Fassung. Der in § 44 a enthaltene Wunsch des Reichskriegsministers ist berechtigt. Ich weiß nur nicht recht, warum im zweiten Absatz die Worte stehen: „in einem bestimmten Sinne auszuüben". D as könnte mißverständlich sein. Ministerialdirektor Schäfer: Diese Frage können wir vielleicht bei den An­ griffen aus die politische Führung erörtern. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Gemeint ist, daß der Täter den Handlungswillen des Oberbefehlshabers in keiner irgendwie gearteten Weise beeinflussen darf.

überschneiden. D as muß vermieden werden. Denn es würde eine Begünstigung des Täters bedeuten, der einen Soldaten anstiftet, gegenüber dem, der unter die entsprechende Bestimmung des Militärstrasgesetzbuches fällt. Ich halte diese Regelung nicht für berechtigt. Professor Dr. Nagler: Herr Reichsgerichtsrat Niethammer geht fehl, wenn er meint, daß § 78 M S tG B . für Zivilisten nicht indirekt von Bedeutung sei. § 78 enthält die An­ stiftung und die Beihilfe einer Militärperson zur Fahnenflucht, so daß für den Teilnehmer die vorher­ gehenden Täterschafts-Tatbestände gar nicht zur An­ wendung kommen. Wenn diese Bestimmung des Militärstrafgesetzbuchs (§ 78) bleibt, dann würde der an der Desertion teilnehmende Zivilist viel schlechter gestellt sein als der Soldat, der zur Fahnenflucht anstiftet oder beihilst. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Ich glaube, wir dürfen uns nicht an die ver­ alteten Strafdrohungen des Militärstrafgesetzbuchs halten. Dieses wird ja im Anschluß an unsere Reform ohnedies geändert werden. W ir müssen uns unab­ hängig davon überlegen, ob es richtig ist, wenn ein Zivilist, der erfolgreich zur Fahnenflucht verhilft, so bestraft wird, wie es nach unseren Vorschriften über Teilnahme am Sonderdelikt vorgesehen ist. Ich halte dies für angemessen. Staatssekretär Dr. Freisler: Herr Professor Nagler hat recht, daß die jetzige Anomalie für die Dauer nicht tragbar ist. Anderseits ist aber auch eine Besserstellung des Zivilisten gegen­ über dem Soldaten nicht möglich. Professor D r. Nagler: D as will ich auch gar nicht. Ich schlage vor, eine Anmerkung einzufügen, daß das Strafgesetzbuch dem neuen M S tG B . insoweit angepaßt werden muß. Ministerialdirektor Schäfer: Ich würde in der Anmerkung besser hervorheben, daß § 78 M S tG B . gestrichen werden muß.

Staatssekretär Dr. Freisler: Ich glaube auch, daß wir diese Frage am besten bei den Angriffen auf die politische Führung mitbe­ handeln. W ir kommen dann zu § 45. Hier hat Herr Professor Nagler den Vorschlag gemacht, die Unter­ nehmensfassung zu wählen. An der Kasuistik der Be­ stimmung kann nichts geändert werden. Entsprechend dem Vorschlag G rau wird man auch hier die Fassung „zu untergraben sucht" verwenden müssen. Bei § 46 wünscht Herr Professor Nagler die Privilegierung der Anstiftung durch Zivilisten.

D as dürste die beste Lösung sein. Da sich kein Widerspruch erhebt, ist dieser Vorschlag angenommen. Zu § 47 (bisher § 48 erster Lesung) sind bereits alle gemachten Vorschläge übernommen. Zu den §§ 47 a bis 47 e ist nichts zu sagen, da diese Be­ stimmungen in der Fassung der Novelle feststehen. Wir kommen dann zu § 48 (bisher § 47 der ersten Lesung). Herr Reichsgerichtsrat Niethammerwünscht das Wort.

Reichsgerichtsrat Niethammer: Würde man hier die durchgeführte Verleitung hereinnehmen, so würde sich die Bestimmung mit der entsprechenden Vorschrift des Militärstrafgesetzbuchs

Reichsgerichtsrat Niethammer: Es mag kleinlich sein, wenn ich Wert darauf lege, dort, wo es nicht zwingend geboten ist, die Mehrzahl zu vermeiden. S o z. B. wird auch bei der Sachbe-

Staatssekretär Dr. Freisler:

Schädigung nur von e i n e r Sache gesprochen. Hier kommt nun die Mehrzahl vor. Dieser Unterschied kann möglicherweise die Gerichte irreführen. Staatssekretär Dr. Freisler: Also sagen wir: „Wer e i n Wehrmittel . . ." Professor Dr. Graf Gleispach: M ir ist noch nicht ganz klar, ob bei § 48 auch der subjektive Tatbestand geändert ist. Ministerialdirektor Schäfer: D as Wort „Absicht" ist bereits gemäß dem Vor­ schlag von Senatspräsident Grau gestrichen. Staatssekretär Dr. Freisler: Dann käme also § 49, der bisherige § 17 des Entwurfes erster Lesung. Ministerialdirektor Schäfer: E s liegen hier noch zwei Anträge vor: einmal die Worte „und Bevollmächtigte" zu streichen, da in zweiter Lesung die Vertreterhastung beschloffen worden ist, und zweitens in Absatz 3 das Strafm aß zu ändern. Staatssekretär Dr. Freisler: D a sich kein Widerspruch hiergegen erhebt, ist die Vorschrift mit den beiden Änderungen angenommen. W ir kommen dann zu § 49 a, dem bisherigen § 21. Ministerialdirektor Schäfer: E s sind hier einige kleine Änderungen vorge­ schlagen worden, nämlich in Abs. 1 das W ort „vor­ sätzlich" zu streichen, das Wort „Reichsmarine" durch „Kriegsmarine" und die Worte „einem Beamten oder einem Soldaten" durch die Worte „einem Amts­ träger oder einem Angehörigen der Wehrmacht" zu ersetzen. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich möchte noch bemängeln, daß die Überschrift m it dem In h a lt der Bestimmung nicht ganz überein­ stimmt. D as ist jedoch eine Äußerlichkeit, aus die ich keinen großen Wert lege. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich finde die Überschrift sehr schön und anschau­ lich. Ich glaube, wir können dabei bleiben. (Allgemeine Zustimmung.) Reichsgerichtsrat Niethammer: Zu Absatz 2 des bisherigen § 21 (jetzt § 49 a) sehe ich nicht ein, warum nur von „gewerblichen" Anlagen gesprochen wird. Es kann auch sein, daß aus irgendwelchen Gründen Wehrmittel in einer staatlichen oder städtischen Anlage untergebracht werden müssen. Dann kann doch keine Freiheit für Ausnahmen gegeben sein.

Staatssekretär Dr. Freisler: D as ist durchaus richtig. Ich denke z. B. an die Unterbringung von Wehrmitteln in Eisenbahn­ schuppen. Streichen wir also das Wort „gewerblich". (Allgemeine Zustimmung.) — W ir kämen dann zu § 49 b, dem früheren § 22 des Entwurfs. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich möchte hier anregen, die Bestimmung in zwei besondere Absätze auszuteilen. (Allgemeine Zustimmung.) Staatssekretär Dr. Freisler: Zu § 49 c liegen keine Vorschläge vor. Landgerichtsdirektor Leimer: Ich würde vorschlagen, in Absatz 2 zu sagen: „ I n schwereren Fällen, insbesondere wenn die Zuwider­ handlung während eines Krieges gegen das Reich oder bei drohender Kriegsgefahr begangen ist, ist die Strafe Gefängnis". Staatssekretär Dr. Freisler: M an kann die Bestimmung auch so fasten. Hier­ gegen bestehen wohl keine Bedenken. (Zustimmung) — Zu § 49 ä sind keine Vorschläge gemacht worden. Ich bitte die Unterkommission, die endgültige Formulierung vorzunehmen. Die Kommission setzt sich zusammen aus den Herren Profestor Nagler, Senatspräsident Grau und Ministerialdirigent Dr. Schäfer. W ir kommen zu dem nächsten Abschnitt, den „Angriffen auf die Reinheit der Amtssühmng" (§§ 125 bis 144). Ich bitte den Herrn Berichterstatter Landgerichtspräsident Lorenz das Wort zu nehmen. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Ich möchte mich zunächst kurz zur Systematik dieses Abschnittes äußern. M an kann die echten und die unechten Amtsdelikte zusammen in demselben Abschnitt behandeln. M an kann die unechten Amts­ delikte aber auch, wie dies der Entwurf erster Lesung tut, dorthin stellen, wo sie ihrem sachlichen Gehalt nach hingehören. Ich möchte mich für die Beibe­ haltung des Aufbaues des Entwurfs erster Lesung aussprechen. S ta tt von Beamten ist hier von Amtsträgern die Rede. Die Definition dieses Begriffes ist im § 357 Nr. 1 enthalten. Nach den Beratungen der zweiten Lesung soll der Abschnitt „Sprachgebrauch" ganz ver­ schwinden. Dann müßte die Definition des Begriffes „Amtsträger" hier eingestellt werden. Ich möchte vorschlagen, die Definition an den Anfang des Ab­ schnittes zu stellen. Weiter ist allgemein die Frage zu lösen, ob die Amtsträger der Partei den staatlichen Amtsträgern gleichgestellt werden sollen. D as ist eine Frage, über

die in erster Linie die P artei und der Innenminister zu entscheiden haben. W ir werden also auf deren Vorschlag angewiesen sein und brauchen die Frage daher hier nicht zu erörtern. Ferner hat die Fuldaer Bischosskonferenz zu dem Abschnitt insoweit Stellung genommen, als die kirch­ lichen Amtsträger von den Strafbestimmungen erfaßt werden. Die Konferenz wendet sich dagegen, daß die echten Amtsdelikte auch auf Träger von kirchlichen Ämtern Anwendung finden sollen. Sie steht auf dem Standpunkt, daß die Kirche ihre Amtsträger selbst zur Rechenschaft ziehen könne, und verlangt Streichung der einschlägigen Vorschriften. Die Konferenz be­ gründet ihren Standpunkt weiter damit, daß mit einem öffentlichen Strafverfahren vor ordentlichen Gerichten ihr nicht gedient sei, weil die Voraus­ setzungen der Amtsbefugnisse zu beurteilen allein der Kirche möglich sei, so z. B. bei Amtserschleichung. Der Entwurf erster Lesung hat diesen Wünschen weit­ gehend Rechnung getragen. Nur in zwei Vorschriften wird die Strafbestimmung auf kirchliche Amtsträger für anwendbar erklärt: einmal die Falschbeurkundung, weil allgemein ein Interesse an strafrechtlicher Ver­ folgung besteht. Weiterhin findet die Bestimmung über die Verletzung der Steuergeheimnisse auch auf kirchliche Amtsträger Anwendung. Wenn die Kirche hier die Stellung eines Zensiten übertragen erhält, dann muß der Steuerzahler auch strafrechtlichen Schutz gegenüber den betreffenden Steuerbeamten haben. Zu prüfen ist ferner, wieweit auch Soldaten unter den Begriff des Amtsträgers fallen. Eine Regelung dürfte sich jedoch in Anbetracht des § 145 M S tG B . erübrigen. Eine Strafvorschrift für Führertreubruch ist nicht ausgenommen. M. E. geht das auch nicht, weil ein derartiger Tatbestand zu allgemein wäre. E r eignet sich nicht zur Aburteilung durch ordentliche Gerichte. Ich komme dann zu den einzelnen Tatbeständen: I m wesentlichen schließe ich mich hier dem Antrag der Sachbearbeiter Nr. B 41 an. § 125: Die Worte „für ehrlos erklärt" sind zu streichen auf Grund der Beratungen der zweiten Lesung des § 396 Abs. 2, wonach die obligatorische Ehrloserklärung für einzelne Delikte weggefallen ist. § 126: Die Fassung, daß hier nur das „absicht­ liche" bzw. „wissentliche" Herbeiführen bestraft werden soll, muß bleiben. Ich schließe mich auch dem Vor­ schlag der Sachbearbeiter an, in Absatz 2 hinter „Dienststrafverfahren" einzufügen „oder bei einer sonstigen behördlichen Untersuchung". Damit werden auch die Fälle erfaßt, in denen dem ordentlichen Ver­ fahren z. B. eine Schutzhaft vorausgeht. Auch hier wird man die Erpressung von Aussagen unter Strafe stellen müssen. § 127: I m Gegensatz zum geltenden Recht soll hier aus guten Gründen die nur fahrlässige gesetz­ widrige Vollstreckung unberücksichtigt bleiben. I n diesen Fällen wird eine disziplinarische Ahndung durchaus genügen. I m übrigen ist es mir zweifelhaft, ob nicht auch hier besser als subjektives Tatbestandsmerkmal Wissentlichkeit oder Absichtlichkeit gefordert

werden müßte. Ich erinnere hier an § 326 des E nt­ wurfs und § 346 S tG B . Die jetzige weite Fassung, des § 127, die es aus das bloße Unterlassen abstellt, könnte möglicherweise in der P raxis zu Schwierig­ keiten und Zweifeln führen. § 128: Die Sachbearbeiter des Ministeriums schlagen vor, die Strafdrohung dahin abzuändern, daß. in leichteren Fällen auf Gefängnis nicht unter drei Monaten erkannt werden kann. Ich möchte mich diesem Vorschlag nicht unbedingt anschließen. Denn es handelt sich hierbei doch um recht schwere Delikte. Eine Mindeststrase von sechs Monaten Gefängnis scheint mir daher durchaus angebracht zu sein. Abs. 3 ist durch die Neufassung des § 433 überflüssig ge­ worden. E r ist daher zu streichen. § 129: Die Dienstverweigerung eines einzelnen Amtsträgers ist vom Entwurf im Gegensatz z. B. zum italienischen Recht herausgelassen worden. Der E nt­ wurf geht davon aus, daß in solchen Fällen diszipli­ narische Maßnahmen genügen. Ich halte das für durchaus richtig. Hinsichtlich des Strafmaßes schließe ich mich dem Vorschlag der Sachbearbeiter an, in Abs. 2 wahlweise neben Zuchthaus Gefängnis nicht unter sechs Monaten vorzusehen. § 130: Hierzu möchte ich anregen, den Absatz 2 zu streichen. Wenn ein Polizeibeamter sich bei gemeiner Gefahr der Dienstpflicht entzieht, so muß er in jedem Falle bestraft werden, und zwar nicht nur diszipli­ narisch. § 131: Dieser Bestimmung habe ich nichts hinzu­ zufügen. § 131 a : Die Sachbearbeiter des Ministeriums haben vorgeschlagen, hinter § 131 einen § 131 a ein­ zufügen, durch den auch die Bestechung von Behörden­ angestellten ersaßt werden soll. I n Anbetracht der jetzigen Begriffsbestimmung des Amtsträgers scheint mir diese Strafbestimmung zweckmäßig und nötig zu sein. Ich schließe mich daher der vorgeschlagenen Fassung an. § 132: Auch hier schließe ich mich dem Vorschlag, der Sachbearbeiter an, in einem neuen Absatz 2 die Strafdrohung auch auf Behördenangestellte auszu­ dehnen. §§ 133 und 134: Zu diesen Bestimmungen habe ich nichts Neues auszuführen. § 135: Ich schlage vor, die Definition des Be­ griffes „Amtsträger" hier mit einzustellen und die ganze Vorschrift an den Anfang des Abschnittes zu stellen. § 136: Hier müßte eine entsprechende Ergänzung der Strafdrohung für Behördenangestellte erfolgen wie zu § 131. Ich schließe mich insoweit dem Vor­ schlag der Sachbearbeiter des Ministeriums an. § 137: Hier schließe ich mich ebenfalls dem Vor­ schlage der Sachbearbeiter an, hinter Absatz 2 einen neuen Absatz einzufügen, der die unbefugte Veröffent­ lichung der sogenannten Memoirenliteratur auch gegenüber dem Erben strafrechtlich sicherstellen soll. Auch gegen den weiteren Vorschlag der Sachbearbeiter des Ministeriums, in einem neuen Absatz 4 vorzu-

sehen, daß die T at nur auf Anordnung der Reichs­ regierung verfolgt wird, habe ich keine Bedenken. § 138: Gegen die bereits von dem Vorschlag der Sachbearbeiter berücksichtigten Anregungen des Reichspostministers zu einer Erweiterung in der Be­ stimmung habe ich keine Bedenken. Meines Erachtens wird durch die vorgesehene Änderung aber Absatz 2 überflüssig. Absatz 3 könnte vereinfacht werden und etwa so lauten: „Soweit in Absatz 1 Nr. 3 die M it­ teilungen mit Strafe bedroht sind, gilt dies auch für P ersonen. . .". § 139: Diese Bestimmung entspricht dem § 412 der Reichsabgabenordnung. Ich habe hier nichts hinzuzufügen. § 140: Gemäß dem Vorschlag der Sachbearbeiter muß es hier nach dem sonst üblichen Sprachgebrauch statt „einzuziehen" heißen „für verfallen zu erklären". § 141: Hier muß die militärische Amtsanmaßung in den Tatbestand aufgenommen werden, wie dies bereits im Entwurf erster Lesung vorgesehen ist. § 142: Hier scheint mir eine andere Fassung des Abs. 2 erforderlich zu sein. Auszugehen ist nunmehr von der allgemeinen Wehrpflicht. E s muß dann ge­ schieden werden zwischen denjenigen, die in die Wehr­ macht als Berufssoldaten eintreten wollen, und denen, die nur zur Erfüllung ihrer Wehrpflicht dienen. §§ 143,144: Diesen Bestimmungen habe ich nichts hinzuzufügen. Professor Dr. Schaffstein: Ich hätte zunächst einige Bemerkungen zu den grundsätzlichen Fragen dieses Abschnittes. Der Ab­ schnitt enthält gegenüber dem geltenden Recht eine ganz grundsätzliche Änderung. I m geltenden Recht waren die Amtsdelikte zusammen mit den Delikten des Militärstrasgesetzbuchs die einzigen Fälle, in denen der Gesetzgeber von 1871 nicht von dem Ge­ danken der Rechtsgutverletzung, sondern von dem Gedanken der Pflichtverletzung ausgegangen ist. Der Entwurf erster Lesung hat sich diesem Gedanken nicht angeschlossen, sondern leider die Systematik auf der Grundlage der Rechtsgutsverletzung streng durch­ geführt. Das kommt in doppelter Hinsicht zum Aus­ druck. Erstens sind die unechten Amtsdelikte gestrichen. Zweitens sind in den Abschnitt Delikte aufgenommen, die keine Amtspslichtverletzungen enthalten, nämlich die §§ 141 ff. Ich halte das für sehr bedenklich und für einen Rückschritt in der gegenwärtigen Entwick­ lung. Denn gerade in unserm Recht spielt der Ge­ sichtspunkt der Pflichtverletzung eine besondere Rolle. E r muß daher auch hier in den Vordergrund gestellt werden. E s ist kein Zufall, daß man in der neuesten Literatur gerade die unechten Amtsdelikte als wich­ tigstes Beispiel für eine Täter-Typisierung und für das Ausgehen von der Pflichtverletzung angeführt hat. Ausgerechnet hat nun in derselben Zeit der Entwurf die unechten Amtsdelikte ganz gestrichen. D araus er­ gibt sich folgende Konsequenz. W ir müssen versuchen, zum mindesten nicht hinter dem geltenden Recht zu­ rückzubleiben. D as würde bedeuten, daß wir zunächst einmal diejenigen Delikte, die keine Pflichtverletzung

enthalten, aus diesem Abschnitt herausnehmen und wieder dort hinstellen, wohin sie gehören, nämlich zu den Angriffen auf Rechtspflege und Verwaltung. D as folgt aus dem Grundsatz des Willensstrafrechts, das doch ein T a t e r strafrecht ist. E s sind völlig ver­ schiedene Tätertypen, die ein Amtsdelikt begehen oder etwa eine Amtserschleichung. Ich glaube also, daß diese ganze Gruppe von Delikten, die keine Amts­ pflichtverletzung enthalten, sehr gut bei den Angriffen aus die Verwaltung Platz finden würde, und zwar etwa im Zusammenhang mit § 173. Meine zweite Beanstandung betrifft die Behand­ lung der unechten Amtsdelikte im Entwurf erster Lesung. M an hat über diese Delikte schon in erster Lesung gesprochen und ist sich darüber einig gewesen, daß sie nicht völlig verschwinden sollen. M an hat vor­ gesehen, daß die unechten Amtsdelikte bei den ein­ zelnen Rechtsgutsverletzungen mitbehandelt werden sollen, zu denen sie angeblich ihrem sachlichen Gehalt nach jeweils gehören. Der Gedanke der Pflichtver­ letzung wurde damit für die Systematik zurückgestellt. Herr Präsident Lorenz hat das ja soeben auch für richtig gehalten. Schlägt man aber nun den Beson­ deren Teil aus, so findet man, daß dort in Wahrheit die unechten Amtsdelikte ganz verschwunden sind, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen. Ich würde nun vorschlagen, gewisse besondere wichtige unechte Amtsdelikte wieder bei den Amtsdelikten mitzubehan­ deln. Ich denke insbesondere an die Amtsunterschla­ gung — einschließlich des Diebstahls im Amt — , die Körperverletzung im Amt und die Freiheitsberaubung im Amt. M an brauchte also nicht alle unechten Amts­ delikte des geltenden Rechtes wieder herzustellen. Meines Erachtens entspricht die von mir vorgeschla­ gene Regelung auch durchaus dem Volksempfinden, das diese Delikte vorwiegend als Amtspslichtver­ letzungen ansieht. Ich würde aber noch darüber hinausgehen. I m alten Recht war der Gedanke der Pflichtverletzung auf die S traftat des Beamten und Soldaten beschränkt Es kommt darin eben die frühere Zweiteilung zwischen S ta a t und bürgerlicher Gesellschaft zum Vorschein. Ich glaube, daß der Gedanke der totalen Mobil­ machung — um einmal diesen in den letzten Tagen so oft gebrauchten Ausdruck zu verwenden — es mit sich bringt, daß man auch die besonderen Pflichten gegenüber der Volksgemeinschaft, die sich aus anderen Berufen und Ständen ergeben, mitberücksichtigen muß. Der Gedanke, der bisher nur bei Beamten und Soldaten verwirklicht worden ist, müßte im neuen Strafgesetzbuch ganz allgemein zum Ausdruck kommen. M ir scheint nun, daß wir diesen Gedanken auch im Besonderen Teil bei der Gestaltung der Einzeldelikte berücksichtigen können. Ich würde vorschlagen, bei der Strafbemessung eine Bestimmung einzufügen, die etwa so lauten könnte: „Bei der Bemessung der S trafe ist zu beachten, ob sich die S traftat als eine Ver­ letzung der besonderen Pflichten darstellt, die dem Täter kraft seiner Stellung, seines Standes oder seines Berufes obliegen". D as wäre auch eine gewisse Erläuterung des Begriffes „Schuld" im Sinne von

Pflichtwidrigkeit. Die Pslichtwidrigkeit wäre also zu bemessen nach der konkreten Stellung des Täters in der Gemeinschaft. Es ist etwas anderes, ob irgendein Viehhändler bei einem Kauf einen Betrug begeht oder ob etwa ein Großindustrieunternehmen, das das ganze Volk mit wichtigen Dingen beliefert, sich bei seinen Geschäften betrügerischer Handlungen schuldig macht. Ganz allgemein muß also der Gedanke verwirklicht werden, daß eine höhere Stellung für den Träger auch höhere Pflichten mit sich bringt. D as wäre das Grundsätzliche, was ich zu diesem Abschnitt zu sagen hätte. Ich möchte nun auf die Einzelsragen kommen. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich denke, daß wir zunächst einige bestimmte Fragen vorwegnehmen. Vielleicht behandeln Sie, Herr Professor Schafsstein, zunächst noch die Fragen, ob die Parteistellen und die kirchlichen Amtsträger den staatlichen Amtsträgern gleichzustellen sind. Berichterstatter Professor Dr. Schaffstein: Ich stimme meinem Herrn Mitberichterstatter darin zu, daß die Definition des Begriffes Amtsträger richtigerweise an den Anfang des ganzen Abschnittes zu stellen ist. Die einzige erhebliche sachliche S treit­ frage ist die, wie die kirchlichen Amtsträger zu be­ handeln sind. Ich glaube, daß es richtig ist, nicht alle kirchlichen Beamten den staatlichen Amtsträgern Aeichzustellen, sondern dies nur bei einzelnen be­ stimmten Delikten zu tun, allerdings über die Be­ schlüsse erster Lesung hinaus. Ich denke dabei nament­ lich an Amtsanmaßung und Amtserschleichung. Z. B. ist nach dem Konkordat nicht nur im kirchlichen, son­ dern auch im staatlichen Interesse die Erlangung vieler kirchlicher Ämter an gewisse Voraussetzungen gebunden, etwa an ein Studium aus deutschen Uni­ versitäten usw. Hier hat der S ta a t auch unabhängig von der Kirche ein Interesse daran, Amtsanmaßung oder Amtserschleichung in bezug auf kirchliche Ämter zu bestrafen. Staatssekretär Dr. Freisler: D as müßten Sie dann aber auf die Amtsträger aller Kirchen ausdehnen. Eine Sonderstellung der katholischen Kirche ist insoweit nicht tragbar. Berichterstatter Professor Dr. Schassstein: D as ist richtig. Bei der evangelischen Kirche wird das aber wohl seltener praktisch werden. Ich komme nun zu der Frage, ob die Amtswalter der Partei den staatlichen Amtsträgern gleichzustellen sind. D as möchte ich verneinen. Denn die Amts­ walter der Partei sind keine Amtsträger im staatlichen Sinne. Wenn man sich hier für einen strafrechtlichen Schutz entscheidet, dann wären die einschlägigen Be­ stimmungen im Einvernehmen mit der P artei in einem besonderen Abschnitt zu regeln, und zwar unter dem Abschnitt „Schutz der Bewegung". Dahin würde dann auch der Führertreubruch gehören, den ich allerdings nicht als Strastatbestand in das Gesetz aufnehmen würde.

Staatssekretär Dr. Freisler: D as sind die Fragen von Bedeutung, die bisher berührt worden sind und die über die zweckmäßige Ausgestaltung der einzelnen Bestimmungen hinaus­ gehen.. E s wäre gut, wenn wir nun die weiteren grundsätzlichen Fragen nacheinander diskutieren würden. Die erste Frage betrifft die unechten Amtsdelikte. Sie können entweder in Form einer Generalbestim­ mung oder in der Form in den Abschnitt hineinge­ nommen werden, daß einige besonders wichtige Fälle erwähnt werden, oder aber man kann es bei den Be­ schlüssen der ersten Lesung belassen. Die zweite Frage ist, ob diejenigen Tatbestände herausgenommen werden sollen, die keine Amtsdelikte sind, bei denen also eine Verletzung der besonderen Treupflicht des Beamten nicht in Frage kommt. Senatspräsident Professor Dr. Klee: W ir haben uns schon in der ersten Lesung über­ legt, ob wir den Abschnitt aus den Gedanken der Pflichtverletzung oder aus den Gedanken des Rechts­ gutsschutzes gründen wollen. W ir haben uns in letzterem S inne entschieden. Ich kann nicht aner­ kennen, daß dies einen Rückschritt gegenüber dem geltenden Recht bedeutet. Denn die Allgemeinheit hat an der Reinheit der Amtsführung ein besonders starkes Interesse. Deshalb ist diese Reinheit in den Vordergrund zu stellen. W ir haben damals unter diesem Gesichtspunkt besonders die Frage erörtert, ob die unechten Amtsdelikte aus dem Abschnitt heraus­ genommen werden sollen, und haben uns dafür ent­ schieden. E s mag sein, daß die herausgenommenen Tatbestände dann an anderer Stelle nicht ausgiebig genug berücksichtigt worden sind. D as wäre noch nach­ zuholen. Ich würde es vorziehen, in dem zur Debatte stehenden Abschnitt die unechten Amtsdelikte in einer allgemeinen Bestimmung zusammenzufassen, sie also nicht wie im geltenden Recht in Unterschlagung, Kör­ perverletzung und Freiheitsberaubung im Amt auf­ zuteilen, sondern allgemein zu sagen, daß es eine Strafschärfung begründet, wenn irgendein Delikt des Besonderen Teils von einem Amtsträger begangen wird. Damit wäre dem Gedanken der Pflichtver­ letzung ausreichend Rechnung getragen. Dann könnte noch eine allgemeine Vorschrift vorbehalten bleiben, daß bei der Strafbemessung der Mißbrauch der Amts­ gewalt als Strafschärfungsgrund zu berücksichtigen ist. Herr Professor Schafsstein hat das noch etwas er­ weitert. Ich glaube, daß er damit im wesentlichen das Richtige getroffen hat. Ich möchte ferner dafür eintreten, daß die Amtserschleichung oder Amtsan­ maßung in diesem Abschnitt bleiben. Ich glaube, es überwiegt der Gesichtspunkt, daß die Bevölkerung gerade vor Leuten geschützt werden muß, die sich unter irgendeiner Maske in ein Amt einschleichen oder sich ein solches anmaßen. Von Bedeutung ist ferner, daß die Amtsanmaßung besonders häufig gerade von Beamten begangen wird, indem diese ihre Amtsbefugnisse überschreiten. I m übrigen stimme ich Herrn Professor Schaffstein bezüglich der kirchlichen Amts-

träger zu. Eine allgemeine Ausdehnung der S tra f­ bestimmungen auf diese ist nicht erforderlich. An einem Strafschutz gegen Anmaßung eines kirchlichen Amts hat der S ta a t kaum ein Interesse. Anders liegt es vielleicht bei der Amtserschleichung, soweit die Voraussetzungen für ein kirchliches Amt etwa konkor­ datsmäßig festgelegt sind. Professor Dr. Dahmr Vom Standpunkt des Willensstrasrechts sollte man nicht vom Schutzobjekt, sondern vom Tätertypus ausgehen. T ut man das, so gelangt man zu den Folgerungen, die Herr Schafsstein entwickelt hat. Daher bedürfen unsere Vorschläge aus der ersten Lesung einer Überprüfung. Auch mir scheint es rich­ tig, daß die unechten Amtsdelikte wiederhergestellt werden, und daß die Straftaten, die, wie die Amts­ anmaßung, keine Amtspflichtverletzung enthalten, aus diesem Abschnitt herausgenommen werden. Ferner­ hin würde auch ich eine Strasbemessungsvorschrist ein­ führen, wie Herr Schafsstein sie vorgeschlagen hat, dabei allerdings nicht nur die Amtsstellung hervor­ heben, sondern ganz allgemein daraus hinweisen, daß die Strafbemessung sich vorwiegend nach der Stellung des Täters im Gemeinschaftsleben bestimmt. Anderer Meinung als Herr Schaffstein bin ich in der Beurteilung der kirchlichen Amtsträger, die man meiner Ausfassung nach den staatlichen Amtsträgern keinesfalls gleichstellen darf. S ta a t und Kirche sind ihrem Wesensgehalt nach durchaus verschiedene Ein­ richtungen. Das kirchliche Amt verdient nicht den­ selben Schutz wie das staatliche. Eine scharfe Schei­ dung liegt auch im Sinne der Kirche, deren innere Angelegenheiten wir nicht mit den M itteln des staat­ lichen Strafrechts regeln sollten. Reichsgerichtsrat Niethammer: W ir haben es bisher in der Rechtsprechung als eine Lücke empfunden, daß es weder einen Diebstahl im Amt noch einen Betrug im Amt gibt. Ich bin der Meinung, daß, wenn die unechten Amtsvergehen wieder hergestellt werden sollen, dann im Gegensatz zu dem Vorschlag des Herrn Professor Dahm nicht nur die Unterschlagung im Amt, sondern auch der Diebstahl im Amt hier unter eine besondere S tra f­ drohung gestellt werden muß. Ob ein Diebstahl oder eine Unterschlagung vorliegt, hängt oft von Zufällig­ keiten ab. Deshalb darf ein Unterschied zwischen Unterschlagung und Diebstahl in diesem Zusammen­ hange nicht gemacht werden. Ich würde mich dafür aussprechen, die Unterschlagung, den Diebstahl und den Betrug im Amte hier zu berücksichtigen. Dasselbe gilt von der Erpressung und der Freiheitsberaubung im Amt. Gerade das innere Wesen, die Untreue, hebt diese Straftaten so hervor, daß es mir angebracht er­ scheint, sie als unechte Amtsvergehen wieder besonders mit Strafe zu bedrohen. Staatssekretär Dr. Freisler: Auch ich glaube, daß wir uns in erster Lesung etwas verrannt haben. Die Regelung des Entwurfs erster Lesung erweckt den Eindruck, als ob wir vom

Rechtsgüterschutz ausgingen. Dieser Eindruck wird weniger durch die Herauslösung der unechten Amts­ delikte als vielmehr durch die Hereinnahme von S tra f­ taten erweckt, die keine besonderen Treupslichtverletzungen enthalten. Der von Herrn Professor Klee gegen den Vorschlag des Herrn Professor Schaffstein vorgebrachte Einwand, daß die Einstellung der §§ 141 ff. in den Abschnitt „Rechtspflege und Ver­ waltung" die Bedeutung dieser Bestimmungen ver­ kennen würde, scheint m ir nicht stichhaltig zu sein. Die Stärke des Strasschutzes hängt nicht davon ab, wo die Strafbestimmung im Gesetz steht. Der E in­ druck eines Rechtsgüterschutzes entsteht viel weniger, wenn wir die Bestimmungen in den Abschnitt „An­ griffe auf Rechtspflege und Verwaltung" einstellen. Die zweite Streitfrage ist, ob die unechten Amts­ delikte hier ausgenommen werden sollen. Wenn man das will, so kann man die Delikte nicht einzeln aus­ zählen; denn eine vollständige Aufzählung ist doch nicht möglich. Es ist der Vorschlag gemacht worden, nur einige besonders typische unechte Amtsdelikte hier zu erwähnen, z. B. die Amtsunterschlagung einschließ­ lich des Diebstahls im Amte, ferner die Körperver­ letzung und die Freiheitsberaubung im Amte. B e­ züglich der beiden letzteren Delikte müssen wir uns überlegen, ob wir sie heute überhaupt als etwas straf­ rechtlich Besonderes hervorheben können. Der Führerstaat kann in die Lage kommen, aus Grund von Erwägungen, die sich nicht in gesetzlichen Garantie­ bestimmungen ohne weiteres einsangen lassen, Zweckmäßigkeitsmaßnahmen treffen zu müssen, die unter Umständen z. B. von einer zeitweiligen Freiheits­ beschränkung nicht absehen können. Wenn man nun aus diesem Grunde in Anbetracht der gegebenen T a t­ sachen Bedenken hat, die genannten Delikte besonders hervorzuheben, so entsteht wiederum aus die Amts­ unterschlagung rückwirkend die Frage, ob man dann diese noch als etwas Besonderes herausheben soll. Vielleicht ist es dann besser, einen allgemeinen Grund­ satz auszustellen, wonach ein Delikt, wenn es von einem Amtsträger begangen ist, einen anderen Un­ wertgehalt hat, als wenn es von irgendeiner nicht­ beamteten Person verübt ist. Vorgeschlagen ist eine entsprechende Strafbemessungsvorschrift. Eine solche würde an sich rein äußerlich betrachtet — nicht hierher gehören; es bestehen aber auch keine durchgreifenden Bedenken dagegen, sie hier in diesen Abschnitt einzu­ stellen. Dann würde man damit deutlich hervorheben, daß wir diesen Abschnitt nicht unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgutverletzung anfassen wollen. Wir sind zwar zu der Ansicht gekommen, daß es sich im all­ gemeinen nicht empfiehlt, in größerem Umfange Strafbemessungsregeln in das Strafgesetzbuch aufzu­ nehmen, weil es dann damit kein Ende geben würde. Ich meine aber, daß die hier vorgeschlagene S trafbemeffungsregel in diesem Zusammenhang eine beson­ dere Bedeutung hätte. Ich könnte mir daher vorstellen, daß dieser Abschnitt in zwei Teile zerfällt, nämlich in die echten Amtsdelikte und in das, was über die unechten Amtsdelikte allgemein zu sagen wäre. Die

nicht hierher gehörenden Delikte der §§ 141 sf. müßten dann an eine andere Stelle kommen. M it dieser Frage hängt nicht die andere zusam­ men, ob wir auch außerhalb der Amtsstellung eines Taters dazu kommen können, einen Menschen wegen seiner höheren Bildung und höheren Stellung schärfer zu bestrafen als einen anderen. Ich würde das gar nicht auf Amtsträger abstellen, sondern als einen Vorschlag auffassen, noch nachträglich in dem Abschnitt Strafbemessung den Grundsatz der höheren Verpflich­ tung des irgendwie Höhergestellten aufzunehmen. Ich würde jedoch vorschlagen, diese Frage jetzt nicht im einzelnen zu debattieren. Von den anderen Punkten, insbesondere der Kirchensrage, spreche ich jetzt nicht. E s scheint mir besser zu sein, daß wir uns zunächst aus diese eine Frage beschränken. Ministerialdirektor Schäfer: Ich habe nichts dagegen, wenn man bei dem Ab­ schnitt davon ausgeht, ihn unter dem Gedanken der Pflichtverletzung zu betrachten. Wenn ich mir eine allgemeine Bemerkung gestatten darf, so möchte ich sagen, daß ich durchaus Verständnis dafür habe, daß man versucht, von dem Gesichtspunkt des Rechtsgüter­ schutzes wegzukommen; es braucht nicht alles unter ihm ersaßt zu werden. Bei Delikten, bei denen ge­ wohnheitsmäßige Begehung in Betracht kommt, könnte man ganz anders gruppieren und aus Täter­ typen kommen. Bei Gelegenheitsdelikten dagegen kommt man nur sehr schwer aus Tätertypen. Wenn ich mir nun diesen Abschnitt ansehe, so könnte ich mir auch denken, daß der Blickpunkt für einen Disziplinar­ gesetzgeber und für den Kriminalgesetzgeber verschieden ist. F ü r den ersteren steht der Gesichtspunkt der Pflichtverletzung im Vordergrund. Der Kriminal­ gesetzgeber kann sich dagegen durchaus sagen, daß für ihn der Gesichtspunkt der Reinerhaltung des Amtes im Vordergrund steht. Das kann man sehr wohl unterscheiden. Ich würde bei diesen Fragen nicht zu orthodox vorgehen. Ich habe aber auch nichts dagegen, wenn man hier vom Ge­ sichtspunkt der Pflichtverletzung ausgeht; ich glaube aber nicht, daß man diesen Gedanken bis zum Letzten durchführen kann. Niemand hat vorgeschlagen, z. B. die aktive Bestechung hier herauszunehmen, obwohl sie keine Amtspflichtverletzung enthält. M an sollte sich auch die Frage vorlegen, ob man die unechten Amts­ delikte hier eingruppieren soll oder in einem anderen Abschnitt. Auch die Herren Professoren Schaffstein und Dahm haben nur vorgeschlagen, einige dieser Delikte hierher zu nehmen, nicht aber die schwersten unechten Amtsdelikte, die sich z. B. im Abschnitt „Un­ zucht" finden. Es wäre ein Unding, diese dort her­ auszunehmen und hier einzustellen. Die erste Frage ist, ob hier z. B. die Amtsunter­ schlagung geregelt werden soll. Ich möchte davon ab­ raten, weil wir im Gebiet der Vermögensdelikte gerade das Delikt des Treubruchs geschaffen haben. Der bei weitem wichtigste Fall dieser Straftaten ist doch der des Treubruchs. Ich neige dazu, daß wir dort dem Gesichtspunkt der Pflichtverletzung genügend

Rechnung getragen haben. E s besteht dann kein Be­ dürfnis, nun auch noch die Amtsunterschlagung be­ sonders zu nennen. Dann hatte Herr Professor Schaffstein vorge­ schlagen, hier die Körperverletzung und die Freiheits­ beraubung im Amt zu regeln. Bei der Körperver­ letzung im Amt hat man in erster Linie an Züchtigungsüberschreitungen von Lehrern gedacht. Diese Fälle sind aber in der Praxis sehr selten. Ob man gerade diese besonders hervorheben soll, ist doch wohl sehr fraglich. Die Freiheitsberaubung im Amt haben wir in den Abschnitt „Freiheitsberau­ bung" eingestellt. Es handelt sich doch in allen diesen Fällen um der Zahl nach ganz seltene Delikte. Ich neige daher aus praktischen Gesichtspunkten dazu, die einzelnen unechten Amtsdelikte außerhalb des hier zur Debatte stehenden Abschnitts zu regeln. Ob man die Amtserschleichung und Amtsan­ maßung hier regeln soll, ist zweifelhaft. M an kann sie auch in den Abschnitt über „Rechtspflege und Ver­ waltung" einstellen. I m übrigen wäre ich dafür, den Gesichtspunkt der Pflichtverletzung in einer Strafbemessungsvorschrist herauszuarbeiten. Ich würde es vorziehen, wenn dies im Allgemeinen Teil geschehen würde, will mich aber auch nicht durchaus dagegen wenden, daß es hier an dieser Stelle geschieht. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich möchte das unterstreichen, was Herr Ministe­ rialdirektor Schäfer gesagt hat. Zur Bekräftigung seiner Ausführungen will ich ebenfalls an den Ge­ danken des Treubruchs anknüpfen, aber von einer anderen Blickrichtung aus. Bei der Besprechung über die Untreue wird Ihnen klar geworden sein, daß das Denken der N S D A P , dahin geht, daß jeder Volks­ genosse eine Art von Amt innerhalb der Volksgemein­ schaft verwaltet. Es wäre also ein Rückschritt, wenn wir nun an dieser Stelle wieder eine ganz beschränkte Amtspflicht einführen würden. W ir sollten den Ge­ danken der Treupslichtverletzung ruhig über den en­ geren Kreis dieser Delikte hinaus weiterführen. W ir sollten aber bei der Strafbemessung aussprechen, daß für die hier in Frage stehenden Amtsträger noch be­ sondere Amtspflichten bestehen, die über die allge­ meine Treupslicht hinausgehen. Ich halte daher den' Gedanken von Herrn Ministerialdirektor Schäfer für richtiger als den von Herrn Professor Dahm. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich habe den Eindruck gewonnen, daß zwischen den Ausführungen von Herrn Professor Dahm und Herrn Ministerialdirektor Schäfer kein Unterschied mehr besteht. Ich möchte daher versuchen, einmal das Ergebnis der Debatte darzutun. Ich fasse dieses E r­ gebnis wie folgt aus: 1. Aus dem vierten Abschnitt sollen die §§ 141 sf. herausgenommen und in den Abschnitt „Rechtspflege und Verwaltung" gestellt werden. Dabei soll beachtet werden, daß der Schutz dadurch nicht geringer er­ scheint. D as ist aber im wesentlichen wohl eine Frage des Strafrahmens.

2. Es bleiben dann in diesem Abschnitt die echten Amtsdelikte. Die unechten Amtsdelikte sollen auch nur beispielhaft nicht aufgenommen werden, wohl aber soll an dieser Stelle der Gesichtspunkt, daß eine be­ sondere Pflicht des Beamten eine schwerere Bestrafung herbeiführt, betont werden. E s ist nur die eine Frage noch nicht erörtert worden, ob wir für diese allgemeine Vorschrift einen Strafrahmen bilden sollen. D as ist aber meiner Ansicht nach unmöglich und auch nicht erforderlich. Denn es handelt sich um eine reine Strafbemessungsregel, die aber aus den angeführten Gründen an dieser Stelle des Besonderen Teils ein­ gefügt werden soll. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Soll überdies auch noch in den Allgemeinen Teil eine besondere Strasbemessungsvorschrift für die er­ wähnten Fälle eingestellt werden? Staatssekretär Dr. Freister: Jaw ohl, weil wir hier einen festen Strafrahmen ja gar nicht bringen können. I n welche Abschnitte die einzelnen hier heraus­ genommenen Bestimmungen zu stellen sind, wird von Fall zu Fall bei der Besprechung der betreffenden ein­ zelnen Vorschriften zu prüfen sein. 3. Die Unterkommission mit den Herren Professor Kohlrausch, Landgerichtsdirektor Leimer und Ober­ landesgerichtsrat Schäfer bitte ich, den Vorschlag, daß höhere Stellung eine höhere Verantwortlichkeit be­ gründet, in die allgemeinen Strasbemessungsgrundsätze hineinzuarbeiten und der Kommission vorzu­ legen. Ich bitte Sie, Herr Professor Schaffstein, dabei mitzuwirken. Damit hätten wir die ersten Fragen behandelt, und zwar int Sinne einer inneren Umgestaltung des Abschnittes. W ir müssen aber die Frage der Über­ schrift noch einmal prüfen. Ich bitte die Unterkommission vorzumerken, daß sie auf Grund dieser inneren Umstellung prüfen muß, ob die Überschrift geändert werden muß. Denn diese ist an sich zweideutig. Ich möchte vorschlagen, sie so zu gestalten, daß nicht die Meinung auftauchen kann, w ir hätten dabei an den Rechtsgüterschutz gedacht. Ich komme nun zu den anderen Fragen, die über die einzelnen Bestimmungen hinausgreifen. Hier ist zunächst die Frage zu prüfen, wie der Begriff des Amtsträgers zu definieren ist, zunächst losgelöst von der Frage der kirchlichen Amtsträger. E s bestehen hierzu offenbar keine Änderungswünsche. Es besteht auch allgemein die Ansicht, daß die Definition an die Spitze des Abschnittes zu stellen ist. Nächste Frage ist, ob unter dem Begriff „Amts­ träger" auch die Amtswalter der N S D A P , mitzuumfaffen sind. Diese Frage können wir hier nur an­ merken, nicht aber entscheiden. Ich bin der Meinung, daß der hier gebrauchte Begriff des Amtsträgers sich nicht für den Amtsträger der N S D A P , eignet, da dieser jederzeit seine Stellung verlieren kann, und feilte

Stellung überdies auch eine völlig andere ist. W ir brauchen jetzt nur einen entsprechenden Vermerk zu machen, daß diese Frage noch in Besprechungen mit der Partei zu klären ist. Nun kommt die Frage, wie die Amtsträger der Religionsgesellschaften zu behandeln sind. Sie allge­ mein den Amtsträgern des Staates gleichzustellen, hat niemand vorgeschlagen. Die gemachten Vorschläge bewegen sich zwischen zwei Polen: a) dem Wunsch, den Amtsträger der Kirche überhaupt nicht als Amts­ träger in dem hier verwendeten Sinne anzusehen. Dies ist von keinem Kommissionsmitglied, sondern von der Fuldaer Bischofskonferenz vorgeschlagen wor­ den; b) dem Vorschlag, den Kreis der Fälle, in denen wir die kirchlichen Amtsträger den staatlichen Amts­ trägern gleichgestellt haben, auf die Amtsanmaßung und die Amtserschleichung auszudehnen. Es scheint mir tatsächlich nicht ausgeschlossen zu sein, daß der S ta a t ein Interesse daran hat, daß eine Kirche, mit der er etwa ein Konkordat schließt, nun nicht Personen zu Amtsträgern macht, die den ver­ einbarten Voraussetzungen nicht entsprechen. Ich glaube aber, daß, wenn solche Fälle vorkommen, was ich für sehr selten halten möchte, sie nur auf diploma­ tischem Wege erledigt werden könnten, auf dem Wege, den das Konkordat vorsieht. Auf strafrechtlichem Ge­ biet vorzugehen, erscheint mir bedenklich, weil wir dann leicht in die Lage kommen könnten, kirchliche Amtsträqer zu haben, die von S ta a ts wegen abgesetzt sind. Ich meine daher, daß der Einwand von Herrn Professor Dahm, daß der Kreis der Amtsträger nicht über die Verletzung von Steuergeheimnissen hinaus auf kirchliche Amtsträger ausgedehnt werden dürfe, von diesem Gesichtspunkt aus besondere Bedeutung erhält. Ich wäre also dafür, es insoweit bei dem Entwurf zu belassen. Dann ist noch die Frage des Führertreubruchs int Sinne der Preußischen Denkschrift zu prüfen. Eine solche Bestimmung würde die politische Verantwort­ lichkeit unter strafrechtliche Sanktion stellen. W ir haben nun schon einen bestimmten Kreis von P e r­ sonen, die besonders geschützt sind. D as sind die Minister, Reichsleiter, Statthalter, Staatssekretäre, Gauleiter, Oberpräsidenten und Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Das ist auch ungefähr der Personenkreis, an den die Preußische Denkschrift gedacht haben mag. Der Gedanke einer Bestimmung über Führertreubruch erscheint mir int Grund durchaus gesund. Es ist frei­ lich eine persönliche Entscheidung des Führers, ob eine solche Bestimmung vorgesehen werden soll. W ir haben aber die Verpflichtung, eine derartige Bestim­ mung vorzuschlagen. Ich bin dafür, hier eine An­ merkung des In h a lts zu machen, daß die Kommission ernsthaft überlegt habe, ob hier eine solche Bestim­ mung aufgenommen werden soll, daß sie jedoch zu der Meinung gekommen fei, daß die Entscheidung dieser Frage außerhalb ihrer Zuständigkeit liege. (Allgemeine Zustimmung.)

Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Ich darf dazu nur anmerken, daß die Ausnahme der Bestimmung in erster Lesung abgelehnt worden ist, weil in solchen hochpolitischen Angelegenheiten nicht das ordentliche Gericht, sondern nur der Auf­ traggeber des betreffenden Führers darüber entschei­ den kann, ob der erteilte Auftrag überschritten ist. Staatssekretär Dr. Freister: Es ist eine Frage der Verfahrensordnung, ob für derartige Fälle ein besonderes Gericht zusammengesetzt werden müßte. Ich würde davor nicht zurückschrecken. Ich bin aber der Meinung, daß wir es nicht ablehnen können, den Führertreubruch vorzusehen. Darüber besteht, wie ich sehe, Einverständnis. (Zustimmung.) Fst dann noch eine grundsätzliche Frage zu diesem Abschnitt zur Debatte zu stellen? (Wird allseitig verneint.) — Ich bitte dann Herrn Professor Schaffstein, das Wort zu seinem Referat über die einzelnen Bestim­ mungen zu nehmen. Professor D r. Schafsstein: Ich schließe mich im wesentlichen den Vorschlägen der Sachbearbeiter des Ministeriums an. I n 8 125 sind die Worte „und für ehrlos erklärt" zu streichen. Vielleicht könnte dieser Paragraph sprach­ lich noch vereinfacht und gekürzt werden, indem gesagt würde anstatt „bei der Leitung . . . " einfach „in einer Rechtssache". Die Worte könnten aber überhaupt ge­ strichen werden, weil sich schon aus dem Begriff der Rechtsfolgen alles Wesentliche ergibt. Bei § 126 können die Worte „kraft seines Amtes . . . berufener" gestrichen werden, und zwar um so eher, als die Sachbearbeiter ohnehin vorschlagen zu sagen: „bei einem Strafverfahren oder bei einer anderen Untersuchung". Dasselbe gilt für alle an­ deren Bestimmungen dieses Abschnittes. Zu § 126 möchte ich weiter vorschlagen, das Wort „absichtlich" zu ersetzen durch „wissentlich". Ich sehe nicht ein, warum man in Abs. 1 zwischen den beiden Begehungsformen des Deliktes einen Unterschied hin­ sichtlich des subjektiven Tatbestandes macht. Die bloß wissentliche Entziehung ist ebenso zu bewerten wie die wissentliche Herbeiführung der Bestrafung eines Un­ schuldigen. Zu 127 habe ich nichts zu bemerken. Zu § 128 schließe ich mich dem Vorschlag der Sachbearbeiter an, die die Mindeststrafe auf drei Monate Gefängnis herabsetzen wollen. Ich denke dabei an gewisse sehr milde Fälle, die mir aus der Examenspraxis bekannt sind. Bei § 129 schließe ich mich ebenfalls dem Vor­ schlage der Sachbearbeiter an, für Abs. 2 neben der Zuchthausstrafe wahlweise Gefängnis nicht unter sechs Monaten vorzusehen. Bezüglich § 130 stimme ich dem Vorschlag von Herrn Landgerichtspräsident Lorenz zu, den Abs. 2 ganz zu streichen. Ein Bedürfnis für diese Vorschrift besteht nicht.

Hinsichtlich der §§ 131 a, 132 Abs. 3 schließe ich mich dem Vorschlag der Sachbearbeiter an, die S tra f­ drohung des Entwurfs auf Behördenangestellte aus­ zudehnen. F ü r diese Ausdehnung spricht ein kriminal­ politisches Bedürfnis. § 135 würde evtl, an den Ansang des Abschnittes zu bringen sein, wenn man auch die Definition des Begriffes Amtsträger dorthin stellt. Zu § 137 schließe ich mich wiederum dem Vor­ schlag der Sachbearbeiter an, den Schutz auf die Me­ mo irenliteratur auszudehnen. § 138 wird entsprechend den Wünschen des Reichs­ postministers zu ändern sein. Ich halte jedoch eine Vereinfachung der Bestimmung für möglich, was der Unterkommiffion überlassen bleiben kann. Zu den §§ 139, 140 habe ich nichts zu bemerken. Die §§ 141 ff. würden, worüber wohl Einver­ ständnis besteht, hier herauszunehmen sein. Bei diesen Bestimmungen kämen nur stilistische Verbesserungen in Betracht, die aber nur eine Sache der Unterkom­ mission wären. Staatssekretär Dr. Freister: Herr Präsident Lorenz hat noch zu § 142 Abs. 2 den Vorschlag gemacht, zwischen Berufssoldaten und solchen Personen zu unterscheiden, die nur zur E r­ füllung ihrer Wehrpflicht dienen. Was meinen Sie dazu, Herr Professor? Professor D r. Schasfstein: Ich schließe mich diesem Vorschlage an. Staatssekretär D r. Freister: Zu § 125 wird der Unterkommission empfohlen, den Vorschlag von Herrn Professor Schaffstein für eine sprachliche Vereinfachung nachzuprüfen. In h a lt­ lich wird gewünscht, die Worte „und für ehrlos er­ klärt" zu streichen. Ich habe hiergegen Bedenken. Denn wenn wir die Möglichkeit der Ehrloserklärung jetzt auch allgemein neben der Zuchthausstrafe haben, so haben wir doch einzelne Fälle, bei denen man ein­ fach nicht anders kann als zu sagen, der Täter ist immer ehrlos. Ein Richter, der eine Rechtsbeugung begeht, muß stets für ehrlos erklärt werden. Professor D r. Schaffstein: Ich habe Bedenken gegen die obligatorische Ehr­ loserklärung, weil auch leichtere Fälle den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllen können, da der Tatbestand jetzt auch von Schöffen und anderen Laienrichtern er­ füllt werden kann. Staatssekretär D r. Freister: D as ist richtig. Ich ziehe daher meinen Vorschlag zurück. W ir belassen es also bei der Streichung der Worte „und für ehrlos erklärt". Zu § 126 liegt einmal ein Vorschlag zur sprach­ lichen Verbesserung vor, serner der Wunsch, das Wort „absichtlich" zu ersetzen durch „wissentlich" und den Abs. 2 durch die Worte „oder bei einer sonstigen be­ hördlichen Untersuchung" zu erweitern.

Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Ich möchte bitten, beide Anträge abzulehnen. Die Worte „kraft seines A m tes. . . " sollen den Kreis der Täter einschränken. Nach § 126 soll nur derjenige bestraft werden, der als beamtetes Strafverfolgungs­ organ mitzuwirken berufen ist, aber nicht jede am Strafverfahren beteiligte Person, die zufällig Amts­ träger ist. Wird z. B. in einem Strafverfahren ein Amtswalter als Zeuge oder Sachverständiger ver­ nommen und macht zugunsten des Beschuldigten eine falsche Aussage oder erstattet er ein falsches Gutachten, so ist er wegen Meineids und Begünstigung, aber nicht wegen Unterlassung der Strafverfolgung zu bestrafen. Die Ersetzung des Wortes „absichtlich" durch „wissent­ lich" würde Schwierigkeiten schassen, die man durch die bisherige Fassung gerade bewußt hat vermeiden wollen. E s ist hier z. B. an den Fall zu denken, daß sich in einer Person zwei Ämter vereinigen, wie etwa wenn ein Bürgermeister zugleich Ortspolizeibehörde und Vorstand der Städtischen Sparkasse ist. Erfährt er in seiner Eigenschaft als Sparkassenvorstand etwas von strafbaren Handlungen, die in dieser Verwaltung vorgekommen sind, so kann er ein berechtigtes I n ­ teresse daran haben, daß die Verfehlungen nicht an die Öffentlichkeit kommen, um das Ansehen der Kasse nicht zu schädigen und Beunruhigungen des Publikums zu vermeiden. Es genügt dann von seinem Standpunkt aus, wenn der ungetreue Angestellte entlassen und so die Angelegenheit im Interesse der Allgemeinheit am besten erledigt wird. Der Bürgermeister wird sich aber scheuen, nun auch in seiner Eigenschaft als Vorstand der Ortspolizeibehörde gemäß § 163 S tP O , den be­ treffenden Täter zur Verfolgung zu bringen. Es würde hier also ein Jnteressenkonflikt entstehen, wenn wir die vorgeschlagene Erweiterung des Tatbestandes annehmen würden. Durch die Fassung „absichtlich" sollte gerade zum Ausdruck gebracht werden, daß die Strafvorschrift nur dann zur Anwendung kommen soll, wenn der Zweck des Handelns unmittelbar aus die Entziehung des Täters vor der Strafverfolgung gerichtet ist, nicht aber dann, wenn der Zweck des Handelns sich nur darauf richtet, zum allgemeinen Besten die dem Handelnden anvertrauten Interessen anderer A rt zu wahren. Professor Dr. Kohlrausch: Ich würde es ebenfalls bei dem Worte „absicht­ lich" belassen aus den zwingenden von Herrn Ober­ landesgerichtsrat Schäfer vorgetragenen Gründen.

§ 126 wäre also so angenommen, wie er im Ent­ wurf steht mit der Maßgabe, daß im Abs. 2 dem W ort­ laut der Abteilung entsprechend hinter dem Wort „Dienststrafverfahren" die Worte einzufügen sind „oder bei einer sonstigen behördlichen Untersuchung". Herr Präsident Lorenz hat zu § 127 angeregt, bei der Unterlassung eine schwerere Schuldform einzu­ schieben. Hierher gehört auch meines Erachtens das Beispiel von Herrn Ministerialdirigent Schäfer: Ein Staatsanw alt läßt Sachen noch liegen, weil eine Amnestie bevorsteht. Da sich kein Widerspruch erhebt, ist hiermit die Einfügung des Wortes „absichtlich" angenommen. Bezüglich des § 128 besteht zwischen den Herren Berichterstattern insofern eine Meinungsverschieden­ heit, als Herr Präsident Lorenz es bei dem vorge­ sehenen Strafrahmen belassen will, während der M it­ berichterstatter und die Sachbearbeiter der Meinung sind, daß es Fälle gibt, wo auch eine Strafe von Ge­ fängnis nicht unter drei Monaten ausreicht. Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Es ist hier vor allem an mildliegende Fälle zu denken, z. B. daß ein Zustellungsbeamter eine Zustellung an einen Rechtsanwalt nicht in dessen Büro, sondern an eine Angestellte vornimmt, der er auf der Treppe begegnet, während er in der Zustellungs­ urkunde bescheinigt, er habe im Büro zugestellt. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Ich lege keinen großen Wert auf die Beibehaltung einer Mindeststrafe von sechs Monaten Gefängnis. Staatssekretär Dr. Freisler: Die Herabsetzung der Mindeststrafe auf drei Mo­ nate Gefängnis ist damit angenommen. Bezüglich § 128 Abs. 3 besteht Einigkeit darüber, daß diese Vorschrift gestrichen werden kann. Da sich kein Widerspruch gegen den Vorschlag der Abteilung, in § 129 Abs. 2 neben Zuchthaus wahl­ weise Gefängnis nicht unter sechs Monaten vorzu­ sehen, erhoben hat, ist dieser Vorschlag angenommen. Nach dem Vorschlag der Herren Berichterstatter soll § 130 Abs. 2 gestrichen werden.

Professor Dr. Schassftein: Diese Ausführungen haben mich, soweit § 126 in Betracht kommt, überzeugt. Insoweit ziehe ich daher meine Anregung zurück. I m übrigen möchte ich sie aber aufrechterhalten.

Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Der Abs. 2 bezieht sich nur auf die Nichtbefolgung allgemeiner dienstlicher Vorschriften oder Anordnun­ gen, nicht dagegen auf die Dienstpflichtverweigerung bei Gemeingefahr. E s handelt sich also hierbei nur um die geringfügigeren Fälle, bei denen eine Ein­ schränkung der Strafdrohung durchaus am Platze ist.

Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn S ie meinen, daß eine richtige Auslegung der Bestimmung bei der jetzigen Fassung nicht zu er­ zielen wäre, dann könnten wir es vielleicht der Unter­ kommission überlassen, hier eine einwandfreie Fassung zu suchen.

Professor Dr. Schaffstein: Ich schlage dann aber vor, den Abs. 1 etwas klarer zu fassen, so daß die bei den Berichterstattern aufge­ tauchten Mißverständnisse von vornherein ausge­ schlossen sind.

Staatssekretär D r. Freister: Die Vorschrift ist demnach mit der Maßgabe an­ genommen, daß der W ortlaut etwas klarer zu fassen ist. Zu §§ 131, 1 3 1 a liegt nur der Antrag aus E r­ weiterung bezüglich der Behördenangestellten vor. I n Ermangelung eines Widerspruchs sind die Bestim­ mungen mit dieser Maßgabe angenommen. Bon § 131 gilt dasselbe. Zu tz 133 liegen keine Anträge vor. Ich habe auch nichts dazu zu bemerken. Die Bestimmung ist also in der Fassung des Entwurfs erster Lesung angenommen. Auch zu § 134 ist nichts zu sagen. E s bleibt also bei der Fassung des Entwurfs erster Lesung. Zu tz 135 ist anzumerken, daß diese Bestimmung vielleicht an die Spitze dieses Abschnittes zu stellen ist. I m übrigen sind keine weiteren Vorschläge ge­ macht worden. 8 136 ist gemäß dem Antrag der Sachbearbeiter, der allseitig Zustimmung gefunden hat, auf Behörden­ angestellte auszudehnen. Weitere Anträge liegen nicht vor. Die Bestimmung ist also in der Fassung des Entwurfs erster Lesung angenommen bis auf den letzten Halbsatz des Abs. 2, der den W ortlaut erhält: „.........sofern er aus die gewissenhafte Erfüllung seiner Dienstpflicht durch Handschlag oder sofern er zur Ver­ schwiegenheit besonders verpflichtet worden ist." Der Wunsch des Auswärtigen Amtes, in 8 137 den Schutz der Memoirenliteratur auch gegenüber den Erben usw. durchzuführen, ist allseitig anerkannt wor­ den. Auch gegen den weiteren Vorschlag der Ab­ teilung, die Verfolgung der T at dem Ermessen der Reichsregierung zu überlassen, sind keine Einwen­ dungen erhoben worden. Die Bestimmung ist also in der Fassung des Abteilungsvorschlages ange­ nommen. Die Kommission ist sich einig darüber, daß zu 8 138 den Wünschen des Reichspostministers Rech­ nung getragen werden muß. Beide Herren Bericht­ erstatter haben übereinstimmend den Wunsch ausge­ sprochen, die Bestimmung sprachlich zu vereinfachen. Dies können wir der Unterkommission überlassen. I n 8 139 sind die Behördenangestellten bereits in der vorliegenden Fassung des Entwurfs erster Lesung berücksichtigt. E s ist also dazu weiter nichts zu be­ merken. E s bleibt demnach bei der schon vorliegenden Fassung. Gegen die Ersetzung des Wortes „einzuziehen" durch „für verfallen zu erklären" in 8 140 hat sich kein Widerspruch erhoben. Die Bestimmung wäre also mit dieser Maßgabe angenommen. Professor D r. Nagler: Die Praxis regt hierzu an, die Verfallerklärung auch gegenüber den Erben oder sonstigen Rechtsnach­ folgern zuzulassen. E s haben sich in der Recht­ sprechung allerlei Unzuträglichkeiten mangels einer solchen Fakultative ergeben.

Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Die Durchführung der Verfallserklärung wird in der Prozeßordnung zu regeln sein. Staatssekretär Dr. Freisler: Diesen Einwand halte ich nicht für richtig. Denn es ist ja an den Fall gedacht, daß der Täter vor Ein­ leitung des Verfahrens stirbt. Die Fälle werden nicht sehr häufig sein. Irgendwelche Bedenken gegen den Vorschlag von Herrn Professor Nagler dürsten aber kaum bestehen. Da die Erbenhastung aber auch bei anderen Bestimmungen von Bedeutung ist, müßte sie allgemein geregelt werden und nicht nur an dieser Stelle. Ministerialdirektor Schäfer: W ir müßten dann eine Kannvorschrist daraus machen. (Allgemeine Zustimmung.) Staatssekretär Dr. Freisler: Ich schlage vor, der Anregung nachzukommen und zu prüfen, ob die Vorschrift an dieser Stelle oder im Allgemeinen Teil einzustellen wäre. Ich bitte, einen der Herren aus der Unterkommission für den ent­ sprechenden Abschnitt des Allgemeinen Teils hinzu­ zuziehen. Zu 8§ 141 bis 144 besteht Einverständnis dar­ über, daß diese Bestimmungen in den Abschnitt „An­ griffe auf Rechtspflege und Verwaltung" gestellt wer­ den. Die Einordnung im einzelnen werden wir bei der Besprechung dieses Abschnittes mitbehandeln. I n ­ haltlich ist zu diesen Bestimmungen bisher nur e i n e Anregung gegeben worden. Sie bezieht sich auf 8 142 Abs. 2 und ergibt sich aus der Einführung der allge­ meinen Wehrpflicht. Es besteht Einverständnis dar­ über, daß 8 142 mit der notwendigen Änderung des Abs. 2 infolge der allgemeinen Wehrpflicht ange­ nommen worden ist. Die Unterkommission wird aber klarstellen müssen, daß die Ausnahme von Abs. 2 nicht zu weit gefaßt wird. Ich bitte dann die Herren Be­ richterstatter Landgerichtspräsident Lorenz, P ro ­ fessor Schasfstein und Herrn Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer als Unterkommission die endgültige Fassung dieses Abschnittes festzulegen. W ir kommen nun zu dem Titel „Unzucht". Ich bitte zunächst Herrn Berichterstatter Ober­ staatsanwalt Reimer das Wort zu nehmen. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Zum Abschnitt über die Sittlichkeitsdelikte habe ich zwar eine Reihe von Abänderungsvorschlägen zu machen, die jedoch sämtlich nicht grundsätzlicher Art sind. F ü r verfehlt halte ich zunächst die Abschnittsüberschrist „Unzucht", da nicht alles Unzüchtige, so z. B. die lesbische Liebe, unter Strafe gestellt ist, und man andererseits im Falle des 8 83 Abs. 1 das Anbieten von Schriften und Abbildungen an Jugendliche nicht

als Unzucht bezeichnen kann, wenn es sich bei diesen Schriften pp. um solche handelt, die an sich gar nicht unzüchtig, aber doch geeignet sind, das Geschlechts­ gefühl der Jugend zu überreizen. Aus diesen Gründen ging auch der Vorschlag der damaligen beiden Be­ richterstatter dahin, als Abschnittsüberschrist die Be­ zeichnung „Angriffe auf die Sittlichkeit" zu wählen. Dieser Vorschlag war seinerzeit auch von der Hauptkommission allseitig gebilligt worden, und es ist nicht ersichtlich, welche Gründe die Unterkommission be­ stimmt haben, wieder zu der Fassung des Entwurfs von 1933 zurückzukehren. Was nun zunächst die Notzucht und die Nötigung zur Unzucht anbelangt, so bietet die gegenwärtige Fassung Anlaß zu Irrtü m ern insofern, als aus der Gegenüberstellung des außerehelichen Beischlafes in § 70 zu dem Begriff der Unzucht im § 71 die Folge­ rung gezogen werden könnte, als ob 8 70 zu 8 71 im Falle der Spezialität stände. Nach der überwiegenden Ansicht der Kommission sollte aber der Begriff der Unzucht im Falle des 8 71 nicht nur unzüchtige Hand­ lungen, sondern auch den außerehelichen Beischlaf umfassen, und sollte fernerhin 8 71 zum 8 70 im Ver­ hältnis der Subsidiarität stehen. Daß diesem Subsi­ diaritätsverhältnis durch die Fassung des Gesetzes Ausdruck verliehen werden muß, darüber herrschten damals in der Kommission eigentlich keinerlei Mei­ nungsverschiedenheiten. Dem wird Rechnung ge­ tragen, wenn man 8 71 mit den Worten einleitet: „Wer abgesehen von den Fällen des 8 70 eine Person mit Gewalt oder Drohung n ö tig t. . . 8 70 Abs. 2, der die schweren Folgen der Notzucht unter eine besondere Strafandrohung stellt, hat eine interessante Geschichte. Bei den damaligen Kom­ missionsberatungen war man sich darüber einig, daß aus rechtlichen Gründen eine derartige Bestimmung sich erübrige, daß ihre Aufnahme in das Gesetz sich jedoch wegen der general-prävenierenden Wirkung empfehlen könne. Nachdem man zunächst davon Ab­ stand genommen hatte, für die Todessolge bei Not­ zucht eine besondere Strafandrohung zu normieren, tauchte die Frage erneut auf bei den Beratungen der Bestimmungen über den Raub. Hier drang die Auf­ fassung durch, daß der Raub mit Todesfolge eine Figur sei, welche man aus dem Strafgesetz nicht her­ ausreißen sollte. Die Unstimmigkeiten, die sich nach dieser Richtung hin in den Beschlüssen der Unterkom­ missionen ergeben hatten, hat die Redaktionskom­ mission ausgeglichen und ebenso wie beim Raub auch bei der Notzucht die Todesfolge besonders geregelt. Hierbei aber ist, wie ich annehme, der Redaktions­ kommission ein kleines Versehen unterlaufen, indem jetzt im Gegensatz zu 8 178 des geltenden Rechtes und 8 287 des Referentenentwurfs 1933 die erschweren­ den Folgen sich nur auf die Notzucht, nicht aber auf die Nötigung zur Unzucht, die Schändung, die schwere Schändung und die Erschleichung des Beischlafes be­ ziehen. Zu einer derartigen Einschränkung besteht aber meines Erachtens kein Anlaß. Ich möchte das an einem Beispiel klar machen:

Ein M ann bedroht eine F rau mit schwerster M iß­ handlung, falls sie sich ihm nicht hingebe. Die F rau tut dies und begeht infolge der durch die T at aus­ gelösten Depression Selbstmord. Nach dem Entwurf ist 8 70 Abs. 2 gegeben; die Strafschärfung tritt ein. Derselbe M ann droht dem Mädchen, er werde, wenn sie ihm nicht zu Willen sei, in das Nebenzimmer gehen und ihren dort schlafenden Vater erschießen. Aus Angst vor Ausführung der Drohung willigt das Mädchen ein. 8 70 Abs. 2 ist nicht gegeben, da es an einer unmittelbaren Bedrohung von Leib oder Leben des Mädchens fehlt, sondern nur 8 71. Hier soll die Strafschärfung nicht eintreten?! Diese beiden Beispiele zeigen meines Erachtens die Unmöglichkeit der bisherigen Konstruktion. Denn der T äter im zweiten Falle, der mit einem Mord ge­ genüber einer dritten Person droht, ist meines E r­ achtens viel schärfer anzufassen als der Täter im ersten Falle, der das Mädchen nur mit einer Körperver­ letzung bedroht. Warum man weiterhin bei der Schändung resp. schweren Schändung nicht ebenfalls die erschwerenden Folgen eintreten lasten tvill, falls infolge der Schän­ dung der Tod der verletzten Person eintritt, ist nicht einzusehen. Es ist deshalb meines Erachtens notwen­ dig, da man sich nun einmal für die Beibehaltung des Paragraphen entschlossen hat, diesen als 8 73 a hinter die 8§ 70 bis 73 zu stellen. Bei der Erschleichung des Beischlafs (8 77), bei dem im Gegensatz zu den Unzuchthandlungen der 88 70 bis 73 die Gewährung des Beischlafs — wenn auch durch List veranlaßt — eine freiwillige ist, er­ übrigt es sich meines Erachtens, die Todesfolge an eine besondere Strafandrohung zu knüpfen, zumal der Fall des 8 77 nur höchst selten einmal praktisch wer­ den dürfte. Wenn jetzt bei der Notzucht und dem Raub mit Todesfolge neben Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder lebenslangem Zuchthaus auch die Todesstrafe noch wahlweise angedroht ist, so geht letzteres meines Erachtens zu weit. Wenn der Täter auch nur mit Eventualdolus den Tod der vergewaltigten oder beraubten Person ge­ wollt hat, dann liegt eben Mord vor, und die Strafe ist aus dieser Strafbestimmung zu entnehmen. Jrn anderen Falle käme aber zu dem Sittlichkeitsver­ brechen oder dem Raub nur eine fahrlässige Tötung, derentwegen man meines Erachtens unmöglich auf Todesstrafe erkennen kann. Hinsichtlich der Fassung der 8§ 74 und 75 habe ich Abänderungsvorschläge nicht zu machen. Zu 8 76 (Nötigung wirtschaftlich Abhängiger zur Unzucht) greise ich die Vorschläge der beiden Herren Berichterstatter in der ersten Lesung wieder auf, die dahin gingen, die Differenzierung zwischen Beischlaf und Unzucht einerseits, bei letzterer noch nach dem Alter des Verletzten andererseits zu beseitigen. Wie ich bei Durchsicht der Protokolle festgestellt habe, ist hiergegen auch in der Kommission von keiner Seite Widerspruch erhoben worden. Bei der jetzigen Fassung

des Entwurfs bleiben Fälle straflos, die meines E r­ achtens unbedingt als strafwürdig erscheinen. Dies gilt beispielsweise bei dem Abteilungsleiter eines Warenhauses, der seine 19-jährige Verkäuferin zum perversen Verkehr bestimmt. D as gleiche ist der Fall bei dem anormal veranlagten Filmregisseur, der die Beschäftigung eines 22-jährigen Schauspielers von der Bedingung abhängig macht, daß dieser sich mit ihm in einen perversen Verkehr einläßt. — Wenn man die geschlechtliche Ausbeutung des wirtschaftlich Schwachen unter Strafe stellen will, dann soll man nicht — wie es der jetzige Entwurf tut — aus halbem Wege stehenbleiben, sondern reinen Tisch machen. Ich schlage danach vor, § 76 Abs. 1 in der in meinen Leitsätzen vorgeschlagenen Form zu fassen. Systematisch verfehlt erscheint mir die Einord­ nung der Erschleichung des Beischlafes (§ 77). Diese Bestimmung hängt hinter der Nötigung wirtschaftlich Abhängiger zur Unzucht in der Lust. Es handelt sich bei der Erschleichung des Beischlafs um einen Angriff gegen die geschlechtliche Freiheit durch Irreleitung des Willens. Diese Irreleitung des Willens durch List muß sich meines Erachtens systematisch an die Be­ stimmungen über die Beeinträchtigung des Willens durch Gewalt und den Mißbrauch Willensunfähiger anschließen. Danach wäre § 77 hinter dem von mir in Vorschlag gebrachten § 73 a einzuordnen. Professor Dr. Mezger: Ich möchte nur diejenigen Punkte hervorheben, von denen ich glaube, daß sie einer Entscheidung be­ dürfen. Eine ausgedehntere Betrachtung scheint mir nicht erforderlich zu sein. Zu bemängeln habe ich zunächst d i e U b e r schriftunddenAusbaudesAbschnittes. Die Überschrift wird in der jetzigen Fassung nicht bleiben können, namentlich wenn bei der Systematik des Besonderen Teils der Angrisfsgedanke durchge­ führt wird. Es läge am nächsten zu sagen: „Angriffe gegen die Sittlichkeit". Es ist m ir jedoch unsym­ pathisch, die „geschlechtliche" Sittlichkeit mit der S itt­ lichkeit überhaupt gleichzustellen. Ob es möglich ist, eine andere und bessere Überschrift zu finden, möchte ich anheimgeben. W as den Aufbau des Abschnittes anbelangt, so glaube ich, daß man die Bestimmungen etwas um­ gruppieren muß, um größere Klarheit zu erreichen. Ich habe aus Seite 1 meines Antrages Nr. B 55 eine Übersicht gegeben, wie ich mir sie als die richtigste denke. Ich darf hier darauf Bezug nehmen. So scheint mir der Fall des § 77 (Erschleichung des Bei­ schlafs) zu den Gewalt- und Drohungsdelikten zu gehören, da er eine Form der unzulässigen Willens­ einwirkung darstellt. Die Fälle eines Mißbrauchs von Abhängigkeitsverhältnissen möchte ich mit den Fällen des Mißbrauchs von Kindern und Jugend­ lichen vereinigen. Diese Bestimmungen gehören ihrem sachlichen Gehalt nach zusammen. Dann kommen als einheitliche Gruppe die besonders schweren Formen der Unzucht: Blutschande, Homosexualität und Bestia­ lität. Ob man für die vierte Gruppe die Überschrift

„Ärgernis durch Unzucht" oder einen anderen Aus­ druck wählt, ist eine sprachliche Frage. I n der Sache ist klar, daß es sich bei den hierzu gehörenden Fällen nicht um Ausübung von Unzuchtsakten als solchen handelt, sondern um ihren Eindruck nach außen. Ganz davon getrennt ist dann endlich die fünfte Gruppe zu behandeln, die Förderung und Ausbeutung fremder Unzucht, unter die die §§ 94, 95, 93, 96, 97 gehören. Dann möchte ich zur e r s t e n . G r u p p e im ein­ zelnen übergehen. Ich würde vorschlagen, die §§ 70 und 73 zusammenzunehmen und voranzustellen. Ich halte es nicht für nötig, eine Subsidiaritätsklausel in § 71 aufzunehmen, wie Herr Oberstaatsanwalt Reimer vorgeschlagen hat. Meiner Ansicht nach ist es klar, daß dieser schwerste Fall, wenn er vorweggenommen wird, eine lex specialis darstellt. I m sachlichen I n ­ halt des § 73 würde ich bet dem bisher üblichen Worte „bewußtlos" bleiben, weil sonstige Bewußt­ seinsstörungen, soweit sie zum Widerstand unfähig machen, schon unter die weitere Wendung „oder aus einem anderen Grunde unfähig" fallen. Die jetzige Fassung, die das W ort „Bewußtseinsstörung" ver­ wendet, ist zu weit, weil der bei der Schuldunfähigkeit einschränkende weitere Zusatz fehlt. Zu den §§ 70 und 73 bin ich ferner der Meinung, daß nicht jeder Notzuchtsversuch mit Zuchthaus be­ straft werden kann. E s fragt sich sogar, ob selbst alle vollendeten Notzuchtssälle, z. B. die auf der Grenze zur vis haud in g ra ta stehenden, mit Zuchthaus be­ droht werden müssen. Jedenfalls bin ich der Ansicht, als besonders hervorgehobenen Spezialsall nur die vollendete Notzucht voranzustellen. E s wäre daher die Vorschrift anzufügen: „Die Bestrafung tritt nur bei vollendeter T at ein". Alles andere fällt dann unter die §§ 71, 72. Ich bin ferner der Ansicht, daß für den Fall des § 70 Abs. 2 die Todesstrafe nicht angedroht werden sollte. Aus den §§ 71 und 72 würde ich nach meinem Vorschlag S . 6 des Antrages Nr. B 55 ein Sammel­ delikt bilden, das alle Fälle von gewaltsamer oder durch Drohung vollzogener Unzucht umfaßt, ein­ schließlich der versuchten Notzucht. Ich wäre auch hier dafür, die bloßen Versuchshandlungen einer be­ sonderen milderen Strafdrohung zu unterstellen und deshalb in einem Absatz 2 anzuordnen, daß auf Ge­ fängnis erkannt werden kann, wenn die T at nicht vollendet ist. Vom Standpunkt des Willensstrafrechts aus liegt darin kein Widerspruch, weil sehr viele Fälle, die nicht bis zur Vollendung kommen, auf eine weniger intensive verbrecherische Energie schließen lassen. Den § 77 würde ich, wie bereits bemerkt, hinter den §§ 71, 72 behandeln, wie dies auch der Herr Mitberichterstatter angedeutet hat. Zum In h a lt des Absatzes 1 habe ich nichts zu bemerken. Absatz 2 hängt von der Behandlung der Antragsdelikte über­ haupt ab. M eines Erachtens wird er zu streichen sein. Ich schlage ferner einen neuen § 77 a vor, der eine vorhandene Lücke ausfüllen soll (zu vgl. S . 6 meines Antrages Nr. B 55). I n erster Linie ist hier­ bei an das Eheversprechen eines verheirateten M annes

gedacht. Aber auch für andere derartige Fälle scheint mir eine Strafbestimmung nötig zu fein. Der Herr Mitberichterstatter hat hiergegen eingewendet, daß mit jeder Ausweitung der Unzuchtsdelikte eine E r­ pressungsgefahr verbunden sei. D as ist bis zu einem gewissen Grade richtig, muß aber in Kauf genommen werden. Wenn ein verheirateter M ann mit einer andern F rau in einer Weise verkehrt, aus der die Ab­ sicht zur Eheschließung sich ergeben kann, so mag er sich nicht beklagen, wenn er unter die Strafbestimmung fällt. D as Delikt hat auch eine prinzipielle Bedeu­ tung gegenüber der gegenteiligen romanischen Auf­ fassung. Überdies ist eine zu weitgehende Anwendung der Vorschrift nicht zu befürchten, weil zum Vorsatz gehört, daß der Täter gewußt hat, der Beischlaf sei ihm im Vertrauen auf das Eheversprechen gewährt worden. Staatssekretär Dr. Freisler: Von Ihnen, Herr Professor, ist vorgeschlagen worden, a) die Überschrift und b) die Einteilung zu ändern. Bezüglich der Überschrift besteht wohl Einig­ keit. Die Formulierung „Angriffe auf die Sittlich­ keit" ist allerdings auch nicht gerade schön. Vielleicht findet sich noch eine bessere. Professor Dr. Mezger: Ich würde vorschlagen zu sagen: „Angriffe auf die geschlechtliche Sittlichkeit". Staatssekretär Dr. Freisler: Zur Frage des Aufbaus ist zu prüfen, ob es prak­ tisch ist, die einzelnen fünf Gruppen besonders her­ auszuheben. Professor Dr. Mezger: Eine gewisse Gruppierung scheint mir gerade hier wünschenswert, da der Abschnitt sehr mannigfaltig ist. Staatssekretär Dr. Freisler: Vielleicht könnten wir so vorgehen, daß wir diese Gruppierung dann besprechen, wenn wir den ganzen Abschnitt durchgesprochen haben. Dann kämen wir jetzt dazu, die einzelnen Bestimmungen durchzu­ sprechen. Professor Dr. Mezger: Zu § 76, wenn dieser schon hier einbezogen werden soll, trete ich dem Vorschlag des Herrn Mitbericht­ erstatters bei. Staatssekretär Dr. Freisler: Meines Erachtens ist bei dem In h a lt dieses Titels noch zu prüfen, wieweit etwa einzelne Bestimmungen in einen anderen Abschnitt gestellt werden sollen, z. B. zu den Angriffen auf die Fortpflanzungskraft. W ir können daran vielleicht bei den einzelnen Bestim­ mungen denken. Zu § 70 liegt zunächst der Antrag vor, die aus­ schließliche Zuchthausdrohung fallenzulassen. M an kann einmal daran denken, die Strafdrohung dadurch abzuändern, daß der Versuch hier ausdrücklich ausge­

schlossen wird, der dann in den §§ 71 und 72 er­ scheinen würde. M an könnte aber auch die alleinige Zuchthausstrafe ersetzen durch die wahlweise An­ drohung von Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Ferner ist der Vorschlag gemacht worden, in Absatz 2 die Todesstrafe zu streichen. Es wird gut sein, damit zusammen den § 71 zu disku­ tieren, wo es sich um die Subsidiaritätsklausel handelt. Außerdem liegt der Vorschlag von Herrn Professor Mezger vor, auch für die §§ 71 und 72 beim Versuch einen milderen Strafrahmen zu bilden. Schließlich liegt noch der Vorschlag von Herrn Professor Mezger vor, den § 73 mit § 70 zu vereini­ gen. Vielleicht diskutieren wir zunächst einmal über diese Fragen. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich bin mit keinem dieser Vorschläge einver­ standen. Der Aufbau, der jetzt dem Entwurf zugrunde liegt, geht davon aus, zunächst an die Gewalttatbe­ stände die anzuschließen, in denen die geringere Wider­ standskraft gewisser Personen geschützt werden soll. E s ist mir recht zweifelhaft, ob es besser ist, nach dem Vorschlag Mezgers zu verfahren, und ob es angebracht ist, die Unterteilung der einzelnen Deliktsgruppen hier hervortreten zu lassen. Ganz scharfe einheitliche Gruppen können wir nicht bilden. Wir haben übrigens auch bei anderen Abschnitten eine derartige Unterteilung nicht vorgesehen. Warum das nun gerade hier geschehen soll, leuchtet mir nicht recht ein. Daß die Überschrift des Abschnittes zu verbessern ist, ist wohl allgemeine Meinung. Wenn ich nun zu den einzelnen Tatbeständen übergehen soll, so muß ich zunächst entschiedenen Ein­ spruch gegen den Vorschlag erheben, Versuch und Vollendung hier ganz zu trennen. Ich kann die Frage nicht unterdrücken: Wo bleibt dann das WillenDrafrecht? E s ist meiner Ansicht nach ganz unmöglich, den Versuch der Notzucht unter die §§ 71 und 72 zu stellen. Dadurch würde eine ungeheuer komplizierte Regelung geschaffen werden. Dem Typus des Not­ züchters unterfällt genau so der, der die Notzucht nur versucht hat, wie der, der sie vollendet hat. Ich meine also, daß auch hier eine wesentliche Änderung nicht notwendig wäre. Ob man neben die Zuchthausstrafe noch eine Gefängnisstrafdrohung setzen soll, ist mir zweifelhaft. Ich kann mich jedenfalls nicht dafür aus­ sprechen. Wenn man das tut, dann hat man damit auch die Möglichkeit einer wesentlichen Strafherab­ setzung bei geringerem verbrecherischen Willen. Dem § 70 Abs. 2 kann ich in der Fassung des Entwurfs erster Lesung nicht zustimmen. Ich vermag nicht einzusehen, warum gerade hier die Todesstrafe vorgesehen werden soll. D as dürfte eine Übertreibung sein, die durchaus nicht erforderlich ist. Zu § 73 glaube xd) nicht, daß der Ausdruck „Be­ wußtseinsstörung" mit Recht getadelt worden ist. Darunter ist hier nicht schlechthin eine Eigenschaft zu verstehen, die eine Person zur Schändung fähig macht. Damit dürfte der insoweit erhobene Einwand erledigt sein. Die von Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Reimer

zu § 71 vorgeschlagene Subsidiaritätsklausel halte ich für überflüssig. D as Konkurrenzverhältnis dürste schon bei der jetzigen Fassung klargestellt sein. Ich darf vielleicht noch zu dem Vorschlag von Herrn Professor Mezger Stellung nehmen, der in § 77 a enthalten ist. Der Mißbrauch des Ehever­ sprechens ist zunächst in der Preußischen Denkschrift als neuer Tatbestand vorgeschlagen worden. E r ist dann in erster Lesung nach eingehender Erörterung abgelehnt worden. E s bestehen große Bedenken gegen diesen § 77 a. W ir haben im österreichischen S traf­ gesetzbuch eine ähnliche Bestimmung und haben damit eigentlich nur schlechte Erfahrungen gemacht. Meist ist es zweifelhaft, ob von Anfang an die Absicht be­ stand, die Ehe nicht zu schließen, oder ob der Entschluß erst später gefaßt wurde. Die Strafbestimmung wird oft dazu benutzt, eine Eheschließung zu erpressen. Es hat sich in Österreich die Praxis herausgebildet, daß, wenn jemand wegen dieses Deliktes angeklagt ist, die Freisprechung oder die Verurteilung davon abhängig gemacht wird, ob er sich bereit erklärt, die F rau zu heiraten oder nicht. Ich halte das für völlig untrag­ bar. I n der P raxis führt eine solche Bestimmung nicht zu einer Bekräftigung der ethischen Auffassung, sondern gerade zum Gegenteil. Senatspräsident Grau: Bei der Bemessung der Strafrahm en für die schwersten Sittlichkeitsverbrechen, insbesondere für Notzucht und schwere Schändung, ist nicht nur daran zu denken, daß Täter und Opfer Deutsche sind, sondern man muß sich vergegenwärtigen, daß hierunter auch die allerschwersten Fälle der Rassenschändung fallen. Dieser Gesichtspunkt muß für die Aufstellung der Strafrahm en von ausschlaggebender Bedeutung sein. E s ist unerträglich zu denken, daß die versuchte Not­ zucht auch dann nicht mit Zuchthaus bestraft werden kann, wenn sie z. B. ausgeht von einem Juden, der eine deutsche F rau notzüchtigen wollte. Ich würde es deshalb bei der Kannmilderung des Allgemeinen Teils belassen. Andererseits muß allgemein für be­ sonders schwere Fälle erhöhte Zuchthausstrafe ange­ droht werden; die Notwendigkeit hierfür ergibt sich schon aus einem Vergleich mit der Strafdrohung beim Raub. Ich schlage vor, zum mindesten bei § 70 und § 73 für besonders schwere Fälle ein Strafminimum von fünf Jahren Zuchthaus vorzusehen und wahlweise daneben lebenslängliches Zuchthaus anzudrohen. Ob man daneben noch die Todesstrafe vorsehen soll, erscheint mir nicht so bedeutsam. Ich würde darauf verzichten, aber dann bitten, entsprechend auch die Strafbestimmung beim Raub zu ändern. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Es besteht kein Bedürfnis dafür, die Versuchsfälle hier besonders mildernd hervorzuheben. Aber ein Gedanke ist hervorgetreten: Daß viele Fälle nur des­ halb im Versuchsstadium steckenbleiben, weil der T äter eine geringere Energie entfaltet. Dies ist vom Willensstrafrecht aus der einzige Grund, warum bei dem Versuch die Kannmilderung zugelassen wird. Es wäre daher zu prüfen, ob die Kannmilderung bei

Versuch nicht auf solche Fälle einzuschränken ist, in denen eine geringere verbrecherische Energie ent­ faltet ist. Dann möchte ich beantragen, den § 70 Abs. 2 zu ändern. Die Todessolge nach der Notzucht ist ein verhältnismäßig seltener Fall. Es müßte hier der Fall berücksichtigt werden, daß der T äter den Tod fahrlässig herbeigeführt hat. Ich würde es vorziehen, hier mit Herrn Senatspräsident Grau daraus abzu­ kommen, besonders schwere Fälle vorzusehen und dann allerdings auf die Todesstrafe zu verzichten. Im übrigen würde ich die §§ 70 und 73 wie im geltenden Recht zusammenfassen. Ich glaube, daß der Vorschlag von Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Reimer, in § 76 Nr. 1 und 3 die Worte „außerehelichen Beischlafs" zu ersetzen durch „Unzucht" manches für sich hat. Den von Herrn Professor Mezger vorgeschlagenen § 77 a möchte ich aus den von Herrn Professor Gleispach angeführten Gründen ablehnen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich würde im ersten Absatz des § 70 die Zucht­ hausstrafe stehen lassen, ohne eine besondere Milde­ rung für Versuch hinzuzufügen. Meines Erachtens genügt die Kannmilderung des Allgemeinen Teils. Ich würde es auch in Absatz 2 bei der Todesstrafe be­ lassen. Letzten Endes ist das aber mehr eine Gefühls­ frage. Soviel ich mich erinnere, hat aber der Herr Minister den Wunsch geäußert, hier die Todesstrafe beizubehalten. Der Vorschlag von Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Reimer zu § 76 Nr. 1 und 3 ist bereits in erster Lesung sehr eingehend erörtert worden. W ir haben uns damals mit gewichtigen Gründen dafür ent­ schieden, in diesen Fällen nur ganz bestimmte Un­ zuchtsformen genügen zu lassen. Die von Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Reimer angestrebte Erweite­ rung würde dazu führen, daß der Dienstherr schon angeklagt werden müßte, wenn er nur den Arm um das Dienstmädchen legt. Herrn Oberstaatsanwalt Reimer schwebt wohl vor allem der Fall des perversen Verkehrs vor. Dieser Fall ist aber schon in § 87 mit viel schwererer Strafe bedroht; im übrigen ist er praktisch sehr selten. Die Begründung für den Vor­ schlag von Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Reimer ist aus unpraktischen Grenzfällen genommen. Ich glaube daher, daß dieser Vorschlag außer Betracht bleiben kann. Im übrigen schließe ich mich den Bedenken gegen § 77 a an. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich darf wohl aus dem, was sich bisher in der Rechtsprechung bewährt hat, bemerken, daß ich durch­ aus mit Herrn Ministerialdirektor Schäfer und Herrn Senatspräsident G rau übereinstimme. Doch bitte ich, in § 70 Abs. 2 die Todesfolge nicht zu erwähnen, sondern nur von besonders schweren Fällen zu sprechen. Professor Dr. Schafsstein: I n dieser Hinsicht bin ich gerade anderer Mei­ nung. Ich würde die Todesstrafe beibehalten für die

von Herrn Grau erwähnten Fälle, ferner aber auch für diejenigen Fälle, die im § 70 Abs. 2 genannt sind. Meist handelt es sich hier um eine Beweissrage. Die Notzucht mit Todessolge grenzt meist unmittelbar an den Sexualmord an.

den besonders schweren Fällen im allgemeinen und der Notzucht mit Todessolge unterscheiden, bei ersteren Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder lebenslanges Zuchthaus und bei der letzteren fakultativ noch die Todesstrafe vorsehen.

Senatspräsident G rau: Ich würde nur die Fassung so wählen: „in be­ sonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder lebenslanges Zuchthaus" und würde nur für die Todessolge auch die Todesstrafe vorsehen.

Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Soll die fakultative Todesstrafe bei der Unzucht mit Todesfolge nur an § 70 oder auch an die §§ 71 und 73 geknüpft werden? Es erscheint mir zum min­ desten bei § 73 ebenso erforderlich zu sein.

Staatssekretär Dr. Freisler: Ich stelle als Ergebnis der Besprechung zu § 70 folgendes fest: Die erste Frage ist: Soll Zuchthaus allein angedroht werden oder der Strafrahmen nach unten ausgeweitet werden? Ich habe den Eindruck, daß der Vorschlag, den Versuch besonders zu behan­ deln, nicht die Billigung der Kommission gesunden hat. Professor Dr. Kohlrausch: Daß für den Wegsall der Versuchsstrase unter allen Umständen § 71 eintritt, ist doch wohl nicht richtig. Denn die Versuchshandlung ist keineswegs immer mit unzüchtigen Handlungen verbunden. Ich wende mich deshalb gegen den Vorschlag von Herrn Kollegen Mezger. Staatssekretär Dr. Freisler: E s ist also schon richtig, daß es die Meinung der Kommission ist, daß ein selbständiger Tatbestand für nicht vollendete Notzuchtshandlungen nicht aufge­ nommen werden soll. Die zweite Frage ist, ob der Strafrahmen — auch abgesehen von den Versuchssällen — allgemein nach unten auszuweiten ist. Ich meine, daß die Versuchs­ milderung des Allgemeinen Teils für die einschlägigen Fälle genügt. Da sich kein Widerspruch erhebt, bleibt es also bei der alleinigen Zuchthausstrafe im § 70 Absatz 1. Zu § 70 Abs. 2 hat sich, wie mir scheint, zuletzt ein Vorschlag gebildet, der gut ist und allen M ei­ nungen gerecht wird, nämlich daß in besonders schweren Fällen die Ausweitung bis zu lebensläng­ lichem Zuchthaus erfolgen und daß darüber hinaus bei Todesfolge bis zur Verhängung der Todesstrafe gegangen werden kann. D as paßt zwar nicht ganz zu unserer Abneigung gegen Erfolgsdelikte. Hier besteht aber immerhin ein kriminalpolitisches Be­ dürfnis für eine solche besondere Regelung. Es gibt Fälle, wo die Tötungsabsicht nicht feststellbar ist, der Fall aber doch so schwer liegt, daß allein die Todes­ strafe angebracht ist. Die Androhung der Todesstrafe würde auch sicher erzieherisch wirken. Wenn wir die Todesstrafe bei Raub mit Todessolge für notwendig befunden haben, so können wir beide Fälle nur gleich behandeln: entweder müssen wir bei beiden Fällen Todesstrafe vorsehen oder bei keinem. Als Ergebnis^der Besprechung stelle ich also mit Zustimmung der Kommission fest, daß wir zwischen

Staatssekretär Dr. Freisler: Die verschiedene Bewertung von § 70 und § 71 ist schon bisher durch die unterschiedliche Strafdrohung zum Ausdruck gekommen. Anders ist es bei § 73. Hier greift die Anregung von Herrn Professor Mezger ein, der den § 73 mit § 70 zusammenfassen will, so daß für beide Fälle die gleiche Strafdrohung gelten würde. Dagegen hat sich eigentlich keine Stimme erhoben. Der neu zu bildende einheitliche Paragraph für die jetzigen §§ 70 und 73 müßte dann etwa über­ schrieben werden: „Notzucht und schwere Schändung". Dann haben wir automatisch die Folge, daß für diese beiden Fälle, aber nicht für § 71 und § 72 die Be­ stimmung über besonders schwere Fälle und die fakul­ tative Todesstrafe gilt. W ir kommen dann zu § 71. Hier ist fraglich, ob eine Subsidiaritätsklausel erforderlich ist. Ich halte den Beweis für die Notwendigkeit einer solchen Klausel noch nicht für erbracht. Professor Dr. Mezger: Ich halte eine Subsidiaritätsklausel in den §§ 70, 73 nicht für notwendig. Denn wenn ein schwerer Spezialfall vorausgestellt wird, so ist damit das Konkurrenzverhältnis völlig klargestellt. Staatssekretär Dr. Freisler: D as von Herrn Oberstaatsanwalt Reimer vor­ gebrachte Bedenken könnte man ja in der Begründung ausräumen. (Allseitige Zustimmung.) Zu § 72 würde ich vorschlagen, daß die Unter­ kommission die Anregungen bezüglich des Wortes „Bewußtseinsstörung" und bezüglich der Zusammen­ ziehung der §§ 71 und 72 erledigt. Ich bin der Meinung, daß wir es auch hier im Gegensatz zu dem Vorschlag von Herrn Professor Dr. Mezger bei der Strafdrohung des Entwurfs erster Lesung belassen können. Professor Dr. Kohlrausch: Ich muß noch einmal auf die §§ 70 und 73 zurück­ kommen. Ich bin nicht für die Zusammenfassung dieser Bestimmung. Die Fälle des § 73 liegen meist sehr viel einfacher und milder als die des § 70. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Meine Herren, ich bin der Ansicht, daß es auch hier allein auf die Willensrichtung des Täters an-

kommt. Weiß dieser, daß die von ihm mißbrauchte Person geistesschwach ist, so liegt durchaus ein schwerer vor. Ich will aber zugeben, daß dieser F all kaum mit Zuchthaus bestraft werden kann.

Ministerialdirektor Schäfer: W ir könnten also hinter den Worten „zum außer­ ehelichen Beischlaf" einfügen „oder, zu beischlafsähnlichen Handlungen".

Staatssekretär D r. Freisler: Es bleibt dann also bei dem Vorschlag der ersten Lesung. § 73 bleibt also an seiner jetzigen Stelle. Die Frage ist nur noch, ob die ausschließliche Zucht­ hausdrohung aufrechterhalten werden soll. Wir könnten entsprechend der Regelung bei § 72 dazu kommen, in § 73 neben der Zuchthausstrafe wahlweise Gefängnis nicht unter sechs Monaten anzudrohen. Die Bestimmung ist also in dieser Fassung ange­ nommen. E s ist dann die Frage zu prüfen, ob hinter § 73 nun erst der jetzige § 77 kommen soll. Dieser Vor­ schlag ist damit begründet worden, daß es sich hier um einen Täuschungstatbestand handelt.

Staatssekretär Dr. Freisler: Da sich kein Widerspruch erhebt, erhält die Unter* kommistion den Auftrag, die Bestimmung entsprechend diesem Vorschlage zu fasten. Dann steht noch der Vorschlag von Herrn P ro ­ festor Klee zur Debatte, die Kannmilderung bei Ver­ such im Allgemeinen Teil noch einmal zu überprüfen. Ich schlage vor, daß Sie, Herr Professor Klee, die Frage noch einmal durchprüfen und uns mit einem Vorschlag kurz berichten. Heute nachmittag wollen wir dann diesen Titel beenden. (Pause von 13.30 bis 17.45 Uhr.)

Ministerialdirektor Schäfer: Ich würde Herrn Professor Graf Gleispach zu­ stimmen und es bei der Reihenfolge des Entwurfs erster Lesung lasten. Staatssekretär Dr. Freisler: Mangels eines Widerspruchs stelle ich also fest, daß § 77 hinter § 76 bleibt. Um gleich bei § 77 zu bleiben: Es muß hier noch die Frage des Antragsdeliktes (Abs. 2) erörtert werden. Ich schlage vor zu vermerken, daß über diese Frage noch einmal im Zusammenhang gesprochen wird. Dann kommen wir zu § 77 a. Ich bin der Mei­ nung, daß eine solche Bestimmung nicht aufgenommen werden kann. (Allgemeine Zustimmung.) — Damit ist also der Vorschlag von Herrn Profestor Mezger abgelehnt. W ir kommen dann zu den §§ 74 und 75. Hierzu sind keine Vorschläge gemacht worden. Profestor Dr. Nagler: Ich bin der Meinung, daß in § 74 die Strafe zu hoch angesetzt ist. W ir können hier nicht alle Fälle gleichmäßig mit Zuchthaus bestrafen. Ein Teil der Fälle scheint weniger schwer zu liegen. Staatssekretär D r. Freisler: Ich schlage dann vor, neben der Zuchthausstrafe Gefängnis nicht unter sechs Monaten einzusetzen. Da sich kein Widerspruch dagegen erhebt, ist § 74 mit dieser Maßgabe angenommen. Bei § 76 steht zur Debatte, ob zum Beischlaf noch der perverse beischlafsähnliche Verkehr mit Ausnahme der lesbischen Liebe hinzuzunehmen ist. Ich muß aller­ dings sagen, daß ein solcher Fall, wenn er vorkommt, unbedingt von § 76 erfaßt werden müßte. Ich fürchte, daß die Praxis gerade hier von der Analogiebestim­ mung nicht ausgiebig genug Gebrauch machen würde.

Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Bei der zweiten Gruppe der Sittlichkeitsdelikte „Schutz von Kindern und Jugendlichen" ist in der ersten Lesung über das Schutz- und Täteralter in den §§ 78 und 80 sehr eingehend debattiert worden. Wie der Herr Reichsminister damals ausgeführt hat, lasten sich absolut überzeugende Gründe für keinen der ver­ schiedenen Lösungsvorschläge anführen. Ich glaube auch, daß man hinsichtlich des S c h u tz alters in bei­ den Bestimmungen das Richtige getroffen hat. Nicht dagegen scheint mir dies der Fall zu sein hinsichtlich des T ä t e r alters im § 80. Ich möchte insoweit auf die sehr beachtenswerten Ausführungen des Herrn Graf Gleispach in der Denkschrift des Herrn Reichs­ justizministers zum Besonderen Teil des S tG B , ver­ weisen. Auch mir scheint das Täteralter hier zu hoch zu sein. Eine 17% Jahre alte Hausangestellte, die den 15jährigen Jungen ihrer Dienstherrschaft zum Beischlaf verführt, ist meines Erachtens doch unbe­ dingt strafwürdig. Ich möchte daher vorschlagen, im § 80 entweder überhaupt kein Täteralter anzugeben oder dieses zum mindesten auf 16 Jahre herabzusetzen. Professor Dr. Mezger: Die einzigen Probleme in dieser Gruppe sind die A l t e r s g r e n z e n . Ich glaube, daß mit dem S ch u tz a l t e r von 15 Jahren die richtige Grenze getroffen ist. Dagegen habe ich in der Frage des T ä t e r a l t e r s nach wie vor Bedenken, eine schematische Festlegung vorzunehmen. Zweifellos spielt bei diesen Delikten die Entwicklungszeit des T äters eine ganz besondere Rolle. Wir dürfen die in diesem Entwicklungsalter verübten Taten nicht den späteren Taten gleichsetzen. Ich bin auch schon früher immer mit besonderer Entschiedenheit für solche Be­ rücksichtigung eingetreten. I m Einzelsall muß die Möglichkeit vorhanden sein, das Täteralter zu berück­ sichtigen und gegebenenfalls den Täter straffrei zu lasten. Ich fürchte aber schlimme Folgen, wenn das Täteralter ein für allemal i mGe s e t z festgelegt wird. D as wird sehr leicht zu dem Gerede Veranlassung geben, bis zu einem bestimmten Alter sei man vor

jeder Strafe gesichert. S.chon das Jugendgerichtsgesetz gibt Gelegenheit, sich gebührend dem Einzelsall anzu­ passen. Ein dringendes Bedürfnis, hierüber an dieser Stelle etwas Besonderes zu sagen, besteht meines E r­ achtens nicht. Ich möchte also, wie im JG G . in allen Fällen die Möglichkeit geben, bis zum 18. Jahre von S trafe abzusehen. Gerade hier, im Verfahren gegen Jugendliche, haben wir auch Richter, die solche An­ passung an den Einzelsall und seine Besonderheiten gewöhnt sind, so daß wir hier viel leichter als sonst dem Richter die Entscheidung im Einzelfall überlassen können. Ich habe deshalb auf S . 7 meines Antrages Nr. B 55 versucht, in § 80 a eine entsprechende Vor­ schrift zu formulieren, wenn eine solche hier noch be­ sonders nötig sein sollte. Staatssekretär Dr. Freisler: Wird hierzu das Wort gewünscht? Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich möchte in diesem Punkte Herrn Professor Mezger beitreten. Es darf nicht sein, daß Jugendliche unterhalb einer gewissen Altersgrenze ohne weiteres einen gewissen Freibrief vom Gesetz ausgestellt be­ kommen. Ich gehe sogar noch weiter als der von Herrn Professor Mezger vorgeschlagene § 80 a. Ich möchte hier noch eine Kannvorschrist vorschlagen, etwa derart: „Es kann von Strafe abgesehen werden". Professor Dr. Schafsftein: Die Anregung von Herrn Professor Mezger stimmt doch mit der Regelung des Jugendgerichts­ gesetzes überein und ist daher doch wohl überflüssig. Professor Dr. Mezger: Trotz der Regelung des Jugendgerichtsgesetzes ist an dieser Stelle im Hinblick aus die Erörterungen der 1. Lesung ein Hinweis vielleicht nicht unangebracht. Ich wäre aber meinerseits durchaus mit der aus­ schließlichen Geltung des Jugendgerichtsgesetzes ein­ verstanden. Ministerialdirektor Schäfer: Grundsätzlich spreche ich mich ebenfalls für den Gedanken von Herrn Professor Mezger aus. E s ist wirklich nicht sehr schön, daß neben dem Schutzalter immer noch das Täteralter besonders erwähnt ist. Aber die Fassung des Vorschlages von Herrn P ro ­ fessor Mezger scheint mir noch verbesserungssähig zu sein. Vielleicht genügt auch schon die Regelung des Jugendgerichtsgesetzes. Professor Dr. Mezger: Ich bin (wie in der 1. Lesung) durchaus dafür, es bei der Regelung des Jugendgesetzes zu belassen. Staatssekretär Dr. Freisler: Der von Herrn Professor Klee vorgebrachte Ge­ sichtspunkt scheint mir keine Wirklichkeit zu werden. Ein Jugendlicher wird wohl kaum das Strafgesetzbuch studieren, um festzustellen, daß es ihm einen Freibrief für gewisse Taten bis zu einem bestimmten Alter ge­

währe. Richtig ist, daß man mit dem vorgeschlagenen § 80 a das gleiche erreichen kann wie mit der Rege­ lung des Jugendgerichtsgesetzes. Professor Dr. Mezger: Mein Vorschlag unterscheidet sich allerdings um eine Nuance von der Regelung des Jugendgerichts­ gesetzes. Es sind keine Erziehungsmaßregeln nötig. Aber ich lege auf diesen Unterschied keinen Wert. Professor Dr. Schafsstein: Nach dem Jugendgerichtsgesetz ist ganz von Strafe abzusehen, wenn eine Verwarnung oder andere E r­ ziehungsmaßregeln genügen. Wenn man das, was schon im Jugendgerichtsgesetz geregelt ist, hier noch einmal regelt, so entstehen vielleicht Zweifel über die Auslegung der Vorschrift. Professor Dr. Kohlrausch: Ich glaube, daß wir ohne § 80 a auskommen und dem Jugendrichter alles überlassen können. Professor Dr. Gras Gleispach: Ich wollte dasselbe sagen. Die Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes reichen vollkommen aus. Gegen den vorgeschlagenen § 80 a läßt sich einwenden, daß er Mädchen und Knaben in gewisser Hinsicht gleichstellt, während die Reife auf geschlechtlichem Ge­ biete bei Mädchen und Knaben durchaus nicht in gleicher Weise eintritt. Staatssekretär Dr. Freisler: E s scheint also allgemeine Meinung zu sein, daß wir den § 80 a nicht benötigen. Ich stelle also als Beschluß der Kommission fest, daß die Altersgrenze bei dem Täter gestrichen und der Vorschlag des Herrn Professor Mezger bezüglich des § 80 a abgelehnt wird. Andere Vorschläge sind zu dieser Paragraphengruppe bis einschließlich § 83 nicht gemacht worden. Die §§ 78 bis 83 sind daher mit der Maßgabe der Streichung des Täteralters in der Fassung des E n t­ wurfs erster Lesung angenommen. W ir kommen dann zu der nächsten Deliktsgruppe. Oberstaatsanwalt D r. Reimer: Gegen die Bestimmung des § 84 Abs. 3, der die Blutschande von Personen behandelt, die das 18. Le­ bensjahr noch nicht vollendet haben, trage ich insoweit Bedenken, als diese Personen ausnahmslos straffrei bleiben sollen. Angesichts der Vielgestaltigkeit der hier in Betracht kommenden Fälle empfiehlt es sich meines Erachtens, dem Gericht die Möglichkeit einer B e­ strafung offen zu lassen, wenn nach dem besonderen Sachverhalt ein Bedürfnis dasür gegeben erscheint. Namentlich bei Geschwistern kann der Fall so liegen, daß die noch nicht 18 Jah re alte sittlich vielleicht völlig verwahrloste Schwester den um ein Ja h r älteren Bruder zur Blutschande verführt, ihre Handlungs­ weise somit moralisch weit verwerflicher ist als die des über 18 Jah re alten Bruders. W as die in den §§ 86 und 87 geregelte Unzucht zwischen M ännern anbelangt, so sind insoweit meine

Ausführungen in meinem Antrag Nr. B 57 inzwischen durch die dem Kabinett vorgelegte Novelle gegen­ standslos geworden. Ich habe keine Bedenken, sämt­ liche Bestimmungen, die in dem Antrag der Sach­ bearbeiter des Ministeriums Nr. B 58 enthalten sind, mit der Maßgabe zu übernehmen, daß § 175 a Nr. 1 der Novelle in Wegfall kommt, da er bereits durch § 71 des Entwurfs erster Lesung getroffen wird. Professor Dr. Mezger: I n der Sache habe ich keine Änderungsvorschläge zu machen. § 84 Abs. 3 kann problematisch sein. Ich habe aber die Straffreiheit in diesen Fällen im gelten­ den Recht immer für angemessen gehalten. Ich bin daher geneigt, die Bestimmung auch in ihrer jetzigen Fassung des Entwurfs zu lassen. W as die Unzucht zwischen M ännern anlangt, so ist die Frage durch die Novelle erledigt. Auch meinem Wunsch, den § 85 hinter die §§ 86 und 87 zu stellen, ist durch die Novelle bereits Rechnung getragen. Professor Dr. Kohlrausch: Ich möchte vorschlagen, daß wir die Anregungen von Herrn Kollegen Mezger zum Gesetz erheben. Die Gründe von Herrn Oberstaatsanwalt Reimer sind stichhaltig nur, wenn Geschwister in Betracht kommen. Staatssekretär Dr. Freister: Wir würden also § 84 mit dieser vorgeschlagenen V/taßgabe annehmen. Die §§ 85, 86 und 87 sind in der Reihenfolge und Fassung der Novelle angenommen. Ich bitte dann Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Reimer zur nächsten Deliktsgruppe das Wort zu nehmen. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Ich komme nun zur vierten Gruppe: „Schutz der öffentlichen Sittlichkeit". Zu § 88 habe ich keine Abänderungsvorschläge zu machen. — Was den § 89 anbetrifft, so ist es nach dem jetzigen Text nicht zweifelsfrei, ob das Verschaffen unzüchtiger Schriften schlechthin unter Strafe gestellt werden soll oder nur dann, wenn es z u m Z w e ck e d e r V e r b r e i t u n g geschieht. I m ersteren Falle würde unter die Strafbestimmung nunmehr auch der — wie die tägliche Praxis zeigt — sehr große Kreis der bisher straflosen Käufer von Pornographien fallen. Eine derartige Ausweitung des Tatbestandes des § 89 ist aber wohl nicht erforderlich, wenn, wie bereits im geltenden Recht, das Übel an der Quelle ersaßt wird. I m übrigen hat der Handel mit porno­ graphischen Schriften und Abbildungen in den letzten Jah ren erheblich nachgelassen. Der Grund hierfür ist in der Tatsache zu finden, daß infolge der Devisen­ vorschriften alle Postsendungen aus dem Auslande durch die Kontrolle der Zollsahndungsstellen gehen, so daß jetzt fast nur noch im Wege des Schmuggels der­ artige Abbildungen pp. eingeführt werden können. Um den Täterkreis im § 89 zu begrenzen, halte ich es daher in Übereinstimmung mit den Vorschlägen der Kommission des Reichsgerichts für zweckmäßig,

vor den Worten „sich verschafft" die Worte „oder zu demselben Zweck" einzufügen. Gewisse Bedenken habe ich gegen den Ausdruck „eine zu unzüchtigem Gebrauch bestimmte Sache". An sich fallen hierunter auch Gegenstände, die zur Ver­ hütung der Empfängnis oder zum Schutz gegen An­ steckung mit Geschlechtskrankheiten verwendet werden, also Präservativs, Pessare und dergleichen. Solange § 302 des Referentenentwurss von 1933 bestand, der für die M ittel zur Verhütung von Geschlechtskrank­ heiten eine Sonderregelung vorsah, war es klar, daß unter Sachen zu unzüchtigem Gebrauch nur solche zu verstehen waren, die der unnatürlichen Befriedigung des Geschlechtstriebes dienten, beispielsweise Gaudemiches und dergleichen. Da man die Herstellung und das Verbreiten von empfängnisverhütenden M itteln oder solchen, die zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten dienen, schon im Interesse der Volksgesundheit an sich nicht unter Strafe stellen kann, dürfte es angezeigt sein, aus dem § 89 die Sachen zu unzüchtigem Gebrauch wieder her­ auszunehmen und — wie es die Entwürfe von 1927 und 1933 vorsahen — hierfür eine besondere Bestim­ mung zu schaffen, in der zum Ausdruck gebracht wird, daß unter Sachen zum unzüchtigen Gebrauch a n ­ d e r e Sachen zu verstehen sind als solche, die in dem Entwurf eines Gesetzes über Mißbräuche im Gesund­ heitswesen ausgeführt sind. Professor D r. Mezger: Ich schließe mich in sachlicher Beziehung den Aus­ führungen von Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Reimer an. I n § 89 habe ich das Verbreiten auch auf die weiteren Verba bezogen. Ich bin aber damit einver­ standen, daß das noch deutlicher zum Ausdruck kommt. Auch der zum Schluß gegebenen Anregung möchte ich mich anschließen. Die Vorschläge des Reichsgerichts sind bereits berücksichtigt. Staatssekretär Dr. Freisler: Wird das Wort zu diesem Abschnitt erbeten? D as ist nicht der Fall. Ich glaube, daß die Worte „sich verschafft" in § 89, wie sich bereits aus ihrer Stellung ergibt, so aufzufassen sind, daß nur die Berschaffung zum Zwecke der Verbreitung gemeint ist. Dann ist aber wohl keine Änderung erforderlich. (Allgemeine Zustimmung.) — Zur Deutlichmachung können wir das noch in der Begründung hervorheben. Eine Anmerkung können wir bezüglich der zum unzüchtigen Gebrauch bestimm­ ten Sachen machen, da diese Frage durch ein Spezial­ gesetz geregelt wird. Oberstaatsanwalt D r. Reimer: W as die §§ 91 und 92 anbetrifft, so möchte ich mich grundsätzlich für die Streichung der Ziffer 4 des § 91 aussprechen, und zwar aus folgenden G rün­ den. Wenn der Entwurf das Ziel verfolgen will, die gewerbsmäßige Unzucht abschließend zu regeln, dann kann dies allerdings nur im Wege einer Blankettvor-

schrift geschehen, wie sie § 91 Ziffer 4 aufstellt. Diese Blankettvorschrist birgt aber die Gefahr in sich, daß hierdurch die Grenze zwischen kriminellem Unrecht und Polizeiunrecht verwischt wird. Wenn die Polizei Personen, die der gewerbsmäßigen Unzucht nachgehen, aus rein ordnungspolizeilichen Gründen Auflagen all­ gemeiner Art macht und z. B. das bloße Umherstehen auf bestimmten Straßen verbietet, dann handelt es sich bei Zuwiderhandlungen gegen ein derartiges Ver­ bot um eine bloße Ordnungswidrigkeit, die bei der jetzigen Fassung des § 91 Ziffer 4 zu einem krimi­ nellen Unrecht gestempelt wird. D as würde aber der für das künftige Strafrecht in Aussicht genommenen Systematik, welche zwischen kriminellem und polizei­ lichem Unrecht scharf scheidet, widersprechen. Meine Bedenken gegen diese Bestimmung würden allerdings dann hinfällig, wenn man sie aus die g e s u n d h e i t1x6) z Überwachung der Gewerbsunzucht beschränken würde. Hier sind die Gefahren, die aus der Zuwider­ handlung gegen etwaige polizeiliche Anordnungen in sanitärer Hinsicht entstehen können, für die allgemeine Gesundheit und damit die Erhaltung der Volkskraft so groß, daß eine kriminelle Strafe angemessen er­ scheint. Professor Dr. Mezger: Hinsichtlich des § 91 Ziffer 4 schließe ich mich den überzeugenden Ausführungen von Herrn Ober­ staatsanwalt Dr. Reimer an. Darüber hinaus sprechen aber auch ideelle Gründe für die Streichung. E s muß dem Polizeirecht überlassen bleiben, hier nötigenfalls mit Polizeistrafen einzugreifen. Staatssekretär Dr. Freisler: Wie stellen S ie sich, Herr Professor, zu dem Vor­ schlag, die Bestimmung nicht ganz zu streichen, son­ dern sie auf „die zur gesundheitlichen Überwachung" erlassenen Vorschriften zu beschränken? Professor Dr. Mezger: I n dieser Fassung wäre die Bestimmung weniger bedenklich. Im m erhin kann auch dann noch zweifel­ haft sein, was alles an Bestimmungen „zur gesund­ heitlichen Überwachung" erlassen ist. Die Gefahr einer zu großen Ausweitung kriminellen Unrechts bleibt auch so. Meines Erachtens passen solche Blankettvorschriften nicht in unser neues kriminelles Strafrecht. Staatssekretär Dr. Freisler: Vielleicht berichtet uns einmal Herr Ministerial­ dirigent Schäfer über die Besprechungen in dem Aus­ schuß der Akademie über die hier in Frage stehenden Bestimmungen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Die Frage, wie die Prostitution künftig behandelt werden soll, ist Gegenstand von Besprechungen eines Ausschusses der Akademie für Deutsches Recht, an denen auch die Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und Ver­ treter des Reichsministeriums des In n e rn teilnehmen. E s sind bort die Fragen geprüft worden, ob die

Straßenunzucht der Dirnen in gewisser Weise ge­ duldet werden, ob man Absteigequartiere dulden oder ob eine gewisse Kasernierung eingerichtet oder zuge­ lassen werden solle. Die Meinungen waren nicht ein­ heitlich. Die N SV . und die NS.-Frauenschast haben noch in der letzten Sitzung den Standpunkt vertreten, daß eine Kasernierung am besten wäre, während die andern sich energisch bagegen gewendet haben, da durch die Kasernierung höchstens 10 % der Dirnen ersaßt werden könnten, im übrigen die heimliche Prostitution weiterbestehen bleiben würde. Die Vor­ schläge der Akademie gehen dahin, das Verbot des Straßenstrichs von allen Beschränkungen freizuhalten (unser § 92) und einfach zu sagen: „Wer sich öffentlich zur Unzucht anbietet oder zur Unzucht auffordert, w ird -----bestraft." Ich habe dieser Ausdehnung der Strafbarkeit widersprochen. Zu § 91 ist beschlossen worden, die „Wohnung" in Nr. 1 ganz zu streichen, und das Verbot allgemein aus das „Haus" (Nr. 2) auszudehnen. Mein Einwand dagegen ging dahin, daß es z. B. in Berlin kaum ein Haus gibt, in dem nicht Jugendliche unter 21 Jahren wohnen. Nr. 4 soll dem Erlaß von Beschränkungsvorschristen dienen, etwa im Sinne einer Kasernierung usw. Nach den Be­ schlüssen des Ausschusses soll in die Nr. 4 neben der Überwachung noch die Beschränkung ber gewerbs­ mäßigen Unzucht als Aufgabe des polizeilichen Ein­ schreitens hineinkommen. Ich halte diese Erweiterung der Nr. 4 für vernünftig. Eine gleichmäßige und ein­ heitliche Regelung der Prostitution an allen Orten ist nicht möglich. Es muß daher den örtlichen Behörden überlassen bleiben, die notwendige Regelung zu tref­ fen. Die Forderung des Akademieausschusses ging weiter dahin, die Vorschrift der Nr. 4 auf die gesund­ heitliche Überwachung auszudehnen. Ich halte das jedoch für überflüssig; zur Durchführung der gesund­ heitlichen Überwachung gibt es Zwangsmittel, z. B. die Einweisung in ein Krankenhaus, die von den D irnen außerordentlich gefürchtet wird und daher viel besser wirkt als etwa eine mehrmonatige Gefäng­ nisstrafe. Ferner ist noch gegen meinen Widerspruch die Heraufsetzung des Schutzalters, das in § 91 auf 18 Jahre festgesetzt ist, aus 21 Jahre vorgeschlagen worden. Die Heraussetzung der Altersgrenze würde zu einer außerordentlichen Beschränkung führen, und zwar auch in Fällen, wo kein Schutzbedürfnis mehr besteht. Professor Dr. Mezger: Was Herr Geheimrat Schäfer ausgeführt hat, scheint mir die beste Begründung für meinen Antrag zu sein, die Ziffer 4 des § 91 ganz zu streichen. M an würde mit dieser Vorschrift eine Blankettbestimmung geben, die in einer Frage, in der die Meinungen so außerordentlich weit auseinandergehen, besonders be­ denklich wäre. Hier sollte das Leben selbst auch ein W ort sprechen dürfen. I m Verhältnis zur Vorkriegs­ zeit und den Jahren nach dem Kriege ist doch in den letzten Jahren schon eine ganz gewaltige Besserung eingetreten. Ich kann daher ein dringendes Bedürf­ nis für eine derartige Blankettvorschrist nicht aner­ kennen.

Professor Dr. Schafsstein: Ich möchte nur auf einen Gesichtspunkt Hinweisen. M an muß doch auch die Möglichkeit der Unterbrin­ gung im Arbeitshaus hier in Rechnung stellen. Das Arbeitshaus wirkt gerade auf diejenigen Kreise, die von der Ziffer 4 des § 91 erfaßt werden sollen, be­ sonders abschreckend. Ich halte daher eine Strasvorschrift insoweit nicht für nötig. Staatssekretär Dr. Freister: D as würde also dafür sprechen, die Bestimmung auf die zur gesundheitlichen Überwachung erlaffenen Vorschriften einzuschränken, denn insoweit besteht im Interesse der Allgemeinheit ein Bedürfnis nach einem Strafschutz. I m übrigen aber mag die Vorschrift in das Polizeistrasgesetzbuch kommen. Die Ziffer 1 des § 91 des Entwurfs erster Lesung entspricht der Ziffer 2 des Abteilungsvorschlages N r. B 58. Da sich gegen diese Fassung kein Wider­ spruch erhebt (Zustimmung), ist § 91 in der Fassung der Sachbearbeiter angenommen. Zu § 92 liegen keine Bemerkungen oder Anträge vor. E r ist daher in der Fassung des Entwurfs erster Lesung angenommen. Ich darf dann Herrn Oberstaatsanwalt Reimer bitten, nun zur letzten Gruppe Stellung zu nehmen. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Bei der 5. Gruppe: „Förderung fremder Un­ zucht" habe ich gegen die Fassung der §§ 93— 96 keine Bedenken zu erheben. Wenn § 97 von einer „der gewerbsmäßigen Un­ zucht e r g e b e n e n F rau" spricht, so ist das sprach­ lich unrichtig. Es kann jemand vielleicht dem Trünke oder dem Genuß von Rauschgiften „ergeben" sein, aber nicht der gewerbsmäßigen Unzucht. Entweder wird das „ergebene" durch das Wort „nachgehende" ersetzt, oder es muß in Übereinstimmung mit § 91 heißen: „daß er eine F rau, die gewerbsmäßig Unzucht treibt, als Zuhälter ausbeutet". Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Der Ausschuß der Akademie wollte das Schutzalter bei § 93 Abs. 4 auf 21 Jah re erhöhen. Ich halte das für unmöglich, weil die meisten Dirnen zwischen 18 und 21 Jahre alt sind. Der Vorschlag der Aka­ demie würde die heimliche Prostitution begünstigen. Professor Dr. Mezger: Ich habe nur zu den §§ 93 bis 95, also zur K u p p e l e i , etwas zu bemerken. Ich glaube nicht, daß durch den Vorschlag der ersten Lesung alle Fragen in befriedigender Weise geklärt sind. Als gesetzgebe­ risches Problem ist schon in erster Lesung die Frage aufgeworfen worden, wie aus der Kuppeleibestimmung diejenigen Fälle auszunehmen sind, die zweifellos nicht von der Strasvorschrift erfaßt werden sollen. Bisher ist vorgeschlagen worden, die Verlobten aus­ drücklich von der Strafvorschrift auszunehmen. Es sind aber in erster Lesung doch sehr wesentliche Be­ denken dagegen geltend gemacht worden, die Ver­ lobten im Gesetz ausdrücklich zu erwähnen. Diesen

Bedenken schließe ich mich an. D as Problem bleibt aber, wie man die erforderliche Ein­ schränkung vornehmen soll. Eine solche Beschränkung erscheint mit Rücksicht auf die bisherige ständige Recht­ sprechung des Reichsgerichts notwendig. Ich verweise vor allem auf die Entscheidung des Reichsgerichts im 8. Band, die bisher nicht geändert worden ist. Meines Erachtens ist der Begriff der Kuppelei, die völlig verschiedene Fälle umschließt, zu sehr in Bausch und Bogen gefaßt. Die romanischen Rechte beschränken die Kuppelei auf eine Verführung, während sich in der deutsch-rechtlichen Entwicklung der viel weitere Kuppeleibegriff herausgebildet hat, der alle Teil­ nahmehandlungen zur Unzucht (das heißt zu einer an sich straflosen Handlung) unter S trafe stellt. Ich möchte darauf hinweisen, daß dieser unser Kuppeleibegriff erst aus der neueren Zeit stammt. Die ger­ manischen Rechte, auch das mittelalterliche Recht, kannten den Kuppeleibegriff überhaupt nicht. Erst aus dem römischen Recht ist dieser Begriff in die Karolina gekommen und ist' dann in die einzelnen Partikulargesetze, insbesondere in das preußische Strafgesetzbuch, eingedrungen. Ich bin nun durchaus nicht der Meinung, daß wir uns einfach zu der Rechts­ ansicht der romanischen Staaten bekennen sollten. Auch in den von dieser Anschauung nicht erfaßten Fällen besteht nach unserer Rechtsanschauung oft ein Strafbedürfnis. Ich habe in meinem Antrag Nr. B 55 eine neue Formulierung versucht. Ich gehe dabei davon aus, daß bisher zwei im Leben gänzlich ver­ schiedene Dinge ungerechtfertigt zusammengekoppelt wurden: das ganz besonders verwerfliche Z u ­ f ü h r e n zur Unzucht bei Personen, die von sich aus gar nicht zur Unzucht neigen, und das viel milder gelegene bloße M i t t u n oder bloße Dulden gegen­ über Personen, die von sich aus zur Unzucht ent­ schlossen sind. Ein Ansatz zu einer solchen Unter­ scheidung ist im § 94 gegeben. E r muß aber folge­ richtiger weitergeführt werden. Auf diesen Gedanken baue ich meine Vorschläge auf. Ich würde die Aus­ weichmöglichkeit aus die Fälle beschränken, die nicht ein „Zuführen", sondern nur ein Vorschubleisten ent­ halten. Ich habe dann in § 94 meines Vorschlages die beiden schweren Fälle der Kuppelei, nämlich die Kuppelei mit hinterlistigen Kunstgriffen und das Zu­ führen und Festhalten bei der gewerbsmäßigen Un­ zucht, vorweggenommen. Die Bestimmung ist auf diejenigen Fälle beschränkt, bei denen ein Zuführen zur Unzucht vorliegt. D as gleiche gilt von dem § 95 erster Lesung, den ich ebenfalls noch vor den jetzigen § 93 stellen möchte. Wenn so die schwersten Fälle aus­ geschieden sind, bleiben nur die leichteren Fälle des jetzigen § 93 übrig. Dann ist die Einfügung einer elastischeren Bestimmung unbedenklich. Eine solche elastische Bestimmung ist nötig, weil es nicht möglich ist, die einzelnen Fälle im Gesetz aufzuführen. I n s ­ besondere wollen wir ja die Verlobten im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnen. Auch sonst läßt sich eine allge­ meine Begrenzung nicht finden. Ich halte es über­ haupt für unmöglich, die schweren und die milden Fälle gesetzgeberisch genau zu scheiden. Unter Um-

standen können auch Unterlassungsfälle sehr schwer liegen. E s kommt auf die „Verwerflichkeit" im ein­ zelnen Fall an. Dieser Begriff ist nicht neu; wir haben ihn schon im § 274 des Entwurfs. Ich greife insoweit meinen Vorschlag im Antrag B 5 unter V H I wieder auf, ohne jedoch, wie dort, die Verlobten aus­ drücklich zu erwähnen. Bei dieser Fassung ist die Gewähr dafür gegeben, daß die besonders schweren Fälle nicht unter die Ausweichmöglichkeit fallen. Staatssekretär Dr. Freisler: Wir haben es schon bei der ersten Lesung empfun­ den, daß wir die Fälle nicht strafrechtlich erfassen dürfen, die vor allem in bäuerlichen Verhältnissen häufig sind, wenn nämlich vor Eingehung der Ehe festgestellt werden soll, ob diese fruchtbar sein wird. Ich habe aber nicht den Eindruck, daß die Fassung von Herrn Professor Mezger völlig geglückt wäre. Ich darf Sie, Herr Oberstaatsanwalt Reimer, noch einmal bitten, zu den Ausführungen von Herrn Professor Mezger Stellung zu nehmen. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Ich finde die Vorschläge von Herrn Professor Mezger reichlich umständlich. Da wir mit der Fassung des geltenden Rechtes gut ausgekommen sind, vermag ich nicht einzusehen, aus welchen Gründen jetzt für die Kuppelei eine solch komplizierte Regelung getroffen werden soll. Der Herr Minister hat in der ersten Lesung bereits darauf hingewiesen, daß wir gerade hier mit Begriffen wie „gesunde Volksanschauung" u. dergl. nicht operieren sollten. Dem praktischen Bedürfnis wird durch Verwaltungsanweisungen Rech­ nung getragen werden, nach denen in Fällen wie dem im 8. Bande der amtlichen Sammlung entschiedenen überhaupt nicht Anklage erhoben werden soll. Staatssekretär Dr. Freisler: M an kann die Frage überdies auch aus das pro­ zessuale Gebiet abschieben, die einschlägigen Fälle also etwa aus dem Wege der Einstellung nach dem jetzigen § 153 S tP O , erledigen. Staatsanwaltschaftsrat Ebert: Ich halte es für geschmacklos, die gesunde Volks­ anschauung mit den hier in Frage stehenden Fällen in Verbindung zu bringen. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Ich habe noch etwas zu § 93 Abs. 4 zu bemerken. Ich hatte bereits in erster Lesung angeregt, dem Ge­ währen von Wohnung das Gewähren von Unterkunft gleichzustellen, weil die Grenzen zwischen Wohnung und bloßer Absteige oft sehr flüssig sein können. Außerdem gibt es viele Dirnen, die in ihrer Wohnung sozusagen eine gewisse bürgerliche Anständigkeit leben und aus solchen Erwägungen lieber ihr Ge­ werbe außerhalb ihrer Wohnung betreiben wollen. Warum soll man ihnen das nicht dadurch ermöglichen, daß man das Gewähren einer Unterkunft auch straf­ frei läßt?

Professor Dr. Mezger: Ich bin zwar entgegen der Ansicht von Herrn Staatsanwaltschaftsrat Ebert und von Ober­ staatsanwalt Dr. Reimer nicht der Meinung, daß man hier die gesunde Volksanschauung nicht heranziehen könnte. Ich will aber an diesem W ort nicht festhalten und bin mit einer anderen Fassung des Gedankens durchaus einverstanden. Professor Dr. Kohlrausch: Ich muß gestehen, daß es mir auch nicht gut zu sein scheint, hier von gesunder Volksanschauung zu sprechen. Es handelt sich hierbei doch um die Ge­ bräuche bestimmter Gegenden. Hierauf das Wort „gesunde Volksanschauung" zu verwenden, ist doch wohl nicht angebracht. M an soll vielmehr auf eine gesunde Handhabung der Anklage und Rechtsprechung vertrauen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich möchte mich ebenfalls gegen das aussprechen, was Herr Professor Mezger gesagt hat. Herr S taatsanwaltschastsrat Ebert hat durchaus recht, wenn er sagt, daß hier die gesunde Volksanschauung aus keinen F all verwendet werden darf. Sie ist gerade zu diesem Punkte in den einzelnen Gegenden außerordentlich verschieden. Ich glaube, daß es in manchen Kreisen, vor allem Großstädten, einen Geschlechtsverkehr gibt, den man durchaus nicht als verwerflich bezeichnet. W ir sollten es bei der jetzigen Regelung belassen. Wenn die Anklagebehörden in nicht strafwürdigen Fällen die Anklage nicht erheben, oder wenn § 153 S tP O , angemessen verwendet wird, so können die zweifelhaften Fälle durchaus sachgemäß erledigt wer­ den. Vielleicht ist eine besondere Anordnung des Reichsjustizministers an die Anklagebehörden zweck­ mäßig. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bin der Meinung, daß wir die Angelegenheit mit der Verlagerung des Schwergewichts auf den Prozeß zweifellos am besten erledigen können. Die nicht strafwürdigen Fälle kommen hier vor allem in ländlichen Verhältnissen vor. Es geht aber nicht an, etwa für ländliche Verhältnisse eine Sonderregelung zu treffen. Alles Erforderliche läßt sich am besten in einer mündlichen Besprechung mit den Anklagebehör­ den sagen. M an könnte den von der Abteilung vor­ geschlagenen Weg noch etwas weitergehen und es nicht nur auf § 153 S tP O , abstellen, sondern ganz allgemein hier das Legalitätsprinzip durchbrechen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wenn die Volksanschauung solche Fälle als gesund ansieht, dann liegt meines Erachtens überhaupt keine Unzucht vor. Ich glaube, daß man es heute doch wohl der Rechtsprechung überlassen kann, die sicher einen anderen Standpunkt einnehmen wird, als in früherer Zeit das Reichsgericht.

Professor Dr. Dahm: W ir können uns hier nicht auf die Praxis ver­ lassen. Auch das Abschieben aus den Prozeß scheint m ir nicht richtig. I n Fällen dieser Art ist der Begriff der Kuppelei eben nicht erfüllt. Auch mir widerstrebt hier die Bezugnahme auf die gesunde Volksan­ schauung. D as ist aber mehr eine Frage der Fassung. Wenn Herr Mezger auf die Worte „gesunde Volks­ anschauung" verzichtet, so würde ich mich seinem Vor­ schlage anschließen. Allerdings ist zu erwägen, ob das W ort „verwerflich" nicht durch eine andere Fassung, etwa durch das Wort „strafwürdig" ersetzt werden kann. Ministerialdirektor Schäfer: Unter § 95 können auch andere ganz milde Fälle fallen; Herr Vizepräsident Thierack hat schon auf diese Fälle hingewiesen. W ir müssen uns immer wieder vorhalten: E s fallen darunter alle Arten der Unzucht. Denken S ie nur an die Fälle, in denen Eltern zum Beispiel gegenüber gewissen Zärtlichkeiten zwischen den Verlobten nicht einschreiten. E s gibt hier zweifel­ los Grenzfälle. E s liegt, auch wenn man Herrn P ro ­ fessor Mezger nicht folgt, nahe, bei diesem P a ra ­ graphen allgemein, gemäß dem Vorschlag der Sach­ bearbeiter, minder schwere Fälle vorzusehen. Be­ schränkt sich die Kuppelei auf bloßes Dulden, so könnte völlige Straffreiheit vorgesehen werden. I m übrigen, glaube ich, sollten wir bei dem Ausbau der ersten Lesung bleiben. E s ergeben sich sonst Schwierigkeiten, wie die einzelnen Delikte benannt werden sollen. D ann liegt auch in Ziffer 3 des § 93 des Vorschlages von Herrn Professor Mezger eine gewisse Unklarheit. E s geht daraus nicht hervor, ob unter dem Wort „Bordell" mehr als bloßes Gewähren von Wohnung zu verstehen ist. Ich möchte also von der jetzigen Fassung der §§ 93 bis 95 nur insoweit abweichen, als ich im § 93 allgemein minder schwere Fälle und S tra f­ freiheit bei bloßem Dulden der Unzucht vorsehen will. Reichsgerichtsrat Niethammer: Die Frage, ob in den erwähnten Fällen des Ver­ kehrs zwischen Verlobten, da, wo er sich eingebürgert hat, von Strafe abgesehen werden kann, ist im Reichs­ gericht besprochen worden. Obwohl nach dem gelten­ den Recht die Strafbarkeit in einer früheren Ent­ scheidung des Reichsgerichts bejaht worden ist, hat sich das Reichsgericht nicht entschlossen, einen bestimm­ ten Vorschlag auszuarbeiten. E s ist zu berücksichtigen, daß das Urteil im 8. Band der amtlichen Sammlung sehr weit zurückliegt. I n den letzten 15 Jahren ist kein Fall mehr vor das Reichsgericht gekommen, der uns den Mißstand des geltenden Rechtes hätte er­ kennen lassen. D as kann darauf beruhen, daß den Staatsanwaltschaften entsprechende Anweisungen ge­ geben worden sind. Wenn nun daran gedacht wird, diese Frage hier im sachlichen Recht anzurühren, so möchte ich bitten, keine Lösung zu wählen, die so schwierig zu handhaben ist wie der Vorschlag des Herrn Professor Mezger. Meines Erachtens ist nur der Weg gangbar, den die Sachbearbeiter des M ini­

steriums eingeschlagen haben, nämlich minder schwere Fälle mit der Möglichkeit der Straffreiheit bei bloßem Dulden vorzusehen. Staatssekretär Dr. Freister: M an könnte ja in der Begründung etwas deut­ licher darauf hinweisen, daß in den genannten Fällen überhaupt keine Unzucht vorliegen soll. Professor Dr. Mezger: Meines Erachtens kann man die nicht strafwürdi­ gen Fälle nicht auf ländliche Verhältnisse beschränken. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich habe den Eindruck, daß die Grundgedanken von Herrn Kollegen Mezger in seinem konkreten Vor­ schlag nicht ganz zum Ausdruck gekommen sind. Dieser Grundgedanke geht meines Erachtens dahin, zwei Typen innerhalb der Kuppelei zu unterscheiden — den einen sehr schweren, der durch Gewinnsucht gekenn­ zeichnet ist, und den anderen, der generell leichter zu bewerten ist und nicht eine generelle Förderung fremder Unzucht bedeutet wie der erste (vgl. Hehlerei). Die angeführten Beispiele können meines Erachtens über­ haupt nicht als anstößig empfunden werden. Unsere Strafdrohung ist also zum Teil zu weit ausgedehnt. Gegenüber den eigentlichen schweren Kuppeleifällen stehen die Fälle, in denen eine besondere Obhuts­ pflicht verletzt ist. Bei dieser zweiten Gruppe frage ich mich, ob man nicht überhaupt mit dem „Zuführen" auskommen könnte. Dann wäre die ganze Schwierig­ keit überhaupt ausgeschaltet, weil dann das bloße Unterlassen kein tatbestandsmäßiges Verhalten wäre. Wenn man diesen Gedanken nicht für annehmbar hält, dann möchte ich nur die Anregung geben, ob der Vor­ schlag, den Herr Professor Mezger auf Seite 10 seines Antrages Nr. B 55 gemacht hat, annehmbar wäre, wenn man das Verwerfliche oder Nichtverwersliche nicht aus die Kuppelei, sondern aus den geübten Ver­ kehr beziehen würde. Der Vorschlag von Herrn M i­ nisterialdirektor Schäfer bedeutet auch eine materiell­ rechtliche Regelung. E r vermeidet ferner die Schwie­ rigkeit der Formulierung, die wir nicht gelöst haben. I h r Formulierungsversuch, Herr Professor Mezger, löst die Schwierigkeiten meines Erachtens nicht. Wir sträuben uns gegen die Verwendung des Begriffes „gesunde Volksanschauung". S ie sind wohl auch der Meinung, Herr Mezger, daß eventuell der Lösungs­ vorschlag von Herrn Ministerialdirektor Schäfer an­ nehmbar ist? Professor Dr. Mezger: Jaw ohl, ich bin damit einverstanden. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Aus meinen praktischen Erfahrungen möchte ich noch folgendes allgemein anführen: Ich habe als Staatsanw alt mehrere Jahre das Zuhälterei- und Kuppeleidezernat gehabt. Fälle, in denen der Ehe­ mann die Ehefrau verkuppelte, habe ich ziemlich zahl­ reich erlebt. Aber eines Falles, wo die Eltern die Tochter in dem hier debattierten S inne verkuppelt

hatten, kann ich mich nicht entsinnen. F ür die wenigen Fälle, die praktisch vorkommen werden, genügte meines Erachtens die von den Sachbearbeitern vor­ geschlagene Lösung mit der Ausweitung des Herrn Ministerialdirektors Schäfer. Senatspräsident Profeffor Dr. Klee: Die Milderungsvorschrist setzt doch voraus, daß in den genannten minder schweren Fällen überhaupt eine Kuppelei, eine Förderung von Unzucht vorliegt. D as entspricht doch gar nicht unserm Empfinden, hier eine Förderung von Unzucht anzunehmen. Daher wäre hier eine Regelung am Platze, die für die einfihlägigen Fälle klarstellt, daß „Unzucht" nicht vorliegt. Staatssekretär Dr. Freister: D as macht aber wiederum Schwierigkeiten. W ir wollten es gerade nicht in das Gesetz hineinschreiben, sondern höchstens in die Begründung, daß hier keine Unzucht vorliegen soll. Gegen den Vorschlag von Herrn Ministerialdirek­ tor Schäfer erheben sich keine Bedenken (Zustim­ mung); er ist daher angenommen. I n dem Vorschlag von Herrn Professor Mezger sind aber noch andere Punkte enthalten, z. B. bezüglich des Ausbaues der Vorschriften. Hat sich dieser Vorschlag erledigt? Proseffor Dr. Mezger: Ich würde die von mir vorgeschlagene Trennung doch für zweckmäßig halten. Staatssekretär Dr. Freisler: Dann wollen wir diese Frage der Unterkommiffion überlaffen! W ir kommen nun zu den einzelnen Fragen, deren Behandlung noch aussteht. Zunächst zu § 93 Abs. 4: S oll das Absteigequartier der Wohnung gleichgestellt werden? Oberstaatsanwalt D r. Reimer: Ich möchte mich dagegen aussprechen. Von den zahlreichen Argumenten, die ich dafür anführen könnte, daß man „die Unterkunft" der Wohnung nicht gleichstellen darf, möchte ich nur auf die Absteigequar­ tiere hinweisen, die der Förderung des homosexuellen Verkehrs dienen. Hier muß doch unbedingt die Mög­ lichkeit eines strafrechtlichen Eingreifens gegeben sein. Senatspräsident Profeffor Dr. Klee: Dieser Einwand ist zwar berechtigt. Andererseits treffen aber auch die Gründe von Herrn Landgerichts­ präsident Lorenz für die Gleichstellung zu. Gerade die anständigeren Elemente unter den Dirnen vermeiden es, die Unzucht in ihrer eigenen Wohnung zu treiben. Deshalb sollte man das Absteigequartier der Wohnung gleichstellen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich halte das mit Rücksicht auf die scheußlichen Erscheinungen in der Großstadt doch für etwas be­

denklich. Der Gedanke des § 93 Abs. 4 ist doch der, daß die Prostituierten irgendwo wohnen müssen. Die Form des Absteigequartiers ist jedoch so scheußlich, daß wir hier keine Ausnahme zulaffen sollten. Ich gebe allerdings zu, daß es auch hier Formen geben mag, die sich dem Gewähren von Wohnung schon annähern. Senatspräsident Profeffor Dr. Klee: Vielleicht kann man den Begriff der Wohnung der Auslegung der P raxis überlaffen. Staatssekretär Dr. Freisler: Sie stimmen dem wohl zu, Herr Oberstaatsanwalt Reimer, so daß der Vorschlag als zurückgezogen gelten kann? (Herr Oberstaatsanwalt D r. Reimer stimmt zu.) W ir kommen dann zu § 94. E s besteht Einigkeit darüber, daß die Ehrloserklärung wegfällt. § 94 ist daher mit dieser Maßgabe angenommen. § 95 ist in der bisherigen Faffung angenommen. Zu §§ 96 und 97 sind Vorschläge nicht gemacht worden. I n § 97 sind nur die Worte „eine der ge­ werbsmäßigen Unzucht ergebene F rau" sprachlich als unschön zu beanstanden. W ir können die sprachliche Änderung jedoch der Unterkommission überlaffen. Dem weiteren Wunsch von Herrn Proseffor Mezger, dem ganzen Titel eine äußere Einteilung zu geben, können wir ebenfalls der Unterkommission überlaffen. Ministerialdirektor Schäfer: W ir haben uns bei der Sicherungsverwahrung vorbehalten, aus die Frage zurückzukommen, ob nicht bei einzelnen Sittlichkeitsdelikten schon die einmalige Begehung zur Anordnung der Sicherungsverwahrung ausreichen soll. Wenn wir diesem Gedanken nach­ gehen, dann müßte hier irgendeine Ergänzung ge­ schaffen werden. Die Bestimmung könnte etwa so lauten: „Neben der Verurteilung wegen einer in den §§ 70 bis 73, 78 Abs. 1 und 87 mit Strafe bedrohten Handlungen kann das Gericht die Sicherungsver­ wahrung anordnen, wenn die T at die Folge einer geistigen Entartung des Täters ist und nach der Persönlichkeit des Täters eine Wiederholung gleich­ artiger Angriffe aus die Sittlichkeit zu befürchten ist." Die Unterkommiffion hat noch vorgeschlagen, auch den § 82 in diese Bestimmung aufzunehmen. Das dürfte aber wohl nicht angebracht sein, da in diesen Fällen die Entmannung nicht am Platze ist. Auch den Vorschlag der Unterkommiffion, den § 84 Abs. 1 mit hineinzunehmen, halte ich aus denselben Gründen für nicht vertretbar. Eine Sicherungsverwahrung hat in allen diesen Fällen keinen Sinn. Profeffor Dr. Kohlrausch: Ich halte den Gedanken von Herrn Ministerial­ direktor Schäfer für ausgezeichnet. Aber wir müßten uns die einzelnen Bestimmungen, die hier in Frage

kommen, noch sehr genau ansehen. Die Ziffern 1 und 2 des § 87 dürsten meines Erachtens nicht hierher gehören, wohl aber die Ziffer 3.

— D ann ist also der Vorschlag von Herrn Ministerial­ direktor Schäfer angenommen. Die Bestimmung wäre wohl an den Schluß des Titels zu stellen.

Staatssekretär Dr. Freisler: Diese Bedenken werden doch wohl schon dadurch ausgeräumt, daß der Vorschlag von Herrn Ministe­ rialdirektor Schäfer nur eine „Kann"-Vorschrift vorsieht.

Professor Dr. Schafsfteiu: Z ur Vermeidung von Mißverständnissen würde ich noch die Worte einfügen: „auch wenn die Vor­ aussetzungen der Sicherungsverwahrung nicht vor­ liegen". M an könnte sonst auf den Gedanken kommen, daß hier eine abschließende Regelung vorliegt.

Professor D r. Kohlrausch: Meines Erachtens besteht ein Bedürfnis für die Zulassung der Sicherungsverwahrung nur bei § 87 Nr. 3. Nach dem Vorschlag von Herrn Ministerial­ direktor Schäfer würde aber eine darüber hinaus­ gehende Möglichkeit gegeben sein. Staatssekretär Dr. Freisler: Die Verantwortung für die Anordnung der Siche­ rungsverwahrung trägt dann aber das Gericht. Wir können ihm diese Verantwortung nicht abnehmen. Professor D r. Kohlrausch: Ich würde die vorgeschlagene Ausdehnung tun­ lichst auf die perverse Veranlagung abstellen. Staatssekretär Dr. Freisler: S ie wollen das aber doch nicht als Protest gegen den Vorschlag des Herrn Ministerialdirektor Schäfer ausgefaßt wissen? (Professor Dr. Kohlrausch verneint.)

Staatssekretär D r. Freisler: Diesen Zweifel können wir aber auch in der Be » gründung ausschließen. Ministerialdirigent D r. Schäfer: Meines Erachtens ist das alles schon in der allge­ meinen Vorschrift über die Sicherungsverwahrung in der Fassung der 2. Lesung berücksichtigt, so daß sich hier ein nochmaliger Hinweis erübrigt. Staatssekretär Dr. Freisler: Dann ist damit dieser Titel erledigt. Bezüglich der «Überschrift sind wir darauf abgekommen, daß sie etwa heißen muß: „Angriffe auf die Sittlichkeit" oder „Angriffe auf die geschlechtliche Sittlichkeit". Darüber kann sich dann die Unterkommiffion noch unterhalten. Zu dieser bitte ich die Herren Berichterstatter, Herrn Ministerialdirigent Schäfer und Herrn Oberlandes­ gerichtsrat Schäfer.

(Schluß der Sitzung um 19 Uhr 45 Minuten.)

Skrafrechlskommission

Auflehnung gegen die Staatsgewalt Staatssekretär Dr. F r e is te r ..........................14, 15, 16, 17, 18 Berichterstatter Landgerichtsdirektor L eim er...........14, 15, 16 Berichterstatter Senatspräsident Professor Dr. Klee 15 ,1 6 ,1 7 Professor Dr. Mezger............................................................ 15, 17 Professor Dr. Dahm ...................................................... 15, 16, 17 Reichsgerichtsrat Niethammer..............................................16, 17 Ministerialdirektor Schäfer........................................... 16, 17, 18 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 16,18 Professor Dr. N agler..................................................................... 17 Ministerialrat Rietzsch................................................................... 17 Senatspräsident G r a u .......................................................... 17, 18 Oberstaatsanwalt Dr. R eim er.................................................... 17

79. Sitzung Staatssekretär Dr. Freister eröffnet die Sitzung um 9 Uhr 10 Minuten.

27. Juni 1935 (Hahnenklee)

Staatssekretär Dr. Freister: Meine Herren, wir haben uns vorgenommen, mit

Zweite Lesung den

Inhalt

„Angriffen auf Ehe und Familie"

Angriffe auf Ehe und Familie Staatssekretär Dr. Freister............................1, 3, 4, 5, 6, 7, 8 Berichterstatter Vizepräsident d. Reichsgerichts Dr. Thterack 1, 3, 5, 8 Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch................... 2, 3, 4, 8 Reichsgerichtsrat Niethammer............................................. 3, 6, 8 Ministerialdirektor Schäfer.......................................3, 4, 6, 7, 8 Landgerichtspräsident Dr. Lorenz.............................................4, 5 Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer.................................... 4, 5, 6 Professor Dr. Henkel.................................................................... 5, 6 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrot Dr. Schäfer 5, 7 Senatspräsident Professor Dr. Klee........................................ 5, 7 Professor Dr. D ahm .................................................................... 6, 7 Professor Dr. M ezger......................................................................6 Professor Dr. Nagler........................................................................7 Senatspräsident G rau..................................................................... 8

Angriffe auf die politische Führung Staatssekretär Dr. Freister....................... Berichterstatter Professor Dr. Schafftet« Professor Dr. Nagler.................................. Professor Dr. Dahm.................................... Ministerialdirektor Schäfer........................ Senatspräsident G rau................................ Oberregterungsrat Dr. von Dohnanyi. .

8, 9, 10 . . . 8, 10 ...........9

......... 10 . . 10,

11

......... 10 ..........10

Störung der Beziehungen zum Ausland Staatssekretär Dr. Freister...........................................11, 12, 13 Berichterstatter Landgerichtspräsident Dr.Lorenz....................11 Berichterstatter Professor Dr. Schaffstein............................11, 12 Professor Dr. Nagler..................................................................... 12 Professor Dr. D ahm ................................................................ 12, 13 Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer.......................................12, 13 Ministerialdirigent Geheimer RegterungsratDr. Schäfer 12 Ministerialdirektor Schäfer...........................................................12 Professor Dr. Graf Gleispach.......................................................13

Bergehen bei Wahlen und Abstimmungen Staatssekretär Dr. Freister................................................. 13, 14 Berichterstatter Landgerichtspräsident Dr. L orenz.........13, 14 Berichterstatter Professor Dr. Schafftet«.......................... 13, 14 Professor Dr. Graf G leispach.................................................... 13 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 13,14 Oberregierungsrat Dr. von D ohnanyi......................................14 Ministerialdirektor Schäfer...........................................................14 Professor Dr. D a h m ...................................................................... 14

zu beginnen. W ir wollen das, was wir heute durch­ sprechen, unter allen Umständen bis morgen auch durch die Unterkommission erledigen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich werde in meinem Bericht über die Angriffe auf die Ehe und Familie gleichzeitig bei allen ein­ zelnen Vorschriften die Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Ministeriums berücksichtigen. Es ist zunächst eine Umstellung der einzelnen Tatbe­ stände des Abschnitts untereinander vorgeschlagen worden. § 67 über die Personenstandsverletzung soll an das Ende des Abschnitts gestellt werden, weil sonst durch dessen Gedanken die zusammengehörigen Vorschriften über die Verletzung der Unterhalts­ pflichten auseinandergerissen würden. Die Sachbe­ arbeiter schlagen ferner vor, den § 69 über das Bei­ seiteschaffen der Familienhabe unmittelbar hinter § 66 zu stellen. Die Reihenfolge der letzten Bestim­ mungen des Abschnitts wäre also folgende: § 66, § 69, § 68, § 67. Dagegen habe ich nichts zu erinnern; auch ich halte diese Umstellung für eine Verbefferung des Ausbaus. Ich komme nun zu den einzelnen Bestimmungen. § 60 betrifft die Schmähung von Ehe und M utter­ schaft. Von der Tagung in Oberhof her ist uns noch in Erinnerung, was mit dieser Vorschrift gewollt war. Der Tatbestand spricht von böswilliger Schmähung. Ich kann mir aber schwer vorstellen, daß ein Schmähen nicht böswillig geschieht. Meines Erachtens steckt die Böswilligkeit schon in dem Begriff der Schmähung. Ich schlage also vor, das „böswillig" an dieser Stelle zu streichen. Andererseits muß es m. E. vor dem Verächtlichmachen eingefügt werden. Ich halte es nämlich nicht für angängig, auch die uneheliche Mutterschaft in so weitgehender Form zu schützen, wie es der Entwurf tut. Herr Staatssekretär Freister hat damals ausgeführt, auch die uneheliche M utter müsse gegen Verächtlichmachung geschützt werden. Es handelt sich aber hier gar nicht um einen persönlichen

Strafschutz, sondern um den Schutz der Mutterschaft als solcher. Wir können unmöglich die Kritik an der unehelichen Mutterschaft mit Strafe bedrohen. Es sieht sonst so aus, als ob das etwas Erstrebenswertes sei. Der Tatbestand muß deshalb von böswilliger Verächtlichmachung sprechen. Ich komme zu § 61 über die Doppelehe. D as ist die einzige Bestimmung dieses Abschnitts, die uns Sorge macht. W ir alle wissen noch, was damals zur Aufnahme des Abs. 2 in den Entwurf geführt hat. W ir gingen davon aus, daß die Doppelehe nicht unter dem Gesichtspunkt des Treubruchs zu bestrafen sei, weil insofern schon der Gesichtspunkt des Ehebruchs zutreffe, sondern deshalb, weil die staatliche Eheord­ nung unter allen Umständen aufrechterhalten werden müsse. Es wurde damals gesagt, daß die Doppelehe kein Zustands-, sondern ein Dauerdelikt sei, und daß deshalb auch derjenige bestraft werden muffe, der zwar gutgläubig eine Doppelehe eingegangen sei, der jedoch nicht die notwendigen Schritte unternehme, wenn er den wahren Sachverhalt erfahren habe. Es wurde ferner angeführt, daß das Nichtbestehen einer Doppelehe Grundlage unserer Kultur sei. D as ist sicher richtig, keineswegs aber ein In d iz dafür, daß die Doppelehe ein Dauerdelikt ist. Die Sachbearbeiter des Ministeriums und das Reichsgericht haben über­ einstimmend vorgeschlagen, den Abs. 2 zu beseitigen; ich schließe mich diesem Vorschlag an. Praktisch können doch nur folgende Fälle vorkommen. Der erste Fall ist der, daß der erste M ann als Kriegs­ gefangener in Sibirien verschollen ist, daß seine Frau mit seinem Tode rechnet und eine neue Ehe eingeht, ohne die Todeserklärung abzuwarten, und daß der erste M ann dann zurückkommt. Der zweite Fall scheint mir der zu sein, daß ein deutsches Mädchen einen verheirateten Ausländer heiratet. W ir müssen doch bei diesen Fällen darauf Rücksicht nehmen, daß der Betreffende die Doppelehe mit allem sittlichen Ernst eingeht, und daß von der in Abs. 1 vorausge­ setzten Verwerflichkeit gar keine Rede sein kann. Man will also mit einer Strafdrohung den Gutgläubigen zwingen, Schritte zu unternehmen, um die mit allem sittlichen Ernst eingegangene Doppelehe zu vernichten. D as hieße zu dem tragischen Geschick auch noch eine Schuld bürden. W ir würden hier in die persönliche Sphäre in einer Weise eingreifen, die nicht tragbar ist. Vielleicht ist die erste Ehe innerlich völlig gelöst, vielleicht verdient die neue Ehe ethisch bei weitem den Vorzug, und vielleicht sind gerade aus der neuen Ehe Kinder vorhanden. Die Staatsanwaltschaft mag von sich aus die Nichtigkeit herbeiführen, eine S tra f­ drohung muß ich ablehnen. Die Sachbearbeiter des Ministeriums haben dann noch auf einen mehr for­ malen Grund hingewiesen. S ie sagen, daß die unter Abs. 2 zu bringenden Fälle nur ganz selten seien, weilnach deutschem Recht stets die Auflösung der alten Ehe nachgewiesen werden müsse. Auch dem pflichte ich nur insofern bei, als die Tatsache der früheren Ehe dem Standesbeamten bekannt ist. Es wäre immer noch richtiger, auch die fahrlässige Eingehung einer Doppelehe zu bestrafen, ich lehne aber auch das ab.

Wenn nun Abs. 2 wegfällt, dann muß auch Abs. 3 gestrichen werden, wie die Sachbearbeiter des Ministeriums hervorgehoben haben. Da nämlich die Doppelehe in Abs. 1 zuchthauswürdig ist, kommt nach unseren Beschlüssen das Stadium der Verfolgungs­ unmöglichkeit gar nicht in Betracht. Zu § 62 (Ehebetrug) haben die Sachbearbeiter vorgeschlagen, das Merkmal „arglistig" auch in Abs. 2 einzufügen. Ich möchte mich dagegen aussprechen. Abs. 1 trifft denjenigen, der eine Tatsache arglistig verschweigt, welche die Ehe nichtig oder anfechtbar macht, während Abs. 2 verlangt, daß durch Täuschung zur Eheschließung bestimmt wird. I n diesem Be­ stimmen liegt aber schon ein solcher Unrechtsgehalt, daß es gerechtfertigt ist, das Merkmal der Arglist in Abs. 2 wegzulassen. M it § 63 des Entwurfs bin ich einverstanden. Bezüglich des § 64 waren wir darüber einig, daß auch der Unverheiratete Ehebruch begehen kann. Die Sachbearbeiter haben vorgeschlagen, die Absätze 2 und 3 umzustellen, da Absatz 3 eine Kannmilderung ent­ halte, also materiellrechtlichen Charakter trage, während Abs. 2 die Voraussetzung der Strafverfol­ gung regele. Ich halte diese Begründung für zu­ treffend und stimme daher dem Vorschlag zu. Es ist sodann in erster Lesung wiederholt verlangt worden, den Ehebruch ohne Rücksicht auf das Verlangen des verletzten Ehegatten zu verfolgen. M an hat damals zur Begründung angeführt, daß der Ehegatte, meint er die Scheidung verlangt, dadurch zu erkennen gebe, daß er auch die strafrechtliche Ahndung des Ehebruchs wolle. Ich habe mich schon damals gegen diese Be­ gründung ausgesprochen Sie ist unrichtig. Der beste Gegenbeweis ist die Praxis; nur in ganz seltenen Fällen wird Strafantrag gestellt. Zu § 65 (Muntbruch) habe ich keine Vorschläge zu machen. Die Sachbearbeiter wollen den S tra f­ rahmen verändert haben, ich sehe aber keinen Grund dafür. Bei § 66 (Verletzung der Unterhaltspflicht) wollen die Sachbearbeiter Bestrafung nur bei vollendeter T at eintreten lassen. Dieser Vorschlag ist aus Gründen der Beweiserleichterung zu begrüßen. I n § 69 über das Beiseiteschaffen der Familien­ habe ist es nach dem Vorschlag der Sachbearbeiter richtiger, lediglich zu sagen, wer böswillig Familien­ habe veräußert, also das „die" vor Familienhabe wegzulassen, damit auch schon die Veräußerung ein­ zelner lebensnotwendiger Stücke der Familienhabe bestraft werden kann. D as ist alles, was ich zu diesem Abschnitt zu sagen habe. Professor Dr. Kohlrausch: Dem meisten von dem, was Herr Präsident Thierack ausgeführt hat, stimme ich zu. Ich halte zunächst ebenfalls die von den Sachbearbeitern des Ministeriums vorgeschlagene Umstellung innerhalb des Abschnitts und die verbesserte Fassung des T a t­ bestandes des § 60 für richtig.

jemand auf den Gedanken kommen könnte, es könne nur eine Ehefrau sein.

Eine Stellungnahme zu § 61 in der Fassung des Entwurfs ist nicht leicht, da die Fälle ethisch nicht einheitlich liegen. M an steht innerlich manchmal auf Seiten der ersten Ehe, manchmal auf Seiten der zweiten. Schon deshalb scheint mir eine allgemeine Strafdrohung nicht richtig zu sein, die jeden, der gut­ gläubig eine Doppelehe eingegangen ist, zwingt, nach Kenntniserlangung die erforderlichen Schritte zur Auslösung der zweiten Ehe zu tun. Darauf, ob im § 62 Abs. 2 das Merkmal arglistig eingefügt wird, scheint mir nicht viel anzukommen. I m geltenden Recht ist das „arglistig" enthalten. Die Weglassung im Entwurf ist offenbar deshalb erfolgt, weil man sich sagte, wenn der Täter mit positiven Täuschungshandlungen vorgeht, dann ist er immer arglistig und verdient immer Strafe. Nun sagt aber die herrschende Lehre zum geltenden Recht, daß zur Strafbarkeit eine Überlistung nicht genüge, daß der Vorsatz hinzukommen müsse, dem Ehepartner etwas Arges anzutun; Arglist im Sinne des Gesetzes sei nicht gegeben, wenn z. B. der Täter die Aufklärung über ein bestehendes Ehehindernis unterlasse, um den anderen nicht unglücklich zu machen. Diese Auslegung des geltenden Rechts mag richtig sein. M an muß hier mit einer Bestrafung vorsichtig sein. Ich stimme des­ halb dem Vorschlag der Sachbearbeiter zu. Zu § 63 habe ich nichts zu erwähnen. Zu § 64 (Ehebruch) kann ich dem Vorschlag der Sachbearbeiter nicht folgen. Es scheint mir unmög­ lich zu sein, hier Haftstrase anzudrohen. Es gibt hier nur ein entweder — oder. Entweder läßt man den Ehebruch überhaupt straffrei oder man straft ihn so, daß die Bestrafung nicht lächerlich wirkt. I h n in die kleine Kriminalität einzureihen, halte ich deshalb nicht für tragbar. Richtig erscheint mir die Umstellung der Absätze 2 und 3 zu sein. Auch zu § 65 (Muntbruch) wollen die Sachbe­ arbeiter eine etwas mildere Strafe einführen. F ü r diesen Fall stimme ich zu. Denn gerade hier gibt es Fälle, die sehr milde liegen, bei denen sogar eine Bestrafung unmöglich ist. Ich hatte bereits in erster Lesung die Stellungnahme der Jugendverbände ver­ lesen. Ich will das hier wiederholen, weil mir die in dieser Stellungnahme genannten Beispiele zwin­ gend erscheinen: Ein Minderjähriger befindet sich bei Pflegeeltern, die formell sorgeberechtigten Eltern nehmen das Kind aus rein eigensüchtigen Motiven weg, und die Pflegeeltern widersetzen sich; oder das Kind geschiedener Eltern ist auf Grund einer Ver­ einbarung bei dem schuldigen Teil in Pflege; dem anderen Teil paßt das plötzlich nicht mehr, er will sein Kind wiederhaben. Der schuldige Teil widersetzt sich. Die geringste Strafe würde hier dem sittlichen Empfinden zuwiderlaufen. M an sollte also nicht nur wahlweise Haft androhen, sondern auch gestatten, in besonders leichten Fällen von S trafe abzusehen. Zu § 69 stimme ich dem, was Herr Präsident Thierack ausgeführt hat, in vollem Umfange zu.

Ministerialdirektor Schäfer: Ich gehe davon aus, daß die Absätze 2 und 3 des § 61 gestrichen werden; ich möchte mich daher auf ein kurzes Wort zu den Strafrahm en und zu § 62 be­ schränken. Ob im § 62 Abs. 2 das Merkmal „arglistig" ein­ gefügt wird, ist keine sehr wichtige Frage; ich möchte aber für die Einfügung eintreten. Es mutet merk­ würdig an, daß dieses Merkmal nur im Absatz 1 auf­ tritt; man kann für diesen Unterschied keinen sachlichen Grund entdecken. Der sachliche S in n der ganzen Vorschrift ist, daß strafrechtlich nur vorgegangen werden soll, wenn der Täter in schlechter Gesinnung gehandelt hat. Es scheint mir also im Sinne des Willensstrasrechts zu liegen, wenn das Merkmal auch im Absatz 2 eingefügt wird. Die Abteilung hat für die drei Paragraphen 64, 65 und 69 einen milderen Strafrahmen vorgeschlagen. Ich ziehe meinerseits diese Anregung für den § 64 zurück. Beim Ehebruch kann nicht auf Geldstrafe er­ kannt werden, wie es heute oft geschieht. Bei den §§ 65 und 69 wird aber wohl von allen Seiten aner­ kannt, daß hier Hast oder Geldstrafe am Platz sein kann.

Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich würde im § 68 sagen „einer von ihm Ge­ schwängerten" und „Frau" fortlassen, weil sonst

Professor Dr. Kohlrausch: S oll nicht in den Fällen des § 65 auch von Strafe abgesehen werden können?

Staatssekretär Dr. Freisler: Nun ein kurzes Wort zu § 61. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß nicht das Schließen einer Doppelehe allein, sondern auch das Leben in einer Doppelehe verwerflich ist, und daß deshalb Abs. 1 im Entwurs falsch aufgebaut ist. W ir können aber Abs. 1 mit Rücksicht auf unsere Grundeinstellung, wo­ nach das Konkubinat nicht bestraft werden soll, nicht ändern. Ein tatsächliches Zusammenleben kann also durch § 61 doch nicht verhindert werden. Ich hatte damals Abs. 2 mit der Begründung vorgeschlagen, daß man von demjenigen, der in eine solche tragische Lage gekommen sei, verlangen müsse, in dem Sinne mit dieser Lage fertig zu werden, daß er alles daran setze, diese der staatlichen Eheordnung widersprechende Lage aus der Welt zu schassen. Ich bin jetzt aber auch der Meinung, daß dieses Hinübernehmen des Nichtsitt­ lichen in das Strafbare zu weit geht. Ich schlage also ebenfalls vor, die Absätze 2 und 3 des § 61 zu streichen. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich möchte auch für die Streichung der Absätze 2 und 3 des § 61 eintreten. Die Gründe dafür sind bereits erschöpfend vorgetragen. Was den Ehebetrug betrifft, so würde ich es für einen Vorzug halten, wenn in Absatz 2 das Merkmal der Arglist eingefügt würde. Der Hinweis in den Anregungen der Sach­ bearbeiter, daß andernfalls die Strafbarkeit nach Absatz 2 gegenüber Absatz 1 eine ungerechtfertigte Ausdehnung erführe, ist durchaus zutreffend.

Ministerialdirektor Schäfer: D as können wir auch prozessual erledigen. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Zu § 60 möchte ich bemerken: Böswillig ist in erster Lesung eingefügt worden, weil man sich sagte, es gibt Fälle, in denen das bloße Schmähen allein nicht strafbar sein kann; man dachte da z. B. an die Mutterschaft der sittenlosen Dirne. Ich möchte daher dabei bleiben. Zu § 62 (Ehebetrug) habe ich mich bei der ersten Lesung auch für die Einfügung von arglistig in Abs. 2 ausgesprochen: der Tatbestand würde zu weit werden, wenn man es wegließe. Zum Ehebruch möchte ich sagen, daß die Tat nt. E. nur auf Verlangen bestraft werden kann. Es gelangen jetzt praktisch nur ganz wenige Fälle des Ehebruchs zur Bestrafung, meist auf gewisse soziale und gesellschaftliche Kreise beschränkt. Wenn alle Fälle, die in den Eheprozessen bekannt werden, von Amts wegen verfolgt werden müßten, so würde das zu geradezu ungeheuerlichen Ergebnissen führen. Wer wegen Ehebruchs auf Scheidung klagt, will damit nicht ohne weiteres auch zum Ausdruck bringen, daß er den Ehebruch strafrechtlich verfolgt haben will. Man kann natürlich auch, wenn man Privatpersonen nicht ohne weiteres die Disposition über Strafverfahren zubilligen will, anordnen, daß die Strafverfahren wegen Ehebruchs von Amts wegen eingeleitet werden, daß sie aber nur nach Gehör oder mit Zustimmung der betroffenen Person durchgeführt werden dürfen. Staatssekretär Dr. Freister: W ir kommen dann zur Festlegung unserer Stellungnahme zu § 60, Schmähung von Ehe und Mutterschaft. Es ist ziemlich einhellige Meinung ge­ wesen, daß die Schmähung der Mutterschaft an sich bestraft werden soll, so daß das Wort „böswillig" an dieser Stelle wegfällt; lediglich Herr Lorenz hat sich aus den entgegengesetzten Standpunkt gestellt, und zwar mit Bezug aus die Mutterschaft der Dirne. Ich muß aber sagen, auch die Mutterschaft der Dirne darf man nicht schmähen. Es kommt mir sonst so vor, als ob man bei der Dirne alles sollte schmähen können. I m übrigen ist es wohl einhellige Meinung, daß das Wort „böswillig" beim Verächtlichmachen bleiben soll. Zu § 61, Doppelehe, haben wir beschlossen, Abs. 2 und 3 zu streichen. D ann haben wir noch die Anre­ gung von Herrn Nagler, den Abs. 1 so umzuwandeln, daß der Tatbestand Dauerdelikt wird. Vielleicht können wir diesen Punkt, über den noch nicht disku­ tiert worden ist, bis zum Schluß zurückstellen. Zu § 62, Ehebetrug, ist die Meinung aller, daß mit der Täuschung eine arglistige gemeint sein soll. Der Herr Berichterstatter Präsident Thierack hat sich gegen die Notwendigkeit des Zusatzes „arglistig" nur gewandt, weil die Fassung auch ohne diesen Zusatz dasselbe bedeute. Alle anderen Herren halten es für wünschenswert, daß „arglistig" hinzugesetzt wird. M it dieser Maßgabe ist der Paragraph deshalb angenommen.

Zu § 63 ist von keiner Seite etwas erinnert worden. Zu H 64 ist einhellige Meinung, daß der Abs. 3 vorangesetzt werden muß; zurückgezogen ist der An­ trag auf.M inderung der Strafdrohung. Zur Frage des Verlangens möchte ich dieselbe Anmerkung machen, die wir auch schon gestern, wo es sich um das Verlangen gehandelt hat, gemacht haben. Professor Dr. Kohlrausch: Eine Frage zu § 64: Haft soll nicht genommen werden, soll Gefängnis bis zu zwei Jahren oder schlechthin Gefängnis gesagt werden? Ministerialdirektor Schäfer: Den Strafrahm en Gefängnis bis zu zwei Jahren kennen wir nicht. Zum Verlangen möchte ich noch bemerken, daß das einer der Fälle ist, in dem nicht über den Willen des Betroffenen hinweggegangen werden kann. Staatssekretär Dr. Freisler: Dann sehe ich vor, daß wir über die Frage des Verlangens beim Ehebruch nachher auch noch disku­ tieren. Zu § 65, Muntbruch, liegt der Antrag vor, den Strafrahmen nach unten auszuweiten. Einmal wird vorgeschlagen, Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft anzudrohen, zum anderen in besonders leichten Fällen von S trafe abzusehen. Ich selbst erinnere mich aus meiner kurzen Richterpraxis, daß ich einen solchen Fall mit 3 Mark bestraft habe. M ir würde es ange­ nehm sein, zu Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft herunterzukommen und außerdem die besonders leichten Fälle zu erwähnen. Professor Dr. Kohlrausch: Die Herren Sachbearbeiter haben „entzieht oder vorenthält" vorgeschlagen. Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Es soll nur eine Klarstellung sein. Ministerialdirektor Schäfer: „Entziehen" ist in dem Sinne gemeint, daß auch zeitweiliges Entziehen genügt. Staatssekretär Dr. Freisler: Also sagen wir „entzieht oder vorenthält". Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: I n § 65 Abs. 2 ist von den Sachbearbeitern als Strafrahm en vorgeschlagen: Zuchthaus oder Gefäng­ nis nicht unter 6 Monaten; ursprünglich war nur Zuchthaus vorgesehen. Staatssekretär Dr. Freisler: Bezüglich des Strafrahm ens haben wir beschlossen, in Abs. 1 Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft, in Abs. 2 Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten aufzunehmen.

Zu § 66, Verletzung der Unterhaltspflicht, ist vor­ geschlagen, den Tatbestand zum Ersolgsdelikt zu machen. Professor Dr. Henkel: Ich halte den Zusatz der Sachbearbeiter „Be­ strafung tritt nur bei vollendeter T at ein" für durch­ aus entbehrlich. M an kann sich zwar theoretisch Falle des Versuchs vorstellen, diese Konstruktion hängt aber völlig in der Lust. Um den subjektiven Tatbestand des § 66 des Entwurfs feststellen zu können, mästen doch immer bestimmte Voraussetzungen nachgewiesen werden. Der Unterhaltspflichtige muß etwa gemahnt sein, es muß eine gewisse Zeit verstrichen sein, während deren er nicht gezahlt hat usw. Ich habe zwei Jahre lang derartige Fälle in der Ubertretungsabteilung eines Amtsgerichts abgeurteilt. Ich kann mich nicht entsinnen, hier jemals auf Fälle gestoßen zu sein, in denen nach der Fassung des § 66 des Entwurfs eine Versuchsbestrasung in Frage gekommen wäre. Staatssekretär Dr. Freisler: D er Vorschlag wird eben zurückgezogen. Dann glaube ich, daß die Einschränkung auf den notwen­ digen Lebensbedarf nicht am Platze ist. Wenn ein reicher M ann sich seiner Unterhaltspflicht entzieht, aber gerade den notwendigen Unterhalt bestreitet, warum soll er dann nicht bestraft werden? Deshalb sollten wir es statt auf den notwendigen auf den gesetzlichen Unterhalt abstellen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Bei dem reichen M ann bietet doch die Möglichkeit der Pfändung eine ausreichende Handhabe. Hier handelt es sich um eine Angelegenheit des Zivilrechts.

der Unterhaltspflichtige nicht zahlt, weil nämlich der Unterhalt durch eigene M ittel gesichert ist. M ir schwebt dabei ein bestimmter F all vor: Eine F rau hatte gegen ihren M ann, einen Millionär, auf Scheidung geklagt. Dieser hatte laut einstweiliger Verfügung 700 Mark monatlich an seine Frau zu zahlen. E r zahlte aber gerade 200 Mark. Der not­ wendige Lebensunterhalt war also sicherlich gedeckt; vielleicht hatte die F rau sogar noch eigene Einnahmen. Meines Erachtens muß aber auch in solchen Fällen Bestrafung eintreten; denn es ist nicht richtig, nur daraus abzustellen, ob Hilfe von anderer Seite erfor­ derlich und ob der notwendige Lebensunterhalt ge­ sichert ist. D as würde eine Kapitulation vor dem Reichen bedeuten, obwohl sein Unrecht mindestens ebenso groß ist; denn ihm fällt ja die Zahlung viel leichter. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Wenn wir dem folgen, so verschieben wir völlig die Idee der Bestimmung. Die Idee ist doch die, daß nicht durch die Pflichtverletzung des Unterhalts­ verpflichteten der S ta a t oder Dritte in die Lage kommen, helfen zu müssen. Herr Staatssekretär Freisler meinte, wir wollten hier den unsozialen Fall treffen. Das scheint mir nicht richtig zu sein; denn das würde bedeuten, die Vollstreckung eines Zivilurteils mit den Mitteln des Strafrechts zu erzwingen. D as müssen wir aber dann bei allen Zivilurteilen tun, und das wäre die Rückkehr zum Schuldturm. Der Vor­ schlag von Herrn Staatssekretär Freisler trägt also einen ganz anderen Rechtsgedanken in die Vorschrift. Professor Dr. Henkel:

Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Fassung des § 66 einer völligen Umarbeitung bedarf, wenn im Tatbestand nicht mehr von dem n o t w e n d i g e n Lebensbedarf gesprochen werden soll. Auf die Ge­ fährdung ohne öffentliche Hilfe oder die Hilfe anderer kann dann die Strafbarkeit nicht mehr abgestellt werden. Denn eine öffentliche Hilfe gibt es im allge­ meinen nicht über den notwendigen Lebensbedarf Hinaus.

Ich sehe den Grundgedanken der Vorschrift ganz anders als Herr Präsident Thierack. Nicht entschei­ dend ist der Gesichtspunkt, daß der S ta a t oder ein D ritter helfend einspringen muß. W ir wollen viel­ mehr die gröbliche Verletzung einer besonders wich­ tigen samilienrechtlichen Verpflichtung unter Strafe stellen. Es handelt sich in erster Linie darum, die­ jenigen zu fassen, die eine vollstreckbar festgestellte (Urteil, Vergleich) Unterhaltspflicht zu erfüllen haben und sich der Erfüllung dieser Pflicht böswillig oder aus grobem Eigennutz entziehen. Darüber hinaus wird man in zweiter Linie auch diejenigen Fälle er­ fassen müssen, in denen eine gesetzliche Unterhalts­ pflicht besteht, aber noch nicht festgestellt ist. Für diese Ausnahmesälle — und nur für sie — kann man dann die Voraussetzung schaffen, daß der notwendige Le­ bensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet er­ scheint. Diese Voraussetzung allgemein zu machen, halte ich für verfehlt — warum soll für den Regelfall abgewartet werden, bis der Unterhaltsberechtigte in Not geraten ist? — , auch würde man damit für das Verfahren regelmäßig unnötige Beweisschwierigkeiten schaffen.

Staatssekretär Dr. Freisler: Diese Folge ist mir völlig klar. Es besteht die Möglichkeit, daß der notwendige Unterhalt gesichert und die öffentliche Hilfe nicht erforderlich ist, obwohl

Senatsprästdent Professor Dr. Klee: Ich wollte nur darauf Hinweisen, daß die Hand­ habung des Tatbestandes in der Praxis viel schwieri­ ger sein wird, wenn wir nicht auf den notwendigen

Staatssekretär Dr. Freisler: Warum soll man ihm gegenüber auf das S tra f­ recht verzichten? Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Der Gedanke ist doch hier: N ur wenn er dahin wirkt, daß die F rau der öffentlichen Armenpflege zur Last fällt, dann soll er bestraft werden. I n anderen Fällen wollen wir nicht die Erfüllung des Urteils unter Strassanktion stellen; es genügt doch, wenn der Unterhaltsberechtigte aus dem Urteil vollstreckt.

Lebensbedarf abstellen. Die Änderungsvorschläge würden sehr schwierige Feststellungen zur Folge haben, insbesondere würden zivilrechtliche Fragen in weit­ gehendem Umfang in das Strafrecht hineingetragen. Aus diesem praktischen Gesichtspunkt halte ich die Re­ gelung des Entwurfs für besser. Professor Dr. Dahm: Natürlich liegt hier eine Verschiebung des Grund­ gedankens vor. D as ist aber kein Einwand. E s ist wirklich zu erwägen, ob wir nicht allgemein denjenigen unter Strafe stellen sollten, der sich böswillig einer Unterhaltspflicht entzieht. Ich glaube, daß das volks­ tümlich wäre, und weiß nicht recht, ob die Bestimmun­ gen über die Vollstreckungsvereitelung genügen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich habe an sich volles Verständnis für den Vor­ schlag des Herrn Staatssekretär Freister. Der praktische Gesichtspunkt, den Herr Senatspräsident Klee hervorgehoben hat, scheint mir aber doch entscheidend gegen diesen Vorschlag zu sprechen. Die Staatsanwaltschaft muß doch einen klaren Ausgangs­ punkt haben, wenn sie wegen Verletzung von Unter­ haltspflicht vorgehen soll. Nach welchem Maßstab soll die Staatsanwaltschaft die Entscheidung treffen? Was ist der angemessene Lebensbedarf? W ir dürfen nicht zulassen, daß die Ehefrauen ihre Zivilprozesse auf dem Rücken des Staates austragen. M ir scheint das Be­ dürfnis, die Zahlung des Unterhalts, soweit er über das Lebensnotwendige hinausgeht, zu erzwingen, nicht so groß zu sein, daß wir hier mit einer Strafsanktion eingreifen müßten. Professor Dr. Mezger: Ich würde auch diese Fälle in das Gebiet des Vollstreckungsschuhes verweisen. E s führt ins Ufer­ lose, wenn man zivilrechtliche Verpflichtungen in dieser Weise strafrechtlich schützt. Professor Dr. Henkel: Praktisch liegen die Dinge doch fast immer so, daß ein Titel vorhanden ist, und es handelt sich nachher um die Frage, ob sich der Betreffende den hier fest­ gesetzten Verpflichtungen böswillig oder aus grobem Eigennutz entzieht. M ir erscheint folgende Fassung geeignet: „Wer sich böswillig oder aus grobem Eigen­ nutz einer vollstreckbar f e st g e st e l l t e n gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Hast bestraft. Ebenso wird bestraft, wer sich böswillig oder aus grobem Eigen­ nutz in anderen Fällen — gemeint ist: in denen keine Festsetzung durch Urteil oder Vergleich erfolgt ist — einer gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht, so daß die Deckung des notwendigen Lebensbedarfes des Unter­ haltsberechtigten ohne öffentliche Hilfe oder die Hilfe anderer gefährdet ist." — Damit wäre das Verhältnis von Regelfall und Ausnahmefall angemessener berück­ sichtigt. Staatssekretär D r. Freisler: Wie ich höre, ist Herr Präsident Thierack auch da­ mit einverstanden, es scheint mir auch richtig zu sein.

Ich möchte auch nicht, daß die F rau das Strafgesetz benutzt, um unter diesem Druck eine höhere Rente zu bekommen. Es scheint mir richtig zu sein, daß die Unterhaltspflicht, die über das Notwendige hinaus­ geht, vollstreckbar festgestellt sein muß. Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Gegen die vorgeschlagene Erweiterung spricht auch entscheidend, daß nach bürgerlichem Recht die gesetz­ liche Unterhaltspflicht nicht davon abhängig ist, daß der andere des Unterhalts bedarf. Ich vermag aber nicht einzusehen, welches Interesse der Strafgesetz­ geber daran haben sollte, dem Unterhaltsberechtigten die Vollstreckung auch dann abzunehmen, wenn er gar nicht unterhaltsbedürftig ist. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich halte die Fragestellung, ob der Unterhalts­ berechtigte nach seinen Vermögensverhältnissen des Schutzes bedarf, nicht für richtig. Ich sehe nicht ein, warum der Unterhaltspflichtige nicht auch dann be­ straft werden soll, wenn er nur den notwendigen Le­ bensunterhalt gewährt, obwohl er zu mehr verpflichtet ist, zumal nach dem Tatbestand Böswilligkeit oder grober Eigennutz gefordert wird. Wenn wir dann noch die Einschränkung „richterlich festgestellte Unter­ haltspflicht" machen, dann scheint mir mein Vorschlag durchaus praktikabel zu sein. Ich stelle fest, daß damit auch die Abteilung ein­ verstanden ist. Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Böswilligkeit liegt doch wohl schon vor, wenn er absichtlich nichts tut, weil er sich sagt, sie hat genug zum Leben. Staatssekretär Dr. Freisler: D ann sehe ich aber nicht ein, warum das nicht ebenso betrachtet wird, als wenn die F rau nicht den notwendigen Unterhalt hat. Jetzt kommt der jetzige § 69. Ich nehme an, daß wir ihn hinter § 66 setzen. Zu § 69 ist allseitig vor­ geschlagen, „die" vor „Familienhabe" zu streichen. Die Zurücksetzung des Strafrahmens, die von den Sachbearbeitern vorgeschlagen worden ist, hat allseitig Zustimmung gefunden. Ich selbst habe den Gedanken, daß die Einschrän­ kung auf die n o t d ü r s t i g e Lebensführung zu weit geht, daß man auch hier von der n o t w e n d i g e n Lebensführung sprechen sollte. Einen der beiden Wege muß man gehen. M an muß entweder die Gefährdung erweitern oder „notwendig" sagen. Zu dem jetzigen § 68 ist vorgeschlagen worden, „die geschwängerte F rau " in „die Geschwängerte" um­ zuwandeln. W ir haben jetzt noch über den Antrag Nagler auf Umgestaltung der Doppelehe zum Dauerdelikt zu dis­ kutieren. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich habe mich bisher zu dieser Frage nicht ge­ meldet, weil ich annahm, daß die Erweiterung des

§ 61 Abs. 1 jetzt allgemein abgelehnt werde. Ich bitte dringend, der Anregung des Herrn Professor Nagler nicht zu folgen. D as bisher geltende Recht hat sich durchaus bewahrt. Die Tragweite einer Aus­ dehnung läßt sich gar nicht ganz übersehen. Recht­ sprechung und Rechtslehre sind bisher darüber einig gewesen, daß die Doppelehe kein Dauerverbrechen ist; aus dieser Auffassung haben sich irgendwelche Un­ stimmigkeiten nicht ergeben. Es ist nach meiner Über­ zeugung nicht einzusehen, warum wir von einem be­ währten Rechtszustand abgehen sollen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich sehe wirklich kein Bedürfnis zu einer Umge­ staltung, vor allem deshalb nicht, weil wir jetzt keine Verjährung mehr kennen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der Vorschlag von Herrn Professor Nagler geht von einem praktischen F all aus, der sich tatsächlich ereignet hat. W ir brauchen hier aber keine P önali­ sierung des Verharrens in der Bigamie, da ja schon die Schließung der Ehe, mag sie auch im Ausland erfolgt sein, strafbar macht. Professor Dr. Dahm: Es ist eine vernichtbare Doppelehe. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Jaw ohl. Sie ist nur formal gültig. D as deutsche Recht erkennt die in Abessinien geschlossene zweite Ehe nicht an. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der Betreffende wäre also schon wegen Ab­ schließung der Ehe strafbar, so daß die von Herrn Professor Nagler vorgeschlagene Erweiterung gar nicht nötig ist. Professor Dr. Nagler: Wenn man tatbestandsmäßig nur den Abschluß einer formell gültigen Ehe bei Fortdauer der ersten Ehe erfaßt, wird die Doppelehe zu stark formalisiert. S ie ist geschichtlich aus dem Ehebruch heraus ge­ wachsen, w ar also von Anfang an materiell bestimmt. Die Mißachtung der monogamischen Eheordnung ruht nicht bloß in der Eingehung der zweiten Ehe, sondern mehr noch in der Führung und Aufrechterhaltung der bewußt bigam geschlossenen Ehe. D as Leben in Bigamie ist das Materielle und das eigentlich An­ stößige, was das Volk unter Doppelehe begreift. Die Führung der zweiten Ehe erscheint ihm als die gröbste Form der Mißachtung der Eheordnung. Die Gleich­ stellung des bigamischen Zusammenlebens mit der sogenannten wilden Ehe geht fehl. Gegen das Kon­ kubinat kann die Polizei einschreiten. Staatssekretär D r. Freister: Ich würde gern hören, Herr Professor, wie S ie diese Meinung damit vereinbaren wollen, daß wir den T äter nicht bestrafen, der erst nach Abschluß der Ehe erkannt hat, daß er in Doppelehe lebt.

Professor Dr. Nagler: Die Fortsetzung einer als bigam erkannten Ehe ist eine besonders intensive, böswillige Mißachtung der Eheordnung. Der gutgläubig bleibende Eheteil bleibt außer der Strafhaftung. § 61 Abs. 2 des Entwurfs ist zu formal gefaßt. Staatssekretär Dr. Freisler: E r ist dann aber nicht mehr gutgläubig. Wenn Sie Ih re Anregung so zum Ausdruck bringen: „schließt oder fortsetzt", dann bringen S ie auch wieder den Ehegatten hinein, der gutgläubig die Ehe schließt. Professor Dr. Dahm: Hat der Täter gewußt, daß eine Doppelehe vor­ liegt, so ist § 61 Abs. 1 anwendbar. Eine solche Vor­ schrift hätte also nur für den Fall Bedeutung, daß jemand die zweite Ehe gutgläubig abgeschlossen hat. Dann sind wir aber wieder bei § 61 Abs. 2 des E nt­ wurfs erster Lesung. Professor Dr. Nagler: Es kann sein, daß jemand (ein Deutscher oder Ausländer) im Ausland die Ehe zulässigerweise abge­ schlossen hat und nun ins In la n d kommt und hier die Ehe fortsetzt. W ir könnten gegen diese Eheführung nicht angehen. Professor Dr. Dahm: Der Deutsche steht doch unter dem Personal­ prinzip. E r wird also auch dann bestraft, wenn er in Frankreich eine Doppelehe eingeht. Den Ausländer kann man aber ausweisen. Also wozu eine solche Bestimmung? Staatssekretär Dr. Freisler: Es scheint mir die allgemeine Meinung zu sein, daß wir den § 61 so lassen. Dann wollen wir uns noch über die Frage des Verlangens beim Ehebruch unterhalten. Ich würde vorschlagen, daß wir nun nicht die Frage der An­ tragsdelikte im ganzen behandeln, sondern lediglich die Frage, ob wir grundsätzlich nicht möchten, daß beim Ehebruch gegen den Willen des Betroffenen ver­ folgt wird. Darüber waren wir uns meines Erachtens schon in 1. Lesung klar, daß gerade der Ehebruch einer der Fälle ist, bei denen der Wunsch des Be­ troffenen besonders schwer wiegt. W ir waren damals daraus abgekommen, daß von einem Privaten nicht entschieden werden kann, ob eine T at bestraft werden muß. Aber für den S ta a t kann in bestimmten Fällen die Meinungsäußerung eines Privaten von außer­ ordentlicher Bedeutung sein. F ü r den Ehebruch und ähnliche Fälle sollte deshalb in der Prozeßordnung gesagt werden, daß der Betroffene zu hören ist. D ann wollten wir eine Allgemeine Verfügung erlassen, wo­ nach die Staatsanwaltschaft die Äußerung des Ver­ letzten schwerwiegend zu berücksichtigen hat, und wollten besonders für den Ehebruch vorschreiben, daß der Staatsanw alt dem Minister zu berichten hat, wenn er entgegen dem oder ohne den Wunsch des Ver­ letzten verfolgen will.

Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: D as ist sehr schwerfällig und geschieht bloß, um den A ntrag zu vermeiden. Staatssekretär D r. Freisler: D as ist aber ganz grundsätzlich. M in isteria ld ire kto r Schäfer: E s genügt hier die Feststellung, daß es einer der Katalogsälle sein soll. Staatssekretär D r. Freisler: Durch diese Anmerkung wäre der Anlaß zur De­ batte beseitigt.

Professor D r. Kohlrausch: D as ist nicht ganz richtig. D ie Einweisung ins Arbeitshaus erfolgt nicht, wenn die öffentliche Sicher­ heit es erfordert, sondern wenn es notwendig ist, den T ä te r an ein geordnetes Leben zu gewöhnen. Staatssekretär D r. Freisler: D a n n g ilt dasselbe. Es w ird eben in den meisten F ällen nicht notwendig sein, gegen jemand, der seiner richterlich festgestellten Unterhaltspflicht nicht nach­ kommt, m it dem Arbeitshaus vorzugehen. D a m it ist dieser Abschnitt erledigt. W ir kämen jetzt zu den Angriffen auf die politische Führung. Professor D r. Schasfftein:

Senatsprästdent Grau: W ir waren darauf abgekommen, daß es in einer Reihe von Fällen, zu denen auch der Ehebruch gehört, erwünscht ist, in der Strafprozeßordnung festzulegen, daß eine S trafverfolgung entgegen dem Wunsche des Betroffenen n u r möglich ist, wenn ein ganz besonderes staatliches Interesse an ih r besteht. Staatssekretär D r. Freisler: E s w ird vorgeschlagen, die Frage des Verlangens dem H errn M in ister als Thema fü r die nächste Tagung vorzuschlagen. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ic h möchte n u r noch zu § 66 etwas zu bedenken geben. S o v ie l ich mich entsinne, soll jetzt § 66 darauf abgestellt werden, ob der T äte r der urteilsm äßig fest­ gestellten Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Staatssekretär D r. Freisler: Nicht ganz so. Es soll darauf abgestellt werden, ob der notwendige o d e r der richterlich festgestellte U nterhalt nicht gezahlt w ird . Reichsgerichtsrat Niethammer: Jedenfalls soll auch bestraft werden, wer den richterlich festgestellten U nterhalt nicht zahlt. Nun haben w ir aber fü r die F älle des § 66 die Einweisung in s Arbeitshaus vorgesehen. Ich kann zwar die A us­ gestaltung des Arbeitshauses in den einzelnen Ländern nicht übersehen; in den Arbeitshäusern, die ich be­ sichtigt habe, waren aber n u r D irn e n und L and­ streicher und Leute, die den auf den Lebensbedarf be­ schränkten Unterhalt fü r ih r uneheliches K in d nicht leisteten. Wenn w ir jetzt die Erweiterung des § 66 vornehmen, dann kommen auch Personen in das Arbeitshaus, die in diesen Kreis nicht passen. Staatssekretär D r. Freisler: E s muß doch im m er im E inzelfall geprüft werden, ob die öffentliche Sicherheit die Einweisung in das Arbeitshaus erfordert. W enn das aber der F a ll ist, so würde mich auch die Tatsache nicht abschrecken, daß der Betreffende M illio n ä r ist.

E s handelt sich um den Abschnitt, der im E n tw u rf als A n g riffe auf die politische Führung bezeichnet ist. Zunächst erhebt sich die Frage, ob dieser Abschnitt überhaupt aufrechterhalten werden soll. Diese Frage kann aber erst entschieden werden, wenn die einzelnen Tatbestände durchgesprochen sind. M eines Erachtens ist der ganze Abschnitt überflüssig, w e il nicht mehr vie l übrigbleibt, wenn man versucht, die Tatbestände an den andern Stellen des E n tw u rfs einzuordnen. D ie §§ 107 und 108 sind bereits erledigt, sie werden in dem ersten Abschnitt des Gesetzbuchs „V o lksve rra t" eingeordnet, und zwar werden beide Tatbestände in der F o rm vereinigt, daß m it S tra fe bedroht w ird , wer einen Anschlag auf Leib, Leben oder F re ih e it des F ührers verübt oder vorbereitet. Z um I n h a lt des § 109 ist nichts zu bemerken. Es ist der einzige Tatbestand, der sich schwer anderswo unterbringen läßt; man könnte aber überlegen, ihn unter die A n g riffe auf V erw altung und Rechtspflege zu bringen, und zwar an erster Stelle dort. Z u § 110 wurde in erster Lesung die Frage des Wahrheitsbeweises erörtert. Ich halte die jetzige Regelung des E n tw u rfs fü r richtig. S o vie l ich mich erinnere, w ollte aber H err Reichsminister G ürtner den Wahrheitsbeweis unter allen Umständen zulassen. Ich weiß nicht, ob zu dieser Frage noch gesprochen werden soll. Staatssekretär D r. Freisler: D a s bezog sich n u r aus die Beleidigung der Reichs­ minister, nicht aus die des Führers. Professor D r. Schasfftein: Einen solchen Unterschied bezüglich des W a h r­ heitsbeweises zu machen, halte ich allerdings fü r sehr glücklich. Ic h würde deshalb auch weiterhin bei den Reichsministern von Beleidigung, Ehrabschneidung und Verleumdung sprechen und diesen Tatbestand zu­ sammen m it § 109 systematisch einordnen an der Stelle, die ich schon bezeichnet habe. Dagegen gehört die Führerbeschimpsung zur Beschimpfung des deut­ schen Volkes, w e il es sich hier im eigentlichen S in n e um A n g riffe gegen das Volk selbst handelt. W a h r­ heitsbeweis gibt es dort nicht. Wenn man bezüglich der Reichsminister bei dem Tatbestand genau an der

Fassung des Entwurfs festhalten, d. h. daraus ab­ stellen will, ob durch die Ehrverletzung des Ministers zugleich das Anseben von Volk oder Reich herabge­ würdigt wird, so bestünde auch die Möglichkeit, die Ministerbeleidigung ebenfalls unter die Angriffe auf die Ehre des Volkes zu bringen. Ich würde aber dann neben der Führerbeschimpfung einen besonderen Tatbestand der Ministerbeleidigung bilden. § 111 (Verletzung von Hoheitszeichen) ist hier m. E. völlig unrichtig eingestellt. Es handelt sich hier überhaupt nicht um einen Angriff aus die politische Führung. M an kann die Beschädigung der Hoheits­ zeichen zwanglos mit der Beschimpfung dieser Zeichen in § 38 mitregeln, zumal meistens die Beschädigung zugleich eine Beschimpfung sein wird. § 112 ist zu streichen, weil er überflüssig geworden ist. Der Reichstag bleibt zwar bestehen, er'h at aber keine wesentliche Bedeutung mehr. E s gibt heute viel wichtigere verfassungsmäßige Organe. Die Vorschrift ist also unpraktisch und zwecklos. Jedenfalls aber sollte man im § 112 bie Reichstagsausschüsse streichen; denn diese gibt es überhaupt nicht mehr. Staatssekretär Dr. Freisler: Die §§ 107 und 108 sind erledigt. Herr Professor Schaffstein hat vorgeschlagen, den ganzen Abschnitt „Angriffe auf die politische Führung" aufzulösen. Dieser Vorschlag ist vielleicht daraus entsprungen, daß wir den ersten Teil nicht mehr „Schutz der staatlichen Führung", sondern „Schutz der staatlichen Ordnung" nennen wollen. Es würde dann in der T at merk­ würdig klingen, wenn wir unter der Gesamtüberschrift „Schutz der staatlichen Ordnung" von Angriffen auf die politische Führung sprechen wollten. D as darf aber nicht dazu führen, ohne weiteres den Abschnitt aufzulösen; wir müssen vielmehr nach besseren Über­ schriften suchen. E s scheint mir unmöglich zu sein, die Gewalttätigkeiten gegen die Reichsregierung unter den Gesichtspunkt eines Angriffs auf die Verwaltung zu ersassen. Der § 109 ist andererseits nicht Bolksverrat, weil die dabei vorausgesetzte Einheit zwischen Volk und Führung nur bezüglich des Führers selbst besteht. Deshalb muß § 109 gerade an dieser Stelle stehen bleiben. D aran hätte sich anzuschließen der Teil des § 110, der von den Mitgliedern der Reichs­ regierung handelt, während der Teil, der vom Führer spricht, als Angriff aus die Ehre des deutschen Volkes einzuordnen ist. An dieser Stelle würden also die §§ 109 und 110 nebeneinander bestehen bleiben, der geschützte Personenkreis wäre in beiden Fällen der gleiche. Daß § 111 über die Verletzung von Hoheitszeichen bei den Angriffen auf die Ehre des deutschen Volkes eingestellt wird, halte ich für richtig. Zu tz 112 bin ich der Meinung, daß die Frage, ob dem Reichstag neben der Reichsregierung ein be­ sonderer Schutz gewährt werden soll, hier nicht disku­ tiert werden kann. Es wäre sehr leicht möglich, aus den Reden des Führers innerhalb und außerhalb des. Reichstags den Schluß zu ziehen, daß der Führer hierüber anders denkt. F ü r uns muß maßgebend sein,

daß der Reichstag, wenn auch mit anderen Aufgaben, weiterbesteht und funktioniert. Deshalb sind im § 112 zwar die Reichstagsausschüsse zu streichen, den Reichs­ tag selbst können wir aber nicht streichen. Es wäre vielleicht eine Anmerkung zu machen, die unsere Auf­ fassung wiedergibt, daß wir diese politische Frage nicht entscheiden können. I n einer zweiten Anmerkung wäre die Frage zu stellen, ob andere Organe der Staatsführung ebenso wie der Reichstag geschützt werden sollen. Beide Fragen können dann von der Verfassungsabteilung des Reichsministeriums des In n e rn entschieden werden. W ir müssen dann noch die Frage erörtern, ob auch die einzelnen Mitglieder des Reichstags eines besonderen Schutzes bedürfen. Meines Erachtens gehört eine solche Bestimmung nicht hierher. M an kann die Tätigkeit der e i n z e l n e n Mitglieder nicht mehr als verfassungsmäßige Tätigkeit auffassen; es handelt sich nur noch um eine Gesamtfunktion. Diese Ausführungen zu § 112 habe ich nur gemacht, um eine erfolglose Diskussion zu verhindern. W ir können eben nicht daran vorbei­ gehen, daß der Reichstag auch heute noch Gesetz­ gebungsorgan ist. Der Beschluß des Reichstags über die Vorgänge vom 30. Ju n i z. B. hatte sicher seine Bedeutung. F ü r den Abschnitt bleibt also doch noch manches übrig. W ir müssen ihn daher aufrechterhalten. E r mag aber mit Rücksicht auf die Herausnahme der Angriffe auf den Führer anders genannt werden. Professor Dr. Nagler: Ich möchte mich entschieden dafür einsetzen, daß die Angriffe auf den Führer aus § 110 herausge­ nommen und in einem besonderen Verunglimpfungs­ tatbestand verselbständigt werden. Diese Distanzie­ rung ist notwendig, weil die Führerstellung als solche, die sogenannte Amtsehre, besser die Rechtswürde des Führers, einen besonderen Strafschutz erfordert. SelbstverstLndlich darf es bei solchen Angriffen keinen Wahrheitsbeweis, keine Verfolgung sogenannter be­ rechtigter Zwecke oder Ähnliches geben. Alle diese Einschränkungen der eigentlichen Beleidigung (Ehr­ verletzung) müssen entfallen. W ir würden mit einem solchen Tatbestand wieder zur ursprünglichen deutschen Auffassung von der obrigkeitlichen Autorität zurück­ kehren, denn im Laufe der liberalen Zeit ist uns der politisch wichtige Autoritätsschutz so gut wie ganz verlorengegangen. Der Gedanke eines Wahrheits­ beweises oder dergleichen ist bei einem Angriff auf die Würde des Führers einfach unvorstellbar und nicht diskutierbar. Deshalb darf aber auch der Gedanke, zwischen Verleumdung, Ehrabschneidung und Beleidi­ gung des Führers zu unterscheiden, gar nicht erst aufkommen. Der Strafschutz des Reichstages als Ganzem muß bestehen bleiben. Dagegen ist ein besonderer Schutz der einzelnen Reichstagsmitglieder nicht erforderlich, da die Nötigungsbestimmung jetzt sehr weit reicht und eine recht hohe S trafe zuläßt. Die Reichstagsaus­ schüsse sind selbstverständlich wegzulassen.

Professor Dr. Dahm: Die Bestimmungen des Entwurfs erster Lesung über den Schutz der politischen Führung sind noch nicht geglückt. Der Angriff aus den Führer muß aus den §§ 107, 108 und 110 herausgenommen und be­ sonders geregelt werden. Die §§ 109 und 111 sollten verschwinden. § 110 würde auf die Mitglieder der Reichsregierung beschränkt werden. Ich würde diese Bestimmung nicht in den Abschnitt über Angriffe gegen Verwaltung und Rechtspflege aufnehmen; die Reichsregierung ist eine A rt Führerrat. Die gegen sie gerichteten Angriffe sollten also in einem beson­ deren Abschnitt geregelt werden. Sodann bitte ich zu überlegen, ob die §§ 109 und 112 nicht zu kompliziert sind. Die Ausdrucksweise dieser Bestimmungen scheint mir wenig glücklich zu sein. S ie erweckt den Eindruck übertriebener Ängst­ lichkeit, zum mindesten sollten die Worte „überhaupt oder in einem bestimmten Sinne" verschwinden. D er Wahrheitsbeweis sollte bei der Verun­ glimpfung des Führers und von Mitgliedern der Reichsregierung ausgeschlossen sein. Ministerialdirektor Schäfer: Ich schließe mich den Vorschlägen an, die Ver­ unglimpfung des Führers herauszunehmen und dort den Wahrheitsbeweis auszuschließen, im übrigen die §§ 109,>.110, 112 beizubehalten und etwa unter der Überschrift „Angriffe auf Regierung und Reichstag" zusammenzufassen. W as den Wahrheitsbeweis anbetrifft, so sollten w ir an dem Ergebnis der ersten Lesung festhalten und uns nur bemühen, in der Strafverfahrensordnung einen Weg zu finden. Zu § 110 wollten wir scheiden: , , . . . wird im Falle der Verleumdung mit Zuchthaus, im Falle der Ehr­ abschneidung mit Gefängnis nicht unter 3 Monaten, in leichteren Fällen mit Gefängnis bestraft", und dann noch hinzufügen: „Die T at wird nur auf An­ ordnung der Reichsregierung verfolgt"; das ist nur eine Änderung der Fassung. Senatspräsident Grau: Ich möchte vorschlagen, die übrigbleibenden Be­ stimmungen mit dem „Schutz der Bewegung" zu ver­ einigen unter der Überschrift „Angriffe gegen die Volksführung". D as hätte gewisse Vorteile. So würde es zeigen, daß S ta a t und Bewegung gleich rangieren. Die Vereinigung ist um so leichter möglich, als schon nach dem Entwurf eine weitgehende Über­ einstimmung in den Tatbeständen vorhanden ist. Durch eine solche Vereinigung würde der ganze Ab­ schnitt auch viel inhaltreicher. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Ich habe noch drei Fragen zu § 110: W ir wollen die Verunglimpfung des Führers in den Abschnitt „Angriffe auf die Ehre des deutschen Volkes" hinein­ stellen. Hier ist erstens die Frage des Strafmaßes zu entscheiden. Soll der Satz „und dadurch das Ansehen des Reiches herabsetzt" hier aufgenommen werden?

Ich glaube, wir würden dann Zuchthaus oder Ge­ fängnis nicht unter sechs Monaten vorsehen müssen. Staatssekretär D r. Freister: Jawohl. Ministerialdirektor Schäfer: Es scheint mir davon abzuhängen, ob wir hinzu­ setzen: „Die T at wird nur mit Zustimmung des Führers verfolgt". Wenn wir das tun, ist es klar, daß die leichten Fälle herauskommen. Den Zusatz brauchen w ir wohl, um dem Willen des Führers gerecht zu werden. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Dann käme noch die Anordnung der Reichs­ regierung hinzu. Bei der Beschimpfung des deutschen Volkes wollen wir es bei Gefängnis lassen. Staatssekretär D r. Freisler: Ich möchte es im übrigen bei den Beschlüssen, die damals gefaßt worden sind, belassen. Professor Dr. Dahm: Ich möchte mich gegen den Vorschlag des Herrn Senatspräsident G rau wenden, man möge den Schutz von Bewegung und Volksführung in einem Abschnitt zusammenfassen. D as scheint mir unmöglich zu sein. Denn man schreibt damit der Bewegung eine autori­ täre Funktion zu, die sie in dieser Weise gar nicht in Anspruch nimmt. S ie will das deutsche Volk von innen her erneuern und weltanschaulich umgestalten. M an wird ihr daher nicht gerecht, wenn man den Schutz der Bewegung mit dem der Reichsregierung zusammenfaßt. Professor Dr. Schafsstein: Ich möchte doch anregen, daß der Strafrahm en für die Beschimpfung des deutschen Volkes auch Zuchthaus vorsieht; wir sind uns wohl schon darüber einig. Staatssekretär D r. Freisler: Ich versuche nunmehr, das Ergebnis unserer Be­ sprechungen klarzulegen: 1. Die Überschrift soll nicht mehr „Angriffe auf die politische Führung", sondern etwa „Angriffe auf die Reichsregierung" lauten; die Unterkommission soll aber nach einer noch besseren Überschrift suchen. Dann sollen die Beziehungen zum Ausland als nächster Abschnitt folgen. 2. Es bleibt bei der Umstellung von § 107 und § 108. 3. Zu § 109 wird beschlossen, die Worte „überhaupt oder in einem bestimmten Sinne" zu streichen, und ferner ist der entsprechende Beschluß für die Angriffe auf die Ober­ befehlshaber der Wehrmacht, der gestern vorbehalten worden war, gefaßt. I m übrigen bleibt § 109 wie er ist. 4. § 110 wird geteilt, Verunglimpfung des Führers wird vor dem § 36 behandelt, und zwar nicht als persönliche Ehrverletzung, sondern als Verun­ glimpfung des Volkes. Die Bestimmung wird als Strafrahm en Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten vorsehen. Die Verfolgung soll ab­ hängig von der Anordnung der Reichsregierung sein,

wobei ich bitte, eine Anmerkung zu machen, warum nicht auf Anordnung des Führers selbst. Die Unter­ kommission soll bei der Gelegenheit weiter prüfen, ob durch das Wort „sonst" im § 36 dargelegt werden soll, daß diese Führerverunglimpfung eine Volksver­ unglimpfung ist. Es wird ferner beschlossen, die Strafrahm en in Gefängnis nicht unter 3 Monaten, in besonders schweren Fällen in Zuchthaus umzu­ wandeln. § 110 Abs. 1 ist ohne Veränderung ange­ nommen, aber mit Differenzierung des Strafrahmens, wie von den Sachbearbeitern vorgeschlagen; ferner soll es in Abs. 2 statt „Reichsminister der Justiz" „Reichsregierung" heißen. 5. § 111 soll so bleiben, aber dem § 38 als Abs. 2 eingefügt werden. 6. Zu § 112 ist beschlossen worden, Reichstagsausschuß und Mitglieder des Reichstags zu streichen, ferner die Worte „überhaupt und in einem bestimmten Sinne" ebenfalls zu streichen. Ich glaube, man kann auch die Worte „durch Gewalt oder Drohung" streichen. Ministerialdirektor Schäfer: W ir müssen es gleich gestalten, wir haben es in allen anderen Fällen auch so. Staatssekretär Dr. Freisler: D as halte ich für falsch, dann müssen wir es auch sonst beseitigen. Wenn sich jemand des Rundfunks bemächtigt und die Reichstagsabgeordneten abbestellt, so müssen wir das erfassen. Ich muß noch nachholen, die Mitglieder der Unterkommission für den Abschnitt „Familie und Ehe" festzulegen; es sind die Herren Thierack, Kohl­ rausch und Oberlandesgerichtsrat Schäfer. Die Unter­ kommission für die Angriffe auf die politische Führung bilden die Herren Schassstein, Oberlandesgerichtsrat Schäfer und von Dohnanyi. W ir kommen nun zu dem Abschnitt „Störung der Beziehungen zum Auslande"; Berichterstatter sind die Herren Lorenz und Schassstein. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Die Überschrift „Störung der Beziehungen zum Ausland" halte ich für richtig. I n erster Lesung war erörtert worden, ob man nicht vom b e f r e u n d e t e n Ausland sprechen solle. Der Zusatz ist aber schließlich weggelassen worden, weil naturgemäß nur befreundete oder wenigstens neutrale Staaten in Frage kommen und weil eine Störung bei feindlichen Staaten nicht möglich sei. Andererseits muß die Störung der Aus­ landsbeziehung auch dann bestraft werden, wenn der betreffende S ta a t mit uns nicht gerade befreundet ist. Die Fassung des § 113 (Hochverräterische An­ griffe gegen einen ausländischen S ta a t) muß m. E. vollständig umgearbeitet werden, nachdem wir jetzt die scharfe Trennung zwischen Hochverrat und Landes­ verrat fallengelassen haben, und diese Begriffe im Gesetz nicht erscheinen sollen. W ir dürfen deshalb auch im § 113 nicht mehr von hochverräterischen Handlungen sprechen und müssen auch die Bezug­ nahme aus Paragraphen weglassen. E s muß daher

eine materielle Inhaltsbestimmung eingesetzt werden, sozusagen eine Definition des bisherigen Hochverrats begrisses. I m letzten Satz muß es statt § 365 heißer: § 365 a. Zu 114 (Beleidigung ausländischer Staatsober­ häupter, Regierungsmitglieder oder Gesandter) haben die Sachbearbeiter des Ministeriums auf Anregung des Auswärtigen Amts eine Zerlegung des ersten Absatzes vorgeschlagen, um klarzustellen, daß das aus­ ländische Staatsoberhaupt auch geschützt werden soll, wenn es sich nicht in amtlicher Eigenschaft im In lan d aufhält. Dieser Anregung ist stattzugeben. I n erster Lesung wurde darüber debattiert, ob auch der B ot­ schafter geschützt werde, wenn man im Tatbestand nur von Gesandten und Geschäftsträgern spreche. Wenn das einwandfrei bejaht werden kann, dann habe ich gegen die Fassung nichts einzuwenden. Ich hatte sodann schon in erster Lesung vorge­ schlagen, den besonderen Strafschuß dieses P a ra ­ graphen nur zu gewähren, wenn die Beleidigung ö f f e n t l i c h erfolgt. F ü r mich w ar hierfür maß­ gebend, daß wir diese Einschränkung auch bei der Führerbeschimpfung haben. Ich bin auch heute noch der Auffassung, daß den Ausländern nicht ein weiter­ gehender Schutz gewährt werden kann als unserem Führer und unseren Regierungsmitgliedern. F alls aber diese Ausdehnung bei § 114 etwa auf Wünsche des Auswärtigen Amts zurückzuführen sein sollte, dann müßte dem natürlich Rechnung getragen werden. § 115 über die Verletzung ausländischer Hoheits­ zeichen, Farben und Flaggen entspricht den §§ 38 und 111 über die Beschimpfung nationaler Symbole und die Verletzung der deutschen Hoheitszeichen. Hier ist nichts zu erinnern. Gegen den Vorschlag der Sachbearbeiter, im § 116 die Verbürgung der Gegenseitigkeit an Stelle einer Strafbarkeitsbedingung zu einer Bedingung der Strafverfolgung zu machen, habe ich nichts einzu­ wenden. D as erscheint richtiger, da für die Strafbar­ keit nach § 347 grundsätzlich das Recht zur Zeit der T a t maßgebend sein soll, während hier die Gegen­ seitigkeit zur Zeit der Aburteilung verbürgt sein muß. Der vorgeschlagenen Fassung schließe ich mich an. Ebenso halte ich es für richtig, aus den von den Sachbearbeitern angegebenen Gründen § 117 nicht mit „Neutralitätsverletzung", sondern mit „Neutralitätsgefährdung" zu überschreiben. Professor Dr. Schassstein: Ich kann mich kurz fassen. Daß § 113 in der jetzigen Fassung nicht mehr möglich ist, hat Herr Präsident Lorenz mit Recht hervorgehoben. Nachdem wir das einheitliche Delikt des Volksverrats geschaffen haben, müssen wir nunmehr für § 113 eine materielle Inhaltsbestimmung finden. Staatssekretär Dr. Freisler: I n § 113 muß, kurz gesagt, unser alter Hochverrat inhaltlich wiedergegeben werden.

Professor Dr. Schasfftein: Die verbesserte Fassung der Sachbearbeiter zu § 114, die auf Anregung des Auswärtigen Amts zurückgeht und ja nur eine Verdeutlichung darstellt, ist zu begrüßen. M ir scheint aber die Gesängnismindeststrafe zu gering zu sein. Ich würde eine Mindeststrafe von drei Monaten vorschlagen. Zu § 115 habe ich nichts zu erwähnen, hinsichtlich der Ä 116,117 stimme ich ebenfalls den Vorschlägen der Sachbearbeiter zu. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bin jetzt verpflichtet, mit Rücksicht auf einen schriftlich gestellten Antrag Herrn Professor Dr. Nagler das Wort zu erteilen. Professor Dr. Nagler: Ich schlage vor, die Beleidigung des ausländischen Staatsoberhauptes aus § 114 herauszunehmen und den Tatbestand entsprechend der Führerbeschimpfung (Angriffe auf die Rechtswürde) zu gestalten. Wir müssen dafür sorgen, daß auch in solchen Fällen der Wahrheitsbeweis und dergleichen ausgeschlossen bleibt. Ich erinnere daran, daß seinerzeit in der Zeitschrift der persischen Emigranten der Schah von Persien in unerhörtester Weise angegriffen wurde. Der Beleidi­ gungsprozeß (sogenannter Peukarprozeß) wurde vor dem Schöffengericht Berlin-M itte verhandelt. Es wurden damals zahlreiche Anträge auf Erhebung des Wahrheitsbeweises gestellt. Das Gericht zog sich zwar dadurch geschickt aus der Affäre, daß es kurzerhand wegen Formalbeleidigung verurteilte. D as Aus­ wärtige Amt hatte aber durchaus recht, wenn es bean­ standete, daß überhaupt solche Anträge diskutiert wurden, da schon darin die schwerste Gefahr für die Störung der auswärtigen Beziehung beschlossen lag. M an muß also den Wahrheitsbeweis ausdrücklich für unzulässig erklären, was am besten dadurch geschieht, daß man einen besonderen Tatbestand der Be­ schimpfung bildet. Professor Dr. Dahm: I m § 113 würde ich vom Angriff auf die „Ver­ fassung" eines ausländischen S taates sprechen. Das Wort „Grundordnung" wäre hier nicht am Platze. Ich schlage ferner vor, daß in den §§ 114 und 115 wahlweise oder für leichte Fälle auch Haftstrafe an­ gedroht wird. Staatssekretär Dr. Freisler: W ir können bei der Verletzung ausländischer Hoheitszeichen keine Haftstrafe androhen. D as geht schon mit Rücksicht daraus nicht, daß wir auch unserem seits die Gegenseitigkeit verbürgen müssen. Professor Dr. Schasfftein: Herr Professor Nagler will den Wahrheitsbeweis nur ausschließen, wenn ein ausländisches Staatsober­ haupt beleidigt wird. Die von ihm angeführten Gründe treffen aber auch meines Erachtens zu, wenn

ein ausländischer Minister während seines Aufent­ haltes im In la n d beleidigt wird. Oberlandesgerichtsrat D r. Schäfer: W ir lassen aber doch bei den eigenen Ministern den Wahrheitsbeweis zu. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich halte den Ausschluß des Wahrheitsbeweises auch für unmöglich. Soviel ich weiß, hat auch das Auswärtige Amt diesen Ausschluß nicht gewünscht. Professor D r. Schasfftein: Dann wäre aber bei einer Beleidigung Mussolinis ein Wahrheitsbeweis zulässig. Staatssekretär Dr. Freisler: Die Gerichte würden hier sicher mit der Analogie helfen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Gebietsverrat kann man doch nicht ausschließen. Es ist doch der Hauptfall, daß im Reichsgebiet eine Ablösungsbestrebung gegen irgendeinen ausländischen S ta a t betrieben wird, das können wir doch nicht dulden. Staatssekretär Dr. Freisler: Aber stellen S ie sich vor, es lebten bei uns Deutsche, die hätten den Wunsch, den deutschen Teil des Gebiets eines a n d e r e n S taates loszutrennen. Ministerialdirektor Schäfer: W ir kommen darüber mit der Gegenseitigkeit hinweg. Staatssekretär Dr. Freisler: D as ist richtig. Aus diesem Grunde macht es keine Schwierigkeiten. M it der Formulierung des § 113 Abs. 1 brauchen wir also nicht zu warten, bis der Volksverrat vorliegt. I n § 114 ist die Beleidigung der Staatsober­ häupter gestrichen; sie sollen auch freigestellt werden vom Wahrheitsbeweis. I m übrigen ist beschlossen, den Strafrahm en nach unten auf Gefängnis nicht unter drei Monaten zu erweitern; „öffentlich" muß auch hinein, damit wir hier nicht einen weitergehenden Schutz vorsehen als beim Führer. Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: § 114 unterscheidet sich von den allgemeinen Vor­ schriften über Beleidigung lediglich durch das S traf­ maß. Wenn w ir ganz heruntergehen und diese schweren Strafdrohungen nur bei öffentlicher Be­ gehung vorsehen, würde das bedeuten, daß bei nicht öffentlicher Begehung die allgemeinen Vorschriften gelten, während der S in n ist, den ausländischen Ver­ treter hervorzuheben.

Staatssekretär Dr. Freister: Der ausländische Vertreter erscheint nur als öffentliche Person und muß nur insofern hervorge­ hoben werden. Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: Es wäre aber eine starke Einschränkung gegenüber dem geltenden Recht. Staatssekretär Dr. Freisler: D as muß das Auswärtige Amt entscheiden; wir machen eine entsprechende Anmerkung. I m übrigen darf der Schutz nicht weiter gehen als bei uns. Zu § 115 ist der Vorschlag, auf Haft abzukommen, nicht angenommen. § 116 ist mit der Maßnahme angenommen, daß die Gegenseitigkeitsklausel eingefügt wird. § 117 ist angenommen, doch soll die Bestimmung „Neutralitätsgesährdung" genannt werden. Professor Dr. Graf Gleispach: Vielleicht kann der ganze Abschnitt noch durch eine Strafvorschrist gegen die Kriegshetzer ergänzt wer­ den. Die Kriegshetze kann zweifellos nicht unter dem Gesichtspunkt der Herbeiführung einer Kriegsgefahr gefaßt werden. M ir scheint die Kriegshetze auch gerade unter den Gesichtspunkt der Störung der auslän­ dischen Beziehungen zu passen. Dieser Vorschlag einer Strafdrohung gegen Kriegshetzer stammt allerdings von Rappaport, was ihn nicht gerade sympathisch macht; trotzdem hat der Vorschlag sachlich vieles für sich, und ich halte es vor allem mit Rücksicht auf die derzeitige außenpolitische Lage für zweckmäßig, eine solche Strafdrohung in den Abschnitt einzufügen. Staatssekretär Dr. Freisler: Die Strafdrohung könnte aber doch wohl kaum praktisch werden, weil das Ausland in dieser Be­ ziehung kaum die Gegenseitigkeit verbürgen dürfte. Professor Dr. Dahm: Auch ich habe gegen diesen Vorschlag Bedenken. Der Richter ist gar nicht in der Lage, so schwierige politische Entscheidungen zu treffen. Vorschläge dieser Art hat schon Kantorowicz gemacht, und das ist doch gewiß keine Empfehlung. Staatssekretär Dr. Freisler: Die Unterkommission besteht aus den Herren Lorenz, Schasfstein und Oberlandesgerichtsrat Schäfer. Jetzt kämen die „Bergehen bei Wahlen und Abstimmungen"; Berichterstatter sind dieselben Herren. Landgerichtspräsident D r. Lorenz: Der Abschnitt „Vergehen bei Wahlen und Abstim­ mungen" wird künftig keine allzu große Bedeutung mehr haben, trotz seiner Ausdehnung aus a l l e Wahlen und Abstimmungen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften in öffentlichen Angelegenheiten vorge­

nommen werden. Die Frage des Entwurfs, ob das Unterschreiben für ein Volksbegehren in die gesetzliche Regelung einzubeziehen sei, haben die Sachbearbeiter des Ministeriums bejaht, da das Volksbegehren noch verfassungsrechtliche Institution sei. Dem wirb zuzu­ stimmen sein. Zu den §§ 119 bis 122 habe ich nichts zu bemerken. Die Strafdrohung des § 123 würde ich mit den Sachbearbeitern ändern in „Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Hast". Die Fassung des § 124 muß mit Rücksicht aus § 398 Abs. 1 Nr. 3 des Entwurfs so erfolgen, wie es die Sachbearbeiter vorgeschlagen haben. Professor Dr. Schaffftein: Ich würde zunächst § 119 Abs. 1 dahin ergänzen, daß die Täuschung auch bestraft wird, wenn sie zur Folge hat, daß die Stimmabgabe unterbleibt. Wir sind doch heute der Auffassung, daß jeder die Pflicht hat zu wählen und abzustimmen. Die §§ 120 und 121 können meines Erachtens zusammengefaßt werden, in­ dem man etwa sagt: „Wer durch Täuschung oder Stimmkauf oder durch sonstige Einwirkung aus einen anderen das Ergebnis einer Wahl oder Abstimmung fälscht, wird mit Gefängnis bestraft. § 124 würde ich streichen. E r entstammt letztlich einer überwun­ denen Ideologie, nämlich der demokratischen Vor­ stellung, das Wahlrecht sei ein subjektives öffentliches Recht. Professor Dr. Gras Gleispach: Muß nicht auch hier nach den Beschlüssen zu den Angriffen auf die politische Führung die Fassung „nicht oder in einem bestimmten Sinne" wegfallen r Staatssekretär Dr. Freisler: Meines Erachtens muß die Fassung so bleiben; denn wir wollen doch auch die Freiheit der Abstim­ mungsrichtung schützen. Professor Dr. Gras Gleispach: W ir haben aber doch auch in den anderen Fällen eine sachliche Änderung nicht vornehmen wollen. Staatssekretär Dr. Freisler: D as Problem war wohl dort ein anderes. Die Worthäufung „Wahlen und Abstimmungen" scheint mir überflüssig zu sein; denn die Wahl ist doch immer eine Abstimmung. D as Gesetz klingt schwer­ fällig, wenn wir diese Wortführung durch alle T at­ bestände durchschleppen. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: M an könnte ja im § 118 sagen: Abstimmungen im Sinne der folgenden Vorschriften sind Wahlen und Abstimmungen, die auf Grund usw. vorgenommen werden. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: D as würde ich der Klarstellung wegen auch für zweckmäßig halten.

Staatssekretär Dr. Freister: Sie geben doch schon mit diesem Vorschlag zu er­ kennen, daß unter die Abstimmungen auch die Wahlen begrifflich fallen. Dann brauchen wir die Wahlen aber nicht mehr besonders hervorzuheben. W ir wurden also in allen Tatbeständen nur von Abstimmungen sprechen. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Ich möchte so verfahren, daß w ir das Volksbe­ gehren darin lassen und die Frage mit dem Ministe­ rium des In n e rn besprechen. Ministerialdirektor Schäfer: D as Innenministerium wünscht es; es ist nur eine redaktionelle Frage. Professor D r. Dahm u. Professor Dr. Schasfftein: Damit würde man doch anerkennen, daß die Weimarer Verfassung noch gilt. D as ist doch eine Unmöglichkeit. Staatssekretär Dr. Freisler: Wir können eine Anmerkung machen, daß unseres Erachtens das Volksbegehren gestrichen werden muß, die Frage aber noch mit dem Versaffungsministerium besprochen wird. Nnn entsteht die Frage, wie die Religionsgesell­ schaften zu behandeln sind. Ministerialdirektor Schäfer: E s ist nur eine redaktionelle Frage, wie man das faßt. Es muß darauf hinauskommen, daß es auch für Abstimmungen bei den Religionsgesellschaften gilt. Staatssekretär Dr. Freisler: Außerdem können wir es dabei lassen, daß es hier Wahlen heißt, wenn wir der Auffassung sind, daß Wahlen immer Abstimmungen sind; also inhaltlich bleibt § 118 mit der angegebenen Anmerkung. § 119 ist mit der Abänderung angenommen, daß das Unterlassen der Stimmabgabe in den Abs. 1 aus­ genommen wird. §§ 120 und 121 sind inhaltlich so beschlossen, aber mit dem dringenden Wunsch, die Unterkommission möge eine Vereinfachung und Zusammenfassung im Sinne des Vorschlages Schafsstein ausarbeiten. § 122 ist ohne Änderung angenommen. Zu § 123 ist angeregt worden, zu Gefängnis Haft hinzuzusetzen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: D as Delikt ist nicht mehr so wichtig wie im par­ lamentarischen System, es ist auch erheblich milder als die anderen Delikte dieses Abschnitts. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich befürchte, daß diese Änderung sehr großes Aufsehen außerhalb Deutschlands erregen kann, und das ist sie nicht wert. Wenn sich jemand in den

Charakter unserer Strafarten vertieft, so kann er aus der Androhung der Hast Schlußfolgerungen ziehen, die sich in der Emigrantenpresse unerwünscht aus­ wirken würden. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: 14 Tage Gefängnis ist das Minimum. Staatssekretär Dr. Freisler: Zu § 124 hat der Herr Mitberichterstatter vor­ geschlagen, diese Vorschrift zu streichen, und Herr Ministerialdirektor Schäfer hat zu erkennen gegeben, daß die Abteilung nichts dagegen hat. Landgerichtspräsident D r. Lorenz: Ich habe auch keine Bedenken. Staatssekretär D r. Freisler: Dann ist angenommen, daß § 124 gestrichen wird. Die Unterkommission ist dieselbe, wie wir sie vor­ her hatten. Dann käme der Abschnitt „Auflehnung gegen die Staatsgew alt". Berichterstatter sind die Herren Klee und Leimer. Landgerichtsdirektor Leimer: I n dem Abschnitt „Auflehnung gegen die S ta a ts­ gewalt" ist eine Reihe von Tatbeständen enthalten, die ihrem Wesen nach auch an anderer Stelle unter­ gebracht werden könnten. Ich glaube aber, daß hier eine Änderung nicht notwendig ist. § 145 (Widerstand gegen die Staatsgew alt) faßt drei Tatbestände zusammen, die im geltenden Recht selbständig waren. Diese Zusammenfassung ist zu Recht erfolgt, weil in den drei Fällen das Wesen des Delikts das gleiche ist. Die Frage, ob die Amtsträger der N S D A P , einzubeziehen sind, brauche ich wohl an dieser Stelle nicht zu erörtern, weil es sich hier um ein allgemeines Problem handelt, das auch allge­ mein unter dem Gesichtspunkt „Schutz der Bewe­ gung" entschieden werden muß. Die Sachbearbeiter des Ministeriums haben die Frage aufgeworfen, ob den Soldaten auch die A r­ beitsdienstpflichtigen gleichgestellt werden sollen. Ich würde das nicht tun, da es sich hier doch zweifellos um einen ganz anderen Tätigkeitsbereich handelt. W ir hatten in erster Lesung beschlossen, die Be­ rufung auf Notwehr gegenüber einer Amts- oder Diensthandlung regelmäßig auszuschließen. Die Fassung des Entwurfs bringt dies aber nicht ge­ nügend zum Ausdruck. Auch jetzt noch kann der T äter sich darauf berufen, er habe geglaubt, daß ein offen­ sichtlich grober Mißbrauch vorliege, und Stärke und M ittel der Abwehr bleiben unberücksichtigt. M an sollte deshalb im Gesetz die Berufung auf Notwehr ausdrücklich ausschließen und dem Gericht nur die Möglichkeit geben, von Strafe abzusehen, wenn ein offensichtlich grober Mißbrauch vorliegt. Die Sachbearbeiter des Ministeriums haben so­ dann noch vorgeschlagen, in Absatz 3 statt „betraut" zu setzen „berechtigt", um auch solche zur Ausübung

des Schutzes Berechtigte zu erfassen, bei denen eine Betrauung mit einer Schutzsunktion im Einzelsall nicht stattgefunden hat. Dem ist zuzustimmen, ebenso dem Vorschlag, für leichtere Fälle Haft anzudrohen. Ich möchte schließlich noch zur Erwägung stellen, ob man nicht auch die Feldschutzbeamten einbeziehen soll, weil sie nicht immer Amtsträger sind. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich trage Bedenken, dem Antrag Leimer zuzu­ stimmen, der die Berufung auf Notwehr schlechthin ausdrücklich ausschließen will. Ich trage ferner Be­ denken, wenn nun einmal ein grober Mißbrauch der Amts- oder Dienstgewalt vorliegt, dem Gericht nur die Befugnis zu erteilen, von Strafe abzusehen. Ich bin andererseits allerdings auch der Auffassung, daß die Berufung auf Notwehr in gewissem Umfang aus­ geschlossen sein muß. W ir wollen die Berufung aus Notwehr dann nicht ausschließen, wenn ein offensicht­ lich grober Mißbrauch der Amts- oder Dienstgewalt vorliegt. E s ist aber doch etwas wesentlich anderes, ob man die Notwehr im plicite oder ob man sie ausdrück­ lich ausschließt. S ie für einen Fall grober Amts­ pflichtverletzung auszuschließen, halte ich nicht für tragbar. Die Notwehr wird ja nicht im Interesse des einzelnen gegeben, vielmehr steht hier der einzelne an Stelle des Staates. Die Fassung des Entwurfs ist also m. E. richtig. W ir müssen vor allem daran fest­ halten, daß in solchen Fällen die Strafe obligatorisch entfällt. Im m erhin ist das Bedenken von Herrn Land­ gerichtsdirektor Leimer berechtigt, daß der T äter nach dem Entwurf sehr leicht über das erforderliche M aß der Notwehr hinausgehen könnte, ohne daß man ihn strafrechtlich fassen könnte. M. E. wird zwar die Be­ strafung in solchen Fällen aus dem Gesichtspunkt des Notwehrexzesses gewährleistet; um aber jeden Zweifel auszuschließen, kann man ja ausdrücklich hinzufügen, daß Straffreiheit nur eintritt, wenn die Grenzen der Notwehr nicht überschritten werden. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich möchte der Diskussion einen Vorschlag auf den Weg geben, der etwa folgendermaßen lautet: „Be­ rufung auf Notwehr ist nur möglich, wenn offensicht­ lich grober Mißbrauch vorliegt." Dann würde ein­ mal dem Bedenken Rechnung getragen sein, daß man aus der Kannbestimmung herauskommt, und dann würde auch der Notwehrexzeß erledigt sein. Professor Dr. Mezger: Herr Landgerichtsdirektor Leimer ist in seinem Bericht davon ausgegangen, der Täter könne sich nach § 145 des gedruckten Entwurfs mit Erfolg daraus berufen: er habe geglaubt, daß ein offensichtlich grober Mißbrauch der Amts- oder Dienstpflicht vorliege. Diese Auffassung ist aber nach der Fassung des E nt­ wurfs nicht berechtigt; denn es handelt sich bei diesem Zusatz um eine objektive Bedingung. Und das muß m. E. auch so bleiben. Eine bloße Kannvorschrift des Absehens von Strafe würde ich nicht für tragbar halten. E s muß klargestellt werden, daß in diesen

Fällen erlaubter Gegenwehr überhaupt kein Vorwurf erhoben wird. Vielleicht könnte man diese Bestim­ mung dahin fassen „Berufung aus Notwehr ist nur zulässig, w enn. . . " . Damit würde die Erforderlich­ keit der Abwehr betont und umgrenzt. Professor Dr. Dahm: Ich bin ebenfalls für die von Herrn Staatssekre­ tär Freisler vorgeschlagene Fassung. Die bisherige Fassung ist mißverständlich. Staatssekretär Dr. Freisler: E s ist die Frage aufgeworfen, wie es mit den Arbeitsdienstpflichtigen ist. Diese haben aber Amts­ handlungen gar nicht auszuführen, ich möchte sie des­ halb nicht aufnehmen. Der letzte Satz des Abs. 2 würde in der Weise gefaßt werden, daß die Berufung auf Notwehr nur zulässig ist, w en n ........ Zum letzten Absatz ist gegen den Sachbearbeiter­ vorschlag nichts eingewandt worden. Auch die An­ regung, in leichteren Fällen Haft anzudrohen, ist an­ genommen. Die Frage der Feldschutzbeamten sollte von der Unterkommission selbständig entschieden werden. W ir kommen zu der Gruppe der §§ 146 bis 151. Landgerichtsdirektor Leimer: Zu § 146 habe ich bereits in meinem schriftlichen Antrag Nr. B 49 vorgeschlagen, allgemein von Amtsträgern zu sprechen, um auch vernehmende Richter, Staatsanw älte, Urkundsbeamte und Polizeibeamte zu schützen. § 146 bedarf ferner einer Ergänzung. Es ist nicht immer Meuterei, wenn Gefangene mit vereinten Kräften Sachen zerstören oder beschädigen. Ich nehme als Beispiel, daß sich Gefangene mit vereinten Kräften von einem Zaun einen Pfahl abbrechen, den sie bei der Arbeit benötigen. Ich schlage deshalb vor, aus­ drücklich hervorzuheben, daß die Zerstörung oder Be­ schädigung der Sachen a u s W i d e r s e t z l i c h k e i t geschehen muß. Wie in § 122 S tG B , ist auch hier eine Mindeststrafe von 6 Monaten vorzusehen. Zu § 147 wollen die Sachbearbeiter des Ministe­ riums ebenfalls eine Mindeststrafe von sechs Monaten Gefängnis festsetzen. F ü r richtig halte ich dies bezgl. des § 147 Abs. 1. Auch zu § 149 halte ich die Vorschläge der Sach­ bearbeiter für richtig. I n Abs. 1 soll Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft, in Abs. 2 Gefängnis nicht unter drei Monaten, in schwereren Fällen Zuchthaus angedroht werden. I n der Begründung soll ferner gesagt werden, daß als Dienst im Sinne des § 149 auch der Dienst des Arztes, Pflegers, Werkmeisters und Kochs in der Strafanstalt in Frage kommt, da Ausübung obrigkeitlicher Funktionen nicht erfordert wird, ferner, daß die Stelle auch nicht auf den Dienst des Soldaten beschränkt werden soll. Dem ist bei­ zutreten. Den § 151 wollen die Sachbearbeiter des Ministe­ riums aufteilen in zwei Vorschriften: 1. Entweichen behördlich Verwahrter, 2. Befreien behördlich Ver-

wahrter, um die verschärfte Strafe des § 149 Abs. 2 auch auf die Fälle des bisherigen § 151 Abs. 2 an­ wenden zu können. Dem stimme ich zu. Senatspräsident Professor D r. Klee: Die Erweiterung zu § 146, wonach auch andere Beamte in den Schutz einbezögen werden sollen, be­ grüße ich. Die genannten Fälle kommen sicher häufi­ ger vor. Der häufigste Fall ist aber doch wohl der, daß gegenüber den Anstaltsbeamten gemeutert wird. M an sollte also die Anstaltsbeamten jedenfalls im Gesetz erwähnen, und zwar an erster Stelle. Die von Herrn Landgerichtsdirektor Leimer vorgeschlagene Klarstellung, daß die Sachbeschädigung aus Wider­ setzlichkeit begangen sein muß, halte ich nicht für not­ wendig, weil sich dies bei sinngemäßer Auslegung schon aus der Überschrift des Abschnitts ergibt. Schaden kann diese Klarstellung natürlich nichts. Die Frage der Selbstbesreiung ist hier schon in erster Lesung erörtert worden. Ich will einen Antrag, § 148 zu streichen, nicht stellen, ich wiederhole aber, daß ich hier Disziplinarmaßnahmen für genügend er­ achte. I m übrigen stimme ich den Vorschlägen der Sachbearbeiter zu den §§ 149 ff. zu. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich möchte nur empfehlen, m § 146 Abs. 1 dem Vorschlag Leimer zu folgen und „aus Widersetzlich­ keit" einzuschalten; das scheint mir den Gedanken besser auszuprägen. Staatssekretär Dr. Freisler: Die Abteilung ist auch einverstanden, allerdings gegen den Widerspruch des zuständigen Herrn Refe­ renten. Ich würde ganz gerne sehen, wenn eine Äußerung zu der Anregung des Herrn Senatspräsidenten Klee, § 148 zu streichen, erfolgte. Reichsgerichtsrat Niethammer: Nein, das geht nicht. Staatssekretär Dr. Freisler: Wir haben also zu § 146 beschlossen: 1. neben die Anstaltsbeamten die sonstigen Amtsträger zu setzen; 2. die Gewalt gegen Sachen durch die Hinzusügung „aus Widersetzlichkeit" zu ergänzen; 3. den S traf­ rahmen anders zu fassen: Gefängnis nicht unter sechs Monaten. I m übrigen haben wir § 146 angenommen, wie er vorgeschlagen ist. Zu § 147 haben wir beschlossen, Gefängnis nicht unter 6 Monaten anzudrohen. § 148 ist angenommen worden. § 149 ist mit der Maßgabe angenommen worden, daß in Abs. 1 Gefängnis bis zu 2 Jahren oder Haft und in Abs. 2 Gefängnis nicht unter 3 Monaten, in schweren Fällen Zuchthaus angedroht wird. Professor Dr. Dahm: Die Höchstgrenze von 2 Jahren ist doch wohl ge­ fährlich. E s gibt recht schwere Fälle der Gefangenen­ befreiung.

Ministerialdirektor Schäfer: Bei schweren Fällen liegt auch noch etwas anderes vor, z. B. Widerstand. Professor D r. Dahm: E s braucht aber keine Auflehnung vorzuliegen. Die Befreiung kann heimlich erfolgen. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich würde für schwere Fälle Gefängnis vor­ schlagen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: D ann würde ich lieber sagen: Gefängnis, in leich­ teren Fällen Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft. Staatssekretär Dr. Freisler: J a , wir wollen es so machen. § 150 ist angenommen. § 151 ist mit der Maßgabe angenommen, daß er in zwei Paragraphen zerlegt wird, um dadurch die Strafdrohung des § 149 einarbeiten zu können. Darf ich bitten, über die letzte Paragraphengruppe zu referieren. Landgerichtsdirektor Leimer: Es folgt die Gruppe, die mit der Aufforderung zur Auflehnung gegen Gesetze beginnt. Zu § 151 haben die Sachbearbeiter vorgeschlagen, nicht von der Auflehnung gegen e i n Gesetz, sondern von der Auflehnung gegen Gesetze usw. zu sprechen, weil nach dem Sprachgebrauch des Entwurfs die Mehrzahl stehe, wenn sowohl diese als auch die E in­ zahl getroffen werden soll. Dem muß entsprochen werden. Ebenso halte ich die von den Sach­ bearbeitern vorgeschlagene sprachliche Verbesserung für empfehlenswert. Nach § 155 des Entwurfs soll bestraft werden, wer Schriften verbreitet, deren I n h a l t den äußeren Tatbestand der §§ 152 bis 154 begründet. Ich möchte darauf hinweisen, daß zu diesem äußeren Tatbestand auch die Öffentlichkeit gehört, sie ist aber nicht In h a lt der Schrift. Ich habe versucht, das in meinem schrift­ lichen Antrag klarzustellen, und darf darauf verweisen. § 156 des Entwurfs spricht nur in der Überschrift von Aufwiegelung, im Tatbestand selbst dagegen von dem Versuch zum Verleiten. M an kann aber doch die Aufforderung an den Polizeibeamten, entgegen den dienstlichen Vorschriften während des Dienstes zu rauchen, nicht unter diese Vorschrift bringen. E s kann sich ebenso wie in § 130 Abs. 2 nur um wichtige Dienstvorschriften handeln. Ich würde das dadurch klarstellen, daß auch im Tatbestand selbst von Auf­ wiegelung gesprochen wird. Den Vorschlag von Herrn Senatspräsidenten Klee, eine besondere Strafdrohung gegen die Verbrechens­ verherrlichung zu schaffen, möchte ich aus den schon in erster Lesung erörterten Gründen ablehnen. Die Verherrlichung ist stets Anreizung gemäß § 152.

Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich trete den Vorschlagen meines Mitbericht­ erstatters in allen Punkten bei. Ich möchte aber, wie schon in erster Lesung, nochmals aus die Verbrechens­ verherrlichung zurückkommen. Ich glaube, daß doch Fälle möglich sind, bei denen die Verbrechensverherr­ lichung nicht zugleich Aufforderung zur Auflehnung gegen die Gesetze ist, daß es zum mindesten am subjek­ tiven Tatbestand fehlen kann. Ich will zwar insoweit keinen ausdrücklichen Antrag stellen, möchte aber doch die Frage nochmals berührt haben. Professor Dr. Mezger: Ich möchte dieser Anregung entgegentreten. M an weiß nicht, wie weit solche Strafbestimmung in der Anwendung führen würde. I n schlimmen Fällen ist schon durch die sonstigen Bestimmungen ein M ittel der Abhilfe geschaffen. Professor Dr. Dahm: Ich bin derselben Meinung. Die Bestimmung wird aus diese Weise unübersehbar. M an denke nur an geschichtliche Vorgänge, die Jahrhunderte zurück­ liegen. Ich meine, die Vorschrift über die Aufforde­ rung zur Auflehnung genügt vollkommen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich denke natürlich an Verbrechen der jüngeren Vergangenheit, die von der Presse mit einer Gloriole umgeben werden, wie wir es früher erlebt haben. Professor Dr. Nagler: Ich sympathisiere an und für sich sehr mit dem Grundgedanken des Herrn Kollegen Klee, glaube aber nicht, daß sich ein einwandfreier Tatbestand gewinnen läßt. Ministerialdirektor Schäfer: E s könnte z. B. die Einführung der Maschine als volksschädliches Verhalten betrachtet werden. Staatssekretär Dr. Freister: Ich glaube tatsächlich, wo ein Schutzbedürfnis be­ steht, reichen die anderen Bestimmungen.

schlagen, den § 156 in der Fassung den vorangegan­ genen Paragraphen anzupassen, also „sucht" zu ersetzen durch „ausfordert" oder „anreizt". Das ist gebilligt worden. Ferner haben w ir gebeten, eine Einschränkung für die Verletzung der Dienstpflichten zu suchen, da nicht jede Aufforderung zur Verletzung einer Dienstpflicht strafwürdig ist, so etwa die Wid­ mung einer Zigarre an einen Polizeibeamten als Dank für eine Auskunft oder sonstige kleine Gefällig­ keit. D as Reichsministerium des In n e rn hat sich mit Einfügung des Wortes „gröblich" einverstanden er­ klärt und vorgeschlagen, den Antrag einer Polizei­ behörde vorauszusetzen. Diese letztere Frage wird bei der in Aussicht genommenen grundsätzlichen Aus­ sprache über die Regelung des Strafantrags mitzu­ behandeln sein. Staatssekretär Dr. Freister: Wenn wir in der Begründung schreiben, wie „auf­ fordern" im Zusammenhang mit der Überschrift richtig zu verstehen ist, so würde das genügen. W ir haben dann also folgendes beschlossen: I n § 152 „Gesetze, Verordnungen, behördliche Anord­ nungen"; mit dieser Maßgabe ist Abs. 1 angenommen; Abs. 2 ist in der redaktionellen Fassung der Sach­ bearbeiter angenommen. § 153 und § 154 sind angenommen. Die Anre­ gung bezüglich der Verbrechensverherrlichung ist zurückgezogen. § 155 ist mit der redaktionellen Anregung Leimer angenommen. § 156 ist mit der Maßgabe angenommen, daß die Worte „zu verleiten sucht" durch „auffordert oder anreizt" ersetzt werden. Senatspräsident Grau: Dann fällt doch der Strasanstaltsbeamte fort; aus ihn, insbesondere auf den Hilfsbeamten, können wir nicht verzichten. Staatssekretär Dr. Freisler: Den müssen wir herausnehmen; denn er ist kein Polizeibeamter. Oberstaatsanwalt D r. Reimer:

Reichsgerichtsrat Niethammer: E s ist richtig, irgend etwas dagegen vorzusehen, daß das allzu Kleine in § 156 eindringt. Aber ob dies so geschehen kann, daß man „aufwiegeln" in den Text setzt, ist mir fraglich; da stellt man sich doch eine Mehrheit von Personen vor. Ich würde statt „sucht" sagen „wer es unternimmt", weil dieser Ausdruck regelmäßig gebraucht wird. Ministerialdirektor Schäfer: W ir haben „sucht" auch sonst gebraucht. M inisterialrat Rietzsch: Zu tz 156 sind wir mit dem Reichsministerium des In n e rn in Verbindung getreten und haben vorge­

Bei den Berliner Gefängnissen, insbesondere beim Untersuchungsgefängnis Berlin, ist z. Zt. eine außer­ gewöhnlich große Anzahl von Gefangenenaufsehern tätig, die keine Beamteneigenschast haben, sondern lediglich aus Privatdienstvertrag angestellt sind. Falls ein derartiger Aufseher von einem Gefangenen veran­ laßt wird, einen Kassiberverkehr zu vermitteln, so muß das doch gleichfalls unter S trafe gestellt werden, d. h. also, daß der nichtbeamtete Gefangenenaufseher inso­ weit dem beamteten gleichgestellt wird. Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn sie dazu veranlaßt werden, kann man die T a t auch noch unter anderen Gesichtspunkten be­ trachten.

Ministerialdirigent D r. Schäfer: J a , als Begünstigung! Ministerialdirektor Schäfer: Ich kenne die Verhandlungen mit dem In n en ­ ministerium nicht; vielleicht sind aber die Bedenken ausgeräumt, wenn man „einen mit der Beaufsichti­ gung von Gefangenen Beauftragten" hinzusetzt. Staatssekretär D r. Freisler: D ann würde ich vorschlagen, daß w ir es so machen.

Senatspräfident Grau: D ann würde ich es darauf abstellen, ob der Be­ treffende feierlich verpflichtet worden ist. Staatssekretär Dr. Freister: J a , das können wir so machen. Die Unterkommission würde aus den Herren Leimer, Klee und Rietzsch bestehen. Dam it hätten wir das, was wir uns für heute vorgenommen hatten, erledigt, und es wäre wünschens­ wert, daß die Unterkommissionen ihre Arbeit heute fertigstellen könnten.

(Schluß der Sitzung 12 Uhr 40 Minuten.)

Strafrechkskommisfion

80, Sitzung 28. Juni 1935 (Hahnenklee)

Angriffe auf Rechtspflege und Verwaltung Reichsjusttzminister Dr. Gärtner..........................21, 22, 23, 24 Berichterstatter Senatspräsident Professor Dr. Klee .. .21, 23 Berichterstatter Landgerichtsdirektor Leim er...................21, 23 Professor Dr. Graf Gleispach.................................... 21, 22, 23 Mtnisterialdirettor Schäfer..................... .....................21, 22, 23 Oberregierungsrat Dr. von D ohnanyi.....................21, 22, 23 Professor Dr. Schaffstein..................................................... 21, 22 Professor Dr. N agler..................................................................... 22 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer. . .22 Reichsgerichtsrat Nietham m er.................................................... 22 Oberstaatsanwalt Dr. R e im e r .................................................... 22 Professor Dr. Henkel..................................................................... 22

(Aussprache abgebrochen.) Zweite Lesung I n ha l t

Beginn der Sitzung 9 Uhr 35 Minuten.

Angriffe auf die Fortpflanzungskraft Reichsjusttzminister Dr. G ärtner.. . .1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 Berichterstatter Senatspräsident G r a u -----1, 2, 4, 6, 7, 8, 9 Berichterstatter Professor Dr. N a g le r .................................. 3, 4 Staatssekretär Dr. F r e iste r .....................................4, 5, 6, 7, 8 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack..........................4 Professor Dr. Mezger................................................................ 4, 9 Ministerialdirektor Schäfer.......................................4, 5, 6, 7, 8 Professor Dr. Schaffstein................................................................4 Senatspräsident Professor Dr. Klee......... ..........................5, 6 Ministerialdirigent Geheimer RegierungsratDr. Schäfer 5, 6 Ministerialrat Rietzsch..................................................................... 6 Oberregierungsrat Dr. von D o h n a n y i................................ 6, 8 Retchsgerichtsrat Nietham m er...................................................... 7 Professor Dr. D a h m ...........................................\ .........................7 Professor Dr. Henkel............................................. .\...................7, 8 Landgerichtspräsident Dr. Lorenz........................v...................... 8

Angriffe auf den Gottesglauben und die Religion Reichsjusttzminister Dr. Gärtner 9 ,1 1 ,1 2 ,1 3 ,1 4 ,1 6 ,1 7 ,1 8 ,1 9 Berichterstatter Bizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack 9, 14, 17, 19 Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch.........10, 16, 17, 19 Professor Dr. Henkel...................................................... .1.11, 14 Professor Dr. Dahm . . . . > ...........................................11', 12, 15 Staatssekretär Dr. F r e iste r ........................................................ 12 Senatsprästdent Professor Dr. K lee..........................13, 18, 19 Professor Dr. Mezger............................................................ 13, 14 Retchsgerichtsrat Nietham m er.................................................... 14 Ministerialdirektor Schäfer........................................... 15, 17, 19 Professor Dr. N agler..................................................................... 15 Professor Dr. Schaffstein.............................................................17

Störung der Totenruhe Reichsjusttzminister Dr. Gärtner........... ................. 19, 20, 21 Berichterstatter Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack 19, 20 Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch.................................20 Retchsgerichtsrat Nietham m er.................................................... 20 Senatspräsident Grau................................................................... 20 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer .. .20 Mtnisterialdirettor Schäfer.................................................. 20 Oberstaatsanwalt Dr. R eim er.................................................... 20

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren, nach dem Stande der Debatte sind jetzt die §§ 50, 51 des gedruckten Entwurfs zu be­ sprechen. Ich darf die Herren Berichterstatter bitten, bei diesen Paragraphen sortzusahren. Senatsprasident Grau: Der Abschnitt „Erhaltung der Volkskraft" ent­ hält die §§ 50 und 51 und steht bisher in der Gruppe „Angriffe aus die seelische Haltung des Volkes". Die Kommission ist sich schon darüber einig geworden, daß die Überschrift dieses Abschnitts zu ändern ist, und zwar dahin, daß von „Angriffen auf die Fortpflanzungskraft" zu sprechen ist, und daß dieser Abschnitt denjenigen Abschnitten anzufügen ist, in denen von den Angriffen auf die Lebenskräfte des Volkes gesprochen wird (von der Wehrkraft, der Arbeitskraft, der Wirtschaftskraft). Bisher enthält dieser Abschnitt nur zwei Tatbe­ stände. Diese beiden Tatbestände zeigen aber schon deutlich, in welchen beiden Richtungen die übrigen Tatbestände gehen müssen, die in diesen Abschnitt hinein gehören. Die Maßnahmen auf diesem straf­ rechtlichen Gebiete müssen einmal dahin gehen, die quantitative Vermehrung des Volkes zu fördern (§ 51), und ferner dahin, die Volkskraft in ihrer Q ualität zu steigern (§ 50). Diese beiden Gesichts­ punkte werden wir bei den neu einzufügenden Tatbe­ ständen unterscheiden müssen. Eine wirksame Rassenpolitik beruht nicht in erster Linie auf strafrechtlichen Maßnahmen; das meiste hat hier die Aufklärung des Volkes zu leisten, die dahin gehen muß, daß das Volk den Ewigkeitswert seines Blutes erkennt. Neben diesen Aufklärungsmaß­ nahmen und neben anderen Maßnahmen verwal­ tungsrechtlicher Art ist aber auch ein Bedürfnis nach strafrechtlichen Schutzvorschristen insoweit vorhanden, als diese sich gegen gewisse grobe Angriffe auf die staatliche Rassen- und Erbpflegepolitik richten. Der erste Teil dieses Abschnitts wird dem Schutz der natürlichen Vermehrung des Volkes dienen und

mit einem Tatbestand beginnen, der sich gegen eine propagandistische Tätigkeit gegen die natürliche Volks­ vermehrung richtet. Dieser Gedanke ist im wesent­ lichen schon im bisherigen § 51 zum Ausdruck ge­ kommen. Die Abteilung schlägt vor, das Wort „natürlich" zu streichen. Der Ausdruck „natürlich" habe nur dann einen S in n , wenn darin eine Ein­ schränkung zum Ausdruck kommen solle. Dies ist zu­ treffend; es ist besser zu formulieren: Wer öffentlich den Willen des deutschen Volkes zur Fruchtbarkeit böswillig lähmt oder zersetzt . . . I n dieser Formu­ lierung würde schon eine genügende Einschränkung des Tatbestandes durch die Voraussetzungen des inneren Tatbestandes enthalten sein. Zu dem ersten Teil des neuen Abschnitts wird weiter vorgeschlagen, die öffentliche Anpreisung von M itteln zur Verhütung und Unterbrechung der Schwangerschaft und zur Verhütung von Ge­ schlechtskrankheiten an dieser Stelle unter Strafe zu stellen. I n dem Abschnitt über die Unzucht haben w ir gestern einen Tatbestand vorgesehen, der allgemein auf Gegenstände zum unzüchtigen Gebrauch abgestellt ist. Trotzdem ist es wünschens­ wert, hier eine Spezialvorschrift zu schaffen, eine Vorschrift, die sich allein aus die Gegen­ stände erstreckt, die zur Verhütung und Unterbrechung der Schwangerschaft und zur Verhütung von Ge­ schlechtskrankheiten dienen. Die Abteilung hat vor­ geschlagen, nur das öffentliche Ankündigen, Anpreisen, Zurschaustellen und das öffentliche Erörtern von M itteln zur Verhütung der Schwangerschaft unter Strafe zu stellen. D as Reichsinnenministerium wünscht eine Vorschrift allgemeineren In h a lts in Form einer Blankettvorschrist. Nach dessen Vorschlag würde es den Spezialgesetzen überlassen bleiben zu bestimmen, was im einzelnen ersaßt werden soll. Ich würde mich dem Vorschlage der Abteilung anschließen. Der dritte Tatbestand aus diesem Gebiet richtet sich gegen die willkürliche Vornahme der Sterilisation und der Kastration. Wenn das Sterilisationsgesetz die Sterilisierung und das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher die Entmannung vorsieht, dann handelt es sich stets um Maßnahmen auf Grund eines bestimmt geregelten gesetzlichen Verfahrens. Darüber hinaus muß es verboten sein, willkürlich derartige Maßnahmen am eigenen oder fremden Körper vorzunehmen. Der § 14 des Sterilisations­ gesetzes gibt uns insoweit einen Hinweis; diese Vor­ schrift unterscheidet zwischen den gesetzlich vorgesehenen Fällen und den gesetzlich zugelassenen Fällen der Sterilisation. Liegt kein gesetzlich vorgesehener und kein gesetzlich zugelassener Fall vor, so handelt es sich, wenn eine solche Maßnahme trotzdem vorgenommen wird, stets um einen kriminellen Tatbestand. Die Abteilung schlägt weiterhin einen Tatbestand über die Zerstörung der Fortpflanzungsfähigkeit vor. Ich würde mich diesem Vorschlag anschließen. Ferner ist zu erwägen, ob man in diesen Abschnitt auch die Vorschriften über die Abtreibung hinein­ bringen soll. Ich würde die Aufnahme dieser Vor­ schriften in diesen Abschnitt für richtig halten. Denn

dem Volke erscheint die Unterbrechung der Schwanger­ schaft nicht als ein gegen das zukünftige Leben, sondern als ein gegen die Fortpslanzungskrast des Volkes gerichtetes Delikt. Zunächst wären deshalb die §§ 278 und 279 des Entwurfs hierher zu übernehmen. Bei § 279 ist allerdings zu überlegen, ob die ganze Vor­ schrift in diesen Abschnitt übernommen werden soll oder ob der eine Sondersall, in dem es sich um die Tötung eines Kindes während der Geburt handelt, richtiger in dem Abschnitt über die Tötungsdelikte unterzubringen ist. Nach meiner Auffassung gehört dieser Fall in den Abschnitt über die Tötung. Weiter­ hin dürfte im § 279 der Gedanke zum Ausdruck zu bringen sein, daß die Unterbrechung der Schwanger­ schaft mit Einwilligung der Schwangeren auch dann zulässig ist, wenn bereits die Unfruchtbarmachung auf Grund des Sterilisationsgesetzes angeordnet worden ist. Dieser Gedanke ist ja auch bereits in der dem Reichskabinett z. Zt. vorliegenden Novelle zum S teri­ lisationsgesetz enthalten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dies ist vorgestern bereits Gesetz geworden. Senatspräsident Grau: E s ist aber zu erwägen, ob man diesen Gedanken nicht auch an dieser Stelle zum Ausdruck bringen soll. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s handelt sich um den Fall, daß die schwangere M utter als sterilisationssähig anzusehen ist; dann soll die Schwangerschaft bis zum sechsten Monat unterbrochen werden können. Senatspräsident Grau: Ich würde vorschlagen, diesen Gedanken in § 279 Abs. 4 zum Ausdruck zu bringen. § 280 Abs. 1 behandelt die Ankündigung von Abtreibungsmitteln. Dieser Tatbestand ist durch den vorher besprochenen Tatbestand der öffentlichen An­ preisung von M itteln zur Verhütung der Schwanger­ schaft in der vom Reichsminister des In n e rn vorge­ schlagenen Form erledigt. . § 281, der das Anerbieten zur Abtreibung be­ handelt, kann ebenfalls in diesem Abschnitt unter­ gebracht werden, und zwar bei der Anpreisung von Abtreibungsmitteln. M it diesen Tatbeständen wäre der erste Teil dieses neuen Abschnitts erledigt. Der zweite Teil betrifft den Schutz, der q u a l i ­ t a t i v e n Hebung des Nachwuchses. Der erste P a ra ­ graph, den die Abteilung vorschlägt, behandelt in Anlehnung an § 50 des Entwurfs die Rassengesährdung. Dieser Tatbestand soll die Propaganda gegen Maßnahmen treffen, die der S ta a t zur Pflege des Rassen- und Erbgutes ergriffen hat. Die Abteilung schlägt zutreffend drei Tatbestände vor. I n erster Linie soll das böswillige Berächtlichmachen von Maßnahmen der Erb- und Raffenpslege ersaßt werden. Ferner schlägt die Abteilung eine Spezialvorschrift zu § 152. des Entwurfs vor, nämlich zu der allgemeinen Aufforderung und Aufreizung

gegen Gesetze usw. Diese Auflehnung wird hier auf die Aufwiegelung gegen Maßnahmen zur Erb- und Raffenpflege spezialisiert. Schließlich enthält der Vorschlag der Sachbearbeiter als dritten Tatbestand das böswillige Entgegenwirken gegen die Grundlagen unserer Erb- und Raffenpslege. Dieser letzte Tatbe­ stand scheint mir von besonderer Bedeutung zu sein. Eine ausbauende Kritik müssen wir zulassen, und zwar auch dann, wenn sie sich gegen die Grundlagen richten sollte. Voraussetzung ist aber, daß ste wissenschaftlich, daß sie sachlich gehalten ist. Wenn böswillig den Grundlagen unserer Erb- und Raffenpflege entgegen­ gewirkt wird, muß der Strafrichter eingreifen. D ar­ aus ergibt sich der Tatbestand der Raffengefährdung, den ich in Übereinstimmung mit den Sachbearbeitern in der dort mitgeteilten Formulierung vorschlage. Der Reichsminister des In n e rn bittet hinsichtlich des ersten Tatbestandes um Streichung des Merkmals, „öffentlich"; das halte ich aber nicht für möglich. Der Reichsminister des In n ern bittet ferner, nicht von „böswillig", sondern von „unsachlichem" Entgegen­ wirken zu sprechen. D as scheint aber zu weit zu gehen. Schließlich kommt noch ein Tatbestand in Frage, der die Vereitelung einer rechtskräftig angeordneten Maßnahme auf dem Gebiete der Erb- und Raffen­ pslege treffen soll. D as ist derselbe Gedanke, der in § 164 des Entwurfs bei der Vereitelung der S tra f­ vollstreckung zum Ausdruck kommt. Es geht nicht an, daß jemand, gegen den eine solche eugenische M aß­ nahme rechtskräftig angeordnet worden ist, durch einen anderen der Vollziehung dieser Maßnahme ent­ zogen wird. Unbedingt strafwürdig ist, wer einen a n d e r e n der Durchführung der angeordneten Maßregel entzieht. Die Abteilung schlägt für diesen Tatbestand (§ 51 a) vor, daß schon das Unternehmen der Vereitelung ersaßt werden soll. Ich sehe jedoch keinen Grund, warum man hier schon bas Unter­ nehmen unter die gleiche S trafe stellen soll. Der Minister des In n ern schlägt eine Abänderung wie folgt vor: Wer einen anderen dazu auffordert oder anreizt, sich einer solchen Maßnahme zu entziehen, oder wer vereitelt . . . Ich glaube, daß es nicht not­ wendig ist, das Auffordern und Anreizen besonders zu nennen, weil es immer eine versuchte Vereitelung sein würde. Wenn wir diese Bestimmung so fassen, wie ich sie vorschlage, würde sie genau dem § 164 über die Vereitelung der Strafvollstreckung nach­ gebildet sein. D as sind die Tatbestände, die nach meiner Ansicht in diesen Abschnitt hineingehören. Wenn man alle diese Tatbestände aufnimmt, wäre der Abschnitt auf­ gefüllt. Die Abteilung hat ferner zur Erwägung gegeben, ob in diesen Abschnitt auch die Vorschriften gegen das Verbreiten von Geschlechtskrankheiten aufgenommen werden sollen. Ich möchte dieser Anregung schon aus dem Grunde widersprechen, weil dann, wenn diese Vorschriften hier aufgenommen werden würden, der Abschnitt über die Angriffe auf die Bolksgesundheit feine wesentlichen Bestandteile verlieren würde.

Profeffor Dr. Nagler: Grundsätzlich stimme ich den Vorschlägen des Herrn Berichterstatters zu und beschränke mich auf eine kurze Nachlese. Was den § 51 anbelangt, würde ich anregen, wie bei der Wehrkraft auch hier zu formulieren: Wer versucht. . . Ich bin auch der Meinung, daß das Wort „natür­ lich" in § 50 entweder eine Selbstverständlichkeit oder eine unzulässige Einschränkung in sich schließt. Was den § 50 e nach den Vorschlägen der Sach­ bearbeiter anlangt, so scheint es mir richtig zu sein, daß man auf die von dem Reichsminister des In n ern vorgeschlagene Blankettvorschrist hinauskommen sollte, weil die Vorschrift dadurch beweglicher und elastischer wird. § 50 a (Zersetzung der Zeugungs- und Fortpslanzungssähigkeit) scheint mir eine Wiedergabe des geltenden Rechts zu sein, die nicht zu beanstanden ist. Auch ich bin der Meinung, daß die Tatbestände über die Abtreibung in diesen Abschnitt einzuarbeiten sind, weil dadurch das universalistische Interesse der Volksgemeinschaft zum Durchbruch kommt. I n dem Kampf um die Abtreibungstatbestände standen sich immer die beiden Standpunkte, der des Individualis­ mus und der des Universalismus, unüberbrückbar gegenüber. F ü r die Abschaffung der Tatbestände der Abtreibung wurden immer Gründe individuellster Art sehr eindrucksvoll angeführt, z. B. die seelische oder materielle Not der Mutter. Nur universalistische Argumente konnten für die Aufrechterhaltung des Abtreibungsschutzes stichhaltig geltend gemacht werden. Wenn wir die Abtreibung in den gegenwärtigen Zu­ sammenhang bringen, wird endgültig klargestellt, daß die Strafvorschristen der besonderen Belange der Volksgemeinschaft wegen geschaffen werden. Aus dem § 279 des gedruckten Entwurfs würden der Abs. 1 und zum Teil die Abs. 3 und 4 hierher gehören; die übrigen Teile dieses Paragraphen ge­ hören in den Zusammenhang mit der Tötung. Denn wenn der Arzt das in der Geburt begriffene Kind tötet, handelt es sich schon um die Vernichtung eines Menschenlebens. Der Rest des § 279 wäre daher in den Abschnitt über die Tötungsdelikte einzuarbeiten. Ich bin auch damit einverstanden, daß der § 281 in diesen Abschnitt einbezogen wird. Bezüglich des Tatbestandes der Raffengesährdung bin ich ebenfalls in der Lage, mich den Ausführungen des Herrn Berichterstatters anzuschließen. Ich habe seinen Ausführungen zu § 51 nichts hinzuzufügen. Zu tz 5 1 a bin auch ich der Meinung, daß der Unternehmenstyp preiszugeben ist, um eine Parallele zu § 164 herzustellen. Den § 237 würde ich in Übereinstimmung mit dem Herrn Berichterstatter nicht in diesen Abschnitt über­ nehmen, sondern in dem Abschnitt über die Bolks­ gesundheit belassen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Welche Überschrift soll der Abschnitt bekommen?

SenatsprLsident Grau: Angriffe auf die Fortpslanzungskraft. Professor Dr. Nagler: M it diesem Vorschlag bin ich einverstanden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann taucht aber die Frage auf, ob wir diesen Abschnitt nicht vor dem Abschnitt über die Wehrkraft bringen müssen. Staatssekretär Dr. Freister: Dann würden andere sagen, daß die Abtreibung nicht vor der Wehrkraft gebracht werden darf. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die hier neu einzuordnenden Paragraphen ent­ halten die Gedanken, die wir auch bereits in den §§ 50 und 51 des gedruckten Entwurfs zum Ausdruck bringen wollten. Die Formulierung: „Wer öffentlich den Willen des Volkes zur Fruchtbarkeit lähmt oder zersetzt" ge­ fällt mir nicht. Ich habe Zweifel, ob sich nicht Beweisschwierigkeiten ergeben werden. Gemeint ist hier die geistige Einwirkung durch Propaganda, z. B. im Sinne der bekannten früheren Propaganda für eine Beschränkung der Kinderzahl. Später wird dann die körperliche Einwirkung behandelt. W ir müßen versuchen, den Grundgedanken durch eine bessere Fassung klarer herauszustellen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich möchte wünschen, in diesem Paragraphen zum Ausdruck zu bringen, daß nur die Fortpflanzung in der geordneten Ehe geschützt werden soll. Es kann unmöglich zugelassen werden, eine Anschauung ein­ reihen zu lassen, als ob wir mit der Fortpflanzung auch außerhalb der Ehe zufrieden sind. Wir wissen, daß es sich dabei nicht um einzelne Fälle handelt; in Sachsen waren z. B. im Jah re 1932 in den Groß­ städten 28% der Geburten unehelich. W ir wollen nicht, daß aus diesem Paragraphen ein Teil des Volkes das Recht ableitet, auch außerhalb des geord­ neten Bandes fruchtbar zu sein. Auch dem Auslande gegenüber wäre es gut, daß zum Ausdruck kommt, daß w ir eine Vermehrung um jeden P reis nicht wünschen. Staatssekretär D r. Freisler: Diese geordnete Verbindung schützen wir an anderer Stelle des Strafgesetzbuchs außerordentlich; hier sprechen wir nicht davon. D as „natürlich" ist schon in den Vorschlägen der Sachbearbeiter gestrichen worden. M an könnte unter der Bezeichnung „natür­ lich" einen Ausspruch dahin finden, daß die außer­ eheliche Zeugung und Geburt besonders ersaßt werden sollen. Diese Betonung ist aber nicht notwendig. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Wenn der Tatbestand richtig verstanden wird, wie w ir ihn meinen, ist es gut; aber er ist nicht ohne weiteres in diesem Sinne verständlich. W ir sind doch

alle der Meinung, daß nur die Propaganda gegen die geordnete Fruchtbarkeit erfaßt werden soll und nichts anderes. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wie stellen sich die Herren dazu: Wenn jemand die Enthaltsamkeit des nichtverheirateten M annes oder Mädchens propagiert, soll das auch unter diese Bestimmung fallen? Staatssekretär D r. Freisler: Selbstverständlich nicht! Professor D r. Mezger: Ich möchte den Bedenken von Herrn Präsident Thierack beitreten; ich würde es sehr begrüßen, wenn die von Herrn Präsident Thierack angeregte Ein­ schränkung hinzukäme. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir brauchen gewisse törichte Erscheinungen der Gegenwart nicht zur Norm zu machen. E s ist sogar geschrieben und gedruckt worden, daß die uneheliche M utter viel mehr wert sei als die eheliche Mutter. Ministerialdirektor Schäfer: D as wäre die Frage, ob irgendein normatives Element eingefügt werden soll, etwa: „wider die guten Sitten". Senatspräsident Grau: Wenn in dieser Richtung Bedenken bestehen, würde ich sagen: „Wer öffentlich den Willen deutscher Ehe­ gatten zur Fruchtbarkeit lähmt . . .". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as paßt hier aber nicht. Werden meine Beden­ ken gegen die Fassung sonst nicht geteilt? Staatssekretär D r. Freisler: Meines Erachtens ist das nach der Fassung und dem In h a lt eine der besten und klarsten Bestimmun­ gen unseres Entwurfs. Dieser Paragraph spricht auch eine Sprache, die jeder versteht. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich bin überzeugt, daß der Paragraph in dieser Fassung im Volke einen eigenartigen Weg gehen wird. E r wird unter der Überschrift bekannt werden: Mehret Euch! Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Aus dem Schweigen der Herren ergibt sich, daß niemand etwas Besseres weiß. Ich würde bitten zu überlegen, ob der Gedanke, über den Einigkeit besteht, nicht besser gefaßt werden kann. Professor D r. Schasfftein: Ich stimme den Bedenken des Herrn Präsident Thierack zu. Ich könnte mir denken, daß man etwa in

folgender Weise formuliert: „Wer öffentlich die Fruchtbarkeit der Ehe herabwürdigt mtb dadurch den Fortpflanzungswillen des deutschen Volkes lähmt oder zersetzt. . . Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Diese Auseinandersetzungen klingen an eine Äußerung bei Shakespeare an, wo auch ein Vergleich zwischen dem in der Ehe und dem sonst erzeugten Kind gezogen wird. Es ist ein sehr heikler Boden, den wir hier betreten. Ich würde vorschlagen, in der Unterkommission zu versuchen, eine bessere Formulierung zu finden. Ob man den Tatbestand nicht vielleicht durch die An­ gabe der M ittel einschränken kann? Ministerialdirektor Schäfer: Vielleicht könnte man sagen: den sittlichen Willen des deutschen Volkes. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Unterkommission sollte den Versuch machen, den Gedanken, der akzeptiert wird, etwas besser zu

fassen. Die bisherigen Vorschriften betrafen den psychischen Schutz der Fortpflanzungsfähigkeit; die folgen­ den Bestimmungen behandeln die physische F o rt­ pflanzungsfähigkeit. F ü r diesen Schutz ist zunächst vorgeschlagen, die willkürliche Sterilisation und Kastration unter Strafe zu stellen. Dann sollen die Tatbestände über die Mittel, die zur Verhütung der Empfängnis dienen, und die Tatbestände über die Abtreibung gebracht werden. Ministerialdirektor Schäfer: Zu 50 a des Vorschlages der Abteilung habe ich das Bedenken, ob dieser Vorschlag, vor allem im Strafm aß, nicht zu weit geht. I m § 50 a wird Zucht­ haus oder Gefängnis nicht unter 6 Monaten ange­ droht. Die Abteilung hat sich bei ihrem Vorschlag an das Strafm aß des § 284 angelehnt. D as hier vorge­ schlagene Strafm aß geht aber weit über die S tra f­ drohung gegen die Abtreibung hinaus. M ir scheint der Strafrahm en des § 50 a weit übersetzt zu sein. Daneben habe ich auch Bedenken, ob der T at­ bestand im übrigen unverändert bleiben kann. Ich erinnere daran, daß wir bei der Abtreibung nur die medizinische Indikation als Strafausschließungs­ grund zugelassen haben, nicht aber die eugenische und soziale Indikation. Daneben ergibt sich aus dem Sterilisationsgesetz die Zulässigkeit der Abtreibung im gewissen Umfange auch aus eugenischen Gründen. Nun lege ich m ir die Frage vor, ob dann, wenn eine M rtter, eine Ehefrau, 6, 7, 8 Kinder hat und dann sagt, daß jetzt aus sozialen Gründen mit dem Kinder­ segen Schluß sein müsse, ob dann wirklich für eine Bestrafung, insbesondere für eine solche schwere Be­ strafung, Raum ist. D as ist mir nicht ganz sicher. M an muß doch hier hinter dem Umfang der Be­ strafung der Abtreibung zurückbleiben; wenigstens

muß man so etwas Ähnliches wie die soziale Indika­ tion berücksichtigen. Staatssekretär Dr. Freister: Bezüglich des letzten Punktes bin ich gegenteiliger Meinung. Diese Verschiedenheit erklärt sich daraus, daß Herr Ministerialdirektor Schäfer bei der Ab­ treibung immer noch an die Lebenszerstörung als an das Wesentliche denkt. W ir haben uns aber eben ent­ schlossen, die Abtreibung unter einem anderen Ge­ sichtspunkt zu betrachten. Wenn wir die Abtreibung nicht in erster Linie als Lebensgefährdung auffassen, kann man nicht leugnen, daß die Zerstörung der Quelle, der Grundlage, aus der immer wieder das Leben entstehen kann, etwas Schwerwiegenderes ist als die einmalige Vernichtung. Senatspräsident Professor D r. Klee: I n § 284 wird doch auch Gefängnis nicht unter 6 Monaten oder Zuchthaus angedroht; die Schwere der Strafdrohung gegenüber der Abtreibung ist kein Widerspruch zu § 284. Unter diesem Gesichtspunkt glaube ich, daß es richtig ist, diese schwere S tra f­ drohung vorzusehen. Daß leichte Fälle unter dem Ge­ sichtspunkt der sozialen Indikation als unbefriedigend erscheinen können, ist richtig; man könnte vielleicht nur Gefängnis vorsehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Strafdrohung wäre vielleicht der der Ab­ treibung gleichzustellen. Staatssekretär Dr. Freister: E s müßten aber besonders schwere Fälle vorge­ sehen werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nach geltendem Recht liegt bei Unsittlichkeit der Einwilligung in die Sterilisation eine schwere Körper­ verletzung vor. Ministerialdirektor Schäfer: Als wir die Einfügung der Einwilligung über­ legten, haben wir uns diese Fälle sehr überlegt. Unter Umständen kann ein Fall der Einwilligung nicht mehr unsittlich sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin der Meinung, man sollte die Sterilisation mit Einwilligung möglichst wenig erwähnen. I m übrigen könnte man die Gleichstellung mit der Abtreibung vornehmen. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: D arin sind die Fälle ohne Einwilligung nicht ent­ halten. Staatssekretär Dr. Freister: Deswegen müssen die schweren Fälle hervorge­ hoben werden. Ministerialdirektor Schäfer: Diese Fälle können noch unter dem Gesichtspunkt der eigenmächtigen Heilbehandlung, der schweren Körperverletzung erfaßt werden.

Ministerialdirigent D r. Schäfer: D as ist aber eine Spezialbestimmung. Praktisch käme das darauf hinaus, daß wir hier eine Privile­ gierung schassen. Ministerialrat Rietzsch: Die Gleichstellung mit der Abtreibung würde be­ deuten, daß nur Gesängnis angedroht wird. Ministerialdirektor Schäfer: F ü r besonders schwere Fälle sehen wir aber Zucht­ haus vor. M inisterialrat Rietzsch: E s fragt sich, ob hier nicht immer schwere Fälle vorliegen; nach dem bisherigen Entwurf läge wohl immer ein Fall der schweren Körperverletzung nach § 284 des Entwurfs vor, wo Zuchthaus oder Gefäng­ nis nicht unter 6 Monaten vorgesehen ist. Ministerialdirigent D r. Schäfer: W ir könnten es mit der Abtreibung parallel ge­ stalten. Wenn ohne Einwilligung oder gewerbsmäßig gehandelt wird, wäre Zuchthaus vorzusehen. Staatssekretär Dr. Freister: Die Einwilligung wollen wir gerade nicht er­ wähnen. Reichsjustizminister Dr. Güttner: Zuchthaus muß in diesem Tatbestand auch mit an­ gedroht werden. Ich erinnere mich dabei an Vorfälle, die in Graz gespielt haben. Dort wurde Propaganda dafür gemacht, daß sich die jungen Leute sterilisieren lassen sollten, weil der Geschlechtsverkehr dann unge­ fährlich ist. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: I n Graz sind auch solche Operationen in großer Zahl vorgenommen worden. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Als Strafdrohung könnten wir also grundsätzlich Gefängnis vorsehen, für besonders schwere Fälle Zuchthaus. Dann kämen die §§ 278, 279, 281; § 280 gehört in einen anderen Zusammenhang. Senatspräsident Grau: Den § 280 würde ich vorausschicken; alle Fälle der propagandistischen Tätigkeit wären dann zusam­ mengefaßt. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Das, was wir hier unter Abtreibung aufführen wollen, ist bisher in den §§ 278, 279 enthalten. §§ 278 und 279 betreffen die Abtreibung im engeren Sinne. Staatssekretär Dr. Freister: D as W ort „töten" im ersten Satz des Abs. 2 des § 279 ist durch „abtreiben" zu ersetzen.

Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Sollen wir die Unterbrechung der Schwangerschaft bei einer Sterilisationserkenntnis gegen die M utter in § 279 einarbeiten? Der § 14 des Sterilisations­ gesetzes in der neuen Fassung geht doch das ganze Strafrecht an. W as vorgestern zum Gesetz geworden ist, gehört auch in diesen Rahmen. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Sollen im ersten Absatz die Worte: „mit E in­ willigung" bestehen bleiben? Ministerialdirektor Schäfer: Diese Frage haben wir lange erörtert. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Die Frage ist, ob eine medizinisch gebotene Unter­ brechung dann, wenn die Schwangere nicht einwilligt, zu einer Abtreibung oder zu einer eigenmächtigen Heilbehandlung wird. Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as käme höchstens bei einer an sich sterilisations­ fähigen F rau in Frage. Nur dann kann zweifelhaft sein, ob man eine solche Maßnahme zulasten soll. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: W ir müssen verschiedene Fälle auseinanderhalten. Der Absatz 1 spricht von Lebensgefahr. Der Arzt will eine Abtreibung, weil Lebensgefahr besieht; die M utter will die Abtreibung nicht. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: E s fragt sich, ob der Arzt dann ein Abtreiber ist, oder ob nur eine eigenmächtige Heilbehandlung vorliegt. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: W ir sind früher dazu gekommen, daß dies ein Fall der Abtreibung ist. Die M utter soll das Recht haben, diese Lebensgefahr auf sich zu nehmen. Staatssekretär Dr. Freister: Ich bin der Meinung, daß der Abs. 3 geändert werden muß, und zwar deswegen, weil im F all eines ausdrücklich ausgesprochenen' Willens, auch wenn nachher eine neue Willensäußerung nicht eingeholt werden kann, die Abtreibung nicht erfolgen darf. Wenn die F rau erklärt hat: einerlei, was kommt und wird, die Frucht darf nicht abgetrieben werden, und wenn sich dann herausstellt, daß Lebensgefahr besteht, so darf der Arzt nicht von sich aus eine Abtreibung vornehmen. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Ich habe gefühlsmäßig kein Verständnis dafür, daß man einen Arzt, der einen medizinisch indizierten Eingriff vornimmt, als Abtreiber ansieht. Wenn wir Tätertypen schaffen wollen, so können wir doch einen solchen Arzt nicht zum Abtreiber stempeln. Dem Strasbedürfnis kann man dadurch entsprechen, daß man die Handlung des Arztes als eigenmächtige Heil-

behandlung unter eine ebenso hohe Strafe stellt wie die Abtreibung. Reichsgerichtsrat Niethammer: Den Mitgliedern des Reichsgerichts liegt viel daran, bei diesen Fragen zu Worte zu kommen. Es war zunächst vorgesehen, die Abtreibung nicht auf dieser Tagung zu besprechen. W ir haben daher die einschlägigen Vorschriften in dem Ausschuß des Reichs­ gerichts noch nicht abschließend erörtert. Die M it­ glieder des Reichsgerichts wären dankbar, wenn die Behandlung dieser Fragen zurückgestellt werden könnte. Denn insbesondere der ärztlich gebotene Ab­ bruch der Schwangerschaft tritt uns oft entgegen, und einzelne Mitglieder des Reichsgerichts haben sich ein­ gehend damit beschäftigt, so daß vielleicht doch etwas von Wert herauskommen könnte, wenn diese Ansicht hier vorgetragen werden dürste. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Anregung, die Aussprache über diesen Punkt zu vertagen, ist mir auch aus einem anderen Grunde sympathisch; wir brauchten zu diesen Besprechungen wohl auch die Herren der Medizinalabteilung. Professor Dr. Dahm: Ich möchte den Ausführungen des Herrn Ober­ regierungsrats von Dohnanyi beitreten. Eine Ab­ treibung, die ohne Einwilligung vorgenommen wird, können wir nicht ebenso behandeln wie eine Ab­ treibung, die gegen Entgelt erfolgt. Der Arzt, der den Eingriff ohne die Zustimmung der Schwangeren vornimmt, ist noch nicht ohne weiteres seinem Wesen nach ein Abtreiber. Hier liegt eine eigenmächtige Heilbehandlung, aber keine Abtreibung vor. Professor D r. Henkel: Diese Frage ist im Entwurf 1930 durchaus befrie­ digend gelöst; man könnte in dieser Frage dem Ent­ wurf 1930 folgen. Staatssekretär Dr. Freister: Ich bin der Meinung, daß dieser Arzt, wenn er kein Abtreiber sein soll, Arzt bleibt; daran wird ihn niemand hindern können. Wenn er aber Abtreiber ist, bleibt er nicht Arzt; das letztere ist ein dringend erwünschtes Ergebnis. Wenn wir diese Handlung als eigenmächtige Heilbehandlung ansehen, und wenn wir auch den Strafrahm en hierfür nach oben ausweiten, so weit wir wollen, dann werden die Gerichte stets sagen, daß ja nur eine Heilbehandlung vorliege und deshalb kein Anlaß bestche, dem T äter die Tätigkeit als Arzt zu untersagen. Dieser M ann darf aber nicht mehr Arzt bleiben; denn er hat die Erfüllung einer Lebensaufgabe, die sittlich begründet und natürlich notwendig ist, sabotiert. Ich glaube aber, daß wir auch diese Frage nicht abschließend diskutieren können, bevor nicht die Herren der Medizinalabteilung anwesend sind. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich schlage vor, diese Fragen heute nicht weiter zu erörtern. Erscheinen sollten hier jedenfalls die

Bestimmungen über die Abtreibung, und zwar die §§ 278, 279. Dabei wäre § 279 durch die Vorschrift des Sterilisationsgesetzes zu ergänzen. D as nächste Kapitel umfaßt die §§ 280, 281, die Ankündigung von Abtreibungsmitteln und Abtrei­ bungsdiensten. F ü r diese Bestimmungen liegt ein Vorschlag des Innenministeriums vor. Staatssekretär Dr. Freister: Sollten wir in § 281 nicht auch die Fälle treffen, in denen das Anerbieten nicht öffentlich, wohl aber gewerbsmäßig geschieht? Ministerialdirektor Schäfer: Durch die von uns beschlossene Erweiterung des Täterbegrisfs genügt das Anerbieten gegenüber einer bestimmten Person; dadurch haben wir sogar einen noch weiteren Strafrahmen zur Verfügung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as öffentliche Anbieten zur Abtreibung kommt praktisch vor, wenn auch in getarnten Formen. Damit wären wir mit diesem Teil fertig, der das quandum betrifft. Jetzt hätten wir uns mit dem quäle zu beschäf­ tigen. F ü r diesen Abschnitt handelt es sich um 2 T a t­ bestände; der eine richtet sich gegen Angriffe auf die Maßnahmen des Reiches, der andere gegen Angriffe aus Maßnahmen bei der Durchführung. Diese Auf­ spaltung erscheint mir durchaus möglich. Der § 51, wie er vom Hause formuliert worden ist, kommt mir weniger literarisch vor. Was soll aber der Satz be­ deuten: „wer sonst ihren Grundlagen entgegenwirkt"? Senatspräsident Grau: Kritik an den Grundlagen dieser Gesetze und An­ ordnungen muß möglich sein; wir müssen auch zu­ lassen, daß die Berechtigung, solche Gesetze zu erlassen, bestritten wird. Diese Möglichkeit muß aber dahin eingeschränkt werden, daß Angriffe gegen die Grund­ lagen, die öffentlich und böswillig erfolgen, vom Strafrecht ersaßt werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich wäre den Herren für ein Beispiel dankbar. Senatspräsident Grau: Einen Angriff gegen die Grundlagen würde ich z. B. darin sehen, daß jemand die Berechtigung des S taates leugnet, das Sterilisationsgesetz zu erlaffen. Staatssekretär Dr. Freister: Beispiele bieten auch die Kanzelpredigten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir will es sprachlich nicht eingehen zu sagen: „den Grundlagen entgegenwirken". Senatspräsident Grau: W ir wollten den Tatbestand dahin einengen, daß nicht jeder Angriff aus die Gesetze ersaßt wird.

Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Gemeint ist der Angriff gegen den Grundgedanken. Staatssekretär Dr. Freisler: Der Angriff auf die Ziele dieser Gesetzgebung würde m. E. nicht ausreichen; die Ziele dieser Gesetze wird niemand angreifen. Der Kernpunkt ist, daß jemand in einer unsachlichen oder sonst gefährlichen Weise öffentlich die Berechtigung des S taates, über­ haupt solche Maßnahmen zu treffen, angreift. Dabei kann man nicht von „unsachlich" sprechen; diese Be­ rechtigung darf überhaupt nicht angegriffen werden. Senatspräsident Grau: Ich würde nicht von Berechtigung sprechen. Der Strafschutz muß auch schon dann eingreifen, wenn jemand sagt, daß der ganze Sterilisationsgedanke Un­ fug sei. Nicht dagegen soll eine Kritik erfaßt werden, in der z. B. gesagt wird, daß der Kreis der Erbkranken zu eng oder zu weit umgrenzt sei. Der Gedanke, daß überhaupt Sterilisierungen vom S ta a t angeordnet werden dürfen, darf nicht böswillig angegriffen werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Grundgedanke dieser Vorschrift ist mir schon sympathisch. Es handelt sich um keinen Grundge­ danken der Rassenpslege, wenn eine Auseinander­ setzung darüber entsteht, ob z. B. die erbliche Taub­ stummheit ein Anlaß zur Sterilisation sei. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Der letzte Satz in § 51 des Antrags B 65 würde vielleicht dann verständlicher, wenn man sagte: „den Grundgedanken der staatlichen Erb- oder Raffen­ pflege" statt „ihren Grundlagen". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: „Böswillig" würde ich unter allen Umständen stehen laffen; denn auf diesem Gebiet gibt es viele Dinge, die in der Wissenschaft nicht unbestritten sind. Sympathischer würde ich schon der Fassung gegen­ über stehen: „M it dem Grundgedanken der staatlichen Erb- und Rassenpslege unverträglich." Staatssekretär Dr. Freisler: E s sind 2 Gruppen von Fällen zu unterscheiden, die man treffen will. Zu der einen Gruppe gehören, die Fälle, in denen jemand, der vielleicht gar nichts Böses will, öffentlich erklärt: die Maßnahmen der Rassenpflege sind eine Sünde, eine Sünde tun wir aber nicht. Es wird dabei nicht gesagt, daß man den Gesehen gegenüber ungehorsam sein soll, sondern es bleibt alles auf dem Gebiet der Religion. I n die andere Gruppe von Fällen gehört z. B. der Brief des Generalvikars des Bistum s Passau, der vor kurzem im Völkischen Beobachter abgedruckt wor­ den ist. I n diesem Brief wird u. a. gesagt: Die An­ hänger des Sterilisationsgesetzes huldigen dem Grundsatz: der Zweck heiligt die Mittel. Ich habe in Erinnerung, daß ferner in diesem Brief stand, daß

diese Bestimmung dahin führen würde, daß sich jeder sterilisieren lassen würde. D as ist böswillig; denn der Schreiber hat gewußt, daß sich heute auf Grund dieses Gesetzes nicht jeder sterilisieren laffen kann, sondern daß eine vorherige Prüfung durch Sachverständige erforderlich ist. Es ist auch böswillig, wenn der Be­ treffende so etwas schreibt und sich vorher gar nicht informiert hat, ob die Grundlage für diese Mei­ nungsäußerung zutrifft. D as sind die beiden Gruppen von Fällen. Ich will dieses Beispiel mit dem Generalvikar nicht als etwas hinstellen, was in allen Fällen der strafrecht­ lichen Bekämpfung bedarf, wenn es nicht öffentlich geschehen ist. Hier haben wir es z. B. mit einem Brief zu tun, der keine öffentliche Meinungsäußerung be­ deutet. Ich nehme aber an, daß jemand etwas E nt­ sprechendes öffentlich sagt; das gehört dann zu der zweiten Gruppe von Fällen, die getroffen werden müssen. F ü r beide besteht ein strafrechtliches Schutz­ bedürfnis. Ferner besieht ein Bedürfnis, auch unab­ hängig von einer Böswilligkeit dann zu bestrafen, wenn eine grobe Leichtfertigkeit vorlag. Professor Dr. Henkel: Wenn wir etwa statt „böswillig" „unsachlich" sagen, so wäre das hier gleichbedeutend mit: nicht auf der Grundlage rassenbiologischer Forschung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe doch große Bedenken, soweit zu gehen. Ministerialdirektor Schäfer: Den Standpunkt, der hier als möglich hingestellt worden ist, hat der Papst vor ein oder zwei Jahren in einer Enzyklika eingenommen. M an muß vorsichtig sein, dagegen eine Strafbestimmung zu schaffen. M ir ist fraglich, ob man an dieser Stelle nicht lieber über­ haupt schweigen und besser an den Gedanken des § 152 anknüpfen sollte. W ir sollten uns lieber auf den allge­ meinen Gedanken, der nicht die spezifische F ront­ stellung hat, beschränken, als hier direkt eine Kampf­ stellung einzunehmen. I n dieses religiöse Gebiet sollte man nicht mit Strafvorschriften eingreifen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Bedenken wären nicht ganz so stark, wenn wir den subjektiven Tatbestand mit dem Akzent „bös­ willig" versehen. Die Bezeichnungen „sachlich" und „unsachlich" halte ich für sehr gefährlich. Staatssekretär D r. Freisler: Können wir nicht „böslich" nehmen? Reichsjustizminister Dr. Gürtner: „Böswillig" würde mir genügen. S ta tt „Grundlagen" könnten wir vielleicht „Grundgedanken" sagen und hinzufügen: „der staat­ lichen Erb- und Rassenpslege". D as würde die stärksten Bedenken ausräumen. D as zweite, was sich mehr gegen die administra­ tive Tätigkeit des S taates richtet, ist der § 51 a der

Vorschlage der Sachbearbeiter. W as ist mit diesem Tatbestand gemeint? Senatspräsident Grau: Es sollen die Fälle ersaßt werden, in denen eine Sterilisation angeordnet worden ist, und ein anderer versucht, den Betreffenden der Durchführung der Sterilisation zu entziehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Gemeint sind hier die Maßnahmen körperlicher A rt; der Tatbestand wäre parallel zu der Voll­ streckungsvereitelung aufzubauen. Professor Dr. Mezger: I n der Begründung der Sachbearbeiter ist aus­ drücklich gesagt worden, daß der durch die Verur­ teilung Betroffene nicht strafbar sein soll; das muß auch für nahe Angehörige gelten. § 164 Abs. 3 muß hier wiederholt werden. Die Strafdrohung kann hier nicht weiter gehen als beim Entzug aus der Voll­ streckung einer Strafe oder Sicherungsmaßregel. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Beide Bestimmungen wären parallel zu gestalten. Dieser Abschnitt, der in dem gedruckten Entwurf nüchtern ist, hat jetzt Gewicht und Körper und ist in sich verständlich. W ir kämen jetzt zu dem nächsten Abschnitt, besten Überschrift lauten sollte: „Angriffe auf dm Gottesglaubm und die Religion". D arf ich die Herren Berichterstatter bitten, das Wort zu ergreifen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich möchte die §§ 52 und 53 des Entwurfs zu­ sammen besprechen. I n § 52 ist nicht Gott geschützt; Gott bedarf keines menschlichen Schutzes. Geschützt werden soll vielmehr das religiöse Empfinden in seiner ethischen, dem deutschen Volke entsprechenden Ausdrucksform. D as brauchen wir aber nicht zu wiederholen, sondern wir können sagen: wer Gott lästert. D as Merkmal „öffentlich" ist in beiden Bestim­ mungen enthalten; ich halte das für notwendig. I n § 53 steht „gröblich"; von anderer Seite ist vorgeschlagen worden, statt besten zu sagen: „grob". I n diesen beiden Paragraphen wird das religiöse Empfinden geschützt, also etwas, was kein meßbarer Begriff ist. M an kann hier nicht feststellen, ob die Fensterscheibe eingeschlagen worden ist oder ob sie einen Sprung bekommen hat. D as, was hier geschützt wird, ist nur mit dem inneren Gefühl zu werten. Ich schlage vor, die §§ 52 und 53 zu vereinigen, weil beide dasselbe bezwecken, nämlich das religiöse Empfinden des deutschen Volkes zu schützen. D as Innenministerium und das Kultusministerium haben zur Überlegung gegeben, ob der Schutz des religiösen Empfindens nicht ganz aus diesen Bestimmungen her­ ausgelassen werden könnte. D as könnte man aber

nur dann tun, wenn man den Schutz Gottes so auf­ faßt, wie ich es oben ausgeführt habe. Ich möchte aber das religiöse Empfinden als Schutzobjekt nicht herausnehmen; denn es ist nicht allen Richtern so klar, daß wir bei dem Schutz Gottes den Schutz des religiösen Empfindens im allgemeinen meinen. Ich möchte aber eine Zusammenfassung beider Bestim­ mungen dadurch erreichen, daß w ir formulieren: „wer öffentlich Gott lästert oder in anderer Weise das religiöse Empfinden des deutschen Volkes gröblich verletzt. . . " Damit ist klargestellt, daß die Gottes­ lästerung auf das religiöse Empfinden gemünzt ist. Ich würde, wenn die hier vorgeschlagene Über­ schrift „Angriffe auf Gottesglauben und Religion" gestrichen wird, als Überschrift für den Tatbestand „Gotteslästerung" wählen. Gegen den besonderen Schutz des religiösen Empfindens werden Bedenken verschiedener Art vor­ gebracht werden, z. B. daß das religiöse Empfinden des deutschen Volkes schwer feststellbar sei und daß wir in dem Schutz der Religionsgemeinschaften schon einen Schutz des religiösen Empfindens haben. D as letztere Bedenken möchte ich nicht teilen. Ich kann mir ein religiöses Empfinden vorstellen, das durch einen bloßen Schutz der religiösen Gemeinschaften nicht genügend geschützt wird. Wenn jemand das Gefühl hat, das in jedem Deutschen rege ist, daß nämlich in jedem Baum Gottes Walten sichtbar ist, so ist das nicht durch Lehren, Einrichtungen und Ge­ bräuche zu erfassen. Ich sehe keine Gefahr, daß wir dem Richter zu viel zumuten, wenn wir es ihm überlassen, den Be­ griff des religiösen Gefühls auszudeuten. Dieses Ge­ fühl religiösen Empfindens soll er sich nicht mit den Lehren einer Religionsgemeinschaft verbunden zu denken brauchen, sondern das religiöse Gefühl des Deutschen soll geschützt werden, gleichgültig, ob der Betreffende in die Kirche geht oder nicht. Ich komme jetzt zum zweiten Punkt, der Be­ schimpfung einer Religionsgemeinschaft (§ 54). Hier liegt die Hauptschwierigkeit darin, welche Religions­ gemeinschaften oder welche Religionsgesellschaften gemeint sind. Zur Lösung dieser Frage ist eine Reihe von Wegen vorgeschlagen worden. Ich habe in meinen schriftlichen Ausführungen darzulegen ver­ sucht, daß wir den Begriff „anerkannte Religions­ gemeinschaften" nicht verwenden können; denn dann würden auch die Synagogen geschützt werden. Die beste Lösung wäre es und ist es noch, wenn im Augen­ blick des Inkrafttretens des neuen Strafgesetzbuchs von einer leitenden Stelle des Reiches ein Katalog mitgeteilt werden würde, welche Religionsgemein­ schaften geschützt werden sollen. D araus ergibt sich, daß diese Frage fast nur eine politische Frage ist. Ich hatte mich gefreut, als ich im Vorschlag der Sach­ bearbeiter von einer Anregung des Innenministe­ riums und Kultusministeriums las, den Schutz auf Korporationen des öffentlichen Rechts zu beschränken, da man auf diesem Wege durch Verleihung den Kreis der zu Schützenden festlegen könne (vgl. Anträge Nr. 42). Inzwischen ist ein weiteres Schreiben des

Innenministeriums eingegangen, nach dem dieser Weg nicht gegangen werden kann. Die zweite Möglichkeit zur Regelung dieser Frage wäre, daß an die Weimarer Verfassung angeschlossen wird und daß man zwischen Religionsgesellschasten des öffentlichen Rechts und solchen mit und ohne Rechtspersönlichkeitscharakter des Privatrechts unter­ scheidet; dieser Weg ist aber auch nicht gangbar. Die dritte Lösungsmöglichkeit befriedigt zwar auch nicht, ist aber doch noch am besten. Diese dritte Lösung geht dahin, daß wir uns die Religionsgesellschasten ansehen, und zwar einmal vom Standpunkt der Ein­ stellung des religiösen Empfindens des deutschen Volkes gegenüber dieser Religionsgemeinschaft, so­ dann von der Einstellung dieser Religionsgemein­ schaft gegenüber dem S ta a t und vor allem von dem Ideengut der N S D A P , gegenüber diesen Religions­ gemeinschaften aus. Danach wären zu schützen alle Religionsgemein­ schaften dann, wenn sie 1. den Bestand des Staates nicht gefährden, 2. wenn sie dem Sittlichkeit- und Moralgefühl der germanischen Raffe nicht wider­ sprechen. D as letzte kann man nicht in ein Gesetz hin­ einschreiben, es ist aber das Ausschlaggebende. Das Moralgefühl der germanischen Raffe ist das religiöse Empfinden des deutschen Volkes. E s wären dann nur solche Religionsgemeinschaften zu schützen, deren Ein­ richtungen, Lehren und Gebräuche dem religiösen Empfinden des deutschen Volkes entsprechen. Gegen diese Lösung könnte der Einwand erhoben werden, daß die Zahl der zu schützenden Gesellschaften zu groß sein würde. M an könnte ferner sagen, daß man es nicht dem Richter überlassen kann zu ent­ scheiden, welche Gebräuche usw. einer Religionsgesell­ schaft dem religiösen Gefühl des deutschen Volkes ent­ sprechen. M an könnte ferner einwenden, daß sich sehr schwierige Beweisfragen ergeben würden und daß leicht widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Ich möchte ferner noch über den neuesten Vor­ schlag des Innenministeriums berichten; den früheren Vorschlag hat das Innenministerium zurückgezogen. D as Innenministerium will jetzt sagen: wer öffentlich eine der christlichen Kirchen, eine Religionsgesellschast des öffentlichen Rechts oder eine mit Körperschafts­ recht innerhalb des Reiches bestehende Religionsgesell­ schaft beschimpft-----Diesem Vorschlag ist ein Katalog beigefügt, aus dem sich ergibt, welche Gemeinschaften und Gesellschaften geschützt werden sollen. Unter den Kirchen werden z. B. die evangelisch-lutherische, die katholische Kirche ausgeführt, bei den Gesellschaften öffentlich-rechtlicher Art z. B. die Altlutheraner, aber auch die Baptisten, die Methodisten, bei den Reli­ gionsgesellschaften mit Privatrechtspersönlichkeit z. B. auch die Mennoniten und auch die Juden. Das Reichsinnenministerium schlägt also vor, daß auch die Synagogengemeinden unter diesen Schutz gestellt werden sollen. Die einzig richtige Regelung, daß nämlich von politischer Seite aus ein Katalog ausgestellt wird, konnte also anscheinend nicht gegangen werden. Wir

müssen uns daher daraus zurückziehen, daß die Lehren, Einrichtungen und Gebräuche nicht den Bestand des Reiches gefährden dürfen und mit dem religiösen Empfinden des deutschen Volkes übereinstimmen müssen. Der § 54 Abs. 1 hätte also zu lauten: „Wer öffentlich eine Religionsgemeinschaft, deren Glaubenslehre, Einrichtungen und Gebräuche nicht gegen das religiöse Empfinden des deutschen Volkes verstoßen, beschimpft oder böswillig verächtlich macht, wird mit Gefängnis bestraft." Der Abs. 2 des § 54 ist in seiner jetzigen Form mit der Maßgabe beizubehalten, daß statt „verun­ glimpfen" gesagt wird „verächtlich machen". D as „Verunglimpfen" ist bisher in der Rechtsprechung un­ bekannt. Was bedeutet verunglimpfen? Sicherlich ist eB eine schwächere Form als das Beschimpfen; zwischen verunglimpfen und verächtlichmachen besieht aber kein Unterschied. Ich würde statt „verunglimpfen" vorziehen zu sagen „verächtlichmachen". Professor Dr. Kohlrausch: Ich möchte „Religionsvergehen" als Überschrift vorschlagen. Herr Präsident Thierack hat die §§ 52,53 zusammengefaßt, weil nicht Gott um seiner selbst willen, sondern weil das religiöse Empfinden anderer geschützt werden soll. S oll man nun nur den Gottesglauben oder das religiöse Empfinden des deutschen Volkes schützen, oder soll man es in allgemeiner Form ausdrücken? Ich bin der Ansicht, daß man das religiöse Empfinden j e d e s Menschen, wenn es echt ist, schützen soll. D as Volk denkt sich unter Gotteslästerung etwas Bestimmtes. Gott ist hier als ein Wesen aufzufassen, dem man sich in letzter Instanz persönlich verantwortlich fühlt, kein rationeller Begriff. Dem § 52 möchte ich folgende Fassung geben: „Wer dadurch, daß er öffentlich Gott lästert, das religiöse Empfinden anderer gröblich ver­ letzt, w ir d ___ bestraft." § 53 wäre zu streichen. § 54 ist stets umstritten gewesen. M an hat den Vorwurf erhoben, diese B e­ stimmung wirke ungleich. Der Vorwurf ist berechtigt. Schon in erster Lesung habe ich darauf hingewiesen, daß man die Lehren und die Gegenstände der Ver­ ehrung im heutigen § 166 auf Veranlassung von katholischer Seite gestrichen hat. Die Folge ist ein einseitiger Schutz der katholischen Kirche. Wogegen soll die Glaubenslehre geschützt werden? Hier gehen die Meinungen, jedenfalls die Wortfaffungen, auseinander. I n § 166 S tG B , ist von „be­ schimpfenden" Äußerungen die Rede. E s ist gut, daß davon abgegangen ist. Auch im Republikschutzgesetz von 1930 hat sich die gefährliche Unbestimmtheit dieses Wortes gezeigt, das zu reinen Gesinnungsstrafen ge­ führt hat, und zwar in verschiedenen Richtungen, je nach der politischen Lage. „Verunglimpfen" paßt auch nicht. „Verächtlichmachen" scheint mir richtiger zu sein. Ich möchte daher vorschlagen, in § 54 Abs. 2 das Wort „verunglimpft" umzuändern in „verächtlich­ macht".

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ursprünglich hatten wir schon in der ersten Lesung mit § 52 nicht den Schutz Gottes, sondern den Schutz des religiösen Empfindens im Auge. Professor Dr. Henkel: Bei der Frage, wie der Religionsstrasschutz aus­ zugestalten ist, muß man ausgehen von der Betrach­ tung der gegenwärtigen religiösen Lage. Hier sind zur Zeit schwere Auseinandersetzungen im Gange, die sich sicherlich noch mehr vertiefen werden. Der Gesetz­ geber muß sich in Anbetracht dieser Entwicklung Zu­ rückhaltung auferlegen. Unter diesem Gesichtspunkt ist meines Erachtens folgendes zu sagen: I n den §§ 52, 53 sollte man sich nicht aus einen bestimmten Gottesbegrisf festlegen; man muß insoweit von der bis­ herigen Rechtsprechung loskommen, nach der der B e­ griff der Gottheit im Sinne der innerhalb des Reichs­ gebietes mit Korporationsrechten ausgestatteten Re­ ligionsgesellschaften gefaßt werden soll. Diese Auf­ fassung ist zu eng. Es erhebt sich weiter die Frage, ob § 52 mit § 53 verbunden werden kann. Is t § 52 über­ haupt nötig? Zu § 53 ist zu sagen, daß es ein reli­ giöses Empfinden d e s deutschen Volkes nicht gibt. Innerhalb des deutschen Volkes äußert sich das reli­ giöse Empfinden in seinen Grundvorstellungen ganz verschieden, je nach der konfessionellen Bindung oder auch Nichtbindung. Deshalb kann man m. E. nur von einem religiösen Empfinden i m deutschen Volke sprechen; das einzig Gemeinsame ist der Glaube an einen Gott, der Gottesglaube. M an sollte daher den Ausdruck „religiöses Empfinden des deutschen Volkes" vermeiden und die §§ 52, 53 derart zusammenfassen, daß die Beschimpfung des Gottesglaubens im deutschen Volk unter Strafe gestellt wird. Einer ausdrücklichen Hervorhebung der Gotteslästerung bedarf es dann nicht; doch kann sie beispielgebend genannt werden. Bei § 54 empfiehlt sich eine Rückkehr zu der Bezeich­ nung „Religionsgesellschaft" nicht; auch ist es zu eng, wenn man den Strasschutz von der Jnnehabung der Korporationsrechte abhängig macht. Es ist willkür­ lich, darauf abzustellen, ob eine Religionsgesellschast Korporationsrechte hat. Es besteht so die Gefahr, daß eine religiöse Bewegung, die sich kämpfend durchzu­ setzen beginnt, niedergehalten wird, weil sie ohne Strafschutz ist. I n Übereinstimmung mit Herrn Präsident Thierack möchte ich den Strasschutz für alle Religionsgemeinschaften wünschen, deren Glaubens­ lehren, Einrichtungen und Gebräuche nicht gegen das religiöse Empfinden im deutschen Volk verstoßen. Hier können Richtlinien für die Strafverfolgungsbehörden genügen. Ich möchte mich ferner für Streichung des § 54 Abs. 2 aussprechen. Diese Vorschrift ist neben Abs. 1 überflüffig. Die bisherige Rechtsprechung zu der entsprechenden Bestimmung des S tG B , ist sehr unerfreulich. D as ist etwa aus der Kasuistik zu er­ sehen, die der Olshausensche Kommentar zu § 166 S tG B , bringt. Nachdem hier eine Reihe von Einrich­ tungen der christlichen Kirchen genannt sind, werden als Einrichtungen beispielsweise abgelehnt: die Ver­ ehrung der Gottesmutter, der Priesterstand, die

Kanzel, die zehn Gebote, die Gesamtheit der Päpste oder Bischöfe. Die Rechtsprechung ist im ganzen gesehen sehr kasuistisch und willkürlich. Die Aus­ legung des Tatbestandes hat zu zahllosen Tüfteleien geführt und etwas Verstaubtes, Muffiges an sich. D as soll kein Vorwurf gegen die Rechtsprechung, sondern ein Bedenken gegen die Fassung des Gesetzes sein, die zur Anlage eines Kataloges geschützter Einrichtungen und damit zu einem Form alismus der Auslegung ver­ leitet. Beides müssen wir beseitigen. Die Religionsgesellschasten sollen einen Ehren­ schutz genießen in Erfüllung ihrer Ausgaben. § 54 Abs. 1 reicht hier für alle strafwürdigen Fälle aus. Beschimpfungen von Einrichtungen und Gebräuchen, die für die Religionsgemeinschaften von wesentlicher Bedeutung sind, sind Beschimpfungen der Religions­ gemeinschaften selbst. Beschimpfungen nebensächlicher Einrichtungen sind nicht strafwürdig (aus der Recht­ sprechung z. B.: der Konsirmandenschein). Den Aus­ druck „Beschimpfen" möchte ich nicht aufgeben. Die Praxis hat sich mit diesem Begriff zufriedenstellend zurechtgefunden. Eine gute Ergänzung des Beschimpfens ist der Ausdruck „böswillig verächtlichmachen". Schließlich möchte ich noch die Frage aus­ werfen, ob nicht bei der Strafverfolgung aus § 54 die Religionsgesellschaften angehört werden sollen. Aus taktischen Erwägungen ist diese Frage von Bedeutung. I n einem früheren Religionsprozeß trat im letzten Rechtszug ein Geistlicher als Sachverständiger auf, der erklärte, seine Kirche habe im Grunde genommen kein Interesse an diesem Strafverfahren. Warum soll in solchen Fällen ein Strafverfahren durchgeführt werden, da es die staatlichen Organe in eine höchst unangenehme und undankbare Lage bringt? Der Strafschutz ist um der Religionsgemeinschaften willen gegeben; deshalb dürfte meines Erachtens eine S tra f­ verfolgung wegen Beschimpfung von Religionsge­ meinschaften nur nach Anhörung der Religionsge­ meinschaften angebracht sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie würden also § 52 so belassen wie er ist, § 53 streichen, § 54 Abs. 1 hingegen in der Thierackschen Fassung übernehmen. Neu ist I h r Vorschlag, von einem religiösen Empfinden i m deutschen Volke zu sprechen, und ferner der Vorschlag, die Religions­ gesellschaft zu hören. Professor Dr. Dahm: Ich habe gegen § 53 die stärksten Bedenken. Aller­ dings kann ich Herrn Henkel darin nicht zustimmen, daß es kein religiöses Empfinden d e s deutschen Volkes gebe, und ich bin gegen seinen Vorschlag, man möge von einem religiösen Empfinden i m deutschen Volke sprechen. Ohne Zweifel gibt es ein deutsches religiöses Empfinden, und nicht zuletzt die Kraft und Einheit dieses Empfindens begründet das Wesen und die Einheit unseres Volkes überhaupt. E s fehlt heute nur an einer einheitlichen Gestalt dieses Empfindens, das uns bald in christlichen, bald in deutschgläubigen Formen begegnet. Wenn ich für die Streichung des

§ 53 eintrete, so gehe ich eben von der weltanschau­ lichen Lage unserer Zeit aus. W ir stehen heute in­ mitten einer tiefgehenden weltanschaulichen und reli­ giösen Gärung. E s fehlt uns zur Zeit an einem sicheren Maßstabe für die Bestimmung dessen, was gegen das religiöse Empfinden des deutschen Volkes verstößt. Anders als im Bereiche der politischen Ver­ brechen ist die Einführung normativer Begriffe und die Erweiterung des richterlichen Ermessens aus diesem Gebiet unerträglich. Ich sehe die große Ge­ fahr, daß die Gerichte die Bestimmung des § 53 dazu benutzen werden, um einen weltanschaulichen Kamps, der im Grunde ihrer Zuständigkeit entzogen ist, justiz­ förmig zu entscheiden und die neuen, gerade in der jungen Generation lebendigen religiösen Kräfte abzrwrosseln. § 53 in der jetzt vorliegenden Gestalt würde — namentlich in katholischen Gegenden — zu einem Kampfinstrument der weltanschaulichen und religiösen Reaktion werden. Sollte man sich aber nicht dazu entschließen können, den § 53 ganz zu streichen, so sollte man ihn wenigstens einschränken, und zwar sowohl nach der subjektiven wie nach der objektiven Seite, etwa denjenigen unter Strafe stellen, der das religiöse Empfinden des deutschen Volkes „böswillig und roh verletzt". Hinsichtlich des § 54 bin ich derselben Auffassung wie Herr Henkel. § 54 sollte nicht auf Religionsgesellschasten des öffentlichen Rechts und die christlichen Kirchen beschränkt werden, sondern auf Religions­ und Glaubensgemeinschaften schlechthin ausgedehnt werden. § 54 Abs. 2 würde ich streichen. Soweit ein Schutzbedürfnis besteht, reicht Abs. 1 aus. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bislang ist bei der Erörterung des Problems in §§ 53, 54 mehr auf die Objekte, nicht dagegen auf die Zeitwörter Aufmerksamkeit verwendet worden. Professor Dr. Dahm: Meine Bedenken beziehen sich gerade auf das Zeit­ wort, gegen die Worte „gröblich verletzt". Staatssekretär D r. Freister: Ich komme zu einem anderen Ergebnis wie Herr Professor Dahm. Der Kern der Bestimmungen über Religionsvergehen ist § 53. Die Frage, ob es ein ein­ heitliches r e l i g i ö s e s E m p f i n d e n des deut­ schen Volkes gibt, ist nicht zu diskutieren. Dieses Empfinden g i b t es. Jeder anständige M ann im Volke hat einen Begriff vom Wunder des Lebens und zieht daraus Schlußfolgerungen für sein Handeln, einerlei, zu welcher Gottesvorstellung er dabei kommt. Das ist das religiöse Empfinden d e s deut­ schen Volkes, nicht i m deutschen Volke, nicht deutscher Menschen. Religiöses Empfinden d e s deutschen Volkes verletzt nach gesunder Volksanschauung jeder, der es in grober Weise beschimpft. Genau so verletzt das religiöse Empfinden des deutschen Volkes der­ jenige, der das Empfinden dort lästert, wo es die Gestalt des Gekreuzigten annimmt. Gäbe es kein religiöses Empfinden, dann wäre das deutsche Volk

kein Volk. D as deutsche Volk muß so viel Anstands­ streben haben, daß es vor allen Dingen dieses reli­ giöse Empfinden schützt. Deshalb bin ich der M ei­ nung, daß § 53 die Kernbestimmung ist, die dem Ab­ schnitt seine innere Berechtigung verleiht; sonst könnte der ganze Abschnitt fallengelaffen werden. Gerade in einer Zeit tiefer Auseinandersetzungen müffen w ir achtgeben. Ich finde es unerhört, daß eine Äußerung, wie: „wer an das ewige Volk glaubt, ist Neuheide", nicht bestraft werden soll. Schon das verletzt das religiöse Empfinden des Volkes. Nach dem P artei­ programm aber sollen alle religiösen Empfindungen gleich schutzwürdig sein, einerlei ob sie sich im Rahmen einer christlichen Konfession konkretisieren oder nicht. D as Parteiprogramm ist Leitsatz. Innerhalb desRahmens, der mit deutscher Art vereinbar ist, soll voll toleriert werden. Diesem Gesichtspunkt muß zur An­ erkennung verholfen werden. § 53 gehört deshalb an die Spitze. § 52 hat nicht die gleiche Bedeutung. E r soll ja nicht die Gotteslästerung bestrafen; er sagt nur: Zum Schutz des religiösen Empfindens gehört u. a. auch, daß man die Vorstellung von der höchsten Macht nicht angreifen darf. Die Gotteslästerung sollte als Beispiel in § 53 eingefügt werden, allerdings nicht mit dem Wort Gotteslästerung; denn das klingt so, als habe Gott menschlichen Schutz nötig. 2Btr schützen aber etwas Menschliches, nämlich unsern Gottesglauben. Danach ergibt sich also ein Umbau der §§ 52, 53. § 53 ist unmißverständlich zu gestalten. § 52 muß benannt werden: Schutz des Gottes­ glaubens. Danach käme die Frage des Beschimpsens von R e l i g i o n s g e m e i n s c h a f t e n . Hinsichtlichbe& paritätischen Schutzes möchte ich bemerken, daß man sich hier nicht deshalb beschweren darf, weil eine Religionsgesellschast weniger Einrichtungen besitzt, nachdem sie viele in der Reformation abgeschafft hat. Die L e h r e unter Schutz zu stellen, scheint mir zu weit zu gehen. Stellen wir die Lehre unter Schutz, so besteht die Gefahr, daß Auseinandersetzungen hierüber erschwert werden. Wenn wir allerdings Zeitwörter nehmen wie „böswillig verächtlich macht" oder „be­ schimpft", dann kann man auch den Schutz der Lehreaufnehmen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei den §§ 52, 53 erhebt sich die Frage, ob der Schwerpunkt mehr im Sublimen oder mehr im P rim i­ tiven ruhen soll. E s ist schwer, sich bei diesen P a ra ­ graphen zu verständigen. Ich bin z. B. nicht damit ein­ verstanden, wenn man beim religiösen Empfinden auf Bilder abkommt wie z. B. das des gekreuzigten Christus. Ich suche das aus der faustischen N atur des Deutschen zu verstehen. Die Ewigkeit des deutschen Volkes ist in transzendentalem Sinne zu verstehen. Gibt es nun ein religiöses Empfinden des deutschen Volkes? Herr Dahm bejaht es, andere verneinen es. Wenn man dabei an Christus denkt, muß man das verneinen, wer mehr an das Faustische im deutschen Menschen denkt, muß es bejahen, weil es eine Wesens­ eigenschaft des Volkes ist.

Senatspräsident Professor Dr. Klee: Bereits in erster Lesung bin ich sür § 53 als Kerntatbestand eingetreten. Ich bin der Meinung, daß wir die §§ 52,53 vereinigen müssen, und daß die Gotteslästerung nur ein Untersall der Verletzung des religiösen Empfindens sein muß. § 53 darf nicht die Verteidigungsstellung der positiven christlichen Kirchen stärken. Ob § 53 einer subjektiven Ausweitung durch den Ausdruck „böswillig" bedarf, ist noch zu erörtern. D as religiöse Empfinden ist nicht geknüpft an die Zugehörigkeit zu bestimmten religiösen Bekenntnissen; man könnte von religiösem Empfinden an sich sprechen. § 53 ist insbesondere nötig, um literarischen E r­ zeugnissen zu begegnen, die das verunglimpfen, was uns allen heilig ist. Bei § 54 erhebt sich die Frage, ob staatlich anerkannte Religionsgesellschasten oder Religionsgesellschaften mit öffentlichen Korporations­ rechten zu schützen sind. Meines Erachtens läßt sich die Grenze nur negativ ziehen. Die Grenze darf nicht von jeweiligen Verwaltungsakten abhängen, die Kor­ porationsrechte verleihen und entziehen. Da es nt. E. nicht möglich ist, in innerlich berechtigter Weise positiv die schutzbedürstigen religiösen Gemeinschaften abzu­ grenzen, sollte man von solchen Religionsgemein­ schaften sprechen, deren Lehren nicht gegen das reli­ giöse Empfinden des deutschen Volkes verstoßen. E s ist z. B. unvorstellbar, daß die jüdische Gottesvorstellung geschützt werden soll, wie es das Reichsgericht getan hat. § 54 Abs. 1 würde ich wie vorgeschlagen fassen und § 54 Abs. 2 streichen. Der Paritätsgedanke ist hier fehl am Platze. Die Glaubenslehre hineinzu­ ziehen ist bedenklich, selbst wenn man den inneren Tatbestand intensiv gestaltet. Es gibt Glaubens­ lehren, die zu schützen der S ta a t in keiner Weise Anlaß hat. Z. B. kennt die katholische Moraltheologie 1. bloß äußere Strafgesetze und 2. innerlich verpflich­ tende Strafgesetze. Bei den Devisenverbrechen kirch­ licher Organe wurde verschiedentlich von kirchlicher Seite darauf hingewiesen, die sittliche Ordnung sei nicht beleidigt, und es lägen deshalb nur Übertretun­ gen vor. Jesuiten haben behauptet, der Fahneneid mit Mentalreservation sei nichtig. Der Jesuitenpater Lehmkuhl hat erklärt, letztlich habe das Lehramt der Kirche Christi zu entscheiden, inwieweit der S ta a t in die individuelle Freiheit eingreifen dürfe. D as ist sehr bedeutungsvoll sür die den erbkranken Nachwuchs und die Entmannung betreffende Gesetzgebung des dritten Reichs. Glaubenslehren, die die Wehr- und Fortpslanzungskrast des deutschen Volkes erschüttern, muß erlaubt sein, aufs schärfste zu bekämpfen. Eventuell wäre § 54 ganz zu streichen; gegen Beschimpfungen der Religionsgemeinschaften ist nur dann Schutz zu gewähren, soweit der Angriff aus sie deutsches reli­ giöses Empfinden verletzt.

Beispiel mit der rechten und linken Wange. Auch da hat sich heftige Kritik erhoben. Is t ein solcher Gott germanischem Wesen adäquat? W ir müssen meines Erachtens mehr Gewicht aus die Zeitwörter legen. Professor Dr. Mezger: Ich möchte zu §§ 53, 54 Abs. 2 Stellung nehmen. Bei § 53 möchte ich mich der Fassung des Herrn Präsident Thierack anschließen. Herr Professor Dahm macht freilich mit Recht auf die Gefahr justizsörmiger Entscheidungen von Kirchenstreitigkeiten aufmerksam. Der Grundgedanke in § 53 ist aber doch das, was in erster Lesung im Anschluß an das Parteiprogramm beschlossen worden ist: Schutz des religiösen Empfin­ dens und insbesondere Schutz der christlichen Kirchen. An der Spitze sollte stehen bleiben: „wer Gott lästert". D as ist etwas allgemein Verständliches. Zu § 54 ist zu bemerken, daß der Ausdruck Religionsge­ meinschaft in die richtige Richtung deutet. Man sollte aber nicht auf die bisherige staatliche Anerkennung abstellen, weil diese zu Zufälligkeiten führt. Die Lösung ist in der Richtung zu suchen, daß das S tra f­ recht zwar aus die Anerkennung des Staates Bezug nimmt, diese dann aber neu zu regeln ist. Die Frage des § 54 Abs. 2 ist nach meiner Meinung von wesent­ licher und entscheidender Bedeutung. Zwar wird mit Recht auf frühere Tüfteleien in der Umgrenzung der „Einrichtungen und Gebräuche" hingewiesen. Deshalb soll eben die „Glaubenslehre" neben die Einrichtungen und Gebräuche gesetzt werden. Die Bedenken von Herrn Professor Klee sind insoweit berechtigt, als keine Morallehre geschützt werden darf, die sich gegen staat­ liche Wünsche richtet. Der Schutz darf in solchen Fällen, in denen er dem deutschen Empfinden wider­ strebt, nicht gewährt werden. S oll aber § 54 Abs. 2 als solcher bestehen bleiben? Ich bejahe diese Frage mit Entschiedenheit. § 54 Abs. 2 bleibt nicht in der Höhe der Ideen, sondern tritt in die harte Wirklichkeit ein. Gerade deshalb aber liegt in § 54 Abs. 2 die eigentliche Entscheidung darüber, ob man den Reli­ gionsgesellschasten den erforderlichen Schutz gewähren will oder nicht. Ohne ihn bleibt Abs. 1 eine schöne Geste. E s handelt sich hier nicht um Geschmacksfragen oder Fragen der Fassung, sondern in § 54 Abs. 2 geht die Entscheidung darum, ob man den historisch ge­ wordenen Religionsgesellschaften Schutz gewähren will oder nicht. Deshalb bin ich für Beibehaltung des § 54 Abs. 2.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Soeben ist darauf hingewiesen worden, daß der rachsüchtige Judengott nicht zu schützen sei. D as sind schwierige Fragen. Denken wir an den Erbschleich­ handel zwischen Jakob und Esau. Jehova segnete diesen Bund. I m neuen Testament findet sich das

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Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich möchte eine Frage stellen: Jem and hält eine öffentliche Rede gegen die kirchliche Trauung. Die Eheschließung vor dem Standesam t genüge; die geist­ liche Anhörung sei nicht nötig. Wie ist das strafrecht­ lich zu beurteilen? Professor D r. Mezger: D as fällt, wenn es in beschimpfender Weise ge­ schieht, strafrechtlich unter § 54 Abs. 2 (Beschimpfung der Einrichtungen), mittelbar aber auch unter Abs. 1.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Erscheint das strafwürdig? Würde es Ihrem Ge­ dankengang entsprechen, daß ein solcher M ann die Kirche beschimpft? Profeffor Dr. Mezger: Wenn § 54 Abs. 2 als Form der Beschimpfung von Abs. 1 gefaßt wird, dann wird auch solchen Fällen Rechnung getragen. Reichsgerichtsrat Niethammer: Was gegen die §§ 53, 54 Abs. 2 gesagt wird, beruht auf demselben Grund. Ich halte es für not­ wendig, daß der Grundgedanke des § 53 aufrecht­ erhalten bleibt, der Schutz des religiösen Empfindens d e s (nicht im) deutschen Volkes. Thieracks Weg ist richtig. „Böswillig" sollte in § 53 eingefügt werden. E s gibt ein religiöses Empfinden des deutschen Volkes, das allen innewohnt, alle verbindet: D er Glaube an Unvergängliches, Ewiges, an eine göttliche Leitung. D as muß der Richter erkennen. Der Richter soll im übrigen nicht Stellung nehmen. Bei § 54 Abs. 2 hat Professor Henkel die Rechtsprechung des Reichsgerichts mit dem Hinweis aus alte Entscheidungen als eng und willkürlich geschildert. Es ist aber eine heikle Frage, was bis zur Einrichtung gediehen ist. Im letzten Jahrzehnt ist das Reichsgericht in seiner Recht­ sprechung freier geworden. § 54 Abs. 2 zu streichen geht nicht an. Die Einrichtungen usw. sind doch da! D er Einwand Henkels wird für die Zukunft nicht mehr gelten. Ich bin für die Aufrechterhaltung des Thierackschen Vorschlages (B 53 S . 6). Reichsjustizminister D r. Gürtner: Läßt sich § 54 Abs. 1 mit Abs. 2 vereinigen? Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Jawohl! Reichsjustizminister D r. Gürtner: Die Gedanken von Herrn Reichsgerichtsrat Niet­ hammer haben etwas für sich. Wie mache ich eine Religionsgesellschaft verächtlich? Doch nur durch Be­ schimpfen ihrer Glaubenseinrichtungen. (Pause von 13.05 Uhr bis 16.45 Uhr.) Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich würde die folgenden Redner bitten, auch zu der Frage der Zusammenfassung der §§ 52 und 53 Stellung zu nehmen. Weiter wäre ich dankbar für eine Stellungnahme dazu, ob auch die Absätze 1 und 2 des § 54 in eine Gedankenverbindung gebracht werden sollen. Sollen die beiden Absätze des § 54 kumulativ oder alternativ zusammengefaßt werden? Ein Vorschlag geht dahin: „Wer öffentlich eine Religionsgesellschaft beschimpft, insbesondere dadurch, daß er böswillig verächtlich macht, wird . . . bestraft". D as ist eine gewisse P arallelität, die dem Gedanken Rechnung trägt, daß wir den leitenden Gesichtspunkt voranstellen sollen. Ich wäre dankbar, wenn auch zu dieser Anregung Stellung genommen würde.

Professor Dr. Henkel: I n der Hauptsache wird eine Zusammenfassung der §§ 53 und 52 erstrebt. Herr Staatssekretär D r. Freister hat sich zu § 53 dahin ausgesprochen, daß das religiöse Empfinden des deutschen Volkes als der Gottesglaube des deutschen Volkes verstanden werden soll. Wenn ich gesagt habe, daß es ein religiöses Empfinden d e s deutschen Volkes nicht gibt, so bin ich davon ausgegangen, daß das „religiöse Empfinden" den umfassenderen Begriff darstellt, daß darin nicht nur der Gottesglaube enthalten ist, sondern z. B. auch Beziehungen auf bestimmte Kultformen. Wenn man unter dem „religiösen Empfinden des deutschen Volkes" nur den Gottesglauben des deutschen Volkes versteht, ist eine Formulierung, die die §§ 53 und 52 zusammenfaßt, möglich. M an könnte sagen: „Wer öffentlich den Gottesglauben des deutschen Volkes böswillig beschimpft, insbesondere wer Gott lästert, wird bestraft . . .". Ich möchte noch einmal zu § 54 Abs. 2 Stellung nehmen. Mein Antrag, diese Bestimmung zu streichen, ist zum Teil mißverstanden worden. Wenn § 54 Abs. 2 fortfällt, so bedeutet das nicht, daß damit die Beschimpfung der Glaubenslehren, Einrichtungen usw. straffrei wird. Handelt es sich um Einrichtungen und Gebräuche, die für die Religionsgemeinschaft von wesentlicher Bedeutung sind, so werden diese Be­ schimpfungen schon durch Absatz 1 erfaßt. Mein Be­ streben geht nur dahin, solche Einrichtungen auszu­ nehmen, die für die Religionsgesellschaft ohne tragende Bedeutung sind. Das von dem Herrn Reichsminister gegebene Beispiel der kirchlichen Trauung zeigt doch, daß wir mit § 54 Abs. 1 auskommen können; wer die kirchliche Trauung beschimpft, beschimpft damit die Religionsgemeinschaft, deren Organ die Trauung vornimmt. Die Kasuistik des geltenden Rechts zeigt deutlich, daß w ir bei der gesetzlichen Regelung nicht so sehr in die Einzelheiten gehen sollten. Ich möchte zwei Beispiele mitteilen, die die Unersreulichkeit dieser Kasuistik dartun. I n einer katholischen Kirchenver­ sammlung wurde gesagt, daß bei den Jrrlehrern jede alte F rau predigen könne. D as Reichsgericht erblickte hierin eine Beschimpfung der Einrichtung des allge­ meinen Predigtamtes und nahm infolgedessen S tra f­ barkeit an. I n einem anderen Fall war gesagt worden, daß die katholischen Geistlichen das Volk auslachten, wenn die Monstranz gezeigt werde und das Volk niederknie. D as Reichsgericht nahm hier an, daß es sich nicht um die Beschimpfung einer E in­ richtung handle. Strafwürdigkeit besteht auch in diesem Fall. Wenn man die beiden Entscheidungen gegenüberstellt, sieht man, daß man mit der kasu­ istischen Auffassung des geltenden Rechts zu unbe­ friedigenden Entscheidungen gelangt. Herr Reichsgerichtsrat Niethammer hat mir ent­ gegengehalten, daß ich mich mit der Erwähnung des Konfirmandenscheins auf eine alte Entscheidung be­ rufen hätte. E s liegen auch noch unbefriedigende Entscheidungen aus neuerer Zeit vor; vor allem aber liegen die Kommentare vor, und diese Kommentare zu § 166 S tG B , stellen folgende Gefahr dar: Die

Richter prüfen an Hand des in den Kommentaren gegebenen Kataloges, ob etwas unter den Katalog der Einrichtungen und Gebräuche gebracht werden kann. J e nachdem ergibt sich ohne besondere Wertung des Einzelsalles die Verurteilung oder der Freispruch. Ich selbst gebe mich nicht der Hoffnung hin, daß mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes die alten Kommentare verschwinden. Ich habe die Streichung des § 54 Abs. 2 beantragt, um den Richter nicht an einen Katalog zu binden, sondern ihm die Wertung für den Einzelsall freizugeben. Professor Dr. Dahm: Wenn man die §§ 52 und 53 miteinander ver­ einigt, sollte man nicht „Gottesglauben" und „reli­ giöses Empfinden" nebeneinander nennen, sondern etwa sagen: „Wer öffentlich Gott lästert oder sonst den deutschen Gottesglauben böswillig beschimpft". Ministerialdirektor Schäfer: M an könnte vielleicht die Formulierung wählen: „Wer öffentlich Gott lästert oder in anderer Weise das religiöse Empfinden des deutschen Volkes verletzt Professor Dr. Dahm: Wenn der Fall des § 54 Abs. 2 nur noch beispiel­ haft ausgeführt wird, so bedeutet das — darüber müssen wir uns klar sein — eine sachliche Änderung. Denn die Beschimpfung der Einrichtungen wird dann nur insoweit geschützt, als darin zugleich eine Be­ schimpfung der Religionsgesellschaft selbst zu er­ blicken ist. Professor Dr. Nagler: Die Zusammenfassung der §§ 52 und 53, für die ich mich schon in erster Lesung ausgesprochen habe, findet zu meiner Freude jetzt allgemeinen Beifall. S ta tt „gröblich verletzt" könnte man auch eine andere Wendung gebrauchen. Die Kumulierung von roh u n d böswillig würde m. E. aber den Tatbestand über Gebühr beschränken. Ich würde für „roh ver­ letzt" eintreten. Ich möchte an die Stelle des religiösen Empfindens keinesfalls den Gottesglauben setzen, denn damit würde der Strafschutz viel zu sehr eingeengt werden. E s gibt viele strafwürdige Angriffe gegen das reli­ giöse Empfinden, die nicht den Gottesglauben be­ treffen. Die von Herrn Staatssekretär Dr. Freister in der 1. Lesung mitgeteilte Parodie aus die 10 Gebote würde z. B. nicht unter den Schutz des Gottesglaubens fallen. W as den § 54 anlangt, so müssen wir uns zunächst aus den Schutzgrund besinnen. Die Volksgemeinschaft hat ein großes Interesse an dem religiösen Frieden. Die Religionsgemeinschaften werden nicht um ihrer selbst willen geschützt, sondern nur insoweit, als durch Angriffe auf sie der religiöse Frieden gefährdet wird. Ebensowenig werden die Dogmen, Einrichtungen und Gebräuche der Religionsgesellschaften als solche ge­ währleistet, denn der S ta a t muß sich von theologischen Streitigkeiten distanzieren. Ich würde in § 54 Abs. 1

von „Religionsgesellschaften" sprechen, weil diese Wendung die hergebrachte und vom D ritten Reich über­ nommene technische Bezeichnung ist. Wie sollen wir aber die zu schützenden Religionsgesellschasten auslesen? M an kann ein formales und ein materielles Auslesungsprinzip wählen. Ich würde der Meinung sein, daß wir uns an dem kirchenpolitischen System auch des neuen Reiches orientieren und zwischen den Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts und den anderen Religionsgesellschaften unterscheiden sollten; die letzteren stehen heute bekanntlich unter den Normen des reinen Vereinsrechts. Wir sollten nach diesem formalen Ausleseprinzip verfahren, weil da­ durch der Kreis der geschützten Religionsgesellschasten vom Staate selbst bestimmt wird; der S taat kann diese Qualifikation nach seiner Bedürfnislage beliebig wieder entziehen. Ich habe mich für diese Lösung schon in erster Lesung eingesetzt. Sehr überrascht mich zu hören, daß das Kultus­ ministerium den Korporationen des öffentlichen Rechts die mit Privatrechtssähigkeit ausgestatteten gleichstellen will. Jede Religionsgesellschaft, z. B. jede kleine Sekte, die den Normativbestimmungen des bürgerlichen Rechts genügt, kann ja die.Privatrechts­ sähigkeit gewinnen. Ich finde, daß damit der Kreis der zu schützenden Religionsgesellschaften viel zu weit ausgedehnt wird. Wenn man nicht aus die Korporationen des öffent­ lichen Rechts zurückkommen will, sondern eine mate­ rielle Begrenzung sucht, könnte man den von Herrn Präsident Thierack vorgeschlagenen Weg gehen. Ich glaube aber, daß die Rechtsprechung in die größten Schwierigkeiten kommen würde, wenn sie feststellen sollte, ob die Lehren, Einrichtungen usw. einer Religionsgesellschast gegen das religiöse Empfinden des deutschen Volkes verstoßen. D as entscheidende Ge­ richt müßte dann das ganze Dogmengebiet eingehend durchprüfen. Ist es dazu berufen und in der Lage? Wenn ich mich dem Abs. 2 zuwende, so würde ich die Einarbeitung dieses Absatzes in den Abs. 1 für einen glücklichen Ausweg halten. Es fragt sich, ob diese Einarbeitung in dem S inne erfolgen soll, daß der Angriff gegen die Glaubenslehre usw. zugleich als Beschimpfung der Religionsgesellschaft als ganzer gilt oder nicht. Wenn w ir authentische Interpreta­ tion der unmittelbaren Beschimpfung im Sinne der ersten Möglichkeit ablehnen würden, müßte der Richter in jebem Einzelsall ermitteln und feststellen, ob der Angriff gegen die einzelne Lehre usw. zugleich einen Angriff gegen die konkrete Religionsgesellschaft als solche gebildet hat und auch bilden sollte. Die Notwendigkeit solcher Feststellungen hat schon bisher in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bereitet, denn die Grenzen sind gerade hier sehr flüssig und die Dolusfeststellung sehr diffizil. Daher sollten wir darauf abkommen, daß jeder Angriff gegen die Lehren usw. ohne weiteres einen Angriff gegen die Religions­ gesellschaft in sich schließe. Ich teile nicht das Bedenken von Herrn Präsident Klee, daß die Glaubenslehren der Religionsgesell­ schasten öfters einen staatsfeindlichen In h a lt haben

streichen, muß die Fassung der drei geschützten Gegen­ stände so bleiben, wie es jetzt vorgeschlagen ist. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir die hier zur Debatte stehende Frage nicht bagatellisieren dürfen. Wer die Volksbewegung erlebt hat, die um die jetzige Fassung des § 166 gegangen ist, kann nicht verkennen, daß es sich bei der Einfügung der Glaubenslehren um etwas Wichtiges und Tiefes handelt. Ich bin damals mehr durch einen Zufall in diese Bewegung hineingezogen worden, weil ich Referent des Evangelischen Bundes für diese Fragen wurde und dadurch eine Unmenge von M aterial bekam. Ich habe damals gesehen, wie tief die Empörung über die imparitätische Auswirkung des § 166 ging und wie berechtigt sie war. E s ist meiner Meinung nach durchaus nicht ein den Kern treffendes Argument, wenn man sagt: wenn eine Kirche weniger Einrichtungen und Gebräuche hat, kann sie eben weniger geschützt werden. Denn das Be­ dauerliche ist eben, daß der S ta a t seinen Strasschutz an diese Rechtsgüter anknüpft, die für die eine der christlichen Kirchen etwas Wesentliches, für die andere etwas bewußt Unwesentliches darstellen. Jenes Argu­ ment ist alt, aber es ist immer als verletzend empfun­ den worden. E s liegt doch so, daß die evangelische Kirche ihren Kern in Glaubenssätzen hat, daß dagegen in der katholischen Kirche, auch bestimmte verehrungs­ Reichsjustizminister D r. Gürtner: würdige Einrichtungen als Verkörperungen der Die Umgrenzung des Kreises der zu schützenden Lehren Schutz fordern. E s wurde z. B. jemand be­ Religionsgemeinschaften ist eine offene Frage. Ent­ straft, der von dem „wahnwitzigen Unsehlbarkeitsweder kann man nach formellen Gesichtspunkten ab­ dogma der katholischen Kirche" sprach. Freigesprochen, grenzen: „Die Religionsgesellschaften des öffentlichen wurde dagegen, wer von der „wahnwitzigen Lehre von Rechts", oder nach einem materiellen Gesichtspunkt, der Rechtfertigung allein durch den Glauben" sprach. wie es Herr Präsident Thierack vorgeschlagen hat. Ich Diese imparitätische Wirkung ist keine Bagatelle; sie möchte mehr der ersten Lösung zuneigen, weil ich muß beseitigt werden. Ich halte es für sehr not­ glaube, daß eine Glaubensgemeinschaft, deren Glau­ wendig, in § 54 Abs. 2 die Glaubenslehren zu nennen, benslehren gegen das religiöse Empfinden des deut­ wenn nicht, womit ich einverstanden wäre, Abs. 2 ge­ schen Volkes verstoßen, keine Religionsgesellschast strichen werden soll. öffentlichen Rechts sein oder bleiben wird. I m E r­ M an kann den § 54 dadurch vereinfachen, daß gebnis kommen beide Vorschläge auf das gleiche hin­ man den Abs. 2 in den Abs. 1 hineinarbeitet, und aus. Ich möchte aber lieber die formelle Voraus­ zwar mit den Zeitwörtern, die der Herr Minister vor­ setzung haben, weil sonst an den kleinen Richter die hin gebraucht hat. M an müßte „beschimpfen" zu den schwierige Ausgabe herantritt zu prüfen, ob eine Religionsgesellschaften und „verächtlichmachen" zu Glaubenslehre mit dem religiösen Empfinden des den Glaubenslehren und Einrichtungen stellen. Gegen deutschen Volkes übereinstimmt. diese Einbeziehung bestehen zwar gewisse Bedenken, die Herr Kollege Nagler bereits hervorgehoben hat. Professor Dr. Kohlrausch: E s würde nämlich die Beschimpfung oder Verächtlich­ Ich schließe mich jetzt entgegen dem heute früh machung von Glaubenslehren, Einrichtungen und Ge­ Gesagten in der Frage der Vereinigung der §§ 52 bräuchen nicht ohne weiteres ersaßt werden, sondern und 53 dem Vorschlag Thierack an. nur dann, wenn darin zugleich auch eine Beschimpfung Zu § 54 ist die erste Frage, welche Religions­ der Religionsgesellschast liegt. Ich glaube, daß man gesellschaften zu schützen sind. Ich halte es nicht für diese Bedenken in Kauf nehmen kann. D as von dem glücklich, wenn das einzelne Gericht die Vereinbarkeit Herrn Minister gegebene Beispiel mit der Trauung der Lehren einer Religionsgesellschaft mit dem reli­ würde auch ich als eine Beschimpfung der Religions­ giösen Empfinden des deutschen Volkes zu entscheiden gesellschast selber ansehen. hat. Die letzte Frage ist, wie man die zu schützenden Heute früh habe ich in erster Linie die Streichung Religionsgesellschaften abgrenzen soll. Ich bin der des Abs. 2 des § 54 beantragt. Ich hatte hinzugefügt, Meinung, daß die formelle Umschreibung das Richtige daß ich nicht annehme, daß dieser Vorschlag viel Ge­ treffen würde. genliebe finden würde, und bin erstaunt, daß die von Reichsjustizminister Dr. Gürtner: m ir vorgetragenen Bedenken doch von verschiedenen Seiten geteilt worden sind. Ich glaube, daß wir den Soll ich das so verstehen, daß S ie den Katalog Abs. 2 unbesorgt streichen können; wenn wir ihn nicht meinen?

könnten. Sollte dies wirklich einmal der F all sein, so fallen sie natürlich aus dem staatlichen Strafschutz heraus. D er S ta a t würde selbstverständlich staats­ feindlichen Religionsgesellschaften die öffentliche Aner­ kennung und damit den Schutz des § 54 versagen. Wenn wir von „Glaubenslehren" sprechen, so be­ greifen wir darunter nicht alle um Glaubensfragen gehende Lehren der Religionsgesellschaften, sondern n u r das eigentliche Bekenntnis, nur die eigentlichen Dogmen. Endlich möchte ich noch auf eine Anregung des Kollegen Henkel eingehen, daß nämlich die Reli­ gionsgesellschaft vor der Strafverfolgung angehört werden soll. Unter keinen Umständen dürfte man damit eine Prozeßvoraussetzung schaffen, denn der S ta a t schützt in § 54 Interessen der Volksgemeinschaft nach deren Bedürfnissen. M an könnte eine Anhörung vielleicht in der Form vorsehen, daß die S taa tsa n ­ waltschaft sich mit der Religionsgesellschast darüber in Verbindung setzt, ob etwa ein Bagatellfall des Opportunitätsprinzips vorliege. Weiter können wir aber nicht gehen; denn es wird nicht die Kirche als solche geschützt, sondern der religiöse Frieden der Volksgemeinschaft, den der S ta a t gegen Religions­ und Konfessionshetzer zu wahren berufen ist.

Professor Dr. Kohlrausch: Den Katalog, den das Kultusministerium mitge­ teilt hat. Die Religionsgesellschasten des öffentlichen Rechts sind darin enthalten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as letzte Wort würde im Kultusministerium zu sprechen sein. Wünschen die Herren nun eine formelle oder eine materielle Abgrenzung? Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich wünschte die materielle Abgrenzung dann, wenn über den Katalog keine Einigung erzielt wird. M an kann einfach sagen, daß nur die Religionsgesell­ schaften des öffentlichen Rechts geschützt werden; dann werden die des privaten Rechts ohne weiteres aus­ geschlossen. Ich halte die formelle Lösung für besser, weil dem Richter nicht diese schwierigen Auslegungs­ fragen überlassen werden. I n der Aussprache geht immer Religionsgemein­ schaft und Religionsgesellschaft durcheinander. Von Religionsgemeinschaft muß man dann sprechen, wenn man die materielle Auslegung wünscht, von Gesell­ schaft dann, wenn man einen Katalog haben will. Ein dritter Punkt ist noch nicht geklärt, die Zu­ sammenziehung der §§ 52 und 53. Diese neue Be­ stimmung muß so gefaßt werden, daß weltanschauliche Auseinandersetzungen zulässig bleiben. Die Zulässig­ keit solcher Auseinandersetzungen sollte durch das W ort „gröblich" erreicht werden; zum Teil ist auch vorgeschlagen worden, „roh" oder „böswillig" zu sagen. Wenn man „roh" sagt, so geht das auf das Objektive; wenn man von „böswillig" spricht, so be­ zieht es sich auf das Subjektive. M. E. ist das Merk­ mal „roh" auch ausreichend; „roh" läßt mehr welt­ anschauliche Kämpfe zu als „böswillig". Ministerialdirektor Schäfer: Ich bin mit Herrn Staatssekretär der Meinung, daß der § 53 der Grundtatbestand ist, und daß diese Bestimmung gerade heute in der Kampfzeit notwendig ist. § 53 wäre dem § 52 voranzustellen. Was den § 54 angeht, so könnte man mit dem Herrn Staatssekretär darüber diskutieren, ob dieser Tatbestand gegenüber dem Grundtatbestand noch nötig ist. Ich würde das aus Zweckmäßigkeitsgründen bejahen. W as die Abgrenzung der Religionsgesellschaften betrifft, so hätte ich gegen die materielle Lösung die schwersten Bedenken. Die Abgrenzung des Kreises der zu schützenden Gesellschaften kann nur Sache des Kultusministeriums sein. Die richtige Lösung ist die, daß wir den Schutz aus Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts beschränken. Damit hat das Kultusministerium in der Hand zu sagen, welche Re­ ligionsgesellschaften hier berücksichtigt werden sollen. Wenn man dem jetzigen Vorschlag des Kultusministe­ riums folgt und auch die Religionsgesellschaften des privaten Rechts hineinzieht, wäre die gerade Linie

verlassen; denn ob eine Gesellschaft die Rechtsfähigkeit des bürgerlichen Rechts erlangt, kann das Kultus­ ministerium nicht entscheiden. Die Absätze 1 und 2 des § 54 würde ich vereinigen. Abs. 1 würde an sich schon genügen; da diese Bestim­ mung allein aber in der Auslegung nicht ganz un­ zweifelhaft ist, und auf diesem Gebiet ein gewisser Konservativismus in der Fassung etwas für sich hat, würde ich den Abs. 2 inhaltlich unverändert in den Abs. 1 einarbeiten. Zu der Frage, ob die Religionsgesellschaften vor einer Strafverfolgung gehört werden sollen, bin ich der Meinung, daß sie nur angehört werden sollen; das gehört in die Prozeßordnung. Gegen den Vorschlag, den Religionsgesellschasten die materielle Entscheidung zu überlassen, ob Anklage erhoben werden soll oder nicht, habe ich die schwersten Bedenken. Die Religions­ gesellschaften haben uns selbst gesagt, daß man ihnen keinen Gefallen tut, wenn ihnen das Odium aufge­ laden wird, daß sie vielleicht gehässig wären. Eure bloße Anhörung könnte man dagegen ohne Bedenken vorsehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Diese Frage ist früher einmal mit den beiden Kirchen behandelt worden. Ein hoher Geistlicher hat uns damals gesagt: „Aus diesem Felde wollen wir nicht als Streiter Gottes auftreten." Professor Dr. Schassftein: Ich möchte dafür eintreten, daß die §§ 52 und 53 vereinigt werden und daß wir diesen Tatbestand durch das Merkmal „böswillig" einschränken; der Ausdruck „böswillig" entspricht mehr als das Wort „roh" dem Willensstrafrecht. Die Verwendung des Merkmals „böswillig" würde dazu führen, daß man den eigent­ lichen Tätertyp des Gotteslästerers trifft. Außerdem glaube ich, daß das W ort „roh" dem subjektiven Empfinden des einzelnen Richters einen zu weiten Spielraum geben würde. W as der eine als rohe Ver­ letzung ansieht, ist es für den anderen noch nicht. Wenn wir in den §§ 52 und 53 „böswillig" sagen, müssen wir dies erst recht im § 54 tun. Außerdem wären im § 54 die Absätze 1 und 2 zu vereinigen. Es müßte eine Formulierung gefunden werden, die nur die böswillige Beschimpfung unter Strafe stellt; das „böswillig" müßte sich auf die Fälle des jetzigen Abs. 2 beziehen. Dies ist um so mehr erforderlich, als gegen den Schutz der Glaubenslehren Bedenken bestehen. W ir werden allerdings wohl auf diesen Schutz nicht verzichten können. Die ganzen Schwierigkeiten, die sich bei § 53 ergeben, könnten auch bei § 54 auf­ tauchen. All? Beispiele, die vorgebracht worden sind, bestätigen, daß wir bei dem Schutz der Glaubenslehren in des Teufels Küche kommen können; das kann man sich an der Stellungnahme zur Sterilisationssrage klarmachen. Hier würden wir geradezu zwei ver­ schiedene Standpunkte unter strafrechtlichen Schutz stellen. Heute morgen haben wir die national­ sozialistische Auffassung über die Sterilisation unter strafrechtlichen Schutz gestellt; unter Umständen stellen

w ir jetzt hier unter dem Gesichtspunkt der Glaubens­ lehre die Auffassung der katholischen Kirche unter den gleichen Schutz. I n der Frage, welche Religionsgemeinschaften ge­ schützt werden sollen, glaube ich, daß das, was Herr Präsident Thierack gesagt hat, das Richtige trifft. Ge­ genüber einer formellen Regelung in der Art, wie sie das Reichsinnenministerium vorgeschlagen hat, ist die materielle Lösung das kleinere Übel. Wenn man eine formelle Regelung vorsieht, ist jedenfalls der vom Reichsinnenministerium vorgeschlagene Weg nicht gangbar. Denn danach würde die Deutsche Glaubens­ bewegung keinen Schutz genießen, wohl aber die jüdischen Synagogengemeinden. Unter diesen Um­ standen müssen wir uns vergewissern, daß wir nicht einen Katalog bekommen, der unserer Grund­ auffassung widerspricht. W ir haben keinen Anlaß, in dieser Frage die sonstige N eutralität des Staates aus kirchlichem Gebiet auszugeben. Daß eine solche Ge­ fahr besteht, zeigen die vorhin vorgelegten Ausführun­ gen von Herrn Reichsgerichtsrat Bender, der davon ausgeht, daß nur der christliche Gottesbegriss geschützt werden soll. Einer solchen Auslegung muß vorgebeugt werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin dankbar für den Hinweis, daß die Ein­ führung des Wortes „roh" statt „böswillig" nicht das Richtige trifft. M ir sind zwei T äter vor Augen ge­ treten. I n Österreich gab es ein altes Weib, das sich dann, wenn es in der Lotterie nicht gewonnen hatte, mit dem lieben Gott auseinandersetzte. D as ist nicht der Typ eines Gotteslästerers. Unter Gotteslästerer verstehen wir z. B. den schleimigen Literaten. Wir müssen beim Wort „böswillig" verbleiben. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Bezüglich des letzten Punktes möchte ich mich dem Vorredner anschließen. Ich möchte noch einige Ausführungen zu dem ganzen Abschnitt machen. Die Diskussion ging davon aus, daß w ir einen Unterschied zwischen dem Schutz des religiösen Empfindens und dem Schutz des reli­ giösen Friedens zu machen haben; das ergibt die Auf­ spaltung in die §§ 53 und 54. Der Schutz des reli­ giösen Friedens und des religiösen Empfindens stehen aber in ganz engem Zusammenhang; es ist daher nicht richtig, beide Bestimmungen so voneinander abzu­ trennen, wie es bisher geschehen ist. D as führt mich auf den Gedanken, ob es nicht vielleicht möglich ist, die Beschimpfung der Religionsgemeinschaften und der Glaubensgemeinschaften unter den Dachtatbestand des Angriffs auf das religiöse Empfinden des deutschen Volkes zu stellen. Die Gotteslästerung ist jetzt so ge­ regelt, daß sie ein Unterfall des Angriffs aus das religiöse Empfinden des deutschen Volkes ist. Ich könnte mir denken, daß auch die Beschimpfung der Religionsgemeinschaften und ihrer Gebräuche und Glaubenslehren unter den Obertatbestand des An­ griffs auf das religiöse Empfinden des deutschen Volkes gestellt wird. D as würde praktisch zu Ergeb­ nissen führen, die uns ersparten, uns darüber den

Kopf zu zerbrechen, ob w ir ein formelles oder mate­ rielles Kriterium für den Kreis der zu schützenden Ge­ meinschaften maßgebend sein lassen wollen. Gerade auch von dem Neutralitätsstandpunkt des national­ sozialistischen S taates aus ist es nicht richtig, den Schutz gegen Beschimpfungen auf die anerkannten Kirchen zu beschränken; auch die nach Geltung ringen­ den Glaubensgemeinschaften müssen geschützt werden. Es wäre Nur zu fragen, ob der Angriff auf eine Re­ ligionsgemeinschaft eine böswillige Verletzung des religiösen Empfindens des deutschen Volkes darstellt. Das wäre auch deswegen befriedigender, weil dann etwaige Bedenken in bezug auf die Glaubenslehren fortfallen würden. E s ist übrigens nicht richtig, daß der Begriff Glaubenslehren im Sinne der katholischen Lehre so eng auszulegen ist, wie es Herr Professor Nagler dargestellt hat. Aus der katholischen Literatur geht hervor, daß es sich bei den Glaubenslehren nicht immer um bekenntnismäßige Dinge zu handeln braucht, die mit der Verehrung der Gottheit, der Hei­ ligen usw. im Zusammenhang stehen. Zur Glaubens­ lehre gehört z. B. auch der Satz aus einem katholischen Schriftsteller, daß das Lehramt der Kirche im Auf­ träge Christi zu entscheiden habe, ob und inwieweit in den menschlichen Körper eingegriffen werden könne. Wenn man von diesem weiteren Begriff der Glau­ benslehren ausgeht, würde man derartige Lehren, die von der katholischen Kirche aufgestellt werden, nicht schützen können; denn das religiöse Empfinden des deutschen Volkes würde an dem Schutz solcher Lehren kein Interesse haben. Ich möchte daher zur Erwägung geben, ohne daß ich im Augenblick eine Formulierung vorlegen kann, ob es nicht möglich wäre, auch den § 54 in den Ge­ danken des Angriffs auf das religiöse Empfinden des deutschen Volkes einzubeziehen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich möchte die Frage stellen: Wenn wir das reli­ giöse Empfinden so auffassen, kommen wir dann nicht in Widerspruch mit unseren Beschlüssen von heute vor­ mittag? Bisher sind w ir davon ausgegangen, daß auch der ein religiöses Empfinden haben kann, der keiner Kirche angehört. Ich habe einmal davon ge­ sprochen, daß das Rechtsempfinden die unstillbare Sehnsucht nach der Harmonie ist. D as religiöse Empfinden ist die Sehnsucht nach dem, was hinter den Dingen steht. W ir können den § 54 nicht unter diesen Begriff bringen. Heute sind verschiedene schwere dogmatische Fehler ausgesprochen worden, auf die ich doch hinweisen möchte. S o ist z. B. von der Anbetung M ariä ge­ sprochen worden; das ist keine Glaubenslehre. Auch die Heiligenverehrung, die erwähnt worden ist, ist keine Glaubenslehre, sondern eine Einrichtung, ein Gebrauch. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wenn wir als maßgebendes Kriterium den Schutz des religiösen Empfindens in diesem weiteren Sinne ansehen, würde uns dies davor bewahren, Objekte zu

IS schützen, die unter diesem höheren Gesichtspunkt nicht schutzwürdig sind. Dieser Maßstab wäre zwar ein allgemeiner; aber wir würden Loch nur das ersassen, was vom Standpunkt unseres Staatslebens im Hin­ blick auf die Glaubenslehren schützenswert ist. Reichsjustizminister Dr. Güttner: Wenn wir diesen Gedanken zum Ausdruck bringen wollen, könnten w ir dann für die zusammengefaßten §§ 52 und 53 die Überschrift des bisherigen § 53 wählen und für § 54 als Überschrift: „Störung des religiösen Friedens"? Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich würde nicht in dieser Weise unterscheiden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: F ü r die Unterkommission würde ich vorschlagen, die §§ 52 und 53 zusammenzuziehen. Ich würde vor­ schlagen, nicht mit dem religiösen Empfinden zu be­ ginnen, sondern mit der Gotteslästerung. F ür § 54 wäre eine gute Überschrift zu suchen. Ich darf die Herren Berichterstatter bitten fort­ zufahren. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: I m § 55 (Störung des Gottesdienstes) habe ich auszustellen, daß der Ausdruck „stört" nicht ausreicht, um nichtstrafwürdige Fälle auszuscheiden. I n Len Großstädten dringt z. B. der Lärm der Autohupen in die Kirche ein. Wenn im § 55 nur von „stören" gesprochen wird, würde auch der strafbar sein, der mit Eventualvorsatz handelt. Es ist vorgeschlagen worden, hier einzufügen: „böswillig, absichtlich oder wissent­ lich". Durch „wissentlich" würde der Eventualvorsatz ausgeschlossen werden. Gegen „absichtlich" spricht, daß der zweckbetonte Wille nachgewiesen werden muß. E s wird nicht immer leicht nachzuweisen sein, daß jemand das Geräusch in der Absicht von sich gegeben hat, den Gottesdienst zu stören. Ich möchte daher lieber „wissentlich" vorschlagen. Der zweite Vorschlag, den ich zu machen habe, stimmt mit einem Vorschlag der Sachbearbeiter über­ ein, der dahin geht, in den §§ 55 bis 57 den S tra f­ rahmen auf Gefängnis bis zu 2 Jahren oder Haft zu ermäßigen. Diesem Vorschlag möchte ich beipflichten. Professor Dr. Kohlrausch: Ich schließe mich den Ausführungen des Herrn Berichterstatters an, besonders auch bezüglich der Ein­ fügung des Merkmals „wissentlich" im § 55. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as Wort wird nicht mehr gewünscht; die beiden Vorschläge sind wohl gebilligt. Ministerialdirektor Schäfer: I n der langen Geschichte dieser Paragraphen ist für den subjektiven Tatbestand teils „wissentlich", teils „absichtlich" vorgeschlagen worden. Mindestens wäre „wissentlich" zu fordern; ich würde aber „absichtlich" vorziehen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: „Absichtlich" würde wohl näher liegen. Ich würde für die Unterkommission vorschlagen, „absichtlich" zu nehmen. Zu den §§ 56 und 57 ist eine Herabsetzung der Strafrahm en vorgeschlagen worden. Irgendeine Einschränkung des subjektiven Tatbestandes im § 56 ist nicht erforderlich. Professor Dr. Kohlrausch: Die Sachbearbeiter haben zu § 56 eine stilistische Bemerkung gemacht, die ich für richtig halte. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Diese stilistische Verbesserung wird gebilligt. Ich darf die Herren Berichterstatter bitten, jetzt den Abschnitt über die

„Störung der Totenruhe" zu behandeln. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Der Gedanke der §§ 58, 59 geht dahin, daß der Tote als körperlich vorhanden geschützt werden soll, und daß seine Ruhestätte geschützt werden soll. Es genügt zu sagen: „Wer sich an dem Toten oder seiner Asche vergreift-----" Ich möchte zu dem Ausdruck „vergreift" Stellung nehmen. Der Ausdruck „ver­ greist" ist nicht schlecht, aber zu farblos. D as Merkmal „vergreift" ist nicht isoliert, sondern in Verbindung mit der Überschrift „Störung der Totenruhe" zu verstehen. Vergreifen bedeutet aber stets eine Veränderung an der Substanz. D as Vergreifen betrifft nicht den be­ schimpfenden Unfug an der Leiche. Ein Beispiel, das nicht erfaßt wird, ist das Onanieren an einer weib­ lichen Leiche. M an könnte sagen, das gehört nicht hierher, sondern zu dem Schutz Verstorbener. D as ist aber nicht dasselbe. Dort wird das Andenken ge­ schützt, hier wird dagegen die Leiche in ihrer Toten­ ruhe geschützt. Ich möchte noch ein anderes Beispiel anführen. Der Vater ist gestorben; er liegt noch in der Wohnung. Die Erben suchen nach dem Testament; sie finden es auch. Aus dem Testament ergibt sich, daß eines der Kinder auf den Pflichtteil gesetzt wordey ist. I n Gegenwart der Leiche setzen ein gegenseitiges Beschimpfen der einzelnen Familienmitglieder oder Tätlichkeiten unter ihnen ein. D as ist kein Vergreifen und kein Beschimpfen des Andenkens Verstorbener. Aber auch diesen F all müßten w ir mit erfassen. Ich schlage daher folgende Formulierung vor: „Wer sich an einem Toten oder seiner Asche vergreift oder einen Toten, seine Asche, seine Beisetzungsstätte oder sein Totenmal verunehrt und hierdurch die Totenruhe stört, wird mit Ge­ fängnis bestraft." Zu § 59 ist dasselbe zu sagen wie zu § 55. Auch hier ist eine Einschränkung des subjektiven Tatbestan­ des erforderlich. Ebenso ist eine Herabsetzung des Strafrahm ens vorgeschlagen worden; mit diesem Vor­ schlag bin ich einverstanden.

Professor Dr. Kohlrausch: Ich würde dem Entwurf, wie er vorliegt, mit den stilistischen Verbesserungen der Sachbearbeiter den Vorzug geben. Ich schlage auch vor, das Merkmal „absichtlich" einzufügen. Auch zu § 59 bin ich mit den Ausführungen von Herrn Präsident Thierack einver­ standen. Ich möchte schließlich noch über einen Versuch be­ richten, der in der Schweiz von dem in der Stilifierung unübertrefflichen Carl Stooß gemacht worden ist. Stooß hat vorgeschlagen, einfach und schlicht zu sagen: „Wer den Frieden der Toten stört, wird mit Gefängnis bestraft." Diese Formulierung ist schön und würdig. Kasuistik führt gerade hier nicht weiter. D er Krach vor der Leiche, eine Katzenmusik auf dem Friedhof usw. wür­ den auch von dieser Bestimmung erfaßt werden. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Soll auch die Bestattungsfeierlichkeit darunter fallen? Professor Dr. Kohlrausch: D as würde jeder verständige Richter unter diesen Tatbestand ziehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W as meinen Sie, Herr Reichsgerichtsrat Niet­ hammer, zu diesem Tatbestand? Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich glaube, daß der Richter mit dem Tatbestand, den Herr Geheimrat Kohlrausch vorgeschlagen hat, gut arbeiten kann. Vielleicht könnte man für den inneren Vorgang ein absichtliches Handeln erfordern. Senatspräsident Grau: E s gibt Totenmale, die nicht mit Bestattungen verbunden sind; diese müßten nach dem Vorschlag Kohlrausch besonders geschützt werden. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Ich finde den von Herrn Professor Kohlrausch vorgeschlagenen Tatbestand zu abstrakt; der Tatbe­ stand bietet nichts Greifbares. Professor Dr. Kohlrausch: D as ist gerade das Schöne. Denn gerade hier ist es Ungreifbares, was gestraft werden soll. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Als Überschrift ist dieser Tatbestand sehr schön. Ministerialdirektor Schäfer: Der Tatbestand ist zu lapidar. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Als Überschrift ist dieser Tatbestand sicher schön. I m Gesetzestext müßte man aber dann auch erfahren, was eigentlich strafbar ist.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wird der Frieden der Toten auch dann gestört, wenn ein Leichenbegängnis gestört wird? Professor Dr. Kohlrausch: Wenn der Beerdigungszug gestört wird, so ist dies auch eine Störung der Totenruhe. W ir I n ­ tellektuellen finden die Formel abstrakt. D as Volk kann sich sehr viel unter ihr vorstellen und stellt sich das Richtige unter ihr vor, was nie in Worten gesagt werden kann. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: M an kann sich unter dieser Vorschrift alles vor­ stellen oder gar nichts. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir ist noch nicht klar, ob man den Ausdruck „vergreift" beibehalten soll oder nicht. Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: Dieser Ausdruck ist etwas farblos; man muß ihn durch die Störung der Totenruhe ergänzen; dadurch wird das Wort „vergreift" verdeutlicht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s ist ganz interessant, folgendes festzustellen. Bei dem Versuch zu abstrahieren kommen wir manchmal dazu, ein Strafgesetz zu machen, das nur Überschriften enthält; ein anderes M al kommen wir auf den umge­ kehrten Weg, die Überschriften in die Tatbestände hin­ einzunehmen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich würde eine konkrete Fassung vorziehen. Senatspräsident Grau: W ir müssen auch die Totenmale besonders er­ wähnen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D er § 59 muß wohl auf jeden F all besonders er­ scheinen. Denn es ist wohl keine Störung der Toten­ ruhe, wenn an einem Heldenmal Unfug verübt wird. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Unter „vergreift" kann man nur eine Berührung der Leiche verstehen; es fehlt also etwas. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as Wesentliche ist, daß über den subjektiven T a t­ bestand und über die Strafrahmen Einigkeit besteht; das andere kann der Unterkommission überlassen bleiben. Wie ist es mit der Nekrophilie? Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: D as siele hierunter; allerdings paßt insoweit der Strafrahm en nicht. Wer sich der Nekrophilie schuldig macht, ist entweder geisteskrank oder er gehört zwanzig Jahre ins Zuchthaus. Die Fälle aber, in

denen ein geistig Normaler eine derartige T at begeht, sind so außergewöhnlich selten, das wir das bei dem Strafrahm en wohl kaum zu berücksichtigen brauchen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine Berücksichtigung der Nekrophilie erübrigt sich auch meiner Auffassung nach. W ir kämen nunmehr zu dem Abschnitt „Angriffe auf Rechtspflege und Verwaltung". Ich bitte zunächst die §§ 157 und 158 des Entwurfs zu behandeln. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Zu den §§ 157,158 liegen zahlreiche Anträge vor. Es ist vorgeschlagen worden, in § 157 von Ver­ höhnung der d e u t s c h e n Rechtspflege zu sprechen. Kritik an der ausländischen Rechtspflege soll ungehin­ dert geübt werden können. Ferner soll der Tatbestand ausgedehnt werden aus das Beschimpfen oder bös­ willige Verächtlichmachen. § 158 handelt von der unlauteren Einwirkung aus das Gericht. Hier ist darauf hingewiesen worden, daß man den Tatbestand des § 158 nicht nur auf S tra f­ verfahren, sondern auf jedes gerichtliche Verfahren schlechthin ausdehnen sollte. Herr Leimer möchte bei der Schuldfrage abstellen aus die A b s i c h t einzuschüch­ tern; ich möchte ganz allgemein genügen lasten die öffentliche Erörterung, die einschüchtern soll. F ü r § 158 a nach den Anträgen der Sachbearbeiter (B 71) möchte ich mich einsetzen. Der deutsche Richter würde diese Vorschrift sehr begrüßen. Es wäre zu erwägen, ob eine Beschimpfung nicht nur w e g e n , sondern b e i seiner amtlichen Tätigkeit zu treffen wäre. § 158 a bezieht sich nur aus staatliche, nicht aus kirch­ liche Behörden. Landgerichtsdirektor Leimer: I m wesentlichen sind meine schriftlichen Vorschläge durch die der Sachbearbeiter überholt und darin auf­ gegangen. Ich habe auch den Wunsch, daß § 157 nur die d e u t s c h e Rechtspflege schützt und daß nur die Zeitwörter „verhöhnt oder böswillig verächtlich macht" gebraucht werden. Zu § 158 ging ursprünglich der Vorschlag des Referentenentwurfs dahin, daß eine Erörterung der Schuldsrage nur strafbar sein sollte bei a b s i c h t l i c h e m Handeln; ich wollte nach meinem Vorschlag in der ersten Lesung statt besten sagen: „wer in einer Weise handelt, die geeignet ist........." E s ist dann die Fassung des Entwurfs beschlossen worden. Ich trage aber Bedenken, ob § 158 Abs. 2 in den Vorschlägen der Sachbearbeiter (B 71) beibehalten werden soll. E r scheint mir zu weit zu gehen, es sollen doch nur die gröbsten Fälle erfaßt werden; es muß auch klargestellt werden, ob der Be­ schuldigte selbst darunter fallen soll. Deshalb würde ich jedenfalls lieber zur ersten Fassung des Ref.Entwurfs zurückkehren. § 158 a ist zu begrüßen. Der ein­

fache Ehrenschutz reicht oft nicht aus, derartige An­ griffe zu ersassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es ist der Vorschlag gemacht worden, in § 157 die Verhöhnung d e r d e u t s c h e n Rechtspflege unter Strafe zu stellen. Ich bitte um Stellungnahme hierzu. Professor Dr. Gras Gleispach: Es ist zu erwägen, ob nur die d e u t s ch e Rechts­ pflege geschützt werden soll; denn nimmt man Ein­ schränkungen vor, dann auch ganz allgemein. Die Beschränkung auf die deutsche Rechtspflege dürfte zu eng sein. Nehmen wir nur den Fall: E in Deutscher wird in ein ausländisches Strafverfahren verwickelt. Ein anderer Deutscher könnte einen Entlastungsbe­ weis führen, tut das aber nicht. Soll der straflos bleiben? Diese Frage muß geregelt werden. I m Hinblick aus § 158 ist eine einengende Fassung nicht gut möglich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ih re Bemerkung hat für § 157 keine Auswirkun­ gen. I n dem von Ihnen genannten Beispiel möchten Sie strafen. Professor D r. Graf Gleispach: Die Staatsangehörigkeit des angegriffenen S ub­ jekts ist nicht nur in § 157, sondern überall von Be­ deutung. Ministerialdirektor Schäfer: M an muß von Paragraph zu Paragraph über­ legen, welche Rechtspflege gemeint ist. N ur dort, wo Angriffe aus die deutsche Rechtspflege gemeint sind, da muß dies kenntlich gemacht werden, bei den an­ deren Vorschriften nicht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Also müßte das Wort „deutsch" in § 157 eingefügt werden. Der Gedanke des § 157 ist insofern zu eng, als er sich nur aus Strafverfahren bezieht. B is vor kurzem war man der Meinung, daß Zivilprozesse die öffentliche Meinung nicht interessierten. Heute spielen z. B. Mietsprozesse in der öffentlichen Meinung teil­ weise eine große Rolle. Bedenklich scheint mir § 153 Abs. 2 zu sein. Soll auch der Beschuldigte davon be­ troffen werden? Ministerialdirektor Schäfer: Der contem pt of co u rt des englischen Rechts hat uns hierbei als Vorbild gedient. D er in § 158 Abs. 2 geregelte Fall ist ein wichtiger Anwendungsfall im englischen Recht; er hat dort sehr wohltätig gewirkt. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: § 158 Abs. 1 und 2 unterscheiden sich darin, daß nach Abs. 2 wegen unlauterer Erörterungen auch der

strafbar sein soll, der nicht auf das Gericht einwirken will. Profeffor Dr. Schaffstein: Ich möchte mich gegen § 158 Abs. 2 aussprechen. E r wird wegen seiner unübersehbaren politischen Konsequenzen der Justiz mehr schaden als nützen. M an denke etwa nur an die Möglichkeit, man hätte die öffentliche Kritik des Lubbe-Prozesses in der Presse durch solche Strafverfolgungen nach § 158 Abs. 2 verhindern wollen. Die schwersten Fälle werden zudem durch Abs. 1 erfaßt. Professor D r. Graf Gleispach: Schon im Jah re 1862 verbot ein Gesetz in Öster­ reich jede Erörterung der Schuldsrage vor dem rechts­ kräftigen Abschluß des Verfahrens, was vor allem bei Laienrichtern wichtig war. Es liegt ein Angriff auf die Rechtspflege vor, wenn Zeitungen versuchen, die Gerichte zu beeinflussen. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Ich kann zum Lubbe-Prozeß nur sagen: Hätte sich die Presse mehr zurückgehalten bezüglich der Schuld­ frage, so wäre manche Enttäuschung z. B. über den Freispruch Torglers nicht eingetreten. Professor D r. Schafsstein: Auch ich habe vielfach die Erörterung des LubbeProzesses in der Presse für schädlich gehalten; nur möchte ich kein Strafverfahren deshalb. Denn die Strafverfolgung ist nicht das richtige M ittel, um uner­ wünschte Erörterungen zu unterbinden, zumal doch die Presse heute vom Propagandaministerium und anderen Stellen ohnehin überwacht und kontrolliert wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Justiz hat hier eine schwierige Stellung Z. B. jemand wird öffentlich schwerer Schiebungen verdächtigt unb nachher auch zu zehn Jah ren Zucht­ haus verurteilt. E s dürfte dann doch eigentlich kein Verfahren gegen die stattfinden, die vorher mit Recht geschimpft haben. Ministerialdirektor Schäfer: Wenn wir nur § 158 Abs. 1 bringen, dann können wir aus alles verzichten. W ir wollen hier versuchen, den englischen Gedanken durchzusetzen. Es ist wesent­ lich, daß w ir die Möglichkeit schaffen, auch auf Geld­ strafe zu erkennen. Bei einem Strafrahm en Gefäng­ nis bis zu zwei Jahren oder Haft ist Geldstrafe mög­ lich. M an könnte vielleicht auch noch vorsehen, daß hie T at nur auf Anordnung des Reichsministers der Justiz verfolgt wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Richtig ist, daß § 158 Abs. 2 oft genug erfüllt worden ist.

Professor Dr. Nagler: M an könnte § 158 Abs. 2 auch so einschränken, daß nur die Erörterung der Schuldfrage in Presseäuße­ rungen erfaßt wird, nicht dagegen sonst, z. B. in Versammlungsreden. Reichsjustizminister D r. Gürtner: S oll in Abs. 2 aus die Beziehungen zur E in­ wirkung auf den Prozeß verzichtet werden? Ministerialdirigent D r. Schäfer: W ir können nicht unterstellen, daß ein deutsches Gericht sich durch die. Presse beeinflussen läßt — daher die Kennzeichnung „in unlauterer Weise". Reichsgerichtsrat Niethammer: Absatz 2 soll bestehen bleiben. Die öffentliche Erörterung schwebender Verfahren ist auch da gefähr­ lich, wo keine Absicht der Einschüchterung besteht. Auch der beste Wille schließt einen Einfluß auf den Richter nicht aus. Hier muß erzieherisch gewirkt werden. Allerdings sind Einschränkungen nötig. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Vom Standpunkt der Praxis kann ich dem Vor­ schlage der Sachbearbeiter des Ministeriums hinsicht­ lich der Fassung des § 158 Abs. 2 nur beipflichten. Daß die öffentliche Erörterung der Schuldsrage während eines schwebenden Strafverfahrens auch in Fällen, wo der Täter gar nicht den Vorsatz hatte, das Gericht einzuschüchtern, zu den unerfreulichsten Konse­ quenzen führen kann, dafür brauche ich nur aus einen F all zu verweisen, der sich erst vor kurzem ereignet hat: Kurz nach Beginn der Plaidoyers der S ta a ts­ anwaltschaft im Rundfunkprozeß fühlten sich zwei Berichterstatter einer Zeitung, die, wohl gemerkt, nicht einmal als Gerichtsberichterstatter der Verhandlung beigewohnt hatten, bemüßigt, in einem Zwiegespräch vor dem Mikrophon die Schuldfrage zu erörtern. Da beide Sprecher durch Sachkenntnis nicht getrübt waren — beide hatten ihr Wissen offenbar ausschließ­ lich den recht unvollständigen und noch dazu wenig objektiven Zeitungsberichten entnommen — , so ent­ sprach der In h a lt des Zwiegesprächs allem anderen als dem Ergebnisse der Hauptverhandlung. Die Ange­ klagten wurden in Bausch und Bogen als Verbrecher schlimmster Sorte hingestellt, obwohl sich in der Hauptverhandlung herausgestellt hatte, daß wenig­ stens bei einem Teil der Angeklagten hinsichtlich der ihnen zur Last gelegten Untreuehandlungen die Ab­ sicht persönlicher Bereicherung nicht vorgelegen hatte. Die Folge dieses Zwiegesprächs war, daß die Ver­ teidiger im Interesse ihrer Mandanten im Justiz­ ministerium vorstellig wurden, worauf dann auf Ver­ anlassung der Justizpressestelle Artikel in den Zeitun­ gen erschienen, die gegenüber dem erwähnten Zwie­ gespräch wieder in das Gegenteil verfielen und nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die Angeklagten zu sehr in Schutz nahmen.

Hatten wir eine Strafbestimmung gehabt wie die in § 158 Abs. 2 in Vorschlag gebrachte, so wäre sicher­ lich das törichte Zwiegespräch unterblieben, das mit seinen Auswirkungen für die Staatsanwaltschaft eine höchst unerwünschte Beschwerung bedeutete. Professor Dr. Henkel: Die Überschrift zu § 158 paßt nicht. E s muß heißen: „Angriffe auf die R e c h t s p f l e g e " . Reichsjustizminister Dr. Gürtner: § 158 a ist zuzustimmen. Es gibt nicht nur einen allgemeinen Ehrenschutz, es gibt auch eine Amtsehre. Eine andere Frage ist, ob man nicht ein „verächtlichmachen" genügen läßt. E s ist so leichter, den P a ra ­ graphen durchzuführen. Die Bezeichnung „in un­ lauterer Weise angreifen" würde ich weglassen. Professor Dr. Graf Gleispach: M an sollte die Bestimmung auch auf Beschimp­ fungen der Richter w ä h r e n d ihrer Amtstätigkeit ausdehnen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, das würde darunter fallen. Professor Dr. Gras Gleispach: Etwas Derartiges kann auch aus einem rein p r i v a t e n Anlaß vorkommen! Z .B . jemand stürmt mit Lärm in den Gerichtssaal, während der Richter im Amt ist. Oberregierungsrat D r. von Dohnanyi: D as ist aber kein Angriff aus die Rechtspflege. Ministerialdirektor Schäfer: Wenn man den Tatbestand einschränkt auf „be­ schimpft oder verächtlich macht", ist ein höheres S tra f­ minimum — Gefängnis von drei Monaten — erforderlich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir wollen nunmehr mit den §§ 159 und 160 fortfahren. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Die §§ 159, 160 handeln von der Fälschung und Unterdrückung von Beweismitteln. Ich möchte den Vorschlägen der Sachbearbeiter folgen. E s ist vorge­ schlagen worden, in den §§ 159,160 nicht von Absicht, sondern von Vorsatz zu sprechen, so daß der dolus eventualis einbezogen ist. Ferner ist in bezug auf die A rt des Verfahrens vorgeschlagen worden, von staatlich anerkannten Rechtsversahren zu sprechen; auch Verfahren vor den Parteidienststellen sollen hierunter fallen. Absatz 2 in §§ 159, 160 war bisher beschränkt auf Mißbrauch der Amtsstellung. E s ist jetzt vorgeschlagen worden, ihn auf sonstige schwere Fälle auszudehnen. Diesem Vorschlage ist nt. E. zu

folgen. Weiterhin soll der Täter nach dem Vorschlag der Abteilung in weiterem Umfang straffreien Rück­ tritt haben. Die Abteilung hat vorgeschlagen, den Täter nicht nur straffrei zu lassen, wenn er die T at aufdeckt, sondern auch, wenn er das Beweismittel vor Gebrauch zunichte macht. Auch das scheint mir berech­ tigt zu sein. Ferner ist noch erörtert worden, wie lange der Rücktritt erfolgen kann. I n § 159 des E nt­ wurfs ist gesagt, daß die Aufdeckung rechtzeitig ist, wenn sie erfolgt, bevor eine Entscheidung getroffen worden ist. Der Abteilungsvorschlag sagt: die Auf­ deckung ist verspätet, wenn. . . I m übrigen ist richtig abgestellt aus eine abschließende Entscheidung. Nicht nötig ist, daß die abschließende Entscheidung auf Grund des Beweismittels ergangen ist. Kausalität ist nicht erforderlich. I n § 160 ist auf den Ausdruck: „nicht allein verfügen darf" zu verzichten. Rücktritts­ grund in §§ 159, 160 ist ferner, wenn der Schaden wiedergutgemacht wird. Landgerichtsdirektor Leimer: Zu §§ 159, 160 hat Herr Senatspräsident Klee die Vorschläge der Sachbearbeiter vorgetragen. Ich möchte mich diesen ebenfalls anschließen. Daß die Entscheidung auf das Beweismittel hin ergeht, ist nicht nötig. D as Verfahren vor den Parteidienst­ stellen möchte ich hineinnehmen. Zu § 160 verdient der Vorschlag des Reichsgerichts, daß § 159 Abs. 3 entsprechend anwendbar sein soll, Beifall. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Unterschiede zwischen den Formulierungen des Entwurfs und den Vorschlägen der Abteilung sind genügend hervorgehoben. Hier kann ein ausländisches Gericht nicht einbegriffen werden. Auch einbegriffen sind Ehrengerichte. Ministerialdirektor Schäfer: Sollen nicht auch Fälschungen von Beweismitteln, soweit sie in einem ausländischen Verfahren erfolgt sind, bei uns strafbar sein? Z..B. ein ausländisches Gericht ersucht um Rechtshilfe. Ein staatlich aner­ kanntes oder geregeltes Verfahren ist eventuell eine zu starke Einengung. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Bei Rechtshilfe muß das fremde Verfahren aner­ kannt sein. W ir haben kein Interesse, wenn das aus­ ländische Verfahren von uns nicht anerkannt ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Liest man den Vorschlag der Sachbearbeiter, so hat man den Eindruck, als ob der Anreiz zur Wahrheit besonders stark sein solle. Is t der Ausdruck „ab­ schließende Entscheidung" interpretierbar? Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Beweisbeschluß und Ladung sind keine abschließen­ den Entscheidungen, wohl aber ein eine Instanz ab­ schließendes Urteil, auch Teilurteile.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Die Bestimmung über Straffreiheit wäre meines Erachtens bester in eine Kann-Bestimmung umzu­ wandeln. Ich habe den Eindruck, d a ß ju viel Worte im Verhältnis zum Gewicht der Sache gemacht werden. E s läßt sich aber gegen keine Bestimmung etwas sagen. Senatspräsident Profestor D r. Klee: Bei der Beratung des Landesverrates w ar vorbe­ halten geblieben (bei § 11), ob nicht die Fälschung von solchen Urkunden strafbar sein soll, deren In h alt lediglich für die Innenpolitik von Bedeutung ist. Das

müßte eigentlich bei den Urkundsdelikten, nicht bei den Beweismitteln erörtert werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich schlage vor, daß wir jetzt hier abbrechen und unsere Beratungen morgen fortsetzen. F ü r die erledigten Abschnitte wären noch die Unterkommissionen zu benennen. F ü r den Abschnitt „Angriffe auf die Fortpflanzungskraft" bilden die Unterkommission die Herren Nagler, G rau und Rietzsch, für die zusammengehörigen Abschnitte „An­ griffe auf Gottesglauben und Religion" und „Störung der Totenruhe" die Herren Thierack, Kohlrausch und Rietzsch.

(Schluß der Sitzung 18 Uhr 55 Minuten.)

StrafrechlskommWon

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I n der Reihenfolge der Delikte „Angriffe auf die Rechtspflege" würden wir heute mit den §§ 161 ff. beginnen. Die Herren Berichterstatter haben darüber noch nicht berichtet. Ich bitte Sie, Herr Professor Klee, zu beginnen.

S1. Sitzung 29. Juni 1935 (Hahnenklee) Zweite Lesung Inhalt Angriffe auf Rechtspflege und Verwaltung

(Fortsetzung der Aussprache) Reichsjusttzminister Dr. Gürtner 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14 Berichterstatter Senatspräsident Professor Dr. Klee . .1, 6, 8, 9, 10, 12 Berichterstatter Landgerichtsdirektor Leimer 2 ,7 ,9 ,1 0 ,1 2 ,1 3 ,1 4 Reichsgerichtsrat Niethammer.....................................3, 7, 9, 11 Ministerialdirektor Schäfer 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 ,1 0 ,1 1 ,1 2 ,1 3 ,1 4 Professor Dr. D ah m .........................................3, 5, 6, 8, 10, 11 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack 4, 8, 9, 10, 11 Staatsrat Dr. Graf von der Goltz.........4, 5, 6, 7, 9, 10, 11 Professor Dr. M ezg er............................................... 4, 5, 6, 7, 8 Senatspräsident G rau........................................................5, 7, 12 Oberregierungsrat Dr. von D ohnanyi.........5, 10, 11, 12, 13 Professor Dr. Schaffstein................................................... 6, 8, 10 Oberstaatsanwalt Dr. R eim er...................................................... 7 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 9,11 Professor Dr. Kohlrausch.................................................................9 Professor Dr. Nagler......................................................................10 Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer..............................................13 Ministerialrat Rietzsch......................................................................13

Eidesverletzung Reichsjustizminister Dr. Gürtner...........14, 15, 16, 17, 18, 19 Berichterstatter Staatssekretär Dr. Freister . . . 14, 15, 17, 18 Berichterstatter Professor Dr. Kohlrausch................. 15, 17, 19 Ministerialdirektor Schäfer......................................................16, 17 Vizepräsident des ReichsgerichtsDr. Thierack.........................16 Professor Dr. Henkel................................................................ 16, 17 Retchsgerichtsrat N ietham m er.................................................... 17 Landgerichts direktor L eim er.........................................................17 Professor Dr. N a g le r .............................................................. 18, 19 Staatsrat Dr. Graf von der G oltz.....................................18, 19 Professor Dr. Graf G leispach.................................................... 18 Professor Dr. D ahm ........................................................................19 Senatspräsident Professor Dr.K lee............................................19

(Aussprache abgebrochen)

Beginn der Sitzung 9 Uhr 10 Minuten.

Senatspräsident Professor Dr. Klee: Zu § 161 liegt ein Antrag meines Herrn M it­ berichterstatters Landgerichtsdirektor Leimer vor, in Absatz 1 statt „oder mit Zuchthaus" zu sagen „oder in erster Linie mit Zuchthaus". Durch diese Fassungsänderung sollen die besonders schweren Fälle, deren Vorliegen nicht ohne weiteres erkannt werden kann, hier ausscheiden. Ich halte diesen Vorschlag für be­ gründet und schließe mich ihm an. Der Anregung der Anmerkung 2 zu § 161 erster Lesung entsprechend wird entgegen dem Vorschlag des Reichsgerichts neben dem Erfolg noch der drohende Schaden zu erwähnen sein, um auch denjenigen Fällen gerecht zu werden, in denen der Schaden nicht schon vom Erfolg erfaßt ist, so z. B. bei der Eisenbahntransportgefährdung. Bezüglich der Vorschrift des § 161 Abs. 5 hat der Minister des In n ern die Privilegierung der Geist­ lichen gegenüber anderen Personenkategorien, die durch das Berufsgeheimnis gebunden sind, bean­ standet. Diese Beanstandung ist m. E. durchaus be­ gründet. Die Geistlichen müssen den Rechtsanwälten usw. in Abs. 6 Satz 2 gleichgestellt werden, falls man sich nicht dem Antrag von Herrn Leimer anschließt, wonach auch diese Vorschrift gestrichen werden soll. Eine Sonderstellung der Geistlichen erscheint ange­ sichts der staatlichen Belange, die hier in Frage stehen, nicht tragbar. Die Sachbearbeiter des Ministeriums haben ferner vorgeschlagen, den Absatz 7 des § 161 etwas anders zu fassen, und zwar wie folgt: „straffrei ist, wer die Ausführung oder den Erfolg der T at auf andere Weise als durch Anzeige abwendet" (Antrag Nr. B 71). Diesem Vorschlag und der dafür gegebenen Begründung kann ich ohne weiteres zustimmen. W ir kommen dann zu § 162. W ir haben bisher den Standpunkt eingenommen, daß zwei Voraus­ setzungen für die Anzeigepslicht ausgestellt werden müssen: einmal muß eine mit dem Tode bedrohte S traftat vorliegen, von deren Begehung jemand Kenntnis hat, und zweitens muß hinzukommen, daß die zuständige Behörde eine öffentliche Aufforderung hat ergehen lassen, an der Aufklärung des Verbrechens mitzuwirken. Diese Bestimmung ist nach zwei Rich­ tungen hin zu eng. I n einer Hinsicht wird dieser Standpunkt auch von der Abteilung vertreten. Sie will die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Ver­ brechensaufklärung auf jede S traftat ausdehnen, wenn die zuständige Behörde öffentlich zur M itw ir­ kung bei der Aufklärung aufgefordert hat. Diesem Gedanken wird man beitreten müssen. Wenn der S ta a t die Mitwirkung seiner Bürger jjmr Aufklärung eines Verbrechens braucht, dann ist jeder zu dieser

Mithilfe verpflichtet, gleichviel, um welche Straftaten es sich dabei handelt. Auf todeswürdige Verbrechen kann die Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Auf­ klärung jedenfalls nicht beschränkt werden. D as ist auch die Ansicht meines Mitberichterstatters und der Abteilung. Ich schlage dann noch nach einer anderen Richtung eine Ausdehnung vor. Die Allgemeinheit hat auch dann an der Aufklärung besonders schwerer Ver­ brechen ein Interesse, wenn die Behörde noch keine Kenntnis von der Begehung hat und deshalb auch noch keine öffentliche Aufforderung erlaffen worden ist. Ich denke hier z. B. an geheime Vorbereitungen eines Landes- oder Hochverrats. D ann hat jeder, der von der Vorbereitung Kenntnis hat, die Ver­ pflichtung, an der Aufklärung des Verbrechens mitzu­ wirken und es zur Kenntnis der zuständigen Behörde zu bringen. Ich würde also vorschlagen, hier eine Kombinierung eintreten zu lassen: einmal eine Ver­ pflichtung jedermanns aufzustellen, jede Art von Ver­ brechen anzuzeigen, wenn die Behörde dazu auffor­ dert; zweitens eine Verpflichtung, auch unabhängig von der Aufforderung der Behörde mindestens todes­ würdige Verbrechen zur Kenntnis der Behörde zu bringen. E s ergibt sich dann die Frage, welche P er­ sonenkreise von diesen Verpflichtungen auszunehmen wären. Ich meine, daß zunächst kein Zweifel daran sein kann, daß Angehörige hier ausgenommen werden müssen, und zwar aus dem allgemeinen Gedanken eines erweiterten Selbsterhaltungstriebes heraus. Bei den anderen hier genannten Personenkreisen, den Geistlichen, Rechtsanwälten usw., kann man sehr zweifeln, ob diese Personen unter allen Umständen von der Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Auf­ klärung eines schweren Verbrechens freigestellt werden sollen. Wenn es sich um mit dem Tode bedrohte Ver­ brechen handelt u n d die Behörde eine öffentliche Aufforderung zur Mitwirkung bei der Aufklärung erlassen hat, dann muß, meine ich, wenigstens in diesem Falle die Rücksicht auf das Berufsgeheimnis zurücktreten hinter den staatlichen Interessen an der Verbrechensaufklärung, und zwar auch bei Geistlichen. Eine darüber hinausgehende Erweiterung der Ver­ pflichtung ist abzulehnen, weil sonst das Berufsge­ heimnis gegenstandslos sein würde. Hier darf ich zunächst einmal abbrechen. Reichsjustizminister D r. G ürtner: Ich bitte dann den Herrn Mitberichterstatter, zu den §§ 161, 162 zunächst das Wort zu nehmen. Landgerichtsdirektor Leimer: Die Abteilung hat zu § 161 zunächst die Frage aufgeworfen, ob auf Grund der letzten Fassung des § 358 noch von „Begehung" einer S traftat gesprochen werden kann. Ich stimme der Abteilung jedoch darin zu, daß dieser Begriff hier weiterhin verwendet wer­ den kann, da er als eine A rt von Oberbegriff alle Beteiligungs- und Tätigkeitsformen umfaßt. Herr Professor Klee hat hervorgehoben, daß ich vorgeschlagen habe, hier nicht allgemein zu sagen „oder mit Zuchthaus bedrohte Handlung", sondern

„in erster Linie mit Zuchthaus bedrohte Handlung". M it Zuchthaus bedroht sind nämlich m. E. auch alle diejenigen Fälle, in denen in erster Linie Gefängnis, in besonders schweren Fällen dagegen auch Zuchthaus angedroht ist. I n solchen Fällen soll jedoch die Grund­ strafdrohung maßgebend sein. Denn das Vorliegen von „besonders schweren Fällen" ist für den Anzeige­ pflichtigen nicht ohne weiteres erkennbar. Die Fassung „nur mit Zuchthaus bedrohten" ist nicht verwendbar, solange Strafandrohungen wie in §§ 109, 110 vor­ handen sind, da hier eine Anzeigepslicht bestehen muß. Dagegen kann demjenigen, der zur Anzeigeerstattung verpflichtet ist, wohl zugemutet werden, sich nach der Richtung zu erkundigen, ob eine S tra fta t in erster Linie mit Zuchthaus bedroht ist oder nicht. Die Strafbarkeit ist in Abs. 1 davon abhängig ge­ macht, daß die T at „begonnen" worden ist. M . E. muß diese Einschränkung gestrichen werden. S ie paßt nur zur Nichtanzeige des Vorhabens einer strafbaren Handlung, nicht aber zur Nichtanzeige der Begehung einer solchen. Wer die Anzeige nicht erstattet, der muß genau so strafbar sein, ob es nun zu etwas gekommen ist oder nicht. Die im Entwurf 1. Lesung vorgesehene Einschränkung ist mit dem Willensstrasrecht nicht vereinbar. I n Abs. 4 wird erklärt, daß die Strafbarkeit un­ abhängig sei von der Strafbarkeit dessen, der die T at begangen hat. M. E. ist diese Vorschrift zu ändern, da auch das bloße Vorhaben einer S traftat schon strafbar sein kann (vgl. §§ 364, 365). D er Abs. 4 müßte daher etwa lauten: „Die Strafbarkeit ist un­ abhängig von der Strafbarkeit dessen, der die straf­ bare Handlung begehen wollte oder begangen hat." Die Frage, ob man den Geistlichen eine Sonder­ stellung einräumen soll, wird wohl nach politischen Erwägungen zu entscheiden sein. E s ist vielleicht be­ denklich, die Vorschrift des Abs. 5 heute zu streichen, nachdem wir sie in erster Lesung ausgenommen hatten. M. E. ist diese Bestimmung entbehrlich. Wenn sich die Anzeigepflicht auf die schwersten Verbrechen be­ schränkt, so muß das Berufsgeheimnis den höheren Interessen der Allgemeinheit weichen. Ich schlage daher die Streichung des Abs. 6 Satz 2 vor. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die genannten Vertrauens­ personen in der Lage wären, den T äter von der T at abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden, wenn sie von dem Vorhaben des Verbrechens Kenntnis erhalten haben. Wenn wirklich einmal jemand einem Rechts­ anwalt von dem Vorhaben einer S traftat Mitteilung machen sollte, so wird der Rechtsanwalt kaum in der Lage sein, ihn von der T at abzuhalten. Ich würde hier auch eine Verpflichtung zur Anzeigeerstattung an­ nehmen. Die Belange der Allgemeinheit stehen hier höher als das Berufsgeheimnis. Wenn man den Geistlichen nicht absolut ausnehmen will, dann müßte er m. E. hier überhaupt ausscheiden. Es wird kaum in Betracht kommen, daß ein Geistlicher von entern beabsichtigten, im Erfolg noch nicht eingetretenen Verbrechen Kenntnis erhält. Auch das Reichsgericht hat hervorgehoben, daß ein solcher Fall kaum vor­ kommen dürste. Ob man aus politischen Gründen den

Geistlichen deshalb hier privilegieren sollte, vermag ich nicht zu entscheiden. Zu Abs. 7 ist schon in erster Lesung gesagt worden, daß es auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung nicht ankommen kann. Ich schließe mich daher insoweit dem Vorschlag der Sachbearbeiter für eine Änderung der Fassung des Abs. 7 an. Zu § 162 stimme ich dem zu, was Herr Professor Klee ausgesührt hat. Hier müssen die Geistlichen, Rechtsanwälte usw. zweifellos eine Sonderstellung er­ halten. Sonst wird das Berufsgeheimnis und damit ihre Stellung überhaupt unmöglich. Es entspricht auch dem Antrag der Sachbearbeiter, hier neben bett Angehörigen auch die genannten Vertrauenspersonett von der Strafdrohung auszunehmen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es sind eine ganze Reihe von Fassungsvorschlägen gemacht worden, die z. T. aber weit über den Rahmen einer bloßen Fassungsänderung hinausgehen. Zunächst ist zu § 161 vorgeschlagen worden zu sagen: „eine in erster Linie mit Zuchthaus bedrohte Handlung". I n der Rechtsprechung ist nicht ganz zweifellos, ob unter die Fassung des Entwurfs erster Lesung auch diejenigen Fälle zu rechnen sind, in denen Zuchthausstrafe nur bei besonders schweren Fällen an­ gedroht ist. Vielleicht äußert sich Herr Reichsgerichts­ rat Niethammer einmal zu diesem Punkt. Reichsgerichtsrat Niethammer: I n den vom Reichsgericht entschiedenen Fällen handelte es sich um die Frage, ob z. B. die Untreue im Sinne des § 1 S tG B , als Verbrechen aufzufassen ist, wenn ein besonders schwerer Fall, der mit Zucht­ haus bedroht ist, vorliegt. D as Reichsgericht hat diese Frage verneint und ausgesprochen, daß der Tatbestand die Eigenschaft eines Vergehens beibehält, wenn nur in besonders schweren Fällen Zuchthausstrafe eintritt, die Grundstrafdrohung aber Gefängnis ist. Die ent­ sprechende Folgerung müßte man auch hier ziehen. Es erscheint aber durchaus zweckmäßig, diesen Punkt aus­ drücklich zu erläutern. Ministerialdirektor Schäfer: Ich glaube nicht, daß wir diesem Standpunkt fol­ gen sollten. Vom Standpunkt der materiellen Gerech­ tigkeit aus halte ich es für richtig, die Zuchthaus­ drohung bei besonders schweren Fällen so zu behan­ deln, als wenn ein Tatbestand ausdrücklich direkt als Zuchthaustatbestand gefaßt ist. W ir haben die Zucht­ hausdrohung bei besonders schweren Fällen nur aus Gründen der Vereinfachung gewählt, um den T a t­ bestand nicht noch einmal besonders fassen zu müssen. Dann wäre es ungerecht, diesen Zuchthausfall anders zu betrachten als einen Zuchthaussall, für den ein be­ sonderer Tatbestand geschaffen worden ist. E s wird dem einzelnen auch nicht zu viel zugemutet, wenn er beurteilen soll, ob ein besonders schwerer F all vor­ liegt. W ir haben im Besonderen Teil die Strafbe­ stimmung sehr häufig so gefaßt, daß wir in einem ersten Absatz die Grundstrafdrohung bringen und dann unmittelbar in einem anschließenden Absatz die Zuchthausdrohung bei besonders schweren Fällen an­ schließen. I n allen diesen Fällen müssen wir diese

Zuchthausdrohung unbedingt als solche ersassen. Ich möchte dafür eintreten, daß wir die Fassung 1. Lesung beibehalten und in der Begründung klarstellen, was gemeint ist. Die Entscheidung des Reichsgerichts, die Herr Reichsgerichtsrat Niethammer angezogen hat, beruht ausschließlich auf der Dreiteilung der straf­ baren Handlungen im geltenden Recht. M it dem Fortfall dieser Dreiteilung im Entwurf entfällt auch die Grundlage für die Darlegungen des Reichserichts, die es zu der erwähnten Entscheidung geführt eben. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an kann doch aber nicht von vornherein beur­ teilen, ob ein besonders schwerer Fall und mithin auch eine Anzeigepflicht vorliegen wird. Es geht doch wohl nicht an, den Eintritt des schweren Erfolges nun ge­ wissermaßen zurückzudatieren und nachträglich eine Verpflichtung zur Anzeige aufzustellen. Professor Dr. Dahm: Ich möchte mich zu drei Punkten äußern. Zunächst zu § 161 Abs. 6 Satz 2. Ich begrüße entschieden den Antrag des Herrn Landgerichtsdirektor Leimer aus Streichung dieser Bestimmung. Sie beruht auf der Erwägung, daß besonders schutzwürdige Vertrauens­ verhältnisse durch die Ossenbarungspflicht gegenüber der Gemeinschaft nicht mitbetrosfen werden. Es über­ schreitet aber die Grenzen des Erträglichen, wenn matt dem Arzt gestatten wollte, den P la n eines schwer ent­ ehrenden Verbrechens zu verschweigen. I n diesen Fällen besteht eine unbedingte Pflicht zur Erstattung, die die aus dem Vertrauensverhältnis fließende über­ wiegt. Die Regel des § 161 Abs. 1 muß auch für die Vertrauenspersonen Anwendung finden. Ich möchte noch einen Schritt weiter gehen und dasselbe auch vom Geistlichen sagen. Abs. 5 muß daher gestrichen werden. Es würde wohl niemand verstehen, daß ein Geist­ licher, der in der Beichte vom Vorhaben eines Mordes erfährt, darüber schweigen dürfen soll. Die Pflicht gegenüber der Gesamtheit ist hier unbedingt die über­ wiegende. Es liegt noch nicht einmal eine Pflichten­ kollision vor. Was die Straffreiheit der Angehörigen anbelangt, so würde ich es bei der Regelung des Entwurfs lassen. Zu § 162 hat Herr Professor Klee durchaus recht, wenn er die Frage auswirft, warum diese Bestimmung auf die Fälle beschränkt sein soll, in denen eine öffent­ liche Aufforderung erlassen ist. D as bedeutet eine bedenkliche Formalisierung. Ich würde den Tatbe­ stand auf die Fälle erweitern, in denen die Behörde noch keine Kenntnis von der S traftat hat. Denn ge­ rade in diesen Fällen besteht ein besonderes Bedürfnis für die Mitwirkung der einzelnen Bürger an der Auf­ klärung. I n den anderen Fällen wird die Behörde meist schon von sich aus geeignete Maßnahmen treffen können. Ich möchte mich aber bei dieser Ausdehnung des § 162 einmal aus todeswürdige Verbrechen be­ schränken und ferner vielleicht eine Bestimmung auf­ nehmen, wie sie im italienischen Strafgesetzbuch vor­ handen ist, wonach die unterlassene Verbrechensan-

zeige dann bestraft wird, wenn es sich um politische Verbrechen handelt, aber auch dann nur, wenn die T at mit Zuchthaus bedroht ist. W ir könnten die Anzeigepslicht auf diejenigen Verbrechen ausdehnen, die wir als „Volksverrat" bezeichnet haben, soweit sie mit Zuchthaus bedroht sind. Dieser Gedanke recht­ fertigt sich damit, daß bei solchen Verbrechen meist eine Gefahr für die Zukunft vorliegt. Es handelt sich also um denselben Gedanken wie in § 161, daß jeder Volks­ genosse verpflichtet ist mitzuwirken, daß aus einer begangenen oder zu begehenden S traftat keine Gefahr für die Zukunft entsteht. Den Abs. 2 des § 162 würde ich in der jetzigen Fassung lassen. Hier erscheint mir der Grundgedanke vernünftig, daß Beichtgeheimnis und Vertrauensver­ hältnis geschützt werden müßten. Denn hier ist ja das Unglück nun einmal geschehen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte noch einmal auf den § 161 Abs. 1 zurückkommen und dazu als Beispiel den schweren Diebstahl (§§ 309, 310 Abs. 1 und 2) heranziehen. Es würde die Frage entstehen: Muß jemand, der von dem Vorhaben eines Einbruchsdiebstahls weiß, An­ zeige machen oder nicht? M an muß die Frage des­ wegen bejahen, weil der Einbruchsdiebstahl ein Zucht­ hausdelikt ist. M an kann aber nicht sagen, daß er ein „an erster Stelle" mit Gefängnis bedrohtes Delikt sei. E s ist angeregt worden, in § 161 Abs. 1 die Worte zu streichen: „Wenn die T at begonnen worden ist". Folgt man dieser Anregung, dann könnte der Fall eintreten, daß der A., der weiß, daß der B. ein schweres Verbrechen plant, bestraft wird, obwohl der B., der das Verbrechen nicht einmal beginnt, straffrei bleibt. Es ist aber unbefriedigend, daß der Einge­ weihte bestraft wird, während der „Täter" selbst straf­ frei bleibt. Dieser Gesichtspunkt hat uns veranlaßt, hier jene Worte einzufügen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s handelt sich also um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit. (Zustimmung.) Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: Ich möchte von etwas ganz anderem reden, näm­ lich Ih re Aufmerksamkeit auf die in den §§ 161 und 162 mehrfach verwendeten Worte „glaubhafte Kennt­ nis" richten. Diese Worte finden sich, schon im gelten­ den Recht, und ihre Auslegung ist bestritten. Nach einer Meinung sind sie subjektiv auszulegen, d. h. derjenige, der die Kenntnis erhält, muß alle Sorgfalt aufwenden und prüfen, ob das Vorhaben wirklich ernsthaft gemeint ist. Ich persönlich halte es für ein rein objektives Merkmal. Wenn S ie sich z. B. den Abs. 3 des § 161 ansehen: Wollten Sie hier das Merkmal subjektiv auffassen, so müßten in der Seele des Täters außerordentlich komplizierte Erwägungen vorgehen. Damit entfernt man sich aber vom Boden der Wirklichkeit. Ich würde vorschlagen, um hier zur Gestaltung eines objektiven Merkmals zu kommen,

etwa wie im Sprengstofsgesetz zu sagen: „in glaub­ hafter Weise". S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: Ich möchte nur sagen, daß ich die Behandlung der zum Schweigen verpflichteten Personen auch durch­ aus unterschiedlich gestalten würde. Ich stehe aus t>em Standpunkt, daß kein Berufsgeheimnis jemand dazu berechtigen kann, an der Verhinderung eines Ver­ brechens nicht mitzuwirken. Ich würde also sowohl den Abs. 5 wie den Abs. 6 Satz 2 des § 161 streichen. Umgekehrt würde ich jede Beschränkung des Berufs­ geheimnisses, nachdem das Unglück einmal passiert ist, für bedenklich halten und bin der Auffassung, daß § 162 Abs. 2 in der jetzigen Fassung beibehalten wer­ den muß. Angehörige müssen natürlich für beide Bestimmungen von der Strafdrohung ausgenommen werden. Was die Frage betrifft, die Herr Ministerial­ direktor Schäfer erörterte, nämlich die Qualifikation der besonders schweren Fälle, so möchte ich mich Herrn Ministerialdirektor Schäfer vollinhaltlich anschließen. Ich bin auch der Ansicht, daß man hier verhältnis­ mäßig weit gehen muß. Jemand, der weiß, daß ein Einbruchsdiebstahl begangen werden soll, muß an­ zeigen. Glaubt er nur an einen einfachen Diebstahl, kommt es aber später doch zum schweren Diebstahl, so kommen ihm bereits die allgemeinen Erwägungen über Vorsatz zugute. Wer in solchen Fällen zweifelt, der muß eben eher einen nicht mit Zuchthaus be­ drohten Fall anzeigen, als einen evtl, mit Zuchthaus bedrohten Fall nicht anzeigen. Professor Dr. Mezger: Ich habe Bedenken gegen die vorgeschlagene weite Fassung des § 162. Diese Bedenken beziehen sich nicht aus die besonders schweren Taten, bei denen von vorn­ herein eine Anzeigepflicht bestehen soll, sondern aus die anderen Fälle, in denen die Anzeigepslicht nur bestehen soll, wenn eine öffentliche Aufforderung er­ gangen ist. Ich bin der Meinung, daß sich aus einer unbeschränkten Anzeigepflicht bei jeder Aufforderung Mißstände ergeben. Z. B. könnten die Steuerbehörden, wenn sie über wirtschaftliche Verhältnisse von weiten Kreisen Auskunft haben wollen, öffentliche Auffor­ derungen zur Auskunftserteilung erlassen. E s ist nicht schwer, hier Beziehungen zu einer S traftat herzu­ stellen. Es würden Auskunftspflichten entstehen, die nicht wünschenswert sind und deren Verletzung nicht strafbar sein kann. Ich halte es nicht für richtig, hier bei begangenen Verbrechen weiter zu gehen als bei bevorstehenden. Ich würde also vorschlagen, zwar bezüglich der mit Todesstrafe bedrohten Handlungen über den Entwurf hinauszugehen, im übrigen aber eine Parallele zu der Regelung des § 161 herzustellen. E s geht zu weit, für jede öffentliche Aufforderung, wenn irgendwie zu einer vielleicht ganz geringfügigen S traftat eine Beziehung besteht, Strafe anzudrohen. Ich möchte endlich noch besonders darauf hinweisen, daß § 162, wenn er ausgedehnt wird, auch in § 165 erwähnt werden muß.

Senatspräsident Grau: Ich wollte zunächst zu § 161 nur bezüglich der Privilegierung der Geistlichen, der Rechtsanwälte und Arzte Stellung nehmen. Wenn man den Abs. 5 dieser Vorschrist liest, dann drängt sich einem die Über­ zeugung auf, daß die Geistlichen überhaupt als außer­ halb der Volksgemeinschaft stehend betrachtet werden; denn sie sollen nicht einmal verpflichtet sein, schwerste dem Volke drohende Verbrechen anzuzeigen und damit zu verhüten. Darüber hinaus glaube ich aber, daß auch Rechtsanwälte und Arzte keine Sonderrechte insoweit genießen dürfen. Die Gefahren, die der Gemeinschaft drohen, sind hier so groß, daß auch sie zur Anzeige verpflichtet sein müssen. Überdies dürste eine prak­ tische Möglichkeit, die Voraussetzungen des Abs. 6 zu erfüllen, für den Arzt und Rechtsanwalt kaum vor­ liegen. Denn im allgemeinen erhalten diese nicht durch den Täter selbst, sondern von irgendeinem Dritten die Kenntnis von der bevorstehenden S tra f­ tat. Dann wird meist jede Möglichkeit fehlen, auf den Täter einzuwirken. Ich bin daher für die völlige Streichung des Abs. 5 und des Abs. 6 Satz 2 dieser Vorschrift. Anders liegt es dagegen bei § 162. Hier muß das Berufsgeheimnis nach geschehener T at uneingeschränkt aufrechterhalten werden. Ich würde es weiter für richtig halten, den Kreis der in § 162 erwähnten Straftaten auszudehnen. Wenn die Behörde durch öffentliche Aufforderung ver­ langt, daß alle, die von einer S traftat Kenntnis er­ halten, davon Mitteilung machen, dann hat jeder die Verpflichtung zu solcher Anzeige. Ich sehe nicht ein, warum diese Verpflichtung nicht auch für alle, mit Zuchthaus bedrohten Verbrechen gelten soll. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich stelle fest, daß das Wort zu dieser Frage weiter nicht gewünscht wird. Ich muß zugeben, daß die Aus­ führungen von Ministerialdirektor Schäfer bezüglich der mit Zuchthaus bedrohten Handlungen doch richtig sind. Es kommt aus die Kenntnis des Täters vor der T at an. W ir werden daher die Fassung des § 161 insoweit belassen können. Daß man in § 162 die Geistlichen und Ver­ trauenspersonen stehen lassen muß, das halte ich für selbstverständlich. Sonst könnte kein Verbrecher einen Rechtsanwalt wegen seiner Verteidigung um R at fragen. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: W ir haben hier ein Interesse daran, daß der Ver­ brecher dem Rechtsanwalt die Wahrheit sagt und dieser ihn vielleicht noch zu einer wahrheitsgemäßen Aussage anhalten kann. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dieser Gesichtspunkt ist durchaus richtig. Anders liegt es bei § 161. Daß jemand dem Rechtsanwalt vom Vorhaben eines Verbrechens Kenntnis gibt, kann ich mir kaum denken.

Professor Dr. Dahm: D as kommt durchaus vor. Mich hat neulich ein Anwalt gefragt, wie in einem bestimmten Fall die Rechtslage sei, und ich entnahm daraus, daß sein Mandant, um den es sich handelte, ein schweres De­ visenverbrechen beabsichtigte. Gerade auf diesem Gebiet scheint mir die Vorschrift doch praktisch zu sein. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D as erscheint mir allerdings auch richtig. M ir ist ein ähnlicher Fall bekanntgeworden, wo es sich jedoch um einen Juristen ohne besondere Vertrauensstellung handelte. W as ist in einem solchen Fall zu tun? S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: I n solchem Falle müßte ein Anwalt dem M an­ danten die Konsequenzen klarmachen und versuchen, ihn von dem Vorhaben abzubringen. Wenn ihm dies nicht gelingt, und er die Überzeugung erhält, daß der andere die S tra fta t begehen will, so muß er Anzeige erstatten. Ich könnte mir denken, daß vor allem bei politischen Delikten die Bestimmung praktisch werden kann. Professor Dr. Mezger: Ich möchte mich nicht gegen die Streichung dec Absätze 5 und 6 Satz 2 des § 161 wenden, aber darauf Hinweisen, daß bei dem Arzt die Streichung sehr weit führt. Es kann sehr häufig vorkommen, daß ein Arzt zur Abtreibung veranlaßt werden soll, das Angebot aber ohne weiteres ablehnt. Weiß er nun, daß die Absicht zur Abtreibung in gewerbsmäßiger Form an­ derweit feststeht, so müßte er Anzeige erstatten. Ministerialdirektor Schäfer: I n solchen Fällen sind aber die Umstände, ins­ besondere die Person dessen, der nunmehr wegen der Abtreibung angegangen werden soll, völlig unbe­ stimmt, so daß eine Anzeige nicht möglich ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, daß wir die Konflikte mit der Störung des Beichtgeheimnisses bei § 161 viel weniger be­ kommen als bei § 162. Aus praktischen Gründen dürfte daher gegen die vorgeschlagene Streichung kaum etwas einzuwenden sein. E s ist dann weiter angeregt worden, in § 161 Abs. 4 anstatt „begangen hat" zu sagen „begehen wollte oder begangen hat". Is t dieser Zusatz not­ wendig? Oberregierungsrat D r. von Dohnanyi: M ir ist das sehr zweifelhaft. Der Begriff der Be­ gehung ist nach unsern letzten Beratungen zum Allge­ meinen Teil nicht klargestellt. Früher erfaßte er so­ wohl das Beginnen wie das Ausführen der Tat. Jetzt haben wir den Begriff der Begehung nicht mehr. W ir setzen ihn hier ein, weil wir einen Begriff schaffen wollen, der alle Handlungen erfaßt, sowohl das Be­ ginnen wie das Ausführen.

Ministerialdirektor Schäfer: E r erfaßt aber nicht das „Vorhaben". Gerade dieser Fall ist aber besonders wichtig, z. B. bei Hoch­ verrat. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich bitte die Unterkommission zu klären, ob der Begriff des Begehens hier auch das Vorhaben ersaßt, was ich nicht glaube. Müßte der Begriff des Be­ gehens nicht noch klargestellt werden? M an kann es dem Wort nicht ansehen, daß es auch das „Beginnen" umfaßen soll. Ministerialdirektor Schäfer: Meines Erachtens muß insoweit der Abs. 4 dem Abs. 1 angepaßt werden. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Nach den geäußerten übereinstimmenden Meinun­ gen würde der Abs. 5 des § 161 also völlig wegfallen. Ich schließe mich dieser Meinung an. Von Abs. 6 würde nur der Satz 1 übrigbleiben. Abs. 7 würde eine bessere Fassung erhalten im Sinne der Sach­ bearbeiter des Ministeriums. Der Antrag, die Worte zu streichen „wenn sie zu der Zeit, zu der er die Kenntnis erlangt, schon begonnen war", scheint mir doch etwas zu weit zu gehen. Zu. § 162 besteht noch die sehr offene Frage' der Erweiterung des Tatbestandes, die noch mehr zu klären ist. Es sind zwei Fälle unterschieden worden: Einmal, daß eine behördliche Aufforderung vorliegt, und zweitens, daß keine Aufforderung erlassen ist. Für den ersten Fall wurde behauptet, daß die Beschränkung der Hilfsverpslichtung aus die mit dem Tode be­ drohten Straftaten zu eng sei. Es erhebt sich dann die Frage, wie weit der Tatbestand auszudehnen ist. Soll die Anzeigepslicht bei allen Straftaten bestehen? Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wenn die Behörde ein Interesse an der Auf­ klärung hat, ja. M an kann dann keinen Unterschied zwischen schweren und leichten Verbrechen machen. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: I n der Regel wird es so sein, daß sich die öffent­ lichen Aufforderungen auf schwere Verbrechen be­ ziehen, z. B. Mord, Brandstiftung, auch Einbruch. Es kommt aber auch vor, daß es sich nicht um schwere Fälle handelt, z. B. Versicherungsbetrug. Hätten die Herren Bedenken dagegen, die Mitwirkungspflicht bei öffentlicher Aufforderung aus alle Straftaten schlecht­ hin auszudehnen? S taatsrat Dr. Graf von der Goltz: Eine solche Ausdehnung würde jedenfalls dem Wesen des autoritären S taates entsprechen. Selbst wenn kein im rechtlichen Sinne schwerer F all vor­ liegt, so handelt es sich jedenfalls um einen für den S ta a t bedeutsamen Fall, wenn eine Aufforderung er­ laßen ist.

Professor D r. Schassftem: Ich habe Bedenken gegen eine derartige Aus­ weitung. Zunächst einmal stimme ich den von Herrn Professor Mezger vorgebrachten Gegengründen zu. Dann glaube ich, daß unter Umständen in Zukunft allzu oft derartige behördliche Aufforderungen erfol­ gen können. E s gibt doch sehr viele Fälle, in denen das zu weit gehen würde. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: D as Schicksal der sogenannten öffentlichen Auf­ forderung ist ja merkwürdig genug. W ir haben Auf­ forderungen bei wichtigen Delikten erlebt, die dann geradezu eine F lu t von unrichtigen Mitteilungen an die Strafverfolgungsbehörden hervorgerufen haben. Ich glaube daher kaum, daß die Strasverfolgungsbehörden, denen diese Fälle genau bekannt sind, einen zu weiten Gebrauch von der Befugnis zur öffentlichen Aufforderung machen würden. Professor D r. Dahm: Die Bedenken von Schaffstein sind nicht durch­ schlagend, da man Mißstände im Verwaltungswege durch Anweisung an die Staatsanwaltschaft beseitigen kann. Andererseits ist aber eine Ausweichmöglichkeit für die Fälle möglich, wo bei leichteren Straftaten jemand aus Kameradschaftlichkeit nicht seine M it­ wirkung zur Verfügung stellen will. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich möchte hier erwähnen, daß sich manchmal kleinere Krawalle und Ausschreitungen ereignen, in deren Verlauf es zu leichten Delikten kommt. Um ein Bild über das Geschehene zu gewinnen, könnte ich mir denken, daß die Staatsanwaltschaft zu Mitteilungen auffordert. D ann würde es sich kaum um mit Zucht­ haus bedrohte Straftaten handeln. Professor D r. Mezger: Ich würde wenigstens hinzufügen: „trotz öffent­ licher Aufforderung der zur Strafverfolgung zustän­ digen Behörden". Nach der vorliegenden Fassung würden auch die Polizei und die Steuerbehörden solche mit Strafdrohung ausgestattete Aufforderungen erlassen können. Das geht nicht an. Ferner: handelt es sich um eine ganz konkrete einzelne S traftat, dann leuchtet die Bestimmung ein. Anders liegt es aber in den vom Herrn Minister genannten Fällen der Massendelikte. Hier könnten sehr viele Personen in recht unangenehme und ungerechtfertigte Gewissens­ konflikte geraten, wenn sie etwa gesprächsweise von begangenen, vielleicht geringfügigen Delikten etwas erfahren haben. Vor allem aber gibt man durch eine solche Bestimmung jedem üblen Denunzianten als M ittel der Verteidigung das Vorbringen in die Hand, daß er sich zur Anzeige verpflichtet gefühlt habe. Irgendwelche Einschränkungen sollten daher Platz greifen. Die natürlichste Einschränkung wäre die, daß man in § 161 auf die Art der S traftat abstellt, also aus die Höhe der angedrohten Strafe auch dort, wo

öffentliche Aufforderung erfolgt ist. Außerdem dürfte die Aufforderung nur für bestimmte einzelne Taten gelten.

anonymen Verbrechers, wo man vielleicht zur Samm­ lung von M aterial eine öffentliche Aufforderung er­ lassen möchte.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir bewegen uns immer noch im Bereich der öffentlichen Aufforderung. Ich stelle zunächst die Frage: Sollen wir die öffentliche Aufforderung hier in das Monopol der Staatsanwaltschaft geben? T at­ sächlich gehen Aufforderungen häufig auch von P o li­ zeibehörden aus.

Professor Dr. Mezger: Ich glaube, daß im Laufe der Debatte die Grenze zwischen kriminellem und polizeilichem Unrecht ver­ wischt worden ist. I n den wirklich schweren Fällen ist die Nichtanzeige ein kriminelles Unrecht. Was das Zuwiderhandeln gegen polizeiliche Aufforderung in minder schweren Verbrechenssällen anbelangt, so han­ delt es sich um reines Polizeiunrecht. Man müßte also schon den Kreis der Verbrechen genauer um­ schreiben.

S ta a tsra t Dr. Gras von der Goltz: Die Polizei kann sich aber jederzeit mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung setzen, wenn sie ihrer Aufforderung den Nachdruck der Strafdrohung verleihen will. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich halte die Beschränkung auf die S taatsanw alt­ schaft für bedenklich, weil ein starkes Anliegen an der schnellen Aufklärung durch die Polizei besieht und diese verzögert werden könnte, wenn sich die Polizei erst an die Staatsanwaltschaft wenden müßte. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: Die Polizei hat doch in allen Fällen die Möglich­ keit, von sich aus eine Aufforderung zu erlaffen. Aller­ dings besteht dann keine Strassanktion, wenn man den § 162 auf Aufforderungen durch die S ta a tsa n ­ waltschaft beschränkt. Eine Aufforderung mit S tra f­ drohung kommt aber doch nur in schweren Fällen in Betracht. I n solchen Fällen erscheint es aber auch durchaus angebracht, wenn sich die Polizei mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung setzen muß. Landgerichtsdirektor Leimer: Bei leichten Fällen, z. B. Verkehrsdelikten, würde eine Auskunstspslicht mit Strafdrohung wohl etwas zu weit führen. Derartige leichte Falle müßten doch wohl von § 162 ausgenommen werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as hängt alles mit der Frage des Strafrahm ens zusammen. Es besteht also nur darüber Einigkeit, daß es zu eng ist, hier nur von todeswürdigen Verbrechen zu sprechen. Sollen wir nun bei § 162 über den Rahmen des § 161 hinausgehen? Diese Frage müßten eigentlich die Herren Praktiker beantworten. Senatspräsident Grau: Ich würde nicht über die jetzige Faffung hinaus­ gehen. Die wirklich schweren Fälle sind damit bereits berücksichtigt. Eine Ausdehnung der Mitwirkungs­ pflicht bei Vergehen halte ich für durchaus untunlich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich denke an Fälle, z. B. das Legen von Brand­ briefen aus dem Lande oder an die Tätigkeit eines

Ministerialdirektor Schäfer: Ich würde den Erlaß öffentlicher Aufforderungen mit Strassanktion aus die Staatsanwaltschaft be­ schränken, darüber hinaus aber keine weitere Ein­ schränkung vorsehen; dann haben wir genügende Be­ weglichkeit und die Verantwortlichkeit klargestellt. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: I m Gegensatz zu Herrn Ministerialdirektor Schäfer halte ich es nicht für empfehlenswert, die Strafsanktion aus öffentliche Aufforderungen der S t a a t s a n w a l t s c h a f t zu beschränken, und zwar aus folgenden Gründen: I n der Regel werden doch die Aufforderungen an das Publikum zu M it­ teilungen in Kapitalsachen mit der Auslobung von Belohnungen verknüpft. Nun steht aber in Preußen beispielsweise der Staatsanwaltschaft kein Fond für derartige Belohnungen zur Verfügung. Die Folge ist, daß die Staatsanwaltschaft, wenn sie eine solche Auslobung veröffentlichen will, sich zunächst an den zuständigen Regierungspräsidenten bezw. in Berlin an den Polizeipräsidenten wenden muß, ob dieser gegebenenfalls gewillt ist, aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln einen Betrag der S taatsanw alt­ schaft zur Erfüllung der Auslobung zu überweisen. I n Berlin wird es infolgedessen stets so gehandhabt, daß nicht die Staatsanwaltschaft, sondern der Polizei­ präsident diejenige Behörde ist, welche die fraglichen Aufforderungen an das Publikum erläßt. Da diese Handhabung sich auch durchaus bewährt hat, möchte ich vorschlagen, es bei der jetzigen Faffung zu belassen, die keinen Unterschied macht, von w e l c h e r Behörde die Aufforderung ausgegangen ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist aber in den einzelnen Ländern sehr ver­ schieden. I n Bayern z. B. kann die S taatsanw alt­ schaft Belohnungen aussetzen. Überdies werden ja die Kapitalverbrechen auch noch durch die zweite Möglich­ keit des § 162 erfaßt. Vielleicht behandeln wir die beiden Fälle des § 162 doch besser gleich im Zu­ sammenhang. Es scheint mir allgemeine Meinung zu sein, daß die Verletzung der Anzeigepslicht bei todes­ würdigen Verbrechen unbedingt strafbar sein soll. (Allgemeine Zustimmung) Es liegt nun der Antrag vor, die Strafdrohung auf Berratsverbrechen auszudehnen.

Professor Dr. Dahin: Hier besteht aber die Gefahr des politischen De­ nunziantentums. Ich würde es daher auf die zucht­ hauswürdigen Berratsverbrechen beschranken. Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte vorschlagen, davon abzusehen, eine unter Strafdrohung stehende Mithilsepslicht zu nor­ mieren, wenn keine öffentliche Aufforderung erfolgt. Ich bitte, an die Vorgänge der letzten Jahre in gewiffen Kreisen zu denken. Jeder Angehörige dieser Kreise war Mitwisser zahlreicher Straftaten. Wenn er zur Anzeige verpflichtet gewesen wäre, so hätte das eine Überspannung bedeutet. W ir sollten der S ta a ts­ anwaltschaft die Möglichkeit geben, die Mitwirkung der Öffentlichkeit in Anspruch zu nehmen, sie aber nicht dazu zwingen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: W ir müssen davon ausgehen, daß der an der S traftat Beteiligte natürlich nicht von der S traf­ drohung erfaßt wird. Die von Herrn Ministerial­ direktor Schäfer erwähnten Fälle treffen also nicht ganz zu. Ministerialdirektor Schäfer: Ich meinte die bloßen Mitwisser. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich würde die Konsequenz ziehen, daß diese zur Anzeige verpflichtet sind, wenn ein schweres Ver­ brechen vorliegt. Professor Dr. Schafsstein: Ich bin der Meinung, daß bei todeswürdigen Verbrechen eine Anzeigepflicht auch dann bestehen muß, wenn eine öffentliche Aufforderung nicht er­ lassen ist. Ich bin aber gegen eine Ausdehnung der Verpflichtung aus alle Zuchthausdelikte. Denn wir haben diese Strafdrohung sehr weitgehend verwendet. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Sie wären also der Meinung, Herr Professor Schafsstein, daß von der Mithilsepslicht nur todes­ würdige Verbrechen umfaßt werden sollen, wenn eine öffentliche Aufforderung nicht vorliegt? Professor Dr. Schassstein: Jaw ohl. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Mangels eines Widerspruchs wäre daher zu § 162 angenommen, daß eine Verpflichtung zur Mitwirkung ohne öffentliche Aufforderung nur bei todeswürdigen Verbrechen bestehen soll. Dann noch eine Frage: Sollen wir, wenn eine öffentliche Aufforderung vorliegt, über todeswürdige Verbrechen hinausgehen, oder sollen wir das Auffor­ derungsmonopol der Staatsanwaltschaft einführen?

Ministerialdirektor Schäfer: Ich möchte mich gegen Herrn Oberstaatsanwalt Dr. Reimer doch dafür aussprechen, hier nur die Staatsanwaltschaft zu erwähnen. D as liegt auch im Zuge der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Nach den Vor­ schlägen der Strafprozeßkommission soll Las Über­ gewicht bei der Staatsanwaltschaft liegen. M an muß berücksichtigen, daß die Strafversolgungsbehörde hier eine Strafbestimmung überhaupt erst in Kraft setzt; dann müssen wir die Verantwortung in die Hand einer höheren Behörde legen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich möchte Herrn Ministerialdirektor Schäfer zustimmen. E s ist zwar richtig, worauf Herr Ober­ staatsanwalt Dr. Reimer hingewiesen hat, daß zu­ nächst immer die Polizei die Nachforschungen beginnt. Die Kriminalpolizei kann aber auch in jedem Falle eine öffentliche Aufforderung erlassen. Ich würde es aber nicht für erforderlich halten, diese Aufforderungen der Polizei mit Strassanktion zu versehen, sondern dies der Staatsanwaltschaft vorbehalten. Wenn ohne eine Strafdrohung keine Aufklärung zu erhalten ist, so kann sich die Staatsanwaltschaft ja immer noch die öffentliche Aufforderung zu eigen machen und noch­ mals unter Strafdrohung veröffentlichen. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Diesen Gesichtspunkt wollte ich auch gerade be­ tonen. E s besteht für die Polizei immer die Möglich­ keit der Veröffentlichung, sogar durch Polizeifunk. Professor Dr. Mezger: Bisher war solche Aufforderung meist mit der Aussetzung einer Belohnung verbunden. I n weiten Kreisen besteht also die Auffassung, daß man hier eine besonders verdienstliche Handlung vornimmt und dafür eine Belohnung bekommt. Wenn nun die Nichtbefolgung der Aufforderung künftig strafbar sein soll, dann wäre es zweckmäßig und geboten, daß die S tra f­ androhung der Staatsanwaltschaft einen Hinweis aus die Strafbarkeit enthielte. Damit würde man die Bevölkerung in der erforderlichen Weise auf die Be­ deutung der Aufforderung aufmerksam machen. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Dieser Gedanke ist gut. M an kann ihn aber auch im administrativen Wege durchführen, so daß eine gesetzliche Regelung nicht nötig ist. Ministerialdirektor Schäser: Ich glaube, daß auch die Herren Praktiker sich meinem Vorschlage anschließen können, da bei todes­ würdigen Verbrechen die unbedingte Pflicht auch ohne jede Aufforderung besteht. (Allseitige Zustimmung) Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Ich stelle also folgendes Ergebnis fest. Im Bereich der öffentlichen Aufforderung soll die Staatsanw alt-

schaft die Behörde sein, die die mit Strafe gesicherte Aufforderung veranlassen kann. S oll nun der Be­ reich der Delikte derselbe sein wie im § 161 oder nicht? Ministerialdirektor Schäfer: Nein; wir sollten jetzt jede S traftat erfassen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist richtig. Denn wir haben ja hier die Möglichkeit, durch Anweisungen an die S taatsanw alt­ schaften den Mißbrauch der Befugnis zum Erlaß von öffentlichen Aufforderungen mit Strafdrohungen zu verhindern. Automatische Strafsolge tritt demnach ohne öffentliche Aufforderung nur bei todeswürdigen Ver­ brechen ein. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich darf noch einmal auf meinen bereits zu § 161 gemachten Vorschlag zurückkommen, auch bei § 162 die Worte „glaubhafte Kenntnis" zu ersetzen durch „in glaubhafter Weise Kenntnis erlangt hat". Es kommen hier dieselben Erwägungen wie zu § 161 zum Zuge. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Es ist schon bisher bei dem entsprechenden § 139 S tG B , die Fahrlässigkeit für ausreichend gehalten worden. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: D as hat hiermit aber nichts zu tun. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Doch. S ie wollen doch auch die Fahrlässigkeit leichter bestrafen können. D as ist auch bei der jetzigen Fassung der Fall. Ministerialdirektor Schäfer: Vom Standpunkt des Willensstrasrechts aus können wir nur davon ausgehen, daß der Täter zum mindesten mit Eventualdolus die Angaben für glaub­ haft gehalten haben muß. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es ist immer sehr schwierig, auf eine objektive Fassung herauszukommen. Wie stehen die Herren zu dieser Frage? Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Meines Erachtens würden wir bei objektiver Fassung in einen Gegensatz zum Willensstrafrecht kommen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Dem kann ich nicht zustimmen. Meines Erachtens handelt es sich nur um eine Vereinfachung der Be­ weisfrage, da man bei subjektiver Fassung den Täter kaum wird überführen können. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich würde der dem geltenden Recht entsprechenden Fassung den Vorzug geben, die ausschlaggebendes Ge­ wicht auf den inneren Vorgang legt.

Reichsjustizmiuister Dr. Gürtner: Ich würde es bei der Fassung der ersten Lesung belassen. S taatsrat Dr. Gras von der Goltz: W ir legen überall so großen Wert auf das Sub­ jektive, daß ich Bedenken gegen die objektive Fassung habe. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich glaube, die Meinung der Kommission geht dahin, daß wir es bei der jetzigen Fassung belassen. (Allgemeine Zustimmung) E s besteht ferner Einigkeit darüber, daß wir auch den Abs. 2 des § 162 in der Fassung des Entwurfs erster Lesung beibehalten. Ich bitte dann die Herren Berichterstatter, zürn nächsten Abschnitt überzugehen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Zu den §§ 163 und 164 schließe ich mich dem An­ trag der Sachbearbeiter an, jeweils in Abs. 1 auch die mit dem Tode bedrohte S traftat anzuführen. Die Fassung des Entwurfs erster Lesung beruht wohl nur aus einem Versehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Gegen diese Änderung bestehen wohl keine Be­ denken. (Allgemeine Zustimmung) Landgerichtsdirektor fietmcr: Ich stimme Herrn Professor Klee zu. Ich möchte dann nur noch darauf hinweisen, daß hierhin wohl auch die im Antrag Nr. B 24 der Sachbearbeiter vor­ geschlagene Vorschrift über die Vereitelung der Voll­ streckung einer Verfallserklärung kommen müßte. D as würde zu § 164 als selbständiger Absatz gehören. Ministerialdirektor -Schäfer: W ir müßten den § 163 Abs. 2 wohl in Überein­ stimmung mit der Bestimmung über Hehlerei (§ 334) bringen, wo wir gesagt haben: „Die Strafbarkeit des Hehlers ist unabhängig von der Strafbarkeit des Vor­ täters, es sei denn, daß dieser deshalb nicht strafbar ist, weil seine T at nicht rechtswidrig war oder weil er nicht vorsätzlich gehandelt hat". D as -wäre in der Unterkommission noch einmal zu erörtern. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dagegen bestehen wohl keine Bedenken? (Allgemeine Zustimmung) Der Antrag von Herrn Ministerialdirektor Schäfer ist also angenommen. Die Antragsdelikte, hier also § 163 Abs. 3, § 161 Abs. 3, müssen noch einmal im Zusammenhang be­ handelt werden. D as können wir jetzt zurückstellen. Professor Dr. Kohlrausch: I m Anschluß an die Ausführungen von Herrn Ministerialdirektor Schäfer zu § 163 Abs. 2 möchte

ich bitten, daß auch die Unterkommission noch nicht abschließend Stellung nimmt, sondern daß wir die Frage der Akzessorietät an den Schluß der Beratungen als grundsätzliche Frage zurückstellen. Wir müssen sie im Zusammenhang behandeln. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Da keine weitere Frage vorliegt, bitte ich die Herren Berichterstatter fortzufahren. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Zu § 166 Abs. 1 liegt zunächst der Antrag der Sachbearbeiter vor, die Parteidienststellen den anderen hier genannten Stellen gleichzusetzen. Ich stimme dem zu. Ferner schlagen die Sachbearbeiter vor, in Abs. 2 die Worte „tatsächlicher Art" als über­ flüssig zu streichen. Auch das halte ich für richtig. Endlich schlagen die Herren Sachbearbeiter vor, die Strafdrohung des § 166 der für Verleumdung (§ 292) anzugleichen. Ich halte das für durchaus berechtigt, denn es ist nicht einzusehen, warum der gewöhnliche Verleumder schwerer bestraft werden soll als der, der aus dem Wege der noch viel strafwürdigeren falschen Verdächtigung verleumdet. Zu § 167 liegt der Antrag der Sachbearbeiter vor, die Bestimmung auch auf die Fälle auszudehnen, in denen nicht existierende Personen mit Bezug auf eine begangene strafbare Handlung verdächtigt werden. Diese Fälle werden von der bisherigen Fassung des § 167 tatsächlich nicht gedeckt, sind aber nicht selten und durchaus strafwürdig. Ich schließe mich daher dem Antrag Nr. B 71 insoweit an. Die falsche Selbst­ bezichtigung taucht bei dieser neu vorgeschlagenen Fassung nicht besonders auf, abweichend von der Fassung der ersten Lesung. S ie wird teils durch die erste Alternative, teils durch die zweite Alternative des Abs. 1 erfaßt. Landgerichtsdirektor Leimer: Ich schließe mich diesen Ausführungen an. Ich möchte nur hervorheben, daß im § 166 Abs. 3 der Anschein erweckt wird, als wäre das „wider besseres Wissen" ein Gegensatz zu „vorsätzlich". M an könnte vielleicht, wie auch das Reichsgericht vorgeschlagen hat, sagen: „Ist die T at zwar nicht wider besseres Wissen, aber doch vorsätzlich . . ." Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es handelt sich zunächst um die Frage, ob die Parteidienststellen gleichgestellt sein sollen. Meines Erachtens besteht hierfür ein praktisches Bedürfnis. S taatsrat Dr. Graf von der Goltz: Ich halte diese Ausdehnung für unbedingt erfor­ derlich. Denn es handelt sich dabei gerade unter heutigen Verhältnissen um besonders schwerwiegende Berleumdungssälle. Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: Ich bin derselben Meinung. M an muß hier immer berücksichtigen, welche schwerwiegenden Folgen etwa ein Parteiverfahren haben kann.

Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wie steht es aber mit den kirchlichen Behörden? Sollen auch diese hier ersaßt werden? Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Diese Frage ist durchaus berechtigt. Hier werden meines Erachtens auch die kirchlichen Behörden erfaßt. Ein Bedürfnis für die Gleichstellung der kirchlichen Behörden mit den staatlichen besteht hier doch sicher, wenn man nur an die Möglichkeit eines aus Grund der Verdächtigung eingeleiteten Diszipli­ narverfahrens denkt. Der Begriff der „Behörde" muß also unbedingt klargestellt werden. Professor Dr. Dahm: Ich kann nicht einsehen, warum die kirchlichen Behörden den staatlichen gleichgestellt werden sollen. Die allgemeinen Vorschriften über Verleumdung reichen doch für Anzeigen bei kirchlichen Behörden aus. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Ich sehe gerade nicht ein, warum sie n i ch t gleich­ gestellt werden sollen. Ein sachlicher Grund für eine verschiedene Behandlung besteht nicht. S ta a tsra t Dr. Gras von der Goltz: Ich würde alle diejenigen Stellen erfassen, von denen auf die Anzeige hin ein Verfahren eingeleitet werden kann. Ministerialdirektor Schäfer: Bevor wir die Parteidienststellen hier einfügen, müßten wir wohl noch einmal mit dem Stellvertreter des Führers Rücksprache nehmen. Ich persönlich habe keine Bedenken gegen die Erweiterung. Professor Dr. Nagler: Ich sehe vom staatlichen Standpunkt aus kein Bedürfnis, die kirchlichen Behörden hier zu nennen. Da genügt für sie die Vorschrift über Verleumdung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich kann nicht einsehen, warum es nicht erfaßt werden soll, wenn z. B. jemand bei der Kirche anzeigt, daß ein M ann in Ehebruch lebe. M an brauchte ja die kirchlichen Behörden nicht besonders zu nennen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich denke an Fälle, in denen gegen einen Pfarrer eine Anzeige bei der Kirchenbehörde erstattet wird, und nun gegen den Verdächtigten ein Disziplinar­ verfahren auf Absetzung eingeleitet wird. Der S ta a t hat ein Interesse daran, daß auch solche Verfahren nicht unnütz eingeleitet werden. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wenn wir die Disziplinargerichtsbarkeit der Kirche staatlich anerkennen, dann muß sie auch strafrechtlich geschützt werden. Professor Dr. Schasfftein: Alle diese Fälle lassen sich, auch unter die Ver­ leumdungsbestimmung bringen. Diese soll doch den

Einzelnen schützen, die hier in Frage stehende Be­ stimmung jedoch die Rechtspflege im besonderen. Es besteht an dieser Stelle kein Bedürfnis, den kirchlichen Behörden noch einen darüber hinausgehenden Schutz zu gewähren. Leiten diese eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft weiter, so wird auf seiten des Anzeigenden vielfach ein darauf gerichteter Vorsatz vorhanden sein. Dann greift ohnehin § 166 ein. Jedenfalls darf nicht verkannt werden, daß es eine grundsätzliche Frage ist, ob die Kirchenbehörden auch als öffentliche Verwaltungsbehörden im weiteren Sinne anzuerkennen sind. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: An diesen Ausführungen ist eins bedenklich, und zwar die Einschränkung auf die staatlichen Verfahren. Schon die Hereinnahme der Parteidienststellen zeigt, daß wir nicht nur die staatlichen Verfahren schützen wollen. M an kann es vielleicht auch so ausdrücken: Es sollen alle staatlich geschützten oder anerkannten Verfahren von dem Strafschuß ersaßt werden. Ich möchte annehmen, daß die kirchlichen Verfahren staat­ lich anerkannt sind, bei der katholischen Kirche z. B. schon nach dem Konkordat. D araus ergibt sich not­ wendigerweise der besondere Schutz der kirchlichen Verfahren. Professor Dr. Dahm: Diese Ausführungen zeigen, daß wir hier auf die Frage kommen: Stellung des Staates zur Kirche einer­ seits und zur Bewegung andererseits. Dabei übersieht Herr Oberregierungsrat v. Dohnanyi aber den Unter­ schied zwischen Kirche und Bewegung im Verhältnis zum Staat. Die Bewegung ist kongruent mit dem S taat. Ich würde die verleumderische Anzeige bei der kirchlichen Behörde ausschließlich durch den Ver­ leumdungstatbestand erfassen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Wenn wir heute eine einheitliche Glaubensbewe­ gung hätten, dann würde Herr Professor Dahm wohl sicher unserer Anregung zustimmen. Ich halte seine Einstellung für falsch. Herr Oberregierungsrat von Dohnanyi hat ganz recht: Wenn ein kirchliches Ver­ fahren so gestaltet ist, daß wir es mit einem staatlichen Verfahren vergleichen können, dann müssen wir es auch ebenso behandeln. Ich weise nur darauf hin, daß z. B. für die staatlichen Behörden eine Rechtshilfe­ pflicht gegenüber kirchlichen Behörden besteht. Ich bitte aber auszusprechen, daß nur die Verfahren der beiden großen Kirchen geschützt werden. Ministerialdirektor Schäfer: W ir haben diese Frage eigentlich schon gestern im Sinne von Herrn Oberregierungsrat von Dohnanyi entschieden, indem wir die Bestimmung des § 159 auf alle Rechtsversahren ausgedehnt haben. Die beiden Fälle liegen völlig gleich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir brauchen die Parteidienststellen nicht beson­ ders hervorzuheben, wenn wir sagen: „staatlich ge­ regeltes oder anerkanntes Verfahren". Die Grund­

frage, die Herr Professor Dahm ausgeworfen hat, ist damit allerdings nicht gelöst. Denn nun fragt sich, welches Verfahren staatlich anerkannt ist. W ir müssen hier aber wohl parallel der Regelung bei § 159 verfahren. (Allgemeine Zustimmung.) — E s würden unter die Fassung dann z. B. auch alle Ehrengerichtsverfahren gehören, soweit sie staatlich anerkannt sind. Also z. B. nicht die EhrengerichtsVerfahren der Korporationen, da diese nicht staatlich anerkannt find. Dagegen sind die kirchlichen Diszi­ plinarverfahren, soweit sie Geistliche betreffen, zur Zeit staatlich anerkannt. E s wurde dann vorgeschlagen, die Strafdrohung der Verleumdung anzupassen. Ich halte das für rich­ tig, denn hier liegt ein besonders schwerer Fall von Verleumdung vor. Die Frage, ob wir den S tra f­ rahmen bei der Verleumdung zu hoch angesetzt haben, kann dabei hier dahingestellt bleiben. W ir wollen aber in einer Anmerkung darauf hinweisen. (Zustimmung.) E s sind dann noch zu Abs. 3 verschiedene Be­ merkungen gemacht worden. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: Ich habe Bedenken, ob man nicht allzusehr den M ut zu einer Anzeige beeinträchtigt, wenn man hier schon die Leichtfertigkeit einbezieht. Ministerialdirigent D r. Schäfer: Ich glaube nicht, daß diese Bedenken praktisch be­ gründet sind. Denn einmal muß die Anzeige objektiv falsch sein. Ferner muß entweder Eventualdolus oder ganz grobes Außerachtlassen jeder Sorgfalt fest­ gestellt werden. Liegen diese Voraussetzungen aber vor, so ist die Bestrafung sicher am Platze. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich möchte die Anregung von Herrn S taatsrat von der Goltz ebenfalls nicht unterstützen. Aus der Praxis weiß ich, wie schwer es ist, im einzelnen F all das „wider besseres Wissen" nachzuweisen. Hier muß man darüber hinaus auch die Leichtfertigkeit erfassen können. Eine Gefahr sehe ich darin nicht. Ministerialdirektor Schäfer: M ir sind aus der P raxis keine Schwierigkeiten in dieser Hinsicht bekannt geworden. Reichsgerichtsrat Niethammer: M ir sind solche Schwierigkeiten ebenfalls nicht be­ kannt geworden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir bleiben also bei der Fassung des Entwurfs erster Lesung. Dann kommen wir zu § 167. Die neue Fassung des Vorschlages der Sachbearbeiter (Nr. B 71) liegt den Herren vor. Ich halte diese neue Fassung für besser als die bisherige. (Allgemeine Zustimmung.)

Landgerichtsdirektor Leimer: W ir muffen im § 167 außer § 163 auch den § 164 zitieren. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: D as ist wichtig. Der § 167 ist dann gemäß dem Vorschlag der Sachbearbeiter mit dieser Maßgabe an­ genommen worden. Ich bitte dann die Herren Berichterstatter fortzu­ fahren. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Zu § 168 habe ich nichts zu bemerken. Landgerichtsdirektor Leimer: Ich bin mit der jetzigen Fassung ebenfalls ein­ verstanden. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: D a das Wort nicht weiter gewünscht wird, ist § 168 in der Fassung des Entwurfs erster Lesung an­ genommen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Die Sachbearbeiter haben angeregt, die §§ 169, 171 und 172 allgemein aus die Partei und ihre Glie­ derungen sowie die Religionsgesellschaften auszu­ dehnen. Ich schließe mich diesem Vorschlag an. Die Überschrift des § 172 müßte dann allerdings ent­ sprechend geändert werden. M an könnte vielleicht, einfach sagen: „Verletzung von Bekanntmachungen" I m Übrigen habe ich zu den §§ 169 bis 172 nichts zu bemerken. Bei § 173 will ich nur die Frage aus­ werfen, ob hier nicht noch neben dem Gewerbe die Gewerbezweige erwähnt werden sollen. I n dem Vor­ schlag der Sachbearbeiter wird das für überflüssig erklärt, weil § 432 die Gewerbezweige schon aus­ drücklich erwähne. Ich glaube aber, daß gerade des­ halb nichts im Wege steht, auch hier die Gewerbezweige ausdrücklich hervorzuheben. Zu § 174 habe ich nichts zu bemerken. W ir hätten dann nur noch zu überlegen, wo wir die Amtsanmaßung und Amtserschleichung unter­ bringen sollen. Landgerichtsdirektor Leimer: Ich schließe mich meinem Herrn Mitberichterstatter im wesentlichen an. Ich möchte nur zu § 169 noch bemerken, daß in Abs. 2 entsprechend einem Vorschlage des Reichsgerichts auch der Fall ausgenommen werden muß, daß die Schriftstücke dem T äter oder einem an­ deren für die Religionsgesellschaft oder Parteistelle amtlich übergeben sind. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: Zu § 168 liegen keine Vorschläge vor. Die Be­ stimmung entspricht in der vorliegenden Fassung dem geltenden Recht und wird allen Anforderungen gerecht. Bei den folgenden Paragraphen taucht die Frage auf, ob die Partei und die Kirchenbehörden herein­ zunehmen sind, und ferner, ob man diese Ausdehnung

in einem besonderen Paragraphen behandeln sott. D as letztere scheint mir zu kompliziert zu sein. Zu § 169 sind keine Einwendungen erhoben. Die Ausdehnung auf Parteidienststellen müßte möglichst einfach gefaßt werden. Die Herren sind wohl auch der Meinung, daß die Ausdehnung jeweils bei den ein­ zelnen Bestimmungen vorgesehen werden muß. (Allgemeine Zustimmung.) — W ir wollen dann der Unterkommission diesen Vor­ schlag auf den Weg geben. Fem er liegt zu Abs. 2 des § 169 die Anregung vor, die Vorschrift auch auf diejenigen Fälle auszu­ dehnen, in denen die Sache dem T äter für die Reli­ gionsgesellschaft übergeben worden ist, also ent­ sprechend dem Abs. 1. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: W ir glaubten, daß das schon bei der jetzigen Fassung hinreichend zum Ausdruck kommt. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: Ich glaube, daß wir mit Hilfe des Wortes „ent­ sprechend" den ganzen Abs. 2 noch einfacher fassen können. D as ist dann Sache der Unterkommission. (Zustimmung.) Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s liegt dann noch eine Anregung von Herrn Landgerichtsdirektor Leimer vor, auch hier wie bei § 160 besonders schwere Fälle für Amtsträger zu schaffen. Dem möchte ich mich anschließen. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: I n der Regel wird der T äter ja Amtsträger sein. Es kann aber unter Umständen auch eine andere Person sein. Daher scheint mir eine Vorschrift für Amtsträger am Platze zu sein. Senatspräsident Professor Dr. Klee: W ir wollen doch überall, wo ein Bedürfnis be­ steht, die unechten Amtsdelikte erwähnen. D as müssen wir dann wohl hier tun. Ministerialdirektor Schäfer: Vielleicht ist es zweckmäßiger, in einem besonderen Paragraphen die Strafschärfung für Amtsträger vor­ zusehen. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: D as ist eine Fassungsfrage, die wir der Unter­ kommission überlassen können. W ir kommen dann zu § 170. Senatspräsident G rau: Ich schlage vor, den Wortlaut des § 170 dem § 169 anzupassen und das Wort „beiseiteschafft" wegzulassen. Reichsjustizminister Dr. GÜrtner: D as ist unbedenklich. Ich glaube, m t können diesem Vorschlag zustimmen. (Allgemeine Zustimmung.)

— Bei § 171 habe ich Zweifel, ob man gemäß dem Vorschlag der Sachbearbeiter die Vorschrift überhaupt auf Parteisiegel ausdehnen kann. Hier würde doch wohl nur das „verschließen" passen.

Landgerichtsdirektor Leimer: Es ist vorgeschlagen worden, den bisherigen § 20 (Mitteilungen über Landesverratsversahren) hier unterzubringen. Der § 174 erfaßt diese Fälle nicht.

Ministerialdirektor Schäfer: W ir müssen hier die Kirche ebenso behandeln wie die Partei. M ir ist nicht ganz erinnerlich, warum wir die Kirche bei der ersten Lesung ausgenommen haben.

Reichsjustizminister Dr. G ärtner: D as ist richtig. § 20 geht weiter als § 174. W ir müssen also § 20 hier berücksichtigen. D as können wir wohl der Unterkommission überlassen. (Zustimmung.) Ministerialrat Rietzsch:

Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer: F ü r uns war wohl damals der Gesichtspunkt maß­ gebend, daß die Bestimmung bei der Kirche kaum prak­ tisch werden kann und daher kein Bedürfnis für die Erwähnung der kirchlichen Siegel besteht.

Bei den Anträgen der Sachbearbeiter zu den Maßregeln der Sicherung und Besserung ist noch ein Vorschlag der Sachbearbeiter bezüglich der Moderni­ sierung der Polizeiaufsicht erörtert worden, der hier­ her gehört.

Reichsjustizminister Dr. G ärtner: D as ist dasselbe Bedenken, das ich bezüglich der Parteisiegel vorgebracht habe. Wenn wir die Be­ stimmung auf Parteisiegel ausdehnen, so werden wir das auch bezüglich der Kirchensiegel tun müssen.

Ministerialdirektor Schäfer: E s ist dann ferner zu prüfen, welche Bestimmun­ gen aus dem Abschnitt „Reinheit der Amtsführung" hierher zu nehmen wären. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi:

Ministerialdirektor Schäfer: Ich glaube auch, daß ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung der Parteisiegel und der Kirchensiegel nicht besteht. (Allgemeine Zustimmung.) Reichsjustizminister Dr. G ärtner: § 171 ist also mit der Maßgabe angenommen, daß die Partei- und die kirchlichen Siegel sonstigen amt­ lichen Siegeln gleichzustellen sind. Bei § 172 sind die Bekanntmachungen der Religionsgesellschasten bereits berücksichtigt. E s wird vor­ geschlagen, auch die parteiamtlichen Bekanntmachun­ gen hier zu schützen. Dagegen bestehen keine Bedenken. Meines Erachtens ist es nicht notwendig, in § 173 die Gewerbezweige besonders zu erwähnen, da wir ja die Analogiebestimmung haben. W ir sollten diese nicht entwerten. Es sollte ferner zum Ausdruck kommen, daß die Strafdrohung auch dann eingreift, wenn jemand den verbotenen Beruf nicht selbst aus­ übt, sondern durch einen anderen, dem die Ausübung verboten ist, ausüben läßt. (Allgemeine Zustimmung.) — Ich gebe zu, daß es für einen Juristen vielleicht nicht notwendig wäre, das ausdrücklich zu sagen, weil ja in einem solchen Falle immer Teilnahme vorliegt. Ich halte es aber trotzdem für besser, die Frage klar­ zustellen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich glaube, hier liegt nur ein Versehen vor. Im geltenden Recht ist das bereits klargestellt. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: D ann wäre also § 173 mit dieser Maßgabe an­ genommen. W ir kommen nunmehr zu § 174.

Vielleicht können wir das der Unterkommission für den Abschnitt „Reinheit der Amtsführung" über­ lassen, die die einschlägigen Bestimmungen ja im ein­ zelnen durchgesprochen hat. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: E s handelt sich hier wohl nur um die Amtsan­ maßung und die Amtserschleichung. D a diese Be­ stimmungen bereits durchgesprochen sind, können wir die Einordnung der zuständigen Unterkommission überlassen. (Zustimmung.) D ann kommen wir zu der von Herrn Ministerial­ rat Rietzsch gegebenen Anregung. Vielleicht führen S ie, Herr Ministerialrat Rietzsch, das noch einmal näher aus. M inisterialrat Rietzsch: Der Preußische Minister des In n e rn hat Ende 1933 Konzentrationslager für Berufsverbrecher ein­ gerichtet. I n einem besonderen Erlaß sind die Lan­ despolizeibehörden ermächtigt worden, Leuten, die gewisse Vorstrafen haben und sich danach offenbar in Gefahr befanden, Gewohnheitsverbrecher zu werden, Auflagen zu machen, z. B. sich zur Nachtzeit an be­ stimmten Orten nicht aufzuhalten usw. Diese M aß­ nahmen werden von der Landespolizeibehörde, wenn auch sparsam, durchgeführt. Wird eine derartige Aus­ lage verletzt, dann wird der Täter in ein Konzentra­ tionslager übergeführt. Die Frage ist nun, ob wirM aßnahmen gegen Personen, die solche Auslagen verletzen, hier einbauen sollen. I n Frage käme etwa folgende Bestimmung: „Wer einer Auflage zuwiderhandelt, die ihm von der zuständigen Polizeibehörde zur Ver­ hütung weiterer Verbrechen auferlegt ist, wi rd. ; . . bestraft." Eine solche Bestimmung kann durchaus zweckmäßig sein. Eine Zuwiderhandlung könnte dann,

wenn sie einen Hang zu Verbrechen offenbart, als V ortat im Sinne des § 412 des Entwurfs verwertet werden. Die Frage ist allerdings mit dem Ministe­ rium des In n ern noch nicht besprochen. Unseres Wiffens wird zur Zeit im Innenministerium ein Be­ rufsverbrechergesetz ausgearbeitet, besten In h a lt uns noch nicht näher bekannt ist. Es ist aber anzunehmen, daß dort die erwähnten Auslagen näher geregelt wer­ den. E s ist daher zweckmäßig, wenn wir auch hier diese Frage berücksichtigen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Sache nach könnte eine solche Bestimmung hier schon Platz finden. Gegen den Grundgedanken möchte ich keinerlei Erinnerung erheben. Ministerialdirektor Schäfer: W ir hatten eine solche Bestimmung bereits formu­ liert und wollten sie zunächst auch in Me Novelle auf­ nehmen, haben dies aber doch schließlich noch zurück­ gestellt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, daß sich die Frage der Berufsver­ brecher im Laufe der Jah re von selbst regeln wird. Die Konzentrationslager für Berufsverbrecher sind nur als eine llbergangsregelung für die Fälle gedacht, die von dem Gewohnheitsverbrecher-Gesetz nicht erfaßt werden. Die vorgeschlagene Bestimmung er­ scheint mir jedoch als geeignetes Mittel, die Behand­ lung der Gewohnheitsverbrecher aus der Hand der Verwaltung in die der Justiz zu überführen. Voraus­ zusetzen wäre, daß die Auflagen nicht von der unteren, sondern von einer höheren Polizeistelle aus gemacht werden, wie dies in Preußen bisher der Fall war. Landgerichtsdirektor Leimer: Ich möchte zur Erwägung stellen, ob hier, wie bereits früher vorgesehen, eine Strafbestimmung über den Mißbrauch von Notzeichen aufzunehmen ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es besteht aber auch die Möglichkeit, eine der­ artige Bestimmung in das Polizeistrafgesetzbuch auf­ zunehmen. Ministerialdirektor Schäfer: M. E. handelt es sich dabei um ein typisches P o li­ zeidelikt, das nicht in das Allgemeine Strafgesetzbuch gehört. M an sollte das kriminelle Unrecht nicht allzusehr aufblähen. Wenn man vom Tätertypus ausgeht, so gehört das genannte Delikt wohl kaum hierher. I n der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um bloße Trunkenheitsdelikte oder Dumme-Jungen-Streiche, die also bester im Polizeistrafgesetzbuch behandelt werden. Landgerichtsdirektor Leimer: Ich lege keinen entscheidenden Wert darauf, daß die Bestimmung gerade hier aufgenommen wird. Ich wollte nur nicht, daß dieser Punkt hier übersehen wird, da er vorgemerkt wurde.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir überlassen diese Bestimmung also dem Polizeirecht. W ir kämen dann zu dem Titel Eidesverletzung. Berichterstatter sind die Herren Staatssekretär Dr. Freister und Professor Dr. Kohlrausch. Herr Staatssekretär Freister hat das Wort. Staatssekretär Dr. Freister: Ich habe zu diesem Titel dreierlei zu bemerken, und zwar zunächst Stellung zu nehmen zu den An­ trägen der Abteilung, dann das Problem der uneid­ lichen falschen Aussage kurz zu behandeln und schließ­ lich kurz hinzuweisen aus eine Änderung der Prozeß­ ordnung, die m. E. im Zusammenhang mit der Be­ ratung des Titels „Eidesverletzung" besprochen und gegebenenfalls entschieden werden muß. Die Anträge der Abteilung beziehen sich sämtlich auf mehr technische Änderungsvorschläge. Ich stimme ihnen allen zu. Die Anträge können bei den einzelnen Paragraphen noch näher besprochen werden. D as Problem der uneidlichen falschen Aussage haben wir gesetzlich nur erfaßt, soweit es sich um den für eidesunfähig Erklärten handelt. Dabei möchte ich nebenbei sagen, daß es mir richtiger erscheint, nicht von einer Untauglichkeit, sondern einer Unwürdigkeit, die die Untauglichkeit mit umfaßt, als Zeuge ver­ nommen zu werden, zu sprechen. I m übrigen haben wir die uneidliche Lüge nicht gesetzlich behandelt. W ir haben darüber bereits in erster Lesung eingehend dis­ kutiert. Ich will diese Diskussion nicht im einzelnen erneuern. Nur möchte ich noch einmal daraus hin­ weisen, daß wir einen sehr schweren rechtspolitischen Fehler begangen haben, indem wir seinerzeit vor dem Meineid kapituliert haben. Es ist kein Erfolg der Strafrechtspflege, an Hand der Statistik nachweisen zu können, daß die Zahl der Eidesvergehen zurück­ gegangen ist, wenn man sich darüber klar ist, daß man dadurch das Volk noch keineswegs zur Wahrheit er­ zogen hat, sondern daß man den Rückgang der Delikte nur dadurch erreicht hat, daß man die Möglichkeit, unter einer Beteuerungsformel die Unwahrheit zu sagen, beschränkt hat. Ich würde es sehr gern sehen, wenn diese Entwicklung wieder rückgängig gemacht werden könnte. Aber ich glaube nicht, daß dies im gegenwärtigen Augenblick geht. Die Tatsache, daß man die eidliche Vernehmung im Strafprozeß einge­ schränkt hat, um auf diese Weise die Zahl der Eides­ verletzungen zu verringern, hat erst das Problem der uneidlichen Lüge vor Gericht besonders groß erscheinen lassen. D as Ergebnis der Besprechung aus erster Lesung, in der ja sehr dringend angeregt wurde, die uneidliche Lüge vor Gericht unter S trafe zu stellen, ist eine Ablehnung dieses Standpunktes gewesen. I m Rahmen der Debatte einer zweiten Lesung darf aber noch einmal angeregt werden, ob nicht die Möglichkeit besteht, für bestimmte Fälle, etwa dann, wenn auf die Wichtigkeit der Aussage und die Strafbarkeit einer falschen Aussage besonders hingewiesen und dies pro-

tokollarisch festgelegt worden ist, eine Bestrafung der uneidlichen Lüge doch vorzusehen. D as möchte ich anregen. Damit komme ich zu dem dritten Punkt, den ich hier erörtern möchte. Der § 61 Nr. 5 der S tP O , scheint mir in seiner jetzigen Fassung schwer erträglich zu sein, insbesondere soweit er das Absehen von der Beeidigung zulaßt, wenn auch unter Eid eine wahre Aussage nicht zu erwarten ist. D as bedeutet das ganz offenkundige gesetzliche Eingeständnis einer Kapitula­ tion vor dem, der erklärt, er werde einen Meineid leisten. Ich rege deshalb an, bei Gelegenheit der Be­ sprechung des § 61 sich darüber schlüssig zu werden, ob in der Strafprozeßordnung insofern nicht eine grundlegende Änderung vorgenommen werden muß. Professor Dr. Kohlrausch: Ich bin in der erfreulichen Lage, den Ausführun­ gen des Herrn Staatssekretärs zustimmen zu können. Ich glaube auch, daß die anderen Punkte, die Herr Staatssekretär Dr. Freister nicht berührt hat, nur zu unerheblichen Diskussionen führen können. W as den Kernpunkt, die Strafbarkeit der uneid­ lichen falschen Aussage betrifft, so hat Herr S ta a ts­ sekretär Freister schon darauf hingewiesen, daß die Meinungen in erster Lesung zunächst für eine Be­ strafung waren. Unter dem Eindruck der Ausführun­ gen von Herrn Ministerialdirektor Schäfer hat Herr Staatssekretär Dr. Freister seine damalige Anregung, die Bestrafung einzuführen, zurückgezogen. Heute hat er seine damalige Anregung wieder aufgenommen. Ich würde seinem Standpunkt zustimmen. Der durch die Strafprozeßnovelle geschaffene Zustand ist unwür­ dig und unhaltbar. Der Zeuge kann mit frecher S tirn lügen und sich dadurch der Beeidigung und der Strafe entziehen. Die Frage ist nun, ob wir die Strafprozeß­ ordnung ändern oder die uneidliche falsche Aussage unter Strafe stellen sollen. M ir scheint der Weg, die Strafprozeßordnung zu ändern, richtiger zu sein Gegen die Nr. 5 des § 61 S tP O , ist vor allem ein­ zuwenden, daß sie eine Vorwegnähme der Beweis­ würdigung enthält. Ich weiß, daß die P raxis dem Rechnung trägt, indem sie die Beeidigungsfrage bis an den Schluß der Beweisaufnahme zurückstellt. M an kann sie aber nicht hinter die Plaidoyers des S ta a ts­ anwalts und des Verteidigers zurückstellen, obwohl hierfür durchaus ein Bedürfnis bestehen kann, wenn in diesen noch erhebliche Ausführungen über die Glaubwürdigkeit der Aussage usw. gemacht werden. Ich glaube, daß die Nr. 5 des § 61 S tP O , überhaupt gestrichen werden muß. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde vorschlagen, daß wir uns zunächst nur mit dem Problem der uneidlichen falschen Aussage befassen und dabei nicht nur an den Strafprozeß, son­ dern auch an den Zivilprozeß denken. F ü r den S tra f­ prozeß ist problematisch nur die Nr. 5 des § 61 S tP O . Vor allem gibt das Wort „wahr" zu Bedenken Anlaß. Ich erinnere mich hierbei an einen praktischen Fall, den ich selber erlebt habe. I n einem Totschlagsprozeß

handelte es sich darum, ob der Angeklagte an einem bestimmten Tage zu einer bestimmten Stunde an einem bestimmten O rt gewesen war. Die Vernehmung einer großen Zahl von Zeugen und Erhebung anderer Beweise hatte bereits das Bild ergeben, daß er nicht dort gewesen sein konnte. Nur eine alte Frau, die ihm begegnet sein wollte, hielt trotz aller Vorstellun­ gen immer wieder daran fest, daß sie ihn an jenem Tage gerade zu der bestimmten Stunde an dem be­ stimmten Orte getroffen habe. Die Frage würde jetzt lauten müssen, ob das nicht ein Fall des § 61 Nr. 5 wäre, wobei wiederum zwei Untersragen auftauchen, nämlich a) ob die Aussage erheblich oder b) ob die F rau unter dem Druck des Eides wahrheitsgemäßer aussagen wird. Staatssekretär Dr. Freisler: Dieser Fall würde nach beiden Richtungen nicht unter die Nr. 5 des § 61 S tP O , fallen. Denn zu­ nächst ist die Erheblichkeit dieser Aussage doch schon klargestellt. Den Begriff der Erheblichkeit kann man allerdings verschieden auslegen. Einmal kann man ihn in bezug auf andere Beweismittel betrachten, oder man kann unabhängig von diesen den In h a lt der Aussage an sich aus seine Erheblichkeit prüfen. I n jedem Fall wäre aber der In h a lt dieser Aussage er­ heblich, auch wenn schon zwanzig Zeugen das Gegen­ teil beschworen hätten. Wenn wir den Begriff der Erheblichkeit anders fassen würden, so wäre das mit dem Willensstrasrecht nicht in Einklang zu bringen und würde überdies eine große Unsicherheit hervor­ rufen. M an könnte dann sogar sagen, daß in allen Fällen, in denen das Gericht andere Beweismittel für ausschlaggebend hält, es die Unerheblichkeit dieser einen Zeugenaussage bestätigt habe. D as geht aber nicht an. M an kann ferner nicht davon sprechen, daß die Aussage offenbar unwahr sei. Denn zur Unwahr­ heit gehört meines Erachtens zweierlei, nämlich die objektive Unrichtigkeit und außerdem das Bewußtsein dieser Unrichtigkeit. Dieses letztere Merkmal ist in dem erwähnten F all nicht gegeben; die Aussage ist deshalb nicht unwahr. Fälle der genannten Art könnte man also durch § 61 Nr. 5 S tP O , nicht ersassen. Nun kommt aber noch ein zweites hinzu. Ich stimme Ihnen, Herr Minister, zu, daß der Hauptangrifsspunkt das Wort „wahr" ist. Außerdem bedarf aber auch das Wort „offenbar unglaubhaft" einer Erklärung. Streichen wir das Wort „wahr", belassen aber „offenbar un­ glaubhaft", so ist nicht klar, daß nur ein F all des von Ihnen angegebenen Beispieles damit gemeint ist. Dort ist eine nicht unwahre Aussage wegen ihrer Un­ richtigkeit unglaubhaft. Dieses Wort schließt aber nicht die Fälle aus, in denen die Aussage unglaubhaft ist, weil die Unrichtigkeit zwar nicht feststeht, wohl aber die Lügenhaftigkeit der Aussageperson. Wenn wir die Nr. 5 nicht ganz streichen, so müssen wir den Begriff der „Unglaubhaftigkeit" so klar umreißen, daß eine aus dem Willen zur Unwahrheit oder viel­ leicht auch auf Fahrlässigkeit beruhende Unglaubhaf­ tigkeit von der gesetzlichen „Unglaubhaftigkeit" nicht

mitergrisfen wird. Denn sonst kämen w ir trotz Streichung des Wortes „unwahr" wieder auf die alte Regelung. W ir müssen die Entscheidung von der Schuld völlig loslösen. Die Unglaubhaftigkeit muß sich aus objektiven Gründen ergeben. W as die Unerheblichkeit der Aussage betrisst, so halte ich die Ansicht für richtig, daß man unerhebliche Aussagen nicht unter Eid stellen sollte. D as ist aber von der Frage zu trennen, ob man Konzessionen machen soll, wenn die Aussage trotz Unerheblichkeit beeidet worden ist. Ich bin der Meinung, daß es auf die Unerheblichkeit nicht mehr ankommen kann, wenn der Eid einmal geleistet ist. Aber für die Frage, ob man beeiden soll, wird man die Erheblichkeit der Aus­ sage von Bedeutung sein lassen. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Ich kann mich nicht dazu entschließen, das Wort „wahr" zu streichen. Ich möchte bei der ganzen Frage die methodologische Seite in den Vordergrund stellen. Ich bin kein freund der Bestrafung der uneidlichen falschen Aussage und möchte das Problem lösen, in­ dem man den Bezirk der uneidlichen Aussage so ge­ staltet, daß ein Strasbedürfnis nicht besteht. Man müßte also an der grundsätzlichen Beeidigung fest­ halten und nur ausnahmsweise es zulassen, daß von der Beeidigung abgesehen wird. Von der Nicht­ beeidigung dürften nur wirklich nicht strafwürdige Fälle- erfaßt werden. Die Lösung des § 61 Nr. 5 S tP O , ist in dem Punkt unrichtig, wo es heißt „eine wahre Aussage nicht zu erwarten ist". Wenn ich auf mein Beispiel zurückkommen darf, so haben S ie, Herr Staatssekretär, recht, daß man an dem guten Glauben der alten F rau nicht zweifeln konnte. Es handelte sich um eine subjektiv wahre Aussage, die aber offen­ bar unrichtig war. Deshalb trifft das Wort „unwahr" nicht das Richtige. Ich möchte die Frage stellen: Soll man neben die eidliche Aussage noch eine zweite Kate­ gorie von nichtbeeidigter Aussage stellen, die man mit einer geringeren Strafdrohung ausstattet, und schließ­ lich noch eine dritte Kategorie einer eidlichen Aus­ sage über unerhebliche Punkte? Eine zweite Frage: Sollte man das Problem nicht auf prozessualem Wege lösen, indem man das Gebiet der uneidlichen Aussage so begrenzt, daß ein Strasbedürfnis nicht besteht? Ministerialdirektor Schäfer: Ich stehe auf demselben Standpunkt wie S ie, Herr Minister. S ie gehen davon aus, daß es Fälle geben soll, in denen eine uneidliche Aussage nicht strafbar ist. Der Standpunkt, daß jede Lüge vor Gericht straf­ bar ist, findet sich bekanntlich im österreichischen Recht; aber auch in Österreich wird, wie uns berichtet worden ist, praktisch keinesfalls jede Lüge vor Gericht auch wirklich bestraft. Die schlichte Aussage vor Gericht sollte meines Erachtens nicht strafbar sein. Die Praxis ist heute vielleicht etwas zu zurückhaltend mit der Ver­ wendung des Eides. Ich glaube aber, daß sie in Zukunft den Eid wieder mehr verwenden wird, und daß man dann mit der jetzigen Regelung auskommen kann. Ich habe mich wiederholt mit Praktikern über diese Frage unterhalten; ich habe insbesondere von

Arbeitsrichtern immer wieder gehört, daß ihre Urteile auch bei der uneidlichen Aussage genügend fundiert sind. Ich habe mich nach der Einführung der Strasprozeßnovelle auch mit Strafgerichtsvorsitzenden unterhalten; auch diese Strafrechtspraktiker haben im allgemeinen den Eindruck, daß sie auch ohne Beeidi­ gung eine hinreichend feste Urteilsgrundlage haben. Auch aus meiner eigenen praktischen Erfahrung kann ich berichten, daß für meine Überzeugung nicht so sehr der Eid, sondern die allgemeine persönliche Glaub­ würdigkeit entscheidend gewesen ist. Wenn die Sache so liegt, daß die P raxis im allgemeinen mit der nichtbeeideten Aussage auskommt, dann sollte man für die Fälle, in denen der Richter ohne Eid nicht auszu­ kommen glaubt, nur das „große Ehrenwort" verwen­ den. Auch ich halte den § 61 Nr. 5 für unglücklich gefaßt; zum mindesten müßte der zweite Teil weg­ fallen. I m übrigen können wir aber diese Regelung der Strasprozeßkommission überlassen. Zusammenfassend möchte ick glauben, daß wir uns aus der Grundlage der ersten Lesung einigen könnten und nur anzumerken hätten, daß § 61 S tP O , ge­ ändert werden muß, und daß wir eventuell darauf hinwirken müssen, daß in der Praxis von der Beeidi­ gung mehr Gebrauch gemacht wird. D ann halte ich auch die Frage für erledigt, ob man bei Unerheblich­ keiten eine Strafbefreiung oder Strafmilderung ein­ treten lassen soll. Wenn der Eid einmal geleistet ist, so würde ich keine Ausnahme von der Strafdrohung vorsehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren, die Frage der Unerheblichkeit spielt schon eine Rolle. Daß man bei einer Aussage nur die erheblichen Teile unter Eid stellt, halte ich für un­ möglich. I m übrigen halte ich es für richtig, den Gedanken zu betonen, daß grundsätzlich vereidigt wer­ den muß. M an soll den Richter aber nicht zwingen, auch bei unerheblichen Aussagen zu beeidigen. Wenn aber einmal beeidigt ist, dann muß auch die Be­ strafung bei falscher Aussage eintreten. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich halte es für den wesentlichsten Punkt, wie man den Beeidigungszwang zurückschrauben kann. E s muß aber dann auch ermöglicht werden, daß das Gericht den nichtbeeideten Zeugen überhaupt nicht mehr ver­ wenden darf. Dessen Aussage darf keinesfalls in der Begründung des Urteils erscheinen. Professor D r. Henkel: Auf einen Punkt möchte ich besonders hinweisen. Die Auflockerung der Bestimmungen über die eidliche Vernehmung hat dazu geführt, daß man heute im Ab­ sehen von der Beeidigung weit über das Ziel hinaus­ schießt. D as Verhältnis der eidlichen und der uneid­ lichen Vernehmungen hat sich seit der Novellengesetz­ gebung geradezu umgekehrt. S o berichtet z. B. Peters in der letzten Nummer des „Deutschen Strafrechts", daß bei den Kölner Gerichten 90 % aller Vernehmun­ gen uneidlich erfolgen. Diese Entwicklung lag sicher­ lich nicht in der Absicht des Novellengesetzgebers; wir

müssen sie meines Erachtens rückläufig gestalten. Vor allem bei den Großstadtgerichten hat sich offenbar in den früheren Jahren eine Unlust gegenüber der Be­ eidigung aufgespeichert, die nun im Gebrauch der neuen Bestimmungen weit über das nötige Maß hin­ ausgeht. E s ist nicht zu verkennen, daß ein Übermaß uneidlicher Vernehmungen eine gewisse Laxheit der Verhandlungen, eine Auflockerung der Formen des Verfahrens herbeiführt, die sehr bedenklich ist. Wenn man dieser Entwicklung energisch entgegentritt und im Verfahrensrecht den Eid wiederherstellt, die Nicht­ beeidigung zur seltenen Ausnahme macht, dürste eine umfassende Vorschrift, die die uneidliche Aussage unter Strafe stellt, nicht nötig sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sie würden also die Lösung auch aus prozessualen: Wege suchen, Herr Professor Henkel? Professor Dr. Henkel: I n erster Linie. Reichsgerichtsrat Niethammer: Wir haben am Reichsgericht die Erfahrung ge­ macht, daß die Wirkungen des Gesetzes vom No­ vember 1933 weit über das hinausgegangen sind, was damit beabsichtigt worden ist. W ir haben uns bemüht, die Gerichte immer wieder daran zu erinnern, daß es nicht der S in n des Gesetzes war, die eidliche Ver­ nehmung völlig zurückzudrängen. Gerade aber bei § 61 Nr. 5 S tP O , haben wir den schwersten Mängeln nicht abhelfen können. Dies wird daher Sache des Gesetzgebers sein müssen. Dabei möchte ich aber darauf hinweisen, daß wir ohne das Wort „unerheb­ lich" nicht auskommen können. Häufig erkennt das Gericht bei der Aussage eines Zeugen, daß sie für das Verfahren überhaupt ohne jegliche Bedeutung ist. Ein Verzicht aller Beteiligten kann aber nicht immer zu­ stande gebracht werden. Es geht dann allerdings unter keinen Umständen an, daß die Aussage des nichtbeeideten Zeugen noch irgendwie verwertet wird. Ge­ schieht dies doch, so muß das Revisionsgericht ein­ greifen. Unter allen Umständen aber müssen die Worte „unwahr" und „offenbar unglaubhaft" wegfallen. Es ist nicht nur überaus schädlich, sondern geradezu un­ würdig, wenn dem Zeugen erlaubt wird, sich durch eine plumpe Lüge seiner Zeuanispflicht zu entledigen. Uns würde am besten eine Änderung der Nr. 5 zu­ sagen, die das Absehen von der Vereidigung für die unerhebliche Aussage beläßt, alles andere aber streicht. Dann kann man auf die Bestrafung der falschen un­ eidlichen Aussage verzichten. Die Strafbarkeit darf aber keinesfalls von der Erheblichkeit oder Unerheb­ lichkeit der beeidigten Aussage abhängig gemacht wer­ den. Wenn ein falscher Eid geleistet ist, dann muß die Strafe stets eintreten, gleichviel ob die Aussage erheb­ lich oder unerheblich ist. Landgerichtsdirektor Leimer: Ich schließe mich den Ausführungen von Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer an. Die Verminderung der Beeidigungen ist im wesentlichen auf die Möglich­

keit des Verzichtes zurückzuführen. Hier ist auch eine ausreichende Sicherheit gegen Mißbrauch durch das Erfordernis der allgemeinen Zustimmung gegeben. Unwürdige Situationen entstehen nur bei § 61 Nr. 5 S tG B . Es kommt vor, daß ein Schwurgerichtsvor­ sitzender verkünden muß, daß ein Zeuge als völlig unglaubhaft zurückgestellt wird, ohne daß man seine unwahre Aussage bestrafen kann. Dabei ist selbst­ verständlich, daß die Erheblichkeit für die Strafbarkeit keine Rolle spielen kann. Ich stimme Herrn Reichs­ gerichtsrat Niethammer insbesondere darin zu, daß die Erheblichkeit in Nr. 5 stehen bleiben muß. Es darf nicht darauf ankommen, ob ein Teil der beeidig­ ten Aussage erheblich ist oder nicht. Ungefähr kann man das bei der Strafzumessung berücksichtigen. Ich bin auch der Meinung, daß es nicht ein großes und ein kleines Ehrenwort nebeneinander geben darf. Hier kann nur aus prozessualem Wege Abhilfe geschaffen werden. Die uneidliche falsche Aussage sollte man nicht unter Strafe stellen. Professor Dr. Kohlrausch: W ir sind uns offenbar im wesentlichen einig dar­ über, daß die uneidliche falsche Aussage nicht unter S trafe gestellt wird, daß man vielmehr auf pro­ zessualem Wege die uneidliche Aussage weiter ein­ schränkt als bisher. Ich stimme Herrn Reichsgerichts­ rat Niethammer vollständig zu, daß in § 61 Nr. 5 S tP O , das Wort „unglaubhaft" zu beseitigen, die „Unerheblichkeit" beizubehalten ist. M an darf aber nicht übersehen, daß das W ort „unerheblich" doppel­ deutig ist. Es kann einerseits aufgefaßt werden als: „unerheblich für das Beweisthema", d. h. nicht zur Sache gehörig; andererseits als: „unerheblich für die Bildung der richterlichen Überzeugung". Diese Dop­ peldeutigkeit zeigt sich klar bei der Behandlung der Beweisanträge im Strafprozeß. E s ist bekannt, daß Beweisanträge, außer in Bagatellsachen, berücksichtigt werden müssen, wenn sie erheblich sind. Aber diese Unerheblichkeit darf bei Behandlung der Beweisan­ träge nicht im Sinne der Unglaubhaftigkeit der Aus­ sage aufgefaßt werden. Staatssekretär Dr. Freister: Ich möchte nur bemerken, daß das Wort „uner­ heblich" in § 61 Nr. 5 S tP O , einer Deutung bedarf, die gesetzlich festgelegt werden muß, und zwar viel­ leicht dadurch, daß man sagt: „inhaltlich unerheblich". Ministerialdirektor Schäfer: I n der Novelle heißt es ganz allgemein: „ . . . kann von Erhebung eines Beweises nur abgesehen werden, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung oder die Tatsache schon bewiesen ist." Staatssekretär Dr. Freister: Wenn das geltendes Recht wird, müssen wir den § 61 Nr. 5 S tP O , verdeutlichen. E s entsteht dann eine zweite Frage: Soll die offenbar unglaubhafte Aussage, die aber von Seiten des Aussagenden gesehen nicht unwahr ist, vom Eid

ausgeschloffen werden können? D a bin ich der Mei­ nung, daß sie nicht ausgeschlossen werden soll. Ge­ gebenenfalls ist es Sache des Meineidsversahrens zu prüfen, ob diese unrichtige und daher schon unglaub­ hafte Aussage auch „unwahr" ist. Ich glaube, daß wir die Worte: „oder für offenbar unglaubhaft" auch streichen müssen, so daß nur „offenbar unerheblich" übrigbleibt. D ann ist das ein taugliches Mittel, die Zahl der nichtbeeidigten Zeugenaussagen so zu be­ schränken, daß wir daneben das Problem der Be­ strafung der unbeeidigten Aussage nicht mehr gesetz­ geberisch zu regeln brauchen. Professor D r. Nagler: W ir haben bisher immer nur vom Strafprozeß gesprochen. E s ist das Problem für den Zivilprozeß doch mindestens ebenso aktuell, vor allem seitdem die Parteivernehmung eingeführt worden ist. W ir haben jetzt in § 138 Abs. 1 Z PO . die Wahrheitspflicht auch für die zivilprozessuale P artei feierlich proklamiert, aber keine Sanktionen für die Zuwiderhandlung vor­ gesehen. § 138 Abs. 1 ist also eine lex im perfecta geblieben. Dieser Rechtszustand ist erträglich, soweit es sich um bloße Parteivorträge handelt. W ir ver­ wenden aber die P artei im Wege der Parteiver­ nehmung auch als Beweismittel. Insoweit ist die lex im perfecta schlechterdings eine Fehllösung. Denn für die Partei ändert sich dann mit ihrer BeweisVerwendung gar nichts. D as ist m. E. auf die Dauer unmöglich. Denn der eminent wichtigen Pflicht zur Wahrheit wird dann letzten Endes doch jede Kraft genommen. Gewiß kann der Richter eine der P a r­ teien vereidigen. Die Partei kann also abwarten, bis sie unter Eideszwang genommen wird. B is dahin kann sie das Gericht belügen, ohne daß ihr eine Strafe droht. Die Praxis macht von der Eidespreffion — wie ich höre — nur ganz selten Gebrauch. Auch können wohl beide Parteien einvernommen, aber — über dasselbe Thema — kann nur eine vereidigt wer­ den. Jedenfalls darf das für den Zivilprozeß unge­ mein bedeutungsvolle Beweismittel der uneidlichen Partei-Einvernahme nicht ohne Strafschutz gelassen werden — zweifellos würde sich sonst ein übler Kon­ trast zu der vom Entwurf vorgesehenen Erweiterung der sonstigen Beweisverbrechen ergeben. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Zivilprozeßabteilung des Ministeriums wen­ det sich gerade gegen diese Vorschläge, da man im Zivilprozeß für den Richter freiere Hand brauche. Die Parteilüge vor Gericht habe man sittlich gebrand­ markt. S ie strafrechtlich zu erfassen, liege kein Anlaß vor. S taatsrat D r. Gras von der Goltz: Ich halte den Vorschlag des Herrn Professor Nagler auch für falsch. Professor D r. Nagler: Ich habe die von mir vorgetragenen Bedenken immer wieder gerade von Rechtsanwälten zu hören bekommen.

Professor Dr. Graf Gleispach: Ich bin grundsätzlich der Ansicht — zumal wenn anerkannt ist, daß die mit der Novelle bez. der Be­ eidigung eingeschlagene Kriminalpolitik falsch war — , daß dann die Lösung, auf die es heute abkommt, dazu führt, daß man diesen falschen Weg noch weiter geht. Ich halte es für richtig, wenn der Eid eingeschränkt wird. Nur dann erhält er seine volle Bedeutung. Das, worauf es ankommt, ist, baß die Pflicht, vor Gericht die Wahrheit zu sagen, nicht straflos verletzt werden kann. E s entspricht auch nicht dem Willens­ strafrecht, daß es von der Entscheidung, die der Richter über die Beeidigung trifft, abhängig sein soll, ob je­ mand ein Verbrechen begeht oder nicht. Wie der Zeuge aussagen wird, darüber entscheidet er sich ja schon vorher. Aus praktischen Gründen halte ich es für bedeutsam zu wissen, ob es tatsächlich häufig vor­ kommt, daß der Zeuge unter Eidesdruck seine unwahre Aussage ändert. D as ist aber aus begreiflichen G rün­ den wohl nicht häufig. S o wie der Meineid im Ent­ wurf 1. Lesung geregelt ist, ist er letzten Endes doch ein Religionsdelikt, nicht ein Angrisssdelikt auf die Rechtspflege. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Kann man aber nicht auch sagen, daß ein Angriff aus die Rechtspflege überhaupt nicht vorliegt, wenn das, was der Zeuge sagt, für die Rechtspflege ohne jede Bedeutung ist. Ich kann mir das schwer als einen Angriff auf die Rechtspflege vorstellen. Wenn man das Wort „unerheblich" im Sinne des Herrn S ta a ts­ sekretärs auffassen will, d. h. aus den In h a lt der Aus­ sage bezogen, dann kann man doch bei falscher, aber unerheblicher Aussage überhaupt nicht von einem An­ griff sprechen. Professor Dr. Gras Gleispach: Ich frage mich nur, ob man sich dabei beruhigen kann, wenn in einem Gerichtsbezirk in 90 % aller Fälle nicht beeidigt wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei dieser P raxis handelt es sich wohl nur um ein Mißverständnis bei der Auslegung des § 61 Nr. 5. Wir müssen und können hier darauf vertrauen, daß sich die P raxis einspielen wird. Staatssekretär Dr. Freister: Ich habe jetzt noch ein weiteres Bedenken be­ kommen. M an kann es bezgl. der Erheblichkeit der Aussage auf den In h a lt oder das Beweisthema oder auf die schon vorliegende Beweisaufnahme abstellen. Daß letzteres keine Rolle spielen kann, darüber besteht wohl Einigkeit. Aber auch der In h a lt der Aussage kann für sich allein nicht bestimmend für die Erheblichkeit sein. Wenn ein Zeuge aussagt, er sei nicht an einem bestimmten O rt gewesen, diese Aussage aber falsch ist, dann ist der In h a lt unerheblich. I n Wirklichkeit ist die Aussage aber erheblich, weil die Bedeutungslosig­ keit des In h a lts gemacht und falsch ist. Es kommt also darauf an, ob die Aussage in bezug auf das Beweis-

thema erheblich ist, nicht aber in bezug auf das, was der Zeuge tatsächlich gemacht hat. Ich halte eine E in­ schränkung der Beeidigung insoweit für richtig, als es sich um unerhebliche Dinge handelt. Nur die Kapi­ tulation vor der Beeidigung überhaupt ist falsch, die darin liegt, daß man vor demjenigen kapituliert, der offenkundig lügen will. Die Beseitigung dieses Fehlers ist aber den Einwänden von Herrn Gras Gleispach nicht ausgesetzt.

Professor Dr. Dahm: J a . Es handelt sich dabei aber nur um die Um­ wandlung der alten deutschen Vorstellung der Selbstverfluchung. D as wesentliche Moment wird durch die Auffassung der Eidesdelikte als Angriff auf die Rechts ­ pflege nicht erfaßt. Die Bestrafung der uneidlichen falschen Aussage ist nur von meinem Standpunkt aus zu verstehen.

Professor Dr. Dahm: Noch eine ganz kurze Bemerkung. Herr Professor Nagler trat vorhin dafür ein, die Parteilüge im Zivilprozeß bei der Parteivernehmung zu bestrafen. Ich schließe mich dem durchaus an. Die Partei darf den Richter in keinem F all anlügen. M an darf das Problem nicht nur von der prozessualen Seite aus betrachten. E s ist richtig, daß man die Beeidigung nicht zu weit ausdehnen darf. Bon diesem Standpunkt aus taucht aber das Problem der Bestrafung der uneidlichen falschen Aussage aus. Insoweit möchte ich mich den Herren Graf Gleispach und Nagler anschließen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as, was Herr Professor Dahm sagt, ist die Konsequenz, auf die ich ihn bringen wollte, nämlich den Meineid überhaupt unter einem ganz anderen Gesichtspunkt anzusehen.

S taatsrat Dr. Graf von der Goltz: M an kommt dann aber zu einer außerordentlichen Unterscheidung in der Höhe der Strafdrohung, obwohl die Sache ihrem Inhalte nach dieselbe bleibt. Ich habe persönlich viel Prozesse bei Landesarbeitsgerichten geführt und kann nur bestätigen, daß trotz der sehr wenigen Beeidigungen ein sehr gutes Bild entstand. Ganz hartnäckige Zeugen wurden unter Umständen beeidigt. E s wurde also gerade nicht, wie Herr Staatssekretär Dr. Freister befürchtet, etwa vor hart­ näckigen Zeugen kapituliert, sondern gerade diese wurden ersaßt, überdies wurde auf diese Weise damit das erfreuliche Ergebnis erreicht, daß nicht jede geringfügige unrichtige Nebenbemerkung strafrechtlich erfaßt wurde. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr Professor Dr. Nagler, S ie fassen doch die falsche uneidliche Aussage auch als einen Angriff auf die Rechtspflege auf. Professor Dr. Nagler: Jaw ohl, speziell als Beweisverbrechen. Professor Dr. Dahm: Meines Erachtens ist das nicht der Fall. D as Entscheidende ist nicht ein Angriff auf die Rechts­ pflege. Vielmehr liegt eine A rt von Treubruch vor, indem der Lügende das Vertrauen auf seine W ahr­ heit bricht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bedeutet das nicht eine Anlehnung an die Religionsdetikte?

Senatspräsident Professor Dr. Klee: überall, wo die Möglichkeit der Beeidigung be­ steht, würde ich aus die Bestrafung der uneidlichen falschen Aussage verzichten, weil wir nicht zwei Grade der Verletzung der Wahrheitspflicht schaffen können. Sobald ein Bedürfnis der Bestrafung der uneidlichen Aussage besteht, greisen die Tatbestände über Betrug (Prozeßbetrug), Begünstigung und falsche Verdächti­ gung ein. Professor D r. Kohlrausch: Die Bezugnahme aus Prozeßbetrug und Begünsti­ gung genügt nicht bei Belastungszeugen, ferner des­ halb nicht, weil es meist am subjektiven Tatbestand fehlt. M ir hat ein Arbeitsrichter gesagt, er könne sich nicht über Erfahrungen mit uneidlichen Aussagen äußern, weil er ja nicht wissen könne, ob der Zeuge wirklich die Wahrheit gesagt habe. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, man kann ohne Übertreibung sagen, daß im Arbeitsgerichtsprozeß bei keiner Seite die Ansicht besteht, es henssche hier etwa die Lüge. Professor Dr. Nagler: Ich wollte noch eins bemerken: Dogmatisch exakt eingeordnet gehören die Eidesdelikte in einen Ab­ schnitt „Beweisverbrechen". Ich halte es dabei für unerheblich, ob die Aussage unter Eid oder uneidlich erstattet ist, denn die sogenannte Eidesverletzung baut sich auf der uneidlichen unechten oder unwahren Be­ weisaussage als dem Grundtatbestand auf. Ich möchte mich im übrigen dem Vorschlag von Herrn Professor Dahm ausdrücklich anschließen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich schlage vor, daß wir die Sitzung zunächst hier abbrechen.

(Schluß der Sitzung 13 Uhr 5 Minuten.)

Strafrechlskommisfion

82. Sitzung L Juli 1935 (Hahnenklee) Zweite Lesung Inhalt Analogie (Ergänzung der Aussprache) Retchsjustizminister Dr. Gärtner.............................................1, 2 Ministerialdirektor Schäfer........................................................1, 2 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack.........................1 Staatssekretär Dr. Freister........................................................ 1, 2 Professor Dr. M ezger......................................................................2 Professor Dr. D a h m ........................................................................2 Senatspräsident Professor Dr. K lee............................................2

Angriffe auf Gottesglauben und Religion (Ergänzung der Aussprache) Reichsjustizminister Dr. G ärtner....................................... 2, 3, 4 Staatssekretär Dr. Freister........................................................2, 3 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack.........................3 Professor Dr. Henkel........................................................................ 3 Senatspräsident Professor Dr. K lee............................................ 3 Professor Dr. D ahm .......................................................................... 4

Eidesverletzung (Fortsetzung der Aussprache) Reichsjustizminister Dr. G ärtner. .. 4 , 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26 Staatssekretär Dr. Freister 4, 7, 8, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23 Staatsanwaltschaftsrat Ebert................................................... 5, 6 Ministerialdirektor Schäfer 6, 7, 9 ,1 5 ,1 8 ,1 9 , 20,21,23, 24,25 Senatspräsident G rau........................................................ 6, 10, 21 Professor Dr. Dahm .............................. 8, 9, 16, 21, 23, 24, 26 Staatsrat Rechtsanwalt Dr. Graf von der Goltz 9, 10, 15, 17, 18, 22, 23 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack..9, 15, 17, 22 Professor Dr. Henkel................................ 10, 19, 22, 24, 25, 26 Senatspräsident Professor Dr. Klee 1 0 ,1 1 ,1 8 ,1 9 ,2 1 ,2 2 ,2 4 ,2 5 Professor Dr. Schaffstein........................11, 12, 19, 22, 24, 25 Professor Dr. Graf Gleispach.............................. 12, 13, 24, 25 Reichsgerichtsrat Niethammer...................................... 14, 19, 26 Landgerichtspräsident Dr. Lorenz 14, 17, 18, 20, 21, 23, 24 Professor Dr. N agler............................................................... 15 Oberstaatsanwalt Dr. R e im e r .......................................16, 17, 19 Landgerichtsdirektor L eim er.................................................. 17 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer19,25 Professor Dr. Mezger............................................................ 19, 22 Professor Dr. Kohlrausch.........................................................25

(Aussprache abgebrochen)

Beginn der Sitzung 9 Uhr 5 Minuten. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Meine Herren, ich möchte eine Kleinigkeit aus der Beratung der Novelle zur Kenntnis bringen. I n der Novelle ist die Analogie, wie wir sie beschlossen haben, enthalten. Dort war von der gesunden Bolksanschauung die Rede. I m Kabinett ist die Frage gestellt worden, ob man nicht „gesundes Volksempsinden" sagen sollte Ich für meine Person hätte den Eindruck, daß der Ausdruck vielleicht ein wenig besser wäre. Ministerialdirektor Schäfer: Ich glaube, man kann beides sagen. M an spricht vom Rechtsempfinden, und dem würde der Ausdruck „Volksempsinden" entsprechen; aber man spricht von Weltanschauung und Lebensanschauung und könnte daher auch „Bolksanschauung" sagen. Ich glaube, ein wirklicher Unterschied besteht nicht. „Empfinden" zielt mehr auf das Seelische und das Gemüt ab, „Anschauung" mehr auf den Verstand, nebenbei aber auch auf die Seele. An einer anderen Stelle spricht die Novelle von einer Veränderung der Lebens- und Rechtsanschauung. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich möchte meinen, der Unterschied liegt in etwas anderem. Wenn man von einer Bolksanschauung spricht, ist es etwas, das sich schon durchgesetzt hat oder allgemein faßbar ist, während das Empfinden mehr im Seelischen ruht und noch nicht ganz greifbar ist. Deshalb haben wir das Empfinden bei den Religions­ delikten gewählt, während die Volksanschauung als festgefügte Regel anerkannt wird, wogegen das Bolksempfinden mehr fühlbar ist. Staatssekretär Dr. Freisler: Meines Erachtens würde die Ersetzung des Be­ griffs „Volksanschauung" durch „Volksempsinden" einen Fortschritt bedeuten. Der Begriff „Volksan­ schauung" zielt schon rein der Wortfaffung nach auf die sinnliche Wahrnehmung hin, und zwar auf eine ganz besondere, nämlich die Wahrnehmung durch das Auge. Jedenfalls ist der Urgrund dieses Wortes etwas Sinnliches. D as ist beim Volksempfinden nicht der Fall. Der In h a lt dieses Begriffs ist vom S in n ­ lichen überhaupt losgelöst, jedenfalls aber ist die Wahrnehmungsquelle nicht auf das Auge spezialisiert. Diese Wortinterpretation ist für mich allerdings nicht allein ausschlaggebend. F ü r mich kommt folgender Grund hinzu: I n dem Begriffe „Volksempsinden" liegt etwas wie eine Wertung, was bei dem Begriff der Bolksanschauung nicht der Fall ist. W ir wollen aber gerade eine Wertung, was schon daraus hervor­ geht, daß wir von gesunder Bolksanschauung sprechen. Dieses Merkmal „gesund" würde noch unterstrichen, wenn wir es mit dem Volksempsinden in Verbindung setzen. Diese Verbindung ist auch viel sachgemäßer. Nur das Volksempsinden ist gesund oder krank. Die Volksanschauung dagegen ist richtig oder falsch. Nach allem kann ich nur bedauern, daß wir nicht schon selbst aus diese Frage gestoßen sind.

Ministerialdirektor Schäfer: M an spricht auch von gesunder Weltanschauung. Staatssekretär D r. Freisler: Empfinden erfaßt auch die seelische Richtung, das liegt in der Anschauung nicht. Proseffor Dr. Mezger: Ich glaube, daß die beiden Worte doch etwas Verschiedenes bedeuten. Bolksempfinden bedeutet die unmittelbar gefühlsmäßige Reaktion, bei der Volksanschauung tritt dagegen zu der gefühlsmäßigen Reaktion noch ein intellektuelles Moment, eine Über­ legung, hinzu. Proseffor D r. Dahm: Wenn das richtig wäre, dann müßte man sich für das W ort „Volksanschauung" entscheiden. Ich halte diese Kennzeichnung aber nicht für zutreffend. Die tiefere Quelle des Rechts ist in der T a t das Volkse m p f i n d e n , und ich möchte mich ausdrücklich für diese Faffung aussprechen. Senatspräsident Professor D r. Klee: F ü r mein Sprachgefühl ist das Volksempfinden der Durchgangspunkt für die Volksanschauung. Die Volksanschauung kommt erst durch Überlegung zu­ stande, das Volksempfinden ist das Hauptelement dieser Überlegung. Volksanschauung ist in gewissem Sinne abgeklärtes Volksempfinden. Auch das Reichs­ gericht spricht ja bei den sogenannten Zeitgesetzen vom Fehlen eines Wandels der Rechtsanschauung, nicht des Rechtsempfindens. Selbstverständlich handelt es sich hier gleichfalls um den Gegensatz von Volks­ empfinden und Volksanschauung; denn die Rechts­ anschauung ist nichts anderes als eine Anschauung des Volks vom Recht. I n „Volksanschauung" steckt etwas Dauerndes, Objektives; das Volksempsinden ist nur die erste Reaktion, der erste Eindruck. Diesen ersten Eindruck wollen wir aber gerade nicht maßgebend sein lassen, sondern eine gewisse Abklärung wird ver­ langt, die sich in der „Volksanschauung" äußert. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Wenn wir das Prädikat „gesund" hinzusetzen, so paßt das besser zu Empfinden. Die Anschauung kann richtig oder falsch, aber nicht gesund oder krank sein E s muß das ruhige, abgeklärte Empfinden sein. Ich halte die Zusammenstellung von gesund und Bolks­ empfinden für keinen schlechten Ausdruck. Ministerialdirektor Schäfer: D as wäre auch ungefähr das Rechtsempfinden des Volkes. Staatssekretär Dr. Freisler: E s ist nicht möglich, Volksanschauung und Rechts­ anschauung in der Weise zu vergleichen, wie es Herr Senatspräsident Klee getan hat. Rechtsanschauung heißt nämlich Anschauung i n b e z u g auf das Recht, Volksanschauung heißt dagegen Anschauung d e s

Volkes. Zwischen beiden besteht also keinerlei Parallele. Außerdem denkt das Volk keineswegs so verstandesmäßig, es kommt nicht durch solche Über­ legungen zu einer Anschauung. Ich glaube also nicht, daß die Darlegungen von Herrn Senatspräsident Klee das erschüttern können, was Herr Proseffor Dahm ausgeführt hat. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich möchte noch sagen, daß im Kabinett über diesen Punkt länger gesprochen worden ist, und da habe ich auch diesen Standpunkt eingenommen. I m Kabinett war große Stimmung, das Wort zu ändern. Bor mir liegt die Fassung der Angriffe auf Gottesglauben und Religion; das ist die Hauptüberschrift. Dann kommt „Beschimpfung des religiösen Empfindens". Der Gottesglaube und auch das religiöse Empfinden stehen in der Überschrift, beides ist so gefaßt, daß das eine ein Spezialfall des anderen ist. Nun haben sich Bedenken nicht gegen die einzelnen Gedanken, sondern gegen ihre Fassung ergeben. Staatssekretär D r. Freisler: Die von der Unterkommission vorgeschlagene Faffung dürste nicht geeignet sein, den Willen der Kommission wiederzugeben. Ich behandle zunächst § 52, so wie er dasteht. Was wird die P raxis damit machen? S ie wird sagen: Hier wird mit Strafe be­ droht, wer das religiöse Empfinden des deutschen Volkes böswillig verletzt, und dieser Tatbestand ist spezialisiert bezüglich der Gotteslästerung. Die Praxis wird sich also die Gotteslästerung selbst näher ansehen, und sie wird sicher bei der Auslegung zu dem Ergebnis kommen, daß ein Angriff auf die Achtbarkeit des Gottesbegriffes nur bestraft werden soll, wenn er sich als Gotteslästerung darstellt. Die P raxis wird mit anderen Worten als Angriffsobjekt nur den christlichen Gott in seinen verschiedenen Borstellungsbildern, vielleicht auch den semitischen Gottesbegrifs ansehen. Ich fürchte also sehr, daß durch die Fassung des § 52 der deutsche, nichtchristliche Gottesbegrifs — ich denke an die deutsche Glaubensbewegung, den Glauben Ludendorffs und Rosenbergs und an die pantheistische Weltanschauung — vom Schutz gegen Lästerung aus­ geschlossen wird. M an könnte allerdings einwenden, daß diese falsche Auslegung ausgeschlossen sei, weil in der Titelüberschrift von Angriffen auf den Gottes­ glauben die Rede sei. Demgegenüber muß ich aber darauf Hinweisen, daß in der Überschrift des § 52 selbst davon nichts steht. E s ist also nicht zwingend, die allgemeine Überschrift zur Auslegung des § 52 zu verwenden, und demgemäß ist § 52 nicht mit Sicher­ heit vor einer einengenden Auffassung bewahrt. § 52 würde unseren allgemeinen Wünschen mehr ent­ sprechen, wenn wir folgende Faffung wählen würden: „Wer öffentlich den Gottesglauben des deutschen Volkes böswillig beschimpft oder die Grundlagen des religiösen Empfindens des deutschen Volkes böswillig verletzt, insbesondere wer öffentlich Gott lästert, wird mit Gefängnis bestraft."

Der Wunsch, die Gotteslästerung besonders zu nennen, ist ficher sehr stark. Eine Nichterwähnung würde nicht gut tun. W ir müssen aber durch die Fassung klarstellen, daß die Kommission den Gottesglauben ganz allge­ mein hat schützen wollen, und daß sich demgemäß der Richter mit dem Gottesglauben auseinandersetzen muß. D as kann nur geschehen, indem man entweder die Gotteslästerung ausdehnt oder den Gottesglauben besonders erwähnt. Beides ist im Ergebnis richtig. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Idee nach ist, glaube ich, an dem Vorschlag nichts neu; neu ist lediglich, daß wir dem religiösen Empfinden eine Grundlage geben wollen. Würden die Herren mit der Fassung des Herrn Staatssekretärs einverstanden sein? Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: Ich muß darauf Hinweisen, daß w ir in unserer Formulierung wörtlich das gebracht haben, was die Kommission beschloßen hat. W ir hatten in der Kommission festgestellt, daß der bisherige Begriff der Gotteslästerung unbrauchbar ist, weil er nur den christlichen Gottesbegriff umfaßt. W ir haben dem durch unsere Fassung Rechnung getragen, indem wir die Gotteslästerung nur beispielsweise nannten. Herr Staatssekretär Freister hat gegen unsere Formulie­ rung zwei Bedenken. Nach dieser Fassung sei zwar der jüdische Gott geschützt, der Gottesbegriss der deutschen Glaubensbewegung entbehre dagegen dieses Schutzes. D as letztere Bedenken ist für Herrn S ta a ts­ sekretär Freister das ausschlaggebende. Ich muß nun aber gestehen, daß die von ihm vorgeschlagene Form u­ lierung im Grunde genau die gleiche ist. Wenn wir überhaupt ein Beispiel brauchen können, so ist es die Gotteslästerung, weil dieser Begriff seit Jahrhunderten im Volk verwurzelt ist. Ich vermag den Zweifel, daß ein jetzt sich bildender Gottesbegriss nach unserer Formulierung nicht geschützt werde, nicht zu teilen. Staatssekretär Dr. Freister: Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß Herr Präsident Thierack zu meiner Begründung nicht Stellung genommen hat. Diese Begründung ergibt sich aus der jetzigen Wortfassung des § 52, vor allem aus dem Schwergewicht der überkommenen Recht­ sprechung. Die Gotteslästerung des geltenden Rechts ist abgestempelt aus den christlichen Gott in seinen verschiedenen Varianten und aus den jüdischen Gott. Wie Herr Minister Thierack schon hervorhob, bezieht sich mein Haupteinwand darauf, daß infolgedessen der Gottesbegriff der deutschen Glaubensbewegung nicht geschützt wird. Auch wenn w ir die Präjudizien abschaffen, so liegt es doch zu nahe, daß auch in Zu­ kunft ein Wandel in dem Begriff der Gotteslästerung nicht eintreten wird. Dieses mein Bedenken wäre völlig ausgeschaltet, wenn wir in der Fassung des Tatbestandes vom Gottesglauben ausgehen und da­ durch den Richter zwingen, nicht mehr an die Gottes­ lästerung im bisherigen S inne anzuknüpfen.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn wir schon das sprachlich so schwer Faßbare überprüfen, so bin ich der Meinung, daß auch bei der vorgeschlagenen Fassung einige Einwände gemacht werden können. Kann man den Gottesglauben eines Volkes überhaupt verletzen? Der Oberbegriff „Be­ schimpfung des religiösen Empfindens" steht ganz richtig in der Überschrift. Wenn wir architektonisch ein sauberes. Gebäude konstruieren wollen, müssen wir das als Oberbegriff verwenden: „Wer das reli­ giöse Empfinden verletzt durch Gotteslästerung oder durch Beschimpfen oder Berächtlichmachen des Gottes­ glaubens . . . " D arunter würde auch fallen, was sich außerhalb des Christentums an religiösen Vorstellun­ gen bildet. Daß auch außerhalb des Christentums sich ein religiöses Empfinden für gewisse transzen­ dente Vorstellungen bildet, kann man sich sehr wohl vorstellen. Um sicher zu sein daß auch dieses Empfin­ den geschützt ist, müßte also die genaue Fassung lauten: „Wer das religiöse Empfinden des deutschen Volkes böswillig verletzt, insbesondere dadurch, daß er den Gottesglauben des deutschen Volkes beschimpft oder Gott lästert . . ." Professor Dr. Henkel: Es besteht Einigkeit darüber, daß man das reli­ giöse Empfinden in seinen Grundelementen schützen will, und daß die Gotteslästerung zur plastischen Ge­ staltung des Tatbestandes besonders hervorgehoben werden soll. Ein Element des religiösen Empfindens des deutschen Volkes, und zwar das wesentlichste, ist sein Gottesglaube. Wenn wir nun nebeneinander die Gotteslästerung und die Beschimpfung des Gottesglaubens nennen und beides durch ein „oder" ver­ binden, so kommt dadurch nicht zum Ausdruck, daß der Gottesglaube mehr umfaßt. D as „oder" halte ich also nicht für sehr glücklich. M an sollte richtiger sagen: „Wer den Gottesglauben des deutschen Volkes bös­ willig beschimpft, insbesondere wer Gott lästert, wird mit Gefängnis bestraft." Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich befürchte, wenn wir den Gottesglauben hinein­ bringen und am Schluß „wer Gott lästert" sagen, könnte man denken, daß hier derselbe Gottesbegriff beim Gottesglauben und bei der Gotteslästerung ge­ meint ist. D as wollen w ir nicht. Die Gotteslästerung umfaßt nur den persönlichen Gott, während wir auch den pantheistischen Gottesbegriff der neuen Glaubensbowegung schützen wollen. Dieser Schutz wird ohne weiteres dadurch gewährleistet, daß wir zum Ober­ tatbestand die Verletzung des religiösen Empfindens des deutschen Volkes machen. D as religiöse Empfinden wird auch verletzt, wenn man den pantheistischen Gottesbegriff angreift. Ich würde meinen, daß die von der Kommission beschlossene Fassung nicht zu beanstanden ist. Aber sympathischer wäre mir, die Verletzung des religiösen Empfindens des deutschen Volkes zum Oberbegriff zu machen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, Herr Professor Kohlrausch hat schon darauf hingewiesen. Die Form el: „Gott lästern" kann man nur bei der Vorstellung eines persönlichen Gottes gebrauchen. Einen pantheistischen Gott kann man eigentlich nicht lästern, während die Formel: „den Gottesglauben beschimpfen" nicht an eine per­ sönliche Vorstellung gebunden ist. Darüber waren w ir uns ja einig; die Juristen brauchen keinen anderen Satz als den „Wer das religiöse Empfinden des deutschen Volkes verletzt . . Professor Dr. Dahm: M an könnte sagen: E s wird bestraft, „wer das religiöse Empfinden des deutschen Volkes böswillig beschimpft, insbesondere wer den deutschen Gottes­ glauben böswillig beschimpft oder wer Gott lästert". Wenn wir schon Beispiele geben, so müssen wir zum mindesten diese beiden anführen, weil die Beschrän­ kung auf die Gotteslästerung allein mißverständlich wäre. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre mein Vorschlag. Professor Dr. Dahm: Herr Graf Gleispach macht mich darauf aufmerk­ sam, daß es sprachlich unmöglich sei, von einer „Be­ schimpfung des religiösen Empfindens" zu sprechen. E s müffe „Verletzung" heißen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist sicher richtig, beschimpfen kann man den Gottesglauben, das religiöse Empfinden kann man nur verletzen. W ir würden dann in der Aussprache über die „Eidesverletzmig^ fortfahren. Staatssekretär Dr. Freisler: M ir ist bekannt geworden, daß gestern außerhalb der Beratungen sehr lange Diskussionen über die Be­ strafung der Eidesverletzung im Verhältnis zur Be­ strafung der unbeeidigten falschen Aussage geführt worden sind. E s soll sich dabei eine weitgehende Übereinstimmung der Anschauungen dahin ergeben haben, daß auch die unbeeidigte falsche Aussage be­ straft werden müffe. Ich möchte deshalb kurz zu dieser Frage Stellung nehmen, muß aber dabei einige an­ dere Fragen mitbehandeln. W ir waren davon aus­ gegangen, daß der Zweck einer Bestrafung der Eides­ delikte der sei, die Gerichte vor falschen Urteilen zu bewahren. D as war unsere allseitige Meinung. Es wäre also nicht richtig, wenn w ir bei den weiteren Erörterungen diese Grundlage verlassen und etwa sagen würden, es sei die Heiligkeit der religiösen Handlung zu schützen. Steht dieser Ausgangspunkt fest, dann ist alles andere nur eine Zweckmäßigkeits­ frage. D ann muß man anerkennen, daß das Gericht

möglichst weitgehend zu schützen ist; zweifelhaft kaun nur noch sein, wie man das tun will. Die einen sagen, wir müffen auch die falsche uneidliche Aussage be­ strafen; sie müffen dann aber zwangsweise dazu kommen, den Eid überhaupt abzuschaffen, weil ein verschiedenartiges Ehrenwort ein sittlicher Widersinn ist. über die Streichung des Eides würde man reden können, wenn damit nicht ein sehr wertvolles E r­ kenntnismittel für die Gerichte über Bord geworfen würde. I n der P rax is sind doch die Fälle sehr häufig, in denen der Zeuge durch den Hinweis auf das be­ sonders Verwerfliche des Meineids zu einer richtigen Aussage veranlaßt wird. E s scheint mir unmöglich zu sein, dieses wichtige Erkenntnismittel einfach über Bord zu werfen. M an will den Eid ja auch beibe­ halten und appelliert bei dem Vorschlag, auch die falsche uneidliche Aussage zu bestrafen, an das sittliche Postulat: „ein M ann ein W ort". E s sei unsittlich, auch ohne Eid die Unwahrheit zu sagen. Ich muß aber an das Grundbild erinnern, von dem wir aus­ gegangen sind und wonach dieses sittliche Postulat gerade nicht in vollem Umfang in das Recht über­ nommen werden soll. Von diesem Grundbild aus bleibt nichts anderes übrig, als die Strafsanktion ausschließlich an den Eid anzuknüpfen. Um nun aber das Gericht in genügender Weise zu sichern, scheint es mir erforderlich zu sein, die eidliche Beteuerungsformel nun auch in allen den Fällen an­ zuwenden, in denen ein Bedürfnis dafür besteht. W ir müssen uns also überlegen, ob wir nach den Erfahrun­ gen der letzten beiden Jahre in der Einschränkung der Eide zu weit gegangen sind. Und damit sind wir bei der Spezialsrage angelangt, die w ir schon am S o n n ­ abend klar herausgestellt hatten. W ir haben gesagt, das Pendel ist zu weit ausgeschlagen, die Beeidigung muß wieder die Regel bilden. I n den Prozeßgesetzen muß der Ausnahmecharakter der Nichtbeeidigung wieder mehr hervorgehoben werden. § 61 Ziff. 5 S tP O , ist zu streichen, weil die Fälle der unerheb­ lichen Aussage nur äußerst selten find. Andererseits muß jede Aussage, in der Erhebliches enthalten ist, beeidigt werden. E s scheint mir unmöglich zu sein, darauf abzukommen, der Eid erstrecke sich nur auf das Erhebliche. Erheblich ist nun jede Aussage, die auf das Beweisthema Bezug hat. Ob das der Fall ist, kann im Zivilprozeß völlig eindeutig festgestellt wer­ den, weil ja das Beweisthema genau niedergelegt wird. M ir scheint aber auch im Strafprozeß diese Beziehung zum Beweisthema genügend eindeutig fest­ zustehen. Selbstverständlich bezieht sich die Frage der Erheblichkeit auch auf negative Umstände. Auch die Aussage „ich bin nicht dabei gewesen" kann erheblich sein. Aussagen, die wirklich unerheblich sind, sind sehr selten. Wenn w ir das beachten, so ist auch das erreicht, was diejenigen erstreben, die auch die unbeeidigte falsche Aussage bestrafen wollen, nämlich daß alle schutzwürdigen Fälle unter Eideszwang stehen. Es scheint mir dann aber auch selbstverständlich zu sein, jeden Meineid zu bestrafen, und nicht mehr zu unter­ scheiden zwischen Erheblichkeit und Unerheblichkeit der Aussagend, h. w ir müffen die Beteuerungsformel als solche schützen. D as gilt aber nur für den vorsätzlichen

Meineid. Bei dem Falscheid bin ich mit der bisherigen Rechtsprechung der Meinung, daß hier ein Unterschied bezüglich der Erheblichkeit gemacht werden muß. E s ist selbstverständlich, daß das, was am Rande liegt, nicht so genau geprüft wird, sondern daß sich die Aufmerksamkeit aus das Zentrum der Frage konzen­ triert. Die Pflicht zur Gewißenhastigkeit ist ja auch um so größer, je bedeutender der betreffende Punkt für die Entscheidung des Gerichts ist. Es besteht also keine Notwendigkeit, die unerhebliche fahrlässige Eidesverletzung zu bestrafen. Wir sollten das aber nicht in das Gesetz schreiben, um keinen falschen E in­ druck zu erwecken. Wie ich schon hervorhob, müssen wir uns sorg­ fältig vor verschiedenen Graden des Ehrenwortes hüten. M an kann aber dem geltenden Recht den V or­ wurf machen, es kenne so etwas wie einen halben Eid doch, und das sei die eidesstattliche Versicherung. Diese eidesstattliche Versicherung ist in der T at vom Übel. So wie wir sie ausgestaltet haben, haben wir gerade das zugelassen, was w ir beim Eid ausschließen wollten, nämlich das Fehlen jedes eindringlichen Hin­ weises auf die Bedeutung der Beteuerungsformel. Daß gerade hier die meisten Eidesverletzungen vor­ kommen, brauche ich nicht besonders hervorzuheben. Ich erinnere nur an das Verfahren bei einstweiligen Verfügungen, in denen die Abgabe der eidesstattlichen Erklärung in zahlreichen Fällen sicher nicht nach der Wahrheit, sondern lediglich nach dem Erfolg ausge­ richtet ist. D as gilt um so mehr, wenn derartige E r­ klärungen etwa vor einem nicht zugelassenen Prozeß­ agenten abgegeben werden, der bekanntlich meist die Erklärung noch selbst aufsetzt und dann ungelesen unterschreiben läßt. W ir müssen also radikal erklären, daß wir keinen Halbeid wollen, daß wir die eides­ stattliche Versicherung abschaffen und an ihre Stelle die eidliche Vernehmung treten lassen. D as bedeutet zwar mehr Arbeit und Geld, ist aber allein würdig. Wenn wir diese eidliche Vernehmung nicht einführen wollen, dann müssen wir aber unter allen Umständen loskommen von der Vorstellung des Halbeides und die falsche eidesstattliche Versicherung hinsichtlich der Strafdrohung dem Falscheid gleichstellen. Davor brauchen w ir nicht zu erschrecken; wenn für den Falsch­ eid eine Mindeststrase von 6 Monaten eingeführt ist, so ist die Gleichstellung bezüglich der Strafdrohung \a schon erfolgt, und es braucht nur noch der Eindruck vermieden zu werden, als ob es sich um ein verschie­ denes Ehrenwort und nicht nur um eine verschiedene Form der eidlichen Beteuerung handle. Ich bin im übrigen aber der Ansicht, daß man eine eidesstattliche Versicherung als solche nur anerkennen darf, wenn die Erklärung von jemandem aufgesetzt ist, der die G a­ rantie einer eindringlichen Belehrung gibt. D as sind Gerichte, Notare und Rechtsanwälte. Dieses Ver­ trauen zum Rechtsanwalt müßen wir haben. Alle sonstigen Erklärungen müßen ihrer Natur als eides­ stattlicher Versicherung entkleidet werden. Nun gibt es allerdings viele Erklärungen an Eides S ta tt außer­ halb der Justiz, so z. B. bei der Doktorprüfung. Aber diese Falle laßen sich regeln. M. E. sind die anderen

Behörden aus eidesstattliche Versicherungen nicht an­ gewiesen. Wenn aber irgendeine Behörde erklärt, sie habe diese Beteuerungssormel nötig, so kann insofern eine Ausnahme gemacht werden. W ir haben dann eine saubere Regelung. Wer dann noch die eidlose Lüge bestrafen will, der kann nur noch folgendes Argument anführen: I m Gerichtssaal weiß jeder, dieser Zeuge wird jetzt be­ stimmt einen Meineid leisten; wir können es mit unserm Gewissen nicht vereinbaren, daß in der nächsten Minute Gott gelästert wird. W ir müßen das verhindern, indem wir hier den Zeugen nicht zum Eid zulassen. D arin kommt die Vorstellung zum Aus­ druck, jeder Mensch sei ein Soldat Gottes. Ich er­ innere aber wiederum an unsern Ausgangspunkt, daß es sich hier um Angriffe aus die Rechtspflege handelt, und daß man von diesem Standpunkte aus nur ant­ worten kann, der Richter muß sich mit aller Kraft be­ mühen, den Zeugen zu bekehren. Wenn alle Bemühun­ gen nichts nützen, muß er ihn schwören und alsbald verhaften lassen. Außerdem aber muß diesem Argu­ ment gegenüber gesagt werden: D ann schafft den Eio überhaupt ab! Denn in unzähligen Fällen sehen wir überhaupt nicht, daß ein Meineid geleistet wird. M it diesem Argument darf man sich also nicht nur gegen die Gewißheit des Meineides wenden, man muß von diesem Standpunkt aus auch schon die bloße Möglich­ keit des Meineides unterbinden. Staatsanwaltschastsrat Ebert: Es haben sich am Sonnabend wichtige Stimmen für die Bestrafung der nichteidlichen Aussage erhoben. M. E. muß für uns von vornherein der Gedanke aus­ scheiden, in einem nationalsozialistischen Strafgesetz­ buch den Eid auszugeben. Die Leistung eines falschen Eides ist nicht lediglich ein Angriff aus die Rechtspslege, sondern die Verletzung eines im Volke tief ver­ wurzelten sittlichen Wertes. Der Meineidige ist ein Rechtsbrechertyp, der im Volke ebenso besteht wie der Dieb. Aus dem sittlichen und dem religiösen Empfinden heraus muß der Eid erhalten bleiben. Da wir auch nach einer neuen deutschen Auffassung von Gott eine tiefe Vorstellung haben, kann ich mir nichr vorstellen, daß wir die Anrufung Gottes im Gerichts­ saal vermissen können als letztes M ittel der Wahrheits­ findung. Es haben sich Bestrebungen durchgesetzt, den Eid möglichst einzuschränken, und zwar waren drei Gesichtspunkte maßgebend: einmal der peinliche E in­ druck eines Maßeneides, wenn in großen Prozessen nachher alle Zeugen zusammen schwören. Das Zweite ist die Beeidigung jeder unerheblichen Aussage — es w ar z. B. notwendig, daß jemand, der versehentlich geladen wurde, beschwor, daß er nicht die richtige Person sei — ; zum Wichtigsten und Dritten möchte ich das Beispiel anführen, das der Herr Staatssekretär gegeben hat: E s tritt jemand auf und sagt notorisch die Unwahrheit, jedermann weiß es, und nun soll vielleicht einer Massenzuhörerschaft das Schauspiel geboten werden, daß der M ann schwört. Das Gericht und der Staatsanw alt müssen sich sagen, wir sind An­ stifter zu einem Meineid und zu einer Gotteslästerung;

das macht einen fürchterlichen Eindruck. M an hat h: der Novelle den Ausweg gesunden, daß man den § 61 geschaffen hat. Ich würde es bedauern, wenn dieser peinlichste Fall wieder aus § 61 gestrichen und der Eideszwang wieder eingeführt würde. Beeidigung muß möglich sein, aber der Eid muß im Interesse seiner Wirksamkeit möglichst beschränkt werden. An­ gesichts dieser Tatsache komme ich zu dem Ergebnis, daß wir in gewissem Umfange auch die falsche un­ eidliche Aussage bestrafen müßen. Der Hauptfall der falschen Aussage ist der, daß der Zeuge sagt: „Ich weiß nichts", oder daß er alles möglichst harmlos dar­ stellt. Dieser Hauptfall der falschen Aussage würde nach § 61 Ziff 6 S tP O , in 90 % aller Fälle dazu führen müssen, aus Beeidigung zu verzichten. E s ist aber eine Unmöglichkeit, daß man in diesem Fall den M ann laufen lassen muß. Ich erinnere nur an das praktische Beispiel: E s wird jemand aus Grund einer derartig falschen Aussage verurteilt, nachträglich schreibt der Verurteilte an den S taatsanw alt: „Der M ann hat gelogen, ich habe das damals nicht gewußt". D ann bekommt er einen Einstellungsbescheid mit dem In h a lt, es sei zwar richtig, daß der Zeuge gelogen habe, aber die T at sei nicht strafbar. D as muß das Gerechtigkeitsgefühl des Volkes aufwühlen. Wir haben in das Gesetz aufgenommen, sogar die Parteien müssen die Wahrheit sagen; dann können wir es uns nicht leisten, daß wir dem Zeugen nicht die mit Strassanktion ausgestattete Pflicht zur Wahrheit auf­ erlegend Es ist m. E. nicht richtig, daß die Zahl der Anzeigen zunehmen wird, sie werden im Gegenteil zurückgehen, denn in vielen Fällen entfällt der provo­ zierende Umstand, daß jemand seine falsche Behaup­ tung auch beschwört. Wenn ein Eid nicht geleistet wird, so wird in vielen Fällen eine Anzeige nicht erstattet werden. M an wird nicht sagen können, daß wir ja den Prozeßbetrug und die Begünstigung haben; wir alle wissen, daß diese Institute sich niemals in der Praxis durchsetzen werden. Es ist auch nicht richtig zu sagen, im Ermittlungsverfahren steht oft nicht fest, ob einer Zeuge oder Beschuldigter ist. W ir haben ja auch heute die Möglichkeit, daß der Richter im Erm itt­ lungsverfahren zur Feststellung der Wahrheit be­ eidigen kann. Ich glaube daher, daß wir die vorsätz­ lich falsche Aussage eines Zeugen vor Gericht, auch wenn sie nicht beeidigt ist, bestrafen müssen. Ministerialdirektor Schäfer: Und bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei? Staatsanwaltschaftsrat Ebert: Dort nicht. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Also vor dem erkennenden Richter soll jede Lüge der Zeugen oder Sachverständigen strafbar sein. Ministerialdirektor Schäfer: Auch der Person, die die Aussage verweigern will? Staatsanwaltschaftsrat Ebert: Gerade der, denn sie hat eine doppelte Möglichkeit zu lügen.

Senatspräsident G rau: Ich glaube, daß Herr Ebert in seinen Schlußfolge­ rungen recht hat. Die Praxis hat eindringlich ge­ lehrt, daß zweifelhafte Zeugen zur Wahrheit nur ge­ bracht werden können, wenn sie von vornherein unter Strafdruck stehen, wenn sie von vornherein wißen, daß die Zeugen regelmäßig auch beeidigt werden oder bei falscher Aussage sonst bestraft werden. Wenn die falsche Aussage einmal erfolgt ist, so hat die nachträg­ liche Beeidigung kaum noch Wert. M an kann immer wieder die Erfahrung machen, daß die Zeugen hart­ näckig an ihren einmal gemachten Aussagen kleben, daß alle Vorhaltungen nichts nützen, daß insbesondere die nachträgliche Unterdrucksetzung wenig W ert hat. Diese Tatsache zwingt dazu, daß jede falsche Aussage von vornherein unter Strafandrohung stehen muß. E s gibt zwei Wege, den jetzigen unerwünschten Zustand zu ändern. M an muß entweder alle Zeugen beeidigen, oder man muß neben der Eidesverletzung auch die falsche uneidliche Aussage bestrafen. Gegen den ersteren Weg hat m. E. Herr Ebert entscheidende Ge­ sichtspunkte vorgetragen. Unser Gefühl bäumt sich dagegen auf, Leute, die ganz offensichtlich lügen, zu beeidigen. M it religiösem Empfinden hat das nichts zu tun. Ich fasse das so auf: Einem Lumpen glaubt man nicht, auch wenn er sein Ehrenwort abgeben will. M an nimmt ihm deshalb dieses Ehrenwort gar nicht ab. E s bleibt also nur der andere Weg, nämlich auch die falsche uneidliche Aussage zu bestrafen. Daß der­ artige Lügner nicht straffrei bleiben können, scheint mir selbstverständlich zu sein. S ie rühmen sich sonst noch, das Gericht belogen zu haben. M. E. kann hier der Einwand von Ehrenworten verschiedenen Grades überhaupt nicht gemacht werden. Ich halte alle erheb­ lichen falschen Aussagen für strafwürdig, mit Aus­ nahme von Aussagen solcher Personen, die aus persön­ lichen Gründen die Aussage verweigern.dürfen. I n allen anderen Fällen wäre es ein Schlag in das Ge­ sicht der Gerechtigkeit, solche lügenhaften Zeugen über das Gericht triumphieren und straflos ausgehen zu laßen. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Ich glaube, in den Gedanken: „Einem Lumpen nimmt man kein Ehrenwort ab" mischen sich gewisse Vorstellungen von der Eidesunwürdigkeit ein. Wenn er die Wahrheitspflicht verletzt, soll er nicht unbestraft bleiben. Es ist die Frage, ob man diese durchaus ver­ nünftige Idee nun schon anwenden soll, wenn alle Beteiligten der Meinung sind, daß der Betreffende lügt. Ministerialdirektor Schäfer: Ich trete im Ergebnis und in der Begründung vollkommen den Ausführungen des Herrn S ta a ts ­ sekretärs bei und will die Argumente des Herrn Staatssekretärs mit Rücksicht aus die Ausführungen der Herren Grau und Ebert nur noch nach einigen Richtungen ergänzen. Ich will mich auf den S tan d ­ punkt stellen, den die Herren eingenommen haben, daß auch die nichteidliche Lüge vor Gericht strafbar sein müßte. Dann taucht sofort die Frage auf: warum

soll nur die Lüge vor Gericht, nicht auch vor dem S taatsanw alt und der Polizei strafbar sein? Die Gründe, die gegen die Ansicht des Herrn Staatssekre­ tärs angeführt worden sind, treffen genau so für die Lüge vor einer anderen Behörde zu. Es sind im wesentlichen drei Gründe vorgebracht worden: Es sei nötig, auch die uneidliche Aussage zu bestrafen, weil darin eine gewisse Festlegung liege, von der der Be­ treffende nicht mehr abkomme. Nun bin ich der Mei­ nung, daß die Aussage vor der Polizei und der Staatsanwaltschaft anfängt; dann müßte man schon dort einsetzen. Als zweiten Grund hat Herr Ebert angeführt, es sei für das Rechtsempfinden unseres Volkes völlig unerträglich, daß jemand, der unbeeidigt frech gelogen habe, über das Gericht triumphiere. Trifft das nicht genau so zu, wenn er im Vorver­ fahren gelogen hat? D ort sind doch sehr wichtige Entscheidungen, nämlich ob überhaupt eine Hauptver­ handlung stattfinden soll, ob Untersuchungshaft oder eine Beschlagnahme angeordnet werden sollen, zu fällen. Als dritter Grund wurde angeführt: wenn ein Zeuge in der Hauptverhandlung ganz offensichtlich lügt, könne der Richter nicht zur Beeidigung schreiten, sonst würde er der Gotteslästerung Vorschub leisten. Aber dann würde ja der Richter kapitulieren, und wenn man den Aussagenden wegen nichteidlicher Lüge bestrafen würde, dann hieße das jedenfalls halb kapitulieren. D as österreichische Recht bestraft meines Wissens jede Lüge vor irgendeiner Behörde. Aber es ist interessant, sich die eigenartige Lage des öster­ reichischen Rechts vor Augen zu führen. D as öster­ reichische Strafrecht kennt überhaupt keine Eides­ delikte als solche, der Meineid wird vielmehr nur als Qualifikationssall des allgemeinen Betrugs behandelt. Die Bestrafung der uneidlichen Lüge ist durch eine besondere Verordnung geregelt worden. W ir haben uns s. Zt. in der deutsch-österreichischen Strafrechts­ kommission mit den österreichischen Herren darüber unterhalten, wie das in der Praxis läuft. Statistisches M aterial haben wir nicht bekommen können. Die Herren haben aus ihrer Erfahrung berichtet, daß dieser Paragraph außerordentlich selten angewendet würde; im übrigen stehe daraus auch nur eine geringe Strafe. W ir haben uns mit ihnen darüber unter­ halten, ob auch die Aussage vor der Polizei bestraft wird; bei dieser Aussage weiß man doch noch gar nicht, ob der Betreffende später Zeuge oder Beschuldig­ ter ist. Die österreichischen Herren haben gesagt, daß selbstverständlich nicht bestraft wird, wenn der Aus­ sagende nachher Beschuldigter ist. I m übrigen haben uns die Herren versichert, daß nicht gleich jeder sage, er habe die Aussage wider besseres Wissen gemacht; praktisch beruhige man sich dann dabei. Diese Auf­ fassung ist aber in Norddeutschland mit der Peinlichkeit der Untersuchung nicht möglich. Wenn wir dazu kommen würden, jede Lüge vor irgendeiner Behörde mit Strafe zu bedrohen — ich will mich zunächst ein­ mal auf das Strafverfahren beschränken — , vor welche technischen Schwierigkeiten würden wir gestellt werden! I m Vorverfahren und im Ermittlungsver­ fahren stehen wir doch vor der S ituation, daß wir kaum wissen, ob wir jemanden als Beschuldigten oder

als Beteiligten hören. Denken S ie auch daran, daß wir künftig die Ermittlungen vom Gericht an die Staatsanwaltschaft verlegen, und in den Großstädten wird die geschulte Kriminalpolizei die meisten E r ­ mittlungen machen; es sind rein formale Unterschiede, die S ie zwischen den Behörden machen müßten. Denken S ie weiter daran, daß Sie nicht vor dem Zivilprozeß und vor der freiwilligen Gerichtsbarkeit halt machen können; bei den Beteiligten der freiwilli­ gen Gerichtsbarkeit werden S ie doch nicht die S tra f­ drohung zurücksetzen können. Alle diese Gründe sprechen für den Weg des Herrn Staatssekretärs: prinzipiell die eidliche Aussage zu bestrafen, die nicht­ eidliche dagegen nicht, und dem Eid ein größeres An­ wendungsgebiet zu geben, als wir es jetzt haben. Herr Staatssekretär wollen im übrigen Eid und eidesstattliche Versicherung beibehalten? Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn es nicht möglich ist, die eidesstattliche Ver­ sicherung verschwinden zu lassen. Ministerialdirektor Schäfer: Ich bin dafür, daß man die eidesstattliche Ver­ sicherung anders gestaltet als heute; dann ist die gleiche Bestrafung auch gerechtfertigt. Ich würde es aber einer ernsten Prüfung für wert halten, ob wir auf sie nicht verzichten können. I m Strafprozeß kommen wir ohne sie aus, wir müßten sie auch im Zivilprozeß entbehren können. W ir könnten dem Richter die Möglichkeit geben, daß er jemanden eidlich anhört. Wenn man die eidesstattliche Versicherung vor dem Anwalt zuläßt, so wird man bei der Über­ lastung der Anwälte und der üblichen Mitwirkung des Bürovorstehers das gleiche Verantwortungsbewußt­ sein nicht erzeugen können. Ich neige dazu, mit einer eidlichen Anhörung vor der zuständigen Stelle auszu­ kommen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an könnte sich nebenbei folgende Frage durch den Kops gehen lassen: Die Angaben, die jemand vor einer Behörde macht, sind in verschiedenen Fällen mit einer Beteuerungsformel versehen, z. B. bei der Steuererklärung oder bei den Prüsungsausgaben. Haben wir eigentlich im Strafrecht eine Bestimmung vorgesehen, nach der bestraft wird, wer einer zustän­ digen Behörde gegenüber in dieser Form die Unwahr­ heit sagt? Ministerialdirektor Schäfer: W ir kennen es in manchen Spezialgesetzen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre ein Gebiet, das mit dem Grundge­ danken des Meineides nichts zu tun hat; es ist die Bestrafung eines respektwidrigen Verhaltens gegen­ über einer Behörde. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich möchte noch folgendes nachtragen: Ich hatte bei meinen ersten Ausführungen die Frage des Ver­ zichts auf die Beeidigung gemäß § 61 Zifs 6 S tP O .

s absichtlich nicht berührt, um die Debatte nicht zu be­ lasten. Ich möchte jetzt aber meine Meinung dahin erklären, daß es einen solchen Verzicht aus die Eides­ leistung überhaupt nicht geben dars und daß m ir die Parteidisposition über ein Beweismittel in einer na­ tionalsozialistischen Strafversahrensordnung unmög­ lich erscheint. Die Herren G rau und Ebert haben mit besonderer Schärse den für sie maßgebenden Gesichtspunkt, der für die Bestrafung auch der uneidlichen falschen Aus­ sage entscheidend sein soll, vorgetragen: M an dürfe niemanden schwören lassen, von dem man genau wisse, daß er einen Meineid leisten werde. D as ist in der T at der tiefste Grund, weshalb man eine andere Re­ gelung haben will. Ich halte diese Regelung aber nicht für brauchbar. Der Vorschlag besagt nämlich: Wenn jemand unbeeidigt die Unwahrheit sagt, so wird er mit Gefängnis bestraft; wenn er einen Mein­ eid schwört, so ist die S trafe Zuchthaus; wenn aber jemand ein solcher Schuft ist, daß er das Gericht frech anlügt, dann ist die Strafe wieder nur Gefängnis. Eine solche Regelung scheint mir nicht möglich zu sein. Ich habe volles Verständnis dafür, daß man die ge­ schilderte Situation unter allen Umständen vermeiden will. M an kann sie aber auf andere Weise vermeiden und verfällt dann nicht in eine Inkonsequenz. Es handelt sich nämlich bei dem geschilderten Beispiel in Wirklichkeit um das Problem der Eidesunwürdigkeit. W ir können die geschilderte S ituation vermeiden, in­ dem wir den Begriff der Eidesunwürdigkeit anders fassen, nämlich erweitern. Eidesunwürdig soll nicht nur sein, wer schon mit Zuchthaus bestraft ist, sondern auch derjenige, der erkennbar und mit Sicherheit einen Meineid leisten will. Wenn man das sagt, so hat das Argument der Herren G rau und Ebert kein Gewicht mehr. Ich halte aber diese Erweiterung des Begriffs der Eidesunwürdigkeit meinerseits nicht für richtig. Ich möchte vielmehr gegen die Argumentation der Herren . G rau und Ebert einen anderen m. E. ent­ scheidenden Gesichtspunkt vorbringen. Haben Sie noch niemals den Fall erlebt, baß alle Bemühungen des Richters nichts nützen, daß aber, nachdem die Eidesformel vorgesprochen w ar, der Zeuge nicht schwor, sondern zusammensank? Oder einen weniger dramatischen Fall, daß nach dem Vorspruch der Eides­ formel der Zeuge plötzlich eine Frage an den Richter stellte? E s ist also falsch, in diesem Augenblick zurück­ zuschrecken. Die letzte Probe, ob der Zeuge den Mein­ eid wirklich leisten wird, muß angestellt werden. Die Auffassung der Herren G rau und Ebert führt aber auch zu unerwünschten Schlußfolgerungen. Das Verfahren soll doch so sein, daß dem betreffenden Zeugen attestiert wird, du wirst nicht beeidigt, weil du die Unwahrheit sagst. Damit aber nimmt das Gericht das Urteil für das spätere Strafverfahren voraus, und diesem Gericht wird man deshalb niemals die Ausgabe übertragen dürfen, nachher den Mein­ eidsprozeß zu entscheiden. Denn wie kann, wenn nun tatsächlich keine falsche Aussage vorliegt, der Ange­ klagte noch Vertrauen zu dem Gericht haben? Und welche Rückwirkungen treten aus den Zivilprozeß ein, wenn nur ein schwerer Verdacht der Unwahrheit be­

stand, der Zeuge aber in Wirklichkeit die Wahrheit gesagt hatte? Eine nachträgliche Wiederaufrollung des Prozesses wäre notwendig. E s kann aber kein Zweifel bestehen, daß eine solche zwiespältige autori­ täre Feststellung die Rechtspflege in eine äußerst schwierige Lage bringen würde. Ich komme also zu dem Ergebnis, daß der lügen­ hafte Zeuge unter allen Umständen schwören muß. Es wird behauptet, man dürfe den Richter nicht zum An­ stifter des Meineids machen. Dieses Argument beruht in gewissem S in n auf religiösen Vorstellungen, ist aber unrichtig; denn nur Gott sieht, ob der M ann wirklich einen Meineid leisten wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich halte es für unmöglich, die Eidesunwürdigkeit an ein Vorhaben in einem Prozeß zu knüpfen; man kann sie nur an eine Voraussetzung knüpfen, die gezeigt hat, daß der Betreffende die Fähigkeit nicht besitzt. Professor Dr. Dahm: Ich möchte den Herren G ran und Ebert beipflich­ ten, also den Herren Freister und Schäfer wider­ sprechen. Der gegenwärtige Zustand ist unhaltbar. Es ist heute dadurch ein Leerraum entstanden, daß der Eid beschränkt ist, die uneidliche Lüge vor Gericht aber nicht bestraft wird. Ich halte diesen Verzicht für ein Versallsymptom. Es fragt sich nur, wie diesem M iß­ stand gesteuert werden soll. Die einen suchen die Lösung im materiellen Recht, andere wollen das Ver­ fahrensrecht umgestalten. Meiner Meinung nach muß man beide Wege gehen. Die erste Frage ist die: Wen wollen wir beeidigen? Herr G rau und Herr Ebert haben völlig recht, wenn sie einen Lumpen nicht be­ eidigen wollen. Nur der Ehrenmann kann beeidigt werden. S o haben w ir ja auch die Aberkennung der Eidessähigkeit unter die Ehrenstrasen aufgenommen. Dem liegt eine durchaus volkstümliche Auffassung zugrunde. Die vielgelästerte Novelle geht von dem meines Erachtens gesunden Bestreben aus, dem M iß­ brauch des Eides weitgehend zu steuern. D arin kommt im Grunde eine religiöse Auffassung vom Eide zum Ausdruck, die Überzeugung, daß die Eidesleistung den Einsatz der ganzen Persönlichkeit für eine wichtige An­ gelegenheit bedeutet. Der Grundgedanke der Novelle ist also richtig. M an dars aber deshalb die uneidliche Lüge keineswegs straffrei stellen. Der Verzicht aus Bestrafung liegt durchaus nicht in der Konsequenz der Eideseinschränkung. Herr Staatssekretär Freister hat ausgeführt, es sei unmöglich, in der Bestrafung zwischen der uneidlichen falschen Aussage und dem Meineid zu unterscheiden. Warum eigentlich? Die Unterscheidung ist durchaus sinnvoll, weil mit dem Meineide anders als mit der uneidlichen falschen Aus­ sage der volle Einsatz der Persönlichkeit verbunden ist. Staatssekretär Dr. Freister: Ich habe es nur für unmöglich erklärt, die unbe­ eidigte falsche Aussage milder zu bestrafen als den Meineid.

Professor Dr. Dahm: D as kann ich nicht einsehen. S ta a tsra t Dr. Gras von der Goltz: D as bedeutet aber doch praktisch die Abschaffung des Meineids. Professor Dr. Dahm: Ich halte es für durchaus möglich und für not­ wendig, die uneidliche falsche Aussage milder zu be­ strafen als den Meineid. Nun hat Herr Ministerialdirektor Schäfer einge­ wandt, warum man dann nicht auch die falsche Aus­ sage vor der Polizei oder dem Staatsanw alt bestrafe. Ich muß gestehen, daß ich diese Frage nicht recht ver­ stehe. D as Gericht hat eben eine besondere und höhere Aufgabe zu erfüllen. Wer das Gericht belügt, handelt besonders verwerflich. Die Auffassung des öster­ reichischen Rechts und die Argumente, die aus dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ent­ nommen sind, entbehren jeder Beweiskraft. I n einem Punkte möchte ich noch weiter gehen als Herr Ebert. Ich möchte auch die uneidliche falsche Aussage der Parteien im Zivilprozeß bestrafen. Die Scheu vor einer Bestrafung entspringt nur der Auf­ fassung, daß der Zivilprozeß eine Angelegenheit von Privatleuten sei. Die Parteivernehmung ohne S tra f­ sanktion ist Loch nur eine Farce. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as Ergebnis wäre, eine Strafdrohung für den Meineid bleibt bestehen; daneben gibt es eine S tra f­ drohung für das falsche Zeugnis. Die Strafdrohun­ gen selber müssen einander ziemlich gleich sein. Professor Dr. Dahm: Die Bestrafung für die falsche Aussage müßte nach unten hin erweitert werden. Ministerialdirektor Schäfer: Soll der Zeuge aus die Bestrafung hingewiesen werden? Professor Dr. Dahm: JaReichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Strafdrohung wäre für Meineid Zuchthaus, für die uneidliche Aussage auch Zuchthaus, aber Ge­ fängnis nach unten hin erweitert. S ta a tsra t Dr. Gras von der Goltz: Der Zeuge sagt zunächst aus bei Vermeidung von Gefängnis bis zu drei Monaten, später bei Vermei­ dung von Gefängnis bis zu sechs Monaten, und so könnte sich das steigern. Herr Dahm gebraucht Be­ griffe für eine arithmetische Rechnung. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wichtig ist jetzt bei dieser Betrachtung, daß dann allerdings ernsthaft die Frage gestellt werden kann,

ob man nicht aus den Meineid überhaupt verzichten kann. Professor Dr. Dahm: Eine andere Möglichkeit wäre die, daß man auch für den Eidesunwürdigen eine Sonderregelung träfe. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es handelt sich nicht um die Frage, ob der Eides­ unwürdige unbestraft lügen darf; diese Frage haben wir im positiven Sinne beantwortet: E r wird wie ein Meineidiger bestraft. M ir kommt es vielmehr auf die Frage an: Kann man die Eidesunwürdigkeit attestieren, weil wir der Meinung sind, der M ann wird jetzt ein falsches Zeugnis ablegen? Ich erinnere mich an einen Prozeß, da haben eine Reihe von jungen Leuten bewußt und gewollt einen Meineid ge­ leistet, daß ein bestimmter Mann von einer bestimmten Seite erschossen worden ist. Daraufhin sind verschie­ dene Leute mit Zuchthaus bestraft worden. Hinterher hat sich herausgestellt, daß es ein verabredeter M ein­ eid war. Gesetzt den Fall, in diesem Prozeß wäre ein Zeuge vorhanden gewesen, der gesagt hätte, der M ann sei von einem Kameraden von rückwärts erschossen worden. Stellen S ie sich vor, hier haben Sie frische junge Leute, die mit aller Bestimmtheit in dem einen Sinne aussagen, und der andere ist vielleicht ein politisch verdächtiger Mann. E r behauptet das Gegen­ teil aus das allersicherste. Das ganze Verhandlungsbild zeigt, daß er auf dem falschen Wege ist. I n welche Lage kämen Sie, wenn S ie diesem Zeugen die Eides­ unwürdigkeit attestieren wollten? Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich bin tief berührt davon, daß die Entscheidung vom Sonnabend eigentlich keine Entscheidung war. Ich will einmal versuchen, die Sache von ganz an­ derer Seite her anzusehen. Herr G rau und Herr Ebert haben sich aus die P raxis berufen. Ich will auch an praktische Erfahrungen anknüpfen. Bei dem Motiv zum Meineid gibt es bekanntlich zweierlei V aria­ tionen. Entweder geht der Täter von vornherein be­ wußt darauf aus, die Unwahrheit zu sagen, oder aber es geht der Zeuge, wenn er hört, was die anderen Zeugen sagen, bewußt zur Lüge über. Die erste Kate­ gorie ist die gefährliche. M it ihr will ich mich be­ schäftigen. Es tritt also jemand vor die Schranken und lügt das Gericht mit dreister S tirn an. Herr Ebert hat nun die Idee, ihn nicht zu beeidigen. W ir wollen diese Idee einmal vom Standpunkt des Willensstrasrechts aus betrachten. Der Wille dieses Täters ist doch der allerschlimmste, und deshalb ist auch die Kapitulation die allerschlimmste, wenn von der Beeidigung Abstand genommen wird. Hier soll plötzlich das Willensstrafrecht überhaupt nicht beachtet werden, der M ann soll nur bestraft werden, weil er lügt, obwohl er selbstverständlich von vornherein mit Zuchthausstrafe wegen Meineids gerechnet hat. W as muß ein solcher T äter denken, wenn das Gericht jetzt zurückweicht?

Professor Dr. Henkel: D as Beispiel der Herren Grau und Ebert hat auf mich einen sehr tiefen Eindruck gemacht. Ich glaube, daß ein solcher Vorgang wie der geschilderte unsere Auffassung vom Eide schmerzlich berührt. W ir fassen nun einmal Fragen dieser Art unserem Wesen gemäß grundsätzlich an. Die Engländer sind in diesem Punkte weniger grundsätzlich, sondern sehen die Dinge nüch­ terner. S ie kennen heute noch den Reinigungseid des Angeklagten. M ir ist folgender Vorfall aus London berichtet worden: M an hat einen mehrfachen Lust­ mörder zum Eid zugelassen, obwohl Zeugen vorhan­ den waren, die diesen Mörder überführen konnten und später auch überführt haben. Etwas Derartiges ist für uns unerträglich. Sucht man nach einer gesetz­ geberischen Lösung der von den Herren G rau und Ebert aufgeworfenen Frage, so sehe ich den einzigen Weg darin, daß wir den § 175 Abs. 2 ausweiten. Man braucht dabei nicht von Eidesunwürdigkeit zu reden. W ir könnten etwa formulieren: „Wie ein Meineidiger wird bestraft, wer vor einer Behörde, die ihn wegen seiner Eidesunfähigkeit eidlich nicht vernehmen kann oder wegen der offensichtlichen U n ­ g l a u b w ü r d i g k e i t d e r A u s s a g e ni cht v e r e i d i g e n w i l l , die Unwahrheit sagt usw." Damit wäre auch vermieden, daß man abstuft, was Herr Präsident Thierack mit Recht vermeiden möchte. Wenn wir die eidlose Lüge allgemein unter Strafe stellen, würden die Behörden mit Strafanzeigen über­ schwemmt. Die Meineidsverfahren kommen überdies schon jetzt in 80 % der Fälle überhaupt nicht zur Ver­ handlung; von diesen Fällen gelangt dann noch ein D rittel zum Freispruch. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich denke da wieder an den Prozeß mit dem M ein­ eid der jungen Leute, den ich vorhin zitiert habe. Ich kann mir wohl Fälle denken, wo ich aus dem eigenen Verhalten des Zeugen ohne weiteres sehen kann, daß er falsch aussagt. D ann hätte ich keine Bedenken, ihn wie einen Meineidigen zu bestrafen. Meine Skepsis betrifft vorläufig die Frage, wie man die offenbare Unwahrheit erkennen will! Senatspräsident G rau: Ich möchte gegen die Ausführungen von Herrn Ministerialdirektor Schäfer Stellung nehmen. Es soll eine Konsequenz unserer Auffassung sein, auch die Lüge im Vorverfahren zu bestrafen. Ich halte das für nicht zutreffend. D as Volk macht doch zweifellos einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Vorver­ fahren und der Hauptverhandlung, in der erst über das Schicksal des Angeklagten entschieden wird. Dem entspricht auch die scharfe Trennung im Gesetz. Sicher­ lich hängt manches auch schon von den Aussagen im Vorverfahren ab. Trotzdem besteht aber ein sehr großer Unterschied hinsichtlich der Bedeutung der Aus­ sagen in den beiden Verfahrensabschnitten. Insoweit scheinen m ir also die Bedenken von Herrn Ministerial­ direktor Schäfer nicht begründet. Herr Präsident Thierack hat meinen Ausführun­ gen gegenüber darauf hingewiesen, daß die Zeugen an

ihren Aussagen vor der Polizei in derselben Weise klebten. Das entspricht nicht meinen Erfahrungen. Gerade die Aussagen vor der Polizei werden sehr häufig- widerrufen, weil die Leute eben wissen, daß sie wegen einer falschen Aussage vor der Polizei nicht bestraft werden. Ich verstehe auch nicht, inwiefern unser Vorschlag das Willensstrafrecht verraten sollte. Wer offensichtlich lügt und deshalb nicht beeidigt wird, soll doch genau so bestraft werden wie der Meineidige; das ist ja gerade unser Grundgedanke. Selbstverständ­ lich kann nicht jemand schon deshalb eidesunwürdig sein, weil er sich mit seiner Aussage in Gegensatz zu anderen Zeugen setzt. Wir haben daher ganz andere Fälle offensichtlichen Lügens im Auge. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Meine Herren, über die Bedeutung der Aussage im Vorverfahren kann man verschiedener Meinung sein. Herr Professor Dahm hat gesagt, das erkennende Gericht habe eine ganz andere Aufgabe; das ist schon richtig. Wenn man es aber vom Standpunkt der Wahrheitserforschung ansieht, ist es anders; da kann die Aussage im Vorverfahren viel wichtiger sein. S taatsrat Dr. Gras von der Goltz: Vielfach hat das Vorverfahren das wichtigste Wort zu sprechen, nämlich wenn es zur Einstellung kommt. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der heutige Zustand — darin muß man Herrn Professor Dahm recht geben — kann nicht aufrecht­ erhalten werden. E s gibt nur zwei Möglichkeiten: M an muß entweder auch die uneidliche falsche Aus­ sage bestrafen, oder man muß prozessual den Bezirk der uneidlichen Vernehmung einschränken. Eine Regelung mit verschiedenen Strafrahm en für Meineid und uneidliche falsche Aussage scheidet für mich von vornherein aus. E s ist sicher richtig, daß das Volk sich sehr bald sagen würde, es gibt bei unseren Gerichten zwei Wahrheiten. D as ist sittlich und kriminalpolitisch unmöglich. Unter Zugrundelegung des geltenden Versahrensrechts fragt sich also, wie der Bezirk der uneidlichen Aussage eingeschränkt werden kann, und was mit dem Rest geschehen soll. Zunächst darf es einen Verzicht auf die Beeidigung nicht mehr geben, jedenfalls nicht im Strafprozeß, abgesehen viel­ leicht von Bagatellsachen, d. h. Übertretungen und Privatklagesachen. M an weiß sehr oft gar nicht, ob der Verzicht am Platze ist; die Aussage ist vielleicht eine freche Lüge. Nun die Frage der offenbaren Un­ glaubwürdigkeit. Es ist sicher unerträglich, daß der Richter einen Eid abnimmt, der nach seiner Über­ zeugung ein Meineid ist. Ich bin dafür, in solchen Fällen nicht zu vereidigen. Der vom Herrn Minister angeführte Fall führt mich zu keiner anderen Ansicht, denn selbstverständlich wird es immer Fälle geben, in denen sich auch der schwerste Verdacht hinterdrein nicht rechtfertigt. Ich würde solche Leute, die drauf und dran sind, einen Meineid zu leisten, nicht für eides­ unwürdig erklären, sondern zwar von ihrer Beeidi­ gung absehen, sie aber nach dem Strafrahmen, den wir für die Eidesunwürdigen ausstellten, bestrafen.

E. könnten die Fälle, in denen jemand die Hand zum Schwur eines Meineids hebt oder unmittelbar bereit ist, das zu tun, auch unter den Gesichtspunkt des versuchten Meineids gebracht werden. Nun die weitere Frage, ob der Verletzte beeidigt werden soll. Früher haben wir ihn ja immer beeidigt. Ich würde grundsätzlich dagegen sein, den M ann nicht zu beeidigen. Sodann die Frage der Bestrafung der uneidlichen Aussage der Angehörigen. Wie stellen sich die Herren das vor, die für Bestrafung der uneid­ lichen Aussage sind? Beeidigt werden Angehörige naturgemäß nur ganz ausnahmsweise. Kein Mensch im Gerichtssaal glaubt, daß die Zeugin (Ehefrau des Angeklagten) beeidigt wird, obwohl ihr vor der Ver­ nehmung gesagt wird, sie könne beeidigt werden. Die Zeugin glaubt es selbst nicht und lügt daraus los. S oll nun jetzt die Frau auf Grund der uneidlichen falschen Aussage bestraft werden? D as würde zur Folge haben, daß Angehörige lieber von ihrem Zeugnisver­ weigerungsrecht Gebrauch machen. Damit würde dieses Recht entwertet, denn bekanntlich werden aus der Zeugnisverweigerung regelmäßig belastende Schlüsse gezogen, und nur allzu häufig wird vom Zeugnisverweigerungsrecht kein Gebrauch gemacht und die Unwahrheit gesagt, um diesen Schluß zu ver­ hindern. Eine unwahre Aussage eines Angehörigen ist im Grunde ebenso zu beurteilen wie die unwahre Aussage des Beschuldigten selbst. Wie wir bei ihm mit dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb rechnen, so müssen wir auch mit dem erweiterten Selbsterhal­ tungstrieb der Familie rechnen; ein Eideszwang hat hier keinen S inn. M it einer Bestrafung der unwahren eidlichen Aussage würden wir uns in Widerspruch setzen zur Regelung der seitens Angehöriger be­ gangenen Begünstigung, die straflos ist. Bei dem der Teilnahme Verdächtigen muß es genau so sein. Auch hier ist es nicht anders, als wenn der Beschuldigte selbst lügt. Wir können uns über diese Fälle nicht einfach damit hinwegtrösten, die Betreffen­ den hätten ja schweigen können; denn jeder weiß ja, welcher Schluß aus diesem Schweigen gezogen wird. Wie steht es nun mit der P artei? I n der Zivil­ prozeßnovelle ist die nationalsozialistische Parole der Wahrheitspflicht der Partei ausgesprochen worden. Als Praktiker muß man aber sagen, daß die Parteien meist gar nicht bewußt oder auch nur fahrlässig die Unwahrheit sagen, sondern deshalb, weil sie ein be­ stimmtes Bild der Sach- und Rechtslage in sich tragen, in das sie sich völlig einseitig hineingedacht haben. M it diesem psychologischen Charakter ihrer Aussagen wäre also eine Bestrafung gar nicht verträglich. I n Fällen, die unbedingt eine Bestrafung erfordern, haben wir, abgesehen von der ja immer möglichen eidlichen Vernehmung der Parteien, soweit sie Be­ weismittel sind, ohnehin die Möglichkeit, die Lüge der P artei zu bestrafen, nämlich in Gestalt des Prozeßbetruges, der nt. E. gar keine so seltene Erscheinung ist. Nun noch ein Punkt. Es wurde behauptet, die Nichtbestrasung der Lüge im Vorverfahren und die Bestrafung der Lüge im erkennenden Verfahren sei keine Inkonsequenz, weil das erkennende Verfahren fyfl.

sehr viel wichtiger sei. D as ist durchaus unrichtig. Aussagen im Vorverfahren können von sehr großer Wichtigkeit sein. Es erfolgen unzählige Einstellungen, weil im Vorverfahren gelogen wird. S ehr oft wird auch in späteren Verfahren an einer Aussage vor der Polizei festgehalten, um nicht in den Verdacht der Begünstigung zu kommen, oder um sich nicht zu blamieren. Unter diesem Gesichtspunkt also wäre es durchaus berechtigt, die falschen uneidlichen Aussagen vor Gericht und Polizei gleichzustellen. D as ist natür­ lich nicht möglich. W ir können nicht alle falschen polizeilichen Zeugenaussagen bestrafen. Für die schweren Fälle haben wir aber auch hier einen Aus­ weg. W ir haben die Tatbestände der Begünstigung und der falschen Verdächtigung; der letztere Tatbe­ stand ist ja seit der Novelle vom 26. M ai 1933 sehr weit, nicht mehr auf den F all der falschen „Anzeige" beschränkt. Schließlich lassen sich in der Regel auch nur diese groben Fälle beweisen. Nach allem ist nur der Weg der prozessualen Aus­ dehnung der eidlichen Vernehmungen gangbar. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn ich zurückfragen darf: Der Ebertsche Fall ist wohl, daß jemand eine Aussage beschwören will, die offenbar falsch ist? Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der M ann soll nicht beeidigt werden, ich würde hier auf den Gesichtspunkt des Beginnens abstellen und ihn bestrafen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Dann eine zweite Frage noch: Es ist gelegentlich auf den Zivilprozeß hingewiesen worden. Dort ist ein Zeuge zu beeidigen, wenn das Gericht mit Rücksicht auf die Bedeutung der Aussage oder zur Herbei­ führung einer wahrheitsgemäßen Aussage es für not­ wendig hält. E s ist doch so, daß das Gericht nicht beeidigt, wenn die Parteien daraus verzichten. Aber ich könnte mir denken, daß man diese Bindung des Gerichts beseitigt. D as ist der gegenwärtige Unter­ schied zwischen Zivil- und Strafprozeß, und der scheint sich m. E. nicht ganz beseitigen zu lassen. Ich nehme einmal an, beide Parteien sind hochanständige Leute, sie erklären, sie nehmen die Aussage des Zeugen hin. Hier scheint es mir doch unmöglich zu sein, daß das Gericht noch beeidigt. Es kommt doch auch vor, daß sich zwei Leute dem Urteil eines Dritten unterwerfen. Professor D r. Schasfftem: Ich möchte auch die Bestrafung der uneidlichen falschen Aussage befürworten, allerdings nur in ge­ wissen Grenzen. Der wichtigste Grund für die Be­ strafung scheint mir der zu sein, daß im Zivilprozeß die uneidliche Aussage die Regel bildet, wobei ich be­ merken muß, daß ich an die Möglichkeit einer völligen Gleichstellung der beiden Verfahrensarten hinsichtlich der Beeidigung nicht glaube. Es wird im Zivilprozeß immer in weiterem Umfange als im Strafprozeß un eidliche Aussagen geben. Herr Professor Nagler hat gestern zufällig Gelegenheit gehabt, mit einem süh"en-

den deutschen Anwalt über die Auswirkungen der Zivilprozeßnovelle zu sprechen. Nach der Ansicht dieses Herrn hat das Anlügen des Gerichts durch die P a r­ teien im Zivilprozeß auch heute noch nach Einführung der Parteivernehmung eine ungeheure Ausdehnung. Heute sind nun gegen die Bestrafung der uneid­ lichen falschen Aussage noch weitere Gründe geltend gemacht worden. Da ist zunächst das Argument, es handle sich in den Fällen der offenbaren Unglaub­ würdigkeit mindestens um eine halbe Kapitulation, wenn man den Täter nicht beeidige, sondern ihn nur wegen seiner falschen Aussage bestrafe. D as halte ich nicht für zutreffend. Die Beeidigung ist doch zu­ gleich der Ausdruck eines besonderen und erhöhten Vertrauens, das dem Aussagenden vom Gericht ent­ gegengebracht wird. Die qualifizierte Bestrafung des Meineides ist also deshalb gerechtfertigt, weil über die gewöhnliche Wahrheitspflicht hinaus noch eine besondere Treupflicht verletzt ist. Dieser Gedanke der besonderen Treupflichtverletzung ist ja von uns schon mehrfach berücksichtigt worden, so z. B. bei den Amtsdelikten, beim Verrat, bei der Untreue und bei der allgemeinen Strafzumessungsbestimmung. Gleiches gilt für den Eid. Ich sehe deshalb nicht ein, warum hier nicht eine besondere ehrenmindernde Bestrafung Platz greifen soll. Ich bin deshalb auch gegen den Vorschlag von Herrn Professor Henkel. Es geht nt. E. nicht an, den Lügner dem Meineidigen gleichzustellen. D as würde dem Rechtsempfinden des Volkes wider­ sprechen. E in zweiter Punkt: E s wird gefragt, warum wir nicht dann konsequent die falsche'uneidliche Aussage vor jeder Behörde bestrafen. Darüber, daß eine solche Strafdrohung zu weit ginge, besteht Einigkeit. Ich frage aber zurück: Warum wollen diejenigen, die die falsche Aussage überhaupt nicht bestrafen wollen, nicht auch die eidliche Vernehmung durch die Polizei und Staatsanwaltschaft einführen? Wenn man das nicht tut, so kann doch der Grund nur der sein, daß der Aussage vor Gericht besondere Bedeutung beigemessen wird, nicht bezüglich ihrer Wichtigkeit, sondern wegen der feierlichen Form, wegen der besonderen Publizität des Geschehens usw. D arin liegt der grundsätzliche Unterschied. Eine weitere Frage ist die, wie weit man die Bestrafung der falschen uneidlichen Aussage aus­ dehnen will. Ich wäre für Bestrafung, wenn die Aus­ sage vor der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht erfolgt. Die polizeiliche Vernehmung möchte ich nicht einbeziehen, weil sie zu formlos erfolgt, der ver­ nehmende Beamte meist auch keine genügende Vor­ bildung hat. Insoweit genügen Tatbestände der Be­ günstigung und der falschen Anschuldigung dem Strasbedürfnis. A ls weiteres Gegenargument ist angeführt wor­ den, eine Strafdrohung gegen die Lüge vor Gericht würde zu einer Überhäufung der Staatsanwaltschaft mit Strafanzeigen führen. Ich halte das immerhin für einen beachtlichen Gesichtspunkt. M an kann dieser Gefahr aber entgehen, indem man nur die wichtige falsche Aussage mit Strafe bedroht, nämlich die Aus­

sage, die wegen ihrer Unrichtigkeit bas Ansehen oder die Sicherheit der Rechtspflege gefährdet. Bei einer solchen normativen Fassung des Tatbestandes wäre die Bestrafung weitgehend in die Ermessensfreiheit des Richters gestellt. Ich halte das nicht für bedenk­ lich. Ich glaube auch nicht, daß hier der maßgebende Gesichtspunkt durch eine abstrakte Formel erfaßbar ist. Reichsjustizminister D r. Gürtner: S ie haben, Herr Professor, vorhin gemeint, wie einen Eidesunwürdigen sollte man ihn bestrafen. Professor Dr. Schasfstem: Ich würde den Unglaubwürdigen nicht vereidigen und würde ihn, wenn er nicht vereidigt ist, geringer bestrafen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an könnte ja so sagen: Wer einen Eid leisten darf, dem wird eine Ehre erwiesen; die Ehre des Eides bekommst du nicht, aber die Pflicht zur Wahrheit hast du immer, und zwar mit den gleichen Strafdrohun­ gen. Was jetzt ganz klar herauskommt, ist doch das Bild, daß ich einen Menschen vor mir habe, von dem ich genau weiß, daß er die Verpflichtung zur Wahrheit nicht erfüllt; deshalb sehe ich ihn minder an unb will ihn minder bestrafen. D as scheint mir eine gefährliche Beweisführung zu sein. Die Treupslicht liegt nicht darin, daß er den Eid leistet, sondern darin, daß er die Wahrheit sagt. Die Treupslicht kann nur ein­ heitlich sein. Professor Dr. -Schaffstein: W ir graduieren doch sonst auch. W ir sind uns doch beispielsweise darüber einig geworden, daß die Amtsunterschlagung schwerer zu bestrafen ist als die gewöhnliche Unterschlagung. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich halte es für meine Pflicht, die Darstellung, die Herr Ministerialdirektor Schäfer über den österreichi­ schen Rechtszustand gegeben hat, zu berichtigen. E s ist mir dabei weniger um die Berichtigung als darum zu tun, daß nicht aus dieser Darstellung falsche Schlüsse gezogen werden. Das österreichische S tra f­ gesetzbuch von 1852, das in Wahrheit aus dem Jahre 1803 stammt, kennt noch das crim en falsi, das ge­ kennzeichnet ist durch die Art des Angriffs. Der Be­ trug ist keineswegs nur Vermögensdelikt. Es gibt deshalb im österreichischen Recht mehrere Arten des Betrugs, so z. B. die Urkundendelikte, die Fundunter­ schlagung und auch die falsche Aussage vor Gericht. Letztere ist seit 1787 in Österreich in dem Tatbestand des Betrugs enthalten. S ie ist ein Delikt ohne Rück­ sicht darauf, ob die Aussage unter Eid erfolgt oder nicht. Erst um das J a h r 1912 hat man dann auch die falsche Aussage vor anderen Behörden unter Strafe gestellt. Diese Ausdehnung war die Folge der Einführung eines Verwaltungsverfahrensgesetzes. Die Strafe ist sehr gering. Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß nun keineswegs jede falsche Aussage vor einer staatlichen Behörde in Österreich als Ver-

brechen oder als Betrug bestraft wird, und außerdem ist diese Einschiebung erst vor etwa 20 Jahren er­ folgt. über 100 Jahre lang war lediglich die falsche Aussage vor Gericht strafbar. S ie allein aber zieht schon Verbrechensstrafe nach sich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich darf einmal vorlesen; die Strafdrohung ist eingefügt durch Art. IX des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen vom 21. Ju li 1925. S ie lautet: „Wer vorsätzlich vor einer Verwaltungsbe­ hörde als Zeuge oder Sachverständiger falsch aussagt, macht sich einer Übertretung schuldig und wird vom Gericht mit strengem Arrest von einem bis zu sechs Monaten bestraft." D as ist also ein verhältnismäßig milder S tra f­ rahmen. Professor Dr. Graf Gleispach: Die Strafe für den Betrug vor Gericht kann sich bis zu lebenslangem Kerker steigern. Wird nun die falsche Aussage auch noch beschworen, so ist das ledig­ lich ein strafschärfender Umstand, weil es in Österreich eben keine besonderen Eidesdelikte gibt. Herr M i­ nisterialdirektor Schäfer hat erklärt, er sei sehr er­ staunt gewesen, im österreichischen Recht keine Eides­ delikte zu finden. E r hätte dasselbe Erstaunen beim Studium vieler anderer ausländischer Strafgesetze er­ leben können. Ich weise auf die Vergleichende D ar­ stellung des deutschen und ausländischen Strafrechts hin, in der Stooß die Eidesdelikte behandelt hat. Danach stimmt das österreichische Recht mit dem Recht der meisten Kulturstaaten überein. Nur wenige Staaten kennen eine spezifische Gestaltung der Eides­ delikte. E s ist also unrichtig, das österreichische Recht gleichsam als ein Museumsstück hinzustellen. Ich kann auch nicht als Zeuge dafür benannt werden, wir hätten in Österreich mit diesem Rechtszustand schlechte Erfahrungen gemacht, denn das Gegenteil ist der Fall. Herr Ministerialdirektor Schäfer kann sich lediglich aus Äußerungen bei den interparlamentarischen Ver­ handlungen über den deutsch-österreichischen S tG E ntwurf berufen. Es wurde behauptet, wir könnten der Fülle der Denunziationen nur Herr werden, weil wir die Sache nicht so ernst nehmen. Dagegen wehre ich mich mit Entschiedenheit. Ich habe diese Fülle der Denunziationen überhaupt nicht beobachtet. E s ist auch in Österreich niemals eine Stimme aufgetaucht, die eine Beschränkung der Strafbarkeit auf beeidigte Aussagen vertreten hätte. Bekanntlich kann man den Einwand der Überschwemmung mit Strafanzeigen jedem neuen Tatbestand gegenüber erheben. Jeder neue Tatbestand stärkt die Denunziationslust. Unsere Frage muß allein sein: Is t strafwürdig, wer das Ge­ richt anlügt? Wenn ja, dann darf uns auch das Ge­ spenst der Denunziationen nicht schrecken. Ich möchte im übrigen das Willensstrasrecht für meine Auffassung in Anspruch nehmen. Wie häufig ist der Fall, daß ein Zeuge, der bestimmt annimmt, beeidigt zu werden, falsch aussagt, aber nachher nicht

beeidigt wird. Wenn nun die falsche, aber nicht beeidete Aussage nicht bestraft würde, so würde der zufällige Umstand, daß das Gericht die Aussage nicht als wesentlich ansieht, über die Strafbarkeit entscheiden, obwohl nt. E. bereits volle Strafwürdigkeit wegen Meineides vorliegt. Wir machen uns also eines schweren Verstoßes gegen das Willensstrasrecht schul­ dig, wenn wir die uneidliche falsche Aussage nicht bestrafen. Mein Ergebnis ist also: Bestrafung der uneidlichett falschen Aussage, qualifizierte Bestrafung des Mein­ eids. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as österreichische Recht ist jetzt von verschiedenen Seiten angezogen worden. Vielleicht ist es doch zweck­ mäßig, uns den österreichischen Rechtszustand genauer vor Augen zu führen. § 197 österreich. StG B , ent­ hält zunächst den allgemeinen Generaltatbestand des Betrugs und lautet: „Wer durch listige Vorstellungen oder Hand­ lungen einen anderen in Irrtu m führt, durch welchen jemand, sei es der S taat, eine Gemeinde oder eine andere Person, an seinem Eigentum oder anderen Rechten Schaden leiden soll; oder wer in dieser Absicht und auf die eben erwähnte Art eines anderen Irrtu m oder Unwissenheit benützt, begeht einen Betrug; er mag sich hierbei durch Eigennutz, Leidenschaft, durch die Absicht, jemanden gesetzwidrig zu begünstigen, oder sonst durch was für immer eine Nebenabsicht haben verleiten lassen." Anschließend bestimmt dann § 199: „Unter den Bedingungen des § 197 wird der Betrug schon aus der Beschaffenheit der Tat zum Verbrechen, wenn sich in eigner Sache bei Ge­ richt zu einem falschen Eide erboten oder wirk­ lich ein falscher Eid geschworen wird, oder wenn sich um ein falsches Zeugnis, so vor Gericht ab­ gelegt werden soll, beworben, oder wenn ein falsches Zeugnis gerichtlich angeboten oder abge­ legt worden, wenn dasselbe auch nicht zugleich die Anerbietung oder Ablegung eines Eides in sich begreift." Der Eid ist also völlig anders konstruiert als im deutschen Recht. E s fehlt nicht nur das besondere Delikt des Meineids, der Meineid ist nicht einmal Qualifikationsmoment des Betruges, er kann lediglich strafschärfend berücksichtigt werden, wenn ein falsches Zeugnis vor Gericht auch noch beschworen wird. W ir müssen uns aber nun darüber klar werden, ob wir die Eidesdelikte irgendwie aus dem Betrug herleiten wollen, oder ob von einer anderen Grund­ lage auszugehen ist. Vielleicht betrachten die Herren die Frage, ob man nicht jede falsche Aussage vor irgendeiner Behörde unter S trafe stellen soll, unter einem selbständigen Gesichtspunkt, nämlich dem, daß eine solche Lüge immer eine gewisse Respektlosigkeit gegenüber dem S ta a t bedeutet und Bestrafung er­ fordert, wenn auch selbstverständlich eine viel geringere Strafe als das falsche eidliche Zeugnis.

Reichsgerichtsrat Niethammer: Die heutige Besprechung hat mich in der Ansicht bestärkt, daß dem Eid wieder mehr Raum gegeben werden muß. Die Vorbilder des österreichischen Rechts dürfen uns hieran nicht hindern. Ich bin über­ zeugt, daß der Eid ohne weiteres mehr Raum ge­ winnen wird durch die Übung der Gerichte. Einzelne Bestimmungen sind jedoch für die Gerichte unüber­ windbar und unerträglich. D as trifft für den § 61 Ziff. 5 in seinem zweiten F all zu. Ich möchte mich aber zunächst gegen das wenden, was Professor Klee vorgeschlagen hat, auch noch den § 61 Zisf. 6 preis­ zugeben. Dazu besteht meines Erachtens kein Anlaß, denn der Regelfall des § 61 Zifs. 6 ist der zuverlässige Zeuge, dem alle glauben. Dagegen wäre es verfehlt, den zweiten Fall der Ziff. 5, die Nichtbeeidigung wegen Unglaubwürdigkeit der Aussage, aufrechtzu­ erhalten. M it einer Strafdrohung, wie Professor Henkel sie vorgeschlagen hat, können die Gerichte nicht fertig werden; wie soll man den inneren Tatbestand nachweisen? D as ist schlechterdings unmöglich. Nun wird allgemein gesagt, man müsse die un­ wahre Aussage vor Gericht mit Strafe bedrohen. Demgegenüber muß ich, während ich mich sonst auf die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs und des Herrn Ministerialdirektors berusen kann, noch be­ merken: E s geht nicht an zu unterscheiden, ob die unwahre Aussage vor Gericht, vor dem Staatsanw alt oder vor der Polizei gemacht wird. Besonders die Polizei kann man nicht ausschalten, weil sie in Groß­ städten in der Regel tätig wird. Durchaus undurch­ führbar scheint mir auch der Gedanke, den Professor Schaffstein angeregt hat, daß man diese Aussage nach dem inneren Gehalt unterscheidet. Dazu fühlen wir Richter uns nicht fähig. Schließlich aber ist es auch wieder nicht möglich, eine Unterscheidung in der S trafe durchzuführen. Der Meineid läßt sich nicht so hervorheben, daß er immer mit Zuchthaus bestraft wird. W ir haben im geltenden Recht die Ermäßi­ gungsgründe der §§ 157, 158, die im Leben sehr häufig sind. W ir müssen deshalb nach meiner Mei­ nung, so hoch ich den Eid achte, auch eine mildere Bestrafung des Meineids vorsehen. Es wurde gesagt, beim Meineid wird der T äter mit Zuchthaus, in mil­ deren Fällen mit Gefängnis bis zu sechs Monaten, bei der unbeeidigten Aussage wird er mit Gefängnis bis zu sechs Monaten, in schwereren Fällen mit Zuchthaus bestraft. D as ist im Leben dasselbe. Am meisten Eindruck hat hervorgerufen, was die Herren Grau und Ebert ausgeführt haben. S enats­ präsident Grau erklärt, wir erreichen weniger vom Zeugen, wenn wir ihn nicht von vornherein unter eine schwere Strafdrohung stellen; Herr Ebert trägt vor, es ist wider jedes Rechts- und sittliche Empfinden, wenn man jemanden beeidigt, von dem man weiß, er wird einen Meineid leisten. Diese beiden Gründe rühren an einen anderen Fehler der Novelle von 1933, nämlich daß für das Strafverfahren der Nach­ eid zugelassen ist. M an kann zu einer Gleichstellung non Zivil- und Strafverfahren niemals vorschreiten. U n grundsätzlicher Unterschied liegt insofern vor, als

die P artei im Zivilverfahren über den Klagegegen­ stand herrscht, während im Strafverfahren von einer solchen Herrschaft der Beteiligten nicht die Rede sein kann. D araus ergibt sich auch ein Grund, die Ver­ eidigung verschieden zu regeln. Wenn es möglich wäre, noch mehr von der Novelle abzubauen, von dem jetzigen § 59 zum alten § 61 zurückzukehren, so wäre das nach meiner Überzeugung ein Vorzug. Allerdings müssen die Ziffern 5 und 6 dann ganz fallen. Diese Betrachtung des § 61 Zifs. 5 führt mich schließlich noch zu einer Erörterung des Begriffs der Unerheb­ lichkeit. M an mag gegen § 61 Zifs. 5 einwenden, er drücke sich falsch aus, indem er sagt, daß die Mitglieder des Gerichts die Aussage für unerheblich halten. Die Unerheblichkeit beurteilt sich niemals von der Aussage aus, sondern immer von der Frage aus. Allein wenn § 61 Ziff. 5 in diesem ersten Teil unverändert bleibt, so bin ich überzeugt, daß die Rechtsprechung niemals einen anderen Weg einschlagen kann, als daß hier die Aussage über eine unerhebliche Tatsache gemeint ist. Wenn der Zeuge sagt, ich bin überhaupt nicht ernt T atort gewesen, so ist das eine erhebliche Aussage. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Ich bin immer für die Bestrafung der uneidlichen falschen Aussage vor Gericht gewesen. I m Laufe der heutigen Debatte sind mir aber doch gewisse Bedenken aufgekommen. Voraussetzung für die Bestrafung einer falschen uneidlichen Aussage ist doch mit, daß jemand, der nach Ansicht des Gerichts falsch aussagte, deswegen unbeeidigt blieb. Dementsprechend wird seine Aus­ sage auch im Urteil bewertet worden sein. Es wird dann das Strafverfahren wegen der falschen Aussage nachfolgen. Hier wird der Sachverhalt genau erörtert werden, neue Beweiserhebungen sind möglich. E s ist dann durchaus denkbar, daß in diesem neuen Ver­ fahren weder eine Überführung möglich ist, noch sich ein bloßes non liquet ergibt, sondern daß ein F rei­ spruch erfolgt, weil sich die Unschuld des Angeklagten herausstellt. Was soll nun mit dem vorangegangenen Urteil geschehen, das vielleicht ganz oder teilweise auf dieser vermeintlich falschen Aussage ausgebaut ist? Hinsichtlich der anderen Zeugen, die beeidigt worden sind, braucht bei der geschilderten Sachlage noch nicht ohne weiteres auch ein Wiederaufnahmegrund nach § 359 Abs. 1 Nr. 2 S tP O , gegeben zu fehl. Es müßte daher durch Ergänzung der Prozeßordnung eine Wiederaufnahmemöglichkeit auch für diesen Fall ge­ schaffen werden. Wenn aber eine falsche uneidliche Aussage vor Gericht auch künftig straflos bleiben soll, dann müßte zum mindesten § 61 Nr. 5 S tP O , wieder in Wegfall kommen, der die Regel, daß ein Zeuge grundsätzlich zu vereidigen ist, praktisch ins Gegenteil verkehrt hat. Der Eides u n würdige dagegen muß unbedingt für eine falsche Aussage bestraft werden, er darf nicht dafür, daß er schon einmal wegen Meineides bestraft worden ist, das Privileg erhalten, nunmehr ungestraft vor Gericht schwindeln zu dürfen; zumal es nicht selten vorkommt, daß seine Aussage glaubhaft erscheint und beim Gericht auch Glauben findet.

Eine weitere Frage ist dann noch: W ann soll die Strafbarkeit der falschen uneidlichen Aussage be­ ginnen? Es genügt meines Erachtens nicht, die S tra f­ barkeit auf die Aussagen vor Gericht zu beschränken. M an müßte es darauf abstellen, ob die Aussage in dem Stadium des Verfahrens erfolgt, in dem dieses seine Erledigung findet. Es wäre also auch die falsche uneidliche Aussage im Vorverfahren strafbar, wenn dieses mit der Einstellung abschließt. D ann muß aber unter Umständen auch die falsche Aussage vor der Polizei bestraft werden können. Ich hatte mir bereits das Stichwort „Voreid" notiert, bevor Herr Reichsgerichtsrat Niethammer sprach, weil ich dasselbe ausführen wollte wie er. Es würden also auch meines Erachtens viele Schwierig­ keiten behoben werden, wenn wieder der Voreid ein­ geführt würde. Dafür besteht aber wohl keine Aussicht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir haben völlige Handlungsfreiheit, Kollege.

Herr

S taatsrat D r. Graf von der Goltz: Ich bin absolut der Ansicht der Herren S ta a ts­ sekretär und Ministerialdirektor, Präsident Thierack und Reichsgerichtsrat Niethammer, und zwar aus den überzeugenden Gründen der Herren, die ich nicht wie­ derholen möchte. Ich möchte nur hinzufügen, daß es unmöglich ist, zwei Bekräftigungen einzufügen. Man kann nur überlegen, will man die eidliche o d e r die uneidliche Aussage haben, man kann nicht zwei Stufen haben. Die uneidliche Aussage kann man m. E. nicht bestrafen, weil wir es sonst für alle Verfahren tun müßten, und weil dann die Denunziationen wieder­ kommen müßten. Es sollte nach meinem Empfinden sich nur um die Frage handeln, wie man mit der zweiten Möglichkeit des § 61 Ziff. 5 fertig wird, ob ein offenbar Unglaubwürdiger zu bestrafen ist oder nicht. Da bin ich der Ansicht, daß man vor einem unglaubwürdigen Zeugen nicht kapitulieren darf; es handelt sich nur um die Frage, soll er beeidigt werden oder ohne Beeidi­ gung bestraft werden. Ich bin der Überzeugung, man kann erst sehen, ob der Zeuge einen Meineid leistet, wenn er geschworen bat, und man kann ibn deshalb nicht eher bestrafen. Ich glaube auch, die Auffassung weiter Volkskreise svricht für diese Ansicht. Die Zu­ hörer werden es nicht verstehen, wenn man ihm den Eid schenkt. Ich glaube, man muß den Eid auch ab­ nehmen, wenn das Gericht erwartet, daß er falsch schwört. Schließlich möchte ich unterstreichen, was Herr Reichsgerichtsrat Niethammer über den Voreid gesagt hat. Ich glaube, daß man viel sicherer wahre Aussagen bekommt, wenn man die Zeugen vorher vereidigt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn ich S ie recht verstanden habe, Herr Graf, so beruht Ih re Überzeugung darauf, daß S ie sagen, die Bestrafung wäre im letzten Ende nichts anderes als eine Verdachtsstrafe.

Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: S ie geht aber auch davon aus, daß die formale Handlung der Eidesleistung eine ganz besondere Be­ deutung hat. Ministerialdirektor Schäfer: Ich habe einmal unter Verwertung des Ge­ dankens des Herrn Professor Henkel zu formulieren versucht; ich möchte an Abs. 2 des § 175 anschließen: „D as gleiche gilt für den, der von dem Gericht daran'; hingewiesen wird, daß es ihn wegen offenbarer Unglaubwürdigkeit nicht vereidigen werde, und sich auf eine ausdrückliche Frage des Gerichts gleichwohl zur Beeidigung der von ihm gemachten unrichtigen Aus­ sage erbietet". Professor Dr. Nagler: Ich weiß sehr wohl, daß zivilprozessuale Argu­ mente in diesem Kreise zur Zeit nicht hoch im Kurs stehen, muß aber nach der Anregung des Herm Kolle­ gen Schaffstein trotzdem wiederum auf sie zurück­ kommen. Mein Votum vom vergangenen Samstag stützte sich auf die Erfahrungen der schlesischen Praxis. Nun habe ich gestern mit einem prominenten sächsischen Anwalt das Thema durchgesprochen, und auch er be­ stätigte mir, daß auch in Mitteldeutschland die Lügen­ seuche im Zivilprozeß genau so wie früher grassiert. W as die Partei betreffe, so stehe § 138 Abs. 1 ZPO. Ijeute nur auf dem Papier. E r ist also heute mangels einer Strafsanktion nur eine leere Attrappe. W ir alle haben bei seiner Einführung an einen großen F o rt­ schritt im Sinne der Ermittelung der materiellen Wahrheit geglaubt, und wir Professoren setzen auch heute noch § 138 Abs. 1 in der Vorlesung in benga­ lische Beleuchtung; wenn wir aber ganz ehrlich sein wollen, müssen wir gleich hinzufügen, wie es damit — unglücklich genug — in der Praxis steht. Mein Gewährsmann beklagte auch, daß heute nicht nur die. Parteien, sondern auch die Zeugen oft in toller Weise das Gericht anlügen. Der Richter kann wohl ihre Beeidigung vornehmen, er tut es aber n ur ganz aus­ nahmsweise, und das wißen die Leute leider ganz ge­ nau und richten ihre Aussagen demgemäß ein. Da ist leider nichts zu beschönigen. Den Prozeßbetrug halte ich für gar kein Korrektiv. Wann wird einmal wegen Prozeßbetrugs verfolgt? Aus den trostlosen Erfahrungen der P raxis heraus befürwortet auch der sächsische Anwalt unbedingt die Bestrafung jeder un­ eidlichen falschen Aussage, wenn bestimmte Garantien eingehalten werden, d. h. wenn es sich um eine proto­ kollarisch durch den Richter festgehaltene Aussage han­ delt. Der Anwalt wollte sogar die fahrlässig falsche unbeeidigte Aussage bestraft wissen. I m ganzen er­ klärte er § 138 Abs. 1 Z PO . zur Zeit für einen bloßen Lusthieb. Die Gegner der Bestrafung der falschen un­ eidlichen Beweisaussage haben ihre F ront jetzt zurück­ genommen und wollen von der Seite des prozessualen Eidesrechts her Abhilfe schaffen. M it dieser Änderung des Prozeßrechts wird jedoch für die uneidliche P artei­ aussage, auf die ich deshalb allein am Samstag abhob, gar nichts geholfen. Ich halte es daher für eine.Ver-

fchiebung der Diskussionsgrundlage, wenn jetzt vom Prozeß her an das Problem herangegangen wird. Die Frage muß strafrechtlich gelöst werden, wie dies auch der Schweizer Entwurf tut. Ich war von jeher für die Bestrafung der uneidlichen falschen Aussage, und werde nicht aufhören, mich dafür einzusetzen, aber ich weiß sehr wohl, Laß ich jetzt noch nicht durchdringe. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde vorschlagen, jetzt abzubrechen. (Pause von 13.15 Uhr bis 16.25 Uhr.) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Heute vormittag hatte sich noch Herr Kollege Reimer zum Wort gemeldet. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Die Herren Ebert, Grau, Dahm, Schasfstein, Nagler und Lorenz haben für die Bestrafung der un­ eidlichen Aussage bereits derart durchschlagende Gründe angeführt, daß ich es mir ersparen kann, mich hierzu nochmals zu äußern. Daß ich als Praktiker mich dieser Auffassung anschließe, ist selbstverständlich. Allerdings ist insbesondere Herrn Staatsanw altschastsrat Ebert insofern eine Inkonsequenz unter­ laufen, als er die falsche uneidliche Aussage nur be­ strafen will, wenn sie vor G e r i c h t erfolgt. Diese Inkonsequenz hat die Gegenseite sofort dazu benutzt, das ganze Gebäude der Ebertschen Argumentation zum Einsturz zu bringen. Ich muß nun gestehen, daß m. E. gar kein Anlaß vorliegt, dem Vorschlage von Herrn Ebert zu folgen und mit halben Maßnahmen zu operieren. Wenn man die uneidliche Aussage über­ haupt unter Strafe stellen will — und das muß man m. E., weil wir das Strafgesetzbuch am gesunden Volksempfinden ausrichten wollen und wir danach niemandem das Recht zugestehen können, eine Behörde zu belügen — , so kann man die Bestrafung der uneid­ lichen Aussage nicht aus die vor Gericht gemachte be­ schränken, sondern muß auch die falsche Aussage vor der Staatsanwaltschaft und der Polizei unter Strafe stellen. Nun haben Herr Präsident Klee und Herr Graf von der Goltz eingewandt, ein derartiger Vorschlag führe zu einer untragbaren Belastung der S ta a ts­ anwaltschaft, sie würde mit Denunziationen dann ge­ radezu überschüttet werden. D arin sehe ich aber kein stichhaltiges Argument gegen unsere Auffassung. Ob die Staatsanwaltschaft mehr oder weniger zu tun hat, darf doch für die Frage der Beurteilung der S tra f­ würdigkeit einer Handlungsweise nicht von Bedeutung sein. Wenn ich dafür eintrete, auch die falsche Aussage vor der Polizei zu bestrafen, so deshalb, weil vor allem in Großstädten das Schwergewicht der Vor­ ermittlungen vielfach in der Hand der Polizei liegt. Herr Präsident Dr. Thierack hat ja bereits aus die jedem Staatsanw alt bekannte Tatsache hingewiesen, daß die einmal vor der Polizei ausgesprochene Un­ wahrheit sich wie ein roter Faden durch das ganze Verjähren hindurchzieht. W ir müssen also die von

mir in Vorschlag gebrachte Ausdehnung vornehmen, wenn wir das Übel an der Wurzel abschneiden wollen. Ich halte schließlich auch den Einwand von Herrn Ministerialdirektor Schäfer, es sei doch sehr peinlich, mit einem großen und einem kleinen Ehrenwort zu operieren, nicht für stichhaltig. Etw as Derartiges haben wir doch schon im geltenden Recht, wenn wir die Begriffe des großen und kleinen Ehrenwortes aus den Eid und die eidesstattliche Versicherung anwenden. I m übrigen hat Herr Professor Dahm bereits darauf hingewiesen, daß der Meineid einen ganz anderen Charakter hat als die falsche uneidliche Aussage. Ich könnte mir sehr wohl vorstellen, daß der Eid als S o n ­ derdelikt, vielleicht als Religionsdelikt behandelt wird, die falsche uneidliche Aussage dagegen lediglich als Angriff auf die Rechtspflege. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe das Gefühl, daß neue Gedanken nicht mehr produziert werden. E s stehen sich verschiedene Meinungen gegenüber, und ich möchte versuchen, wenigstens das auszuscheiden, worin wohl Einigkeit erzielt worden ist. Ich glaube, es ist die Meinung aller, daß man eine Strafdrohung, etwa wie sie in § 175 enthalten ist, braucht. Dabei ist die Frage kaum mehr zu stellen, ob man die Eidesunfähigkeit als Eidesunwürdigkeit bezeichnen will; der Ausdruck hat anscheinend Anklang gefunden. Dagegen ist noch die Frage offen, wie die S tra f­ drohung lauten soll; nach unserm Vorschlag Zucht­ haus, in leichteren Fällen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. M it dieser Frage hängt die Verkoppelung der Versicherung an Eides S ta tt zusammen. Nun bitte ich einmal davon auszugehen, daß man die Versiche­ rung an Eides S ta tt dem Eide gleichstellen wird. Tut man das, dann könnte man auch eine gemeinsame Strafdrohung aussprechen; sie unter sechs Monate herunterzusetzen, würde ich nicht empfehlen. Die zweite Frage betrifft den Absatz 2: „Wie ein M ein­ eidiger wird bestraft, wer als Eidesunwürdiger ver­ nommen wird und vorsätzlich die Unwahrheit sagt." Schließlich handelt es sich noch um die Frage: Sind die Herren der Meinung, daß man diese Bestimmung in der Fassung des Reserentenentwurss: „Die Strafe des Meineids trifft auch den, der vor einer Behörde die Unwahrheit sagt oder die Wahrheit verschweigt, wenn die Behörde ihn nicht eidlich vernehmen kann, weil er eidesunwürdig ist, und die Behörde ihn darauf hingewiesen hat", daß man diese Vorschrift unter die gleiche Strafe wie den Meineid stellen soll? Herr Professor Dahm, könnten S ie sich damit abfinden? Professor Dr. Dahm: J a . Herr Minister, ich gehe davon aus, daß weiter nichts geschehen soll, daß der Gedanke einer Bestrafung der uneidlichen Aussage abgelehnt ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Aber es ist eine ganz eigentümliche Tatsache, daß man selbst bei so durchleuchtender Anschauung immer nur einen Punkt behandeln kann. Nun erhebt sich die

Frage: Soll dem auch derjenige gleichgestellt werden, dessen Aussage für offenbar unwahr gehalten wird, soll er vom Meineid zurückgehalten werden? D aran schließt di- Frage: Soll überhaupt die falsche Aussage vor Gericht ganz allgemein bestraft werden, und soll auch die falsche Aussage vor anderen Behörden be­ straft werden? Ich persönlich bin kein Freund der Bestrafung der falschen Aussage vor Gericht und vor anderen Behörden. Ich glaube, daß man das auch erreichen kann, indem man das Anwendungsgebiet des Eides erweitert. Dann ist auch noch die Frage des Vor- und Nacheides aufgeworfen worden; ich möchte diese Frage hier von der Kommission aus nicht entscheiden.

Auffassung folgt aber keineswegs zwingend der Vor­ eid. Der Nacheid entspricht mehr unserm inneren Empfinden und praktischen Gesichtspunkten. Der Zeuge weiß auch beim Nacheid, daß er nachher schwören muß, wenn das Gesetz eben die Beeidigung der Aussage als die Regel vorschreibt. Tatsache ist doch, daß die Aussage auch des anständigen Zeugen sich sehr oft erst entwickelt, daß die Aussage zum Schluß ganz anders aussieht als am Anfang. Des­ halb bin ich der Meinung, daß der Nacheid die richtige Form der Vernehmung ist. M an sollte immer erst die Aussage, die fertig gewachsen vorliegt, beeidigen. Dann m u ß man sie aber auch in aller Regel be­ eidigen.

Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Wenn w ir überhaupt eine Einschränkung der Eide haben wollen, so muß es bei dem System des Nach­ eides belassen werden, denn ich kann doch erst dann beurteilen, ob ich dem Mann den Eid abnehmen soll, wenn ich übersehen kann, ob seine Aussage von Be­ deutung ist oder nicht. Zu der Zeit, wo jeder beeidigt werden mußte, d. h. vor dem Gesetz vom 24. Nov. 1933, war das System des Voreides das richtigere.

Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Die Ausführungen von Herrn Staatssekretär Freisler sind durchaus richtig, wenn man sie auf den gutwilligen Zeugen bezieht, sie passen aber nicht bei dem böswilligen Zeugen. Letzterer sagt aber nur richtig aus, wenn er von vornherein unter Druck steht. D as macht ja das Problem so schwierig, weil der Richter nie weiß, mit welcher Art von Leuten er es zu tun hat.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Heute wird aber behauptet, das schwierige Problem des § 61 Ziff. 5 und 6 könne nur bei dem falschen System des Nacheides auftauchen.

Staatssekretär D r. Freisler: Die gutwilligen Zeugen sind aber doch die Mehr­ zahl. Hinzukommen noch die schwankenden, für die meine Auffassung ebenfalls zutreffen dürfte.

Staatssekretär Dr. Freisler: Die Bezugnahme auf § 61 Ziff. 5 und 6 zur Be­ gründung des Voreides ist sicher unrichtig.

Landgerichtsdirektor Leimer: Nach meiner Erfahrung ist der Nacheid besser. E r gibt dem Gericht die Möglichkeit, erst nach der Aus­ sage darüber zu befinden, ob der betreffende Zeuge überhaupt beeidigt werden darf und soll. Das Gericht kann auch bei widersprechenden Aussagen den Zeugen den Widerspruch noch vorhalten. Dadurch wird der Wahrheit mehr gedient; denn wenn der Eid bereits geleistet ist, rücken die Zeugen so leicht nicht mehr von ihrer Aussage ab. M . E. wird die Zahl der Eides­ verletzungen beim Nacheid geringer sein.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Das tut doch keiner. Die Probleme des § 61 Ziff. 5 und 6 tauchen überhaupt erst aus, wenn man den Nacheid hat. Insofern kann man sagen, die Schaffung des Nacheides hat diese beiden Fragen überhaupt erst aufgeworfen. S ta a tsra t Dr. Gras von der Goltz: Wenn man den Eid einschränken will, muß man den Nacheid einführen. Wenn man ihn aber nicht einschränken, sondern in der weiten Form anwenden will, wie wir es für richtig halten, dann bin ich für den Voreid, dann steht der Zeuge von vorn­ herein unter Zwang. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich halte es für falsch, die Frage des Vor­ oder Nacheides nach dem Gesichtspunkt zu entscheiden, welche Schwierigkeiten entstehen könnten. Staatssekretär Dr. Freisler: Eine wirklich unerhebliche Aussage gibt es nur, wenn der Richter gleich bei der Vernehmung feststellt, diesen Zeugen hätten wir gar nicht laden sollen, er hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun. Sonst gibt es echte unerhebliche Aussagen nicht, falls nicht das Gericht einen Fehler gemacht hat. Aus dieser

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as sind die Gründe, die man vor angeführt hat.

IV2

Jahren

Staatssekretär Dr. Freisler: Ich halte es für unmöglich, schon nach 1 V2 Jahren von Erfahrungen mit der Novelle zu sprechen. Der­ artige Erfahrungen kann man in einem so kleinen Zeitraum nicht machen. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Praktische Feststellungen, ob unter dem N a ch e i d jetzt weniger Meineide geleistet werden als früher unter dem Voreid, sind schon deswegen jetzt nach IV2 Jahren kaum möglich, weil das Verhältnis der jetzt geleisteten Eide zu den früheren unter dem V 0 re i d geleisteten ein ganz verschiedenes ist (vielleicht von 1 :10?). I m übrigen bin ich auch der Meinung des Herrn Kollegen Leimer, daß unter dem Nacheid

wohl eher weniger Meineide geschworen werden, weil eine Abänderung der einmal gemachten Aussage leichter erfolgt, wenn der Eid noch bevorsteht, als wenn er bereits abgeleistet ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S o kann man die Frage nicht stellen. Haben Sie den Eindruck, daß beim Nacheid der Zeuge ein unzu­ verlässigeres Beweismittel ist? Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: I m Gegenteil, ich muß Herrn Leimer durchaus recht geben. Ich hatte heute vormittag auch keines­ wegs die Absicht, mich g e g e n den Nacheid auszu­ sprechen. Ich sagte nur, die Probleme, die uns jetzt beschäftigen mästen, wären beim Voreid nicht auf­ getaucht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir haben hier eine Vorschrift, nach der die Ver­ eidigung verboten ist — bei dem nicht Sechzehnjähri­ gen, bei Eidesunfähigen und bei den Beteiligten usw. Dann haben wir einen Paragraphen, nach dem vom Eide abgesehen werden kann bei Personen zwischen 16 und 18 Jahren; ein Strafbedürsnis dafür hat Herr Profestor Klee verneint; ferner kann das Gericht bei dem Verletzten, dem Verlobten und dem Ehegatten usw. von der Beeidigung absehen; wenn solche P er­ sonen unbeeidigt vernommen worden sind und nicht richtig aussagen, besteht dann ein Strafbedürfnis? (Zurufe: Nein!) — Jetzt verzichten Staatsanw alt, Angeklagter und Verteidiger aus Beeidigung; soll man das überhaupt aufrechterhalten? S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: Ich glaube, man soll das aufrechterhalten, es ist beim ausgesprochenen Lappalienprozeß erwünscht. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Den Verzicht auf die Beeidigung aus dem Grunde der Unerheblichkeit sollte man beseitigen. M an könnte ihn höchstens in Sachen von geringerer Bedeutung zulasten. Denn ob eine Aussage unerheblich ist, kann man regelmäßig nicht wissen. Wenn der Zeuge z. B. aussagt, er sei nicht dabei gewesen, so ist doch die Un­ erheblichkeit seiner Aussage überhaupt nicht feststell­ bar, weil man nicht wisten kann, ob seine Angabe, er sei nicht dabei gewesen, gelogen ist. Staatssekretär Dr. Freister: Unsere Diskussion bewegt sich jetzt auf einer falschen Basis. M an kann § 61 Ziff 6 S tP O , nur diskutieren, wenn man gleichzeitig an § 62 denkt. D ort heißt es: ,,Jm Verfahren wegen einer Übertretung und im Privatklageverfahren werden Zeugen nur vereidigt, wenn es das Gericht mit Rücksicht aus die Bedeutung der Aussage oder zur Herbei­ führung einer wahren Aussage für notwendig hält."

Die Frage der Bagatellsache taucht also bei § 61 Ziff. 6 gar nicht aus. W as die Bestimmung selbst be­ trifft, so ist mir der Gedanke, die Parteien verfügten irgendwie über den Gang des Verfahrens, einfach un­ erträglich. Die Ziff. 6 muß unter allen Umständen gestrichen werden. M an sollte einen Verzicht aus die Beeidigung selbst im Zivilprozeß nicht zulasten. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: Die Parteien verfügen doch gar nicht über das Beweismittel. Die Entscheidung liegt doch beim Gericht. Staatssekretär Dr. Frrisler: Doch! Ohne Einwilligung der Parteien ist das Gericht gebunden. Ministerialdirektor Schäfer: Wenn ich von meinen Erfahrungen als Richter ausgehe, möchte ich sagen, daß es doch durchaus die Regel ist, daß man anständige Zeugen hat, die die Wahrheit sagen. Nun ist doch die Frage die: wenn alle Beteiligten darüber einig sind, es ist ein anstän­ diger Mann, dem glauben wir genau so gut, wenn er einen Eid nicht leistet, warum soll man dann unnütz Gott anrufen? D as ist der Gedanke, der zu Ziff. 6 geführt hat. Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn man dem solches Gewicht beimißt und die Ziff. 6 nicht beseitigen will — ich bedauere das; denn alle Prozeßbeteiligten können sich irren, und das schwere grundsätzliche Bedenken der Mitverfügung über ein Beweismittel läßt sich nicht widerlegen — , dann müßte Ziff. 6 jedenfalls eine Einschränkung er­ fahren. Der Verzicht dürfte nur möglich sein, wenn der In h a lt der Aussage bedeutungslos ist. (Zuruf: Und wie soll es sein, wenn der Persön­ lichkeit des Zeugen nach nicht anzunehmen ist, daß er die Unwahrheit sagt?) — Einen solchen Grund darf es nicht geben. Es be­ steht gar kein Grund, den Herrn Regierungsrat an­ ders zu behandeln wie einen sonstigen Volksge­ nossen. Es sollte lediglich abgestellt werden aus die Bedeutungslosigkeit des In h a lts der Aussage. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: M an sollte das Gericht nicht zu sehr bevormunden. Vielleicht kann man darauf abkommen, zur Nicht­ beeidigung einen einstimmigen Beschluß des Gerichts zu verlangen. Staatssekretär D r. Freisler: Dann taucht das Bild des zivilrechtlichen An­ spruchs des Angeklagten auf Beeidigung des Zeugen auf. Was macht es für einen Eindruck, wenn der Angeklagte dem Beschluß des Gerichts widerspricht und damit den Beschluß illusorisch macht! S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: D as Gericht fragt aber doch erst den Angeklagten und beschließt dann.

Staatssekretär Dr. Freister: D as ist richtig. D as Gericht handelt selbstver­ ständlich bester, wenn es erst den Angeklagten sragt. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Nach dem Gesetz muß das auch so sein. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: D as ist aber doch meistens keine freie Entscheidung des Angeklagten. Der Angeklagte merkt doch, daß das Gericht den Zeugen nicht beeidigen will, und er scheut sich dann, nicht auch seinerseits auf die Beeidi­ gung zu verzichten. Deshalb ist auch zu erwägen, ob man in schwerwiegenden Sachen überhaupt einen Verzicht zulasten soll. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich muß jedenfalls am Schluß irgendwie auf eine Gesamtlösung hinauskommen, die den Bezirk der nichteidlichen Vernehmung einengt, um nachher eine Geneigtheit zu schassen, aus die Bestrafung der nichtbeeidigten Aussage zu verzichten. Professor Dr. Henkel: Ich bin entschieden der Auffassung von Herrn Staatssekretär Freister. Zisf. 6 legt doch die Auf­ fassung nahe, als ob es sich bei dem Strafverfahren um ein Parteiverfahren handle. Die Auffassung ist aber ein Grundübel, und wir müssen von dieser Aust sassung wegkommen. W ir brauchen die Ziff. 6 prak­ tisch nicht. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Darüber sind alle einig. Es handelte sich ja bei Einführung der Ziff. 6 nur darum, die Zahl der Eide, einzuschränken. Oberstaatsanwalt Dr. Reimer: Soll man die Frage des Verzichts auf die Ver­ eidigung nicht auf das Interesse des Zeugen abstellen? Ich möchte gerade an das Beispiel von dem Re­ gierungsrat und dem einfachen M ann als Zeugen an­ knüpfen und als tatsächlichen Hergang, über den beide vernommen werden sollen, einen Autounsall an­ nehmen, an dessen strafrechtlichem Ausgang beide nicht das geringste Interesse haben. I n diesem Falle ist es doch ohne weiteres klar, daß bei beiden von einer Beeidigung abzusehen ist. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Natürlich ist der Gedanke ganz richtig. Ich meine, so wie die Dinge liegen, kann man aus Ziff. 6 ganz verzichten.

Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich bitte diese Ziffer aufrechtzuerhalten; wenn sie richtig gebraucht wird, ist sie förderlich. Die Sache trägt sich so zu: I m Vorverfahren bestreitet der An­ geklagte; deshalb braucht man einen Zeugen; nach­ dem dieser in der Hauptverhandlung vernommen ist, gibt der Angeklagte den Sachverhalt glaubhaft zu.

F ür solche Fälle ist der Verzicht nach meiner Meinung durchaus am Platz. Ich glaube, daß die richtige An­ wendung des § 61 Ziff. 6 durch die Rechtsprechung herbeigeführt werden kann. Staatssekretär Dr. Freisler: D as würde doch bedeuten, daß Herr Reichs­ gerichtsrat Niethammer für eine ganz andere Be­ stimmung plädiert als für Zisf. 6. Die Beeidigung soll unterbleiben können, wenn der Angeklagte ein glaubhaftes Geständnis ablegt. D as ist ein völlig anderer Fall, bei dem das Problem der Mitdisposition gar nicht auftauchen kann, und der verhältnismäßig selten ist. I m Grunde laufen die Ausführungen von Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer ebenfalls auf eine Ablehnung der Zisf. 6 hinaus. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: D as ist ein ganz anderer Gedanke, der uns bei der Regelung der Beweiserhebung überhaupt erfüllt. Ministerialdirektor Schäfer: D as ist die Frage, die wir bei der Novelle geprüft haben; das Gericht kann aus einen Beweis verzichten, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon er­ wiesen ist. Reichsjustizminister D r. Gärtner: Es ist ein Verzicht auf Beweiserhebung. Professor Dr. Schasfstein: Ich teile den Optimismus von Herrn Reichsge­ richtsrat Niethammer nicht. E s ist nicht so, daß wir mit der Novelle ein ganz neues Gesetz bekommen hätten. Denn im Zivilprozeß war es bisher schon so. Herr Staatssekretär Freisler hat bereits auf die im Zollverfahren bestehenden Mißstände hingewiesen. Diese Mißstände sind jetzt auf das Strafverfahren ausgedehnt worden. Ich würde also Ziff. 6 ebenfalls streichen. Professor Dr. Mezger: Ich halte § 61 Zisf. 6 S tP O , für unvereinbar mit der kommenden Regelung des Verfahrensrechts. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich würde also vorschlagen, Ziff. 6 zu streichen. Nun kämen wir im Wege des Ausschlußverfahrens zu Ziff. 5. W ir sind immer noch dabei, den Bezirk der eidlichen Vernehmungen so zu erweitern, daß für die uneidliche strafwürdige Aussage nichts mehr übrig­ bleibt. D a glaube ich feststellen zu können, daß die zweite Alternative der Ziff. 5 allgemein abgelehnt worden ist. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wir wollten doch das Schauspiel vermeiden, daß ein Mann, der offensichtlich falsch schwören will, ver­ eidigt wird. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Vielleicht könnten wir, um die Sache vorwärts zu bringen, uns einmal mit der ersten Alternative

beschäftigen: A lle M itg lie d er des Gerichts halten die Aussage für unerheblich und sind der M e inu ng, daß unter E id eine erhebliche Änderung nicht zu er­ w arten ist. Landgerichtspräsident D r . Lorenz: F ü r § 61 N r. 5 erster F a ll S t P O , besteht doch ein gewisses B edürfnis aus der P ra x is heraus: Ic h kann mich zahlreicher F ä lle entsinnen aus der Z e it vor der Novelle vom November 1933, wo sich bei der V er­ nehmung eines Zeugen ergab, daß er als Zeuge über­ haupt nicht in Frag e kommen konnte. W enn diese Zeugen nach § 61 Satz 2 S t P O , alter Fassung zunächst unbeeidigt geblieben waren — das kam sehr oft vor — , da half m an sich dann, um unnötige Eide zu sparen, dam it, daß man — nachträglich! — die V e r­ nehmung des Zeugen als eine bloß informatorische Befragung bezeichnete und einen Verzicht auf diesen Zeugen herbeiführte. D a s ist aber natürlich n u r ein Notbehelf, und es möchte da eine gesetzliche Regelung geschaffen werden. Ic h würde es für die richtige Lösung halten, daß von der Beeidigung abgesehen werden darf, wenn alle M itg lie d e r des Gerichts die Aussage fü r unerheblich halten (w ie § 61 N r. 5 erster F a ll S t P O .). Staatssekretär D r . Freis ter: G anz richtig ist das auch nicht. A us der Begrün­ dung, die H err Präsident Lorenz gegeben hat, folgt, daß man eine andere Regelung wählen muß; man muß nämlich zulassen, daß in gewissem Umfange zu­ nächst einm al eine einleitende informatorische A n­ hörung erfolgt und daß diese nicht zur Vernehmung zu führen braucht. D a n n kann niemand den V o r­ sitzenden zwingen, er kann die Vernehmung ablehnen. D a s scheint m ir die richtige Lösung zu sein. Aber man kann nicht nach dem In h a lt der Aussage erkennen, ob diese erheblich ist oder nicht. D ie Erheblichkeit kann man nur an dem Beweisthema feststellen. Reichsjustizminister D r . G ü rtn er: E s wäre also der Gedanke: V o n der Vereidigung kann also dann nach dem Ermessen des Gerichts ab­ gesehen werden, wenn das Gericht auf das B eweis­ m itte l hat verzichten können. E ine innerlich klare Sache wäre das, wenn ich sage: D a s Gericht kann auf die Zeugen verzichten; dann ist es das M indere, daß es auf den halbvernommenen Zeugen auch ver­ zichten kann. W ürde das hinlänglich deutlich sein, kann man diese Bestimmung streichen? Staatssekretär D r . Freis ter: Ic h würde in der Begründung einen diesbezüg­ lichen Satz aufnehmen. Reichsjustizminister D r . G ü rtn er: Jetzt kommt wieder meine zweite Frage. D a s be­ deutet eine Einschränkung der Eide und eine E rw eite­ rung der uneidlichen Vernehmung. I n diesem Falle w ird aber wohl niemand einen Strafanspruch an­ melden, wenn das Gericht sagt, diesen Zeugen brauche ich nicht.

D a m it kommen w ir jetzt zum letzten Punkt, der offenbaren Unglaubhaftigkeit. D as hängt m it dem zu­ sammen, was H e rr Senatspräsident Klee in die E r ­ innerung gerufen hat, ob m an den M a n n , der un­ glaubwürdig ausgesagt hat, vereidigen und dann ver­ haften soll, oder ob m an ihn fragen soll, ob er sich zum Eide erbietet, und ihn dann verhaften soll. Staatssekretär D r . Freis ter: H ier kann die Entscheidung nt. E. nicht schwer sein, w eil es praktisch nu r einen W eg gibt. Ic h nehme an, daß in einem V erfahren drei Zeugen vernommen werden. D e r erste Zeuge schwört; ihm folgt das G e­ richt. D e r zweite Zeuge schwört ebenfalls, sagt aber etwas anderes als der erste Zeuge; ihm folgt das Gericht nicht. D e r dritte Zeuge w ill schwören, das Gericht versagt aber die Beeidigung. D e r zweite und dritte Zeuge sagen inhaltlich dasselbe. Aus der P e r ­ sönlichkeit des zweiten Zeugen entnimmt das Gericht, daß seine Aussage nicht völlig unglaubwürdig ist; anders beim dritten Zeugen. Gegen beide leitet die Staatsanwaltschaft jetzt ein Verfahren ein, beide w er­ den bestraft. D a s ist erträglich. N un aber ein anderer F a ll: E s werden zunächst nur die beiden ersten Zeugen vernommen, den zweiten läßt das Gericht nicht zum Eid zu, er w ird sofort abgeführt. D a n n stellt die Staatsanwaltschaft einen dritten Zeugen. Dieser bestätigt, was der zweite Zeuge gesagt hat. D a er einen viel glaubhafteren Eindruck macht, w ird er zum E id zugelassen. E r schwört bis zum vorletzten W o rt, dann stellt er plötzlich eine Frag e an den Richter und ändert seine Aussage; er w ird also nicht bestraft. Gegen den zweiten Zeugen aber kommt es zu einem Verfahren. D e r aber w ird sagen: m it welchem Recht habt ih r m ir die Möglichkeit genom­ men, mich noch im letzten M o m ent zu besinnen wie der dritte Zeuge? Könnt ih r mich überhaupt be­ strafen? M a n w ird einwenden, dieser F a ll sei selten. E s soll aber Zuchthaus darauf stehen, und deshalb ist die Seltenheit für mich gleichgültig. Ic h stehe auf dem Standpunkt, daß man niemanden wie einen M e in ­ eidigen behandeln darf, dem m an nicht bis zuletzt die Möglichkeit gegeben hat, von dem M e ineid Abstand zu nehmen. Ich halte es für sittenwidrig, jemandem den Weg zur Rückkehr abzuschneiden, ihn aber trotz­ dem zu bestrafen. M inisterialdirektor Schäfer: Ic h weiß nicht, ob das, w as der H err S ta a ts ­ sekretär ausgeführt hat, vielleicht doch nicht etwas überspitzt ist. Vielleicht könnten w ir materiellrechtlich eine ganz einfache Lösung finden. Ic h gehe von dem Ebertschen Beispiel aus. W enn der F a ll so liegt, daß das Gericht einstimmig der M einu ng ist, der M a n n ist im B eg riff, einen M eineid zu leisten, dann wider­ spricht es doch der Auffassung vieler Kreise, ihn den E id ablegen zu lassen. H err Ebert w ill den M a n n nicht beeidigen, aber für diesen F a ll eine Strafbestim ­ mung vorsehen. Ic h meine, diese Strafbestimmung haben w ir, ohne daß w ir irgend etwas zu sagen brauchen. E r ist schon des versuchten M eineides oder einer Vorbereitungshandlung schuldig. W ir sind ge-

tobe über die Strafe des Versuchs hinausgegangen und haben auch schon das Sicherbieten zu einem Ver­ brechen für strafbar erklärt. Wenn er sich also erbietet, einen Meineid zu leisten, dann greift ohne weiteres § 364 Abs. 2 Platz. Nun sagen Sie, Herr S ta a ts­ sekretär, ich nehme dem M ann hier die Möglichkeit, sich im letzten Augenblick zu besinnen. Diese Möglich­ keit haben w ir bei den Meineidsdelikten vorgesehen, weil wir doch die tätige Reue nach vollendeter T at anerkennen. Ich möchte glauben, daß wir mit einer kleinen Änderung § 179 darauf anwendbar machen können. Staatssekretär Dr. Freisler: D as ist aber doch kein Sicherbieten, so wie wir es gemeint haben. Ministerialdirektor Schäfer: M it dieser Schwierigkeit mästen wir überhaupt fertig werden. Die größte Schwierigkeit in diesem Abschnitt ist das Problem der tätigen Reue. Wann soll eine Aussage als abgeschlossen gelten? S oll der Zeuge straffrei sein, wenn er nochmals vorgerufen wird und dann die Wahrheit sagt, wenn er erst in einer zweiten Hauptverhandlung nach einer Ver­ tagung die Wahrheit sagt, oder wenn er gar erst im zweiten Rechtszug seine falsche Aussage widerruft? Dieses Problem ist kriminalpolitisch sehr wichtig. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte auch der Meinung sein, daß das Sich­ erbieten des § 364 hier nicht zutrifft. Aber man könnte diesen Gedanken — und da kommen w ir wieder auf die österreichische Idee — vielleicht etwas abge­ wandelt verwenden, wenn man schon dem Ebertschen F all Rechnung tragen und verhindern will, daß der als Lügner Erkannte noch einen Eid leisten soll. M an könnte diesem Anerbieten den Fall parallel stellen, daß der Vorsitzende den Zeugen gefragt hat, ob er schwören will, und dieser die Frage bejaht. Senatspräsident Grau: W ir bestrafen jetzt nach § 175 Abs. 2 des Entwurfs den Eidesunfähigen, der die Unwahrheit sagt, ohne daß er unter Eideszwang steht; denn wir sagen, dieser Person glauben wir nicht mehr und nicht weniger, ob er einen Eid geleistet hat oder nicht. Ich vermag nicht einzusehen, warum wir den Mann, der zwar noch nicht rechtskräftig als-Lügner festgestellt worden ist, von dem aber das Gericht die -Überzeugung hat, daß er ein solcher ist, anders behandeln sollen. Wenn w ir verlangen, daß der Zeuge auf die Strafdrohung hingewiesen wird, und wenn wir weiter ihn befragen lassen wollen, ob er seine Aussage zu beschwören be­ reit ist, dann können w ir ihn ebenso wie den Zeugen behandeln, der wegen Eidesverletzung bereits ver­ urteilt worden ist. Es ist ein unwürdiges Schauspiel, wenn eine offensichtliche Lüge vor Gericht mit einem Eid bekräftigt wird. M an kann an § 175 Abs. 2 etwa einen Satz anschließen: „D as gleiche gilt für den, der vom Gericht daraus hingewiesen, daß es ihn wegen offenbarer Unglaubwürdigkeit nicht beeidigen werde, bei seiner gemachten unrichtigen Aussage verharrt und

sich bereit erklärt, diese zu beschwören." Von einer Verdachtsstrafe kann hier keine Rede sein; denn im Ermittlungsverfahren wird ja erst festgestellt, oh er tatsächlich die Unwahrheit gesagt hat. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: Ich möchte mich den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs anschließen, und zwar aus Erfahrun­ gen der Praxis heraus. Die Fälle kommen doch nicht ganz selten vor, daß der Zeuge im letzten Augenblick v o r der Eidesleistung noch schwankend wird und seine bisherige falsche Aussage noch ändert. Die vorgesehene Strafe ( — Meineidsstrafe) ist eine reine V e r ­ d a c h t s strafe, da man nie weiß, ob der Zeuge, der hofft, es werde nicht zum Schwur kommen, nicht doch noch im letzten Augenblick umfallen würde. Seine Bereitwilligkeit zu schwören ist sehr cum grano salis zu verstehen. Sehr oft besteht diese Bereitwillig­ keit nur mit der Hoffnung, daß nicht geschworen zu werden brauche, und auch solange nur, als der Schwur nicht schließlich doch verlangt wird. Erst die letzte und endgültige Aufforderung zum Schwur zeigt, ob die Bereitwilligkeit, Falsches zu beschwören, tatsäch­ lich besteht. § 61 Nr. 5 zweiter Fall S tP O , muß daher gestrichen werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich darf darauf hinweisen, daß derjenige, der diese Regelung wünscht, daß das Sicherbieten zum Eide besondere Bestrafung nach sich ziehen soll, nicht § 61 Zisf. 5 beibehalten kann. Professor Dr. Dahm: Ein Sicherbieten kommt hier doch zweifellos nicht in Betracht. I m übrigen muß ich mich dagegen wehren, daß es sich hier um eine Verdachtsstrase han­ delt. E s handelt sich um eine Strafe für die Lüge. Und diese Strafe muß abgestuft werden, je nachdem, ob die Lüge beeidigt wird oder nicht. Ich bin nicht für eine völlige Gleichstellung der uneidlichen falschen Aussage mit dem Meineid. F ü r die erstere befürworte ich eine mildere Strafe. Staatssekretär Dr. Freisler: Eine mildere Strafe, obwohl der verbrecherische Wille viel größer ist. Professor Dr. Dahm: Der verbrecherische Wille ist schwächer, denn es wird nicht geschworen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der Gedanke, daß der M ann noch zurückschrecken kann, trifft in der T at auch aus den Versuch zu. Wenn jemand angefangen hat zu schwören, wäre die Mög­ lichkeit gegeben, daß er freiwillig zurücktritt. M . E. ist sogar die Handlung eines M annes, der trotz allen Vorhalts im Begriff ist zu schwören, ein Beginn. Will man einen Beginn nicht annehmen, so muß man einen Tatbestand schaffen, der sich an das öster­ reichische Recht anschließt. Daß hier in einem anderen, sich nicht gegen den 3eimen richtenden Verfahren fest­ gestellt wird, daß der M ann etwas Unwahres gesagt

l)at, stört mich gar nicht. E s

ist doch etwas Alltägliches, daß ein Zeuge verhaftet wird, weil er nach Ansicht des Gerichts einen Meineid geleistet hat. W ir müssen dem Gericht die Möglichkeit geben, von der Beeidi­ gung abzusehen. E s wäre ein Hohn aus den Eid, wenn wir hier die Hand bieten, daß der Meineid ge­ leistet wird. I n die Strafprozeßordnung muß aller­ dings eine Bestimmung hinein, daß das Gericht ein­ stimmig der Ansicht sein muß, daß der M ann bewußt die Unwahrheit sagt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine Zwischensrage: Herr Professor Dahm hat der Auffassung Ausdruck gegeben, der Strafrahmen müßte gegenüber dem Meineid abgesetzt sein, und zwar nach unten. Senatspräsident Professor Dr. Klee: D as würde ich nicht mitmachen, denn auch der Eidesunwürdige wird ja nicht milder bestraft. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der M ann geht mit dem Vorsatz hin zu lügen und sagt das auch ganz offen, das Gericht beeidigt ihn. nicht, dann kann ihm nicht soviel passieren, als wenn er geschworen hätte. Professor D r. Schassstein: Ich glaube, dies Beispiel würde genau so zu be­ handeln sein, wenn er von vornherein die Aussage verweigerte. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D a kann ich nicht ganz mitkommen. Die Aus­ sageverweigerung ist die Verletzung einer allgemeinen Bürgerpflicht, die vielleicht aus ganz ehrenwerten Gründen erfolgen kann. Der andere sagt aber, ich schütze mich vor dem Eid durch eine Lüge, die so ist, daß sie keinem entgehen kann. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ein Teil von dem, was ich sagen wollte, hat Herr Senatspräsident Klee schon gesagt. Die Hauptfrage ist die, ob wir das Gericht aus dem Dilemma heraus­ bringen können, einen Zeugen, der offensichtlich lügt, vereidigen zu müssen. Herr Senatspräsident Klee hat sich aus den Standpunkt gestellt, man dürfe die Be­ eidigung hier unter keinen Umständen zulassen; er hat deshalb einen neuen Tatbestand nach öster­ reichischem Vorbild vorgeschlagen. Herr Professor Dahm will im Grunde das gleiche, er will nur für den Meineid die strengere Strafe, er muß dies tun, weil er den Meineid als eine Art Religionsdelikt an­ sieht. I n der Sache ist das aber kein wesentlicher Unterschied. Bon dem Blickpunkt aus, daß es sich hier bei diesem Abschnitt um Angriffe aus die Rechtspflege handelt, ist es aber unmöglich, verschiedene S traf­ rahmen aufzurichten. Der M ann, der die Lüge nicht beeidigt, begeht von diesem Blickpunkt aus keinesfalls ein Minus. Wenn es aber nicht möglich ist, einen Unterschied im Strafrahm en zu machen, so ist auch ein neuer Tatbestand sinnlos. Gleicher Strafrahmen

ist also die zwingende Folgerung des Ausgangs­ punktes. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M ir geht immer folgendes Bild durch den Kops: Der Richter sieht den Zeugen vor sich, von dem er überzeugt ist, daß er einen Meineid leisten will. Ich könnte mir schon vorstellen, daß man dem M ann sagt, wenn S ie jetzt bereit sind zu beschwören, dann ist das so viel, als wenn Sie geschworen haben. D as paßt aber natürlich nicht in die Dahmsche Konstruktion hinein. S ta a tsra t D r. Gras von der Goltz: D as gesunde Volksempsinden würde das auch nicht verstehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Sicherlich nicht. Professor D r. Henkel: D as Wort Berdachtsstrase verstehe ich in diesem Zusammenhange nicht. Der Zeuge wird doch nur bestraft, wenn später festgestellt wird, daß er die Un­ wahrheit gesagt hat. Ich stelle im übrigen fest, daß sehr viele Meinun­ gen für die Bestrafung der uneidlichen falschen Aus­ sage in der bezeichneten Beschränkung geltend gemacht worden sind. D as halte ich für allein wesentlich, und darauf, ob der Täter w ie ein Meineidiger bestraft werden soll, wenn er das Gericht anlügt, lege ich nicht den entscheidenden Wert. Es kommt zunächst einmal darauf an, daß eine Strafvorschrift geschaffen wird. Professor Dr. Mezger: Ich verkenne nicht, daß es eine sehr unerfreuliche Situation ist, wenn jemand zu vereidigen ist, obwohl alle Beteiligten den Eindruck haben, daß er die Un­ wahrheit sagt. Aber ich kann mich des Eindrucks dock nicht erwehren, daß Ziff. 5 ein Zurückschrecken vor der eigenen Verantwortung für die Institution des Eides ist. Die Verantwortung liegt beim Schwörenden. Ich wäre daher für Streichung der Zifs. 5; dann ist die Bestrafung einer nicht beeidigten Aussage aus diesem Grunde nicht notwendig. Staatssekretär Dr. Freisler: Nur noch ein kurzes Wort zur Verdachtsstrafe. Ich habe mich hier etwas mißverständlich ausgedrückt. Ich meine natürlich nicht, daß hier wegen Verdachtes der Lüge bestraft wird, sondern wegen Verdachtes des Meineids. I m übrigen können die Gegner die Unmöglichkeit ihres Vorschlags nicht besser dartun, als durch das Zugeständnis von Herrn Professor Dahm, daß der bloße Lügner milder bestraft werden soll als der Meineidige. Wenn man dieses Zugeständnis macht, dann kann man meiner Schlußfolgerung nicht wider­ sprechen, daß durch eine solche Regelung der Zynismus privilegiert wird.

Professor Dr. Dahm: M an kann diesen Kamps nicht mit den M itteln eines nur rationalen Denkens austragen. E s fragt sich, wie das Wesen des Eides zu deuten ist. F ü r mich steht fest, daß ein Lump nicht zum Eid zugelassen werden darf, und daß derjenige, der lügt, ohne einen Eid geleistet zu haben, sich nicht in demselben Maße ins Unrecht setzt wie derjenige, der falsch geschworen hat. Deshalb empfinde ich die Unterscheidung im Strafm aß nicht als eine Kapitulation, sondern als eine notwendige Folgerung aus der Heiligkeit des Eides. Reichsjustizminister D r. Gürtner: D ann würde ich bitten, jetzt zu sagen, ob S ie den Schwurunsähigen mit der Meineidsstrase treffen wollen. Professor Dr. Dahm: Nein. Staatssekretär Dr. Freisler: D ann bekommt doch derjenige, der schon einmal wegen Meineides verurteilt ist, das Privileg, künftig billiger zu lügen. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: W ir können der Magie des Eides die Magie des S taates gegenüberstellen; es ist ebenso unanständig, wenn man den S ta a t belügt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Schwurunsähige ist doch von vornherein als unglaubwürdiger M ann abgestempelt, und das Ge­ richt muß besondere Gründe haben, um ihm zu glauben. Aber ich bin wenigstens glücklich, daß die beider­ seitigen Auffassungen letzt konsequent durchkonstruiert sind. Die Ausfassung Dahm und Genossen muß darauf abkommen, für den Schwurunsähigen, der, ohne ver­ eidigt werden zu können, die Unwahrheit sagt, und für den, der nach der übereinstimmenden Auffassung des Gerichts die Unwahrheit so gesagt hat, daß das Gericht überzeugt ist, er werde auch einen Meineid leisten, die Meineidsstrafe und daneben zwei Lügen­ strafen vorzusehen und für diese beiden einen niederen Strafrahm en als für den Meineid zu postulieren. Professor Dr. Dahm: Ich darf vielleicht auf eine Parallele Hinweisen. W ir haben uns beim Landesverrat darüber unter­ halten, wie der Deutsche zu beurteilen sei, dem die Staatsangehörigkeit wegen eines früheren V errats aberkannt worden ist, und der wiederum straffällig wird. Auch hier ist die Frage: können w ir diesen M ann besser behandeln, obwohl er oder meinetwegen weil er früher einen V errat begangen hat? W ir haben uns damit abgefunden. Ministerialdirektor Schäfer: W ir entbinden doch den Eidesunfähigen nicht von der Wahrheitspflicht.

Staatssekretär D r. Freisler: Der Verräter ist aus dem Volke ausgeschlossen und deshalb kein Deutscher, er kann daher dieses Untreuedelikt nicht begehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Eine Parallele liegt schon vor, der andere ist aus der Reihe der Eidesfähigen ausgeschlossen worden. Staatssekretär D r. Freisler: E r hat aber trotzdem die Wahrheitspflicht, während der Verräter nicht mehr die Treuepslicht hat. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Auch die Eidespflicht wurde heute einmal als eine Treuepflicht bezeichnet; diese Pflicht haben wir ihm aberkannt. Ich würde folgenden Vorschlag machen: W ir müßten einmal zwei Ausstellungen machen und beide Auffassungen wiedergeben: 1. I n der Strafprozeßordnung bleibt der Nacheid erhalten. I m § 61 fallen Ziffer 5 und 6 weg. I m materiellen Recht bleibt die Meineidsstrafe wie sie ist, Abs. 2 des § 175 fällt weg, sonst bleibt § 175. F ü r den Schwurunsähigen müssen w ir dann einen besonderen Paragraphen machen. 2. Die Ausstellung, die die andere Meinung betrifft, muß so lauten: Der Nacheid bleibt erhalten, § 61 Ziff. 6 fällt fort. Ziff. 5 würde etwa lauten: „wenn alle Mitglieder des Gerichts die Aussage für bewußt unwahr halten". I m materiellen Recht würde die Meineidsstrafe bleiben wie sie ist, und dazu kann in einem besonderen Paragraphen enthalten sein: 1. der jetzige Abs. 2, aber nicht mit den Worten „wie ein Meineidiger wird bestraft", und Strafrahm en wäre Gefängnis nicht unter drei Monaten; 2. der 2. Absatz würde nach dem österreichischen Rezept lauten, und der S tra f­ rahmen müßte Gefängnis nicht unter drei Monaten sein. D as würde ich bitten, einmal in Gesetzessprache zu bringen. Staatssekretär D r. Freisler: Es ist die Frage noch nicht entschieden, wie sich diese zweite Auffassung mit demselben Problem bei der falschen eidesstattlichen Versicherung abfinden will. Wie sie das fertig bringt, ist mir vorläufig ein vollkommenes Rätsel. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe gar nicht die Auffassung, daß Eid und eidesstattliche Versicherung gleichzusetzen wären. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: I n § 175 wird vielleicht zweckmäßig das subjektive Moment noch besser hervorgehoben, indem man sagt, wer b e w u ß t die Unwahrheit sagt. Ministerialdirektor Schäfer: Es soll aber doch der dolus eventualis genügen.

LandgerichtsprLstdent D r. Lorenz: M ein Vorschlag entspricht nur dem geltenden Recht. E s heißt dort: wer w i s s e n t l i c h falsch schwört. Ministerialdirektor Schäfer: Eine solche Fassung ist aber jetzt nicht mehr mög­ lich, weil nach unserer Definition im Allgemeinen T eil der Begriff „wissentlich" den dolus eventualis nicht umfaßt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, die Fortsetzung der sachlichen Debatte würde zu nichts weiter führen; infolgedessen scheint es m ir wichtig zu sein, diesen Aufbau nach diesen Gesichtspunkten erst einmal herzustellen. Nun würde ich vorschlagen, mit frischem M ut an die falsche Versicherung an Eides S ta tt heranzugehen. Bei der Versicherung an Eides S ta tt waren die letzten Gedanken diese: M an müsse sie dem Eid gleichstellen, dafür aber ihre Form etwas solenner gestalten. Wer von den Herren wünscht dazu das Wort? Professor Dr. Henkel: D arf ich noch auf einen unerledigten Punkt hin­ weisen? Meines Erachtens wäre noch zu prüfen, ob nicht das Anwendungsgebiet des § 175 auf Eides­ leistungen vor deutschen Gerichten beschränkt werden soll. Nach geltendem Recht wird auch der Meineid vor einem ausländischen Gericht mit der S trafe der §§ 153, 154 S tG B , belegt. S o hat einmal das Reichsgericht sogar einen Deutschen für strafbar erklärt, der vor einem belgischen Kriegsgericht einen Meineid geleistet hatte, obwohl die T at nach bel­ gischem Recht nicht strafbar war. Ich halte das für eine Überspannung des Strafschutzes. M an sollte mit der Meineidsstrase nur den treffen, der vor einem deutschen Gerichte bzw. einer sonstigen deutschen Be­ hörde falsch aussagt, ferner den, der vor einer solchen ausländischen Behörde falsch aussagt, die den deutschen Behörden Rechtshilfe leistet. Die sonstige falsche Aus­ sage vor ausländischen Gerichten bzw. sonstigen Be­ hörden würde ich unter eine besondere Strafdrohung (außerhalb des § 175!) nehmen. Die Meineidsstrafe ist hier nicht angebracht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn nun die T at nach belgischem Recht strafbar wäre, wollen S ie dann auch straffrei lassen? Professor Dr. Henkel: Nein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D ann muß ich Sie, Herr Professor Dahm, auf den P la n berufen. Professor D r. Dahm: Ich halte die Auffassung des Herrn Henkel nicht für richtig.

Professor Dr. Graf Gleispach: I n § 353 Zifs. 5 wird nach unseren Beschlüssen der Ausländer bestraft, der einen Meineid im Aus­ lande in einem Verfahren geleistet hat, das bei einer deutschen Behörde anhängig ist. M an kann doch dann umgekehrt bei einem Deutschen nicht von S trafe ab­ sehen, wenn er z. B. vor einer englischen Behörde einen Meineid leistet. Professor Dr. Schaffftein: Die Bedenken von Herrn Professor Henkel scheinen mir doch nicht ganz unberechtigt zu sein. I m Beispiel des belgischen Kriegsgerichts zeigten sich doch recht unerfreuliche Konsequenzen. Ich glaube, wir werden unserem Grundsatz untreu, wenn wir den Meineid vor ausländischen Gerichten schlechthin bestrafen. W ir lassen ja auch die privat geleisteten Meineide straffrei. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn wir diese Beschränkung wollen, so müssen wir das ausdrücklich im Gesetzestext sagen. Denn in dem Allgemeinen Teil über die persönliche Geltung der Strafgesetze steht etwas anderes. Ich glaube auch, daß sich die Straffreiheit des Meineids vor auslän­ dischen Gerichten schlecht mit dem damals einge­ nommenen Standpunkt vereinbaren läßt. Die Frage ist auch praktisch äußerst schwierig. Daß w ir einen Meineid vor einem ausländischen Ge­ richt, das im Wege der Rechtshilfe für uns tätig wird, nicht unbeachtet lassen können, ist selbstverständlich. Es gibt da übrigens auch zwei Systeme. Bald findet die Beeidigung vor dem deutschen Konsul, bald vor dem ausländischen Gericht statt. Beide Fälle müssen selbstverständlich gleichbehandelt werden. Senatspräsident Professor D r. Klee: Hier wird aber doch deshalb bestraft, weil der Meineid im Rahmen eines deutschen Verfahrens ge­ leistet wird. Praktisch ist nur der Fall, daß ein Deutscher in England vor einem englischen Gericht und in einem englischen Verfahren einen Meineid leistet. Professor Dr. Graf Gleispach: Unser Grundsatz des Personalprinzips ist hier durch die Fassung beirrt. Der Gedanke ist: D u darfst überhaupt nicht falsch schwören. Ich möchte als Bei­ spiel anführen: Jem and macht in Marienbad eine Badekur und wird zufällig Zeuge einer strafbaren Handlung; soll er dort einen Meineid schwören dürfen, weil das Gericht ein tschechoslowakisches ist? D a s kommt mir unmöglich vor. Professor Dr. Dahm: Ich bin derselben Meinung. Senatspräsident Professor Dr. Klee: W ir bestrafen doch schon einen Deutschen, der int Auslande eine Handlung begeht, die nach auslän­ dischem Recht gar nicht strafbar ist, wenn die Hand­ lung nach unserer Auffassung strafwürdig ist. Nun.

kann allerdings die Frage entstehen, ob die deutsche Rechtsordnung ein Interesse daran hat, daß auch die ausländische Rechtspflege geschützt wird. E s kommt daraus an, ob wir das sakrale Moment berücksichtigen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich halte es für unmöglich, daß wir hier aus­ sprechen: der Deutsche kann vor einem fremden Gericht einen Meineid leisten. Eine Frage an die Herren Verfasser: Halten Sie es für notwendig, daß wir hier überhaupt etwas sagen? Ministerialdirektor Schäfer: W ir sind davon ausgegangen, daß es sich um die Schädigung der deutschen Rechtspflege handelt. Es kommen nur Eide in Betracht, die vor einem deutschen Gericht oder einer gleichgestellten Behörde geleistet sind, oder der Eid, der im Ausland für ein deutsches Verfahren geleistet ist. Bei diesem Eid war Voraus­ setzung, daß die Behörde im Ausland für die Abnahme von Eiden zuständig war. Nach meiner Erinnerung haben wir den Fall nicht treffen wollen, daß ein Deutscher im Ausland in einem ausländischen Ver­ fahren einen Meineid leistet. Professor Dr. Kohlrausch: Nach geltendem Recht ist es strafbar; meines Wissens ist nur Gerland anderer Meinung. Ministerialdirektor Schäfer: D as ist eine recht zweifelhafte Frage.

halten, vor welchen Stellen wir Eide zulassen wollen. Diese Kontrolle geben wir aus der Hand, wenn wir sagen, jeder Eid, der im Ausland vor einer auslän­ dischen Behörde nach ausländischem Recht geleistet wird, wird wie ein Eid vor einem deutschen Gericht betrachtet. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wenn im Ausland der Eid anders behandelt wird, dann treffen die Strafgesetze des Reichs nicht zu. Professor D r. Graf Gleispach: Ich würde nicht jeden Eid, der vor irgendeiner ausländischen Behörde geleistet ist, dem Eid vor einem deutschen Gericht gleichstellen. Aber man sollte doch die Strafbarkeit des Meineides aus die Eide vor aus­ ländischen Gerichten ausdehnen. Professor D r. Schasfftem: Ich glaube, man könnte verhältnismäßig einfach zu einer Lösung kommen, wenn man diejenigen Fälle noch ausscheidet, in denen es unserem Rechtsempfinden widerspricht, den Eid vor dem ausländischen Gericht zu bestrafen. D as sind vor allem die politischen Fälle, etwa der Eid, der, um einen unschuldigen deutschen Angeklagten zu retten, vor einem fremden Kriegs­ gericht geleistet wird. Wenn man solche Falle aus­ nehmen würde, bestünde kein Bedenken, auch Eide vor ausländischen Gerichten zu bestrafen. Eine ein­ schränkende Formulierung würde sich leicht finden lassen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin der Meinung, wenn wir das nicht wollen, müssen wir es in der allgemeinen Bestimmung zum Ausdruck bringen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as würde ich allerdings in keinem Gesetz formulieren.

Professor Dr. Henkel: D as würde ich für angebracht halten. M an braucht doch nur an Länder zu denken, in denen die Rechtspflege als M ittel zur Bekämpfung des Deutsch­ tums eingesetzt wird. Bei dieser Lage besteht kein Grund, unwahre Aussagen vor ausländischen Gerich­ ten allgemein mit der schweren Meineidsstrafe zu bedrohen. M an kann hierfür eine besondere S trafvorschrist schaffen und sie in Zusammenhang mit § 180 Entw. bringen.

W ir sind bisher in der Abteilung von folgender Auffassung ausgegangen: 1. Wer in Deutschland vor Gericht oder einer sonstigen Behörde, auch wenn es sich um ein ausländisches Verfahren handelt, einen Meineid leistet, ist strafbar. 2. Wenn innerhalb Deutschlands vor einer aus­ ländischen Behörde, die nach deutschem Recht für ihren Heimatstaat Eide abnehmen darf, ein falscher Eid geleistet wird, so ist dies ebenfalls strafbar. 3. Wenn auf unser Ersuchen vor einer ausländischen Behörde in einem deutschen Verfahren ein Mein­ eid geleistet wird, ist der Täter ebenfalls strafbar (nach besonderer Bestimmung im Allgemeinen Teil). 4. N ic h t strafbar ist folgender Fall: E in Deutscher leistet im Ausland vor einem ausländischen Ge­ richt in einem ausländischen Verfahren einen Meineid.

Ministerialdirektor Schäfer: Unser § 180 Abs. 2 geht davon aus, daß nur bei ganz bestimmten Stellen Eide zugelassen werden sollen. Damit halten wir uns ganz die Kontrolle offen, wie weit wir das Anwendungsgebiet unseres Eidesabschnittes ausdehnen wollen. I m ausländischen Recht können Eide vor der Staatsanwaltschaft oder der Polizei zulässig sein, die Belehrung braucht auch nicht vorgeschrieben zu sein; welches Recht wollen wir dann anwenden? W ir haben auch gehört, daß im ausländischen Recht ganz andere Prinzipien für die Behandlung von Eidesdelikten gelten. Aber mir scheint insbesondere wesentlich zu sein, daß wir uns doch selbst im § 180 Abs. 2 ganz die Kontrolle vorbe­

Ministerialdirigent Dr. Schäfer:

Ministerialdirektor Schäfer: Ich will einmal darauf hinweisen, daß es im aus­ ländischen Recht vielleicht kein Zeugnisverweigerungs-

recht des Ehegatten gibt oder daß keine BelehrungsPflicht besteht. Alle diese Fälle sind nicht so ohne weiteres übertragbar. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin der Auffassung, diese Frage muß erst von den Herren Spezialbearbeitern ein wenig mehr vor­ bearbeitet werden. Professor D r. Henkel: Darf ich mir zu § 175 noch eine Bemerkung erlauben? E s heißt hier: „Wer die Unwahrheit sagt oder die Wahrheit verschweigt. . . " . Diese Worte sind einer zweifachen Ausdeutung zugänglich. Nach gel­ tendem Recht wird überwiegend die objektive Auf­ fassung vertreten, daß es bei der Frage der Wahrheit oder Unwahrheit der Aussage auf einen Vergleich des Eidesinhaltes mit der Wirklichkeit ankomme. Danach begeht nicht einen Meineid, wer etwas objektiv Richtiges in der Meinung aussagt, es sei falsch. Es wird hier die Lösung vertreten, es handele sich in diesem Falle um einen versuchten Meineid. Aber diese Lösung ist doch recht wenig glücklich. Nun scheint es mir zwingend, daß nach der grundsätzlichen Richtung unseres Strafrechts nur die bisher sogenannte subjek­ tive Ausfassung in Frage kommt, wonach die Über­ zeugung des Aussagenden entscheidet. F ü r die Frage der Wahrheit bzw. Unwahrheit der Aussage kommt es auf einen Vergleich des Eidesinhalts mit dem Wissen bzw. der Überzeugung des Aussagenden an. Wegen Meineides ist nach dieser sogenannten subjek­ tiven Ausfassung strafbar, wer etwas vermeintlich Unrichtiges, in Wirklichkeit objektiv Richtiges aussagt. Dies entspricht den Grundsätzen des Willensstrasrechtes. I m übrigen stört es mich, daß der Entwurf die leichtfertige falsche Aussage unter § 175 beim

Meineid regelt. S ie ist nicht M eintat; die Ein­ fügung in § 175 schwächt die Wirkung des Vorher­ gehenden erheblich ab. Reichsjustizminister D r. Gürtner: I h r Vorschlag wäre dann ein besonderer P a ra ­ graph, der keinen anderen Wortlaut zu haben braucht. Professor D r. Dahm: N ur noch ein kurzes W ort zu der ersten Anregung, die Herr Professor Henkel gegeben hat. Der Unter­ schied hat durch unsere neue Versuchsregelung an Be­ deutung verloren. Es kann aber auch gar keinem Zweifel unterliegen, daß die heute schon vom Reichs­ gericht vertretene subjektive Auffassung richtig ist. Nachdem sich jetzt das Willensstrafrecht durchgesetzt hat, dürste für das Reichsgericht nicht der mindeste Anlaß bestehen, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Herr Reichsgerichtsrat Niethammer, glauben Sie, daß insoweit aus der Fassung des Entwurfs Schwierig­ keiten entstehen können? Reichsgerichtsrat Niethammer: Nicht die geringsten. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wie beurteilen S ie folgenden Fall: E s sagt jemand objektiv die Wahrheit, glaubt aber einen Meineid zu leisten. Reichsgerichtsrat Niethammer: D as ist vollendeter Meineid. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Dann würde ich bitten, die Debatte abzubrechen.

(Schluß der Sitzung 19 Uhr 15 Minuten.)

Strafrechtskomnüsfion

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bitte, noch einmal die drei Fälle zu nennen, die nach der gegenwärtigen Fassung des Entwurfs bei Meineid strafbar sind. Ministerialdirigent Dr. Schäfer:

83. Sitzung 2. Juli 1935 (Hahnenklee) Zweite Lesung Inhalt Eidesverletzung (Fortsetzung der A ussprache) Reichsjustizminister Dr. Gürtner 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer 1, 2, 7, 9, 11 Reichsgerichtsrat Nietham m er.........................................1, 6, 10 Professor Dr. Henkel............................................................ 2, 5, 9 Professor Dr. Schaffstein........................................................2, 12 Landgerichtsdirektor Leim er...........................................................2 Staatsrat Dr. Graf von der Goltz.........2, 4, 10, 11, 12, 13 Ministerialdirektor Schäfer.......................... 2, 3, 5, 7, 8, 9, 10 Senatspräsident Professor Dr. Klee . . . 3 , 4, 7, 9, 10, 13, 14 Professor Dr. D ahm ........................................................3, 7, 8, 9 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr.Thierack.......... 3, 10, 13 Professor Dr. Kohlrausch.....4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11 Professor Dr. N agler..........................................................7, 8, 10 Senatspräsident G rau..................................................................... 8 Professor Dr. M ezg er..................................................................... 9 Professor Dr. Graf G leispach.......................................12, 13 Staatssekretär Dr. Freister..............................................12, 13

Die Strafbemessung bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung Reichsjustizminister Dr. Gärtner.. 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24 Staatssekretär Dr. Freister 1 4 ,1 5 ,1 6 ,1 7 ,1 9 ,2 0 ,2 1 ,2 2 ,2 3 ,2 4 Ministerialdirektor Schäfer.................... 14, 19, 20, 21, 22, 23 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr.Thierack.......... 17, 18 Landgerichtspräsident Dr. L orenz.............................................. 18 Senatsprästdent Professor Dr. K lee..........................19, 21, 23 Senatsprästdent G rau ..................................................... 19, 20 Professor Dr. M ezg er..................................................... 21, 22 Professor Dr. Graf G leispach.......................................21, 22 Reichsgertchtsrat Niethammer.......................................21, 22, 23 Oberlandesgerichtsrat Dr. Schäfer............... , ........................... 23 Ministerialdirigent Geheimer Regierungsrat Dr. Schäfer. . .24 Oberregierungsrat Dr. von D ohnan yi..................................... 24 Professor Dr. D ahm ....................................................................... 24

Beginn der Sitzung 9 Uhr 10 Minuten,

Der erste Fall ist der, daß ein Ausländer oder ein Deutscher in einem deutschen Prozeß vor einem deut­ schen Gericht einen Meineid schwört; das ist der Nor­ malsall. Der zweite Fall ist, daß vor einer aus­ ländischen Behörde in Deutschland, die ermächtigt ist, Eide abzunehmen, ein Meineid geschworen wird. Der dritte Fall ist der, daß im Ausland vor einer deutschen oder ausländischen Behörde ein Meineid geschworen wird. Geschieht dies vor einer deutschen Behörde, z. B. vor einem deutschen Konsulat, so ist der Fall bei uns strafbar. Ebenso wenn die Vereidigung des deutschen oder ausländischen Zeugen durch ein aus­ ländisches Gericht in einem deutschen Verfahren er­ folgt. Dagegen wird der Meineid nicht getroffen, den ein Ausländer öder Deutscher im Auslande vor einer ausländischen Behörde für ein ausländisches Ver­ fahren leistet. Dieser Fall wird nach den bisherigen Beschlüssen bei uns nicht verfolgt. I n bezug aus den Ausländer ist dies unbedenklich, weil er ausgeliefert werden kann. Schwieriger und näherer Prüfung be­ darf dagegen die Frage, was mit dem Deutschen ge­ schehen soll. Es schwebt z. B. in Amerika ein Prozeß zwischen zwei Amerikanern; in diesem Prozeß leistet ein Deutscher vor dem amerikanischen Gericht einen Meineid. Der Deutsche flüchtet nach Deutschland; was soll mit dem M ann geschehen? W ir können ihn nicht ausliefern; wir müßten ihn daher in Deutschland ver­ folgen. Dies ist bisher nicht möglich; der Entwurf bedarf nach dieser Richtung der Ergänzung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der letzte Fall ist der einzige, der y tr Debatte steht. Reichsgerichtsrat Niethammer: E s ist zweckmäßig, sich bei der Erörterung dieser Frage an das Beispiel zu halten, das Graf Gleispach gegeben hat. Ein Deutscher, der zur Kur in Karlsbad weilt, wird als Zeuge über ein Kraftfahrzeugunglück gehört, das sich in Karlsbad zugetragen hat. Der Deutsche leistet in diesem Verfahren einen Meineid. Wenn wir das Gesetz so schaffen, wie es bisher vor­ gesehen ist, kann der Deutsche von den deutschen Ge­ richten bestraft werden; denn auf diesen F all ist nicht der § 353, sondern der § 351 Abs. 1 anzuwenden. § 353, der von den Fällen spricht, in denen die S tra f­ gesetze unabhängig von den Gesetzen des Tatorts an­ zuwenden find, kommt hier nicht in Betracht. Die Frage ist, ob wir uns irgendwelche ausländischen Verfahren denken können, für die es unerwünscht sein mag, daß wir auch sie schützen. Dies mag gelegentlich zutreffen; diesen Ausnahmen kann Rechnung getragen werden. Der Regelfall wird aber so liegen, wie es Gras Gleispach dargestellt hat.

Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Ganz sicher ist mir diese Auslegung nicht. Die Frage ist, ob b tt Paragraph über den Meineid dahin auszulegen ist, daß nur der Meineid vor einem deut­ schen Gericht, vor einer deutschen Behörde erfaßt wer­ den soll. Wenn dieser Paragraph so auszulegen ist, ist die T at zwar im Auslande strafbar, nicht aber im Inlands. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ich Klaube, w ir sollten diese Frage nicht in der großen Kommission weiter diskutieren. Ich möchte der Meinung Ausdruck geben, daß der Deutsche in dem Gleispachschen Beispiel nicht straffrei ausgehen kann. D aß er in Böhmen bestraft werden könnte, steht aus einem anderen B latt. Wenn er über die Grenze zurückkommt, kann er aber bisher nicht weiter verfolgt werden. Prosesior Dr. Henkel: Ich würde diese Regelung nach wie vor dem § 180 anfügen und einen besonderen Absatz schaffen. Reichsjustizminister D r. Gärtner: Wie man das technisch macht, wollen wir hier nicht erörtern. Ich wollte nur fragen, ob die Herren diesen F all strafen wollen oder ob er straffrei bleiben soll. Prosesior Dr. Schafsstein: D as Problem ist, wie wir diese Fälle, die wir strafen wollen, von den anderen abgrenzen sollen. Der Ausgangsfall war ein Eid vor einem belgischen Schiedsgericht; in diesem Fall können wir kein S traf­ bedürfnis anerkennen. Auch in Amerika werden Eide abgenommen, die unserer Aufsasiung widersprechen, z. B. der Eid des Angeklagten; auch für diese Fälle ist zweifelhaft, ob ein Strasbedürsnis besteht. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Z ur Ausscheidung dieser Fälle gibt es ein primi­ tives Mittel, nämlich das Opportunitätsprinzip. Ministerialdirigent D r. Schäfer: Dieses Prinzip gilt für Auslandsstaaten über­ haupt. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Ein anderes M ittel als das Opportunitätsprinzip gibt es nicht; wir können nicht die einzelnen Staaten aufzählen. D as Gesetz muß jedenfalls zu dem Ergeb­ n is führen, daß ein im Ausland von einem Deutschen begangener Meineid verfolgt werden kann. W ir kämen jetzt zu den eidesstattlichen Versiche­ rungen. Dabei sind vor allem zwei Fragen zu er­ örtern. Es ist angeregt worden, das Gebiet der straf­ baren eidesstattlichen Versicherungen dadurch einzu­ schränken, daß die privatschriftliche eidesstattliche Versicherung beseitigt werden sollte. Der zweite Wunsch geht dahin, die eidesstattliche Versicherung in der Strafdrohung dem Meineid gleichzustellen. Sind die Herren der Meinung, daß man die privatschrift­ liche eidesstattliche Versicherung ganz tilgen kann?

Landgerichtsdirektor Seltner: F ü r die P raxis braucht man eine eidesstattliche Versicherung. M an kann die eidesstattliche Versiche­ rung aber in der Weise ausgestalten, daß sie vor einer Stelle abgegeben werden muß, die eine gewisse Sicher­ heit dafür gewährt, daß die Erklärungen ordnungs­ mäßig ausgenommen werden und daß die Versicherung einen Hinweis aus die Strafdrohung enthält. Die Rechtsanwälte bringen schon heute in die eidesstatt­ lichen Versicherungen eine Erklärung über die Kennt­ nis der Strafdrohung hinein. Es kann allerdings auch vorkommen, daß der Rechtsanwalt falsch unter­ richtet wird; es ist auch denkbar, daß er die Unrichtig­ keit merkt und die Erklärung trotzdem einreicht. Meine Erfahrungen gehen aber doch dahin, daß man im all­ gemeinen den eidesstattlichen Versicherungen, die von Rechtsanwälten aufgenommen worden sind, glauben darf. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Mein Vorschlag geht dahin, daß die eidesstatt­ lichen Versicherungen nur vor dem Gericht, einem Rechtsanwalt oder einem Notar abgegeben werden dürfen. S ta a tsra t Dr. Graf von her Goltz: E s muß aber auch zum Ausdruck kommen, daß keiner der Eidesausschließungsgründe des § 61 der Strafprozeßordnung vorliegen darf. Ehefrauen, V er­ wandte dürfen gar nicht in die Lage kommen, eine eidesstattliche Versicherung abgeben zu können. Ministerialdirektor Schäfer: Wenn man den Rechtsanwalt zulassen will, so muß die Erklärung zu Protokoll des Rechtsanwalts abgegeben werden; der Rechtsanwalt muß die E r­ klärung als Organ der Rechtspflege aufnehmen. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: E s fragt sich aber, ob es überhaupt zulässig sein soll, daß der Rechtsanwalt eine solche Erklärung auf­ nimmt, wenn ein Verhältnis des § 61 der S tra f­ prozeßordnung vorliegt. Reichsjustizminister Dr. Gärtner: Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Personen­ gruppen des § 61 S tP O , vereidigt werden können. Anders liegt es mit den in § 60 S tP O , genannten Personen; diese sind nicht zu vereidigen. Ich würde vorschlagen, eidesstattliche Versiche­ rungen nur vor Gerichten, Rechtsanwälten oder No­ taren zuzulassen. Ich glaube, daß man auch in der Zivilrechtspflege auskommt, wenn man die eidesstatt­ liche Versicherung vor dem Rechtsanwalt einführt. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: F ü r die Amtsgerichtsprozesse bedeutet dies eine Erschwerung; denn z. B. für Einstellungen werden die eidesstattlichen Versicherungen meist ohne Zuhilfe­ nahme eines Rechtsanwalts abgegeben. Gerade für diese eidesstattlichen Versicherungen für Amtsgerichts-

Prozesse dürste es aber sehr nützlich sein, ein Ventil einzuschalten. SenatsprLsident Professor Dr. Klee: Ich würde die Abgabe eidesstattlicher Versiche­ rungen noch lieber nur vor einem Notar zulassen, nicht vor einem bloßen Rechtsanwalt; denn der An­ walt ist befangen, wenn er in den von ihm geführten Prozessen die Versicherung aufnimmt. E r wird natur­ gemäß oft darauf hinwirken, Ergebnisse herbeizu­ führen, die für seine P artei günstig sind. E s würde auch nach außen hin einen objektiveren Eindruck machen, wenn die Erklärung vor einem N otar ab­ gegeben wird. Ich gebe aber zu, daß dieser Vorschlag für eine Beschleunigung nicht sehr förderlich ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube nicht, daß man den Rechtsanwalt hier ausschalten kann; denn dann wird der Rechtsanwalt als zu minderwertig hingestellt. Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s ist doch auch sonst im Gesetz vorgesehen, daß bestimmte Urkunden nur von einem N otar aufge­ nommen werden dürfen. Die eidesstattliche Versiche­ rung ist auch ein so wichtiges Beweismittel, daß man den Kreis der Aufnahmeberechtigten möglichst klein ziehen sollte. Der Notar ist dem Publikum auch sehr leicht zugänglich. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die ganze Frage ist im wesentlichen eine Ver­ trauenssache. Ich habe zu dem Notar und zu dem Rechtsanwalt das Vertrauen, daß er das Schwindeln verhindert. Es ist sehr peinlich vorzusehen, nur dem Rechtsanwalt, der zugleich Notar ist, die Möglichkeit zu geben, eidesstattliche Versicherungen aufzunehmen, nicht dagegen dem Rechtsanwalt, der nicht Notar ist. M an sollte das Kind nicht gleich mit dem Bade aus­ schütten. Wenn wir die privatschristliche eidesstattliche Versicherung beseitigen, so ist das ein so großer F o rt­ schritt, daß man zunächst Rechtsanwälte und Notare zur Ausnahme der Versicherung zulassen sollte. Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s ist zuzugeben, daß auch dies schon ein großer Fortschritt gegenüber dem jetzigen Zustand wäre. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe immer wieder gesehen und gehört, daß das Unbefriedigende bei der jetzigen eidesstattlichen Versicherung darin liegt, daß der Betreffende die Ver­ sicherung selbst schreibt. Die letzte Frage bei der eidesstattlichen Versiche­ rung ist die Strafdrohung, die hier vorzusehen ist. W ir haben bisher die Strafdrohung gleichgestellt. Soll das so bleiben? Ministerialdirektor Schäfer: I n den Anträgen der Sachbearbeiter ist vorge­ sehen, daß die eidesstattliche Versicherung milder be­ straft werden soll als der Meineid. Wenn wir die

eidesstattlichen Versicherungen in der soeben be­ schlossenen Form einschränken, wird der Antrag der Sachbearbeiter, die eidesstattliche Versicherung milder zu bestrafen, fallengelassen. Professor Dr. Dahm: D as scheint mir nicht befriedigend zu sein. M an muß die Verschiedenheit von Eid und eidesstattlicher Versicherung auch in der Strafdrohung hervortreten lassen. Die eidesstattliche Versicherung ist weniger als der Eid. E s würde mir widerstreben, die eidesstatt­ liche Versicherung dem Meineide in der Strafdrohung gleichzustellen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn S ie das Zuchthaus bei der eidesstattlichen Versicherung ganz fortfallen lassen, geht das doch auch zu weit. Professor Dr. Dahm: Bei einer Gleichstellung in der Strafdrohung sehe ich aber die Gefahr, daß der Eid entwertet wird. SenatsprLsident Professor Dr. Klee: Die Gleichstellung beider Tatbestände in der Strafdrohung läßt sich durchaus rechtfertigen. Gerade weil es nicht zweierlei Wahrheiten gibt, ist es logisch, wenn wir die eidesstattliche Versicherung, zumal sie jetzt in feierlicherer Form abgegeben werden soll, mit derselben Strafdrohung auszeichnen wie den Meineid. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Z ur Zeit lautet die Strafdrohung für die eides­ stattliche Versicherung von einem M onat bis zu drei Jah ren Gefängnis. Nach dem letzten Vorschlag des Hauses ist Gefängnis von drei Monaten bis zu zehn Jahren, in besonders schweren Fällen Zuchthaus vor­ gesehen. Professor Dr. Dahm: Ich möchte den Ausführungen des Herrn S enats­ präsident Klee widersprechen. Zwischen dem Eid und der eidesstattlichen Versicherung besteht ein wesensmäßiger Unterschied. Schon das Wort „eides­ stattliche Versicherung" ist unglücklich. Reichsjustizminister D r. Gürtner: F ü r die Auffassung Dahm läßt sich verschiedenes sagen. Es handelt sich hier eben um keinen Eid, son­ dern um eine Erklärung, die an die Stelle des Eides tritt. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: I m Volke wird die eidesstattliche Versicherung dem Eide nicht gleichgeachtet; sie wird allerdings als etwas dem Eide Ähnliches angesehen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: E s kann keine Rede davon sein, daß die eidesstatt­ liche Versicherung im Volke dem Eide gleichgestellt ist.

Senatspräsident Professor D r. Klee: Diese Gleichstellung wollen wir doch wohl gerade erreichen, weil das Volk diese Einrichtung bisher als minderwertig angesehen hat. Ich möchte doch den Gedanken betonen, daß wir durch die Ausgestaltung des Verfahrens bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung als eines besonderen Verfahrens von der Volksaussassung abrücken, daß die eidesstattliche Ver­ sicherung nicht so ernst zu nehmen sei. Daher wäre die Möglichkeit vorzusehen, als Strafe auch Zuchthaus zu verhängen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Auch nach den Vorschlägen der Sachbearbeiter soll Zuchthaus ohne Grenze nach oben vorgesehen werden, und Gefängnis nicht unter drei Monaten. S taatsrat Dr. Graf von der Goltz: Der Unterschied in der Strafdrohung zwischen dem Meineid und der eidesstattlichen Versicherung würde dann darin liegen, daß beim Meineid als Minimum sechs Monate, bei der eidesstattlichen Versicherung als Minimum drei Monate Gefängnis vorgesehen sind. Professor Dr. Kohlrausch: Beim Meineid ist Zuchthaus primär, bei der eidesstattlichen Versicherung ist Gefängnis primär. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn man eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Meineid und eidesstattlicher Versicherung in der Strafdrohung will, so kommt es nicht so sehr auf das Minimum, sondern auf die Ausgangsstrase an. Herr Professor Dahm wünscht, daß die Aus­ gangsstrase bei der eidesstattlichen Versicherung nicht Zuchthaus, sondern Gefängnis sein sollte. Ich würde vorschlagen, die Strafdrohung beim Meineid nicht zu ändern, bei der eidesstattlichen Versicherung dagegen als primäre Strafdrohung Gefängnis vorzusehen. Zu § 177 sind keine Anmerkungen gemacht worden. Professor Dr. Kohlrausch: Zu den folgenden Bestimmungen schlage ich vor, nicht nur den Entwurf, sondern auch die Bemerkungen der Herren Sachbearbeiter zugrunde zu legen. Es sind drei Fragen, die zu Diskussionen Anlaß geben werden. Die eine Frage, die bisher über Gebühr in den Hintergrund getreten ist, ist die der Strafwürdigkeit des fahrlässigen Falscheides. D as zweite Problem ist die Akzessorietätssrage in den Fällen, in denen zu einem gutgläubigen Falscheid angestiftet wird oder in denen angestiftet wird, ohne -a ß der Angestiftete schwört. E s sind dies die Fälle der heutigen §§ 159, 160. D as dritte Problem betrifft die Frage des Rück­ tritts: „B is wann kann man einen Eid widerrufen und sich dadurch Straflosigkeit sichern?" Die Frage des leichtfertigen Falscheides hat Herr Professor Henkel gestern berührt und allsgeführt,

daß der leichtfertige Falscheid nicht hier hineingehört. Als Annex zu § 175 jedenfalls ist der fahrlässige Falscheid nicht an der richtigen Stelle. E r nimmt dem ersten Absatz das Gewicht und läßt nicht genügend hervortreten, daß der leichtfertige Meineid ein Delikt sui generis ist. Es entsteht die Frage, ob wir den fahrlässigen Falscheid überhaupt bestrafen müssen. Deutschland ist so ziemlich das einzige Land, in dem der fahrlässige Falscheid bestraft wird. W ir haben schon durch die Bezeichnung „leichtfertig" an Stelle von „fahrlässig" zum Ausdruck gebracht, daß uns bei dieser S tra f­ bestimmung nicht ganz wohl ist. Wenn wir den Vor­ satz durch die Neufassung des dolus eventualis sehrweit nach unten ausgedehnt haben, so entsteht dadurch die Möglichkeit, aus eine ausdrückliche Strasvorschrist gegen den fahrlässigen Meineid zu verzichten. Diese Möglichkeit liegt um so näher, als das Reichsgericht in einer neuen Entscheidung in der grundsätzlichen Auffassung des Meineides eine Schwenkung vollzogen hat, und zwar eine Schwenkung, die dahin führt, daß ein fahrlässiger Falscheid undenkbar wird. Was nämlich den objektiven Tatbestand des M ein­ eides betrifft, so bestehen zwei Möglichkeiten der Auf­ fassung. Wann ist eine Aussage falsch? D as Reichs gericht hat bis vor einigen Jahren den Standpunkt vertreten, daß eine Aussage dann falsch sei, wenn das, was der Täter sagt, m i t d e m , w a s sich z u ­ g e t r a g e n h a t , nicht übereinstimmt. Nach dieser Auffassung liegt dann, wenn jemand versehentlich die Wahrheit sagt, aber die Unwahrheit zu sagen glaubt, nur ein Versuch vor. Von dieser Auffassung aus ist natürlich die Konstruktion eines fahrlässigen Falsch­ eides denkbar. Dieser Meinung stand aber immer eine andere gegenüber, und ihr hat sich jetzt auch das Reichsgericht genähert. Diese Meinung sagt, daß der objektive Tatbestand des Meineides in der Nichtüber­ einstimmung dessen, was der Täter sagt, m i t s e i n e r Ü b e r z e u g u n g besteht. Diese letztere Auffassung ist insbesondere von Binding und einigen Anhängern vertreten worden. D as Reichsgericht hat diese zweite Auffassung früher abgelehnt, und zwac gerade deswegen, weil sonst ein fahrlässiger Falscheid undenkbar sei. I n der T at ist vom Standpunkt Bindings aus der fahrlässige Falscheid eine contradictio in adjecto. Aus der Tatsache aber, daß er vom Gesetz unter Strafe gestellt ist, folgt die Richtig­ keit der älteren Auffassung des Reichsgerichts. D as Reichsgericht soll jetzt in einer neuen Entscheidung, die sich auf § 161 der Reichsabgabenordnung bezieht, gesagt haben, daß das Wesen der falschen Aussage in der Nichtübereinstimmung mit der eigenen Über­ zeugung bestehe. Es hätte damit seine frühere Meinung preisgegeben. Eine Plenarentscheidung har das Reichsgericht offenbar deswegen nicht für er­ forderlich gehalten, weil es sich in dieser Entscheidung nicht ex professo mit dem Meineid beschäftigt hat. M an kann also aus zwei Gründen an der S tra f­ würdigkeit des fahrlässigen Falscheides zweifeln. E in­ mal, indem man sie überhaupt für eine Überspannung hält; und zweitens, falls man den objektiven Tat-

bestand des Falscheides in der Nicktübereinstimmung des Gesagten mit der eigenen Überzeugung sieht. Wollen wir ihn strafen, so müssen w ir hinsichtlich dieses objektiven Tatbestandes die Konsequenz ziehen. Der § 177 ist in den Vorschlägen der Herren Sach­ bearbeiter gegenüber dem gedruckten Entwurf nicht eändert worden. Dieser Paragraph entspricht dem eutigen § 160; er betrifft die bewußte Verleitung zu einer gutgläubigen, aber objektiv falschen Aussage. Der Gedanke des § 177 ist sicher richtig. Denn mit der Konstruktion der mittelbaren Täterschaft kommen wir hier nicht aus, weil die Eidesdelikte sogenannte eigenhändige Delikte sind. Die Richtigkeit seiner Fassung ist mir aber sehr zweifelhaft. M an könnte sich aus den Standpunkt stellen, daß der Fall des § 177 durch unsere neuen Formulierungen über Täterschaft und Teilnahme gedeckt ist. I n Frage kommt hier der § 358 in der Formulierung der Unter­ kommission, und zwar handelt es sich hier um den Teil des Paragraphen, der sich mit der vorsätzlichen Anstiftung beschäftigt. Anstiften bedeutet doch das gleiche wie „dies veranlassen". Was bedeutet aber dann in § 358 „S traftat"? Wollen wir von jeder Akzessorietät absehen, so daß es ausreicht, daß der objektive Tatbestand verwirklicht wird, oder muß der Tatbestand wenigstens rechtswidrig oder gar schuld­ haft verwirklicht worden sein? Wir haben uns dies noch nie zu Ende überlegt. Die Frage ist z. B. bei der unterlassenen Verbrechensanzeige, dem heutigen § 139, und bei der Begünstigung offengeblieben; bei der Hehlerei haben w ir eine bestimmte Antwort ge­ geben. Diese Fälle, in denen auch künftig die Akzessorietät eine Rolle spielen wird, müssen aber unbedingt einheitlich behandelt werden. Wenn wir den § 177 unverändert stehen lassen, dann sind Rück­ schlüsse auf § 358 möglich, die wir vielleicht nicht wollen. Bei der Begünstigung haben wir die E r­ örterung dieser Frage zurückgestellt. Ich möchte vor­ schlagen, die Erörterung dieser Frage bei dem § 177 ebenso zurückzustellen. Zu § 178 habe ich in Übereinstimmung mit den Vorschlägen der Herren Sachbearbeiter nur zu be­ merken, daß zweckmäßig hinzugesetzt werden sollte: „oder hat beteuern lassen". § 178 a in der Fassung der Herren Sachbearbeiter ist bereits gestern erledigt worden. E s bleibt übrig, zu § 179, zu der Bestimmung über die tätige Reue, Stellung zu nehmen. Während es sich in den vorhin genannten Fragen mehr um theoretische Erörterungen handelte, ist die Frage der tätigen Reue praktisch von größter Bedeutung. Wie lange kann sich jemand dadurch Straflosigkeit sichern, daß er seine Angaben richtigstellt? W ir müssen dabei beachten, daß w ir im Allgemeinen Teil eine B e­ stimmung über die tätige Reue haben. Solange eine Handlung noch im Stadium des Unternehmens ist, können wir mit § 364 in der Fassung der Vorschläge der Unterkommission vom 10. M ai 1935 helfen. E s entsteht hier die Frage, wann der Meineid vollendet ist. Die Frage hängt damit zusammen, ob wir den Voreid oder den Nacheid bekommen werden. Ich

nehme an, daß die Prozeßfrage noch offen ist, möchte mich hier aber grundsätzlich für den Voreid aus­ sprechen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Die Frage muß für beide Formen beantworte: werden. Professor Dr. Kohlrausch: Die Frage ist für beide Formen verschieden zu beantworten. Wenn man den Nacheid hat, wird die T at mit dem Beginn der Eidesleistung begonnen, bei dem Voreid dagegen mit dem Beginn der Ablegung eines falschen Zeugnisses. I m letzteren Falle fällt eine Berichtigung vor Abschluß der Vernehmung unter § 364. I m Meineidsabschnitt ist für die Fälle Sorge zu tragen, in denen formell ein vollendetes Delikt vor­ liegt; wir haben für diese Fälle ausnahmsweise den Rücktritt von der Vollendung zuzulassen. Die Sach­ bearbeiter haben zu dem § 179 einige Änderungen vorgeschlagen. Sie haben zunächst den Abs. 1 mit dem § 164 in Übereinstimmung gebracht; dies scheint mir richtig zu sein. Den Abs. 2 des § 179 haben die Herren Sachbearbeiter verkürzt. Dem In h a lt nach schließe ich mich dem Vorschlag der Herren Sach­ bearbeiter an. Die sprachliche Form, die eine gedank­ liche Umstellung verlangt, ist wohl nicht ganz glücklich. Ich würde sagen: Die Berichtigung ist verspätet, wenn aus der falschen Angabe ein Nachteil für einen an­ deren entstanden ist oder wenn der Täter zuvor von einer gegen ihn erstatteten Anzeige oder eingeleiteten Untersuchung Kenntnis erhalten hat. Ministerialdirektor Schäfer: D as scheint mir richtig zu sein. Professor Dr. Kohlrausch: Der Abs. 3 des § 179 soll unverändert bleiben. Ich sehe dagegen keine Bedenken. § 180 des Vorschlages der Sachbearbeiter scheint mir richtig gefaßt zu sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zunächst müssen wir uns darüber klar werden, wie nach der Auffassung der Herren überhaupt der T a t­ bestand des Meineides aussieht. I m Anschluß daran ist zu prüfen, ob wir eine Strafbestimmung für den fahrlässigen Falscheid überhaupt für möglich halten. Professor D r. Henkel: Auf dem Boden des geltenden Rechts mag man darüber streiten, ob die objektive oder die subjektive Auslegung geboten ist; im künftigen Recht ist nur die subjektive Auffassung möglich. Der Eidesinhalt ist mit dem Wissen, mit der Überzeugung des Aussagen­ den zu vergleichen. Jem and begeht einen Meineid, wenn er etwas objektiv Richtiges in der Meinung beschwört, etwas Falsches zu sagen. Dies ergibt sich schon aus der Regelung der Versahrensordnung, denn der Schwörende ist nicht verpflichtet, die Wahrheit schlechthin zu sagen, sondern nach bestem Wissen aus-

zusagen. Die Richtigkeit der subjektiven Auffassung ergibt sich aber auch folgerichtig aus den Grundsätzen des Willensstrafrechts. Ich würde es allerdings be­ grüßen, wenn diese Auffassung in der Begründung des Gesetzes zum Ausdruck käme. Die zweite Frage geht dahin, ob wir den fahr­ lässigen Falscheid unter S trafe stellen sollen bzw. ob es überhaupt einen fahrlässigen Falscheid geben kann, wenn w ir uns der subjektiven Auffaffung anschließen. Herr Kohlrausch hat mich nicht davon überzeugen können, daß der fahrlässige Falscheid verschwinden muß, wenn wir die subjektive Auffaffung vertreten. Bei dem fahrläffigen Falscheid machen wir dem Täter zum Vorwurf, daß er sich seine Überzeugung nicht sorgfältig gebildet hat. Ich würde allerdings in der Bestimmung über den fahrläffigen Falscheid, die von tz 175 zu trennen ist, die Worte „wahr" und „unwahr" vermeiden und die Formulierung so lassen, wie sie jetzt im § 175 Abs. 3 enthalten ist. F ü r folgenschwer und gefährlich würde ich es halten, wenn wir den fahrläffigen Falscheid straflos ließen. Viele Meineids­ verfahren kommen nicht zur Durchführung, weil es schwierig ist, dem Täter den Vorsatz nachzuweisen. M an greift dann häufig zu dem Aushilfsmittel, wegen fahrläffigen Falscheides anzuklagen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Nach der Auffaffung des Herrn Professor Henkel besteht der Tatbestand des Meineides darin, daß zwischen Wissen und Sagen keine Übereinstimmung vorhanden ist. Der Tatbestand des fahrläffigen Falscheides besteht nach der Auffaffung von Herrn Professor Henkel nicht darin, daß zwischen Wissen und Wahrheit keine Übereinstimmung besteht, sondern dem T äter wird vorgeworfen, daß er sich sein Wiffen nicht sorgfältig genug verschafft habe. Ich möchte auf den ersten Blick meinen, daß der Tatbestand des fahrläffigen Falscheides so aufgefaßt neben dem Meineid bestehen kann; es ist ein Delikt ganz anderer Art. Es würde aber zweckmäßig sein, diesen Tatbestand nicht unter der Überschrift Meineid aufzuführen. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich halte eine Strafvorschrist gegen den, der leichtfertig falsch schwört, für notwendig. Ich kann nicht zugeben, daß ein Wandel in der Rechtsaussaffung über den Meineid den fahrlässigen Falscheid entbehr­ lich machen könnte. Der Richter, der sich des Zeugen als eines Beweismittels bedient, will an die Wirk­ lichkeit so nahe herankommen, wie es menschenmöglich ist. Wenn man die Sache von dem Zeugen und seiner Aussage aus betrachtet, kann er nur das B ild des Ereignisses so bieten, wie es in ihm vorhanden ist. Wenn er dieses Bild bietet, hat er allen Erforder­ nissen genügt. Es ist richtig, daß das Reichsgericht früher — im Gegensatz zu gewissen Stimmen aus der Rechtslehre — sich dem äußeren Sachverhalt zuge­ wendet hat. Jetzt hat das Reichsgericht eine Wand­ lung vorbereitet. Diese Wandlung ist auf einem an­ deren Gebiete geschehen, in einer Entscheidung über steuerrechtliche Fragen. Ich habe diese Entscheidung

in ihren Einzelheiten nicht im Kopf; ich muß mich daher mit Vorbehalt äußern. Eine Steuerbehörde verlangte als Nebenkläger, daß die Abgabe einer un­ richtigen Steuererklärung als Ordnungswidrigkeit bestraft würde. § 168 der Reichsabgabenordnung sieht ähnlich wie die Bestimmungen in dem Eides­ abschnitt eine Versicherung nach bestem Wiffen vor. D as Reichsgericht hat sich die Frage vorgelegt, was heißt nach bestem Wiffen, und wie wirkt dieser Satz? D as Reichsgericht hat gesagt, daß die Vorschrift des § 1 6 8 aus anderen Vorschriften, nämlich aus den Vorschriften über die Aussage des Zeugen, entlehnt sei. Das Reichsgericht hat in dieser Entscheidung den Weg eröffnet, von der früheren, auf das Außere gestellten Auffassung wegzukommen und zu der inneren Wertung überzugehen. Diesen Weg hat das Reichs­ gericht in späteren Entscheidungen weiterbeschritten, insbesondere in einer Entscheidung zu § 159 StG B . Wenn wir uns fragen, welche Stellung für die Zukunft eingenommen werden soll, so ist m ir klar. daß das Reichsgericht künftig an dieser inneren Aufsaffung festhalten muß. Aus dieser neuen Rechts­ ansicht des Reichsgerichts geht aber keineswegs her­ vor, daß der sahrläffige Falscheid keinen Raum mehr haben könnte. Der fahrlässige Falscheid wird bei der Zeugenaussage eine ganz bedeutende Einschränkung erfahren, die sich aus der neuen Fassung des unbe­ stimmten Vorsatzes ergibt. Denn bei der Zeugenaus­ sage ist es doch so, daß wir immer prüfen müssen, ob das, was der Zeuge als seine innere Vorstellung dar­ bietet, mit Gewißheit zustande gekommen ist. Ich glaube, daß in diesem Kreis, der den Zeugen betrifft, durch die Änderung des Vorsatzbegriffes eine beträcht­ liche Einschränkung erforderlich ist. Der Zeuge wird sich nicht mehr so leicht in den fahrlässigen Falscheid retten können. Bei den übrigen Eidesverbrechen ist es dagegen anders. W ir haben den fahrläffigen Falscheid überwiegend beim Osfenbarungseid. Beim Osfenbarungseid ist der Schwörende rechtlich ver­ pflichtet, sich zu erkundigen, ehe er den Eid leistet. I n dem Schwur ist nicht nur die Aussage über eine Tatsache, sondern auch über rechtliche Beziehungen enthalten. F ü r den Offenbarungseid ist der fahr­ lässige Falscheid unentbehrlich. Von einer Preisgabe des fahrlässigen Falscheides kann deshalb trotz des Wandels der Rechtsprechung nach meiner Überzeugung nicht die Rede sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn nicht von irgendeiner Seite eine gegen­ teilige Auffassung vertreten werden sollte, möchte ich annehmen, daß diese Frage im S inne der Bestrafung des fahrläffigen Falscheides entschieden ist. Professor Dr. Kohlrausch: Ich habe der Bestrafung nicht widersprochen, son­ dern mich als Berichterstatter für verpflichtet gehalten, dieses Problem hier hinzustellen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: E s ist früher einmal vorgeschlagen worden, für den Ausdruck „fahrlässiger Falscheid" zu sagen „Ber-

letzung der Erkundigungspflicht". D as ist ein zu­ treffender Ausdruck. Denn es wird nicht bestraft, weil der Schwörende etwas Falsches ausgesagt hat, sondern weil er sich nicht richtig orientiert hat. Professor Dr. Nagler: E s braucht sich aber nicht immer um eine unsorg­ fältige Orientierung zu handeln; es kann auch so sein, daß sich der Zeuge fortgesetzt aus Nachlässigkeit ver­ spricht. Auch das ist eine Form des fahrlässigen Falscheides. Senatspräsident Professor Dr. Klee: E s ist z. B. auch möglich, daß der Zeuge nicht auf­ paßt, ob ein Teil seiner Aussage unter den Eid fällt. Professor Dr. Dahm: Ich bin mit Herrn Professor Klee der Meinung, daß zwei Gruppen von Fällen zu unterscheiden sind. Einmal kann durch Fahrlässigkeit ein Mißverhältnis zwischen Wissen und Reden entstehen. Davon ist der ganz andere Fall zu unterscheiden, daß sich jemand sein Wissen unsorgfältig verschafft hat. Ministerialdirektor Schäfer: Ich wollte nur gern klarstellen, was das Reichs­ gericht bezüglich des Meineides ausgesprochen hat. D as Reichsgericht hat sich im Band 68 der E nt­ scheidungen mit dieser Frage beschäftigt; es handelt sich dabei nicht um eine Entscheidung aus der Reichs­ abgabenordnung. Professor Dr. Kohlrausch: Diese Entscheidung bezieht sich auf die Worte: „nach bestem Wissen und Gewissen". Ministerialdirektor Schäfer: D as Reichsgericht hat sich in dieser Entscheidung nicht aus den Standpunkt der subjektiven Theorie ge­ stellt, es hat vielmehr gesagt, daß es ein Mißverständ­ nis sei, von einer subjektiven und objektiven Theorie zu sprechen. Der Fall, den das Reichsgericht ent­ schieden hat, lag folgendermaßen: A mußte in einem Prozeß beweisen, daß er an einem bestimmten Tage in einer Mühle gewesen war. Der A geht zu dem B und sagt: „D u kannst bezeugen, daß ich an diesem Tage in der Mühle gewesen bin." Der B erwidert: „Ich bin zwar auch in der Mühle gewesen und habe dich dort gesehen, ich weiß aber nicht mehr, ob es der 1. J u li gewesen ist." Darauf redet der A dem B zu, daß es der 1. J u li gewesen sei. E s hatte sich tatsäch­ lich um den 1. J u li gehandelt. B lehnt es ab, diese Aussage zu machen. Es wurde Anklage wegen Auf­ forderung zum Meineid erhoben. A habe den B auf­ gefordert, aus eigenem Wissen zu bezeugen, daß es sich um den 1. J u li gehandelt habe; die Tatsache, ob der B an diesem Tage wirklich dort gewesen sei, sei ganz gleichgültig; die Frage, ob etwas wahr oderunwahr sei, habe sich nur darauf zu beziehen, ob B aus eigenem Wissen habe bekunden können, daß der A am 1. J u li dort gewesen sei. D as eigene Wissen sei aber unwahr gewesen. Diese Entscheidung hat gar

nichts mit der subjektiven und objektiven Theorie zu tun. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Anregung, die zuletzt gegeben worden ist, nämlich den fahrlässigen Falscheid aufzuspalten, möchte ich nicht folgen. Die Rechtsprechung muß mit diesen Fällen fertig werden. Ich würde die bisher vorgeschlagene volkstümliche Fassung beibehalten, sie allerdings sichtbar vom Meineid abtrennen. Von dem Herrn Berichterstatter ist ferner darauf hingewiesen worden, daß wir uns den § 177 tm Hin­ blick aus unsere Fassung des Täterbegrisfes ansehen müssen. Die Herren Sachbearbeiter haben aus diese Fassung des Täterbegrisfes schon Rücksicht genommen. Ministerialdirektor Schäfer: I n den Vorschlägen der Sachbearbeiter ist bereits gesagt worden, daß in der Begründung auszuführen sein wird, daß die Strafvorschrist des § 177 bei­ behalten werde, um Zweifel auszuschließen. Wir wollen sagen, die Vorschrift sei vielleicht entbehrlich, falls der Schwörende leichtfertig falsch schwört, da in diesem Falle nach § 360 Abs. 1 in der Fassung der zweiten Lesung das Ergebnis des § 177 ohnehin ge­ sichert sei. Es könne aber zweifelhaft sein, ob § 360 Abs. 1 auch dann anwendbar sei, wenn der Schwörende nur leicht fahrlässig handele oder wenn ihm ein Schuldvorwurf überhaupt nicht gemacht wer­ den könne, da man alsdann davon ausgehen könne, daß es sich um einen Fall der Eintäterschaft handele. M an kann daraus dann nicht Rückschlüsse auf die Auslegung dieser oder jener Vorschrift aus dem Teilnahmeabschnitt ziehen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich bin auch der Ansicht, daß der § 177 in keinem Widerspruch zu § 358 steht. Der Fall der Herbei­ führung eines objektiv falschen Eides setzt voraus, daß der Täter nicht vorsätzlich handelt. Darum kann hier eine Anstiftung gar nicht in Frage kommen; es handelt sich vielmehr um den Fall, daß jemand schuld­ hast die S traftat durch einen anderen ausführt. W ir brauchten dann vielleicht gar nicht den § 177, wenn wir den § 358 dabin auslegen, daß jemand auch dann, wenn er ohne dolus aus Veranlassung eines anderen etwas Falsches beschwört, von § 358 ersaßt wird. Die Aufrechterhaltung des § 177 kann aber auch nicht schaden. Professor Dr. Dahm: W ir brauchen den § 177 deshalb, weil hier das Problem der eigenhändigen Delikte auftaucht. Dieser F all wird eben durch § 358 nicht in zweifelsfreier Weise entschieden. E s ist also zweckmäßig, den § 177 beizubehalten. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: D as ist auch meine Auffassung. Zum Eid gehört die Divergenz zwischen Wissen und Sagen. Wenn diese Divergenz nicht vorliegt, ist kein Meineid ge­ geben. Ich kann nicht zu einer T at anstiften, die

keine Straftat ist. D as Wesen des Eides liegt darin, daß jemand etwas schwört, obwohl er etwas anderes weiß. I n der Person besten, der schwört, liegt dann keine meineidsähnliche Handlung vor, sondern es ist ein wahrer Eid. Die Vorschrift ist m. E. jedenfalls deswegen nötig, weil die von mir vertretene Ansicht mindestens vertreten werden kann und der Gesetzgeber in einer so wichtigen Frage Klarheit schassen muß. Reichsjustizminister D r. Gürtner: I n § 358 heißt es: „Wer vorsätzlich zu einer S traftat anstiftet oder sie durch einen anderen aus­ führt . . das paßt für den Meineid nicht. Ist es überhaupt eine Anstiftung, wenn jemand veranlaßt, daß ein anderer einen Eid leistet? Professor Dr. Kohlrausch: W ir kommen am besten dann zur Klarheit, wenn wir uns fragen, was herauskäme, wenn w ir den § 177 nicht hätten. Die Meinungen gehen hier aus­ einander. Von der einen Seite wird gesagt, daß das­ selbe herauskäme, andere bestreiten es. W ir können aber weder sagen, daß jener Veranlasser die Straftat selbst begeht, noch auch, daß er sie durch einen anderen ausführen läßt. Denn der Meineid ist ein eigen­ händiges Delikt. Die dritte Möglichkeit also ist zu sagen, daß vorsätzlich zu einer S traftat angestiftet wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Geheimrat Schäfer hat nur gesagt, daß eine Divergenz zwischen Wissen und Sagen vorliegen muß. Professor Dr. Kohlrausch: Damit kommen wir zu der Frage, ob der objektive Tatbestand in der Differenz zwischen Sagen und Wissen besteht, oder aber zwischen Sagen und dem, was sich ereignet hat. Wenn man auf dem Stand­ punkt steht, daß eine Differenz zwischen Wissen und Sagen bestehen muß, wovon ich noch nicht restlos überzeugt bin, dann besteht freilich eine S traftat nicht. Stellt man sich auf den anderen Standpunkt, dann würde § 177 überflüssig sein. Wenn man den § 177 dann trotzdem aufrechterhält, würde sich ein bedenk­ licher Rückschluß aus dem § 177 auf den § 358 ergeben. Senatspräsident Grau: Eine Anstiftung zum Meineid kann der § 177 deswegen nicht enthalten, weil der Schwörende nicht den äußeren Tatbestand einer strafbaren Handlung verwirklicht. Die Figur der mittelbaren Täterschaft, die sonst vielleicht in Betracht käme, scheidet aus, weil der Meineid ein eigenhändiges Delikt ist. Aus diesem Grunde ist § 177 erforderlich. W ir brauchen den § 177 nicht etwa deswegen, weil § 358 nicht klar gefaßt sei. Professor Dr. Nagler: Ich halte den § 177 für ganz unentbehrlich. Er wäre überflüssig, wenn wir uns in der Teilnahmelehre — wie es ursprünglich vorgesehen war — in der Tat

für die Ausnahme des Bindingschen Urheberbegrisss entschieden hätten. Leider haben wir schließlich in der Lehre von der Teilnahme den Bindingschen Urheberbegriff bewußt ausgeschlossen; jetzt müssen wir die Konsequenz daraus ziehen. M it der jetzigen Fassung des § 362 erfassen wir den Sachverhalt deshalb nicht, weil die Anstiftung die Tatbestandsmäßigkeit der Haupttat voraussetzt, diese aber fehlt. Ich stimme insoweit durchaus mit Herrn Geheimrat Schäfer überein. Mittelbare Täterschaft aber scheidet — wie schon wiederholt ausgeführt wurde — von vorn­ herein aus. Professor Dr. Dahm: Stellt man sich auf den Boden der subjektiven Auffassung, dann ist der Tatbestand nicht erfüllt. Es liegt keine Anstiftung vor. Vertritt man die andere Ausfassung, so spricht immer noch der Gesichtspunkt des eigenhändigen Delikts für die Aufrechterhaltung des §17 7 . W ir brauchen den § 177 also mindestens zur Verdeutlichung. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich schlage also vor, den § 177 aufrechtzuerhalten. Ich wäre wenig erfreut, wenn aus der Kommission heraus später die Frage zweifelhaft erschiene, was der Tatbestand des Meineides ist. Der Tatbestand des Meineides kann nur die Inkongruenz zwischen Wissen und Sagen sein, nicht die zwischen Wirklichkeit und Sagen. Professor Dr. Kohlrausch: Wenn das wahr ist, gibt es keinen fahrlässigen Falscheid. M an. kann doch nicht fahrlässig das „Sagen" vom „Wissen" abweichen lassen. Hier ist nur Vorsatz denkbar. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es handelt sich weniger um die Verletzung einer Eidespflicht als um die Verletzung einer Erkundigungspflicht. Professor Dr. Kohlrausch: Diese Verletzung — die durchaus strafwürdig ist — kann aber meines Erachtens nur dann eine Rolle spielen, wenn der objektive Tatbestand in der Differenz zwischen der Aussage und dem G e s c h e h e n , v o n d e m a u s g e s a g t w i r d , liegt. Andernfalls müßte man ein Sonderdelikt schaffen, etwa so: „Wer die Unwahrheit dadurch sagt, daß er ich vorher nicht genügend informiert hat, wird be­ traft." Wenn wir uns aber auf den Standpunkt teilen, daß der Meineid eine vorsätzliche Abweichung )es Sagens vom Wissen bedeutet, können wir die Verletzung der Erkundigungspflicht sticht dadurch treffen, daß wir den fahrlässigen Falscheid strafen. D as ist begrifflich ein Widersinn. Ministerialdirektor Schäfer: M an könnte den Unterschied so formulieren: „Der Meineid ist die Differenz zwischen Wissen und Sagen, der Falscheid ist die Differenz zwischen Wissenmüssen und Sagen".

Professor Dr. Kohlraufth: Dann wird der objektive Tatbestand aber doppelt ausgelegt. Außerdem ist es eine Preisgabe des Aus­ gangspunktes. Denn von diesem aus kann nur das wirkliche Wissen im Zeitpunkt der Aussage in Betracht kommen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Logisch läßt sich dagegen nichts sagen. Der fahr­ lässige Falscheid, wie er hier gedacht werden muß, ist keine Verletzung der Eidespflicht, sondern ein delic* tu m sui generis. Ministerialdirektor Schäfer: Zur Eidespflicht gehört auch, daß sich der, der einen Eid leisten soll, vorher prüft. Gegen diese Pflicht wird beim fahrlässigen Falscheid verstoßen. Professor Dr. Kohlrausch: Ich habe nichts gegen die Bestrafung. W ir können aber hier nicht von „fahrlässigem Falscheid" sprechen, falls wir jenen Ausgangspunkt nicht preisgeben wollen. Professor Dr. Dahm: M an sollte ausdrücklich sagen, daß die Bestimmung auf denjenigen beschränkt werden soll, der sich nicht vorher sorgfältig erkundigt hat. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as wäre die Aufnahme einer Aufspaltung. Sie müßten damit zu einer ganz anderen Fassung kommen. Professor Dr. Dahm: M an könnte sagen: „Wer sich sein Wissen ohne die notwendige Sorgfalt verschafft hat, w ird ----bestraft." Ministerialdirektor Schäfer: S ie wollen aber doch auch das ersassen.

„versprechen"

Professor Dr. Kohlrausch: Daß einer z. B. zweihundert statt hundert sagt. Professor Dr. Mezger: Diese andere Fassung würde eine wesentliche sach­ liche Änderung herbeiführen, die gar nicht beabsichtigt ist. Beim Zeugen ist z. B. die Erkundigungspflicht vom Reichsgericht bisher abgelehnt worden, beim Offenbarungseid hat das Reichsgericht dagegen die Erkundigungspslicht in den Mittelpunkt gestellt. Ich neige immer noch mehr dazu, beim Eid von der objek­ tiven Auffassung auszugehen. Wenn man dieser Aus­ fassung folgt, hat die Beibehaltung des fahrlässigen Falscheides in der alten Form keine Bedenken. Ich glaube aber, daß sich der fahrlässige Falscheid auch mit der subjektiven Auffassung vereinigen läßt.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn S ie von einer objektiven Auffassung sprechen, so ist das auch doppeldeutig. Unter „objektiv" verstehen einzelne Herren auch die Nichtkongruenz von Wissen und Sagen, wahrend die Kongruenz zwischen Wirklichkeit und Sagen unbeachtlich ist. Professor Dr. Mezger: Von „unwahr" spricht man dann, wenn das, was der Täter sagt, nicht mit der objektiven Wirklichkeit übereinstimmt; das ist die sog. objektive Auffassung. Es ergibt sich nt. E. nicht zwingend aus dem Willens­ strafrecht, daß man die subjektive Eidesauffassung zu­ grunde legen müßte. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: F ü r die, die an die Divergenz zwischen Wissen und Sagen denken, gibt es nichts anderes als den Uberzeugungseid. Die Gegenüberstellung von Uber­ zeugungseid und Wahrheitseid hat einen ganz an­ deren S in n ; das eine beruht auf der sinnlichen W ahr­ nehmung, das andere auf Urteilen, Schlüssen. F ü r die Frage der Eidesverletzung kann das nicht heran^ gezogen werden. I m Sinne der Eidesdelikte gibt es überhauvt nur einen Uberzeugungseid. Wir müssen uns darüber klar sein, daß w ir uns nie verständigen werden, wenn wir das Wort „objektiv" einmal in diesem und einmal in einem anderen Sinn ge­ brauchen. Wer meinem Wege folgt, darf den Blick nicht auf die objektive Wirklichkeit richten. Professor Dr. Henkel: Die Bedenken von Herrn Kohlrausch könnte man vielleicht dadurch ausräumen, daß man das Wort „Falscheid" vermeidet und statt dessen von einer leichtfertigen Eidesleistung spricht. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Die Sache liegt hier genau so wie bei allen an­ deren Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten. Beim Mord muß die äußere Handlung mit in den Vorsatz aufgenommen werden; bei der fahrlässigen Tötung wird objektiv dieselbe Folge erzielt, aber nur aus Leichtfertigkeit; der äußere Tatbestand wird nicht in das Wissen des Täters aufgenommen. Beim fahr­ lässigen Falscheid kann es sich nur darum handeln, eine objektiv unrichtige Aussage durch einen Eid zu bekräftigen, obwohl sich der Schwörende vorher nicht genügend erkundigt hat. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Der Hauptfall oder besser gesagt die Regel ist, daß der Schwörende etwas objektiv Unrichtiges beschwört. Es gibt aber auch Fälle, in denen jemand sich ein­ bildet, etwas objektiv Falsches zu beschwören, was in Wahrheit objektiv richtig ist. Dieser M ann kann nach der neuen subjektiven Theorie des Reichsgerichts auch dann wegen wissentlichen Meineides bestraft werden, wenn seine Überzeugung und seine Aussage ausein­ anderfallen. E s ist aber sehr schwer, in solchen Fällen eine Fahrlässigkeit zu konstruieren. Wenn jemand etwas objektiv Richtiges beschwört, würde ich nicht zu

einer Anklage wegen fahrlässigen Falscheides kommen. Ich komme zu der Frage, ob der Schwörende fahr­ lässig gehandelt hat, nur in den Fallen, in denen die Aussage objektiv unrichtig ist; das sind die praktisch allein für den fahrlässigen Falscheid in Frage kommen-den Fälle. Nur wenn jemand etwas objektiv Unrich­ tiges schwört, kann wegen fahrläsiigen Falscheides bestraft werden, nicht aber schon dann, wenn jemand nur etwas subjektiv Unrichtiges beschwört. Reichsjustizminister D r. Gürtner: M ir ist unverständlich, wie man praktisch auf diesen Fall abkommen kann. Ich kann mir nicht vor­ stellen, daß man jemand den Vorwurf des fahrläsiigen Falscheides macht, wenn er etwas objektiv Richtiges beschwört. Profeffor Dr. Kohlrausch: Ich glaube, man kommt der Sache etwas näher, wenn man sich folgenden F all überlegt. D er Zeuge wird gefragt: „Waren S ie am 1. Februar in Köln?" E r sagt ja, während er glaubt, es sei am 2. Februar gewesen. I n Wirklichkeit war er tatsächlich am 1. Februar in Köln. D as Reichsgericht hat bisher gesagt, das sei ein strafbarer Meineidsversuch, denn objektiv hatte der Zeuge richtig gesagt. D as Reichs­ gericht soll jetzt angeblich anders entschieden haben. Von dieser neuen Ausfasiung aus läge ein vollendeter Meineid vor. Andererseits aber würde sich von da aus beim Falscheid nicht mehr zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Delikt unterscheiden lasten. Wollen wir beim Eid künftig wegen Fahrlässigkeit strafen, dann betrifft die Fahrlässigkeit nicht mehr den objek­ tiven Tatbestand, sondern es handelt sich dann um ein delictum sui generis. W ir müssen uns überlegen, ob w ir ein solches Delikt wollen oder nicht wollen. Senatspräsident Professor D r. Klee: E s ist mit Recht gesagt worden, daß kein S ta a ts­ anw alt wegen fahrlässigen Falscheides anklagen wird, wenn objektiv etwas Richtiges gesagt worden ist; diese Fälle können wir ignorieren. Tun wir das, dann können wir die vorgeschlagene Formulierung wählen. Ich sehe dann allerdings nicht ein, warum man den Tatbestand des fahrlässigen Falscheides auf den Fall der mangelnden Erkundigungspslicht beschränken sollte. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich bitte dringend, den In h a lt der Strafdrohung gegen den fahrlässigen Falscheid nicht anders als mit den Worten auszudrücken: „Wer fahrlässig falsch schwört". Die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat eingehende Grundsätze über den fahrlässigen Falscheid entwickelt; an den Eid des Zeugen im Strafprozess und im Zivilprozeh, an den Eid der P artei im Zivil­ prozeß, an den Ofsenbarungseid hat man ganz ver­ schiedene Anforderungen gestellt. D as Reichsgericht konnte diesem großen Gebiet nur dadurch gerecht wer­ den, daß ihm die Fassung des Gesetzes: „Wer fahr­ lässig falsch schwört, . . ? Freiheit gewährte. Die Rechtsprechung wird auch künftig den an sie gestellten Ausgaben nur genügen können, wenn ihr ein weit gefaßter Tatbestand zur Verfügung gestellt wird.

Professor Dr. Nagler: Ich möchte auch entschieden davor warnen, den Tatbestand auf die Nichterfüllung der Erkundigungs­ pslicht oder einer geistigen Vorarbeit einzuschränken. Der Tatbestand würde bei einer solchen Begrenzung zunächst seine praktisch bedeutsame Ergänzungsfunk­ tion gegenüber dem nicht beweisbaren vorsätzlichen Meineid verlieren. Die Einschränkung würde auch vor allem im Widerspruch zu der neuerlichen Entwicklung der praktischen Psychologie stehen. I m wesentlichen basierten die Angriffe gegen den T a t­ bestand des fahrlässigen Meineids auf der bis Anfang dieses Jahrhunderts herrschenden AssoziationsPsychologie. Diese ist jetzt überwunden. W ir gehen jetzt zur Denkpsychologie über, und dabei stellt sich heraus, daß das Sich-Nichtbesinnen ein ganz echter Willensakt ist. Ich möchte mich daher dem Vorschlag des Herrn Reichsgerichtsrat Niethammer anschließen, den Tatbestand voll aufrechtzuerhalten, auch ihn ganz primitiv (,,toer fahrlässig falsch schwört") zu fassen, weil er damit sowohl unechte wie unwahre Beweis­ aussagen umfaßt. S ta a tsra t D r. Graf von der Goltz: Ich schließe mich diesem Wunsche an. Ministerialdirektor Schäfer: Ich schließe mich auch an. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: J e kürzer der Tatbestand formuliert wird, desto besser ist er. D as Reichsgericht wird auch diesen lapidaren Satz richtig auslegen. Ich möchte Herrn Professor Kohlrausch innerlich völlig beipflichten, daß der § 177 den Fall der mittelbaren Täterschaft trifft. Als Grund dafür, daß die mittelbare Täterschaft hier nicht in Betracht komme, wird angeführt, daß der Meineid ein eigen­ händiges Delikt sei. Nehmen wir z. B. an, daß ich wegen einer strafbaren Handlung angeklagt bin. Ich habe einen Freund, der geisteskrank ist. Ich sage zu diesem M ann, ich werde dich als Zeugen benennen und du sagst das und das aus. Der Freund sagt aus und schwört, weil das Gericht nicht erkennt, daß es sich um einen geistig Kranken handelt. Wollen S ie dann auch noch daran festhalten, daß eine mittelbare Täterschaft nicht möglich ist? Wenn man hier die Möglichkeit einer mittelbaren Täterschaft verneint, so beruht dies auf dem alten Ressentiment, daß die Eidesverletzung eine Religionsverletzung sei, während sie in Wirklichkeit ein Angriff auf die Rechtspflege ist; die Eidesdelikte werden immer noch als eine Ausein­ andersetzung zwischen Gott und einem Menschen an­ gesehen. Ich sehe die mittelbare Täterschaft bei der Eidesverletzung nicht anders an als z. B. einen E in ­ bruchdiebstahl, bei dem ich zu einem gutgläubigen Schlosser sage, daß er mir die Schlösser öffnen möchte. Ich frage die Herren, die gegen die Möglichkeit einer mittelbaren Täterschaft beim Meineid sind, wie sie dies anders begründen wollen als mit der alten E r­ innerung an den Meineid als ein Religionsdelikt.

F ü r die Praxis wäre es ein großer Dienst, wenn man auch beim Meineid die mittelbare Täterschaft zuließe. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir sollten diese Debatte nicht wieder aufnehmen; der § 177 schadet ja nichts. S taatsrat Dr. Graf von der Goltz: D as muß aus der Begründung hervorgehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir können kein Gesetz machen, das keine S treit­ fragen übrig läßt. Es kommt hier nur daraus an, aus der einen oder anderen Auffassung keine Schlüsse zuzulassen, die uns unbequem sind. Die allgemeine Meinung geht jetzt also dahin, das leichtfertige falsche Zeugnis unter Strafe zu stellen. Die Frage ist jetzt, wie w ir diese Bestimmung fasten sollen. Ob die Rechtsprechung damit fertig wird, wenn wir sagen: „Wer leichtfertig schw ört,..."?

z. B. dort als zweckmäßig erwiesen, eine absolute Chance zu errichten. Ich halte diesen Gedanken aus kriminalpolitischen Gründen für richtig; wir sollten ihn auch in anderen Fällen durchführen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Zu der Zeit, zu der diese Frage diskutiert worden ist, würde man gesagt haben: D as ist ein Rest liberalistischen Denkens. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: Diesen Rest hat man aber hier bei den Eides­ delikten beibehalten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich wollte nur daran erinnern, daß die herrschende Meinung bei jener Diskussion dahin ging, daß wir einen Anspruch aus Straffreiheit nicht geben können. S ta a tsra t Dr. Gras von der Goltz:

Professor Dr. Kohlrausch: Zu dieser Vorschrift mästen wir aber den § 176 Abs. 2 hinzunehmen.

Trotzdem hat man aber an den verschiedensten Stellen aus kriminalpolitischen Gründen einen solchen Anspruch gegeben.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Diese beiden Begehungsformen müssen zu einem besonderen Paragraphen zusammengefaßt werden, der vom Meineid distanziert wird. W ir kämen jetzt zu § 178. Hier ist die Frage, ob der Zusatz nötig ist: „ . . . oder hat betreuen lasten".

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s ist eine berechtigte Frage, warum man es an der einen Stelle so und an einer anderen Stelle an­ ders gemacht hat.

Proseffor Dr. Kohlrausch: Ich würde diesen Zusatz jetzt stehen lasten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Zu § 178 des gedruckten Entwurfs ist weiter nichts bemerkt worden. Zu der sog. tätigen Reue ist eine sprachliche Ände­ rung vorgeschlagen worden, die akzeptiert wird. S taatsrat Dr. Gras von der Goltz: M ir fällt aus, daß hier und bei den Verrats­ delikten der Täter nicht bestraft wird, wenn er tätige Reue zeigt. Warum wird daraus nicht für den Allge­ meinen Teil die Konsequenz gezogen? W ir sollten den kriminalpolitischen Gedanken, der hier nur an einzelnen Stellen zum Ausdruck kommt, im Allge­ meinen Teil zum Grundsatz erheben und auch im Allgemeinen Teil vorsehen, daß die tätige Reue stets zur Straflosigkeit führt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß hier steht: „Wegen Eidesverletzung wird nicht bestraft,..." . M an hat sich im allgemeinen auf die relative Chance geeinigt; hier handelt es sich um eine absolute Chance. Staatsrat Dr. Graf von der Goltz: Ich sehe die Notwendigkeit für eine solche Unter­ scheidung nicht ein. W ir haben die absolute Chance z. B. auch bei der Beweismittelsälschung. E s hat sich

Ministerialdirigent D r. Schäfer: I m allgemeinen belohnen wir den Rücktritt des Täters nur, solange die T at noch nicht abgeschlossen ist, also bei dem unbeendeten Versuch und beim be­ endeten Versuch dann, wenn der Erfolg noch nicht ein­ getreten ist. W ir waren aber auch dabei sehr vor­ sichtig und haben nicht allgemein Straffreiheit zu­ gelassen, sondern nur die Möglichkeit vorgesehen, von S trafe abzusehen. Es würde zu weit gehen, allgemein die tätige Reue gegenüber dem vollendeten Delikt zu belohnen. Die tätige Reue gegenüber dem vollendeten Delikt haben wir nur dann zugelassen, wenn ganz be­ sonders gefährliche Handlungen vorliegen, bei denen der S ta a t ein eminentes Interesse daran hat, dem T äter noch eine Rückzugsmöglichkeit zu gewähren; wo das Interesse an der Verhinderung einer Weiter­ wirkung der Handlung ein größeres ist, darf der S ta a t auch in diesen Fällen auf den Strafanspruch verzichten. D as sind vereinzelte ausgesuchte Fälle, in denen die Aufdeckung sehr schwer möglich ist, weil sich der Tatbestand hauptsächlich int In n ern des Menschen abspielt. S taatsrat D r. Gras von der Goltz: Wenn der S ta a t sogar gegenüber einem voll­ endeten Delikt auf den Strasanspruch verzichtet, wird man dies doch um so eher tun können, wenn es sich um einen noch nicht beendeten Versuch handelt. Ministerialdirigent Dr. Schäfer: I n früheren Entwürfen ist dies auch verschiedent­ lich vorgesehen worden; man könnte dies auch jetzt erwägen.

S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: Mein Wunsch ist auch sachlich aus kriminal­ politischem Gesichtspunkt bestimmt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Bei den ausgiebigen Erörterungen, die wir zu Anfang unserer Beratungen über diese Frage hatten, ging die Mehrheit davon aus, daß der, der einmal einen verbrecherischen Willen bekundet hat, in den Bereich des Strafrechts getreten ist. Ein solcher Mensch soll dann keinen Anspruch aus Straffreiheit haben. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: Wenn man die Entscheidung dem einzelnen Richter überläßt, so ist es doch sehr Glücksache, tote der einzelne Richter darüber denkt. Der Ansporn für den Täter, in entgegengesetzter Richtung tätig zu werden, ist auch nicht so groß, wenn er nicht weiß, was er dafür zu erwarten hat. Professor Dr. Schasfftem: Ich möchte Herrn Gras von der Goltz zu­ stimmen. Ich gehörte der Kommission noch nicht an, als die Bestimmung über den Rücktritt beraten wurde. Ich habe es nicht verstanden, warum man in dieser Frage so doktrinär gewesen ist und nur eine „Kann"Bestimmung ausgenommen hat. Die ganze Vorschrift hat nur dann einen S inn, wenn die Straflosigkeit bindend vorgeschrieben wird. M an sollte daher den Zustand des gegenwärtigen Rechts wiederherstellen. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: Ich habe mich über solche Fragen einmal auch grundsätzlich mit dem Reichsminister Heß unterhalten. Herr Reichsminister Heß hat sich auch dafür ausge­ sprochen, daß man sich in solchen praktischen Fragen vom praktischen Gesichtspunkt leiten läßt, — ohne damit zu der vorliegenden Einzelsrage Stellung zu nehmen. Professor Dr. Gras Gleispach: Ich wollte nur daran erinnern, daß w ir uns bei der allgemeinen Erörterung dieses Problems auch die Frage überlegt haben, ob wir einen Anreiz für den T äter zum Rücktritt schaffen sollten. D as wurde über­ wiegend abgelehnt. Es würde m. E. ein Verstoß gegen die ethische Auffassung des Strafrechts sein, wenn wir dazu kämen, den Rücktritt zwingend als S tra f­ befreiungsgrund auszugestalten. Wenn man allein die Beschlüsse zur tätigen Reue bei den einzelnen Delikten betrachtet, sieht man, daß wir aus dem besten Wege sind, den Grundsatz zu verlassen, den wir bei der Beratung des Allgemeinen Teiles aufgestellt haben, eine. Erscheinung, die sich schon mehrfach bei der Durchberatung des Besonderen Teils gezeigt hat. Der § 179 ist allerdings nötig; denn wenn wir diese Vorschrift nicht hätten, würde der Täter niemals straflos werden können, weil das Delikt formell voll­ endet ist. Aber das trifft z. B. nicht zu für die Rück­ trittsbestimmungen beim Hoch- und Volksverrat. D ort haben wir auch vorgesehen, daß der Rücktritt

zwingend zur Straflosigkeit führen muß, weil wir uns gesagt haben, daß es so wichtig ist, dieses im Keim befindliche Delikt abzuwenden, daß wir die volle Chance der Straflosigkeit geben müssen. E s ist eine Entscheidungsfrage, ob man es für richtig hält, diesen Weg zu beschreiten und weiter auszubauen. Ich habe kein allzu großes Vertrauen auf diese kriminal­ politische Wirkung des Rücktritts. Damit diese Wirkung eintritt, ist es ja auch erforderlich, daß der Täter weiß, daß der Rücktritt zur Straflosigkeit führt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich darf daran erinnern, daß wir beim Rücktritt vom Versuch, bei der tätigen Reue, zwei Fälle zu unterscheiden haben. E s handelt sich einmal um die Ausgabe der Tätigkeit beim nicht beendeten Versuch; diese Ausgabe der weiteren Tätigkeit braucht nicht aus ethischen Gründen zu erfolgen, sondern z. B. des­ wegen, weil die Sache dem M ann zu unbequem wird. Es ist bei den früheren Beratungen bewußt abgelehnt worden, für diese Fälle eine absolute Chance der Straflosigkeit zu geben. Staatssekretär Dr. Freister: Unsere grundsätzliche Stellungnahme zu der von Herrn Graf von der Goltz berührten Frage ergibt sich aus § 364 des Entwurfs. Diese Stellungnahme ist ausgerichtet und kann nur ausgerichtet sein an dem Willensstrafrecht; das Willensstrafrecht aber verlangt, nur eine „Kann"-vorschrift aufzunehmen. Das ist m. E. die unverrückbare Grundlage, wenn nicht an Stelle eines einheitlich ausgerichteten Strafrechts ein Konglomerat nicht einheitlich ausgerichteter Zweck­ mäßigkeitsbestimmungen treten soll. Der nachträg­ liche Wille des Täters schafft nicht das aus der Welt, was da ist. Dies ist eine unbezweifelbare Tatsache für jeden, der nicht glaubt, daß gute Werke eine E nt­ sühnung für frühere Taten sind. F ü r mich ergibt sich die von uns getroffene Regelung auch ohne diese E r­ klärung aus dem Willensstrafrecht. E s gibt nun aber Fälle, in denen ein sehr dringendes praktisches B e­ dürfnis besteht, in denen das Schutzbedürfnis des Volkes dem Sühnebedürfnis erheblich vorangeht, in denen wir aus kriminalpolitischer Zweckmäßigkeit in der Honorierung der tätigen Reue weiter gehen müssen. D as sind Fälle besonders schwerer Bedrohung der Allgemeinheit. I n diesen Fällen kann man sogar so weit gehen, den nachträglich hervortretenden und betätigten guten Willen auch bei einer schon voll­ endeten T at zu honorieren und die Honorierung in sichere Aussicht zu stellen. D as ist das Ergebnis einer Abwägung zwischen der reinen Durchführung des Grundsatzes und der Modifizierung der Durchführung des Grundsatzes in besonderen Fällen. Aus dem Grunde sind wir bei den Verratsverbrechen und auch bei dem Eide, also bei den Handlungen, die für die All­ gemeinheit besonders gefährlich sind, dazu gekommen, sogar bei vollendeten Handlungen den Rücktritt zuzu­ lassen und auch die Zusicherung der Straffreiheit zu geben. Dies ist im einzelnen Fall wohl erwogen. Ich halte es weder für sittlich haltbar noch für kriminal­ politisch veranlaßt, um einer äußeren Parallelität

willen diesen für einzelne, ausgesuchte Fälle aus­ gesprochenen Grundsatz zu verallgemeinern. Kriminal­ politisch ist das Jnaussichtstellen der Straflosigkeit nur in den Fällen veranlaßt, in denen wir die S tra f­ losigkeit schon vorgesehen haben; in den übrigen Fällen steht der Sühnezweck so im Vordergründe, daß wir ihn nicht übergehen können. Ich darf daran erinnern, daß in der Novelle ganz ähnliche Gedanken Gesetz geworden sind. Auch in der Novelle bekommt der T äter keinen Anspruch darauf, daß man nicht gegen ihn vorgeht; er muß sich vielmehr damit ab­ finden, daß er in Ungewißheit darüber bleibt, ob er verfolgt wird oder nicht. E s wäre sehr merkwürdig, wenn wir diese grundsätzliche Stellungnahme jetzt ändern würden. Ich bin der Meinung, daß die früher von uns getroffene Regelung grundsätzlich richtig ist. Wenn aus kriminalpolitischen Gründen ein Bedürfnis besteht, Ausnahmen von dieser Regelung zuzulassen, so müssen wir diese Ausnahmen im Besonderen Teil vorsehen. S ta a tsra t Dr. Gras von der Goltz: Die Grenze zwischen den schweren und minder schweren Fällen ist doch aber immer etwas willkür­ lich. Grundsätzlich handelt es sich um die Frage, ob man einen Diebstahl bestrafen oder verhindern will. Staatssekretär Dr. Freister: D as ist eine verschiedene Anschauung. Der eine sagt, das Strafgesetzbuch soll eine Sammlung von Zweckmäßigkeitsbestimmungen sein; der andere sagt, daß w ir unsere Strafbestimmungen zwar auch nach der Zweckmäßigkeit treffen, aber doch ausgerichtet an einem leitenden Grundgedanken. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich nehme nicht an, daß § 179 (tätige Reue bei Eidesdelikten) in Parallele mit § 364 (tätige Reue des Allg. Teils) gestellt werden soll. Ich bin der Auffassung, daß bei § 364 an Stelle der Kannvorschrist eine Mußvorschrist gesetzt werden sollte, um dem Täter einen Anreiz zu geben. Vom Standpunkt des Willensstrafrechts aus darf man diesen Weg nur soweit gehen, als er praktisch ist I n § 364 besteht die Gefahr der unterschiedlichen Be­ handlung durch die Gerichte. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Hier möchte ich folgendes bemerken: 1. Bleiben wir aus dem Standpunkt des Entwurfs stehen, der bei tätiger Reue in § 364 keine absolute Chance gibt, dann müssen wir Fälle überlegen, wo bei der Voll­ endung der T at für tätige Reue eine absolute Chance gewährt wird. Bei Brandstiftung (z. B. §§ 218, 236) haben wir das nicht getan. Später müssen wir dann prüfen, ob die Ausnahmen parallel liegen. D as alles sind Ermeffungs- und Zweifelsfragen. 2. Zum 2. Punkt, der von Herrn Vizepräsident Thierack behandelt worden ist, ist zu sagen: Wenn wir § 364 ansehen, so enthält er zwei Fälle: e n t w e d e r der T äter wendet von sich aus freiwillig und end­ gültig die weitere Durchführung bzw, den Erfolg ab.

o d e r der Täter bemüht sich zwar, den Erfolg der T at zu verhindern, der Erfolg tritt jedoch ganz ohne Zutun und Wissen des Täters nicht ein. Nehmen wir folgenden Fall: Jem and hat die Ab­ sicht, einen anderen durch allmähliches Verabfolgen von kleinen Giftmengen zu töten. E r gibt das jedoch aus, weil ihm die Sache zu teuer geworden ist oder er das Gift in der Apotheke nicht mehr erhalten kann, da er dort verdächtig aufgefallen ist. I n solchem Falle eine a b s o l u t e Chance zu gewähren, erscheint mir nicht angängig. E s dreht sich in den Fällen der tätigen Reue darum, ob man den Täter durch Ver­ zicht auf die Strafe oder mit einer bloßen Chance belohnen will. Der Kampf geht darum, ob man eine absolute oder relative Chance gewähren will. Staatssekretär Dr. Freister: Maßgebend und ausschlaggebend muß stets der Gedanke sein, daß der Täter f r e i w i l l i g sein Handeln aufgegeben hat. E r soll von sich aus alles auf sich nehmen. Ich meine aber auch, daß es kaum möglich ist, nachdem wir in zwei Lesungen die jetzige Regelung durchgesprochen haben, nunmehr en p assan t diese grundsätzliche Regelung abzuändern. W ir müßten dann die frühere Debatte nochmals grundsätzlich durchführen. Schon in der 1. Lesung hatten wir be­ schlossen, eine grundsätzliche Regelung zu treffen und im Besondern Teil die tätige Reue bei Meineid und Brandstiftung besonders zu regeln. Professor Dr. Graf Gleispach: Zur Illustration dafür, wohin wir geraten, wenn wir für die Fälle der tätigen Reue obligatorische Straffreiheit vorsehen, sei aus folgende Fälle der Praxis verwiesen: Ein M ann will jemand töten. E r sticht ihn in den Leib; da er sich vor dem herausquellenden B lut ekelt, gibt er sein Vorhaben auf. Oder: jemand will eine F rau notzüchtigen; weil die F rau bei der Ab­ wehr einen körperlichen Mangel enthüllt, gibt er sein Vorhaben auf. Oder: jemand will auf einen anderen einen Schuß gbfeuern. Gerade als er zielt, läuten die Glocken; abergläubisch nimmt er von seinem Vor­ haben Abstand, ein Fall, der sich in Ita lie n ereignet hat. Also können auch ethisch tiefstehende Gründe zum Rücktritt führen. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: D as Mindeste, w as nt. E. zu geschehen hat, ist, daß in der Begründung des künftigen S tG B , klar zum Ausdruck gebracht wird, daß von Strafe abzu­ sehen ist, wenn der Täter sich selbst überwunden hat. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Es gibt auch Fälle des Rücktritts vom beendeten Versuch, wo der Täter nur durch Zufall den Erfolg abgewendet hat. F ü r eine solche zufällige Erfolgs­ abwendung darf kein Anspruch auf Straffreiheit an­ erkannt werden. Vom Willensstrafrecht her muß er­ wartet werden, daß jede Zusallsentscheidung ausge­ schlossen wird. Zu dem von Herrn Präsident

Thierack vorgebrachten Einwand gegen jede Kannmilderung, es werde fich eine verschiedene P raxis der Gerichte herausbilden, möchte ich bemerken, daß wir solche Kannvorschristen, die dem vernünftigen richter­ lichen Ermessen Spielraum lasten, doch auch sonst mehrfach ausgestellt haben. Reichsjustizminister D r. Gürtner: W ir reden viel von der Freistellung des Richters. Soll das hier, wenn er den Versuch milder bestrafen soll, nicht der Fall sein? Senatspräfident Profeffor D r. Klee: D as alte Ersolgsstrafrecht darf nicht wieder Platz greifen. Die Energie des verbrecherischen Willens ist ja im Abschnitt über die Strafbemeffung nicht als allein maßgebend ausgeführt worden. Darum trete ich — der Vorschlag ist von mir formuliert — dafür ein, daß die Bersuchsstrase nur dann gemildert wer­ den kann, wenn es infolge geriiM rer verbrecherischer Willenskraft des Täters beim Versuch geblieben ist. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Wenn w ir die Gerichte zu neuen Anschauungen erziehen wollen, werden wir mehr erreichen, wenn w ir unsere Aussaffung in der Begründung zu diesem Gesetze niederlegen. E s liegt nahe, daß ein Richter bei diesem Abschnitt leicht fragt, was dabei gedacht worden ist; man könnte ihn dann auf die Begründung verweisen. I m § 408 des Entwurfs heißt es als Grundsatz der Strafbemeffung: 1. „Die Strafe soll nach A rt und M aß zum Aus­ druck bringen, daß der T äter sich gegen die Gesamtheit vergangen und ihr gegenüber sein Tun zu verantworten und zu sühnen hat. 2. Die S trafe soll dem Schutzbedürsnis der Volks­ gemeinschaft entsprechen. 3. Hierbei ist vor allem der verbrecherische Wille des T äters zu beachten, wie er sich aus der Art des Angriffs aus Lebenskraft und Friedens­ ordnung des Volkes, aus den verschuldeten Folgen der T at und auch aus seinem Verhalten nach der T at ergibt." Der Vorschlag des § 364 muß bleiben wie bisher, mit einer relativen Chance für den Rücktritt vom Versuch. D er Richter muß sich im Einzelsall stets fragen, ob der T äter sich im Rücktrittsalle sittlich über­ wunden hat. Wenn ja, dann muß eine Möglichkeit für den Richter bestehen, Straffreiheit zu gewähren. W ir kommen nunmehr nochmals zur Beratung über den Abschnitt Dir Strafbemeffung bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handümg. Ich mochte freilich nicht nochmals eine Debatte in vollem Umfange darüber herbeiführen. Vielleicht stellen wir zunächst klar, ob für die Jdealkonkurrenz heutiger Prägung, wie fie in den Anträgen der Sach­ bearbeiter (B 44) enthalten ist, noch eine Aussprache nötig ist. Die Tateinheit ist daselbst folgendermaßen formuliert:

1. S ind auf dieselbe T at mehrere Strafgesetze a n ­ wendbar oder ist durch die T at dasselbe S tra f­ gesetz mehrmals verletzt, so ist nur aus eine Strafe zu erkennen. 2. Die Strafe wird nach dem Gesetz bestimmt, das die höchste Strafe oder, bei ungleichen S tra f­ arten, die S trafe schwerster Art androht. Doch darf auf keine niedrigere oder der Art nach leichtere S trafe erkannt werden, als nach den übrigen verletzten Strafgesetzen zulästig ist. 3. Bei der Bemessung der Strafe ist angemeffen zu berücksichtigen, daß mehrere Gesetzesver­ letzungen vorliegen. D a b e i k a n n d a s Höc hs t ma ß d e r S t r a f e , d a s i n d e m anzuwendenden Strafgesetz vor­ g e s e h e n i st , ü b e r s c h r i t t e n w e r ­ den, wenn dies zur V er h ä n g u n g e i n e r a n g e m e s s e n e n S t r a f e er­ f o r d e r l i c h e r s c h e i n t . Die Dauer einer zeitigen Freiheitsstrafe darf jedoch die Summe der angedrohten Höchststrafen und das gesetz­ liche Höchstmaß der anzuwendenden S trasart nicht übersteigen. 4. Ehrenstrafen und Bermögensstrasen müssen oder können verhängt, und Maßregeln der Sicherung und Befferung müssen oder können angeordnet werden, wenn sie auch nur wegen einer der Gesetzesverletzungen vorgeschrieben oder zugelaffen sind. Nach dem Satz: „Dabei k a n n ___ " in Abs. 3 kann m. a. W. bei der Jdealkonkurrenz das Höchstmaß der Strafe, das in dem anzuwendenden Strafgesetz vorgesehen ist, überschritten werden. Is t zu diesem Punkt eine Debatte erforderlich? Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bitte, das W ort „nur" in Abs. 1 zu streichen. Ferner haben Sie, Herr Minister, bereits richtig in Abs. 3 vorgelesen: „wenn dies zur Verhängung einer angemessenen Strafe erforderlich e r s c h e i n t " , nicht „ist". E s fragt sich noch, ob ein Bedürfnis besteht, in eine nächsthöhere S trafart hinüberzugehen, wenn die höchstzuläffiae Strafe innerhalb des Strafrahm ens zu aering erscheint. Ein praktisches Bedürfnis zum Übergang besteht m. E. bei Hast zu Gefängnis, bei Gefängnis zu Zuchthaus, bei Zuchthaus zu lebens­ langem Zuchthaus. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: An welchen Fall denken Sie? Ministerialdirektor Schäfer: Staatssekretär Freisler denkt an mehrere Delikte mit gleichem Strafrahmen. Staatssekretär Dr. Freisler: Der allerdings gesetzlich geregelte F all des RaubeS hat das Bedürfnis gezeigt, in die nächsthöhere S tra f­ art hinüberzugehen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bitte die Abteilung, die möglichen Kombina­ tionen zu prüfen. Außerdem bitte ich in einer Anmerkung festzu­ halten, daß es von dieser Nachprüfung abhängt, ob der Übergang in eine andere S trafart erfolgen soll. Z u r T a t m e h r h e i t war das Ergebnis der letzten Aussprache ungefähr folgendes: Liegt eine M e h r h e i t v o n S t r a f t a t e n vor, dann soll nicht so verfahren werden, daß durch Erhöhung der Einsatzstrase die Gesamtstrafe gebildet wird, denn dem Täter soll kein Rabatt gewährt wer­ den. Vielmehr soll eine Mehrheit von Straftaten mit e i n e r Strafe beantwortet werden, und zwar aus dem Gedanken heraus, daß dann eine bessere W ürdi­ gung der Gesamtpersönlichkeit möglich ist. M an hat sich lange darüber unterhalten, ob eine oder zwei Straftaten überhaupt einen Schluß aus die Persön­ lichkeit des Täters zulasten. M an hat dabei vielleicht zu wenig ins Auge gefaßt, daß für die Beurteilung der Persönlichkeit nicht nur die strafbare Tätigkeit als Grundlage vorliegt, sondern auch das Vorleben des Täters, sein Verhalten in der Familie, sein ganzer Werdegang. Die Mehrheit der Straftaten soll zwar bei der Frage des Schuldspruchs berücksichtigt werden, aber der Schuldspruch soll einheitlich aus dem Persön­ lichkeitsbild des Täters heraus erfolgen. Die Frage, ob und inwiefern zwei verschiedene Straftaten einen Schluß auf die Persönlichkeit des Täters zulassen, ist an vielen Beispielen gezeigt worden. Dieses Wissen um die Persönlichkeit des T äters läßt die Einheits­ strafe befürworten. W ir haben das heute bereits im Gebiete der fortgesetzten Handlung. Ich habe hier folgende Fragen: 1. Wenn bei einer Mehrheit strafbarer Hand­ lungen Einzelstrafen nicht ausgeworfen wer­ den, läßt sich das prozessual durchführen? Ich möchte das bejahen. 2. Wie muß ich im einzelnen prozessual vorgehen? Eventuell muß eine neue Einheitsstrafe fest­ gestellt werden. Jedoch gehörte das Letztere nicht zum In h a lt der früheren Aussprache. Ich möchte bitten, vom Standpunkt der letzten Debatte auszugehen. Staatssekretär Dr. Freister: Ich möchte ausgehen von der letzten Formulierung, wie sie in den Anträgen der Sachbearbeiter (B 44) enthalten ist. Diese geht von dem mir entgegen­ gesetzten Standpunkt aus, denn sie schlägt in § 416 vor: „Hat jemand durch mehrere selbständige Taten, die gleichzeitig abgeurteilt werden, mehrere Strafen verwirkt, so ist aus jede geson­ dert zu erkennen." Dieser Grundsatz ist nicht richtig, weil er unmittel­ bar Ausdruck für ein T a t strafrecht ist und mit dem Willensstrafrecht nicht vereinbart werden kann. M an könnte anzweifeln, ob es überhaupt möglich ist, einen Willensträger zu beurteilen. D as ist letzten Endes eine Glaubenssrage, ob ein Mensch einen

Menschen beurteilen kann. Wenn wir das Strafrecht zu einem Tatstrasrecht umändern, dann ist es aber falsch, dem Richter die Aufgabe zu geben, den T a t e r zu beurteilen; dann kommen wir zum Strafrecht des Vergeltungsprinzips, das die T at abmißt nach Art primitiver Strafrechte. Neben dem Bergeltungsgedanken kann ein solches Strafrecht nur noch den Schutzzweck kennen. Der Sühnezweck muß dann fallengelassen werden. Ich sage dies, weil viele die falsche Ansicht haben, die Frage der Tatmehrheits­ regelung sei losgelöst vom Willensstrafrecht. Der S in n unseres Strafrechts ist die Beurteilung der Gerechtigkeit wider­ Persönlichkeit des T ä t e r s . fährt Menschen, nicht Taten. Ich glaube, daß daraus der Schluß zu ziehen ist, daß an die Spitze der Grund­ satz der richtigen Persönlichkeitsbeurteilung des Täters gehört. I m Einzelfall ist dann zu prüfen, ob es Fälle gibt, wo dieser Grundsatz a d absurdum führt. Gibt es solche Fälle, dann ist dieser Grundsatz im Leben eben nicht voll durchführbar. Die Vorschläge der Sachbearbeiter des Ministe­ riums nehmen nur für gleichartige Handlungen die Möglichkeit einheitlicher Beurteilung der Pe^önlichkeit an. Ich bin der Auffassung, daß diese Gleichartig­ keit der Handlung überhaupt nicht zu umreißen ist. Soll Maßstab hierfür die äußere Gleichheit des an­ gegriffenen Rechtsguts sein? Nein; denn dem Rechts­ gut können wir eine zentrale Bedeutung nicht zu­ gestehen; dieselbe Handlung kann auch gegen gänzlich verschiedene Rechtsgüter gerichtet sein. Die Ver­ schiedenheit der Verwerflichkeit des Willens des Täters ließe sich als Maßstab schon eher hören. Doch das hängt von der Ebene ab, auf der wir stehen. Diese Ebene festzulegen, für welche die Gleichwertigkeit der Handlung maßgeblich sein soll, scheint mir aber un­ möglich zu sein. Ich sehe nur noch eine letzte Mög­ lichkeit: den Maßstab der verschiedenen Schuldarien. Nimmt man diesen Maßstab, so kann man beim Zu­ sammentreffen von Handlungen der gleichen Schuld­ art sagen, daß man sich nur noch im Gebiet der Regel­ fälle befindet. Zur Bewertung der Persönlichkeit muß ich ver­ schiedene Summanden bilden. Hat jemand eine Un­ treue, einen Diebstahl und ein Sittlichkeitsverbrechen begangen und bewerte ich diese Taten mit 8, 5 und 3 Monaten, so habe ich schon drei Summanden. Weiß ich auch sonst noch, daß die Täterpersönlichkeit ein Lotterleben führt, dann habe ich auch den vierten Summanden. Diese vier Summanden muß man zu­ sammensetzen. Ein Beispiel für die Gesamtbeurteilung einer Persönlichkeit bildet die Qualisikationstätigkeit des Vorgesetzten. Der Richter z. B., der beurteilt werden soll, wird danach bewertet, ob er tüchtig, zuverlässig, dem S taate ergeben ist usw. Steht das alles fest, so wird das nicht summiert, sondern es er­ gibt ein Mosaikbild, nämlich das Bild der Persön­ lichkeit. D as aber ist gerade die Tätigkeit des Richters, daß er beim Vorliegen mehrerer Straftaten und Ele­ mente für die Beurteilung des T äters sich ein solches Mosaikbild bildet. Natürlich muß der Richter auch darauf hingewiesen werden festzustellen, welche S tra f­ taten der betreffende T äter begangen hat. Ich bin

der Überzeugung, daß gerade die Einheitsstrafe den Richter zu sorgfältigerer Feststellung des Mosaiks zwingt als die Tatbeurteilung. Ich meine dies, weil eine einheitliche Beurteilung der Persönlichkeit mög­ lich ist und weil die Methode dieser einheitlichen Be­ urteilung nicht nur von einer Tatfeststellung, sondern der Bewertung der gesamten Täterpersönlichkeit aus­ geht, nicht aber eine Teilbewertung der Persönlichkeit vornimmt und nicht etwas Lebendiges zerreißt. Der Richter muß alles feststellen, was wissenswert vom T äter ist; es dürfen aber nicht bloß Taten summiert werden. Diese Methode muß vorgeschrieben werden, weil 100 Jahre Gewohnheit diese richtige Methode ins Unnatürliche abgelenkt haben. Wenn man in 100 Jahren etwa wieder an eine Reform des S traf­ rechts gehen würde und es handelte sich um die Frage der einheitlichen Persönlichkeitsbeurteilung, dann würde man sagen: diese (jetzt von mir vorgeschlagene) Methode brauchen wir nicht mehr vorzuschreiben, weil sie selbstverständlich geworden ist — heute aber geht das noch nicht. Mein Vorschlag geht dahin: 1. Die einheitliche Beurteilung der Täterpersön­ lichkeit vorzuschreiben, 2. die ausdrückliche Tatfeststellung und die juristische Tatwertung vorzuschreiben, 3. ausdrücklich anzuordnen, daß alles festgestellt wird, was zur Beurteilung der Persönlichkeit des T äters erforderlich ist, und daß daraus die Gesamtpersönlichkeit des Täters bewertet wird. Vorbehalten ist noch die Behandlung der ver­ schiedenen S ch u l d a r t e n. Ist es bei drei vorsätz­ lichen und zwei fahrlässigen Handlungen nötig, daß der Täter durch zwei gesonderte Einheitsstrafen be­ urteilt wird? Auch hierbei kann meist von einer solchen Notwendigkeit keine Rede sein. E s liegt in der Regel genug M aterial für ein vollständiges Bild vor. Begeht aber jemand z. B. vorsätzlich ein S itt­ lichkeitsverbrechen, und verursacht er fahrlässig einen Autounfall, kann man auch da die Persönlichkeit ein­ heitlich beurteilen? Ein Schein der Berechtigung für die andere Auffassung ist vorhanden, wenn man unter­ stellt, von der Persönlichkeit des T äters sonst nichts zu wissen. Aber der Richter weiß doch sonst noch mehr von der Persönlichkeit des Täters, und warum sollte er sich nicht auch in solchen Fällen genug Mosaik­ steine beschaffen können, um ein vollständiges Bild des Täters zu erhalten? Zum mindesten erscheint das eine zweifelsfrei: Auch aus verschiedenen Fällen fahr­ lässigen Handelns läßt sich ein Bild der Gesamt­ persönlichkeit des Täters gewinnen. Auch fahrlässiges Handeln ist geeignet, einen Hinweis aus die Persön­ lichkeit des Täters zu geben. Es ist deshalb kein An­ laß, beim Zusammentreffen mehrerer fahrlässiger Handlungen ein anderes System und eine andere Methode anzuwenden als beim Zusammentreffen mehrerer vorsätzlicher Handlungen. Ebenso würden beim Zusammentreffen verschiedener Schuldarten keine besonderen Bestimmungen erforderlich sein; die Bildung gesonderter Strafen wird regelmäßig auch hierbei nicht notwendig sein.

Aus Ih re n vorhin geäußerten Wunsch, Herr Minister, über die Auswirkungen der Einheitsstrafe auf das Verfahrensrecht werde ich jetzt nicht reden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nach Ih re n Ausführungen, Herr Staatssekretär, kämen wir auf § 415 des Entwurfs 1. Lesung hinaus. Nach Ihrem Bild soll das Urteil bei Realkonkurrenz etwa lauten: „Der Angeklagte ist schuldig dieser und jener Tat. E r wird z u .........Gefängnis verurteilt." Staatssekretär D r. Freister: Ich will die Realkonkurrenz aufbauen, ohne auf die Jdealkonkurrenz zu schauen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe eine Frage zur Realkonkurrenz bei un­ gleichartigen Handlungen: Wenn ich im Schuldspruch das Strafgesetz bezeichne, das zur Anwendung kommt, dann sind eventuell mehrere Strafrahmen möglich. Bon welchem soll der Richter ausgehen? Staatssekretär D r. Freister: Bei der Realkonkurrenz muß eine Bestimmung getroffen werden, daß der Richter von dem S tra f­ rahmen ausgehen soll, der die schwerste Strafe an­ droht, daß er diesen aber notfalls überschreiten kann. Kommt er dabei zu einer Freiheitsstrafe, die höher ist als die Summe der angedrohten Höchststrafen, so muß er berechtigt sein, eine andere S trafart zu wählen. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Sind also in 5 Schuldsprüchen 5 Strafrahmen, so soll der Richter den schwersten anwenden und bis zur höchsten Grenze des Gesetzes erhöhen können. Bei Jdealkonkurrenz würde ich jedoch keine Erhöhungs­ möglichkeit geben, sondern nur bei Realkonkurrenz, und auch hier nur, wenn Strafrahmen anzuwenden sind, die Gefängnis oder Haft bis zu 2 Jahren vor­ sehen. Damit wäre Abhilfe geschaffen. Wird aber die Strafbemessung durch die Einheitsstrafe ver­ kompliziert, dann möchte ich wie bei der Jd e a l­ konkurrenz vorgehen. Staatssekretär D r. Freister: D as ist nicht nötig; denn unsere Strafrahmen sind so gehalten, daß messt die Höchstgrenze der S trafart erreicht werden kann oder daß sie von Gefängnis zum Zuchthaus hinübermünden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as heißt: F ür besonders schwerwiegende Fälle muß im Besonderen Teil der Weg geebnet werden. I m übrigen dürfen w ir nicht meinen, daß wir im Strafrecht in jedem Falle ein klares Bild der Persön­ lichkeit des Täters haben. I m Strafbefehlsverfahren z. B. ist eine Erfassung des Täterporträts nicht mög­ lich. Zudem wird auch im gegenwärtigen Strafrecht in jedem Urteil die Geschichte der Persönlichkeit des Täters eingehend verwertet.

Gehen wir davon aus, daß bei der Einheitsstrafe das Summensystem nicht reicht und nicht verständlich ist, dann muß die Einheitsstrafe so gefaßt werden, daß der Schuldspruch die Bewertung der Einzeltat nicht außer acht läßt. Die Frage, wie es ist, wenn auf Geldstrafe neben Freiheitsstrafe erkannt wird, muß besonders geregelt werden. Wie ist es nun, wenn ein solches auf Einheitsstrafe lautendes Urteil im Rechtsmittelweg teilweise aufge­ hoben wird? D as kann man machen im Wege des Aufteilens und denselben Weg gehen wie vorher beim Zusammenfassen. Der Wegfall e i n e s Schuldspruchs braucht eventuell gar nichts zu ändern oder umgekehrt sehr viel. Nehmen wir z. B. den Fall, daß jemand wegen Betrugs und eines geringfügigen Diebstahls angeklagt wird. Wäre nun nur der kleine Diebstahl verübt worden, -würde ich eventuell eingestellt haben. Bei Bildung der Einheitsstrafe wird der an sich ge­ ringfügige Diebstahl natürlich auch etwas berücksich­ tigt. Wird jetzt in der Berufungsinstanz der Schuldspruch bezüglich des Betruges aufgehoben, soll dann die Ermächtigung zur Strafvollstreckung bezüglich des Diebstahls gegeben werden? (Pause von 12.55 Uhr bis 16.10 Uhr.) Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s ist verschiedentlich hervorgehoben worden, daß Tateinheit und Tatmehrheit nichts Wesensgleiches, sondern etwas Verschiedenes sind. Wenn ich richtig verstanden habe, so sollen die Bestimmungen über die Tateinheit und Tatmehrheit nicht zwangsweise zu­ sammengepreßt werden, sondern in zwei verschiedenen Gesetzen zum Ausdruck kommen. über die Tateinheit braucht nichts weiter gesagt zu werden. über die Tatmehrheit war das letzte Bild dieses, daß zwar über jede T at ein Schuldspruch erfolgen soll: dagegen soll dem Richter nicht aufgegeben werden, die Wertung in einem Strafausspruch auszusprechen. D as geht solange, wie die verschiedenen Schuldsprüchs zusammenbleiben. Wenn der Gleichschritt gestört wird, und zwar dadurch, daß einer oder mehrere Schuld­ sprüche angefochten werden, müssen wir uns fragen, wie die dabei auftauchenden Schwierigkeiten gelöst werden. Nehmen wir an, daß von fünf Taten gegen die Verurteilung von zwei Taten ein Rechtsmittel eingelegt wird. Die Verurteilung der drei anderen Taten wird im Schuldausspruch rechtskräftig, sie wer­ den nicht mehr zur Diskussion gestellt. Wie steht es mit dem Strafausspruch? Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. M an kann nun entweder über Haupt auf die Vollstreckung dieses angegriffenen Strafausspruchs verzichten; wenn man das nicht will, muß man durch einen Akt des Vollstreckungsgerichts feststellen, daß ein Teil der Strafe vollstreckt werden muß. I n diesem Augenblick kommt man — zwar auf einem ganz anderen Wege und durch ein anderes Gericht — zu derselben Aufgabe, die bei den Einzelstrafen zu lösen war. Der Teil des Strasausspruchs, der der Vollstreckung preisgegeben wird, muß in einem

Verhältnis zu dem stehen, was man als fest hinnimmt. D er Vollstreckungsrichter, der z. B. den schweren Be­ trug und den leichten Diebstahl vor sich hat, muß sich in dem Falle, in dem nur der Ausspruch über den Betrug angefochten wird, darüber klar werden, wie­ viel von der Strafe mit Rücksicht auf den Diebstahl und das ganze Persönlichkeitsbild des Täters voll­ streckt werden kann. Der Vollstreckungsrichter hat keinen Anhaltspunkt in dem, was sich etwa der er­ kennende Richter gedacht hat; das weiß der Vollstreckungsrichter nicht. Ich glaube aber auch nicht, daß man auf die Vollstreckung wird ganz verzichten können, wenn von mehreren Schuldaussprüchen nur ein Ausspruch angefochten wird. M an wird aus eine Erlaubnis zur Vollstreckung bis zu einem bestimmten Punkt abkommen müssen. Dabei wird man allein eine gewisse Vorsicht müssen walten lassen. Ich möchte noch ein anderes Beispiel zur Erörte­ rung stellen. Es handelt sich um mehrere Straftaten; für eine dieser Taten ist eine Zuchthausstrafdrohung vorhanden, bei den anderen nicht. Die Entscheidung wird nur bezüglich des zuchthauswürdigen Delikts angefochten. Soll dann aus eine Vollstreckung über­ haupt verzichtet werden oder soll man einen Teil voll­ strecken lassen? Wenn ja, im Zuchthaus oder im Ge­ fängnis? Es wäre mir sehr interessant, die Meinung der Herren über diese Frage zu hören. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Nach der Theorie des Herrn Freister kann, wenn wegen Diebstahls und schwerer Untreue zu IV 2 Jahren Zuchthaus verurteilt ist und die Verurteilung wegen schwerer Untreue angefochten wird, nur Gefängnis vollstreckt werden; denn für einen einfachen Diebstahl kann nur aus Gefängnis erkannt werden. Die größeren Schwierigkeiten bei dem Vorschlage des Herrn Freister liegen darin, daß der Richter, der vollstreckt, keine Möglichkeit hat, auf eine Strafe zu­ rückzugreifen, aus der er vollstrecken kann. Der Richter weiß nicht, was er vollstrecken soll. Wenn man das Freislersche System annimmt, dann darf der Richter nur Gefängnis vollstrecken können. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I n der Sprache des Augenblicks sind diese Be­ merkungen eindrucksvoller, wenn wir sagen: Die Ver­ urteilung wegen schwerer Untreue hat das Persönlich­ keitsbild des Täters sehr dunkel gefärbt; es ist in Ordnung, daß er ins Zuchthaus kommt. Vom Persön­ lichkeitsbild ausgehend entsteht ein schwerer Konflikt, wenn nur die Untreue angefochten wird und für den Diebstahl Zuchthaus übrigbleibt; denn dadurch würde der Täter viel schwerer abgestempelt werden. M an könnte vielleicht versuchen, diese Schwierigkeiten da­ durch zu lösen, daß man die Erlaubnis zu einer T eil­ vollstreckung nur aus der leichteren S trafart erteilt. Staatssekretär Dr. Freisler: Meines Erachtens sind die auftretenden Schwierig­ keiten nicht größer als die schon nach dem geltenden Recht bestehenden. Nehmen wir an, daß jemand zu 2 Jah ren Zuchthaus verurteilt worden ist, und zwar

wegen Diebstahls und schwerer Untreue. Die Ver­ urteilung bezüglich der schweren Untreue wird ange­ fochten. W as soll mit dem M ann geschehen? Der M ann saß bisher in Untersuchungshaft; wenn er sich nicht in Untersuchungshaft befände, ist der Fall nicht so interessant. Es ergeben sich jetzt folgende Möglich­ keiten. Entweder sitzt der M ann weiter in Unter­ suchungshaft. Dies wird z. B. dann der F all sein, wenn die Diebstahlsache eine Lächerlichkeit ist. Oder es besteht ein Bedürfnis, mit der Voll­ streckung Ernst zu machen. Wie kommt es jetzt zur Vollstreckung? Richtig ist, daß im Augenblick kein Strasausspruch vorhanden ist; denn die Einheitsstrafe ist nicht rechtskräftig, und eine vorläufige Vollstreck­ barkeit kann es nicht geben. Unrichtig ist aber, daß überhaupt nichts vorhanden sei; vorhanden ist der Schuldspruch bez. des Diebstahls. Ich bin der Mei­ nung, daß das Gericht, das mit der Sache besaßt ist, durch Beschluß auszusprechen hat: Vorläufig kann so­ undsoviel vollstreckt werden. Wieviel soll vollstreckt werden? S o viel ist zu vollstrecken, daß bei höchstmöglichem Erfolg des ein­ gelegten Rechtsmittels das, was vollstreckt wird, nicht zuviel ist. M an muß dabei natürlich, wie Sie, Herr Minister, hervorgehoben haben, mit einer gewissen Vorsicht vorgehen. I n welcher S trafart soll vollstreckt werden? Diese Frage beantwortet sich schon aus meinen früheren Ausführungen, daß nicht zuviel vollstreckt werden darf. Zuchthaus statt Gefängnis wäre zuviel. Es ist aber durchaus möglich, den zu vollstreckenden Teil in Gefängnis festzusetzen, auch wenn die Einheits­ strafe auf Zuchthaus gelautet hat. Eine Schwierigkeit kann sich nur dann ergeben, wenn das, was vollstreckt werden kann, nicht so lange dauert, bis der ange­ fochtene Teil der Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Dann muß man den Verurteilten entweder her­ auslassen oder ihn wieder in Untersuchungshaft brin­ gen. Dies kann auch heute vorkommen, wenn die rechtskräftige Einsatzstrase erschöpft ist. Z u erörtern ist ferner noch die Frage, was ge­ schehen soll, wenn auf ein Rechtsmittel e i n Schuld­ spruch aufgehoben wird, das Urteil im übrigen aber bestehen bleibt. W ir stehen dann vor der Tatsache, daß keine bestimmte S trafe ausgeworfen ist. Wer soll die S trafe festsetzen? D er Gesetzgeber sollte dem höchsten in diesem Falle entscheidenden Gericht die Möglichkeit geben, nach seinem Ermessen aus Grund der Aktenlage oder nach Anhörung der Beteiligten die S trafe festzusetzen; von dieser Strafe wäre natürlich eine schon verbüßte Zeit abzurechnen. M an könnte auch den Weg wählen, daß die Sache zur Festsetzung der Einheitsstrafe zurückverwiesen wird. Da die Schuldsprüche rechtskräftig sind, wird sich die neue Hauptverhandlung auf die Erörterung einiger Fragen beschränken können. Ich nehme an, daß es sich hier um seltene Fälle handelt. Die Festsetzung der Strafe wird in vielen Fällen auf Grund der Aktenlage mög­ lich sein; in manchen Fällen wird das Gericht aller­ dings auch den Wunsch haben, den M ann zu sehen. Die Schwierigkeit, daß eine Einsatzstrafe nicht vor­

handen ist, ist also nur eine Scheinschwierigkeit. Wenn man diese Frage richtig durchdenkt, tauchen keine un­ überwindbaren Schwierigkeiten auf. Vizepräsident des Reichsgerichts D r. Thierack: W as Herr Staatssekretär Freister eine Einheits­ strafe nennt, ist nichts als eine Einsatzstrase, nur daß sie vom Rechtsmittelgericht oder nach Verweisung in dieser komplizierten Form vom ersten Gericht fest­ gesetzt wird. Reichsjustizminister D r. Gürtner: E s ist keine fruchtbare Debatte, wenn man sich davon überzeugen will, daß das jetzt Vorgeschlagene dasselbe ist wie das frühere. M an sollte die Schwierig­ keiten, die sich bisher ergeben haben und sich künftig ergeben werden, nicht gegenüberstellen. D as Problem, auf bestimmte Schuldsprüche zu projizieren, bleibt in nuce bestehen. Die Frage ist nur, ob wir es in der Additionsweise lösen wollen. Ich persönlich scheue mich nicht davor anzuerkennen, daß das Problem das gleiche bleibt. Ich muß aus der einen Strafe etwas herausnehmen und auf die festgestellten und rechtskräftig gewordenen Schuld­ sprüche projizieren. Festzuhalten ist aber 1. daß die rechtskräftig gewordenen Schuldsprüche aus keiner anderen S trafart beantwortet wer­ den sollen als aus der, die für diese Handlung adäquat ist; 2. daß man in der Praxis Vorsicht üben muß. Landgerichtspräsident Dr. Lorenz: W as ich sagen wollte, hat sich in der Hauptsache durch die letzten Ausführungen des Herrn S ta a ts ­ sekretärs erledigt. Ich möchte nur noch betonen, daß die Schwierigkeiten für die Zeit bis zur Erledigung eingelegter T e i l -Rechtsmittel nicht so groß sind, wie das hier zunächst ausgeführt wurde. Vor allem ist ja davon auszugehen, daß in der Mehrzahl aller Fälle der Angeklagte sich überhaupt nicht in Untersuchungs­ haft befindet. Alle diese Fälle scheiden von vornherein aus, denn da wird niemand an eine Strafvollstreckung denken, bevor nicht das ganze Verfahren rechtskräftig erledigt ist. Bei denen aber, die in Untersuchungshaft sitzen, wird man diese im allgemeinen fortdauern lasten und n i c h t mit einer Teil-Strafvollstreckung beginnen. S o wird schon vermieden, daß etwa eine Zuchthausstrafe vollstreckt wird, und Z u c h t h a u s strafe dann ganz wegfällt, weil das Rechtsmittel E r­ folg gehabt hat, und nur G e f ä n g n i s strafe übrig­ bleibt. E s ist dann weiter zu unterscheiden zwischen den Fällen, wo sich das Rechtsmittel auf die schwerere S traftat bezieht, und denen, wo es sich vielleicht nur auf ein kleines Anhängsel bezieht. I n letzteren Fällen wird nicht zu befürchten sein, daß der Angeklagte bis zur Erledigung seines Rechtsmittels zu lange in Untersuchungshaft sitzen wird. I n den anderen Fällen wird allerdings der Richter und der S ta a ts ­ anwalt gewissenhaft zu prüfen haben, ob eine F o rt­ dauer der Untersuchungshaft noch berechtigt ist im Hinblick auf einen etwaigen Erfolg des eingelegten

Rechtsmittels. Nur für diesen kleinen Ausschnitt können gewisse Schwierigkeiten entstehen. Aber die sind nicht so, daß sie zu Bedenken gegen das ganze System Anlaß geben könnten. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist für die Prozesse des Alltags richtig. I n den Monstreprozeffen kommt man dagegen für die Untersuchungshaft aus Zeiten, die sich aus Jahre belaufen. Senatspräsident Professor D r. Klee: D as Problem, das sich aus der Einheitsstrafe ergibt, besteht auch schon im geltenden Recht für den Fall, daß für eine fortgesetzte Handlung eine Einheits­ strafe festzusetzen ist. Nehmen w ir an, daß jemand wegen fortgesetzten teils leichten, teils schweren Dieb­ stahls mit Zuchthaus bestraft wird. E r wird wegen 10 Fällen bestraft; wegen 3 Fällen ficht der Angeklagte das Urteil an. Wie ist die Rechtslage? Die Praxis nimmt an, daß die einzelnen Fälle nicht in Rechts­ kraft erwachsen können, weil eine einheitliche Hand­ lung vorliegt. M it der Vollstreckung kann nicht be­ gonnen werden. E s liegt also schon im geltenden Recht eine Kalamität vor, auf die ich nur hinweisen wollte. Jetzt sind wir in der Verlegenheit, gar nicht vollstrecken zu können, während nach dem Vorschlag des Herrn Staatssekretärs diese Möglichkeit eröffnet wird. Dasselbe gilt auch bei der Gewohnheits­ mäßigkeit. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn man daran festhalten will, eine Möglichkeit zur Einleitung der Vollstreckung zu schaffen, ist das­ selbe Problem zu lösen wie früher bei der Einsatz­ strafe, daß nämlich der Teil der Strafe, der für voll­ streckbar erklärt wird, aus der S tra fa rt stammen muß, die dem rechtskräftigen Schuldausspruch entspricht. I m übrigen sehe ich keine unlösbaren Schwierigkeiten. Uber zwei Fragen, über Ehren- und Vermögens­ strafen, brauchen wir nicht zu sprechen. E s muß mög­ lich sein, diese Strafen auch bei nur einem S tra f­ rahmen auszusprechen. Kommen wir nicht in Schwierigkeiten, wenn die Verurteilungen nicht gleichzeitig, sondern nachein­ ander ausgesprochen werden und die erste Ver­ urteilung nicht rechtskräftig wird? Die erste Strafe lautet auf 3 Monate Gefängnis, die zweite auf ein J a h r Zuchthaus. Der zweite Richter muß aus Zucht­ haus erkennen; er wird etwa auf ein J a h r einen M onat Zuchthaus erkennen. W ir wollen annehmen, daß nichts verbüßt ist. Muß dann später der erste Strafausspruch annulliert werden? Die Meinung der Herren würde also dahin gehen, daß im Tenor zum Ausdruck kommen muß, daß die erste Strafe hier einzubeziehen ist. Senatspräsident Grau: Wenn man die nachträgliche Bildung einer Ein­ heitsstrafe Lurch Urteil zuläßt, bevor die erste Strafe rechtskräftig geworden ist, entstehen Schwierigkeiten. Nehmen w ir an, daß zunächst gegen das eine Urteil,

dann gegen das andere Urteil Berufung eingelegt wird. Dann gibt es zwei selbständige Rechtsmittel­ züge; dann könnte das eine Gericht die Straffest­ setzung des anderen Gerichts nach Belieben durch­ kreuzen. Ich würde diese Schwierigkeiten dadurch lösen, daß die nachträgliche Bildung einer Einheits­ strafe durch Urteil erst dann zulässig ist, wenn das erste Urteil bereits rechtskräftig geworden ist. Staatssekretär Dr. Freisler: Die Sachen, die bereits verbüßt sind, erscheinen bei der Bildung der neuen Einheitsstrafe nur inso­ weit wieder, als w ir dann sagen: Der M ann ist schon vorbestraft. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as scheint mir richtig zu sein, daß die verbüßte Strafe später nur als Motiv bei der Strafbemessung in die Erscheinung treten kann. Wie soll es bei einer Strafe sein, die noch nicht verbüßt ist? Staatssekretär Dr. Freisler: E s muß entweder stets bereits in dem Urteil, das aus Anlaß der neuen S traftat ergeht, die Einheits­ strafe gebildet werden. Oder man kann auch den anderen Weg gehen und die Einheitsstrafe erst dann bilden, wenn die frühere Strafe rechtskräftig gewor­ den ist. Dann wird häufig die neue Einheitsstrafe erst später zu bilden sein. Der erste Weg entspricht meinem Gedankengang mehr; wenn man den ersten Weg wählt, ist ein gewisses Spiel und Gegenspiel möglich. Dann tritt allerdings der Fall ein, den Herr G rau erwähnte, daß nämlich beide Urteile an­ gefochten werden und daß das Schicksal der beiden Prozesse einen dauernden Wechsel herbeiführen kann. Es kann daher fraglich erscheinen, ob man nicht besser den zweiten Weg wählen soll. Ministerialdirektor Schäfer: M an könnte dem Gericht die Ermessenssreiheit geben, die es auch heute hat. I n der Regel würde ich den von Herrn Senatspräsident Grau angeregten Weg gehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe zu diesen Gedankengängen keine Frage mehr. W ir müssen noch aus eine andere Frage eingehen, nämlich wie es bei einer Amnestie steht. Bisher war dies verhältnismäßig einfach; denn wenn eine Am­ nestie sagte, alle Strafen bis zu 6 Monaten werden erlassen, wußte man, was davon ersaßt wird. Bei dem künftigen Recht würde bei einer Amnestie nicht ersichtlich sein, was von mehreren Strafen amnestiert ist. Infolgedessen müßte dies jetzt im Trennungs­ verfahren ersichtlich gemacht werden, und ein Gericht müßte darüber entscheiden, daß in der Einheitsstrafe eine S traftat enthalten ist, die mit 4 Monaten bestraft worden ist.

Senatspräsident Grau: D as liegt genau so wie jetzt bei der Jdealkonkurrenz. Die Schwierigkeit kann dadurch gelöst wer­ den, daß ein besonderer Gerichtsbeschluß darüber er­ geht, in welchem Umsange die Einheitsstrafe von der Amnestie ersaßt ist, oder daß in die Amnestie selbst eine besondere Vorschrift hierüber aufgenommen wird. Ministerialdirektor Schäfer: Ich hätte noch eine Frage. E s stellt sich heraus, daß jemand noch eine andere realkonkurrierende Tat begangen hat, die durch das frühere Urteil nicht ersaßt ist. Wenn eine neue Anklage erhoben wird und ein Urteil ergeht, so wird die früher ausgesprochene Strafe einbezogen. Wenn sich dagegen herausstellt, daß ein idealkonkurrierender Gesichtspunkt übersehen worden ist, soll dann die Staatsanwaltschaft darauf zurück­ greifen können, oder soll nur der Weg der Wiederauf­ nahme des Verfahrens freistehen? Staatssekretär Dr. Freisler: Diese Frage ist davon abhängig, ob wir den Um­ fang der Rechtskraft bei der Behandlung der S tra f­ prozeßordnung ändern. Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich habe zu diesen Fragen keine Anmerkungen mehr. Brauchen wir bei diesem Aufbau noch etwas wie die fortgesetzte Handlung? Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bin der Meinung, daß man sich zuerst darüber schlüssig werden muß, was man als fortgesetzte Hand­ lung ansehen will. Wenn man darunter nur das fassen will, was nach der Rechtsprechung des Reichs­ gerichts eine echte fortgesetzte Handlung ist, dann braucht man im materiellen Recht für die fortgesetzte Handlung nur noch eines, nämlich die Ausweitung ihres Strafrahm ens nach oben. Es ist richtig, daß der Entschluß, ein für alle M al bei passender Gelegen­ heit Verbrechen zu begehen, und die Betätigung dieses Entschlusses viel schwerwiegender sein kann als die mehrfach neue Entschlußfassung, wenn die Versuchung neu herankommt. Wir haben uns dafür entschieden, daß bei der Realkonkurrenz das Hinausgehen über den Strafrahm en für die schwerste T at bis zum Höchstmaß der S tra fa rt möglich sein soll. Wenn man sagt, daß eine fortgesetzte Handlung schwerer wiegen kann als eine Reihe realkonkurrierender Handlungen, so muß man auch dazu kommen, daß der Strafrahm en der fortgesetzten Handlung nach oben ausgeweitet wird. Damit wird dem Rechnung getragen, was der Herr Reichsgerichtsrat Niethammer immer gewünscht hat, daß nämlich die fortgesetzte Handlung ihrer Schwere entsprechend bestraft werden kann. Nichtsdestoweniger muß man aber auch die Rechts­ kraftwirkung beschränken; man muß erwägen, daß auch bei echtem Fortsetzungszusammenhang eine später bekannt werdende, das Bild wesentlich ändernde Handlung nicht durch die Rechtskraft des bereits er­ gangenen Urteils konsumiert wird. D as sind die

beiden Bestimmungen, die über die fortgesetzte Hand­ lung notwendig sind. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: S o klar ist mir dies doch noch nicht geworden. W ir wollen von der echten fortgesetzten Handlung ausgehen. Der Diener faßt den Entschluß, fortgesetzt aus der Zigarrenkiste Zigarren zu entwenden. S oll unter die echte fortgesetzte Handlung auch der F all kommen, daß jemand den Entschluß faßt, seinen Unterhalt nicht durch Arbeit, sondern durch Glücks­ spiel usw. zu erwerben? Staatssekretär Dr. Freisler: Zwischen diesen beiden Gruppen von Fällen steht ein Mittelding. Ich nehme mir vor zu stehlen, wo ich stehlen kann, nämlich einmal bei dem A , einmal bei dem B, einmal bei dem € . D as ist auch ein Fall der fort­ gesetzten Handlung. Dagegen kann man aber nicht alles, was aus den allgemeinen Entschluß, asozial zu leben, zurückgeht, zu einer Handlung zusammenfassen. Ministerialdirektor Schäfer: W ir können das Problem der fortgesetzten Hand­ lung auch dadurch lösen, daß wir diesen Begriff über­ haupt nicht anerkennen. Wir wollen doch erreichen, daß diese mehreren Teile bezüglich des Strafrahmens und bezüglich der Rechtskraft wie selbständige Taten gewertet werden. D as erreichen wir am besten da­ durch, daß wir diese besondere Figur der fortgesetzten Handlung überhaupt nicht anerkennen. Herr Reichs­ gerichtsrat Niethammer kommt in dem von ihm vor­ geschlagenen § 416 von einem anderen Standpunkt aus zu demselben Ergebnis. Staatssekretär Dr. Freisler: Der Vorschlag von Herrn Ministerialdirektor Schäfer würde den Wünschen von Herrn Reichs­ gerichtsrat Niethammer noch besser entsprechen. E r enthält zwar eine kleine Inkonsequenz, die aber nichts schadet. Ministerialdirektor Schäfer: M an kann das Problem auch anders lösen, näm­ lich an zwei getrennten Stellen. M an kann entweder bei der Strafzumessung oder hier sagen, daß der ge­ wöhnliche Strafrahm en bei einer fortgesetzten Hand­ lung bis zum Maximum der S tra fa rt überschritten werden kann. I m Prozeßrecht wäre dann zu sagen, daß die Rechtskraft der Aburteilung einzelner Teile einer fortgesetzten Handlung nicht entgegensteht. Staatssekretär Dr. Freisler: Das scheint mir die bessere Lösung zu sein; ne­ gieren wir den Begriff der fortgesetzten Handlung, so werden wir, wie ich glaube, den Fällen nicht ganz gerecht, in denen der einmalige Entschluß nicht so schwer zu werten ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: M an kann diesen Weg wählen. Bei der Gewerbsmäßigkeit ist dies allerdings eine etwas lebensfremde

Lösung. Wenn z. B. bei einer gewerbsmäßigen Ab­ treibung ein Fall übersehen worden ist, soll dann noch hinterher wegen dieses einen Falles angeklagt werden können? Ministerialdirektor Schäfer: D as ist nicht erforderlich; für diese Fälle hilft der § 153 S tP O . Staatssekretär Dr. Freisler: Die Gewerbsmäßigkeit hat mit der Frage der fortgesetzten Handlung nichts zu tun. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Daraus kommt es mir nicht an. M ir kommt es darauf an, ob die Rechtskraft dort die nachträgliche Aburteilung eines übersehenen Einzelfalles aus­ schließt. Die Frage ist also, ob wir hier etwas über gewerbs- und gewohnheitsmäßiges Handeln sagen müssen. Ministerialdirektor Schäfer: W ir haben den Begriff der Gewerbs- und Ge­ wohnheitsmäßigkeit im Besonderen Teil nur ganz selten verwandt. Wenn für diese Fälle die S tra f­ rahmen weit genug sind — und wir können sie weit genug gestalten — , wäre dieser Begriff wegen des Strafrahm ens sicherlich nicht notwendig. M an könnte sich nur fragen, ob man bei den Grenzen der Rechts­ kraft eine Durchbrechung vorsehen sollte. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich meine, Herr Minister, Ih re Frage lautete anders, nämlich ob hier eine Begriffsbestimmung nötig sei. Eine Begriffsbestimmung der Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit gehört jedenfalls nicht hierher, weil eine solche Begriffsbestimmung mit der Mehrheit von Taten nichts zu tun hat. Wenn eine Ausweitung der Strafrahm en für nötig gehalten wird, so besagt das noch nicht, daß dies hier ausgesprochen werden muß. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Wie stellen sich die Herren zu der Frage, welche Überschrift dieser Titel erhalten soll? Ministerialdirektor Schäfer: Die bisherige Überschrift paßt noch. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Die Überschrift kann also so bleiben. Professor Dr. Mezger: Ich würde vorschlagen, nur von Tatmehrheit zu sprechen. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Aber die Tateinheit ist auch in diesem Titel enthalten. Professor Dr. Graf Gleispach: Ich würde vorschlagen: Strafbemessung bei einer Mehrheit von Verbrechen.

Staatssekretär Dr. Freisler: Bezüglich der Jdealkonkurrenz würde dies die An­ erkennung der Auffassung sein, die sich nicht durch­ gesetzt hat, daß nämlich die eine T at mehrere Ver­ brechen darstellt. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: Wenn jemand liest: Die Strafbemessung bei T a t­ mehrheit, so versteht er dies; aber die Worte: Die Strafbemessung bei Tateinheit versteht nur der Jurist. W ir können aber die Auswahl der Überschrift der Unterkommission überlassen. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Soll eine Begriffsbestimmung der fortgesetzten Handlung gegeben werden oder nicht? Staatssekretär Dr. Freisler: Ich würde das tun, damit nicht der Mißbrauch, der jetzt mit der fortgesetzten Handlung getrieben wird, weiter getrieben wird. Ministerialdirektor Schäfer: Der Begriff ist jetzt unschädlich gemacht. Senatspräsident Professor Dr. Klee: Ich würde es auch nicht im Gesetz sagen, sondern der Praxis und Wissenschaft überlassen. F ü r die Ge­ wohnheitsmäßigkeit hätten wir aber eine Bestimmung zu treffen, die ähnlich ist wie die Bestimmung, die wir für die Realkonkurrenz vorgesehen haben, daß nämlich ein Teil der Strafe auf Anordnung des Richters voll­ streckt werden darf. Reichsjustizminister D r. G ärtner: Ich habe das Bedenken, daß eine fortgesetzte Handlung, die keine fortgesetzte Handlung im engsten Sinne des Wortes ist, uns nur stört und nicht fördert Wenn wir die fortgesetzte Handlung im engsten Sinne anerkennen, müssen wir sie als e i n e Hand­ lung betrachten. Die Frage ist nur, ob man in der Praxis vorwärts kommen kann, wenn man die fort­ gesetzte Handlung auf den engsten Bereich beschränkt? Reichsgerichtsrat Niethammer: Die Rechtsprechung kann dies durchführen. I n meinem schriftlichen Antrag habe ich auf Grund der Erfahrungen des Reichsgerichts geschildert, was als eine fortgesetzte Handlung angesehen wird und w as nicht; keine echte fortgesetzte Handlung ist z. B. die Wiederholung der Unzucht an einem Kinde, weil bei ihr ein neuer Gedanke, ein neuer Entschluß auftauchen muß. Es bestehen keine Bedenken dagegen, nur die fortgesetzte Handlung im engsten Sinne anzuerkennen. Ministerialdirektor Schäfer: Zu welchem Zweck soll die fortgesetzte Handlung definiert werden? Will man einen engeren Begriff festlegen, um diese Tätigkeit als eine einzige Hand­ lung anzusehen mit der Wirkung, daß keine Ausweitrmg des Strasrahm ens und keine Durchbrechung

der Rechtskraft vorgesehen zu werden braucht? Zu welchem Zweck soll dann die fortgesetzte Handlung definiert werden? Ich halte es für klüger, eine Aus­ weitung des Strafrahm ens und eine Durchbrechung der Rechtskraft vorzusehen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn wir die fortgesetzte Handlung aus ihren engsten Bezirk einschränken, so würde ich daraus den Schluß ziehen, das wirklich als e i n e Handlung zu betrachten. Alles übrige, was heute sonst noch als fortgesetzte Handlung erscheint, würde von selbst in den großen Strafrahm en hineinwachsen. Ministerialdirektor Schäfer: Bon diesem Standpunkt aus wäre zu definieren: Als eine Handlung darf unter dem Gesichtspunkt des Fortsetzungszusammenhangs nur etwas angesehen werden, was aus dem einheitlichen Entschluß ent­ springt. Ich weiß aber nicht, welcher Weg praktischer ist. Ich würde den anderen Weg, Erweiterung der Strafrahm en und Durchbrechung der Rechtskraft, für praktischer halten. Staatssekretär Dr. Frelsler: Ich glaube nicht, daß das praktischer ist, insbe­ sondere nicht mit Rücksicht auf die Fragen, die sich bei der Vollstreckung ergeben. M ir scheint es praktischer und richtiger zu sein, nur zu sagen: D as ist e i n e Handlung.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Hier liegt das Problem. Ich frage mich, ob die fortgesetzte Handlung nicht überhaupt untergehen kann. Staatssekretär D r. Freister: Es werden Schwierigkeiten entstehen, wenn wir die fortgesetzte Handlung überhaupt nicht mehr er­ wähnen. W ir können nicht verhindern, daß sich die Gerichte mit der Frage beschäftigen, was e i n e Hand­ lung und was mehrere Handlungen sind. Wenn es für die Gesamtbeurteilung der Persönlichkeit in einem Urteil, in dem der Schuldspruch sich aus mehrere Vor­ gänge erstreckt, nicht ohne Einfluß aus den Richter sein wird, ob er eine oder zwei Taten feststellt, so liefern wir uns der P rax is aus, wenn wir nicht klar zum Ausdruck bringen, warum wir im Falle der wieder­ holten Verwirklichung eines Tatbestandes nur eine T at festgestellt haben wollen. Dann entsteht leicht der Mangel, den Herr Reichsgerichtsrat Niethammer mehrfach hervorgehoben hat, daß nämlich in der Ge­ samtbewertung der Persönlichkeit eines T äters eine gewisse Laxheit eintritt. Deshalb ist es schon wesent­ lich, den Begriff der fortgesetzten Handlung festzu­ legen. Professor Dr. Mezger: Wenn man die fortgesetzte Handlung im Gesetz regelt, so muß das zu einer Ausweitung des S tra f­ rahmens für diese Fälle führen.

Ministerialdirektor Schäfer: M ir scheint es sich darum zu handeln, ob es uns gelingt, einen so engen Begriff festzulegen. Gelingt uns dies, dann ist es gut. Sonst würde ich es für klüger halten, einen anderen Weg zu wählen.

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist schon angeregt worden; es spielt aber praktisch keine Rolle. W ir haben schon so hohe Strafenmaxima, und die Gerichte lassen es zur Zeit an Strenge nicht fehlen.

Staatssekretär D r. Frelsler: Durch neue Fassung und durch einen Hinweis in der Begründung sollte es möglich sein, die P raxis aus den richtigen Weg zu bringen.

Staatssekretär D r. Freister: Ich möchte darauf hinweisen, daß Herr Minister Thierack auch von seinem Standpunkt aus mit der Regelung der fortgesetzten Handlung einverstanden sein kann; das ist eine durchaus selbständige Frage.

Professor Dr. M e M r: Ich möchte doch glauben, daß die Anerkennung dieser echten fortgesetzten Handlung ohne Erhöhung des Strafrahm ens ihre Bedenken hat. Ich möchte als Beispiel die Beleidigung nehmen. Wenn sich jemand bei verschiedenen Gelegenheiten hinreißen läßt, einen anderen zu beleidigen, würde der S traf­ rahmen erhöht werden. Wenn er sich von vornherein vornimmt, das immer und immer wieder zu tun, würde eine Erhöhung nicht möglich sein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: D as ist eine Frage, die an die Fassung rührt. E s ist die Frage, ob es eine fortgesetzte Beleidigung in diesem S in n überhaupt gibt. Reichsgerichtsrat Niethammer: E r muß sich immer wieder neu entschließen.

Professor D r. Gras Gleispach: über die fortgesetzte Handlung müssen wir im Gesetz etwas sagen, denn sonst sind wir völlig der P raxis ausgeliefert. Unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit ist eine Ausweitung des S tra f­ rahmens für die fortsetzte Handlung im engeren Sinne nicht nötig. M an fragt sich sonst, warum werden die Einzelakte zu einer Einheit zusammen­ gefaßt, obwohl man eine Strafschärfung für not­ wendig hält. Ich möchte aber darauf aufmerksam machen, daß die fortgesetzte Handlung im weiteren Sinne für verschiedene Fragen wichtig ist, z. B. für den Tatort, die Verjährung, den Wechsel der Gesetz» gebung, die Zurechnungsfähigkeit usw. Eine Ver­ engung des Begriffs der fortgesetzten Handlung wird gewisse Schwierigkeiten zur Folge haben, aber das ändert nichts daran, daß der Begriff der fortgesetzten Handlung im engeren S inne richtig ist.

Reichsgerichtsrat Niethammer: Vieles von dem, was ich sagen wollte, hat sich durch die Ausführungen des Grafen Gleispach er­ ledigt. Gerade bei dem Begriff der fortgesetzten Handlung gibt es Übergänge, die zu berücksichtigen sind. Wenn jemand in einem S treit dreimal zu­ schlägt, dann denkt man nicht daran, von einer fort­ gesetzten Handlung zu reden. Eine gesetzliche Be­ stimmung der fortgesetzten Handlung im engeren Sinne erachte ich jedoch für erforderlich, und zwar muß uns das Bestreben leiten, sie so eng wie möglich zu umschreiben. Es ist richtig, daß gewisse damit zu­ sammenhängende Fragen, wie z. B. des Tatorts, der Verjährung usw. dadurch beeinflußt werden, aber das halte ich immer noch für den kleineren Schaden.

F ü r den § 418, den wir nicht ganz bis zu Ende diskutiert haben, hätte die Unterkommission eine Formel zu finden; das kann aber keine großen Schwierigkeiten bereiten. F ü r die fortgesetzte Handlung ist eine Legal­ definition aufzunehmen, die in der hier besprochenen Weise einzuengen ist.

Senatspräsident Professor Dr. Klee: Wenn man davon ausgeht, daß die fortgesetzte Handlung im engeren Sinne gesetzlich definiert wer­ den wird, dann erscheint eine Teilvollstreckung aus logischen Gründen unmöglich. Praktisch aber halte ich sie gleichwohl für angebracht und möchte bitten, eine entsprechende Bestimmung in die S trafver­ fahrensordnung aufzunehmen des In h a lts, daß auch dann die S trafe zum Teil vollstreckt werden kann. E s besteht ein praktisches Bedürfnis zur Teilvoll streckung, z. B . wenn der Täter von den 30 Einzel­ handlungen nur 5 Fälle angefochten hat und es offen­ sichtlich ist, daß er einen großen Teil der verhängten Strafe wird verbüßen müssen. Dafür spielen die 5 Einzelfälle keine entscheidende Rolle. Eine ent­ sprechende Möglichkeit der Teilvollstreckung (Anord­ nung durch Beschluß) ist deshalb vorzusehen.

Staatssekretär Dr. Freisler: Ich möchte nur noch eins klarstellen: Soll nach Schuldarten unterschieden werden? (Wird allgemein verneint.)

Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Nach meiner Meinung rührt das an die Grund­ fragen. W ir können es auch schon jetzt nicht so machen, obwohl wir jetzt die fortgesetzte Handlung in einem weiteren Sinne haben. W ir kommen schon in Schwierigkeiten, wenn wir von Teilanfechtung sprechen. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich bin der Meinung, daß für eine Teilvoll­ streckung kein Bedürfnis mehr besteht, wenn wir die fortgesetzte Handlung im engeren Sinne gesetzlich de­ finieren und auf die echten Fälle einschränken. Die von Herrn Professor Klee erwähnten Fälle kommen selten vor. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich möchte aus folgendes abkommen: Zunächst soll eine Bestimmung über die Idealkonkurrenz aufgenommen werden, deren Nachsatz lautet: „so ist aus eine Strafe zu erkennen". Getrennt davon ist eine Vorschrift über die Real­ konkurrenz vorzusehen, deren Nachsatz lautet: „so ist auf eine Strafe zu erkennen". I n beiden Fallen kann der Strafrahm en gleich­ gesetzt werden; das wäre der § 416. § 417 hat zu keinen Schwierigkeiten geführt.

Ministerialdirektor Schäfer: Die Unterkommisiion mag sich auch überlegen, ob die Strafrahm en bei bestimmten einzelnen Tatbestän­ den geändert werden müssen. Ich hielte es ferner für gut, wenn sie die Regelung der Vollstreckungsfragen im Prozeß kurz, wenigstens skizzenhaft, festlegen würde.

Reichsgerichtsrat Niethammer: über die Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit ist im Gesetz nichts Besonderes gesagt. Ich möchte aber daraus Hinweisen, daß sich die Rechtsprechung in diesem Punkte ändern wird. Bisher waren die Fälle der Gewerbsmäßiakeit selten. Bei der Hehlerei ergab sich die Zusammenfassung zu einer Einheit daraus, daß das Gesetz den gewerbsmäßigen Betrieb mit schwererer Strafe bedrohte. Der Entwurf sieht die gewerbs­ mäßige Begehung häufiger vor, z. B. beim Heirats­ schwindler, beim Dieb usw. Hier wird die Gewerbsmäßigkeit als besonders schwerer F all anderen beson­ ders schweren Fällen gleichgestellt. Wie der Täter dreier Verbrechen des schweren Diebstahls schuldig zu sprechen ist, der dreimal einbricht, so muß in Zukunft auch der Täter wegen dreier Verbrechen des gewerbs­ mäßigen Diebstahls bestraft werden, der dreimal ge­ werbsmäßig stiehlt. Die Gewerbsmäßigkeit ist also dann lediglich die Bezeichnung eines erschwerenden Beweggrundes. Ebenso ist die Gewohnheitsmäßigkeit zu beurteilen. Oberlandesgerichtsrat D r. Schäfer: Wie wird aber zu entscheiden sein, wenn die Gewerüs- oder Gewohnheitsmäßigkeit nicht nur straf­ schärfendes, sondern straf b e g r ü n d e n d e s T a t­ bestandsmerkmal ist, wie z. B. bei der gewohnheits­ mäßigen Kuppelei? Staatssekretär D r. Freisler: I n diesen Fällen müßte die Rechtsprechung sagen, daß nur e i n e Handlung vorliegt. Ministerialdirektor Schäfer: Dieses Problem haben wir schon einmal zu lösen versucht. Es muß in der Fassung zum Ausdruck ge­ bracht werden, daß der gewerbsmäßige Dieb für jeden einzelnen Diebstahl so bestraft wird. Bei der Gewohnheitsmäßigkeit liegt es allerdings anders; hier kann schon die erste T at den erforderlichen Hang er­ kennen lassen.

Ministerialdirigent Dr. Schäfer: Meines Erachtens unterscheidet der Entwurf schon jetzt zwei Fälle, z. B. die gewerbsmäßige Hehlerei und das gewerbsmäßige Glücksspiel. Lediglich in letzterem Falle wird auf das Gebaren als Ganzes, nicht auf die Einzeltat abgestellt. Oberregierungsrat Dr. von Dohnanyi: Ich möchte noch nachträglich auf ein Bedenken hinweisen, das gegen die vorläufige Formulierung des Abschnitts „Angriffe auf das nationale Empfin­ den des deutschen Volkes" geltend gemacht worden ist. D er Tatbestand, wie ihn die Unterkommission zunächst formuliert hat, ist uferlos und wesenlos und würde meines Erachtens auch den Fall der Beschimpfung eines prominenten Mitglieds der P artei oder der Regierung umfaffen. Ich glaube nicht, daß das von uns beabsichtigt war. Die Unterkommission schlägt deshalb folgende neue Fassung vor: „Wer öffentlich M änner oder Frauen der deutschen Vergangenheit, deren Leben, Wirken oder Sterben deutsches Wesen verkörpert und die deshalb vom deutschen Volke verehrt werden, be­ schimpft oder böswillig verächtlich macht und da­ durch das nationale Empfinden des deutschen Volkes gröblich verletzt, wird mit Gefängnis bestraft." Der Unterschied gegenüber der früheren Fassung besteht darin, daß eine Generalklausel eingefügt wird. die eine einschränkende Wirkung hat. Der Ausdruck „nationales Empfinden" ist vielfach für bedenklich er­

klärt worden. Ich glaube aber auch nicht, daß er durch den Begriff „völkisches Empfinden" ersetzt wer­ den kann. Ministerialdirigent D r. Schäfer: Ich schlage vor, das nationale Empfinden aus der Abschnittsüberschrist ganz herauszulassen. E s genügt, wenn wir in der Überschrift sagen: „Angriffe aus die Ehre des deutschen Volkes." Profeffor Dr. Dahm: Ich würde die Gefahren, die mit dem Begriff des nationalen Empfindens verbunden sind, in Kauf nehmen. Bei der Beratung über die Angriffe gegen das religiöse Empfinden des deutschen Volkes sind diese Einwände doch ebenfalls abgelehnt worden, ob­ wohl das religiöse Empfinden noch viel unbestimmter ist als das nationale. Staatssekretär Dr. Freister: D as ist doch wohl nur ein Scheinargument. W ir haben das religiöse Empfinden zwar allgemein ge­ schützt, jedoch nur unter einschränkenden Modalitäten. D as nationale Empfinden dagegen wird an den ver­ schiedensten Stellen geschützt. Ich glaube nicht, daß man insoweit beide Begriffe gleichstellen darf. Reichsjustizminister D r. Gärtner: Ich schlage vor, die Tagung wunschgemäß zu unterbrechen und morgen früh mit dem Thema „Auf­ bau des Allgemeinen Teils" fortzufahren.

(Schluß der Sitzung 17 Uhr 55 Minuten.)

StrafrechtskommWon

S4. Sitzung 3. Juli 1935 (Hahnenklee) Zweite Lesung Inhalt Aufbau des Allgemeinen Teils; Grundsätzlicher Teil Reichsjustizminister Dr. (Bürtner.. .1, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14 Berichterstatter Staatssekretär Dr. Freister 1 ,5 ,6 ,7 ,9 ,1 0 ,1 2 ,1 3 Berichterstatter Professor Dr. M ezger......................3, 6, 9, 13 Professor Dr. D ahm ............................................. 5, 7, 10, 11, 13 Professor Dr. Kohlrausch...................................5, 10, 11, 12, 13 Ministerialdirektor Sch äfer............................................... 5, 7, 12 Professor Dr. N agler....................................................................... 6 Professor Dr. Schaffstein.................................... 6, 7, 10, 11, 13 Professor Dr. Henkel........................................................................7 Senatspräsident Professor Dr. Klee.....................................8, 11 Staatsrat Rechtsanwalt Dr. Graf von der G o lg ...........8, 13 Senatspräsident G rau..................................................................... 9 Reichsgerichtsrat Niethammer............................................. 10, 11 Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack............... 12, 13

Beginn der Sitzung 8 Uhr 40 Minuten. Reichsjustizminister Dr. G ärtner: E s stehen heute zwei Dinge zur Beratung: einmal die Ordnung des Allgemeinen Teils und zweitens die Frage, wie das Strafgesetzbuch einzuleiten ist. Hier­ bei handelt es sich weniger um juristische Dinge. Ich bitte die Herren Berichterstatter, beide Fragen als eine Einheit zu betrachten. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich möchte zunächst den Ausbau des Allgemeinen Teils behandeln, um dann zum Ausbau des ganzen Gesetzes, zur Frage eines Grundsätzlichen Teils und schließlich zum Grundsätzlichen Teile selbst überzu­ gehen. Was den Ausbau des Allgemeinen Teils anlangt, so haben w ir uns schon im Aufbau des Entwurfs erster Lesung vom Aufbau des geltenden Rechts ent­ fernt. Gehe ich von dem Ausbau des Entwurfs aus, so muß ich allerdings feststellen, daß wir etwas an die Spitze des Allgemeinen Teils gesetzt haben, was nicht einheitlich ist und in seiner Bedeutung aus ganz verschiedenen Stufen steht. W ir haben die erste

Gruppe „D as Strafgesetz" überschrieben und, abge­ sehen von dem ersten Abschnitt, darin nur Dinge von zweitrangiger Bedeutung und Verlegenheitsbestimmungen gebracht. Nur der erste Abschnitt ist von wirklich grundlegender Bedeutung. Der letzte Ab­ schnitt „Sprachgebrauch" ist das, was ich als eine Berlegenheitslosung bezeichnet habe. Die zeitliche und räumliche Geltung der Strafgesetze (2. und 3. Ab­ schnitt) sind Dinge, die niemand an die Spitze stellen würde, wenn nicht der Zusammenhang mit den beiden ersten Paragraphen es überhaupt als tragbar erscheinen ließe, diese Bestimmungen gerade an dieser Stelle zu bringen. Wutt bin ich der Meinung, daß wir jetzt, nachdem wir eine andere, geläuterte Stellung­ nahme zur Betrachtung des Strafgesetzes als Grunolage des Strafrechts gewonnen haben, hier das aus­ scheiden müssen, w as an unseren früheren Ausgangs­ punkt erinnert. Die Uberschrist ist ein Überrest des Magna-Charta-Gedankens. Ich meine daher, daß wir heute von dem Strafgesetz als Grundlage der Bestrafung in der Überschrift nicht mehr sprechen können, ohne mißverständlich zu sein. Andererseits sind die beiden tztz 34ö und 346, die in diesem Ab­ schnitt zusammengesaßt sind, so außerordentlich be­ deutsam, daß sie geradezu eine Versass ungsbestimmung darstellen, die von der bisherigen entsprechenden Versassungsbestimmung durchaus verschieden ist. Diese tztz 34o, 346 gehören daher unbedingt an die Spitze des ganzen Strafrechts. Da ich daraus abkomme vor­ zuschlagen, daß ein Grundsätzlicher Teil, dessen Be­ stimmungen evenso wie alle anderen Bestimmungen des Gesetzes Gesetzeskraft haben sollten, gebildet wird, müssen die §§ 34o, 346 ziemlich an die Spitze dieses Grundsätzlichen Teiles gestellt werden. Dann würden sie hier in dieser ersten Gruppe des Allgemeinen Teils wegsallen. Denn eine wörtliche Wiederholung der­ selben Bestimmungen an zwei Stellen des Gesetzes ist nicht angebracht. Fallen diese grundsätzlichen Be­ stimmungen hier weg, dann ist es freilich unmöglich, den Allgemeinen Teil mit der zeitlichen und räumlichen Geltung des Strafgesetzes zu beginnen. D as gehört dann an den Schluß des Allgemeinen Teils. Die einzelnen Bestimmungen über den Sprach­ gebrauch wären dort zu bringen, wo der betreffende Sprachgebrauch im Gesetz zum erstenmal praktisch wird. W ir haben dann in der zweiten Gruppe das Ver­ brechen behandelt. W ir haben darin die Verjährung ausgenommen, die aber meines Erachtens überhaupt nicht in das Strafgesetzbuch gehört. Wir wollten mit den Bestimmungen über Verjährung ja nichts anderes zum Ausdruck bringen, als daß der S ta a t sich nach langer Zeit überlegt, ob eine Verfolgung des Ver­ brechens noch zweckmäßig ist. D as ist dann eine reine Prozeßangelegenheit. Die Frage der Verjährung ge­ hört also in den Zusammenhang des LegalitätsPrinzips und seiner Durchbrechungen. Ich schlage deshalb vor, den vierten Abschnitt dieser Gruppe in die Strafverfahrensordnung zu bringen. Die zweite Gruppe enthält folgendes: die S tra f­ tat, die Schuld, den Ausschluß von Unrecht und Schuld. M it gewissen Modifikationen würde ich dieser

Reihenfolge zustimmen. Darauf komme ich im ein­ zelnen noch zurück. Als dritte Gruppe behandelt der Entwurf die Strafen und sichernden Maßnahmen einschließlich der Strafbemessung. Wir werden zweckmäßig diese Gruppe auseinanderziehen und zunächst von den Strafen und sonstigen M itteln der Verbrechensbe­ kämpfung sprechen, um dann erst die Bemessung der Strafe zu behandeln. Dem Ausbau des Allgemeinen Teils kann man entweder irgendeine Systematik zugrundelegen, die abstrakt ist und über die sich dann reden lassen wird. Oder man kann eine ganz natürliche Einteilung wählen. Diese scheint mir die zu sein, die der richter­ lichen Tätigkeit folgt. Ich möchte vorschlagen, die Einteilung des Allgemeinen Teils nach der Reihen­ folge der richterlichen Tätigkeit vorzunehmen. Der Richter stellt zunächst fest, ob sich ein Vorgang abge­ spielt hat, dann, ob er durch einen Menschen in die Welt gesetzt ist, also ob Wille und Handlung als Tat vorliegen. Erst danach kann er das Verschulden prüfen, mindestens wenn wir dem Vorsatz auch eine ethische Begründung und einen ethisch bestimmten In h a lt geben, wie wir es getan haben. Das Unrechtsbewußtsein, das zum Vorsatz gehört, kann ich erst prüfen, wenn ich die T at festgestellt habe. Dement­ sprechend bin ich der Ansicht, daß in der zweiten Gruppe auf den Abschnitt „die T at" der Abschnitt „die Schuld" folgen müßte. Hat der Richter auch das Vorliegen der Schuld festgestellt, dann hat er die Frage der Schuld- und Unrechtsausschließungsgründe zu prüfen. Nach Prüfung dieser Frage ist er soweit, daß der Schuldspruch gefällt werden kann. E s folgen also nunmehr die Strafen und Maßnahmen der Sicherung und Besserung. Der Richter muß jetzt eine bewertende Tätigkeit vornehmen, nämlich die Persön lichkeit des für schuldig Befundenen mit den gesetz­ lichen M itteln aus dem Wege einer gerechten S tra f­ bemessung bestrafen. D araus scheint mir auch die natürliche Reihenfolge in der dritten Gruppe sich zu ergeben. Die Reihenfolge in der dritten Gruppe wäre daher: die Strafen, die Verwarnung mit S trafvor­ behalt, die Maßregeln der Sicherung und Besserung und schließlich die Strafbemessung. Dann folgt das, was ich vorgeschlagen habe aus der ersten Gruppe zu entfernen, nämlich der Geltungsbereich der S tra f­ gesetze. Ich darf mm auf die Einzelheiten etwas näher eingehen. Zunächst auf den Abschnitt „Die Tat". M an könnte gegen dieses Wort einwenden, daß es mißverständlich sei. Ich habe deshalb auch zwei an­ dere Bezeichnungen zur Wahl gestellt: „Vorgang und Willen" und „Wille und Handlung". Ich mich aber dazu sagen, daß ich diese Bezeichnungen selbst nicht für klar halte. Wenn man unter S tra fta t den Willensakt versteht, so verstößt dieser Ausdruck an dieser Stelle nicht gegen den Grundsatz des Willensstrafrechts. Ich möchte daher diesen Ausdruck beibehalten. D ann kommt der Abschnitt „Die Schuld". Hier schlage ich gegenüber dem Entwurf erster Lesung eine Änderung vor. Es erscheint mir zwar logisch begründ­

bar, daß man den Täter zunächst überhaupt aus seine Schuldsähigkeit hin ansieht. Ich bin aber der M ei­ nung, daß wir, wenn wir zunächst von den Schuld­ arten sprechen, damit betonen, daß wir von der Schuldsähigkeit als von etwas Selbstverständlichem ausgehen. Deshalb schlage ich vor, zunächst die Schuldarten zu behandeln, dann die Schuldsähigkeit und diese nicht mit der normativen Bestimmung wie jetzt zu beginnen, sondern mit dem positiven Bekennt­ nis zur Schuldsähigkeit, in dem ein Bekenntnis zur Willensfreiheit steckt. D as müßte dadurch geschehen, daß in einer von der Unterkvmmissivn aus­ zuarbeitenden Bestimmung dieser Gedanke dem § 366 vorangestellt wird. Dann komme ich zu den Schuld- und Unrechts­ ausschließungsgründen. Ich habe vorgeschlagen, diese in der Überschrift als „Schuld, Recht und T at" zu bezeichnen. Aber nur, um nicht wieder eine Debatte darüber heraufzubeschwören, vb die Schuld- und die Unrechtsausschließungsgründe zweierlei seien. Ich bin jetzt davon überzeugt, daß dies zweierlei ist, und glaube, daß man das an einer einzigen Konsequenz unwiderlegbar dartun kann. W ir haben erklärt, daß die Rechtsordnung niemals im Gegensatz zur S itten ­ ordnung stehen soll. Wohl aber kann die Rechtsord­ nung zur Sittenordnung so stehen, daß sie nur einen Teil der letzteren umsaßt. Wenn man nun Schuldund Unrechtsausschließung als eins betrachtet, bringt man zwangsläufig die Rechtsordnung und die S itten ­ ordnung in Gegensatz. Ich bitte, hier nur an den Fall des Brettes des Karneades zu denken.^ Die Sittenordnung fordert, daß man sich in einem solchen Fall selbst opfert. W ir aber erklären, daß wir den nicht bestrafen, der nicht selbst ins Meer springt, son­ dern den anderen herunterstürzt. Wenn wir damit sagen wollen, daß w ir ihn deshalb nicht bestrafen, weil er nicht schuldhast gehandelt hat, dann sagen wir, daß das Verschulden oder Nichtverschulden vom Recht anders ausgefaßt wird als das Verschulden oder Nichtverschulden von der Sittenordnung. I n diesem Fall kann man, wenn man die Rechtsordnung nicht in Gegensatz zur Sittenordnung bringen will, nur sagen: du hast schuldhast gehandelt; denn die S itten ­ ordnung hätte ein anderes Handeln vorgeschrieben. Ich sage nun aber nicht: du hast ohne Schuld ge­ handelt, sondern ich sage: ich, die Rechtsordnung, gehe davon aus, daß dies Verschulden nicht so grob ist, daß ich es bestrafen müßte. D araus folgt, daß Schuldund Unrechtsausschluß tatsächlich zweierlei ist, womit nicht gesagt ist, daß man es in Gegensatz zueinander bringen soll. Und deshalb würde ich gegebenenfalls auch der Überschrift: „Unrechts- und Schuldaus­ schließungsgründe" zustimmen. Meine Überschrift verspricht etwas mehr, als nachher im Abschnitt be­ handelt wird. Zu der Gruppe „Strafen und sonstige Maßnahmen" habe ich nichts weiter zu sagen. I n einer Vorbe­ sprechung bin ich darauf hingewiesen worden, daß es vielleicht nicht richtig ist, zuerst die Strafen und die Sicherungsmaßnahmen und erst dann die Strafbe­ messung zu behandeln, weil sich die Vorschriften über

die Strafbemessung nicht aus die Maßnahmen der Sicherung und Besserung bezögen. M ir scheint aber mein Vorschlag durchaus natürlich zu sein. Denn zuerst muß ich wißen, welche M ittel ich überhaupt zur Verfügung habe. Erst dann kann ich die Frage be­ antworten, wie diese M ittel im einzelnen Fall anzu­ wenden sind. F ür die Konkurrenzfragen würde ich in bezug auf die Strafbemessung die Uberschrist vor­ schlagen: „Die Mehrheit von Taten und Rechtsver­ letzungen bei der Strafbemessung". Bezüglich der zeitlichen und räumlichen Geltung möchte ich vorschlagen, diese beiden Abschnitte umzu­ stellen. M an kann nun gegenüber dem Entwurf der ersten Lesung zu einer Angleichung kommen, indem man die Abschnitte 1—3 meines Vorschlages zusammenfaßt. Dann kommt man aber zu einer weitergehenden Untergliederung als im Besonderen Teil. Auch die Abschnitte 4 und 5 meines Vorschlages könnte man zusammenfassen. Ich würde dann als gemeinsame Überschrift vorschlagen: „Die Strafe". Aber auch dann würden wir zu einer Gliederungsstufe mehr kommen als im Besonderen Teil. Deshalb möchte ich das nicht empfehlen. Reichsjustizminister Dr. G ürtner: Ich bitte an dieser Stelle eine Cäsur zu machen. Es sind folgende Fragen ausgeworsen worden: 1. Sollen die §§ 345, 346 ganz vorn an die Spitze des Gesetzes gestellt werden? Dabei kann zunächst dahingestellt bleiben, ob dies in einem besonderen Grundsätzlichen Teil oder im Rahmen des Allgemeinen Teils geschehen müßte. 2. Eine weitere Frage ist die der Verjährung. Wenn darüber Einigkeit besteht, daß sie in die Versahrensordnung gehört, dann würde sich diese Frage erledigen. 3. Ferner erlaube ich mir daraus hinzuweisen, daß die Frage des Geltungsbereiches der Strafgesetze durchaus nicht nur technischer Art ist. Es handelt sich dabei um sehr wichtige Dinge. Wenn ich nochmals kurz zusammenfassen bars: S ie selbst, Herr Staatssekretär, haben das Bedürfnis ausgesprochen, daß die §§ 345, 346 irgendwo vorn im Gesetz stehen müßen. Dabei könnte noch die Frage der Auslegung der Strafgesetze eine Rolle spielen. Ich glaube, daß auch diese Bestimmung ganz vorn im Gesetz stehen müßte. Wenn man den Sprachgebrauch nicht bei den einzelnen Bestimmungen regelt, dann wäre die Vorschrift ebenfalls in den Allgemeinen Teil einzustellen. Der Vorschlag von Herrn Staatssekretär Freister für den Aufbau des Allgemeinen Teils beruht auf einer genetischen Betrachtungsweise. Ich habe hier nur eine Gegenfrage zu stellen. W as ist das Prim äre: der Wille oder die T at? Ich bitte den Herrn Mitberichterstatter, seinen Bericht unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte zu erstatten, ohne die Frage eines Vorspruches zu vertiefen.

Professor Dr. Mezger: Ich darf meinen Ausführungen den schriftlichen Antrag B 40 zugrundelegen. Ich gehe davon aus, daß den einzelnen Bestimmungen des Gesetzes etwas Grundsätzliches voranzustellen ist. Dabei wird aber die Scheidung zwischen Vorspruch und sog. G rund­ sätzlichem Teil nicht aufrechtzuerhalten sein. Darüber ist aber erst später zu referieren. Zunächst ein Wort über das Verhältnis von All­ gemeinem und Besonderem Teil. Wir können die Allgemeinen Bestimmungen nicht zerreißen. Deshalb stehen wir vor der Frage, ob im Gesetz zuerst der Allgemeine oder der Besondere Teil stehen soll. Ich muß nochmals wie schon bei einer anderen Gelegen­ heit betonen, daß ich die Überzeugung gewonnen habe, daß trotz der Gründe, die für das Gegenteil zu sprechen scheinen, der A l l g e m e i n e T e i l an den A n s a n g kommen muß. Die Voranstellung des Be­ sonderen Teils kann vielleicht aus pädagogischen Gründen zweckmäßig sein; es kann dies aber nicht ebenso für den Gesetzgeber gelten. Es würde eine ungenügende Betonung des neuen Willensstrafrechts bedeuten, wenn man den Allgemeinen Teil hinter den Besonderen stellen wollte. Der Gedanke des Willens­ strafrechts, der vor allem im Allgemeinen Teil zum Ausdruck kommt, muß vorangestellt werden, damit alles Einzelne daraus folgerichtig abgeleitet werden kann. Auch die Systematik des Besonderen Teils kann richtigerweise nur aus dem Gedanken des Willensstrasrechts gefunden werden. Ich möchte nun zur S y s t e m a t i k d i e s e s A l l g e m e i n e n T e i l s übergehen. Es handelt sich hier zunächst weniger um eine juristische Frage, als vielmehr um eine architektonische Aufgabe, um eine klare Ordnung der einzelnen Bestimmungen. Aber gleichwohl besteht bei dieser Ordnung die aller­ strengste Bindung an den geistigen Gehalt des kom­ menden Strafrechts. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich sage, daß in der Übersicht des Allgemeinen Teils kein einziges Wort stehen darf, das nicht wurzeln würde in den grundlegenden Ideen, die sich in den neuen Bestimmungen herausgearbeitet haben. Auch die Reihenfolge und der Aufbau der einzelnen Bestimmungen können und dürfen ein Ausdruck der Grundidee sein. S o habe ich mich bemüht, aus dem, was sich im Laufe der Erörterungen als grundsätzlicher Ideengehalt ergeben hat, die Gestaltung des Allge­ meinen Teils in einer übersichtlichen Systematik zu formen. E s sind drei Hauptkomplexe, mit denen sich dieser Allgemeine Teil beschäftigt. Es ist zunächst das, was man früher das „Strafgesetz" genannt hat. Von ihm geht alles aus. Der zweite Komplex ist das, was man „Verbrechen" nennt, also der soziologische Ausgangs­ punkt der staatlichen Reaktion. Und drittens folgt die staatliche Reaktion selbst, die „Strafe". Die e r s t e G r u p p e habe ich „ D a s S t r a f ­ re c h t" überschrieben. D arin kommt der Grundge­ danke zum Ausdruck, daß heute nicht mehr nur das geschriebene Gesetz, sondern das Recht, wie es im Volk verwurzelt ist, als Ausgangspunkt anerkannt wird.

Nur im vierten Abschnitt, wo es sich um den „Sprach­ gebrauch" handelt, ist das W ort „Strafgesetz" ge­ wählt, weil dabei nur die Erklärung des geschriebenen Strafgesetzes in Frage steht. Ein erster Abschnitt der ersten Gruppe müßte das Recht als Grundlage der Bestrafung erscheinen lasten. Hierher gehört alles, -was über das Strafrecht als solches gesagt ist, also Analogie, Auslegung der Ge­ setze usw. Die jetzigen §§ 345, 346 stehen damit an der Spitze. Wenn ich im zweiten und dritten Ab­ schnitt die zeitliche und räumliche Geltung des S tra f­ rechts angeschlossen habe, so bin ich der Meinung, daß es sich hierbei keineswegs um rein technische Dinge handelt. I m Gegenteil, bei der Diskussion der persön­ lichen Geltung hat sich gezeigt, daß hier ein grund­ legender Gedanke der nationalsozialistischen Strafrechtsauffaffung zum Ausdruck kommt. Ich glaube also nicht, daß es etwas gegen sich hat, wenn diese Dinge hier in der ersten grundlegenden Gruppe ge­ bracht werden. Endlich folgt als eine mehr technische Sache der Sprachgebrauch des Gesetzes. Die z w e i t e G r u p p e würde ich überschreiben: „D i e S t r a s t a t". Hier gilt ganz besonders, was an die Spitze gestellt wurde. Hier kommt die An­ schauung über das Wesen des Verbrechens zum Aus­ druck. Ich darf folgendes sagen: F ü r das geltende Recht habe ich einen streng objektiven Standpunkt vertreten. Auch heute noch vertrete ich ihn für das geltende Recht, das vom äußeren Geschehen ausgeht. D as kommende Strafrecht will Willensstrafrecht sein, geht also vom In n e rn aus. D araus ergibt sich eine Umkehr des Ausgangspunktes. Freilich: im Gebiet des Strafrechts kann es niemals einen ganz extremen Objektivismus oder ganz extremen Subjektivismus geben, da das Verbrechen sowohl äußerlich wie seelisch fundiert ist. E s handelt sich nur um eine Akzentverlagerung. S o müssen beide Bestandteile der S traftat auch künftig erscheinen. Die Akzentverlage, rung aber zeigt sich darin, daß der subjektive seelische Vorgang im Verbrecher vorangestellt ist. Denn dieser ist für das Willensstrafrecht zunächst das Wesentliche am Verbrechen. S o ergeben sich die beiden Abschnitte der zweiten Gruppe: in den e r s t e n A b s c h n i t t gehört „die Schuld als Grundlage der Bestrafung". Auch im Willensstrafrecht fehlt selbstverständlich die äußere Seite des Verbrechens nicht. Daher muß sich ein zweiter Abschnitt mit der S traftat in ihrer äußeren Gestalt besassen. Hierher gehören alle Fragen der Täterschaft, der Teilnahme, des Unterlassens usw. I m ersten Abschnitt habe ich im Einklang mit den Ausführungen von Herrn Staatssekretär Dr. Freister vorgeschlagen, die Schuldsähigkeit erst nach den Schuldarten zu behandeln. Rein logisch betrachtet ist zwar die Schuldfähigkeit das P riu s gegenüber der Schuld. Herr Staatssekretär Freister hat aber schon mit Recht darauf hingewiesen, daß w ir mit der Vor­ anstellung der Schuldarten zum Ausdruck bringen, daß wir grundsätzlich von der Schuldfähigkeit aus­ gehen, die Schuldunsähigkeit also nur als Ausnahme betrachten. Ob man von „Arten" oder „Formen" der Schuld spricht, ist Geschmacksfrage. Ich möchte eine grundsätzliche Unterscheidung in dieser verschiedenen

Bezeichnung nicht sehen. Zweifelhaft ist der dritte Titel des ersten Abschnitts meiner zweiten Gruppe. Ich halte für meine Person nach wie vor an der Unterscheidung zwischen objektiver Rechtswidrigkeit und subjektiver Schuld fest. Hier handelt es sich aber nur um die strafrechtliche Funktion dessen, was als Ausschließungsgrund der Strafbarkeit erscheint. Diesem Gesichtspunkt ordnen sich Notwehr und Not­ stand unter. Unter der Überschrift sind also auch alle Unrechtsausschließungsgründe zu erfassen, da auch sie die Schuld ausschließen. I m z w e i t e n A b s c h n i t t findet das äußere Geschehen des Verbrechens seinen Platz. Nicht von irgendwelchen abstrakten Gesichtspunkten aus, son­ dern lediglich im Anschluß an die praktischen Arbeiten der Unterkommission möchte ich vorschlagen, aus dem ersten Titel das herauszunehmen, was nicht recht hin­ einpaßt, nämlich das Unterlassungsdelikt. Dieses ist so bedeutsam, daß es wohl in einem besonderen zweiten Titel untergebracht werden kann. D aran schließt sich dann die Bestimmung von Ort und Zeit der S traftat an. Die d r i t t e G r u p p e umfaßt als staatliche Reaktion gegen das Verbrechen: „ D i e S t r a f e u n d d i e S i ch e r u n g s m a ß r e g e l n". I n einem ersten Abschnitt werden die Strafen einschließ­ lich der Verwarnung mit Strafvorbehalt behandelt. Es folgt dann als zweiter Abschnitt die Strafbe­ messung und als dritter Abschnitt die Strafbemessung bei Tatmehrheit. Ich stoße mich nicht daran, nur die Tatmehrheit in der Überschrift zum Ausdruck zu bringen. Der vierte Abschnitt enthält die M aß­ regeln der Sicherung und Besserung. I m fünften Ab­ schnitt schließlich wird die Verjährung geregelt. Diese kann auch in die Versahrensordnung eingestellt wer­ den. Wenn sie aber im materiellen Strafrecht bleiben soll, dann gehört sie an diese Stelle. Ich möchte dann noch auf etwas Sprachliches hin­ weisen. Ich habe bei den Überschriften überall den bestimmten Artikel gewählt, z. B. d i e Strafen, d i e Strafbemessung usw. Ich glaube, daß dies zweckmäßig ist. Sonst gehen immer die beiden Formen des be­ stimmten und des unbestimmten Artikels durchein­ ander. Das wäre unschön. Möglicherweise könnten daraus auch in der P raxis Auslegungsschwierigkeiten entstehen. Als Gliederungsbezeichnungen habe ich in meinem Antrage die Worte Gruppe, Abschnitt, Titel verwendet. D as Wort Titel ist nicht schön, wie be­ reits hervorgehoben worden ist. M ir würde es am meisten entsprechen, im Allgemeinen und im Beson­ deren Teil drei Bezeichnungen zu wählen: als höchste Einheit das Wort „Teil", dann „Abschnitt" und schließlich für die kleinste Einheit anstatt „Titel" das Wort „Gruppe". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bitte, die Debatte zunächst nicht dahin zu vertiefen, wohin der Allgemeine Teil zu stellen ist. Denn das hängt davon ab, wie das Strafgesetzbuch überhaupt angeht. Aus den beiden Berichten ergibt sich folgendes: beide Herren gehen von einer genetischen Betrach-

tungsweise aus, nur unter anderen Gesichtspunkten; Herr Staatssekretär Freister vom Standpunkt des Strafrichters, Herr Professor Mezger gewissermaßen von einer höheren Stufe, vom Willen aus. Beide Berichte stimmen dahin überein, daß „D as S tra f­ recht" ganz vorn stehen muß. M ir scheint der Aufbau von Herrn Professor Mezger unserem Grundgedanken vielleicht etwas näher zu kommen. Professor Dr. Dahm: Ich möchte mich den Vorschlägen des Herrn Mezger anschließen. Ich halte den von ihm vorge­ schlagenen Ausbau für ausgezeichnet. Der Gedanke des Willensstrafrechts ist darin mit voller Klarheit zum Ausdruck gebracht. Es besteht hier offenbar eine Meinungsverschiedenheit über die Methode, nach der der Aufbau des Allgemeinen Teils zu entwickeln ist. Herr Staatssekretär Freister sieht aus den Richter. E r betrachtet also das materielle Recht vom Prozeß her. M an kann aber auch — und das scheint mir richtig — von der inneren Einheit und dem S in n ­ zusammenhang ausgehen. Diese Methode liegt dem Mezgerschen Vorschlag zugrunde. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Es ist vielleicht etwas überspitzt gesagt, daß Herr Staatssekretär Freister das materielle Recht vom Standpunkt des Prozesses her ansehe. M an kann auch sagen, daß er es vom Standpunkt des unvor­ eingenommenen Menschen betrachtet. Professor Dr. Kohlrausch: Ich gebe auch der Einteilung von Herrn Professor Mezger trotz allem, w as für die andere Seite spricht, den Vorzug. Vom Standpunkt des Willensstrafrechts aus erscheint sie mir in der T at vorbildlich zu sein. Vielleicht ist es nicht ganz glücklich, als Grundlage der Bestrafung zwei Dinge in Parallele zu stellen: „D as Recht als Grundlage der Bestrafung" und „Die Schuld als Grundlage der Bestrafung". Die Schuld ist nicht die Grundlage, sondern Gegenstand der Be­ strafung. Diesen Schönheitsfehler könnte man ver­ meiden, indem man die zweite Gruppe bezeichnet: „Die Schuld". Den Gegensatz zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld sollten wir in der Gliederung nicht betonen. E s ist Sache der Wissenschaft zu klären, ob dieser Gegensatz überhaupt besteht. Staatssekretär Dr. Freister: Ich bin, wie schon gesagt, nicht der Meinung, daß es ein Verrat am Willensstrafrecht wäre, wenn wir die T at an die Spitze stellen würden. I m Gesetz findet man die neuen Grundsätze sehr deutlich. Deshalb kann man im Aufbau ruhig dem natürlichen Gang der Dinge folgen. Ich will aber nicht darum kämpfen und einmal davon ausgehen, daß der Wille an den Ansang kommt. Dann ist aber der Aufbau von Herrn Professor Mezger insofern bedenklich, als der zweite Abschnitt der Schuld gegenübergestellt und bezeichnet wird mit „Die Straftat in ihrer äußeren Gestalt". E s ist eine bedenkliche Auffassung der Teilnahmelehre

und des Unterlassungsdeliktes, daß alles dies zur „äußeren Gestalt" der S traftat gehören soll. Ich meine, und deshalb konnte ich die T at an die Spitze stellen, daß erst der Wille den Vorgang zur Tat macht. Die T at an sich ist bereits das Willensmäßige. Wenn man schon die Reihenfolge von Herrn Professor Mezger wählt, dann muß man zuerst von der Schuld sprechen und dann von der Tat. Die Betonung der S traftat in ihrer „äußeren Gestalt" könnte man eher zum Anlaß dafür nehmen, hier einen Bruch mit dem Willensstrafrecht festzustellen. Ich weise darauf hin, daß nach meinem Vorschlag schon die Überschrift „Wille und Handlung" auf die willensmäßige B in ­ dung der T at hinweisen würde. Die Aufnahme des Titels „Schuldausschließungs­ gründe" in den Abschnitt „Die Schuld" stellt eine einseitige Entscheidung der Frage dar, die heute ge­ rade nicht entschieden werden soll, und zwar in dem Sinne, daß Schuld und Rechtswidrigkeit eins sind. Ich meine, daß das tatsächlich falsch ist, da wir da­ durch das Recht in einen Gegensatz zur Sittenordnung stellen. Zur dritten Gruppe des Vorschlages von Herrn Professor Mezger erscheint mir die Nebeneinander­ stellung des zweiten und dritten Abschnittes unrichtig. Der dritte Abschnitt gehört zur Strafbemessung selbst. Es ist daher richtiger, den dritten Abschnitt in dem zweiten ausgehen zu lassen. Dann kommt man von selbst dazu, den Abschnitt zu scheiden in Strafbe­ messung im allgemeinen und in besonderen Fällen, also schon wie im Entwurf erster Lesung. Dann habe ich noch eine Frage. S oll man diesen geeinigten zweiten Abschnitt hinter den vierten setzen? Das scheint mir doch richtiger zu sein, obwohl sich streng genommen die Strafbemessung nicht auf die Sicherungsmaßnahmen bezieht. Im m erhin müssen diese Maßnahmen aber im Zusammenhang mit bett Strafen behandelt werden. über die Behandlung der Verjährung sind wir uns darüber einig, daß sie in die Versahrensordnung übernommen werden kann. Ich muß als richtig zugeben, daß es sich bei dem räumlichen und persönlichen Geltungsbereich nicht nur um rein formale, sondern auch um recht wichtige Dinge handelt. Diese wichtigen Fälle werden aber nur sehr selten praktisch. Deshalb würde ich damit nicht beginnen. M an kann diese Vorschriften ruhig ans Ende des Allgemeinen Teils setzen. Ministerialdirektor Schäfer: Auch ich möchte mich dem Vorschlag des Herrn Staatssekretär Freister anschließen, insbesondere für die Frage des Geltungsbereichs der Strafgesetze. S ie gehören m. E. an den Schluß des Gesetzes. Innerhalb des ersten Abschnitts stören sie den Zusammenhang, zumal wenn der Allgemeine Teil dem Besonderen Teil vorangestellt wird. Außerdem sind diese Fragen nur wichtig für gewisse Ausnahmefälle, die seltener vorkommen; die Frage des zeitlichen Geltungsbereichs des Gesetzes spielt nur jeweils in der Übergangszeit eine Rolle, und die des örtlichen Geltungsbereichs

betrifft die seltenen Fälle des Auslandsdelikts, das wir vor das inländische Forum ziehen wollen. Ich halte es deshalb für zweckmäßiger und volkstümlicher, diese Fragen an den Schluß des Gesetzes zu stellen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich würde die von Herrn Kollegen Mezger vor­ geschlagene Überschrift: „Die S traftat in ihrer äußeren Gestalt" oder eine ähnliche Formulierung für viel zu belehrend halten. Eine Gegenüberstellung von „Schuld" und „T at" halte ich durchaus für möglich. Profeffor Dr. Mezger: Ich könnte mich den: für den ersten und zweiten Abschnitt meiner zweiten Gruppe durchaus an­ schließen. Profeffor Dr. Nagler: Ich möchte mich mit aller Entschiedenheit dem Vorschlag von Herrn Staatssekretär Freister an­ schließen. Ich frage mich zunächst, für wen das Gesetz in erster Linie dienen soll. Die Antwort kann nur lauten: für Praktiker, den Polizeibeamten, den S taatsanw alt und den Richter. W ir müssen daher auch vom Standpunkt des Praktikers bei der Stosf­ anordnung ausgehen. Der Vorschlag des Herrn Kollegen Mezger erscheint mir sodann viel zu theore­ tisch ausgeklügelt. Warum wollen wir gerade an dieser Stelle mtb dazu noch sehr anfechtbar theoretisieren? Der Aufbau von Herrn Staatssekretär Freister hat den großen Vorzug, viel plastischer zu wirken und auch dem Fahrläffigkeitsverbrechen ge­ recht zu werden. Wenn aber der Vorschlag von Herrn Kollegen Mezger zugrunde gelegt werden sollte, würde ich mich mit allem Nachdruck gegen den dritten Titel der zweiten Gruppe: „Die S ch u l d ausschließungs­ gründe" wehren. W ir würden damit endgültig zu der Frage Stellung nehmen, ob objektives Unrecht und Schuld getrennt zu behandeln sind oder nicht — wir würden uns auf die m. E. undurchführbare Subjektivisierung der Rechtswidrigkeit festlegen. Professor Dr. -Schassstein: Ich glaube, wir kommen mit dieser Gegenüber­ stellung nicht viel weiter. I m Willensstrafrecht kann die alte Unterscheidung von Rechtswidrigkeit und Schuld nicht aufrechterhalten bleiben, zumal diese Unterscheidung ohnehin seit der Überwindung des psychologischen Schuldbegrifss durch die normative Schuldlehre fragwürdig geworden war. Die Aus­ führungen des Herrn Staatssekretärs, daß wir die Schuld an den Ansang stellen müssen, sind meines Erachtens durchaus überzeugend. Die Überschrift „Die Straftat in ihrer äußeren Gestalt" paßt nicht ganz für die Täterschaftsformen, da doch für deren Abgrenzung subjektive Gesichtspunkte maßgebend sein sollen. Innerhalb der Regelung der Schuld müssen zu­ nächst ihre Arten aufgezählt werden; daran schließt sich an die Regelung der Schuldfähigkeit. Die Über­ schrift des dritten Titels ist bestritten; meines Er­ achtens ist aber damit noch nicht vorweg gesetzlich

Stellung genommen zu der Streitfrage, ob Rechts­ widrigkeit und Schuld identisch oder etwas Ver­ schiedenes sind, sondern es handelt sich um eine neu­ trale Fassung. Gerade eine solche ist meines Erachtens wünschenswert. Zwischen der Wirkung der Notwehr und des Notstandes sollte im Ausdruck etwas differenziert werden, das Gemeinsame beider aber durch die Überschrift „Schuldaus­ schließungsgründe" zum Ausdruck gebracht werden. Auf dieses Kompromiß haben wir uns doch in der vorigen Sitzungsperiode geeinigt. Wenn man jetzt die Titelüberschrift wieder in Frage stellt, muß die Fassungssrage erneut ausgeworfen werden, denn sonst wäre die Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld gesetzlich anerkannt, und zwar, wie ich glaube, nicht einmal richtig im Sinne der bisherigen Meinung. Staatssekretär Dr. Freisler: M an könnte ganz neutral sagen: „Unrechtsaus­ schließungsgründe". Diese Überschrift würde auch die Schuldausschließungsgründe umfassen. Ich würde diese Unrechtsausschließungsgründe nicht innerhalb eines größeren Abschnittes behandeln, sondern sie in einem selbständigen dritten Abschnitt bringen. Profeffor Dr. Schassstein: Damit würde aber die Schuldregelung im vorher­ gehenden Abschnitt in einen gewissen Gegensatz zu den Unrechtsausschließungsgründen gestellt werden. Staatssekretär Dr. Freisler: Nein. Denn es wird nur zum Ausdruck gebracht, daß man die Unrechtsausschließungsgründe erst prüfen kann, wenn man sich über die Schuld an sich klar ge­ worden ist. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Herr Staatssekretär Freisler hat doch gerade vor­ geschlagen, den dritten Titel zu nennen: „Unrechtsauss chließungsgründe". Profeffor Dr. Schaffstein: I s t es dann aber möglich, bei Notwehr und Not­ stand zwischen Unrechtsausschluß und Schuldausschluß zu unterscheiden? Wenn man die Überschrift „Un­ rechtsausschließungsgründe" wählt, dann wird wieder die Frage praktisch, ob zwischen Schuld und Rechts­ widrigkeit ein Unterschied besteht. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube auch, daß die Behandlung der „Un­ rechtsausschließungsgründe" in einem besonderen Ab­ schnitt eine gewisse Entscheidung der Streitfrage be­ deuten würde. Staatssekretär Dr. Freisler: D er Begriff „Unrechtsausschließungsgründe" ist ein Dachbegriff, der beides deckt. Daher liegt in seiner Verwendung keine Entscheidung der erwähnten Frage. Es kann davon immer erst die Rede sein, wenn die willensgeborene T at da ist und wenn die Schuld fest­ gestellt ist. Erst dann kann das Problem der Schuld-

des Unrechtsausschlusses auf­

besonderen Grundsätzlichen Teil. Die räumliche und zeitliche Geltung würde an den Schluß kommen.

Professor Dr. Schassftein: Wenn wir hier den Begriff „Unrecht" verwenden, so würde man das allzu leicht im S in n der bisherigen Dogmatik objektiv auslegen, also im Sinne der bis­ herigen „Rechtswidrigkeit". D as aber muß m. E. gerade vom Standpunkt des Willensstrafrechts aus vermieden werden.

Professor D r. Dahm: Ich möchte zu den Überschriften der Hauptgruppen sprechen. Die zweite Gruppe würde ich „Das Ver­ brechen" überschreiben, die dritte Gruppe „Die Strafen und die sichernden Maßnahmen". Verbrechen und Strafe sind die Grundbegriffe des Strafrechts. Die beiden Unterabschnitte der zweiten Gruppe würde ich „Die Schuld" und „Die T at" nennen. Was die erste Gruppe betrifft, so bin ich anderer Meinung als Herr Ministerialdirektor Schäfer. Die Vorschriften über die räumliche und persönliche Geltung des Strafrechts sollten keineswegs an den Schluß kommen. Der Gedanke, daß der Deutsche überall unter dem deutschen Recht steht, hat doch eine sehr große grund­ sätzliche Bedeutung. Auch die Frage der zeitlichen Geltung, der Nichtrückwirkung, ist überaus wichtig. Daher gehören diese Vorschriften zusammen mit den anderen grundsätzlichen Bestimmungen an den An­ fang des Allgemeinen Teils. I m dritten Titel des ersten Abschnittes der zweiten Gruppe (Vorschlag Mezger) wäre es mir gleichgültig, ob wir von „Schuldausschließungsgründen" oder „Unrechtsausschließungsgründen" sprechen unter der Voraussetzung, daß sowohl Notwehr wie Notstand darunter erscheinen. Die Überschrift „Unrechtsaus­ schließungsgründe" scheint mir besser. Ich hätte nichts dagegen, wenn man daraus einen besonderen dritten Abschnitt machte. Eine andere Möglichkeit wäre die, daß man hier von „Strafausschließungsgründen" spräche. W ir sollten uns aber nicht zu sehr auf diese Wortfrage einlassen.

ausschließung oder tauchen.

Reichsjustizminister D r. Gürtner: Ich halte diesen Einwand nicht für begründet. Richtig ist allerdings, daß wir immer wieder die Frage der Abgrenzung von Rechtswidrigkeit und Schuld berühren. Diese Frage hat aber noch niemand gelöst. Staatssekretär Dr. Freister: Gerade wenn man von der Einheit der Rechts­ und der Sittenordnung ausgeht, kann man hier ohne Bedenken den Ausdruck „Unrechtsausschließungs­ gründe" verwenden, weil dieser als Oberbegriff so­ wohl die Rechtswidrigkeit wie die Schuld umfaßt. Professor Dr. Schassftein: Auch ich bin dafür, innerhalb der dritten Gruppe des Vorschlags Mezger den zweiten und dritten Ab­ schnitt zusammenzuziehen; der neue Abschnitt wird dadurch zwar sehr lang, aber das ist meines Erachtens kein Schade. Ich halte es nicht für richtig, den ersten Abschnitt des Vorschlags Mezgers zu zerreißen. Wenn man die §§ 346, 347 in den grundsätzlichen Teil über­ nimmt, müßte alles andere an den Schluß des Gesetzes gestellt werden. Ministerialdirektor Schäfer: M. E. sollten wir einen Abschnitt: „D as S tra f­ recht als Grundlage der Bestrafung" unter Be­ schränkung auf die jetzigen §§ 345, 346 voranstellen. Erst am Schluß des Allgemeinen Teils müßten dann die zeitliche und räumliche Geltung des Strafgesetzes behandelt werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir sind also darüber einig, daß die Vorschriften über „D as Strafrecht als Grundlage der Bestrafung", über die Analogie und die Auslegung der Strafgesetze ganz vorn im Strafgesetzbuch stehen müssen. Die Frage ist nur, ob dies in einem Grundsätzlichen Teil oder innerhalb des Allgemeinen Teils zu geschehen hätte. Darüber wollen wir jetzt nicht sprechen. Professor Dr. Schassftein: D as würde aber den Nachteil haben, daß die ganze erste Gruppe nur aus zwei Paragraphen bestünde. Staatssekretär Dr. Freister: Ich würde die beiden Bestimmungen gar nicht als besondere Gruppe bezeichnen, sondern als einen

Professor Dr. Henkel: Es sprechen zwingende Gründe dafür, daß man die räumliche Geltung des Strafgesetzes innerhalb des ersten Abschnittes der Allgemeinen Bestimmungen regelt, weil diese Frage grundsätzliche Bedeutung hat. Dagegen kann es zweifelhaft sein, wo man die Vorschriften über die zeitliche Geltung unterbringen soll. Ich würde es nicht für ausgeschlossen erachten, die Regelung der zeitlichen Geltung dem Einführungs­ gesetz zu überlassen. Der Grundsatz der Nichtrück­ wirkung der Strafgesetze, der für die Aufklärungszeit ein unerschütterlicher Glaubenssatz war, hat heute nicht mehr diese grundsätzliche Bedeutung; es handelt sich bei der Regelung der zeitlichen Geltung des S tra f­ gesetzes vielmehr in der Hauptsache um die Frage der zweckmäßigsten Überleitung der Strafrechtspflege in das neue Recht. Eine solche Materie kann zwanglos im Einführungsgesetz untergebracht werden. Ich ver­ kenne nicht, daß dann die Vorschrift über Zeitgesetze (§ 349) nicht recht in diesen Zusammenhang paßt; doch würde dies wenig stören. Jedenfalls halte ich es für ganz unmöglich, daß z. B. tz 348 (Rückwirkung des milderen Gesetzes) im Rahmen der grundsätzlich bedeutsamen „Allgemeinen Bestimmungen" bleibt und noch dazu an den Anfang des Gesetzes kommt. W ir würden damit völlig in der Aufklärungsideologie steckenbleiben, nach der der Verbrecher beim Wandel

der Gesetzgebung ein Recht aus Bestrafung aus dem milderen Gesetz haben soll. § 348 würde in so gründ' sätzlich bedeutsamem Rahmen das von uns zu über­ windende Aufklärungsdenken in das neue Strafgesetz­ buch hinüberretten. Wenn man die Bestimmungen über die zeitliche Geltung des Strafgesetzes als Überleitungsvorschristen auffaßt und im Einsührungsgesetz regelt, dann könnte man die Vorschriften über die persönliche und räumliche Geltung am Ansang des Gesetzes stehen lassen, wo sie wegen ihrer grundsätz­ lichen Bedeutung auch hingehören. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: I h r Ausgangspunkt ist nicht richtig, Herr Professor Henkel. E s handelt sich hier nicht um bloße Überleitungsbestimmungen. Vielmehr werden diese Vorschriften täglich praktisch, insbesondere bei der Frage der Rückwirkung von Wirtschaftsgesetzen. Es erscheint mir daher fraglich, ob man sie in das Ein­ führungsgesetz verweisen kann. Senatspräsident Profeffor Dr. Klee: Ich halte den Vorschlag des Herrn Professor Dahm, den zweiten und dritten Abschnitt mit den Worten „D as Verbrechen" und .,Die Strafe" zu überschreiben, für glücklich. Hinsichtlich der Reihen­ folge erscheint mir der ursprüngliche Vorschlag des Herrn Staatssekretär Freister, zuerst die T at und dann die Schuld zu regeln, richtiger. Ih m liegt die natürliche Anschauungsweise, die auch den Aus­ gangspunkt der Tätigkeit der Strafverfolgungsbe­ hörden bildet, zugrunde. Ich bestreite, daß das Willensstrafrecht zu einer anderen Reihenfolge zwingt. Die von uns so besonders betonten Grund­ sätze des Willensstrafrechts z. B. bei der Täterschaft, beim Versuch usw. stehen ja an ganz anderer Stelle, nämlich in dem zweiten Abschnitt, in dem alles das enthalten ist, was man als das spezifisch national­ sozialistische Willensstrasrecht bezeichnet. Auch aus diesem Grunde halte ich es für richtiger, die T at vor­ anzustellen. über die Überschrift „Schuldausschließungsgründe" herrscht Streit. Ich halte die Frage der Überschrift dieses Abschnittes, in dem zweierlei enthalten ist, für weniger entscheidend und glaube, daß etwa die Formulierung „Ausschluß von Unrecht und Schuld" beiden sich hier gegenüberstehenden Ansichten gerecht würde. Hier ist der Begriff Schuld nicht im engeren Sinne einer psychologischen Beziehung des Willens zu einem äußeren Vorgang gebraucht, sondern im übertragenen Sinne der Vorwerfbarkeit. Die Schuld in diesem Sinne ist beim Notstand ausgeschlossen. Anders ist es bei der Notwehr. Der Notwehr Übende handelt dem Rechte gemäß. Auch die Überschrift „Ausschluß des Unrechts" (i. w. S .) halte ich für möglich. Die Regelung der Bestrafung bei Tatmehr­ heit gehört in den Abschnitt Strafbemessung. Die Regelung der zeitlichen und räumlichen Geltung kann als mehr technische Frage an den Schluß des Gesetzes gestellt werden, zumal ein großer Unterschied zum geltenden Recht nicht besteht. E s handelt sich ledig­ lich um die Erweiterung des schon jetzt in größerem

Umfange geltenden Personalitätsprinzips, auch um Fälle, die selten vorkommen. Die Frage der zeitlichen Geltung spielt zwar eine größere Rolle, aber sie ist nicht grundsätzlich geändert worden. Sie gehört gleichfalls nicht zu den ganz grundsätzlichen Fragen, die wir, wie z. B. die Analogie usw., an die Spitze des Gesetzes stellen wollen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich muß mich hinsichtlich dessen berichtigen, was ich Herrn Professor Henkel entgegengehalten habe. Herr Geheimrat Schäfer hat mir gesagt, daß sich die Frage der zeitlichen Geltung schon im Einsührungs­ gesetz regeln ließe. M an kann also den Gedanken von Herrn Profeffor Henkel durchaus berücksichtigen. Bei der Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld ist mir nicht recht wohl, weil sich die einzelnen unter dem Begriff „Unrecht" immer etwas Ver­ schiedenes vorstellen. Bald versteht man darunter Rechtswidrigkeit im Sinne der jetzt herrschenden Dogmatik, bald faßt man ihn als Oberbegriff in dem von Herrn Staatssekretär Freister dargelegten S in n auf. Wenn wir uns auf diesen letzteren Vorschlag einigen könnten, dann wäre wohl allem genügt. Stellen wir aber Unrechts- und Schuldausschließungs­ gründe nebeneinander, so tauchen sofort alle Probleme aus. W ir könnten also dem Gedanken von Herrn Profeffor Dahm folgen, müßten aber zum Ausdruck bringen, daß der Begriff „Unrecht" hier eine negative Bedeutung hat. S ta a tsra t Dr. Graf von der Goltz: Ich möchte mich zu den Abschnitten „Die T at" und „Die Schuld" äußern. M ir ist unverständlich, wie man den Abschnitt „Die Schuld" vor den Ab­ schnitt „Die T at" stellen will. Ich glaube, daß der Richter zunächst immer von der T at ausgeht. D as entspricht dem allgemeinen Volksempfinden. M an kann doch die Schuld überhaupt erst feststellen, wenn man die T at bereits festgestellt hat. Die Logik er­ fordert, mit der T at anzufangen und die Schuld erst folgen zu lassen. Herr Profeffor Klee hat überzeugend ausgeführt, daß wir die Folgerungen, die wir aus dem Willensstrafrecht ziehen, bei den einzelnen T a t­ vorschriften besonders stark ausgedrückt finden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich glaube, das ist richtig. E s läßt sich dazu gar nichts sagen. Wenn man von der T at ausgeht,' so taucht schon im ersten Satz unserer Begriffsbestim­ mung die Schuld aus. W ir erleben sehr häufig, daß bei der strafrechtlichen Betrachtung von etwas aus­ gegangen wird, was in der sinnlichen Welt vorhan­ den ist, obwohl vielleicht gar kein willenssähiger Mensch damit im Zusammenhang steht. Zunächst müffen wir immer, auch im Persönlichkeitsstrafrecht, von der äußeren T at ausgehen. Hat es überhaupt für die Bewertung des Strafrechts eine Bedeutung, wenn man hier die T at der Schuld voranstellt? Hält man diese Frage für irrelevant, so möchte ich mich allerdings auch dafür aussprechen, die T at voranzu­ stellen, obwohl ich zugebe, daß es psychologisch viel-

leicht feiner ist, vom Willen als dem Prim ären aus­ zugehen. Staatssekretär Dr. Freister: Ich bin mir inzwischen klar geworden, daß wir die Grundlagen unseres Strafrechts undeutlich aus­ drücken würden, wenn wir mit der Schuld beginnen würden. W ir müssen vielmehr die T at an den Ansang stellen. Das, wogegen sich Herr Professor Dahm wen­ den müßte, ist etwas anderes, nämlich daß die Gruppe überschrieben wird „Die S traftat". Die Überschrift müßte richtiger heißen: „Der Verbrecher". Ich würde das aber nicht tun, denn wenn z. B. das Vorliegen von Unrechtsausschließungsgründen bejaht wird, dann liegt ja überhaupt kein Verbrechen vor. Wenn man hiergegen etwas einwenden will, so nur aus zwei Gesichtspunkten: entweder daß man an ein tatloses Schuldstrafrecht anknüpfen möchte. D as haben wir aber ausdrücklich abgelehnt. Oder man muß unter „T at" etwas ganz anderes verstehen, als wir bisher verstanden haben. W ir haben darunter nicht nur die äußerliche Gestalt eines Vorganges, sondern das äußere Produkt eines Willens verstanden. Diesen Begriff der T at können wir auch nur meinen, wenn wir von unserem Täterschafts-, Teilnahme- und Unterlassungsbegriff sprechen wollen. Hier handelt es sich gerade um die wichtigsten Auswirkungen des Willensstrafrechts. Die T at ist Willensprodukt. Des­ halb muß dieser Abschnitt an die Spitze des zweiten Teils gestellt werden. Außerdem ist es auch das Natürliche, weil der Richter aus der T at den Willen erkennt. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Der Herr Staatssekretär hat einen Gedanken an­ klingen lassen, ihn aber leider sofort wieder ver­ worfen, nämlich die zweite Gruppe zu überschreiben „Der Verbrecher". Sein Einwand dagegen ist nicht durchschlagend; denn wenn keine Schuld vorliegt, kann man ja auch nicht von einem Verbrechen sprechen. (Staatssekretär Dr. Freister stimmt zu.) Ich möchte hier ausdrücklich zur Diskussion stellen, ob man nicht statt „Die S traftat" sagen kann „Der Verbrecher". Profeffor Dr. S ie b e n M it dem Vorschlag, den zweiten und dritten Ab­ schnitt der legten Gruppe unter der Überschrift „ S traf­ bemessung ber Tateinheit und Tatmehrheit" zusammen­ zufassen, bin ich einverstanden. Dagegen halte ich es nach wie vor für richtiger, v o r dem Abschnitt „M aß­ regeln der Sicherung und Besserung" den Abschnitt „Strafbemessung" zu bringen. Denn in jenem steht gleichzeitig auch vieles über die Anwendung der M aß­ regeln, während dies bei den Strafen in einen be­ sonderen Abschnitt verwiesen ist. Bei der Reihenfolge der Abschnitte „Die Schuld" und „Die T a t" handelt es sich im Grunde um die wie vor der Ansicht, daß die vorgeschlagene Reihen­

folge beu neuen Beschlüssen entspricht. Was die Über­ schrift „Schuldausschließungsgründe" anbelangt, so möchte ich gegenüber den Ausführungen des Herrn Kollegen Nagler betonen, daß diese Überschrift eine durchaus neutrale Fassade darstellt. Ich habe diese Überschrift „Schuldausschließungsgründe" nicht von mir aus erfunden, sondern in den vorläufigen Be­ schlüssen bereits vorgefunden, die mir für den Ausbau des Allgemeinen Teils als Grundlage dienten. D aran konnte und wollte ich meinerseits nichts ändern. Ich verkenne die verschiedene Bedeutung der einzelnen Ausschließungsgründe durchaus nicht, betone aber ihre gemeinsame Folge im Strafrecht, nämlich den Weg­ fall der Schuld. Auch ein selbständiger Abschnitt etwa mit der Überschrift „Ausschluß der Strafe" wäre denk­ bar. Dagegen kann ich meine Bedenken gegen die vorgeschlagene Überschrift „Unrechtsausschließungs­ gründe" (i. w. S .) nicht unterdrücken. Dieser Begriff des Unrechts im weiteren S inne ist noch neu und wenig geklärt. Gerade für die Streitfragen des Not­ standes besteht die Gefahr, daß die Rechtsprechung durch eine solche Überschrift zu einer falschen Aus­ legung gedrängt würde. Dagegen halte ich die Über­ schrift ' „Schuldausschließungsgründe" für unbe­ denklich. Als Überschrift der zweiten Gruppe ist neuerdings vorgeschlagen worden: „Der Verbrecher". Grundsätz­ liche Bedenken bestehen dagegen nicht; aber es paßt nicht recht zu den nachfolgenden Bestimmungen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich habe mir überlegt, wie man die beiden soeben vorgeschlagenen Reihenfolgen populär etwa übersetzen könnte. Nach der ersten Regel müßte der Gedanken­ gang populär ausgedrückt etwa so lauten: 1. du hast gestohlen, 2. das mache ich dir zum Vorwurf, 3. darum bestrafe ich dich. Nach der zweiten Regel müßte die Übersetzung etwa heißen: 1. du hattest einen bösen Willen, 2. den hast du durch einen Diebstahl bekundet, 3. deshalb möchte ich dich bestrafen. Ich glaube, es kann wohl kein Zweifel sein, daß allein die erstere Regel der natürlichen Auffassung entspricht. (Allgemeine Zustimmung.) Senatspräsident Grau: Ich halte es für angebracht, den Allgemeinen Teil in drei Gruppen zu gliedern, nämlich in die Grund­ lagen der Bestrafung, den Verbrecher und die Strafen und sonstige Maßnahmen. Die Überschrift der zweiten Gruppe „Der Verbrecher" bringt das Täterstrafrecht besonders zum Ausdruck. Zu den einzelnen Abschnitten möchte ich folgendes bemerken: Zu den Grundlagen der Bestrafung gehört vor allem auch die räumliche Geltung der Strafgesetze. Diese elementaren und wichtigen Grundsätze dürfen nicht an einer anderen Stelle geregelt werden. D a­ gegen ist mir der Vorschlag, die zeitliche Geltung der Strafgesetze im Einführungsgesetz zu regeln, durchaus sympathisch. I n der Reihenfolge Tat, Schuld und Ausschlußgründe sehe ich keinen Bruch mit dem

Willenssirasrecht; denn nicht die Schuld im Sinne von Vorsatz und Fahrlässigkeit, sondern der verbreche­ rische Wille des Täters soll bestrast -werden. Diese Auffassung entspricht auch der natürlicheren Betrach­ tung. Als Überschrift des dritten Teils würde ich vorschlagen: „Ausschluß der Strafe". Alle anderen Formulierungen sind unbefriedigend, zumal im Hin­ blick auf die bisherige Dogmatik, und bedeuten eine Festlegung in einem bestimmten Sinne. Die Ver­ warnung mit Strasvorbehalt darf nicht, wie Herr Profeffor Mezger vorschlägt, bei den Strafen geregelt werden; denn sie ist keine Strafe, sondern ein Rechts­ institut besonderer Art und gehört deshalb in einen besonderen Abschnitt. Die Strafbemessung würde ich direkt hinter den Strafen bringen und nicht erst hinter den sichernden Maßnahmen. Ich würde also einteilen: Strafen, Strafbemessung, Verwarnung mit Stras­ vorbehalt, Maßnahmen der Sicherung und Besserung. Staatssekretär Dr. Freisler: Wenn die Entscheidung dahin fallen sollte, daß die §§ 345, 346 innerhalb des Allgemeinen Teils bleiben, so habe ich nichts dagegen, wenn die persön­ liche und räumliche Geltung dahintergestellt wird. Nur wenn die §§ 345, 346 in einem Grundsätzlichen Teil an die Spitze gestellt werden, dann dürften die zeitliche und räumliche Geltung nicht gleich dahinter kommen. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich möchte dringend bitten, als Überschrift die Worte zu gebrauchen: „Ausschluß der Strafe". Die Begriffe „Unrecht" und „Schuld" werden hier neuer­ dings in so verschiedener Bedeutung gebraucht, daß ich ihre Verwendung sür gefährlich halte. Ich würde hier in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht sagen: „Gründe, welche die S trafe ausschließen". Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich suche selbst fortwährend nach einer Überschrift, die zum Ausdruck bringen soll, daß es sich hier um einen Bezirk handelt, der in das Strafrecht nicht her­ einreicht. Vielleicht könnte man sagen: „Ausschluß der Strafbarkeit". D as würde nur zum Ausdruck bringen, daß der Strafrichter hier nicht einzugreifen hat. Wie würden S ie sich zu dieser Überschrift stellen, Herr Profeffor Dahm? Professor Dr. Dahm: Ich würde das sür eine annehmbare Lösung halten. Die Worte „Ausschluß des Unrechts" sind allerdings plastischer. Professor Dr. Kohlrausch: Ich würde die von dem Herrn Reichsminister an­ geregte Überschrift doch für einen Rückschritt halten. Gerade diesem Abschnitt des geltenden Rechts haben w ir immer den Borwurf gemacht, daß er das Wesent­ lichste verschweigt. W ir stehen nun vor der Möglich­ keit, dies zu fixieren, und sollten nicht vor ihr wieder zurückschrecken.

Professor D r. Schassftein: Ich glaube, daß man Herrn Professor Kohlrausch vielleicht darin zustimmen kann, daß es auf der Grundlage des alten Rechts eine ausgetragene Frage war, wann die Schuld und wann die Rechtswidrigkeit ausgeschlossen wurde, und daß zwischen beiden Fällen ein Unterschied bestand. D as gilt aber nicht not­ wendig auch für das neue Rechtsdenken. F ür das kommende Gesetzbuch kann die jetzt herrschende Lehre nicht maßgebend sein. W ir können es getrost der weiteren dogmatischen Entwicklung überlassen, wie die Abgrenzung vorgenommen wird. W ir sollten uns hier nur auf die Entscheidung wirklich praktisch wer­ dender Fragen beschränken. Profeffor Dr. Dahm: Ich bin derselben Meinung wie Herr Schafsstein. D as Gesetzbuch ist kein Lehrbuch. Es hat in erster Linie praktische Fragen zu lösen. Ich halte es daher für unnötig, hier eine Entscheidung über das grund­ sätzliche Verhältnis von Rechtswidrigkeit und Schuld zu treffen. M an sollte die weitere Entwicklung der Wissenschaft überlassen, diese aber nicht durch Fest­ legung auf eine alte Dogmatik daran behindern. W ir könnten daher sehr gut sagen: „Gründe, die die S tra f­ barkeit ausschließen". Staatssekretär Dr. Freisler: Der Gesetzgeber hat sicherlich nicht die Ausgabe, dogmatische Fragen zu entscheiden. Es kommt viel­ mehr darauf an, daß wir uns hier in Übereinstimmung mit dem natürlichen Empfinden befinden. Dieses sagt, daß ich den, der mich überfällt, abwehren darf. Dazu bin ich berechtigt. E s sagt ferner: Wenn zwei, die in Todesgefahr sind, die Gefahr nur durch Tod des einen beseitigen können, dann ist jeder berechtigt, den an­ deren zu töten. D as Volk sagt: Heroisch war das nicht; aber wenn du auch nicht gerade sehr schön ge­ handelt hast, Richter darüber will ich nicht sein. D as ist die natürliche Betrachtung. I n dem einen Fall attestiere ich: du hast recht getan. I m anderen sage ich: du hast nicht gemäß dem höchsten Gebot der Sittenordnung gehandelt, aber dein Verstoß ist so, daß ich als menschlicher Richter nicht darüber urteilen will. D as ist zweierlei. D araus folgt nun nicht, daß der Gesetzgeber sich unbedingt Mühe geben müßte, dieses Zweierlei zur begrifflichen Gegensätzlichkeit her­ ausgespitzt in das Gesetz aufzunehmen. E r muß nur eine Regelung finden, die einmal besagt, daß der Ge­ setzgeber den einen wie den anderen, der so oder so handelt, nicht zur Verantwortung ziehen will, und ferner muß das so ausgedrückt werden, daß die Mög­ lichkeit besteht, diese Entscheidung auch aufrechtzu­ erhalten. D as soll man aber nicht so blaß wie möglich sagen, sondern so lebendig wie möglich. Ganz farblos ist es, wenn man nur sagt: Ich knüpfe an diese Hand­ lung keine Folgen, es wird die Strafbarkeit ausge­ schlossen. W ir können sagen: Unrecht im S inne dieses Gesetzes ist es nicht. W ir müssen dann den Unrechtsbegriss so auffassen, wie das Volk es tut. Dieses würde nämlich in beiden Fällen gesagt haben: Unrecht ist es nicht. I n dem einen F all würde es überdies sagen:

E s ist recht gewesen. Wenn wir das W ort „Unrecht" so verstehen, dann ist das die genauest mögliche und mit dem weitestgehenden Grad in der Bewertung aus­ gestattete Bezeichnung. Deshalb bin ich der Ansicht, daß die Überschrift „Unrechtsausschluß" für beides richtig ist. Diejenigen, die nun meinen, die beiden Fälle seien eins, entweder in dem Sinne, daß beides recht sei, oder in dem Sinne, daß beides zwar nicht recht sei, aber die Schuld zur Bestrafung nicht groß genug sei, kommen notwendigerweise in einen Gegensatz zum Willensstrasrecht. W ir haben uns doch dazu bekannt, daß wir beides als verschiede­ nes ansehen und deshalb eine übergeordnete Bezeich­ nung dafür wählen wollen. Professor Dr. Kohlrausch: Der richtige Kern der heute wieder so eifrig be­ handelten Kontroverse über Rechtswidrigkeit und Schuld ist der, daß im Begriff der Rechtswidrigkeit bereits ein subjektives Moment liegt. D as aber ist bereits ein altes Problem. Ich selbst habe darüber in meiner Habilitationsschrift 20 Seiten geschrieben, Herr Kollege Nagler hat seiner Zeit ein ganzes Buch darüber geschrieben. Herr Mezger hat sie weiter ver­ tieft. Die Frage ist wirklich nicht neu. Aber trotz jener „subjektiven Unrechtselemente" ist es für das Volk ein Unterschied, ob der Täter z. B. in Notwehr rechtmäßig handelt, oder ob er etwa wegen Putativ­ notwehr oder wegen Notstand entschuldigt ist. Jene Theorie der subjektiven Unrechtselemente hat damit nichts zu tun. Ich habe vor einiger Zeit einen Menschen verteidigt, der mangels Verschuldens frei­ gesprochen wurde. Der M ann war empört über das Urteil, denn er glaubte und wollte bestätigt erhalten, daß er so hatte handeln „dürfen". D as gilt in gleicher Weise für den Notwehrtäter. Der Unterschied zwischen echter und Putativnotwehr entspricht durchaus der Wirklichkeit des Lebens. Eine Überschrift mit dem allgemeinen Dachbegrisf: „Gründe, welche die Strafe ausschließen" halte ich für einen Rückschritt. Eine rechtmäßige Handlung ist nicht schuldlos, sondern vom Schuldstandpunkt aus irrelevant; bei ihr kann die Schuldfrage überhaupt nicht mehr zur Debatte gestellt werden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Gilt das auch für den Versuch, das als „Unrechts­ ausschließung" zu bezeichnen? Profeffor Dr. Kohlrausch: J a . Ich finde es gleichgültig, ob man von „Strafausschließung" oder von „Ünrechtsausschließung" spricht, falls man unter dieser auch die Schuldaus­ schließung mitbegreift. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich komme über eins nicht hinweg. Is t es am Ende so: Wer in Notwehr gehandelt hat, der handelt natürlich nicht schuldhaft; er hat aber ein Bedürfnis, darüber hinaus bestätigt zu bekommen, daß er berech­ tigt gehandelt hat. D as ist doch auch Ih re Auffassung. Wer in Putativnotwehr gehandelt hat, von dem wird niemand sagen, daß er berechtigt war, so zu handeln.

M an wird nur sagen, daß man ein solches Handeln nicht strafrechtlich erfassen wolle. Wollen die Herren, die sich dem Vorschlag von Herrn Professor Kohlrausch nicht anschließen zu können glauben, vielleicht so sagen: F ü r das Strafrecht kommt die Bestätigung „du durstest so handeln" überhaupt nicht in Frage; hier­ für genügt „D as Handeln bleibt strafrechtlich außer Betracht"? Professor Dr. Dahm: W ir sind ja damit einverstanden, daß man bei der Notwehr sagt: „Der Täter handelt recht", beim Not­ stand: „Der Täter wird nicht bestraft". W ir wenden uns nur gegen eine V e r a l l g e m e i n e r u n g dieser Unterscheidung und dagegen, daß nun von diesem Punkt aus eine allgemeine und abstrakte Unter­ scheidung durch das ganze Strafrecht hindurchgeführt wird. Reichsgerichtsrat Niethammer: Ich möchte zu den Streitfragen der Rechtslehre hier keine Stellung nehmen. Ich muß aber darauf Hinweisen, daß die Fassung des Notstandes: „. . . wird nicht bestraft . . . . " dem Richter nicht sagt, weshalb keine Bestrafung erfolgen soll. Wenn das so bleibt, dann muß sich auch die Überschrift mit einer derartigen farblosen Erklärung begnügen. I n der Sache bin ich durchaus der Ansicht des Herrn Staatssekretärs. Aber warum sagt man das nicht in der Gesetzesvor­ schrift selbst? M an könnte bei der Notwehr sagen: „handelt recht" und beim Notstand: „tut nicht un­ recht" — dies in einem weiteren Sinne. Professor Dr. Schasfstein: Ich glaube, daß der Ausdruck „Ausschluß des Un­ rechts" vielleicht plastischer ist als „Ausschluß der Strafe". Dabei gehe ich freilich davon aus, daß wir uns darüber einig geworden sind, daß „Unrecht" hier einen übergeordneten Begriff bezeichnen soll. Die mannigfaltigen Abstufungen unter diesem Oberbegriff werden dadurch nicht ausgeschlossen. Professor D r. Dahm: W ir haben nicht wie die bisherige Lehre nur zwei Unterscheidungen, nämlich die zwischen Unrecht und Schuld im Auge, sondern es gibt noch sehr viel mehr und noch viel feinere Abstufungen, verschiedene Grade von Schuld und Unrecht. Senatspräsident Profeffor Dr. Klee: M an kann sich mit der von Herrn Staatssekretär Freister vorgeschlagenen Überschrift durchaus einver­ standen erklären. Schließlich handelt es sich ja nur um eine Überschrift. Der Ausschluß des Unrechts er­ hält hier allerdings eine andere Bedeutung als bis­ her, wo bei der Notwehr z. B. die Rechtswidrigkeit im alten S inne ausgeschlossen wurde. Ich möchte nur bitten, beim Notstand zu sagen: „ist nicht strafbar", und das Nähere in der Begründung klarzustellen. Ich glaube, daß hiergegen praktische Bedenken nicht besteheri.

Professor Dr. Kohlrausch: Ich bin der Meinung, daß w ir nur soweit Unter­ scheidungen machen sollen, als es das Leben tut. Noch weitere Unterscheidungen einzuführen, wie es über­ raschenderweise die Herren Schasfstein und Dahm jetzt wollen, ist überflüssig. Bezüglich des von Herrn Staatssekretär Freister gemachten Vorschlages halte ich für bedenklich, daß das W ort „Unrecht" in einem doppelten Sinne gebraucht wird. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir wären also einig hinsichtlich der Überschrift „Ausschluß des Unrechts". I n diesen Abschnitt kämen dann nur Notwehr und Notstand. Staatssekretär Dr. Freister: Wenn wir sagen: „Tut nicht Unrecht", dann be­ deutet das immer, daß auch die Schuld ausgeschlossen ist. E s handelt sich um die Feststellung, ob und welche Folgen man an ein Handeln anknüpft, das für sich allem betrachtet mißbilligt wird. Es kann sich nur darum handeln, daß die Antwort gradmäßig ver­ schieden ist. I n dem einen Falle betone ich sogar, daß man eine sittliche Berechtigung gehabt habe, so zu handeln. W ir kommen zu unserer Lösung unabhängig davon, ob in Zukunft eine dogmatische Streitfrage entstehen kann. Eine unrichtige Auslegung brauchen wir nicht zu fürchten. Professor Dr. Kohlrausch: M an kann sich in der Überschrift vielleicht mit der farblosen Bezeichnung begnügen, die das geltende Recht verwendet. Ich bin nur dagegen, daß w ir etwas geradezu Verkehrtes sagen. Wenn wir bei der ein­ zelnen Bestimmung die Entscheidung klar treffen, so können wir ja die Überschrift unverbindlich gestalten. Wenn wir aber hier von Schuldausschließungsgrün­ den reden und den Notstand darunter behandeln, dann möchte ich fragen: Wo bleibt denn der Irrtu m ? Durch eine zu seine Systematik des Inhaltsverzeichnisses tragen w ir geradezu Streitfragen in das Gesetz hinein. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: E s stehen also nur noch zwei Vorschläge zur De­ batte: „Gründe, die das Unrecht ausschließen" und „Gründe, die die Strafbarkeit ausschließen". Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich möchte nur ganz kurz darauf Hinweisen, daß die letzten Vorschläge bezüglich des Notstandes sicher­ lich Kompromisse sind. W ir können eine ganz indiffe­ rente Überschrift nur dann wählen, wenn wir uns über den Gehalt der einzelnen Bestimmungen ganz klar sind. Das ist aber nicht der Fall. Wenn wir uns dazu durchringen könnten zu sagen: Die Not­ wehrhandlung ist recht, und bei der Notstandshand­ lung liegt keine Schuld vor, dann können w ir hier sagen: „Gründe, die das Unrecht und die Schuld aus­ schließen". Der Begriff des „Unrechts" im Sinne von Herrn Staatssekretär Freister ist doppeldeutig und deshalb bedenklich. Entweder wählen wir den

klaren Weg, daß wir im einzelnen F all sagen, ob ein Unrechts- oder Schuldausschließungsgrund vorliegt, oder wir arbeiten mit dem Begriff der Unrechtsaus­ schließung und erklären diesen in der Begründung in dem Sinne von Herrn Staatssekretär Freister. Ministerialdirektor Schäfer: Ich schließe mich Herrn Präsident Thierack darin an, daß es sich hier in erster Linie um einen S treit über die rechtliche Bewertung von Notstand und Notwehr handelt. Ich bin der Meinung, daß wir erst diese Entscheidung klar treffen müssen, ehe wir die richtige Überschrift finden können. Ich glaube nicht, daß wir die Entscheidung jener Streitfrage der Wissenschaft überlassen können. Der Volksgenosse hat ein Anrecht darauf, daß der Gesetzgeber dazu eindeutig Stellung nimmt. Wenn wir dieser Meinung sind, dann müssen wir auch die Antwort daraus geben. W ir müssen dann zwischen Rechtfertigungs- und E nt­ schuldigungsgründen unterscheiden. Durch ein Aus­ weichen vor dieser Unterscheidung verschleiern wir nur die wahre Rechtslage. Haben wir die Entscheidung gefällt, so sehen wir klar für die Überschrift. Die klarste und einwandfreieste Überschrift ist dann die des Entwurfs erster Lesung: „Der Ausschluß von Unrecht und Schuld". Wenn wir einen neutralen Ausdruck wählen wollen, dann ist wirklich neutral nur die Überschrift des geltenden Rechts: „Gründe, die die Strafe ausschließen". Unter die von Herrn S ta a ts­ sekretär Freister vorgeschlagene Überschrift lassen sich zwar sowohl die Rechtfertigungs- wie die Schuldaus­ schließungsgründe bringen; immerhin ist das nicht ganz unzweifelhaft/ W ir sollten also jetzt nachträglich noch die Entscheidung darüber fällen, wie Notwehr, Notstand usw. rechtlich zu bewerten sind, und dann daraus die Folgerung für die Überschrift ziehen. Staatssekretär Dr. Freisler: Ich muß Herrn Ministerialdirektor Schäfer zugeben, daß das Volk einen Anspruch darauf hat, daß der Gesetzgeber und Richter Stellung zu dieser Frage nimmt. Aber zu welcher Frage? Zu der Frage, zu der Stellung zu nehmen ein gesundes Bedürfnis des Volkes besteht. D as ist nicht die Frage, ob sich das Urteil über die Handlungsweise in den einen oder den anderen F all einschachteln läßt, in diesen oder jenen bisherigen juristischen Begriff. D as Volk hat nur daran ein Interesse, daß Stellung genommen wird zu der Frage: Hat der M ann so gehandelt, wie er als M ann sittlich handeln mußte? Und das ist der Fall bei der Notwehr. W ir bestätigen das dadurch, daß wir sagen: du hast recht gehandelt. I m übrigen hat das Volk ein Interesse an der Beantwortung der Frage, ob der Betreffende so gehandelt hat, daß wir sagen: Als Richter wollen wir an diesen Fall nicht abwertend herantreten. D as müssen w ir sagen. Wir brauchen aber nicht mehr zu sagen. Alles andere ist völlig gleichgültig. Eine begriffliche Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Entschuldigung brauchen wir gar nicht zu geben. Entschuldigt ist auch der, dem wir bestätigen, daß er recht gehandelt habe. D as ist sogar noch viel mehr. Deshalb bin

ich der Meinung, daß es kaum eine bessere Bezeich­ nung sür beide Fälle gibt als die von mir vorge­ schlagene. D as Unrecht ist in beiden Fällen ausge­ schlossen. Deshalb würde ich nicht nebeneinander nennen Unrechts- und Schuldausschließungsgründe. Denn diese Gegenüberstellung beruht aus der früheren Auffassung des Begriffes „Unrechtsausschluß". Dieses Wort hat aber unabhängig von dem bisherigen ein­ geengten Gebrauch einen lebendigen Gehalt im Volke. Dieser umfaßt beides. Ich vermag beides nur als einen Gradunterschied anzusehen. Vizepräsident des Reichsgerichts Dr. Thierack: Ich glaube, Herr Staatssekretär, Sie fassen den Begriff „nicht unrecht" genau so auf wie auch Herr Professor Kohlrausch und ich, nämlich im S inne von „nicht schuldhaft". S taatsrat Dr. Graf von der Goltz: D as ist durchaus richtig. Wir kommen mit bein Vorschlag von Herrn Staatssekretär Freister wieder aus das alte Recht zurück. E s fragt sich, ob das „nicht unrecht handeln" nicht dem „recht handeln" gleichzu­ stellen ist, da es sich ja um eine doppelte Negation handelt. Professor Dr. Kohlrausch: D as Einheitsstreben hat Herrn Staatssekretär Freister früher dazu geführt: „Handelt nicht schuld­ hast". Nunmehr kommt er aus Grund desselben Ein­ heitsstrebens zu der Formulierung: „Handelt nicht unrecht". Unrecht und Schuld aber sind nicht zwei nebeneinanderliegende Betrachtungen, sondern kon­ zentrische Kreise. Welche Erleichterungen soll es nun gegenüber dem damaligen Standpunkt bringen, wenn wir vom Schuldmonismus übergehen zum Unrechts­ monismus? Profeffor Dr. Dahm: Unser neuer Unrechtsbegrifs soll doch beide Formen, Rechtswidrigkeit und-Schuld, umfassen. Profeffor Dr. Mezger: Ich weiß nicht, was nunmehr gegen die frühere Fassung von Notwehr und Notstand vorgebracht wer­ den soll. D amals bestand Einigkeit darüber, daß in beiden Fällen die Schuld ausgeschlossen sei und Not­ wehr und Notstand in der sprachlichen Fassung unter­ schieden werden sollen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Diese Einigkeit w ar aber offenbar eine Selbst­ täuschung, wie wir jetzt erkannt haben. Ich glaube aber, daß man doch wenigstens den Satz aussprechen kann: Wer in Notwehr oder Notstand handelt, dem kann man keinen Vorwurf machen. Der Notwehrtäter verlangt nur noch mehr für sich. E r will von uns die Bestätigung, daß er recht gehandelt habe. Profeffor Dr. Mezger: Z ur früheren Fassung möchte ich noch folgendes bemerken: Einigkeit war vorhanden, nachdem gesagt

wurde: dem Notwehrtäter attestieren wir, daß er recht handelt, dem Notstandstäter geben wir nur das Attest, er handele nicht strafbar. W ir brauchen aber für die juristischen Zwecke noch eine Zusammenfassung. Dafür ist der einheitliche Ausdruck: „Schuldausschließungs­ gründe" gewählt worden. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Gegen diese von Herrn Professor Mezger vorge­ schlagene Überschrift wird aber mit Recht eingewendet, daß man von Schuldausschließungsgründen überhaupt nicht sprechen kann, wenn jemand recht gehandelt hat. Professor Dr. Mezger: Die besondere Note liegt bei den einzelnen Be­ stimmungen, nicht in der Überschrift. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: W ir können wohl daran festhalten, daß wir die Notwehr mit dem Prädikat: „handelt recht" stehen lassen. W ir sind uns ferner darüber einig, daß wir den Notstand nicht so bewerten wollen. Es bleibt dann nur noch die Frage, wie man beides gemeinsam benennen kann. Gegen jede der vorgeschlagenen Fassungen läßt sich etwas einwenden. Der Vorschlag „Schuldausschließungsgründe" ist wohl undiskutabel. Gegen den materiellen In h a lt der Überschrift „ S tra f­ ausschließungsgründe" läßt sich nichts einwenden. Die Überschrift „Unrechtsausschließungsgründe" ist inso­ fern bedenklich, als unter „Unrecht" Verschiedenes ver­ standen werden kann und damit einer Auslegung die Bahn geöffnet wird, die auch das Handeln im Not­ stand als rechtmäßig ansieht. Herr Staatssekretär, den Einwand müssen Sie auch gegen sich gelten lassen, daß Sie den Begriff „Unrecht" in einem anderen S in n gebrauchen, als dies sonst geschieht. Professor Dr. Schaffftein: Mißverständnisse würden ausgeschlossen werden, wenn wir in unserem Gesetz das Wort „Unrecht" immer nur in diesem einen bestimmten Sinne ver­ wenden würden. Die Terminologie der alten Dogma­ tik brauchten wir dann nicht zu berücksichtigen. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Wenn S ie selber nicht befürchten, daß später bei der Verwendung des Ausdrucks „Unrecht" Mißver­ ständnisse entstehen, dann könnten wir ihn ja viel­ leicht übernehmen. Professor Dr. Mezger: Ich glaube bestimmt, daß über diesen Begriff außerordentliche Meinungsverschiedenheiten entstehen werden. W ir könnten das verhindern, wenn wir den Ausdruck vermeiden und einen farbloseren Ausdruck (Strafausschließungsgründe) verwenden. Staatssekretär Dr. Freister: M an kann die falsche Richtung der Dogmatik viel­ leicht dadurch vermeiden, daß man in die Begründung

hineinschreibt, daß unter dem Wort „Unrecht" jetzt etwas anderes verstanden werden soll. Reichsjustizminister Dr. Gürtner: Ich bin der Auffassung, daß wir uns aus einen unanfechtbaren Boden begeben, wenn wir den Aus­ druck wählen: „Strafausschließungsgründe". M ir ist zweifelhaft, ob wir wirklich mehr sagen sollen. Unter keinen Umständen würde ich eine kumulative Über­ schrift befürworten. Vielleicht überlegen sich die Herren noch einmal die verschiedenen vorgeschlagenen Überschriften. W ir haben nun die ganz grundsätzliche Frage über die Einleitung des Strafgesetzbuchs überhaupt noch nicht zur Debatte gestellt. E s liegen hier zwei Vor­ schläge vor. Nach der Freislerschen Skizze ist dieser grundsätzliche Teil ein unmittelbarer Teil des S tra f­ gesetzbuchs. Bei dem Vorschlag von Herrn Professor Dahm handelt es sich mehr um einen Vorspruch. Ich möchte nicht jeden Paragraphen hier zur Debatte stellen, sondern nur die Herren bitten, ihre Kraft nicht zu erschöpfen in der Kritik dieser Skizzen, sondern sich, bis wir wieder zusammenkommen, selbst ein Bild zu machen, wie diese Einleitung etwa nach ihrer Ansicht aussehen sollte. Ich bin der Auffassung, daß wir vor allem folgendes vermeiden sollten: 1. grundsätzliche Dinge, die im Strafgesetzbuch ge­ regelt werden sollen, dürfen nicht in zwei Fassun­ gen auftreten. S ie müssen e i n m a l und in sakrosankter Form dastehen; 2. allgemeine Sätze, die in irgendeinem Punkt mit Bestimmungen des Allgemeinen Teils in Wider­ spruch stehen würden,, dürfen nicht ausgesprochen werden. Jeder Satz muß durch das Folgende ge­ deckt sein; 3. es muß genau geprüft werden, was in den grund­ sätzlichen Teil hinein soll.

Ich möchte hierzu nur ein Beispiel geben: 1. Wichtige Grundsätze dürfen nicht zweimal formu­ liert werden: z. vergl. § 2 der Skizze von Herrn Staatssekretär Freister, der diesem Grundsatz gerecht wird. 2. Ein Satz, von dem ich nicht sicher bin, ob er so stehen bleiben kann, ist § 5 Abs. 2 des Vor­ schlages Freisler. Stim m t das in allen Punkten mit unseren Ausführungen über den Vorsatz überein? 3. Muß § 13 über die Aufzählung der Freiheits­ strafen des Vorschlages Freisler an dieser Stelle stehen? Was soll dann noch im Allgemeinen Teil darüber gesagt werden? Darüber besteht wohl Einigkeit, daß Strafnorm en im Grundsätzlichen Teil nicht stehen dürfen. Bezüglich des Verrats am Volke kann es zweifelhaft sein, ob dieser hier erwähnt werden soll. Auch bezüglich des § 12 des Vorschlages Freisler muß ich fragen, ob er hierher gehört. Ich möchte die Herren bitten, unter diesen Ge­ sichtspunkten sich die Ausgestaltung des Grundsätz­ lichen Teils zu überlegen. Ich möchte dann noch einen Gedanken zum Schluß erörtern. W ir sind uns darüber einig, daß der Verrat nicht genug gebrandmarkt werden kann. Aber gerade im einleitenden Teil sollten wir nicht allzu viel davon sprechen. Ich möchte nicht mehr sagen, als es Herr Professor Dahm in seiner Skizze getan hat. Diesen Teil wird die Welt zunächst lesen. E r muß daher ein­ mal die großen Konturen des neuen Strafrechts ent­ halten. E s darf andererseits nicht dauernd von Verrat gesprochen werden, da sonst die Welt daraus schließen könnte, daß das deutsche Volk aus Verrätern bestünde. Damit hätten wir den wesentlichen Teil unseres Themas beendet. Ich habe den Herren dann nur noch für die intensive Mitwirkung an dem großen Werk zu danken. Es ist vorgesehen, die Beratung im Oktober fortzusetzen.

(Schluß der Sitzung 13 Uhr 5 Minuten.)

Anhang I. Anträge der Kommissionsmitglieder und Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zur 2. Lesung 1

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B i vom 31. 12. 1934 Anträge von Professor Dr. Mezger zu §§ 338, 362 des Entwurfs 1. Lesung

§ 338 Abs. 1 soll lauten: „Eine Straftat begeht, wer sie schuldhaft selbst oder durch sein Einwirken vollendet oder mit dem Vorsatz, dies zu tun, beginnt." Als § 338 Abs. 1 Satz 2 kann angefügt werden: „Die Strafbarkeit jedes an der Straftat Beteiligten ist unabhängig von der Strafbarkeit der andern Beteiligten". Als § 338 a ist einzustellen der bisherige § 362 Abs. 2. Der §362 ist zu streichen. Begründung: Der bisherige § 362 ist in der vorliegenden Form unmöglich: er will den sog. extensiven Täterbegriff festlegen, bewegt sich dabei aber vollkommen in den Gedan­ kengängen der Theorie vom sog. restriktiven Täterbegriff! Denn er geht aus von einem ganz engen („restriktiven") Begriff des „Täters" und „dehnt" dann die für diesen bestimmte Strafe „aus" auf andere Beteiligungsformen. Dies ist nichts anderes als die Methode des geltenden Rechts (§§ 48,49 StGB), von der die Kommissionsberatung gerade wegkommen wollte, mag dabei auch durch das „mitwirkt" die Ausdehnung eine weitere sein als die der §§ 48, 49 StGB. Die pag. 82 Anm. 6 des Entw. geäußerten Bedenken sind also vollberech­ tigt! Will man zu einem logisch sauberen Aufbau kommen, so muß § 362 Abs. 1 dorthin verwiesen werden, wohin er gehört, zu der Bestimmung des § 358 Abs. 1. Ich habe in meinem obigen Vorschlag von „Einwirken" statt von „Mitwirken" gesprochen, weil dies auf die sog. mittelbare Täterschaft besser paßt (das will offenbar auch die zit. Anm. auf pag. 82 sagen). Der § 362 Abs. 3 ist bei einer klar erfaßten Anschauung vom sog. extensi­ ven (weiten) Täterbegriff meines Erachtens selbstverständlich und könnte füglich wegblei­ ben; will man ihn beibehalten, um mit veralteten Konstruktionen sicher aufzuräumen, so mag er (als § 358 Abs. 1 Satz 2) bestehen bleiben. Der § 362 Abs. 2 (oben: § 358a) als ein einfacher Strafmilderungs- bzw. Strafbefrei­ ungsgrund gehört in einen getrennten, selbständigen Paragraphen, damit auch nicht ein­ mal der Gedanke aufkommen kann (der auf dem Boden des weiten Täterbegriffs eine Denkunmöglichkeit wäre), er habe irgend etwas mit dem Täter begriff zu tun! Ich würde kein Bedenken tragen, um dies noch deutlicher zu machen, ihn ganz in den Abschnitt über Strafbemessung zu stellen (wohin er logisch gehört), wenn nicht § 413 allgemein die Methode befolgen würde, die einzelnen Strafmilderungsgründe in ihren besonderen sach­ lichen Zusammenhang zu stellen. Damit dürften die Bedenken der Anm. 6 pag. 82 des Entw. beseitigt sein. Die Schwie­ rigkeiten bei der Mittäterschaft und mittelbaren Täterschaft sind schon oben ausgeräumt. Die Strafbarkeit auch des Anstiftungs- und Beihilfeversuchs ist (das macht man sich häufig 1

Von Nr. B 6 an fehlen in der archivalischen Überlieferung einige Anträge; sie konnten bislang auch an anderer Stelle nicht aufgefunden werden. Die in den folgenden Anträgen erwähnten Stellungnahmen der Länder, die „Zusammenstellung" dieser Anträge und die Vorschläge des Reichsgerichts sind in den Akten R 22/5826 und 873 des Bundesarchivs Koblenz enthalten. Sie konnten aus Platzgründen nicht in die vorliegende Edition aufgenommen werden.

nicht genügend klar) eine an sich in der Lehre vom weiten (extensiven) Täterbegriff gelegene Konsequenz. Durch §§ 364/365 des Entw. ist aber unmißverständlich klar ge­ stellt, daß der Entwurf solche Versuche begrifflich als bloße Vorbereitungshandlungen ansehen und ihre Strafbarkeit besonders regeln will. Damit entfallen diese Bedenken. Das Bedenken, nichtkausale Beihilfe könnte künftig straflos sein (nach geltendem Recht ist sie m. E. straflos!), ist durch meine obige Fassung: „oder mit dem Vorsatz, dies zu tun, beginnt", beseitigt. Endlich entfällt auch das Bedenken am Schluß der Anmerkung: ist man sich über den oben dargelegten Charakter des § 358a klar, so leuchtet ein, daß „Abgren­ zungsschwierigkeiten" in Beziehung auf „veschiedene" Beteiligungsformen gar nicht auf­ tauchen. Denn (rechtlich) „verschiedene" derartige Formen gibt es künftig gar nicht mehr. Daß bei Anwendung des besonderen Strafmilderungs- bzw. Strafbefreiungsgrundes dann und wann eine Frage der alten Teilnahmelehre eine gewisse Rolle spielen kann, ist natür­ lich theoretisch nach wie vor richtig. Aber dies ist praktisch völlig bedeutungslos; denn einmal ist (was schon die Anmerkung richtig hervorhebt) durch die Legaldefinition der alte Theorienstreit ausgeräumt. Sodann aber handelt es sich ja um eine bloße Kann- (!) Milde­ rung, die also einerseits nicht zur Anwendung zwingt und andererseits analoger Anwen­ dung unterliegt. Es müßte also schon ein ungewöhnlich ungeschickter Richter sein, der sich künftig an Hand des § 358 a noch mit theoretischen Spitzfindigkeiten abquälen wollte!

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 2 vom 17. 1. 1935 Anträge des Ministerialdirektors Dr. Dürr zu §§ 358 — 364 des Entwurfs 1. Lesung Zweite Gruppe. Das Verbrechen Erster Abschnitt. Die Straftat § 358 (§ 362 Abs. 1 und § 358 des Entwurfs). Begehung einer Straftat Eine Straftat begeht, wer sie allein ausführt oder zu ihrer Ausführung mitwirkt. Strafbar ist schon, wer eine Straftat mit dem Willen, sie zu vollenden, begeht. Dem Beginnen stehen Handlungen gleich, durch die der Täter nach dem Sachverhalt, den er sich irrig vorstellt, die Straftat begehen würde. Konnte die Handlung schon wegen der Art des vom Täter ausersehenen Mittels oder Gegenstandes überhaupt nicht zur Vollendung einer Straftat führen, so kann das Gericht die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen. § 359 (§ 362 Abs. 2,3, § 363 des Entwurfs). Mehrheit von Beteiligten Die Strafbarkeit jedes an einer Strafbarkeit Beteiligten ist unabhängig von der Strafbar­ keit der anderen Beteiligten. Wird die Strafbarkeit einer Tat durch besondere Eigenschaften oder Verhältnisse be­ gründet, so genügt es zur Strafbarkeit aller Beteiligten, wenn die Eigenschaften oder Verhältnisse bei einem von ihnen vorliegen. Die Strafe dessen, bei dem sie nicht vorliegen, kann gemildert werden (§ 413). Bestimmt das Gesetz, daß besondere Eigenschaften oder Verhältnisse die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt das nur für den Beteiligten, bei dem sie vorliegen. Wer nur die Tat eines anderen unterstützen will und ihm nur Hilfe leistet oder wer nur fahrlässig Hilfe leistet, kann milder bestraft werden (§413). Geringfügige fahrlässige Mitwirkung bleibt straflos. § 36o (§ 360 des Entwurfs). Tätige Reue

Wenn der Täter freiwillig und endgültig die weitere Durchführung der Tat aufgibt und bei Beteiligung mehrerer die Vollendung der Tat verhindert, so kann das Gericht die Strafe

nach freiem Ermessen mildern oder von 3träfe absehen. Das gleiche gilt, wenn der Täter freiwillig und endgültig den Erfolg abwendet. Wenn ohne Zutun des Täters die Durchführung der Tat unterbleibt oder der Erfolg nicht eintritt, so genügt, solange der Täter das nicht weiß, sein ernstliches Bemühen, die Vollendung der Tat oder den Erfolg zu verhindern. § 361 (§ 364 des Entwurfs). Verleiten und Anerbieten zu einer Straftat Wer einen anderen zu einer mit dem Tode oder mit Zuchthaus bedrohten Straftat zu verleiten sucht oder wer das Anerbieten eines anderen, eine solche Straftat zu begehen, annimmt, wird bestraft, wie wenn er die Tat begangen hätte; doch kann die Strafe gemil­ dert werden (§ 413). Ebenso wird bestraft, wer sich zu einer solchen Straftat erbietet oder sich auf das Ansinnen eines anderen zu einer solchen Straftat bereit erklärt. Die Strafbarkeit nach Abs. 1 erlischt, wenn der Täter freiwillig und endgültig die Straftat verhindert, die Strafbarkeit nach Abs. 2, wenn der Täter freiwillig seine Erklärung widerruft. § 360 Abs. 2 gilt entsprechend. § 362 (§ 363 des Entwurfs). Verabredung einer Straftat Wer mit einem anderen eine mit dem Tode oder mit Zuchthaus bedrohte Straftat verabredet oder in Verhandlungen eintritt, die seinen ernsthaften Willen zur Begehung einer solchen Straftat erkennen lassen, wird bestraft, wie wenn er die Tat begangen hätte; doch kann die Strafe gemildert werden (§ 413). Nach Abs. 1 wird nicht bestraft, wer freiwillig und endgültig die Begehung der Tat unterläßt und ihre Begehung verhindert. § 360 Abs. 2 gilt entsprechend. § 363 (§ 359 des Entwarft). Strafbares Unterlassen Wer es einer Rechtspflicht zuwider unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, wird bestraft, wie wenn er den Erfolg herbeigeführt hätte. Die Strafe kann gemildert werden (§ 413). Wer durch sein Tun die Gefahr herbeigeführt hat, daß ein bestimmter Erfolg eintritt, ist in der durch die Umstände gebotenen Weise verpflichtet, den Erfolg abzuwenden. § 364 (§ 361 des Entwurfs). Ort und Zeit der Straftat Eine Tat ist an jedem Ort begangen, an dem sich der strafbare Tatbestand ganz oder teilweise verwirklicht hat oder verwirklichen sollte. Eine Tat ist zu der Zeit begangen, zu der der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln sollen. Wann der Erfolg eintritt, ist nicht maßgebend, sofern das Gesetz nicht anderes bestimmt. Begründung: Der 1. Abschnitt der 2. Gruppe des 2. Buchs „Die Straftat" befriedigt nicht. Herr Professor Dr. Mezger hat schon einen Antrag auf Änderung einzelner Vorschriften dieses Abschnitts eingereicht. Der Antrag bringt aber auch keine befriedigende Lösung. Ich teile die Ansicht des Herrn Professor Dr. Mezger, daß § 362 des Entwurfs entgegen dem Ergebnis der 1. Lesung nicht den extensiven, sondern den restriktiven Täterbegriff zu Grunde legt. Änderungsbedürftig ist auch, daß zweimal, in § 358 und in § 362 der Täterbe­ griff umschrieben wird und daß § 358 Abs. 1 dadurch, daß er von „schuldhafter Vollen­ dung einer Straftat" und von „dem Vorsatz, eine Straftat zu vollenden", spricht, dem § 372 vorgreift. Es empfiehlt sich, die Vorschrift des § 362 Abs. 1 als Umschreibung des Täterbe­ griffs an die Spitze zu stellen. Dabei darf nicht zwischen dem Täter und anderen an einer Straftat Beteiligten unterschieden werden. Nicht einwandfrei ist auch die Fassung des § 362 Abs. 1 „wer bei (einer Straftat) hilft, zu ihr anstiftet oder in anderer Weise bei ihr

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mitwirkt". Denn der Anstifter wirkt nicht bei einer Straftat, sondern zu der Straftat mit. So komme ich zu dem Vorschlag, Abs. 1 des § 362 zu fassen:

Eine Straftat begeht, wer sie allein ausführt oder zu ihrer Ausführung mitwirkt. Hieran sollte unmittelbar die Gleichstellung von Beginn und Vollendung einer Straftat angeschlossen werden. Es braucht aber nicht gesagt zu werden, daß strafbar ist, wer eine Straftat vollendet. Es genügt zu bestimmen, daß schon das Begehen einer Straftat mit dem Willen, sie zu vollenden, strafbar ist. Dies entspricht der Fassung in Nr. 56 der Vorschläge der Unterkommissionen. Unbedenklich kann von dem Willen, eine (begonnene) Straftat zu vollenden, gesprochen und damit an dieser Stelle des Entwurfs der Ausdruck „Vorsatz" vermieden werden. Denn hier handelt es sich nur darum, ob die begonnene Handlung zu Ende geführt werden soll. Dies muß gewollt sein. Die Abs. 2 und 3 des § 362 stehen im engsten Zusammenhang mit § 363; sie werden am besten in § 363 eingefügt. Wie Abs. 1 des von mir vorgeschlagenen § 358 durch den erweiterten § 363, so wird Abs. 2 durch § 360 ergänzt, der deshalb hier angereiht werden sollte. Die §§ 364 und 365 stehen sowohl zu Abs. 1 wie zu Abs. 2 des von mir vorgeschlage­ nen § 358 in Beziehung. Deshalb dürfte die Stellung, die ihnen in meinem Vorschlag eingeräumt ist, zweckmäßig sein. Dabei kommt noch besser als im Entwurf zum Aus­ druck, daß die §§ 364 und 365 die grundsätzliche Gleichstellung von begonnener und vollendeter Straftat einschränken. Von dem Standpunkt aus, daß jeder, der zu einer Straftat mitwirkt, Täter ist, empfiehlt sich, in § 364 und § 365 die Worte „wie wenn er an der Tat beteiligt gewesen wäre" durch die Worte „wie wenn er die Tat begangen hätte" zu ersetzen. Die Abs. 3 und 4 des § 364, in denen die Wiederholung der Wendung „einer solchen

Straftat" schleppend ist, können wesentlich verkürzt und vereinfacht werden. Abs. 2 des § 365 muß darauf abgestimmt werden, daß Abs. 1 nur die Verabredung einer Straftat und Verhandlungen, die noch nicht einmal zu einer Verabredung gediehen sind, zum Gegenstand hat. Es ist unrichtig, in § 365 Abs. 2 von „der weiteren Durchführung der Tat" und von „der Verhinderung des Erfolgs" zu sprechen. § 359 des Entwurfs wird zweckmäßig hinter § 365 gestellt. Sein erster Ansatz bedarf der Verbesserung. Es fehlt darin jeder Hinweis darauf, daß die Herbeiführung des Erfolgs, der schuldhaft nicht abgewendet wurde, den Tatbestand einer Straftat begründen würde. § 361 des Entwurfs sollte ganz an den Schluß des Abschnitts gestellt werden.

Anträge zur 2. Lesung Nr. B 3 vom 24. 1. 1935 Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu dem Abschnitt: Die Strafen (§§ 3S3 —407 des Entwurfs 1. Lesung) 1. Zu § 383 Not. 2 vgl. unten zu § 386. 2.

§ 3 85. Freiheitsstrafen Freiheitsstrafen sind Zuchthaus strafe, Gefängnis strafe, Festungshaft und Haft. Zuchthausstrafe ist schwerer als Gefängnisstrafe, Gefängnisstrafe schwerer als Festungshaft, Fe­

stungshaft schwerer als Haft. Nach dieser Verschiedenheit ihres Gewichts ist der Vollzug der Freiheits­ strafen verschieden zu gestalten. Der Vollzug von Zuchthausstrafen während der ersten sechs Monate und von Gefängnisstra­ fen bis zur Dauer von drei Monaten sowie von längeren Gefängnisstrafen während der ersten

drei Monate ist regelmäßig strenger zu gestalten. Das Nähere bestimmt das Strafvollzugsgesetz. Begründung: Abs. 2 stellt — unter Vermeidung der schematischen Regelung des § 21 StGB — das Verhältnis der Freiheitsstrafen zueinander klar. Im einzelnen wird die Unter-

Scheidung zwischen den Arten der Freiheitsstrafen im Strafvollzugsgesetz zu regeln sein. Zwecks Herausarbeitung des Unterschieds zwischen Zuchthaus und Gefängnis könnte dort z. B. für das Zuchthaus vorgesehen werden: andere Kleidung, Beschränkung der Besuchs- und Brieffristen, Zulassung der Hausstrafe des strengen Arrests, längere Ar­ beitszeit, Ausschluß der Selbstbeschäftigung, Bezeichnung der Gefangenen als Sträflinge usw. Ebenso wird die Form des in der ersten Strafzeit kraft Gesetzes eintretenden strengeren Vollzuges im Strafvollzugsgesetz zu behandeln sein. Als gesetzliche Verschärfungen eig­ nen sich etwa: Beschränkung der Kost auf Wasser und Brot, Ausschluß von der Bewegung im Freien, Entziehung der Beleuchtung der Zelle bei Dunkelheit, sämtlich an 2 —3 Tagen der Woche, ferner „Zellenhaft", d. h. Einzelunterbringung in einer Zelle, und Ausschluß vom Einkauf von Zusatznahrungsmitteln. (Praktiker des Strafvollzuges empfehlen, den Entzug der Matratze nicht kraft Gesetzes eintreten zu lassen, sondern dem Richter als weitere Verschärfung zur Verfügung zu stellen und im übrigen als Hausstrafe zu verwen­ den, da der Vollzug dieser Verschärfung bei einer großen Zahl von Gefangenen auf techni­ sche Schwierigkeiten stößt). Wird der strengere Vollzug in diesem Sinne ausgestaltet, so empfiehlt sich seine Ausdehnung auch auf das Zuchthaus, damit letzteres nicht milder ist als das verschärfte Gefängnis. Abs. 3 sieht dies vor und stellt ferner klar, daß er sich auch auf Gefängnisstra­ fen von mehr als drei Monaten bezieht. 3. Zu §386. An dem Minimum von einem Monat für die Gefängnisstrafe und an der Vermeidung der Androhung der Geldstrafe im Besonderen Teil wird festzuhalten sein. Es wird jedoch empfohlen, Abs. 3 Satz 2 zu streichen, da die zahlreichen Zitate das Gesetz zu unübersichtlich gestalten. Statt dessen wird im Besonderen Teil hervorzuheben sein, in welchen Fällen die Verhängung von Haft anstelle von Gefängnis unter einem Monat nachgelassen werden soll. Dies kann erreicht werden a) durch Verwendung des Strafrahmens Nr. 8 der Note 2 zu § 383, nämlich von Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft, der für die kleine Kriminalität vorgesehen ist, in wesent­ lich weiterem Umfang als bisher, nämlich noch in den §§ 6,17 Abs. 3, 20, 23,55, 56,57, 59,64 Abs. 1,65 Abs. 1,69,149 Abs. 1,158,238, 280,315 Abs. 2,331 Abs. 2; b) durch Einschaltung der Worte „in leichteren Fällen Haft" in den §§ 83,89,142,145,163, 164, 247, 270 Abs. 1 und 2,309 Abs. 1,311 Abs. 1 und 2,319 Abs. 1,332 Abs. 1. Ferner werden in dem Abschnitt „Urkundenfälschung" durch einen Zusatzparagraphen leich­ tere Fälle mit Haft zu bedrohen sein in den §§ 182 Abs. 1 Satz 1,183 Abs. 1,184 Abs. 1, 185 Abs. 1,187 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2,188 Abs. 1,189 Abs. 1,190 Abs. 1,192,193. Diese Methode hat den Vorzug, daß die Strafrahmen aus jeder einzelnen Strafvor­ schrift des Besonderen Teils ohne Nachschlagen im Allgemeinen Teil ersichtlich sind. Erwägenswert erscheint es ferner, die in Note 2 zu § 383 vorgesehenen Strafrahmen zu erweitern um Gefängnis nicht unter drei Monaten. Dieses Minimum ist erwünscht, um ein allzu starkes Absinken der Strafandrohungen des bisherigen Rechts, das die Minima von sechs und drei Monaten ausgiebig verwendet, zu verhindern. In Anlage I ist eine Aufstel­ lung beigefügt, aus der das Absinken einzelner wichtiger Strafdrohungen des Entwurfs gegenüber dem geltenden Recht ersichtlich ist; dabei ist für das geltende Recht durchweg der für mildernde Umstände vorgesehene Strafrahmen zugrundegelegt. Die nach dieser Übersicht nicht ungerechtfertigte Sorge von einer Erweichung der Praxis würde durch Zulassung eines Minimums von drei Monaten bei der Gefängnisstrafe wesentlich vermin­ dert werden. 4. § )88. Strafverschärfung durch Urteilsspruch Zeugt die Tat von besonderer Rohheit, Bosheit, Grausamkeit oder Verworfenheit oder ist nach der Persönlichkeit des Täters anzunehmen, daß der gewöhnliche Strafvollzug auf ihn nicht die erforderliche Wirkung ausüben werde, so kann das Gericht im Urteil den strengeren Vollzug der Anfangszeit der Zuchthausstrafe oder einer Gefängnisstrafe von mehr als drei

Monaten (§385 Abs. 3) oder andere Verschärfungen für die ganze Dauer oder einen Teil der Strafzeit anordnen. Das Nähere, auch über eine allmähliche Milderung und das Aufhören der Strafverschärfung, bestimmt das Strafvollzugsgesetz. Begründung: Die Fassung stellt klar, daß es sich um eine Verlängerung der kraft Gesetzes eintretenden Verschärfungen oder um die Anordnung anderer Formen der Strafverschär­ fung handelt. Als Verschärfung, die nicht kraft Gesetzes eintritt, aber vom Gericht besonders ange­ ordnet werden könnte und zwar allein oder in Verbindung mit den in der Anfangszeit kraft Gesetzes eintretenden Strafverschärfungen oder im Falle deren Verlängerung mit allen oder einzelnen unter diesen käme dann der Entzug der Matratze in Betracht oder eine Vermehrung der Tage, an denen nur Wasser und Brot gereicht wird und keine Teilnahme an der Bewegung im Freien stattfindet. 5. §390. Höhe der Geldstrafe Die Geldstrafe besteht in dem ein- oder mehrfachen Betrag einer Tagesbuße. Die Tagesbuße ist unter freier Berücksichtigung des durchschnittlichen Tageseinkommens, des Vermögens, der Unterhaltspflicht, der Lebenshaltung und der sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zu bestimmen. Die Geldstrafe beträgt, soweit das Gesetz nicht einen höheren Mindestbetrag bestimmt, mindestens eine Tagesbuße, jedoch nicht weniger als drei Reichsmark. Das Höchstmaß der Geldstrafe ist unbeschränkt. Die Geldstrafe ist in einem festen Betrag in Reichsmark zu bestimmen. Sie kann auch unter Gewährung einer Zahlungsfrist oder von Teilzahlungen oder in der Form wiederkehrender Zahlungen auferlegt werden. Begründung: Der Wunsch der Kommission, die aus der kapitalistischen Natur der Geld­ strafe sich ergebenden Bedenken durch einen Zwang zu mildern, die Geldstrafe den individuellen Verhältnissen des Täters anzupassen, ist bisher nicht genügend zum Aus­ druck gekommen. Bisher sieht § 390 nur als Mindestmaß der Geldstrafe das Durch­ schnittseinkommen eines Tages vor. Damit ist nicht gesagt, daß bei jeder Bemessung einer Geldstrafe von dem Tageseinkommen auszugehen ist. Es fragt sich auch, wie hierbei im einzelnen zu verfahren ist. Haben A. und B. bei gleicher Willensschuld den X. verprügelt und sollen sie bei einem Einkommen von je 300 RM monatlich zu Geldstrafe verurteilt werden, so hat das Durchschnittseinkommen von 10 RM täglich für beide einen sehr verschiedenen Wert, wenn z. B. A fünf Kinder und B nur ein Kind zu erhalten hat. Die Berücksichtigung dieser Verhältnisse erfolgt zweckmäßig in der Form, daß der Richter auf Grund des Durchschnittseinkommens eines Tages unter Berücksichtigung aller persön­ lichen Verhältnisse eine Tagesbuße festsetzt, die in obigem Falle z. B. für A mit 1,50 RM, für B mit 4 RM angenommen werden mag. Dieser Satz der Tagesbuße wird nunmehr nach den allgemeinen Regeln der Strafbemessung (§ 408) zu vervielfachen sein. Der Faktor der Vervielfachung entspricht dann der Zahl der Arbeitstage, mit denen im Unvermögensfalle A u. B die Geldstrafe zu tilgen haben werden; denn die Dauer der Ersatzstrafe wird für A und B, da ihre Willensschuld gleich ist, die gleiche sein müssen. An der Zahl der Arbeits­ tage ist die Schwere des Falles abzulesen, was für das Strafregister und etwaige spätere Straftaten von Bedeutung ist. Wird dies gebilligt, so ist es entbehrlich, eine Bestimmung der Geldstrafe „in Teilen des Einkommens", wie bisher in Abs. 2 vorgesehen, zuzulassen; die Berechnung durch das Mittel der Tagesbuße ist praktischer und für die Beitreibung der Geldstrafe allein zweck­ mäßig. Die Erwähnung der Teilzahlungen in Abs. 3 dient lediglich der Vermeidung von Zwei­ feln.

6 . §391- Geldstrafe anstelle von Haft

Wo das Gesetz Haft allein oder wahlweise neben Gefängnis androht, kann anstelle der Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkannt werden. Hiervon ist abzusehen, wenn die vom Täter bekundete verbrecherische Gesinnung die Verhängung einer Freiheitsstrafe erfordert. Begründung: Der bisherige Abs. 2 ist entbehrlich, wenn die oben vorgeschlagene Strei­ chung des § 386 Abs. 3 Satz 2 gebilligt wird. Die Ersetzung des Wortes „Haft" durch „Freiheitsstrafe" dient der Klarstellung, daß die Geldstrafe auch die etwaige Gefängnis­ strafe ersetzen soll. Um die grundsätzliche Abkehr von der bisherigen weitgehenden Bevorzugung der Geldstrafe den Gerichten einzuschärfen, wird im Satz 2 eine Regel dafür vorgeschlagen, wann Geldstrafe und wann Freiheitsstrafe zu wählen ist. Die Regel kehrt das Prinzip des § 27 b StGB gleichsam um. 7. §392. Tilgung der Geldstrafe durchfreie Arbeit Eine gemäß § 391 erkannte uneinbringliche Geldstrafe ist durch freie Arbeit zu tilgen. Die Zahl der Arbeitstage ist im Urlaub entsprechend der Zahl der Tagesbußen festzusetzen; sie beträgt mindestens einen und höchstens neunzig Tage. Das Nähere bestimmt die Reichsregierung. Begründung: Die Bemessung der Zahl der Arbeitstage gleich der Zahl der Tagesbußen entspricht dem zu § 390 vorgeschlagenen System der Berechnung der Geldstrafe. Die Zahl der Arbeitstage wird enger begrenzt werden müssen als in dem bisherigen § 394 Abs. 3 vorgesehen ist, da sonst die Praxis verführt werden könnte, von der Geldstrafe in Fällen Gebrauch zu machen, in denen sie keine ausreichende Sühne bildet. Auch werden sonst die Bedenken der Wirtschaftsressorts gegen die Einführung der Tilgung der Geldstrafen durch freie Arbeit unüberwindbar sein. Daß die Ausführungsbestimmungen besser der Reichsregierung als dem Strafvoll­ zugsgesetz überlassen werden, folgt aus der Notwendigkeit, sie der jeweiligen Wirt­ schaftslage anzupassen. 8 . §393. Ersatzstrafefür die Tilgung der Geldstrafe durchfreie Arbeit

Wird eine gemäß §391 erkannte uneinbringliche Geldstrafe infolge Verschuldens des Verurteilten nicht durch freie Arbeit getilgt, so tritt an ihre Stelle eine Gefängnisstrafe, deren Dauersich nach der Zahl der nicht geleisteten Arbeitstage bemißt. Ist die Tilgung der Geldstrafe durch freie Arbeit ohne Verschulden des Verurteilten unmöglich, so tritt an ihre Stelle eine Hafts träfe, deren Dauer der Zahl der nicht geleisteten Arbeitstage entspricht. Begründung: Es empfiehlt sich, die Ersatzfreiheitsstrafe für die Fälle der Bereicherungs­ absicht und für die Fälle des § 391 verschieden zu gestalten. Es ist nicht angebracht, Personen, die wegen Betrügereien, Diebstählen usw. zu Gefängnis, also zu längeren Freiheitsstrafen als 1 Monat, verurteilt sind, Gelegenheit zu freier Arbeit anzubieten; vielmehr bedarf der Gedanke des bisherigen § 394 Abs. 2 einer Anwendung auch auf Gefängnisstrafen. Das Abarbeiten der Geldstrafe ist zweckmäßig auf die Fälle des § 391, also auf die Fälle geringfügiger Verfehlungen zu beschränken. Der vorgeschlagene 2. Absatz umfaßt sowohl den Fall, daß der Verurteilte aus körper­ lichen Gründen zur Arbeit unfähig ist, als auch den Fall, daß der Staat keine Arbeitsgele­ genheit zur Verfügung stellen kann. 9. §394. Geldstrafe bei Bereicherungsabsicht Hat der Täter in der Absicht gehandelt, sich zu bereichern, so kann neben einer Freiheitsstrafe auch eine Geldstrafe verhängt werden. § 394 a. Ersatzfreiheitsstrafefür eine neben Freiheitsstrafe erkannte Geldstrafe Ist eine neben Freiheitsstrafe erkannte Geldstrafe uneinbringlich, so tritt an ihre Stelle Freiheitsstrafe

der gleichen Art, mit der die Geldstrafe verbunden ist Die Ersatzfreiheitsstrafe ist im Urteilfestzusetzen; sie beträgt mindestens einen Tag und höchstens zwei Jahre. Begründung: §3943 bezieht sich auf alle Fälle, in denen Geldstrafe neben Freiheitsstrafe verhängt wird, also auf die Fälle des § 394, der §§ 24, 33 und des Reichsnebenstrafrechts. Für diese Fälle muß der Ersatzfreiheitsstrafe ein größerer Spielraum gewährt werden als in den Fällen des § 393. — Die bisherige Vorschrift, daß die Ersatzfreiheitsstrafe nur nach vollen Tagen bemessen werden darf, ist in § 387 enthalten und daher hier entbehrlich. 10. § 395. Ächtung Abs. 1 und 2 wie bisher. Abs. 3: Der Geächtete verliert für seine Person die deutsche Staatsangehörigkeit. Er verliert auch die Geschäftsfähigkeit einschließlich der Fähigkeit, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten: eine vorher errichtete Verfügung von Todes wegen wird unwirksam. Mit der Ächtung treten ferner die Wirkungen der Ehrlosigkeit ein (§§ 396 bis 398). Mit der Ächtung kann auch die Strafe der Vermögenseinziehung verbunden werden. Abs. 4 —6 wie bisher. Begründung: Zur Frage der Ausgestaltung der Ächtung zum bürgerlichen Tode hat die Zivilabteilung des Reichsjustizministeriums das Gutachten Anlage 2 erstattet. Auf Grund der darin geäußerten Bedenken sieht der vorstehende Vorschlag davon ab, den Verlust der Rechtsfähigkeit als Folge der Ächtung zu empfehlen. An der Beschränkung der Ächtung auf Inländer ist festzuhalten, da man von dem Ausländer, der der Volksgemeinschaft nicht angehört, nicht sagen kann, daß er sich als unwürdig erwiesen habe, in ihr zu verbleiben. Diese Regelung vermeidet auch etwaige Schwierigkeiten aus internationalen Abkommen. — Im Einführungsgesetz wird die Bestellung eines Güterpflegers für den Geächteten vorzusehen sein. 11. Ehrloserklärung Der Ausdruck bedarf der Nachprüfung, da wohl nicht gemeint ist, daß dem für ehrlos Erklärten jeglicher Schutz gegen Ehrabschneidung, Ehrenkränkung, Verleumdung usw. versagt werden soll. Vielleicht: Verlust der Ehrenrechte. 12 . §

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Der Ehrlose verliert 1. die öffentlichen Ämter, die er inne hat; 2—4. wie bisher. §397a

Der Ehrlose verliert auf Lebenszeit die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden. Er ist auf Lebenszeit untauglich, als Zeuge eidlich vernommen oder als Sachverständi­ ger gehört zu werden. § 399 wird gestrichen. Begründung: Die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, paßt in den Zusammenhang des § 397 nicht. Der Ehrlose soll diese Fähigkeit auf Lebenszeit verlieren. § 397 regelt aber durchweg die Entziehung von Rechten und Rechtspositionen, die der Täter nur einmal verliert und zwar nur, wenn und soweit er sie überhaupt hat. Es ist möglich, daß der Ehrlose nach Ablauf der Frist für die Ehrloserklärung das eine oder andere dieser Rechte wiedererlangt, was bei der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, nicht der Fall ist. Diese Fähigkeit wird daher besser mit den ebenfalls auf Lebenszeit geltenden Folgen des bisherigen § 399 zusammengefaßt und in einem besonderen § 397 a geregelt. Es enthält dann § 397 die Folgen der Ehrloserlärung, die einmalig eintreten, zugleich aber am schwer­ sten wirken, § 397 a die Folgen auf Lebenszeit, § 396 die zeitigen Folgen. Die Definition der öffentlichen Ämter steht bisher sowohl in § 397 Nr. 1 als auch in § 403. Die Wiederholung ist unnötig.

1Z. § 400. Verlust der Amtsfähigkeit Wer zum Tode oder zu Zuchthaus verurteilt, aber nicht für ehrlos erklärt wird, verliert gleichwohl die öffentlichen Ämter, die er inne hat. Er verliert ferner auf Lebenszeit die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden. § 401. Wer wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu Gefängnis von mindestens drei Monaten verurteilt wird, kann auf die Dauer von mindestens zwei und höchstens zehn Jahren für unfähig erklärt werden, öffentliche Ämter zu bekleiden. Er verliert hiermit zugleich die öffentlichen Ämter, die er inne hat. § 402. Amtsverlust Wer zu Gefängnis von längerer als einjähriger Dauer verurteilt wird, verliert die öffentlichen Ämter, die er inne hat. In § 403 ist auch § 397 Nr. 1 zu zitieren. Er erhält die Überschrift: Öffentliche Ämter. In § 404 sind die Worte „oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter" zu streichen. Er erhält die Überschrift: Folgen des Amtsverlusts. Begründung: In § 400 ist bisher der Fall der Todesstrafe und des lebenslänglichen Zucht­ hauses nicht geregelt; die Lücke ist zu schließen. Der Fall des Amtsverlustes (bisher § 400 Abs. 2) stört den Zusammenhang zwischen § 400 Abs. 1 und § 401. Er wird daher zweckmäßig aus § 400 herausgenommen und unter eigener Überschrift selbständig hinter dem Verlust der Amtsfähigkeit geregelt. Der bisherige § 402 wird zweckmäßig aufgelöst und in § 400 sowie § 401 unterge­ bracht. Die Bedeutung des Amts Verlustes in beiden Vorschriften ist nicht die gleiche: In § 400 ist der Amtsverlust die Hauptsache, daß eine Verwaltung bereit wäre, jemandem ein Amt anzuvertrauen, der mit Zuchthaus bestraft ist, ist wohl ausgeschlossen. In § 401 handelt es sich darum, ungeeignete Elemente von Ehrenämtern (Schöffen, Geschworene usw.) fernzuhalten. Hier steht die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter im Vorder­ gründe: Der Richter wird künftig die Anwendung des § 401 aus diesem Grunde bei jeder Verurteilung zu 3 Monaten Gefängnis oder mehr von Amts wegen zu prüfen haben. Der Amtsverlust dagegen tritt nur ein, wenn der Verurteilte ein Amt hat. 14. Zu § 40s Es wird zu prüfen sein, ob die Aufrechterhaltung der Nebenstrafe des Verlusts des Wahl- und Stimmrechts noch lohnt. Wird dies verneint, so würde es genügen, als § 403 Abs. 2 eine Vorschrift einzustellen, wonach die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, das Recht umschließt, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen, zu stimmen oder ge­ wählt zu werden. Soll die Nebenstrafe aufrechterhalten bleiben, so ist als Abs. 1 folgende Vorschrift einzuschalten: Wer zum Tode oder zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, aber nicht für ehrlos erklärt wird, verliert gleichwohl auf Lebenszeit das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen. 15. § 407 Abs. 2. Das Gericht kann anordnen, daß die Verurteilung auf Kosten des Verurteilten öffent­ lich bekannt gemacht wird, um dem Verletzten Genugtuung zu verschaffen. Die Anordnung wird nur auf besonderen Antrag des Verletzten oder desjenigen, auf dessen Verlangen oder mit dessen Zustimmung die Strafverfolgung eingetreten ist, vollzogen; der Antrag kann nur binnen drei Monaten nach Zustellung der rechtskräftigen Entscheidung an den Berechtig­ ten gestellt werden. Begründung: Der Vorschlag bezweckt lediglich eine klarere Fassung.

Anlage I Gegenüberstellung einiger Straßninima des Entwurfs und des geltenden Strafgesetzbuchs Vorbemerkung: Als Strafrahmen des geltenden Rechts sind in der folgenden Zusammen­ stellung durchweg diejenigen für mildernde Umstände eingesetzt, soweit solche vorgese­ hen sind. Das aus der Übersicht ersichtliche Absinken der Strafrahmen des Entwurfs beruht also nicht auf der Einarbeitung der mildernden Umstände des geltenden Rechts.

Delikt

Mindeststrafe des StG B.

Mindeststrafe des Entwurfs

Bemerkungen

1. Z uchthaus H ochverrat gegen d. Führung d. Volkes

2 J.Z. (§§81,84)

1 J.Z . (§§ 28,31)

V erabredung eines H ochVerrats

2 J.Z. (§ 32)

A bsichtliche schw. KörperVerletzung

2 J.Z. (§ 225)

1 J.Z. (§§ 30,31) 1 J.Z. (§ 284 A bs. 2)

Schw. D iebstahl im w iederh. Rückfalle

V ergiftung von B edarfsge­ genständen

2 J.Z. (§ 244) 10 J.Z. (§ 178) 10 J.Z. (§ 215) 1 J.Z. (§ 324)

A ufforderung zum H och­ verrat

1 J.G. (§ 83 Abs. 1)

6 M .G . (§§29,31)

V orbereitung zum H och­ verrat

1 J.G. (§ 81 Abs. 2)

N ichterfüllung von V erträgen über K riegsbe­ darf

1 J.G. (§ 90 Abs. 1)

6 M .G . (§§30,31) 6 M .G . (§ 17 Abs. 1)

Zw eikam pf m it tödlichem A usgang

2 J. Fh. (§ 206)

1 W .Fh. (§§ 210,386)

K örperverletzung m it tödlichem A usgang

3 J.G. (§ 226)

6 M .G . (§ 284)

M euterei/A usbrechen von Gef.

6 M .G . (§ 122)

V ortäuschung eines V er­ sicherungsfalls

6 MG. (§ 265) 6 M. G. (§ 115) 3 M .G .(§ 1 2 5)

1 M .G . (§§ 146,47) 1 M .G . (§ 323) 1 M .G . (§ 203)

3 M .G . (§ 141)

1 M .G . (§ 146)

Q ualifizierte N otzucht A scendententotschlag

1 J.Z. (§ 31°) 5 J.Z. (§ 70 A bs. 2)

vgl. aber §41 2 (G ew ohn­ h eits­ verbrecher)

6 M .G . (§ 274) 6 M .G . (§ 239) 2. G efängnis

L andfriedensbruch V erleitung zur Fahnen­ flucht

Bedarf der N achprüfung in 2. Lesung

Erhaltung des M inim um s v on drei M onaten wäre fü r die folgenden D elikte erw ünscht.

Delikt Anwerbung zum ausl. Heeresdienst Öffentl. Mitt. früh. Staatsgeh. Ehebetrug Parteiverrat Wertzeichenfälschung

Mindeststrafe des StGB.

Mindeststrafe des Entwurfs

zM .G . (§ 141) 3 M.G. (§ 90 b) 3 M.G. (§ 170) 3 M.G. (§ 356) 3 M.G.

1 M.G. (§48) 1 M.G. (§ 5 ) 1 M.G. (§62) 1 M.G. (§ 168) x M.G. (§ 198) x M.G. (§ 208) x W.H. (§ 2x3) x M.G. (§ 224) x M.G.

(§ 275)

Staatsfeindl. Verbindungen Anreizung zum Zwei­ kampf Beschädigung von Wasser­ bauten Lebensgefährdung Besitz von Diebeswerkz.

3 M.G. (§ 129) 3 M.G. (§ 2x0) 3 M.G. (§ 321) 3 M.G. (§ 221) 3 M.G. (§ 245 a)

Bemerkungen

(§ 277)

i M.G. (§ 3 15)

Anlage II Gutachten der Zivilabteilung des Reichsjustizministeriums zur Ausgestaltung der Ächtung als bürgerlicher Tod l. Die Ausgestaltung der Strafe der Ächtung „als bürgerlicher Tod"muß vom Standpunkt des Zivilrechts aus abgelehnt werden. Der „bürgerliche Tod" als Rechtsfolge einer Krimi­ nalstrafe kommt, soweit ersichtlich, in keiner Gesetzgebung mehr vor. Seine Abschaffung dürfte in der Hauptsache darauf zurückzuführen sein, daß man mit diesem Institut uner­ freuliche Erfahrungen gemacht hat. Wenn es schon nicht sonderlich erwünscht erscheint, mit Fiktionen zu arbeiten, so gilt dies umsomehr, wenn die Durchführung der Fiktion auf Schritt und Tritt zu Widersprüchen und Unmöglichkeiten führt. Es ist nicht zu bezweifeln, daß der mit dem „bürgerlichen Tod" Bestrafte bis zu seinem natürlichen Tod niemals aus dem Rechtsleben vollkommen verschwinden kann. Er ist Gegenstand der Strafvollstrek­ kung, seiner Person muß ein Mindestmaß von staatlichem Interesse gewidmet werden, sein Verhalten während der Strafvollstreckung muß kontrolliert werden, im Falle seines Entweichens aus der Strafanstalt oder seiner Verurteilung im Kontumazialverfahren kann er nicht immer daran gehindert werden, sich rechtsgeschäftlich zu betätigen. Er kann strafbare Handlungen begehen und muß wegen solcher erneut bestraft werden können. Er kann selbst Gegenstand einer strafbaren Handlung sein, da ja der „bürgerliche Tod" nicht identisch ist mit der Friedloslegung oder der Ächtung des germanischen Rechts, vielmehr eine aus dem römischen Recht hervorgegangene und von da in die Gesetzgebungen Frankreichs und Englands übernommene Einrichtung darstellt.

Von diesen allgemeinen Erwägungen abgesehen würde zwar die Bestrafung mit dem „bürgerlichen Tod" kaum zu Unzuträglichkeiten führen, wenn der zum Tode Verurteilte alsbald hingerichtet wird, oder wenn der zu Dauerzuchthaus Verurteilte bis zu seinem Lebensende im Zuchthaus bleibt. Für diese Fälle hat aber die Entziehung der Rechtsfähig­ keit keine wesentliche praktische Bedeutung. Anders, wenn die Dauerzuchthausstrafe in eine zeitige umgewandelt und der „bürgerlich Tote" freigelassen wird, oder wenn der Verurteilte aus der Strafanstalt entweicht. In diesen Fällen müssen sich fortgesetzt ernste Schwierigkeiten aus der Tatsache ergeben, daß die Rechtsunfähigkeit des Verurteilten Dritten, mit denen er in Rechtsverkehr tritt, nicht erkennbar ist. Ganz besonders ist dies zu befürchten, wenn es dem Verurteilten gelingt, in das Ausland zu entkommen und sich von dort aus ohne die Hemmungen, denen er im Inland unterliegt, zu betätigen. Vor allem aber muß die Möglichkeit ins Auge gefaßt werden, daß ein Geächteter im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen wird. In diesem Fall führt der Gedanke des „bürgerlichen Todes" vollends zu ganz unmöglichen Ergebnissen. Mit der Ächtung hat der Verurteilte sein Vermögen verloren. Es ist an seine Erben verteilt, im Rechtsverkehr umgestaltet und oft nicht mehr greifbar. Der Verurteilte wäre gezwungen, das Vermögen bei den einzelnen Empfängern wieder zu suchen, ein Unternehmen, das mit großen Weiterungen und Kosten verbunden ist und nur ausnahmsweise zu einem nennenswerten Erfolge führen wird. Eine Entschädigungspflicht des Fiskus wird nur in den seltenen Fällen gegeben sein, in denen die volle Unschuld des Verurteilten erwiesen ist. Ganz entschieden muß dagegen Stellung genommen werden, daß die Ächtung die Auflösung der Ehe des Geächteten zur Folge haben soll. Es sind Fälle denkbar, in denen der andere Ehegatte an der Ehe festhalten will, sei es aus religiösen Gründen, oder weil er den Geächteten für unschuldig hält oder sich sonst innerlich verpflichtet fühlt, bei dem Verurteilten auszuharren. Es liegt kein Grund vor, ihn hieran zu hindern, zumal es ihm freisteht, nach § 1568 BGB Scheidung zu verlangen. Die Auflösung der Ehe ohne Schei­ dung würde auch ohne Not einen Konflikt mit der katholischen Kirche heraufbeschwören. 2. Dagegen würde wohl daran gedacht werden können, als Rechtsfolge der Ächtung den Verlust der Geschäftsfähigkeit vorzusehen. Eine solche Regelung würde eine empfindliche Ehrenminderung bedeuten, zugleich aber einen großen Teil der Schwierig­ keiten vermeiden, die sich bei Aberkennung der Rechtsfähigkeit ergeben. Der Verurteilte könnte nach wie vor Träger von Rechten und Pflichten sein. Seine Ehe bleibt bestehen. Andererseits wird er auf die Stufe des Unzurechnungsfähigen herabgedrückt. Er kann sein Vermögen nicht verwalten, nicht darüber verfügen, kein Testament errichten, keine Ehe schließen. Allerdings wird für das etwa vorhandene Vermögen des Geächteten durch Bestellung eines Güterpflegers oder in ähnlicher Weise gesorgt werden müssen. Bedenken, die hiergegen aus dem Gesichtspunkt erhoben werden könnten, daß hierdurch dem Verur­ teilten eine staatliche Fürsorge zuteil wird, die anderen, weniger volksfeindlichen Rechts­ brechern versagt bleibt, ist entgegenzuhalten, daß die Ächtung nur den Schuldigen, aber nicht den Unschuldigen treffen soll, und die Güterpflege nicht im Interesse des Verur­ teilten, sondern seiner Angehörigen und der Gläubiger eingeleitet wird. Der Umstand, daß nicht der Ächtung unterliegende Verbrecher, die zu langdauernder Strafe verurteilt sind, gegen Verfall ihrer Vermögensverhältnisse nicht geschützt sind, wird eher die Prüfung nahelegen, ob nicht auch in solchen Fällen Schritte zu unternehmen sind, die den Verur­ teilten vor Schäden, die nicht in der Richtung des Strafzwecks liegen können, schützen. Sollte im Einzelfall dieser Gesichtspunkt nach der Art des Verbrechens und den beson­ deren Verhältnissen der Angehörigen des Geächteten, denen die Erhaltung des Vermö­ gens in erster Linie zugute kommen würde, gegenüber höheren Interessen der Volksge­ meinschaft keine Berücksichtigung verdienen, so wird in Erwägung zu ziehen sein, ob neben der Ehrenstrafe der Ächtung noch als besondere Zusatzstrafe die Vermögenseinzie­ hung vorzusehen wäre. Besonderer Prüfung wird es dabei bedürfen, ob der Eintritt dieser

Zusatzstrafe nur vom Gericht oder auch im Laufe der Strafvollstreckung im Verwaltungs­ wege angeordnet werden kann. Nicht zu verkennen ist, daß auch der Verlust der Geschäftsfähigkeit im einzelnen Falle Unzuträglichkeiten auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts zur Folge haben kann, insbesondere wenn die Strafe der Ächtung auch gegen Angehörige fremder Staaten verhängt wird. Ob ein solcher Staat die zivilrechtlichen Rechtsfolgen der Ächtung aner­ kennen würde, muß bezweifelt werden. Z. B. könnte ein geächteter Österreicher, da er ja durch die Ächtung seine Staatsangehörigkeit nicht verliert, ein Testament errichten, zu dessen Anerkennung das Reich auf Grund des deutsch-österreichischen Nachlaßabkom­ mens vom 5. Februar 1927 verpflichtet wäre. Wenn ferner ein geächteter Ausländer in einem an dem Haager Eheschließungsabkommen vom 12. Juni 1902 beteiligten Staat mit dem Angehörigen eines anderen Vertragsstaates in der Ortsform die Ehe schließt, müßte das Reich diese Ehe anerkennen. Diese Bedenken scheinen jedoch nicht unüberwindlich. Entscheidende Bedenken gegen die Ausdehnung der Ächtung auf Ausländer und Staatenlose bestehen nicht. Es ist vor allem nicht ersichtlich, weshalb der Ausländer, der das ihm gewährte Gastrecht zu schweren strafbaren Handlungen gegen Volk und Staat mißbraucht, milder zu behandeln sein sollte als der deutsche Staatsangehörige. Zwar würde es wohl nicht möglich sein, den sonst mit der Ächtung verbundenen Verlust der Staatsangehörigkeit auch in diesen Fällen eintreten zu lassen; dagegen würden die sonstigen an die Ächtung geknüpften Nachteile, insbesondere der Verlust der Geschäftsfähigkeit, jedenfalls mit Wirkung für das deutsche Rechtsgebiet und für hier befindliches Vermögen, auch hier Platz greifen können. Geht man davon aus, daß die Ächtung den Verlust der Geschäftsfähigkeit zur Folge hat, so bleiben gleichwohl alle vorher vorgenommenen Rechtsgeschäfte, namentlich alle letzt­ willigen Verfügungen des Geächteten wirksam. Wollte man dies vermeiden, so bedürfte es einer besonderen Bestimmung, wie sie sich auch im französischen und italienischen Recht findet. Es leuchtet jedoch nicht ein, warum ein von dem Geächteten vor langen Jahren errichtetes Testament, z. B. ein gemeinschaftliches Testament, dem jeder erkennbare Zusammenhang mit der strafbaren Handlung fehlt, hinfällig werden soll. Die Nichtigkeit letztwilliger Verfügungen zu Gunsten staatsfeindlicher Personen oder Verbände oder zu Gunsten eines Mittäters wird sich vielfach aus § 138 BGB herleiten lassen. Soweit diese immerhin beschränkten Möglichkeiten nicht ausreichend erscheinen sollten, um eine dem Volksinteresse widersprechende Verwendung des Vermöges des Verurteilten zu verhindern, könnte auch hier am besten durch die bereits an anderer Stelle vorgeschlagene Ermöglichung einer Vermögenseinziehung Abhilfe geschaffen werden. Dagegen müßte die Wirkung der Ächtung auf die güterrechtlichen Verhältnisse noch besonders geregelt werden, da der Verlust der Geschäftsfähigkeit nicht ohne weiteres in diese eingreift.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 4 vom 24. 1. 193 s Anträge des Ministerialdirektors Dr. Dürr zu §§ 345 —43 6 des Entwurfs 1. Lesung (Allgemeine Bestimmungen)

2. Buch. 1. Gruppe. 1. Abschnitt Zu §§ 345 und 346: In Anlehnung an den Vorschlag Thüringens beantrage ich, die §§ 345 und 346 in folgender Weise zusammenzufassen: § 343. Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die in einem Gesetz für strafbar erklärt ist. Ist die Tat nicht ausdrücklich für strafbar erklärt, aber eine ähnliche Tat in einem Gesetz mit Strafe bedroht, so ist dieses Gesetz anzuwenden, wenn der ihm zugrunde liegende Rechtsgedanke und die gesunde Volksanschauung Bestrafung verlangen.

Begründung: Aus § 347 ergibt sich, daß die Strafe angedroht gewesen sein muß, bevor die Tat begangen wurde. Dies braucht deshalb in § 345 noch nicht einmal gesagt zu werden. 2. Abschnitt. Zu §§ 348, 350: Nach dem Vorschlag Thüringens sollte in den §§ 348 und 350 der Satzteil: „auch wenn die Entscheidung im letzten Rechtszug ergeht" gestrichen werden, weil die darin getroffene Vorschrift in die Strafverfahrensordnung gehört. 3. Abschnitt Zu §§ 351—355: In Anlehnung an die Vorschläge der NSDAP und des BNSDJ bean­ trage ich grundsätzlich zum Territorialitätsprinzip zurückzukehren, es aber sachgemäß zu ergänzen und demgemäß den 3. Abschnitt folgendermaßen zu fassen: §351. Die Strafgesetze des Reichs gelten für Taten, die im Inland begangen werden. Für Taten, die auf einem deutschen Seeschiff oder Luftfahrzeug begangen werden, gelten die Strafgesetze des Reichs, auch wenn das Seeschiff oder Luftfahrzeug zur Zeit der Tat nicht im Inland ist. §352. Die Strafgesetze des Reichs gelten, unabhängig von den Gesetzen des Tatorts, für Taten, die ein Deutscher im Ausland begeht, wenn sie geeignet sind, das Ansehen des deutschen Volkes im Ausland schwer zu schädigen. §353. Die Strafgesetze des Reichs gelten, unabhängig von den Gesetzen des Tatorts, für folgende Taten, die ein Deutscher oder Ausländer im Ausland begeht: 1. —7. wie in § 353 des Entwurfs. § 354. Für andere als die in den §§ 352, 353 bezeichneten Taten, die im Ausland begangen werden, gelten die Strafgesetze des Reichs, wenn die Tat durch die Gesetze des Tatorts mit Strafe bedroht oder der Tatort keiner Strafgewalt unterworfen ist und wenn 1. die Tat gegen einen Deutschen oder gegen deutsche Rechtsgüter gerichtet ist oder 2. der Täter zur Zeit der Tat Deutscher ist oder nach der Tat Deutscher wird oder 3. der Täter Ausländer ist, im Inland betroffen und nicht ausgeliefert wird, obwohl die Auslieferung nach der Art der Tat unzulässig wäre. 2. Gruppe. 2. Abschnitt Ich beantrage, die beiden Titel des 2. Abschnitts umzustellen. Dazu nötigt, daß § 371 (Trunkenheit) auf die Vorschriften über die Schuldformen aufgebaut werden muß. Wenn es auch streng wissenschaftlich richtiger wäre, die Zurechnungsfähigkeit vor den Schuld­ formen zu regeln, kann im Gesetz aus praktischen Erwägungen umgekehrt verfahren werden. Die beantragte Umstellung hat noch den Vorteil, daß §372 dem 1. Abschnitt, mit dem er in engem Zusammenhang steht, unmittelbar folgt und der Titel „Zurechnungsfä­ higkeit" den Übergang zu dem 3. Abschnitt „Der Ausschluß von Unrecht und Schuld" bildet. Zu § 370:2) In Abs. 2 ist das Wort „erheblich" (letzte Zeile) zu streichen. b) Abs. 3 erhält folgende Fassung: „Ist die Zurechnungsfähigkeit erheblich vermindert, so kann die Strafe gemildert werden." (§ 413). Begründung: Die Bedenken, die in der vom Reichsjustizministerium mitgeteilten Zusam­ menstellung gegen den Ausschluß der Möglichkeit einer Strafmilderung bei erheblicher chronischer verminderter Zurechnungsfähigkeit erhoben werden, erscheinen begründet. Wenn eingewendet wird, die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt sei keine genügend wirksame Ergänzung einer gemilderten Strafe, und Bremen deswegen zur

Erwägung stellt, gegen vermindert Zurechnungsfähige eine (von der Sicherungsverwah­ rung gegen Gewohnheitsverbrecher verschiedene) Sicherungsverwahrung zuzulassen, so kann die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt dadurch wirksamer gemacht werden, daß sie nicht in den allgemeinen Heil- und Pflegeanstalten, sondern in beson­ deren Anstalten der Justizverwaltung vollzogen wird. Pläne nach dieser Richtung bestehen. Zu § 371: Ich schlage folgende Fassung vor: §371. Wer mit dem Vorsatz, eine Straftat zu begehen, sich durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende Mittel in den Zustand der Zurechnungsunfä­ higkeit versetzt und in diesem Zustand die Tat begeht, wird wegen vorsätzlicher Begehung der Tat bestraft. Wer abgesehen von den Fällen des Abs. 1 sich vorsätzlich oder fahrlässig durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende Mittel in den Zustand der Zurechnungsunfähigkeit versetzt und in diesem Zustand eine Straftat begeht, wird bestraft, wie wenn er die Tat fahrlässig begangen hätte. Ist die fahrlässige Begehung der Tat nicht mit Strafe bedroht, so wird der Täter mit Gefängnis bis zu 2 Jahren oder mit Haft bestraft. Die Strafe darf jedoch nach Art und Maß nicht schwerer sein, als die für die vorsätzliche Begehung der Tat angedrohte Strafe. Die Verfolgung tritt nur auf Verlangen oder mit Zustimmung ein, wenn die vorsätzlich begangene Tat nur auf Verlangen oder mit Zustimmung verfolgt wird. Wegen einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit, die der Täter vorsätzlich oder fahrlässig durch den Genuß geistiger Getränke oder durch andere berauschende Mittel herbeigeführt hat, darf die Strafe nicht gemildert werden. Begründung: Die neue Fassung des Abs. 1 soll außer Zweifel stellen, daß auch die Fälle des dolus eventualis darunter fallen. In den Fällen des Abs. 2 ist es sachentsprechender, die im Rausch verübte Tat als fahrlässig begangen zu bestrafen und die Lücke, die sich daraus ergibt, daß fahrlässiges Handeln nur ausnahmsweise mit Strafe bedroht ist, nach dem Vorbild des § 375 Abs. 4 auszufüllen. Die Fassung des Abs. 3 ist der der Abs. 1 und 2 angepaßt. §372: Abs. 2 kann als entbehrlich gestrichen werden. §374: In Abs. 1 Zeile 1 ist das Wort „fordert" durch das Wort „voraussetzt" zu ersetzen. § 373: Abs. 2 stört den Zusammenhang zwischen Abs. 1 und den Abs. 3 und 4. Deshalb empfiehlt sich, Abs. 2 aus § 375 herauszunehmen und als Gegenstück zu § 374 mit der Überschrift „Leichtfertigkeit" als § 375 a folgen zu lassen. 3. Abschnitt Zu §378: In Anlehnung an den Vorschlag des Stellvertreters des Führers stelle ich folgende Fassung zur Erwägung: § 378. In Notwehr handelt, wer in den nach gesunder Volksanschauung gezogenen Grenzen sich oder einen anderen gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff verteidigt. Eine durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht rechtswidrig. Hat der Täter die Grenzen der Notwehr überschritten, so kann die Strafe gemildert werden (§ 413); in besonderen Ausnahmefällen kann das Gericht von Strafe absehen. 3. Gruppe. 1. Abschnitt Zu § 386:Tch schlage vor, Abs. 3 folgendermaßen zu fassen: Die Gefängnisstrafe beträgt, soweit das Gesetz nicht anderes bestimmt, mindestens

i Woche und höchstens 10 Jahre. An die Stelle einer Gefängnisstrafe unter 1 Monat tritt Haft von gleicher Dauer. Diese Fassung würde ermöglichen, in den in Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 des Entwurfs ausgeführten Fällen Gefängnisstrafe nicht unter 1 Monat anzudrohen. Zu § 388: a) Die Unterscheidung zwischen Strafschärfung und Strafverschärfung ist für die Praxis zu fein. Ich schlage als Überschrift für § 388 „Verschärfungen der Freiheits­ strafen" vor. b) In Abs. 2 Satz 1 sollten hinter dem Worte „bestehen" (Zeile 1) die Worte „bei der Zuchthausstrafe" eingefügt werden. Begründung: Die Verschärfungen, die in den ersten drei Monaten des Vollzugs einer Gefängnisstrafe eintreten, sollen nach § 385 Abs. 4 durch das Strafvollzugsgesetz bestimmt werden. Dann genügt in § 388 Abs. 2 Satz 3 die Verweisung auf § 385 Abs. 3 und § 388 Abs. 2 Satz 1 kann auf die Zuchthausstrafe beschränkt werden. Zu § 383: Abs. 3 soll wohl nicht nur für Gefängnisstrafen, die nicht länger als 3 Monate dauern, sondern für alle Gefängnisstrafen gelten (vgl. § 368 Abs. 2 Satz 3). Dann muß aber Abs. 3 lauten: „Gefängnisstrafen werden regelmäßig bis zur Dauer von 3 Monaten unter Anwendung von Verschärfungen vollzogen." Zu § 391: Wird Abs. 3 des § 386 nach meinem Vorschlag gefaßt, so muß Abs. 2 des §391 lauten: „Das Gleiche gilt, wenn nach § 386 Abs. 3 Satz 2 Haft an die Stelle von Gefängnis treten würde." Zu § 393: Die Vorschrift des Abs. 2 sollte auf Geldstrafen ausgedehnt werden, die neben Gefängnis erkannt sind, also Fassung: „Die Vorschrift gilt nicht für Geldstrafen, die neben Zuchthaus, Gefängnis oder Festungshaft erkannt sind." Zu § 394: Abs. 1 des § 394 bezieht sich auf § 393 Abs. 1; die Abs. 2 und 3 beziehen sich auf § 393 Abs. 2. Deshalb empfiehlt sich, § 394 in zwei Paragraphen zu zerlegen: Ersatzfreiheitsstrafe § 394. Wird eine uneinbringliche Geldstrafe infolge Verschuldens des Verurteilten nicht durch freie Arbeit getilgt, so tritt an ihre Stelle eine Gefängnisstrafe, deren Dauer sich nach der Zahl der nicht geleisteten Arbeitstage bemißt. § 394a. Wird neben Zuchthaus, Gefängnis oder Festungshaft eine Geldstrafe ausge­ sprochen, so ist sie für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit in Freiheitsstrafe derselben Art umzuwandeln. Die Ersatzfreiheitsstrafe dauert mindestens 1 Tag und höchstens 2 Jahre. Sie darf nur nach vollen Tagen bemessen werden. Zu § 397:Zur Vermeidung von Wiederholungen rege ich an: a) § 39J Nr. 1 zu fassen: (Der Ehrlose verliert) 1. die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden; b) dem § 397 folgenden Absatz anzufügen: Der Verlust der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, schließt den Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter in sich. Den öffentlichen Ämtern stehen gleich der Dienst in der Wehrmacht, die aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte, kirchliche Ämter, der Beruf des Rechtsanwalts und ähnlicher zur Wahrnehmung fremder Rechte vor öffentlichen Behörden zugelassenen Personen sowie die Stellung als Schriftleiter. c) Dem § 400 als Abs. 3 den Inhalt des § 401 und als Abs. 4 folgende Vorschrift anzufügen: „§ 397 Abs. 2 gilt entsprechend." d) In § 404 Abs. 1 Zeile 1 —3 die Worte „oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter" zu streichen und die Verweisung (§ 397 Nr. 1, §§ 400—403) durch die Verweisung „(§ 397 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 400)" zu ersetzen.

Zu § 400: Zwischen §§ 396 und 400 klafft eine Lücke: § 396 gibt nur die Möglichkeit, einen zum Tode oder zu lebenslangem Zuchthaus Verurteilten für ehrlos zu erklären. Würde von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht, so behielte nach dem Entwurf der Verurteilte die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden. Zur Ausfüllung dieser Lücke muß der Eingang des § 400 gefaßt werden: „Wer zum Tode oder zu Zuchthaus verurteilt, aber nicht geächtet oder für ehrlos erklärt wird, verliert gleichwohl. . ." Zu § 40s: Wie § 400 bedarf auch § 405 der Ergänzung für die Fälle der Verurteilung zum Tode oder zu lebenslangem Zuchthaus. Folgender Abs. 1 ist voranzustellen: „Wer zum Tode oder zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, aber nicht geächtet oder für ehrlos erklärt wird, verliert gleichwohl auf Lebenszeit das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen." Zu § 407: In Abs. 2 kann der 2. Satz als entbehrlich gestrichen werden, weil schon der 1. Satz bestimmt, daß die Bekanntmachung nur auf Antrag des Verletzten erfolgt.

2. Abschnitt Zu §413: Der letzte Satz in Abs. 1 kann gestrichen werden, weil die gleiche Vorschrift schon in § 391 Abs. 2 steht. Dagegen müßte wohl, wenn § 386 nicht nach meinem Vorschlag geändert wird, für die dort in Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 ausgenommenen Fälle die Möglichkeit zugelassen werden, auf Haftstrafe von 1 Woche bis zu 1 Monat und in weiterer Folge (§ 391 Abs. 2) auf Geldstrafe zu erkennen. Wird § 386 nach meinem Vorschlag geändert, so genügt § 413 Abs. 1 Satz 2. Zu §420: In Abs. 1 darf die Festsetzung der verwirkten Strafe nicht davon abhängig gemacht werden, ob sich der Täter während einer Probezeit gut, sondern davon, ob er sich schlecht führt. Folgende Fassung dürfte aber vorzuziehen sein: „ ... so kann ihn das Gericht. . . verwarnen und von seiner Führung während einer Probezeit abhängig machen, ob die verwirkte Strafe festgesetzt wird."

4. Abschnitt Zu §423: In Nr. 5 können die Worte „gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher" als entbehr­ lich gestrichen werden. Zu § 426: Ich schlage zur Vermeidung der überflüssigen Kasuistik und zur Anpassung an die Fassung der §§ 424,425 und 427 folgende Fassung vor: §426. Wird jemand, der gewohnheitsmäßig geistige Getränke oder andere berau­ schende Mittel im Übermaß zu sich nimmt, wegen einer Tat, die in diesem Hang ihren Grund hat, zu einer Strafe verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe seine Unter­ bringung in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt an, wenn sie erfor­ derlich ist, um ihn an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen. §§ 428, 42p: Für die Abs. 3 —5 des § 428 und für § 429 schlage ich folgende Fassungen vor, die keine sachliche Änderung bedeuten sollen: § 428. (3) Die Dauer der Sicherungsverwahrung, der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und der wiederholten Unterbringung in einem Arbeitshaus ist zeitlich nicht begrenzt. Das Gericht hat aber vor Ablauf einer Frist zu prüfen, ob der Zweck der Unterbringung erreicht ist. Die Frist beträgt bei der Sicherungsverwahrung und bei der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt 3 Jahre und bei der wiederholten Unter­ bringung in einem Arbeitshaus 2 Jahre. Ergibt die Prüfung, daß der Zweck der Unterbrin­ gung erreicht ist, so hat das Gericht die Entlassung des Untergebrachten anzuordnen.

(4) Auch während des Laufs der in den Abs. 2 und 3 bestimmten Fristen kann das Gericht jederzeit prüfen, ob der Zweck der Unterbringung erreicht ist. Wenn das Gericht dies bejaht, hat es die Entlassung des Untergebrachten anzuordnen. (5) Die Fristen laufen vom Beginn des Vollzugs an. Lehnt in den Fällen des Abs. 3 das Gericht die Entlassung ab, so beginnt mit der Entscheidung der Lauf der Frist von neuem. § 429 . Die Entlassung (§ 428) ist widerruflich, wenn nicht die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt oder die erstmalige Unterbringung in einem Arbeitshaus schon 2 Jahre gedauert hat. Diese Höchstdauer darf auch im Falle des Widerrufs nicht überschritten werden. Bei der Anordnung der Entlassung kann das Gericht dem Untergebrachten besondere Pflichten auferlegen. Es kann eine solche Anordnung auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben. Das Gericht widerruft die Entlassung, wenn der Entlassene durch sein Verhalten in der Freiheit zeigt, daß der Zweck der Maßregel seine erneute Unterbringung erfordert.

Zu § 430 : Der letzte Satz des Abs. 1 ist sprachlich nicht einwandfrei. Er könnte gefaßt werden: Es kann eine solche Anordnung auch nachträglich während der Probezeit treffen, ändern oder aufheben. Zu § 431 : a) Als Überschrift genügt „Entmannung". b) In Abs. 1 Nr. 2 kann der letzte Halbsatz „auch wenn er früher wegen einer solchen Tat noch nicht verurteilt worden ist" als überflüssig gestrichen werden. c) In Abs. 3 muß darauf abgestellt werden, daß die im Ausland geahndete Tat im Falle der Aburteilung im Inland die Voraussetzung der Nr. 1 des §431 gegründet hätte. Ich schlage folgende Fassung vor: „Eine ausländische Verurteilung steht einer inländischen gleich, wenn die geahndete Tat auch nach einer der in Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Strafvor­ schriften strafbar wäre." d) Im Einführungsgesetz zu dem neuen Strafgesetzbuch wird zu bestimmen sein, daß eine Verurteilung, die unter der Herrschaft des Strafgesetzbuchs vom 15. Mai 1871 erfolgt ist, einer Verurteilung auf Grund der in § 431 Abs. 1 Nr. 1 ausgeführten Strafvorschriften gleichsteht, wenn die geahndete Tat auch nach einer dieser Strafvorschriften strafbar wäre. Zu § 433 : a) In dem Relativsatz des Abs. 1 ist die Zeitform ohne Grund gewechselt. Vorschlag: „Sachen oder Vermögenswerte, die durch eine vorsätzliche Straftat hervorge­ bracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden oder dazu bestimmt gewesen sind, können . .. " b) Wenn meinem Vorschlag zu § 362 (Anträge Nr. B 2 vom 17.1.1935) entsprochen wird, müssen in Abs. 1 Zeile 5 und 6 die Worte „dem Täter oder einem sonst an der Straftat Beteiligten" durch die Worte „dem Täter oder einem der Täter" ersetzt werden. Entspre­ chend muß dann der Schluß des Abs. 4 geändert werden („gegen den Täter oder einen der Täter"). Zu § 434 : a) ln Abs. 1 Zeile 1 und Abs. 3 Zeile 1 müssen die Worte „strafbaren Handlung" durch das Wort „Straftat" ersetzt werden. b) Entsprechend der Anregung a) zu § 433 muß der Schluß des Abs. 1 (letzte und vorletzte Zeile) lauten: „gebraucht worden oder dazu bestimmt gewesen sind."

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 5 vom 26. 1. 1935 Anträge von Professor Dr. M ezgerzu §§ 3 5 7 ,370, 371, 3 7 5 ,3 8 6 ,4 .0 9 ,4 .1 3 ,9 5 ,1 6 1 , 292 und 309 des Entwurfs 1. Lesung

I. §357 Anmerkung 2: statt: „öffentlich" überall zu sagen: „unter Einwirkung auf die Öffentlichkeit". Begründung: der Ausdruck: „öffentlich" führt erfahrungsgemäß in seiner praktischen Anwendung zu Zufälligkeiten und Ungerechtigkeiten. Der vorgeschlagene Ausdruck sagt treffender, was das Gesetz will. Er kommt gleichzeitig den in Anm. 2 angedeuteten Wünschen entgegen. Vergl. dazu auch § 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 20. Dez. 1934 (RGBl. I 1269, mit Zusatz: „böswillig"). II. §370 Abs. 3: Bei erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit oder wenn es sich um . . . Begründung: die Bedenken in den „Bemerkungen und Abänderungsvorschlägen" von Baden S. 35, Bremen S. 37—38, Hamburg S. 39, Württemberg S. 40, BNSDJ. S. 40 sind begründet. Man denke an die erheblich verminderte „Fähigkeit", das Unrecht der Tat auch nur „einzusehen". Die Kann-Milderung ist andererseits unbedenklich wegen § 370 Abs. 1 am Ende. Das Gesetz vom 24. Nov. 1934 hat sich bewährt (Baden S. 37). III. §371 Abs. 3:. .. nicht gemildert (§ 413) werden. Anmerkung 2 entfällt. Begründung: pathologische Alkoholreaktion beurteilt sich nach § 368, daher § 371 Abs. 3 unbedenklich. Doch soll, wie sonst, zur Klarstellung ausdrücklich auf § 413 verwiesen werden. Der Vorschlag in Anmerkung 2 wäre ein, mit dem Schuldprinzip außerdem völlig unvereinbarer, Schematismus und ist deshalb abzulehnen. IV. §375 Abs. 1: ist durch die Fassung in Anmerkung 1 zu ersetzen, Abs. 4 muß lauten: „Ist im Falle des Abs. 3 die . . . " Begründung: in der Fassung des Textes im vorliegenden Entwurf fehlt die erforderliche Beziehung der Fahrlässigkeit auf den Erfolg. Richtig ist die Fassung in der Anmerkung 1. Ich möchte dies um so mehr betonen, als ich bei der I. Lesung für die Textfassung eingetreten bin. In Abs. 4 ist versehentlich Abs. 2 statt Abs. 3 zitiert. V. § 386 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2: § 132 ist zu streichen, bei §§ 161 Abs. 1, 304 Abs. 2 Streichung zu erwägen, bei §32 hinzuzusetzen: „sofern die Tat leichtfertig", bei §35 Abs. 4: „sofern die Tat vorsätzlich begangen ist". Begründung: § 132 ist versehentlich aufgenommen. In § 161 (z. B. wenn die Duldung eines Verkehrs unter Verlobten die ganze Nachbarschaft kennt u. ähnl.) und namentlich in § 304 Abs. 2 sind leichtere Fälle nicht so selten, für die ein Monat Gefängnis eine zu hohe Mindeststrafe bedeutet. Beim Fahrlässigkeitsdelikt ist eine solche Mindeststrafe über­ haupt bedenklich, daher sollte zum allermindesten § 32 hier auf die grobe Fahrlässigkeit, § 35 Abs. 4 auf den Vorsatz beschränkt werden. VI. § 409 Satz 2: . . . die er verschuldet hat, sind dabei.. . Begründung: es steht versehentlich „verursacht". VII. § 413 Abs. 1 Satz 4: . . . so kann auf Geldstrafe auch in den § 386 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 besonders ausgenommenen Fällen erkannt werden. Begründung: es handelt sich um ein Versehen. Geldstrafe in den nicht ausgenommenen Fällen ist allgemein schon nach § 391 Abs. 2 zulässig; hier soll sie auch in den besonders ausgenommenen Fällen möglich sein.

VIII. § ps Abs. 2 einzusetzen: Ist die Tat im wesentlichen durch Unterlassen, namentlich durch Dulden des Verkehrs zwischen Verlobten, begangen, so findet die Bestimmung nur Anwendung, wenn nach gesunder Volksanschauung das Verhalten besonders verwerflich war. Begründung: schon der Antrag Graf Gleispach Nr. 75 bei der I. Lesung hat eine Ausnahme für die Duldung des Verkehrs unter Verlobten vorgesehen. Der Kommission erschien eine solche uneingeschränkte Ausnahme als bedenklich. Andererseits ist eine Einschränkung irgend welcher Art unerläßlich: sonst sanktioniert das neue Gesetz die bisherige lebensfremde Judikatur (E. 8 . 172), die FRANK Komm. § 181IV mit Recht zu den „schlimmsten Ubelständen der Rechtsprechung" zählt. Auch zu Nr. 3 (Ehefrau) hat die Frage der Verhinderungspflicht zu unerquicklichem Streit (FRANK a. a. O. III am Ende) und zu gekünstelten Einschränkungen (E. 5 8 . 97 und 226) geführt, weshalb der vorge­ schlagene Absatz 2 auch hierauf zu beziehen sein wird. Eine elastische und anpassungsfä­ hige Formel ist nötig. Die Wendung: „besonders verwerflich" ist vom Entw. schon in § 274 verwertet. Unberührt bleibt durch Vorstehendes die allgemeine Bestimmung des § 93 Abs. 2. IX. §161 Abs. 1:.. . oder (an erster Stelle) bzw. (— nur . . . —) mit Zuchthaus . . . Begründung: sollen hier wirklich auch Fälle wie § 319 Abs. 2 u. ähnl. gemeint sein? Doch wohl nicht. Die vorliegende Fassung würde sie aber mitumfassen. Daher ist Beschränkung auf „nur" Zuchthaus- und todesbedrohte Taten od. ähnl. erforderlich. Jedenfalls empfehle ich Beseitigung der Mindeststrafe von einem Monat Gefängnis: siehe oben zu § 386. X. §2p2: die Strafe ist gegenüber falscher Verdächtigung § 166 unverhältnismäßig hoch. XI. § 30p Abs. 2 :. . . um sie sich oder einem andern zuzueignen. Begründung: die Wendung: „zum Herrn der Sache zu machen" ist gänzlich unklar. Sie umfaßt, was sie in Wahrheit nicht soll, auch den bloß vorübergehenden Gebrauch der Sache. Das: „zueignen" des geltenden Rechts (§ 242 StGB) drückt klar aus, was gemeint ist, und hat zu einer brauchbaren und sachentsprechenden Rechtsprechung geführt. Sie soll im neuen Gesetz sanktioniert werden. XII. Sprachliche Überprüfung und gegenseitige Angleichung des Gesamtentwurfs ist dringend nötig.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 7 vom 2p. 1. 1935 Anträge des Oberstaatsanwalts Dr. Reimer zu §§ 3 3 1 —357 des Entwurfs 1. Lesung A. Räumliche Geltung der Strafgesetze (§§ 351—355) 1. In §351 Absatz 2 ist statt „Recht oder Unrecht" in Übereinstimmung mit § 373 Absatz 3 der sprachlich richtigere Ausdruck „Recht und Unrecht" zu setzen. 2. Im §353 Absatz 1 sind die von der Redaktionskommission eingefügten Worte „Deutscher oder" wieder zu streichen. Ich halte diese Einfügung im Hinblick auf das im § 351 an die Spitze des Abschnitts gestellte Personalitätsprinzip für überflüssig: Wenn wegen der in § 353 unter Ziffer 1 —7 bezeichneten Auslandstaten bereits der Ausländer bestraft wird, so ergibt sich hieraus, daß diese Taten hinsichtlich des deutschen Auslandstäters ohne Einschränkung als solche zu werten sind, die mit der gesunden Anschauung des deutschen Volkes über Recht und Unrecht unvereinbar sind und mithin bereits durch § 351 Absatz 2 erfaßt werden.

Im übrigen würde der Grundgedanke des ganzen Abschnitts nur verdunkelt werden, wenn man neben das Schutz- und Weltrechtsprinzip, von dem § 353 handelt, das Persona­ litätsprinzip stellen wollte. 3. Eine Ausweitung des Schutzprinzips auf noch andere als die im § 353 ausgeführten Straftaten kommt m. E. nicht in Betracht. 4. Die von den übrigen Reichsressorts pp. gegebenen Anregungen haben durch die von der Redaktionskommission beschlossenen Abänderungen teilweise bereits ihre Erledi­ gung gefunden. Darüber hinaus besteht zur Abänderung des Entwurfs m. E. kein Anlaß. Infrage käme nur, die den Neubürger behandelnde Bestimmung des § 351 Absatz 3 und die Straftaten in Niemandsland (§ 355 Absatz 2) an den angegebenen Stellen zu streichen und bei § 354 unterzubringen. Dagegen spricht folgendes: a) § 351 Absatz 3 entscheidet die Frage, ob das an die Spitze gestellte Personalitäts­ prinzip so weit zu fassen ist, daß es jeden Deutschen auch dann für die Vergangenheit erfaßt, wenn er erst nach der Tat Deutscher geworden ist. Die Verneinung dieser Frage mit der in § 351 Absatz 3 enthaltenen Ausnahme ist daher als Einschränkung des Personalitäts­ prinzips im Zusammenhang mit diesem zu regeln. § 351 Absatz 3 ist sonach m. E. systema­ tisch richtig eingeordnet. Gegen seine Unterbringung bei § 354 spricht auch noch folgende Erwägung. Die Geltung der deutschen Strafgesetze für Auslandstaten eines Ausländers ist an 2 Voraus­ setzungen geknüpft: a) Strafbarkeit der Tat am Tatorte, b) Angriff gegen einen Deutschen oder gegen deutsche Rechtsgüter. Bei dem Neubürger genügt bereits die erste Voraussetzung. b) Wenn § 355 Absatz 2 gestrichen werden sollte, müßte der darin enthaltene Gedanke zweimal, nämlich in § 351 Absatz 3 und in § 354 zum Ausdruck gebracht werden. Da das auch sprachlich zu einem unschönen Ergebnis führen würde, gebe ich der Verweisung im § 355 Absatz 2 den Vorzug, zumal es sich nur um eine Verweisung innerhalb desselben Abschnittes handelt. 5. Für die Strafprozeßordnung ist eine Bestimmung vorzumerken, wonach die Verfol­ gung von Auslandstaten ganz allgemein nicht unter das Legalitätsprinzip, sondern in das Ermessen der Strafverfolgungsbehörde gestellt wird. Darüber hinaus ist entsprechend der durch Artikel II Ziffer 1 des Gesetzes vom 24. April 1934 (RGBl. I S. 341) getroffenen Regelung die Erhebung der Anklage gegen einen Ausländer wegen einer im Auslande begangenen Straftat von der Zustimmung des Reichsministers der Justiz abhängig zu machen.

B. Sprachgebrauch. (§ § 3 5 6 —3 5 7 )

I. Gegen die Formulierung der §§ 356,357 habe ich Bedenken nicht geltend zu machen. II. In § 357 ist als Ziffer 4 hinzuzufügen: „Entgelt: jeder Vorteil, gleichviel, wem er zugute kommen soll." Diese in den Entwürfen 1927 und 1933 und den Beschlüssen der Unterkommissionen 22 und 50 enthaltene Legaldefinition hat die Redaktionskommission für entbehrlich gehalten. Das Gegenteil ergibt sich m. E. aus folgender Erwägung: Im § 331 StGB werden „Geschenke" anderen „Vorteilen" gegenübergestellt und hiermit zum Ausdruck gebracht, daß auch Zuwendungen, die keinen Vermögenswert haben, als Beste­ chungsmittel in Betracht kommen. Bei Fortfall der Legaldefinition des Entgelts würde das neue StGB eine nicht beabsichtigte Einengung gegenüber dem geltenden Recht erfahren. III. Zu §357 Fußnote 2 a) Eine Legaldefinition der „öffentlichen Begehung" in das Gesetz aufzunehmen, dürfte sich im Hinblick auf die insoweit durch die Rechtsprechung klar herausgearbeiteten Grundsätze erübrigen. Abgesehen von der Reichsratsvorlage 1925 haben auch sämtliche Vorentwürfe hiervon Abstand genommen.

b) Eine Ausweitung des Begriffs der Öffentlichkeit bei Äußerungsdelikten unter den in der Fußnote 2 erwähnten Voraussetzungen ist bisher in § 2 Absatz 2 des Gesetzes gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei vom 20. Dezember 1934 (RGBl. I S. 1269) erfolgt. Nach der amtlichen Begründung des Gesetzes (Deutsche Justiz 1935 S. 42) und der Allgemeinen Verfügung des Reichsjustizministers vom 28. Dezember 1934 (a. a. O. S. 7) ist jedoch Vorsorge getroffen, daß nur die gravierendsten Fälle verfolgt werden und sich auf dem Boden dieser Bestimmung nicht ein verächtliches Denunziantentum entwickelt. Für das allgemeine StGB kommt eine ähnliche Bestimmung m. E. überhaupt nicht in Betracht. IV. Zur Systematik (Fußnote 1 zu § 356 und § 357) Aufteilung der Vorschriften des 4. Abschnitts auf Abschnitte des Besonderen Teiles ist nicht zu empfehlen. Die Begriffe „Angehörige", „Amtsträger", „Gewalt" und „Drohung" finden bei den verschiedenartig­ sten Tatbeständen des Besonderen Teiles Verwendung und müßten bei einer etwaigen Aufteilung notwendigerweise jeweils beim ersten Vorkommen definiert werden, also „Angehörige" bei § 161 (unterlassene Verbrechensanzeige), „Amtsträger" bei § 74 (Unzucht unter Mißbrauch der Amts Stellung), „Gewalt" und „Drohung" in § 65 (Munt­ bruch). Das wäre systematisch m. E. genau so verfehlt, wie die jetzige Unterbringung der Definition der „Angehörigen" im § 52 Absatz 2 StGB. Da zudem nach dem unwidersprochenen Vorschlag von Herrn Prof. Dr. Mezger in der 55. Sitzung der 1. Lesung der Begriff „Angehörige" als Einzelbestimmung im Abschnitt „Sprachgebrauch" beibehalten werden soll, so besteht auch hinsichtlich des § 357 kein Anlaß zur Aufteilung. Zweckmäßig werden die Bestimmungen über Sprachgebrauch ganz an den Schluß des Gesetzes gestellt.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 8 vom 26. 1. 1935 Anträge des Senatspräsidenten Professor Dr. Klee zu §§ 3 6 6 — 3 77 des Entwurfs 1. Lesung (Die Schuld)

1. a) § 366 erhält folgende Fassung: „Wer zur Zeit der Tat nicht zurechnungsfähig ist, ist nicht strafbar, kann aber den besonderen Maßregeln unterworfen werden, die zum Schutze der Volksgemeinschaft vom Gesetz vorgesehen sind" (vgl. § 427); b) § 370 Ahs. 1 betr. verminderte Zurechnungsfähigkeit wäre entsprechend zu fassen. 2. § 368 ist als § 367 voranzustellen; §367 wird § 368. 3. § 3 67 (nach Antrag zu 2: § 368) erhält folgende Fassung: „A/s nicht zurechnungsfähig gilt eine Person unter vierzehn Jahren. Wer das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, gilt insoweit als nicht zurechnungsfähig, als er zur Zeit der Tat 4. § 369 erhält folgende Fassung: „Die Strafe kann gemildert werden (§ 413)." 5. § 370 Abs. 1 erhält folgende Fassung: „Die Strafe kann gemildert werden (§ 413)." Begründung: Flüssigkeit der Grenze zwischen vorübergehendem und Dauerzustand, geringere „Schuld" des Habituellen. 6. Zu § 371 Abs. 2: Beibehaltung des Tatbestands an dieser Stelle wegen des Zusam­ menhangs mit der Materie der Zurechnungsfähigkeit. Abs. 3: Keine Erweiterung im Sinne der Anm. 2; sie würde den Lebensverhältnissen nicht gerecht werden. 7. § 3 76 ist zu streichen.

Begründung: Die Vorschrift ist ein Fremdkörper in einem Willensstrafrecht. Im Beson­ deren Teil ist ein Bedürfnis nach Strafschärfung bei besonders schweren Tatfolgen nur ganz vereinzelt hervorgetreten (§§ 70, 308 Notzucht und Raub). Ob der Tod eintritt oder nicht, hängt vom Zufall ab. Die Todesstrafe wird also ebenso wie im Falle der gemeinge­ fährlichen Handlungen (§ 234) auch hier schlechthin bei besonderer Gefährlichkeit des Angriffs wahlweise anzudrohen sein. 8. § 372 Abs. 2 ist als überflüssig (neben Abs. 3) zu streichen. 9. § 373 Abs. 1 erhält folgende Fassung: Vorsätzlich handelt, wer die Tat mit Wissen und Willen begeht. Abs. 3 ist zu streichen. 10. § 375; Der in Anm. 1 vorgesehenen zweiten Fassung der Fahrlässigkeit in Abs. 1 wird der Vorzug zu geben sein. Abs. 3 und 4 sind zu streichen. 11. § 377 erhält folgende Fassung: Kennt der Täter einen strafbegründenden oder straferhöhenden Umstand nicht, so handelt er insoweit nicht vorsätzlich. Dasselbe gilt, wenn er irrtümlich einen Umstand annimmt, der nach dem Gesetz Straflosigkeit begründet. Irrt der Täter in diesen Fällen fahrlässig, so trifft ihn die Strafe der Fahrlässigkeit, soweit die Tat als fahrlässige strafbar ist. Nimmt der Täter irrtümlich einen Umstand an, mit dem das Gesetz eine mildere Strafe verbindet, so ist die mildere Strafdrohung anzuwenden. Der Irrtum über die Erlaubtheit der Handlung schließt, wenn der Täter die Bedeutung der Tat erkannt hat, den Vorsatz nicht aus, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt; der Täter kann jedoch milder bestraft werden. Begründung zu 9 —11: Will man dem entschuldbaren Rechtsirrtum überhaupt strafbefrei­ ende Wirkung beimessen, so geschieht das besser im Rahmen der Irrtumsvorschrift — §377 —/ und zwar am besten wohl in der Fassung des Entwurfs von 1927 (vgl. Stellung­ nahme des Stellvertreters des Führers S. 49 zu § 377). Die Aufnahme des in den meisten Fällen selbstverständlich gegebenen Unrechtsbewußtseins in den Begriff des Vorsatzes würde zu mißbräuchlicher Berufung auf das fehlende Unrechtsbewußtsein in der Praxis führen (insbesondere bei Affektdelikten). Der Inhalt des Abs. 3 fände gegebenenfalls besser in dem Irrtums-Paragraphen Platz. Grundsätzlich ist aber, von Ausnahmen (Reichsabg.O., Devisenordnung) abgesehen, die vorsatzausschließende Wirkung des Rechtsirrtums abzulehnen. Wer über Sinn und Tragweite eines Strafgesetzes irrt, der irrt immer über die gesunde Volksanschauung, denn sie liegt allen Strafgesetzen zu Grunde. Der Rechtsirrtum kann daher nur zur Strafmilde­ rung führen. Den Tatirrtum in § 377 zu erwähnen, erscheint an sich neben der Vorsatzdefi­ nition des § 373 nicht nötig. Da aber § 377 den „umgekehrten" Tatirrtum regelt, wäre die Weglassung des gewöhnlichen Tatirrtums nicht verständlich (in dem Mangel des Bewußt­ seins, Unrecht zu tun, könnte übrigens der bloße Tatirrtum ebensowenig wie der umge­ kehrte Tatirrtum aufgehen, denn der Verbotsirrtum und der Tatirrtum sind wesensver­ schieden). Ist der Tatirrtum durch Fahrlässigkeit verschuldet, ist der Täter wegen fahrläs­ siger Begehung der Tat, soweit diese Schuldform unter Strafe gestellt ist, zu bestrafen.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B lo v o m i. 2. 1935 Anträge des Landgerichtsdirektors Leimer zu §§ 3 7 8 —380 des Entwurfs 1. Lesung (Der Ausschluß von Unrecht und Schuld)

§ 378. Notwehr In Notwehr handelt, wer sich oder andere gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff eines Menschen verteidigt, wenn die Verteidigung zur Abwehr des Angriffs erforderlich ist. Die durch Notwehr gebotene Handlung ist nicht rechtswidrig. Hat der Täter die Grenzen der Notwehr überschritten, so ist er strafbar, die Strafe kann jedoch gemildert werden (§ 413); in besonderen Ausnahmefällen kann das Gericht von Strafe absehen. Zu §379 Sachnotwehr. Satz 2 ist zu streichen. Zu §380 Notstand. In Abs. 1 sind die Worte „nach gesunder Volksauffassung" zu streichen. In Abs. 3 ist an die Stelle der Worte „nur zulässig oder entschuldbar" zu setzen „nur dann entschuldigt oder nicht rechtswidrig". Begründung: Neufassung des Abs. 1 des § 278 mit Rücksicht auf die Äußerung des Stellvertreters des Führers. „Tier" ist neben „Sache" nur in § 379 genannt, im übrigen im Gesetz keine Unterschei­ dung, diese auch schwer und fruchtlos. Deshalb Satz 2 des § 379 streichen. Damit dann Tierabwehr nicht „Notwehr" wird, diese in Abs. 1 des § 378 auf Angriff „eines Menschen" beschränken. Abs. 3 des §378 volksverständlicher, wenn der Grundsatz „strafbar" hervorgehoben wird, dann Ausnahme folgt. Ebenda sowie in Abs. 1 des § 380 sind die Worte „nach gesunder Volksauffassung" selbstverständlich wie überall im Gesetz und deshalb zu streichen. Die Änderung in Abs. 3 des § 380 „entschuldigt oder nicht rechtswidrig" entspricht dem Sprachgebrauch in Abs. 2 und im allgemeinen.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 11 vom 1. 2. 1933 Anträge des Landgerichtsdirektors Leimer zu §§ 408 —414 des Entwurfs 1. Lesung (Straßemessung)

§ 408. Grundsatz der Straßemessung Die Strafe soll nach Art und Maß dem Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft entspre­ chen. § 408 a. Straßemessung bei Vorsatz Ist der Täter wegen vorsätzlichen Handelns zu bestrafen, so ist sein verbrecherischer Wille zu beachten, wie er sich aus der Art des Angriffs auf Lebenskraft und Friedensord­ nung des Volkes, aus den verschuldeten Folgen der Tat und auch aus dem Verhalten des Täters nach der Tat ergibt. § 409. Straßemessung bei Fahrlässigkeit Hat der Täter wegen fahrlässigen Handelns Strafe verwirkt, so sind die Größe seines Leichtsinns und seiner Gleichgültigkeit sowie die Gefahr und der Schaden, die er verschuldet hat, zu beachten.

§4*o. Bemessung der Geldstrafe Die Geldstrafe ist den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters anzupassen. Sie soll den aus der Tat gezogenen Nutzen, insbesondere das für die Tat gewährte Entgelt übersteigen. §413. Besondere gesetzliche Milderungsgründe Abs. 1 Satz 4: Ist Gefängnis ohne erhöhte Mindeststrafe angedroht, so kann auf Haft erkannt werden. § 414. Außergewöhnlich leichte Fälle Ist die Tat nach der Art ihrer Begehung ein besonders mild zu beurteilender Ausnahme­ fall und ist auch sonst die Willensschuld des Täters außergewöhnlich gering, so daß auch die mildeste ordentliche Strafe noch zu hart erscheint, so kann auf eine mildere Strafe als die ordentliche Strafe erkannt werden. Das Mindestmaß der Strafe bestimmt sich nach § 413 -

Eine weitere Milderung ist auch dann nicht zulässig, wenn noch besondere gesetzliche Milderungsgründe (§ 413) vorliegen. Begründung: § 408 Abs. 1 bezeichnet Grund und Zweck der Strafe und gehört in den Vorspruch, im Abschnitt „Strafbemessung" müßte wenigstens gesagt werden „wie schwer der Täter sich . . . vergangen und wie er . . . zu sühnen hat." Abs. 2 enthält den allgemeinen Grundsatz, Abs. 3 die Besonderheit für den Vorsatz; letztere soll wie bei Fahrlässigkeit in besonderem Paragraphen behandelt werden. „Vor allem" ist zu streichen, kehrt auch in § 409 nicht wieder; vor allem gilt § 408. § 409: Auf das Verwirken von Strafe, nicht auf die Strafdrohung ist abzustellen. Die Unterordnung unter den § 408 soll besser zum Ausdruck kommen. Statt „verursacht" ist „verschuldet" zu setzen. §410: Auch die persönlichen Verhältnisse sollen mitsprechen, „Lebenshaltung" kann dann so gut entbehrt werden wie Einkommen, Vermögen. Abs. 2 soll mit Abs. 1 vereinigt werden, damit nicht Eindruck entsteht, bei ihm sei Abs. 1 nicht zu beachten (Äußerung Thüringen S. 73). §413: Abs. 1 Satz 4 ist in dieser Form überflüssig, denn soweit nach § 386 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 anstelle von Gefängnis unter 1 Monat auf Haft erkannt werden kann, ist schon nach § 391 Geldstrafe zulässig. Dagegen ist für die Fälle des § 386 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 — übrigens eine für die Praxis unbrauchbare Fassung — in § 413 noch eine Milderung vorzusehen. §414: Der außergewöhnlich leichte Fall soll umschrieben werden. Anm. 2 zu § 414 des Entw. dürfte sich damit erledigen. Straffestsetzung nach freiem Ermessen oder Absehen von Strafe (Äußerung des B.N.S.D.J., Seite 75) scheint zu weit zu gehen, sollte auf gesetz­ lich bestimmte Sonderfälle beschränkt sein. Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 12 vom 4. 2. 1935 Anträge von Dr. Thierackzu §§ 3 5 8 —3 6 s des Entwurfs 1. Lesung

I.1 Die Überschrift Seite 81 des gedruckten Entwurfs der ersten Lesung 1933 —1934 ist nicht gut, auch wenn der heute übliche Unterschied zwischen Verbrechen und Vergehen bei Einteilung der strafbaren Handlung wegfallen soll; denn man wird nicht alles mit Verbrechen bezeichnen wollen, was nach diesem Strafgesetz zu bestrafen ist. 1 Die Vorschläge werden am Ende nochmals zusammengefaßt.

Ich schlage vor, statt „das Verbrechen" zu sagen „die strafbare Handlung". Statt „die Straftat" kann man besser sagen die „Tat", denn in diesem Abschnitt ist nur das äußere Tun das Wesentliche. II. Richtig ist, den Begriff der Begehung einer Straftat an die Spitze dieses Abschnitts zu stellen, falsch jedoch, schon äußerlich die Begehungsform durch mehrere Beteiligte von § 358 in § 362 zu trennen. Überdies ist die Fassung des Abs. 1 des § 362 nicht einwandfrei. Ganz offenbar will der Abs. 1 des §358 dem Gefährdungsstrafrecht dadurch Rechnung tragen, daß er den Beginn einer Straftat mit dem Vorsatz, sie zu vollenden, der Vollendung gleichstellt. Ob freilich dieses „Beginnen" ein Weniger des Tätigwerdens im Sinne des heutigen Versuchs umfaßt, ist aus dem Wort „Beginnen" nicht herzuleiten. Es ist durchaus möglich, daß der Rechtsbegriff des „Beginnens" einer Straftat mit dem Rechtsbegriff „Anfang der Ausführung" einer Straftat von der Rechtsprechung ausgelegt werden wird. Auf der anderen Seite ist es aber unmöglich, den Begriff des „Beginnens" für alle denk­ baren Fälle so zu bestimmen, daß er in zufriedenstellender und vor allem in einer dem Gedanken eines vernünftigen Gefährdungsstrafrechts Rechnung tragender Weise von der Rechtsprechung angewandt wird. Das Beginnen ergreift auf alle Fälle den heutigen Versuch, also auch die Fälle, in denen der Anfang der Ausführung noch keine unmittelbare Gefährdung des Rechtsguts zu bedeuten braucht (vgl. § 90 i Abs. 2 StGB). Der Rechtsbegriff des „Beginnens" geht aber über den Begriff des heutigen Versuchs hinaus, wenn man jenen aus den Gedanken des Gefährdungsstrafrechts heraus in dem Sinne auslegt, daß sich ein verbrecherischer Wille durch Handlung betätigt, die eine unmittelbare Gefahr für das Rechtsgut bedeutet. Nur wenn man aus diesem Gedanken des Gefährdungsstrafrechts den Rechtsbegriff „Beginnen" auslegt, kann er genügen. Man könnte sonst nach dem Sprachgebrauch ebenso für das „Beginnen" einer Straftat das Anfangen einer Straftat oder das Versuchen einer Straftat setzen. Ich möchte mich jedoch trotzdem für den neuen Rechtsbegriff „Beginnen" einsetzen unter der Bedingung, daß die Motive zum neuen Strafgesetzbuch einwandfrei erkennen lassen, daß hiermit eine noch vor dem heutigen Begriff des Versuchs liegende Handlung mit gemeint sein kann. Daß hiermit nicht Neuland beschritten wird, ergeben die Entscheidungen des Reichsgerichts Band 55, Seite 172 und Leipziger Zeitschrift 1922, Seite 470, Ziffer 4. Mit Recht wird nicht allgemein die Vorbereitungshandlung unter Strafe gestellt. Gefährliche Vorbereitungshandlungen sind deshalb im Besonderen Teil als besondere Gefährdungsdelikte auszustatten, z. B. §§ 190, 200 E. Die Begehungsform des Unterneh­ mens (vgl. Anmerkung 1 S. 81) ist für den Hochverrat in den §§ 26, 27, 28 E vorbereitet. Unternehmen ist nichts anderes als Vorbereiten. Der Täterbegriff ist außer in § 358 Abs. 1 zum zweiten Male in § 362 zu finden. Die Ausdrucksform „gleich dem Täter" mit anschließender Erläuterung durch Beispiele beweist aber, daß in § 362 Abs. 1 entgegen den Beschlüssen der Kommission der restriktive Täterbegriff gebraucht worden ist. Nach § 358 Abs. 1 ist Täter nur, wer die Tat selbst vollendet oder mit dem Willen eigener Vollendung selbst beginnt. Täter soll auch der Mitwirkende sein, also im heutigen Sinne der Gehilfe, der Anstifter und auch der, der eine Straftat beginnt in der Erwartung, ein anderer werde durch das Beginnen zur Begehung einer Straftat veranlaßt. Der Täterbe­ griff des § 358 Abs. 1 wird durch § 362 auf andere Beteiligungsformen erweitert. Einwand­ frei bestimmt wird der extensive Täterbegriff nur dann, wenn in einer Vorschrift eigenhän­ dige Begehung und Mitwirkung als gleichwertige Begehungsformen genannt werden. Um die Bedenken, die in Anmerkung 6, Seite 82 ausgesprochen sind, nämlich daß zwischen der Handlung des Haupttäters und des Mitwirkenden ein Kausalzusammenhang bestehen müßte, zu beseitigen, könnte man statt „zu einer Straftat mitwirken" vielleicht „zu einer Straftat beitragen" sagen. Notwendig erscheint mir das aber nicht. Da erst der 2. Abschnitt (Seite 83) der 2. Gruppe sich mit der Schuld befaßt, sollten Wendungen, die sich

auf die Schuld beziehen, aus dem ersten Abschnitt völlig herausgenommen werden, denn die Schuld ist eine notwendige Voraussetzung einer jeden strafbaren Handlung. Zu Anmerkung 2 Seite 81 ist zu sagen, daß bei Beachtung der Überschrift „Vorberei­ tung" ein Mißverständnis kaum vorkommen könnte, dies insbesondere dann nicht, wenn die Überschrift eingeleitet werden würde z. B. mit den Worten „Gefährdung der Echtheit". III. Zu § 3S9 ist zu sagen, daß hier allein das echte Unterlassungsdelikt geregelt werden kann, und daß das Abstellen auf eine Rechtspflicht zu billigen ist. Die Abstellung auf die gesunde Volksanschauung oder auf anerkanntes Sittengesetz führt zu Rechtsunsicherheit. Allerdings müssen im besonderen Teil in allen Fällen Unterlassungsdelikte geschaffen werden, in denen die gesunde Volksanschauung eine Abwendung der drohenden Gefahr erwartet. Den hauptsächlichen Bedürfnissen in dieser Beziehung tragen die §§ 161, 162, 152 Rechnung. Die in Absatz 2 des § 359 ausgesprochene Legalisierung der Rechtsprechung des Reichsgerichts ist zu billigen (R.G.E. Bd. 24 S. 339). IV. Zu § § 3 60, 3 61 sind keine Einwendungen zu erheben, nur gehört § 361 wohl besser an den Schluß des Abschnitts. V. Hinsichtlich des §362 ist bereits zu Abs. 1 das Erforderliche gesagt worden. Der Absatz 2 enthält nichts anderes als einen Strafbemessungsgrund und ist deshalb besser von der neuen Fassung des § 358 zu trennen. Man könnte auch vorziehen, diese Bestim­ mung überhaupt zu streichen. Man würde dann jedem Theorienstreit über die Teilnahme (vgl. Anm. 6 Seite 82) vorbeugen; denn an sich geben die Strafrahmen genügende Bewe­ gungsfreiheit, um jeder Beteiligung an einer Straftat gerecht zu werden. Redaktionell ist zu Abs. 2 § 3Ö2 zu bemerken, daß das erste „nur" besser vor „unterstützen" gezogen wird. Gegen die Beibehaltung des Abs. 3 bestehen keine Bedenken, wenn auch die richtige Auffassung des extensiven Täterbegriffs diese Bestimmung überflüssig machen sollte. Seine Beibehaltung dient immerhin dazu, dem Gedanken einer Akzessorietät entgegenzu­ treten. VI. Zu §§363 und 364 werden Bedenken nicht erhoben. VII. In Absatz 2 § 365 sind besser, um einem etwaigen Mißverständnis zu begegnen, die Worte „weitere Durchführung der", die offenbar aus § 362 übernommen worden sind, zu streichen. Die Verabredung zu einer Straftat setzt zwar voraus, daß die Straftat noch nicht begonnen hat, es kann aber sehr wohl der Fall eintreten, daß der eine der Verabreder die Straftat freiwillig und endgültig aufgibt, der andere aber sie durchführt. Dann ist der erste strafbar nach § 365 Abs. 1. Er würde straflos werden, wenn er die Tat aufgegeben hat und den Erfolg hindert, den der andere herbeizuführen beginnt. Die Ausdrucksform „weitere Durchführung der Tat", paßt hier nicht, weil der Verabre­ dende noch nicht mit der Durchführung der Tat begonnen haben darf; denn in diesem Falle würde nicht § 365 Abs. 2, sondern § 360 Abs. 1 gelten. VIII. Um die auf Seite 82 in der Anmerkung 6 in Richtung auf die Strafbarkeit des Anstiftung^- und Beihilfeversuchs ausgesprochenen Bedenken zu zerstreuen, kann auf die §§ 364 und 365 Bezug genommen werden; denn dort sind Anstiftungs- und Beihilfever­ suche ausdrücklich unter Strafe gestellt. Daraus folgt, daß ihre Strafbarkeit sonst nicht angenommen werden darf.

Vorschlag: 2. Gruppe: Die Straßare Handlung. 1. Abschnitt. Die Tat. § 3 5 8 (Begehungeiner Straftat)

(1) Eine Straftat begeht, wer sie selbst ausführt oder zu ihrer Ausführung mitwirkt oder mit dem Ausführen oder Mitwirken mit dem Willen beginnt, daß die Tat vollendet werde. (2)................. bleibt. (3)................. bleibt. (4) Die Strafbarkeit jedes an der Tat beteiligten ist unabhängig von der Straftat des anderen beteiligten. § 3 5 9 (Straßares Unterlassen)

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, begeht eine Straftat, wenn er rechtlich verpflichtet ist, den Eintritt des Erfolgs zu verhindern. (2) .............. bleibt. § 3 6 (Tätige Reue)

bleibt. § 361 (bisher§ 3 6 3 ) (BesondereEigenschaften und Verhältnisse)

bleibt. § 3 6 2 (bisher § 3 6 4 ) (Verleiten und Anerbieten zu einer Straftat)

bleibt. § 363 (bisher § 3 6 5 ) (Verabredung einer Straftat)

(1) .............. bleibt. (2) Straflos bleibt, wer freiwillig und endgültig die Tat aufgibt und den Erfolg verhin­ dert. § 360 Abs. 2 gilt entsprechend. § 3 6 4 (bisher § 3 6 2 Abs. 2) (Geringe M itw irkung bei einer Straftat)

Wer die Tat eines anderen nur unterstützen will und ihm nur Hilfe leistet oder wer nur fahrlässig Hilfe leistet, kann milder bestraft werden (§ 413). Geringfügige fahrlässige Mitwirkung bleibt straflos. § 3 6 5 (bisher § 361) (O rt und Z eit der Tat)

................. bleibt.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 14 vom 1 5 . 2 . 1 ^ 3 5 A ntrag von Professor Dr. M ezgerzu §§ 3 5 1 — 355 des Entwurfs 1. Lesung

Ich mache folgende Vorschläge: Überschrift: „Persönliche und räumliche Geltung der Strafge­ setze/' § 331. Die Strafgesetze des Reichs gelten für Taten, die ein Deutscher im Inland oder im Ausland begeht. Bei Taten, die ein Deutscher im Ausland begeht, sind die besonderen Umstände der Tat zu berücksichtigen, insbesondere, ob und inwieweit die Gesetze des Reichs ihrem Sinne nach auch für die veränderten tatsächlichen Verhältnisse des Tatorts Geltung beanspru­ chen, ob und wie die Tat nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht ist und welche Anforderungen an den Täter unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse nach der gesunden Anschauung des deutschen Volkes zu stellen sind. Aus besonderen Gründen kann von dem gesetzlichen Strafrahmen abgewichen werden. War der Täter zur Zeit der Tat noch nicht Deutscher, so gelten die Strafgesetze des Reichs nur, wenn die Tat auch durch die Gesetze des Tatorts mit Strafe bedroht oder der Ort der Tat keiner Strafgewalt unterworfen war. §352. Die Strafgesetze des Reichs gelten für Taten, die ein Ausländer im Inland begeht. Für Taten, die ein Ausländer im Ausland begeht, gelten die Strafgesetze des Reichs, wenn die Tat durch die Gesetze des Tatorts mit Strafe bedroht ist oder der Ort der Tat keiner Strafgewalt untersteht und wenn 1. die Tat gegen einen Deutschen oder gegen deutsche Rechtsgüter gerichtet ist oder 2. der Täter im Inland betroffen und nicht ausgeliefert wird, obwohl die Auslieferung nach der Art der Tat zulässig wäre. § 333. Die Strafgesetze des Reichs gelten unverändert und ohne Rücksicht auf den Tatort für: 1. Landesverrat, Hochverrat und Volksverrat; 2. Angriffe auf die Wehrkraft; 3. Angriffe auf die politische Führung und die Bewegung; 4. Straftaten, die jemand als Träger eines deutschen Amtes oder die jemand gegen den Träger eines deutschen Amtes oder gegen einen deutschen Soldaten während der Ausübung ihres Amtes oder Dienstes oder in Beziehung auf ihr Amt oder ihren Dienst begeht; 5. Meineid in einem Verfahren, das bei einer deutschen Behörde anhängig ist; 6. Angriffe auf die Münzhoheit; 7. Frauenhandel und Kinderhandel; 8. Taten, die auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug begangen werden. Begründung: Der Übergang zum Personalprinzip im Entw. § 351 ist noch nicht genügend durchdacht. Die Bestimmung erweckt den Eindruck, als seien die Strafgesetze des Reichs primär für alle Taten aller Deutschen im In- und Ausland geschrieben. Das ist tatsächlich keineswegs der Fall. Für die bestehenden Strafgesetze außerhalb des Strafgesetzbuchs ist dies von vornherein nicht anzunehmen. Aber auch die Kommission zur Abfassung des neuen Strafgesetzbuchs hat bei der Abfassung ihrer Bestimmungen keineswegs jeweils an die mannigfach verschiedenen Verhältnisse auf dem ganzen Erdball, sondern wohl immer nur an die Verhältnisse innerhalb des Deutschen Reiches gedacht. Bei ihrer Übertragung auf alle Deutschen im Ausland ist aber zu beachten: daß für sie zwar gewisse „Normen" absolut gelten (z. B. das Verbot der Bigamie), daß ihre Anwendung aber im Ausland vielfach unter bestimmten „tatsächlichen Verhältnissen" (z. B. Geschäftsgebräuchen) erfolgt, für die sie sinngemäß gar nicht berechnet sind. Diesem Gedanken kann meines Erachtens beim Übergang zum sogenannten Personalprinzip nur durch eine ganz elasti-

sehe Formel Rechnung getragen werden, wie sie als § 351 Abs. 2 oben vorgeschlagen ist. Insbesondere ist die starre Formel: „nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht", nicht brauchbar, da es sich nicht nur um das ob, sondern auch um das wie der auswärtigen Bestrafung handelt. Der Vorschlag, auch das Strafmaß für den Richter hier freier zu gestalten, dürfte um deswillen unbedenklich sein, weil durch die Wendung: „aus beson­ deren Gründen", die Nachprüfung in der höheren Instanz eröffnet ist. Mit Einschrän­ kungen des strafprozessualen Legalitätsprinzips kann nicht geholfen werden, da dies die Elastizität im Strafrahmen nicht gewährleisten würde. Bemerkt sei zum Ganzen: Entw. § 334 ist als Abs. 2 zu § 352 — Entw. § 355 Abs. 1 als Ziff. 8 in § 353 eingestellt, Entw. § 355 Abs. 2 in § 351 Abs. 3 und § 352 Abs. 2 jeweils wiederholt, wodurch die unschönen Zitate vermieden werden. Die Aufzählung in Entw. §35} Ziff. 1 bis 7 halte ich mit dem Herrn Mitberichterstatter (Antrag Nr. B. 7 unter A. 3) für richtig und erschöpfend. Der von mir vorgeschlagene § 353 bezieht sich selbstver­ ständlich ebenso auf § 351 Abs. 2 und 3 wie auf § 352.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 16 vom 20. 2. 193 s Anträge des Senatspräsidenten Professor Dr. Klee zu §§ 338 — 361

I. § 358 erhält folgende Fassung: Eine Straftat begeht, wer sie selbst ausführt oder zur Verwirklichung des Tatbestandes beiträgt. Der Begehung steht das Unternehmen gleich. Eine Straftat unternimmt, wer mit dem Willen, sie zu vollenden, Handlungen vornimmt, die unmittelbar auf die Vollendung der Tat abzielen. Inwieweit bloße Vorbereitungshandlungen strafbar sind, bestimmt das Gesetz besonders. Dem Unternehmen stehen Handlungen gleich u.s.w. wie bisher Abs. 2. Konnte u.s.w. wie bisher Abs. 3. II. §359 (bisher § 363) Strafbemessung bei mehreren Tatbeteiligten. Besondere Eigenschaften oder Verhältnisse. Abs. 1: Wie bisher § 363. Neuer Abs. 2: Dasselbe gilt, soweit der Schuldanteil eines Beteiligten verhältnismäßig gering ist. Geringfügige fahrlässige Beteiligung bleibt straflos. §362 entfällt. Begründung: Vorschlag I (aßt die bisherigen §§ 358 und 362 Abs. 1 zusammen. Die neue Fassung (Abs. 1) dürfte dem extensiven Täterbegriff mehr gerecht werden wie die alte. Der auch von Herrn Minister Thierack (Antrag Nr. B 12) in Erwägung gezogene Ausdruck „beiträgt" ist dem Wort „mitwirkt" vorzuziehen, weil letzteres auf eine Beziehung zu einem anderen Täter hindeutet, also ein akzessorisches Moment in sich trägt. Die Wendung „Verwirklichung des Tatbestandes" drückt meines Erachtens die rein sachliche Beziehung zum Erfolg am besten aus. Sie klingt zwar etwas abstrakt, findet sich ja aber auch in § 373 Abs. 2 bei der Begriffsbestimmung des Vorsatzes. Der Rechtsbegriff des „Beginnens" deckt nicht notwendig alle strafwürdig erscheinenden Handlungen, die eine unmittelbare Gefahr der Vollendung (Gefährdung des Rechtsguts) enthalten. Denn es ist zu befürchten, daß die Gerichte das „Beginnen" dem bisherigen „Anfang der Ausführung" gleichsetzen werden (so auch Herr Minister Thierack a. a. O.). Ich glaube andererseits nicht, daß etwa in die Motive des neuen StGB aufzunehmende Erläuterungen über das, was vom Gesetzgeber unter „Beginnen" verstanden wird, dieser Gefahr wirksam vorbeugen würden. Ich halte es daher für notwendig, an Stelle des alten Versuchsbegriffs den neuen weitergehenden Unternehmensbegriff zu setzen und ihn, wie oben vorge­ schlagen, zu definieren.

Vorschlag II betrifft Vorschriften über Strafbemessung, die von der Begriffsbestimmung der Tat in § 358 zu trennen sind. Unter Aufrechterhaltung des sich auf die bes. Verhält­ nisse beziehenden bisherigen § 363 nimmt der Vorschlag den Gedanken des Abs. 2 des bisherigen §362 auf. [Abs. 3 des § 362 kann als selbstverständlich wegfallen.] Der Gedanke geringerer Strafwürdigkeit von Tatbeiträgen untergeordneter Bedeutung darf aber nicht, wie in Abs. 2 des bisherigen § 362 geschehen, auf den Typus der Beihilfe beschränkt werden. Abgesehen davon, daß Beihilfe in dieser Form praktisch nur sehr selten vorkommt, kann auch der Schuldanteil der in anderer Form, als Täter im alten Sinne oder Anstifter, Beteiligten verhältnismäßig geringfügig sein, so daß eine Strafmilderung am Platz ist. Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 17 vom 24. 2. 193 s A ntrag des Landgerichtsdirektors Dr. Lorenz zu §§ 381, 382 des Entwurfs 1. Lesung

Da die Verjährung in der Strafprozeßordnung und im Strafvollzugsgesetz geregelt werden soll, sie also als Institut des materiellen Strafrechts beseitigt wird, wären an sich die §§ 381 und 382 des Entwurfs der 1. Lesung überflüssig und könnten gestrichen werden. Denn nach diesem Entwurf ist zweifellos, daß die Verjährung künftig ausschließlich praz^rechtliche Bedeutung hat. Nach den Kommissionsberatungen sind die beiden Para­ graphen nur aufgenommen worden, weil man davon ausging, daß die „Verjährung im materiellen Recht irgendeiner Erwähnung bedarf, und zwar deshalb, weil das Volk im Strafgesetzbuch einen Ausspruch des Gesetzgebers über die Verjährung erwartet" (Bericht über die 19. Sitzung S. 23 unten). Dazu genügte an sich je der Satz 2 der §§ 381 und 382, zumal wenn eine dem § 66 RStGB entsprechende Bestimmung nicht wiederkehrt. Es ist aber zu empfehlen, daß das neue Strafgesetzbuch im Gegensatz zu dem Gedanken des § 66 RStGB, wonach die Strafbarkeit durch Ablauf einer bestimmten Zeit beseitigt wird, klar zum Ausdruck bringt, daß der einmal entstandene Strafanspruch des Staates durch Zeitab­ lauf nicht untergeht. Überdies wird eine solche ausdrückliche Bestimmung auch im Hin­ blick auf die strafrechtlichen Nebengesetze nötig sein. Aus diesen Erwägungen bin ich für Beibehaltung der Sätze 1 in §§ 381 und 382. Nur ließen sich in § 382 Satz 1 wohl die Worte „erkannten" und „angeordneten" streichen, da „rechtskräftige Strafe" und „rechtskräftige Maßregel .. ." genügt. Die Anmerkung 1 zu § 381 des Entwurfs hat inzwischen insofern ihre Erledigung gefunden, als § 27 des Entwurfs 1. Lesung einer Strafprozeßordnung die Fälle der Verfolgungsmöglichkeitund §§ 42 ff. ebenda die Fälle des Verfolgungsuerbotes regeln. Nicht erfaßt wird von der Förmelung des § 381 der Fall des § 427 Abs. 1 Fall 1 des Entwurfs (entsprechend § 42 b Abs. 1 Fall 1 RStGB) — Unterbringung des wegen Zurech­ nungsunfähigkeit nicht Strafbaren —; denn einmal liegt keine „strafbare Handlung" im Sinne dieser Gesetzesbestimmung vor und zum anderen ist die Anordnung der Maßregel der Unterbringung keine Strafverfolgung. Der oben genannte Entwurf einer Strafprozeß­ ordnung bringt auch keine dem § 67 Abs. 5 RStGB entsprechende Bestimmung. Man kann das vielleicht auch für überflüssig halten, wenn man an die Fassung des § 427 des Ent­ wurfs zum StGB denkt. Danach ist die Unterbringung anzuordnen, wenn es die öffentliche Sicherheit erfordert. Diese Voraussetzung wird man im allgemeinen nach einem gewissen längeren Zeitablauf verneinen müssen. Wenn aber nicht, dann muß die Unterbringung eben angeordnet werden. Zu § 382 Satz 2 des Entwurfs möchte ich hinsichtlich des Sprachgebrauchs eine Anre­ gung geben: Für den Gebrauch der Ausdrücke Strafvollstreckung und Strafvollzug hat sich eine ganz bestimmte Übung herausgebildet. Vollzug ist das, was die Strafanstalt z. B. tut, Vollstreckung dagegen die den Vollzug bewirkende Tätigkeit. In Anlehnung an diesen Sprachgebrauch müßte dann beide Male von „vollstrecken" gesprochen werden.

In der Anmerkung 2 zu § 382 ist in Absatz 3 als Fassung für das Strafvollzugsgesetz vorgeschlagen, daß eine Strafe „als erlassen gilt", wenn .. . Diese Wendung läßt einen materiellrechtlichen Strafaufhebungsgrund vermuten, während im § 382 Satz 2 bei „darf nicht mehr vollstreckt werden" sicherlich an eine prozeßrechtliche Institution gedacht ist. Ich würde daher vorschlagen: „Eine rechtskräftige Strafe wird nicht mehr vollzogen, wenn . . Vielleicht möchte diese Wohltat aber denen verschlossen bleiben, die flüchtig geworden waren, so daß aus diesem Grunde ein Vollzug nicht möglich war. Den Ausreißer zu belohnen, besteht kein Anlaß. Mein Vorschlag geht dahin: § 381 : wie bisher, § 382 : Die Vollstreckbarkeit einer rechtskräftigen Strafe oder Maßre­ gel der Sicherung und Besserung erlischt nicht durch Zeitablauf. Nach welcher Zeit eine rechtskräftige Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung nicht mehr vollstreckt werden darf, bestimmt das Strafvollzugsgesetz.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 18 vom 1. 3. 1935 A ntrag von Professor Dr. Graf Gleispach zu §§ 3 6 6 — 3 76 des Entwurfs 1. Lesung

§ 366 = %366 § 367. Wer zur Zeit der Tat wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder Bewußtseinsstörung unfähig i s t . . . ist nicht zurechnungsfähig. § 368 = § 367 § 369 = § 369

§370 Absatz 1 Zusatz: Die Strafe kann gemildert werden (§ 413). Handelt der Täter in einem Rauschzustand, den er selbst verschuldet hat, ist jede Milderung der Strafe ausge­ schlossen. Absatz 2 Ergänzung: „wegen Geistesschwäche . . . " (wie zu § 367). — Absatz 3 ist zu streichen. §371 ist zu streichen. Absatz 1 entfällt, Absatz 2 wird in das erste Buch eingestellt, als § 241 a oder auch § 209 a; wegen Absatz 3 und Anm. 2 dazu vgl. Zusatz zu § 370 Absatz 1. An zweiter Stelle wird vorgeschlagen: § 371 Absatz 1 bleibt, das Wort „Straftat" wird durch „mit Strafe bedrohte Tat" ersetzt. Absatz 2. Wer sich schuldhaft in einen Rauschzustand versetzt, kann deswegen nach Maßgabe der schon aufgestellten besonderen Vorschrift bestraft werden (§ 241 a). Absatz 3. Daß jemand eine strafbare Handlung in einem Rauschzustand begeht, den er selbst verschuldet hat, ist kein Grund, die Strafe zu mildern. § 372.

=

§372

§373 Absatz 1. Vorsätzlich handelt, wer die Tat mit Wissen und Willen begeht und dabei weiß, daß er Unrecht tut oder gegen ein Gesetz verstößt, oder das doch in Kauf nimmt. Absatz 2 — mit dem Zusatz a. E. „(bedingter Vorsatz)". Absatz 3 —wie Abs. 3. §374 Absatz 1. Absichtlich handelt der Täter, wenn es ihm darauf ankommt, den im Gesetz bezeichneten Erfolg herbeizuführen. Wenn das Gesetz wissentliches Handeln mit Strafe bedroht, so genügt bedingter Vorsatz nicht zur Strafbarkeit. §373 Absatz 1 Fassung 2 (= Anm. 1). — Absatz 2 ist hier zu streichen. Absatz 3 wird Absatz 2 mit dem Zusatz: „Sieht das Gesetz keine besondere Strafe für die fahrlässige Begehung der Tat vor, so wird der Täter mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft. Die Strafe darf jedoch nach Art und Maß nicht härter sein, als die für die vorsätzliche Begehung angedrohte Strafe. Besondere Vorschriften über die Verfolgung der vorsätzlich begangenen Tat gelten auch für die fahrlässige Begehung."

§ 376- Leichtfertigkeit Leichtfertig handelt, wer aus besonderem Leichtsinn oder besonderer Gleichgültigkeit fahrlässig handelt. § 377. Irrtum über strafändernde Umstände Die an eine besondere Folge der Tat geknüpfte höhere Strafe trifft den Täter nicht, wenn er die Folge nicht zumindest fahrlässig herbeigeführt hat. Nimmt der Täter irrtümlich einen Umstand an, mit dem das Gesetz eine mildere Strafe verbindet, so ist die mildere Strafdrohung anzuwenden. Bemerkungen: Grundlagen: Die „Bemerkungen und Abänderungsvorschläge" des Reichsarbeitsministers und zwölf anderer Stellen und Ämter und das Schrifttum zum Entwurf, sowie eigene Überprüfung. Ganz grundlegende Änderungen sind in den „Bemer­ kungen" nicht angeregt, zumeist auch nicht im Schrifttum. Im letzteren sind vereinzelt Gedanken und Anregungen hervorgetreten, die letzten Endes zu tiefgreifender Umgestal­ tung des Entwurfs auch in diesem Abschnitt führen müßten, wenn das auch zumeist von den Verfassern noch nicht vorgeschlagen wurde (so bei Dahmf Schaffstein, Thierfelder, frei­ lich anders bei Gerland). Ich gehe darauf nicht ein, weil die Zeit dazu m. E. noch nicht gekommen ist, der Entwurf aber bald fertig gestellt werden soll. Bis auf den Vorschlag zu § 370 Absatz 1 handelt es sich demnach meist um Einzelhei­ ten. Es sind im folgenden nicht alle Abänderungsanträge besprochen, die überhaupt gestellt wurden. Die übergangenen sind m. E. keine Verbesserungen. Zu § 3 67: Stellungnahme geteilt; auch unter den Psychiatern. Für die Wiederaufnahme der „Geistesschwäche" entscheiden die Volkstümlichkeit des Gesetzes und die Rücksicht auf die Laienrichter, die sich besonders an dem Wortlaut gebunden fühlen und Ausfüh­ rungen von Sachverständigen, Geistesschwäche sei eine Form geistiger Erkrankung, mit Mißtrauen begegnen. Die Umstellung der §§ 367 und 368 ist mit Recht mehrfach angeregt worden. Die Erläuterung des im § 366 eingeführten Begriffes soll sofort nachfolgen, Kindheit und Jugend sind besondere Fälle. Zu §370: Gegen den Vorschlag des Entwurfs, Milderung der Strafe nur bei akut verminderter Zurechnungsfähigkeit zuzulassen, sämtliche vorliegenden Äußerungen. Juri­ sten, Psychiater und Andere, mit zum Teil überzeugenden Gründen. Ebenso Mezger, Antrag Nr. B 5. Ich teile nunmehr die Ansicht, daß allgemeine Zulassung der Strafmilde­ rung heute unbedenklich sei. Daneben weiterer Ausbau der Sicherungsmittel (Vorschläge bei Gruhle und Schultze, die aber nicht hier zu erörtern sind). Von erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit zu sprechen, wäre in Wahrheit keine Einschränkung, könnte aber Verwirrung stiften. Daß es sich um erhebliches Abweichen von der Norm handeln müsse, liegt im Begriff und in der Begriffsbestimmung. Der Zusatz im § 370 Absatz 1 a. E. betreffend Rauschzustände bedeutet keine sachliche Änderung, nimmt aber auch den Inhalt von Anm. 2 zu § 371 Absatz 3 (S. 85) auf, der wohl zum Teil angefochten, m. E. aber gerechtfertigt ist. Der schon im Zustand der Zurech­ nungsunfähigkeit hervorgerufene pathologische Rausch fiele nicht unter die Vorschrift. Für diese Fälle sollte aber Trinkerheilanstalt zulässig sein, § 426 also entsprechend erwei­ tert werden (vgl. Gruhle S. 10). Zu § 371 Absatz 1 spricht nur feststehendes Ergebnis von Theorie und Rechtsprechung aus und ist darum entbehrlich, wegen seiner Unvollständigkeit (Fahrlässigkeit!) aber nicht ohne Bedenken. Absatz 2 gehört nicht hierher (so auch viele Gutachter). Absatz 3 ist bereits in § 370 untergebracht. Betreffende Sprache siehe Bern, am Schluß.

Zu § 372; Es ist richtig, daß Absatz 2 schon aus Absatz 1 und 3 sich ergibt. Überdies ist uns der Inhalt von Absatz 2 bereits selbstverständlich geworden — nicht aber dem Laien. Trotz mehrfacher Anregungen bin ich darum gegen die Streichung von Abs. 2. Zu § 373: In der Hauptsache überwiegt die Zustimmung. Von den kritischen Bemer­ kungen halte ich den Tadel für berechtigt, „sich bewußt sein oder in Kauf nehmen" sei kein Gegensatz. Die neue Fassung sucht diesem Einwand vorzubeugen. Es ist ferner richtig, — wenn auch wenig bedeutsam —, daß „in Kauf nehmen" in Absatz 1 und Absatz 2 nicht ganz in dem gleichen Sinn gebraucht werden. Man könnte allenfalls im Absatz 2 davon sprechen, daß der Täter „es darauf ankommen läßt", den Tatbestand zu verwirklichen. Durch diesen wohl etwas umfassenderen Ausdruck wäre auch der Rüge Rechnung getra­ gen, daß sich Text des Entwurfs und „Bericht" nicht ganz decken (Gerland). Zu Absatz 3 insbesondere halte ich an der vielfach ja auch von der Kritik gebilligten Lösung durchaus fest. Manche Ausführungen in den „Bemerkungen" beruhen offenbar auf Mißverständnissen, — die leicht erklärlich sind, weil das Denken der Juristen beson­ ders durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts hier besonders auf verfehlten Bahnen eingefahren ist. Die gegnerische Kritik übersieht ganz die Bedeutung dessen, daß es wesentlich auf die „Einstellung"(= Gesinnung, Wertsystem) des Täters ankommt, und die Folgerungen daraus (auch in der Richtung der Dahm'schen Unterscheidung von Verräter und Verbrecher). Noch mehr als früher bin ich davon überzeugt, daß neben dem Absatz 3 von § 373 der Absatz 1 des § 377 ganz überflüssig ist. Seine von mir vorgeschlagene Streichung würde den Standpunkt des Entwurfs noch klarer hervortreten lassen. Zu § 374: Vertauschung der Absätze, der Entwurf stellt immer das Schwerere voran. Absatz 2 (früher 1) anders gefaßt, um das „fordert" zu vermeiden. Anmerkung: Eine Durchprüfung aller der Stellen, an denen der Entwurf von Absicht spricht, macht es mir sehr zweifelhaft, ob die Beschränkung der Strafbarkeit aus „Absicht" im Sinn von § 374 auch nur in der Mehrzahl dieser Fälle richtig sei. Z. B. § 47. Zu $ 3 75: Fassung 2 (Anm. 1) verdient auch nach dem Stand der Kritik den Vorzug (vgl. Antrag Mezger). Absatz 2 stört den Zusammenhang, ist also hier zu streichen. In Absatz 2 (neu, alt 3) ist Absatz 4 (alt) unmittelbar anzuschließen, wodurch das (übrigens falsche) Zitat vermieden wird. Die jetzige Fassung ist übrigens zumindest unge­ nau. Die fahrlässige Begehung ist mit Strafe bedroht, es fehlt nur an einer bestimmten Strafdrohung. Der letzte Satz entspricht nicht den Ergebnissen der 1. Lesung, übrigens auch nicht dem StPO Entwurf; darum die geänderte Fassung. Sie wäre auch in den § 371 Absatz 2 einzustellen, der nach meinem Antrag in das Erste Buch gestellt werden soll. Zu § 376 (neu) — Absatz 2 von § 375. Der Aufbau entspricht dann dem beim Vorsatz. Hier taucht die Frage auf, ob in § 374 oder hier auch das „gewissenlose" Handeln um­ schrieben werden soll. Laut „Wortverzeichnis", S. iS (das hier nur einer kleinen Verbesse­ rung bedarf, weil § 285 in die zweite Zeile, zu § 277 gehört) verwendet der Entwurf diese Bezeichnung der Schuldform bei sechs Tatbeständen, zweimal in Verbindung mit wissent­ lich: Gefährdung von Menschenleben, § 132 (unbestimmten Umfanges) und Gefährdung der Arbeitskraft, § 256, sonst allein (Verlassen Schwangerer, § 68, Verschleuderung von Betriebsmitteln, § 261, Lebensgefährdung, § 277, und Überanstrengung von Frauen und Kindern, § 285). Für diese zweite Gruppe ist die Frage noch offen, ob nur vorsätzliches oder auch fahrlässiges Handeln getroffen werden soll, das letztere wäre zumindest bei den drei zuletzt angeführten Tatbeständen durchaus vertretbar. Bei der 2. Lesung des Ersten Buches wird das geklärt und wohl auch einiges in diesem Bereich sonst noch geändert werden müssen. Bis dahin ist die oben aufgeworfene Frage vorzumerken. Zu § 377: Nach der Streichung von § 377 Absatz 1 (siehe oben zu § 373 Absatz 3) werden § 376 (alt) und § 377 Absatz 2 am besten zusammengefaßt, beidesmal handelt es

sich um Irrtumsfälle: irrtümliche (schuldlose) Herbeiführung eines (strafschärfenden) be­ sonders schweren Erfolges, irrtümliche Annahme eines strafmindernden Umstandes. Sprache: In dem Absatz i des § 371, den ich zu streichen beantrage, kommt das scheußli­ che Wort „Straftat" vor, dessen sich leider die jüngste Fassung des Entwurfs häufiger bedient. (Laut Wortverzeichnis in 36 Fällen!). Ich muß und darf umsomehr dagegen ankämpfen, daß dieses an und für sich sinnlose und häßliche Wort sich in den Entwurf einschleiche, als es ein Österreicher war, der das Wort in das Schrifttum einführte (Haegel). Ich habe es 1909 —1912 zu verhüten gewußt, daß der österreichische Strafgesetzentwurf dieses Wort gebrauche. Es ist wohl um 10 Buchstaben kürzer, als strafbare Handlung; aber dieser einzige Vorzug kann es doch unmöglich rechtfertigen, es im Entwurf des neuen Deutschen Reiches zu gebrauchen, dessen Sprache reines, schönes Deutsch sein soll. „Straftat" ist Papierdeutsch schlimmster Sorte! An zweiter Stelle steht „Die Strafe bestimmt sich." (§ 347). Sie kann das aber wirklich nicht! Statt weiterer Einzelheiten nur die Schlußfolgerung, daß eine sorgfältige Überprüfung und Verbesserung der Sprache des Entwurfs nötig sei. Technik: Auch in dieser Richtung macht der Entwurf einen unausgeglichenen Eindruck: Da redselig, dort wortkarg; da lehrbuchartig, dort volkstümlich. Abstrakte Methoden, Generalklausel mit erläuternden Beispielen und Kasuistik wechseln ab, ohne daß jedesmal ein sachlicher Grund für die Wahl der Methode ersichtlich wäre. Die auch hier nötigen Verbesserungen.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 19 vom 5 - 3 - 1 9 3 5 Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 345 — 357 des Entwurfs 1. Lesung

A. Zweites Buch. Erste Gruppe. Das Strafgesetz. (§§ 34s bis 357). 1. Zum 1. Abschnitt der 1. Gruppe wird vorgeschlagen, die §§ 345 und 346 zu einer Vorschrift zusammenzufassen: § 345: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt. Bestraft wird ferner, wer eine Tat begeht, die nach gesunder Volksanschauung Bestra­ fung erfordert, wenn der einem gesetzlich geregelten Tatbestand zu Grunde liegende Rechtsgedanke auch für sie zutrifft und die Bestrafung dem erklärten Willen des Gesetzes nicht widerspricht. Anzuwenden ist das Gesetz, das die ähnliche Tat mit Strafe bedroht." Begründung: § 345 Abs. 1 des Entwurfes stellt sich nach seiner derzeitigen Fassung als eine Vorschrift über die zeitliche Geltung der Strafgesetze dar. Er soll indessen zum Ausdruck bringen, daß Grundlage der Bestrafung ein Strafgesetz sein muß. Deshalb sind die Worte „bevor sie begangen wurde" zu streichen. Noch nach einer weiteren Richtung bedarf § 345 Abs. 1 der Änderung. Durch seine Fassung: „Bestraft wird nur. .., die das Gesetz ausdrücklich für strafbar erklärt..." kann der Eindruck entstehen, als solle der Richter grundsätzlich vom Wortlaut der Vorschrift ausgehen und als sei eine Auslegung nach dem Zweck dieser Vorschrift (teleologische Auslegung) unzulässig. Die Regelung der Analogie in einem besonderen Paragraphen läßt die rechtsähnliche Anwendung einer Vorschrift nur als ausnahmsweise zulässig erscheinen. Dieser Eindruck muß vermieden werden. Unmittelbare Rechtsanwen­ dung, die naturgemäß die Zweckauslegung mitumfaßt, soll zur rechtsähnlichen Ausle­ gung nicht im Verhältnis der Regel zur Ausnahme stehen, vielmehr handelt es sich darum, klar zum Ausdruck zu bringen, daß im nationalsozialistischen Staat jeder, der dem erkenn-

baren Willen des Gesetzes zuwidergehandelt hat, der verdienten Strafe zugeführt werden kann, mag nun seine Tat ohne weiteres vom Wortlaut des Gesetzes erfaßt sein oder mag es infolge menschlicher Unzulänglichkeit nicht gelungen sein, den Tatbestand so zu umgren­ zen, daß auch der darunter fällt, der — im Widerspruch mit der gesunden Volksanschau­ ung und entgegen dem erkennbaren Willen des Gesetzes — sich strafbar an der Grenze der Strafbarkeit vorbeiwinden möchte. 2. AIs § 345 a ist noch folgende Vorschrift in dem ersten Abschnitt einzustellen: § 345 a) Wahlfeststellung. Steht fest, daß jemand gegen eines von mehreren Strafgesetzen verstoßen hat, ohne daß eine eindeutige Tatfeststellung möglich ist, so kann er aus dem mildesten der in Betracht kommenden Strafgesetze verurteilt werden. Begründung: Soll der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit vollständig durchgeführt werden, so ist eine Vorschrift über die Wahlfeststellung im Strafgesetzbuch nicht entbehr­ lich. Die bisherige Behandlung dieser Frage durch die Rechtsprechung (Reichsgericht in Strafsachen Band 68 S. 257; vgl. auch JW 1934 S. 294, wo ein weitgehender Urteilsentwurf versehentlich veröffentlicht worden ist) reicht nicht aus. Die hier vorgeschlagene Fassung gibt dem Richter nur die Möglichkeit, von der Wahlfeststellung unter gewissen Vorausset­ zungen Gebrauch zu machen. Erforderlich ist die Überzeugung des Gerichts, daß eine eindeutige Feststellung nicht möglich ist, daß aber der Angeklagte sich dennoch erwiese­ nermaßen gegen ein Strafgesetz vergangen hat. Alles weitere, insbesondere die Richtlinien für die Ausübung der dem Richter gegebenen Möglichkeit, wird in der Strafprozeßord­ nung zu regeln sein oder ist der Rechtsprechung selbst zu überlassen. 3. Zum 2. Abschnitt der 1. Gruppe wird vorgeschlagen, die §§ 347 bis 350 durch folgende Vorschriften zu ersetzen: § a) Die Strafbarkeit einer Tat und die Strafe bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. Gilt zur Zeit der Entscheidung ein anderes Gesetz als zur Zeit der Tat, so ist das mildere Gesetz anzuwenden, auch wenn die Entscheidung im letzten Rechtszug ergeht. Gilt das Gesetz in diesem Zeitpunkt nicht mehr, so entfällt die Bestrafung. Ein Zeitgesetz ist auf die während seiner Geltung begangenen Straftaten auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. § b) Über Maßregeln der Sicherung und Besserung ist nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, auch wenn diese im letzten Rechtszug ergeht. Begründung: Infolge der Umgestaltung des bisherigen § 345 muß das Verbot der Rück­ wirkung von Gesetzen an anderer Stelle ausgesprochen werden; demgemäß ist der bishe­ rige § 347 in § a Abs. 1 erweitert worden. Im übrigen bringt die Neufassung keine sachlichen Änderungen. 4. Zum 4. Abschnitt der 1. Gruppe: es wird vorgeschlagen, den § 357 durch folgende Nr. 4 zu ergänzen: Entgelt: „jeder Vorteil, gleichviel wem er zugute kommen soll." Begründung: Eine Begriffsbestimmung des „Entgelts" ist mit Rücksicht auf die Zweifel, was nach geltendem Recht unter „Vorteil" zu verstehen ist, erwünscht. Es besteht zwar im geltenden Recht kein Zweifel darüber, daß die Zuwendung keinen Vermögenswert zu haben braucht und daß es unerheblich ist, ob sie ganz oder teilweise für andere Personen oder für gemeinnützige Zwecke bestimmt ist. Streitig ist jedoch, ob es sich hierbei um einen materiellen Vorteil handeln muß oder ob auch z. B. die Befriedigung des Ehrgeizes und der Eitelkeit, die Verschaffung eines Titels oder eines Ordens und dergl. einen Vorteil darstellt. Da strafbare Handlungen häufig durch die Aussicht auf immaterielle Genüsse veranlaßt werden, erscheint es richtig, auch diese zum Entgelt zu rechnen. Um jeden Zweifel hierüber auszuschließen, ist eine gesetzliche Erläuterung des Begriffs Entgelt in dem Sinne notwendig, daß hierher jeder Vorteil zu zählen ist, gleichviel wem er zugute kommen soll.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 20 vom 5. 3 . 7935 Anregungen und Bemerkungen des Sachbearbeiters des Reichsjustizministeriums zu dem Abschnitt: Die Straftat (§§ 358 —365 des Entwurfs 1. Lesung)

Es wird folgende Fassung des Abschnitts vorgeschlagen: Zweite Gruppe. Das Verbrechen Erster Abschnitt

Die Staftat.

§ 358 (bisher §§ 358 Abs. 1,362). Begehung einer Straftat Eine Straftat begeht, wer die schuldhaft selbst vollendet oder zu ihrer Vollendung durch Beihilfe, Anstiftung oder auf sonstige Weise mitwirkt. H at jemand einen anderen nur unterstützen wollen und ihm nur Hilfe geleistet, so kann die Strafe gemildert werden (§ 413), wenn sein Handeln nur eine geringe Stärke oder Festigkeit des verbrecherischen Willens erkennen läßt.

§ 3 5 9 (bisher § 358). Beginnen einer Straftat Eine Straftat begeht auch, wer sie mit dem Willen beginnt, sie selbst zu vollenden oder zu ihrer Vollendung mitzuwirken. Eine Straftat ist auch durch Handlungen begonnen, durch die der Täter nach den Umständen , die er sich irrig vorstellt, die Straftat begehen würde. Die Strafe kann jedoch gemildert werden (§

4 * 3)-

H at der Täter aus grobem Unverstand irrig angenommen, daß sein Handeln zur Vollendung der Straftat führen könnte, so kann das Gericht die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von

Strafe absehen. § 3 60 (bisher § 359). Strafbares Unterlassen Dem Handelnden steht derjenige gleich, der es einer Rechtspflicht zuwider schuldhaft unterläßt, einen Erfolg abzuwenden. Die Strafe kann jedoch gemildert werden (§ 413). Wer durch sein Tun die Gefahr herbeiführt, daß ein bestimmter Erfolg eintritt, ist. . . verpflichtet, den Erfolg abzuwenden.

§ 3 6 1 (bisher §§ 3 64 Abs. 1 , 3, 3 62 A bs. 2 Satz 2). Erfolglose Anstiftung und Beihilfe W er einen anderen zur Begehung einer mit dem Tod oder mit Zuchthaus bedrohten Straftat auffordert oder anreizt, ohne daß dieser die Straftat auch nur beginnt, kann milder bestraft werden (§ 413). Im übrigen bleibt das erfolglose Auffordern oder Anreizen zu einer Straftat straflos, soweit im Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Der Gehilfe bleibt straflos, wenn derjenige, den er unterstützen wollte, die Straftat noch nicht einmal begonnen hat. § 3 6 2 (bisher § 3 60). Tätige Reue

Wenn der Täter freiwillig und endgültig die weitere Durchführung der StrafldX aufgibt und bei Beteiligung mehrerer an der Straftat ihre Vollendung verhindert, so kann das Gericht insoweit die Strafe nach freiem Ermessen mildem oder von Strafe absehen. Das gleiche gilt, wenn der Täter freiwillig und endgültig den Erfolg abwendet. Wenn ohne Zutun des Täters die Durchführung der Straftat unterbleibt oder der Erfolg nicht eintritt, so genügt. . . sein freiwilliges und ernstliches Bemühen, die Vollendung der Straftat oder den Erfolg zu verhindern.

§ 363 (bisher § 3 6 4 ) ... . Anerbietenzu einer Straftat

Wer sich einem anderen gegenüber zur Begehung einer mit dem Tod oder mit Zuchthaus bedrohten Straftat erbietet oder sich auf das Ansinnen eines anderen hierzu bereit erklärt oder wer das Anerbieten eines anderen zu einer solchen Straftat annimmt, wird wie ein Täter bestraft; doch kann die Strafe gemildert werden (§ 413). Nicht bestraft wird , wer freiwillig und endgültig die Durchführung der Straftat aufgibt und bei Beteiligung mehrerer ihre Begehung oder den Erfolg verhindert. § 3 6 2 Abs. 2 gilt entsprechend. § 3 64 (bisher § 363). Verabredung einer Straftat

Wer mit einem anderen eine mit dem Tod oder mit Zuchthaus bedrohte Straftat verabredet oder in Verhandlungen eintritt, die den ernsthaften Willen zur Begehung einer solchen Straftat erkennen lassen, wird wie ein Täter bestraft; doch kann die Strafe gemildert werden (§ 413). N icht bestraft wird , wer freiwillig und endgültig die . .. Durchführung der Straf tat aufgibt und ihre Begehung oder den Erfolg verhindert. § 3 6 2 Abs. 2 gilt entsprechend. § 3 6 3 (bisher § 3 6 3 ) . Besondere Eigenschaften oder Verhältnisse

Wird die Strafbarkeit einer Tat durch besondere Eigenschaften oder Verhältnisse be­ gründet, so genügt es zur Strafbarkeit aller Täter, wenn die Eigenschaften oder Verhältnisse bei einem von ihnen vorliegen. Die Strafe dessen, bei dem sie nicht vorliegen, kann gemildert werden (§ 413). Bestimmt das Gesetz, daß besondere Eigenschaften oder Verhältnisse die Strafe schär­ fen, mildem oder ausschließen, so gilt das, unbeschadet der Vorschrift des § 363 b Abs. 2, nur für den Täter, bei dem sie vorliegen. % 363 a (bisher § 3 61) . O rt und Z eit der Straftat

Eine Straftat ist an jedem Ort begangen, wo ihr Tatbestand ganz oder teilweise verwirk­ licht worden ist oder verwirklicht werden sollte. Eine Straftat ist zu der Zeit begangen, zu der der Täter gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln sollen. Wann der Erfolg eintritt, ist nicht maßgebend, sofern im Gesetz nichts anderes bestimmt ist. § 363 b. Vertreterhaftung (1) Handelt der Täter fü r einen anderen, insbesondere als Organ , Vertreter oder Angestellter einer juristischen oder natürlichen Person, so steht dieser Umstand seiner Bestrafung nicht entgegen. (2) Handelt der Täter als Organ oder Vertreter oder als Angestellterfür einen anderen in Ausführung der ihm übertragenen Verrichtungen, so sind ihm die besonderen Eigenschaften oder Verhältnisse dessen, fü r den erhandelt, zuzurechnen. (3) Der juristischen Person steht eine Personenvereinigung gleich, die, ohne Rechtsfähigkeit zu besitzen, selbständig verklagt werden kann. Begründung: I. Allgemeines.

Die bereits in der Anmerkung 6 zum bisherigen § 362 teilweise angedeuteten Mängel der in erster Lesung beschlossenen Fassung bestehen vor allem in folgendem: 1. Die Täterschaft ist in den bisherigen § 358 Abs. 1, § 362 Abs. 1 auseinandergezogen; dies ist bei Zugrundelegung des zweiten Täterbegriffs bedenklich. 2. Die bisherige Fassung des § 362 Abs. 1,3 behält die Akzessorietät bei. 3. Die vorgesehene Kannmilderung bei der Beihilfe bedeutet eine Ausnahme von der Gleichbehandlung aller Täterschaftsformen. Um sie erträglicher zu gestalten, wird man sie besser von der Stärke und Festigkeit des verbrecherischen Willens abhängig machen.

4- Der bisherige § 362 Abs. 2 Satz 2 ist bedenklich, weil darunter auch die Anstiftung und die mittelbare Täterschaft fallen. Er wird im wesentlichen überflüssig, wenn jede erfolglose Beihilfe für straflos erklärt wird. 5. Die Privilegierung des untauglichen Beginns in dem bisherigen § 358 Abs. 3 ist nur beschränkt auf das absolut untaugliche Mittel und den absolut untauglichen Gegenstand. Nicht erfaßt sind das absolut untaugliche Subjekt und sonstige Mängel am Tatbestand, die den Beginn absolut untauglich machen. Um auch diese Fälle zu erfassen, wird besser für alle Fälle des untauglichen Beginns eine Kannmilderung vorgesehen (§ 413); daneben können eine Milderung nach freiem Ermessen und die Möglichkeit, von Strafe abzusehen, für die Fälle des abergläubischen Beginns bestehen bleiben. II. Im Einzelnen: Zu § 358: In Abs. 1 sind als Grundformen der Begehung die selbst ausgeführte Vollen­ dung einer Straftat und die Mitwirkung bei ihrer Vollendung gegenübergestellt. Es ist zum Ausdruck gebracht, daß unter Wegfall der Akzessorietät jede der Vollendung einer Straftat kausale Betätigung Täterschaft ist. Abs. 3 des bisherigen § 362 ist als selbstverständlich und irreführend gestrichen worden. In Abs. 2 ist die Kannmilderung für die vorsätzliche Beihilfe enthalten. Eine Privilegisierung der fahrlässigen Beihilfe erschien nicht notwendig, weil die Strafrahmen der Fahrlässigkeitsdelikte schon an sich genügend weit nach unten ausgeweitet sind. Zu § 359: Die Regelung des Beginns ist jetzt in einer besonderen Vorschrift vereinigt. Neben Änderungen in der Fassung ist sachlich die Regelung des untauglichen Beginns dahin geändert worden, daß alle seine Fälle mit einer Kannmilderung ausgestattet sind und daß beim abergläubischen Versuch eine Milderung nach freiem Ermessen eintritt. Zu § 360: Der bisherige § 359 Abs. 1 ließ einen Hinweis darauf vermissen, daß der Unterlassende wie derjenige bestraft werden soll, der den Erfolg durch eine Handlung herbeiführt. Die jetzige Fassung trägt diesem Bedenken Rechnung. Zu § 361: Da auch die erfolglose Anstiftung und Beihilfe als Täterschaftsformen im Sinne des weiten Täterbegriffs vielleicht anzusehen sind, ist das bisherige Verleiten zu einem Verbrechen aus den Vorbereitungstatbeständen des § 364 herausgenommen und mit der erfolglosen Beihilfe zu einer neuen Vorschrift vereinigt worden. Zu § 3 62: In Abs. 2 sind die Worte „solange der Täter das nicht weiß" gestrichen. Von einem „freiwilligen und ernstlichen" Bemühen kann nur die Rede sein, wenn der Täter nicht weiß, daß die Straftat schon ohne sein Zutun nicht zur Durchführung kommt. Zu § 363: Abs. 1 enthält nur einige Änderungen in der Fassung. In Abs. 2 ist die tätige Reue für alle Vorbereitungshandlungen des Abs. 1 gleichmäßig gestaltet worden. Zu §§ 3 64 bis 365 a:Sie enthalten nur kleine Fassungsänderungen. 1. § 365 b enthält eine allgemeine Ausdehnung des Täterkreises für diejenigen Tatbe­ stände des Besonderen Teils, die ein Handeln für einen anderen, insbesondere zu dessen Gunsten, zulassen, ohne daß der Handelnde selbst bestraft werden könnte, weil seine Tätigkeit den Straftatbestand nicht in vollem Umfang verwirklicht. Die neue Bestimmung will damit allgemein eine empfindliche Lücke des geltenden StGB beseitigen, deren grund­ sätzliche Bedeutung auch im Entwurf 1934 nicht erkannt und die nur in einzelnen Fällen unvollkommen berücksichtigt ist. Ihr Anwendungsgebiet beschränkt sich im wesentlichen auf Vermögensdelikte, insbesondere auf Tatbestände, zu deren Aufbau zivilrechtliche Begriffe verwendet worden sind und die deshalb für einen anderen verwirklicht werden können. Die Bedeutung des § 365 b zeigt sich vor allem bei der Frage der Strafbarkeit der Vertreter juristischer Personen, die im Interesse ihrer Körperschaft strafrechtlich ge­ schützte Rechtsgüter verletzen. Juristische Personen sind strafrechtlich handlungs- und

delikts unfähig. Die Bestrafung der für sie handelnden natürlichen Personen scheitert aber in den in Betracht kommenden Fällen an der fehlenden Tatbestandsmäßigkeit ihrer Hand­ lungen. Denn die Rechtsstellung der Körperschaft, ihre Eigenschaften, Rechte und Pflich­ ten sind jeweils verschieden von denen ihrer Organe oder Vertreter. Das Handeln für einen anderen, insbesondere die Vertreterstellung des Täters, bildet insoweit einen unbe­ rechtigten Strafhinderungsgrund (Gesetzeslücke). Vgl. z. B. RG 63, 254 (Kommissionsun­ treue), OLG Königsberg ZStrW 48, 236 (Gläubigerbestechung), RG 16, 123; 60, 234 (Vollstreckungsvereitelung), RG 64, 406 (Unterschlagung), RG 49, 248 (Zuwiderhandlun­ gen gegen §§ 5, 6 Baus. G.), RG Recht 1910 Nr. 3115 (Beteiligung am Glücksspiel), KG GA 70,50 (Zuwiderhandlungen gegen das pr. Hausiersteuer-Ges.) u. a. m. Um dieses unbillige Ergebnis zu vermeiden, hat die Rechtsprechung in Ausnahmefäl­ len den Grundsatz aufgestellt, daß die Organe juristischer Personen die strafrechtliche Verantwortung für die handlungs- und deliktsunfähige Körperschaft zu tragen hätten: vgl. z. B. RG 33, 261 (zu § 151 GewO), KG GA 69, 454 und ObLG München JW 1931,1973 (zu § 23 Abs. 2 Kraftf.G.), RG 57,191 (zu §§ 284 —283 StGB), KG HRR 2,198 und Recht 1928 Nr. 1742 (zu § 367 Ziff. 15 StGB), vgl. ferner OLG Kiel JW 1929,1405; RG 44,125 u. a. m. Diese recht einleuchtende Begründung findet jedoch im geltenden Recht keine gesetz­ liche Grundlage (vgl. KG GA 70, 50; RG öo, 234). Das StGB hat lediglich für einzelne Tatbestände, die eine bestimmte Sondereigenschaft voraussetzen, den Täterkreis auf die Organe der tatbestandsmäßig qualifizierten juristischen Person erweitert, nämlich in § 244 KO, § 12 DepG., § 83 GmbHG., §§ 112,113 VAG, § 273 AVAVG, § 84 RAO, §§ 536, 912, 1493 RVO, § 339 AVG. Aus diesen Einzelbestimmungen, die sämtlich auf das Vorbild des § 244 KO zurückge­ hen, läßt sich jedoch ein derartig allgemeiner Grundsatz der Tatbestandsergänzung nicht herleiten. § 365 a soll zunächst einen derartigen Grundsatz gesetzlich anerkennen und die aufge­ zeigten Gesetzeslücken für die Organe juristischer Personen beseitigen, darüber hinaus aber ganz allgemein verhindern, daß das Handeln für einen anderen einen Strafhinde­ rungsgrund bilden kann. Dies gilt insbesondere auch für die rechtsgeschäftlichen Vertre­ ter juristischer Personen (z. B. Prokuristen) und ferner für die gesetzlichen und rechtsge­ schäftlichen Vertreter natürlicher Personen und schließlich auch für die Angestellten. Aber auch beim Fehlen jeglicher Rechtsbeziehungen zwischen dem Täter und demjenigen, für den er die Tat begeht, darf das Handeln für einen anderen, also auch für einen völlig unbeteiligten Dritten, kein Hindernis für die Bestrafung des Täters bilden. Die Fälle, in denen der Täter als Organ, Vertreter oder Angestellter handelt, sind deshalb unter dem übergeordneten Gesichtspunkt des Handelns für einen anderen in Z 363 b Abs. 1 nur beispielsweise ausgezählt. Der Gedanke der Vertreterhaftung, der in § 363 b Abs. 1 rein negativ zum Ausdruck gebracht wird, bedarf jedoch noch einer Ergänzung für diejenigen Tatbestände, bei denen die Strafbarkeit des Täters von besonderen Eigenschaften oder Verhältnissen abhängig ist oder beeinflußt wird. In diesen Fällen muß ausdrücklich gesagt werden, daß der als Organ, Vertreter oder Angestellter für einen anderen handelnde Täter bestraft werden kann (strafbegründende Umstände) und nach welchen gesetzlichen Bestimmungen (strafschär­ fende oder -mildernde Umstände) dies geschehen soll. Wer auf Grund besonderer Rechts­ beziehungen als Organ, Vertreter oder als Angestellter für einen anderen in Ausführung der ihm übertragenen Verrichtungen handelt, übt tatsächlich dessen Funktionen aus, nimmt tatsächlich dessen Rechtsstellung ein. Er muß sich deshalb die besonderen Eigen­ schaften oder Verhältnisse des anderen, der meistens nicht bestraft werden kann (Körper­ schaft, Minderjähriger oder unbeteiligter Dritter) zurechnen lassen: z. B.: Der Vormund eines minderjährigen Gläubigers ist also wegen Gläubigerbestechung zu bestrafen, wenn er die Vorteile seinem Mündel versprechen läßt (§ 243 KO: strafbegründende Sonderei­ genschaft); der Prokurist eines Bankiers, der für den Geschäftsinhaber Kundengelder

unterschlägt, ist nicht nur wegen einfacher, sondern wegen Depotunterschlagung zu bestrafen (strafschärfende Kaufmannseigenschaft). Ob auch die Einbeziehung der strafmildernden und strafausschließenden Umstände beibehalten werden soll (z. B. das Dienstmädchen, das für den Ehemann die Ehefrau bestiehlt, wäre straflos) wird in 2. Lesung vielleicht nochmals zu prüfen sein. Durch die Einschränkung, daß der Täter als Organ, Vertreter oder Angestellter handeln muß, wird jedenfalls eine zu weitgehende Ausdehnung über das Gebiet der Vermögensdelikte hinaus vermieden. 2. Handelt es sich um die Straftat des Vertreters oder Angestellten einer natürlichen Person, so ist eine Beteiligung beider an der Tat denkbar. § 365 b Abs. 2, wonach die besonderen Eigenschaften oder Verhältnisse desjenigen, für den gehandelt wird, dem Täter einseitig zuzurechnen sind, stellt insoweit eine Ausnahme von § 365 (bisher § 363) Abs. 2 dar, die aber durch die besonderen Rechtsbeziehungen zwischen den Tätern wohl begründet ist. Es erscheint angebracht, im Wortlaut des § 365 (bisher § 363) Abs. 2 auf diese Sonderbestimmung hinzuweisen.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 21 vom 3 .3 . 1935 Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu der Dritten Gruppe: Die Strafen und sonstigen Maßnahmen (§§ 383 —407 des Entwurfs 1. Lesung)

Erster Abschnitt. Die Strafen. (§§ 383 bis 407). (Ergänzung der Vorschläge in der Drucksache B 3) 1. Als § 394b ist folgende Vorschrift einzustellen: § 394 b (neu). Ersatzfreiheitsstrafe bei Verfallerklärung. Ist eine für verfallen erklärte Sache nicht auffindbar und ist ein ihrem Wert entspre­ chender Geldbetrag uneinbringlich, so tritt an Stelle des Wertbetrages Freiheitsstrafe der gleichen Art, mit der die Verfallerklärung verbunden ist, neben Geldstrafe tritt Haft. Die Ersatzfreiheitsstrafe ist im Urteil festzusetzen; sie beträgt mindestens einen Tag und höchstens zwei Jahre. Begründung: Soll die Einziehung als Sicherungsmaßnahme ausgestaltet werden, so be­ darf es einer Sonderregelung für diejenigen Fälle, in denen die „Einziehung" einer Sache eine (absolute) Strafe darstellt, nämlich für die Fälle der „Einziehung" des durch die Straftat Erlangten. Vgl. § 25 Abs. 2, § 140. Zum Unterschied von der Einziehung wird hier zweck­ mäßig von „Verfallerklärung" zu sprechen sein. In allen Anwendungsfällen wird die Verfallerklärung nicht nur von Sachen (Rechten), sondern auch „eines ihrem Wert entspre­ chenden Geldbetrags" zur Verfügung zu stellen sein; dem Gericht wird zu überlassen sein, ob es im Urteil von dieser Alternative Gebrauch machen will oder ob es dies im Einzelfall als entbehrlich ansieht. Letzteres wird z. B. der Fall sein, wenn die Sache bereits beschlag­ nahmt ist. Anwendungsfälle der Verfallerklärung sind außer § 25 Abs. 2 und § 140 ferner die § 267 Abs. 2, § 273 Abs. 3 für den Fang, § 341 Abs. 3 bezüglich des auf dem Spieltisch oder in der Bank befindlichen Geldes. Ferner ist eine Verfallerklärung angezeigt bei Aneignung geschützter Pflanzen oder Tiere (§ 272); der ausgestopfte Seeadler oder die unbefugt gepflückte und für ein Herbarium gepreßte Blume werden dem Täter nicht zu belassen sein. Im Allgemeinen Teil bedarf der Regelung die Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall, daß weder die Sache beschafft noch ihr Wert beigetrieben werden kann; sie soll in obigem Vorschlag gegeben werden. 2. Als § 394 eist folgende Vorschrift einzustellen:

§ 394 c (neu). Haftbarkeit von Personenvereinigungen Begeht der Täter die Straftat in Ausführung der ihm einer juristischen Person gegen­ über obliegenden Verrichtung, insbesondere als ihr Organ, Vertreter oder Angestellter, so kann die juristische Person für die gegen ihn erkannte Geldstrafe für haftbar erklärt werden. Der juristischen Person steht eine Personen Vereinigung gleich, die, ohne Rechtsfähig­ keit zu besitzen, selbständig verklagt werden kann. Begründung: Wenn auch die Anerkennung der Deliktsfähigkeit juristischer Personen mit einem Willensstrafrecht unvereinbar wäre, so besteht doch ein Bedürfnis für eine gewisse strafrechtliche Haftung der juristischen Person (und ihr gleichzustellender Personenverei­ nigungen) für Straftaten ihrer Vertreter und Gehilfen. Der Geschäftsbetrieb der juristi­ schen Person bringt infolge der Notwendigkeit der Heranziehung von Verrichtungsgehil­ fen eine gewisse erhöhte Gefahr strafbarer Handlungen mit sich; andererseits gibt das Autoritäts- oder Abhängigkeitsverhältnis der juristischen Person die Möglichkeit einer besonderen Einwirkung, etwa durch Auswahl und Beaufsichtigung, auf die Vertreter und Verrichtungsgehilfen. Das geltende Recht kennt eine solche Haftung juristischer (und zum Teil auch natürli­ cher) Personen in zahlreichen Nebengesetzen; vgl. §§ 416, 417 RAbgO.; § 8 Abs. 2 Depotges.; § 1 d. VO über Ordnungsstrafen bei Zuwiderhandlungen gegen Preisschildervor­ schriften und Preisfestsetzungen vom 8.1.35; RGBl. I 10; § 153 Vereinszollges. i. d. F. d. VO vom 9.1. 31; §§ 46, 47 Devisenges. v. 4. 2. 35, RGBl. I 105; § 29 Lichtspielges. v. 16. 2. 34, RGBl. I 95 u. a. m. Die Haftung ist nicht von einem Verschulden abhängig, hat also den Charakter einer „Garanten"-Haftung. Es handelt sich demnach nicht um eine Ausnahme von dem Grundsatz der Deliktsunfähigkeit der juristischen Personen. Die Haftung bedarf jedoch einer engen tatbestandsmäßigen Begrenzung. Die juristi­ sche Person wird nur für solche Straftaten ihrer Organe und Verrichtungsgehilfen in Anspruch genommen werden können, die in innerem Zusammenhang mit deren Tätigkeit für die j. P. stehen, also nur für Straftaten, die in Ausführung der den Organen usw. gegenüber der j. P. obliegenden Verrichtungen begangen werden. Ferner ist die Haftung auf die Fälle zu beschränken, in denen gegen den Täter auf eine Geldsträfe erkannt wird. Die Haftung ist akzessorisch, d. h. sie setzt die Verurteilung des Täters voraus. Sie ist endlich dem Richter nur fakultativ zur Verfügung zu stellen. Durch diese Beschränkungen werden unbillige Härten vermieden. Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 22 vom 5 . 3 . 1935 Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu § § 4 0 8 —414 des Entwurfs 1. Lesung

Zweiter Abschnitt. Die Strafbemessung Erster Titel. Die Strafbemessung im allgemeinen Es wird beantragt, den Titel wie folgt zu fassen: § 408 (bisher §§ 408, 40p). Grundsatz der Strafbemessung Die Strafe soll nach Art und Maß dem Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft entsprechen und zum Ausdruck bringen, daß der Täter sich gegen die Gesamtheit vergangen und ihr gegenüber sein Tun zu verantworten und zu sühnen hat. Dabei ist der verbrecherische Wille des Täters, wie er sich aus seiner Persönlichkeit und der Art des Angriffs auf die Friedensordnung des Volkes ergibt, und bei fahrlässigem Handeln die Größe seines Leichtsinns und seiner Gleichgültigkeit zu berücksichtigen. Auch die Gefahr und der Schaden, die der Täter verschuldet hat, sowie sein Verhalten nach der Tat sind zu beachten.

§410- Bemessung der Geldstrafe

(Der bisherige Abs. 1 fällt fort.) Die Geldstrafe soll so bemessen werden, daß sie den aus der Tat gezogenen Nutzen, insbesondere das für die Tat gewährte Entgelt, übersteigt. Strafschärfung §411. Besonders schwere Fälle

Ob und wie sich in besonders schweren Fällen Art oder Maß der ordentlichen Strafe ändert, bestimmt das Gesetz besonders. (Der bisherige Abs. 2 fällt fort.) §412. Gewohnheitsverbrecher

Hat jemand, der schon zweimal rechtskräftig verurteilt worden ist, durch eine neue vorsätzliche Tat eine Freiheitsstrafe verwirkt und ergibt die Gesamtwürdigung der Persön­ lichkeit des Täters und seiner Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so ist, soweit die neue Tat nicht mit schwererer Strafe bedroht ist, auf Zuchthaus zu erkennen. Die Strafschärfung setzt voraus, daß die beiden früheren Verurteilungen wegen vorsätzli­ cher Handlungen ergangen sind und in jeder von ihnen auf Todesstrafe, Zuchthaus oder Gefängnis von mindestens sechs Monaten erkannt worden ist. Eine frühere Verurteilung kommt nicht in Betracht, wenn zwischen dem Eintritt ihrer Rechtskraft und derfolgenden Tat mehr als fünfJahre verstrichen sind.

Hat jemand mindestens drei vorsätzliche Taten begangen und ergibt die Gesamtwürdi­ gung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbre­ cher ist, so kann das Gericht bei jeder abzuurteilenden Einzeltat die Strafe ebenso ver­ schärfen, auch wenn die übrigen in Abs. 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Einefrühere Tat, die noch nicht rechtskräftig abgeurteilt ist, kommt nicht in Betracht, wenn zwischen ihr und derfolgenden Tat mehr alsfünfJahre verstrichen sind.

In die Frist des Abs. 1 Satz 2 und des Abs. 2 Satz 2 wird die Zeit nicht eingerechnet, in der der Täter eine Freiheitsstrafe verbüßt oder auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt wird. Eine ausländische Verurteilung steht einer inländischen gleich, wenn die geahndete Tat auch nach deutschem Recht mit Gefängnis oder einer schwereren Strafe bestraft werden könnte. §413. Besondere gesetzliche Milderungsgründe

Wird die ordentliche Strafe nach einer der Vorschriften, die eine Milderung zulassen, gemildert, so kann an Stelle von Todesstrafe auf lebenslanges Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, an Stelle von lebenslangem Zuchthaus auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren erkannt werden. Ist ein erhöhtes Mindestmaß einer Freiheitsstrafe angedroht, so kann auf das gesetzliche Mindestmaß herabgegangen werden. Ist zeitiges Zuchthaus ohne erhöhtes Mindestmaß angedroht, so kann auf Gefängnis nicht unter sechs Monaten erkannt werden. Die Milderung darf auch beim Zusammentreffen mehrerer gesetzlicher Milderungs­ gründe nur einmal angewendet werden. § 414. Außergewöhnlich leichte Fälle Ist die Tat ein besonders milde zu beurteilender seltener Ausnahmefall derart, daß auch die mildeste ordentliche Strafe noch als zu hart erscheint, so kann auf eine mildere Strafe als die ordentliche Strafe erkannt werden. Das Mindestmaß der Strafe bestimmt sich nach § 413 -

Eine weitere Milderung ist auch dann nicht zulässig, wenn noch besondere gesetzliche Milderungsgründe (§ 413) vorliegen.

Begründung: i. Zu §§408 und 409. Die Fassung erster Lesung ist in verschiedenen Punkten unausgeglichen. a) Der ausschlaggebende Gesichtspunkt bei der Strafbemessung muß das Schutzbe­ dürfnis der Volksgemeinschaft sein. § 408 Abs. 2 gehört daher an die Spitze des Paragra­ phen. Alle übrigen bei der Strafbemessung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind dem Schutzbedürfnis der Volksgemeinschaft untergeordnet. b) Dadurch, daß in Abs. 3 zur Beurteilung des verbrecherischen Willens des Täters nur objektive Maßstäbe gegeben werden, kann der Eindruck hervorgerufen werden, daß die Persönlichkeit des Täters gegenüber den objektiven Umständen der Tat geringere Bedeu­ tung hat. Um dies Mißverständnis zu vermeiden, ist auf das Erfordernis einer Würdigung der Persönlichkeit des Täters besonders hinzuweisen. c) Die Unterscheidung von „Lebenskraft" und „Friedensordnung" ist schwer verständ­ lich. „Lebenskraft" kann als entbehrlich gestrichen werden. d) Die Anweisung, die verschuldeten Folgen der Tat und das Verhalten nach der Tat zu beachten, gilt für vorsätzliche und fahrlässige Handlungen gleichmäßig. Die in diesen Punkten voneinander abweichenden Fassungen der §§ 408 und 409 erster Lesung sind nicht zu rechtfertigen: auch bei fahrlässigem Verhalten dürfen bei der Strafbemessung nur die verschuldeten Folgen berücksichtigt werden. Weiter ist mit „Folgen" in § 408 das gleiche gemeint wie mit „die Gefahr und der Schaden" in § 409. Im Interesse der größeren Klarheit wird besser von „Gefahr und Schaden" gesprochen. 2. Zu §410. Der bisherige Abs. 1 ist bei der vorgeschlagenen neuen Regelung der Tagesbußen (Antrag B 3 Ziff. 5) überflüssig. 3. Zu §411. Der bisherige Abs. 2 wiederholt im wesentlichen nur den Inhalt der grundsätzlichen Strafbemessungsvorschrift (§ 408) mit dem Zusatz „besonders", „beson­ ders schwer" oder „besonders verwerflich". Für eine solche Wiederholung besteht kein Bedürfnis, umso weniger, als der Gesetzgeber sich im Besonderen Teil bemüht hat, dem Richter durch Beispiele zu zeigen, wann nach seiner Ansicht ein besonders schwerer Fall anzunehmen ist. 4. Zu §412. Aus der Praxis ist beklagt worden, daß § 20a Abs. 3 StGB, dem der bisherige § 412 Abs. 3 entspricht, schwer verständlich sei. Eine Verbesserung ist leicht dadurch zu erzielen, daß Abs. 3 Satz 1 an Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 an Abs. 2 angeschlossen werden. Aus den oben zu § 408 angegebenen Gründen ist auch bei § 412 außer der Gesamtwür­ digung der Taten eine solche der Persönlichkeit des Täters vorzuschreiben. 5. Zu §413. Die Paragraphenaufzählung in der Klammer des ersten Satzes diente nur zur Erleichterung der Vorarbeiten. Die Klammer kann jetzt fortfallen. Abs. 1 Satz 4 ist gegenstandslos, wenn dem Vorschlag in Antrag B 3 Ziff. 3, den § 386 Abs. 3 Satz 2 zu streichen, entsprochen wird. 6. Zu § 414. Der Vorschlag bezweckt die schon bei der ersten Lesung (vergl. Anm. 2 zu § 414) in Aussicht genommene schärfere Umgrenzung des außergewöhnlich leichten Fal­ les. Die Fassung „seltener Ausnahmefall" soll verhindern, daß die Rechtsprechung uner­ wünscht oft das Vorliegen eines Ausnahmefalles annimmt.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 24 vom 5 . 3. 1939 Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu § § 4 2 3 —433 des Entwurfs 1. Lesung

Vierter Abschnitt. Maßregeln der Sicherung und Besserung 1. §423 Nr. 1 erhält folgende Fassung: „1. Die Sicherungsverwahrung gefährlicher Ge­ wohnheitsverbrecher. " Begründung: Die Änderung bezweckt Anpassung an Nr. 5. 2. In § 423 ist noch der Fall des § 66 (Verletzung der Unterhaltspflicht) aufzunehmen. Begründung: Die Unterbringung säumiger Unterhaltspflichtiger ist, da sie bisher im Strafgesetzbuch fehlt, in § 20 der Fürsorgepflichtverordnung vom 13. Februar 1924, Reichsgesetzbl. I S. 100, vorgesehen. Die Durchführung dieser Vorschrift wird, sobald die Arbeitshäuser auf die Justizverwaltung übergehen, den Verwaltungsbehörden mangels geeigneter Anstalten nicht mehr möglich sein, wenn nicht die Gerichte in den gleichen Fällen Unterbringung im Arbeitshaus anordnen können. Der Vorschlag entspricht einer Anregung des BNSDJ. 3. §426 erhält folgende Fassung: „Wird jemand, der gewohnheitsmäßig geistige Ge­ tränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich nimmt, wegen einer Tat, die er im Rausch begangen hat oder die in einem solchen Hang ihren Grund hat, oder wegen Volltrunkenheit (§ 371 Abs. 2) zu einer Strafe verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Unterbringung an, wenn sie erforderlich ist, um ihn an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen." Begründung: Die Änderung bezweckt Anpassung der Fassung an die §§ 425, 427. Die von anderer Seite vorgeschlagene Beschränkung der Maßnahme auf Taten, die „in diesem Hang ihren Grund haben" ist zu eng, da sie die Unterbringung ausschließt in Fällen, in denen jemand sich bei bestimmten Gelegenheiten einen Rausch antrinkt und dann Strafta­ ten begeht. 4. Die §§ 423, 426,427 Abs. 2 machen die Zulässigkeit der Maßregel der Sicherung oder Besserung davon abhängig, daß gleichzeitig auf Strafe erkannt wird. Dieser Vorausset­ zung kann nicht genügt werden, wenn das Verfahren auf Grund eines Straffreiheitsgeset­ zes niedergeschlagen wird oder wenn der Täter nach der Tat in einen die Zurechnungsfä­ higkeit ausschließenden Zustand der Geisteskrankheit verfällt, der die Abhaltung einer Hauptverhandlung ausschließt. Um auch in derartigen Fällen die Verhängung einer Maß­ regel der Sicherung oder Besserung zu ermöglichen, wird in die Strafprozeßordnung eine Vorschrift aufzunehmen sein, die in derartigen Fällen ein lediglich auf Verhängung der Maßregel abzielendes Verfahren gestattet. 5. In §428 treten an Stelle des Schlußsatzes des Abs. 3 die folgenden Sätze: „Ergibt die Prüfung, daß der Zweck der Unterbringung erreicht ist, so ordnet das Gericht die Entlas­ sung des Untergebrachten an. Ergibt die Prüfung, daß die Voraussetzungen für eine andere der in Satz 1 bezeichneten Formen der Unterbringung vorliegen, so kann das Gericht die Überführung des Untergebrachten in diese Form der Unterbringung anordnen." Begründung: In der Literatur ist mehrfach die Schaffung der Möglichkeit gefordert, von einer Form der Unterbringung in eine andere überzugehen. So hat Mezger bei periodi­ schen geistigen Störungen die Ermöglichung der Überführung aus der Sicherungsverwah­ rung in die Heilanstalt (DJZ 1935 Sp. 139) gefordert, umgekehrt Graf Dohna (ZStrW 54, 414) den Übergang von der Heilanstalt zur Sicherungsverwahrung, wenn der Geistes­ kranke zwar geheilt sei, aber gemeingefährlich bleibe. Auch ein Übergang von der wieder­ holten Unterbringung im Arbeitshaus zur Sicherungsverwahrung und umgekehrt kann

erwünscht sein. Es wird sich daher empfehlen, dem Gericht bei seiner Nachprüfung die Möglichkeit zu geben, die Art der Unterbringung zu ändern; die Wahl wird jedoch zu beschränken sein unter den grundsätzlich lebenslänglichen Formen der Unterbringung, also den in § 428 Abs. 3 Satz 1 bezeichneten. Voraussetzung wird für die Änderung der Unterbringung in diesem Rahmen in jedem Falle jedoch sein müssen, daß die besonderen Erfordernisse der nunmehr zu wählenden Form der Unterbringung vorliegen. 6. § 429 Abs. 1 und 2 erhalten folgende Fassung: § 429. Widerruflichkeit der Entlassung. Die Entlassung des Untergebrachten erfolgt auf Widerruf Das Gericht widerruft die Entlassung, wenn der Entlassene durch sein Verhalten in der Freiheit zeigt, daß der Zweck der Maßregel seine erneute Unterbringung erfordert. Bei der Anordnung der Entlassung kann das Gericht dem Untergebrachten besondere Pflichten auferlegen. Es kann eine solche Anordnung auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben. Begründung: Der Vorschlag bezweckt lediglich eine Vereinfachung der Fassung. 7. In § 430 Abs. 1 ist an Stelle der Worte „bedingt aussetzen" zu setzen: „unter Vorbe­ halt jederzeitigen Widerrufs auf Probe aufschieben." Begründung: Der Vorschlag bezweckt Anpassung der Fassung an § 406 Abs. 2. 8. § 431 Abs. 3 erhält folgende Fassung: Eine ausländische Verurteilung steht einer inländischen gleich, wenn die geahndete Tat nach deutschem Recht nach einer der in Abs. 1 Nr. 1 bezeichneten Strafvorschriften straf­ bar wäre. Begründung: Der Vorschlag will die bisherige unklare Fassung verdeutlichen. 9. Als § 432 a ist folgende Vorschrift einzuschalten: § 432 a. Schließung des Geschäftsbetriebs. Hat der Täter als Organ oder gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person gehandelt, so kann das Gericht auf die Dauer von mindestens einem und höchstens fünf Jahren die Schließung des Geschäftsbetriebes der juristischen Person anordnen, wenn dies erforder­ lich ist, um die Allgemeinheit vor weiterer Gefährdung zu schützen. Der juristischen Person steht eine Personenvereinigung gleich, die, ohne Rechtsfähig­ keit zu besitzen, selbständig verklagt werden kann. §432 Abs. 2 und 3 gelten entsprechend. Begründung: Der Zusatz soll die Durchführung des Berufsverbots auch dann sicherstel­ len, wenn der Täter als Organ oder gesetzlicher Vertreter gehandelt hat. Ähnliche Vor­ schriften finden sich in § 16 Abs. 4 der Faserstoffverordnung vom 6. September 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 819), § 151 Abs. 2 GewO, §§ 28 Abs. 2, 29 Abs. 2 Lichtspielges. v. iö. Februar 1934 (Reichsgesetzbl. I S. 95). Eine Zulassung der einschneidenden Maßnahme auch bei Verfehlungen von rechtsgeschäftlichen Vertretern oder von Angestellten, die nicht Organ oder gesetzlicher Vertreter sind, erscheint nicht angebracht. Die Maßregel ist nicht zwingend vorgeschrieben. Voraussetzung für ihre Anwendung soll sein, daß die Schließung erforderlich ist, um die Allgemeinheit vor weiterer Gefährdung zu schützen; diese Voraussetzung wird z. B. nicht gegeben sein, wenn der Aufsichtsrat einer Aktienge­ sellschaft den schuldigen Vorstand entlassen und von seinen Straftaten sich deutlich abgesetzt hat. 10. §433 erhält folgende Fassung: Sachen oder Vermögenswerte, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht worden sind oder bestimmt waren, können ganz

oder teilweise eingezogen werden. Andere Gegenstände dürfen nur eingezogen werden, wenn es das Gesetz vorsieht. Die Einziehung ist regelmäßig anzuordnen, wenn die Gegenstände ihrer Art nach gefährlich sind oder sich in der Hand eines an der Straftat Beteiligten als gefährlich erwiesen haben. Von der Einziehung kann abgesehen werden, wenn die Straftat fahrlässig begangen ist oder wenn die Gegenstände zur Zeit der Tat keinem an ihr Beteiligten gehörten oder wenn sie ohne Schuld des Eigentümers zu der Tat verwendet worden sind oder die Einziehung eine unbillige Härtefür den Betroffenen bedeuten würde. Wird auf Einziehung erkannt, so geht das Eigentum oder das andere Recht mit der Rechtskraft des Erkenntnisses auf das Reich über. Begründung: Die Ausgestaltung der Einziehung als Maßnahme der Sicherung macht die bisher vorgesehene regelmäßige Beschränkung auf das Eigentum des Täters oder sonst an der Straftat Beteiligten entbehrlich; ebenso kann auf die Beschränkung der Einziehung auf vorsätzliche Straftaten, die der Entwurf schon jetzt in zahlreichen Fällen durchbricht (vgl. §§ 25,34,41, 267, 270, 273,306), verzichtet werden. Der oben vorgeschlagene erste Absatz ermöglicht alsdann die Streichung der §§ 25 Abs. 1,34,41,128 Abs. 3,191, 270 Abs. 4,271 Abs. 2, 288 Abs. 4, ferner des § 273 Abs. 3 bezüglich der Fanggeräte und des § 341 Abs. 3 bezüglich der Spieleinrichtungen. Erforderlich bleiben nur diejenigen Vorschriften über Einziehung, welche die Maßregel zwingend vorschreiben (§§ 201, 315 Abs. 3, 329, 331 Abs. 3 und Nebengesetze) sowie diejenigen Vorschriften, welche die Einziehung von Gegenständen vorsehen, die nicht producta oder instrumenta sceleris sind (§ 306 Abs. 4 und Nebengesetze). Wird die Möglichkeit der Einziehung gemäß dem oben vorgeschlagenen Abs. 1 ausge­ dehnt, so empfiehlt sich eine Weisung an das Gericht darüber, inwieweit von der weitge­ henden Ermächtigung Gebrauch zu machen sein wird. Eine solche Weisung wird vorge­ schlagen in Abs. 2; am Schluß dieses Vorschlags ist der Gedanke des § 329 Abs. 2 verallge­ meinert. Der bisherige Abs. 4 ist mit der Ausgestaltung der Einziehung zur Sicherungsmaß­ nahme, was bereits in der ersten Lesung hervorgehoben ist, nicht mehr vereinbar. Er wird daher zu streichen sein. Als Ersatz kann in § 164 eine Strafvorschrift gegen denjenigen aufgenommen werden, der „eine Sache oder einen Vermögenswert, auf dessen Einziehung erkannt werden muß oder aus Anlaß einer von ihm begangenen Tat erkannt werden kann, zerstört, beschädigt, veräußert oder sonst beiseite schafft und dadurch die Einziehung ganz oder zum Teil vereitelt". Die Fassung ist sowohl an die Vollstreckungsvereitelung (§ 338) wie an die Vereitelung einer Maßregel der Sicherung (§ 164 Abs. 2) angepaßt. Die Strafvorschrift wird bei fakultativer Einziehung auf solche Sachen zu beschränken sein, die aus Anlaß einer von dem Täter (im Sinne des weiten Täterbegriffs) begangenen Tat eingezogen werden können. Wer eine solche Sache als Unbeteiligter gutgläubig erwirbt und nachträglich erfährt, daß sie eingezogen werden kann, wird nicht mit Strafe zu bedrohen sein, wenn er die gutgläubig erworbene Sache veräußert. Zur weiteren Sicherung der Durchführung der Einziehung kann im Strafvollzugsgesetz vorgeschrieben werden, daß gegen jeden, der eine der Einziehung unterliegende Sache im Besitz oder Gewahrsam hat, mit Zwangsstrafen zur Erzwingung der Herausgabe vorge­ gangen werden kann. Auch der Offenbarungseid nach § 683 ZPO kann ermöglicht wer­ den. 11. Modernisierung der Polizeiaufsicht. Anstelle der bisherigen Ausgestaltung der Polizei­ aufsicht, die veraltet ist, hat die Praxis eine moderne Form durch Zulassung von Freiheits­ beschränkungen für gefährliche Gewohnheitsverbrecher geschaffen. Vgl. die preuß. Ver­ ordnungen vom 10. Februar 1934, inhaltlich mitgeteilt von Schneider, Deutsche Justiz 1934, S. 741. Personen mit bestimmten Vorstrafen, die sich etwa mit den Voraussetzungen des § 412 und des § 431 des Entwurfs decken, kann danach durch Verfügung der Landes­ kriminalpolizeistellen verboten werden, den Wohnort ohne polizeiliche Genehmigung zu verlassen, sich zur Nachtzeit außerhalb der polizeilich gemeldeten Wohnung oder allge-

mein an bestimmten öffentlichen Orten aufzuhalten, Kraftfahrzeuge zu führen, gewisse Inserate aufzugeben usw. Bei Verletzung der Auflagen tritt Schutzhaft ein. Rechtsgrund­ lage hierfür ist bisher vorläufig die Verordnung vom 28. Januar 1933, Reichsgesetzbl. I S. 83. Künftig werden die Befugnisse der Polizei zur Beschränkung der Freiheit Vorbestraf­ ter in einem Polizeigesetz zu regeln sein und zwar in ähnlicher Weise, wie dies bisher in Preußen vorgesehen ist. Dabei wird insbesondere Gewicht darauf zu legen sein, daß die Beschränkungen auf Anordnung einer höheren Stelle erfolgen. Geschieht dies, so kann in den Abschnitt „Angriffe auf Rechtspflege und Verwaltung" etwa folgende Vorschrift eingestellt werden: „Wer den ihm von der zuständigen Polizeibehörde zur Verhinderung weiterer Straftaten auferlegten Verpflichtungen zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis be­ straft." Dieser weite Strafrahmen würde eine gerechte Beurteilung aller Fälle ermöglichen. Soweit in der Zuwiderhandlung der Hang zu Straftaten im Einzelfall zutage treten sollte, würde die Verurteilung als Vortat im Sinne des § 412 eine Voraussetzung der Sicherungs­ verwahrung bilden können. Andererseits könnten ganz leichte Fälle gemäß § 153 StPO erledigt werden.

Anträge zur zweiten Lesung. Nr. B 25 vom 6. 3 . 2935 Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu dem Titel: Die Straßemessung bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung (§§ 4 25 —419 des Entwurfs, 2. Lesung)

Eine Nachprüfung, ob die von der Strafrechtskommission vorgeschlagene einheitliche Behandlung der beiden echten Konkurrenzformen im Strafverfahren zu Schwierigkeiten führt, hat ergeben, daß die verfahrensrechtliche Durchführung zwar möglich ist, aber zu praktisch wenig befriedigenden Ergebnissen führt. A . Aburteilung in demselben Verfahren

Die Durchführung der Einheitsstrafe bereitet keine Schwierigkeiten, wenn über meh­ rere Rechtsverletzungen, die bei einer Tat zusammentreffen, oder über mehrere selbstän­ dige Taten von demselben Gericht in einem und demselben Verfahren des ersten Rechts­ zuges zu entscheiden ist. Schwierigkeiten treten hier erst im Rechtsmittelverfahren und in Wiederaufnahmeverfahren auf. I. Rechtsmittelverfahren 1. Vollstreckbarkeit

Wird der Angeklagte wegen mehrerer selbständiger Taten zu mehreren besonderen Strafen verurteilt und wird das Urteil nur wegen einer der Taten angefochten, so sind die Strafen, die durch den nicht angefochtenen Teil des Urteils ausgesprochen werden, rechts­ kräftig und vollstreckbar. Dasselbe gilt nach der herrschenden Meinung auch, wenn der Angeklagte wegen mehrerer Taten zu einer Gesamtstrafe verurteilt ist und das Urteil nur wegen einer der Taten anficht. In diesem Falle ist das Urteil, soweit es unangefochten geblieben ist, vollstreckbar, wobei sich die Frage, ob und wielange vor endgültiger Erledi­ gung des gesamten Verfahrens vollstreckt werden soll, nach den besonderen Umständen des Falles richtet. Die Einheitsstrafe hingegen kann nur einheitlich rechtskräftig werden. Wird für sie der Grundsatz beibehalten, daß Strafurteile erst nach Rechtskraft vollstreckbar sind, so müßte der Angeklagte bis zum rechtskräftigen Abschluß des ganzen Verfahrens auf freiem Fuß oder in Untersuchungshaft bleiben. Man könnte dieser Konsequenz nur dadurch entgehen, daß der Tatrichter ermächtigt würde, nach teilweiser Anfechtung des Urteils dasselbe teilweise für vorläufig vollstreckbar zu erklären und dabei den Strafanteil zu bestimmen, der auf die rechtskräftig festgestellte Tat entfällt.

2. Umfang der Nachprüfung bei teilweiser Anfechtung Wird die Anfechtung bei Verurteilung wegen mehrerer selbständiger Taten auf ein­ zelne Taten beschränkt und hat das Rechtsmittel Erfolg, so ist die Straffrage hinsichtlich sämtlicher Taten nach dem Grundsatz der Einheitsstrafe stets in vollem Umfang erneut zu prüfen. Es ist daher unter Beachtung der für die Straffrage geltenden Beweisregeln erneut in eine Würdigung auch derjenigen Taten einzutreten, hinsichtlich deren das Urteil nicht angefochten ist. Dies bedeutet in der Berufungsinstanz vielfach eine Vermehrung der Arbeit, die beim Gesamtstrafenprinzip nur in beschränkterem Umfang erforderlich wäre, und führt in der Revisionsinstanz zu einer Häufung der Zurückverweisungen, wenn man an der prozessualen Regelung des geltenden Rechts festhält. Diese Bedenken wären zu beheben, wenn man den Rechtsmittelgerichten bei der Prüfung der Straffrage nach öster­ reichischem Vorbild eine freiere Stellung einräumen würde, was freilich (im Revisionsver­ fahren) bedeuten würde, daß der Revisionsrichter über die Straffrage entscheiden könnte, ohne den Beschuldigten auch nur gesehen zu haben. 3. Beschränkte Rechtskraft bei Idealkonkurrenz Falls die Gleichbehandlung von Real- und Idealkonkurrenz dazu führen würde, entge­ gen dem geltenden Recht bei Idealkonkurrenz die Beschränkung der Anfechtung auf eine der Rechtsverletzungen zuzulassen, so ergeben sich Schwierigkeiten, wenn die Rechtsmit­ telverhandlung zu Ergebnissen führt, die mit dem rechtskräftig gewordenen Teil des Urteils unvereinbar sind. Ergibt z. B. bei beschränkter Anfechtung erst die Berufungsver­ handlung die Zurechnungsunfähigkeit des Täters, so wäre das Gericht an die Schuldfest­ stellung des Urteils hinsichtlich der ideellkonkurrierenden Rechtsverletzung gebunden, was untragbar wäre. Ausweichmöglichkeit: Ermächtigung des Gerichts, in solchen Fällen auch den nicht ange­ fochtenen Teil des Urteils aufzuheben (vgl. §§ 372, 393 des Referentenentwurfs der Straf­ verfahrensordnung). II. Wiederaufnahmeverfahren Betrifft das Wiederaufnahmeverfahren nur einzelne von mehreren zusammen abgeur­ teilten selbständigen Taten, so muß das Wiederaufnahmegericht die Straffrage auch hin­ sichtlich derjenigen Taten neu prüfen, mit denen das Wiederaufnahmeverfahren gar nicht befaßt ist. Die Auswertung von Einzelstrafen für jede einzelne Tat hat in solchen Fällen den Vorzug, daß das Wiederaufnahmegericht aus den rechtskräftigen Einzelstrafen, an die es gebunden ist, lediglich eine Gesamtstrafe zu bilden hat. Wird der in der Rechtsprechung des Reichsgerichts anerkannte Grundsatz beibehalten, daß die Anordnung der Wiederaufnahme (§ 370 Abs. 2 StPO) das angefochten Urteil und seine Vollstreckbarkeit beseitigt, so müßte der Verurteilte, der den Wiederaufnahmeantrag nur hinsichtlich einzelner von mehreren abgeurteilten Taten gestellt hat, bei Anordnung der Wiederaufnahme aus der Strafhaft entlassen werden, obwohl der Schuldspruch wegen der übrigen Taten unberührt geblieben ist. Ausweichmöglichkeiten: Zulassung der Vollstreckung dieses durch Wiederaufnahmean­ trag angefochtenen Urteils bis zur Fällung des neuen Urteils. B. Aburteilung in verschiedenen Verfahren Die Schwierigkeiten, die aus dem Grundsatz der Einheitsstrafe im Strafprozeß erwach­ sen, mehren sich erheblich, wenn die Entscheidung über die einzelnen Rechtsverletzungen bei Tateinheit oder über die mehreren selbständigen Taten nicht in demselben Verfahren ergeht. I. Umfang der Rechtskraft Dem Grundgedanken der Einheitsstrafe wird an sich nur ein Verfahren gerecht, das sämtliche Rechtsverletzungen oder sämtliche Taten eines Angeklagten in demselben

Rechtsgang vor demselben Gericht zur Aburteilung bringt. Dies führt dazu, die Verbin­ dung von Verfahren und die Zulassung von Nachtragsanklagen möglichst zu erleichtern. Hingegen ist es zweifelhaft, ob aus dem Grundsatz der Einheitsstrafe die Folgerung gezogen werden muß, daß Gegenstand des Strafverfahrens sämtliche Taten des Angeklag­ ten sind, auch wenn sie in der Anklage nicht bezeichnet sind. Hätte das Gericht ohne Rücksicht auf die in der Anklage bezeichnete Tat Recht und Pflicht, sämtliche Taten des Angeklagten abzuurteilen, so hätte dies für den Umfang der Rechtskraft Folgerungen, die mit den Erfordernissen der Rechtspflege unvereinbar wären. Mit der Einheitsstrafe ist jedoch auch eine prozessuale Regelung vereinbar, die bei der Begrenzung des Gegenstan­ des der Strafklage auf die Identität der Tat im Sinne des geltenden Rechts abstellt. Maßge­ bend für den Umfang der Rechtskraft wäre danach der den Gegenstand der Anklage bildende geschichtliche Vorgang, gleichgültig, ob er eine oder mehrere selbständige Straf­ taten enthält. II. Nachträgliches Verfahren l. Nachtragsanklage oder Wiederaufnahmeverfahren Ist die Aburteilung sämtlicher Rechtsverletzungen oder sämtlicher Taten des Angeklag­ ten nicht in demselben Verfahren erfolgt, so fragt sich, in welcher Art von Verfahren die Entscheidung über die nicht abgeurteilten Rechtsverletzungen oder Taten vor sich geht. Der Grundsatz der Gleichbehandlung von Ideal- und Realkonkurrenz müßte dazu führen, hierfür das gleiche Verfahren vorzusehen, also nicht nur bei Realkonkurrenz, sondern auch bei Idealkonkurrenz die Erhebung einer Nachtragsanklage zuzulassen (so § 418 des Ent­ wurfs der Strafrechtskommission). Bei Idealkonkurrenz ist eine solche Nachtragsanklage nur denkbar, wenn die Strafklage hinsichtlich der nicht abgeurteilten Rechtsverletzung noch nicht verbraucht ist. Wird der Grundsatz der Gleichbehandlung aufrecht erhalten, so muß die Rechtskraft bei Idealkonkurrenz auf diejenige Rechtsverletzung beschränkt wer­ den, über die in dem früheren Verfahren entschieden worden ist. Gegenstand der Straf­ klage wäre danach nicht mehr ein bestimmter geschichtlicher Vorgang, sondern eine bestimmte Rechtsverletzung. Konkurrieren Notzucht und Blutschande ideell und ist nur wegen Blutschande verurteilt worden, so wäre beispielsweise nur der Gesichtspunkt der Blutschande rechtskräftig abgeurteilt, und es könnte unter dem Gesichtspunkt der Not­ zucht wegen derselben Tat erneut Anklage erhoben werden. Dies würde zu einer vollkom­ menen Auflösung der Einrichtung der Rechtskraft führen, auf die aus Gründen der Rechtssicherheit nicht verzichtet werden kann. Sieht man Raub und Diebstahl oder Unter­ schlagung und Treubruch als verschiedene Rechtsverletzungen an, so wäre die Folge, daß eine erneute Anklage wegen derselben Tat zulässig wäre, wenn ein Raub als Diebstahl oder ein Treubruch als Unterschlagung abgeurteilt worden ist. Es könnte jede Tat unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt erneut verfolgt werden. Eine solche Regelung ist für den Strafprozeß untragbar. Zwar ist es richtig, daß es um der Gerechtigkeit willen möglich sein muß, die Strafe wegen einer zunächst übersehenen ideellkonkurrierenden Rechtsverletzung nachträglich zu erhöhen. Dies kann aber, wenn die Einrichtung der Rechtskraft des Urteils bestehen bleiben soll, nur unter den Voraussetzungen und in den Formen des Wiederaufnahmeverfahrens geschehen (vgl. § 404 des Ref.Entwurfs der Strafver­ fahrensordnung). Die nachträgliche Verfolgung darf insbesondere nur zulässig sein, wenn nachträglich neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die die ideellkonkurrie­ rende Rechtsverletzung ergeben. Andererseits kann bei mehreren selbständigen Taten auf die Zulassung der Nachtragsanklage aus praktischen Gründen nicht verzichtet werden. Hier wäre es ebenso unannehmbar, wenn die noch nicht abgeurteilten Taten nur in den Formen und unter den Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens verfolgt werden könnten. Prozessuale Erwägungen führen also dazu, die nachträgliche Verfolgung wegen ideell konkurrierender Rechtsverletzungen nur im Wiederaufnahmeverfahren zuzulassen und eine Nachtragsanklage nur wegen selbständiger Taten zu ermöglichen. Daraus ergibt

sich, daß Ideal- und Realkonkurrenz aus prozessualen Gründen verschieden behandelt werden müssen, der Zweck der Einheitsstrafe somit nicht voll erreichbar ist. 2. Umfang der Bindung an den Strafausspruch desfrüheren Urteils Wird auf Grund einer Nachtragsanklage über eine Tat entschieden, so muß nach dem Grundsatz der Einheitsstrafe der Strafausspruch über die früher abgeurteilte Tat in vollem Umfange aufgehoben und ohne Bindung an den Strafausspruch des früheren Urteils über die gesamte Straffrage erneut verhandelt und entschieden werden. Es ergibt sich also dieselbe Mehrbelastung des später erkennenden Richters wie im Rechtsmittelverfahren (vgl. oben A I 2). Nach dem System der Gesamtstrafe ist das Zurückgreifen auf die rechts­ kräftig abgeurteilte Tat nur insoweit notwendig, als die Bildung der Gesamtstrafe dies erfordert. Sind mehrere selbständige Taten in verschiedenen Verfahren abgeurteilt worden, und ist die Bildung einer Einheitsstrafe unterblieben, so muß die nachträgliche Bildung der Einheitsstrafe ermöglicht werden (vgt. § 460 StPO). Aus praktischen Gründen ist es nicht möglich, den Strafausspruch der früheren Urteile in solchen Fällen im vollen Umfange aufzuheben und über die Straffrage erneut in einer mündlichen Verhandlung zu entschei­ den; es müßte sonst z. B. derjenige, der neben einer erheblichen Zuchthausstrafe eine kleinere Gefängnisstrafe von einem anderen Gericht erhalten hat, nur wegen der u. U. sehr geringfügigen zusätzlichen Erhöhung der Zuchthausstrafe möglicherweise von weit her zum mündlichen Verhandlungstermin gebracht werden. Es muß vielmehr möglich sein, die Einheitsstrafe nachträglich in einem schriftlichen Verfahren zu bilden, für das eine gewisse Bindung an die Strafaussprüche der früheren Urteile vorgesehen werden muß. Eine solche Bindung widerstreitet gleichfalls dem Grundsatz der Einheitsstrafe. 3. Verschiedene Arten der Gerichtsbarkeit oder der Zuständigkeitfür einzelne Taten Die Bildung der Einheitsstrafe ist nicht durchführbar, wenn für die einzelnen Taten verschiedene Gerichte ausschließlich zuständig sind oder die einzelnen Taten unter ver­ schiedene Arten der Gerichtsbarkeit fallen (z. B. allgemeine Gerichte — Militärgerichte; Aburteilung von Übertretungen durch Polizeibehörden, Steuerzuwiderhandlungen durch die Finanzämter, von anderen Taten durch die Gerichte; Aburteilung von Beleidigungen durch den Friedensrichter, von anderen Taten durch die Gerichte). Diese Schwierigkeit kann durch die Zulassung der Verbindung der Strafsachen nur in beschränktem Umfange behoben werden. Werden wie im geltenden Recht ohnedies für jede Tat besondere Strafen ausgeworfen, so fällt sie weniger ins Gewicht. C. Amnestie Erstreckt sich eine Amnestie nur auf Straftaten bestimmter Art und sind durch eine Einheitsstrafe teils amnestierte, teils nichtamnestierte Taten geahndet, so entstehen bei der Durchführung der Amnestie Schwierigkeiten, die im geltenden Recht wenigstens bei Realkonkurrenz nicht entstehen. Als Ausweg aus diesen Schwierigkeiten kommt in Be­ tracht die Ermächtigung des Vollstreckungsgerichts, den auf die amnestierte Tat entfallen­ den Anteil an der Einheitsstrafe zu bestimmen oder für die nichtamnestierte Tat eine neue Strafe festzusetzen. D. Sperrfristen In einer Reihe von Vorschriften des geltenden Rechts (vgl. z. B. § 57 GewO) wird an die Verurteilung zu einer bestimmten Strafe wegen bestimmter Straftaten die Folge geknüpft, daß dem Verurteilten eine Genehmigung, deren er zu bestimmten Tätigkeiten bedarf, während einer gewissen Zeit nicht erteilt werden darf. Wie, wenn eine Tat, deren rechts­ kräftige Feststellung eine solche Sperrfrist auslöst, in Ideal- oder Realkonkurrenz mit einer Rechtsverletzung, bei der dies nicht der Fall ist, abgeurteilt wird und die Einheitsstrafe die Mindeststrafhöhe, von der die Sperrfrist abhängt, übersteigt? Eine etwas gewaltsame Lösung, um dieser Schwierigkeit zu begegnen, wäre die, daß in solchen Fällen die Höhe der Einheitsstrafe maßgebend wäre oder daß im Einzelfall das

Gericht auf Antrag der Staatsgewalt ausdrücklich feststellt, ob die Voraussetzungen für den Eintritt der Sperrfrist vorliegen. Alles in allem zeigt sich, daß praktisch die Festsetzung von Einzelstrafen für jede selbständige Tat den Vorzug verdient. Dieses Prinzip auf die Fälle der Idealkonkurrenz auszudehnen, die einheitliche Behandlung also in der Weise durchzuführen, daß für jede Rechtsverletzung eine besondere Strafe ausgeworfen wird, wie dies vereinzelt empfohlen worden ist, kann aber nicht befürwortet werden; diese Methode zwänge den Richter zu einer ganz unnatürlichen Beurteilung nur vorgestellter Sachverhalte und müßte dem Volk unverständlich bleiben. Von den praktischen Schwierigkeiten abgesehen, kommt hinzu, daß die Gleichbehand­ lung den Dingen Gewalt antut, weil für die natürliche Betrachtungsweise und zwar gerade vom Standpunkt des Willens Strafrechts aus zwei selbständige Straftaten regelmäßig straf­ würdiger sind, als eine Tat, die den Tatbestand zweier Strafgesetze verwirklicht. Die Kommission hat dies auch im Grunde anerkannt, wenn sie erwägt, die Unterscheidung jedenfalls für das Strafregister beizubehalten. Ein Strafregisterauszug, der sich über die Frage „Tateinheit oder Tatmehrheit" ausschweigt, gibt eben über einen wesentlichen Punkt, nämlich das Maß der Schuld des Täters, nur eine unvollkommene Auskunft. Diese Erwägung muß aber um so mehr für den Urteilsausspruch gelten, dem diese Aufgabe in erster Linie zukommt. Nach allem dürfte sich grundsätzlich die Beibehaltung des geltenden Rechts empfeh­ len. Entschließt man sich hierzu, so müßte der Titel etwa die in der Anlage I formulierte Fassung erhalten, die an den Referentenentwurf von 1933 anknüpft und die Anträge B 3 berücksichtigt. Der Tatsache, daß eine Tat, die mehrere Rechtsverletzungen umfaßt — namentlich bei sog. gleichartiger Idealkonkurrenz — schwerer wiegen kann als eine Tat, die nur eine Rechtsverletzung darstellt, kann ausreichend Rechnung getragen werden durch die Strafzumessungsregel und die Zulassung einer Überschreitung der angedrohten Höchststrafe. Nach der Formulierung der Anlage I ist die Verschiedenheit zwischen den beiden Strafbemessungsregeln gegenüber dem geltenden Recht stark herabgemindert, einmal durch die Zulassung der Schärfung bei Idealkonkurrenz, zum anderen durch die im Entwurf vorgenommene Vereinfachung des Strafrahmensystems und die Ausweitung zahlreicher Einzelstrafrahmen. Der Grund, der in der Hauptsache für die Einführung der Einheitsstrafe angeführt werden kann, ist die Tatsache, daß die verschiedenartige Behandlung häufig rechtlich schwierige und unfruchtbare Untersuchungen erfordert. Diesem Mißstand läßt sich aber durch eine Verfahrensvorschrift abhelfen, die etwa lauten könnte: „Ist zweifelhaft, ob sich der Angeklagte mehrerer Rechtsverletzungen durch eine oder durch mehrere selbständige Taten schuldig gemacht hat, so darf das Gericht, ohne insoweit eine Feststellung treffen zu müssen, die Strafe gemäß § 415 festsetzen." Sollte sich die Kommission jedoch für die Einführung der Einheitsstrafe entschließen, so wären an dem Entwurf 1. Lesung die in der Anlage II vorgesehenen Änderungen anzubringen. Im einzelnen sei dazu bemerkt: Zu 1 der Anlage II: Die zwingende Vorschrift des Entwurfs stellt eine weitgehende und in vielen Fällen unnötige Durchbrechung des Prinzips der Einheitsstrafe dar, sie führt auch zu unerwünschten Ergebnissen. Es ist nicht tragbar, daß z. B. neben einer Zuchthausstrafe oder mehrjährigen Gefängnisstrafe selbständig auf Festungshaft oder gar Haft erkannt wird. Die Durchbrechung des Prinzips ist auch nicht notwendig, wenn mit einem schweren Verbrechen ein geringfügiges Delikt konkurriert, das an sich mit einer kleinen Geldstrafe gesühnt werden kann. Andererseits ist es nicht möglich, das Prinzip der Einheitsstrafe in allen Fällen durchzuführen. Neben einer Gefängnisstrafe von einem Monat muß eine zehnjährige Festungshaft gesondert erkannt werden können. Auch auf Geldstrafe muß stets gesondert erkannt werden können, wenn ihre Verhängung aus fiskalischen Gründen erforderlich erscheint (z. B. bei Zollhinterziehungen). Der Gesetzgeber muß sich deshalb

mit einer Kann-Vorschrift begnügen; die Möglichkeit, neben Todesstrafe, lebenslangem oder zeitigem Zuchthaus gesondert auf Festungshaft oder Haft erkennen zu können, muß aber ausgeschlossen werden. Ferner ist eine Grenze für die Gesamtdauer mehrerer zeitiger Freiheitsstrafen notwendig. Zu 2 der Anlage II: Die veränderte Fassung des § 416 Abs. 2 beruht auf der Berücksichti­ gung der Haftstrafe. Es geht nicht an, mit dem Entwurf die Möglichkeit einer 15jährigen Haftstrafe zu eröffnen. Zu 3 der Anlage II: In das Nachtragserkenntnis gemäß § 418 dürfen, wie im österreichi­ schen Recht, nur rechtskräftig erkannte Strafen einbezogen werden. Andernfalls könnten, wenn mehrere Straftaten desselben Täters in verschiedenen Verfahren abgeurteilt werden und in beiden Verfahren der Rechtsmittelzug durchlaufen wird, die einzelnen Gerichte ihre Strafzumessung ständig gegenseitig durchkreuzen. Wie zu verfahren ist, wenn zwei Strafen nebeneinander rechtskräftig werden, muß im Strafvollzugsgesetz geregelt werden. Zu erwägen ist auch, ob nicht für die Fälle des Nachtragserkenntnisses eine gewisse Bindung des 2. Richters an die rechtskräftig erkannte Strafe vorgeschrieben werden soll (z. B. in der Weise, daß er hinter den schwersten der erkannten Strafen nicht zurückbleiben darf). Nach den Grundsätzen über den Umfang der Rechtskraftwirkung ist ein Nachtragser­ kenntnis nur möglich, wenn eine weitere selbständige Tat abgeurteilt wird. Das Wort „Rechtsverletzung" muß deshalb durch das Wort „Tat" ersetzt werden. Der Umstand, daß die Tat eine weitere (schwerere) Rechtsverletzung darstellt, als bei der Aburteilung ange­ nommen, kann, wie oben dargelegt, nur im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens Berücksichtigung finden. Der Schlußhalbsatz des §418 entspricht nicht dem Grundsatz der Einheitsstrafe. Es ist kein Grund ersichtlich, diesen Grundsatz nur durchzuführen, wenn die weitere Tat schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können. Anlage I: Zweiter Titel Die Straßemessung bei Tateinheit, Tatmehrheit undfortgesetzter Handlung. §415. Tateinheit Sind auf dieselbe Tat mehrere Strafgesetze anwendbar, oder ist durch die Tat dasselbe Strafgesetz mehrmals verletzt, so ist nur auf eine Strafe zu erkennen. Die Strafe wird nach dem Gesetz bestimmt, das die höchste Strafe, oder, bei ungleichen Strafarten, die Strafe schwerster Art androht. Doch darf auf keine niedrigere oder der Art nach leichtere Strafe erkannt werden, als nach den übrigen verletzten Strafgesetzen zuläs­ sig ist. Bei der Bemessung der Strafe ist angemessen zu berücksichtigen, daß mehrere Geset­ zesverletzungen vorliegen. Dabei kann das Höchstmaß der Strafe, das in dem anzuwen­ denden Strafgesetz vorgesehen ist, überschritten werden, wenn dies zur Verhängung einer angemessenen Strafe erforderlich erscheint. Die Dauer einer zeitigen Freiheitsstrafe darf jedoch die Summe der angedrohten Höchststrafen und das gesetzliche Höchstmaß der anzuwendenden Strafart nicht übersteigen. Ehren strafen und Vermögensstrafen müssen oder können verhängt und Maßregeln der Sicherung und Besserung müssen oder können angeordnet werden, wenn sie auch nur wegen einer der Gesetzesverletzungen vorgeschrieben oder zugelassen sind. §416. Tatmehrheit Hat jemand durch mehrere selbständige Taten, die gleichzeitig abgeurteilt werden, mehrere Strafen verwirkt, so ist, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt ist, auf jede gesondert zu erkennen. Sind mehrere zeitige Freiheitsstrafen verwirkt, so ist auf eine Gesamtstrafe zu erken­ nen, die in einer Erhöhung der verwirkten schwersten Strafe besteht; eine verwirkte

Zuchthausstrafe gilt ohne Rücksicht auf die Dauer als schwerste Strafe. Die Gesamtstrafe darf die Summe der verwirkten Einzelstrafen nicht erreichen und fünfzehn Jahre, bei Haft fünf Jahre, nicht übersteigen. Neben der Gesamtstrafe müssen oder können Ehrenstrafen und Vermögensstrafen verhängt und Maßregeln der Sicherung und Besserung angeordnet werden, wenn sie auch nur wegen einer der Taten vorgeschrieben oder zugelassen sind. Auf Festungshaft und Haft kann neben Gefängnis gesondert erkannt werden; die Gesamt­ dauer der Strafen darf in diesem Falle fünfzehn Jahre nicht übersteigen. Sind mehrere Geldstrafen verwirkt, so darf die Gesamtdauer der Arbeitstage (§ 392) einhundertundachtzig Tage und die der Ersatzfreiheitsstrafen (§ 394 a) vier Jahre nicht übersteigen. Diese Vorschriften gelten auch dann, wenn jemand, bevor eine Strafe verbüßt oder erlassen ist oder wegen Zeitablaufs nicht mehr vollstreckt werden darf, wegen einer anderen Tat verurteilt wird, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können. §417. Fortgesetzte Handlung Ist ein Gesetz durch eine fortgesetzte Handlung verletzt, so ist dies bei der Bemessung der Strafe angemessen zu berücksichtigen. Dabei kann das Höchstmaß des anzuwenden­ den Strafrahmens überschritten werden, wenn dies zur Verhängung einer angemessenen Strafe erforderlich erscheint. Jedoch darf die Dauer einer zeitigen Freiheitsstrafe das gesetzliche Höchstmaß der angedrohten Strafart nicht übersteigen. Anlage II: Vorschläge zum Zweiten Titel (Die Strafbemessung bei Tateinheit, Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung, §§ 415 bis 419). 1. § 416 Abs. 1 Satz 2 erhält folgenden Wortlaut und zwar als selbständiger § 416a. Neben jeder Strafe kann auf Geldstrafe und neben Gefängnis auf Festungshaft und Haft gesondert erkannt werden. In diesem Falle darf die Gesamtdauer mehrerer zeitiger Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre nicht übersteigen. 2. §416 Abs. 2 erhält folgende Fassung: „Das Höchstmaß der Strafe, das in dem anzuwendenden Strafgesetz vorgesehen ist, darf überschritten werden. Jedoch darf die Dauer einer Haftstrafe nicht mehr als fünf Jahre, die Dauer einer sonstigen zeitigen Freiheitsstrafe nicht mehr als fünfzehn Jahre betragen; auch darf die Summe der angedroh­ ten Höchststrafen nicht überschritten werden." 3. §418 erhält folgende Fassung: „Die Vorschriften der §§ 415 bis 417 gelten auch dann, wenn jemand, bevor eine rechtskräftig erkannte Strafe verbüßt oder erlassen ist oder wegen Zeitablaufs nicht mehr vollstreckt werden darf, wegen einer weiteren Tat verurteilt wird." Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 26 vom 7. 3. 2^35 Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ } 6 6 —7,71 des Entwurfs 1. Lesung 2. Buch. 2. Gruppe. Das Verbrechen Zweiter Abschnitt. Die Schuld 1. Titel. Zurechnungsfähigkeit. §§ 3 66 bis 571. 1. § 370. Es wird vorgeschlagen: a) in Abs. 1 als 2. Satz einzufügen: „Die Strafe kann gemildert werden" (§ 413) b) Abs. 3 zu streichen. Begründung: Die der Regelung des Entwurfs zugrunde liegende Unterscheidung zwi­ schen vorübergehender und dauernd verminderter Zurechnungsfähigkeit hat nirgends

Billigung gefunden. Vor allem vom medizinischen Standpunkt ist nachdrücklich darauf hingewiesen worden, daß auch die dauernd vermindert Zurechnungsfähigen — so vor allem die Schwachsinnigen, die in der Kriminalität bekanntlich eine große Rolle spielen — außerstande seien, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Deshalb wird von ärztlicher Seite vorgeschlagen, auch in diesem Falle eine „Kannmilderung" einzuführen. — Vgl. die Eingabe des Professors Dr. Grüble, Universitätsnervenkli­ nik in Bonn vom 31. Oktober 1934. — In der Tat ist nicht recht einzusehen, warum hinsichtlich des Strafmaßes zwischen habituell und akut verminderter Zurechnungsfähig­ keit differenziert werden soll. Das Argument, daß die materiell gerechte Strafe für den habituell vermindert Zurechnungsfähigen innerhalb der von der Kommission in Aussicht genommenen weiten Strafrahmen gefunden werden könne (vgl. 11. Sitzung S. 9, 12 f.), trifft ebenso auf den akut vermindert Zurechnungsfähigen zu. Auch Prof. Gleispach — ursprünglich ein Gegner der Kann-Milderung — hat sich in seinem Antrage B 18 jetzt zu der hier vertretenen Auffassung bekannt. Vgl. auch die Anträge Dürr B 4 S. 3 f. und Mezger B 5 II. Ebenso Antrag Klee B 8 Ziff. 5. Auf demselben Standpunkt stehen auch die Landesjustizverwaltungen von Baden, Zusammenstellung S. 34, Bremen, Zusammenstel­ lung S. 37, Hamburg, Zusammenstellung S. 39. — Im gleichen Sinne äußert sich schließ­ lich der BNSDJ — vgl. Zusammenstellung S. 40. — 2. § 371. Es wird vorgeschlagen, Abs. 2 an dieser Stelle zu streichen. Begründung: Abs. 2 enthält eine selbständige Strafbestimmung und ist deshalb, wie dies wohl auch der Meinung der Mehrzahl der Kommissionsmitglieder entspricht (vgl. Proto­ kolle der 11. und 47. Sitzung), in den Besonderen Teil zu übernehmen. Ob die Bestimmung systematisch in den Abschnitt „Angriffe auf die Volksgesundheit" oder in den Abschnitt „Gemeingefährliche Handlungen" einzuordnen ist, mag zweifelhaft sein. Schwierigkeiten bereitet die Auslegung der Worte „wenn er in diesem Zustande eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht". Die Frage ist, ob hiernach schon die Verwirklichung des äußeren Tatbestandes einer strafbaren Handlung genügt; dies könnte dazu führen, daß der Täter u. U. schärfer bestraft werden würde, als wenn er nüchtern gewesen wäre (Beispiel: fahrlässige Sachbeschädigung!), vgl. hierzu Ruisinger, Strafr. Abhdlgen Heft 263 S. 95, 105; Begr. Entw. 27 S. 190. 2. Titel. Schuldformen. §§ 372 bis 377 1. § 372. Es wird vorgeschlagen, Abs. 3 zu streichen. Begründung: Abs. 3 wiederholt — nur mit anderen Worten — den Inhalt des Absatzes 2. Der Vorschlag deckt sich mit den Vorschlägen des BNSDJ und Oldenburgs (vgl. Zusam­ menstellung S. 42). Ebenso Antrag Dürr B 4 S. 5, Antrag Klee B 8 Ziff. 8. 2. § 373. Es wird vorgeschlagen a) Abs. 1 und 2 wie folgt zu fassen: „Vorsätzlich handelt, wer die Tat mit Wissen und Willen begeht und sich dabei bewußt ist, Unrecht zu tun oder gegen ein Gesetz zu verstoßen. Vorsätzlich handelt auch, wer es zwar nur für möglich hält, aber doch in Kauf nimmt, daß er den Tatbestand verwirklicht und Unrecht tut oder gegen ein Gesetz verstößt." b) Abs. 3 die folgende Fassung zu geben: „Hat der Täter irrtümlich angenommen, seine Tat verstoße nicht gegen ein Gesetz oder er tue nicht Unrecht, so ist dieser Irrtum unbeachtlich, wenn er mit der gesunden Volksanschauung über Recht und Unrecht unvereinbar ist." Begründung: Zu a) Die vorgeschlagene Fassung enthält keine materielle Änderung des Entwurfs. Sie soll lediglich die Zweifel ausräumen, die hinsichtlich des Begriffs des „In-Kaufnehmens" in Abs. 1 und Abs. 2 des § 373 des Entwurfs entstanden sind, vgl. hierzu Zusammenstellung S. 42 ff., Antrag Gleispach B 18 S. 3 f. Ein Vorzug der vorge-

schlagenen Fassung wird auch in der klareren Begriffsbestimmung des bedingten Vorsat­ zes (Abs. 2) gesehen werden können. Der Begriff des dolus eventualis war nach der bisherigen Fassung nur aus Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 zu entnehmen. Zu b) Die vorgeschlagene Fassung dient der Verdeutlichung. Sie soll in einer auch dem Laien verständlichen Form zum Ausdruck bringen, in welchen Fällen ein Irrtum des Täters über Recht und Unrecht vom Richter nicht zu beachten ist. Diese Allgemeinverständlich­ keit ließ die bisherige Fassung des Abs. 3 vermissen. Da das materielle Unrechtsbewußt­ sein nach dem Vorschlage des Entwurfs zum Schuldbegriff gehört, bedarf es im übrigen keiner ausdrücklichen Regelung des Irrtumsproblems im Rahmen des Gesetzes. Vgl. u. Ziff. 4. Zu erwägen wäre auch, § 373 Abs. 3 in der vorgeschlagenen Fassung als besondere Vorschrift an Stelle des — zu streichenden — § 377 des Entwurfs zu setzen. In diesem Falle wäre der in Ziff. 3 zu § 375 vorgeschlagene Satz „§ 373 Abs. 3 bleibt unberührt" fortzulas­ sen. 3. § 375. Es wird vorgeschlagen: a) Abs. 3 und 4 wie folgt als Abs. 2 zusammenzufassen: Fahrlässig handelt auch, wer aus demselben Grunde nicht erkennt, daß er Unrecht tut oder gegen ein Gesetz verstößt. §373 Abs. 3 bleibt unberührt. Ist fahrlässiges Handeln nicht mit Strafe bedroht, so wird der Täter mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft. Die Strafe darf jedoch nach Art und Maß nicht schwerer sein, als die für die vorsätzliche Begehung der Tat angedrohte Strafe. Die Verfolgung tritt nur auf Verlangen oder mit Zustimmung ein, wenn die vorsätzlich begangene Tat nur auf Verlangen oder mit Zustimmung verfolgt wird. b) Abs. 2 (Leichtfertigkeit) wird Abs. 3. Begründung: Der Vorschlag hat nur redaktionelle Bedeutung. Der Satz: „§ 373 Abs. 3 bleibt unberührt" dient lediglich der Klarstellung. Der Ausdruck: „Fahrlässige Begehung" ist durch „fahrlässiges Handeln" ersetzt worden, um Schwierigkeiten, die sich aus dem Täterbegriff ergeben könnten, zu vermeiden. 4. § 3 77. Es wird vorgeschlagen, die Bestimmung zu streichen. Begründung: § 377 Abs. 1 ist entbehrlich. Sein Inhalt ergibt sich ohne weiteres aus dem Schuldbegriff. Vgl. auch Antrag Gleispach B iS S. 6; ferner Protokoll der 13. Sitzung S. 2, 19. Ebenso folgt die Regelung des Abs. 2 schon aus allgemeinen Erwägungen (Schluß a maiore ad minus) und kann daher fortfallen. Gegen Streichung des Abs. 2 vgl. insbes. Baden Zusammenstellung S. 49. Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 27 vom 8. 3. 1935 Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 378 — 3 80 des Entwurfs 1. Lesung

2. Buch. 2. Gruppe. 3. Abschnitt. Der Ausschluß von Unrecht und Schuld. §§ 378 bis 380. 1. § 378. Es wird vorgeschlagen, die Bestimmung wie folgt zu fassen: Notwehr ist diejenige Verteidigung, die nach gesunder Volksanschauung erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder anderen abzuwenden. Wer Notwehr übt, handelt nicht rechtswidrig. Hat der Täter die der Notwehrhandlung gezogenen Grenzen überschritten, so kann die Strafe gemildert werden (§ 413); in besonderen Ausnahmefällen kann das Gericht von Strafe absehen. Begründung: Der Entwurf orientiert in § 378 Abs. 1 die Frage, ob ein Notwehrrecht gegeben sei, an der „Erforderlichkeit" der Abwehrhandlung. In Abs. 2 wird für die Frage,

in welchen Fällen die Notwehrhandlung rechtmäßig ist, das Merkmal des „Gebotenseins" verwandt. Abs. 3 stellt für die Frage der Überschreitung eines an sich gegebenen Notwehr­ rechts auf die „gesunde Volksanschauung" ab. Die Differenzierung dieser drei normativen Tatbestandselemente könnte leicht den Eindruck entstehen lassen, als ob der Maßstab der gesunden Volksanschauung nur im Bereich des Notwehrexzesses von Bedeutung sei. Das wäre weder erwünscht, noch würde es dem Ergebnis der Beratung entsprechen. Die Strafrechtskommission ist vielmehr davon ausgegangen (vgl. Prot. d. 13. Sitzung S. 24 ff.), daß sowohl das Merkmal der „Erforderlichkeit" in Abs. 1 als auch das Merkmal des „Gebotenseins" in Abs. 2 nach der „gesunden Volksanschauung" ausgerichtet werden müsse. Unter diesen Umständen erscheint es angebracht, den Maßstab der gesunden Volksanschauung bereits in Abs. 1 aufzuführen, so daß er in Abs. 3 überflüssig wird, und in Abs. 2 das Merkmal des „Gebotenseins" überhaupt zu streichen. Auf diese Weise wird Abs. 2 auf eine bloße Ansage über die Frage der Rechtmäßigkeit beschränkt, was durch die Neufassung unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden soll. In Abs. 3 ist statt „Notwehr" das Wort „Notwehrhandlung" eingefügt worden, um klarzustellen, daß es sich hier nicht etwa um die N o tw eh r/^ handelt. 2. § 37p. Es wird vorgeschlagen, die Bestimmung wie folgt zu fassen: Der Notwehr steht es gleich, wenn jemand ein fremdes Tier verletzt oder tötet, oder eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch das Tier oder die Sache drohende gegenwärtige Gefahr von sich oder anderen abzuwenden, sofern eine solche Einwirkung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Begründung: Im Gegensatz zu § 378, der einen „gegenwärtigen" Angriff voraussetzt, verwendet § 379 des Entwurfs im Hinblick auf § 228 BGB den Begriff der „drohenden" Gefahr. Die herrschende Lehre folgert aus dieser verschiedenen Wortfassung, daß die Sachnotwehr an weniger strenge zeitliche Voraussetzungen geknüpft sei als die eigentli­ che Notwehr (Reichsgerichtsräte-Komm. § 228 Anm. 3). Die Aufrechterhaltung dieses Unterschiedes im künftigen Recht erscheint nicht gerechtfertigt. Die Übereinstimmung mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts kann durch eine im Einführungsgesetz vorzusehende Angleichung des § 228 BGB an die strafrechtliche Sachnotwehr hergestellt werden. Es widerspricht deutscher Rechtsauffassung, das Tier unter den Sachbegriff zu subsu­ mieren. Aus diesem Grunde ist schon im Entwurf das „Tier" neben der „Sache" ausdrück­ lich erwähnt worden. Der Hervorhebung des richtigen Wertverhältnisses dient die Voran­ stellung (Streichung des Satzes 2). Diese Umstellung macht es erforderlich, in dem Final­ satz die Angriffssubjekte zu wiederholen und in den Bedingungssatz die Verletzung oder Tötung eines Tieres, sowie die Beschädigung oder Zerstörung einer Sache unter dem gemeinsamen Oberbegriff der „Einwirkung" zusammenzufassen. 3. § 3 80. Es wird vorgeschlagen, die Bestimmung wie folgt zu ändern: a) In Abs. 1 treten an die Stelle der Worte „den Schaden zu dulden" die Worte „daß er den Schaden duldet." b) In Abs. 3 treten an die Stelle der Worte „nur zulässig oder entschuldbar" die Worte „nur rechtmäßig oder entschuldigt". c) In Abs. 3 sind jeweils die Worte „Ehre" zu streichen. d) In Abs. 4 treten an die Stelle der Worte „Grenzen des Notstandes" die Worte „die der Notstandshandlung gezogenen Grenzen". Begründung: Die Vorschläge zu a) und b) betreffen nur sprachliche Änderungen. Vgl. auch Antrag Leimer B 10. Zu c) Erhebliche Einwirkungen auf Leib oder Leben zum Schutze der Ehre unter den Voraussetzungen des Notstandes schlechthin für rechtmäßig oder entschuldigt zu erklä­ ren, würde zu Ergebnissen führen, die von der Strafrechtskommission kaum gewollt sein

können. Leib, Leben auf der einen und Ehre auf der anderen Seite sind nicht unter allen Umständen kompensationsfähige Güter. Andererseits sind Einwirkungen auf die Ehre zum Schutze von Leib oder Leben oder zur Abwendung gemeiner Gefahr schwerlich denkbar. Jedenfalls dürfte insoweit § 295 Abs. 2 des Entwurfs (Verfolgung berechtigter Zwecke) ausreichen. Zu d) vgl. Begründung zu Ziff. 1 Abs. 2. Das in der 50. Sitzung der Strafrechtskommission angeschnittene Problem des Notstan­ des als eines persönlichen Rechtfertigungsgrundes ist offengelassen worden.

Anträge zur zweiten Lesung. Nr. B 28 vom 11. 3. 1935 Weitere Anträge des Ministerialdirektors Dr. Dürr zu §§ 358 — 365 (Die Straftat) des Entwurfs 1. Lesung

Folgende Fassung des Abschnitts wird vorgeschlagen: § 3 5 8 . Begehung einer Straftat

Eine Straftat begeht, wer sie selbst ausführt oder zu ihrer Ausführung durch Beihilfe, Anstiftung oder auf sonstige Weise mitwirkt. Wenn jemand einen anderen nur unterstüt­ zen will, ihm nur Hilfe leistet und sein Handeln nur geringe Stärke oder Festigkeit des verbrecherischen Willens zeigt, kann die Strafe gemildert werden (§ 413). Strafbar ist schon, wer eine Straftat mit dem Willen beginnt, sie selbst zu vollenden oder zu ihrer Vollendung mitzuwirken. Eine Straftat wird auch durch Handlungen begonnen, durch die der Täter nach dem Sachverhalt, den er sich irrig vorstellt, die Straftat begehen würde. Die Strafe kann jedoch gemildert werden (§ 413). Hat der Täter aus grobem Unverstand irrig angenommen, daß sein Handeln zur Vollen­ dung einer Straftat führen könne, so kann das Gericht die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen. § 359. Strafbares Unterlassen

Wer es einer Rechtspflicht zuwider unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, wird bestraft, wie wenn er den Erfolg herbeigeführt hätte. Die Strafe kann jedoch gemildert werden (§ 413)-

Wer durch sein Tun die Gefahr herbeigeführt hat, daß ein bestimmter Erfolg eintritt, ist verpflichtet, den Erfolg abzuwenden. § 360. Erfolgloses Auffordern oder Anreizen

Wer einen anderen zur Begehung einer mit dem Tod oder mit Zuchthaus bedrohten Straftat auffordert oder anreizt, ohne daß dieser die Straftat auch nur beginnt, kann milder bestraft werden (§ 413). Im übrigen bleibt das erfolglose Auffordern oder Anreizen zu einer Straftat straflos, soweit im Gesetz nicht anderes bestimmt ist. § 3 6 1 . Anerbieten zu einer Straftat

Wer sich einem anderen gegenüber zur Begehung einer mit dem Tod oder mit Zucht­ haus bedrohten Straftat erbietet oder sich auf das Ansinnen eines Anderen hierzu bereit erklärt oder wer das Anerbieten eines anderen zu einer solchen Straftat annimmt, wird wie ein Täter bestraft; doch kann die Strafe gemildert werden (§ 413).

§ }6i. Verabredung einer Straftat Wer mit einem anderen eine mit dem Tode oder mit Zuchthaus bedrohte Straftat verabredet oder in Verhandlungen eintritt, die den ernsthaften Willen zur Begehung einer solchen Straftat erkennen lassen, wird wie ein Täter bestraft; doch kann die Strafe gemil­ dert werden (§ 413). §36). Tätige Reue Wenn der Täter freiwillig und endgültig die Durchführung der Straftat aufgibt und bei Beteiligung mehrerer die Vollendung der Straftat verhindert, so kann das Gericht die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen. Das gleiche gilt, wenn der Täter freiwillig und endgültig den Erfolg abwendet. Wenn ohne Zutun des Täters die Durchführung der Straftat unterbleibt oder der Erfolg nicht eintritt, so genügt sein freiwilliges und ernstliches Bemühen, die Vollendung der Straftat oder den Erfolg zu verhindern. § 364. Besondere Eigenschaften oder Verhältnisse Wird die Strafbarkeit einer Tat durch besondere Eigenschaften oder Verhältnisse be­ gründet, so genügt es zur Strafbarkeit aller Täter, wenn die Eigenschaften oder Verhält­ nisse bei einem von ihnen vorliegen. Die Strafe dessen, bei dem sie nicht vorliegen, kann gemildert werden (§ 413). Bestimmt das Gesetz, daß besondere Eigenschaften oder Verhältnisse die Strafe schär­ fen, mildern oder ausschließen, so gilt dies nur für den Täter, bei dem sie vorliegen. Handelt der Täter als Organ, Vertreter oder Angestellter für einen anderen in Ausfüh­ rung der ihm übertragenen Verrichtungen, so sind ihm die besonderen Eigenschaften oder Verhältnisse dessen, für den er handelt, zuzurechnen. § 363. Vertreterhaftung Handelt der Täter für einen anderen, insbesondere als Organ, Vertreter oder Angestell­ ter einer juristischen oder natürlichen Person, so steht dieser Umstand seiner Bestrafung nicht entgegen. § 363 a. Ort und Zeit der Straftat Eine Straftat ist an jedem.Ort begangen, wo ihr Tatbestand ganz oder teilweise verwirk­ licht wurde oder verwirklicht werden sollte. Eine Straftat ist zu der Zeit begangen, zu der der Täter handelte oder im Falle des Unterlassens hätte handeln sollen. Wann der Erfolg eintritt, ist nicht maßgebend, sofern im Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Begründung: Die Anträge lehnen sich an die Anträge B 20 an. Die Anträge B 20 bringen den in der ersten Lesung herausgearbeiteten Gedanken des Willens Strafrechts noch nicht ganz klar und unmißverständlich zum Ausdruck. Sie unter­ scheiden mit starker Anlehnung an das geltende Recht zwischen Vollendung und Beginn einer Straftat. Zu beanstanden ist auch, daß wie im Entwurf 1. Lesung der Schuldbegriff in die Begriffsbestimmungen der §§ 358 und 360 (nicht auch in die des § 359) aufgenommen und damit dem § 372 vorgegriffen ist. Übrigens müßte auf alle Fälle in § 358 Abs. 1 das Wort „schuldhaft" so gestellt werden, daß es sich auch auf die zweite Alternative bezieht. In § 358 Abs. 2 (Fassung nach B 20) kann die Zerlegung der Voraussetzungen der Strafmilderung in zwei Konditionalsätze vermieden werden. Gegenüber § 360 (Fassung nach B 20) scheint mir die von mir in den Anträgen B 20 vorgeschlagene Fassung (§ 363) den Vorzug zu verdienen, weil besser das Unterlassen dem Handeln, nicht der Unterlassende dem Handelnden gleichgestellt wird.

Gegenüber Abs. 2 des § 361 (Fassung nach B 20) habe ich Bedenken, weil darin ein Stück der überwundenen Akzessorietät steckt. Für den Gehilfen wird genau so wie für den Alleintäter und den Mittäter nach § 358 Abs. 2 meines Vorschlags (= § 359 Abs. 1 nach B 20) die Abgrenzung zwischen Vorbereitungshandlung und Tathandlung vorgenommen werden müssen. Wird Abs. 2 des § 361 (Fassung nach B 20) gestrichen, so kann in der Überschrift der Gebrauch der Worte „Anstiftung und Beihilfe" vermieden werden. Die Anträge B 20 unterstellen schon das erfolglose Auffordern und Anreizen der allgemeinen Vorschrift über die tätige Reue. Man kann diese Vorschriften durch Umstel­ lung auch auf das Erbieten zu einer Straftat und die Verabredung einer Straftat ausdehnen. Weil bei tätiger Reue nur die Strafe gemildert oder von Strafe abgesehen werden kann, ist es nicht nötig, durch das Wort „insoweit", das einem Nichteingeweihten kaum ver­ ständlich ist, darauf hinzuweisen, daß die Strafbarkeit nach anderen Vorschriften unbe­ rührt bleibt. Die §§ 365 bis 365 b (Fassung nach B 20) stehen in engstem inneren Zusammenhang. Sie sollten deshalb auch räumlich einander angereiht werden. Dabei kann Abs. 2 des § 365 b in § 365 übernommen werden. In § 365 b ist Abs. 3 entbehrlich, weil eine Personenvereinigung, die nicht juristische Persönlichkeit hat, eine Mehrheit natürlicher Personen ist, Abs. 1 aber juristische und natürliche Personen nebeneinander aufführt.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 2 9 vom 11. 3. 1933 Weitere Anträge des Ministerialdirektors Dr. Dürr zum vierten Abschnitt: §§ 4 2 7 —432 (Maßregeln der Sicherung und Besserung) des Entwurfs 1. Lesung

1. Hinter § 427 ist folgende Vorschrift einzufügen: § 427 a. Selbständige Anordnung der Unterbringung Ist in den Fällen der §§ 425, 426 und 427 Abs. 2 die Verurteilung zu einer Strafe wegen des Mangels einer Verfahrensvoraussetzung oder wegen eines Verfahrenshindernisses nicht möglich, so kann das Gericht die Unterbringung allein anordnen. Begründung: Die Anträge B 24 sehen eine entsprechende Vorschrift für die Strafverfah­ rensordnung vor. Die Vorschrift gehört aber in das Strafgesetzbuch. 2. Die §§ 428 und 429 erhalten folgende Fassung: § 428. Dauer der Unterbringung Die Unterbringung dauert so lange, als ihr Zweck es erfordert. Die erstmalige Unterbringung in einem Arbeitshaus, in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt darf nicht länger als 2 Jahre dauern. Im übrigen ist die Dauer der Unterbringung zeitlich nicht begrenzt. Das Gericht hat aber vor Ablauf einer Frist zu prüfen, ob der Zweck der Unterbringung erreicht ist. Die Frist beträgt bei der Sicherungsverwahrung und bei der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt 3 Jahre und bei der wiederholten Unterbringung in einem Arbeitshaus, in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt 2 Jahre. Ergibt die Prüfung, daß der Zweck der Unterbringung erreicht ist, so hat das Gericht die Entlassung des Unterge­ brachten anzuordnen. Auch während des Laufs der in Abs. 2 und 3 bestimmten Fristen kann das Gericht jederzeit prüfen, ob der Zweck der Unterbringung erreicht ist. Wenn das Gericht dies bejaht, hat es die Entlassung des Untergebrachten anzuordnen. Die Fristen laufen vom Beginn des Vollzugs an. Lehnt in den Fällen des Abs. 3 das Gericht die Entlassung ab, so beginnt mit der Entscheidung der Lauf der Frist von neuem.

§ 4-2-9- Widerruflichkeit der Entlassung Die Entlassung des Untergebrachten ist widerruflich, wenn nicht die erstmalige Unter­ bringung in einem Arbeitshaus, in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsan­ stalt schon 2 Jahre gedauert hat. Diese Höchstdauer darf auch im Falle des Widerrufs nicht überschritten werden. Bei der Anordnung der Entlassung kann das Gericht Schutzaufsicht anordnen oder dem Untergebrachten besondere Pflichten auferlegen. Es kann eine solche Anordnung auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben. Das Gericht widerruft die Entlassung, wenn der Entlassene durch sein Verhalten in der Freiheit zeigt, daß der Zweck der Maßregel seine erneute Unterbringung erfordert. Begründung: Ernst Schultze-Göttingen regt im Bd. II S. 33 des Deutschen Strafrechts an, auch die Dauer der Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsan­ stalt nicht zeitlich zu begrenzen. Die Anregung geht zu weit. Die wiederholte Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt kann aber auf unbestimmte Zeit, solange ihr Zweck es erfordert, zugelassen werden, zumal wenn ein Wechsel der Unterbringungsart (vgl. die folgende Nr. 3) gestattet wird. Schnitze regt ferner an, bei der widerruflichen Entlassung eines Untergebrachten die Anordnung der Schutzaufsicht zu­ zulassen. Nun könnte ja die Anordnung der Schutzaufsicht als Unterart der in § 429 Entw. 1. Lesung vorgesehenen Auferlegung besonderer Pflichten aufgefaßt werden. Der Ent­ wurf erwähnt aber in den §§ 422 und 430 die Anordnung der Schutzaufsicht neben der Auferlegung besonderer Pflichten. Deshalb muß dies auch in § 429 geschehen. Im übrigen sind meine Vorschläge für die Fassung der §§ 428, 429 aus den Anträgen B 4 übernommen. 3. Hinter § 429 wird folgende Vorschrift eingefügt: § 429 a. Wechsel der Unterbringungsart Ergibt sich während des Vollzugs der Unterbringung, daß der Zweck besser durch eine andere der in § 423 Nr. 1 bis 4 bezeichneten Arten erreicht wird, so kann das Gericht diese Art der Unterbringung anordnen, wenn auch die Voraussetzungen für sie vorliegen. Dies gilt nicht bei erstmaliger Unterbringung in einem Arbeitshaus, in einer Trinker­ heilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt. Begründung: Eine entsprechende Vorschrift soll nach den Anträgen B 24 in § 428 Abs. 3 eingefügt werden. An diese Stelle paßt sie aber nicht. Deshalb wird vorgeschlagen, die Vorschrift hinter § 429 einzustellen. 4. Für den Fall, daß eine Vorschrift, wie in Nr. 9 der Anträge B 24 vorgeschlagen, in den Entwurf aufgenommen werden soll, rege ich folgende Fassung an: § 43 2 a. Schließung des Geschäftsbetriebs Hat im Falle des § 432 der Täter den Mißbrauch seines Berufs oder Gewerbes oder die grobe Verletzung der ihm kraft seines Berufs oder Gewerbes obliegenden Pflichten bei Ausführung seiner Verrichtungen als Organ, Vertreter oder Angestellter einer juristischen oder natürlichen Person in deren Geschäftsbetrieb begangen, so kann das Gericht auf die Dauer von mindestens einem und höchstens fünf Jahren die Schließung dieses Geschäfts­ betriebs anordnen, wenn es erforderlich ist, um die Allgemeinheit vor weiterer Gefähr­ dung zu schützen. § 406 gilt entsprechend. Begründung: Es bedarf gründlicher Erörterung, ob die in Nr. 9 der Anträge B 24 vorge­ schlagene einschneidende Maßnahme in das neue Strafgesetzbuch aufgenommen werden soll. Geschieht dies aber, dann muß die neue Vorschrift, wie dies wohl auch beabsichtigt

ist, tatbestandsmäßig mit § 432 verknüpft und in der vorgeschlagenen Weise erweitert werden. Für die Beschränkung der Vorschrift auf Organe oder gesetzliche Vertreter einer juristischen Person ist kein triftiger Grund zu sehen. Die Gründe, die überhaupt für die Vorschrift sprechen, treffen in gleicher Weise zu, ob es sich um eine juristische oder um eine natürliche Person handelt und ob der Täter Organ oder gesetzlicher Vertreter oder ob er rechtsgeschäftlicher Vertreter oder Angestellter ist. Bei der Prüfung, ob die Maßnahme erforderlich ist, um die Allgemeinheit vor weiterer Gefährdung zu schützen, können alle Umstände des einzelnen Falles berücksichtigt werden. Für eine entsprechende Anwendung des § 432 Abs. 2 scheint mir kein Raum zu sein.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 3 0 vom 15. 3. 1935 A ntrag von Professor Dr. M ezger zu dem unter Antrag Nr. B 21 Zijf. 2 vorgeschlagenen § 394 c (Haftbarkeit von Personenvereinigungen)

Zu dem in den Anträgen zur 2. Lesung Nr. B 21 unter Ziff. 2 neu vorgeschlagenen § 394 c über die Haftbarkeit von Personenvereinigungen äußere ich mich wie folgt: Eine Ausdehnung des Körperschaftsdelikts nach dem Vorbild des § 393 (früher § 357) ReichsAbgO (vgl. mein Strafrecht S. 93 mit Lit.) auf das allgemeine Strafrecht ist in den vorstehend genannten Anträgen nicht vorgeschlagen. Sie wäre auch meines Erachtens nicht angezeigt. Dagegen will der neue § 394 c den Gedanken der §§ 416, 417 ReichsAbgO und der andern entsprechenden Strafbestimmungen in Nebengesetzen in das allgemeine Strafge­ setz übernehmen („eine eigenartige, selbständige Unrechtsfolge, nicht Strafe": v. Hippel Strafr. I I 1930 S. 123 Anm. 3). Die Gefahr einer solchen Bestimmung besteht darin, daß sie im fiskalischen Interesse mißbraucht wird und namentlich dort zu Unbilligkeiten führt, wo an der Straftat unbeteiligte Personen für die Verbindlichkeit der Personenvereinigung unbeschränkt haften (insbesondere also in Absatz 2). Ich möchte mich meinerseits nicht grundsätzlich gegen die neu vorgeschlagene Bestim­ mung aussprechen, halte aber einen Zusatz für notwendig, der den Richter ausdrücklich darauf hinweist, im Einzelfall die Wirkung der Haftbarerklärung nach Billigkeitsgrundsät­ zen zu würdigen. Dem entspräche etwa ein Absatz 3 dahingehend: „Die Erklärung darf nur erfolgen, wenn ihre Wirkung auf Personen, die an der Straftat unbeteiligt sind, der Billigkeit entspricht. Sie kann die Haftung auf einen Teil der Strafe, auf bestimmte Vermögensgegenstände oder in anderer Weise beschränken."

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 31 vom 17. 3. 1935 Anträge von Professor Dr. Nagler zu §§ 338 — 361 des Entwurfs 1. Lesung

Zu §§ (362). 338-361 I. Der sog. extensive Täterbegriff befaßt sich unmittelbar mit der Gestaltung der Tatbestandsmäßigkeit und wirkt sich erst vom Tatbestand her, also mittelbar, für die Teilnahme-Regelung aus. Er bringt ja die Erweiterung der im Besonderen Teil entwickelten Einzelverbrechens-Tatbestände auf Grund der extensiven Auslegung, die sich ihrerseits wieder aus der v. Beloi'schen [gemeint ist offensichtlich v. Buri] Kausaltheorie ergibt und die darum bekanntlichdas Reichsgericht —vollends seit Preisgabe der sog. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs — für die Fahrlässigkeitsdelikte in logischer Geschlossenheit durchführt. Die Gesetzgebung hat die Tatbestands-Gestaltung ganz in der Hand. Entschei-

det sie sich für die Ausweitung der Tatbestände, so kann sie dies (wie das Getz'sche Norwegische StGB) im Besonderen Teil von Fall zu Fall durch die wiederkehrende Fassung „Wer bewirkt oder dazu mitwirkt, daß . . oder im Allgemeinen Teil durch eine die Tragweite jeder Einzelverbrechens-Formulierung bestimmende Vorschrift tun. Der zwei­ ten Form gebührt der unbedingte Vorzug. Diese Vorschrift wird am besten an die Spitze des Abschnitts „Straftat" verwiesen. Die Erstreckung der Tatbestandsmäßigkeit auf gewisse Mitwirksamkeiten wirkt auf die Teilnahmeformen insofern zurück, als sich im Umfang der von der Gesetzgebung vollzo­ genen Ausweitung jede besondere Anordnung erledigt. Sie könnte nur als Strafeinschrän­ kung wirken. Der Sache nach freilich werden die Teilnahmeformen (wie z. B. die mittelbare Täterschaft, die Anstiftung) nicht aus der Welt geschafft. Sie sind Realitäten des prakti­ schen Rechtslebens und ihrem Wesen nach von der Gesetzgebung unabhängig. Diese kann nur die Gruppen-Zergliederung durch die Technik der Tatbestands-Gestaltung über­ flüssig machen und ihr sich selbst entziehen. Die Tatbestands-Erweiterung durch die extensive Täterfassung stellt alle Beteiligte unter denselben Strafsatz (die sog. Täterstrafe). Diese Gleichbehandlung bietet die bekann­ ten Vorteile der Vereinfachung. Aber sie bedeutet nur soweit, als der Unrechtsgehalt der hinzukommenden Beteiligungen annähernd der gleiche wie bei der echten Täterschaft ist, einen wirklichen, reinen Gewinn. Die Extensivierung wird jedoch überspannt und ist verfehlt, sobald diese Voraussetzung entfällt. Dies trifft für die Gehilfschaft zu; denn ihr Unrechts wert liegt durchschnittlich unter dem der Täter- und Urheberschaft und sinkt im umgekehrten Verhältnis zur Nähe und Wahrscheinlichkeit des Taterfolges. Es wäre die Einbeziehung der Beihilfe — zumal wenn die erfolglose Beihilfe (= versuchte Haupttat) gemäß § 358 unter die Vollstrafe fallen sollte — nur dann tragbar, wenn die Strafrahmen nach unten einen genügenden Auslauf bieten. Mithin müßte das bisher angestrebte Sy­ stem hochgehaltener Mindeststrafen geopfert werden. Mit dieser Preisgabe wird kaum zu rechnen sein. Dann aber bleibt nur die technische Trennung der Beihilfe von der Täterund Urheberschaft übrig. Für die Beihilfe muß der mildere Strafrahmen (§ 413) verfügbar sein. Diese Lösung (die sog. Verwertung der Gesetzgebung) entspricht grundsätzlich der bisherigen deutschen Tradition. Nur darf — da Behilfefälle von voller Täterschwere vor­ kommen — die Milderung nicht obligatorisch sein. Ob man für die Gehilfschaft I. zunächst die Täterstrafe vorsieht und dem Gericht die fakultative Strafmilderung anheimgibt oder 2. als Regelstrafe die Milderung formuliert und dem Gericht den Rückgriff auf die Täterstrafe ausnahmsweise gestattet, läuft im praktischen Ergebnis ungefähr auf dasselbe hinaus. Die zweite Variante dürfte deshalb vorzuziehen sein, weil die typischen Fälle die Führung haben müssen. II. zu §358. Ob das Gesetz die Tatbestände des Besonderen Teils (soweit nichts Gegenteiliges bestimmt wird) auch um den Versuch erweitern, also auch insoweit auf jede Verwertung verzichten soll, hängt von der Grundentscheidung über das sog. Willensstraf­ recht ab. Bisher bildet die Gleichstellung von Beginn (Versuch) und Vollendung ihr Kernstück. Trennt man Urheber- und Gehilfschaft, so hat sich dies auch in § 358 widerzu­ spiegeln. Meines Erachtens sollte die erfolglose (nur versuchte) Unterstützung ebenso straflos bleiben wie die versuchte fahrlässige Beihilfe. III. zu § 3S9 (unechte Unterlassung). Auch hier handelt es sich (wie zu I und II) um die Ausweitung der im Besonderen Teil formulierten Tatbestände, nämlich durch Gleichset­ zung gewisser Passivitäten mit dem aktiven Handeln. Dies muß schon in der Fassung zum Ausdruck kommen. Auch ist der Erfolg als rechtswidrig (und eigentlich auch als tatbe­ standsmäßig) zu kennzeichnen. IV. zu § 360. Das Rücktritts-Problem tritt auch bei §§ 364, 365 auf. Daher empfiehlt es sich, den § 360 an das Ende des Abschnitts zu rücken.

Das „insoweit" in Abs. x wirkt störend und ist für den Nichtjuristen kaum verständlich. Es muß aber der qualifizierte Versuch ausdrücklich vorbehalten werden, sollen künftige Auslegungsschwierigkeiten abgeschnitten werden. Ich schlage daher einen 3. Absatz vor. Ist übrigens § 360 auch für die sog. Versuchsdelikte anwendbar? V. zu § 361. In Abs. 1 am Ende ist die Wendung „oder verwirklichen sollte" zu bean­ standen. Sie läuft auf eine reine Fiktion hinaus. Die in der äußeren Wirklichkeit liegende Begehungsfrage hat mit dem Willensstrafrecht nichts zu tun; dieses trifft ja nur die innere Schuldfrage. Hat die Willensverwirklichung begonnen, aber sich nicht voll durchgesetzt, so ist die Straftat eben nur dort, wo sich der Wille verkörperte, wirklich begangen worden. Wohl aber war des Unterlassungsdelikts zu gedenken. In Abs. 2 ist „spätestens" einzuschalten. Vorschläge: §358a (bisher § 362). Die Straftat begeht, wer sie schuldhaft ausführt oder ihre Ausfüh­ rung durch einen anderen bewirkt. Wer die Begehung der Straftat durch einen anderen vorsätzlich erleichtert, wird als Gehilfe milder bestraft (§ 413). Doch kann das Gericht in besonders schweren Fällen die Milderung versagen. Die Strafbarkeit jedes an der Straftat Beteiligten ist von der Strafbarkeit der anderen Beteiligten unabhängig. §358. Die Straftat begeht auch, wer sie mit dem Vorsatz, sie voll durchzuführen, beginnt. Sie wird auch durch Handlungen begonnen, wodurch der Handelnde nach den Um­ ständen, die er sich irrig vorstellt, die Straftat begehen würde. Die Strafe kann jedoch gemildert werden (§ 413). Hat der Handelnde aus grobem Unverstand irrig angenommen, daß er die Straftat vollenden könnte, so kann das Gericht die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen. § 359. Der Handlung steht das Unterlassen gleich, soweit eine rechtliche Verpflichtung besteht, den Eintritt eines rechtswidrigen Erfolgs zu verhindern. Insbesondere ist, wer durch sein Handeln die Gefahr eines rechtswidrigen Erfolgs herbeiführt, verpflichtet, diesen Erfolg abzuwenden. Die Strafe kann gemildert werden (§ 413). § 360. Wenn der Handelnde freiwillig und endgültig die weitere Durchführung der begonnenen Straftat oder den drohenden Erfolg abwendet, so kann das Gericht die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen. Wenn ohne Zutun des Handelnden die Durchführung der Straftat unterbleibt oder der Erfolg nicht eintritt, so genügt sein freiwilliges und ernstliches Bemühen, die Durchfüh­ rung der Straftat oder den Erfolg zu verhindern. Das Absehen von der Strafe der begonne­ nen Straftat hindert nicht die Bestrafung wegen der darin enthaltenen, bereits vollendeten weiteren Straftaten. §361. Die Straftat ist an den Orten begangen, wo ihr Tatbestand ganz oder teilweise verwirklicht worden ist oder wo im Falle des Unterlassens hätte gehandelt werden sollen. Die Straftat ist zu der Zeit begangen, zu der gehandelt wurde oder im Falle des Unterlassens spätestens hätte gehandelt werden sollen. Sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt, kommt es auf den Eintritt des Erfolgs nicht an.

Anträge zur 2. Lesung Nr. B 32 vom 18. 3 . 1935 Anträge von Professor Dr. Nagler zu §§ 3 8 1 ,3 8 2 des Entwurfs 1. Lesung Zu §§ 381/382 Nachdem die Entscheidung im Sinne der rein prozessualen oder Gnadennatur der Verjährungsformen getroffen worden ist, kann es sich nur noch fragen, ob die Fehlanzeige mit Ausgabe der Adreßsteile (§§ 381 f.) ins StGB aufgenommen werden soll oder nicht. Ich wäre für gänzliche Streichung, habe aber gegen die Belassung der Verweisung nichts Grundsätzliches einzuwenden. Die W endungen „rechtskräftig erkannte Strafe" und „rechtskräftig angeordnete M aßre­ gel" scheinen mir sachgemäß zu sein. Auch sonst würde ich die jetzige Fassung der §§ 381 f. nicht beanstanden. Daß der Grundgedanke des § 82 des Referentenentwurfs in dem Entwurf einer Straf­ verfahrens-O rdnung nicht wiederkehrt, bedaure ich.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 33 vom 18. 3. 1933 Anträge von Professor Dr. Nagler zu §§ 413 —419 des Entwurfs 1. Lesung Zu § § 4 1 3 -4 1 9 I. Die Entscheidung ist im Sinne der grundsätzlichen Gleichbehandlung der Ideal- und Realkonkurrenz gefallen (Einheitsstrafe) — allerdings in Erwartung entscheidender Mit­ hilfen des künftigen Verfahrensrechts. Hält man an dieser Ausgangsstellung fest, so haben die §§ 415 ff. nur einige redaktionelle Änderungen im Interesse des einheitlichen Sprach­ gebrauchs zu erfahren: in § 415 statt „Taten" — Straftaten, in § 418 statt „Rechtsverletzung" — Straftat. II. Die gelegentlich angeregte Festlegung des Begriffs der Gesetzeskonkurrenz ist z. Zt. noch verfrüht, da die Entwicklung der Konsumtion noch nicht abgeschlossen ist. III. Dagegen besteht ein Bedürfnis, die fortgesetzte Handlung, um deren begriffliche Erfassung z. Zt. noch lebhaft und ohne Aussicht auf baldige Einigung gekämpft wird, zu definieren. Im Anschluß an frühere Partikularrechte und an die Preußische Denkschrift (S. 123) schlage ich zu § 419 als Abs. 2 vor: „Eine fortgesetzte Handlung ist anzunehmen, wenn der Handelnde dasselbe Rechtsgut unter Ausnutzung derselben Gelegenheit oder desselben dauernden Verhältnisses oder in A usführung desselben Entschlusses in zeitli­ chem Zusammenhang wiederholt verletzt hat."

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 34 vom 22. 3. 1939 A ntrag des Staatssekretärs Dr. Freister zu §§ 3 4 3 ,3 4 6 des Entwurfs 1. Lesung Im Zweiten Buch Erste Gruppe dem ersten Abschnitt folgende Fassung zu geben: Erster Abschnitt. Das Recht als Grundlage der Bestrafung. (evtl.: Recht und Gesetz als Grundlage der Bestrafung.) §349. Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn das Recht und die gesunde Volksanschau­ ung es verlangen.1 1 Während der Debatte ist § 345 Abs. 1 so berichtigt worden: Wer Unrecht tut, wird bestraft, wenn das Recht es verlangt.

Dies ist der Fall, wenn ein Gesetz die Tat für strafbar erklärt; doch erfolgt keine Bestrafung des Täters, der zwar gesetzwidrig handelte, aber nicht Unrecht tat. Bestraft wird auch, wer eine unrechte Tat begeht, die zwar im Gesetz nicht mit Strafe bedroht ist, nach dem einem gesetzlichen Tatbestand zu Grunde liegenden Rechtsgedan­ ken und gesunder Volksanschauung aber Bestrafung verdient. Die Bestrafung erfolgt in diesem Falle aus dem Gesetz, das der auf die Tat zutreffendste Ausdruck dieses Rechtsge­ dankens und der die Bestrafung fordernden Volksanschauung ist. § 346. Der Richter darf bei der Prüfung, ob eine Tat nach dem Gesetz strafbar ist, wie bei der Gesetzesanwendung überhaupt, nicht am Wortlaut des Gesetzes haften, sondern muß dessen Sinn und Zweck entscheiden. Sinn und Zweck hat er außer aus dem Gesetze selbst aus den ihm zu Grunde liegenden Rechtsgedanken, der gesunden Volksanschauung und den Kundmachungen des Führers zu ermitteln. § 346a. Wahlfeststellung. Fest steht, daß jemand gegen eines von mehreren Strafgesetzen verstoßen hat, ist aber nur eine wahlweise Tatsachenfeststellung möglich, so ist er aus dem den Täter am gerechtesten treffenden Gesetze zu bestrafen. Steht fest, daß der Täter gegen ein bestimmtes Strafgesetz verstoßen hat, kann jedoch nicht festgestellt werden, welche von mehreren in Frage kommenden und feststehenden Handlungen dieses Strafgesetz verletzt hat, so erfolgt die Bestrafung aus dem verletzten Strafgesetz.

Anträge zur 2. Lesung. Antrag B 33 vom 2 /. 3. 1935 Vorschlag von Professor Dr. Kohlrausch zur Täterschaft

§ 1. Täter ist, wer den Tatbestand einer strafbaren Handlung selber oder dadurch verwirklicht, daß er ganz oder teilweise andere für sich handeln läßt. Der Annahme seiner Täterschaft steht nicht entgegen, daß unabhängig von ihm auch andere zur Herbeiführung des Erfolgs (richtiger: zur Verwirklichung des Tatbestands) beigetragen haben. § 2. Wer, ohne als Täter zu handeln, veranlaßt, daß ein anderer widerrechtlich den Tatbestand einer strafbaren Handlung verwirklicht, wird als Anstifter bestraft. Die Strafe bestimmt sich nach dem Gesetz, das für den Täter gilt. § 3. Wer, ohne Täter zu sein, die Tat eines andern unterstützt, wird als Gehilfe bestraft. Die Strafe bestimmt sich nach dem Gesetz, das für den Täter gilt, kann aber gemildert werden. §4. Wenn das Gesetz eine Strafe aus Gründen, die in der Person des Handelnden liegen, erhöht oder vermindert, so gilt das nur für den Beteiligten, bei dem diese Gründe vorliegen. Begründung: 1. Die Vorschläge suchen den Grundsatz, daß jeder für sein Tun, nicht für fremdes, bestraft wird, so weit als möglich durchzuführen. In 1. Lesung wollte das auch die Kommission. Das Ergebnis war aber keine Erweiterung, sondern eine Einengung des Täterbegriffs. Nämlich: a) Während jetzt mittelbare Täterschaft, Mittäterschaft, Nebentäterschaft selbständig be­ urteilt werden können, werden sie nach dem Komm.Entw. akzessorisch. b) Während jetzt Anstiftung und Beihilfe strengste Akzessorietät voraussetzen (die Haupttat muß nicht nur tatbestandmäßig und rechtswidrig, sondern auch schuldhaft sein), fordert der KEntw. nur noch eine auf Rechtswidrigkeit begrenzte Akzessorietät. Taten, die also heute als mittelbare Täterschaft angesehen werden, werden zu Anstif­ tung und Beihilfe.

2. Durch die Fassung des § 1 („andere für sich handeln läßt") soll gesagt werden, daß der durch andere Handelnde nur dann Täter ist, wenn diese „für ihn" handeln, wenn er also die Tat als die seine will. Die Anstiftung zum Selbstmord fällt also nicht darunter, wohl aber der Fall Hilde Hofeld1, bei dem das Gericht Mordversuch nur wegen der inneren Abhängigkeit des Kindes vom Vater angenommen hat. 3. § i II soll sicherstellen, daß die freie und vorsätzliche Handlung eines anderen den Kausalzusammenhang nicht unterbricht. 4. Nur für den Rest der Fälle bleiben Anstiftung und Beihilfe nötig, nämlich für Absichtsdelikte, Sonderdelikte, reine Tätigkeitsdelikte, eigenhändige Delikte (soweit man die letzteren beiden anerkennt). Erforderlich, aber auch genügend ist hier eine auf die objektive Rechtswidrigkeit beschränke Akzessorietät. § 3 ist außerdem nötig für Fälle des § 1, wenn der Tätervorsatz fehlt (Begr. Nr. 2). 5. Der § 4 entspricht dem jetzigen § 50. Die Nennung auch der strafbegründenden und strafausschließenden Verhältnisse (so Komm. Entw. § 363) ist hier überflüssig; sie wäre auch falsch. Auch im Entw. führt sie zu schiefen Ergebnissen. 6. Kritisch: Die Vorschläge der Herren Sachbearbeiter sowie der Herren Dürr, Klee und Thierack führen m. E. zu einem engeren Täter- und weiteren Teilnehmerbegriff, als das geltende Recht. Den Vorschlägen der Herren Mezger und Nagler steht mein Vorschlag nahe. Auch diese aber stehen m. E. für die Regelfälle noch zu stark unter dem Banne des Mitwirkens bei fremder Tat, während sie ungeregelt die Fälle lassen, wo nur der Mitwir­ kungsgedanke zur Straftat führt: siehe oben Begr. Nr. 4. 7. Mein Vorschlag geht davon aus, daß grundsätzlich das Gesetz die Grundlage der Bestrafung bildet. Von da aus scheint mir der Ausdruck „Verwirklichung des Tatbestands" unentbehrlich zu sein, da es nötig ist, irgendwie das bloße Tatbild zu bezeichnen ohne Rücksicht darauf, ob dieses ein „rechtswidriges" oder gar „schuldhaftes" Tun enthält. Ich glaube aber nicht, daß diese Gründung auf das „Gesetz" einer sinngemäßen Über­ tragung auf Fälle eines nur materiellen Unrechts im Wege stehen würde. Denn irgend ein „Gesetz" soll ja auch hier — nur eben „entsprechend" — angewendet werden.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 3 6 vom 28. 3. 1933 Antrag von Vizepräsident Grau zum 3 . Abschnitt (§§ 3 7 8 —38 0 des Entwurfs 1. Lesung)

Strafausschließungsgründe (ev. Schuldausschließungsgründe) § 378. Durfte der Täter im Einzelfall ohne Fahrlässigkeit annehmen, durch seine Tat kein Unrecht zu tun, so liegt eine strafbare Handlung nicht vor. Hat der Täter irrtümlich angenommen, kein Unrecht zu tun, so ist der Irrtum unbeacht­ lich, wenn er auf einer Einstellung des Täters beruht, die mit der gesunden Volksanschau­ ung über Recht und Unrecht unvereinbar ist. §379. Notwehr

Wer in Notwehr handelt, ist schuldlos. In Notwehr handelt, wer sich oder einen anderen verteidigt, um einen gegenwärtigen Angriff von sich oder dem anderen abzuwenden. Notwehr liegt nicht vor, wenn nach gesunder Volksanschauung vom Täter oder dem Gefährdeten erwartet werden muß, den Angriff zu dulden. Wer das Notwehrrecht mißbraucht, macht sich strafbar. Die Strafe kann jedoch gemil­ dert werden; in besonderen Ausnahmefällen kann das Gericht von Strafe absehen. 1

Zu diesem Fall vgl. oben Protokolle S. 219, 259.

§ 3 8o. Notstand Wer in Notstand handelt, ist schuldlos. In Notstand handelt, wer eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, um eine gegen­ wärtige, nicht anders abwendbare Gefahr eines erheblichen Schadens von sich oder ande­ ren abzuwenden. Notstand liegt nicht vor, wenn vom Täter oder dem Gefährdeten nach gesunder Volks­ anschauung erwartet werden muß, den Schaden zu dulden. Hat der Täter die Grenzen des Notstandes überschritten, so kann die Strafe gemildert werden; in besonderen Ausnahmefällen kann das Gericht von Strafe absehen. § 380 a. Gefahrengemeinschaft In Notstand handelt nicht, wer zur Rettung eines eigenen Lebens das Leben eines anderen vernichtet. Jedoch bleibt der Täter straflos, wenn die übrigen Voraussetzungen des Notstandes vorliegen. § 380 b. Sachnotstand Strafbar macht sich nicht, wer eine fremde Sache beschädigt, zerstört oder sonst auf sie einwirkt, um eine durch sie drohende gegenwärtige Gefahr von sich oder anderen abzu­ wenden, sofern die Einwirkung zur Gefahrabwendung erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht. Dasselbe gilt für die Verletzung oder Tötung eines fremden Tieres zur Abwendung einer von ihm drohenden Gefahr.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 37 vom 12. 4. 193s Ergänzung zu dem Antrag Nr. B 30 von Professor Dr. Mezger

Außer dem bereits in den Ausführungen vom 15. März 1935 Nr. B. 30 erwähnten 1. § 394 c in B. 21 kommen für die vorliegende Frage weiter in Betracht: 2. § 363 b in B. 20. Auch hier bin ich in der Sache mit dem Vorschlag einverstanden. Vergl. die Bemerkung in Jur.Wo. 1934 S. 1657 f. Nur scheint mir die Fassung zu Abs. 1: „. . . steht seiner Bestrafung nicht entgegen", nicht zutreffend zu sein. Denn es ist nicht die Beseitigung eines Strafhinderungsgrundes, sondern es ist eine tatbestandliche Erweiterung, die mit der Vorschrift beabsichtigt wird. Ich würde sagen: „. . . so wird er wie beim Handeln für sich selbst bestraft". Abs. 2 würde ich so, wie vorgeschlagen, belassen. Ihn auch auf strafmildernde und strafausschließende Umstände zu beziehen, ist eine gebotene Anwendung des folgerichtig ausgestalteten Grundgedankens. 3. § 432 a in B. 24. Ich habe gegen den Vorschlag keine Einwendungen.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 38 vom 6. 5 . 193 s Antrag von Reichsgerichtsrat Dr. Niethammer zur Täterschaft

§ 1. Täterschaft (1) Eine Straftat begeht, wer sie selbst oder durch einen anderen ausführt oder wer zu ihr anstiftet oder Hilfe leistet. (2) Wer mit Täterwillen handelt, wird als Täter bestraft.

§ 2. Selbständige Strafbarkeit der Beteiligten Sind mehrere an einer Tat beteiligt so begründet die Schuld jedes Einzelnen seine Strafbarkeit ohne daß es auf die Schuld eines anderen Beteiligten ankommt. § 3 .Anstiftung (1) Als Anstifter wird nur bestraft, wer vorsätzlich handelt. (2) Beginnt der, den der Anstifter verleiten wollte, die Tat nicht, so bleibt der Anstifter strafbar, wenn diese Tat mit keinem schwereren Maß als mit Gefängnis bedroht ist; im andern Fall kann das Gericht die Strafe mildern (§ 413). § 4. Beihilfe (1) Als Gehilfe wird nur bestraft, wer vorsätzlich und mit dem Willen, die Tat eines andern zu unterstützen, handelt. Die Strafe kann gemildert werden (§ 413). (2) Beginnt der, den der Gehilfe unterstützen wollte, die Tat nicht, so bleibt der Gehilfe straflos, wenn diese Tat mit keinem schwereren Maß als mit Gefängnis bedroht ist; im andern Fall kann das Gericht die Strafe nach freiem Ermessen mildern oder von Strafe absehen. § 5. Beginn der Straftat (1) Eine Straftat begeht schon, wer sie mit dem Vorsatz, sie zu vollenden, beginnt. (2) Als Beginn der Straftat ist jede Handlung des Täters anzusehen, die sich — wenn auch nur nach der Vorstellung des Täters vom Sachverhalt — unmittelbar auf die Ausfüh­ rung seiner Tat richtet. (3) Die Strafe kann gemildert werden (§ 413).

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 39 vom 14. 5 . 2935 Antrag von Professor Dr. M ezgerzu § § 4 1 5 —429 des Entwurfs 1. Lesung

Die Auffassung, daß bei der Festsetzung von Einzelstrafen auch andere, gleichzeitig zur Aburteilung stehende Straftaten mit zu berücksichtigen seien, hat in den Verhandlungen der Strafrechtskommission vom 10. und 11. Mai 1935 von den verschiedensten Seiten Widerspruch erfahren. Sie entspricht aber, was anscheinend übersehen worden ist, schon dem geltenden und noch mehr dem kommenden Recht. Ich erlaube mir daher, diese Auffassung im Folgenden noch etwas näher zu begründen und aus ihr die gebotenen Folgerungen zu ziehen: I. Ob im geltenden Recht Schuld und Strafe sich nur nach der Einzel-Tat als solcher oder aber zugleich auch nach der Gesamt-Persönlichkeit des Täters bestimmen (sog. charakterologische Schuldauffassung), ist noch immer umstritten. Meines Erachtens ist die zweite Ansicht die richtige. Aus ihr folgt zwingend, daß nicht nur rechtskräftig abgeurteilte Straftaten (sog. Vorstrafen), sondern auch gleichzeitig zur Aburteilung stehende Taten bei der Bestimmung der Einzelstrafen in die Waagschale zu werfen sind. Es ist nicht zutreffend, daß dieser Gedanke dem geltenden Recht fremd wäre. Er ist im Gegenteil von der höchsten richterlichen Autorität des bestehenden Rechts ausdrücklich anerkannt, nämlich von dem Beschluß der Vereinigten Strafsenate des Reichsgerichts in E.25.297. Dort ist schon in der Überschrift (S. 2gy—2gS) von der Möglichkeit die Rede, „daß die vorliegende Realkonkurrenz schon die Bemessung der Einzelstrafen beeinflußt habe". Ganz unmißverständlich anerkennen sodann die Gründe auf S. 310—311 diesen Standpunkt; hier wird erwogen, ob „der Umstand, daß mehrere selbständige Straftaten festgestellt sind, den Anlaß gegeben hat, die Einzelstrafen höher zu prüfen, als es sonst

geschehen wäre". Erweist sich bei solcher Sachlage die Annahme, daß der Angeklagte die mehreren Taten begangen habe, als rechtsirrtümlich, so müßten sich die Folgen auf die anderen Einzelstrafen erstrecken und auch diese Einzelstrafen rückgängig gemacht wer­ den. Inwieweit aber solche gegenseitige Abhängigkeit besteht oder nicht, sei Sache des Einzelfalls. In vorbildlicher Weise ist dabei unter Hinweis auf § 376 (jetzt: 337) StPO der Gedanke herausgearbeitet, daß „die Beantwortung der Frage nur auf Grund der konkreten Sachlage erfolgen kann". Jedenfalls gehen die Ver. Strassen, ersichtlich überall von der Möglichkeit und gegebenenfalls von der Notwendigkeit aus, daß die Bemessung der Einzelstrafen unter Mitberücksichtigung der realkonkurrierenden, gleichzeitig zur Aburtei­ lung gelangenden Taten zu geschehen hat. Eine Anwendung dieses Grundsatzes gibt beispielsweise die Entscheidung des IV. Senats in E.35.64; nach ihr hat die Aufhebung von Einzelstrafen, wo solche mitbetroffen sind, zu erfolgen, „wenn schon diese ihrerseits nicht angefochten sind". Auch die neueste Auflage von Löwe StPO (19. Ausl. 1934) § 353 Nr. 4 schließt sich dem Gedanken an und spricht z. B. von Verneinung mildernder Umstände bei der £mze/strafe, weil die Mehrzahl der Diebstähle einen Hang zum Stehen bekunde; zutreffend wird für das Revisionsgericht auch hier auf § 337 StPO verwiesen. II. Im kommenden Willensstrafrecht ist die Abhängigkeit der Einzel-Strafe von der Schuld und damit von der Täter-Persönlichkeit außer Zweifel. Es würde nun aber zu geradezu grotesken Ergebnissen und zu einem mit den Grundsätzen des Willensstraf­ rechts unvereinbaren Vorstrafen-Kultus führen, wollte man bei dieser Persönlichkeitsbe­ urteilung die gleichzeitig zur Aburteilung stehenden, realkonkurrierenden Taten grundsätz­ lich außer Betracht lassen. Dies geht umso weniger an, als sich diese Persönlichkeitsbeur­ teilung ihrem Wesen nach auf das Gesamtverhalten des Täters und überhaupt nicht nur auf sein strafbares Verhalten stützt. Daraus folgt: die Beibehaltung des Systems der Einzelstrafen als Grundlage der Gesamt­ strafe führt in keinerlei Beziehung zu einer Einengung der im Willensstrafrecht gebotenen Berücksichtigung der Täter-Persönlichkeit. III. Die grundsätzliche Beibehaltung dieses Systems der Einzelstrafen als „Hilfskonstruk­ tion" empfiehlt sich aber dringend sowohl aus ideellen wie aus praktischen Gründen. 1. Schon aus ideellen Gründen ist es nicht angängig, den Angeklagten einfach in Bausch und Bogen zu einer Gesamtstrafe zu verurteilen. Er muß in deren Rahmen auch erfahren, was „seine einzelnen Taten wert sind". Nur so erhält das Strafrecht und erhalten seine einzelnen gesetzlichen Tatbestände dem Angeklagten gegenüber den erforderlichen Ernst und Nachdruck. 2. Ebenso verlangen praktische Gründe das Festhalten an der Strafbemessung für die Einzeltat. Nur so ist eine sorgfältige und geordnete Aburteilung seitens der Untergerichte gewährleistet. Nur so kann das Revisionsgericht bei Zurückverweisungen feste Richtlinien für die weitere Behandlung geben, indem es klar zwischen der Aufhebung des Schuld­ spruchs bei der Einzeltat, der Strafbemessung im einzelnen Fall und der falschen Gesamt­ strafenbildung zu scheiden vermag. Nur so läßt sich die gekünstelte, dem Strafverfahren wesensfremde Einführung vorläufiger Vollstreckbarkeiten u. ähnl. vermeiden. IV. Eine „Hilfskonstruktion" hat dort zurückzutreten, wo sie nach Lage der Sache unzweckmäßig wird. Der weitere Gang der Debatte hat mich davon überzeugt, daß dies in bestimmten Fällen zutrifft. Hier — aber auch nur hier — ist das System der reinen Gesamt­ strafe am Platz. Inwieweit in dieser Weise der Tatrichter nach Lage der Sache von Einzel­ strafen absehen darf, muß das Gesetz in revisibler Weise festlegen. In Betracht kommen die bisherigen Fälle des fortgesetzten, gewohnheitsmäßigen, gewerbsmäßigen u.s.w. Han­ delns. Aber auch in anderen Fällen, in denen für die Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit die symptomatische Gleichartigkeit der Fälle solche Einzelfeststellung ausnahmsweise entbehrlich macht, kann es sinnvoll sein, auf solche zu verzichten. Ein Festhalten an dem sonst gebotenen Prinzip würde hier einen verderblichen Formalismus begünstigen.

V. Als Vorschlag ergibt sich also: für die Regel ist an der Bestimmung von Einzelstrafen innerhalb der Gesamtstrafe als einem im Strafverfahren gebotenen Ordnungsprinzip fest­ zuhalten — dem Revisionsgericht ist möglichste Freiheit in der Aufhebung oder Nichtaufhe­ bung auch nichtangefochtener Einzelstrafen oder falscher Gesamtstrafenbildungen zu gewähren — in gesetzlich festgelegten Ausnahmefällen ist auf die Feststellung besonderer Einzelstrafen zu verzichten.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 4 0 vom 28. 5. 1935 Antrag von Professor Dr. Mezger: Leitsätze zum Aufbau und Inhalt des grundsätzlichen Teils und der Allgemeinen Bestimmungen des Entwurfs Es empfiehlt sich, wie vorgesehen, nach einem „Vorspruch", der sich auf das ganze Gesetz bezieht, als Erstes Buch einen „Grundsätzlichen Teil" in volkstümlicher und allge­ meinverständlicher Form voranzustellen, ihm als Zweites Buch die „Einzelnen Straftaten" und diesem als Drittes Buch die „Allgemeinen Bestimmungen" folgen zu lassen. Als Vorbild für den „Grundsätzlichen Teil" dienen die 12 Punkte von Staatssekretär Dr. Freister bei Gürtner, Das kommende deutsche Strafrecht, Besonderer Teil (1935) S. 45—47. Sie sind nach Fertigstellung des Zweiten und Dritten Buches der endgültigen Fassung des Gesetzes anzupassen (so z. B. § 5). Auch den Bestimmungen des grundlegenden Teils (Erstes Buch) soll volle Gesetzeskraft zukommen. Im übrigen ergibt sich folgender Aufbau der §§ 345 ff. Entw.: Drittes Buch. Allgemeine Bestimmungen Erste Gruppe. Das Strafrecht Erster Abschnitt. Das Rechtals Grundlage der Bestrafung. §§ 345 —346* in UkNr. 1 Zweiter Abschnitt. Die zeitliche Geltung des Strafrechts. §§ 347 —348 in UkNr. 1. Dritter Abschnitt. Die persönliche und räumliche Geltung des Strafrechts. §§ 331—354 in Uk Nr. 2. Vierter Abschnitt. Der Sprachgebrauch des Strafgesetzes. §§ 356—357 in UkNr. 3. Zweite Gruppe. Die Straftat Erster Abschnitt. Die Schuld als Grundlage der Bestrafung. Erster Titel. Die Arten der Schuld. Der Vorsatz. § 366. (Uk Nr. 4) Die Wissentlichkeit und Absicht. § 367. (Uk Nr. 4) Die Fahrlässigkeit und Leichtfertigkeit. §§ 368—370. (Uk Nr. 4) Zweiter Titel. Die Schuldfähigkeit. Die Schuldunfähigkeit §§ 371 —374 (Uk Nr. 4) Die verminderte Schuldfähigkeit § 375 (Uk Nr. 4) Dritter Titel. Die Schuldausschließungsgründe. Die Notwehr. § 378 (in der vorläufigen [Klammer-] Fassung) Der Notstand. § 379 (in der vorläufigen [Klammer-] Fassung) Zweiter Abschnitt. Die Straftat in ihrer äußeren Gestalt. Die Täterschaft, Teilnahme u.s.w. §§ 358,360—365 a. (Uk Nr. 5) Das strafbare Unterlassen. § 359. (Uk Nr. 5) Der Ort und die Zeit der Straftat. § 365 b. (Uk Nr. 5)

Dritte Gruppe. Die Strafe und die sonstigen Maßnahmen Erster Abschnitt. Die Strafen. §§ 383—407.420—422 Entw. mit Anträge Nr. B 6. Zweiter Abschnitt. Die Strafbemessung. §§ 408—414 Entw. Dritter Abschnitt. Die Strafe bei Tatmehrheit. §§ 415—419 Entw. mit Anträge Nr. B 39. Vierter Abschnitt. Die Maßregeln der Sicherung und Besserung. §§ 423—436 Entw. Fünfter Abschnitt. Die Verjährung. §§ 381—382 Entw. Zu dieser Einteilung sei noch Folgendes bemerkt. Zur Ersten Gruppe: sie betrifft das „Strafrecht", nicht nur das „Strafgesetz". Nur beim Sprachgebrauch im vierten Abschnitt handelt es sich ausschließlich um das „Strafgesetz". Zur Zweiten Gruppe: im ersten Titel des ersten Abschnitts ist „Arten" der Schuld vielleicht sprachlich gefälliger als „Formen" der Schuld; beides wäre möglich und soll hier dasselbe bedeuten. Die besondere Über­ schrift des § 370 fügt sich nicht in den Zusammenhang und bleibt daher weg. Im zweiten Abschnitt steht das Unterlassen (§ 359) als zusammenfassende Erweiterung der Bestrafung besser den übrigen Bestimmungen nach. Zur Dritten Gruppe: die „Verwarnung mit Straf­ vorbehalt" §§ 420—422 gehört im Sinne von Anträge Nr. B 6 zu den Strafen des ersten Abschnitts. Im dritten Abschnitt braucht trotz § 415 die „Tateinheit" in der Überschrift nicht besonders genannt zu werden. Die „Verjährung" gehört als fünfter Schlußabschnitt ebenfalls zur Dritten Gruppe.

Anträge zur 2 . Lesung. Nr. B 4 1 vom 31. 9.1 9 3 3 Bemerkungen und Anregungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu dem Abschnitt: Angriffe auf die Reinheit der Am tsführung (§§ 123 — 144 des Entwurfs 1. Lesung)

1. § 125 :Die Worte „und für ehrlos erklärt" sind zu streichen. Der Vorschlag zieht die Folgerung aus der in Aussicht genommenen Streichung des § 396 Abs. 2 des Entw. 2. § 126: Es wird vorgeschlagen, in Absatz 2 hinter „Dienststrafverfahren" einzufügen: „oder bei einer sonstigen behördlichen Untersuchung". Nach der jetzigen Fassung des § 126 Abs. 2 soll nur die Erpressung der Aussage in einem Strafverfahren oder in einem Dienststrafverfahren getroffen werden. Dies ist zu eng; so wird z. B. die Untersuchung, die der Verhängung einer Schutzhaft vorausgeht, nicht erfaßt. Entsprechend einer Anregung des Reichsministers des Innern wird daher vorgeschlagen, den Tatbestand auch auf sonstige behördliche Untersuchungen auszudeh­ nen. 3. § 128: a) Es wird vorgeschlagen, als Strafe Zuchthaus, in leichteren Fällen Gefängnis nicht unter drei Monaten anzudrohen. Es sind leichte Fälle denkbar, in denen eine Gefängnisstrafe von 6 Monaten noch zu hart wäre, namentlich bei der Beurkundung der Zustellung von Schriftstücken. b) Wenn, wie vorgesehen, in den Allgemeinen Teil eine Vorschrift aufgenommen wird, daß die Einziehung auch zulässig ist, falls der Gegenstand keinem an der Tat Beteiligten gehörte, erübrigt sich der Abs. 3. 4. § 129: Es wird vorgeschlagen, den Abs. 2 wie folgt zu fassen: „Gegen Rädelsführer ist auf Zuchthaus oder auf Gefängnis nicht unter sechs Monaten zu erkennen." Der Vorschlag bezweckt die Anpassung der Strafdrohung an die sonst üblichen Straf­ rahmen des Entw. 5. a) § 131. Es wird vorgeschlagen, hinter § 131 einzufügen: § 131a. Bestechung von Behördenangestellten Eine bei einer Behörde tätige und auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Dienstpflicht durch Handschlag verpflichtete Person, die ein Entgelt dafür fordert, sich versprechen läßt

oder annimmt daß sie unter Verletzung ihrer Dienstpflicht eine zu ihren Obliegenheiten gehörende Handlung vorgenommen oder unterlassen hat oder künftig vornehme oder unterlasse, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso wird bestraft, wer einer solchen Person ein Entgelt dafür anbietet, verspricht oder gewährt, daß sie unter Verletzung ihrer Dienstpflicht eine zu ihren Obliegenheiten gehörende Handlung vorgenommen oder unterlassen hat oder künftig vornehme oder unterlasse. b) Es wird vorgeschlagen, im §131 die Überschrift so zu fassen: Bestechung von Amtsträgem. c) §132. Es wird vorgeschlagen, im § 132 zwischen Abs. 1 und 2 folgenden neuen Absatz einzuschieben: „Ebenso wird eine bei einer Behörde tätige und auf die gewissen­ hafte Erfüllung ihrer Dienstpflicht durch Handschlag verpflichtete Person bestraft, die eine solche Tat begeht." d) §136. Es wird vorgeschlagen, den letzten Halbsatz des § 136 Abs. 2 wie folgt zu fassen: . . sofern er auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Dienstpflicht durch Hand­ schlag oder sofern er zur Verschwiegenheit besonders verpflichtet worden ist." Zu a —d: Die Vorschläge bezwecken die Einarbeitung der VO über Bestechung und Geheimnisverrat nichtbeamteter Personen v. 3. 5.1917 (i. d. F. v. 12. 2. 1920) — RGBl. S. 393 und 230 — in das StGB. 6. § 13 j. Entsprechend einer Anregung des Auswärtigen Amtes wird vorgeschlagen a) hinter Abs. 2 folgenden Absatz einzufügen: „Die gleiche Strafe trifft ferner den, der nach dem Tode einer der in Abs. 1 und 2 genannten Personen Nachrichten oder Gegen­ stände der dort bezeichneten Art, die er von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlaß erlangt hat, unbefugt veröffentlicht", b) hinter den jetzigen Abs. 3 (künftig Abs. 4) folgenden Absatz einzufügen: „Die Tat wird nur auf Anordnung der Reichsregierung verfolgt." Die bisherige Fassung ist zu eng, weil sie — was namentlich für die Memoirenliteratur von Bedeutung ist — nicht die Rechtsnachfolger (Erben, Vermächtnisnehmer, Verleger) des Geheimnisträgers erfaßt; diese Fälle können aber sehr strafwürdig sein. Der Vorschlag bedeutet eine Anpassung der Vorschrift an § 344 Abs. 3 des Entw., wo ebenfalls der Geheimnisverrat durch die Rechtsnachfolger bedroht wird. Die Frage, ob ein Vertrauensbruch in auswärtigen Angelegenheiten verfolgt werden soll, wird oft von politischen Zweckmäßigkeitserwägungen abhängen. Es empfiehlt sich daher, ebenso wie z. B. bei den Vorschriften über die öffentliche Mitteilung früherer Staatsgeheimnisse (§ 5 Abs. 2) und der fahrlässigen Preisgabe von Staatsgeheimnissen (§ 7 Abs. 2) vorzusehen, daß die Tat nur auf Anordnung der Reichsregierung verfolgt wird. 7. § 138:Für den Absatz 1 wird entsprechend den Anregungen des Reichspostministers folgende Fassung vorgeschlagen: „Verletzungdes Post- und Femmeldegeheimnisses. Mit Gefängnis wird bestraft, wer im Dienste der Deutschen Bundespost steht und unbefugt 1. eine Sendung öffnet oder unterdrückt, die der Deutschen Reichspost zur Übermittlung auf dem Post- oder Fernmeldewege anvertraut ist; 2. dem Inhalt des der Deutschen Reichspost zur Übermittlung Anvertrauten in anderer Weise nachforscht; 3. über den Post-, Postscheck- oder Fernmeldeverkehr bestimmter Personen einem ande­ ren irgendeine Mitteilung macht; 4. das der Deutschen Reichspost zur Übermittlung Anvertraute in der Absicht, einen anderen zu schädigen, unrichtig weitergibt; 5. eine der vorbezeichneten Handlungen zuläßt oder erleichtert." Nach der Begriffsbestimmung des Amtsträgers in § 357 des Entwurfs würde ein großer Teil der im Dienst der Post beschäftigten Angestellten nicht erfaßt werden, da sie nicht zur Wahrnehmung obrigkeitlicher Aufgaben berufen sind. Diese Folge ist nicht tragbar. Es

empfiehlt sich daher, in § 138 nicht nur die Amtsträger, sondern alle Personen zu erfassen, die im Dienste der Deutschen Reichspost stehen. Im übrigen sind die einzelnen Fälle des Absatz 1 gemäß den Vorschlägen des Reichs­ postministers übersichtlicher gefaßt worden. Fortgelassen ist die Unterdrückung eines Ferngesprächs; für diese Fälle genügen — soweit sie nicht von anderen Tatbeständen erfaßt werden — nach der Ansicht des Reichspostministers Disziplinarmaßnahmen. Die Strafbarkeit einer unrichtigen Übermittlung ist auf die Fälle eingeschränkt, daß eine Schä­ digungsabsicht vorliegt; sonst genügen auch Disziplinarmaßnahmen. Neben dem Postund Femmeldeverkehr ist in Nr. 3 der Postscheckverkehr eingefügt worden. 6. § 140: Es wird vorgeschlagen, statt „einzuziehen" in Anpassung an den sonst übli­ chen Sprachgebrauch zu setzen: „für verfallen zu erklären."

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 42 vom 3. 6. 1935 Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu §§ 54 — 59 des Entwurfs 1. Lesung Zu Abschnitt 5 Titel 2: Gotteslästerung und Religionsvergehen Zu § 54. Es wird empfohlen, an Stelle der Worte „staatlich anerkannte Religionsgemein­ schaft" zu setzen: „Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts". Begründung: Das Reichsministerium des Innern und das Reichsministerium für Wissen­ schaft, Kunst und Volksbildung haben übereinstimmend gebeten, von dem Erfordernis der staatlichen Anerkennung abzusehen, da die Einführung einer staatlichen Anerken­ nung zahlreiche vielfach politisch mißliche Entscheidungen erfordern würde. Sie haben empfohlen, den Schutz zu beschränken auf die Religionsgesellschaften mit Korporations­ rechten des öffentlichen Rechts, da bei dieser Formulierung es möglich sein würde, auf dem Wege der Verleihung oder der Entziehung der Rechtsfähigkeit den Kreis der des Schutzes teilhaftigen Gesellschaften so festzulegen, wie dies vom Standpunkte der Ver­ waltung aus erwünscht sei. Schließlich haben sie gebeten, an dem Ausdruck „Religionsge­ sellschaft" als technischem Ausdruck festzuhalten. Zu § 55. Es wird empfohlen, vor „stört" einzuschalten „absichtlich" (oder „böswillig"). Begründung: Vorsätzliche Störungen lassen sich vielfach nicht vermeiden und sind oft nicht strafwürdig; anders wenn die Störung um ihrer selbst willen hervorgerufen wird. Zu §§ 55 —57. Es wird empfohlen, das Strafmaß auf Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft festzusetzen, damit — wie nach den Beschlüssen 1. Lesung (§ 386 Abs. 3 Satz 2 und § 391) — die Verhängung von Haft und von Geldstrafe möglich bleibt. Zu § 56. Es wird empfohlen, die Vorschrift wie folgt zu fassen: „Wer Stätten verunehrt, die zum Gottesdienst bestimmt sind . .."

Zu Titel 3: Störung der Totenruhe Zu § 58 Abs. 1. Die Nebeneinanderstellung des „Toten" und des „Verstorbenen" befrie­ digt nicht. Es wird empfohlen, Abs. 1 einzuleiten: Wer sich an einem Toten oder seiner Asche vergreift. . . Zu § 59. Es wird empfohlen, wie in § 55 vor dem Worte „stört" einzuschalten „absicht­ lich" (oder „böswillig") und das Strafmaß auf Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft zu beschränken.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 44 vom 3 . 6. 1935 Bemerkungen und Anregungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu dem Titel: Die Strafzumessung bei Tateinheit; Tatmehrheit und fortgesetzter Handlung (§§ 419 —419 des Entwurfs 1. Lesung)

Im letzten Tagungsabschnitt ist die Auffassung vertreten worden, daß auch bei mehre­ ren selbständigen Handlungen die Bildung einer einheitlichen Strafe geboten sei oder jedenfalls zulässig sein müsse, wenn die Taten eine einheitliche Beurteilung der Täterper­ sönlichkeit zuließen. Falls diese Auffassung Zustimmung findet, käme die nachstehende Fassung der §§ 415 bis 419 in Betracht. §415. Tateinheit Sind auf dieselbe Tat mehrere Strafgesetze anwendbar, oder ist durch die Tat dasselbe Strafgesetz mehrmals verletzt, so ist nur auf eine Strafe zu erkennen. Die Strafe wird nach dem Gesetz bestimmt, das die höchste Strafe, oder, bei ungleichen Strafarten, die Strafe schwerster Art androht. Doch darf auf keine niedrigere oder der Art nach leichtere Strafe erkannt werden, als nach den übrigen verletzten Strafgesetzen zuläs­ sig ist. Bei der Bemessung der Strafe ist angemessen zu berücksichtigen, daß mehrere Geset­ zesverletzungen vorliegen. Dabei kann das Höchstmaß der Strafe, das in dem anzuwen­ denden Strafgesetze vorgesehen ist, überschritten werden, wenn dies zur Verhängung einer angemessenen Strafe erforderlich erscheint. Die Dauer einer zeitigen Freiheitsstrafe darf jedoch die Summe der angedrohten Höchststrafen und das gesetzliche Höchstmaß der anzuwendenden Strafart nicht übersteigen. Ehrenstrafen und Vermögensstrafen müssen oder können verhängt und Maßregeln der Sicherung und Besserung müssen oder können angeordnet werden, wenn sie auch nur wegen einer der Gesetzesverletzungen vorgeschrieben oder zugelassen sind. §416. Tatmehrheit. Selbständige Strafen (1) Hat jemand durch mehrere selbständige Taten, die gleichzeitig abgeurteilt werden, mehrere Strafen verwirkt, so ist auf jede gesondert zu erkennen. (2) Sind mehrere zeitige Freiheitsstrafen verwirkt, so ist auf eine Gesamtstrafe zu erkennen, die in einer Erhöhung der verwirkten schwersten Strafe besteht; eine verwirkte Zuchthausstrafe gilt ohne Rücksicht auf die Dauer als schwerste Strafe. Die Gesamtstrafe darf die gesamte Dauer der verwirkten Einzelstrafen und 15 Jahre, bei Haft 5 Jahre, nicht übersteigen. Neben der Gesamtstrafe müssen oder können Ehrenstrafen und Vermögensstrafen ver­ hängt und Maßregeln der Sicherung und Besserung angeordnet werden, wenn sie auch nur wegen einer der Taten vorgeschrieben oder zugelassen sind. Auf Festungshaft und Haft kann neben Gefängnis gesondert erkannt werden; die Gesamtdauer der Strafen darf in diesem Falle fünfzehn Jahre nicht übersteigen. (3) Sind mehrere Geldstrafen neben Freiheitsstrafen verwirkt, so darf die Gesamtdauer der Ersatzfreiheitsstrafen (§ 394 a) vier Jahre nicht übersteigen. (4) Diese Vorschriften gelten auch dann, wenn jemand, bevor eine Strafe verbüßt oder erlassen ist oder wegen Zeitablaufs nicht mehr vollstreckt werden darf, wegen einer anderen Tat verurteilt wird, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können. (5) Ist jemand unter Nichtbeachtung der Vorschrift des Abs. 4 wegen mehrerer selb­ ständiger Taten durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu Freiheitsstrafen verurteilt worden, so ist nachträglich eine Gesamtstrafe (Abs. 2) zu bilden. Diese darf die gesamte Dauer der verwirkten Einzelstrafen übersteigen, falls dies zur Verhängung einer angemessenen Gesamtstrafe erforderlich erscheint.

§ 4.17- Einheitliche Strafe beifortgesetzter Handlung und Tatmehrheit Ist die Straftat einefortgesetzte Handlung, so ist nur auf eine Strafe zu erkennen. Dabei kann das Höchstmaß des anzuwendenden Strafrahmens überschritten werden, wenn dies zur Verhängung einer angemessenen Strafe erforderlich erscheint. Jedoch darf die Dauer einer zeitigen Freiheitsstrafeßnfzehn fahre, bei HaftfünfJahre, nicht übersteigen. Auf eine Strafe kann ferner, abweichend von § 416, erkannt werden, wenn jemand mehrere selbständige Handlungen begangen hat, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und nach der Art der Taten eine einheitliche Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit möglich ist. In diesem Falle gelten die Vorschriften des § 415 Abs. 2 bis 4. Abs. 2 findet auch Anwendung, wenn jemand, bevor mit der Verbüßung einer Strafe begonnen ist, wegen einer anderen Tat abgeurteilt wird, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 45 vom 3. 6. 1935 Antrag des Reichsgerichtsrats Dr. Niethammer zum Abschnitt: Maßregeln der Sicherung und Besserung (§§ 423 —436 des Entwurfs 1. Lesung) Folgende teils den Inhalt, teils nur den Ausdruck betreffende Änderungen werden vorgeschlagen: §423. Arten der Maßregeln 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Maßregeln der Sicherung und Besserung sind: die Sicherungsverwahrung, die Unterbringung in einem Arbeitshaus, die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt, die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, die Schutzaufsicht, die Entmannung, die Untersagung der Berufsausübung und die Schließung des Geschäftsbetriebs, die Einziehung und die Unbrauchbarmachung.

Gründe: Der Schutzaufsicht gebührt in der Reihenfolge der Platz unmittelbar nach den drei Maßregeln, an deren Stelle sie vorläufig treten kann. Die im Entwurf an die Entmannung angeschlossenen Worte „gefährlicher Sittlichkeits­ verbrecher" sind hier überflüssig. Die Schließung des Geschäftsbetriebs (§ 432 a) muß neu aufgenommen und an die Maßregel angefügt werden, zu der sie dem Wesen nach gehört. § 424. Sicherungsverwahrung Wird jemand als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher verurteilt (§ 412), so ordnet das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert. Gründe: Das Reichsgericht hat wiederholt Anlaß gehabt, darauf hinzuweisen, daß die Sicherungsverwahrung gemäß § 42 e StGB auch anzuordnen ist, wenn die Strafe nicht nach § 20a StGB verschärft wird (RGSt. Bd. 68 S. 295 und 386). Doch besteht kein Bedürfnis, diesen Grundsatz, an dem auch für das Verhältnis des § 424 zu § 412 Abs. 1 und 2 festzuhalten ist, durch die Fassung des § 424 noch schärfer hervorzuheben, als dies im gegenwärtigen Vorschlag geschieht. Die Rechtsprechung des obersten Gerichts wird inso­ weit auch fernerhin für die richtige Anwendung des Gesetzes sorgen.

§

425. Unterbringung in einem Arbeitshaus

Wird jemand nach den §§ 66, 91, 248 bis 252 zu Freiheitsstrafe verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Unterbringung in einem Arbeitshaus an, wenn es erforderlich ist, um ihn zur Arbeit anzuhalten und an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen. Dasselbe gilt, wenn jemand, der gewohnheitsmäßig zum Erwerb Unzucht treibt, nach § 92 zu Freiheitsstrafe verurteilt wird. Gründe: Die Verurteilung zu Freiheitsstrafe nach § 66 ist entsprechend der Anregung der Sachbearbeiter des Ministeriums unter die Gründe für die Anordnung der Unterbrin­ gung in einem Arbeitshaus aufgenommen. § 42 6. Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt Wird jemand, der gewohnheitsmäßig geistige Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich nimmt, wegen einer Tat, die er im Rausch begangen hat oder die in einem solchen Hang ihren Grund hat, oder wegen Volltrunkenheit (§ 371 Abs. 2) zu Strafe verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt an, wenn es erforderlich ist, um ihn an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen. Gründe: Für die Änderung dieser Vorschrift sind die Vorschläge der Sachbearbeiter des Ministeriums und die des Reichsgerichts verwertet. § 42 7. Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt Hat jemand eine Straftat im Zustand der verminderten Zurechnungsfähigkeit (§370) begangen, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert. Die Unterbringung in einer solchen Anstalt kann, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert, selbständig gegen den angeordnet werden, der eine mit Strafe bedrohte Hand­ lung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§§ 366,369) begangen hat. Gründe: Die Vorschrift bedarf der Umarbeitung. — Die Anordnung der Maßregel gegen den Täter, der im Zustand der verminderten Zurechnungsfähigkeit gehandelt hat, ist im ersten Absatz voranzustellen. Denn sie soll und wird im gerichtlichen Verfahren die Regel bilden. Die gerichtliche Anordnung der Maßregel gegen den Täter, der nicht strafbar ist, weil er zur Zeit der Tat nicht zurechnungsfähig war, hat im zweiten Absatz als eine Ausnahme nachzufolgen. Für sie kommen aber nicht alle Fälle der Zurechnungsunfähigkeit, sondern nur die der Geisteskrankheit und der mit Taubstummheit verbundenen geistigen Mangel­ haftigkeit in Betracht. Läßt das Verhalten eines zehnjährigen Knaben befürchten, daß er die Sicherheit der Nachbarschaft fortgesetzt durch Sachbeschädigung ernstlich stören werde, so ist die Vorkehr doch selbst dann nicht Sache des Gerichts, wenn nachgewiesen wird, daß er schon einmal oder mehrmals Fenster der Nachbarn eingeworfen hat. Ferner sind gegenüber dem Jugendlichen, dem noch die Einsicht in das Unrecht der Tat oder die Kraft zum Widerstand gegen den Anreiz fehlt, andere Maßregeln als die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt vorgeschrieben und angebracht. Im übrigen liegt es immer zu­ nächst der Verwaltungsbehörde ob, daß sie die Allgemeinheit vor den Gefahren schütze, die aus den ungehemmten Trieben geisteskranker oder geistesschwacher Menschen zu besorgen sind. Dies trifft auch dann zu, wenn sich die Gemeingefährlichkeit solcher Menschen in einer an sich mit Strafe bedrohten Handlung gezeigt hat. Da die Verwal­ tungsbehörde überdies mit einfacheren Mitteln arbeitet und rascher zugreifen kann, kommt ihr regelmäßig der Vorrang zu. Deshalb ist im zweiten Absatz durch die Fassung

„kann" hervorzuheben, daß der im selbständigen Verfahren zu erlassende gerichtliche Spruch nur ein ausnahmsweise zu gebrauchendes Mittel darstellt. Die Verfahrensordnung muß dann bestimmen, daß die Wahl dieses Mittels dem pflichtmäßigen Ermessen des Staatsanwalts anvertraut ist, während das Gericht die Maßregel anordnen muß, wenn der Staatsanwalt den Antrag eingereicht hat und die sachlichen Voraussetzungen der Anord­ nung dargetan werden. § 42 8. Dauer der Unterbringung Die Unterbringung dauert so lange, als ihr Zweck es erfordert. Die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt und die erstmalige Unterbringung in einem Arbeitshaus dürfen nicht länger als zwei Jahre dauern. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, in einer Heil- oder Pflegeanstalt und die wiederholte Unterbringung in einem Arbeitshaus sind zeitlich nicht begrenzt. Das Gericht hat aber vor Ablauf einer Frist zu prüfen, ob der Zweck der Unterbringung erreicht ist. Die Frist beträgt bei der Sicherungsverwahrung und bei der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt drei Jahre und bei der wiederholten Unterbringung in einem Arbeitshaus zwei Jahre. Ergibt die Prüfung, daß der Zweck der Unterbringung erreicht ist, so ordnet das Gericht die Entlassung des Untergebrachten an. Das Gericht kann auch während des Laufs der in den Abs. 2 und 3 bezeichneten Fristen jederzeit prüfen, ob der Zweck der Unterbringung erreicht ist. Bejaht das Gericht dies, so ordnet es die Entlassung des Untergebrachten an. Die Fristen laufen vom Beginn des Vollzugs ab. Lehnt das Gericht die Entlassung in den Fällen des Abs. 3 ab, so beginnt der Lauf der Frist mit der Entscheidung von neuem. Gründe: Die zuvor vorgeschlagene Fassung stimmt inhaltlich mit dem Entwurf überein. Die Sachbearbeiter des Ministeriums regen im Antrag Nr. B 24 die Aufnahme einer Vorschrift an, die dem Gericht die Anordnung ermöglicht, daß der Untergebrachte in eine im Urteil nicht angeordnete Form der Unterbringung überführt wird. Ministerialdirektor Dr. Dürr schließt sich diesem Vorschlag im Antrag Nr. B 29 an. — Gegen eine solche Vorschrift bestehen durchgreifende Bedenken. Das erkennende Gericht ist zur Prüfung der Frage verpflichtet, ob der Schutz der Allgemeinheit vor der aus den Taten ersichtlichen Persönlichkeit des Verurteilten die gesetzlich zugelassene Anordnung mehrerer Maßregeln nebeneinander erfordert oder ob eine von ihnen genügt (RGSt. Bd. 69 S. 31; RGUrt. II 7/35 vom 7. Februar 1935). Wird das Urteil des Gerichts, das nur eine Maßregel anordnet, rechtskräftig, so steht die Rechtskraft der Einleitung eines neuen Verfahrens zwecks Anordnung einer anderen Maßregel entge­ gen. (RGUrt. III 1390/34 vom 24. Januar 1935). Was im Hauptverfahren verwehrt ist, darf im Vollstreckungsverfahren noch viel weniger gestattet werden. Denn das letztere bietet nicht die Gewähr für eine erschöpfende Untersuchung, die im ersteren durch die Haupt­ verhandlung gegeben ist. Überdies steht das Rechtsmittel gegen den im VollstreckungsVerfahren ergehenden Beschluß an Wert hinter dem zurück, das zur Anfechtung des Urteils stattfindet. Auch hier wieder muß aus der Erfahrung eines langjährigen Richteramts heraus drin­ gend davor gewarnt werden, daß Vorschriften des Strafgesetzes in den verfahrensrechtli­ chen Grundsatz der Rechtskraft einbrechen. Nähere Ausführungen sind dem mündlichen Vortrag vorzubehalten. § 429. Widerruflichkeit der Entlassung Der Untergebrachte wird auf Widerruf entlassen. Das Gericht widerruft die Entlassung, wenn das Verhalten des Entlassenen in der Freiheit zeigt, daß der Zweck der Maßregel seine erneute Unterbringung erfordert.

Bei der Anordnung der Entlassung kann das Gericht dem Entlassenen besondere Pflichten auferlegen. Es kann eine solche Anordnung auch nachträglich treffen, ändern oder aufheben. Die Dauer der Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt und der erstmaligen Unterbringung in einem Arbeitshaus darf auch im Fall des Widerrufs insgesamt die gesetzliche Höchstdauer der Maßregel nicht übersteigen. Gründe: Der Vorschlag nimmt den Antrag der Sachbearbeiter des Ministeriums mit einer sprachlichen Änderung auf. §430. Schutzaufsicht Das Gericht kann die erstmalige Unterbringung in einem Arbeitshaus, die Unterbrin­ gung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt sowie die Unterbringung eines vermindert Zurechnungsfähigen in einer Heil- oder Pflegeanstalt auf eine Probezeit von höchstens zwei Jahren aussetzen und zugleich für die Probezeit Schutzaufsicht anord­ nen. Es kann dem Verurteilten für die Probezeit auch besondere Pflichten auferlegen und eine solche Anordnung auch während der Probezeit nachträglich treffen, ändern oder aufheben. Erweist sich nachträglich die Unterbringung als erforderlich, so widerruft das Gericht die Aussetzung. Wird die Aussetzung vor Ablauf der Probezeit nicht widerrufen, so darf die Unterbrin­ gung nicht mehr vollzogen werden. Gründe: Das Wort „Aussetzen" bedeutet die Unterbrechung einer Maßregel, deren Vollzug begonnen hat. Die vorliegende Vorschrift wendet sich also, worauf auch ihre Einordnung hinweist, nur an das Vollstreckungsgericht. Indes kommt in Frage, ob nicht in erster Reihe dem erkennenden Gericht in Anlehnung an die für die Untersagung der Berufsausübung geltende Vorschrift des § 456 d Abs. 1 StPO ermöglicht werden soll, daß es beim Erlassen des Urteils den Aufschub des Vollzugs der Maßregel unter gleichzeitiger Anordnung der Schutzaufsicht beschließt. Wird die Frage bejaht, so muß eine Vorschrift hierüber in den § 430 aufgenommen oder unmittelbar an ihn angereiht werden. Es geht nicht an, die Anweisung an das Vollstreckungsgericht im Strafgesetz zu erteilen und die an das erkennende Gericht in der Verfahrensordnung nachfolgen zu lassen. Der umgekehrte Weg wäre eher gangbar.

§ 430 a. Selbständige Anordnung der Unterbringung und der Schutzaufsicht Die in § 423 Nr. 2 bis 5 bezeichneten Maßregeln können selbständig angeordnet wer­ den, wenn das Strafverfahren gegen den Beschuldigten undurchführbar ist. Gründe: Das Gesetz muß mit der Möglichkeit rechnen, daß das Strafverfahren gegen den Beschuldigten in Fällen nicht durchgeführt werden kann, in denen die Anordnung einer der zuvor bezeichneten Maßregeln begründet ist. Als Verfahrenshindernis kommt hier vornehmlich Gewährung von Straffreiheit in Betracht. Die hiermit vorgeschlagene Vorschrift schafft die sachlich-rechtliche Grundlage für das in diesen Fällen erforderliche selbständige Sicherungsverfahren. Die Sachbearbeiter des Ministeriums und Ministerial­ direktor Dr. Dürr sprechen sich hierzu in den Anträgen Nr. B 24 und 29 aus. Die Vorschrift deckt sich mit der, die der Bericht in § 427 Abs. 2 vorschlägt. Sie entspricht den Vorschriften für das selbständige Einziehungsverfahren in § 435 des Ent­ wurfs und in den §§ 433 Abs. 3 und 434 Abs. 5 des Berichts. Die Schutzaufsicht ist in der Erwartung angeführt, daß sie zu einer Maßregel ausgebaut wird, die auch das erkennende Gericht anordnen kann.

§ 43 !• Entmannung Das Gericht kann, wenn die hernach bezeichneten Voraussetzungen vorliegen und die öffentliche Sicherheit es erfordert, neben der Strafe anordnen, daß ein Mann, der zur Zeit der Entscheidung das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, zu entmannen ist. Die Maßregel ist zulässig, 1. wenn der Täter wegen eines zur Erregung oder Befriedigung seines Geschlechts­ triebs begangenen Mords oder Totschlags (§ 274) verurteilt wird, 2. wenn er wegen Notzucht, Nötigung zur Unzucht, Schändung oder Unzucht mit Kindern (§§ 70 bis 73, 78, 79) oder wegen einer zur Erregung oder Befriedigung seines Geschlechtstriebs begangenen Körperverletzung oder öffentlich vorgenommenen un­ züchtigen Handlung (§§ 282 bis 284, 88) zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wird, nachdem er schon einmal wegen einer solchen Tat rechtskräftig zu Frei­ heitsstrafe verurteilt worden war, und wenn die Gesamtwürdigung der Taten ergibt, daß er ein gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher ist, 3. wenn er wegen mindestens zwei derartiger Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird und die Gesamtwürdigung der Taten ergibt, daß er ein gefährli­ cher Sittlichkeitsverbrecher ist; im Sinn dieser Vorschrift gelten die Teile einer fortgesetz­ ten Handlung (§ 419) als selbständige Taten. § 412 Abs. 3 gilt entsprechend. Eine ausländische Verurteilung steht einer inländischen gleich, wenn die geahndete Tat nach einer in Abs. 2 Nr. 2 bezeichneten Vorschrift strafbar wäre. Gründe: Rechtsprechung und Schrifttum anerkennen übereinstimmend, daß die Ent­ mannung nur angeordnet werden darf, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert (RGUrt. I 493/34 vom 15. Juni 1934; Schäfer-Wagner-Schafheutle Note 9 a. E. zu § 42k; vergl. Art. 5 Ziffer 3 GewVerbrG). Das Erfordernis ist im Gesetz auszusprechen. Die Übersichtlichkeit wird gefördert, wenn der inhaltreiche Abs. 1 des Entwurfs in zwei Absätze zerlegt wird. In der Reihenfolge ist der schwerste und zugleich einfachste Fall voranzustellen. Bei der Beschreibung des Falls, der im Entwurf als Ziffer 2 vorkommt, im gegenwärti­ gen Vorschlag aber unter Ziffer 3 angeführt wird, ist der letzte Halbsatz entbehrlich. Dagegen muß hier eine Ungerechtigkeit abgewendet werden, die sich aus dem Ausbau der fortgesetzten Handlung ergibt und auch bei der Vorschrift des § 412 Abs. 2 über den Gewohnheitsverbrecher hervortritt. Das Reichsgericht hat wiederholt entschieden, daß eine fortgesetzte Handlung im Sinn des § 20a Abs. 2 und des § 42 k nur als eine Tat anzurechnen sei (RGSt. Bd. 68 S. 297; RGUrt. III1419/34 vom 21. Januar 1935). Doch ist es innerlich nicht gerechtfertigt, die Maßregel gegen den Täter auszuschließen, der dasselbe Kind mehrmals, vielleicht sogar oft zur Unzucht mißbraucht hat und dann in der An­ nahme, daß der ganze Vorgang aus derselben Gelegenheit entsprungen und deshalb als eine Einheit zu betrachten sei, nur wegen einer Tat verurteilt wird. Der neu eingeschaltete Halbsatz beugt dem vor. Der in ihm ausgedrückte Gedanke kann auch so gefaßt werden: „Die Maßregel findet in diesem Fall auch statt, wenn die mehreren Taten als eine fortge­ setzte Handlung (§ 419) beurteilt werden." Die Änderung des letzten Absatzes entspricht dem Vorschlag der Sachbearbeiter des Ministeriums. §432. Untersagung der Berufsausübung Wird jemand wegen einer Straftat, die er unter Mißbrauch seines Berufs oder Gewerbes oder unter grober Verletzung des ihm kraft seines Berufs oder Gewerbes obliegenden Pflichten begangen hat, zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt, so kann ihm das Gericht, wenn der Schutz der Allgemeinheit vor weiterer Gefährdung es erfordert, auf die Dauer von mindestens einem Jahr und höchstens fünf Jahren die Ausübung des Berufs, Gewerbes oder Gewerbezweigs untersagen.

Solange die Untersagung wirksam ist, darf der Verurteilte den Beruf, das Gewerbe oder den Gewerbezweig auch nicht für einen anderen ausüben oder durch eine von seinen Weisungen abhängige Person für sich ausüben lassen. § 406 gilt entsprechend. Gründe: Die Neufassung bedeutet keine Änderung des Inhalts. Das Reichsgericht hat sich darüber ausgesprochen, was im Sinn des § 42 1 StGB unter dem Mißbrauch des Berufs oder Gewerbes zu verstehen ist (RGSt. Bd. 68 S. 397). Einer Erläuterung im neuen Gesetz bedarf es nicht. Übrigens muß, wenn die Möglichkeit eines Aufschubs und einer Aussetzung des Inkrafttretens der Untersagung der Berufsausübung gemäß § 456 d StPO geschaffen wer­ den soll, die Vorschrift hierüber aus der Verfahrensordnung ausgeschaltet und in das Strafgesetz übertragen werden. Dieses Erfordernis ergibt sich daraus, daß die §§ 428 bis 430 Vorschriften enthalten, die sich mit dem Vollzug anderer Maßregeln der Sicherung und Besserung befassen. Hier ist eine einheitliche, in sich geschlossene und in allen Teilen übereinstimmende Regelung notwendig. Mindestens widerspricht es dem Gebot der Ord­ nung und Übersichtlichkeit, wenn gleichartige Bestimmungen für eine Maßregel im Straf­ gesetz, für eine andere in der Verfahrensordnung getroffen werden. § 4.32 a. Untersagung der Gewerbeausübung und Schließung des Geschäfts gegen juristische Personen Wird jemand wegen einer Straftat, die er als Organ oder gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person begangen hat (§ 361), zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt, so kann das Gericht, wenn der Schutz der Allgemeinheit vor weiterer Gefähr­ dung es erfordert, auf die Dauer von mindestens einem Jahr und höchstens fünf Jahren der juristischen Person die Ausübung des Gewerbes oder Gewerbezweiges untersagen oder anordnen, daß ihr Geschäftsbetrieb zu schließen ist. Der juristischen Person steht eine Personenvereinigung gleich, die, ohne Rechtsfähig­ keit zu besitzen, selbständig verklagt werden kann. Die Anordnung wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam. § 432 Abs. 2 gilt entsprechend. Gründe: Die Vorschrift lehnt sich in der neuen Gestalt an den Vorschlag im Beschluß der Unterkommission Nr. 4 vom 10. Mai 1935 an, weicht von ihm aber im Inhalt und in der Form erheblich ab. Im Abs. 1 muß zum Ausdruck gebracht werden, daß die Maßregel nur stattfindet, wenn der als Vertreter handelnde Täter zu Freiheitsstrafe verurteilt wird; die Mindestdauer der Strafe ist gleich wie in § 432 auf drei Monate anzusetzen. Die entsprechende Anwendung des § 406, die jener Beschluß im Abs. 3 vorschlägt, ist nicht am Platz. Sie würde eine unbillige Erstreckung der Frist, innerhalb derer die Untersa­ gung oder Schließung wirkt, zur Folge haben. Denn die Frist wäre erst von dem Tag an zu berechnen, an dem der verurteilte Vertreter die Freiheitsstrafe verbüßt hat und überdies von einer mit Freiheitsentzug verbundenen Maßregel der Sicherung und Besserung end­ gültig freigeworden ist. Diese Härte wird durch die Neufassung der Abs. 3 und 4 ausgeschlossen. §433. Einziehung Das Gericht ordnet neben der Strafe an, daß Sachen oder Rechte, die zur Begehung oder Vorbereitung einer Straftat bestimmt waren oder gebraucht oder durch sie hervorgebracht worden sind, ganz oder teilweise eingezogen werden, wenn es erforderlich ist, um eine durch den Gegenstand drohende Gefahr abzuwenden. Wird auf Einziehung erkannt, so geht das Eigentum oder das andere Recht mit der Rechtskraft des Erkenntnisses auf das Reich über.

Die Einziehung kann selbständig angeordnet werden, wenn das Strafverfahren gegen den Beschuldigten undurchführbar ist. Gründe: Die Gefährlichkeit eines Gegenstandes begründet die Anordnung, daß er eingezogen wird. Sie haftet dem Gegenstand entweder überhaupt, also in der Hand jedes Unberufenen oder nur in der Hand einer bestimmten Person an. Sie liegt vor, wenn von dem Gegenstand eine Gefahr entweder für die Allgemeinheit oder für eine bestimmte Person ausgeht. In jedem Fall kennzeichnet sich die Anordnung der Einziehung als eine verwaltende, nicht als eine richtende Tätigkeit. Denn sie dient nicht der Sühne für schuldhaft begange­ nes Unrecht, sondern beugt künftig zu besorgendem Unrecht vor. Das Strafgesetz muß den Antrag an das Gericht zur Übernahme des Verwaltungsgeschäfts eng begrenzen, weil dieses aus dem Rahmen der ordentlichen Aufgaben der Rechtsprechung herausfällt. Der Umstand, daß das Gericht die Gefährlichkeit eines Gegenstands in einem bei ihm anhängi­ gen Strafverfahren erkennt, reicht nicht aus, um das Recht und die Pflicht des Gerichts zu dem vorbeugenden Eingriff in das Eigentum oder ein sonstiges Recht hervorzurufen. Vielmehr ist die Feststellung zu erfordern, daß der Gegenstand, der unter Aufhebung des bisher an ihm bestehenden Rechts in die staatliche Gewalt gebracht werden soll, in einer bestimmten Beziehung zu einer vom Gericht untersuchten und abgeurteilten Straftat steht und daß diese Tat alle Merkmale der Strafbarkeit aufweist. Der Nachweis des „äußeren Tatbestands" genügt nicht. Hieraus ergibt sich für die Regel — Ausnahmen sind noch zu besprechen — zunächst allgemein folgendes: Wie die gerichtliche Anordnung der Sicherungsverwahrung einer gefährlichen Person nur neben der Strafe stattfindet, so darf das Gericht auch die Einziehung eines gefährlichen Gegenstandes nur, wenn die sachliche Voraussetzung für die Erwiderung auf einen schuldhaften Rechtsbruch gegeben ist, also nur neben der Strafe anordnen. Ist diese Voraussetzung erfüllt und begründet die Untersuchung die Überzeugung des Gerichts von der Gefährlichkeit des Gegenstands, für den die Beziehung zur Straftat nachgewiesen ist, so muß das Gericht die Einziehung anordnen. Es geht nicht an, daß das Strafgesetz dem Gericht durch eine bloße Kann Vorschrift erlaubt, der Anordnung der Einziehung trotz der ermittelten Gefährlichkeit des Gegenstands auszuweichen. Im einzelnen aber ist nachstehendes zu bemerken: Als Gegenstand der Einziehung kommen Sachen und Rechte, nicht Sachen und Vermögenswerte in Betracht. Das Wort Vermögenswerte ist aus § 52 des Entwurfs von 1927 übernommen, wo „Sachen und andere Vermögenswerte" angeführt sind. Es trägt einen falschen Gedanken herein. Denn Sachen unterliegen der Einziehung auch, wenn sie keine Vermögenswerte darstellen, wie dies etwa beim durchaus unverwertbaren, verdorbenen Lebensmittel zutreffen mag. Wenn die Begründung zu § 52 des Entwurfs von 1927 im übrigen glaubte, das Wort Vermögens­ werte verwenden zu sollen, damit auch die Einziehung von Gegenständen, die keine Sachen sind, z. B. von Bankguthaben ermöglicht werde, so ist demgegenüber zu erklären, daß die Bankguthaben sich von den Sachen als körperlichen Gegenständen insofern unterscheiden, als sie Rechte sind, und daß die hier zu gestaltende Vorschrift den Einklang mit dem bürgerlichen Recht in Vorstellung und Wort wahren muß. Die Beziehung des Gegenstands zur Straftat, auf die sich der Eingriff des Gerichts in das Eigentum oder ein sonstiges Recht stützt, ist in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht und den Entwürfen so aufzunehmen, daß die Mittel der Straftat und ihre Erzeug­ nisse erfaßt werden. Der von den Sachbearbeitern des Ministeriums angeregte Abs. 2 läßt eine ungleiche und unbefriedigende Anwendung seitens der Gerichte besorgen. Die in Satz 1 aufgestellte Regel wird durch die in Satz 2 zugelassenen Ausnahmen zu sehr aufgelöst. Ist der Gegenstand seiner Art nach, also in der Hand jedes Unberufenen gefährlich, so darf von der Einziehung nicht um deswillen abgesehen werden, weil er zur Zeit der Tat keinem an

ihr Beteiligten gehörte. Auch macht sich das Bedürfnis der Einziehung bei fahrlässig begangenen Straftaten im Leben immer mehr so geltend, daß gewichtige Bedenken gegen die dort empfohlene, weitgehende Milderung auftauchen. Wird der Kraftradfahrer zum zweitenmal wegen fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr verurteilt und macht die Untersuchung dieses Falls offenbar, daß das Kraftrad in seiner Hand wegen seines Leichtsinns und seiner Rücksichtslosigkeit eine ernste Gefahr für andere bedeutet, so darf für das Gericht nicht der Weg offen bleiben, auf dem es die Einziehung trotzdem aus angeblichen Erwägungen der Billigkeit vermeiden mag. Den Gedanken, aus denen die Anregungen der Sachbearbeiter hervorgegangen sind, kann Rechnung getragen werden, indem die Anordnung der Einziehung davon abhängig gemacht wird, daß sie erforderlich ist, um eine durch den Gegenstand drohende Gefahr abzuwenden. Hiermit wird die Richtung festgelegt, und dem Gericht die Freiheit gewährt, derer es für eine dem Einzelfall angemessene Entscheidung bedarf. Dies gilt insbesondere für die Rücksicht auf das Recht eines an der Straftat Unbeteiligten. Das falsche Geld, das ein Arbeiter aus den im Werkraum gestohlenen Stoffen hergestellt hat, muß eingezogen werden, weil es überhaupt gefährlich ist. Dem Staat bleibt es überlassen, dem Arbeitgeber das, was er durch den Diebstahl verloren hat, insoweit zu ersetzen, als es in den eingezoge­ nen Stücken noch vorhanden ist; die Vorschrift hierüber gehört nicht in das Strafgesetz. Hat der Wilderer ein Gewehr, das ihm von einem Gutgläubigen zu einem berechtigten Zweck anvertraut war, zum unberechtigten Jagen verwendet, so ist die Einziehung nicht erforderlich; denn von dem Gewehr geht eine Gefahr nur in der Hand des Wilderers aus und diese Gefahr kann ohne weiteres dadurch beseitigt werden, daß die Waffe dem Eigentümer ausgefolgt wird. Der Abs. 4 des Entwurfs in seiner ursprünglichen Gestalt, der die Verurteilung des Täters zur Zahlung eines dem Wert des Gegenstands entsprechenden Geldbetrags vor­ sieht, muß wegfallen, weil er sich mit einer Maßregel der Sicherung nicht verträgt. Aus dem § 435 ist in den § 433 als letzter Absatz eine Vorschrift des Inhalts zu übertragen, daß auf die Einziehung selbständig erkannt werden kann, wenn das Strafver­ fahren gegen den Beschuldigten nicht durchführbar ist. Die gemeinsame Regelung der selbständigen Anordnung in einer Vorschrift, die sich mit den Fällen des § 433 und des § 434 befaßt, ist unzweckmäßig, da die sachlichen Voraussetzungen der Einziehung gemäß § 433 von denen der Einziehung nach § 434 abweichen. Der hier vorgeschlagene letzte Abs. bildet die sachlich-rechtliche Grundlage des selbständigen Einziehungsverfahrens, wenn sich tatsächliche oder rechtliche Hindernisse der Durchführung des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten entgegenstellen, indem dieser nach der Tat flüchtig wird oder in Geisteskrankheit verfällt oder die Gunst der Straffreiheit erlangt. Übrigens muß auch im selbständigen Verfahren der Nachweis für die in Abs. 1 enthaltenen sachlichen Vorausset­ zungen der Einziehung erbracht, also insbesondere festgestellt werden, daß der einzuzie­ hende Gegenstand als Mittel einer schuldhaft begangenen Straftat gedient hat oder durch sie hervorgebracht worden ist. Wird für die Einziehung das vorgeschrieben, was der gegenwärtige Vorschlag enthält, so werden die Vorschriften des Besonderen Teils über die Einziehung zum weit überwie­ genden Teil entbehrlich; dies trifft auf die §§ 25 Abs. 1, 34, 41, 128 Abs. 3, 191, 201, 273 Abs. 3, 288 Abs. 4,315 Abs. 3,329 und 341 Abs. 3 zu, nicht aber auf die §§ 267 Abs. 2, 270 Abs. 4, 271 Abs. 2 und 306 Abs. 4. Die in §§ 25 Abs. 2 und 140 vorgesehene Einziehung des Entgelts, das der Landesverräter oder der untreue Amtsträger empfangen hat, unter­ scheidet sich ihrem Wesen nach von der Einziehung, die in § 433 geregelt wird. § 434. Einziehung und Unbrauchbarmachung Ist der Inhalt einer Schrift, Abbildung oder anderen Darstellung so beschaffen, daß jede Verbreitung strafbar wäre, so ordnet das Gericht bei der Entscheidung über die mit der Darstellung begangene Straftat an, daß die zur Verbreitung bestimmten oder öffentlich

ausgelegten oder angebotenen Stücke eingezogen werden und daß die zur Herstellung bestimmten oder gebrauchten Platten und Formen unbrauchbar zu machen sind. Wäre die Verbreitung nur unter besonderen Umständen strafbar, so kann das Gericht die in Abs. i bezeichneten Maßregeln anordnen, soweit sie erforderlich sind, um eine solche Verbreitung zu verhindern. Ist nur ein ausscheidbarer Teil des Inhalts so beschaffen, daß er die Einziehung und Unbrauchbarmachung nach Abs. 1 oder 2 begründet, so beschränkt sich die Anordnung auf diesen Teil. § 433 Abs. 2 gilt entsprechend.

Die Einziehung und Unbrauchbarmachung kann selbständig angeordnet werden, wenn keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann. Gründe: Die Vorschrift des § 434 dient vornehmlich dem Kampf gegen Schriften hoch­ verräterischen Inhalts (§ 34) und gegen unzüchtige Darstellungen (§ 89). In den Verhand­ lungen über die hier in Betracht kommenden Straftaten läßt sich oft nicht mit ausreichen­ der Sicherheit nachweisen, daß der Beschuldigte, der die Verbreitung unternommen hat, den hochverräterischen Zweck der Schrift oder den in der Darstellung verkörperten un­ züchtigen Gedanken erkannt habe. Die Bestimmung des § 32, die sich gegen die fahrläs­ sige Verbreitung hochverräterischer Schriften wendet, schafft insofern einige Abhilfe; die fahrlässige Verbreitung unzüchtiger Darstellungen steht unter keiner Strafdrohung. Unter diesen Umständen ist das Gericht keineswegs selten genötigt, den Angeklagten freizuspre­ chen, obwohl festgestellt wird, daß der Inhalt der verbreiteten Darstellung die Tatbe­ standsmerkmale der Vorschriften gegen die Verbreitung des Hochverrats oder gegen die Verbreitung unzüchtiger Schriften aufweist. Das Strafgesetz hat deshalb Grund, das vor­ beugende Einschreiten des Gerichts auf dem hier betretenen Boden zu erleichtern. Dies geschieht, indem das Gericht zur Anordnung der Einziehung der so gekennzeichneten Gegenstände auch für den Fall berechtigt und verpflichtet wird, daß die Schuld des angeklagten Verbreiters nicht erweislich ist. Abweichend von der Regel, die § 433 aufstellt, genügt im Kampf gegen die hochverräterischen und die unzüchtigen Schriften schon der Nachweis des äußeren Tatbestands dazu, daß das Gericht die gefährliche Sache aus dem Verkehr wegnimmt. Dies bringt Abs. 1 dadurch zum Ausdruck, daß er die Anordnung der Einziehung der Darstellungen, deren Verbreitung wegen ihres gefährlichen Inhalts mit Strafe bedroht ist, nicht neben der Strafe, sondern bei der Entscheidung über die den Gegenstand der Klage bildende Tat vorschreibt. Abs. 2 gilt für die Einziehung der Schriften, deren Verbreitung nur unter besonderen Umständen strafbar ist, wie solche unter anderem in §§ 1 und 6 des Gesetzes zur Bewah­ rung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften angegeben sind. Gegenüber den gefährlichen Darstellungen geht der Auftrag des Strafgesetzes an das Gericht zur Vornahme des Verwaltungsgeschäfts weiter als gegenüber den anderen in § 433 behandelten gefährlichen Sachen. Dementsprechend schafft der letzte Absatz des § 434 auch einen weiteren Boden für das selbständige Einziehungsverfahren. Dieses findet nicht nur in den Fällen statt, die zum letzten Abs. des § 433 angeführt sind, sondern insbesondere auch, wenn die Person, die als der geistige Urheber der hochverräterischen oder unzüchtigen Schrift anzusehen ist oder der die Anfertigung zur Last fällt, nicht ermittelt wird, und wenn der Staatsanwalt von der Verfolgung der Person, bei der eine solche Schrift aufgefunden worden ist, mangels Erweislichkeit der Schuld absieht. §435. Fällt weg. § 43 6. Mehrere Maßnahmen nebeneinander. — Bleibt unverändert.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 4 6 vom 5 . 6. 1933 Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zum Abschnitt: Angriffe auf die Wehrkraft (§§ 42 —49 des Entwurfs 1. Lesung) Angriffe a u f die Wehrkraft.

I. Vorschlag zur Neufassung des Abschnitts. 4. Abschnitt. Angriffe auf die Wehrkraft. § 42. Zersetzung des völkischen Wehrwillens.

Wer öffentlich zur Verweigerung der Dienstpflicht in der deutschen Wehrmacht auffordert oder anreizt oder in anderer Weise öffentlich den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung lähmt oder zersetzt, wird mit Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. § 4 3 . Teilnahme an einer wehrfeindlichen Verbindung.

Unverändert. § 44. Beschimpfung der Wehrmacht.

Unverändert. § 44 a. Gewalttätigkeiten gegen die Führung der Wehrmacht. W er einen A n g riff a u f Leib oder Leben oder die Freiheit des Oberbefehlshabers des Heeres, der Kriegsmarine oder der Luftwaffe begeht, wird, soweit die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist, mit Zuchthaus oder m it Gefängnis nicht unter sechs M onaten bestraft. Ebenso wird bestraft, wer einen dieser Oberbefehlshaber mit Gewalt oder durch Drohung nötigt oder hindert, seine Befugnisse überhaupt oder in einem bestimmten Sinne auszuüben. § 45. Aufwiegelung von Soldaten.

Wer einen deutschen Soldaten zur Gehorsamsverweigerung oder zum Beharren im Ungehorsam oder zur Widersetzung oder zu Tätlichkeiten gegen einen Vorgesetzten auffordert oder anreizt oder in anderer Weise die Manneszucht in der Wehrmacht untergräbt, wird, soweit die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist, mit Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. § 4 6 . Aufforderung zur Fahnenflucht.

Wer einen deutschen Soldaten zur Fahnenflucht auffordert oder anreizt oder die Fahnen­ flucht eines deutschen Soldaten erleichtert, wird mit Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. § 4 7 (bisher § 48). Anwerbung zum ausländischen Heeresdienst.

Wer einen Deutschen zum Heeresdienst einer ausländischen Macht anwirbt oder ihren Werbern oder dem ausländischen Heeresdienst zuführt, wird mit Gefängnis nicht unter drei M onaten bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus. § 4 7 a . Dienstpflichtentziehung. Ein Wehrpflichtiger, der vor Erfüllung der aktiven Dienstpflicht m it dem Vorsatz, sich der Erfüllung der Wehrpflicht zu entziehen, ohne Erlaubnis entweder das Reichsgebiet verläßt oder sich nach Errei­ chung des wehrpflichtigen Alters außerhalb des Reichsgebiets aufhält, wird mit Gefängnis bestraft.

§ 4 7 ^. Verbotene Auswanderung. Ein Wehrpflichtiger des Beurlaubtenstandes, der nach Erfüllung der aktiven Dienstpflicht ohne Erlaubnis auswandert, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder H a ft bestraft. § 4 7 c. Verlassen des Reichsgebietes während eines Krieges. Ein Wehrpflichtiger, der im Widerspruch zu einer vom Führer und Reichskanzler fü r die Z eit eines Krieges oder einer Kriegsgefahr erlassenen und öffentlich bekannt gemachten Anordnung das Reichsge­ biet verläßt oder sich außerhalb des Reichsgebiets aufhält, wird mit Gefängnis bestraft. § 4 7 d. Dienstpflichtentziehung durch Selbstverstümmelung. W er sich durch Selbstverstümmelung oder auf andere Weise zur Erfüllung der Wehrpflicht untaug­ lich macht oder durch einen anderen untauglich machen läßt, wird mit Gefängnis nicht unter sechs M onaten bestraft. Tritt die Untauglichkeit nur zeitweise oder nicht fü r alle Waffengattungen ein, so ist die Strafe Gefängnis. Entsprechend wird, soweit nicht die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist, bestraft, wer einen anderen zur Erfüllung der Wehrpflicht untauglich macht. § 4 7 e. Dienstpflichtentziehung durch Täuschung. W er mit dem Vorsatz, sich oder einen anderen der Erfüllung der Wehrpflicht ganz, teilweise oder zeitweise zu entziehen, a u f Täuschung berechnete M ittel anwendet oder anwenden läßt, wird m it Gefängnis bestraft. § 48 (bisher § 47). Wehrmittelbeschädigung.

Unverändert. § 4P (bisher § 17). Nichterfüllung von Verträgen über Kriegsbedürfnisse.

Abs. 1 unverändert wie bisher § 17. (2) Ebenso werden unterverpflichtete Unternehmer und Vermittler bestraft, die durch Verletzung ihrer Vertragspflicht die Erfüllung oder die gehörige Erfüllung vereiteln oder gefährden. (3) Wer die Tat fahrlässig begeht, wird mit Gefängnis bis zu zwei fahren oder H a ftb e stra ft. § 4P a (bisher § 2 1 ) . Falsche Namensangabe in Festungen.

Wer in einer militärischen Anlage, auf einem Schiff der Kriegsmarine oder innerhalb der deutschen Hoheitsgewässer gegenüber einer Behörde, einem Amtsträger oder einem A nge­ hörigen der Wehrmacht über seinen Namen, seinen Stand, seinen Beruf, sein Gewerbe, seinen Wohnort oder seine Staatsangehörigkeit eine unrichtige Angabe macht oder die Angabe verweigert, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder m it H a ftb e stra ft. Dasselbe gilt, wenn die Tat in einem amtlich bekanntgemachten Sicherungsbereich oder einer gewerblichen Anlage, in der Gegenstände für den Bedarf der deutschen Wehr­ macht hergestellt, ausgebessert oder aufbewahrt werden, begangen ist. § 4 P b (bisher § 2 2 ) . Unbefugte Aufnahm en in Festungen.

Wer unbefugt von einer militärischen Anlage, a u f einem Schiff der Kriegsmarine, innerhalb eines amtlich bekanntgemachten Sicherungsbereichs oder von einer gewerblichen Anlage, in der Gegenstände fü r den Bedarf der deutschen Wehrmacht hergestellt, ausgebessert oder aufbewahrt

werden, Aufnahmen oder Zeichnungen anfertigt oder wer unbefugt derartige Aufnahmen oder Zeichnungen in Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft.

§ 49 c (bisher § 18). Ungehorsam gegen militärische Anordnungen. Wer einem von einer militärischen Dienststelle zur Sicherung der Landesverteidigung erlassenen Gebot oder Verbot zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft. In schwereren Fällen ist die Strafe Gefängnis.

§ 4p d. Feindliche Unternehmungen. Dem Krieg im Sinne dieses Abschnitts wird jede gegen das Reich gerichtete Unternehmung fremder Streitkräfte gleichgeachtet. II. Begründung. Zu §42. Bisher war in § 42 die öffentliche Aufforderung zur Verweigerung des Kriegs­ dienstes in der deutschen Kriegsmacht mit Strafe bedroht. Mit Rücksicht auf das Wehrgesetz vom 21. 5.1935, das die allgemeine Dienstpflicht wieder einführt, wird der Tatbestand auf die Aufforderung zur Verweigerung „der Dienstpflicht in der deutschen Wehrmacht" zu erweitern sein. Zu § 44 a. Auf Wunsch des Reichskriegsministers wird vorgeschlagen, hinter § 44 als § 44 a einen Tatbestand einzufügen, der für Gewalttätigkeiten gegen die Führung der Wehrmacht eine besondere Strafe androht. In den §§ 109 und 214 des Entwurfs erster Lesung sind bereits Gewalttätigkeiten gegen die Reichsregierung und gegen die Führer der Bewegung unter besondere Strafandrohung gestellt worden. Da nach den Richtlinien des Führers und Reichskanzlers der Staat in gleicher Weise auf der Wehrmacht und der Partei beruht, so darf die Wehrmacht nicht minder geschützt werden. Dieser besondere Schutz der Wehrmachtführung ist auf die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtsteile, nämlich des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe (vgl. § 2 des Wehrgesetzes) zu beschrän­ ken. Zu § 45. Entsprechend einem Vorschlage des Reichskriegsministers wird der Tatbe­ stand auf die Aufforderung „zur Gehorsamsverweigerung oder zum Beharren im Unge­ horsam" abzustellen sein, da der einfache Ungehorsam gegen Befehle in Dienstsachen nicht mehr gerichtlich, sondern nach dem Ermessen des Disziplinarvorgesetzten nur noch disziplinarisch strafbar ist, sofern nicht die besonderen Voraussetzungen des § 92 MStGB. gegeben sind. Außerdem wird auf Wunsch des Reichskriegsministers an Stelle des Wortes „Widersetzlichkeiten" entsprechend dem Sprachgebrauche des §96 MStGB.: „Widerset­ zung" zu setzen sein. Statt „verleitet" wird vorgeschlagen, „auffordert oder anreizt" entsprechend dem Sprachgebrauch in ähnlichen Tatbeständen zu sagen. Der Tatbestand wird im Gegensatz zu der bisherigen Fassung auf die Verleitung eines bestimmten Soldaten zu beschränken sein. Die Aufforderung und das Anreizen zu diesen Straftaten ist, wenn sie sich an einen unbestimmten Kreis von Soldaten richtet, bereits durch § 154 des Entwurfs erfaßt, gleichviel ob es sich um bestimmt bezeichnete Straftaten handelt oder nicht. Richtet sich die Aufforderung an einen bestimmten Soldaten, so ist sie, falls sie Erfolg hat, schon nach § 360 E. (2. Lesung) in Verbindung mit dem Mil.StGB. strafbar. Nur für die an einen bestimmten Soldaten gerichtete, erfolglose Aufforderung bedarf es einer besonderen Vorschrift im vorliegenden Abschnitt, weil die erfolglose Anstiftung zu Widersetzlichkeiten usw. nach den allgemeinen Vorschriften (§ 363 in der Fassung der 2. Lesung) nicht strafbar wäre, da es sich nicht um mit dem Tod oder mit Zuchthaus bedrohte Straftaten handelt. Zu §46. Bezüglich „Verleitung" und „verleitet" und bezüglich der Beschränkung des Tatbestands auf die Aufforderung an einen bestimmten Soldaten vgl. zu § 45.

Zu § 47. Es wird vorgeschlagen, die Mindeststrafe des Abs. 1 auf Gefängnis nicht unter drei Monaten zu erhöhen (vgl. § 141 StGB.) und insoweit einen neuen Strafrahmen zu bilden, der auch bei anderen Tatbeständen gebraucht wird. Zu §§47a — e. Durch die Wiedereinführung der allgemeinen Dienstpflicht sind fol­ gende neue Tatbestände notwendig: 1. § 47 a: Dienstpflichtentziehung, 2. § 4 7 b .-VerboteneAuswanderung, 3. § 47 c: Verlassen des Reichsgebietes während eines Krieges, 4. § 47 d: Dienstpflichtentziehung durch Selbstverstümmelung, 5. §47 e: Dienstpflichtentziehung durch Täuschung. Die Fassung der Vorschriften entspricht der mit dem Reichskriegsministerium verein­ barten Neufassung der §§ 140 ff. StGB., die demnächst dem Kabinett zur Beschlußfassung unterbreitet werden wird. Zu § 49. Es wird vorgeschlagen, § 49 in der Fassung der ersten Lesung als überflüssig zu streichen, da kaum Fälle denkbar sind, die nicht unter § 15 (Begünstigung des Feindes) fallen. An seine Stelle werden folgende Tatbestände, die bisher im Abschnitt Landesverrat untergebracht waren, dort aber nur gezwungen hinpassen, zu setzen sein: 1. §49 (bisher §17): Nichterfüllung von Verträgen über Kriegsbedürfnisse, 2. § 49 a (bisher § 21): Falsche Namensangabe in Festungen, 3. § 49 b (bisher § 22): Unbefugte Aufnahmen in Festungen, 4. § 49 c(bisher Z iS): Ungehorsam gegen militärische Anordnungen. Im einzelnen werden zu diesen vier Tatbeständen noch folgende Abänderungsvor­ schläge gemacht: Zu § 49: In Abs. 2 können die Worte „und Bevollmächtigte" wegen der in zweiter Lesung beschlossenen Erweiterung der Täterschaft auf Vertreter (§ 361 i. d. F. der Be­ schlüsse zweiter Lesung) gestrichen werden. Bei der fahrlässigen Begehung (Abs. 3) wird die Strafdrohung auf Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft zu mildern sein. Zu § 49 a: In Abs. 1 kann das Wort „vorsätzlich" gestrichen werden. Ferner ist „Reichs­ marine" durch „Kriegsmarine" zu ersetzen (vgl. § 2 des Wehrgesetzes). Die Worte: „einem Beamten oder einem Soldaten" werden zu ersetzen sein durch: einem Amtsträger oder einem Angehörigen der Wehrmacht. Um die Verdachtsstrafe in § 23 des Entwurfs erster Lesung zu beseitigen, wird vorge­ schlagen, die Strafdrohung des Abs. 1 in Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft umzu­ wandeln. Mit Rücksicht auf § 145 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfs erster Lesung, der den Widerstand gegen die Staatsgewalt nur dann straflos läßt, wenn er sich gegen einen offensichtlich groben Mißbrauch der Amts- oder Dienstgewalt richtet, wird vorgeschlagen, den Absatz 3 zu streichen. Zu §49b: Der bisherige §22 des Entwurfs stimmte mit dem bisherigen §21 des Entwurfs insofern nicht völlig überein, als in § 22 nicht die Schiffe der Kriegsmarine genannt und als geschützte Gebäude nur solche aufgeführt waren, in denen Heeresbedürf­ nisse gelagert werden. Es wird vorgeschlagen, die beiden Tatbestände insoweit überein­ stimmend zu gestalten. Als Strafdrohung wird auch hier Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft vorgeschlagen; dadurch wird § 23 des Entwurfs erster Lesung überflüssig. Zu § 49 c: Der Tatbestand in der bisherigen Fassung des § 18 erscheint insoweit zu eng, als nur Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen der Reichsregierung erfaßt werden. Krimi­ nell strafbar erscheinen schon alle Zuwiderhandlungen, die gegen Anordnungen militäri-

scher Dienststellen begangen sind, wenn diese zur Sicherung der Landesverteidigung erlassen wurden. Die schwerere Strafdrohung des Abs. 2 wird zweckmäßig allgemein auf schwerere Fälle ausgedehnt. Zu § 49 d. Mit Rücksicht auf die Tatbestände der §§ 47 e und 49 bedarf es auch hier einer Vorschrift über „Feindliche Unternehmungen", die dem § 19 des Entwurfs 1. Lesung entspricht. Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 47 vom 5 . 6. 1935 Bemerkungen und Anregungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu dem Abschnitt: Störung der Beziehungen zum Ausland (§§ 11} —117 des Entwurfs 1. Lesung) 1. Zu § i i ) : Die Verweisung in § 113 Abs. 2 ist den Beschlüssen der Unterkommission 2. Lesung (Nr. B 5) anzupassen. Statt § 365 Abs. 2 muß es heißen: § 365 a Abs. 2. 2. Zu §114: Das Auswärtige Amt hat gegenüber der Fassung des § 114 das Bedenken geäußert, daß der Relativsatz „das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält" auch auf das ausländische Staatsoberhaupt bezogen werden könne. Um diesem Mißver­ ständnis vorzubeugen, wird folgende Fassung des Abs. 1 vorgeschlagen: „Wer gegen ein ausländisches Staatsoberhaupt eine Beleidigung oder Ehrabschneidung begeht, wird mit Gefängnis bestraft,- im Falle der Verleumdung ist die Strafe Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Ebenso wird bestraft, wer die Tat gegen ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder gegen einen beim Reiche beglaubigten Gesandten oder Geschäftsträger begeht." 3. Zu § 116: Es wird vorgeschlagen, die verbürgte Gegenseitigkeit, die nach der jetzigen Fassung eine Strafbarkeitsbedingung darstellt, in eine Bedingung für die Straf Verfolgung umzugestalten. Das erscheint richtiger, da für die Strafbarkeit nach § 347 grundsätzlich das Recht zur Zeit der Tat maßgebend sein soll, während die Gegenseitigkeit zur Zeit der Aburteilung verbürgt sein muß. Um weiterhin das Mißverständnis zu vermeiden, als seien Gesandtenbeleidigung und Beschädigung ausländischer Hoheitszeichen ohne Verbürgung der Gegenseitigkeit überhaupt nicht strafbar und verfolgbar, wird folgende Fassung des § 116 vorgeschla­ gen: „In den Fällen der §§ 113 bis 115 tritt Verfolgung nur auf Verlangen der ausländi­ schen Regierung und nur dann ein, wenn dem Reiche die Gegenseitigkeit zur Zeit der Aburteilung verbürgt ist." 4. Die Überschrift des § 117 lautet statt: „Neutralitätsverletzung" besser „Neutralitätsge­ fährdung", weil im strengen Sinn eine Neutralitätsverletzung nur die Reichsregierung, nicht eine Privatperson begehen kann. Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 48 vom 5 . 6. 19)9 Bemerkungen und Anregungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zum Titel: Eidesverletzung (§§ 179 — 180 des Entwurfs 1. Lesung) §175. Meineid. Wer vor Gericht oder einer anderen zur Vereidigung zuständigen Behörde unter Eid die Unwahrheit sagt oder die Wahrheit verschweigt, wird mit Zuchthaus bestraft und auf Lebenszeit für untauglich erklärt, als Zeuge eidlich vernommen oder als Sachverständiger gehört zu werden. In leichteren Fällen kann auf Gefängnis nicht unter sechs Monaten erkannt werden; danaben kann die Untauglichkeit, als Zeuge eidlich vernommen oder als Sachverständiger gehört zu werden, auf die Dauer von fünf bis zu zehn Jahren beschränkt werden. Wer leichtfertig falsch schwört, wird mit Gefängnis bestraft.

§ 1 7 6 . Falsche Versicherung an Eidesstatt.

Wer gegenüber einer zur Entgegennahme von Versicherungen an Eidesstatt zuständi­ gen Behörde unter einer solchen Versicherung die Unwahrheit erklärt oder die Wahrheit verschweigt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, in besonders schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft. Wer die Tat leichtfertig begeht, wird mit Gefängnis bestraft. § 177 (unverändert) § 178. Irrtum über Voraussetzungen der Bestrafung.

In den Fällen der §§ 175 bis 177 tritt die Bestrafung auch dann ein, wenn der Täter irrtümlich geglaubt hat, die Behörde, der gegenüber er die unwahre Angabe beteuert hat oder hat beteuern lassen, sei zur Entgegennahme einer solchen Beteuerung nicht zuständig oder die Beteuerung sei in dem Verfahren nicht zulässig gewesen. § 178 a. Falsche Aussage eines fü r eidesunfähig Erklärten. Die Strafe des § 17s trifft auch den, der vor einer Behörde die Unwahrheit sagt oder die Wahrheit verschweigt, wenn die Behörde ihn nicht eidlich vernehmen kann, weil er fü r untauglich erklärt ist, als Zeuge eidlich vernommen oder als Sachverständiger gehört zu werden, und er a u f die Strafbarkeit einer falschen Aussage hingewiesen worden ist. § 1 7 9 . Tätige Reue.

Wegen Eidesverletzung wird nicht bestraft, wer die falsche Angabe rechtzeitig richtigstellt. Die Berichtigung ist rechtzeitig, wenn sie erfolgt, bevor aus der falschen Angabe ein Nachteil für einen anderen entstanden ist. Verspätet ist die Berichtigung, wenn der Täter zuvor von einer gegen ihn erstatteten Anzeige oder eingeleiteten Untersuchung Kenntnis erhalten hat. Abs. 3 wie bisher. § 180. Sonstige Fälle der Eidesverletzung. A ls Aussage unter Eid gilt auch die Aussage unter einer an Stelle des Eides zugelassenen Beteue­ rungsform oder unter Berufung a u f einen früher geleisteten Eid.

Eidesverletzungen gegenüber anderen Stellen, die Eide abnehmen oder Versicherun­ gen an Eidesstatt entgegennehmen können, werden Eidesverletzungen vor Behörden gleichgestellt. Begründung: Zu § 1 7 5 : Die Vorschrift wird zwecks Vereinfachung zu entlasten sein. Der Fall der Verwendung einer Beteurungsform kann in den § 180, der seltene Fall des Abs. 2 in eine besondere Vorschrift (vgl. § 178 a) verwiesen werden. Entsprechend der in 2. Lesung beschlossenen Streichung des § 396 Abs. 2 wird die obligatorische Ehrloserklärung in § 175 zu beseitigen sein. Statt dessen wird der obligato­ rische Ausspruch der Untauglichkeit, als Zeuge eidlich vernommen oder als Sachverstän­ diger gehört zu werden (vgl. § 399 1. Lesung) vorzusehen sein, da diese Ehrenstrafe sonst nur im Falle der Ehrloserklärung Anwendung fände. Hierbei wird von Untauglichkeit, nicht von Unfähigkeit zu sprechen sein, um klarzustellen, daß ein etwa ungeachtet des Ausspruchs der Untauglichkeit abgenommener Eid die Grundlage eines Eidesdelikts bil­ den kann. Z u § 176: Das bisher vorgesehene Strafmaß ist — auch unter der Voraussetzung einer Reform der eidesstattlichen Versicherung — zu hoch und erklärt sich durch die in 1. Le­ sung vorgesehene zu geringe Zahl der Strafrahmen. Als Regelstrafe wird Gefängnis nicht unter drei Monaten vorgeschlagen. Auch hierin liegt bereits eine erhebliche Verschär-

fung gegenüber dem geltenden Recht, das Gefängnis nicht unter einem Monat und im Rahmen des § 27 b StGB auch Geldstrafe zuläßt. Für besonders schwere Fälle — aber auch nur für diese — wird Zuchthaus vorgeschlagen. Zu § 177: In der Begründung wird auszuführen sein, die Strafvorschrift werde beibe­ halten, um Zweifel auszuschließen. Sie sei vielleicht entbehrlich, falls der Schwörende leichtfertig falsch schwört, da in diesem Falle nach § 360 Abs. 1 (Fassung der 2. Lesung) das Ergebnis des § 177 ohnehin gesichert sei. Es könne aber zweifelhaft sein, ob § 360 Abs. 1 auch dann anwendbar sei, wenn der Schwörende nur leichtfahrlässig handele oder wenn ihm ein Schuldvorwurf überhaupt nicht gemacht werden könne, da man alsdann davon ausgehen könne, daß es sich alsdann um einen Fall der Eintäterschaft (vgl. § 358 in der Fassung 2.Lesung: „der schuldhaft die Straftat. . . durch einen anderen ausführt"), handle. Zu §178: Der vorgeschlagene Zusatz „oder hat beteuern lassen" soll die Anwendung des §178 auf den Fall des § 177 erleichtern. Zu § 178a: Die Vorschrift entspricht dem § 175 Abs. 2, beschränkt den letzteren aber auf den Fall, daß die Eidesunfähigkeit auf der Untauglichkeit beruht, als Zeuge eidlich vernommen oder als Sachverständiger gehört zu werden. Die bisherige Fassung bezog auch den noch nicht Eidesmündigen sowie denjenigen ein, der wegen Verstandes schwä­ che vom Wesen des Eides keine genügende Vorstellung hat; in diesen Fällen erscheint jedoch die Bestrafung der unbeeidigten falschen Aussage nicht angezeigt (vgl. § 202 des Entwurfs der StPO, 1. Lesung). Zu § 17p: Abs.i wird in Anpassung an § 364 Abs. 2 des Entwurfs in der Fassung 2. Lesung dahin zu beschränken sein, daß nur die Strafe wegen Eidesverletzung entfällt. Hat A im Strafverfahren gegen X vorsätzlich der Wahrheit zuwider beschworen, die zur Anklage stehende Tat sei nicht von X, sondern von Y ausgeführt, so bleibt A im Falle rechtzeitiger tätiger Reue wegen der etwaigen wissentlich falschen Anschuldigung des Y und der Begünstigung des X strafwürdig. Die bisherige Fassung der Abs. 2 und 3 hat zum Ziele, im Interesse der Ermittelung der Wahrheit den Anwendungsbereich des § 179 nach Möglichkeit auszudehnen. Bei der bisherigen Fassung des § 179 Abs. 2 Satz 1 wird dies Ziel jedoch nicht erreicht. Eine Entscheidung oder Verfügung wird in aller Regel sogleich im Anschluß an die falsche Angabe getroffen werden; Kausalzusammenhang zwischen der falschen Angabe und der Entscheidung oder Verfügung erfordert die bisherige Fassung nicht. Es bleibt daher kaum Zeit für rechtzeitige tätige Reue. Das gleiche gilt nach der bisherigen zweiten Alternative, da die Möglichkeit eines Nachteils, sobald die falsche Angabe vorliegt, meist nicht wird in Zweifel gezogen werden können. Will man beide Alternativen beibehalten, so müßte daher in der ersten mindestens Kausalzusammenhang zwischen der Entscheidung oder Verfügung und der falschen Angabe erfordert werden und im zweiten Falle die tatsächli­ che Entstehung eines Nachteils, nicht die bloße Möglichkeit seiner Entstehung als der Zeitpunkt vorzusehen sein, in welchem es für die Berichtigung zu spät ist. Auch dann bleibt aber das Verhältnis der ersten zur zweiten Alternative unklar; auch müßte wohl der Kreis der „Entscheidungen oder Verfügungen" noch näher begrenzt werden, da auf die falsche Angabe hin auch für die Beteiligten gleichgültige Verfügungen getroffen werden können, auf die es in unserem Zusammenhang nicht ankommen kann. Es wird daher empfohlen, die erste Alternative ganz zu streichen. Ähnlich das geltende Recht; vgl. § 158 StGB. Zu § 180: Hier wird der Fall der an Stelle des Eides zugelassenen Beteuerungsform zur Entlastung des § 175 nachträglich erwähnt werden können. Gleichzustellen wird der Fall sein, daß der Täter sich auf einen früher geleisteten Eid berufen hat. Entgegen der Auffas­ sung der Note 1 auf S. 39 des gedruckten Entwurfs wird davon auszugehen sein, daß die Gleichstellung der Berufung auf einen früher geleisteten Eid mit dem Eid selbst ein

materiellrechtlicher Rechtssatz ist; die Strafprozeßordnung wird lediglich vorzusehen ha­ ben, wann sich der Richter mit der Berufung auf einen früher geleisteten Eid begnügen kann. So auch die Strafprozeßkommission; vgl. § 213 ihres Entwurfs 1. Lesung.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 49 vom 3 . 6. 1935 Anträge des Landgerichtsdirektors Leimerzu dem Abschnitt: Auflehnung gegen die Staatsgewalt (§§ 149 — 136 des Entwurfs 1. Lesung)

Zu § 14s Abs. 2 Satz 2: Dafür zu setzen: „Berufung auf Notwehr ist ausgeschlossen. Ist die Vornahme der Amts- oder Diensthandlung ein offensichtlich grober Mißbrauch der Amts- oder Dienst­ gewaltl so kann von Strafe abgesehen werden." Begründung: Gegenüber Amts- oder Diensthandlungen darf es keine Notwehr geben. Das bringt die bisherige Fassung nicht genügend zum Ausdruck. Sie läßt auch jeden Angriff und jede Hinderung ohne Rücksicht auf Stärke und Mittel straflos, wenn sie sich nur gegen einen offensichtlich groben Mißbrauch richten. Das kann zur Straflosigkeit von schweren Übergriffen führen, deshalb sollte es der Beurteilung im Einzelfall überlassen bleiben, ob bei Mißbrauch der Amts- oder Dienstgewalt Straflosigkeit einzutreten hat. Zu §146 Abs. 1: Statt „Anstaltsbeamten" ist „Amtsträger" zu setzen, um auch verneh­ mende Richter, Staatsanwälte, Urkundenbeamte und Polizeibeamte zu schützen. Die von Gefangenen mit vereinten Kräften vorgenommene Zerstörung oder Beschädi­ gung von Sachen ist nicht immer Meuterei (z. B. Gefangene auf Arbeit verschaffen sich einen benötigten Pfahl durch Abbrechen von einem Zaun), es muß aus Widersetzlichkeit geschehen. Deshalb: . . oder aus Widersetzlichkeit Sachen zerstören... .". Als Mindeststrafe sind sechs Monate Gefängnis vorzusehen wie in § 122 StGB. Zu § is s ’Die Vorschrift ist wie folgt zu fassen: „ Vorbereitung der Aufforderung. Wer Schriften, Schallplatten oder bildliche Darstellungen, die eine Aufforderung oder Anreizung zur Auflehnung gegen Gesetze, zur Steuerverweigerung oder zu strafbaren Handlungen (§§192 —194) enthalten, herstellt, verbreitet oder zum Zwecke der Verbreitung vorrätig hält, obwohl er den Inhalt kennt oder bei sorgfältiger Prüfung hätte erkennen können, wird mit Gefängnis bestraft." Begründung: Die Überschrift „Herstellung von Hetzschriften" ist einerseits zu weit, andererseits zu eng. Zum äußeren Tatbestand gehört auch das Merkmal der Öffentlichkeit, dieses umfaßt der Inhalt der Schriften nicht, so ist die Vorschrift auch nicht gemeint. Strafbar soll natürlich auch sein, wer den Inhalt kennt; ob hier schon ein Beginn (Versuch) der Taten nach §§ 132 —154 gegeben ist, dürfte fraglich sein. Diesen Gesichtspunkten soll der Änderungsvorschlag Rechnung tragen. Zu § 196: Folgende Fassung wird vorgeschlagen: „Wer einen Polizeibeamten oder einen mit der Beaufsichtigung von Gefangenen Beauftragten zur Verletzung seiner Dienstpflicht aufzuwiegeln sucht, wird mit Gefängnis bestraft." Begründung: Zur Verletzung der Dienstpflichten sucht auch zu verleiten, wer zum Dank für eine Auskunft dem Polizeibeamten ein Geschenk anbietet, den Gefangenenwachtpo­ sten verleitet, die dargereichte Zigarre anzuzünden. Das ist kein „Aufwiegeln", es soll auch nicht unter diese Vorschrift fallen. Wie in § 130 Abs. 2 kann nur eine bedeutsame Dienstpflichtverletzung in Frage kommen. Das Wort „aufwiegeln" im Text der Vorschrift bringt dies zum Ausdruck.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B s o vom 3. 6. 193s Anträge des Landgerichtsdirektors Leimerzu dem Titel: Angriffe auf Rechtspflege und Verwaltung (§§ 157 — 174 des Entwurfs 1. Lesung)

Zu § 158: Folgende Fassung wird vorgeschlagen: „ Unlautere Einwirkung auf die Rechtspflege. Wer es unternimmt, während eines bei einer deutschen Behörde schwebenden Strafver­ fahrens oder Dienststrafverfahrens in unlauterer Weise, insbesondere unter öffentlicher Erörterung der Schuldfrage, auf die zur Entscheidung berufenen Mitglieder der Behörde, Vertreter der Anklagebehörde, Zeugen oder Sachverständige einzuwirken oder sie einzuschüchtern, wird mit Gefängnis bestraft." Begründung: Die bisherige Fassung ist zu eng, nur die unlautere Erörterung der Schuld­ frage soll getroffen werden. Das darf sich nicht nur aus der Überschrift ergeben. Deshalb soll es unter Hinweis darauf, daß die öffentliche Erörterung der Schuldfrage dazu benützt werden kann, in die Vorschrift aufgenommen werden. Da auch Dienststrafverfahren unter die Vorschrift fallen sollen, ist die Überschrift allgemeiner zu fassen und statt „Mitglieder des Gerichts" „die zur Entscheidung berufenen Mitglieder der Behörde" gesetzt. Zu § 159: In Abs. 1 sollte, da zuerst von „fälschen oder verfälschen" die Rede ist, auch weiterhin statt „falsch" „gefälscht" stehen, zumal „falsch" auch „unterschoben" umfaßt, ohne daß ein Fälschen oder Verfälschen vorliegen muß. In Abs. 3 ist Satz 1 von besonderer Bedeutung für den Fall des Gebrauchmachens, denn das Fälschen oder Verfälschen allein könnte nach der allgemeinen Vorschrift über tätige Reue bereits straflos bleiben; der Satz erweckt aber gerade den Anschein, als ob er nur das Fälschen oder Verfälschen betreffe. Deshalb wird folgende Fassung vorgeschlagen: „Der Täter wird nicht bestraft, wenn er rechtzeitig aufdeckt, daß das Beweismittel gefälscht oder verfälscht ist." In Abs. 3 Satz 2 sollte statt „entstehen konnte" „entstanden ist" stehen, weil auch das Gebrauchmachen getroffen werden soll und ein Schaden schon von allem Anfang an entstehen kann, so daß eine rechtzeitige Aufdeckung fast immer ausgeschlossen wäre. Es dürfte auch nicht jede Entscheidung oder Verfügung die Rechtzeitigkeit der Aufdeckung ausschließen, vielmehr nur eine „auf das Beweismittel" hin ergehende. Deshalb: „Die Aufdeckung ist rechtzeitig, wenn sie erfolgt, bevor auf das Beweismittel eine Entscheidung oder Verfügung getroffen worden ist oder aus der Tat ein Nachteil für einen anderen entstanden ist." Zu § 160: Auch das „Unbrauchbarmachen" wird aufzuführen sein. Zu § 161: In Abs. 1 ist statt „oder mit Zuchthaus" zu setzen „oder in erster Linie mit Zuchthaus", damit die „besonders schweren Fälle", deren Vorliegen nicht ohne weiteres erkannt werden kann, hier ausscheiden (vgl. Mezger in B 5). Die Fassung „nur mit Zucht­ haus bedrohten" ist nicht verwendbar, solange Strafandrohungen wie in §§ 109, 110 bleiben, da hier Anzeigepflicht bestehen muß. Die Bedingung „wenn die Tat begonnen worden ist" paßt nur zur Nichtanzeige des Vorhabens einer strafbaren Handlung, nicht aber zur Nichtanzeige der Begehung einer solchen. Sie dürfte auch mit dem Willensstrafrecht nicht vereinbar sein. Ihre Streichung wird vorgeschlagen. Der Abs. 4 hat zu lauten: „Die Strafbarkeit ist unabhängig von der Strafbarkeit dessen, der die strafbare Handlung begehen wollte oder begangen hat", denn auch das Vorhaben kann strafbar sein (vgl. §§ 364,365). In Abs. 6 ist der Satz 2 über die besondere Stellung der Vertrauenspersonen zu strei­ chen. Wenn sich die Anzeigepflicht auf die schwersten Verbrechen beschränkt, muß das Berufsgeheimnis den höheren Interessen der Allgemeinheit weichen; ein Abhalten von der

Tat oder eine Abwendung des Erfolgs wird für solche Vertrauenspersonen überhaupt kaum in Frage kommen. Zu§ 163: In Abs. 1 ist auch die mit dem Tode bedrohte Tat aufzuführen. Zu § 164: Für Abs. 1 gilt dasselbe wie vor. — In Abs. 2 sind die Worte „wegen einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Tat" zu streichen, weil es für Übertretungen künftig keine Frei­ heitsstrafen geben wird; statt „Strafe" ist „Todes- oder Freiheitsstrafe" zu setzen. Auch die Vereitlung der Einziehung ist aufzuführen (vgl. B 24). Zu§ 166 Abs. 3 ; Um nicht den Eindruck zu erwecken, als seien „wider besseres Wissen" und „vorsätzlich" Gegensätze, dürfte nach dem Worte „aber" das Wörtchen „doch" einzu­ fügen sein. Zu §169: Wie in § 160 wird eine schwerere Strafe vorzusehen sein, wenn die Tat von einem Amtsträger unter Mißbrauch seiner Amtsstellung begangen wird (vgl. §§ 348, 349 StGB). An § 172 ist anzuschließen: „§ 172 a. Mißbrauch von Notzeichen. Wer wissentlich mit Notrufen oder Notzeichen in einer Weise Mißbrauch treibt, die geeignet ist, eine größere Anzahl von Menschen zu beunruhigen oder zu schädigen, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft." Begründung: In der ersten Lesung ist die Aufnahme einer solchen Vorschrift angeregt worden. Die vorgeschlagene Fassung entspricht jener in § 395 Ziffer 2 des RefEntw. 1933.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 51 vom 7. 6. 193 s Anregungen und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zum Titel: Angriffe a u f Ehe und Familie (§§ 6 0 — 69 des Entwurfs 1. Lesung)

1. Vorbemerkung. Es wird vorgeschlagen, die Personenstandsverletzung (§ 67) an den Schluß des Ab­ schnitts zu stellen; bei der jetzigen Stellung werden die zusammengehörigen Vorschriften über die Verletzung der Unterhaltspflichten (§§ 66,68,69) auseinandergerissen. Ferner wird mit Rücksicht auf die engere Zusammengehörigkeit der §§ 66 und 69 des Entwurfs vorgeschlagen, den § 69 (Beiseiteschaffen der Familienhabe) unmittelbar hinter § 66 zu stellen. 2. Zu §61. Es wird vorgeschlagen, die Abs. 2 und 3 zu streichen. — Gegen Abs. 2 bestehen erhebliche Bedenken. Unter Abs. 2 des Entwurfs würden die Fälle fallen, in denen ein Ehegatte seinen ersten Ehegatten irrtümlich — etwa weil dieser im Krieg oder in Kriegsgefangenschaft verschol­ len oder ausgewandert und seit Jahren keine Nachricht von ihm gekommen war — für tot gehalten hat und deshalb eine neue Ehe einging, und diese Ehe fortsetzt, nachdem sich unerwarteterweise herausgestellt hat, daß der Totgeglaubte noch lebt. Diese Fälle werden, da in der Regel nach den Bestimmungen des Personenstandgesetzes eine neue Eheschlie­ ßung ohne Nachweis der Auflösung der früheren Ehe durch Tod des anderen Ehegatten oder Richterspruch oder der erfolgten Todeserklärung des anderen Ehegatten nicht mög­ lich sein wird, äußerst selten sein. Werden sie aber einmal praktisch, so stellen sie die beteiligten Ehegatten vor tragische Konflikte. Es erscheint zweifelhaft, ob es nach der gesunden Anschauung des Volkes wirklich strafwürdig ist, wenn ein solcher Ehegatte sich nicht entschließen kann, selbst die zur formellen Auflösung der neuen Ehe erforderlichen Schritte zu ergreifen. Man wird um so mehr geneigt sein, die Frage zu verneinen, als die Zerstörung des rechtlichen Bestands der 2. Ehe ohne weiteres dadurch erreicht werden

kann, daß der Staatsanwalt von sich aus die Nichtigkeitsklage erhebt (§ 632 ZPO), sobald er Kenntnis von dem Bestehen einer Doppelehe erhält; und solange er diese Kenntnis nicht hat, könnte andererseits ja auch eine Strafverfolgung aus § 61 nicht Platz greifen. Es wird schwer sein, dem Ehegatten, der vielleicht aus sittlich durchaus anerkennenswerten Be­ weggründen handelt, verständlich zu machen, daß er bestraft wird, weil er eine Maßnahme unterläßt, auf die es für die Beseitigung der Doppelehe in der Regel gar nicht entscheidend ankommt. Es kommt noch hinzu, daß trotz des § 61 Abs. 2 nicht vermieden werden könnte, daß die betreffenden Ehegatten alsbald nach Beendigung des Nichtigkeitsprozes­ ses, oder gar schon während er noch schwebt, in wilder Ehe weiter wie Eheleute leben. Es ist aber sehr die Frage, ob es wirklich als ein Gewinn anzusehen wäre, wenn in solchen Fällen der Erfolg der Strafdrohung lediglich der wäre, daß die Ehegatten die Doppelehe in eine wilde Ehe verwandeln. Wird Abs. 2 gestrichen, so muß auch Abs. 3 gestrichen werden. Denn da die Doppelehe des Abs. 1 Zuchthaus würdig ist, kommt das Stadium der Verfolgungs wranöglichkeit über­ haupt nicht in Betracht. Sollte aber Abs. 2 beibehalten werden, so bedarf es einer Fassungsänderung. Die jetzige Fassung trifft nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens nur den schon vorher verheirateten Teil, obwohl auch der Unverheiratete erfaßt werden soll. Eine diese Unklar­ heit vermeidende Fassung könnte etwa lauten: „Wer, abgesehen von diesen Fällen, nach­ dem er erfahren hat, daß seine oder seines Ehegatten frühere Ehe noch besteht, es unterläßt, unverzüglich die zur Beseitigung der Doppelehe erforderlichen Schritte zu ergreifen, wird mit Gefängnis bestraft. Die Frist, nach deren Ablauf die Tat wegen Zeitablaufs nicht mehr verfolgt werden darf, beginnt erst zu laufen, wenn eine der beiden Ehen aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist." 3. Zu §62. Es wird vorgeschlagen, den Abs. 2 wie folgt zu fassen: „Ebenso wird bestraft, wer einen anderen durch eine arglistige Täuschung, wegen der die Ehe angefochten werden kann, dazu bestimmt, mit ihm die Ehe zu schließen." Das Erfordernis der Arglist ist in Abs. 2 — im Gegensatz zu Abs. 1 — weggelassen worden aus der Erwägung, es ergebe sich ohne weiteres aus § 1334 BGB., wonach die Anfechtung der Ehe eine arglistige Täuschung voraussetzt. Diese Annahme ist jedoch nicht zutreffend. Denn das Erfordernis der Arglist hat im bürgerlichen Recht eine andere Bedeutung als im Strafrecht. Nach herrschender Meinung ist im Falle des § 170 StGB, erforderlich, daß der Täter mit der Absicht handle, dem anderen Ehegatten durch die Eheschließung etwas Arges anzutun. Dagegen verlangt § 1334 BGB nichts weiter, als daß der Getäuschte zum Abschluß einer Ehe bestimmt werden soll, die er ohne die Täuschung nicht abschließen würde. Daß die Täuschung in der Absicht geschieht, dem Getäuschten etwas Arges anzutun, darf nicht gefordert werden (vgl. RGZ. 111, 5). Wenn somit der Entwurf das Merkmal der Arglist nur in Abs. 1 des § 62 erwähnt, so bedeutet dies, daß die Strafbarkeit in den Fällen des Abs. 1 gegenüber den Fällen des Abs. 2 nach der inneren Tatseite eingeschränkt wird. Für diesen Unterschied ist kein Grund ersichtlich. 4. Zu § 64. Es wird vorgeschlagen: a) in Abs. 1 Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft anzudrohen, b) die Abs. 2 und 3 umzustellen. Die Strafdrohung — Gefängnis — in Abs. 1 ist zu hoch. Von der Unterkommission (Nr. 35) war Gefängnis bis zu einem Jahre vorgeschlagen worden. Der jetzt vorgeschla­ gene Strafrahmen von Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft erscheint angemessen. Abs. 3 enthält eine Kann-Milderung der Strafe, hat also materiell-rechtlichen Charak­ ter. Er wird daher vor den die Voraussetzungen der Strafverfolgung regelnden Abs. 2 des Entwurfs zu stellen sein. 5. Zu § 65. Es wird vorgeschlagen, die Abs. 1 und 2 wie folgt zu fassen: „Wer eine Person unter einundzwanzig Jahren mit Gewalt, List oder Drohung dem entzieht oder vorenthält, dem die Sorge für diese Person zusteht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft.

In besonders schweren Fällen, insbesondere wenn die Tat aus Gewinnsucht begangen ist, ist die Strafe Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter sechs Monaten." Die besondere Erwähnung des Vorenthaltens neben dem Entziehen, das das Vorenthal­ ten an sich begrifflich umfaßt, dient lediglich der Klarstellung. Die — auch mit Rücksicht auf die vielfach weniger strafwürdig erscheinenden Fälle des Vorenthaltens — vorgeschla­ genen Strafrahmen in Abs. i und 2 erscheinen angemessen. 6. Zu § 66. Es ist folgender Satz 2 anzufügen: „Bestrafung tritt nur bei vollendeter Tat ein." Die Straflosigkeit des Versuchs entspricht dem Ergebnis der Kommissionsberatungen. 7. Zu § 69. Es wird vorgeschlagen, den Abs. 1 wie folgt zu fassen: „Ein Ehegatte, der böswillig Familienhabe veräußert oder beiseiteschafft und dadurch die notdürftige Le­ bensführung des anderen Ehegatten unmöglich macht oder gefährdet wird mit Gefängnis bis zu zwei fahren oder mit Haft bestraft." Die Weglassung des Artikels „die" vor Familienhabe stellt klar, daß auch schon die Veräußerung einzelner lebensnotwendiger Stücke der Familienhabe strafbar ist. Das Erfor­ dernis einer schweren Gefährdung der notdürftigen Lebensführung des anderen Ehegatten würde eine zu große Einschränkung des Anwendungsgebietes der Bestimmung in der Praxis zur Folge haben und wird daher wegzulassen sein. Die Strafdrohung wird der des § 66, von dem § 67 nur einen Sonderfall darstellt, anzupassen sein.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 53 vom 3. 6. 1935 Anträge des Vizepräsidenten des Reichsgerichts Dr. Thierackzu §§ 52 1. Lesung



69 des Entwurfs

Gotteslästerung und Religionsvergehen Uber die Notwendigkeit eines Schutzes des religiösen Gefühls im deutschen Volke sowie der der Religionsausübung dienenden Einrichtungen, Gebräuche, Kultgegenstände und Lehren und damit auch der entsprechenden Glaubensgemeinschaften ist nichts mehr zu sagen. Zweifelhaft kann nur noch sein: 1. welche Religionsgemeinschaften und welche Glaubenslehren zu schützen sind, 2. ob sich der Gottesbegriff in § 52 nur nach diesen geschützten Religionsgemeinschaften richtet. Zu 1. § 54 wählt den Begriff staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft, um eine Auswahl zu kennzeichnen. Heute würde man unter staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften auch solche verstehen können, die zur Zeit mit Korporationsrechten ausgestattet sind; denn in dieser Privilegierung liegt eine staatliche Anerkennung. Aber nicht jede im Reich bestehende Religionsgemeinschaft verdient den Schutz, erst recht nicht eine jede mit Korporationsrechten ausgestattete. Unter diese würde z. B. die Synagogengemeinde in Preußen, dagegen aber nicht die anglikanische Kirche z. B. in Dresden fallen. Klar wäre die Auswahl dann, wenn man von einem bestimmten Zeitpunkt an die staatliche Anerken­ nung für gewisse Religionsgemeinschaften einführte. Das wäre meines Erachtens die beste Lösung. Ob freilich eine solche in Beziehung auf den § 54 herauszugebende Liste geplant oder ob diese überhaupt aus bestimmten Gründen möglich ist, was ich bezweifle, entzieht sich meiner Beurteilung. Der zweite Weg, einen Unterschied nach Art. 137 der Reichsverfassung vom 11. Au­ gust 1919 zu machen und in öffentlich-rechtliche, rechtsfähige und nichtrechtsfähige Religionsgemeinschaften zu unterscheiden, ist nicht gangbar. Der dritte Weg wäre folgender. Die Frage, welche Religionsgemeinschaften zu schüt­ zen sind, ist in jedem Falle nur zu lösen vom Standpunkt der Einstellung des religiösen

Empfindens des deutschen Volkes gegenüber dieser Religionsgemeinschaft, der Einstel­ lung dieser Religionsgemeinschaft gegenüber dem Staat und vor allem von dem Ideengut der NSDAP, gegenüber dieser Religionsgemeinschaft aus. Das Letztere aber ist ausschlag­ gebend. Nach dem Programm der den Staat tragenden Bewegung der NSDAP, ist die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat gewährleistet, soweit sie nicht dessen Bestand gefährden oder gegen das Sittlichkeit- und Moralgefühl der germanischen Rasse versto­ ßen. Das letztere alternative Merkmal ist aber nicht nur von der Idee der Bewegung aus gesehen, sondern auch von dem Staate und der Volksgemeinschaft aus gesehen das Entscheidende. Ich möchte demnach vorschlagen, falls die Neuanerkennung durch den Staat nicht möglich sein sollte, das Erfordernis, daß die Glaubenslehre der zu schützenden Religions­ gemeinschaft nicht gegen das religiöse Gefühl verstoßen darf, zu wählen. Den Ausdruck Sittlichkeit- oder Moralgefühl ersetze ich durch religiöses Gefühl, weil der letztere Begriff die beiden ersten in sich schließt und dem Richter die sicherlich manchmal nicht leichte Feststellung, welche Religionsgemeinschaften geschützt sind, erleichtert. Das hat zur Folge, daß außer den beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften eine Reihe anderer, z. B. die alt-katholische, die griechisch-katholische und die anglikanische, nicht z. B. aber die buddhistische (Berlin!) geschützt sind. Man kann aber, dessen bin ich mir bewußt, gegen diese Lösung nicht ohne Grund ausführen: 1. Die Zahl der zu schützenden Religionsgemeinschaften würde hierdurch zu groß im Verhältnis zu ihrer Bedeutung für das deutsche Volk. 2. Man dürfte dem Richter nicht überlassen, zu entscheiden, welche Glaubenslehren nicht gegen das religiöse Gefühl des deutschen Volkes verstoßen. 3. Es könnten sich ungeahnte Schwierigkeiten bei der Beweisführung zu Ziffer 2 ergeben. 4. Es könnten widersprechende Urteile vor allem in den Grenzfällen leicht möglich sein und dadurch eine Religionsgemeinschaft im Süden des Reichs einen Schutz genießen, den sie im Norden nicht findet. Es fällt auf, daß in § 54 die Zeitworte beschimpft oder böswillig verächtlich macht, dagegen im Abs. 2 das Zeitwort verunglimpft gewählt sind. Was beschimpfen ist, ist zwar noch nicht völlig, aber wohl annähernd in der Rechtsprechung geklärt, was verunglimpfen ist, jedoch überhaupt noch nicht. Gefühlsmäßig möchte ich sagen, daß das Verunglimpfen nichts anderes als Verächtlichmachen ist, während beschimpfen eine stärkere Ausdrucksform verlangt. Dieser durch die Verwendung des Wortes verunglimpfen meiner Auffassung nach gegenüber dem Abs. 1 erhöhte Schutz ist aber zu vertreten, weil dem Gläubigen der Schutz der Glaubenslehre, der Einrichtung und der Gebräuche wichtiger ist als der Schutz des äußeren Bandes der Gemeinschaft. Zu 2. Das geschützte Rechtsgut ist nicht Gott, sondern das religiöse Gefühl, das sich in der Anerkennung und Verehrung des Gottesbegriffs (also auch Christus, Heiliger Geist usw.) offenbart. Demnach kann nicht der von irgend einer Religionsgemeinschaft heraus­ gestellte Gott geschützt werden, wohl aber jeder Gottesbegriff in seiner ethischen, dem Wesen des deutschen Volkes entsprechenden Ausdrucksform. Wer also in drastischen Ausdrücken den Gott Jehova, dem Menschenopfer dargebracht worden sind oder der rachsüchtig sei, schildert, kann nicht den Gottesbegriff des § 53 verletzen. Denn dieser Gottesbegriff entspricht nicht dem des deutschen Volkes. Auf den Schutz des religiösen Gefühls des deutschen Volkes kommt es aber allein an. Das ist meines Erachtens eine Selbstverständlichkeit und braucht in § 52 nicht zum Ausdruck zu kommen. Gott braucht also nicht definiert zu werden. §§ 52 und 53 haben den Schutz des religiösen Empfindens gemeinsam. Ich schlage daher vor, beide in einem Paragraphen zu vereinigen und tue das auch deshalb, weil dadurch ein Hinweis in der soeben angedeuteten Richtung gegeben wird und weil wir dann die als Überschrift zweimal erscheinende Gotteslästerung, die dann begrifflich im

Gesetzestext wieder erscheint, vermeiden. An sich ist der Ausdruck lästern gut, weil er mit Recht den ernsten Meinungsstreit nicht verhindert. Öffentlich muß bleiben, sonst ist dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet. Die objektive Einschränkung „gröblich" ist das Mindeste, damit weltanschauliche Auseinandersetzungen nicht völlig unmöglich sind. Eine Einschränkung des subjektiven Tatbestandes halte ich nicht für erforderlich, weil in dem objektiven Erfordernis der gröblichen Verletzung des religiösen Empfindens eine so starke Ausdrucksform verlangt wird, daß dem Täter das Bewußtsein eines groben Rechts­ bruches klar sein muß. Vorgeschlagen wird demnach: 2. Teil Religionsvergehen. § 52. Beschimpfung des religiösen Volksempfindens. § 52 und § 53. Wer öffentlich Gott lästert oder in anderer Weise das religiöse Empfinden des deutschen Volkes gröblich verletzt, wird mit Gefängnis bestraft. § 54. Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft. Wer öffentlich eine Religionsgemeinschaft, deren Glaubenslehre, Einrichtung und Ge­ bräuche nicht gegen das religiöse Empfinden des deutschen Volkes verstoßen, beschimpft oder böswillig verächtlich macht, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso wird bestraft, wer öffentlich die Glaubenslehre, Einrichtungen und Gebräuche einer solchen Religionsgemeinschaft verächtlich macht. Dienen die §§ 52 und 53 und zum Teil auch der § 54 dem Schutz des religiösen Empfindens des deutschen Volkes, so sollen die §§ 55,56 und 57 den Schutz des religiösen Friedens gewährleisten. Zu § 55. Ich bin der Meinung, daß in § 55 die Störung des Gottesdienstes nur dann strafbar sein kann, wenn sie nicht nur vorsätzlich geschieht (ich denke hier an Hupen im Großstadtbetriebe vor einer Kirche oder vor einem Friedhof, der an einer Verkehrsstraße liegt und auf dem eine Bestattung stattfindet). Das Erfordernis der Böswilligkeit würde zu eng sein. Besser würde man es auf eine die Störung abzielende Absicht abstellen. Freilich ist diese Absicht sehr oft schwer nachweisbar. Ich halte es aber auch für genügend, wenn man den dolus eventualis ausschließt (§ 374 Abs. 1) und wissentlich wählt. Demnach lautet § 55: „Wer den Gottesdienst oder einzelne gottesdienstliche Handlungen verhindert oder wissentlich stört, wird mit Gefängnis bestraft." §§ 58 —59. Störung der Totenruhe. Zu § 58. Geschützt werden müssen 1. der Tote als Gegenstand (Leichenschändung), 2. seine Ruhestätte (Beisetzungsstätte, Totenmal). Bedenken könnten gegen das Wort „Vergreifen" erhoben werden. Es ist zu farblos. Ergänzt wird es zweifellos durch die Überschrift: Störung der Totenruhe. Das Vergreifen ist also nicht jede Veränderung an der Leiche oder ihre Verbringung an einen anderen Ort, sondern nur dann, wenn hierin eine Verletzung der jedem Toten oder seiner Asche zukommenden Ehrfurcht liegt. Der beschimpfende Unfug in Gegenwart der Leiche (also ohne ein Vergreifen an ihr selbst) ist aber nicht einbegriffen, z. B. Onanieren vor einer weiblichen Leiche. Das wird insbesondere auch nicht durch die nach der Anmerkung 2 zu § 292 noch zu schaffende Bestimmung getroffen. Es gehört auch nicht dahin, denn die dort noch zu fassende Vorschrift befaßt sich mit der Kränkung des Andenkens an einen Verstorbenen. Hier aber soll der Tote in seiner noch körperlichen Gestalt geschützt werden. Ich würde dafür den bereits im Abs. 2 gefundenen Begriff Verunehren wählen. Dabei bin ich mit klar, daß das Verunehren auch durch Wort und Schrift geschehen kann, stets aber muß es eine Störung

der Totenruhe in sich begreifen, also hierdurch eingeschränkt werden. Demnach lautet §58: Wer sich an einem Toten oder seiner Asche vergreift oder einen Toten, seine Asche, seine Beisetzungsstätte oder sein Totenmal verunehrt und hierdurch die Totenruhe stört, wird mit Gefängnis bestraft. Zu § 59. Hier ist dasselbe zu sagen wie zu § 55. Demnach wäre vor dem Wort „stört" ein wissentlich einzufügen. Im übrigen stimme ich den §§52 —59 zu.

Angriff auf Ehe und Familie. Zu § 61. Die Doppelehe ist nicht strafbar, weil das geschlechtliche Treue Verhältnis der ersten Ehe verletzt ist. Der Angriff richtet sich vielmehr gegen die Ehe- und Familienord­ nung. Die Frage ist noch nicht entschieden, ob die Doppelehe als Zustands- oder Dauerde­ likt aufzufassen ist. Die Annahme des letzteren nötigt zu Abs. 2. Dieser ist aber recht bedenklich. Es wurde nach dem Protokoll des 43. Lesung angeregt, die Doppelehe als Dauerverbrechen aufzufassen, 1. weil der Ehe im neuen Staat ein besonders erhöhter Schutz zukommt, 2. weil auch der strafbar sei, der gutgläubig eine Doppelehe eingeht, 3. weil das Nichtbestehen einer Doppelehe die Grundlage der deutschen Kultur sei. Es sollte ebenso der Fall getroffen werden, daß jemand gutgläubig eine Ehe eingeht, d. h. ohne zu wissen, daß bereits bei einem der Ehepartner eine Ehe besteht oder noch besteht. In diesen Fällen soll nun der Ehepartner, der erfährt, daß eine Doppelehe vorliegt, die erforderlichen Schritte zur Beseitigung der Doppelehe ergreifen und, wenn er das nicht tut, strafbar sein. Ich frage mich vergeblich, wo hier eine Schuld zu suchen ist, die eine solche Bestrafung rechtfertigt. Es gibt folgende Möglichkeiten: a) Ein noch Verheirateter glaubt, seine Ehe sei aufgelöst und heiratet nochmals und b) ein Lediger heiratet in Unkenntnis einer noch bestehenden Ehe einen Verheirateten. In beiden Fällen ist die neue Ehe mit allem Ernst und vor allem gutgläubig geschlossen worden. Sie hat vielleicht Jahrzehnte bestanden und Kinder sind ihr entsprossen. Nun soll zu diesem immer tragischen Geschick noch eine Schuld kommen, wenn der nachträglich wissende Eheteil nicht die zur Beseitigung der Doppelehe erforderlichen Schritte tut. Gewiß haben wir besonders im neuen Staat allen Grund, die Doppelehe zur Auflösung zu bringen. Mit demselben Recht müßten wir das aber auch dann von dem Ehegatten der ersten Ehe verlangen und nicht nur von dem, der die neue Ehe gutgläubig eingegangen ist. Zum tragischen Geschick hier noch eine strafrechtliche Schuld zu bürden, ist zu viel. Die Auflösung der gutgläubigen Doppelehe müßten wir den Zivilgerichten und vor allem dem Staatsanwalt überlassen. Tatsächlich wird der Ehepartner der Doppelehe nur deshalb bestraft, weil er die Nichtigkeitsklage nicht erhebt. Dafür könnten aber ethische Gründe von ausschlaggebender Bedeutung sprechen (z. B. das Vorhandensein minderjähriger Kinder). Dann sollte man schon eher den ersten Absatz als fahrlässiges Delikt ausstatten, wenngleich ich auch das nicht billigen kann. Ich bin daher für Streichung des Abs. 2 des §61.

Zu §62. In der ersten Lesung ist von verschiedener Seite angeregt worden (analog § 170), im Abs. 2 das Wort „arglistig" einzuschieben. Ich halte das nicht für erforderlich. Insbesondere entsteht hierdurch kein Gegensatz zum Abs. 1. Denn das „Bestimmen" zur Ehe durch eine Täuschung setzt an sich schon eine erhöhte verbrecherische Tätigkeit voraus als das „Verschweigen" einer Tatsache. Überdies muß gerade diese Täuschung den Andern zum Abschluß der anfechtbaren Ehe bestimmt haben, während das Verschweigen nebenhergeht.

Zu § 64. Die Fassung des Abs. 1 ist unbedenklich. Auch der Unverheiratete bricht die Ehe. Erweiterung auf einen Ehetreubruch führt zu weit. Gleichzustellende Geschlechtsde­ likte sind an anderer Stelle geregelt. Für den Abs. 2 ist erwogen worden, ob nicht das Verlangen zu streichen ist, indem man annahm, daß der wegen Ehebruch auf Scheidung klagende Ehegatte damit auch erkläre, daß er sich durch das Verhalten seines Ehepartners verletzt fühle und damit auch die Strafverfolgung wolle. Diese Annahme geht zu weit. Wenn jemand die Ehescheidungs­ klage erhebt, so ist damit noch nicht gesagt, daß er außer der Trennung der Ehe auch noch die Bestrafung des bisherigen Ehegatten wünscht. Die Erfahrungen der Praxis zeigen gerade das Gegenteil. Daher ist der Abs. 2 des § 64 beizubehalten. Im übrigen stimme ich den Bestimmungen in den §§ 60 bis 69 zu.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 54 vom 11. 6. 1935 Bemerkungen und Anregungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zum Abschnitt: Auflehnung gegen die Staatsgewalt (§§ 14 s — 152 des Entwurfs 1. Lesung)

1. Zu § 14.5: Es wird zu prüfen sein, ob den Soldaten auch die Arbeitsdienstpflichtigen gleichgestellt werden sollen. In Abs. 3 wird zu setzen sein: „wer zur Wahrnehmung des Forst-, Jagd- oder Fischerei­ schutzes berechtigt ist", um zweifelsfrei auch solche zur Ausübung des Schutzes Berech­ tigten, bei denen eine „Bebauung" im Einzelfall mit einer Schutzfunktion nicht stattfindet, zu erfassen, z. B. die Jagdausübungsberechtigten, die Inhaber eines Jagdscheins sind (vgl. §§ 39 Abs. 1, 8 RJagdG.). 2. Zu § 146: Anstelle der Worte „Sachen zerstören oder beschädigen" wird zu setzen sein: „Gewalt gegen Sachen verüber", um den Gedanken der Vorschrift besser zum Ausdruck zu bringen. 3. Zu § 149 Abs. 3: In der Begründung wird zu sagen sein, daß als Dienst im Sinne dieser Vorschrift auch der Dienst des Arztes, Pflegers, Werkmeisters, Kochs usw. in der Strafanstalt in Frage kommt, daß also Ausübung obrigkeitlicher Funktionen nicht erfordert wird, die Stelle auch nicht auf den Dienst des Soldaten beschränkt werden soll. 4. Zu §§ 14s bis 149: Als Strafmaß wird zu setzen sein: Im § 145 Abs. 1 Gefängnis, in leichteren Fällen Haft, in §§ 146 und 147 Gefängnis nicht unter sechs Monaten, in § 149 Abs. 1 Gefängnis bis zu zwei Jahren oder Haft, in § 149 Abs. 2 Gefängnis nicht unter drei Monaten, in besonders schweren Fällen Zuchthaus. 5. Zu§ 151: Es wird folgende Fassung des § 151 und Einschaltung des folgenden § 151 a vorgeschlagen: §191. Entweichen behördlich Verwahrter. Wer, ohne Gefangener zu sein (§§ 149, 150), aus einer behördlich angeordneten An­ staltsverwahrung entweicht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft. Die Tat wird nur mit Zustimmung der Behörde verfolgt, welche die Verwahrung bewirkt hat. § 191a. Befreien behördlich Verwahrter. Wer eine Person, die, ohne Gefangener zu sein (§§ 149, 150) auf behördlicher Anord­ nung in einer Anstalt verwahrt wird, aus der Verwahrung befreit, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Haft bestraft.

Handelt der Täter in oder bei Ausübung eines Amtes oder Dienstes, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter drei Monaten, in besonders schweren Fällen Zuchthaus. Die Änderung bezweckt, die verschärfte Strafe des § 149 Abs. 2 auch für die Fälle des bisherigen § 151 Abs. 2 einzuführen, da nicht einzusehen ist, warum diese Qualifikation bisher auf die Fälle des § 149 Abs. 2 beschränkt ist. 6. Für§ 152 wird folgende Fassung vorgeschlagen: § 152. Auffordern zur Auflehnung gegen Gesetze. Wer öffentlich dazu auffordert, sich gegen Gesetze, Verordnungen oder behördliche Anordnungen aufzulehnen, oder wer böswillig öffentlich dazu auffordert oder anreizt, eine Empfehlung der Reichsregierung zu mißachten, wird mit Gefängnis bestraft. Ist die Verordnung oder behördliche Anordnung nicht von der Reichsregierung ausgegangen, so ist die Aufforderung, sich dagegen aufzulehnen, nur dann strafbar, wenn die Verordnung rechtsgültig oder die Anordnung rechtmäßig ist. Begründung: Nach dem Sprachgebrauch des Entwurfs steht die Mehrzahl, wenn sowohl diese als auch die Einzahl getroffen werden soll. Demgemäß muß es in Absatz 1 statt „ein Gesetz" usw. heißen „Gesetze" usw. Die Neufassung bezweckt ferner, die unschöne Häufung der Substantive auf „ung" zu vermeiden. Aus dem gleichen Grunde ist in der Überschrift der Infinitiv gewählt; wird dies gebilligt, so wird in den Überschriften der §§ 153 —156 entsprechend zu verfahren sein.

A ntrag zur 2. Lesung. Nr. B 5 5 vom 8. 6. 193 s A ntrag von Professor Dr. Mezger zum Abschnitt: Unzucht (§§ 7 0 —97 des Entwurfs 1. Lesung)

I. Der Abschnitt ist wenig übersichtlich. Da er sehr Mannigfaltiges enthält, möchte ich, um die einzelnen Gruppen schärfer hervortreten zu lassen, Überschriften über den Grup­ pen empfehlen. Die Gruppierung ist im wesentlichen die der ersten Lesung, sucht aber noch etwas straffer und folgerichtiger aufzubauen: 1. Unzucht mit Gewalt, Drohung oder Täuschung: §§ 70, 73, 71, 72, 77, 77 a. 2. Unzucht mit Kindern, Jugendlichen oder Abhängigen: §§ 78, 79, 83, 80, 82, 81, 74, 75, 76. 3. Besonders schwere Formen der Unzucht: §§ 84,86,87,85. 4. Ärgernis durch Unzucht: §§ 91,92,90,88, 89. 5. Förderung und Ausbeutung fremder Unzucht: §§ 94,95,93,96,97. Unschön in der Form ist das Hin und Her der Jahreszahlen. So sprechen beispielsweise von: „unter 15 Jahren" die §§ 76, 79; „unter 16 Jahren" die §§ 76, 79,80,83 1, 83 II; „unter 18 Jahren" die §§ 75, 76 (2,3), 80,83 II, 84 III, 91 (1, 2), 93 IV, 95,96 I, II; „unter 21 Jahren" die §§ 81,82,87 (2,3), 95. Eine bessere Zusammenfassung ist anzustreben. In sachlicher Beziehung liegen im einzelnen folgende Erwägungen zu Grunde: Die § § 70, 73 als Formen des Beischlafs möchte ich zusammennehmen und voranstel­ len. Das sprachlich einfachere Wort: „bewußtlos" in § 73 ist unbedenklich, weil sonstige Bewußtseinsstörungen unter das: „sonst unfähig", fallen. Zudem wäre: „Bewußtseinsstö­ rung" zu weit, weil hier der bei der Schuldunfähigkeit vorhandene weitere Zusatz fehlt. Daß nicht jeder Notzuchtsversuch mit Zuchthaus bestraft werden kann, dürfte einleuchten; daher muß eine Beschränkung auf die vollendete Tat angefügt werden. Es ist auch so noch

fraglich, ob Gefängnis unter allen Umständen ausgeschlossen sein soll. Auch in §§ 71, 72 scheint mir eine gewisse Privilegierung der bloßen Versuchshandlungen angezeigt zu sein; der Grund liegt darin, daß gerade bei den hier in Frage stehenden Straftaten das Nichtzumzielgelangen häufig (wenn auch keineswegs immer) ein Indiz eines weniger intensiven verbrecherischen Willens ist. § 77 a soll eine noch vorhandene Lücke ausfüllen. In erster Linie ist in dem Vorschlag an das Eheversprechen eines verheirateten Mannes gedacht. Aber auch für andere derar­ tige Fälle scheint mir eine Strafbestimmung nötig zu sein. Wenn, wie in dem Vorschlag, zum Vorsatz gehört, daß der Täter gewußt hat, der Beischlaf sei ihm im Vertrauen auf das Versprechen gewährt worden, ist eine zu weitgehende Anwendung der Vorschrift nicht zu befürchten. In den §§ 78, 79, Sj, 80 ist das Schutzalter mit 15 (statt: 14) Jahren, entsprechend den Beschlüssen der ersten Lesung, beibehalten. Dagegen habe ich versucht, die Frage des Täteralters ohne schematische Zahlengrenzen zu ordnen. Solche feste Zahlengrenzen sind bedenklich: es spricht sich nur allzu leicht herum, daß man bis zu einem bestimmten Alter auf keinen Fall bestraft werden könne. Heute, wo manche Jugendliche wenig Jüngeren gegenüber nicht selten in einer übergeordneten Stellung sich befinden, könnten daraus schlimme Mißstände entstehen. Meine Vorschläge verfolgen deshalb das Ziel, durch elastische Bestimmungen den Richter nicht zur Strafe zu zwingen, wo solche im Einzelfall unangebracht ist, ihm aber doch die Möglichkeit zu geben, zu strafen, wo dies nötig ist. In § 82 ist die unschöne Verweisung beseitigt. In § 74 scheint mit die ausschließliche Zucht­ hausandrohung doch bedenklich zu sein. Der § 76 ist ohne sachliche Änderung im Aus­ druck vereinfacht; zu § 67 Nr. 1 würde ich Idealkonkurrenz belassen. Zu § 87 möchte ich zwei sachliche Änderungen vorschlagen: das Schutzalter von 21 Jahren in Nr. 2 ist so ungewöhnlich, daß ich es auch hier bei 18 Jahren belassen würde; schlimme Fälle fallen unter § 86. Ebenso würde ich in Nr. 3 den Fall der Gewohnheitsmä­ ßigkeit der Gewerbsmäßkeit nicht gleichstellen; soweit § 86 (beischlafsähnliche Handlung) nicht zutrifft, ließe sich höchstens dort an eine Erweiterung des Tatbestandes auf gewohn­ heitsmäßige Handlungen nichtbeischlafsähnlicher Art denken. Ich würde auch darauf verzichten. Am wenigsten befriedigt, wie schon im geltenden Recht, die Regelung der Kuppelei in den §§93 bis 95. Mir scheint der Grund zunächst darin zu liegen, daß in § 93 zu Gefängnis­ strafe, Eigennutz oder Gewohnheitsmäßigkeit verlangt wird, während die Fälle des § 95 sofort ohne Unterschied in den Rahmen der Zuchthausstrafe fallen, auch wenn von Eigennutz oder Gewohnheitsmäßigkeit nirgends die Rede ist. Aber auch abgesehen davon, stecken in der jetzigen Fassung des § 95, wie in der ersten Lesung unbestritten war, Fälle, die nicht bestraft werden sollen — mag auch auf der anderen Seite ein begreiflicher Widerstand dagegen bestehen, etwa die „Verlobten" oder besondere auszunehmende „Formen" der Unzucht im Gesetz ausdrücklich als straflos zu erwähnen. Der tiefere Grund des Mißbehagens, das die genannten Bestimmungen erwecken, scheint mir freilich darin zu liegen, daß hier zwei im Leben gänzlich verschiedene Dinge ungerechtfertigt zusammengekoppelt werden: das ganz besonders verwerfliche Zuführen zur Unzucht bei Personen, die von sich aus zur Unzucht gar nicht neigen und das viel milder gelegene blosse Mittun oder blosse Geschehenlassen gegenüber Personen, die von sich aus zur Unzucht entschlossen sind. Ein Ansatz zu solcher Unterscheidung ist in § 94 gegeben; er muß aber durchgehend folgerichtiger weitergeführt werden. Auf diesem Gedanken bauen die neuen Vorschläge auf. § 94 betrifft nur das Zuführen und Festhalten. So sind auch die „hinterlistigen Kunst­ griffe" schon im Entwurf tatsächlich gemeint (siehe dazu etwa Frank § 181 V. 3 und E. 22. 311), nur der Ausdruck ist ungenau. § 95 ist unter dem genannten Gesichtspunkt aufgeteilt und an dieser Stelle ein „Zufüh­ ren" verlangt. Die andern Fälle sind mit § 93 verbunden. Da aber wohl hier (Bordellbetrieb)

wie in den neu hinzugekommenen Fällen in Einzelteilen schwere Strafen am Platze sein können, ist für sie als Kann-Vorschrift Zuchthaus zugelassen. Im übrigen halte ich es für unmöglich, die schweren und die milden Fälle (deren Bestrafung geradezu einen vorhandenen Willen zur Ehe zertrümmern kann!) gesetzgeberisch zu scheiden. Auch Unterlassungsfälle (Eltern gegenüber Kindern!) können mitunter sehr schwer liegen. Es kommt auf die „Verwerflichkeit" im einzelnen Fall an. Ich greife daher meinen Vorschlag in Antrag Nr. B. 5 unter VIII wieder auf (vgl. dazu das „besonders verwerflich" in § 274 Entw.). Nur möchte ich den Bedenken Rechnung tragen, die gegen die ausdrückliche Erwähnung der „Verlobten" im Gesetz geltendgemacht worden sind, und deshalb solche Erwähnung unterlassen. Der gewünschte Zweck kann auch so erreicht werden. II. Hiernach ergeben sich folgende Einzelvorschläge: Unzucht mit Gewalt, Drohung oder Täuschung. §§ 70, 73. Notzucht und andere schwere Schändung. Wer eine Frau mit Gewalt oder durch unmittelbare Bedrohung von Leib oder Leben nötigt, sich zum außerehelichen Beischlaf mißbrauchen zu lassen, oder wer eine geisteskranke, bewußtlose oder sonst zum Wider­ stand unfähige Frau zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht, wird mit Zuchthaus be­ straft. Die Bestrafung tritt nur bei vollendeter Tat ein. Stirbt die Vergewaltigte (wie § 70 Abs. 2) Todesstrafe. §§ 71, 72. Wer eine Person mit Gewalt oder durch Drohung oder wer eine geistes­ kranke, bewußtlose oder sonst zum Widerstand unfähige Person zur Unzucht mißbraucht, wird mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft. Wenn die Tat nicht vollendet ist, kann auf Gefängnis erkannt werden. § 77. Erschleichung des Beischiaß. Abs. 1 unverändert. Abs. 2 fällt weg. § 77 a. Wer eine Frau durch das Versprechen der Ehe dazu verleitet, daß sie ihm den außerehelichen Beischlaf im Vertrauen auf die künftige Eheschließung gewährt, wird, wenn durch sein Verschulden die Eheschließung unterbleibt, insbesondere wenn er ein Ehehindernis wissentlich verschwiegen hat, mit Gefängnis bestraft. Unzucht mit Kindern, Jugendlichen oder Abhängigen. § 78. Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 unverändert. Abs. 1 Satz 2 fällt weg. § 79. Wer eine unzüchtige Handlung absichtlich usw. wie dort. § 8}. Abs. 1 und 3 unverändert. Abs. 2 lautet: Ebenso wird bestraft, wer eine solche Tat, wenn auch ohne Entgelt, aber usw. wie dort. § 80. Wer eine Person unter sechzehn Jahren usw. wie dort. Abs. 2 und 4 unverändert; Abs. 3 fällt weg. § 80a. In den §§ 78, 79, 83, So tritt die Bestrafung nicht ein, wenn der Täter gleichaltrig oder jünger ist. Ist er noch nicht achtzehn Jahre alt, so kann nach freiem Ermessen die Strafe gemildert oder von ihr abgesehen werden. § 82.Wer einen Verwandten usw. wie dort, wird, sofern nicht eine Strafe wegen Blut­ schande verwirkt ist, mit usw. wie dort. §81. Unverändert. § 74. Abs. 1 und Abs. 2 unverändert. Abs. 3: In besonders leichten Fällen kann auf Gefängnis nicht unter sechs Monaten erkannt werden. § 75. Unverändert. § 76. Mit Gefängnis wird bestraft: 1. wer (unverändert wie in Ziff. 1) Beischlaf oder, wenn die Person noch nicht achtzehn Jahre alt ist, zur Unzucht bestimmt,

2. wer (unverändert wie in Ziff. 3) davon abhängig macht, daß ein Bewerber sich zum außerehelichen Beischlaf oder, wenn der Bewerber noch nicht achtzehn Jahre alt ist, zur Unzucht mißbrauchen lässt. Abs. 2 und Abs. 4 unverändert; Abs. 3 fällt weg. Besonders schwere Formen der Unzucht § 84. Blutschande. Unverändert. § 86. Unzucht zwischen Männern. Unverändert. § 87. Mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten wird bestraft: 1. ein Mann, der gewerbsmäßig mit einem Manne Unzucht treibt oder sich dazu anbietet, 2. ein Mann über einundzwanzig Jahre, der eine männliche Person unter achtzehn Jahren verführt usw. wie dort, 3. ein Mann, der usw. unverändert wie dort in Ziff. 2. § 85. Unzucht mit Tieren. Unverändert. Ärgernis durch Unzucht. §91. Gewerbsmäßige Unzucht. Mit Gefängnis wird bestraft, wer gewohnheitsmäßig zum Erwerb Unzucht treibt und 1. 2. und 3. unverändert wie dort. — Ziff. 4 fällt weg. §§ 92, 90, 88, 89. Unverändert, gegebenenfalls unter Erweiterung des § 89 nach dem RG-Vorschlag vom 7. 5.1935. Förderung und Ausbeutungfremder Unzucht: § 94. Kuppelei. Mit Zuchthaus wird bestraft, wer eine Person mit hinterlistigen Kunstgriffen der Unzucht zuführt oder wer eine Person der gewerbsmäßigen Unzucht zuführt oder dabei festhält. § 95. Mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten wird bestraft, 1. wer eine Person unter achtzehn Jahren oder 2. wer eine seiner Erziehung, Ausbildung, Obhut oder Führung anvertraute Person unter einundzwanzig Jahren oder seine Ehefrau der Unzucht mit einer anderen Person zuführt. §93. Mit Gefängnis wird bestraft, wer durch seine Vermittlung oder durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit der Unzucht zwischen anderen Vorschub leistet, wenn er dies 1. bei einer Person unter achtzehn Jahren oder 2. bei einer seiner Erziehung, Ausbildung, Obhut oder Führung anvertrauten Person unter einundzwanzig Jahren oder bei seiner Ehefrau oder 3. wenn er es aus Eigennutz oder gewohnheitsmäßig, insbesondere bei Unterhaltung eines Bordells oder eines bordellartigen Betriebs, tut. Das Gewähren von Wohnung wird nach dieser Vorschrift nur bestraft, wenn dabei die Person, der die Wohnung gewährt wird, ausgebeutet oder zur Unzucht bestimmt oder angehalten wird. Das bloße Dulden eines Verkehrs oder ein sonstiges Unterlassen wird nur dann nach diesen Vorschriften bestraft, wenn es nach gesunder Volksauffassung als besonders ver­ werflich erscheint. In besonders schweren Fällen kann auf Zuchthaus erkannt werden. § 96. Frauen- und Kinderhandel. Unverändert. § 97. Zuhälterei. Unverändert.

Anträge zur 2. Lesung. Nr. B 57 vom 8. 6. 1935 Anträge des Oberstaatsanwalts Dr. Reimer zum Abschnitt: Unzucht (§§ 7 0 —97 des Entwurfs 1. Lesung) Ich mache folgende Vorschläge: A. Überschrift: „Angriffe auf die Sittlichkeit". Dies entspricht den Beschlüssen der Hauptkommission in erster Lesung, da einerseits nicht alles Unzüchtige (lesbische Liebe) unter Strafe gestellt ist und andererseits im Falle des § 83 Abs. 1 das Erfordernis des Unzüchtigen nicht unbedingt vorliegen muß. B. zur Gruppe I: Schutz der geschlechtlichen Freiheit (§§ 70 —77). § 71 ist mit den Worten einzuleiten: „Wer abgesehen von den Fällen des § 70 eine Person mit Gewalt oder Drohung nötigt.. .". Diese Subsidiaritätsklausel ist erforderlich, da der Begriff der „Unzucht" im Sinne des § 71 nicht nur unzüchtige Handlungen, sondern auch den außerehelichen Beischlaf umfaßt. § 70 Absatz 2, der erst nach den Beratungen über die Bestrafung des Raubes mit Todesfolge von der Redaktionskommission eingefügt ist, ist an der angegebenen Stelle zu streichen und in einem besonderen, die Bestimmungen der §§ 70 —73 umfassenden § 73 a unterzubringen. Es besteht kein Anlaß, entgegen dem geltenden Recht (vgl. §178 StGB.) eine besondere Bestrafung nur an die Notzucht mit Todesfolge zu knüpfen. Soweit Todesstrafe angedroht ist, (das Gleiche gilt beim Raub mit Todesfolge), geht die Strafandrohung m. E. zu weit. War der Tod, wenn auch nur mit Eventualdolus, gewollt, folgt die Todesstrafe aus der Bestimmung über den Mord. Anderenfalls käme zu dem Sittlichkeitsverbrechen oder Raub nur eine fahrlässige Tötung hinzu, derentwegen man m. E. nicht auf Todesstrafe erkennen kann. Zu § 76. Absatz 1 erhält folgende Fassung: Mit Gefängnis wird bestraft: 1. wer abgesehen von dem Falle des § 87 Nr. 1 eine Person unter Mißbrauch ihrer durch ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, sich zur Un­ zucht mißbrauchen zu lassen, 2. wer die Gewährung oder Vermittelung einer Arbeitsstelle davon abhängig macht, daß ein Bewerber sich zur Unzucht mißbrauchen läßt. Die in den Ziffern 2 und 3 des § 76 enthaltene Differenzierung zwischen Beischlaf und anderen Formen der Unzucht einerseits und bei letzterer noch nach dem Alter des Verletz­ ten andererseits ist sachlich nicht gerechtfertigt. Wenn es sich darum handelt, wirtschaft­ lich Schwache gegen geschlechtliche Ausbeutung zu schützen, soll man nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Nach der jetzigen Fassung des Entwurfs ist der Rayonchef, der seine 19jährige Verkäuferin zum perversen Verkehr bestimmt, straflos, ebenso der anormal veranlagte Filmregisseur, der einem 22jährigen stellungslosen Schauspieler die ersehnte große Rolle nur unter der Bedingung zusichert, daß er sich mit ihm in