Der Band präsentiert in 157 Dokumenten die politischen Aktivitäten des Deutschen Bundes in den Jahren von 1859 bis 1862
231 40 10MB
German Pages 982 [985] Year 2012
Table of contents :
Vorwort des Herausgebers
Einleitung
1. Neue Faktoren der bundespolitischen Debatte
2. Die Verklammerung von innenpolitischer Reform und außenpolitischer Machtstellung Deutschlands
3. Die zentrale Rolle der Öffentlichkeit
4. Die nationalpolitische Parteibildung
5. Die Legitimierung des parlamentarischen Prinzips auf Bundesebene
6. 1859–1862: Nationale Wendejahre
Zur Edition
1. Zu diesem Band
2. Allgemeine Leitsätze zur Gestaltung der Edition „Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes“. Von Jürgen Müller und Eckhardt Treichel
Chronologisches Verzeichnis der Dokumente
Verzeichnis der Dokumente nach ihrer Provenienz
Dokumente
Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Ungedruckte Quellen (Archivalien)
2. Gedruckte Quellen
a) Akten, Protokolle, Werkausgaben
b) Zeitungen und Zeitschriften
c) Politische Schriften, Flugschriften und Darstellungen bis 1866
d) Memoiren und Tagebücher
e) Staatshandbücher
3. Bibliographien
4. Darstellungen
5. Biographische Nachschlagewerke und Lexika
6. Internetressourcen
Abbildungsnachweis
1. Personenregister
2. Länder- und Ortsregister
3. Sachregister
Der Deutsche Bund in der nationalen Herausforderung
Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Lothar Gall Abteilung III Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1850–1866 Band 3
R. Oldenbourg Verlag München 2012
Der Deutsche Bund in der nationalen Herausforderung 1859–1862 Bearbeitet von Jürgen Müller
R. Oldenbourg Verlag München 2012
Gefördert mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft
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Vorwort des Herausgebers
V
Vorwort des Herausgebers Das Editionsvorhaben „Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes“ ist von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1988 ins Leben gerufen worden mit dem Ziel, durch die Erschließung der einschlägigen Quellen die Geschichte des Deutschen Bundes auf eine neue Grundlage zu stellen. Das, wie sich bald herausstellte, überaus reichhaltige und vielgestaltige Quellenmaterial zur Geschichte des Bundes ist bislang weder systematisch ausgewertet noch in größerem Umfang ediert worden. Die wenigen vorliegenden Quellensammlungen sind entweder veraltet und können schon von daher modernen editorischen Ansprüchen nicht genügen, oder sie basieren auf einer einseitigen Textauswahl und dokumentieren folglich nur einen schmalen Ausschnitt aus dem komplexen historischen Geschehen.1 Die editorische Vernachlässigung der Geschichte des Deutschen Bundes beruht zum einen auf der sehr disparaten Überlieferungssituation: Die in Frage kommenden Quellen sind nicht nur sehr heterogen, sie sind zudem über annähernd vierzig in- und ausländische Staatsarchive sowie eine Anzahl von Haus-, Adels- und Familienarchiven verstreut. Dies allein erklärt jedoch nicht, warum es zum Deutschen Bund im Unterschied zu allen anderen übergreifenden staatlichen Gebilden, die in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts existier(t)en, keine umfassende Quellenedition gibt. Die Geschichte des Deutschen Bundes ist auch deshalb vergleichsweise wenig erforscht, weil der Bund bereits den Zeitgenossen und seither auch den meisten Historikern als „Gegentypus zum Programm des Nationalstaates“2 galt. Solange der einheitliche Nationalstaat als die höchste politische Existenzform betrachtet wurde, und das war in Deutschland zumal von 1871 bis 1945 nahezu uneingeschränkt der Fall, solange mußte der Deutsche Bund in einem negativen Licht erscheinen – eben als Verhinderer der nationalen Einheit oder, umgekehrt, als Förderer der partikularistischen Zerrissenheit Deutschlands. Nach dem Scheitern des klein1 Anstelle einer Aufzählung der einschlägigen Editionen sei verwiesen auf Wolfram Siemann (Bearb.), Restauration, Liberalismus und nationale Bewegung (1815–1870). Akten, Urkunden und persönliche Quellen. (Quellenkunde zur deutschen Geschichte der Neuzeit von 1500 bis zur Gegenwart, Bd. 4.) Darmstadt 1982, wo die verfügbaren Quellenpublikationen aufgelistet sind. Seither ist lediglich eine Edition erschienen, die den Deutschen Bund selbst zum Gegenstand hat: Michael Hundt (Hrsg.), Quellen zur kleinstaatlichen Verfassungspolitik auf dem Wiener Kongreß. Die mindermächtigen Staaten und die Entstehung des Deutschen Bundes 1813–1815. Hamburg 1996. 2 Thomas Nipperdey, Der Föderalismus in der deutschen Geschichte, in: ders., Nachdenken über die deutsche Geschichte. Essays. München 1986, S. 60–109, Zit. S. 69.
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Vorwort des Herausgebers
deutschen Nationalstaats 1945 gab es zwar günstigere Voraussetzungen für eine unvoreingenommene Betrachtung des Deutschen Bundes, doch kam auch seither die ,Bundesforschung‘ nur sehr zögerlich in Gang. Dem Deutschen Bund wird bis heute bei weitem nicht das Maß an Aufmerksamkeit zuteil, mit dem der Prozeß der deutschen Nationalstaatsbildung oder in jüngster Zeit die innere Entwicklung der deutschen Einzelstaaten im 19. Jahrhundert untersucht werden. Überdies richtet sich das Interesse der Forschung nach wie vor in erster Linie auf die antiliberalen und antinationalen Repressionsmaßnahmen des Deutschen Bundes. Von daher erscheint der Bund bis heute – gewiß mit guten Gründen – vor allem als ein „System innenpolitischer Illiberalität“.3 Fraglich und untersuchungsbedürftig ist es indes, ob sich der Deutsche Bund in der „Funktion eines bevormundenden Polizeistaats“4 erschöpfte oder ob er nicht doch auch – und zwar nicht nur in der Frühphase bis 1819 – positive Entwicklungsperspektiven bis hin zu mancherlei Reformansätzen im einzelnen enthielt.5 Das vordringliche Ziel des Editionsprojekts ist es, eine möglichst breite und repräsentative Auswahl von Dokumenten in einer modernen editorischen Prinzipien entsprechenden Form zu präsentieren. Inhaltlich steht dabei zunächst das Problem der Verfassungsordnung und inneren Organisation des Bundes im Vordergrund. Über die rein rechts- und institutionengeschichtlichen Aspekte hinausgehend wird dabei angestrebt, die Entstehung und Ausgestaltung des Bundes, die diversen Ansätze zu seiner Reform sowie seine Auflösung vor dem Hintergrund und in Auseinandersetzung mit der nationalen und liberalen Bewegung in Deutschland zu beleuchten. Einen weiteren Schwerpunkt des Editionsvorhabens bildet die Rolle des Deutschen Bundes bei der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands. In diesen Bereichen, die im 19. Jahrhundert und insbesondere seit etwa 1840 einer tiefgreifenden Umstrukturierung von beispielloser Dynamik unterlagen, besaß der Deutsche Bund ausdrückliche Regelungskompetenzen, und es ist ein Anliegen der Edition, zu dokumentieren, inwieweit der Bund von seinen wirtschafts- und sozialpolitischen Befugnissen Gebrauch machte. 3 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1845/49. München 1987, S. 322. 4 Ebd. S. 340. 5 Zu Entwicklung und Tendenzen der ,Bundesforschung‘ siehe Fritz Fellner, Perspektiven für eine historiographische Neubewertung des Deutschen Bundes, und Hellmut Seier, Der Deutsche Bund als Forschungsproblem 1815–1960, beide in: Helmut Rumpler (Hrsg.), Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation. (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 16/17.) Wien/München 1990, S. 21–30, 31–58.
Vorwort des Herausgebers
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Ferner soll auch die außenpolitische Bedeutung des Deutschen Bundes und seine Funktion im europäischen Mächtesystem berücksichtigt werden. Zu klären ist insbesondere, ob der Staatenbund fähig und willens war, außenpolitisch aktiv zu werden, welche Möglichkeiten sich ihm dazu boten und in welcher Weise sie genutzt bzw. nicht genutzt wurden. In enger Verbindung mit der Absicht, die inhaltlichen Desiderate der Forschung aufzuarbeiten, steht das Bemühen, eine genuin bundespolitische Perspektive zu etablieren. In der bisherigen Forschung wurde der Bund zumeist nicht an seinen eigenen Ansprüchen und Möglichkeiten, sondern gewissermaßen an externen Maßstäben, insbesondere dem des Nationalstaats, gemessen. Die ,nationale Elle‘, die im übrigen nicht schon 1815, sondern erst 1871 fixiert und zum deutschen Normalmaß erhoben wurde, an den Deutschen ,Bundesstoff‘ anzulegen, führt dazu, daß das staatenbündische Gewebe für zu kurz und zu dünn befunden wird, um ein dauerhaftes Kleidungsstück zu liefern. Gemessen am Modell des Nationalstaats muß der Deutsche Bund zwangsläufig als strukturell defizitär erscheinen, als eine grundsätzlich unangemessene und auf Dauer unhaltbare politische Ordnung. Ohne nun umgekehrt den offenkundig unvollkommenen Staatenbund von 1815 zur Maßeinheit zu erklären, erscheint es immerhin legitim, den Deutschen Bund als – wenn auch schmales – „nationales Band“6 wahrzunehmen und neben seinen unbestreitbar gravierenden Defiziten auch seine Entwicklungsalternativen, seine Reformpotentiale und -anstrengungen zu dokumentieren. Dabei kann es nicht darum gehen, den Bund als eine Alternative zum deutschen Nationalstaat darzustellen, als eine verpaßte Gelegenheit gar. Vorsicht ist auch angebracht gegenüber Versuchen, den Bund vor dem Hintergrund späterer Erfahrungen als ein „Lösungsmodell“7 der deutschen Frage oder als „trendwidrige Präfiguration einer postnationalen Grundordnung“8 zu interpretieren. Das Ziel des Editionsvorhabens „Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes“ und der parallel dazu von den einzelnen Bearbeitern vorbereiteten Monographien ist nicht eine ,Geschichte im Konjunktiv‘ in Opposition zur realhistorischen Entwicklung. Das Ziel ist vielmehr eine Ergänzung und Erweiterung unserer Kenntnis eben dieser Entwicklung durch die Ausleuchtung der bislang im Dunkeln verbliebenen Aspekte der Bundesgeschichte. Die zu diesem Zweck angestrebte Erweiterung der historischen Perspektive zielt in 6 Dieser Ausdruck wurde bereits von den Zeitgenossen häufig benutzt und bildet den programmatischen Titel der jüngsten, materialreichen, aber formal und inhaltlich dilettantischen Monographie über den Deutschen Bund: Ludwig Bentfeldt, Der Deutsche Bund als nationales Band 1815–1866. Göttingen/Frankfurt am Main/Zürich 1985. 7 Wolf D. Gruner, Der Deutsche Bund – Modell für eine Zwischenlösung?, in: Politik und Kultur 9, 1982, Heft 5, S. 22–42. 8 Seier, Der Deutsche Bund als Forschungsproblem (wie Anm. 5), S. 58.
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Vorwort des Herausgebers
zweierlei Richtung. Zum einen soll der Deutsche Bund als handelndes Subjekt betrachtet werden, als eine zentrale Instanz mithin, die nicht bloß instrumentellen Charakter für die einzelstaatliche Interessenpolitik besaß, sondern aus sich selbst heraus politisch agierte. Zum anderen ist beabsichtigt, den Bund als den föderalen Sammelpunkt Deutschlands sichtbar werden zu lassen. Die bisherige Konzentration der Forschung auf die Großstaaten Österreich und Preußen sowie die wichtigeren Mittelstaaten soll überwunden werden zugunsten einer Berücksichtigung der gesamten deutschen Staatenwelt, die sich ja immerhin zu drei Vierteln aus Klein- und Kleinststaaten unterschiedlichster Gestalt zusammensetzte. Deren politisches Wollen und Handeln im Deutschen Bund zu dokumentieren und damit das Meinungsspektrum der im Bund vereinigten Staaten zumindest exemplarisch zu präsentieren, ist ein wichtiges Anliegen der Edition. Das Forschungsvorhaben „Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes“ besteht derzeit aus folgenden drei, von wissenschaftlichen Mitarbeitern bearbeiteten Unterabteilungen: Abteilung I: „Quellen zur Entstehung und Frühgeschichte des Deutschen Bundes 1813–1830“; Abteilung II: „Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1830–1848“; Abteilung III: „Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1850–1866“. Es ist vorgesehen, auf diese Weise den Gesamtzeitraum von 1815 bis 1866 im Sinne des oben dargelegten Editionskonzepts zu bearbeiten. Ausgeklammert bleibt dabei – bislang – der gesamte Bereich der militärischen Verhältnisse. Dieser Bereich umfaßt neben der Entstehung und Entwicklung der Bundeskriegsverfassung und den Plänen zu ihrer Reform im einzelnen die Beratungen der ständigen Bundesmilitärkommission und der diversen Militärausschüsse der Bundesversammlung, die Organisation der einzelstaatlichen Kontingente, die Inspektionen der Bundesarmeekorps, die Bundesflotte und insbesondere die militärischen Dispositionen des Bundes in den europäischen Krisen und Kriegen von 1830–1832, 1840, 1848–1850, 1853–1856, 1859 und 1864–1866. Die Komplexität des Gegenstandes und die Masse der einschlägigen Quellen machten es erforderlich, diesen Bereich einer besonderen, noch einzurichtenden Abteilung zuzuweisen. Der besondere Dank des Herausgebers gebührt der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die die Mittel für das Projekt bereitstellt und damit die überfällige Aufarbeitung der Geschichte des Deutschen Bundes ermöglicht. Zusätzliche finanzielle Förderung leistet ferner die Deutsche Forschungsgemeinschaft, der sich der Herausgeber gleichfalls zu Dank verpflichtet weiß. Darüber hinaus sei schließlich den Mitarbeitern der zahlreichen in- und ausländischen Archive und Bibliotheken gedankt, deren Unterstützung unerläßlich ist für die Verwirklichung des Forschungsvorhabens. Lothar Gall
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Inhalt
Inhalt Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neue Faktoren der bundespolitischen Debatte. . . . . 2. Die Verklammerung von innenpolitischer Reform und außenpolitischer Machtstellung Deutschlands . . . . . 3. Die zentrale Rolle der Öffentlichkeit . . . . . . . . . 4. Die nationalpolitische Parteibildung . . . . . . . . . . 5. Die Legitimierung des parlamentarischen Prinzips auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. 1859–1862: Nationale Wendejahre . . . . . . . . . .
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XI XI
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XV XX XXVII
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Zur Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zu diesem Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Leitsätze zur Gestaltung der Edition „Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes“. Von Jürgen Müller und Eckhardt Treichel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXXIX XXXIX
Chronologisches Verzeichnis der Dokumente . . . . . . . . . . .
LI
Verzeichnis der Dokumente nach ihrer Provenienz. . . . . . . . .
LVII
Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen . . . . . . . . . . . . .
865
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . 1. Ungedruckte Quellen (Archivalien) . . . . . . . . . . . 2. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Akten, Protokolle, Werkausgaben . . . . . . . . . . b) Zeitungen und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . c) Politische Schriften, Flugschriften und Darstellungen bis 1866 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Memoiren und Tagebücher . . . . . . . . . . . . . . e) Staatshandbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bibliographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Darstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XLIII
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869 869 872 872 875
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X
Inhalt
5. Biographische Nachschlagewerke und Lexika . . . . . . . . . 6. Internetressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
891 892
Abbildungsnachweis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register 1. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Länder- und Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Neue Faktoren der bundespolitischen Debatte
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Einleitung 1. Neue Faktoren der bundespolitischen Debatte Die bundes- und nationalpolitischen Entwicklungen im Zeitraum von 1859 bis 1862 sind in der historischen Forschung vielfach behandelt worden.1 Vor allem in einigen älteren, teils mehrbändigen Werken wurde die Haltung des Deutschen Bundes angesichts der nationalen Herausforderung, die infolge des Italienischen Krieges seit dem Sommer 1859 eine neue Dynamik und Brisanz erhielt, ausführlich thematisiert. Die nun anbrechende, aus der historischen Rückschau letzte Phase des Deutschen Bundes wurde als „Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland“2 interpretiert, aus dem nur eine der beiden deutschen Großmächte siegreich hervorgehen konnte. In der kleindeutsch-borussischen Geschichtsschreibung, die seit der Bismarckschen Reichsgründung in Deutschland tonangebend war3, wurde die Phase seit 1859 als eine Zeit dargestellt, in der die verfehlte Ordnung des Deutschen Bundes von der nationalen Bewegung endlich aus dem Weg geräumt wurde.4 Die großdeutsch-österreichische Geschichtsschreibung indessen wandte sich dagegen, allein den Maßstab „des geschlossenen, starken deutschen Nationalstaats“ an die deutsche Geschichte anzulegen und sah in der Zerstörung des Bundes einen historisch keineswegs notwendigen Verrat an der „gesamtdeutschen Sache“.5 In den Darstellungen von Treitschke und Sybel auf der einen und Srbik und Friedjung auf der anderen Seite erscheint die bundespolitische Entwicklung von 1859 bis 1862 in einem völlig unterschiedlichen Licht: hier als ein schädliches und nutzloses Festhalten an der nationalpolitisch unbrauchbaren Bundesver1 Zur Forschungsentwicklung siehe Müller, Der Deutsche Bund, S. 51–88, hier vor allem S. 76 ff.; Doering-Manteuffel, Die Deutsche Frage, S. 53–118; über Nationsbildung und organisierten gesellschaftlichen Nationalismus allgemein: Fehrenbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung, S. 71–119, bes. S. 109 ff.; für die ältere Forschung siehe Seier, Der Deutsche Bund als Forschungsproblem. 2 So der Titel der erstmals 1897/98 erschienenen, außerordentlich erfolgreichen zweibändigen Studie von Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, die 1916/17 schon in 10. Auflage erschien. 3 Vgl. dazu Hardtwig, Von Preußens Aufgabe in Deutschland; ders., Erinnerung, Wissenschaft, Mythos; Southard, Droysen and the Prussian School of History. 4 Diese negative Akzentuierung ist besonders ausgeprägt bei Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert (erstmals veröffentlicht 1879–1894), aber auch Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches (erstmals veröffentlicht 1889–1894), sieht im Deutschen Bund nur „ein Zerrbild deutscher Einheit“, von dem aus insbesondere in der außen- und innenpolitischen Krise seit 1859 kein Weg zu einer nationalen Organisation Deutschlands führte. 5 Srbik, Deutsche Einheit, Zitate Bd. 1, S. 8; Bd. 3, S. 3.
XII
Einleitung
fassung, dort als eine Bewahrung der traditionellen föderativen Ordnung Deutschlands gegen die revolutionären Kräfte, welche Deutschland in den Umsturz und den Bürgerkrieg trieben. Wenn auch nach dem Zweiten Weltkrieg beide nationalpolitischen Entwürfe – das als machtvoller nationaler Bundesstaat unter preußischer Führung organisierte neue Reich und der am Alten Reich orientierte großdeutsch-mitteleuropäische Föderativverbund mit maßgeblicher Beteiligung Österreichs – definitiv gescheitert waren und sich in der Folge auch die wissenschaftlichen Fronten aufweichten, so kann sich doch bis heute keine historische Untersuchung der seit 1859 anbrechenden „Sturmjahre der preußisch-deutschen Einigung“, – wie es eine Quellensammlung von 1925 ebenso dramatisch wie eingängig formulierte6 – der Frage entziehen, wie die Rolle des Deutschen Bundes angesichts der nationalen Herausforderung zu bewerten sei. Und je nachdem, welche Darstellung man zu Rate zieht, erscheint der Bund entweder weiterhin als ein letztlich beseitigtes Hindernis auf dem „Weg zum Nationalstaat“7 oder aber als eine föderative Ordnung „zwischen Habsburg und Preußen“ mit nationalpolitischem Potential8. Auch in den aktuellen Überblicksdarstellungen der letzten Jahre finden sich diese einander ausschließenden Urteile: „Was an deutscher Geschichte in Gestalt des Bundesgehäuses faßbar wird, war keineswegs durchweg von Unbeweglichkeit und Starrheit geprägt“, schreibt Wolfram Siemann am Ende seiner Geschichte Deutschlands von 1806 bis 1871.9 Hingegen kommt Friedrich Lenger in der Neuauflage des Gebhardt Handbuchs der deutschen Geschichte zu dem Schluß, daß die großdeutschföderalistischen Reformkonzepte des Bundes nur geringe Durchschlagskraft entfalten konnten, weil sie – ganz anders als das kleindeutsch-bundesstaatliche Programm des Deutschen Nationalvereins – von einem nur „negativ integrierten Bündnis aller politischen Lager“ getragen worden seien.10 Die wenigen Spezialuntersuchungen zur Geschichte der Reformpolitik des Deutschen Bundes und seiner Reaktion auf die nationale Herausforderung haben bislang wenig an der vorherrschenden Meinung ändern können, daß es keine realistische Alternative zu den tatsächlichen historischen Entwicklungen seit 1859 und mithin zur kleindeutsch-preußischen Bundesstaatsgründung und dem damit einhergehenden gewaltsamen Ausschluß Österreichs aus der politischen Organisation Deutschlands gegeben habe. Selbst Thomas Nipperdey, der in seiner Deutschen Geschichte den Bundesreformplänen eine „epo6 7 8 9 10
Heyderhoff (Bearb.), Die Sturmjahre der preussisch-deutschen Einigung. Schulze, Der Weg zum Nationalstaat. Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen. Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat, S. 424. Lenger, Industrielle Revolution, S. 287 f.
1. Neue Faktoren der bundespolitischen Debatte
XIII
chale Wichtigkeit“ bescheinigt, hält sie nur dann für eine Alternative, „wenn man den Nationalstaat für eine historisch überspringbare Form der politischen Existenz hält“11, eine Bedingung, die wissenschaftlich kaum seriös zu vertreten sein dürfte. Die detaillierte Erforschung der Bundesgeschichte mag somit, so scheint es, interessante Pläne und Projektionen an den Tag bringen, sie bleibt aber am Ende insofern irrelevant, als sie an den vermeintlichen Grundkonstanten der Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert nicht vorbeikommt. Es ist hier nicht der Ort, die Argumente und Ergebnisse der speziellen Bundes- und Bundesreformforschung insbesondere im Hinblick auf den Zeitraum von 1859 bis 1862 zu resümieren. Es existieren dazu eine Reihe von älteren Arbeiten, vornehmlich aus den 1930er Jahren12, sowie auch einige neuere Studien13, darunter eine ausführliche Darstellung des Bearbeiters dieser Edition14, die sich zum Ziel gesetzt hat, die intensiven Verbindungen zwischen Deutschem Bund und deutscher Nation herauszuarbeiten. Die Ergebnisse dieser Forschungen haben – in unterschiedlichem Ausmaß und mit sehr variabler Gewichtung – Eingang in zwei knappe Überblicksdarstellungen zum Deutschen Bund gefunden, die in den letzten Jahren erschienen sind.15
11 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800–1866, S. 705 u. 709. 12 Fuchs, Die deutschen Mittelstaaten und die Bundesreform; Greve, Die Politik der deutschen Mittelstaaten und die österreichischen Bundesreformbestrebungen; Real, Zur Geschichte der Bundesreformbestrebungen; ders., Österreich und Preußen im Vorfeld des Frankfurter Fürstentags; Daerr, Beust und die Bundesreformpläne; Thumann, Beusts Plan zur Reform des Deutschen Bundes; Kraehe, Austria and the Problem of Reform in the German Confederation; Vogt, Überlegungen zur Bundesreform aus der Sicht eines Thüringer Kleinstaats im Jahre 1860; zur antipreußischen, bundestreuen „Partei“ in Hessen siehe Hope, The Alternative to German Unification. 13 Gruner, Die Würzburger Konferenzen; Flöter, Beust und die Reform des Deutschen Bundes; Wehner, Die deutschen Mittelstaaten auf dem Frankfurter Fürstentag; aus preußischer Sicht und mit einem problematischen Bundesreformbegriff: Kaernbach, Bismarcks Bemühungen um eine Reform des Deutschen Bundes 1849–1866; ders., Bismarcks Konzepte zur Reform des Deutschen Bundes; Jansen, Einheit, Macht und Freiheit. 14 Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation. 15 Angelow, Der Deutsche Bund; Müller, Der Deutsche Bund; Gruner, Der Deutsche Bund. – Eine ausführliche „Geschichte des Deutschen Bundes“ existiert bislang nicht; einige ältere Darstellungen behandeln lediglich einzelne Phasen: Ilse, Geschichte der deutschen Bundesversammlung; Kraehe, History of the German Confederation, 1850–1866. In der neuesten Überblicksdarstellung von Christian Jansen zur Phase zwischen Revolution und Reichsgründung wird die Bundesreform – fokussiert auf die Jahre 1862/63 – als „realpolitische Option“ charakterisiert und ihr Scheitern auf die ablehnende Haltung der beiden deutschen Großmächte zurückgeführt, von denen letztlich keine einen föderalen Bundesstaat gewollt, sondern jeder eine Lösung unter Ausschluß der jeweils anderen Macht angestrebt habe; vgl. Jansen, Gründerzeit und Nationsbildung, S. 159–170.
XIV
Einleitung
Statt einer Gesamtdarstellung der bundespolitischen Entwicklung in Auseinandersetzung mit der nationalen Herausforderung sollen im Folgenden einige Faktoren hervorgehoben werden, die sich während der Arbeit an dem dieser Edition zugrunde liegenden Quellenmaterial als zentrale Elemente in der bundespolitischen Debatte und als wichtige Antriebskräfte für das Handeln der Bundesversammlung und ihrer Ausschüsse im Zeitraum von 1859 bis 1862 herausstellten. Es sind dies keine neuen, bisher unentdeckten Kräfte, doch sie sind – so scheint es dem Bearbeiter – bislang nicht hinreichend in ihrer Auswirkung auf die bundespolitischen Akteure gewürdigt worden. Bei diesen Faktoren handelt es sich im wesentlichen um vier Entwicklungen, die im Jahr 1859 nahezu gleichzeitig zum Durchbruch kamen und in den nachfolgenden Jahren die bundes- und nationalpolitischen Debatten und Aktionen bestimmten: 1. die Verklammerung von innenpolitischer Reform und außenpolitischer Machtstellung; 2. die zentrale Rolle der Öffentlichkeit; 3. die nationalpolitische Parteibildung; 4. die Legitimierung des parlamentarischen Prinzips auf Bundesebene. Diese Faktoren wirken seit 1859 in einer zuvor nicht gekannten Intensität auf die schon länger anhaltende, zeitweise in den Hintergrund getretene, nun aber schlagartig wieder aufflammende Bundesreformdebatte ein. Anders als in den Reformdiskussionen auf der Dresdener Konferenz 1850/5116 oder auch noch in den diversen Denkschriften, die während der 1850er Jahre zwischen den deutschen Regierungen zirkulierten17, ging es nun nicht mehr vorzugsweise oder gar ausschließlich um die Austarierung der Machtbalance zwischen den deutschen Staaten ohne nähere Berücksichtigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Deutschland oder der europäischen politischen Konstellationen. Jede Beschäftigung mit der Bundesverfassungsreform vollzog sich seit 1859 in einem komplizierten Beziehungsgeflecht, bei dem es keine Lösung mehr geben konnte, die nicht alle diese Aspekte beachtete. Das machte es einerseits so leicht, im kleindeutsch-preußischen Bundesstaat mit integrierter politischer und ökonomischer Verfassung sowie starker Machtentfaltung nach außen ein attraktives Modell für die Lösung der deutschen Frage zu präsentieren. Und andererseits erschwerte dieser Zusammenhang innerer und äußerer, politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Fragen es dem Deutschen Bund und den bundespolitischen Akteuren – der Bundesversammlung, den Bundestagsausschüssen, den Bundestagsgesandten, den reformwilligen einzelstaatlichen Ministern und Diplomaten, der bundesfreundlichen Presse und Publizistik, den föderalistisch-groß16 Siehe dazu QGDB III/1, sowie Flöter/Wartenberg (Hrsg.), Die Dresdener Konferenz; Schoeps, Von Olmütz nach Dresden. 17 Siehe dazu QGDB III/2.
2. Innenpolitische Reform und außenpolitische Machtstellung
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deutsch gesinnten Parlamentariern, dem großdeutschen Reformverein – so sehr, einen realistischen alternativen Entwurf für die künftige Organisation Deutschlands zu entwickeln und zu popularisieren. Die in diesem Band enthaltenen Dokumente verdeutlichen diese Problematik auf nahezu jeder Seite, aber sie zeigen auch, wie sich die Bundesreformbefürworter den Problemen und Herausforderungen stellten und ihre Argumentation auf eine viel breitere Grundlage stellten als jemals zuvor. Die Bundesreform als ein bloß kosmetisches Projekt zur Stabilisierung des Status quo im deutschen Staatenbund, wie das in so vielen Plänen der fünfziger Jahre beabsichtigt war, konnte seit 1859 nicht mehr ernsthaft vertreten werden. Bundesreform bedeutete nun institutionelle Erweiterung, gesellschaftliche Partizipation, ökonomische Modernisierung, rechtliche Harmonisierung – kurz gesagt: nationale Integration im Gehäuse einer staatenbündisch-föderativen Ordnung. Man könnte darin den aussichtslosen Versuch einer Quadratur des Kreises sehen. Die zahlreichen Verfechter einer solchen Fortentwicklung des Deutschen Bundes erblickten darin indessen die Chance einer friedlichen Lösung der deutschen Frage ohne die Gefahr des inneren Umsturzes und der äußeren Konflikte. Im Folgenden sollen nun die eben erwähnten Faktoren in ihren Auswirkungen auf den Gang der Bundesreformen – in ihrer theoretischen Rechtfertigung wie auch in den praktischen Schritten – näher skizziert werden.
2. Die Verklammerung von innenpolitischer Reform und außenpolitischer Machtstellung Deutschlands Die politische Organisation Deutschlands war von jeher keine rein innere Angelegenheit, sondern Teil eines außenpolitischen Bedingungsgefüges. Zumal seit dem Wiener Kongreß von 1815 war die deutsche Frage immer auch eine europäische Frage18, und dies sogar in einem ganz konkreten völkerrechtlichen Sinn, denn die Bundesakte von 1815 war Teil der Wiener Kongreßakte, deren Signatarstaaten damit die völkerrechtliche Anerkennung des Deutschen Bundes besiegelten.19 Indem der Deutsche Bund als „Schlußstein“ der Wiener
18 Siehe dazu Gall, Der Deutsche Bund in Europa; Gruner, Die deutsche Frage; ders, Deutschland mitten in Europa; Doering-Manteuffel, Die Deutsche Frage und das europäische Staatensystem. 19 Siehe dazu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 675–687. Daß sich daraus eine europäische Garantie der Bundesakte begründen läßt, wird indessen von Huber zurückgewiesen.
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Einleitung
Ordnung20 und als „passiver Ordnungsfaktor im europäischen Staatensystem“21 konzipiert worden war, stellte sich bei grundlegenden Veränderungen seiner inneren Verhältnisse automatisch die Frage, inwieweit diese seine europäische Funktion berührten. Diese Funktion bestand ganz wesentlich in dem friedenserhaltenden Wirken des Bundes und seiner Institutionen, sowohl im Hinblick auf die innerdeutschen Verhältnisse als auch im europäischen Rahmen. Solange der Deutsche Bund den Kampf der beiden deutschen Großmächte um die Vorherrschaft in Deutschland verhinderte, und solange er sich in europäischen Konflikten passiv oder defensiv verhielt, konnten innerdeutsche Diskussionen über die Aus- oder Umgestaltung der Bundesverfassung keine außenpolitische Brisanz entwickeln. Bis 1848 war der Bund in beiderlei Hinsicht sehr erfolgreich gewesen. Österreich und Preußen kooperierten in fast allen wichtigen innerdeutschen Fragen und vermieden politische Konfrontationen. Außenpolitisch zogen die beiden deutschen Vormächte ebenfalls an einem Strang und unterließen es, den Deutschen Bund für partikulare Interessen oder gar für nationale Ziele zu instrumentalisieren. In der einzigen für die europäische Stellung Deutschlands kritischen Situation, der Rheinkrise von 1840/41, demonstrierten sie zwar machtpolitische und militärische Stärke gegenüber Frankreich, doch nahmen weder Österreich und Preußen noch der Deutsche Bund eine aggressive Haltung ein.22 Und auch im Jahrzehnt nach der 1848er Revolution, als die Rivalität zwischen Österreich und Preußen zunahm, wirkte der Bund außenpolitisch stabilisierend, indem er während der Krimkriegskrise gegen den ausdrücklichen Willen seiner Führungsmacht Österreich auf einer neutralen Stellung beharrte.23 Diese außenpolitische Stabilisierungsfunktion des Deutschen Bundes wurde seit 1859 zunehmend in Frage gestellt. Wie schon während des Krimkriegs versuchte Österreich im Vorfeld des Italienischen Kriegs abermals, das militärische Potential des Bundes zu mobilisieren, um im Konflikt mit dem Königreich Sardinien-Piemont und dessen Bündnispartner Frankreich Deutschland in seiner Gesamtheit als europäischen Machtfaktor einzusetzen. Dieser Versuch scheiterte zwar erneut am Widerstand Preußens gegen eine Instrumentalisierung des Deutschen Bundes für die österreichische Außenpolitik, doch gelang es nach dem Ende des Krieges nicht, den Bund wieder in die ruhigen Bahnen einer außenpolitischen Enthaltsamkeit zurückzuführen. Der 20 Gruner, Die deutsche Frage, S. 73. 21 Doering-Manteuffel, Die Deutsche Frage und das europäische Staatensystem, S. 6. 22 Zur Rheinkrise siehe Veit-Brause, Die deutsch-französische Krise von 1840; Gruner, The German Confederation and the Rhine Crisis of 1840; Billinger, They Sing the Best Songs Badly. 23 Zur Krimkriegskrise siehe Baumgart, Österreich und Preußen im Krimkrieg; ders., Die deutschen Mittelstaaten und der Krimkrieg; ders., Europäisches Konzert und nationale Bewegung, S. 336–351; Eckhart, Die deutsche Frage und der Krimkrieg.
2. Innenpolitische Reform und außenpolitische Machtstellung
XVII
Status des Deutschen Bundes und seine Haltung im Hinblick auf den Italienischen Krieg wurden in zweierlei Hinsicht zur Diskussion gestellt: Zum einen war offenkundig geworden, daß die Organisation der Bundesarmee bei einem möglichen Angriff auf das Bundesgebiet, den man von seiten Frankreichs mehr denn je befürchtete, keine effektive Verteidigung gewährleistete. Die Umgestaltung der Bundeskriegsverfassung wurde von daher seit 1859 zu einem von allen Seiten erstrebten Ziel, wobei allerdings über die Grundsätze der angestrebten Reform keine Übereinstimmung herzustellen war. Zu einem zentralen Streitpunkt wurde die Frage des militärischen Oberbefehls über die Bundesarmee, der von Preußen – wenn nicht für die gesamten Bundeskontingente, so doch zumindest für die Truppen der norddeutschen Staaten – beansprucht wurde, was einer militärpolitischen Teilung Deutschlands entlang der Mainlinie entsprochen hätte.24 Die militärische Organisation des Deutschen Bundes wurde somit zu einer eminent politischen Frage, die einerseits im Hinblick auf die innerdeutschen Machtverhältnisse, andererseits im Hinblick auf die außenpolitische Stellung Deutschlands heftig diskutiert wurde, und das nicht nur zwischen den Regierungen und in den Gremien des Bundes, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit, die sich für dieses Thema zuvor wenig interessiert hatte. Es korrespondierte mit dieser gesteigerten Aufmerksamkeit für die militärische Stärke Deutschlands, daß der nationale Machtgedanke nun zu einem zentralen Element der deutschlandpolitischen Debatte wurde. Dies war der zweite Faktor, der ganz entscheidend auf die Bundesreformdebatte zurückwirkte. Hatten sich Pläne zur Bundesreform bislang häufig auf innenpolitische Aspekte konzentriert und der Stellung des Bundes nach außen hin wenig Beachtung geschenkt, so wurde seit 1859 die äußere Macht Deutschlands in Konkurrenz zu den anderen europäischen Großmächten zu einem Aspekt, der nicht mehr vernachlässigt oder übergangen werden konnte. Die von der nationalen Bewegung angestrebte Reorganisation Deutschlands sollte nicht mehr nur die Einheit des Vaterlandes und die Freiheit seiner Bevölkerung verbürgen, sondern auch die Macht des neuen Staatsgebildes. Diese Befunde knüpfen an die Studie von Christian Jansen über die „Paulskirchenlinke“ an, worin der Autor eine allgemeine Nationalisierung der politi24 Zur Bundeskriegsverfassung bzw. der Militärpolitik des Bundes siehe allgemein: Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 609–616; Wienhöfer, Das Militärwesen des Deutschen Bundes; Petter, Deutscher Bund und deutsche Mittelstaaten; Keul, Die Bundesmilitärkommission; Angelow, Von Wien nach Königgrätz; Helmert, Militärsystem und Streitkräfte; Burg, Die deutsche Trias in Idee und Wirklichkeit, S. 95–139; zum Oberbefehl: Seier, Zur Frage der militärischen Exekutive; ders., Der Oberbefehl im Bundesheer; zu den Reformversuchen nach 1859: Hencke, Die Heeresverfassung des Deutschen Bundes und die Reformpläne in den Sechzigerjahren.
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schen Kultur feststellt, die geprägt war von einer Militarisierung der deutschen Frage und einer Betonung des Macht(staats)gedankens. Dabei übernahmen die 1849 unterlegenen liberalen Paulskirchenabgeordneten seit 1859 die Meinungsführerschaft.25 Für diejenigen deutschen Regierungen, die am staatenbündischen Prinzip festhalten und eine bundesstaatliche Organisation Deutschlands verhindern wollten, und für die Bundesversammlung selbst und die von ihr bestellten Kommissionen und Ausschüsse ergab sich daraus die Notwendigkeit, die Frage der äußeren Macht des Bundes in ihre Überlegungen und Konzepte für eine Bundesreform viel stärker einzubeziehen, als dies zuvor erforderlich gewesen war. Auf die preußische Politik, die effektive Machtausübung der Bundesversammlung sowohl im Innern Deutschlands als auch auf der Ebene der europäischen Politik bei jeder Gelegenheit zu durchkreuzen, und auf den vielfach öffentlich geäußerten Vorwurf, daß die Ereignisse in Italien die „Ohnmacht“ der Bundesverfassung gezeigt und Deutschland dem „Spott des Auslandes“ preisgegeben hätten26, mußten die bundestreuen Regierungen und ihre sich allmählich formierenden Anhänger in der deutschen Öffentlichkeit mit dem Versuch reagieren, die Vereinbarkeit von staatenbündischer Ordnung und nationaler Machtentfaltung zu demonstrieren. Es ist kein Zufall, daß fast zeitgleich mit der in Eisenach am 14. August 1859 von Liberalen und Demokraten proklamierten Ohnmacht des Bundes dessen Verteidiger das Machtpotential der bestehenden Ordnung hervorhoben. Die in Frankfurt erscheinenden „Deutschen Blätter“ schrieben am 15. August 1859: „Es ist also ein thörichter Vorwurf, den man der jetzigen Staatenordnung macht, daß sie das internationale Ansehn und den Einfluß Deutschlands nicht zur Geltung kommen lasse. Wir zählen bereits zwei Repräsentanten im Rath der fünf europäischen Mächte. Sind diese nur einig, so haben sie auch das übrige Deutschland hinter sich und sind dann die erste Continentalmacht des Welttheils.“27 Die in dem Artikel genannte Bedingung für die Machtstellung Deutschlands – die Einigkeit der beiden deutschen Großmächte – war im Deutschen Bund aber nicht gegeben. Es unterlag, so der Herzog von Sachsen-Meiningen in einer Denkschrift vom Februar 1860, „keinem Zweifel, daß gegenwärtig weder der deutsche Bund noch die deutschen Großstaaten die Machtstellung einnehmen, welche ihnen gebührt und welche als wesentliche Bürgschaft für 25 Jansen, Einheit, Macht und Freiheit, S. 288 ff., zur Nationalisierung und Militarisierung der politischen Kultur ebd. S. 332–357; zu den macht- und außenpolitischen Vorstellungen der kleindeutschen Liberalen siehe auch Biermann, Ideologie statt Realpolitik. 26 Vgl. die Anlage zur Eisenacher Erklärung der Demokraten und Konstitutionellen vom 14. August 1859, Dok. 10. 27 Dok. 11, Zitat S. 56.
2. Innenpolitische Reform und außenpolitische Machtstellung
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den Frieden Europas gewünscht werden muß“.28 Wichtigstes Ziel der Bundesreform mußte es demnach sein, die Einigkeit von Österreich und Preußen herzustellen und eine Bundeszentralgewalt zu organisieren, die die Interessen Gesamtdeutschlands im Konzert der europäischen Mächte effektiv vertreten, Bedrohungen von seiten anderer Mächte wirksam begegnen und nötigenfalls einen Krieg erfolgreich führen konnte. Dieses Motiv der effektiven Machtausübung vor allem auch nach außen kam in den folgenden Jahren in zahlreichen Plänen für eine Bundesreform zum Tragen. Die Verteidiger des Deutschen Bundes und seiner föderativen Verfassung mußten seit 1859 der äußeren Sicherheit Deutschlands, die ja nach Artikel 2 der Bundesakte ein wesentlicher Zweck des Bundes war, erheblich mehr Aufmerksamkeit zuwenden als jemals zuvor in der Bundesgeschichte. Denn nach dem allgemeinen Urteil der deutschen Öffentlichkeit wie auch nach der Einschätzung der Regierungen war die Sicherheit Deutschlands durch die Entwicklungen in Europa tatsächlich bedroht. Die in der vorliegenden Edition publizierten Quellen machen deutlich, wie sehr sich die durch den Italienischen Krieg veränderte außenpolitische Konstellation nicht nur auf die allgemeine deutsche Öffentlichkeit, sondern vor allem auch auf die Selbstwahrnehmung des Deutschen Bundes beziehungsweise derjenigen regierenden Politiker und Diplomaten auswirkte, die am Bund festhalten wollten. Es veränderten sich aber nicht nur die subjektive Einschätzung der Lage und damit die Art und Weise, wie über Bundesreform und nationale Organisation nachgedacht wurde. Auch objektiv wurde die deutsche Frage seit 1859 komplizierter als jemals zuvor in der Bundesgeschichte, wenn man einmal von den Revolutionsjahren 1848/49 absieht. Eine „kleine“ Reform des Staatenbundes, die sich einzelnen Aspekten wie etwa der Stimmenverteilung, den Kompetenzen der Bundesorgane, bestimmten Bundesgesetzen usw. zuwandte, wurde zunehmend unrealistisch. Zwar konnte man mit praktischen Reformmaßnahmen, vor allem auf dem Gebiet der Rechtsvereinheitlichung, durchaus bundespolitische Fortschritte erreichen29, aber diese waren kein Ersatz für die grundlegende institutionelle Umgestaltung, bei der sich neben der Frage der Bundeszentralgewalt als Exekutivmacht und der Bundesarmee als Instrument der Machtausübung nach außen auch die Frage nach der Volksvertretung und dem Bundesgericht stellte. Dazu kam noch die Frage der deutschen Wirtschaftsverfassung, die sich infolge der rasanten industriellen, kom-
28 Dok. 38, Zitat S. 195. 29 Vgl. dazu Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation, S. 391–564, Schöler, Deutsche Rechtseinheit. – Die vielfältigen Initiativen und Maßnahmen zur Rechtsvereinheitlichung im Deutschen Bund werden in einem eigenen Band der Edition dokumentiert werden.
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merziellen und technischen Strukturveränderungen30 immer drängender stellte. Der Deutsche Bund stand somit seit dem Ende der 1850er Jahre vor einer komplexen nationalen Herausforderung, bei der es neben der inneren politischen Organisation des Staatenbundes und der Partizipation der gesellschaftlichen Kräfte zugleich um bundesweiten Rechtsschutz, einheitliche Gesetze, wirtschaftspolitische Integration, eine verbesserte Militärverfassung, nationale Sicherheit nach außen und die Machtstellung Deutschlands in Europa ging. Der Bund versuchte trotz aller Schwierigkeiten, dieser Herausforderung gerecht zu werden und Wege zu finden, die bestehende staatenbündische Ordnung mit den realpolitischen Erfordernissen einerseits und den nicht selten überbordenden nationalpolitischen Forderungen in Einklang zu bringen. Dabei wurde in der relativ kurzen Zeit von drei Jahren vom Sommer 1859 bis zum Sommer 1862 unter Beteiligung von zahlreichen Regierungen und Politikern ein weitreichendes Bundesreformprojekt entworfen und schließlich in die Bundesversammlung eingebracht. Die Erwartungen, die daran geknüpft wurden, waren hoch, ebenso wie der Einsatz der Regierungen, die sich, angestoßen von dem Ausbruch nationaler Gefühle und Ansprüche seit 1859, auf eine riskante bundespolitische Entwicklung einlassen mußten. Und dabei wurde allen, der Öffentlichkeit wie den Regierungen, den Anhängern der großdeutsch-föderativen wie jenen der kleindeutsch-bundesstaatlichen Organisation Deutschlands klar, daß die „Lösung“ der deutschen Frage kein rein innerdeutsches Problem war, sondern eine mit der europäischen Politik eng verknüpfte Angelegenheit, die mit großen Gefahren behaftet war.
3. Die zentrale Rolle der Öffentlichkeit Die Öffentlichkeit war nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 vorübergehend aus der politischen Diskussion zurückgedrängt worden. Zwar war es weder auf Bundesebene noch in den deutschen Einzelstaaten gelungen, das öffentliche Debattieren über politische Themen – und hier insbesondere über die nationale Frage – vollständig zu unterbinden. Doch war es infolge einer Vielzahl von gesetzlichen und polizeilichen Maßregeln in den 1850er Jahren zu einer Eindämmung der freien öffentlichen Meinungsäußerung gekommen.31 30 Siehe dazu die Überblicke bei Hahn, Die Industrielle Revolution in Deutschland, S. 24–39, und Lenger, Industrielle Revolution, S. 31–123, jeweils mit ausführlichen Literaturhinweisen. 31 Zur polizeistaatlichen Entwicklung siehe Siemann, „Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung“; ders., Gesellschaft im Aufbruch, S. 44–65; ders. (Hrsg.), Der „Polizeiverein“ deutscher
3. Die zentrale Rolle der Öffentlichkeit
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Die „Meinungskontrolle“32 war besonders effektiv auf der Ebene der Einzelstaaten, wenn auch nicht alle deutschen Regierungen in gleicher Weise vorgingen und es durchaus Unterschiede in der Kontrollintensität gab. Ein flächendeckendes Unterdrückungssystem, wie es im Vormärz bestanden hatte, kam nach 1850 nicht mehr zustande. Das lag nicht zuletzt auch daran, daß es auf Bundesebene nicht zu einer stringenten und nachhaltigen Politik der öffentlichen Meinungskontrolle kam. Erst nach mehrjährigen Verhandlungen wurden 1854 zwei Bundesbeschlüsse verabschiedet33, die das Pressewesen und das Vereins- und Versammlungswesen im konservativen Sinne regulieren sollten. Aber die Maßnahmen blieben wegen des preußischen Widerstandes gegen weitgehende bundeseinheitliche Regelungen hinter den ursprünglichen Zielen zurück, und ihre Wirksamkeit wurde zusätzlich dadurch eingeschränkt, daß manche Staaten die Inkraftsetzung der Beschlüsse hinauszögerten oder gar völlig unterließen.34 Infolgedessen hing die Meinungskontrolle letztlich von der Bereitschaft der Einzelstaaten ab, öffentliche Diskussionen über politische Fragen zu unterbinden oder auf ein gewisses Maß einzuhegen. Bis zum Jahr 1859 herrschte in dieser Hinsicht ein weitgehendes Einvernehmen zumindest zwischen den großen und den mittelgroßen Staaten, die kein Interesse daran hatten, dem politischen Kampf der Meinungen freien Raum zu lassen. Wenn es dennoch zu nationalpolitischen Manifestationen in einzelnen Landtagen und in Presseorganen kam, wie dies besonders in den Jahren 1855/56 – ausgelöst durch die Krimkriegskrise – der Fall war, so entstanden daraus keine dauerhaften Debatten, welche die Regierungen nachhaltig unter Druck gesetzt hätten. Dies änderte sich ab 1859 grundlegend. Die deutsche Öffentlichkeit meldete sich seither in einer seit der 1848er Revolution nicht gekannten Breite und mit einem Nachdruck zu Wort, dem mit den herkömmlichen Mitteln der amtlichen Meinungskontrolle nicht mehr beizukommen war. Auslösendes Moment dafür war der Italienische Krieg35, in den – anders als im Krimkrieg – Österreich als Vormacht des Deutschen Bundes unmittelbar involviert war. Dieser Krieg spielte sich geographisch nicht am fernen Rand Europas, son-
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Staaten; Dokumente aus geheimen Archiven, Bd. 5: Die Polizeikonferenzen deutscher Staaten 1851–1866. Siemann, Ideenschmuggel; vgl. auch ders., Kampf um die Meinungsfreiheit; ders., Von der offenen zur mittelbaren Kontrolle; siehe auch Fischer (Hrsg.), Kommunikationskontrolle. Vgl. QGDB III/2, Dok. 51 und 52. Vgl. zu der Reaktionspolitik des Bundes insgesamt Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation, S. 90–145; zur Pressepolitik siehe Kohnen, Pressepolitik des Deutschen Bundes. Kurze Überblicke und Hinweise auf weitere Literatur bei: Gall, Europa auf dem Weg in die Moderne, S. 46–56, sowie Baumgart, Europäisches Konzert und nationale Bewegung, S. 352–363.
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dern unmittelbar vor den deutschen Grenzen ab, und er wurde wegen der Unterstützung der italienischen Einigungsbewegung durch Frankreich als akute Bedrohung Deutschlands an seiner Westgrenze wahrgenommen. In dieser kritischen Situation vom Frühjahr und Sommer 1859 meldete sich die Öffentlichkeit auf allen verfügbaren Foren zu Wort: in der Tagespresse36 und in periodischen Zeitschriften37, in der Publizistik38, in den Landtagen39, in den Interessenverbänden, auf nationalen Festen und Feiern und in einer Reihe von Versammlungen liberaler Politiker40, aus denen im Spätsommer mit dem Deutschen Nationalverein eine politische Organisation hervorging41, deren erklärtes und öffentlich propagiertes Ziel die Bildung eines deutschen Bundesstaats war. Diese öffentliche Diskussion – und auch der nichtöffentliche intensive Austausch zwischen den Führern und Anhängern einer nationalen Politik42 – ist in einer Reihe von historischen Studien untersucht worden. Es liegen – zumeist ältere – Darstellungen zur Presse in den Einzelstaaten43 oder zu einzelnen Zeitungen44, zur Publizistik45, zu den nationalen Festen46, zu den politischen Versammlungen47 und zur Gründung des Nationalvereins48 vor. Es fehlt allerdings eine systematische Untersuchung über die deutsche Presse und ihre Reaktion auf die durch den Italienischen Krieg ausgelöste nationalpolitische Diskussion.49 Neben der Tagespresse wurde „Öffentlichkeit“ seit dem Ende der 1850er Jahre in ganz erheblichem Ausmaß durch die Broschüren- und Flugschriften36 37 38 39 40 41 42 43
44 45 46 47 48 49
Siehe Dok. 2, 29, 33, 35 und 36. Siehe Dok. 6, 11 und 15. Siehe Dok. 1. Siehe Dok. 9. Siehe Dok. 5, 8 und 10. Siehe Dok. 20. Vgl. dazu die Briefedition von Jansen (Bearb.), Nach der Revolution. Zu Baden: Fischer, Die öffentliche Meinung in Baden; Gellert, Die öffentliche Meinung in Baden; zu Kurhessen: Gleim, Die deutsche Frage in der kurhessischen Presse 1848–1866; Hitzeroth, Die politische Presse Kurhessens; zu Österreich: Lott, Der Kampf um die Führung in Deutschland; zu Württemberg: Bachteler, Die öffentliche Meinung. Gebhardt, Die deutsche Politik der Augsburger Allgemeinen Zeitung 1859–1866. Scheffer, Die preußische Publizistik im Jahre 1859. Biefang, Massenbasis des Liberalismus; Noltenius, Schiller als Führer und Heiland; Klenke, Nationalkriegerisches Gemeinschaftsideal. Real, Pfingstversammlung und Abgeordnetentag. Biefang, Politisches Bürgertum in Deutschland; ders. (Bearb.), Der Deutsche Nationalverein; Na’aman, Der Deutsche Nationalverein. Die Arbeit von Mittelstaedt, Der Krieg von 1859, konzentriert sich auf Bismarck und die öffentliche Meinung und nimmt nicht das gesamte Spektrum der Presseberichterstattung in den Blick. – Allgemein zur deutschen Presse siehe Koszyk, Deutsche Presse im 19. Jahrhundert; Fischer, Handbuch der politischen Presse in Deutschland; ders., Deutsche Zeitungen des 17.–20. Jahrhunderts; Stöber, Deutsche Pressegeschichte.
3. Die zentrale Rolle der Öffentlichkeit
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literatur hergestellt. Dieses publizistische Genre erlebte einen enormen Aufschwung. Die von Hans Rosenberg zusammengestellte zweibändige kritische Bibliographie der nationalpolitischen Publizistik50 listet für den Zeitraum von 1858 bis 1866 insgesamt 1338 Schriften auf, das heißt im Durchschnitt weit mehr als hundert pro Jahr. Schon allein diese Masse der politischen Schriften zeigt, welch ein ausgedehnter öffentlicher Markt für die Diskussion der deutschen Frage seit Ende der 1850er Jahre entstand. Zu einem besonders wichtigen Forum für die öffentliche Debatte entwickelten sich darüber hinaus die Landtage der einzelnen deutschen Staaten. Sie hatten sich schon seit Beginn des Jahrzehnts des öfteren in Fragen der deutschen Politik und insbesondere auch mit Anträgen zur Reform der Bundesverfassung zu Wort gemeldet. Seit 1859 nahm die Häufigkeit derartiger Debatten und die Intensität, mit der sie geführt wurden, stark zu. Einige dieser Debatten in den Landtagen von Bayern, Sachsen-Coburg und Gotha, Sachsen und Württemberg sind in der Edition ausführlich dokumentiert.51 Die parlamentarische Beschäftigung mit der nationalen Politik übte einen großen Einfluß auf die Öffentlichkeit aus, denn über die Parlamentssitzungen wurde in der Presse ausführlich berichtet, teils zustimmend, teils kontrovers. Der öffentliche Diskurs über deutsche Politik speiste sich mithin aus mehreren Quellen, und er gewann dadurch eine Breite und Intensität, wie dies zuvor nicht der Fall gewesen war. Viele deutsche Regierungen begünstigten diesen Bedeutungszuwachs der Öffentlichkeit, indem sie nicht mehr, wie in den Jahren zuvor, unerwünschte öffentliche Äußerungen über die nationale Frage zu unterdrücken versuchten, sondern in immer stärkerem Maße selbst an der öffentlichen Diskussion teilnahmen. Dazu bedienten sie sich einesteils der regierungsamtlichen und offiziösen Presseorgane wie etwa der Karlsruher Zeitung, des Dresdner Journals52 oder der preußischen Kreuzzeitung. Andererseits betrieben einige Regierungen, allen voran Österreich und Preußen, eine gezielte staatliche Pressepolitik mit „Literarischen Büros“, bezahlten Redakteuren und lancierten Artikeln.53 Auch bei der Flugschriftenproduktion waren die Regierungen teilweise direkt beteiligt, indem sie von eigenen Diplomaten oder von dafür bezahlten Publizisten verfaßte Schriften anonym veröffentlichen ließen.54 Über die Konstituierung der politischen Öffentlichkeit in Deutschland in der Zeit zwischen 1850 und 1866, über die Struktur der Öffentlichkeit, über 50 51 52 53
Rosenberg, Nationalpolitische Publizistik. Siehe Dok. 9, 39, 68, 128 und 129. Siehe Dok. 36. Nöth-Greis, Das Literarische Büro; Piereth, Propaganda im 19. Jahrhundert; Green, Intervening in the Public Sphere. 54 Siehe Dok. 92 u. 110.
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wichtige Akteure, über die kommunikativen Netzwerke, mit denen Medien, Verlage, Landtage und Regierungen auf vielfältige Weise miteinander verbunden waren, sind in den letzten Jahren einige umfassende Untersuchungen vorgelegt worden.55 Dabei ist teilweise auch das lange Zeit kaum beachtete Verhältnis zwischen der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bund näher untersucht und der öffentliche Meinungsdruck als enorm wichtiges Element der deutschen Politik identifiziert worden.56 Wie die bundespolitischen Akteure auf diese Herausforderung reagierten, ist allerdings noch nicht Gegenstand einer systematischen Studie auf breiter Quellenbasis geworden. Viele der im vorliegenden Band veröffentlichten Dokumente zeigen, daß die Bundesversammlung und die am Deutschen Bund festhaltenden Politiker sich in zunehmendem Maße bemühten, eine aktive Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. So wurde die schon mehrfach versuchte Publikation der Bundesprotokolle im Herbst 1859 wieder auf die Tagesordnung gesetzt57, ebenso wie die Gründung einer Bundeszeitung, für die im März 1860 ein detaillierter Plan vorgelegt wurde, der als Grundziele die „Erhaltung der deutschen Bundesverfassung, kräftige Fortentwicklung durch Erweiterung ihrer Stellung und geeignete organische Reform“ formulierte58. Die besonders von den süddeutschen Mittelstaaten gewünschte aktive Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Bundes ließ sich angesichts der Gegensätze in der Bundesversammlung nicht verwirklichen. Auf der anderen Seite scheiterte aber ebenso der Versuch einiger Regierungen, die öffentliche Meinung zu kontrollieren oder gar ganz zu unterdrücken. Als die Regierung von Hessen-Darmstadt am 5. Januar 1861 in der Bundesversammlung ein Verbot des Nationalvereins beantragte59, fand sich dafür keine Mehrheit, und es war bezeichnenderweise die regierungsnahe „Preussische Zeitung“, die in einem langen Artikel darauf hinwies, daß es dem „Rechtsgefühl, dem Gewissen und dem natürlichen Verstande des deutschen Volkes“ widerspreche, „daß nationale Regungen heute verfolgt und unterdrückt werden sollen“.60 55 Biefang, Politisches Bürgertum in Deutschland; Jansen, Einheit, Macht und Freiheit; jetzt ausführlich: Hewitson, Nationalism in Germany. 56 Vor allem Mark Hewitson hat in seiner Studie über den revolutionären Nationalismus in Deutschland (wie Anm. 55) kürzlich den enormen Einfluß der „public sphere“ betont. Die Ausbildung von nationalen politischen Netzwerken, nationalistischen Ideologien und der nationalen Öffentlichkeit in den 1850er und 1860er Jahren, so die überzeugend belegte These von Hewitson, war ein bestimmendes Element bei der Entstehung des kleindeutschen Nationalstaates. 57 Siehe Dok. 32 und 34. 58 Dok. 32 und 40, Zitat S. 204. 59 Dok. 70. Vgl. dazu Heck, Dalwigk und der Nationalverein. 60 Dok. 71, Zitat S. 340.
3. Die zentrale Rolle der Öffentlichkeit
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Eineinhalb Jahre später, im Juli 1862, stellte die Regierung des Großherzogtums Baden in der Bundesversammlung den Antrag, die 1854 verabschiedeten Bundesbeschlüsse über die Presse und das Vereins- und Versammlungswesen aufzuheben und damit die Repressionspolitik auch offiziell zu beenden.61 Zwar fand dieser Vorstoß keine Mehrheit, doch war die Kontrolle der öffentlichen Meinung im Deutschen Bund faktisch zu diesem Zeitpunkt bereits außer Kraft gesetzt. Die im vorliegenden Band abgedruckten Dokumente belegen auf vielfältige und eindrucksvolle Weise die Wirkungslosigkeit der Repressivmaßregeln der 1850er Jahre. Sie zeigen ferner, daß die Bundesversammlung nicht die Kraft und eine zunehmende Zahl von Einzelstaaten nach 1859 auch nicht mehr den Willen hatte, die öffentliche Meinung zu unterdrücken. Darüber hinaus macht die Edition deutlich, in welch erstaunlichem Ausmaß die in Frankfurt agierenden Bundestagsgesandten, die einzelstaatlichen Kabinette, ihre diplomatischen Vertreter und auch die deutschen Monarchen von der öffentlichen politischen Diskussion, der sie nicht mehr Herr wurden, in ihrem politischen Denken und Handeln beeinflußt wurden. In den diplomatischen Korrespondenzen, internen Denkschriften und vertraulichen Gesprächen wurde beinahe permanent Bezug genommen auf öffentliche Kundgebungen in der Presse, in Flugschriften, in den Landtagen und auf den nationalen Versammlungen. Bei allen bundespolitischen Maßnahmen wurde die erwartete oder befürchtete Reaktion der Öffentlichkeit ins Kalkül genommen, negative Schlagzeilen sollten möglichst vermieden werden. Bei nahezu allen Regierungen setzte sich die Einsicht durch, daß deutsche Politik nicht mehr als bloße Kabinettsdiplomatie betrieben werden konnte, sondern daß jede politische Initiative in ihrer öffentlichen Wirkung berechnet werden mußte. Das galt naturgemäß in besonderem Maße für all jene Maßnahmen und Beschlüsse der Bundesversammlung, die nationale Themen berührten – und zu solchen Fragen von nationaler Bedeutung wurde seit 1859 fast alles, was in der Bundesversammlung verhandelt wurde. Die durchgreifende Wirkung des Faktors „Öffentlichkeit“ manifestierte sich schließlich überaus eindrucksvoll in den Bundesreformprojekten, die seit 1859 wieder vermehrt entworfen und beraten wurden. So unterschiedlich diese Entwürfe im einzelnen auch waren, so sehr waren sie fast alle darum bemüht, in der öffentlichen Meinung bestehen zu können und die Zustimmung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung zu finden. Das „deutsche Volk“ wurde mehr und mehr zum Bezugspunkt der Bundesreformdebatte, die nach Wegen suchte, dem Deutschen Bund eine Organisation zu geben, welche den Wünschen und Bedürfnissen des Volkes beziehungsweise der Nation ent61 Dok. 133.
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sprach. Schon im Sommer 1859 reagierten die Regierungen auf die von Vertretern der Nationalbewegung auf Versammlungen, in Adressen, in der Tagespresse und in Flugschriften vorgebrachten Forderungen nach einer nationalen Regierung und Volksvertretung62 mit einem Wiederaufgreifen der Bundesreformbemühungen. Der sächsische Außenminister Beust, der sich seit Beginn der 1850er Jahre nahezu unablässig für die Bundesreform eingesetzt hatte63, nahm die öffentliche Agitation zum Anlaß, sich erneut für Beratungen der Regierungen über eine „Verbesserung der Bundesverfassung“ einzusetzen, und er empfahl dabei, diesen Beratungen „die unbeschränkteste Öffentlichkeit“ zu geben.64 Die von den Ereignissen in Italien im Sommer 1859 ausgelöste nationale Erregung setzte im Deutschen Bund offenkundig eine Entwicklung in Gang, die sich in ihrer Motivation, ihrer Form und zunehmend auch in ihrem Inhalt als „öffentliche Politik“ präsentierte. Mit diesem veränderten Politikverständnis ließen die Mehrzahl der deutschen Regierungen und die Bundesversammlung relativ rasch den seit 1849/50 praktizierten obrigkeitlichen Politikstil, der sich ganz überwiegend in den Kabinetten und auf diplomatischen Kanälen bewegte, hinter sich. Die deutsche (und teilweise auch die europäische65) Öffentlichkeit zwang dem Deutschen Bund und seinen Akteuren eine öffentliche Politik auf, und diese 1859 eingeschlagene Richtung führte in den folgenden Jahren mit innerer Konsequenz zu dem größten öffentlichen und öffentlichkeitswirksamen Ereignis in der gesamten Bundesgeschichte: dem Frankfurter Fürstentag vom August 1863, der eine grundlegende Umgestaltung des Deutschen Bundes zum Ziel hatte. Es gehört zu den erhellenden, von der bisherigen Forschung in dieser Klarheit noch nicht erfaßten Aspekten der vorliegenden Edition, die durch eine Vielzahl von Quellen belegte Verbindung von Bundespolitik und Öffentlichkeit zu dokumentieren. Anders als es viele bisherige Studien nahelegen, vollzog sich die öffentliche Debatte über die nationale Frage in Deutschland seit 1859 nicht ausschließlich gegen den Deutschen Bund oder gewissermaßen an ihm vorbei, sondern sie wirkte in die Bundespolitik hinein, sie beeinflußte das Denken und Handeln der bundespolitischen Akteure, sie führte zu einer intensiven Wechselwirkung zwischen öffentlichen Verlautbarungen und diplomatischen Korrespondenzen. 62 Siehe Dok. 5, 8 und 10. 63 Zur Beustschen Bundespolitik siehe Flöter, Beust und die Reform des Deutschen Bundes; zur bundespolitischen Haltung König Johanns von Sachsen siehe Müller/Schattkowsky (Hrsg.), Zwischen Tradition und Modernität. 64 Dok. 7, Zitate S. 33 f. 65 Siehe dazu Dok. 41.
4. Die nationalpolitische Parteibildung
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Umgekehrt zeichnete sich die Öffentlichkeit der Politik auch dadurch aus, daß das allgemeine politisch interessierte Publikum über ein Maß an Informationen verfügte, wie es zuvor bei weitem nicht der Fall gewesen war. In der Tagespresse wurden Bundesbeschlüsse, diplomatische Depeschen, Denkschriften, Proklamationen und Reden in großer Menge veröffentlicht. Hinzu kam noch eine andere Publikationsform, die eine überaus reichhaltige aktuelle Informationsquelle bildete: der zeitnahe Abdruck von politisch relevanten Dokumenten in Buchform. Zu nennen ist hier zum einen der von Heinrich Schulthess herausgegebene „Europäische Geschichtskalender“, eine sehr detaillierte Chronik der politischen und wirtschaftlichen Ereignisse in Deutschland und Europa, die erstmals im Jahr 1861 erschien und die für das Berichtsjahr 1860 auf 262 Seiten und für die Folgejahre auf über 400 Seiten pro Band ein mit Originaldokumenten gespicktes Kalendarium der politischen Vorgänge bot.66 Parallel dazu erschien ab 1861 das „Staatsarchiv“, eine von Ludwig Karl Aegidi und Alfred Klauhold herausgegebene „Sammlung der officiellen Actenstücke zur Geschichte der Gegenwart“.67 Der Öffentlichkeit stand somit umfangreiches „offizielles“ Material zur Verfügung, was ebenfalls dazu beitrug, der politischen Diskussion eine neue Qualität und dem bundespolitischen Prozeß eine neue Dynamik zu geben.
4. Die nationalpolitische Parteibildung Das Jahr 1859 markierte den entscheidenden Entwicklungsschritt zu einer nationalpolitischen Parteibildung in Deutschland. Die Anfänge der deutschen Parteien als politische Bewegungen werden in den 1830er und 1840er Jahren verortet, und während der Revolution von 1848/49 entstanden aus den parlamentarischen Fraktionen auf einzelstaatlicher Ebene wie auch auf Reichsebene erste Formen von organisierten Parteien.68 Dieses „Parteiensystem“ (Gerhard A. Ritter) hat sich dann in der nachfolgenden Reaktionsära der 1850er Jahre wieder zurückentwickelt. In vielen Einzelstaaten wurden durch Vereinsgesetze und polizeiliche Maßnahmen die liberalen, demokratischen und sozialistischen Parteien und Vereine unterdrückt. Zwar gab es in den fünfziger Jahren unter den Anhängern der liberalen und nationalen Bewegung 66 Schulthess (Hrsg.), Europäischer Geschichtskalender, erschienen sind vier Jahrgänge für die Berichtsjahre 1860, 1861, 1862 und 1863. 67 Das Staatsarchiv. Sammlung der officiellen Actenstücke zur Geschichte der Gegenwart. Hrsg. v. Ludwig Karl Aegidi u. Alfred Klauhold. Bd. 1–3. Hamburg 1861–1862. 68 Ritter, Die deutschen Parteien; zur Parteibildung in der Revolutionszeit siehe Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus 1848–1850, bes. S. 315–414.
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Versuche, über persönliche Netzwerke und durch publizistische Aktivitäten den Zusammenhalt einer nationalorientierten politischen Gruppierung auch unter den Bedingungen des reaktionären Klimas zu bewahren, doch führte dies nicht zu einer organisierten, massenwirksamen Nationalpartei. Auch die sogenannte „Gothaer Partei“ (der Name geht zurück auf die Gothaer Versammlung der kleindeutsch-konstitutionellen Liberalen vom 25.–27. Juni 1849) blieb eine im Verborgenen wirkende diffuse Ansammlung von heterogenen Persönlichkeiten.69 Auf Bundesebene wurden mit dem Beschluß über das Vereins- und Versammlungswesen vom 13. Juli 185470 alle politischen Vereine, sofern sie nicht durch die Gesetze der Einzelstaaten grundsätzlich verboten waren, unter eine enge staatliche Aufsicht gestellt. Um die Bildung nationaler Vereine und Parteien zu verhindern, untersagte der Bundesbeschluß jede Verbindung von (einzelstaatlichen) politischen Vereinen mit anderen derartigen Vereinen in Deutschland. Durch dieses Affiliationsverbot wurde eine gesamtdeutsche politische Parteibildung für bundesgesetzwidrig erklärt. Zusätzlich wurde die Bildung von politischen Vereinen und Parteien noch dadurch eingeschränkt, daß den einzelnen deutschen Regierungen das Recht zugesprochen wurde, alle Versammlungen von Vereinen, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigten, überwachen und gegebenenfalls auflösen zu lassen.71 Dieser Bundesbeschluß blieb formal bis 1866 in Kraft, doch konnte er die nationale Parteibildung nicht verhindern. Dies lag zum einen daran, daß der Beschluß nicht in allen deutschen Staaten vollzogen wurde und es auch in den 1850er Jahren letztlich den einzelstaatlichen Regierungen überlassen blieb, wie intensiv sie das politische Vereins- und Versammlungswesen kontrollierten. Zum anderen handelten seit 1859 einige deutsche Regierungen im eklatanten Widerspruch zum Bundesvereinsbeschluß, indem sie dezidiert politischen Vereinen mit offen ausgesprochener nationaler Zielsetzung die Betätigung auf ihrem Territorium erlaubten und diese teilweise sogar aktiv förderten. Als sich im Frühjahr und Sommer 1859 vielerorts in Deutschland Anhänger der liberalen und demokratischen Nationalbewegung auf politischen Versammlungen trafen und, wie in Eisenach, „eine schleunige Aenderung“ der „fehlerhaften Gesammtverfassung Deutschlands“ verlangten72, wurden diese Versammlungen keineswegs mit dem gesetzlichen und polizeilichen Instrumentarium, das in den Jahren zuvor immer weiter ausgebaut worden war, un69 70 71 72
Vgl. dazu Eichmeier, Anfänge liberaler Parteibildung. QGDB III/2, Dok. 52. Ebd., S. 244. Dok. 5. Zu den nationalpolitischen Versammlungen seit März 1859 siehe Biefang, Politisches Bürgertum in Deutschland, S. 66–75.
4. Die nationalpolitische Parteibildung
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terdrückt. Statt einer einheitlichen Reaktion auf diese Herausforderung seitens der Nationalbewegung handelten die deutschen Regierungen nach ihrer jeweils spezifischen einzelstaatlichen Interessenlage. Dadurch wurde es möglich, daß im September 1859 am Sitz des Bundestages in Frankfurt eine „Versammlung deutscher Männer“ den Nationalverein gründete.73 Ziel dieser nach dem Vorbild der italienischen Società nazionale gebildeten Vereinigung, die sich selbst als „nationale Partei in Deutschland“ bezeichnete, war es, „für die patriotischen Zwecke dieser Partei mit allen ihm [dem Verein] zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln zu wirken, insbesondere die geistige Arbeit zu übernehmen, Ziele und Mittel der über unser ganzes Vaterland verbreiteten Bewegung immer klarer im Volksbewußtsein hervortreten zu lassen“.74 Als der Frankfurter Senat dem Nationalverein die Genehmigung verweigerte, weil er eine verbotene Verbindung politischer Vereine darstelle und den Bestand der Bundesverfassung gefährde, nahm der Verein im August 1859 seinen Sitz in Coburg, von wo aus er unter dem Schutz des Herzogs von Sachsen-Coburg und Gotha in den folgenden Jahren seine umfangreiche nationalpolitische Tätigkeit ausübte.75 Die Protektion, die der Herzog des thüringischen Kleinstaats dem Nationalverein gewährte, führte im Deutschen Bund in den folgenden Monaten und Jahren zum offenen Streit. Während der österreichische Außenminister Rechberg im Nationalverein „eine revolutionaire, auf den Umsturz der Bundesverfassung gerichtete Bewegung“ sah, „die ein deutscher Bundesfürst nicht unter seine Obhut nehmen könne, ohne sich außerhalb der Bundesversammlung zu stellen“76, ließ die preußische Regierung keine Neigung erkennen, gegen den Nationalverein und den Coburger Herzog vorzugehen. Auch die süddeutschen Mittelstaaten fanden keine gemeinsame Linie in der Frage des Nationalvereins. Auf ihrer Konferenz in Würzburg Ende November 1859 kam das Thema zur Sprache77, doch es wurde keine Einigung über ein Einschreiten des Deutschen Bundes erzielt. Alle Versuche, den Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha auf diplomatischem Weg einzuschüchtern und ihn von der Unterstützung des Nationalvereins abzubringen, schlugen fehl. Als schließlich die Regierung von Hessen-Darmstadt im Januar 1861 die Bundes73 Vgl. dazu ausführlich Biefang, Politisches Bürgertum in Deutschland, S. 66–119; die wichtigsten Quellen zum Nationalverein wurden ediert von Biefang (Bearb.), Der Deutsche Nationalverein. 74 Dok. 20, Zitate S. 90. 75 Biefang, Politisches Bürgertum in Deutschland, S. 81; siehe auch ausführlich zur Rolle von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha: Brütting, Fürstlicher Liberalismus, bes. S. 55–91. 76 Dok. 25, Zitat S. 146 f. 77 Siehe dazu die Auflistung der Beratungsgegenstände in der Einladung zur Würzburger Konferenz in Dok. 32.
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versammlung aufforderte, zu erklären, ob der Nationalverein unter das Verbot des Bundesbeschlusses von 1854 falle, wurde dieser Antrag an den politischen Ausschuß überwiesen – und damit begraben.78 Wie sehr sich die Auffassungen der deutschen Regierungen im Hinblick auf die nationalpolitische Parteibildung auseinanderentwickelten, zeigt der Antrag der badischen Regierung vom 10. Juli 1862 auf Aufhebung des Bundesvereinsbeschlusses von 1854. Zur Begründung führte die badische Regierung an, die restriktiven Maßnahmen von 1854 seien „durch Ausnahmszustände hervorgerufene Zeitforderungen“ gewesen, für die nun keine Notwendigkeit mehr bestehe.79 Auch der badische Antrag wurde in der Bundesversammlung nicht zur Entscheidung gebracht, weil darüber ebensowenig eine Übereinstimmung herzustellen war wie über den gerade entgegengesetzten hessen-darmstädtischen Antrag. Der Bundesbeschluß zur Verhinderung einer nationalpolitischen Vereinsbildung blieb offiziell weiterhin geltendes Bundesrecht, doch in den einzelnen deutschen Staaten wurde dieser Beschluß völlig unterschiedlich gehandhabt. Manche Regierungen sahen ihn als bindendes Recht an und begründeten damit ihre Beschränkungen des nationalen Vereins- und Versammlungswesens. Andere bestritten seine Anwendbarkeit auf den Nationalverein und die politischen Versammlungen oder ignorierten den Bundesbeschluß einfach. Die offenkundige Unfähigkeit der Deutschen Bundesversammlung, in dieser Frage eine einheitliche Linie zu finden und die daraus resultierende Unmöglichkeit einer wirksamen Unterdrückung der nationalen Vereine und Parteien veränderten das politische Koordinatensystem in Deutschland grundlegend. Der politische Aktionsrahmen wurde nicht mehr ausschließlich oder doch ganz überwiegend von den Regierungen und schon gar nicht von der Bundesversammlung als ihrem gemeinsamen Organ abgesteckt. Der Deutsche Bund verlor zusehends die Kontrolle über das öffentliche politische Leben in Deutschland. Es entstand ein neuer Raum für nationalpolitisches Debattieren und Handeln, in dem der rasch anwachsende Nationalverein, aber auch die unzähligen anderen Vereinigungen und Versammlungen, die seit 1859 wie Pilze aus dem Boden schossen, sich immer ungestörter betätigen konnten.80 Neben dem Nationalverein, der bis 1862 etwa 25 000 Mitglieder gewinnen konnte, agierten und agitierten auf dem nationalpolitischen Feld die Sänger-, Schützen- und Turnvereine81, die Interessenverbände82 wie etwa der Kongreß deut78 Dok. 70. 79 Dok. 133, Zitat S. 709. 80 Zu dieser rasanten Entfaltung des Vereins- und Verbandswesens seit Ende der 1850er Jahre siehe Siemann, Gesellschaft im Aufbruch, S. 261–264; Tenfelde, Die Entfaltung des Vereinswesens; Jansen, Gründerzeit und Nationsbildung, S. 133–140. 81 Klenke, Nationalkriegerisches Gemeinschaftsideal; Krüger, Körperkultur und Nationsbildung; Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat, S. 82–171.
4. Die nationalpolitische Parteibildung
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scher Volkswirte83 oder der Juristentag84, die nationale Festbewegung, die mit den Schillerfesten von 1859 das nationalkulturelle Einheitsideal in ganz Deutschland flächendeckend feierte85, und die zahllosen, bislang noch kaum untersuchten lokalen und regionalen Versammlungen, auf denen die nationale Gemeinschaft aller Deutschen postuliert wurde. Die deutschen Kabinette, die Bundesversammlung und die Ausschüsse und Kommissionen des Bundes wurden somit seit 1859 mit einer rasch anschwellenden und vielstimmigen nationalen Massenbewegung konfrontiert, deren politische Absichten und zu erwartenden Reaktionen bei allen bundespolitischen Verhandlungen und Entscheidungen berücksichtigt werden mußten. Als offenbar wurde, daß die nationale Parteibildung keine vorübergehende Erscheinung war, begannen sich, unterstützt von den „bundestreuen“ deutschen Regierungen, die Anhänger einer großdeutsch-föderativen Lösung der deutschen Frage ebenfalls in einem nationalen Verein zu organisieren. Im Oktober 1862 kam es schließlich zur Gründung des Deutschen Reformvereins, dessen Zweck es war, „die Reform der deutschen Bundesverfassung nach Kräften zu fördern“ und alle Bestrebungen zu bekämpfen, die darauf abzielten, einen Teil Deutschlands – gemeint war natürlich Österreich – aus der Nation auszuschließen.86 Das war ein später Versuch zur Etablierung einer „Bundespartei“, der zudem keine große Massenwirksamkeit entfalten konnte. Dies lag unter anderem daran, daß das Projekt der Bundesreform, das im Sommer 1862 endlich in die Bundesversammlung gebracht worden war87, selbst den moderaten Mitgliedern des Reformvereins „unzulänglich“ erschien: „Dieses Projekt“, so der Tübinger Theologieprofessor und württembergische Kammerabgeordnete Johannes Kuhn, „ist nicht geeignet, Propaganda zu machen, weder in der öffentlichen Meinung, noch bei den widerstrebenden Regierungen, schon deßhalb nicht, weil diesen letzteren der Einwand bleibt, daß es den nationalen Wünschen und Bedürfnissen nicht entgegen kommt. Eine reelle Reform, ein Anfang und nicht blos ein Anlauf dazu ist nothwendig.“88 Eine wirkliche Reform bestand auch für die Mitglieder des Reformvereins darin, daß der Volksvertretung beim Deutschen Bund, die nach dem österrei82 83 84 85 86
Ullmann, Interessenverbände. Hentschel, Die deutschen Freihändler und der volkswirtschaftliche Kongreß. Conrad/Dilcher/Kurland, Der Deutsche Juristentag. Noltenius, Schiller als Führer und Heiland. Dok. 150, Zitat S. 810. Zur großdeutschen Parteibildung siehe auch Dok. 147–149. Zum Reformverein siehe Real, Der deutsche Reformverein; Zimmermann, Der deutsche Reformverein. 87 Dok. 140. 88 Rede von Johannes Kuhn auf der Gründungsversammlung des Reformvereins am 28. Oktober 1862, Dok. 149, Zitat S. 809.
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chisch-mittelstaatlichen Antrag nun endlich in Form einer Delegiertenvertretung eingerichtet werden sollte, tatsächliche „constitutionelle Befugnisse“, das heißt die Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung, eingeräumt wurden.89 Die nationalpolitische Parteibildung im Deutschen Bund ging offenkundig einher mit einer allgemeinen Anerkennung des parlamentarischen Prinzips, das in den Einzelstaaten schon seit langem in dem Sinne praktiziert wurde, daß eine Gesetzgebung ohne die Beteiligung der gewählten Abgeordneten nicht mehr statthaft war. Eine Fortführung der bisherigen Politik der Bundesversammlung, die bei ihren Verhandlungen und Entscheidungen über nationale Fragen ohne jegliche Beteiligung des Volkes vorgegangen war, fand auch im Lager derjenigen keinen Rückhalt mehr, die für den Fortbestand des Deutschen Bundes eintraten und die kleindeutsch-preußischen Bundesstaatspläne bekämpften. Dies erklärt sich daraus, daß die großdeutsche nationalpolitische Parteibildung – ebenso wie die kleindeutsche im Nationalverein – ganz erhebliche Impulse von der Entwicklung der Parteien in den Einzelstaaten empfing. Fast überall machte die parteipolitische Mobilisierung seit dem Ende der 1850er Jahre große Fortschritte. Zwar waren die Grenzen zwischen politischen Vereinen, Verbänden und Parteien noch fließend, doch ging die Ausbildung separater, programmatisch differenzierter und organisatorisch verfestigter Parteien weiter voran, wobei die seit der Revolution von 1848/49 sich immer klarer ausprägende Fraktionsbildung in den einzelstaatlichen Parlamenten den Parteibildungsprozeß nachhaltig förderte.90 Es bildete sich in den meisten deutschen Einzelstaaten – wenn auch in sehr unterschiedlicher Intensität – ein auf die Landtagsfraktionen fokussierter parteipolitischer Unterbau heraus, der maßgeblich zur raschen nationalen Vereins- und Parteiorganisation seit 1859 beitrug – sowohl durch die personellen Ressourcen an parlamentarisch geschulten Abgeordneten als auch durch die sich verfestigenden Strukturen. Und je mehr sich die Parteien im politischen Leben der Einzelstaaten etablierten und ausbreiteten, um so auffälliger wurde die Diskrepanz zur gesamtdeutschen Ebene, auf der seit 1849/50 die Regierungen und ihre Diplomaten die nationalen Geschicke Deutschlands bestimmten, ohne auf politische Interessenvertretungen der Gesellschaft zu stoßen. Diese „Lücke“ im politischen Raum wurde seit 1859 geschlossen, und in der Folge mußte sich die Bundespolitik auf einen neuen Akteur einstellen, der mit repressiven Maßnahmen nicht mehr einzudämmen war. 89 Ebd. 90 Zur Entwicklung des Vereins- und Parteienwesens in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts siehe den Überblick bei Fehrenbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung, S. 62–67, 85–104 und 136–145 (Bibliographie).
5. Die Legitimierung des parlamentarischen Prinzips
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5. Die Legitimierung des parlamentarischen Prinzips auf Bundesebene Die Bühne für die sich neu konsolidierenden Parteien in den Einzelstaaten waren die Abgeordnetenkammern. Die politische Praxis des einzelstaatlichen Parlamentarismus während der 1850er und frühen 1860er Jahre ist bislang nur für wenige deutsche Staaten systematisch untersucht worden91, und erst in jüngster Zeit gibt es verstärkt editorische Projekte, die sich zum Ziel setzen, den reichen Schatz der parlamentarischen Debatten für die Forschung zu erschließen92. Schon ein kurzer Blick in die deutschen Landtagsprotokolle zeigt, daß die Verhältnisse im Deutschen Bund und die wünschenswerte bundespolitische Entwicklung bereits in den 1850er Jahren wiederholt zu parlamentarischen Debatten geführt hatten.93 Ab 1859 wurde die Beschäftigung der einzelstaatlichen Landtage mit der Bundespolitik sehr intensiv und nachhaltig.94 Weder die Regierungen in den Einzelstaaten noch die Bundesversammlung konnten diese unaufhörlichen und in vielen verschiedenen Landtagen immer wieder auf die Tagesordnung gesetzten Debatten ignorieren. Daß sich gewählte Abgeordnete ständig mit Vorschlägen, Anträgen und bundeskritischen Reden in den Landtagen zu Wort meldeten und daß über diese Äußerungen in der Presse ausführlich und kontrovers berichtet wurde, gab der nationalpolitischen Debatte in Deutschland einen zusätzlichen Schub. Die einzelstaatlichen Parlamente waren nach der 1848er Revolution als legitime politische Institutionen nicht in Frage gestellt worden. Die konservativreaktionären Verfassungsrevisionen in vielen deutschen Staaten führten nicht zur Beseitigung von Landtagen, Ständekammern und Abgeordnetenhäusern, sondern zu einer Einschränkung ihrer Rechte und politischen Einflußmöglichkeiten. Das parlamentarische Prinzip als solches, das heißt die Mitwirkung von gewählten Volksvertretern bei der Gesetzgebung, wurde fast überall bei91 Vgl. dazu z. B. die Studie von Langewiesche, Liberalismus und Demokratie in Württemberg, der diesen Prozeß detailliert rekonstruiert. Ähnlich für Baden: Gall, Der Liberalismus als regierende Partei; für Preußen: Winkler, Preußischer Liberalismus; für Sachsen: Neemann, Landtag und Politik; für Kurhessen: Nathusius, Kurfürst, Regierung und Landtag. – Für viele deutsche Staaten fehlen noch gründliche Untersuchungen zur Parteientwicklung und zum parlamentarischen Leben in den späten 1850er Jahren. 92 Für die Kammern von Nassau und Hessen-Darmstadt sind soeben zwei Dokumentenbände erschienen: Schüler (Hrsg.), Nassauische Parlamentsdebatten. Bd. 2: Revolution und Reaktion 1848–1866; Fleck/Franz (Hrsg.), Die nachrevolutionären Landtage des Großherzogtums Hessen 1849–1856. Reden aus den parlamentarischen Debatten. 93 Vgl. die Dokumente 42, 70, 71 73, 80, 98, 133 und 137 in QGDB III/2, sowie die parlamentarischen Debatten in Nassau und Hessen-Darmstadt (Anm. 92). 94 Siehe dazu Dok. 9, 39, 68, 128 und 129.
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behalten. Nur wenige Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes blieben nach der Revolution ohne eine Repräsentativverfassung mit konstitutioneller Beteiligung von parlamentarischen Körperschaften.95 Der Fall der beiden Großherzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, in denen 1849 die Einführung eines modernen Staatsgrundgesetzes scheiterte und die statt dessen zur altständischen Verfassung von 1755 zurückkehrten96, wurde allgemein als eine Skurrilität empfunden. Nicht ins Gewicht fiel das kleinste Bundesmitglied, das Fürstentum Liechtenstein, das erst 1862 eine Verfassung mit einem Landtag erhielt, von dessen 15 Abgeordneten drei vom Fürsten ernannt wurden.97 Daß hingegen die Habsburgermonarchie nach 1849 einen neoabsolutistischen Kurs eingeschlagen hatte und bis zu den Reformen von 1860/61 ohne moderne Verfassung und gewählte Volksvertretung regiert wurde, begründete eine markante Differenz zwischen Österreich und den konstitutionellen Staaten Deutschlands. In der Bundespolitik wirkte sich die Sonderstellung Österreichs, das ja als Präsidialmacht des Deutschen Bundes einen besonders großen Einfluß hatte, sehr nachteilig aus. Besonders die Einleitung einer wirksamen Bundesreformpolitik wurde durch die konstitutionelle Abstinenz Österreichs und die tiefsitzende Aversion seiner politischen Führung gegen Verfassungen und Parlamente jahrelang verhindert. In den konstitutionell regierten Mittel- und Kleinstaaten war seit 1850 die Auffassung allgemein verbreitet, daß bei der Reform des Bundes auf die Schaffung einer Volksvertretung als Organ der Bundesverfassung nicht verzichtet werden konnte. In nahezu allen Denkschriften, Plänen und Entwürfen für eine Bundesreform war die Volksvertretung neben der starken Bundesexekutive und dem Bundesgericht eine zentrale Institution. Eine Volksvertretung „im Mittelpunkte des Bundes“ war, so formulierte es der König von Württemberg im Januar 1851, unentbehrlich, denn wenn man die „Ausführbarkeit eines allgemeinen parlamentarischen Bandes“ bestreiten würde, so hieße das „nichts Anderes als den Bund selbst mit dieser Zeit unvereinbar und auf die Dauer für unmöglich halten“. Ein vereintes Parlament, das heißt die Übertragung des Prinzips der landständischen Vertretung auf das föderalistische Ganze war das „moralische Band“, das den Bund „gegen innere Auflösung und auswärtige Zerstörung“ schützen konnte.98
95 Zu den Verfassungen der deutschen Staaten zwischen 1848 und 1870 siehe in Kürze: Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte, Bd. 3. 96 Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 220–223. 97 Geiger, Geschichte des Fürstentums Liechtenstein; ders., Die liechtensteinische Volksvertretung. 98 König Wilhelm I. von Württemberg an Schwarzenberg, 18. Januar 1851, in: QGDB III/1, Dok. 39. Zitate S. 162 und 161.
5. Die Legitimierung des parlamentarischen Prinzips
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Es gehört zu den bemerkenswerten bundespolitischen Entwicklungen, daß sich die Auffassung von der Unmöglichkeit, auf Dauer im Bund ohne die Beteiligung von Volksvertretern weiterkommen zu können, im Zeitraum von 1859 bis 1862 nahezu allgemein durchsetzte. Neben der in Presse und Flugschriften unaufhörlich verlangten Gewährung eines Nationalparlaments und neben den vielfach von den Landtagen ausgesprochenen Appellen an die Regierungen und Monarchen, sich für eine deutsche Volksvertretung einzusetzen, nahm nun auch wieder die Frequenz zu, mit der reformwillige Minister und Diplomaten der Mittel- und Kleinstaaten die beiden deutschen Großmächte und die Bundesversammlung dazu drängten, die Mitwirkung von gewählten Abgeordneten bei der Bundesgesetzgebung bald zu realisieren. Gewiß gingen die Vorschläge zur praktischen Umsetzung und die politischen Absichten dabei in unterschiedliche Richtungen. Die einen, wie etwa der badische Politiker Roggenbach in seinem großen Reformplan vom Herbst 185999, intendierten eine grundlegende Umgestaltung hin zu einem kleindeutschen Bundesstaat unter Leitung Preußens, der mit einem Zweikammerparlament aus Staatenrat und Nationalrat ausgestattet war und mit Österreich in ein Allianzverhältnis treten sollte. Die anderen hielten an einem gesamtdeutschen Staatenverbund ohne die Hegemonie einer der beiden Großmächte fest, sie wollten also die bestehende Bundesverfassung nicht ersetzen, sondern sie durch neue Institutionen ergänzen. In diese Richtung zielten die Reformpläne der leitenden Politiker der größeren Mittelstaaten, allen voran der sächsische Minister Beust100, der hessen-darmstädtische Minister Dalwigk101 und der württembergische Minister Hügel102. Die mittelstaatliche Reformkoalition, die sich schon im Herbst 1859 in München und Würzburg auf eine Reihe von Reformanträgen einigte103 und diese dann in die Bundesversammlung brachte, konnte in einem langen Prozeß schließlich auch die österreichische Regierung überzeugen, sich an die Spitze der Bundesreformbewegung zu stellen. Das Projekt, das auf der Grundlage mittelstaatlicher Vorschläge im Frühjahr und Sommer 1862 entwickelt und am 14. August 1862 als Reformantrag in die Bundesversammlung eingebracht wurde104, konzentrierte sich auf die Einrichtung einer sogenannten Delegiertenversammlung bei der Bundesversammlung. Diese sollte die von Bundeskommissionen ausgearbeiteten Entwürfe für einheitliche Bundesgesetze förmlich annehmen und ihnen dadurch die Zustimmung von gewählten Volks99 100 101 102 103 104
Dok. 24. Siehe Dok. 84, 86, 94. Dok. 93, 117 und 118. Dok. 143. Dok. 22 und 34. Dok. 140.
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vertretern sichern. Mit diesem Reformantrag erkannten die ihn unterstützenden Regierungen und damit auch die bisher dem parlamentarischen Gedanken heftig widerstrebende Bundespräsidialmacht Österreich an, daß die Politik des Deutschen Bundes grundsätzlich der Legitimierung durch eine Volksvertretung bedurfte.
6. 1859–1862: Nationale Wendejahre Für die politische Gesamtentwicklung Deutschlands im allgemeinen wie auch für die Bundespolitik im besonderen markierte die Phase von 1859 bis 1862 einen Umbruch. Die Zeit der bundespolitischen Unbeweglichkeit ging mit dem Italienischen Krieg beinahe schlagartig zu Ende. Dies bedeutete nicht, daß es nun sogleich zu einer tatkräftigen Aktivität der Bundesversammlung in der zentralen Frage der nationalen Organisation Deutschlands gekommen wäre. Entscheidungen über eine Umgestaltung der Bundesverfassung fielen noch nicht, ebensowenig wie es bei den Opponenten der staatenbündischen Ordnung – seien es die preußische Regierung und ihre Verbündeten, die nationale Öffentlichkeit oder die politischen Vereine und Parteien – zu konkreten Weichenstellungen kam. Aber der politische Aktionsrahmen wandelte sich grundlegend, und es änderte sich die inhaltliche Zielprojektion der nationalen Politik. Die Form, wie nach 1859 (Bundes-)Politik gemacht werden mußte, wurde bestimmt durch mehrere Faktoren, die zwar nicht gänzlich neu waren, die aber in der nun gegebenen Ausprägung, Reichweite und gesellschaftlichen Strahlkraft den Deutschen Bund ganz erheblich beeinflußten. Niemals zuvor in der Bundesgeschichte seit 1815 waren die Bundesversammlung und die einzelnen deutschen Regierungen vor die Aufgabe gestellt gewesen, die internationale Stellung Deutschlands in der europäischen Staatenordnung durch eingreifende politische, militärische und auch wirtschaftliche Reformen des Deutschen Bundes sichern zu müssen. Bis 1859 war keine außenpolitische Konstellation eingetreten, die als existentielle Bedrohung Deutschlands wahrgenommen worden war. Die Machtentfaltung Deutschlands gegenüber den anderen europäischen Großmächten war niemals eine Aufgabe der Bundespolitik gewesen. Deutschland als nationaler Machtstaat war nur kurz in der Revolutionszeit 1848 als politisches Ziel proklamiert worden, doch war dieser Gedanke in der nachrevolutionären Phase der 1850er Jahre wieder in den Hintergrund getreten. Mit dem Jahr 1859 änderte sich das alles, und diejenigen deutschen Regierungen, die am föderativen Staatenbund festhalten wollten, mußten erkennen, daß das (mittel-)europäische Stabilitätssystem von 1815 zunehmend an Akzeptanz verlor. Und wenn die Macht- und Staatenverhältnisse in Europa in
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Fluß gerieten, dann war ein bloßes Festhalten an der jahrzehntelang praktizierten defensiv-neutralen äußeren Politik des Bundes nicht mehr ausreichend. Die Machtentfaltung Deutschlands wurde in der Öffentlichkeit zu einem wichtigen Schlagwort und zu einer Zielprojektion nationaler Politik, die von der Bundesversammlung nicht mehr ignoriert werden konnte. Der vielstimmige Chor der öffentlichen und veröffentlichten Meinung war ebenfalls ein auf die Bundespolitik einwirkendes Element, das es in dieser massierten Form in den zurückliegenden Jahrzehnten – von den beiden Revolutionsjahren 1848/49 abgesehen – zu keiner Zeit gegeben hatte. Die Zensur- und Repressivmaßnahmen, die im vormärzlichen „System Metternich“ perfektioniert und nach 1850 noch einmal in abgeschwächter, halbherziger Form wiedereingeführt worden waren, griffen seit 1859 nicht mehr. Innerhalb kurzer Zeit übernahm die nationale Bewegung die Meinungsführerschaft und zwang den Deutschen Bund und seine Vertreter in einen Meinungswettbewerb. Um darin zu bestehen, war es unumgänglich, für den Deutschen Bund eine politische Perspektive zu entwickeln, die in der deutschen Öffentlichkeit bestehen konnte. Diese schwierige Aufgabe wurde zu keiner Zeit auch nur annähernd gelöst, doch wandten die „bundestreuen“ Regierungen seit 1859 beträchtliche politische, publizistische und teilweise auch finanzielle Energien auf, um im forcierten nationalen Meinungskampf nicht vollends ins Hintertreffen zu geraten. Bei diesem Kampf bekamen es die Regierungen und der Deutsche Bund mit neuen Organisationen zu tun, die ebensowenig wie die Presse durch polizeiliche und administrative Maßnahmen unter Kontrolle zu halten waren. In den zahllosen politischen und kryptopolitischen Vereinen, den nationalen Dachverbänden einzelner Interessengruppen und den entstehenden nationalen Parteien entstanden politische Akteure, die als gesellschaftlich breit fundierte Vertreter der deutschen Nationalinteressen in Konkurrenz zur kraftlos erscheinenden und immer öfter auch offen zerstrittenen Bundesversammlung traten. Auch das hatte es in der bisherigen Bundesgeschichte nicht gegeben, nationale politische Organisationen waren stets im Keim erstickt worden. Schließlich sind die Wendejahre von 1859 bis 1862 gekennzeichnet von einem Aufschwung des parlamentarischen Lebens in den Einzelstaaten. Die gewählten Abgeordneten – und keineswegs nur diejenigen mit liberaler und demokratischer Ausrichtung – thematisierten in den Kammern die nationale Frage, verlangten Änderungen in der Bundesverfassung, kritisierten die innere und äußere Politik der Bundesversammlung und formulierten ihren Anspruch auf eine substantielle Beteiligung an der deutschen Politik. Die derart auf mehreren Ebenen veränderten Rahmenbedingungen deutscher Politik veranlaßten die Regierungen dazu, die Frage der Bundesreform wieder intensiver zu diskutieren und dabei nach Wegen zu suchen, um die be-
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stehende Ordnung an die neuen Herausforderungen anzupassen. Der Deutsche Bund versuchte nach 1859 einen Kurs einzuschlagen, vor dem er zuvor letztlich immer zurückgescheut war – den einer umfassenden Bundesreform, die über die Bundesgrundgesetze von 1815 und 1820 weit hinausging und die institutionelle, administrative und militärische Organisation des Bundes grundlegend erneuerte. Die nationale Herausforderung trieb den Deutschen Bund zu dem Versuch, sich von der bisherigen passiven und abwehrenden Politik abzuwenden.
Zur Edition
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Zur Edition 1. Zu diesem Band Der Band schließt an die 1996 und 1998 erschienenen ersten beiden Bände der Abteilung III des Editionsprojektes „Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes“ an und dokumentiert die bundespolitischen Entwicklungen im Zeitraum von 1859 bis 1862. Die Zäsur zum Jahresende 1862 ist dabei nicht inhaltlich motiviert, sondern rein pragmatisch gewählt, um den Band nicht über Gebühr anschwellen zu lassen. Der Folgeband, der den Zeitraum von 1863 bis zum Ende des Bundes 1866 dokumentieren soll, wird nahtlos an das hier präsentierte Quellenkorpus und insbesondere an den sich Ende 1862 dramatisch zuspitzenden bundespolitischen Konflikt zwischen Österreich und den Mittelstaaten auf der einen und Preußen auf der anderen Seite anschließen. Der Begriff der „Bundespolitik“ wird in diesem Band in einem weiten Sinne verstanden: Er bezieht sich einerseits auf die wichtigen innen- und außenpolitischen Ereignisse, welche im genannten Zeitraum eintraten und die deutsche Politik im nationalen Rahmen bestimmten. Andererseits wird Bundespolitik auch als die diplomatische und öffentliche Auseinandersetzung mit den politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Dimensionen der sogenannten deutschen Frage verstanden. Die Diskussion über die politische Gestalt Deutschlands hielt seit 1848/49 an und war auch in den Jahren der sogenannten Reaktion seit 1850 trotz einer Reihe von repressiven Maßnahmen gerade auch von seiten der Bundesversammlung in Frankfurt nicht verstummt. Seit 1859 aber nahm die Beschäftigung mit der Zukunft Deutschlands, wobei es in erster Linie – aber nicht nur – natürlich um die politische Organisation und Verfassung ging, einen Umfang und eine Intensität an, wie es sie zuvor nur in der Revolutionszeit 1848/49, also im politischen Ausnahmezustand, gegeben hatte. Die Edition versucht zu dokumentieren, wie sehr der Deutsche Bund im Fokus dieser Debatte stand, und zwar sowohl im Sinne einer konstruktiven Kraft, die geeignet war, die nationale Einigung zu fördern, als auch im Sinne einer blockierenden Macht, die der heftig ersehnten staatlichen Einheit Deutschlands im Wege stand. Wie in den vorhergehenden Bänden wird angestrebt, möglichst viele unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Das Gros der 157 abgedruckten Dokumente besteht zwar aus diplomatischen Aktenstücken (110) und Verhandlungen in der Bundesversammlung (8). In größerer Zahl – und mit teilweise sehr langen Dokumenten – sind aber nun auch die politische Opposition in den Landtagen (5), die Tages- und Wochenpresse (17), die politische Publizistik (8) und die sich organisierende Nationalbewegung (7) vertre-
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Zur Edition
ten. Insgesamt besteht die Edition zu etwa einem Viertel aus Nicht-Regierungsstimmen. Bei der geographischen Verteilung ergibt sich ein starkes Süd-Nord-Gefälle, bedingt durch die Tatsache, daß sich die größeren süddeutschen Mittelstaaten, zu denen politisch auch das Königtum Sachsen zu zählen ist, sowie einige thüringische Klein- und Mittelstaaten sehr intensiv an der Diskussion über bundespolitische Themen beteiligten, während die norddeutschen Staaten mit Ausnahme von Hannover nahezu völlig verstummten beziehungsweise resignierten. Insgesamt weist die Edition ein starkes Übergewicht an Quellen aus den deutschen Mittel- und Kleinstaaten auf. Nur 30 Dokumente sind ausschließlich oder vorzugsweise österreichischer und preußischer Provenienz. Dies spiegelt zum einen die Tatsache wider, daß sich die beiden deutschen Großmächte an der Diskussion um die Entwicklung des Deutschen Bundes lange Zeit viel weniger intensiv beteiligten als die Mittelstaaten. Zum anderen wurde auf eine umfassendere Dokumentierung der Stellungnahmen Österreichs und Preußens in der Edition bewußt verzichtet, um den deutschen Mittel- und Kleinstaaten mehr Raum zu geben. Während für die Letztgenannten so gut wie gar keine wissenschaftlichen Akteneditionen für den Zeitraum von 1850 bis 1866 zur Verfügung stehen, ist die Politik von Österreich und Preußen durch mehrbändige Quelleneditionen relativ breit erschlossen.1 Jedoch beschränken sich diese Editionen ausschließlich auf diplomatische Aktenstücke aus den Beständen der jeweiligen Kabinette und Außenministerien. Die editorische Erschließung des politischen Lebens jenseits der Regierungsebene wurde lange Zeit sehr vernachlässigt, wenn man von den älteren Briefeditionen prominenter liberaler Persönlichkeiten absieht. Erst in den letzten Jahren sind einige Quellensammlungen erschienen, die das reichhaltige und für die innere Entwicklung Deutschlands überaus wichtige Diskutieren und Handeln von Institutionen und Individuen außerhalb der Regierungsapparate erschließen. So hat Andreas Biefang die Vorstands- und Ausschußprotokolle des Nationalvereins der Forschung zugänglich gemacht2, und Christian Jansen hat eine ausführliche Sammlung von politischen Briefen deutscher Liberaler und Demokraten von 1849 bis 1861 vorgelegt3. 1 Srbik (Hrsg.), Quellen zur deutschen Politik Österreichs 1859–1866 (5 Bde.); Poschinger (Hrsg.), Preußen im Bundestag 1851 bis 1859 (4 Bde.); Poschinger (Hrsg.), Preußens auswärtige Politik 1850 bis 1858 (3 Bde.); Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871 (12 Bde.). – Von den übrigen deutschen Staaten liegt nur für das Großherzogtum Baden eine umfangreiche Edition zur deutschen Politik vor: Oncken (Hrsg.), Großherzog Friedrich I. von Baden und die deutsche Politik von 1854–1871 (2 Bde.). 2 Biefang (Bearb.), Der Deutsche Nationalverein 1859–1867. 3 Jansen (Bearb.), Nach der Revolution.
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Von der Forschung kaum beachtet blieben bislang die öffentlichen Debatten in den deutschen Landtagen4 und in der umfangreichen nationalpolitischen Publizistik, die seit 1858/59 einen enormen Aufschwung nahm. Das zweibändige Werk von Hans Rosenberg, der schon 1935 eine kritische Bibliographie über die nationalpolitische Publizistik von 1858 bis 1866 mit ausführlichen Regesten vorgelegt hat5, ist bislang wenig benutzt worden, und das bei Rosenberg erschlossene Material ist auch für Editionen nicht ausgewertet worden. Im Hinblick auf die Quellenedition zum Deutschen Bund wurde im vorliegenden Band angestrebt, diese nicht-gouvernementalen Segmente der politischen Öffentlichkeit einzubeziehen und eine möglichst breite Dokumentenauswahl zu präsentieren. Die Masse des Materials machte es indessen unmöglich, ein auch nur annähernd vollständiges Bild der bundes- und nationalpolitischen Diskussion zu präsentieren. Doch es kommen wichtige, von der Öffentlichkeit wie den Regierungen wahrgenommene und beachtete Stimmen zu Wort, die geeignet sind, das Bild des Deutschen Bundes als einer abgehobenen und im Prozeß der nationalen Einigung irrelevanten politischen Institution zu relativieren. Der überwiegende Teil der Quellen gelangt in diesem Band erstmals zur Veröffentlichung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind auch die bereits früher gedruckten Dokumente wie die Verhandlungen der Bundesversammlung, die Kammerdebatten und die zeitgenössischen Presseartikel bislang nur schwer greifbar gewesen. Durch die fortschreitende Digitalisierung werden zwar immer mehr gedruckte Quellen wie etwa zahlreiche Broschüren und politische Schriften (vornehmlich auf google.books) oder einzelne Jahrgänge der Bundesprotokolle6 sowie die vollständigen Landtagsprotokolle mancher Staaten7 online verfügbar, doch erleichtert dies vorerst nur punktuell den Zugang zu den historischen Druckwerken aus dem 19. Jahrhundert. Bei schon zuvor veröffentlichten Dokumenten sind die Druckorte soweit wie möglich angegeben, doch wird auf bloße Schreibvarianten und andere unerhebliche Abweichungen nicht eigens aufmerksam gemacht. Dies erscheint auch deshalb legitim, weil bei der Edition der Dokumente der Grundsatz der vorlagengetreuen Wiedergabe des Quellenmaterials angewendet wurde. Inhaltlich relevante Unterschiede der in diesem Band edierten Texte zu früheren Druckfassungen werden indessen im Kommentar erläutert. 4 Dazu jetzt: Schüler (Hrsg.), Nassauische Parlamentsdebatten. Bd. 2: Revolution und Reaktion 1848–1866; Fleck/Franz (Hrsg.), Die nachrevolutionären Landtage des Großherzogtums Hessen 1849–1856. Reden aus den parlamentarischen Debatten. 5 Rosenberg, Die nationalpolitische Publizistik. 6 URL: http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2010/115320. 7 Vorreiter ist hier derzeit Sachsen, dessen Kammerverhandlungen von 1831 bis 1918 bereits vollständig digitalisiert sind; URL: http://landtagsprotokolle.sachsendigital.de.
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Im übrigen erfolgt die editorische Bearbeitung und Präsentation der Quellentexte nach den von den Bearbeitern der „Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes“ entworfenen und nachfolgend abgedruckten Leitsätzen.
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2. Allgemeine Leitsätze zur Gestaltung der Edition „Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes“ Von
Jürgen Müller und Eckhardt Treichel A. Kriterien für die Auswahl der Quellentexte Das für die Edition zur Verfügung stehende Material ist aus mehreren Gründen außerordentlich umfangreich. Zum einen bestand der Deutsche Bund aus bis zu 41 Einzelstaaten, die alle mehr oder minder große Archivbestände (Kabinetts- und Ministerialakten, Korrespondenzen und politische Nachlässe) hinterlassen haben. Hinzu kommt, daß sich neben den Regierungen auch die Landesparlamente und die Öffentlichkeit intensiv mit der deutschen Frage beschäftigten. Auf allen diesen Ebenen gab es ein breites Meinungsspektrum, das zumindest in seinen Grundzügen dokumentiert werden soll. Zum anderen zeichnet sich die Geschichte des Deutschen Bundes aber nicht nur durch eine Vielfalt der Interessen und Perspektiven, sondern auch durch ein großes Spektrum von thematischen Aspekten aus. Dazu gehören die allgemeine politische Organisation des Bundes, sein Verhältnis zum Ausland, die Probleme der wirtschaftlichen Integration, die Frage der inneren Ausgestaltung der Bundesverfassung, das Verhältnis der Einzelstaaten zum Deutschen Bund und die zahlreichen speziellen politischen Konfliktlagen mit ihren Rückwirkungen auf den Bund. Die ganze Fülle des Materials in der Edition auszubreiten, wäre weder praktikabel noch sinnvoll. Das Ziel des Projekts ist es vielmehr, eine sachlich motivierte Auswahl von besonders aussagekräftigen Texten zu präsentieren. Hierzu gehören zunächst und in erster Linie die formellen Schlußakten und Grundsatzbeschlüsse des Deutschen Bundes, ferner die Protokolle der großen Konferenzen einschließlich der wichtigsten Beschlußvorlagen. Hinzu kommen die Situationsanalysen in Form von Denkschriften sowie die deutschlandpolitischen Programme der Regierungen, Kammern, Parteien und Vereine in Form von Instruktionen, Proklamationen, Anträgen, Presseveröffentlichungen und Flugschriften. Aus diesen Quellengattungen soll ein möglichst repräsentativer Querschnitt von Texten zum Abdruck kommen, um die unterschiedlichen Zielvorstellungen, Sichtweisen und Argumente deutlich werden zu lassen. Da viele relevante Texte bereits teilweise oder vollständig im Druck vorliegen, läßt sich nicht vermeiden, schon früher veröffentlichtes Material in die Edition aufzunehmen. Im Falle von zeitgenössischen Zeitungsartikeln, Flug-
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Zur Edition
schriften und Broschüren erscheint dies unproblematisch, da diese oftmals schwer zugänglich sind. Ähnlich verhält es sich mit den Verhandlungen der einzelstaatlichen Kammern, die sich meist nur in den jeweils zuständigen Archiven und Landesbibliotheken befinden. Überdies ist die deutsche Frage in den umfangreichen Kammerprotokollen nur einer von vielen Gegenständen, und ein Auffinden der diesbezüglichen Texte bereitet oft erhebliche Mühe. Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, die bedeutendsten Debattenbeiträge und Anträge in die Edition aufzunehmen. Größere Zurückhaltung wird dagegen geübt beim Abdruck von Verhandlungen der Frankfurter Bundesversammlung, deren Protokolle in vielen Bibliotheken vorhanden sind. Selbstverständlich werden besonders wichtige Bundestagsverhandlungen und Bundesbeschlüsse in die Dokumentation aufgenommen. Zu edieren sind natürlich auch etwa vorhandene unveröffentlichte Protokolle. Bei bereits edierten handschriftlichen Akten und gedruckten, aber nicht publizierten Vorlagen entscheidet grundsätzlich die sachliche Relevanz, ob ein Wiederabdruck erfolgt. Eine Edition zur Geschichte des Deutschen Bundes kann nicht auf die Wiedergabe der entscheidenden Texte verzichten, auch wenn diese schon im Druck vorliegen sollten. Dies ist im übrigen auch deshalb geboten, weil viele ältere Editionen (z. B. Klüber, Acten des Wiener Congresses) erhebliche Mängel aufweisen. Es versteht sich von selbst, daß bei der Neuedition auf die Originalvorlagen zurückgegriffen wird. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Qualität der Vorlage zu richten. Wo immer möglich, soll die endgültige Fassung eines Dokuments herangezogen werden. Daraus ergibt sich eine Präferenz der Ausfertigung vor der Abschrift, welche wiederum dem Konzept vorgezogen wird. Gravierende inhaltliche Abweichungen in den verschieden Überlieferungsformen werden kollationiert und als Variante in den textkritischen Apparat aufgenommen. Um eine vorlagengetreue Wiedergabe der Quellentexte zu gewährleisten, wird auf Kürzungen weitgehend verzichtet. Von diesem Grundsatz wird nur in Ausnahmefällen abgewichen, wenn etwa bei extrem langen Texten umfangreiche Passagen sich mit Gegenständen beschäftigen, die mit dem Editionsthema in keinem Zusammenhang stehen. Etwaige Auslassungen werden in Form von Zwischenregesten resümiert. B. Grundsätze der editorischen Bearbeitung Für die editorische Bearbeitung historischer Dokumente liegen die von Johannes Schultze veröffentlichten „Richtlinien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte“ vor.1 Diese 1 In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 102, 1966, S. 1–10.
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Richtlinien enthalten viele sinnvolle Anregungen, geben aber in einer Kernfrage zu kritischen Einwänden Anlaß. Die von Schultze empfohlene weitgehende Modernisierung von Orthographie und Interpunktion ist mit Nachteilen verbunden. Zum einen ist, wie Winfried Baumgart in der Krimkriegsedition hervorgehoben hat, Sprache immer in der Entwicklung begriffen, so daß „heute modernisierte Texte in 50 oder 150 Jahren wieder modernisiert werden müßten“.2 Darüber hinaus dürfte es wissenschaftlichen Anforderungen am ehesten entsprechen, wenn Quellentexte weitgehend vorlagengetreu abgedruckt werden. Auf eine sprachliche Modernisierung wird deshalb grundsätzlich verzichtet. Konkret bedeutet dies, daß orthographische Besonderheiten und Abweichungen von der heutigen Norm sowie die Zeichensetzung der Vorlagen beizubehalten sind. Nachteilige Folgen für das Verständnis und die Lesbarkeit sind kaum zu befürchten, da die sprachliche Beschaffenheit der Texte aus dem 19. Jahrhundert im allgemeinen nur geringfügig vom gegenwärtigen Sprachgebrauch abweicht. Mit Ausnahme der stillschweigenden Einfügung bzw. Tilgung von fehlenden oder überflüssigen Satzzeichen und der Ausschreibung elidierter Wörter werden alle Eingriffe des Bearbeiters in den Quellentext kenntlich gemacht. Dies geschieht entweder durch entsprechende Markierungen im Text oder durch textkritische Anmerkungen im Anschluß an den Text. Die Sachanmerkungen beschränken sich im allgemeinen auf die Erläuterung von Personen, Sachen und Begriffen. Hinzu kommen Querverweise auf abgedruckte oder nichtpublizierte Aktenstücke sowie gegebenenfalls sachliche und bibliographische Zusatzinformationen. Auf interpretierende Erläuterungen soll dagegen grundsätzlich verzichtet werden, zumal inhaltliche Bezüge in den ins Auge gefaßten begleitenden Monographien aufgezeigt werden können. Die Dokumente werden nach thematischen Gesichtspunkten gruppiert und innerhalb eines Themenblocks (in der Regel) in chronologischer Reihenfolge, basierend auf dem Ausstellungs- bzw. Auslaufdatum, angeordnet. Fehlt ein Ausstellungsdatum, so bildet das Einlaufdatum des Empfängers die Grundlage für die Datierung.
2 Akten zur Geschichte des Krimkriegs. Hrsg. v. Winfried Baumgart. Serie I: Österreichische Akten zur Geschichte des Krimkriegs. Bd. 1. Bearb. v. Ana María Schop Soler. München/Wien 1980, S. 12.
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C. Richtlinien zur editorischen Bearbeitung3 1. Allgemeines 1.1.
Die Überlieferungsformen (z. B. Konzept, Ausfertigung, Abschrift, Metallographie, Druck) werden mitgeteilt. Ebenso werden die beteiligten Schreiber – etwa bei Eigenhändigkeit – oder deren Wechsel, falls inhaltlich relevant, genannt. Fundort, Signatur mit Blatt- bzw. Seitenzahlen werden – auch bei Drucken – angegeben. 1.2. Liegt ein Dokument in mehrfacher Originalüberlieferung vor, werden alle Fundorte mitgeteilt, es sei denn, es handelt sich um gedruckte oder metallographierte Vorlagen oder um identische Abschriften. Varianten werden nur festgehalten, wenn es sich dabei um sachlich oder sprachlich bedeutsame Abweichungen handelt. 1.3. Kanzleivermerke und dergleichen werden wiedergegeben, wenn ihnen Informationswert zukommt. Dasselbe gilt für Hervorhebungen und Streichungen. 1.4. Unsichere, aber wahrscheinliche Lesungen werden durch < > kenntlich gemacht. 1.5. Unleserliche Wörter werden durch , unleserliche Textpassagen durch kenntlich gemacht. 1.6. Lücken in der Handschrift werden durch *** wiedergegeben. 1.7. Zusätze des Bearbeiters werden stets in eckige Klammern [ ] gesetzt, Auslassungen des Bearbeiters durch [. . .] gekennzeichnet. 1.8. Abkürzungen werden nicht aufgelöst, sondern in der vorliegenden Form abgedruckt. Ist eine Abkürzung nicht ohne weiteres zu erschließen, wird sie in einer textkritischen Anmerkung erklärt. Alle in der Edition vorkommenden Abkürzungen werden in einem beigefügten Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen mit ihrer vollen Bedeutung aufgelöst. 1.9. Im Unterschied zu den echten Abkürzungen, hinter denen meist ein Punkt steht, werden Elisionen und Kontraktionen immer aufgelöst. Für „m“ ¯ steht „mm“, für „ud“ steht „und“, für „Coon“ steht „Commission“; elidierte Endungen (-ung) werden ausgeschrieben. 1.10. In Geheimschrift abgefaßte Texte oder Passagen werden nach Möglichkeit anhand zeitgenössischer Transkriptionen in Klarschrift wiedergegeben. Die ursprünglich chiffrierten Texte oder Abschnitte – auch Text3 Wir folgen hier in vielen Punkten den „Empfehlungen zur Edition frühneuzeitlicher Texte“, die vom Arbeitskreis „Editionsprobleme der frühen Neuzeit“ zusammengestellt wurden und abgedruckt sind in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland 1980, S. 85–96.
Zur Edition
1.11. 1.12. 1.13. 1.14.
1.15.
XLVII
teile, die in Konzepten zur Chiffrierung bestimmt erscheinen – werden markiert und in den Sachanmerkungen erklärt. Liegen keine Dechiffrierungen vor, löst der Bearbeiter die Geheimschrift auf. Ist dies nicht möglich, wird, soweit dies typographisch machbar ist, der ursprüngliche Chiffrentext wiedergegeben. Diakritische Zeichen werden wiedergegeben, sofern sie nicht reine Lesehilfen sind. Es wird nicht festgehalten, wenn z. B. Punkte über i und j fehlen. e e o Hochgestellte Buchstaben bei Umlauten (z. B. „a “, „o“, „u“) werden in die Zeile heruntergezogen („ae“, „oe“, „uo“). Schriftwechsel in der Textvorlage – z. B. lateinische Schrift (statt deutscher Schrift) bei fremdsprachigen Wörtern oder Passagen – werden in der Transkription nicht wiedergegeben. Hervorhebungen in der Vorlage werden durch Kursivdruck wiedergegeben, wenn nötig, wird die Art der ursprünglichen Hervorhebung in einer textkritischen Anmerkung erläutert (etwa bei doppelter oder dreifacher Unterstreichung). Bei fremdsprachlichen (insbesondere französischen) Vorlagen werden fehlende Akzente ergänzt und falsche Akzente korrigiert, sofern dies für das Verständnis erforderlich ist. 2. Textgrundlage
2.1.
2.2.
2.3.
Bei Mehrfachüberlieferung sollte einer einzigen gefolgt werden. Die Entscheidung für die Vorlage ist besonders zu begründen, wenn das Alter der Vorlage, die Genese des Textes, die Überlieferungsgeschichte, die Wirkungsgeschichte oder der Erhaltungszustand es erfordern. Offensichtliche Fehler in der Vorlage werden mit Hilfe anderer Überlieferungen emendiert. Die Schreibweise folgt dabei der herangezogenen Überlieferung. Bei Verbesserungen von Textversehen wird die fehlerhafte Variante in einer textkritischen Anmerkung angegeben. Unumgängliche Textverbesserungen (Konjekturen) sind in der Regel in den Text aufzunehmen, jedoch zu kennzeichnen. Auf unheilbare verderbte Textstellen (Korruptelen) wird mit [!] hingewiesen. 3. Anmerkungsapparat
3.1. 3.2.
Im Anmerkungsapparat wird einerseits Textkritik und andererseits Sprach- wie Sachkommentar geboten. Die Angaben im Apparat werden durch Exponenten (arabische Ziffern) vorgenommen. Die Anmerkungen stehen am Fuß jeder Seite in normaler Petitschrift, lediglich Autorennamen werden kursiv gesetzt. Die Zählung beginnt bei jedem Dokument wieder von vorne.
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3.3. 3.3.1.
3.3.2. 3.3.3.
3.3.4.
3.4. 3.4.1.
3.4.2. 3.4.3. 3.4.4. 3.4.5.
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N.B.: Originalanmerkungen aus den Vorlagen werden nicht in den Anmerkungsapparat integriert, sondern in normaler einzeiliger Schrift unter den Text gesetzt. Ihre Kennzeichnung erfolgt durch *, †, ‡. Text und eventuelle Originalanmerkungen werden durch einen Trennstrich vom Anmerkungsapparat getrennt. Textkritische Anmerkungen Marginalien werden, soweit sie nicht am Rand belassen oder in den Text eingefügt werden können, in den Anmerkungsapparat aufgenommen. Erforderliche Erläuterungen werden in eckigen Klammern hinzugefügt. Sind Entstehungsvarianten vorhanden, etwa in Konzepten, werden diese in den Anmerkungsapparat aufgenommen, sofern sie inhaltlich relevant sind. Überlieferungsgeschichtliche Varianten sollen in den Anmerkungsapparat nur dann aufgenommen werden, wenn dadurch die Veränderungen des Sinnes dokumentiert werden (lexikalische oder syntaktische Varianten: Wortwahl, Wortbildung, Wortfolge, Kasus, Numerus, Tempus). Orthographische und sprachliche Varianten werden in der Regel nicht einzeln verzeichnet; sie können summarisch in der Einleitung erfaßt werden. Wurde ein Text mehrfach redigiert, kann es sich als notwendig erweisen, die verschiedenen Fassungen nacheinander oder in Kolumnen zu drucken, um den Anmerkungsapparat zu entlasten, der in jedem Fall so knapp wie möglich gehalten sein sollte. Sprachliche und sachliche Erläuterungen Veraltete und untergegangene Wörter, gegebenenfalls auch semantische Verschiebungen, werden erläutert, wenn ihre Bedeutung nicht aus dem Kontext erkennbar ist. Auch syntaktische und sonstige sprachliche Schwierigkeiten werden gegebenenfalls erläutert. Unter Umständen kann sich die Zusammenfassung der lexikalischen Erläuterungen in einem Glossar empfehlen. Zitate und gegebenenfalls Zitatanklänge werden soweit wie möglich nachgewiesen. Zur Kennzeichnung im Text sind die verschiedenen Formen der Anführungszeichen zu verwenden. Im Text vorkommende Personen und geographische Namen werden nach Möglichkeit identifiziert. Sachen, Begriffe und Ereignisse sind nur soweit zu erläutern, wie es das Verständnis erfordert. Dabei angeführte Veröffentlichungen sind bibliographisch eindeutig anzugeben, gegebenenfalls durch Beifügung eines Literaturverzeichnisses.
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XLIX
4. Die Edition der Texte 4.1. 4.2. 4.3. 4.4.
4.5.
4.6. 4.7. 4.8.
Eigennamen werden entsprechend der Vorlage wiedergegeben. Groß- und Kleinschreibung wird entsprechend der Vorlage verwendet. Hingegen werden Eigennamen, Satzanfänge sowie Titel und deren Abkürzung generell groß geschrieben. Die Getrennt- und Zusammenschreibung folgt der Vorlage, sofern diese eindeutig ist. Falls dadurch Verständnisschwierigkeiten entstehen, empfiehlt sich die Anbringung einer erläuternden Anmerkung. Zahlzeichen werden im laufenden Text vorlagengetreu wiedergegeben, es sei denn, daß gewichtige Gründe für eine Auflösung sprechen. Bei Ordnungszahlen wird stets ein Punkt hinzugefügt, bei Kardinalzahlen hingegen Punkte bzw. Kommata (z. B. „100 000“ für „100,000“) generell fortgelassen. Dienen Zahlzeichen und Buchstaben der Gliederung des Textes, findet eine Vereinheitlichung im oben genannten Sinne statt. Die Interpunktion folgt im allgemeinen der Vorlage. Fehlende Satzzeichen, insbesondere Kommata, werden, wenn nötig, ergänzt, während überflüssige Satzzeichen in der Regel beibehalten werden. Lediglich Gedankenstriche nach einem Punkt zur Markierung eines Absatzes entfallen; Gedankenstriche und Semikola zur Markierung des Satzendes werden durch einen Punkt ersetzt. Anstelle des doppelten Trennungs- und Bindestrichs wird einheitlich der einfache Trennungs- und Bindestrich verwendet. Das eine Einfügung kennzeichnende /: :/ wird durch eine runde Klammer ( ) ersetzt. Datumsangaben in den Texten werden vorlagengetreu wiedergegeben. D. Präsentation der edierten Dokumente
Jedem Dokument wird ein Kopf vorangestellt. Dieser besteht aus: 1.1. Der Nummer des Dokuments innerhalb der Edition. 1.2. Dem Aussteller und Empfänger. 1.1. und 1.2. werden hintereinander, halbfett und zentriert gedruckt. 2.1. Angaben zum Fundort: Archivsigle, Bestand, Nr., fol. oder Seite. 2.2. Art der Vorlage: Bericht, Note, Denkschrift etc. 2.3. Überlieferungsform: (Eigenhändige) Ausfertigung, Abschrift, Entwurf, Metallographie, Druck usw. 2.4. Praesentatum oder sonstigen Eingangsvermerken des Empfängers; Expeditionsvermerke werden nur angegeben, wenn sie eine von der Datierung der Vorlage (Konzept) abweichende Angabe enthalten.
L
2.5. 3. 4.
5. 6.
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Für die Eingangs- bzw. Auslaufvermerke werden die standardisierten Abkürzungen „Praes.“ und „Exped.“ verwendet. Das Datum wird ebenfalls in standardisierter Form (Tag, Monat, Jahr) wiedergegeben. Druckort. Diese Angaben erfolgen in der Reihenfolge 2.1.–2.5. hintereinander und werden in Petitschrift gedruckt. Dem Kopfregest mit kurzen Angaben zum Gegenstand des Dokuments. Dem Kopfregest folgt mit dreizeiligem Abstand das Dokument. In der ersten Zeile steht linksbündig, falls vorhanden, die Aktennummer des Ausstellers und ein eventueller Vertraulichkeitsvermerk. Ausstellungsort und -datum stehen in der gleichen Zeile rechtsbündig in der standardisierten Form: Ort, Tag, Monat (ausgeschrieben), Jahr. Anrede- und Grußformeln werden unverändert beibehalten. Die Unterschrift des Ausstellers steht rechtsbündig am Ende des Textes. Fehlt die Unterschrift (etwa in Abschriften und Konzepten), so wird sie in eckigen Klammern und normaler Schrift ergänzt, sofern der Aussteller unstrittig ist.
Chronologisches Verzeichnis der Dokumente
LI
Chronologisches Verzeichnis der Dokumente Nr. Dokument
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
1 Broschüre „Der Deutsche Bund, die Verfassungskämpfe von 1848 u. 1849 und die Einigungsbestrebungen von 1859“ 2 Artikel in der Vossischen Zeitung über die Anbahnung einer Bundesreform durch Preußen 3 Eisendecher an Großherzog Peter II. von Oldenburg 4 Bülow an Oertzen 5 Resolution der Versammlung deutscher Demokraten in Eisenach 6 Artikel in den Deutschen Blättern 7 Beust an Könneritz 8 Stettiner Adresse 9 Antrag in der bayerischen Kammer der Abgeordneten 10 Eisenacher Programm der Demokraten und Konstitutionellen 11 Artikel in den Deutschen Blättern 12 Platen an Beust 13 Hügel an Beust 14 Rechberg an Traun 15 Zwölf Thesen zur nationalen Zukunft Deutschlands 16 Beust an Savigny 17 Denkschrift von Borries 18 Antwort der preußischen Regierung auf die Stettiner Adresse 19 Degenfeld an König Wilhelm I. von Württemberg 20 Statut des Deutschen Nationalvereins 21 Schrenk an König Maximilian II. 22 Münchener Verabredungen der Mittelstaaten 23 Hügel an Schrenk 24 Bundesreformplan Roggenbachs 25 Arnim an Schleinitz 26 Albers an Elder 27 Antrag von Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Großherzogtum Hessen und Nassau auf Revision der Bundeskriegsverfassung 28 König Maximilian II. an Schrenk 29 Artikel in der Ost-Deutschen Post 30 Pergler von Perglas an König Maximilian II.
Berlin
1859
Seite 3
Berlin
29. Mai 1859
8
Frankfurt
23. Juni 1859
11
Frankfurt Eisenach
15. Juli 1859 17. Juli 1859
16 25
Frankfurt Dresden Stettin München
26. Juli 1859 5. August 1859 8. August 1859 9. August 1859
26 28 36 38
Eisenach
14. August 1859
50
Frankfurt Weissenhaus Stuttgart Wien Frankfurt
15. August 1859 16. August 1859 16. August 1859 19. August 1859 22. August 1859
55 58 60 64 68
Dresden Norderney Berlin
25. August 1859 28. August 1859 12. September 1859
76 84 86
München
13. September 1859
88
Frankfurt München München
90 91 96
Stuttgart Karlsruhe Wien Bremen Frankfurt
16. September 1859 23. September 1859 19. September 1859/ 11. Oktober 1859 28. September 1859 September 1859 29. September 1859 5. Oktober 1859 20. Oktober 1859
103 106 143 147 148
Vorder Riss Wien Hannover
28. Oktober 1859 28. Oktober 1859 30. Oktober 1859
152 152 155
LII
Chronologisches Verzeichnis der Dokumente
Nr. Dokument
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
31 Antrag Badens auf Errichtung eines Bundesgerichts 32 Schrenk an Beust 33 Artikel in der Neuen Würzburger Zeitung 34 Schrenk an König Maximilian II. 35 Artikel im Korrespondent von und für Deutschland 36 Artikel im Dresdner Journal 37 Kübeck an Rechberg a) Schreiben b) Denkschrift von Ludwig Windthorst zur Lage in Deutschland 38 Denkschrift von Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen über die Bundesreform 39 Antrag des gemeinschaftlichen Landtags der Herzogtümer Coburg und Gotha betreffend die deutschen Verfassungsverhältnisse 40 Plan einer „Bundeszeitung“ 41 Artikel in der Londoner „Times“ zur Situation des Deutschen Bundes 42 Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen an den Prinzregenten von Preußen 43 Bülow an Hall 44 Beust an Bose 45 Eisendecher an das oldenburgische Staatsministerium 46 Beust an Bose 47 Artikel im schwäbischen „Beobachter“ 48 Schrenk an König Maximilian II. 49 Memoire Platens zur Bundeszentralgewalt 50 Schrenk an Gise 51 Hügel an Beust 52 Reigersberg an Schrenk 53 Julius Fröbel: Die Forderungen der deutschen Politik 54 Diktat des Herzogs Ernst II. von SachsenCoburg und Gotha über die Fürstenkonferenz in Baden-Baden 55 Aufzeichnungen des Herzogs von Nassau über die Fürstenkonferenz in Baden-Baden 56 Besprechungen der Könige von Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg, des Großherzogs von Hessen und des Herzogs von Nassau in Baden-Baden 57 Ansprache des Prinzregenten von Preußen an die deutschen Fürsten in Baden-Baden 58 Antwort des Königs von Württemberg auf die Ansprache des Prinzregenten von Preußen
Frankfurt
3. November 1859
Seite 157
München Würzburg Würzburg Nürnberg
12. November 1859 24. November 1859 28. November 1859 7. Dezember 1859
160 162 165 171
Dresden
9. Dezember 1859
177
Frankfurt ohne Ort
20. Januar 1860 [Januar 1860]
186 188
[Meiningen]
[17. Februar 1860]
194
Gotha
20. Februar 1860
198
[Frankfurt] London
[2. März 1860] 2. April 1860
204 206
Meiningen zur Elisabethenburg Frankfurt Dresden Frankfurt
10. April 1860
210
24. April 1860 5. Mai 1860 10. Mai 1860
213 220 224
Dresden [Stuttgart] München [Hannover] München Stuttgart Stuttgart Heidelberg
12. Mai 1860 12./13. Mai 1860 13. Mai 1860 [April/Mai 1860] 28. Mai 1860 1. Juni 1860 2. Juni 1860 17. Juni 1860
226 229 234 237 247 252 255 258
[Baden-Baden]
16.–18. Juni 1860
283
[Baden-Baden]
16.–19. Juni 1860
288
Baden-Baden
17./18. Juni 1860
295
[Baden-Baden]
[18. Juni 1860]
297
Baden-Baden
18. Juni 1860
299
Chronologisches Verzeichnis der Dokumente
LIII
Nr. Dokument
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
59 Besprechung des Königs von Bayern mit dem Prinzregenten von Preußen 60 Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha an die Könige von Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg 61 Pfordten an Pfistermeister 62 Denkschrift der sächsischen Regierung gegen den Nationalverein 63 Teplitzer Punktation zwischen Österreich und Preußen 64 Großherzog Friedrich I. von Baden an Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha 65 Beust an Bose 66 Reinhard an Hügel 67 Schrenk an Gise 68 Antrag auf Bundesreform in der zweiten sächsischen Kammer 69 Bülow an Hall 70 Antrag des Großherzogtums Hessen auf Verbot des Nationalvereins 71 Artikel in der Preussischen Zeitung 72 König Maximilian II. an Schrenk 73 Anonyme Flugschrift über die Bundesreform 74 Pfordten an Pfistermeister 75 Intervention Württembergs in Karlsruhe 76 Savigny an Schleinitz 77 Mitteilung der Hamburger Bürgerschaft an den Senat 78 Übereinkunft zwischen den Regierungen von Baden, Sachsen-Coburg und Gotha und Sachsen-Weimar 79 Liebe an Wittgenstein 80 Bennigsen an Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha 81 Julius Fröbel: Denkschrift über die Leitung der großdeutschen Angelegenheiten 82 Constantin Frantz: Was dem deutschen Bunde Noth thut 83 Artikelserie zur Bundesreform im Bayerischen Kurier 84 Bundesreformprojekt von Beust 85 Hügel an Degenfeld 86 Bundesreformplan Beusts 87 Erklärung von Sachsen-Coburg und Gotha in der Bundesversammlung zur Dringlichkeit einer Reform der deutschen Verfassung
Baden-Baden
19. Juni 1860
Seite 300
Coburg
20. Juni 1860
302
Frankfurt Dresden
20. Juli 1860 [Juli 1860]
304 306
Teplitz Laxenburg Schloß Mainau
26. Juli 1860 2. August 1860 15. September 1860
308
Dresden Frankfurt München Dresden
13. Oktober 1860 9. November 1860 12. November 1860 14. November 1860
316 321 326 329
Frankfurt Frankfurt
3. Januar 1861 5. Januar 1861
334 336
Berlin München Heidelberg
19. Januar 1861 29. Januar 1861 [1861]
337 340 341
Frankfurt [Karlsruhe] Dresden Hamburg
13. Februar 1861 18. Februar 1861 20. April 1861 8. Mai 1861
348 351 353 356
Frankfurt
12. Mai 1861
357
Berlin Karlsruhe
13. Mai 1861 17. Mai 1861
359 363
ohne Ort
Juni 1861
364
Berlin
1861
371
München
7.–14. August 1861
374
Wien Stuttgart Dresden Frankfurt
17. August 1861 4. Oktober 1861 15. Oktober 1861 31. Oktober 1861
387 392 394 412
313
LIV Nr.
Chronologisches Verzeichnis der Dokumente Dokument
88 Rechberg an Werner a) Erlaß b) Einige allgemeine Bemerkungen den Dresdener Entwurf einer Reorganisation des deutschen Bundes betr. 89 Beust an Hohenthal 90 Pfordten an Pfistermeister 91 Liebe an Wittgenstein 92 Anonyme Broschüre aus Preußen zur deutschen Frage 93 Promemoria der Regierung von HessenDarmstadt zur Bundesreformfrage 94 Nachtrag zum Bundesreformplan Beusts 95 Artikel im Frankfurter Journal 96 Artikel in der Zeit 97 Eisendecher an das oldenburgische Staatsministerium 98 Platen an Blome 99 Bray an Schrenk 100 Bernstorff an Savigny 101 Bray an König Maximilian II. 102 Schrenk an König Maximilian II. 103 Vertrauliches Protokoll zwischen den Regierungen von Österreich und Bayern 104 Edelsheim an Roggenbach 105 Reigersberg an Schrenk 106 Roggenbach an Marschall 107 Identische Noten von Österreich, Bayern, Hannover, Württemberg, Kurhessen, Großherzogtum Hessen, Nassau und SachsenMeiningen an die preußische Regierung 108 Hohenthal an Bernstorff 109 Broschüre „Ein Preußisches Programm in der deutschen Frage“ 110 Broschüre „Eine praktische Lösung der Deutschen Frage“ 111 Antrag auf Herbeiführung einer gemeinschaftlichen Zivil- und Kriminalgesetzgebung für die deutschen Bundesstaaten 112 Oertzen an Gamm 113 Artikel in der Neuen Frankfurter Zeitung 114 Artikel im Frankfurter Journal 115 Artikel in den Deutschen Blättern 116 Preußische Antwort auf die identische Note Österreichs und der Mittelstaaten 117 Dalwigk an Roggenbach 118 Dalwigk an Wambolt 119 Preußische Zirkulardepesche an die Gesandten bei den deutschen Höfen
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
Seite
Wien
5. November 1861
415 415 418
[Dresden] Frankfurt Berlin Berlin
11. November 1861 11. November 1861 13. November 1861 [November] 1861
432 434 438 441
Darmstadt
18. November 1861
444
Dresden Frankfurt Frankfurt Frankfurt
20. November 1861 26. November 1861 26. November 1861 28. November 1861
475 482 484 494
Hannover Wien Berlin Wien München [München]
28. November 1861 4. Dezember 1861 20. Dezember 1861 28. Dezember 1861 8. Januar 1862 22. Januar 1862
494 499 501 508 511 517
Wien Stuttgart Karlsruhe Berlin
23. Januar 1862 26. Januar 1862 28. Januar 1862 2. Februar 1862
520 523 524 537
Berlin Berlin
2. Februar 1862 1862
541 543
Nürnberg
1862
556
Frankfurt
6. Februar 1862
579
Schwerin Frankfurt Frankfurt Frankfurt München
8. Februar 1862 12. Februar 1862 15. Februar 1862 15. Februar 1862 15. Februar 1862
591 593 598 600 604
Darmstadt Darmstadt Berlin
19. Februar 1862 21. Februar 1862 21. Februar 1862
607 613 618
Chronologisches Verzeichnis der Dokumente
LV
Nr.
Dokument
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
120 121 122 123
Beust an Hohenthal Bernstorff an Savigny Schrenk an König Maximilian II. Sächsische Zirkulardepesche an die Gesandten bei den deutschen Höfen Rechberg an Schönburg Promemoria Mohls über die Bundesreformfrage Beust an Könneritz Werther an Bernstorff Debatte in der württembergischen Kammer der Abgeordneten Antrag auf Bundesreform in der württembergischen Kammer der Abgeordneten Hügel an König Wilhelm I. von Württemberg Rechberg an Károlyi Erste Besprechung Österreichs und der Mittelstaaten in Wien über eine Bundesreform Anträge des Großherzogtums Baden in der Bundesversammlung zur Aufhebung der Reaktionsbeschlüsse von 1854 Bernstorff an Werther Mohl an Roggenbach König Maximilian II. an Schrenk Zweite Besprechung Österreichs und der Mittelstaaten in Wien über eine Bundesreform Vertraulicher Zusatz zur Registratur vom 10. August 1862 Rechberg an Zwierzina Antrag von Österreich und den Mittelstaaten auf Bundesreform Schrenk an König Maximilian II. Mohl an Roggenbach Hügel an Degenfeld Schrenk an König Maximilian II. Bülow an Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin Hügel an Ow Aufruf an die Versammlung Deutscher Vaterlandsfreunde Antrag der großdeutschen Versammlung in Frankfurt auf Bundesreform Rede von Johannes Kuhn auf der großdeutschen Versammlung Statuten des großdeutschen Reformvereins Pfordten an König Maximilian II.
Dresden Berlin München Dresden
23. Februar 1862 10. März 1862 13. März 1862 17. März 1862
627 630 633 638
Wien [Frankfurt]
17. März 1862 [26. März 1862]
643 651
Dresden Wien Stuttgart
28. April 1862 7. Mai 1862 21. Mai 1862
656 660 662
Stuttgart
23. Mai 1862
681
Stuttgart
11. Juni 1862
690
Wien Wien
2. Juli 1862 7. Juli
693 697
Frankfurt
10. Juli 1862
706
Berlin Frankfurt Berchtesgaden Wien
11. Juli 1862 23. Juli 1862 30. Juli 1862 10. August 1862
710 714 718 719
Wien
10. August 1862
727
Wien Frankfurt
12. August 1862 14. August 1862
729 731
München Frankfurt Stuttgart München Frankfurt
16. August 1862 17. August 1862 14. September 1862 24. September 1862 1. Oktober 1862
750 753 767 788 793
Stuttgart Dresden
15. Oktober 1862 Oktober 1862
800 802
Frankfurt
28. Oktober 1862
807
Frankfurt
28. Oktober 1862
808
Frankfurt Frankfurt
29. Oktober 1862 12. Dezember 1862
810 812
124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151
Seite
LVI Nr.
Chronologisches Verzeichnis der Dokumente Dokument
152 Bismarck an Werther 153 Promemoria Mohls über die preußischen Pläne 154 Samwer an Freytag 155 Beratung in der Bundesversammlung über den Antrag zur Einberufung einer Delegiertenversammlung 156 Bismarck an Flemming 157 Ysenburg an König Wilhelm I. von Preußen
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
Seite
Berlin [Frankfurt]
13. Dezember 1862 [13. Dezember 1862]
814 819
Gotha Frankfurt
15. Dezember 1862 18. Dezember 1862
826 828
Berlin Hannover
23. Dezember 1862 29. Dezember 1862
861 863
Verzeichnis der Dokumente nach ihrer Provenienz
LVII
Verzeichnis der Dokumente nach ihrer Provenienz Nr.
Dokument
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
Seite
I. Akten und Protokolle der Bundesversammlung und ihrer Ausschüsse 27 Antrag von Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Großherzogtum Hessen und Nassau auf Revision der Bundeskriegsverfassung 31 Antrag Badens auf Errichtung eines Bundesgerichts 70 Antrag des Großherzogtums Hessen auf Verbot des Nationalvereins 87 Erklärung von Sachsen-Coburg und Gotha in der Bundesversammlung zur Dringlichkeit einer Reform der deutschen Verfassung 111 Antrag auf Herbeiführung einer gemeinschaftlichen Zivil- und Kriminalgesetzgebung für die deutschen Bundesstaaten 133 Anträge des Großherzogtums Baden in der Bundesversammlung zur Aufhebung der Reaktionsbeschlüsse von 1854 140 Antrag von Österreich und den Mittelstaaten auf Bundesreform 155 Beratung in der Bundesversammlung über den Antrag zur Einberufung einer Delegiertenversammlung
Frankfurt
20. Oktober 1859
148
Frankfurt
3. November 1859
157
Frankfurt
5. Januar 1861
336
Frankfurt
31. Oktober 1861
412
Frankfurt
6. Februar 1862
579
Frankfurt
10. Juli 1862
706
Frankfurt
14. August 1862
729
Frankfurt
18. Dezember 1862
828
II. Diplomatische Korrespondenzen und Ministerialakten 3 4 7 12 13 14 16 17 19 21 22 23 24 25
Eisendecher an Großherzog Peter II. von Oldenburg Bülow an Oertzen Beust an Könneritz Platen an Beust Hügel an Beust Rechberg an Traun Beust an Savigny Denkschrift von Borries Degenfeld an König Wilhelm I. von Württemberg Schrenk an König Maximilian II. Münchener Verabredungen der Mittelstaaten Hügel an Schrenk Bundesreformplan Roggenbachs Arnim an Schleinitz
Frankfurt
23. Juni 1859
11
Frankfurt Dresden Weissenhaus Stuttgart Wien Dresden Norderney München
15. Juli 1859 5. August 1859 16. August 1859 16. August 1859 19. August 1859 25. August 1859 28. August 1859 13. September 1859
16 28 58 60 64 76 84 88
München München
23. September 1859 19. September 1859/ 11. Oktober 1859 28. September 1859 September 1859 29. September 1859
91 96
Stuttgart Karlsruhe Wien
103 106 143
LVIII
Verzeichnis der Dokumente nach ihrer Provenienz
Nr.
Dokument
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
26 28 30
Albers an Elder König Maximilian II. an Schrenk Pergler von Perglas an König Maximilian II. Schrenk an Beust Schrenk an König Maximilian II. Kübeck an Rechberg a) Schreiben b) Denkschrift von Ludwig Windthorst zur Lage in Deutschland Denkschrift von Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen über die Bundesreform Plan einer „Bundeszeitung“ Herzog Bernhard II. von SachsenMeiningen an den Prinzregenten von Preußen Bülow an Hall Beust an Bose Eisendecher an das oldenburgische Staatsministerium Beust an Bose Schrenk an König Maximilian II. Memoire Platens zur Bundeszentralgewalt Schrenk an Gise Hügel an Beust Reigersberg an Schrenk Diktat des Herzogs Ernst II. von SachsenCoburg und Gotha über die Fürstenkonferenz in Baden-Baden Aufzeichnungen des Herzogs von Nassau über die Fürstenkonferenz in Baden-Baden Besprechungen der Könige von Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg, des Großherzogs von Hessen und des Herzogs von Nassau in Baden-Baden Ansprache des Prinzregenten von Preußen an die deutschen Fürsten in Baden-Baden Antwort des Königs von Württemberg auf die Ansprache des Prinzregenten von Preußen Besprechung des Königs von Bayern mit dem Prinzregenten von Preußen Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha an die Könige von Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg Pfordten an Pfistermeister Denkschrift der sächsischen Regierung gegen den Nationalverein
Bremen Vorder Riss Hannover
5. Oktober 1859 28. Oktober 1859 30. Oktober 1859
147 152 155
München Würzburg
12. November 1859 28. November 1859
160 165
Frankfurt ohne Ort
20. Januar 1860 [Januar 1860]
186 188
[Meiningen]
[17. Februar 1860]
194
32 34 37
38 40 42 43 44 45 46 48 49 50 51 52 54 55 56
57 58 59 60 61 62
Seite
[Frankfurt] [2. März 1859] Meiningen zur 10. April 1860 Elisabethenburg
204 210
Frankfurt Dresden Frankfurt
24. April 1860 5. Mai 1860 10. Mai 1860
213 220 224
Dresden München [Hannover] München Stuttgart Stuttgart [Baden-Baden]
12. Mai 1860 13. Mai 1860 [April/Mai 1860] 28. Mai 1860 1. Juni 1860 2. Juni 1860 16.–18. Juni 1860
226 234 237 247 252 255 283
[Baden-Baden]
16.–19. Juni 1860
288
Baden-Baden
17./18. Juni 1860
295
[Baden-Baden]
[18. Juni 1860]
297
Baden-Baden
18. Juni 1860
299
Baden-Baden
19. Juni 1860
300
Coburg
20. Juni 1860
302
Frankfurt Dresden
20. Juli 1860 [Juli 1860]
304 306
Verzeichnis der Dokumente nach ihrer Provenienz Nr.
Dokument
63 Teplitzer Punktation zwischen Österreich und Preußen 64 Großherzog Friedrich I. von Baden an Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha 65 Beust an Bose 66 Reinhard an Hügel 67 Schrenk an Gise 69 Bülow an Hall 72 König Maximilian II. an Schrenk 74 Pfordten an Pfistermeister 75 Intervention Württembergs in Karlsruhe 76 Savigny an Schleinitz 77 Mitteilung der Hamburger Bürgerschaft an den Senat 78 Übereinkunft zwischen den Regierungen von Baden, Sachsen-Coburg und Gotha und Sachsen-Weimar 79 Liebe an Wittgenstein 80 Bennigsen an Ernst II. von SachsenCoburg und Gotha 81 Julius Fröbel: Denkschrift über die Leitung der großdeutschen Angelegenheiten 84 Bundesreformprojekt von Beust 85 Hügel an Degenfeld 86 Bundesreformplan Beusts 88 Rechberg an Werner a) Erlaß b) Einige allgemeine Bemerkungen den Dresdener Entwurf einer Reorganisation des deutschen Bundes betr. 89 Beust an Hohenthal 90 Pfordten an Pfistermeister 91 Liebe an Wittgenstein 93 Promemoria der Regierung von HessenDarmstadt zur Bundesreformfrage 94 Nachtrag zum Bundesreformplan Beusts 97 Eisendecher an das oldenburgische Staatsministerium 98 Platen an Blome 99 Bray an Schrenk 100 Bernstorff an Savigny 101 Bray an König Maximilian II. 102 Schrenk an König Maximilian II. 103 Vertrauliches Protokoll zwischen den Regierungen von Österreich und Bayern 104 Edelsheim an Roggenbach 105 Reigersberg an Schrenk
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
LIX Seite
Teplitz Laxenburg Schloß Mainau
26. Juli 1860 2. August 1860 15. September 1860
308 313
Dresden Frankfurt München Frankfurt München Frankfurt [Karlsruhe] Dresden Hamburg
13. Oktober 1860 9. November 1860 12. November 1860 3. Januar 1861 29. Januar 1861 13. Februar 1861 18. Februar 1861 20. April 1861 8. Mai 1861
316 321 326 334 340 348 351 353 356
Frankfurt
12. Mai 1861
357
Berlin Karlsruhe
13. Mai 1861 17. Mai 1861
359 363
ohne Ort
Juni 1861
364
Wien Stuttgart Dresden Wien
17. August 1861 4. Oktober 1861 15. Oktober 1861 5. November 1861
387 392 394 415 415 418
[Dresden] Frankfurt Berlin Darmstadt
11. November 1861 11. November 1861 13. November 1861 18. November 1861
432 434 438 444
Dresden Frankfurt
20. November 1861 28. November 1861
475 494
Hannover Wien Berlin Wien München [München]
28. November 1861 4. Dezember 1861 20. Dezember 1861 28. Dezember 1861 8. Januar 1862 22. Januar 1862
494 499 501 508 511 517
Wien Stuttgart
23. Januar 1862 26. Januar 1862
520 523
LX Nr.
Verzeichnis der Dokumente nach ihrer Provenienz Dokument
106 Roggenbach an Marschall 107 Identische Noten von Österreich, Bayern, Hannover, Württemberg, Kurhessen, Großherzogtum Hessen, Nassau und Sachsen-Meiningen an die preußische Regierung 108 Hohenthal an Bernstorff 112 Oertzen an Gamm 116 Preußische Antwort auf die identische Note Österreichs und der Mittelstaaten 117 Dalwigk an Roggenbach 118 Dalwigk an Wambolt 119 Preußische Zirkulardepesche an die Gesandten bei den deutschen Höfen 120 Beust an Hohenthal 121 Bernstorff an Savigny 122 Schrenk an König Maximilian II. 123 Sächsische Zirkulardepesche an die Gesandten bei den deutschen Höfen 124 Rechberg an Schönburg 125 Promemoria Mohls über die Bundesreformfrage 126 Beust an Könneritz 127 Werther an Bernstorff 130 Hügel an König Wilhelm I. von Württemberg 131 Rechberg an Károlyi 132 Erste Besprechung Österreichs und der Mittelstaaten in Wien über eine Bundesreform 134 Bernstorff an Werther 135 Mohl an Roggenbach 136 König Maximilian II. an Schrenk 137 Zweite Besprechung Österreichs und der Mittelstaaten in Wien über eine Bundesreform 138 Vertraulicher Zusatz zur Registratur vom 10. August 1862 139 Rechberg an Zwierzina 141 Schrenk an König Maximilian II. 142 Mohl an Roggenbach 143 Hügel an Degenfeld 144 Schrenk an König Maximilian II. 145 Bülow an Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin 146 Hügel an Ow 151 Pfordten an König Maximilian II. 152 Bismarck an Werther
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
Seite
Karlsruhe Berlin
28. Januar 1862 2. Februar 1862
524 537
Berlin Schwerin München
2. Februar 1862 8. Februar 1862 15. Februar 1862
541 591 604
Darmstadt Darmstadt Berlin
19. Februar 1862 21. Februar 1862 21. Februar 1862
607 613 618
Dresden Berlin München Dresden
23. Februar 1862 10. März 1862 13. März 1862 17. März 1862
627 630 633 638
Wien [Frankfurt]
17. März 1862 [26. März 1862]
643 651
Dresden Wien Stuttgart
28. April 1862 7. Mai 1862 11. Juni 1862
656 660 690
Wien Wien
2. Juli 1862 7. Juli
693 697
Berlin Frankfurt Berchtesgaden Wien
11. Juli 1862 23. Juli 1862 30. Juli 1862 10. August 1862
710 714 718 719
Wien
10. August 1862
727
Wien München Frankfurt Stuttgart München Frankfurt
12. August 1862 16. August 1862 17. August 1862 14. September 1862 24. September 1862 1. Oktober 1862
729 750 753 767 788 793
Stuttgart Frankfurt Berlin
15. Oktober 1862 12. Dezember 1862 13. Dezember 1862
800 812 814
Verzeichnis der Dokumente nach ihrer Provenienz Nr.
Dokument
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
153 Promemoria Mohls über die preußischen Pläne 156 Bismarck an Flemming 157 Ysenburg an König Wilhelm I. von Preußen
LXI Seite
[Frankfurt]
[13. Dezember 1862]
819
Berlin Hannover
23. Dezember 1862 19. Dezember 1862
861 863
III. Landtagsverhandlungen 9 Antrag in der bayerischen Kammer der Abgeordneten 39 Antrag des gemeinschaftlichen Landtags der Herzogtümer Coburg und Gotha betreffend die deutschen Verfassungsverhältnisse 68 Antrag auf Bundesreform in der zweiten sächsischen Kammer 128 Debatte in der württembergischen Kammer der Abgeordneten 129 Antrag auf Bundesreform in der württembergischen Kammer der Abgeordneten
München
9. August 1859
38
Gotha
20. Februar 1860
198
Dresden
14. November 1860
329
Stuttgart
21. Mai 1862
662
Stuttgart
23. Mai 1862
681
Berlin
29. Mai 1859
8
Frankfurt Frankfurt Frankfurt
26. Juli 1859 15. August 1859 22. August 1859
Wien Würzburg Nürnberg
28. Oktober 1859 24. November 1859 7. Dezember 1859
152 162 171
Dresden London
9. Dezember 1859 2. April 1860
177 206
[Stuttgart] Berlin München
12./13. Mai 1860 19. Januar 1861 7.–14. August 1861
229 337 374
Frankfurt Frankfurt Frankfurt Frankfurt Frankfurt
26. November 1861 26. November 1861 12. Februar 1862 15. Februar 1862 15. Februar 1862
482 484 593 598 600
IV. Zeitungsartikel 2 Artikel in der Vossischen Zeitung über die Anbahnung einer Bundesreform durch Preußen 6 Artikel in den Deutschen Blättern 11 Artikel in den Deutschen Blättern 15 Zwölf Thesen zur nationalen Zukunft Deutschlands 29 Artikel in der Ost-Deutschen Post 33 Artikel in der Neuen Würzburger Zeitung 35 Artikel im Korrespondent von und für Deutschland 36 Artikel im Dresdner Journal 41 Artikel in der Londoner „Times“ zur Situation des Deutschen Bundes 47 Artikel im schwäbischen „Beobachter“ 71 Artikel in der Preussischen Zeitung 83 Artikelserie zur Bundesreform im Bayerischen Kurier 95 Artikel im Frankfurter Journal 96 Artikel in der Zeit 113 Artikel in der Neuen Frankfurter Zeitung 114 Artikel im Frankfurter Journal 115 Artikel in den Deutschen Blättern
26 55 68
LXII Nr.
Verzeichnis der Dokumente nach ihrer Provenienz
Dokument
Ausstellungsort Ausstellungsdatum
Seite
V. Broschüren und Flugschriften 1 Broschüre „Der Deutsche Bund, die Verfassungskämpfe von 1848 u. 1849 und die Einigungsbestrebungen von 1859“ 53 Julius Fröbel: Die Forderungen der deutschen Politik 73 Anonyme Flugschrift über die Bundesreform 82 Constantin Frantz: Was dem deutschen Bunde Noth thut 92 Anonyme Broschüre aus Preußen zur deutschen Frage 109 Broschüre „Ein Preußisches Programm in der deutschen Frage“ 110 Broschüre „Eine praktische Lösung der Deutschen Frage“ 147 Aufruf an die Versammlung Deutscher Vaterlandsfreunde
Berlin
1859
3
Heidelberg
17. Juni 1860
258
Heidelberg
[1861]
341
Berlin
1861
371
Berlin
[November] 1861
441
Berlin
1862
543
Nürnberg
1862
556
Dresden
Oktober 1862
802
VI. Statuten, Aufrufe und Reden der nationalen Bewegung 5 Resolution der Versammlung deutscher Demokraten in Eisenach 8 Stettiner Adresse 10 Eisenacher Programm der Demokraten und Konstitutionellen 20 Statut des Deutschen Nationalvereins 148 Antrag der großdeutschen Versammlung in Frankfurt auf Bundesreform 149 Rede von Johannes Kuhn auf der großdeutschen Versammlung 150 Statuten des großdeutschen Reformvereins
Eisenach
17. Juli 1859
25
Stettin Eisenach
8. August 1859 14. August 1859
36 50
Frankfurt Frankfurt
16. September 1859 28. Oktober 1862
90 807
Frankfurt
28. Oktober 1862
808
Frankfurt
29. Oktober 1862
810
VII. Sonstige 18 Antwort der preußischen Regierung auf die Stettiner Adresse 154 Samwer an Freytag
Berlin
12. September 1859
86
Gotha
15. Dezember 1862
826
1
Dokumente
2
Nr. 1
Berlin, 1859
3
1. Broschüre „Der Deutsche Bund, die Verfassungskämpfe 1848 u. 1849 und die Einigungsbestrebungen von 1859“ Der Deutsche Bund, die Verfassungskämpfe 1848 u. 1849 und die Einigungsbestrebungen von 1859. Vom Verfasser der Schrift: Oesterreich keine „Deutsche“ Großmacht! Berlin, Verlag von Ferdinand Riegel 1859. 40 S. Siehe Rosenberg, Nationalpolitische Publizistik, Bd. 1, Nr. 122.
Der Deutsche Bund tut nichts und kann nichts und darf nichts. Seit 1815 hat der Bundestag nichts Positives vollbracht. Die Ereignisse dieses Jahres haben deutlich gemacht, daß es nötig ist, eine Zentralbehörde und einen aus zwei Kammern bestehenden Reichstag zu errichten. Das neue Deutsche Reich soll bestehen aus den jetzigen Bundesländern, aber ohne Österreich. Österreichs Interessen und deutsche Einheit sind unverträgliche Gegensätze.
Berlin, 1859 Es giebt Etwas, welches seit den Tagen seines Entstehens ein Gegenstand geheimen Hasses und tiefer Verachtung, eine Zielscheibe ausschweifendsten Hohnes und beißendsten Witzes, ein Hemmschuh alles dessen war, was man als zeitgemäß erkannte und wollte, ein Versteck für allerlei niedrige und gemeine Pläne, ein echtes Meisterstück diplomatischer Ränkeschmiedekunst – und dieses Etwas heißt der Deutsche Bund. Man fragt was ist der Deutsche Bund? Er ist Alles und Nichts, Etwas, von dem viel gesprochen, nichts gesehen wird, etwas unendlich Dehnbares und sehr Starres, ein Ding, aus dem man Allerlei macht. Man fragt höchst unbefriedigt von dieser Antwort weiter: was thut der Deutsche Bund? Der Deutsche Bund thut nichts, er kann nichts, er darf nichts, er kennt nur Unterlassungssünden. Aber wo ist der Deutsche Bund, von dem so viel gesprochen wird? Hierauf kann man nur lächeln; er ist vielleicht in Schleswig, im Lande der tapfern alten Preußen an den Gemarken des einstigen Reiches, oder im blühenden Lande der Ill-sassen1, der Lothringer oder der Schweizer! Alles fehl geraten, das gehört nicht zu ihm. Oho, ich merke es jetzt, er ist gewiß in Wien, der Hauptstadt des stolzen Oesterreiches, oder in Berlin, dem Königssitze des mächtigen Preußenlandes, oder an dem brausenden Isarstrome, oder dem alten, ehrwürdigen Rhein, oder in Thüringens und Frankens lieblichen Bergen oder wo sonst deutsche Worte einen Widerhall in guten Herzen finden! Auch überall da ist nicht der Deutsche Bund, denn überall da giebt es nur souveräne, unabhängige Staaten, aber keiner von ihnen heißt Deutscher Bund. Doch lassen wir des Hin- und Her-fragens jetzt genug sein und sehen wir ernstlich zu, die Lebenszeichen der in Rede stehenden Einrichtung gründlich aufzusuchen, um von ihnen aus an unfehlbaren Leitungsfäden zu dem Wesen des Dinges selbst aufzusteigen.
1 Elsässer.
4
Broschüre „Der Deutsche Bund . . .“
Nr. 1
Das erste, einzige und darum bedeutsame Lebenszeichen des durchlauchtigsten Bundes ist die hohe Bundesversammlung, welche ihren Sitz zu Frankfurt am Main, der alten Krönungsstadt, auf der Eschenheimer Gasse im fürstlich Thurn- und Taxis’schen Pallaste hat. Sie besteht aus Gesandten oder Gesandten-Theilen der einzelnen Deutschen Staaten und hält als eine diplomatische Conferenz wöchentlich eine Sitzung, sofern sie nicht Ferien hat. Die einzelnen Mitglieder sind nicht als bevollmächtigte Personen anzusehen, sondern als solche, die über jeden Gegenstand „Instruktionen“ einzuholen haben, so daß häufig die Anträge erst gestellt werden, nachdem ihr Geschick auf gewöhnlichem diplomatischen Wege bereits entschieden ist; auch geschieht es häufig, daß dieser oder jener Herr sich ohne Instruktion befindet, daß er erst die Meinung seines allerhöchsten Hofes einholen muß, daß er zwar glaube, jedoch noch nicht wisse, also seine Stimme nicht abgeben könne, und was dergleichen Redereien mehr sind. Von der Langsamkeit des Geschäftsganges kann man sich unbedingt keine Vorstellung machen, und es ist sprichwörtlich geworden, daß der Bundestag der längste Tag sei, nämlich in Beziehung seiner Langweiligkeit und Langsamkeit. Hannover stellte z. B. jenen berüchtigten Antrag zur Aufstellung eines Heeres am Oberrhein, Preußen protestirte wie billig, ließ jedoch die formelle Behandlung zu, und der hohe Bundestag überwies diese Sache seinem Militärausschuß, der bis heute noch nicht berichtet hat, und in Ewigkeit nicht berichten wird.2 So geht man mit Dingen um, die zur Sicherheit des Vaterlandes dienen sollen, kümmert sich nicht um die Lage und die Stimme des Volkes, und versündigt sich so wider sein eigenes Fleisch und Blut. In der langen Reihe der Jahre seit 1815 hat der Bundestag positiv nichts vollbracht. Er sollte eine Zoll- und Handelseinigung, ein deutsches Münzsystem und andere nützliche Anordnungen vollbringen, allein es geschah nichts. Er kam in der öffentlichen Meinung so herunter, daß er dieser größten aller Großmächte gänzlich erlegen ist. In den Stürmen des Jahres 1848 ging er auseinander und ein Deutsches, großes Reich sollte an seine 2 Die Regierung von Hannover stellte nach Ausbruch des Krieges in Italien am 13. Mai 1859 in der Bundesversammlung den Antrag, binnen drei Wochen ein Observationskorps in Oberdeutschland aufzustellen, „um namentlich den Süden Deutschlands gegen Eventualitäten zu decken“. Preußen legte gegen den Antrag „ausdrücklichen und entschiedenen Protest“ ein, weil eine solche Maßnahme der defensiven Haltung des Bundes „und dem Geiste der Bundesverträge überhaupt widersprechen würde“. Der Antrag wurde am 19. Mai 1859 an den Militärausschuß verwiesen. Der Ausschuß erstattete Bericht am 2. Juli 1859. Inzwischen hatte die preußische Regierung in der Bundestagssitzung vom 25. Juni 1859 einen eigenen Antrag auf „Zusammenziehung eines Observationscorps am Oberrhein aus Contingenten des 7. und 8. Bundescorps“ (die Bundestruppen von Bayern, Württemberg, Baden und Großherzogtum Hessen) unter bayerischem Oberbefehl gestellt. Der Antrag wurde am 2. Juli 1859 zum Bundesbeschluß erhoben. Vgl. ProtDBV 1859, Separatprotokoll vom 13. Mai 1859, S. 348b–348d; Separatprotokoll vom 19. Mai 1859, S. 382c–382e; Separatprotokoll vom 2. Juli 1859, S. 468b–468g.
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Stelle treten. Die Nationalversammlung in Frankfurt brachte die Reichsverfassung zu Stande, deren Ende die Sonne des Tages von Olmütz3, Manteuffelischen4 Angedenkens, schmachvoll beschien. Seitdem ist er wieder in die Eschenheimer Gasse heimgekehrt und ließ die Deutsche Flotte versteigern5, beschäftigte sich mit Entschädigungen einiger Staaten wegen Truppendurchmärsche[n] Seitens anderer in den Jahren, wo er sich vertagt hatte, und berathschlagte über Pensionirung des Marineraths Jordan6. Diese wichtigen Thaten haben die Begeisterung der Nation erweckt, und man steht heute mit aller Macht auf dem Boden auch dieses Vertrages von 1815, und Mancher glaubt in ihm das A und O Deutschen Glückes, Wohlfahrt und Gedeihens zu sehen. Dieser Schein trügt ärger, als die Fata morgana den Wanderer in der Wüste, und läßt die Zeit verrinnen, ohne den Augenblick des Handelns zu benutzen. [Rückblick auf den Wiener Kongreß, wo auf den Trümmern des Alten Reiches der Bund, „eine Hydra mit 38 Köpfen“, entstand; Unvereinbarkeit der Interessen des „dynastisch-ultramontan-soldatischen“ Österreich und des „liberal-nationalen“ Preußen; die Entwicklung in Deutschland seit der Reformation; die Schwäche des Reiches und der Mißbrauch der kaiserlichen Gewalt durch Österreich; das preußische Bestreben, Deutschland zu schützen und Recht und Gesetz wiederherzustellen; die „Zerstükkelung des großen Vaterlandes“ durch die Bundesakte; der Partikularismus und der Egoismus Österreichs als „Hemmniß zum Gedeihen nationaler Gestaltung“; die Revolution von 1848 und die nationale Einigungspolitik Preußens; die Vereitelung der preußischen Unionspolitik durch Österreich und die Wiederherstellung der „alten überlebten . . . Verhältnisse“; die Unzulänglichkeit des Bundes; die Notwendigkeit, die Übelstände zu beseitigen und den „Grundstein zu einem neuen, großen Bau“ zu legen.] 3 Anspielung auf die preußisch-österreichische Olmützer Punktation vom 29. 11. 1850, in der Preußen auf die Fortsetzung seiner kleindeutschen Unionspolitik verzichtete und sich zu Verhandlungen über eine Bundesreform bereiterklärte. Vgl. dazu QGDB III/1, S. XXII–XXVI. 4 Otto Theodor Freiherr von Manteuffel (1805–1882), preußischer Ministerpräsident und Außenminister 1850–1858; ADB, Bd. 20, S. 260–272; NDB, Bd. 16, S. 88–90. 5 Vgl. dazu QGDB III/2, S. XXVIII. 6 Carl Friedrich Wilhelm Jordan (1819–1904) war Schriftsteller und Politiker. 1848/49 war er Mitglied der Nationalversammlung, wo er mit einer Rede gegen die Schaffung eines polnischen Nationalstaats hervortrat. Als Ministerialrat in der Marineabteilung des Reichshandelsministeriums war Jordan seit November 1848 am Aufbau einer deutschen Reichsflotte beteiligt. Als die Bundesversammlung nach dem Ende der Revolution die Flotte auflöste, wurde Jordan am 1. April 1852 entlassen, allerdings gewährte ihm die Bundesversammlung im Jahr 1853 „wegen seiner besonderen Dienstleistungen“ eine Pension. Über deren Höhe und Dauer gab es wiederholte und langwierige Verhandlungen in der Bundesversammlung. 1854 wurde die Pension auf 166 Gulden und 40 Kreuzer monatlich für die Dauer eines Jahres festgesetzt, was die enorme Summe von 2000 Gulden jährlich ergab. Die Gewährung der Pension wurde in den folgenden Jahren immer wieder verlängert, was es Jordan ermöglichte, „sich bis zu seinem Lebensende nur seinen dichterischen Interessen zu widmen“; NDB, Bd. 10, S. 605; ProtDBV 1853, S. 323 f., 777 f., 863–867; ProtDBV 1854, S. 445 f., ProtDBV 1856, S. 422 f.
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Während die Bundesakte, ohne nach dem Bedürfniß der Nation zu fragen, auf das Willkürlichste von oben herab oktroyirt wurde, und die Reichsverfassung von 1849, als sie zu Stande gekommen war, schon den Boden unter ihren Füßen verloren hatte, ist das einzig Richtige auf dem Grund und Boden des heutigen Rechtszustandes ohne Leidenschaft und Ueberstürzung, mit Weisheit und fester Entschlossenheit, ein Werk organischen Lebens aufzuführen, daß es daure, und sich aus sich selbst heraus vollende. Durch die Ereignisse dieses Jahres ist als erstes Bedürfniß die Einigung des militärischen Befehles erkannt worden, der ja zu einer erfolgreichen Kraftentfaltung ebenso nöthig ist, wie die physische Kraft selbst, und man wünscht denselben in der Hand des Preußischen Herrschers vereinigt zu sehen. Mit einer vorübergehenden Uebertragung ist hier nichts gemacht, sondern dauernd muß ihm dies Recht zustehen, damit dauernde Zustände begründet werden können. Dem aber, der über Krieg und Frieden entscheidet, gebührt auch der diplomatische Verkehr nach Außen, so zwar, daß alle Sonderpolitik der einzelnen Staaten aufhört, und Deutschland als eine Macht, geschlossen, dasteht. Die Anstellung von Gesandten und Consuln, und deren Besoldung ist nur möglich, wenn eine Centralbehörde da ist, also eine executive Verwaltungsmacht. Diese kann nach unsern heutigen Rechtsbegriffen nicht errichtet werden, ohne Zustimmung des Volkes in seiner gesetzlichen Vertretung, und wir gelangen so zur Forderung eines aus zwei Kammern bestehenden Reichstages, in dessen erstem Hause die Regierungen der Einzelstaaten, in dessen zweitem Hause aber das Volk als Ganzes seine Vertretung findet. Die Thätigkeit dieser Staatsgewalten ist nicht ohne gehörig geordnete, urkundliche Grundlage auf die Dauer zu denken, und wir kommen so zur Reichsverfassung, deren Aufgabe es ist, die Einigung im Innern und die Beseitigung der vielerlei mißliebigen Schranken nach und nach zu vollbringen; ob sie sich dann der von 1849 nähere oder gleichkomme, ist ohne Bedeutung, jedenfalls ist in dieser eine, nicht hoch genug zu schätzende, Grundlage für künftige Arbeiten gegeben. Ob dann der einstige Oberleiter des Reiches mit dem Titel „Kaiser“ geschmückt wird, thut zur Sache nichts, und hat nur insofern Werth, als unser Volk in einem Kaiser mehr sieht, als in einem Reichsvorstande, und somit möglicherweise wohl ein engeres Verhältniß erzielt werden könnte. Jedenfalls ist diese Aeußerlichkeit untergeordnet, um sich jetzt schon für eine bestimmte Ansicht zu entscheiden. Ein Mißbehagen wird aber den Vaterlandsfreund beschleichen, wenn er sich nun fragt, woraus denn dies neue Deutsche Reich bestehen solle? Es wäre schön und erhebend, wenn es das ganze Volk umfassen könnte, so weit die Deutsche Zunge geht; allein wie ist das möglich? Unübersteigbare Hindernisse drohten, bei der Durchführung dieser Absicht, das kaum begonnene Werk, vielleicht für immer, scheitern zu machen, und man muß sich nach an-
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deren Gesichtspunkten umschauen. Eine unbedingte Aufnahme müßten alle jetzigen Bundesländer, mit Ausschluß der österreichischen, finden, dagegen die Deutschen Lande Preußens, welche jetzt nicht zum Bunde zählen, dem Reiche zugethan werden. Die Deutsche Schweiz, Elsaß, Lothringen und Schleswig, ganz abgesehen von den Deutschen Ostseeprovinzen Rußlands, liegen wohl zunächst außer dem Kreise unserer Betrachtungen. Ob es nun gleich schmerzlich ist, einen Theil seines eigenen Volkes von dem politischen Staatskörper auszuschließen, so geht es doch nicht anders: Oesterreichs Interessen und Deutsche Einheit sind unverträgliche Gegensätze, und es ist besser ein krankes Glied abzuhauen, und sich desselben zu entledigen, ehe denn der ganze Körper verfaule. In den ersten Blättern dieser, und des Verfassers früherer, Schrift: „Oesterreich keine ,Deutsche‘ Großmacht“7, ist genügend von dem Verhältnisse beider Länder, wie es sich durch innere Gründe und in der Geschichte darstellt, gesprochen, und wenn selbst eine unbedingte Trennung von der österreichischen Regierung jetzt gefordert wird, so bleibt die Hoffnung nicht auszuschließen, einst eine Wiedervereinigung der Deutschen Kronländer mit dem Reiche sich doch noch vollenden zu sehen, denn wir hoffen, daß endlich das Wiener Cabinet von seiner völkerverderblichen Politik umkehren werde zu einer besseren Staatsweisheit. Wie nöthig aber eine enge und feste Einigung dessen in Deutschland, was zu einigen ist, in der That und den Bedürfnissen begründet ist, liegt außer allem Zweifel. Alle Nachbarstaaten haben von je an unserm Lande gezupft, und es für ihre Zwecke auszubeuten gesucht. Möchten doch die Deutschen Fürsten der Pflicht gegen ihr Volk ganz eingedenk sein, und in der schweren Stunde der Gefahr sich dauernd und unverbrüchlich einigen, indem sie bedenken, daß kein Deutscher Fürst größeren Ruhm und mehr Dank erwerben kann, als daß er sein Volk, durch Entäußerung eines kleinen Theils seiner eigenen Rechte, auf die Stufe fördern hilft, welche ihm nach seiner Kraft und Geschichte gebührt. [Aufruf zur deutschen Einigung.]
7 Oesterreich keine „Deutsche“ Großmacht! Aufgrund unumstößlicher Thatsachen erwiesen. Berlin. Verlag von Ferdinand Riegel 1859. 31 Seiten; siehe Rosenberg, Nationalpolitische Publizistik, Bd. 1, Nr. 113.
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Artikel über die Anbahnung einer Bundesreform durch Preußen
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2. Artikel in der Vossischen Zeitung11 über die Anbahnung einer Bundesreform durch Preußen Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen Nr. 124 v. 29. Mai 1859, S. 1 f.
Die bestehende Bundesverfassung ist mangelhaft und teilweise unausführbar. Es muß eine Umgestaltung der Bundesverfassung angebahnt werden. Der Bund muß Preußen die militärische Oberleitung übertragen. Preußen hat den Beruf, für die Entwicklung verfassungsmäßiger Zustände in Deutschland Sorge zu tragen, Preußen muß das Mißtrauen der kleinen Regierungen überwinden und deutlich machen, daß es mit seinen eigenen Interessen zugleich die Interessen der deutschen Nation vertritt.
Berlin, 29. Mai 1859 Es ist eine unleugbare Thatsache, daß die bestehende Bundesverfassung in vieler Beziehung mangelhaft ist. Aber dies nicht allein. Ihre Anwendung erscheint in einzelnen Fällen geradezu den bestehenden Verhältnissen gegenüber unausführbar und eher dazu geeignet, den wahren Zweck des Bundes zu vereiteln, als ihm förderlich zu sein. Diese Entdeckung ist nicht neu. Von deutschen Staatsmännern und deutschen Regierungen selbst, und zwar lange vor dem Jahre 1848 wurde das anerkannt und ausgesprochen. Man kennt die Versuche, die Anstrengungen welche das deutsche Volk sowie einzelne Regierungen machten, eine Umbildung des Bundes herbeizuführen, – Bestrebungen die an Schwäche, Haltungslosigkeit, Mangel an Einsicht und festem Willen, sowie an wohlberechneten Gegenbestrebungen fruchtlos scheiterten. Wenn man nun gegenwärtig, in der Zeit einer europäischen Krisis2, die Deutschland bereits in Mitleidenschaft gezogen hat und drückend auf uns lastet, auf jene früheren Versuche zur Umgestaltung des Bundes mit Wünschen und Vorschlägen der verschiedensten Art zurückkommt, so ist das nicht eben zu verwundern. Eben so erklärlich ist es, daß solche Wünsche sich an Preußen anlehnen, um so erklärlicher, als gerade bestimmte Bundesverfassungsformen sich in ihren Folgerungen als unvereinbar mit Preußens Stellung in Deutschland und Preußens Beruf für dasselbe erwiesen haben.
1 Die „Vossische Zeitung“ war benannt nach ihrem langjährigen Herausgeber Christian Friedrich Voß (1724–1795). Das 1704 gegründete Blatt erschien bis 1934. Der offizielle Name lautete seit 1785 „Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen“. Mitte des 19. Jahrhunderts war das Blatt die führende Tageszeitung in Berlin; Bender, Die Vossische Zeitung. 2 Gemeint ist der Italienische Krieg zwischen Österreich auf der einen und Sardinien und Frankreich auf der anderen Seite, der am 26. April 1859 begonnen hatte. Vgl. dazu Baumgart, Europäisches Konzert, S. 352–363.
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Was aber kann Preußen gegenwärtig thun, um dem Verlangen nach Deutschland’s Einheit Genüge zu thun, um in der That eine Umgestaltung der Bundesverfassung anzubahnen? Wie die Verhältnisse liegen, handelt es sich vorerst um eine kräftige einheitliche Haltung dem Auslande gegenüber, um eine selbstständige, feste, deutsche Politik. Diese ist nur auf dem Wege einer Verständigung Preußens mit den übrigen deutschen Regierungen zu erreichen, durch eine Verständigung, welche wesentlich darauf gehen muß, die militärische Oberleitung des Bundes Preußen zu übertragen, – Einheit des Oberbefehls giebt Einheit der Macht. Wenn, wie zu erwarten, sich demnächst einige Staaten an Preußen in dieser Hinsicht fest anschließen, so muß der Anschluß der übrigen erfolgen, wenn sie nicht hülflos vereinzelt bleiben wollen, oder es vorziehen sich Oesterreich unterzuordnen. Letzteres wird wegen der politischen Zustände in Oesterreich schwerlich angehen, – aber auch diesen schlimmsten Fall angenommen, – immer besser Zweiheit als Vielköpfigkeit ohne Halt und Kraft. Was hiermit demnächst zusammenhängt, ist die diplomatische Vertretung Deutschlands im Auslande. Es wäre die nächste Folge einer einheitlichen militärischen Stellung, derselben einen verständigen Ausdruck an den fremden Höfen durch Gesandte zu geben, die in Wahrheit Deutschland zu vertreten hätten. In welcher Weise solche Vertretung einzurichten, hängt von der Vereinbarung am Bunde ab. Wir haben seiner Zeit die Gesandten der Frankfurter Nationalversammlung die traurigste Rolle spielen sehen, – weil sie Nichts zu vertreten hatten und wußten – ein deutscher Gesandter aber, der Preußen und die übrigen deutschen Staaten hinter sich hätte, würde etwas mehr Achtung einflößen als die jetzigen Einzelgesandten zusammengenommen. Eine Schwierigkeit entstände vielleicht durch die Doppelstellung Oesterreichs und Preußens, – aber diese Stellung muß überhaupt einmal in Bezug auf Deutschland ihrer Zweideutigkeit enthoben werden, – Preußen ist deutsch, Preußen ist hier der Vertreter deutscher Macht und Bildung, politischer und religiöser Freiheit, – ihm mögen sich die Staaten anschließen, welche seinen deutschen Grundsätzen zustimmen. Wir haben hier wieder Zweiheit – aber auch das ist besser als die Zerfahrenheit der Gegenwart. Endlich hat Preußen am Bunde sehr wohl die Möglichkeit, dem Berufe zu genügen für die Entwicklung Deutschlands durch Förderung verfassungsmäßiger Zustände Sorge zu tragen. Was Herr v. Manteuffel in Betreff Hannovers und Kurhessens verfehlt, – das kann wieder gut gemacht werden.3 Wenn Preu3 In Hannover und Kurhessen waren in den 1850er Jahren die Verfassungen im konservativen Sinne revidiert worden. Die Bundesversammlung beteiligte sich daran durch Bundesbeschlüsse und -interventionen. In Kurhessen wurde die liberale Verfassung von 1831 am 13. April 1852 aufgehoben und durch eine oktroyierte Verfassung ersetzt. In Hannover wurde die Verfassung
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ßen zunächst und mit einsichtigem Willen eintritt für die verfassungsmäßigen Rechte deutscher Stämme, so thut es, was Recht und Sittlichkeit ihm gebieten, und es ist dazu um so mehr berechtigt, als seine eigenen staatlichen Verhältnisse eben auf diesen Grundsäulen aller gesunden Entwicklung beruhen. Wenn Louis Napoleon für italienische Freiheit auftritt, so ist das lächerlich und ohne jede Berechtigung, – Preußen ist auch in dieser Beziehung von Frankreich das gerade Gegentheil. Allerdings ist bei allem dem Eins nicht zu übersehen oder zu mißkennen. Die Manteuffel’sche Regierung hat in Deutschland ein Mißtrauen gegen Preußens Stärke, Einsicht und Zuverlässigkeit hervorgerufen, welches zum Theil noch besteht und der gegenwärtigen Regierung den Weg sehr schwierig macht. Kleine Regierungen erlauben sich auf Grund früherer Vorgänge allerhand wenig ersprießliche Gegenbewegungen gegen Preußen, während ein Theil des deutschen Volkes immer noch die Gespenster preußischer Reaktion nicht vergessen kann. Dies Mißtrauen aber wie jene Gegnerschaft, sie würden vor einem kräftigen und einsichtsvollen Auftreten Preußens zurücktreten. Deutschland wird sich leicht überzeugen, daß Preußen, indem es sich an der Spitze Deutschland’s dem Auslande gegenüber stellt, in Deutschland aber eintritt für verbürgtes Recht, für politische und religiöse Freiheit, mit seinen eigenen Interessen zugleich die eigensten Interessen der deutschen Nation vertritt; Deutschland würde einer auf diese Weise angebahnte[n] Bundesreform, einer Umgestaltung die auf Grund freier Vereinbarung und gesetzlicher Bestimmungen geschehen würde, freudig und allseitig seine Zustimmung geben. Damit wären zugleich die ersten thatsächlichen Bürgschaften und Grundlagen für eine weitere Umbildung des Bundes gewonnen. Auch Oesterreich würde dabei nicht zu kurz kommen, – doch die Verhältnisse gehen nicht so schnell als der Gedanke, und wir werden doch hinlänglich Zeit haben, auf die nähere Erörterung dieser Ansichten einzugehen.
von 1848 im April 1855 durch einen Bundesbeschluß in Teilen für „bundeswidrig“ erklärt, worauf die Regierung am 1. August 1855 die vormärzliche Verfassung von 1840 wieder herstellte. Die Kritik an Manteuffel in der Vossischen Zeitung bezieht sich auf die Haltung der preußischen Regierung, die seit 1850/51 im Einklang mit der reaktionären Bundespolitik die Beseitigung liberaler Konstitutionen oder konstitutioneller Bestimmungen in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten mittrug. Zu Kurhessen und Hannover siehe Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 538 f., 908–915, 926–933; Bd. 3, S. 210–220; Nathusius, Kurfürst, Regierung und Landtag; Seier (Hrsg.), Akten und Dokumente; Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus, S. 196–213; Wöltge, Reaktion im Königreich Hannover; zur hannoverschen Verfassungsrevision siehe die Dokumente 56 und 57 in: QGDB III/2, S. 251–255.
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3. Eisendecher11 an Großherzog Peter II. von Oldenburg22 StA Oldenburg, Bestand 38, Nr. 51. Schreiben. Eigenhändige Ausfertigung.
Die politische Lage ist verworren, und es gibt für Deutschland keine Heilung. Österreich kann die deutschen Wünsche nicht erfüllen. Es bleibt für den Deutschen Bund nur die Aussicht, auf Preußen zu warten. Man kann Preußen aber nicht durch Majoritätsbeschlüsse in der Bundesversammlung binden. Die Trias der Klein- und Mittelstaaten wäre das größere Übel, sie wäre nichts anderes als ein „Rheinbund“ und damit das „finis Germaniae“. Das ganze außerösterreichische Deutschland muß dem Prinzregenten von Preußen die diplomatische und militärische Führung der deutschen Angelegenheiten überlassen. Von der Bundesversammlung ist nichts mehr zu erwarten.
Frankfurt am Main, 23. Juni 1859 Durchlauchtigster Großherzog, gnädigster Herr! Es ist eine längere Zeit verflossen, ohne daß ich das erfreuliche Vorrecht benutzt habe, gegen Ew. Königliche Hoheit mein Gemüth unmittelbar auszusprechen, obschon ich mich oft genug dazu gedrängt fühlte. Mein letztes unterthänigstes Schreiben vom 18. April d. J. hat sich mit Höchstihrer gnädigen Mittheilung aus Hannover von demselben Datum gekreuzt. Ich habe meinen ehrerbietigen Dank für die letztere, die mich damals besonders interessirte noch ausdrücklich nachzubringen. Seit dieser ganzen Zeit hat man hier gleichsam vor der Schwelle großer Entscheidungen gestanden, jeden Augenblick etwas Faßbares erwartend, und ist doch stets getäuscht worden. Im Grunde stehen wir hier noch immer auf derselben Stelle, nur unter mehr und mehr umzogenen Wolkenhimmel, und ich wüßte auch heute, nachdem der neue Präsidialgesandte3 nun endlich zur Stelle ist, Ew. Königlichen Hoheit eigentlich nichts zu melden, was des Lesens werth wäre. Das Gewirre der Meinungen, Behauptungen und Ansprüche von den verschiedenen Seiten her ist hier so groß, daß irgend eine feste Richtung darin nicht zu entdecken ist, der man die deutschen Geschicke mit einigem Vertrauen hingeben könnte. Das ist sehr zu beklagen, aber es ist so. Und wenn auch eine gewisse Strömung an der Oberfläche vorzuherrschen scheint, so gehen die darunter treibenden Motive doch immer so wesentlich auseinander, daß jene Strömung voraussichtlich auf keine lange Dauer vorhalten würde. Es 1 Wilhelm von Eisendecher (1803–1880), Bundestagsgesandter der 15. Kurie (Oldenburg, Anhalt, Schwarzburg) von 1851 bis 1866; NDB, Bd. 7, S. 719. 2 Nikolaus Friedrich Peter II., Großherzog von Oldenburg (1827–1900), regierte von 1853 bis 1900; NDB, Bd. 20, S. 224 f. 3 Alois Freiherr Kübeck von Kübau (1818–1873), Bundespräsidialgesandter vom 20. Juni 1859 bis 24. August 1866; NDB, Bd. 13, S. 169.
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Eisendecher an Großherzog Peter II. von Oldenburg
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sind dies recht unglückliche Thatsachen, die nun einmal nicht wegzuleugnen sind; unser altes Erbtheil deutscher Vielsinnigkeit, das wir leider bei allen Gelegenheiten, im Glück wie im Unglück, mit in die Rechnung aufnehmen müssen. Überredungskünste und Agitationen helfen dagegen nicht; das Übel liegt in der Grundanlage der Dinge und ist stärker als die politischen Wünsche des Augenblicks, seien diese auch noch so vernünftig. Ob dieses größte Hinderniß des deutschen Gesammtgedeihens durch eine längere Schule des Unglücks etwa noch beseitigt oder doch gebändigt werden kann – wer mag es behaupten oder verneinen? Die Schule müßte jedenfalls fürchterlicher als je zuvor sein, wenn sie gründlich helfen sollte, und – kann man das wünschen? Ich besorge deshalb auch, daß wir aus dem gegenwärtigen Processe nicht zum Bessern hervorgehen werden, mag es kommen wie es will. Wir haben keine Heilung in Deutschland! – Und, aufrichtig gestanden, wem sollte, wem könnte man mit Vertrauen folgen?! Doch gewiß nur derjenigen deutschen Macht, die ein selbsteigenes Interesse dabei hat, die größtmögliche Summe unserer vernünftigen Bedürfnisse und Wünsche befriedigen zu helfen. Daß der österreichische Kaiserstaat diese Macht nicht sein kann, nicht sein will und wird, ist klar genug durch alle Geschichte, und die neueste zumal, bewiesen und seine und seiner Anhänger Betheuerungen vom Gegentheil können höchstens für momentane Nothbehelfe gelten, die, nach erreichtem gelegentlichen Zwecke, unfehlbar jedesmal in die bekannte „glänzende Undankbarkeit“ ausschlagen würden. Und wo wäre der Mann, oder auch nur die Partei in Österreich ersichtlich, der oder die eines Bessern überzeugen und einer aufgeregten Zeit imponiren könnte? Die Männer, welche nach wie vor an die Spitze gestellt werden, sind ein Armutszeugniß, entweder für ihre Wahl oder für die Menschen. Kann man es Preussen verdenken, daß es Anstand nimmt sich solidarisch an die Fersen dieses Österreichs zu hängen? Und wäre es möglich gewesen, diese Solidarität so zu präcisiren, daß es nicht Gefahr lief, durch Österreich sofort in Bahnen gerissen zu werden, welchen Preussen nur zu seinem und Deutschlands Schaden folgen könnte? Man sagt zwar, und ich glaube es selbst, Preussen hätte gleich zu Anfang des österreichisch-französischen Zerwürfnisses eine entschiedenere Parteinahme für das formelle Recht an den Tag legen sollen. Vielleicht wäre dann der jetzige Conflict nicht zum Ausbruch gekommen. Aber auch und vielleicht. Denn L. N.4 kannte die wesentlichen Bedenken allzuwohl, welche Preussen abhalten mußten in eine wirklich solidarische Action für Österreich einzutreten. Man mag den jetzigen Kaiser der Fr. beurtheilen wie man will, ein „Staatsmann“ im großen Styl, wenn auch nach dem Herzen Macchiavells, ist er jedenfalls, und er würde sich wahrscheinlich nicht lange haben irre machen 4 Louis Napoleon, der Kaiser der Franzosen.
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lassen, zumal er gerade an dem Grafen Cavour einen mindestens ebenbürtigen Helfer und Kampfgenossen fand. Unter diesen ungünstigen Verhältnissen blieb und bleibt für den deutschen Bund keine andere Aussicht, als auf Preussen zu warten. Preussen ist aber specifisch zu schwer, um sich von den übrigen deutschen Staaten schieben zu lassen. Es muß aus eigener Selbstbestimmung handeln und kann dabei, nach der Natur der Dinge, auf Deutschland als solches nur diejenigen Rücksichten nehmen, die den zweifellosen Bundesbestimmungen und seinen eigenen Interessen entsprechen. Es durch formelle Majoritätsbeschlüsse der B.V. in seiner Action als europäische Großmacht binden zu wollen, muß man sich aber nicht einfallen lassen. Hier klafft allerdings die Bundesverfassung; allein man wußte das von Anfang an und hat sich immer bemüht mit Manier darüber hinwegzukommen. Man hat immer zwischen den Zeilen lesen müssen und hat es auch oft genug gethan. Nun ist es freilich eine eigne Sache, sich der Politik Preussens anschließen zu sollen, einer Politik, die man noch nicht kennt und von der man bis dahin so wenig zu sehen bekommen hat, daß man sie auch nicht einmal annähernd berechnen kann. Dennoch, meine ich, bleibt keine andere Wahl. – Oder sollten die mittlern und kleinen Bundesstaaten eine europäische Stellung für sich nehmen und, abgesehen von Preussen, sich der österreich. Politik anschließen? Manchem scheint das leicht; aber ich würde es für das größere Übel halten, als unbedingt zu Preussen zu stehen. Es würde jenes auf die „Trias“ hinauslaufen, und die Trias wäre, meines Erachtens nichts anderes als der eventuelle „Rheinbund“, vielleicht in etwas veränderter Fassung, immer also ein „finis Germaniae“. Auf diesem Wege wäre daher für Niemand Heil zu finden. Es scheint deshalb, nach meiner geringen Einsicht, nur möglich es mit Preussen in der Art zu versuchen, daß das ganze außerösterreichische Deutschland sich entschlossen einigte, dem Prinzen-Regenten von Preussen die diplomatische und militärische Führung der deutschen Angelegenheiten während der gegenwärtigen Verwicklung unter thunlichster Berücksichtigung der B.Verfassung, ihrerseits einheitlich zu überlassen. Daß Preussen zunächst noch an der Wiederherstellung des Friedens arbeitet, ist sehr wahrscheinlich. Der Erfolg ist freilich zweifelhaft, zumal er wesentlich dadurch bedingt sein möchte, daß Preussen sofort schon wirklich im Namen des gesammten außerösterreichischen Deutschlands auftreten und handeln könne, indem wohl nur dann Europa darauf hören würde. Von einem bloßen „Losschlagen“ ohne diese Grundbedingung wäre, m. g. E.5, für Deutschland am wenigsten etwas Gutes zu erwarten. 5 Abkürzung für: meines geringen Erachtens.
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Ew. Königliche Hoheit kennen wahrscheinlich schon die neue preussische Circular-Depesche, von der die Zeitungen Meldung thun6; ich habe sie hier noch nicht zu Gesicht bekommen. Die Dinge haben in der That ein böses Ansehen. Es scheint nicht, daß Österreich irgend welche Nachgiebigkeit zeigen wolle. Ich habe gestern die nähere Bekanntschaft des H. v. Kübeck gemacht. Er meint zwar, die politischen Zustände Europa’s seien zu keiner Zeit in so großer Verwirrung gewesen als eben jetzt; dennoch scheint er für Österreich ziemlich guten Muthes und verläßt sich namentlich auf die nunmehrige, angeblich unerschütterliche Defensiv- und Offensiv-Stellung hinter der vielberühmten Hochburg Mantua-Verona pp. Er sieht übrigens in Österreich nur den Vertreter des Rechts, der Ehre und der Wahrheit, in Allem was nicht unbedingt mit ihm geht, das gerade Gegentheil; er räumt nicht das Geringste dagegen ein, nicht einmal, daß in der Herrschaft Österreichs über Italien eigenthümliche Schwierigkeiten lägen, indem diese sämmtlich nur künstlich hervorgerufen und genährt würden. So viel er sich bis jetzt äußert, scheint er die Überzeugung zu hegen, Preussen werde jetzt sofort zur Action für Österreich übergehen, der deutsche Bund werde entschlossen folgen und für beide werde dies der einzige Weg sein, dem, Deutschland und Preussen sonst unvermeidlich bevorstehenden Verderben zu entgehen. Diese exclusive Einseitigkeit hat mich doch gewundert, und ich kann daraus keinen günstigen Schluß auf die zu erwartende Wirksamkeit des neuen Präsidialgesandten ziehen. Er wirft den Gegnern lauter Falschheit und Lüge vor und nimmt für Alles was von Österreich ausgeht vollen Glauben in Anspruch. Dieser Glaube wird aber allmälig selbst dort wankend, wo er bisher als Bekenntniß galt; so soll man z. B. in Bayern mit Erstaunen zu der Einsicht gelangt sein, daß das unlängst so feierlich angemeldete Österreichische Bundescontingent, welches die Bundesforderung „an Streitbaren um beiläufig 32 000 Mann an Infanterie und technischen Truppen, dann um 4000 Mann Cavallerie und um 150 Feldgeschütze überschreiten“ sollte (conf. Sep. Prot. der 20. Sitz. § 1.7), schon längst nach Italien gezogen, also für den Bund gar nicht mehr vorhanden, ja gar nicht einmal dafür bestimmt gewesen sei. – – Nur wo findet sich der Ersatz? H. v. Kübeck macht übrigens einen nicht unangenehmen Eindruck. Er ist noch verhältnißmäßig jung – er mag eben 40 sein – und wird als einsichtig 6 Zirkulardepesche von Schleinitz an alle preußischen Missionen, Berlin, 19. Juni 1959, in: Die auswärtige Politik Preußens, Abt. 1, Bd. 1, Nr. 455, S. 686 f.; Schleinitz legte in dieser Depesche die Grundlagen der preußischen Politik in der europäischen Krise dar. Einerseits, so heißt es, müsse Preußen seine eigenen und die deutschen Sicherheitsinteressen wahren, wenn sich der Krieg den deutschen Grenzen nähern sollte. Andererseits werde Preußen auf eine friedliche Beilegung der Krise hinwirken, die die Sicherheit und den Wohlstand aller Völker bedrohe. 7 In der Bundestagssitzung vom 3. Juni 1859 hatte der österreichische Bundespräsidialgesandte eine entsprechende Mitteilung über die Bereitstellung des österreichischen Truppenkontingents gemacht; vgl. ProtDBV 1859, Separatprotokoll der 20. Sitzung, S. 402a.
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und tüchtig gerühmt; sein Wesen widerspricht dem auch nicht und ich möchte ihm besonders Energie wohl zutrauen. Daß die hiesigen geschäftlichen Zustände in dieser Zeit unbefriedigender sind als jemals, das werden Ew. Königliche Hoheit ohne meine Versicherung sich denken können. Es wird und kann hier etwas Ersprießliches für das Allgemeine nicht mehr geschehen. Alles wird, soweit überhaupt etwas fertig wird, auswärts fertig gemacht. Mit einem Worte die facies Hippocratica8 der Bundesversammlung ist nicht mehr zu verkennen. Im Ganzen herrscht unter den Gesandten eine gewisse resignirende Gelassenheit über das Schicksal des Bundestags. Das hindert indessen nicht, daß die bittersten Beargwöhnungen und Anschuldigungen gegen die einzelnen Staaten gegenseitig gehegt werden und auch gelegentlich verlautbaren. Am übelsten ergeht es natürlich Preussen und den Preussischen Gesandten von Seiten der Mittelstaaten, welche sich gebärden als sollten sie über Nacht erwürgt und verschlungen werden. Es ist der alte Vorwurf, daß Preussen nichts thun will für die Genesung der Patientin, d. h. der Bundesversammlung, die ein betrübtes Pendant zu dem bekannten „kranken Manne“9 abgibt; man findet nun sogar in der Mission des H. v. Usedom eine ominöse oder ironische Bewährung jenes Vorwurfs und bezeichnet deshalb in Erinnerung an seine damalige kurze Thätigkeit H. v. Usedom10 als den „Todtengräber“ der B.Versammlung. Es ist allerdings recht wohl möglich, daß er, wie 1848, dies Geschäft auch im Jahre 1859 wieder zu besorgen haben wird; selbst der kommende 12. Juli könnte dazu noch eingehalten werden11. Indessen Scherz bei Seite, daß etwas Anderes kommen muß, ist gewiß. Aber was? – Wahrscheinlich wird der Stoß der Ereignisse wenig Zeit zur Wahl gewähren. Gleichsam „in der Luft“ ist ein Zusammentritt von besondern Bevollmächtigten unter Preussens Ägide. – Damit würde aber vermutlich Österreich wenig zufrieden sein, es jedoch vielleicht nicht wohl verhindern können und sich äußersten Falles auf den Vorbehalt oder die Drohung beschränken, fortan lediglich seinen eigenen Interessen zu folgen pp. – Diese Eventualität 8 Ängstlicher, verfallener Gesichtsausdruck bei Sterbenden; vgl. Duden. Das Fremdwörterbuch. 5. Aufl. Mannheim/Wien/Zürich 1990. 9 Anspielung auf das Osmanische Reich, das wegen seiner inneren und äußeren Schwäche als „der kranke Mann am Bosporus“ bezeichnet wurde. Der Ausdruck geht angeblich zurück auf Zar Nikolaus I. (1796–1855). 10 Karl Georg Ludwig Guido Graf von Usedom (1805–1884) war bereits 1848 preußischer Bundestagsgesandter gewesen, als die Bundesversammlung am 12. Juli ihre Tätigkeit einstellte. Am 3. März 1859 war Usedom als Nachfolger Bismarcks in die Bundesversammlung eingetreten, wo er die preußischen Interessen bis zum 18. Dezember 1862 vertrat; ADB, Bd. 39, S. 375–377; Grypa, Der Diplomatische Dienst des Königreichs Preußen, S. 445. 11 Anspielung auf den 12. Juli 1848, als die Bundesversammlung „ihre bisherige Tätigkeit“ für beendet erklärte und ihre Befugnisse auf den von der Paulskirche gewählten Reichsverweser übertrug; ProtDBV 1848, S. 756.
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schreckt schon jetzt Viele und sie sehen sich bereits dem übermüthigen Frankreich allein gegenüber. Vorläufig ist freilich mit allen solchen Conjecturen nichts genützt, da es absolut unmöglich ist, den kommenden Tag vorauszusehen, und ich muß Ew. Königliche Hoheit wirklich um Verzeihung bitten, daß ich so viel unnöthige Worte mache. Das Allerschlimmste ist dabei aber noch nicht einmal gesagt: daß wir nämlich nichts weniger als eine sichere Rechtsbasis haben, auf welcher man sich so zu sagen „todtschlagen“ lassen könnte. Denn die Bundesund andern Grundverträge sind keineswegs von der erforderlichen klaren Bündigkeit und Vortrefflichkeit, haben sich vielmehr bei jeder Probe als ein sehr nachgiebiges Fundament erwiesen. Es ist rein unmöglich sich für die deutsche Bundesverfassung zu „begeistern“. [Die Verhältnisse in Europa; der gesellige Verkehr mit anderen Gesandten in Frankfurt; oldenburgische Angelegenheiten; private Verhältnisse.]
W. von Eisendecher
4. Bülow 11 an Oertzen22 LHA Schwerin, MdaA, Nr. 68. Bericht. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 19. Juli 1859.
Heftige Kritik an der preußischen inneren und äußeren Politik seit 1848. Preußen will die Tätigkeit des Bundes auf das geringste Maß beschränken. Der Antrag auf Unterstellung der Bundesarmee unter preußischen Oberbefehl ist mit den Bundesgesetzen unvereinbar. Die preußische Regierung strebt die politische und militärische Unterordnung Deutschlands unter Preußen an. Der Bund kann kein Interesse haben, die Hegemonialpolitik Preußens zu unterstützen. Der Ausgang des Krieges in Italien hat das Ansehen und den Einfluß Preußens in Deutschland sehr geschwächt. Die deutschen Regierungen müssen Preußen klarmachen, daß es nur im Verbund mit Deutschland und Österreich seine Stellung als europäische Großmacht behaupten kann. Bülow fürchtet, daß nach dem Friedensschluß zwischen Frankreich und Österreich der innere Kampf in Deutschland mehr denn je beginnen wird.
Frankfurt am Main, 15. Juli3 1859 Ich habe meinen gestrigen gehorsamsten Bericht mit der Bemerkung geschlossen, daß der Eindruck welchen die Kenntnißnahme der preußischen Cir1 Bernhard Friedrich Ferdinand Karl von Bülow (1820–1864), von 1858 bis 1864 Bundestagsgesandter für Mecklenburg; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 267. 2 Jasper Joachim Bernhard Wilhelm von Oertzen auf Leppin (1801–1874), 1858–1869 Staatsminister von Mecklenburg-Schwerin; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 266. 3 In der Vorlage irrtümlich: Juni.
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culardepesche vom 6. d.4 und des denselben Gegenstand betreffenden Artikels der preußischen Zeitung in den hiesigen bundestäglichen Kreisen gemacht hat ein der preußischen Regierung sehr ungünstiger gewesen ist. Obwohl nach dem Abschluß des Friedens zu Villafranca5 weder von einer Mediation Preußens, noch von einer militairischen Aktion dieses Staates in Gemeinschaft mit dem übrigen Deutschland (für die nächste Zeit) mehr die Rede seyn wird und obwohl demnach die bezüglichen Anträge Preußens wie Oesterreichs in sich zerfallen, so ist doch der Inhalt der vorgedachten Aktenstücke mehrfach ein solcher, daß denselben eine hohe dauernde Bedeutung nicht abgesprochen werden kann, daß sie den Anlaß zu bieten geeignet sind um einen Blick in die Vergangenheit, wie in die Zukunft zu werfen. In meinem gehorsamsten Bericht vom 4. d. habe ich nicht verfehlt, meine Bedenken gegen die preußischen Anträge auszusprechen, indessen wie ich mich damals auf Hervorhebung einzelner prägnanter Punkte beschränken mußte, so habe ich mich doch der Hoffnung hingegeben, daß die Preußische Regierung in ihren weiteren Erläuterungen bemüht sein würde, diejenigen Widersprüche zu lösen, welche in den Anträgen gegenüber dem Bundesrechte zu liegen schienen. Die Circulardepesche vom 6. d. hat jener Erwartung nicht nur nicht entsprochen, sondern diese Widersprüche noch schroffer hervortreten machen. Preußen fordert hiernach einen Anschluß der deutschen Bundestruppen an die preußische Armee, eine Unterordnung derselben unter den preußischen Oberbefehl, dasselbe fordert dieß vom Bunde, doch nicht auf Grund der demselben innewohnenden Principien, seiner organischen Gesetze, auch nicht 4 Schleinitz an die preußischen Missionen in Deutschland, Berlin, 6. Juli 1859, in: Die auswärtige Politik Preußens, Abt. 1, Bd. 1, Nr. 482, S. 735–738. Schleinitz erläutert in der Depesche die preußischen Motive und Absichten bei den Anträgen, die am 4. Juli 1859 in der Bundesversammlung im Hinblick auf die militärischen Maßnahmen angesichts des Italienischen Krieges gestellt wurden. Im einzelnen beantragte Preußen, das 9. und 10. Bundesarmeekorps unter den Oberbefehl Preußens zu stellen, die nach dem Bundesbeschluß vom 2. Juli 1859 aus dem 7. und 8. Bundesarmeekorps zu bildende Observationsarmee am Oberrhein ebenfalls unter preußischen Oberbefehl zu stellen und die Reservekontingente des 7.–10. Bundeskorps in Marschbereitschaft zu setzen. Damit wären alle Armeekontingente der Mittel- und Kleinstaaten unter preußischen Oberbefehl gekommen. Österreich reagierte auf den preußischen Vorstoß am 7. Juli mit einem eigenen Antrag, wonach alle Bundeskontingente mobilisiert und gemäß den entsprechenden Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung unter den Oberbefehl des Prinzregenten von Preußen gestellt werden sollten. Beide Anträge wurden zurückgezogen, nachdem am 11. Juli 1859 der Waffenstillstand von Villafranca geschlossen wurde. Vgl. ProtDBV 1859, Separatprotokoll der 25. Sitzung der Bundesversammlung vom 4. Juli 1859, S. 470a–470c; Angelow, Von Wien nach Königgrätz, S. 217–219. 5 Gemeint ist der Waffenstillstand von Villafranca vom 11. Juli 1859 zwischen Österreich und Frankreich. Österreich gab darin seinen Anspruch auf die Lombardei auf und stimmte einem italienischen Staatenbund zu. Dies wurde im Friedensvertrag zwischen Österreich, Sardinien und Frankreich vom 10. November 1859 bestätigt.
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unter Suspendirung oder Veränderung der letzteren, sondern es will, daß der Bund von diesen völlig absehe, sie ignorire, und eine andere Formel für den Oberbefehl adoptire, unbeschadet, daß diese den Bundesgesetzen entgegen ist. Was Preußen hiernach in seinen Anträgen fordert, ist seitens des Bundes unannehmbar, war nur durch eine direkte Verständigung mit den einzelnen deutschen Regierungen zu erreichen; ein Beschluß der Mehrheit der Bundesregierungen konnte demnach, auch wenn ein solcher zu Gunsten der preußischen Anträge zu Stande gekommen wäre, die Minderheit nicht binden und daß eine solche vorhanden gewesen sein würde, darüber darf man keine Zweifel hegen. Ich glaube die Ueberzeugung hegen zu dürfen, daß seit dem Bestehen des deutschen Bundes an das gemeinsame Organ kein Antrag seitens eines Bundesgliedes gelangte, welcher in so völligem Widerspruch mit der Grundlage des Bundes sich befand und den Bund demnach in die Alternative versetzte, den incorekten Antrag abzulehnen oder durch seine Annahme sich seinen inneren Halt, seine Grundlage zu benehmen. Die Königlich Preußische Regierung kann sich über diese Lage der Dinge bei Einbringung der Anträge nicht getäuscht haben, sie hat auch mit diesen nicht etwa blos den natürlichen Wunsch, sich den Oberbefehl der Bundes-Armee zugewendet und die zur militairischen Aktion nothwendige einheitliche Leitung gesichert zu sehen gehabt, – einen Wunsch, welcher durch Appellirung an das Vertrauen der deutschen Bundesgenossen leicht zu erzielen war – sondern dem Berliner Cabinet muß offenbar ein anderer weiter gehender Zweck vorgeschwebt haben, um dessentwillen es sich lohnte, den Bund in die vorgedachte Alternative zu versetzen und welcher derjenigen Richtung entsprach, die Preußen seit Jahren verfolgt, und der es zum ersten Mal in der Circulardepesche vom 6. d. einen zweifellosen Ausdruck gegeben hat. Blicken wir zurück auf den Zeitraum von den Befreiungskriegen bis zum Jahr 1848, so sehen wir Preußen mit schnellen Schritten in der gedeihlichsten Weise sich im Innern entwickeln, nach Außen hochgeachtet dastehen und selbst im europäischen Concert eine hervorragende Stellung einnehmen. Die deutschen Staaten erkannten in der staatlichen Entwickelung Preußens ein nachahmungswerthes Vorbild, schlossen sich ihm zum großen Theil auf dem Gebiet der materiellen Interessen im Zollverein an und beneideten dasselbe um seinen Reichthum an Intelligenz. Preußen war stets gerne bereit, die ihm an Größe nachstehenden deutschen Staaten zu unterstützen, ohne über die Gegenleistung derselben zu feilschen, dasselbe erkannte in der Erfüllung solcher Wünsche seinen Beruf und in dem ihm daraus erwachsenden moralischen Einfluß seinen Lohn. Was in Deutschland und am Bunde nicht geschah, wurde mit Recht nicht Preußen, sondern Oesterreich zum Vorwurf gemacht. In der europäischen Politik verlangte Preußen keine selbständige Rolle zu spielen, es
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handelte in Gemeinschaft mit Oesterreich und Rußland, war stark im Bunde mit diesen beiden Mitgliedern der Heiligen Allianz und fand seine besondere Bedeutung nicht selten darin, daß es diese Mächte vereinigte, wo die einander gegenüberstehenden Interesse[n] sie trennten. Das Jahr 1848 fand Preußen, wie Oesterreich schwach, jede Macht verfolgte ihren Weg, Preußen war die Gelegenheit geboten, sich mit dem übrigen Deutschland enger zu vereinigen, allein indem es zu viel forderte, verpaßte es den Moment und indem es später das freiwillig Gebotene erzwingen wollte, machte es mit seiner deutschen Politik völlig fiasco; mußte sich unter dem Druck Rußlands in Ollmütz mit Oesterreich verständigen und ihm in die Bundesversammlung folgen. Mit diesem Schritt war die Heilige Allianz im Herzen Preußens gebrochen. Was Preußen seiner eigenen unrichtigen Politik hätte schuld geben sollen, warf es seinen früheren Verbündeten im Herzen vor, es suchte nach einer anderen Politik, und sich dem Einfluß derselben zu entziehen und auf anderem Wege die Stellung wieder zu gewinnen, welche seit dem Jahre 1848 ihm als Ideal vorschwebte. So lange Se Majestät König Friedrich Wilhelm IV. das Regiment führte, war es den preußischen Staatsmännern nicht gestattet, den Abfall von der Heiligen Allianz zu proclamiren, sie wußten zu wohl, welchen Werth der Hohe Herr auf den Fortbestand derselben für Preußen setzte, sie mußten in der orientalischen Frage seinen richtigen Eingebungen Rechnung tragen, sie wirkten aber im Stillen auf dem entgegengesetzten Wege und erhöhten somit noch das Unheil durch die daraus nothwendig sich ergebende Inconsequenz und Schwankung der preußischen Politik, über welche man in den letzten 8 Jahren sich so oft zu wundern Gelegenheit gehabt hat. Aus diesem Zwiespalt der Ansichten zwischen dem Könige und den preußischen Staatsmännern vermogte sich keine klare Politik zu entwickeln, man suchte nach einer solchen, welche den Zwiespalt zu heben im Stande war, kam aber dadurch in den europäischen Fragen in ein stetes Schwanken, in eine Unklarheit, welcher man freilich den Namen der Politik der freien Hand beilegte. Welche traurige Rolle Preußen in allen größeren Angelegenheiten, so in der orientalischen Frage, in Bezug auf Neuchatel u.s.w. gespielt hat6, ist bekannt, 6 In der orientalischen Frage, also der Krimkriegskrise von 1853 bis 1856 hatte sich Preußen der Forderung Österreichs widersetzt, den Deutschen Bund politisch und militärisch gegen Rußland in Stellung zu bringen. – Im Konflikt um das zu Preußen gehörende Fürstentum Neuenburg in der Schweiz 1856/57 hatte Preußen seinerseits versucht, die Unterstützung des Bundes für Wahrung seiner Rechte zu erlangen, doch war die Bundesversammlung nicht bereit gewesen, sich an der militärischen Intervention Preußens zu beteiligen. Vgl. dazu QGDB III/2, S. XXXI– XXXIII, S. 262 f., Anm. 3, S. 315, Anm. 7. Der Vorwurf Bülows richtet sich darauf, daß Preußen in beiden Fällen eine partikulare Interessenpolitik betrieb und nicht die Interessen Deutschlands im Blick hatte.
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doch in seiner deutschen Politik war es nicht anders. Wie Preußens Staatsmänner Ollmütz Oesterreich und Rußland verargten, so verargten sie den deutschen Regierungen das Scheitern der Unionspolitik; wie dieselben ohne das Zusammenhalten mit jenen Mächten eine europäische Stellung behaupten zu können glaubten, so glaubten sie des Bundes und der deutschen Regierungen nicht zu bedürfen, um die Aufgabe in Deutschland zu erfüllen. Man suchte darnach die Thätigkeit des Bundes auf das geringste Maaß zu beschränken, man beförderte die Erledigung mancher gemeinsamer Angelegenheiten auf dem Wege der Specialvereinbarungen, man legte der Erfüllung der Wünsche der einzelnen deutschen7 Regierungen Schwierigkeiten im Wege und ließ sich schließlich dieselbe theuer bezahlen; genug man zog sich ganz auf den engen preußischen Standpunkt zurück, glaubte auf diesem Wege einen Anschluß der deutschen Regierungen an Preußen zu erzwingen. Diese Art der Behandlung der deutschen Angelegenheiten geht wie ein rother Faden durch die Thätigkeit des Ministeriums Manteuffel hindurch und hatte sich in den Büreaus und durch die officiöse Presse in den Köpfen so vieler Menschen als eine richtige Politik festgesetzt, daß die doctrinären Herren von Auerswald8 und Schleinitz9, bei welchen die frühere Unionspolitik ja, weit mehr, als bei Herrn v. Manteuffel in succum et sanguinem10 übergegangen war, sie bereitwilligst aufnahmen und fortführten. Als bei dem nahen Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Oesterreich und Frankreich in ganz Deutschland sich das Nationalgefühl erhob und sich für einen Beistand Oesterreichs aussprach, als die Regierungen Deutschlands, bis auf Preußen einstimmig, bereit waren, sich zur Abwehr der gemeinsamen Gefahr zu vereinigen, da war es eben die preußische Regierung, welche eine solche Zumuthung von sich wies und anstatt an der Spitze Deutschlands eine glorreiche Rolle zu spielen, vorzog, die Begeisterung zu persifliren, die öffentliche Meinung irre zu führen und die Regierungen theils durch vague Hoffnungen für die Zukunft sich hinzuhalten, theils durch die eigene Unthätigkeit zu neutralisiren. Daß Preußen diesen Weg verfolgte, hatte eben darin seinen Grund, daß dasselbe nicht seinen exclusiv preußischen Standpunkt aufgeben, nicht an die Spitze Deutschlands sich stellen wollte, um nach einem glücklichen Ausgang des Kampfes die allerdings nicht vorher zu präcisirenden, aber 7 Emendiert. Vorlage: der einzelner deutscher. 8 Rudolf von Auerswald (1795–1866), seit 1858 Staatsminister ohne Portefeuille im Ministerium der „Neuen Ära“, 1860 preußischer Ministerpräsident; ADB, Bd. 1, S. 651–654; NDB, Bd. 1, S. 439 f. 9 Alexander Freiherr von Schleinitz (1807–1885), preußischer Außenminister 1848, 1849/50 und 1858–1861, Mitbegründer des „Preußischen Wochenblatts“; NDB, Bd. 23, S. 58; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 307. 10 Lateinisch für: in Fleisch und Blut.
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doch gewissen Früchte zu erndten, sondern daß dasselbe auf den Moment wartete wo Oesterreich genügend geschwächt, die öffentliche Meinung genügend corrumpirt wäre, und die Mehrzahl der deutschen Regierungen aus mehrfachen Gründen sich genöthigt sehen würde, in eine militairische und politische Unterordnung des Bundes unter Preußen zu willigen. Dieser Weg ist von Preußen mit einer merkwürdigen Pertinacität verfolgt worden und es ist ihm gelungen bis jetzt her vielfach den Glauben zu verbreiten, als sei der Weg der richtige für Deutschland, für die übrigen deutschen Regierungen ein ganz unschuldiger. Auch hier bin ich weit entfernt, dem Hohen Herrn, welcher die Zügel der Regierung in Preußen in Händen hat, die rechtsverletzenden Absichten seiner Minister unterzuschieben; man begegnet vielmehr auch hier wieder einer ähnlichen Meinungs-Verschiedenheit, wie sie zwischen dem eigentlichen Träger der Krone und seinem Ministerium bestand, dieselbe hat sich in den Aeußerungen Sr Königlichen Hoheit des Prinzen Regenten bei officiellen Gelegenheiten und gegen andere Fürsten Deutschlands genugsam bekundet, allein beklagen muß man denn doch in hohem Maaße, daß eine solche Verschiedenheit der Ansichten besteht und nicht am rechten Orte erkannt wird. Die Circulardepesche vom 6. d. ist der Ausdruck der preußischen Politik oder vielmehr des doctrinären Gebildes, welches man in Berlin Politik nennt, welchem jeder innere Halt, jede Wahrheit abgeht und welchem man durch einen gewissen Cynismus einen Schein von Grundlage und Consequenz zu geben sucht. Die Vorsicht und Rücksicht für Deutschland soll es sein, welche Preußen den Vorschlag dictirte, die Aktion des Bundes nicht in den Vordergrund treten zu lassen, seine Unterordnung unter die politische und militairische Leitung unter Preußen zu beschließen und doch liegt es klar zu Tage, daß Preußen mit diesem Vorschlag nur seine vermeintlichen Interessen verfolgt, daß Preußen bei dieser Gelegenheit einestheils für seine hegemonischen Bestrebungen sich einen Erfolg versprochen, anderntheils der Unterstützung der deutschen Regierungen für seine Politik bedurft hat, daß der deutsche Bund aber überall kein Interesse hat, sich bei den Mediations-Versuchen Preußens zu betheiligen und daß er nicht anders zur militairischen Aktion übergehen kann, als auf Grund der allgemeinen Principien der Bundeskriegsverfassung. Was soll man ferner zu der preußischen Betrachtung sagen, daß Preußen eine Theilnahme der deutschen Bundestruppen an einem eventuellen Kriege Preußens durch einen Bundesbeschluß bewirken will, aber einen Bundeskrieg für unstatthaft erklärt, daß Preußen seine Vorschläge nicht auf den Bestimmungen der Bundeskriegs-Verfassung fundiren will und sodann resumirt, daß jene doch die Aufrechthaltung dieser Bestimmungen ermöglichten, „soweit sie zweckmäßig sind und ein einheitliches Handeln und organisches Zusammenfassen der Kräfte bedingen“?
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Der officielle Artikel der preußischen Zeitung geht noch viel weiter, ist aber in seiner Verurtheilung der Bundeskriegs-Verfassung mindestens deutlicher; zugleich aber zeigt derselbe, daß man die einzelnen Bestimmungen der letzteren in Berlin nicht einmal kennt, ihren Geist nicht erfaßt hat. Die Deduktion dieses Blattes geht dahin, daß die Bundesversammlung im Stande sei, auf Grund des Art. 46 der Bundeskriegs-Verfassung in Betreff des Oberbefehls über einen Theil des Bundesheeres andere Verfügungen zu treffen, als in Betreff des Oberbefehls über das gesammte Bundesheer11; nach dem Art. 37 der revidirten Abschnitte der B. Kriegs-Verfassung aber findet die Wahl des Oberbefehlshabers im ersteren Falle in ganz gleicher Weise statt, als in dem letzteren Falle und zugleich gelten für einen solchen Oberbefehlshaber unbedingt dieselben Bestimmungen auch in Bezug auf seine Pflichten etc., als sie für den Oberbefehlshaber des gesammten Bundesheeres fixirt sind.12 Die endliche Bemerkung desselben Blattes, welche andere preußische Blätter seitdem in anderen Variationen wiederholen, daß nämlich die Annahme des Oesterreichischen Antrags den deutschen Staaten eine Kriegführung aufnöthigen würde, welche Deutschland zu Grunde richten müßte, übergehe ich mit Stillschweigen, da sie sich durch sich selbst richtet. Ebenso ist es eine völlig irrige Annahme, daß die militairische Haltung Preußens den Kaiser Napoleon zum Frieden genöthigt, eine perfide Annahme, daß dieselbe den Kaiser Franz Joseph13 zum Frieden bestimmt hätte. In dem Sinne des Regenten von Preußen war die Mobilisirung der Armee ein Schritt, um nach einer glücklichen Schlacht Oesterreichs auf Frankreich zu drücken und einen Frieden zu erzielen, in Folge der jenem Beschluß auf dem Fuße folgenden unglücklichen Schlacht am Mincio14 aber wurde die preußische Aufstellung in den Händen des Berliner Ministeriums als Handhabe nicht gegen Frankreich, sondern gegen Oesterreichs Machtstellung am Bunde, gegen die Existenz des letzteren benutzt. 11 Emendiert. Vorlage: Bundesheeres. 12 Druck der „Kriegsverfassung des Deutschen Bundes“ von 1821/22 in: Angelow, Von Wien nach Königgrätz, S. 290–308; Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 119–128 (gekürzt). Artikel 46 lautet: „Der Oberfeldherr wird jedesmal, wenn die Aufstellung des Kriegsheeres beschlossen wird, von dem Bunde in der engeren Versammlung gewählt. Diese Stelle hört mit der Auflösung des Bundesheeres wieder auf.“ In Artikel 37 der „Revidierten Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung“ von 1855 heißt es: „Der Oberfeldherr und der Generallieutenant des Bundes werden nach § 45. und 51. von der Bundesversammlung gewählt. Dasselbe findet mit dem Oberbefehlshaber Statt, wenn nur ein Theil des Bundesheeres aufgeboten wird.“ Angelow, Von Wien nach Königgrätz, S. 309–322, hier S. 320. 13 Kaiser Franz Joseph I. von Österreich (1830–1916), regierte seit 1848; vgl. Herre, Kaiser Franz Joseph von Österreich; Höbelt, Franz Joseph I.; Brandt, Franz Joseph I. von Österreich. 14 In der Schlacht bei Solferino am Fluß Mincio in Oberitalien am 24. Juni 1859 erlitten die österreichischen Truppen eine schwere Niederlage gegen die Armeen Sardiniens und Frankreichs.
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Das künstliche und gewagte Gebäude welches Preußens Staatsmänner sich geschaffen hatten, ist mit dem Frieden von Villafranca, wie ein Kartenhaus zusammengefallen, allein die Einbuße, welche Preußen durch diesen Ausgang seiner Politik, an Ansehen, Achtung und Vertrauen außer- und innerhalb Deutschlands erlitten hat, wird schwerlich dazu beitragen, demselben das Verständniß über die richtiger Weise zu verfolgende Politik zu geben. Preußen hat vermöge seiner Lage und inneren Zustände so unendliche Vortheile vor Oesterreich in dem gemeinsamen Verhältnisse zu Deutschland voraus gehabt, daß ihm nicht schwer fallen könnte, sich die Sympathien zugleich mit dem bedeutendsten Einfluß zu verschaffen, allein es gehörte dazu vor Allem ein Anerkenntniß der Rechte anderer Staaten. So lange Preußen durch sein Benehmen bekundet, daß es die Selbständigkeit der einzelnen deutschen Staaten als ein Unrecht gegen sich erfaßt, so lange dasselbe das ungetheilte Präsidium Oesterreichs als eine Verletzung seiner Ehre, seines Rechtes betrachtet, ist keine Umkehr zum Guten, kein Einlenken in eine richtige Bahn denkbar. Preußen wird noch viel schlimmere Erfahrungen machen müssen, ehe es einsehen wird, welche Fehler es begangen hat, wie es sich überhoben und in seiner Ueberhebung sich selbst zumeist geschadet hat. Allein es ist wohl zu fürchten, daß das übrige Deutschland diese Erfahrungen mit zu erdulden haben wird, wenn es sich der preußischen Regierung gegenüber nicht ermannt und sich mit derselben über die gerechten Beschwerden auseinandersetzt, welche man bis in die neueste Zeit zu erheben berechtigt war. Ich halte dieß für einen sehr dringenden Schritt sowohl im Interesse des gesammten Deutschlands, um den Bund nicht noch größerer Mißachtung auszusetzen, sondern zur erneue[r]ten Thätigkeit zu verhelfen, als auch im Interesse jeder einzelnen Regierung, welche sich sonst dem Vorwurf der Preußen begünstigenden und von Preußen begünstigten liberalen Parthei nicht entziehen wird, daß sie durch Verfolgung egoistischer Zwecke dem Gemeinwohl geschadet habe. Man unterschätze in dieser Beziehung die öffentliche Meinung ebenso wenig als die falsche Bahn, in welche die preußisch influenzirte Presse mit ihren Helfershelfern dieselbe zu bringen weiß; man möge daher auf seiner Hut sein und sich keinen Illusionen hingeben! Scheuet man sich aber jetzt, sich gegen Preußen offen auszusprechen, so möge man sich später über die traurigen Zustände, denen man in Deutschland entgegengeht, nicht täuschen; diese sind unausbleiblich und um so unausbleiblicher bei dem innigen Zusammenhang zwischen Deutschland und Preußen. Diese innige Verbindung ist nicht zu negiren, sondern auf ihr fußend, hat man einen erhöhten Anspruch an Preußen, daß es vor Allem deutsch sei. Im Verein mit Deutschland ist Preußen eine europäische Großmacht und kann in Gemeinschaft mit der anderen Großmacht, Oesterreich, die Geschicke der Welt entscheiden, ohne Deutschland und Oesterreich ist Preußens Stellung als europäische Großmacht zweifelhaft, ja auf die
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Dauer unhaltbar. Preußen muß, um sich als letztere zu behaupten stets eine entschlossene Politik verfolgen, sich nicht scheuen den Kampf aufzunehmen, wo er sich darbietet; hierzu bedarf es aber, (als die kleinste der Großmächte), großer Truppenmassen und die Erhaltung der letzteren kostet große Summen, welche bei den verhältnißmäßig geringen Hülfsquellen Preußens nicht leicht aufzubringen sind, Preußen hat deßhalb das Landwehrsystem sich erhalten und vielleicht erhalten müssen und doch hat dieses große Mangelhaftigkeiten, ersetzt die Systeme Frankreichs und Oesterreichs nicht. Preußen im Verein mit Oesterreich und Deutschland ist bei weitem nicht so gefährdet, als jenes allein, es braucht nicht stets so kampfbereit zu sein, sondern kann ein ganz anderes Gewicht in die europäische Waagschale werfen. Daß Preußen vor dem Jahre 1848 nach Außen zurückgegangen wäre, vermag ich nicht zu finden; warum sollte es dieß durch einen engeren Anschluß an Oesterreich und Deutschland fortan zu fürchten haben, wo Oesterreich nicht anstehen wird, seine15 inneren Zustände wohlthätig umzugestalten? Oder sind die deutschen Mittelstaaten Preußen etwa gefährlich? Nur der unglückselige Zwist zwischen den deutschen Großmächten hat diesen Staaten eine Bedeutung im Bunde gegeben, welche sie bei einer Einigung Oesterreichs und Preußens sofort wieder verlieren würden. Wären16 aber Oesterreich und Preußen wieder einig, so würde Rußland gewiß bereitwilligst sich den beiden Mächten anschließen und die immer dubiöse Annäherung an Frankreich fallen lassen. Dem Starken gehört die Welt und wo ein gesunder fester Kern ist, da gelangt er leicht zu einer größeren Entfaltung. Und Dänemark17 und Holland an die deutsche Politik zu ketten, ist nicht minder Aufgabe Oesterreichs und Preußens, und doch wie weit ist man von einem solchen Ziele entfernt? Der Friede zwischen Frankreich und Oesterreich ist allerdings geschlossen worden, allein, ich besorge, der Kampf in Deutschland beginnt jetzt mehr, denn je, der innere Kampf, welcher das Mark erfaßt und an ihm zehrt, bis eine Regenerirung des gesammten Vaterlandes unmöglich ist. Ganz gehorsamst. B. v. Bülow.
15 Emendiert. Vorlage: seinen. 16 Emendiert. Vorlage: Wäre. 17 Emendiert. Vorlage: Dännemark.
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Eisenach, 17. Juli 1859
5. Resolution der Versammlung deutscher Demokraten in Eisenach StA Coburg, LA A, Nr. 7188. Druck.
Die Demokraten verlangen eine schleunige Änderung der fehlerhaften Gesamtverfassung Deutschlands. Der Bundestag soll durch eine Zentralregierung ersetzt, und es soll eine Nationalversammlung einberufen werden. Der Befehl über die deutschen Militärkräfte und die diplomatische Vertretung Deutschlands nach außen sollen Preußen übertragen werden.
Eisenach, 17. Juli 1859 1. Wir erblicken in der gegenwärtigen politischen Weltlage große Gefahren für die Unabhängigkeit unseres deutschen Vaterlandes, welche durch den zwischen Oesterreich und Frankreich abgeschlossenen Frieden eher vermehrt als vermindert worden sind. 2. Diese Gefahren haben ihren letzten Grund in der fehlerhaften Gesammtverfassung Deutschlands und sie können nur durch eine schleunige Aenderung dieser Verfassung beseitigt werden. 3. Zu diesem Zwecke ist es nothwendig, daß der deutsche Bundestag durch eine feste, starke und bleibende Centralregierung Deutschlands ersetzt und daß eine deutsche Nationalversammlung einberufen werden. 4. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen können die wirksamsten Schritte zur Erreichung dieses Zieles nur von Preußen ausgehen, es ist daher dahin zu wirken, daß Preußen die Initiative dazu übernehme. 5. Zu diesem Zwecke und zu kräftigerer Wahrung der deutschen Interessen nach außen sind einstweilen und bis zur definitiven Constituirung der deutschen Centralregierung die Leitung der deutschen Militärkräfte und die diplomatische Vertretung Deutschlands nach Außen auf Preußen zu übertragen. 6. Es ist Pflicht jedes deutschen Mannes, die preußische Regierung, insoweit sie ihre Bestrebungen darauf richtet, nach Kräften zu unterstützen, und wird ge-
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Artikel in den Deutschen Blättern
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wiß dem deutschen Volke kein Opfer zu schwer sein, um es nicht der Unabhängigkeit, der Einheit und dem Glücke des deutschen Vaterlandes freudig zu bringen.
6. Artikel in den Deutschen Blättern1 1 Deutsche Blätter. Ein Sprechsaal für gebildete Vaterlandsfreunde. Verbunden mit der Zeitschrift „Der deutsche Verkehr“, Neue Folge 3 vom 26. Juli 1859, S. 19.
Der Zeitpunkt für eine Reform der Bundesverfassung ist ungünstiger denn je, denn es geht in erster Linie um die Wiederherstellung der Eintracht zwischen Österreich und Preußen. Die Niederlage der Nationalinteressen im Italienischen Krieg ist nicht auf den Deutschen Bund zurückzuführen, sondern auf die Uneinigkeit von Österreich und Preußen. Ohne die Eintracht zwischen den beiden Großmächten wird es nie ein einträchtiges Gesamtdeutschland geben. Der Versuch, Österreich aus Deutschland auszuschließen, käme der Erklärung des Bürgerkriegs gleich.
Frankfurt am Main, 26. Juli 1859 „Der Ruf nach Bundesreform“ An mehreren Plätzen haben Versammlungen deutscher Männer Statt gefunden, um die Gründung eines deutschen Parlaments als entschiedenen Volkswunsch bestimmt zu formuliren und vor den Regierern und Regierten Deutschlands auszusprechen. Wir halten es für gerechtfertigt, daß in der jetzigen beklagenswerthen Lage des Vaterlandes solche Verlangen auftauchen. Aber von einem tieferen Eingehen muß sich die wissenschaftliche Forschung schon dadurch entmuthigt finden, daß es offenbar keine ungünstigeren Aussichten auf Erfüllung jemals gegeben hat, als den jetzigen Moment, wo unsere beiden Hauptmächte entzweit sind und die Stimmung wenigstens der süddeutschen Bevölkerungen der preußischen Regierung ungünstiger ist, wie je, nicht nur eine politische Parthei des Volks. Jedermann fühlt, daß in jetziger Lage nichts dringender ist, als die Herstellung der österreichisch-preußischen Eintracht auf neuen Grundlagen. Jetzt, wo es sich um Versöhnung und deren Garantieen handelt, wieder den uralten 1 Die Zeitschrift „Deutsche Blätter. Ein Sprechsaal für gebildete Vaterlandsfreunde“ erschien von 1859 bis 1862 in Frankfurt am Main unter der Redaktion des sachsen-meiningischen Hofrats Dr. Lorenz Wilhelm Fischer-Goullet. Fischer-Goullet war vielfältig journalistisch und publizistisch tätig, unter anderem war er Chefredakteur der Frankfurter Oberpostamtszeitung. Bei der Besetzung Frankfurts durch Preußen im Jahr 1866 wurde Fischer-Goullet verhaftet und erlitt einen tödlichen Schlaganfall. Schwemer, Geschichte der freien Stadt Frankfurt a. M., Bd. 3/2, S. 324.
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Streit aufzurühren, der die Heere der beiden Hauptmächte schon vor 10 Jahren gegen einander führte, das wäre doch wirklich eine Art politischen Selbstmords! Dagegen müssen wir aber bestimmte Verwahrung einlegen, daß in jenen Versammlungen mehrfach behauptet worden ist, die mangelhafte Organisation des deutschen Bundes habe die jetzige Niederlage unserer Nationalinteressen verschuldet. Zu keiner Zeit waren Mittel- und Kleinstaaten, Regierer und Regierte einiger, opferwilliger, von dem Bedürfniß der Unterordnung durchdrungener, als bei dieser Prüfung. Die Uneinigkeit der beiden Großmächte war die Klippe, an welcher alle gemeinsame Action Gesammtdeutschlands gescheitert ist. Hätte ein Erfurter Parlament solche beseitigt? Das A und O allen Fortschritts liegt nicht in einer Reform der Verfassung, sondern der Politik der beiden Hauptmächte des Bundes. Papierne Bundesacten geben keine Garantieen, sondern nur die Personen der leitenden Staatsmänner. Ohne die Eintracht zwischen Oestreich und Preußen wird es niemals ein einträchtiges Gesammtdeutschland geben. Solche Eintracht kann aber nur entstehen, wenn Vergangenheitsgroll und Zukunftspläne aus dem Rath der beiden Regenten verbannt werden, wenn die leitenden Staatsmänner einzig die Bedürfnisse der drangvollen Gegenwart ins Auge fassen und endlich erkennen, daß ihnen keine andere feste Allianz zu Gebot steht, als die durch das Einheitsgefühl und die Stammesgleichheit ihrer Völker eine mächtige, von den Gelüsten diplomatischer Untreue unantastbare Grundlage hat. Sollte es aber gar in der Absicht jener Reformer liegen, daß Oestreich bei dieser Gelegenheit aus Deutschland ausgetrieben und im Jahr 1859 mit dem Rechte, die Kultur nach Osten zu tragen, verabschiedet werden soll, so könnten wir solche Projecte nur tief beklagen. Das wäre nichts weiter als die Erklärung des Bürgerkriegs. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, daß ganz Süddeutschland nichts als eine Art große Enclave zwei großer Reiche bildet und gegen französische Eroberungsgelüste nur durch die kräftigste Beihülfe Oestreichs, niemals durch Preußen allein vertheidigt werden kann. Sich im Angesicht neuer Kriegsstürme eines solchen Bundesgenossen zu begeben, um mit Herrn Simson2 oder Carl Vogt3 Parlamentsreden halten zu können, wäre nicht einmal höherer, sondern einfacher politischer Blödsinn. Ob Sachsen, Hannover, Kurhessen, Mecklenburg wirklich vor Begierde brennen, mit Preußen allein ohne Süddeutschland die vorgeschlagene Union in Scene zu setzen? 2 Eduard von Simson (1810–1899), seit 1833 Professor des römischen Rechts in Königsberg, 1848/49 liberaler Paulskirchenabgeordneter, seit 1859 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses; ADB, Bd. 54, S. 348–364; NDB, Bd. 24, S. 451–453. 3 Carl Vogt (1817–1895), Professor der Zoologie, 1848/49 Mitglied der Deutschen Nationalversammlung, großdeutsch-demokratisch orientiert, trat 1859 mit der antipreußischen Schrift „Studien zur Lage Europas“ hervor; ADB, Bd. 40, S. 181–189.
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7. Beust11 an Könneritz22 HStA Dresden, 10 717, Nr. 930, fol. 93–99. Depesche. Abschrift.
Die schädlichen Aktivitäten der liberalen Nationalbewegung können nicht länger geduldet werden. Es ist nötig, daß die Gesamtheit der deutschen Regierungen in der Bundesversammlung Maßregeln gegen das umstürzlerische Treiben ergreift. Parallel dazu sollte eine Beratung der Regierungen über eine Verbesserung der Bundesverfassung in „unbeschränktester Öffentlichkeit“ stattfinden. Beust fordert die österreichische Regierung auf, in diesem Sinne am Bund die Initiative zu ergreifen. – Nachschrift: Der Bund geht seiner Auflösung entgegen, wenn Preußen fortfährt, sich den Bundesgrundgesetzen zu entziehen.
Dresden, 5. August 1859 Seit einiger Zeit ist unter den liberalen Parteien Deutschlands eine auffallende Bewegung zu bemerken, welche sich in der zweifelhaften Richtung kund giebt, daß man einerseits die gegenwärtige Verfassung des deutschen Bundes als gänzlich unbrauchbar herabzusetzen und an deren Stelle eine mehr concentrirte Nationalgewalt mit Volksvertretung, als das mit allen Kräften zu erstrebende Ziel, anzupreisen sucht, andererseits die politische und militairische Oberleitung Deutschlands ausschließlich auf Preußen übertragen will, zu welchem Ende man soweit geht, durch in Versammlungen gefaßte Beschlüsse, wie durch Zeitungsartikel sogar die preußische Regierung zu Ergreifung der Initiative in dieser Richtung aufzufordern. Diese Umtriebe haben dadurch an Bedeutung gewonnen, daß sich bei denselben die Democraten der äußersten Linken mit den Gothanern3 oder der Partei des linken Centrums zu gemeinschaftlichem Vorgehen verbunden haben und wenn auch nicht zu verkennen ist, daß während es den Gothanern hauptsächlich auf den Ausschluß Oesterreichs aus Deutschland und auf das Aufgehen der übrigen deutschen Staaten unter einer preußischen Oberherrschaft ankommt, die Democraten sich für jetzt nur diesen Umtrieben angeschlossen haben, um für’s Erste mit Hilfe der Gothaner den Umsturz der deutschen Bundesverfassung zu erzielen, so muß doch schon diese vorübergehende Ver-
1 Friedrich Ferdinand Freiherr von Beust (1809–1886), sächsischer Außenminister 1849–1866; ADB, Bd. 46, S. 494–532; NDB, Bd. 2, S. 198–200; Flöter, Beust. 2 Rudolph von Könneritz (1800–1870), sächsischer Gesandter in Wien 1843–1869; NDB, Bd. 12, S. 363. 3 Als „Gothaer“ oder „Gothaner“ wurden die liberalen Befürworter einer kleindeutschen konstitutionellen Monarchie unter preußischer Führung bezeichnet. Der Name leitet sich her von der nach dem Scheitern der Paulskirche am 25.–27. Juni 1849 in Gotha abgehaltenen Versammlung von Liberalen, die sich für die Unterstützung des preußischen Unionsplans aussprachen; vgl. Kertesz, Die „Gothaer“.
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schmelzung zweier, der bestehenden Ordnung der Dinge feindlicher Parteien die Aufmerksamkeit der Regierungen in hohem Grade beschäftigen. Das erste Symptom dieser Bewegung zeigte sich in einem Flugblatte, welches die Aufschrift führte: „Kriegsgefahr! Deutsche Nationalvertretung!“, angeblich in Frankfurt a/M. gedruckt war und von Hamburg aus in zahlreichen Exemplaren anonym versendet wurde. Vorzugsweise war dieses Flugblatt adressirt an Abgeordnete deutscher Ständekammern.4 Fast gleichzeitig mit diesem Flugblatte wurde unter dem Poststempel „Dresden“, in Kreuzband eingeschlossen, ein lithographirter Aufruf anonym versendet, welcher die Aufforderung enthielt, den Prinzen von Preußen als deutschen Kaiser an die Spitze der deutschen Nation zu stellen und die Reichsstände zusammen zu berufen. Dieser Aufruf scheint in verschiedenen Wortfassungen vervielfältigt worden zu sein. Während nun die Presse der gedachten Parteien das Publikum unablässig in gleichem Sinne bearbeitete und die Parteiführer in lebhaftester Correspondenz unter einander standen, erschien unterm 21. Juni d. J. in der Beilage zu Nr. 94 der Rhein-Lahn-Zeitung in Wiesbaden die bekannte „Erklärung nassauischer Staatsbürger“.5 In derselben wird behauptet, die Kriegsverfassung des deutschen Bundes sei für jeden anderen, als einen lahmen Scheinkrieg absolut unbrauchbar; man müsse sich sofort über eine Dictatur vereinigen und die Oberleitung auf Preußen übertragen; überall in Deutschland sollten sich Vaterlandsvereine bilden, um ihre Thätigkeit der gemeinsamen Sache zu widmen; zugleich wurde der Gedanke an die Einsetzung eines deutschen Parlaments wieder in Erinnerung gebracht. Wenige Tage nach dem Erscheinen dieser Erklärung traten eine Anzahl Bürger zu Frankfurt am Main zusammen, welche sich dafür aussprachen: Deutschland dürfe Oesterreich in dem damaligen Kriege nicht allein lassen; die diplomatische und militairische Führung des ganzen, nicht österreichischen Deutschlands vor und in dem Kriege müsse Preußen in die Hand gegeben werden, übrigens der „Erklärung nassauischer Staatsbürger“ sich anschlossen und ihre Beschlüsse in einer Extrabeilage zur Frankfurter Postzeitung veröffentlichten. 4 Die Flugschrift „Kriegsgefahr! Deutsche Nationalvertretung! Männer von Deutschland! Frankfurt am Main 1859“ wurde anonym verfaßt von Karl Blind (1826–1907) und im April und Mai 1859 von Hamburg aus vorzugsweise an die Abgeordneten der deutschen Ständekammern versandt. Blind hatte sich 1848 an der radikalen badischen Revolution beteiligt, war zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden und lebte seit 1849 im Exil in Brüssel und seit 1852 in London; vgl. Jansen (Bearb.), Nach der Revolution, S. XXIV u. S. 741 Anm. 2; Rosenberg, Nationalpolitische Publizistik, Bd. 1, Nr. 60. 5 Nassauer Erklärung vom 21. Juni 1859, Abdruck in: Biefang (Hrsg.), Der Deutsche Nationalverein, S. 427–431.
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Ungefähr zu derselben Zeit veröffentlichten eine Anzahl von Bürgern aus Stuttgart, Cannstadt, Eßlingen und Göppingen in der „Schwäbischen Kronik“, der Beilage zum „Schwäbischen Merkur“ eine Ansprache, dahin gehend: daß auf Preußen die Führerschaft in Deutschland übertragen und die Herstellung einer Verfassung, welche dem Ganzen die nöthige Einheit, Macht und Geltung, dem Theile die zuverlässige Selbstständigkeit, dem Bürger die rechtliche Freiheit sichere und endlich in einer deutschen Volksvertretung ihren Abschluß finde, als unverrückbares Ziel im Auge behalten werden müsse.6 Auch in Norddeutschland griff diese Bewegung um sich und ein Artikel der „Zeitung für Norddeutschland“ sprach die Erwartung aus, daß alle Vaterlandsfreunde den in den Erklärungen der Nassauer und Württemberger aufgestellten Grundsätzen ihren Beifall schenken und deren Verwirklichung als nothwendig für das Heil des Vaterlands anerkennen würden. Nachdem auf diese Weise die Bewegungspartei alarmirt worden war, wurde eine Zusammenkunft von ehemaligen Mitgliedern der Linken aus der Frankfurter Nationalversammlung vom Jahre 1849 verabredet, welche am 2. Juli d. J. in Eisenach stattfinden sollte und welche den Zweck hatte, im Anschluß an die von jener Versammlung beschlossene sogenannte Reichsverfassung den Prinzen von Preußen zum deutschen Kaiser auszurufen. Diese Versammlung wurde später auf den 16. Juli vertagt, durch den ganz unerwartet inzwischen geschlossenen Frieden aber auch wesentlich gestört, so daß sie ihr Programm als zur Zeit nicht mehr ausführbar, wesentlich ändern mußte, auch nicht so zahlreich, als man gehofft und gewünscht hatte, nämlich nur von etwa 30 Personen aus verschiedenen deutschen Staaten, besucht war. Die Versammlung fand am 16. und 17. Juli in Eisenach statt. Den Vorsitz führte Oberappellationsrath Dr. Schüler aus Jena, von den sonstigen Theilnehmern werden unter anderm genannt: der bekannte Schulze von Delitzsch, die Advocaten Fries aus Weimar, Streit aus Koburg, Titus aus Bamberg, Dölitzsch aus Altenburg, Joseph aus Lindenau, Dr. Schaffrath aus Dresden, endlich auch Johannes Rösing aus Bremen7. Die Theilnehmer waren übrigens keineswegs 6 Württemberger Erklärung von Ende Juni 1859, veröffentlicht in der Schwäbischen Kronik am 2. Juli 1859, Abdruck in: Biefang (Hrsg.), Der Deutsche Nationalverein, S. 431–433. 7 Gottlieb Christian Schüler (1798–1874), Jurist, 1848 Mitglied des Vorparlaments, 1849 Präsident des Centralmärzvereins, 1838–1868 Rat am thüringischen Oberappellationsgericht; Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883), Jurist, 1848–50 Mitglied der preußischen Nationalversammlung, 1861–1875 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1867–1883 Reichstagsabgeordneter für die Fortschrittspartei; Hugo Fries (1818–1889), Jurist, 1849–1888 Mitglied des Landtags von Sachsen-Weimar; Fedor Streit (1820–1904), Jurist, seit 1848 im coburgischen Staatsdienst, 1857–1867 Mitglied des Landtags von Sachsen-Coburg und Gotha; Nikolaus Titus (1808–1874), Jurist, 1848 demokratischer Paulskirchenabgeordneter, seit 1850 Advokat am Appellationsgericht in Bamberg; Arthur Dölitzsch, Jurist, Demokrat aus Altenburg; Hermann Joseph (1811–1869), Jurist, 1848 demokratischer Paulkskirchenabgeordneter, 1855–1869 Ad-
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blos Mitglieder der ehemaligen Frankfurter Nationalversammlung; das Unternehmen war halb verunglückt. Die Versammlung kam zu den in No. 330 der „Nationalzeitung“ aufgeführten Sätzen8, für welche nun noch weiter Propaganda gemacht werden soll. Auch ist in Eisenach angeblich beschlossen worden, in nächster Zeit eine größere Versammlung dieser Art zu veranstalten. Bereits meldet die „Deutsche allgemeine Zeitung“ in Nr. 168, daß die Eisenacher Zusammenkunft baldige Nachfolge in andern Orten Deutschlands haben werde, und in der That hat schon am 19. Juli zu Hannover das Zusammentreffen des Anwalttages mit der Eröffnung der außerordentlichen ständischen Diät eine Anzahl liberaler Politiker vereinigt, welche in demselben Sinne sich erklärten.9 Wenn diese, sichtbar im Wachsen begriffene Bewegung einerseits auf den Umsturz der deutschen Bundesverfassung gerichtet ist, so liegt andererseits am Tage, daß ein einzelner Staat für sich allein derselben nicht Einhalt thun kann, zumal da die dermaligen Strafgesetze der Einzelstaaten nicht allenthalben diesem Zwecke genügen. Es mag nun zwar nicht verkannt werden, daß die solchergestalt um sich greifende, die bestehende Verfassung und die Selbstständigkeit der einzelnen deutschen Staaten bedrohende Bewegung nicht gerade unter äußern Umständen erfolgt, welche ihr besonders günstig wären und es nicht schwer fällt, sie mit dem ihr anklebenden Scheine des Lächerlichen ungefährlich zu machen. Allein abgesehen davon, daß das Ansehen nicht allein des Bundes, sondern auch der einzelnen Regierungen unter längerer Duldung solchen Treibens leiden muß, so dürfen auch die nächsten Erfolge desselben nicht unterschätzt werden. Hat dasselbe auch zunächst keine Aussicht, einen Umsturz der bestehenden Verhältnisse herbeizuführen, so erreicht es doch, wenn ihm nicht rechtzeitig begegnet wird, den in seinen Folgen unberechenbaren Vortheil, daß ein Sammelplatz gefunden ist, auf welchem, unter dem Schutze der zum Schein aufgepflanzten Fahne der Nationalitäts-Bestrebungen die extremsten oppositionellen Elemente sich dreist entfalten und die bethörten bessern Bestandtheile der öffentlichen Meinung mit sich verschmelzen und fortreißen können. Denn so erfreulich die Wahrnehmung einer offenbaren Erstarkung der deutschen Gesinnung während des letzten Krieges war, so ist es auf der anvokat in Leipzig, 1859–1869 Stadtverordneter in Leipzig; Wilhelm Michael Schaffrath (1814– 1893), Jurist, 1848 demokratischer Paulskirchenabgeordneter, seit 1857 Mitglied des Staatsgerichtshofs in Dresden; Johannes Rösing (1793–1862), Kaufmann und Bankier, Demokrat, 1848–1862 Mitglied der Bremer Bürgerschaft; vgl. Jansen (Hrsg.), Nach der Revolution; Best/ Weege (Hrsg.), Biographisches Handbuch. 8 Siehe Dok. 5; vgl. Biefang (Hrsg.), Der Deutsche Nationalverein, S. 434. 9 Hannoversche Erklärung vom 19. Juli 1859, Abdruck in: Biefang (Hrsg.), Der Deutsche Nationalverein, S. 435–438.
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dern Seite eine in gleicher Weise hervortretende und um so weniger tröstliche Erscheinung, daß nicht allein die große Masse, sondern der intelligentere Theil der Bevölkerungen jedem auf die Herstellung der deutschen Einheit gerichteten Losungsworte Folge giebt, ohne viel darnach zu fragen, um welchen Preis dieselbe zu erreichen und ob sie nur überhaupt auf der vorgezeichneten Basis zu erreichen sei? Es ist nicht zu viel gesagt wenn wir behaupten, die Fahne der Nationalitätsbestrebungen wird zum Schein aufgepflanzt. Letzteres ist jetzt entschieden der Fall. Man konnte an die Aufrichtigkeit eines entsprechenden Losungswortes glauben, so lange Deutschland von naher Gefahr bedroht und die Möglichkeit geboten war, durch eine straffe einheitliche Leitung, ihm die seiner Machtstellung gebührende Rolle zu sichern. Gegenwärtig ist von Beiden nicht die Rede, und der Grundton der öffentlichen Meinung in Deutschland eine tiefe Verstimmung. Es kann dieses Gefühl des Unbehagens in einzelnen aufrichtigen Gemüthern den Wunsch hervorrufen, daß Mittel gefunden werden möchten, der Wiederkehr ähnlicher Erlebnisse vorzubeugen, ein von Parteiinteressen freier Drang der Geister nach nationaler Einheit besteht in diesem Augenblicke nicht und ist durch die augenblickliche Zerklüftung unmöglich gemacht. Bei dem Beginn der Verwickelungen, welche den letzten Krieg hervorriefen und noch während der ersten Stadien desselben, war ein solcher wahrhaft patriotischer Aufschwung, dem es nur um die Ehre Deutschlands zu thun war, allerdings zu bemerken; je länger man aber zögerte, demselben durch ein muthiges und entschiedenes Eintreten Befriedigung zu gewähren, desto mehr entwikkelten sich mit jedem Tage mehr die Elemente, die diesen Aufschwung trübten und ihm die unreine Beimischung des Parteiinteresses gaben. Schon vor dem Abschlusse des Friedens standen sie in voller Blüthe. Damals hatten sie noch Anspruch auf Duldung und selbst auf Berücksichtigung, insofern sie als Mittel zur Erreichung des von den deutschen Regierungen und dem deutschen Volke als nothwendig erkannten Zweckes sich hinstellten. Heute gehört dieser Zweck einer ungewissen Zukunft an, und es ist allein das Mittel, für welches man die Agitation fortsetzt und welches nunmehr um so deutlicher als ein höchst verwerflicher Zweck hervortritt, als den deutschen Regierungen nicht einmal mehr die Chance geboten wird, für die Rettung des Gesammtvaterlandes Opfer zu bringen und damit sich Anspruch auf den Dank der Völker zu erwerben, sondern man unverholen [sic] ihnen die Zumuthung macht, nach italienischem Vorgange sich ihrer Rechte zu Gunsten anderer Gewalten zu begeben, welche der aufgeregten Volksmeinung augenblicklich besser zusagen. Wir bezweifeln daher nicht, daß die vorhin ausgesprochene Ansicht von der Unzulässigkeit längerer Duldung solchen Treibens von den übrigen deutschen Regierungen getheilt werde. Namentlich sind wir Dessen zu der Königlich Preußischen Regierung versichert, mit deren Namen dabei ein unverantwort-
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licher Mißbrauch getrieben wird und die hierin sicherlich einen Grund mehr finden wird, zu Maßregeln die Hand zu bieten, welche jenem Treiben die nöthige Grenze zu stecken geeignet sind, welche aber nur dann ihren Zweck erreichen können, wenn sie von der Gesammtheit der Regierungen beschlossen und ausgeführt werden. Man könnte uns einhalten, daß eine solche Bewegung, welcher auch der wohldenkende Theil der Bevölkerungen nicht fremd bleibt und welche jedenfalls sich der Gemüther noch lebhafter bemächtigen wird, nicht mit Polizeimaßregeln, nicht mit Beschränkung der Presse und des Vereinsrechts, sondern durch Aufklärung in der Presse selbst und durch aufrichtige Versuche der Regierungen zu Verbesserung der Bundesverfassung zu bekämpfen sei. Wir sind weit entfernt, die letztgenannten beiden Mittel der Abwehr gering zu achten oder zurückzuweisen. Im Gegentheil wünschen wir sie angewendet zu sehen, wir glauben sogar an deren entschiedenen Erfolg, vorausgesetzt, daß die Regierungspresse aller deutschen Staaten einmüthig die auf Auflösung des deutschen Bundes und Umsturz der Bundesverfassung gerichteten Bestrebungen beharrlich bekämpft und daß die Verbesserungen auf Grundlage der Bundesgrundgesetze im Wege der Fortentwickelung versucht werden. Allein was wir für geradezu unerträglich erklären müssen, ist, daß während der deutsche Bund mit seinen Grundgesetzen von den deutschen Regierungen bestehend anerkannt wird und die Vertreter der deutschen Regierungen in Frankfurt tagen, jedes unberufene Individuum sich erlauben darf, in Gemeinschaft mit seinen Gesinnungsgenossen, dem deutschen Bunde und seinen Gesetzen ihren Fortbestand öffentlich abzusprechen und daß unzählige Zeitungsartikel diese Kundgebungen weiter verbreiten. Hiernach halten wir es dem Bedürfnisse des Augenblicks entsprechend daß die Bundesversammlung sich mit Erwägung und Feststellung von Maßregeln beschäftige, damit Versammlungen zu dem Zwecke einer Umgestaltung der Bundesverhältnisse verhindert und die Besprechungen in der Presse in die Grenzen der Achtung vor den bestehenden Bundesgrundgesetzen zurückgewiesen werden. Eine diesfallsige Berathung und Beschlußfassung würde die gleichzeitige Inbetrachtnahme von Vorschlägen welche von der einen oder andern Bundesregierung zu Verbesserung der Bundesverfassung eingebracht werden könnten, nicht ausschließen. Die diesseitige Regierung ist für ihren Theil der Ansicht daß die bisherigen ungünstigen Erfahrungen weniger in der Mangelhaftigkeit des Bundesgrundgesetzes als in der Unterlassung allseitiger, aufrichtiger Anerkennung und Anwendung derselben ihren Grund hatten. Jedenfalls aber hätte eine erschöpfende Erörterung der hier einschlagenden Fragen auch für den zunächst vorliegenden Zweck entschiedenere Vortheile, indem jene durch Rücksichten der Würde gebotenen Maßregeln erst dann ihre volle
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Rechtfertigung in den Augen des Volkes finden werden, wenn entweder eine Verbesserung der Bundesverfassung in Aussicht gestellt werden kann, oder eine gemeinsame Berathung der Regierungen die Unausführbarkeit diesfallsiger Vorschläge herausgestellt hat. Letztere Bemerkung wird zugleich jeden Zweifel darüber entfernen, daß wir einer derartigen Berathung die unbeschränkteste Öffentlichkeit gegeben zu sehen wünschen würden. Indem ich Ew. p. ersuche, die vorstehenden Bemerkungen der geneigten Erwägung des Herrn Grafen von Rechberg10 zu empfehlen, habe ich zugleich die Versicherung hinzuzufügen, daß es unser lebhafter Wunsch ist, es möchte das k. k. Cabinet, nach vorgängigem hoffentlich nicht vergeblichem Einvernehmen mit der königlich preußischen Regierung, bald zu entsprechenden Einleitungen am Bunde Veranlassung ergreifen. (gez.) Beust. Vertrauliche Nachschrift zu der unterm 5. August 1859 an den k. Gesandten in Wien ergangenen Depesche11 Nachstehende vertrauliche Bemerkungen werden dazu dienen, Ew. p. mit dem Gedanken, welcher der heutigen Depesche zum Grunde liegt, noch besser bekannt zu machen. Für jeden unbefangenen Beobachter der letzten Ereignisse kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der für Deutschland so wenig ehrenvolle Ausgang der beendigten Krisis nicht den Mängeln der Bundesverfassung, sondern lediglich dem Umstande zuzuschreiben sei, daß Preußen seine Aufgabe nicht im Bunde, sondern außerhalb desselben erkannte und sich vom Anfang bis zum Ende des ganzen Verlaufs den Bundesgrundgesetzen entzog. Die einzig zulässige Folgerung, die man daher zu ziehen berechtigt sein würde, ist nicht die, daß die Bundesverfassung reformirt werden müsse, sondern daß der Bund seiner Auflösung entgegengeht, sofern Preußen fortfährt, daran in der bisherigen Weise theilzunehmen. Wie es anzufangen sei, um Preußen zu einer aufrichtigen Annahme und Beobachtung des Bundesverhältnisses zu vermögen? ist eine Frage sehr schwieriger Natur, und wir möchten bezweifeln, daß Majoritätsbeschlüsse in Fragen secundärer Wichtigkeit, wie sie in der nächsten Zeit vielleicht entstehen können, hierzu den Weg bahnen und Preußen in seiner bisherigen Haltung erschüttern würden. 10 Johann Bernhard Graf von Rechberg und Rothenlöwen (1806–1899), 1855–1859 österreichischer Bundespräsidialgesandter, 1859–1864 österreichischer Außenminister; ADB, Bd. 53, S. 233–246; NDB, Bd. 21, S. 230 f. 11 Ergänzt nach der Abschrift im HStA Stuttgart, E 50/01, Büschel 866.
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Eine unzweideutige, entscheidende Auseinandersetzung zwischen Preußen und den übrigen Bundesstaaten wird erst bei dem nächsten Europäischen Conflict möglich, dann aber auch unvermeidlich sein, namentlich in Erinnerung der beendigten Krisis, wo man rechtzeitig die nöthige Verständigung unterlassen hat. Bis dahin haben die übrigen Bundesstaaten nur eine Aufgabe: die Bundesverfassung aufrecht zu erhalten und sich nicht den Boden unter den Füßen abgraben zu lassen. Wenn wir auch nicht die preußische Regierung für Alles verantwortlich machen wollen, was in ihrem Namen und in ihrem vermeintlichen Interesse gesagt und geschrieben wird, so ist doch in Preußen und in der preußischen Partei, seit nunmehr zehn Jahren, es ein feststehendes und mit Beharrlichkeit verfolgtes System, jeder eingänglichen Erörterung über die Möglichkeit und Ausführbarkeit von Bundesreformen auszuweichen, dagegen die ausgedehnteste Toleranz und Connivenz für Alles zu bethätigen, was dazu dient, in Schrift und Wort, den deutschen Bund und seine Verfassung in den Augen des Volks herabzuwürdigen und so den Augenblick abzuwarten, wo ein Krieg oder eine Revolution das des Bundes müde Deutschland Preußen in die Arme wirft. Es würde ein hoher Grad von Verblendung dazu gehören, um nicht anzuerkennen, daß dieses System ein sehr wohl berechnetes und durch die bisherigen Erfolge ermuthigtes ist. Bewahren die übrigen Regierungen, demselben gegenüber, eine passive Haltung, so geben sie sich und den Bund auf. Diese Betrachtung ist es, welche meine heutige Depesche eingegeben hat, und der vornehmliche Zweck der Letztern kein anderer, als Preußen zu bestimmten Auslassungen über die Frage der Bundesreform zu nöthigen. Alsdann wird Preußen entweder mit Anforderungen hervortreten, die wir ehrlich und offen zu bekämpfen haben werden, oder es wird der, in seinem Namen und für seine Rechnung betriebenen Agitation ein öffentliches Dementi geben müssen und jedenfalls in die Lage kommen, der Idee der Volksvertretung am Bunde, deren Vereitelung geflissentlich Oesterreich und den Mittelstaaten in Rechnung gestellt wird, selbst entgegenzutreten. (gez.) Beust
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8. Stettiner Adresse GStA Berlin, III. HA, Nr. 147, fol. 119 f. Adresse von Stettiner Bürgern an den preußischen Prinzregenten Wilhelm. Abschrift.
Die deutsche Bundesverfassung bedarf dringend einer Reform, um die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Nation zu sichern. Zur Begründung der Einheit Deutschlands ist die Schaffung einer starken Zentralgewalt erforderlich. Nur dann kann Preußen als europäische Großmacht dem Deutschen Bund ohne Gefahr weiter angehören.
Stettin, 8. August 1859 Allerdurchlauchtigster Prinz-Regent1, Allerdurchlauchtigster Prinz und Herr! Ew. Königlichen Hoheit Uebernahme der Regentschaft vor noch nicht einem Jahre ward von dem ganzen Volke mit Jubel aufgenommen, denn es sah darin unter dem schweren Geschick, von welchem es durch die Krankheit Sr. Majestät unseres Allergnädigsten Königs heimgesucht worden, eine Bürgschaft dafür, daß die so lang ersehnte verfassungsmäßige Entwickelung unserer innern Zustände in Wahrheit und strenger Gesetzlichkeit werde gefördert werden. Heute ist aber jeder Preuße stolz darauf, ehrfurchtsvoll und dankend es anerkennen zu können, wie sehr bereits das erhabene Wort, mit welchem Ew. Königliche Hoheit das schwere Amt übernahmen, in so kurzer Zeit zur Wahrheit geworden, um so mehr, als die vor kurzem erfolgte Berufung des Herrn Grafen von Schwerin2 zum Minister des Innern, die jedes Pommernherz um so mächtiger bewegen mußte, da unsere Provinz in ihm stets einen ihrer echtesten Patrioten erkannt hat, dafür ein neues Zeugniß darbietet. Nicht minder hat die hohe Regentenweisheit, mit welcher Ew. Königliche Hoheit bei dem Ausbruche des so unerwartet wieder beendeten Krieges Preußens Selbstständigkeit gewahrt und zugleich die Interessen des deutschen Vaterlandes mit kräftiger Hand geschirmt haben, die Herzen aller treuen Preußen mit Dankbarkeit erfüllt. Das aber glauben wir uns nicht verbergen zu dürfen, daß durch den abgeschlossenen Frieden und dessen unverbürgte Dauer die aeußern Gefahren für 1 Prinzregent Wilhelm von Preußen (1797–1888), übernahm im Oktober 1857 die Stellvertretung und am 7. Oktober 1858 die Regentschaft für den regierungsunfähigen König Friedrich Wilhelm IV. Nach dessen Tod wurde er am 2. Januar 1862 als Wilhelm I. König von Preußen; ADB, Bd. 42, S. 517–692. 2 Maximilian Heinrich Carl Anton Curt Graf von Schwerin-Putzar (1804–1872), liberaler Gutsbesitzer, 1848 preußischer Kultusminister im Märzministerium, 1848/49 Mitglied der Deutschen Nationalversammlung, 1855–1872 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses (1859 Präsident), vom 3. Juli 1859 bis 17. März 1862 preußischer Innenminister; ADB, Bd. 33, S. 429–435.
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das gesammte Deutschland und unser Preußisches Vaterland insbesondere nichts weniger als verschwunden sind. Preußens Pflicht für Deutschland zu wachen ist daher nur eine um so gebieterische. Die Vorgänge beim Bundestage haben es nur zu deutlich herausgestellt, wie die deutsche Bundes-Verfassung einer Reform durchaus bedürfe, wenn die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Nation gesichert und Deutschland nicht im Falle eines Krieges dem Feinde zur Beute werden soll. Insbesondere ist zur Begründung der Einheit Deutschlands eine einheitliche Centralgewalt dasjenige, dessen wir nicht länger entrathen können. Nur wenn sie die Bürgschaft darbietet für eine einheitliche starke Leitung, darf, unserer Ueberzeugung nach, Preußen als Europäische Großmacht dem Deutschen Bunde länger ohne Gefahr für sich selbst angehören. Wir wagen es nicht, und unser Vertrauen zu Ew. Königlichen Hoheit Regentenweisheit würde es uns verbieten, die Schritte zu bezeichnen, die für diesen Zweck uns unerläßlich erscheinen. Aber wir haben es für unsere Pflicht gehalten, es offen auszusprechen, wie sehr wir von einer Ueberzeugung durchdrungen sind, die sich ja schon so vielfach in andern deutschen Staaten, wenn auch in verschiedener Weise, so doch in Beziehung auf das wesentliche Ziel übereinstimmend ausgesprochen hat; und wir glauben die Versicherung hinzufügen zu dürfen, daß Ew. Königliche Hoheit in Allem, was Höchstdieselbe für diesen heiligen Zweck zu thun Ihrer hohen Weisheit gemäß erachten, des dankbarsten Einverständnisses mit dem ganzen Preußenvolke Sich versichert halten dürfen. Wir verharren ehrfurchtsvoll Ew. Königlichen Hoheit treu Gehorsamste: (folgen die Unterschriften)
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Antrag auf Bundesreform in der bayerischen Kammer der Abgeordneten
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9. Antrag auf Bundesreform in der bayerischen Kammer der Abgeordneten Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags in den Jahren 1859/61. Stenographische Berichte. Bd. 1: Nr. 1–30. Von der I. Sitzung am 21. Juli 1859 bis zur XXX. Sitzung am 28. Mai 1861, S. 35–39.
27 Abgeordnete stellen den Antrag auf Wiederaufnahme der Bundesreform und Schaffung einer Zentralgewalt mit einer Vertretung der deutschen Nation. Der Abgeordnete Völk gibt eine ausführliche Begründung für den Antrag.
Vierte öffentliche Sitzung
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I. Präsident1: meine Herren! Ehe wir in der Diskussion über vorliegenden Gesetzentwurf fortfahren, erlaube ich mir, Ihnen einen Antrag bekannt zu geben. Er lautet: „Die Unterzeichneten beantragen: Die Kammer der Abgeordneten wolle ihren Beschlüssen über den Gesetzesvorschlag: „Einen weiteren Kredit für die Bedürfnisse des Heeres betreffend“, den Wunsch beifügen: „Es wolle Seiner Majestät dem Könige gefallen, durch Allerhöchstihre Staatsregierung dahin wirken zu lassen, daß die Reform der deutschen Bundesverfassung wieder aufgenommen und durch Schaffung einer starken Centralgewalt mit Vertretung der deutschen Nation bei derselben bethätigt werde.“ Dr. J. Völk. Weinmann. Joh. Längenfelder. Adam Müller. Carl Hirnbein. Langguth. Dr. Barth. J. Rabl. Hensolt. Brater. Reinpold. Jahreis. Buhl. Carl Crämer. Höfter. Brunk. Georg Schmaus. Carl Föckerer. C. W. Wolf. Joh. A. Walz. F. Rebay. Hack. Mich. Krämer. A. Stadler. M. Dellefant. Urban. Pachmayr.“2 Der Antrag ist von Dr. Völk und weiteren 27 Mitgliedern gestellt.
2
1 Friedrich Adam Johann Justus Graf von Hegnenberg-Dux (1810–1872), Gutsbesitzer, Mitglied der liberalen Partei, seit 1845 Mitglied der bayerischen Kammer der Abgeordneten, 1851–1865 Präsident der Kammer der Abgeordneten; ADB, Bd. 11, S. 285–288; Haus der Bayerischen Geschichte. Geschichte des Bayerischen Parlaments seit 1819, URL: http://www.hdbg.de/ parlament. 2 Franz Joseph Völk (1819–1882), Jurist, 1855–1882 Mitglied der bayerischen Kammer der Abgeordneten; Adam Müller (1814–1879), Gutsbesitzer; Kammermitglied 1848–1864; Dr. Marquard Adolph Barth (1809–1885), Jurist, Kammermitglied 1855–1875; Karl Brater (1819– 1869), Jurist und Publizist, Kammermitglied 1859–1869; Franz Peter Buhl (1809–1862), Guts-
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Ich könnte sogleich Herrn Dr. Völk zur Motivirung auffordern; allein, meine Herren, die Natur dieses Antrages macht es mir zur Pflicht, eine Erwägung voranzuschicken. Es kann Niemand behaupten, daß dieser Antrag ohne Zusammenhang mit der gegenwärtigen Vorlage steht, aber es wird auch Jedermann zugeben, daß dieser Zusammenhang kein nothwendiger ist. Die Frage also, ob es politisch angemessen, ob es formell zulässig sei, diesen Antrag an die Berathung dieser Gesetzesvorlage zu knüpfen, diese Frage kann ich nicht für mich beantworten, sie muß von der Kammer beantwortet werden. Ich betrachte sie durch den Antrag des Herrn Abgeordneten Völk keineswegs für bejaht. Wenn Sie damit einverstanden sind, meine Herren, so setze ich zur Disposition vorerst die Frage aus: „Ist die hohe Kammer damit einverstanden, daß der von Herrn Abgeordneten Völk eingebrachte Antrag gleichzeitig mit dem gegenwärtig vorliegenden Gesetz-Entwurf berathen und darüber Beschluß gefaßt werde?“ Ich behalte mir vor, wenn diese Frage erörtert und entschieden sein wird, weiter zu fragen, was die Kammer mit dem Antrage, im Falle die 1. Frage mit „nein“ beantwortet wird, beginnen will; ich setze die eben bezeichnete Frage zur Diskussion aus, und bitte, sich darüber zu äußern. besitzer, Kammermitglied 1855–1863; Friedrich Karl Brunck (1800–1871), Gutsbesitzer, Kammermitglied 1845–1861; Karl Heinrich Wolf (1814–1888), Gutsbesitzer, Kammermitglied 1845–1848, 1855–1861, 1863–1881; Philipp Hack (1802–1865), Gutsbesitzer, Kammermitglied 1840–1849, 1854/55, 1859–1865; Mathias Dellefant (1815–1895), Kaufmann, Kammermitglied 1855–1869; Karl Ferdinand Weinmann (1812–1878), Kaufmann, Kammermitglied 1855–1861; Carl Hirnbein (1807–1871), Gutsbesitzer und Fabrikant, Kammermitglied 1859–1861; Joseph Rabl (* 1808), Gutsbesitzer und Bierbrauer, Kammermitglied 1845–1849, 1853–1861; Max Reinpold († 1872), Bierbrauer und Gastwirt, Kammermitglied 1855–1861; Karl von Crämer (1818–1902), Fabrikant, Kammermitglied 1849–1892; Georg Schmaus (* 1812), Landwirt, Kammermitglied 1855–1861; Johann Adam Walz (1804–nach 1863), Bierbrauer, Kammermitglied 1849–1861; Michael Georg Krämer († 1865), Gutsbesitzer, Kammermitglied 1849–1865; August Anton Urban (1821–1896), Bierbrauer, Poststatthalter, Kammermitglied 1855–1869; Johann Längenfelder (1811–1868), Gutsverwalter, Kammermitglied 1855–1863; Johann Georg Langguth (1808–1881), Kaufmann, Kammermitglied 1845–1881; Leonhard Hensolt († 1867), Gutsbesitzer, Kammermitglied 1849–1855, 1859–1867; Jakob Jahreis (1801–1879), Fabrikant, Kammermitglied 1859–1861; Alois Höfter (1819–1898), Gastwirt, Posthalter, Kammermitglied 1859–1861; Karl Föckerer (1814–1886), Gutsbesitzer, Gastwirt, Kammermitglied 1849, 1859–1881; Franz Rebay, Kaufmann, Kammermitglied 1859– 1869; Alois Stadler (1814–1877), Gastwirt, Landwirt, Kammermitglied 1855–1869, 1875– 1877; Franz Pachmayr (1817–1885), Posthalter, Kammermitglied 1859–1861. Daten nach: Haus der Bayerischen Geschichte. Geschichte des Bayerischen Parlaments seit 1819, URL: http://www.hdbg.de/parlament.
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Dr. Völk. Meine Herren! wenn ich mir in Verbindung mit andern Mitgliedern dieses hohen Hauses erlaubte, den so eben vom Herrn Präsidenten verlesenen Antrag an Sie zu bringen, so bin ich mir des Ernstes und der Wichtigkeit dieser Sache vollständig bewußt gewesen. Ich darf Sie versichern, daß nicht ein Akt der Uebereilung es war, der uns dazu trieb, den Gegenstand, um den es sich hier frägt, den der Reorganisation des deutschen Bundes, in diesem Raume zur Sprache zu bringen. Es hat der Herr Präsident zunächst nur die Frage zur Diskussion ausgesetzt, ob es zweckmäßig sei, bei der Erörterung des uns vorliegenden Kreditgesetzes auch diesen Antrag in Berathung zu nehmen. Mir scheint, daß diese Frage schon dadurch bejahend beantwortet ist, daß von Seite des Hrn. Präsidenten zugegeben wurde, es sei ein innerer Zusammenhang mit dem Gegenstand unseres Antrages und dem Gegenstand unserer heutigen Diskussion nicht zu verkennen. In der That, meine Herren, braucht man nicht zu suchen, um diesen Zusammenhang zu finden. Es handelt sich bei der Gesetzesvorlage, die von Seite der kgl. Staatsregierung gemacht wurde, darum, ob nachdem bereits für Zwecke der Vertheidigung des Vaterlandes 13 Mill. bewilligt worden sind, weitere 27 Mill. nach dem Verlangen der kgl. Staatsregierung oder 12 Mill. nach dem Antrage des Ausschusses zu bewilligen seien. Ich habe gesagt, meine Herren, diese Postulate sind für Kriegszwecke erhoben worden, für Ausrüstung und Instandhaltung unserer Armee. Sie werden verlangt zur Aufrechthaltung der Sicherheit nach Außen. Es sind das, meine Herren, so große Summen, daß man sich mit dem Hrn. Referenten billig fragen muß, ob das Land auch mit Anspannung aller Kräfte im Stande sei, diese Lasten in dem Verhältniß und in der Progression zu tragen, wie sie in den letzten 10 und 12 Jahren über uns gekommen sind. Summirt man, wie dieß bereits theilweise vom Hrn. Referenten geschah, nur im Allgemeinen jene Gelder, die für Instandhaltung der Armee in den letzten 12 Jahren bewilligt worden sind, rechnet man dazu die ausserordentlichen Credite mit Einschluß des jetzigen Postulats nur zu 12 Millionen, so wird sich finden, daß für den Zweck der Instandhaltung der Armee durchschnittlich die Summe von jährlich fünfzehn Mill. in Anspruch genommen wurde. Ich will nicht darüber murren, meine Herren, es war wohl nothwendig, daß diese Summen bewilligt wurden, es ist wohl jetzt nothwendig, daß sie bewilligt werden, wenn wir uns auch nicht den Anschauungen verschließen können, welche der Hr. Referent geltend machte, und wonach bei anderer zweckgemäßerer Verwendung manche Million dem Staate hätte erspart werden können. Allein, ich will darauf in diesen ernsten Zeiten irgend einen mißbilligenden Rückblick nicht werfen. Erwarten Sie auch nicht von mir, meine Herren, daß ich an den Summen, welche behufs Vertheidigung des Vaterlandes heute ver-
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langt werden, irgendwie mäckeln werde. Allein die Frage muß sich Jedem in der jetzigen Zeit angesichts dieser Summen lebhaft aufdrängen: Reichen alle diese Summen, reichen noch höhere Summen hin, um dem Vaterlande jene Sicherheit zu geben, die es mit Recht verlangen kann? Trotzdem, meine Herren, daß unser Kriegsbudget gewiß nicht zu den geringen gehört, haben wir einen Zeitpunkt erlebt, wo man bei uns nicht im Stande war, eine Provinz selbst zu halten, in der ein Aufstand erregt worden war.3 Und nun trotzdem, meine Herren, daß man später große Summen bewilligt hat, können wir nicht läugnen, daß dieselbe Provinz im Falle eines plötzlich eintretenden Krieges dem Feinde Preis gegeben gewesen wäre. Es wird hienach nothwendig sein, nach andern sicherern Hilfsquellen zu suchen, und diese sicheren Hilfsquellen können nur gefunden werden in einer stärkern, in einer straffern Vereinigung der deutschen Stämme; ich komme hiemit, meine Herren, auf das Thema der Reform des deutschen Bundes. Allein, ich will mich von dem Zweck, welcher bei der Diskussion, die jetzt ausgesetzt ist, verfolgt werden muß, nicht entfernen. Ich will nicht einen Rückblick werfen auf das, was der deutsche Bund war und was er nicht war. Er ist seinerzeit zusammengebrochen unter der Mißbilligung der Nation – ich will den andern Ausdruck, der sonst gebraucht wurde, nicht wiederholen; aber, meine Herren, Jedermann hat seinerzeit eingesehen, daß eine stärkere Einigung der deutschen Stämme und Regierungen nöthig sei. Diese Einigung hat das Volk seinerzeit in die Hand genommen. Der Versuch mißlang; aber die Regierungen haben sodann selbst eingesehen, daß das Werk nicht aufzugeben, sondern neu aufzunehmen sei, daß zur Sicherheit des Ganzen, zum Schutze gegen äußere Feinde eine Reorganisation der Bundesverfassung unumgänglich geboten sei. Hienach, meine Herren, glaube ich, müßte die Frage der Reform des deutschen Bundes, die Frage der Sicherheit gegen den äußern Feind, und die Frage: welche Mittel aufzuwenden seien zur Ausrüstung unserer Armee, d.h. zur Sicherheit gegen äußere Feinde, im innigsten Zusammenhange stehen. Ich schlage nun vor, meine Herren, daß an die kgl. Staatsregierung der Wunsch gebracht werde, die Reform der deutschen Bundesverfassung „wieder aufzunehmen“. Ich habe, meine Herren, nicht umsonst den Ausdruck gebraucht, es sei diese Reform wieder aufzunehmen, denn in der That, wenn wir auf die Geschichte der letzten Jahre zurückgehen, so werden wir finden, daß diese Reform niemals aufgegeben worden ist, daß sie nur unterbrochen wurde. Ich will, meine Herren, nicht in nähere Erörterungen hierüber eingehen, um über den Zweck der Diskussion, der uns vorliegt, nicht hinauszugehen, aber 3 Völk bezieht sich auf den demokratischen Aufstand vom Juni 1849 in der Rheinpfalz, der von preußischen Truppen niedergeschlagen wurde. Vgl. Siemann, Die deutsche Revolution, S. 213 f.
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daran darf und muß ich Sie erinnern, was von Seite des bayr. Ministerpräsidenten4 seiner Zeit im Jahre 1850 hierüber erklärt worden ist: „Die bayerische Regierung habe bei ihrer Betheiligung an dem von Oesterreich einberufenen Plenum der Bundesversammlung in keiner Weise die Absicht gehabt, das alte Bundesverhältniß wieder herzustellen, sondern entschieden eine Revision der Bundesverfassung zu bewirken, und zwar nach denjenigen Prinzipien, welche in der Convention vom 27. Februar niedergesetzt seien. Die Besorgniß, daß aus den Frankfurter Berathungen nichts hervorgehen würde, als der alte deutsche Bund, sei entschieden ungegründet; keiner der deutschen Regierungen, welche seit zwei Jahren so schwere Krisen durchgemacht hätten, dürfe man zutrauen, daß sie zu dem zurückkehren wolle, was vor dem März 1848 bestanden habe. Nicht das Alte, sondern eine Neugestaltung des deutschen Bundes werde beabsichtigt. Wir wollen entschieden“, so schloß der Herr Minister-Präsident, „die Revision der deutschen Bundesverfassung, wir wollen, daß künftig die Geschicke des großen deutschen Staatenbundes nicht blos durch Regierungsorgane, sondern auch durch Vertretung der Nation gehandhabt werden.“5 4 Ludwig Freiherr von der Pfordten (1811–1880), 1849–1859 bayerischer Außenminister und Ministerpräsident, 1859–1864 bayerischer Bundestagsgesandter; ABD, Bd. 25, S. 695–701; NDB, Bd. 20, S. 359 f.; Franz, Ludwig Freiherr von der Pfordten. 5 Völk zitiert aus der Rede des Ministerpräsidenten von der Pfordten in der Debatte über die deutsche Frage in der bayerischen Kammer der Abgeordneten am 11. Juni 1850. Anlaß für die Debatte war die Aufforderung Österreichs vom 26. April 1850 an die deutschen Staaten, „sich betreffs Bildung eines neuen provisorischen Bundeszentralorgans und demnächstiger Revision der Bundesverfassung“ in Frankfurt einzufinden. Die Konferenz trat am 10. Mai in Frankfurt zusammen, doch nahmen daran nur 13 Staaten teil. Mit dieser Initiative leitete die österreichische Regierung als Gegenmaßnahme zur preußisch-kleindeutschen Union die Rückkehr zum Deutschen Bund und seiner Verfassung ein. Vgl. dazu QGDB III/1, Einleitung S. XVIII; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 899, 906 f. – In der bayerischen Abgeordnetenkammer wurde die Konferenz kritisiert als ein reaktionärer Schritt zurück zum alten Deutschen Bund unter Vernachlässigung der nationalen Bedürfnisse. Von der Pfordten wies dies in seiner langen Rede zurück und sagte unter anderem wörtlich: „Die Absicht der bayerischen Regierung bei der Betheiligung am Plenum [des Bundestages (gemeint ist die Frankfurter Konferenz, J. M.)] ist in keiner Weise, das alte Bundesverhältniß wieder herzustellen, sondern entschieden eine Revision der Bundesverfassung zu bewirken und zwar nach denjenigen Prinzipien, welche in der Konvention vom 27. Februar niedergelegt sind. [. . .] Ich sollte meinen, man dürfe den Regierungen Deutschlands, namentlich den Regierungen der großen Staaten, welche seit zwei Jahren so schwere Krisen durchgemacht haben, nicht zutrauen, daß sie lediglich zu dem zurückkehren wollten, was vor dem März 1848 bestand. [. . .] Also die Besorgniß, daß aus den Frankfurter Berathungen Nichts hervorgehen werde, als der alte deutsche Bund, ist entschieden unbegründet. Wie aber, sagt man, wenn man sich dort nicht einigt, da muß doch der alte Bund wieder eintreten? Darauf sage ich: wenn das deutsche Volk dies nicht will, so ist es nicht nothwendig, dann tritt eben gar Nichts ein. Diese andere Alternative hat man vergessen. Wenn eine Verständigung nicht gewonnen wird, so ist es nicht nothwendig, den alten Bundestag einzuberufen; wenn das
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Nicht bloß in Bayern, meine Herren, sondern auch andererseits hat man anerkannt, daß es nicht zum Guten führen könne, wenn man lediglich zur alten Bundesverfassung zurückkehre. Jene Regierung, meine Herren, welche die Einberufung des Plenums beantragt hat, hat dabei auf’s Feierlichste protestirt, als ob sie dabei die Rückkehr in das alte Bundesverhältniß beabsichtige. Es heißt, meine Herren, in einer österreichischen Cirkulardepesche des Fürsten Schwarzenberg6 vom 19. Juli 1850, „daß der kaiserliche Hof sein Wort dafür verpfände, daß seinem Antrage, das Plenum der Bundesversammlung wieder einzuberufen, nicht die Absicht zu Grunde liege, zu den früheren Zuständen und Formen zurückzukehren, sondern daß sein Schritt ihm im Gegentheile nur als das einzige noch erübrigende Mittel gelte, um zu einer den Bedürfnissen der Zeit entsprechenden Neugestaltung des Bundes zu gelangen.“7 Dieß sind, meine Herren, Vorgänge aus dem Jahre 1850. Man könnte mir vielleicht sagen, daß dieses Jahr den Jahren der Bewegung noch sehr nahe läge, und daß die Fluth desselben vielleicht noch hinübergespritzt sei; allein ich kann Ihnen, meine Herren, aus einem weiteren Jahre, aus dem Jahre 1851, deutsche Volk glaubt, daß dieß die Vernichtung seiner Existenz ist. Es ist eine andere Alternative übrig, es wird jede Gemeinschaft der deutschen Staaten fallen, und der Zukunft überlassen bleiben, ob solche wieder zusammenkömmt. Eine dritte Alternative weiß ich allerdings nicht, wenn in Frankfurt eine Vereinbarung nicht zu Stande kömmt. Aber ich trage die Beruhigung in mir, daß es weder zu der einen, noch der andern Alternative kömmt, sondern daß die Berathungen in Frankfurt zu einer Verständigung und Neugestaltung des deutschen Bundes führen werden. Diese Ueberzeugung habe ich, und die Hoffnung, daß dies geschieht, belebt mich. [. . .] Wir wollen entschieden die Revision der deutschen Bundesverfassung; wir wollen sie vor Allem in dem Sinne, daß Oesterreich und Deutschland nicht getrennt werde, weil dieß nach unserer Ueberzeugung die Vorbedingung der Zukunft des deutschen Volkes ist; wir wollen sie ferner so, daß der Charakter der Föderativverfassung gewahrt ist, weil diese allein die Möglichkeit bietet, daß Oesterreich und Preußen in gleich würdiger Weise in dem Bunde Platz haben; wir wollen endlich, daß künftig die Geschicke dieses großen Staatenbundes oder Bundesstaates – wie Sie es nennen wollen, ist gleichgiltig – nicht bloß durch die Regierungsorgane, sondern auch durch eine Vertretung der Nation gehandhabt werden.“ Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des zweiten bayerischen Landtages im Jahre 1849, resp. 1849/50. Stenographische Berichte Nr. 108–131, 127. öffentliche Sitzung vom 11. Juni 1850, S. 516–518. – Mit der Konvention vom 27. Februar ist das sogenannte „Vierkönigsbündnis“ vom 27. Februar 1850 gemeint, in dem sich Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg auf eine Revision der Bundesverfassung verständigt hatten, bei der eine Bundesregierung, eine Nationalvertretung und ein Bundesgericht gebildet werden sollten. Druck der Übereinkunft in: Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 568–570. 6 Felix Fürst zu Schwarzenberg (1800–1852), 1848–1852 österreichischer Ministerpräsident; ADB, Bd. 33, S. 266–290. 7 Zirkulardepesche von Schwarzenberg an die österreichischen Gesandten, behändigte Ausfertigung an den Gesandten Graf Kuefstein in Dresden: HHStA Wien, PA V 60, Gesandtschaftsarchiv Dresden, Weisungen 1850 I–VIII.
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den Auszug aus einem Dokumente mittheilen, wornach auch in diesem Jahre, von dem wir doch nicht behaupten können, daß nicht die Kühlheit und Nüchternheit vollständig zurückgekehrt war, ich kann Ihnen aus diesem Jahre ein Dokument mittheilen, wornach anerkannt wurde, daß eine Rückkehr in die früheren Zustände, eine Nichtberücksichtigung der deutschen Nation in der Theilnahme an ihrem Geschick nimmermehr zum Guten führen könne. Und der Gewährsmann, welchen ich Ihnen dafür anführen kann, ist nicht ein Jugendlicher, nein, es ist ein Greis. Die Autorität stammt nicht, meine Herren, aus dem Lager von Eisenach oder Gotha, diese Autorität ist ein König, der König von Württemberg! Hören Sie, was derselbe unterm 18. Januar 1851 an den Fürsten Schwarzenberg, den österr. Minister, geschrieben hat.8 „Was mich betrifft, so habe ich sowohl vor als nach den bedauerlichen Ereignissen des Jahres 1848 eine Reform der Bundesakte und namentlich die Revision des 13. Artikels derselben für ganz unerläßlich gehalten. Soll aber dieser Artikel in einer Weise revidirt werden, welche nicht hinter der Zeit und dem moralischen Bedürfnisse der Nation zurückbleibt, so müssen wir die bisherige landständische Vertretung auf das föderalistische Band im Ganzen anwenden, und die einzelnen zersplitterten, unfruchtbaren und verwirrenden Kräfte der verschiedenen Ständekammern in ein einiges oberstes Nationalparlament zusammenfassen. Wenn wir der Nation den ihr gebührenden Selbstantheil an den obersten Angelegenheiten ihres staatlichen Gesammtlebens vorenthalten, so dürfen wir nicht hoffen, sie mit der Bundesverfassung auszusöhnen, und ebensowenig die Revolution in Deutschland zum Stillstand zu bringen.“ Sodann, meine Herren, fährt der König von Württemberg fort: „Im Obigen haben Ew. Durchlaucht mein aufrichtiges, politisches Glaubensbekenntniß über die Frage der staatlichen Neugestaltung Deutschlands. Entweder können wir in den Einzelstaaten ohne Kammern und Volksvertretung regieren, oder wir können dies nicht. Können wir es nicht, so können wir auch im Mittelpunkte des Bundes eine solche Vertretung nicht entbehren, wenn wir anders früher oder später nicht zwischen der neu zu errichtenden Centralgewalt und den desorganisirten ständischen Elementen einen Konflikt hervorrufen wollen, welcher auf die Länge den Bund innerlich lockern9 und nach außen mehr und mehr abschwächen muß. Die Ausführbarkeit eines allgemein parlamentarischen Bandes bestreiten, heißt nach meiner Anschauungsweise nichts Anderes, als den Bund selbst mit dieser Zeit unvereinbar und auf die Dauer für unmöglich halten. Ew. Durchlaucht wissen, ich bin kein Freund von improvisirten Charten und modernen Staatsexperimenten, aber 8 Vgl. QGDB III/1, Dok. 39, die nachfolgenden Zitate ebd. S. 160–162. 9 Emendiert. Vorlage: lockere.
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ebenso wenig liebe ich auf dem politischen Felde die Einführung oder Rückkehr dessen, was zu spät kommt oder sich überlebt hat. Als Bundesfürst werde ich gegen den neuen Bund wie gegen den alten meine Pflichten gewissenhaft erfüllen, aber als Deutscher und Regent meines Landes kann ich nach Gewissen und Ueberzeugung eine Bundesrevision nicht als eine zeitgemäße, genügende und definitive erkennen, welche den gerechten Ansprüchen der Nation auf eine Selbsttheilnahme an ihren großen politischen Geschicken nicht die gebührende Achtung trägt. Glücklicher Weise bin ich alt genug, um die unausbleiblichen Folgen des Handelns wie des Unterlassens von allem Demjenigen nicht mehr erleben zu müssen, was wir in diesem Augenblicke in Dresden vollbringen! Genehmigen Ew. Durchlaucht die erneuerte Versicherung derjenigen ausgezeichneten Hochachtung, mit welcher ich verbleibe Ew. Durchlaucht ganz ergebener Stuttgart, 18. Jänner 1851 (gez.) Wilhelm“. Wenn nun in solcher Weise damals eine Revision der Bundesverfassung angestrebt wurde auf dieselbe Grundlage hin, welche wir uns hier anzudeuten erlaubten, nämlich auf die Grundlage einer starken Centralgewalt als Schutz gegen Außen und eine Nationalvertretung bei derselben als Schutz in Beziehung auf die innere Freiheit und Entwicklung, wenn dieses anerkannt wurde von der Autorität, welche ich Ihnen vorgehalten habe, sollten Sie, meine Herren, im jetzigen Augenblicke, wo wir wieder die Kräfte des Landes in Anspruch nehmen, nicht ein Recht darauf haben, gerade im jetzigen Augenblick zurückzugreifen und zu verlangen, was seinerzeit ein Bundesfürst für unerläßlich zur Beruhigung der Gemüther, für unerläßlich zur Abwendung innerer Erschütterung, für unerläßlich zur Sicherung gegen außen gehalten und verkündet hat. Was dieser Bundesfürst versprochen hat, was von anderen zugesagt worden ist, soll es nicht an der Zeit sein, meine Herren, daß eine deutsche Kammer darauf zurückkomme, daß sie ihre Regierung ehrfurchtvollst bitte, sie möge da wieder anknüpfen, wo die Ungunst der Zeit leider die Reform unterbrochen hat. Wenn ich diesen Antrag in dieses Haus gebracht habe, so versichere ich Sie hoch und theuer, war es nicht in meiner Absicht, irgend nach welcher Richtung hin Mißtrauen auszusprechen. Ich bekenne frei und offen, würde ich glauben, daß man in meinem Antrag irgend ein Mißtrauen gegen die gegenwärtigen Lenker der bayerischen Geschicke finden könnte, ich würde mich zweimal bedacht haben, ehe ich denselben gestellt hätte. Allein, meine Herren, berücksichtigen Sie die Form, in welcher er gegeben ist, und halten Sie diese Form zusammen mit einer Zeit, welche noch nicht lange verflossen ist. Es hat eine Zeit gegeben, in welcher man, wenn man die Neugestaltung Deutschlands von den deutschen Regierungen verlangt hätte, nicht nach Eisenach, nicht nach Gotha gesetzt worden wäre, sondern ganz anderswo hin.
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Wenn wir nur bedenken, daß damals selbst die konservativsten Männer zum Mindesten gewollt haben, daß nur in Uebereinkommen zwischen den Regierungen und dem Volke die deutsche Verfassung zu Stande gebracht werde, wenn wir nun heute selbst davon absehen, wenn wir glauben, daß eine Correktive gegen Ausschreitungen zu finden sei in der Nationalvertretung, müssen Sie dann nicht bekennen, daß wir unsere Ansprüche, unsere Hoffnungen, unsere Erwartungen weit herabgespannt haben? Wenn wir uns nun an unsere Regierungen wenden, und sagen: wir haben zwar in den letzten Jahren auch Manches gelernt, uns ist es aber nicht gelungen, zum Ziele zu gelangen, nehmt Ihr das große Werk wieder in die Hand, wenn wir sagen, der Zustand, in welchem wir uns befinden, ist einmal nicht haltbar, (es ist wohl Niemand, meine Herren, welcher diesen Zustand nicht beklagt, welcher ihn nicht einen unseligen nennt), ist es sodann nicht besser, wenn wir zu den Regierungen sagen, ergreift Ihr die Initiative zur Reform; wenn wir erwarten, daß die Schäden auf friedlichem Wege ausgebessert werden, so sind wir doch wahrlich nicht Revolutionäre, sondern conservativ sind wir sodann im vollsten Sinne des Wortes. Ja, meine Herren, was so sehr gescheut und gefürchtet wird, könnte vielleicht kommen, wenn man fort und fort sich den gerechten Forderungen der Nation verschließt. Es sei ferne von mir, nach irgend einer Seite zu verletzen, oder irgend eine Drohung aussprechen zu wollen, aber es ist Pflicht des Abgeordneten, auf die Gefahr hinzuweisen, welche dem Vaterlande droht, wenn hartnäckig nicht gewährt wird, was im Interesse der Sicherheit desselben, des Ganzen, der einzelnen Stämme und, ich füge hinzu, auch gerade im Interesse der Dynastieen nothwendig geschehen muß. Wenn wir uns nun in solcher Lage vertrauensvoll an die Regierungen wenden, wenn wir an den Mitteln, welche wir zu Kriegszwecken darbieten, den Wunsch anknüpfen, auch dasjenige zu thun, was diese Mittel allein zu fruktifizirlicher Anwendung bringen kann, haben wir dann irgend etwas vorgenommen, von dem man sagen könnte, es käme aus mißtrauischem Herzen, es sei diktirt von Mißgunst? Im Gegentheil, meine Herren, ich glaube, daß, wenn wir uns dahin wenden, von wo zur Zeit allein Hilfe kommen kann, wir nur eine Pflicht erfüllt haben. Aber, sagt man, warum gerade jetzt bei dieser Kreditforderung, warum jetzt die Frage, welche vielleicht zu Zwiespalt führen kann, mit Gewalt ins Haus werfen? Ich will Ihnen auch sagen, was mich so ganz von Innen heraus gedrängt hat, soviel an mir war zu thun, daß nicht stillschweigend über unsern Gegenstand hinweggegangen werde. Man mag den Entschluß, den wir gefaßt haben, mißbilligen, man mag ihn übel ansehen, bitter bekritteln, das Alles war vorherzusehen, allein dennoch, meine Herren, wird man zugeben müssen, daß, wenn man die große Sache der Nation hier zur Sprache bringt, man nur eine heilige Pflicht gegen das deut-
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sche Volk erfüllt. Eine Sache, meine Heren, welche Jedem das Herz durchdringt, welche in jedem Hause vom hohen bis zum geringen ernst erwogen wird, eine solche Sache kann in der Kammer der Abgeordneten eines deutschen Staates nicht todtgeschwiegen werden, und sollten die Erörterungen, welche darüber gepflogen werden, was immer für ein Ergebniß haben. Das Volk soll und muß wissen, daß man an seine wichtigsten und heiligsten Angelegenheiten hier gedacht hat, daß man sie hier besprochen, zum Gegenstand ernster Erwägung gemacht hat. Ich darf zur Zeit auf die materielle Begründung des Antrages nicht eingehen, allein ein Punkt hängt mit der formellen Frage sehr genau zusammen. Ich glaube nicht, meine Herren, daß Sie sich je dazu entschließen werden, lediglich nach Erörterung der Frage, ob der Antrag hieher gehört oder nicht, denselben fallen zu lassen. Ich würde dieses auf das Tiefste beklagen, denn die Sache verdient nach meiner Ueberzeugung die reiflichste Erwägung eines Jeden. Es wird also der Gang der Diskussion wohl dahin führen, ob der Gegenstand sogleich in die allgemeine Diskussion gebracht werden soll, oder ob er allenfalls einem Ausschusse zur Berichterstattung zuzuweisen sei. Meine Herren! Ich glaube, daß Sie nicht gutthäten, wenn Sie die Sache verschieben würden. Ich will Ihnen sagen, warum? Es ist wahrscheinlich, daß sodann über den Antrag ein Bericht, am allerwenigsten jedoch ein eingehender Bericht, zu Stande käme, allein ich will darauf besonderes Gewicht nicht legen. Was soll der Ausschuß mit dem Antrag machen? Man kann sagen, der Ausschuß soll prüfen, in welcher Form der Antrag wieder zu bringen wäre, denn in der Form, in welcher er vorliegt, sei kein bestimmt artikulirter Vorschlag enthalten, und man könne sich dabei Verschiedenartiges denken. Allein, meine Herren, der Ausschuß wird wohl am Ende auch eine formulirte Reichsverfassung nicht vorzuschlagen vermögen. Ich weiß zwar, daß dem Antrage gerade von gewichtiger Seite her der Vorwurf entgegengesetzt wird, er sei zu allgemein gefaßt, man wisse nicht, was der Antrag wolle. Aber, meine Herren, ich bin dabei in einer eigenen Lage, ich habe solchen Einwurf wohl vorausgesehen und ich hätte auch, wenn ich gerade dazu gedrängt würde, eine Formulirung vorzuschlagen, von der man nicht sagen könnte, es sei keine artikulirte, es wäre solches eine Uebereinkunft zwischen den Ministern von Bayern, Sachsen und Württemberg, vom 27. Februar 1850, die sogenannte Münchner Uebereinkunft.10 Schlüge ich Ihnen nun diese vor, so weiß ich, ganz abgesehen von dem Inhalte derselben, welche Einwendungen kämen. Man sagt uns immer, es sei nicht gut, wenn die Kammern nur bei einem einfachen Gesetz die Initiative durch formulirte Vorschläge ergreife. 10 Münchener Übereinkunft zwischen Bayern, Sachsen und Württemberg vom 27. Februar 1850, Druck: Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 568–570.
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Sie wissen, meine Herren, wie oft ich selbst in der Lage war, gewärtigen zu müssen, daß, wenn ich einen Antrag in formulirter Fassung vorgebracht habe, man mir zunächst entgegenhielt: das ist die unbeliebteste Form der Antragstellung, sie hat jedenfalls keine Aussicht des Erfolges für sich. Man will bei kleinen Gesetzen, bei Gesetzen über Widersetzung, über den Diebstahl und über die exceptio non numeratae pecuniae11 nicht, daß man formulirte Vorschläge mache; und nun macht man es uns zum Vorwurf, daß wir uns auf die Grundgedanken beschränken und nicht eine formulirte Reichsverfassung vorschlagen! Diese Grundgedanken, meine Herren, sie werden hinreichen, um bei gutem Willen auf Seite der Regierungen sowohl, als auf Seite des Volkes unser Vaterland in einen bessern Zustand hinüber zu führen. Die Schwierigkeiten, meine Herren, sind nicht zu verkennen. Ich gestehe offen und freimüthig zu, diese Schwierigkeiten liegen nicht blos bei den Regierungen, sie liegen allerdings auch in den einzelnen Stämmen; allein, meine Herren, wenn man sich fort und fort an den großen Zweck erinnert, so glaube ich, dürfte es weder den Regierungen, noch den einzelnen Stämmen so schwer sein, jene Entsagung, jenen Opfermuth zusammen zu bringen, der nun einmal gefordert werden muß, wenn die Zukunft des Vaterlandes nicht preisgegeben werden soll. Wollen Jene bedenken, meine Herren, daß in dem Ruin des Ganzen auch der Ruin des Einzelnen liegt, wollen wir Alle, was an uns liegt, fort und fort darauf hinwirken, daß jener Zwiespalt verschwinde, welcher leider oben und unten das Vaterland zerreißt, wollen wir uns aller Rekriminationen nach rückwärts enthalten, sie führen zu nichts als zu neuen Erbitterungen und dienen nur dazu, denjenigen, welche unsere Feinde sind, ein freudiges Schauspiel darzubieten. Ist einmal der Gedanke, daß um des Allgemeinen willen Opfer gebracht werden müssen, so tief in die Herzen der einzelnen Regierungen gedrungen, wie er in das Herz des greisen Königs von Württemberg gedrungen war, ist dieser Gedanke des Opfermuthes einmal in alle Schichten des Volkes gedrungen, zugleich mit der Erkenntniß der Nothwendigkeit der unabweisbaren Neugestaltung des Vaterlandes, dann wird sich die Form wohl finden, es wird aber dann auch wohl möglich sein, sich nicht nur über die Formulirung, sondern in der Sache selbst zu einigen. Wenn auch leider die Hoffnungen darauf nicht groß sind, so wollen wir sie doch nicht aufgeben, wollen nicht verzweifeln an der Zukunft. 11 Die „exceptio non numeratae pecuniae“ ist ein Fachbegriff aus dem römischen Privatrecht und bezeichnet die einem Schuldner gewährte „Einrede der unterlassenen Auszahlung“, die bei Darlehensverträgen sicherstellt, daß ein Gläubiger die Auszahlung des Darlehens beweisen muß und keine ungerechtfertigten Schuldforderungen stellen kann. Vgl. Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 211.
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Es ist gewiß einer der widerlichsten Eindrücke, denen man in jetziger Zeit begegnen kann, wenn man wahrnimmt, wie mit einer gewissen Rücksichtlosigkeit oder gar Behaglichkeit am Vaterlande verzweifelt wird. Das wollen wir nicht thun, als treue Söhne der edlen Mutter es nicht thun. Ist sie auch im Unglücke, diese edle Mutter, gewährt sie auch nicht jedem ihrer Söhne, was er von ihr erwartet, zu erwarten berechtiget ist, so wollen wir sie darum nicht schelten, wollen sie nicht schief ansehen, wir wollen nicht vom zweifelhaften Glück sprechen, „ihr anzugehören“, wir wollen nicht wünschen, daß wir nicht Söhne dieser Mutter wären, und es nicht mehr werden würden, wenn wir noch einmal auf die Welt kämen. Wir wollen, meine Herren, zu der Edlen, Unglücklichen, Gebeugten und Gedrückten in Treue halten; ist sie gedrückt, so wollen wir sie aufzurichten suchen, ist sie unglücklich, so wollen wir sie zu trösten suchen, ist sie verlassen, meine Herren, so wollen wir als treue Söhne zu ihr stehen, und mit ihr harren der bessern Tage, die noch zu erringen wir niemals verzweifeln wollen. Was einmal s. Z. in der Paulskirche von einem Redner (Gabriel Rießer12) ausgesprochen worden ist, das, meine Herren, darf man auch heute wiederholen: niemals wollen wir an der Zukunft der Nation verzweifeln, Sandkorn auf Sandkorn wollen wir zum Bau der deutschen Einheit tragen, und wenn der Stein, den wir auf den Berg zu wälzen haben, auch noch so oft trügerisch herabrollt, so wollen wir immer und immer wieder ihn hinauf zu bringen hoffen, unermüdlich bis das Ziel der Arbeit erreicht wird und der große Bau gelingt. Ich schließe damit und wiederhole: Gewöhne man sich einmal daran, Opfer zu bringen und von eitler Eigenliebe abzulassen, den Egoismus dem allgemeinen Zwecke unterzuordnen, so ist die größte Schwierigkeit gehoben. Möchten vor der Gefahr die einzelnen Stämme und die einzelnen Regierungen sich brüderlich die Hand reichen! oder: wäre es nicht das traurigste Ereigniß, wenn wir die jetzige Zeit zu nichts Besserem zu verwenden wüßten, als den Zwiespalt im eigenen Hause zu hetzen und zu schüren? Ich bitte Sie, meine Herren, über diesen Antrag sogleich in Berathung zu treten und denselben in nähere Erwägung zu ziehen, jedenfalls aber, wenn Sie sich dazu nicht entschließen könnten, ihn zur weiteren Würdigung an einen Ausschuß zu verweisen.13 12 Gabriel Riesser (1806–1863), Jurist und Schriftsteller, 1848 Mitglied des Vorparlaments und der Nationalversammlung, nach der Revolution Notar in Hamburg, 1859 Wahl in die Hamburger Bürgerschaft, 1860 Mitglied des hamburgischen Obergerichts, Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Nationalvereins; ADB, Bd. 28, S. 586–589; NDB, Bd. 21, S. 608 f. 13 Nach längerer Debatte beschloß die Kammer, den Antrag von Völk nicht gleichzeitig mit dem Gesetz über den Armeekredit zu beraten, sondern ihn an einen Ausschuß zu verweisen. Am 12. August kam es dann in der sechsten öffentlichen Sitzung der Kammer der Abgeordneten zu
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10. Eisenacher Programm der Demokraten und Konstitutionellen StA Coburg, LA A, Nr. 7188. Druck mit dem Vermerk: „Vor der Hand nicht zu veröffentlichen!“, Druck in: Salomon, Die deutschen Parteiprogramme, Bd. 1, S. 97 f.; Hohlfeld (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 84 f.; Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 2, S. 104 f. (ohne Anlage); Biefang (Hrsg.), Der Deutsche Nationalverein, S. 438–441.
Die fehlerhafte Gesamtverfassung Deutschlands muß geändert werden. Es ist erforderlich, den Bundestag durch eine starke Zentralregierung zu ersetzen und eine deutsche Nationalversammlung einzuberufen. Preußen soll dazu die Initiative übernehmen. Alle deutschen Vaterlandsfreunde werden aufgerufen, einträchtig bei dem Bestreben nach nationaler Unabhängigkeit und Einheit zusammenzuwirken. – Anhang: Die Kriegsereignisse haben die Ohnmacht des Deutschen Bundes demonstriert. Es wird von jedem deutschen Mann erwartet, auf die Beseitigung dieses Jammers hinzuwirken, wobei jeder gesetzliche Weg unterstützt werden soll. Preußen ist der Staat, der dem Ziel der Reform der inneren und äußeren Verhältnisse Deutschlands derzeit am meisten nachstrebt. Das Hauptziel der Bewegung ist die „kräftige Einigung von Deutschland durch Bildung einer nationalen Fortschrittspartei“.
Eisenach, 14. August 1859 Die augenblicklichen gefährlichen Zustände Europa’s und Deutschland’s und das Bedürfniß, politische Parteiforderungen der großen gemeinsamen Aufgabe der deutschen Einigung unterzuordnen, haben eine Reihe Männer, welche theils der demokratischen, theils der constitutionellen Partei angehören, aus verschiedenen deutschen Ländern zusammengeführt, um sich über die Herbeiführung einer einheitlichen deutschen Verfassung und die zur Erreichung eines solchen Zieles erforderliche gemeinschaftliche Thätigkeit zu verständigen. Dieselben haben im Anschluß an die Eisenacher Erklärung vom 17.1 und die Hannoversche Erklärung vom 19. Juli d. J.2 über folgende Punkte sich vereinigt:
einer ausführlichen, kontroversen Debatte über den Antrag, in die auch der Staatsminister von Schrenk eingriff und die Abgeordneten aufrief, dem Antrag nicht zuzustimmen und die Regierung nicht dazu zu zwingen, „sich in Widerspruch mit Ihren Wünschen zu setzen“, „und hüten Sie sich durch Ihre Abstimmung, wenn auch unwillkürlich Bestrebungen zu unterstützen, die nimmermehr zur Einigkeit, sondern viel eher zu Zerwürfnissen und zum Zwiespalte zu führen geeignet seyn würden“. Völk zog daraufhin den Antrag zurück, was die Kammer mit Stimmenmehrheit bestätigte. Vgl. Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags in den Jahren 1859/61. Stenographische Berichte. Bd. 1, S. 43 f., S. 65–83, Zitat S. 83. 1 Vgl. Dok. 5. 2 Druck in: Biefang (Hrsg.), Der Deutsche Nationalverein, S. 435–438.
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1. Wir erblicken in der gegenwärtigen politischen Weltlage große Gefahren für die Unabhängigkeit unseres deutschen Vaterlandes, welche durch den zwischen Oesterreich und Frankreich abgeschlossenen Frieden eher vermehrt als vermindert worden sind. 2. Diese Gefahren haben ihren letzten Grund in der fehlerhaften Gesammtverfassung Deutschlands, und sie können nur durch eine schleunige Aenderung dieser Verfassung beseitigt werden. 3. Zu diesem Zwecke ist es nothwendig, daß der deutsche Bundestag durch eine feste, starke und bleibende Centralregierung Deutschlands ersetzt und daß eine deutsche Nationalversammlung einberufen werde. 4. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen können die wirksamsten Schritte zur Erreichung dieses Zieles nur von Preußen ausgehen; es ist daher dahin zu wirken, daß Preußen die Initiative dazu übernehme. 5. Sollte Deutschland in der nächsten Zeit von Außen wieder unmittelbar bedroht werden, so ist bis zur definitiven Constituirung der deutschen Centralregierung die Leitung der deutschen Militärkräfte und die diplomatische Vertretung Deutschlands nach Außen auf Preußen zu übertragen. 6. Es ist die Pflicht jedes deutschen Mannes, die Preußische Regierung, insoweit ihre Bestrebungen davon ausgehen, daß die Aufgaben des Preußischen Staates mit den Bedürfnissen und Aufgaben Deutschlands im Wesentlichen zusammenfallen, und soweit sie ihre Thätigkeit auf die Einführung einer starken und freien Gesammtverfassung Deutschlands richtet, nach Kräften zu unterstützen. 7. Von allen deutschen Vaterlandsfreunden, mögen sie der demokratischen oder der constitutionellen Partei angehören, erwarten wir, daß sie die nationale Unabhängigkeit und Einheit höher stellen, als die Forderungen der Partei, und für die Erreichung einer kräftigen Verfassung Deutschlands in Eintracht und Ausdauer zusammenwirken.
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R. v. Bennigsen, Gutsherr aus Hannover. Dr. Julius Frese aus Berlin. G. C. Schüler aus Jena. August Lammers aus Hannover. E. Jacobs aus Gotha. Feodor Streit aus Coburg, Mitglied des Coburger Landtags. Dr. H. Gustav Plitt aus Lübeck. H. V. von Unruh aus Berlin. Dr. Habicht aus Dessau. Th. Winter aus Leipzig. Dr. Fr. Zabel, Redakteur der Nationalzeitung in Berlin. J. Katzenstein, Advokat in Eisenach. L. Cretzschmar, Gutsbesitzer zu Todelheim.3 Dr. Taschner aus Eisenach. Aug. Ludwig von Rochau.
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H. Hering aus Eisenach. Dr. B. Jäger aus Hirschberg a. d. Saale. Franz Duncker aus Berlin. W. Albrecht aus Hannover. C. Breusing aus Osnabrück. Dr. E. Brockhaus aus Leipzig. Adv. Siegel aus Dresden. Hugo Fries aus Weimar. E. Lucius aus Braunschweig. Andr. Reuß, Redakteur in Nürnberg. Fr. Henneberg aus Gotha. H. Schulze aus Delitzsch. A. Metz aus Darmstadt. Dr. Müller aus Frankfurt. J. Hoffmann aus Eisfeld. Dr. Kreuznacher, Advokat in Eisenach.4
3 Irrtümlich für: Rödelheim. 4 Die Unterzeichner waren allesamt profilierte Vertreter der kleindeutsch-liberalen Bewegung: Rudolf von Bennigsen (1824–1902), seit 1855 Mitglied der zweiten Kammer der hannoverschen Landstände; Friedrich Julius Frese (1821–1883), Literat und Journalist; Gottlieb Christian Schüler (1798–1874), Jurist, Rat am thüringischen Oberappellationsgericht; August Lammers (1831–1892), Journalist bei der „Zeitung für Norddeutschland“; Emil Jacobs (1802– 1866), Historienmaler aus Gotha; Fedor Streit (1820–1904), Journalist und Advokat, Mitglied des coburgischen Landtags; Heinrich Gustav Plitt (1817–1879), Richter, Vorsitzender der Lübecker Bürgerschaft; Hans Viktor von Unruh (1806–1886), Eisenbahnunternehmer; August Eberhardt Habicht (1805–1896), Jurist, 1848/49 Staatsminister von Anhalt-Dessau; Theodor Winter, Leipzig; Friedrich Zabel (1802–1875), Chefredakteur der „Nationalzeitung“; Eberhard Ludwig Cretzschmar (1792–1862), Gutsbesitzer in Rödelheim bei Frankfurt; August Ludwig von Rochau (1810–1873), Publizist und Journalist in Heidelberg; Hermann Hering (1821–1887), Jurist, Mitglied des Landtags von Sachsen-Weimar-Eisenach; Bernhard Jäger (1829–1900), Advokat in Hirschberg an der Saale; Franz Gustav Duncker (1822–1888), Verleger und Eigentümer der „Berliner Volkszeitung“; Siegfried Wilhelm Albrecht (1826–1896), Obergerichtsanwalt in Hannover, Abgeordneter der zweiten hannoverschen Kammer; Carl Theodor Breusing (1789–1867), Kaufmann und Bankier, Mitglied der zweiten hannoverschen Kammer; Eduard Brockhaus (1829–1914), Verleger, Redakteur der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“; Franz Ludwig Siegel (1812–1877), Advokat und Journalist in Dresden; Hugo Fries (1818–1889), Advokat, Mitglied des sächsischen Landtags; Egmont Lucius (1814–1884), Advokat und Notar in Braunschweig; Andreas Reuß (1812–1863), Redakteur des „Nürnberger Kurier“; Friedrich Wilhelm Henneberg (1815–1880), Rechtsanwalt und Notar in Gotha, Mitglied des gothaischen Landtags; Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883), Anwalt und Publizist; August Joseph Metz (1818–1874), Advokat in Darmstadt; Sigmund Müller (1810–1899), Advokat und Notar in Frankfurt, Präsident der gesetzgebenden Versammlung; Julius Hoffmann
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Anlage V zum Protokoll. Für jetzt nicht zu veröffentlichen. Die neuesten Kriegs- und Friedensereignisse haben die ganze Ohnmacht unserer deutschen Bundesverfassung klar gelegt. Der Spott des Auslandes erhöht, wo möglich, noch die Erbitterung im Innern, welche durch die nur zu gerechte Furcht nicht gemindert wird, daß eine neue Veranlassung uns in gleicher Wehrlosigkeit wieder finde. Unser seitheriges Bestreben für Sicherung staatlicher Freiheit und politischen Fortschritts in größeren und kleineren Kreisen ermuthigt uns, nach unseren schwachen Kräften, zur Beseitigung dieses Jammers hinzuwirken, soweit es auf geistigem Wege der Ueberzeugung und Belehrung und vom Volke selbst aus möglich. Wir wenden uns vertrauend und mit warmen Herzen an den Norden und Süden, an den Westen und Osten von Deutschland; wir sprechen zu jedem deutschen Manne, welcher überhaupt ein großes Deutschland mit kräftiger Centralgewalt und freiheitlicher Volksvertretung will – ohne Rücksicht auf religiöses oder politisches Glaubensbekenntniß, sofern er nur eben eine nationale Entwicklung Deutschlands im Sinne des Fortschritts will, und sofern er nur umgekehrt ein verdummendes, fanatisches und entzweiendes Pfaffenthum irgend einer Confession nicht will. Jeder gesetzliche Weg, welcher unserem gesammten deutschen Vaterlande eine kräftigende Einigung, eine ehrenvolle und mächtige Stellung nach Außen sichert, soll von uns mit Freuden begrüßt, jeder ernstliche Plan, welcher ein Niederhalten der partikularistischen Gelüste von irgend einer Seite und eine Vereinigung der Gesammtgewalt des deutschen Volks in einer mächtigen Centralgewalt ermöglicht, mit Dank unterstützt werden. Wir versprechen jeder Regierung, welche durch Beseitigung der Hindernisse nationaler und freiheitlicher Entwicklung in ihrem Innern und durch Maßregeln im Sinne staatlicher Kräftigung von Gesammtdeutschland zur Erreichung ehrlich und ernstlich mitwirken will, im Voraus unsern kräftigsten Beistand. Wir erklären auch ebenso fest, daß wir kein echtes Glied des deutschen Volkes ausschließen, vielmehr unsererseits Alles thun wollen, um den gesammten germanischen Stamm ungetrennt und ungetheilt zu erhalten. (1810– 1882), Rittergutsbesitzer, Porzellanfabrikant, Mitglied des Landtags von Sachsen-Meiningen; vgl. Dokumente aus geheimen Archiven, Bd. 5; Biefang (Hrsg.), Der Deutsche Nationalverein; Best/Weege (Hrsg.), Biographisches Handbuch; Jansen (Hrsg.), Nach der Revolution; Rack/Vielsmeier (Hrsg.), Hessische Abgeordnete; ADB, Bd. 13, S. 615–617. – Zu Winter, Katzenstein, Taschner und Kreuznacher ließen sich keine näheren biographischen Angaben ermitteln.
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Dagegen erwarten wir auch und dürfen von jedem ehrlichen Vaterlandsfreunde mit aller Zuversicht hoffen, daß er ohne Rücksicht auf persönliche Sympathieen und Antipathieen und etwaiger vergangener Fehler und Versündigungen von dieser oder jener Seite uneingedenk alle Kraft aufbiete, um die geistige und moralische Einigung, hiermit aber die herbeizuführende wahrhaft kräftige politische Einheit auch überall zu fördern, wo er sie findet. Wir erwarten namentlich, daß jeder Anhänger der nationalen Fortschrittspartei genau prüfe, welche deutschen Einzelregierungen von einem wahrhaft volksthümlichen Zug der Freiheit und nationalen Gefühls durchweht seyen oder nicht und von welcher daher etwas Volksthümliches und Freies im Ernste zu erwarten sey, und daß er derjenigen seinen Beistand und seine volle moralische Unterstützung leiste, welche in unserem Sinne zu wirken sucht. Wir glauben auch, daß bei einem derartigen Urtheilen nach Thatsachen Preußen als der Staat, die preußische Regierung als das Gouvernement erscheine, welches augenblicklich in sehr vortheilhaftem Gegensatz zu andern Staaten und insbesondere zu Oesterreich unbedingt unserem erstrebenen [sic] Ziele am meisten nachstrebt, auf dem Weg der Reform nach Innen und Außen zu wirken sucht. Es ist demnach gewiß unsere Pflicht und die Pflicht jedes sein Vaterland ehrlich und über Alles liebenden deutschen Mannes, diese Sachlage anzuerkennen, und durch unseren Ausspruch und jede moralische Hülfe Preußens Regierung und Volk zu ermuthigen und zur Entwicklung einer noch größeren und mehr hervortretenden offenen Energie in Fortsetzung des begonnenen Reformwerks anzuregen. Wer vorstehenden Sätzen, wie sie zur Erläuterung des sog. Eisenacher Programms hier zusammengestellt sind, aus vollem Herzen beistimmen kann, wer in sich den Drang und die Kraft fühlt, für die Idee eines einigen Deutschlands mit nach Außen kräftigen und nach Innen freien Institutionen – ohne Rücksicht auf die vorerstige Form der Regierung und Einigung – zu handeln und zu leiden, der schließe durch öffentliche Erklärung sich uns an, wirke in seinen Kreisen mit zur weiteren Entwicklung unserer Ideen, damit recht bald die Zeit komme, wo Deutschland kein geographischer Begriff mehr sey, sondern ein wahrhaft festes, alle deutschen Glieder glücklich einigendes Band es umschlinge. Wir werden fortfahren, durch Versammlungen, durch Aufrufe, durch Bildung von Vereinen und sonstigen erlaubten5 Mittel unseren Hauptzweck zu erreichen: kräftige Einigung von Deutschland durch Bildung einer nationalen Fortschrittspartei.
5 Emendiert. Vorlage: erlaubter.
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Von vorstehendem Standpunkte aus stimme und wirke ich bei der heutigen Versammlung mit. Eisenach, den 14. August 1859. Metz. Ich schließe mich vorstehender Erklärung an: Hugo Fries. – G. C. Schüler aus Jena. – H. Hering. – H. Schultze-Delitzsch. – F. Lucius aus Braunschweig. – Advocat Siegel. – Dr. Taschner. – Habicht. – von Unruh. – Dr. Müller aus Frankfurt a. M. – Dr. Jäger. – E. Kretzschmar. – Breusing aus Osnabrück. – F. Henneberg aus Gotha. – W. Albrecht aus Hannover. – Katzenstein. – A. Reuß, Redacteur in Nürnberg. – August Ludwig von Rochau. – F. Jacobs von Gotha. – H. Winter. – von Bennigsen aus Hannover. – Dr. Fr. Zabel, Redacteur der Nationalzeitung in Berlin. – August Lammers, Redacteur der Zeitung für Norddeutschland in Hannover. – Feodor Streit. – Dr. Plitt aus Lübeck.
11. Artikel in den Deutschen Blättern Deutsche Blätter. Ein Sprechsaal für gebildete Vaterlandsfreunde. Verbunden mit der Zeitschrift „Der deutsche Verkehr“, Neue Folge 6 vom 15. August 1859, S. 42 f.
Die deutsche Viel- und Kleinstaaterei und die Ordnung des Deutschen Bundes stehen weder der äußeren Machtentfaltung Deutschlands noch der inneren Wohlfahrt der Nation im Wege. Die deutschen Mittel- und Kleinstaaten sind in vieler Hinsicht besser entwickelt als die Großstaaten. Die bestehende Ordnung ist kein Unheil, sondern ein nationaler Segen.
Frankfurt am Main, 15. August 1859 Große und kleine Staaten. I. Die deutsche Viel- und Kleinstaaterei ist der hergebrachte Sündenbock, dem alles Unheil aufgehalst wird, wenn es im deutschen Vaterlande nicht zugeht, wie es soll. Wir haben schon wiederholt erörtert, wie auch in dieser Beziehung die wunderlichsten Verwirrungen der Begriffe als baare Münze umlaufen. Es ist zunächst eine gewaltige Täuschung, wenn Tausende behaupten, unsere Vielstaaterei trage daran Schuld, „daß Deutschland unter den Völkern nicht den Rang einnehme, der ihm gebührt“. Schon aus dem einfachen Grund ist dieser
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Artikel in den Deutschen Blättern
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Satz grundfalsch, weil es gar nicht wahr ist, daß dem deutschen Volk das ihm zukommende Theil an internationalem Ansehn vorenthalten ist. Zwei der Staaten des deutschen Bundes zählen im Areopag der Völker als Großmächte und Niemand wagt es, den Kronen Oestreich und Preußen ihren Rang oder Einfluß streitig zu machen. Würden die Staaten des übrigen Deutschlands ihre staatliche Existenz verlieren und der Norden dem preußischen, der Süden dem Kaiser-Staate einverleibt werden, so würden beide Staaten doch nichts weiter sein und bleiben, als Staaten ersten Ranges, wenn die Kräfte jedes derselben auch durch 81/2 Mill. neuer Unterthanen einen erklecklichen Zusatz erhielten. Würde Oestreich oder Preußen sämmtliche 17 Millionen allein sich zu Gemüthe führen, so wäre der so vergrößerte Staat immer nicht mehr oder weniger, als was er jetzt schon ist – eine Macht ersten Ranges. Wären aber alle 17 Millionen des übrigen Deutschlands zu einem besonderen Staate einheitlich verschmolzen, so wären sie dennoch keine Großmacht, sondern ein Staat zweiten Ranges. Nur dadurch nimmt Preußen die Stellung einer Großmacht ein, daß eben im nichtöstreichischen Deutschland eine zweite compacte Macht nicht besteht. Würde eine solche gegründet, so würde man Preußen und diese neue Macht schwerlich mehr als Mächte ersten Ranges anerkennen und ihnen dieselbe Geltung gewiß nicht zugestehen, wie den Reichen England, Rußland, Oestreich und Frankreich. Es ist also ein thörichter Vorwurf, den man der jetzigen Staatenordnung macht, daß sie das internationale Ansehn und den Einfluß Deutschlands nicht zur Geltung kommen lasse. Wir zählen bereits zwei Repräsentanten im Rath der fünf europäischen Mächte. Sind diese nur einig, so haben sie auch das übrige Deutschland hinter sich und sind dann die erste Continentalmacht des Welttheils. Aber noch viel unverständiger ist die Behauptung, daß die Vielstaaterei der Entwicklung der inneren Wohlfahrt der deutschen Nation im Wege stehe. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“1 Der Werth bestehender Staatseinrichtungen zeigt sich doch zunächst in den Verhältnissen des Volkswohls. Wir fragen: Welcher Theil Deutschlands blüht in Wohlfahrt und Bildung mehr, als gerade die Mittel- und kleinen Staaten? Die wichtigsten Emporien unsers Handels, die Hansestädte, gehören zu den winzigsten Mikrokosmen in Deutschland. Man halte doch Umschau in den deutschen Landen – wo ist der Wohlstand allgemeiner, Bildung und Sittlichkeit, heiterer Lebensgenuß mehr zu Hause – in den Provinzen Oestreichs und Preußens oder in den kleineren Staaten? Wenn man das Contingent der bedeutenden Männer, welche Deutschland den Wissenschaften und Künsten, dem Kriegswesen und der Diplomatie geliefert hat, statistisch vertheilt, so wird sich finden, daß die kleinen 1 Matthäus-Evangelium 7,16.
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deutschen Gemeinwesen viel mehr hervorragende Geister geliefert haben, als Preußen und Deutschöstreich zusammengenommen. Die ausgezeichnetsten Staatsmänner und Feldherrn der beiden Großstaaten waren Söhne der kleineren Länder. Große Reiche verleihen ihren Angehörigen mehr Schutz nach außen. Sind sie richtig verwaltet, so gewähren sie die großen Vortheile der Freizügigkeit auf einem weiten Gebiet und erleichtern den Umlauf der Menschen, Waare, Capitale. Den kleinen Gemeinwesen stehen auch wieder wichtige Vortheile zu Gebot. Die Mittel und Bedürfnisse sind übersichtlicher. Es ist viel leichter, mit Gesetzgebung und Verwaltung den Gebrechen Linderung zu verschaffen, wie in großen Staaten, wo die Zustände viel ungleichartiger sind und der freien Bewegung der Staatsgewalt tausend Rücksichten in den Weg legen. Viel besser steht es mit den Unterrichtsanstalten der meisten Kleinstaaten, wie der beiden großen. An Schien- und Steinstraßen sind sie weit reicher und einzelne haben Anlagen geschaffen, an die sich die Großstaaten schwerlich gewagt haben würden, wie z. B. die großartige Schöpfung des Bremer Hafens.2 Die Staatsfinanzen sind überall vortrefflich geordnet. Der Beamtenstand steht an Intelligenz und Moralität hinter dem preußischen nicht zurück. Und was die Verhältnisse politischer Bildung und Freiheit betrifft, so ist es damit in den meisten kleineren Ländern besser bestellt, wie in Oestreich und Preußen, weil durch die constitutionellen Verfassungen, so mangelhaft sie sich auch in manchen Beziehungen zeigen, ein bei weitem größerer Bruchtheil des Volks zu den öffentlichen Angelegenheiten herangezogen wird, wie in den großen Staaten. In der Existenz so vieler Fürstenhöfe liegen hochwichtige Hülfsmittel der Bildung, indem sie anregend wirken und wenn man des Kostenpunktes so häufig erwähnt, so vergleiche man doch die Budgets der großen mit denen der kleinen Staaten. Der Bürger der kleinen Länder ist mit Steuern viel weniger belastet, wie der Oestreicher oder Preuße – schon aus dem einfachen Grund, weil ein kleines Gemeinwesen sich viel sparsamer verwalten läßt, als ein Großstaat. Wir wollen auch die Mängel nicht verschweigen, sondern genauer betrachten. Im Allgemeinen ist es aber ein grundfalscher Wahn, daß die deutsche Viel- und Kleinstaaterei ein Uebel sei; sie hat uns 35 Heerde der Bildung und des Wohlstandes geschaffen und dadurch der Kraftentwicklung der Nation in einer Weise aufgeholfen, gegen welche die großen centralisirten Staaten sehr 2 Der Artikel bezieht sich hier auf die Anlage von Bremerhaven, die auf Initiative des Bremer Bürgermeisters Johann Smidt 1827 erfolgte. Im Jahr 1851 war das Hafenbecken noch einmal vergrößert worden. Vgl. Schulz, Vormundschaft und Protektion, S. 469–476.
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Platen an Beust
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abstechen. Unsere Staatenordnung ist kein Unheil, sondern ein nationaler Segen und wenn einst der Strom der Zeiten die kleinen Staaten verschlungen haben wird, werden die Forschungen der Kundigen ihnen ein ganz andres Zeugniß ausstellen, als jetzt die einseitigen Doctrinäre von Neu-Gotha.
12. Platen11 an Beust HStA Dresden, 10 717, Nr. 930, fol. 148 f. Eigenhändiges Privatschreiben. Behändigte Ausfertigung.
Soll der Bund nicht alles Ansehen verlieren, so muß bald eine vernünftige Bundesreform eingeleitet werden. Eine Bekämpfung der Angriffe gegen den Bund auf administrativem Weg erscheint Platen unmöglich.
Weissenhaus2, 16. August 1859 Hochgeehrter Freund. Ihr freundliches Schreiben vom 9ten d.3 nebst den interessanten Depeschen, welche Sie nach Wien haben abgehen lassen4 habe ich gestern empfangen und beeile mich Ihnen meinen lebhaftesten Dank für das mir bewiesene Vertrauen auszusprechen. Es freut mich Ihnen bereits jetzt mitzutheilen [sic] zu können, daß ich Ihrer Auffassung in der vorliegenden Frage völlig beistimme. Freilich ist dies nur meine individuelle Ansicht, aber ich zweifle nicht, daß auch m.a. Herr dieselbe theilt. Wenn auch die democratische Bewegung im gegenwärtigen Augenblicke von keiner sehr großen Bedeutung ist, so können doch veränderte Umstände derselben eine nachhaltige Wirkung verschaffen, und jedenfalls thun die Regierungen gut auf ihrer Hut zu sein. Der Bund, so wie er jetzt lebt und webt, befriedigt keine Partei und es muß durchaus etwas geschehen, was die conservative Partei mit ihm aussöhnt. Wir haben in Hannover diese Ansicht seit langer Zeit gehabt und glaubten des Bundes Ansehen und Würde durch die holsteinische Sache zu retten. Noch in der jüngsten Zeit haben wir, 1 Adolf Graf von Platen-Hallermund (1814–1880), 1855–1866 Außenminister von Hannover; NDB, Bd. 20, S. 511. 2 Schloß Weissenhaus an der Ostsee, der Familiensitz der Grafen von Hallermund. 3 Mit Schreiben vom 9. August 1859 übersandte Beust Platen-Hallermund seine Depesche an Könneritz samt vertraulicher Nachschrift vom 5. August 1859 (Dok. 7); HStA Dresden, 10 717, Nr. 930, fol. 103. 4 Vgl. Dok. 7.
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Weissenhaus, 16. August 1859
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wie Sie wissen, diesen Weg im Ausschusse betreten.5 Aber auch dieses scheint mir nicht ausreichend zu sein. Soll der Bund nicht alles Ansehen in Deutschland verlieren, so müssen meiner Ansicht nach die Regierungen eine vernünftige Bundesreform recht bald in die Hand nehmen. Die Angriffe auf den Bund durch die Presse und administrative Maßregeln zu bekämpfen, scheint mir unmöglich. Es muß durchaus etwas geschehen, was den vernünftigen Deutschen mit diesem fast lächerlich gewordenen Institut wieder aussöhnt. Um die desfallsigen Ansichten des Wiener Cabinets kennen zu lernen, habe ich Z.6 nach Wien gesandt. Leider habe ich aber von ihm noch keine Nachricht. So bald ich nach Hannover zurückgekehrt bin, was gegen Ende des Monats geschieht, werde ich Ihnen das Resultat der in Wien gepflogenen Besprechungen mittheilen. Bis dahin mit ausgezeichnetster Hochachtung Ihr treu ergebener Platen-Hallermund
5 Platen bezieht sich auf die Beratungen des Bundestagsausschusses für die holstein-lauenburgische Frage. Der Ausschuß war von der Bundesversammlung im Jahr 1857 eingesetzt worden, nachdem die holsteinischen und lauenburgischen Stände sich im September und Oktober 1857 mit Beschwerden an den Bundestag gewandt hatten. Diese waren ausgelöst worden durch das Vorgehen der dänischen Regierung, die seit 1857 wieder auf die vollständige Einbeziehung der Elbherzogtümer in die dänische Gesamtstaatsverfassung hinarbeitete. Die Bundesversammlung stellte sich auf die Seite der Stände und drohte der dänischen Regierung eine Bundesexekution an für den Fall, daß sie die in den Londoner Protokollen von 1852 gegebenen Zusicherungen nicht einhalten und die Rechte der holsteinischen und lauenburgischen Stände schmälern sollte. Der Bund versuchte in der national aufgeladenen Frage die Rechte der deutschsprachigen Bevölkerung und ihrer Vertreter zu schützen und versprach sich davon eine Verbesserung seines Ansehens in der deutschen Öffentlichkeit. Vgl. dazu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 450–473, hier vor allem S. 452–455. 6 Wahrscheinlich der Geheime Regierungsrat Gustav Zimmermann; siehe unten Dok. 157, Anm. 3.
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Hügel an Beust
Nr. 13
13. Hügel11 an Beust HStA Dresden, 10 717, Nr. 930, fol. 153–156. Vertrauliches Privatschreiben. Behändigte Ausfertigung. Praes.: „Eingang zur Kanzlei am 21. August 1859.“ – Der eigenhändige Entwurf Hügels im HStA Stuttgart, E 50/01, Büschel 866, trägt den Vermerk: „vertraulich u. privatim“.
Die von Beust angeregten Maßregeln des Bundes gegen die nationale Agitation der Demokraten erscheinen Hügel aussichtslos und nicht empfehlenswert, weil dadurch das Ansehen des Bundes noch weiter sinken würde, und weil nicht zu erwarten ist, daß sich alle Staaten diesen Maßregeln anschließen. Preußen wird einen derartigen Bundesbeschluß mit Sicherheit ablehnen, und auch Bayern wird sich daran wahrscheinlich nicht beteiligen. Hügel ist aber bereit, an weiteren mündlichen Verhandlungen der mittelstaatlichen Minister teilzunehmen. Wenn über eine Bundesreform beraten werden sollte, so wären zunächst die Schaffung eines Bundesgerichts sowie gemeinnützige Einrichtungen in Betracht zu ziehen. Für die entsprechenden Verhandlungen sollte ein Beirat von Sachverständigen eingesetzt werden, der bis zu einem gewissen Grade die verlangte Nationalvertretung ersetzen könnte.
Stuttgart, 16. August 1859 Hochgeehrter Freund! Empfangen Sie meinen verbindlichsten und aufrichtigsten Dank für die sehr werthvolle Mittheilung, welche Sie mir mit Ihrer geehrten Zuschrift vom 9. d. Mts. gemacht haben.2 Die vertrauliche Form dieser Mittheilung giebt mir den erwünschten Anlaß, mich hierüber zunächst in derselben Weise gegen Sie zu äußern. Ich habe mich beeilt, Ihr geehrtes Schreiben nebst seinen Beilagen dem Könige, meinem allergnädigsten Herrn, zu unterbreiten. Es gereicht mir zur lebhaften Befriedigung, Ihnen mittheilen zu können, daß Seine Majestät Ihr volles Einverständniß mit Ihren Anschauungen höchsteigenhändig auf Ihr Schreiben bekundet haben. Was meine Ansicht betrifft, so können Sie nach dem, was ich bereits mündlich gegen Sie zu äußern die Ehre hatte, darüber nicht im Zweifel seyn, daß ich im Grundgedanken mit Ihnen übereinstimme, darin nämlich, daß die deutschen Regierungen an der Bundesverfassung mit Entschiedenheit festzuhalten haben; daß sie eben darum den gegen die Bundesverfassung und auf den Umsturz des Bundes und der Einzelstaaten gerichteten Bestrebungen, wie sie neuerdings in Partei-Versammlungen und in der Presse sich kundgeben, nicht gleichgiltig und unthätig zusehen dürfen; daß vielmehr die geeigneten Maß1 Karl Eugen Freiherr von Hügel (1805–1870), 1855–1864 Außenminister von Württemberg; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 420. 2 Am 9. August hatte Beust seine Depesche an den sächsischen Gesandten in Wien, Könneritz, vom 5. August nebst einer vertraulichen Nachschrift (siehe Dok. 7) übersandt; Beust an Hügel, 9. August 1859; HStA Dresden, 10 717, Nr. 930, fol. 102.
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nahmen zur Rettung des Ansehens und der Würde des Bundes dringend geboten erscheinen und eine dießfällige Verständigung der deutschen Regierungen sich als höchst zweckmäßig und wünschenswerth darstellt; endlich, daß man auch über die Haltung, welche Preußen fortan zur Bundesverfassung einnehmen will, in’s Klare kommen sollte. Wenn Sie, hochgeehrter Freund, der Ansicht sind, daß die fragliche Verständigung am Bunde herbeizuführen und daß von der Bundesversammlung die geeigneten Maßnahmen gegen die vorerwähnten feindseligen Partei-Bestrebungen zu beschließen wären, so verkenne ich keineswegs die gewichtigen Gründe, welche für ein solches Verfahren sprechen mögen. Auf der andern Seite aber kann ich mich der Ueberzeugung nicht verschließen, daß einem Vorschreiten der Bundesversammlung sehr erhebliche Bedenken entgegenstehen. Sie wissen selbst, mit welchem Erfolge die von der Bundesversammlung in früherer Zeit für die Aufrechthaltung der Ordnung und Sicherheit im Innern Deutschlands und der Einzelstaaten getroffenen Anordnungen ausgebeutet worden sind, um die Bundesverfassung in der öffentlichen Meinung Deutschlands zu discreditiren und dem Bunde die Sympathien der deutschen Völker zu entfremden. Ist nicht – nachdem der Bund in der letzten politischen Crise eine seiner Hauptaufgaben, die Interessen und die Sicherheit Deutschlands nach Aussen zu wahren, nicht erfüllt hat, worüber wir nicht im Zweifel seyn dürfen, wenngleich die Schuld hieran nicht an der Bundesverfassung, nicht an den deutschen Mittel- und Kleinstaaten, sondern lediglich an der von Preußen eingenommenen und beharrlich festgehaltenen Haltung liegt – ist nicht, sage ich, sehr zu befürchten, daß die Bundesversammlung auch bei den Besserdenkenden in Deutschland an Ansehen sehr verlieren und deren Sympathien verscherzen könnte, wenn sie, nachdem der Friede kaum geschlossen ist und damit die unmittelbare Gefahr für Deutschland vorerst beseitigt scheint, sich beeilen würde, Polizeimaßregeln gegen Bestrebungen, welche sich mit der Fahne nationaler Einheit decken, zum Gegenstande ihrer Berathungen und Beschlußnahme zu machen? Hiezu kommt noch, daß ich sehr bezweifeln möchte, ob sämmtliche Bundesregierungen und gerade die größeren derselben geneigt wären, sich an solchen vom Bunde zu beschließenden Maßnahmen zu betheiligen. Wenn auch vielleicht Oesterreich hiefür wäre, so ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß Preußen entschieden einem derartigen Bundesbeschlusse entgegentreten würde. Ich glaube aber, daß auch Bayern einer solchen Maßnahme des Bundes entgegen wäre. Bei der bekannten Richtung des dermaligen bayerischen Ministeriums, bei der Stellung, welche dasselbe insbesondere zur Presse eingenommen hat, wird eine Betheiligung dieser Regierung an einem Bundesbeschlusse der fraglichen Art kaum zu erwarten seyn – am allerwenigsten nach dem glänzenden Siege, den das Ministerium ganz kürzlich in dem Ergebnisse der Münchener Kammerverhandlungen über den bekannten Völk’schen An-
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trag errungen hat3 – ein Ergebniß, welches allerdings eine eclatante Niederlage der Gothaer und Democraten constatirt. In der That erfahre ich auch, daß Freiherr von Schrenk4 die in Ihren Depeschen an Herrn von Könneritz ausgesprochenen Befürchtungen in geringerem Maaße hegt und daß er Maßregeln, welche vom Bunde ausgehen würden, abgeneigt ist, indem er glaubt, daß die bundesfeindlichen Bestrebungen nahe daran seyen, sich im Sande zu verlaufen. Vielleicht modificirt sich diese Anschauung des bayerischen Ministers in Folge mündlicher Besprechung, welche er, wenn ich recht unterrichtet bin, in nächster Zeit mit Ihnen in Gastein haben wird. Sollten Sie nach den Resultaten dieser Besprechung es für zweckmäßig halten, daß noch weitere mündliche Verhandlungen etwa mit mehreren Departementchefs deutscher Mittelstaaten stattfinden, um sich über gemeinsame Maßnahmen zu verständigen, so bin ich hiezu gerne bereit und zweifle nicht, daß auch der König, mein allergnädigster Herr, hiezu Seine Zustimmung geben werde. Hiernächst beehre ich mich noch beizufügen, wie ich hoffe, daß das obenerwähnte Ergebniß der Münchener Kammerverhandlungen über die Frage von einer Bundesreform seine Wirkung in weiten Kreisen in Deutschland nicht verfehlen werde und zwar in einer Weise, durch welche der Erreichung Ihrer Absichten vorgearbeitet und zugleich die Verständigung der deutschen Regierungen über die im Interesse des Ansehens und der Würde des Bundes zu ergreifenden Maßregeln erleichtert werden wird. Sollten diese Maßregeln aber wirklich durchführbar seyn und den gewünschten Erfolg haben, so wird – darin sind Sie, wie ich aus dem Schlusse Ihrer Depesche an Herrn von Könneritz folgen darf, mit mir einverstanden – die Mitwirkung der beiden deutschen Großstaaten nicht zu entbehren seyn. Hiezu ist aber vor Allem eine Verständigung in der Sache zwischen Oesterreich und Preußen erforderlich. Es wird daher wohl zunächst zu erwarten seyn, welche Aufnahme Ihre Vorschläge in Wien gefunden haben und zu welchen Einleitungen sich das dortige Gouvernement hiedurch insbesondere dem Berliner Cabinete gegenüber veranlaßt finden wird. Was dann noch besonders das Verhältniß Preußens zur Bundesverfassung betrifft, so zolle ich den in Ihrer vertraulichen Nachschrift zu der Depesche vom 5n d. Mts. niedergelegten Anschauungen meinen ungetheilten Beifall. Gewiß habe auch ich das von Preußen schon vor der letzten politischen Crisis consequent an den Tag gelegte feindselige Verhalten gegen den Bund tief beklagt, und die Haltung, welche Preußen während der letzten sechs Monate 3 Siehe Dok. 9. 4 Karl Ignaz Freiherr Schrenk von Notzing (1806–1884), 1850–1869 und 1864–1866 bayerischer Bundestagsgesandter, 1859–1864 bayerischer Staats- und Außenminister; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 27.
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dem Bunde gegenüber beobachtet hat, macht es auch nach meinem Erachten dringend nothwendig, daß Preußen genöthigt werde, sich über seine künftige Stellung zur Bundesverfassung klar und entschieden auszusprechen. Dieser Zweck wird aber allerdings wohl nur zu erreichen seyn, wenn Dasjenige, was für die Wahrung des Bundes zu geschehen hat, zum Gegenstande von Berathungen der Bundesversammlung gemacht wird. Diese Berathungen werden aber, wie ich bereits zu bemerken die Ehre hatte, sich nicht mit denjenigen Maßnahmen zu beschäftigen haben, welche bezüglich der gegen den Bund gerichteten Partei-Versammlungen und Kundgebungen in der Presse zu treffen wären, sondern vielmehr mit der Frage, ob und welche Verbesserungen der Bundesverfassung zu geben wären. In dieser Beziehung scheint mir, wenn von eigentlichen Reformen der Bundesverfassung die Rede ist, allerdings zunächst vielleicht nur die Einsetzung eines Bundesgerichts in Betracht genommen werden zu können, doch schiene mir eine wesentliche Verbesserung der bestehenden Bundes-Einrichtungen auch darin zu liegen, wenn festgestellt würde, daß künftig für diejenigen Verhandlungen am Bunde, welche gemeinnützige Einrichtungen zum Gegenstande haben, ein Beirath von Sachverständigen an die Seite gesetzt werden soll. Eine solche Einrichtung würde sich der Anerkennung des practisch denkenden Theiles der deutschen Völker zu erfreuen haben und wenigstens bis zu einem gewissen Grade geeignet seyn, die so vielseitig verlangte Nationalvertretung am Bunde zu ersetzen. Indem ich Ihnen, hochgeehrter Freund, in Vorstehendem meine vorläufige Ansicht über Ihre geehrte Zusendung mitzutheilen die Ehre habe, beharre ich mit der Ihnen bekannten Hochschätzung Ihr ganz ergebenster Hügel
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HStA Dresden, 10 717, Nr. 930, fol. 159–162. Depesche. Abschrift. Vermerk: „Durch den k. k. österreich. interim. Geschäftsträger Herrn Grafen v. Traun br. m. mitgetheilt.“ Druck: Srbik (Hrsg.), Quellen zur deutschen Politik Österreichs, Bd. 1, S. 16–19.
Die neuesten Parteibestrebungen können im Hinblick auf ihre nationalen Ziele nicht auf baldige Erfolge rechnen. Allerdings wird ihr erstes Ziel, die Auflösung der Bundesverfassung, unglücklicherweise von Preußen unterstützt. Da auf ein festes Auftreten Preußens für das Bundesprinzip nicht zu rechnen ist, würde der Versuch, am Bunde über Maßregeln gegen die bundesfeindlichen Bewegungen zu verhandeln, nur ein Schauspiel der Unsicherheit und des Unvermögens darbieten. Den preußisch-unitarischen Bestrebungen sollte nicht durch eine Aktion des Bundes, sondern durch die Einzelregierungen vor allem der Mittelstaaten begegnet werden, indem die konservative Presse das föderative Prinzip geltend macht. Eine dauernde Wiederbefestigung der durch Preußens Politik erschütterten Bundesverfassung kann nur das Ergebnis einer zukünftigen Auseinandersetzung mit Preußen, und je nach Umständen einer offenen Bekämpfung seiner Anforderungen sein. Beust wird aufgefordert, konkrete Vorschläge zur Reform der politischen, militärischen und judiziellen Einrichtungen des Bundes zu machen, mit denen Österreich und die Mittelstaaten gegenüber Berlin und der deutschen Öffentlichkeit hervortreten könnten.
Wien, 19. August 1859 Hochgeborener Graf! Je mehr wir überzeugt sind, daß die in Deutschland unter dem Eindrucke der letzten Ereignisse hervorgetretenen Parteibewegungen die ernste Aufmerksamkeit der deutschen Regierungen in Anspruch nehmen, desto lebhafteres Interesse hat uns eine Mittheilung gewährt, durch welche das Dresdener Cabinet uns seine Ansichten über die moralische Situation Deutschlands und über die durch dieselbe den Regierungen gestellte Aufgabe hat aussprechen wollen. Der königl. sächsische Herr Gesandte hat die Gefälligkeit gehabt, den betreffenden Erlaß des Freiherrn von Beust sammt einer vertraulichen Nachschrift2, die den Gedanken des königlichen Cabinets noch bestimmter bezeichnet, mir in Händen zu lassen und ich beehre mich Ew. pp. in dem engen Vertrauen, welches der Natur der uns gemachten Eröffnung entspricht, diese Schriftstücke anbei in Abschrift mitzutheilen. Die Gegenstände, welche darin besprochen werden, sind so wichtig und erheischen eine so vielseitige Erwägung, daß ich weit entfernt bin, die mir von einer ersten Prüfung der Darlegung des Freiherrn von Beust gebliebenen Ein-
1 Hugo Graf Abensberg und Traun (1828–1904), österreichischer interimistischer Geschäftsträger in Dresden; ÖBL, Bd. 1, S. 563. 2 Vgl. Dok. 7.
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drücke irgendwie für feststehend oder gar für erschöpfend ausgeben zu wollen. Im Interesse der Sache werde ich nichts desto weniger versuchen, Ihnen so genau als möglich, schon diese vorläufigen Eindrücke streng vertraulich im Folgenden wiederzugeben. In einer Weise, die nicht treffender sein könnte, kennzeichnet Freiherr von Beust den Ursprung und die Richtung der neuesten Parteibestrebungen in Deutschland, sowie den Grad der Gefährlichkeit, mit welchem dieselben für den Augenblick verbunden sein mögen. Wir theilen ganz seine Ansicht, daß die Parthei, welche durch ein deutsches Parlament zu dem Ziele der Ausschließung Oesterreichs aus Deutschland unter Mediatisirung der übrigen deutschen Staaten unter Preußen gelangen will, die Macht der Ereignisse und der Thatsachen zu wenig für sich hat, um auf augenblickliche Erfolge zählen zu können. Ja die Erkenntniß, daß diese Parthei, ungeachtet der angemaßten Fahne der nationalen Einheit, ihrem ganzen Wesen nach antinational und die gefährlichste Gegnerin der Wohlfahrt Deutschlands ist, scheint im Allgemeinen eher zu- als abgenommen zu haben. Die Parthei selbst beginnt schon sich auf Programme zurückzuziehen, deren Wirkung nicht auf den Moment berechnet ist. Sie hat sich ohnehin dermalen nur aus Fractionen der sogenannten gothaischen und der demokratischen Parthei zu bilden vermocht. Unglücklicherweise sieht sie aber ihr nächstes Ziel, die Lockerung und Auflösung der deutschen Bundes-Verfassung, mächtig gefördert durch das Verhalten Preußens während der letzten Crisis, und sie darf daher wagen, ihre Angriffe ganz offen gegen den Bund zu richten, während es überaus problematisch ist, ob diese große Institution für den Augenblick regelmäßig und sicher genug funktioniren könne, um durch von ihr ausgehende Maßregeln ihr Ansehen aufrecht zu erhalten. Unzweifelhaft wäre es, wie das Dresdner Cabinet mit Recht sich gesagt hat, von großem Vortheile, wenn die kgl. preußische Regierung es über sich gewänne, nicht bloß im vertraulichen Verkehr mit ihren Bundesgenossen, sondern laut und öffentlich, und namentlich durch Mitwirkung zu gemeinsamen Maßregeln am Bunde, an den Tag zu legen, daß sie mit jenen gegen die Grundlagen der bestehenden Verfassung Deutschlands gerichteten Bewegungen nichts gemein habe. Ließe sich dieß erreichen, so würde die Lage der Dinge unstreitig dazu auffordern, daß wir uns wegen der Mittel, ferneren Angriffen auf die Existenz und Autorität des Bundes entgegenzutreten, zuvörderst mit dem Cabinete von Berlin in Einvernehmen setzten. Wir können jedoch nicht bergen, daß wir bis auf Weiteres an einen günstigen Erfolg eines solchen Versuchs wenig glauben, da nur ein sehr entschiedenes und von Rückgedanken freies Auftreten Preußens für das Bundesprincip die Entmuthigung der bundesfeindlichen Partheien wirklich zur Folge haben könnte, während ohne eine solche Mitwirkung Preußens eine Verhandlung am Bunde nur ein
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niemanden, als diesen Partheien selbst, willkommenes Schauspiel der Unsicherheit und des Unvermögens darbieten würde. Deshalb war es auch nicht sowohl die Aktion des Bundes, als die individuelle Thätigkeit der einzelnen Regierungen, die wir im Auge hatten, als wir durch unseren Erlaß vom 28n v. Mts.3 deren Aufmerksamkeit auf die jüngsten Kundgebungen des Partheigeistes in Deutschland lenkten. Was uns für den ersten Augenblick angezeigt erschien, war eine feste und möglichst übereinstimmende Sprache der Regierungsorgane und der conservativen Presse namentlich in den deutschen Mittelstaaten, die vorzugsweise den Beruf haben, das föderative Princip und ihre eigene neben Oesterreich und Preußen ebenbürtige nationale Bedeutung gegenüber den preußisch-unitarischen Bestrebungen geltend zu machen. Es schien uns nicht unmöglich4, daß unter den gegenwärtigen diese Bestrebungen so wenig begünstigenden Conjunkturen schon solche moralische Gegenwirkungen ausreichen würden, um zu erlangen, daß der bessere öffentliche Geist in Deutschland über Agitations-Versuche, die sich kaum in bedeutenderen Kreisen wie einst die sogenannte deutsch-katholische Bewegung, fortzupflanzen scheinen, gewissermaßen zur Tagesordnung übergehe, gleichwie dieß jüngst die Majorität der baierischen Abgeordneten-Kammer gethan hat. Uebrigens schließt diese Ansicht natürlich nicht aus, daß wir mit dem Freiherrn von Beust ganz darin einverstanden sind, daß schon die Würde des deutschen Bundes und seiner Mitglieder erheische, auch mit Verboten sofort einzuschreiten, sobald die bundesfeindlichen Partheien zu gesetzwidrigen Handlungen, z. B. zur Abhaltung von Versammlungen Behufs des Anschlusses an die Eisenacher oder andere ähnliche Erklärungen, überzugehen versuchen würden. Nur möchten wir glauben, daß wenn die Regierungen sich verabredeten keine derartige Versammlung zu dulden, und eintretenden Falles, das erlassene Verbot dem deutschen Bunde anzuzeigen, die Sanktion des Bundes für eine solche Anzeige weit leichter zu erlangen sein würde, wie für eine allgemein im Voraus grundsätzlich angeregte Repressiv-Maßregel. Das seither Gesagte bezieht sich jedoch nur auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten der augenblicklichen Lage, denn nichts ist wahrer, als daß, wie Freiherr von Beust in der erwähnten vertraulichen Nachschrift hervorhebt, eine gründliche und dauernde Wiederbefestigung der durch Preußens Politik leider erschütterten Bundes-Verfassung nur das Ergebniß einer dereinstigen klaren Auseinandersetzung mit dem Berliner Hofe, und je nach Umständen einer offenen Bekämpfung seiner Anforderungen sein kann. Freiherr von Beust 3 Rechberg an den Gesandten August Freiherr von Koller (1805–1883) in Berlin, 28. Juli 1859, Srbik (Hrsg.), Quellen zur deutschen Politik Österreichs, Bd. 1, S. 5 f. 4 Emendiert. Vorlage: möglich. Vgl. die Abschrift im HStA Stuttgart, E 50/01, Büschel 866.
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verhehlt sich aber zugleich nicht die ernste Natur der Frage, ob der Moment geeignet erscheine, um zwischen den Regierungen Deutschlands, und zunächst zwischen den Höfen von Oesterreich und Preußen, eine solche eingehendere Erörterung der Bundes-Verhältnisse herbeizuführen, und insbesondere Preußen in die Lage zu versetzen, sich über die Möglichkeit und Ausführbarkeit einer gedeihlichen Fortbildung der Bundes-Verfassung auf der gegebenen Grundlage zu erklären, was das Berliner Cabinet seither systematisch vermieden hat. Wir wagen diese Frage nicht ohne weitere Erwägung zu bejahen, und müßten jedenfalls, um bestimmtere Anhaltspunkte für unsere Meinung hierüber zu gewinnen, entschiedenen Werth darauf legen, daß Freiherr von Beust, welcher als Minister eines rein deutschen und an der Bundes-Verfassung festhaltenden Staates einen so freien und unbefangenen Standpunkt einnimmt, uns näher andeutete, welche bestimmte Verbesserungen in den politischen, militärischen, judiciellen Einrichtungen des Bundes nach seiner Anschauung der Verhältnisse von uns in Berlin in Anregung gebracht und in der öffentlichen Meinung Deutschlands von Oesterreich und den Mittelstaaten gemeinsam vertreten werden könnten. Ew. pp. wollen die vorstehenden Bemerkungen dem Königlichen Herrn Minister des Aeußern mittheilen und zugleich um eine Notiz darüber ersuchen, ob das königl. Cabinet seine Depesche vom 5n d. Mts. auch noch andern deutschen Höfen und namentlich jenem von Berlin zur Kenntniß gebracht habe, da es in diesem Falle im Interesse der Sache liegen dürfte, daß die betreffenden kaiserlichen Gesandtschaften in den Stand gesetzt würden, sich, soweit solches angemessen ist, vorläufig im Sinne des gegenwärtigen Erlasses auszusprechen. Empfangen pp. (gez.) Rechberg.
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15. Zwölf Thesen zur nationalen Zukunft Deutschlands Deutsche Blätter. Ein Sprechsaal für gebildete Vaterlandsfreunde. Verbunden mit der Zeitschrift „Der deutsche Verkehr“, Neue Folge 7 vom 22. August 1859, S. 49–51.
Es droht eine Periode kriegerischer Stürme, und es ist wahrscheinlich, daß Deutschland in internationale Kämpfe verwickelt wird. Das einzige Mittel zur Abwehr der dadurch drohenden Gefahren ist die Einigkeit der deutschen Nation. Ferner ist die Einigkeit der regierenden Gewalten sowohl mit dem Volk als auch mit den Regierungen der anderen deutschen Staaten erforderlich. Das A und O ist die Einigkeit Österreichs und Preußens. Durch Bundesverfassungen kann man die Einheit der deutschen Staaten niemals herbeiführen. Durch eine stärkere Ausbildung der Bundesgewalt wird die Einigkeit zwischen Österreich und Preußen nicht gekräftigt, sondern vernichtet werden. Der Versuch, eine der Großmächte aus dem Bundesleben zu entfernen, würde zum Bürgerkrieg führen. Der einzige Weg zur Einigung ist eine freiwillige Verständigung der Regierungen von Österreich und Preußen über eine richtige nationale Politik. Das dringendste Bedürfnis ist die Steigerung der deutschen Wehrkraft durch Gründung eines Oberkommandos und Vereinheitlichung der militärischen Strukturen. Die Regierenden müssen energische Männer sein, die das Vertrauen des Volkes haben, wo das nicht der Fall ist, sollen die Minister entlassen werden. Man soll fortfahren, der Nation auf allen Feldern einheitliche Einrichtungen zu geben. Der Schlange der Revolution trete man auf den Kopf und hüte sich vor dem Parteigeist, der das Volk entzweit. Es wäre verderblich, das Experiment von 1848 zu wiederholen
Frankfurt am Main, 22. August 1859 Zwölf Thesen an die Schloßkirche in Eisenach.1 1. Aller menschlichen Voraussicht nach droht nach langer Friedenszeit eine Periode kriegerischer Stürme. Es ist wahrscheinlich, daß Deutschland, schon durch seine centrale Lage von jeher die Wahlstatt der europäischen Kriege, in die internationalen Kämpfe verwickelt werden wird, weil es durch seine reichen Mittel bei staatlicher Getheiltheit ein natürliches Ziel fremder Bereicherungs- und Eroberungssucht bildet. Die Gefahren, welche im Fall eines Krieges die Nation bedrohen, sind zunächst Zerstörung des Wohlstandes, wachsende Entsittlichung, Vernichtung der bürgerlichen Freiheit, Einkehr einer verwilderten Soldatenherrschaft, Decimirung des Volks durch Kämpfe und Seuchen. 1 Die Thesen spielen einerseits auf Martin Luthers Thesenanschlag an der Schloßkirche zu Wittenberg im Jahr 1517 an, und sie wenden sich andererseits gegen die von den Demokraten auf ihrer Versammlung in Eisenach am 17. Juli 1859 verabschiedete Resolution und das am 14. August 1859 verkündete Eisenacher Programm der Anhänger eines kleindeutschen Bundesstaates; vgl. Dok. 5 und 10.
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Es ist aber auch die Besorgniß begründet, daß der Krieg die bestehenden Staaten vernichtet, innere Kämpfe die Nation wieder ergreifen und ein Theil derselben unter Fremdherrschaft gelangt, um losgetrennt vom deutschen Nationalleben die Bahnen romanischer oder slavischer Reiche zu wandeln, wie Lothringen-Elsaß. 2. Die Mittel der Abwehr so schwerer Gefahren liegen, so weit menschliche Selbstbestimmung auf die Geschicke eines Volkes einzuwirken vermag, einzig in der Einigkeit der deutschen Nation. Durch die Einigkeit Deutschlands kann der Krieg verhütet und sein Ausbruch vertagt werden. Sind die Deutschen einig, so werden sie im Fall des Kriegs mit oder ohne Allianzen den Feind überwinden. Kein Fußbreit deutschen Gebietes wird in fremde Hände fallen, man wird zurückerobern, was an deutschen Landen dereinst an fremde Staaten verloren ging. Ist die Nation uneinig, so wird Deutschland wieder ein trauriger Tummelplatz innerer Kämpfe und auswärtiger Eroberungslust sein. 3. Das Fundament alles staatlichen Zusammengehens ist der einträchtige Sinn des deutschen Volkes. Je mehr alle Stämme und Stände von dem Bewußtsein durchdrungen sind, daß sie zusammengehören und durch ihre innige Verbindung ein machtvolles Ganzes bilden, desto stärker ist das harmonische Zusammenwirken auch ihrer staatlichen Gewalten verbürgt, da in stürmisch bewegten Zeiten keine Regierung bei Wahl ihrer politischen Bahnen über das Denken und Fühlen des Volkes sich wegsetzen wird und kann. 4. Ein weiteres Erforderniß ist die Einigkeit der regierenden Gewalten. Zunächst mit dem regierten Theil des Volks. Ohne das gegenseitige Band der Anhänglichkeit und des Vertrauens zwischen Regierern und Regierten wird die Auflösung der staatlichen Ordnung in den kleineren Gemeinwesen mit dem ersten Kanonenschuß beginnen, der aus feindlichem Geschütz durch die deutschen Gauen hallt. Furcht und Mißtrauen werden sich der Bevölkerung aller schwächern Staaten bemächtigen, die Gewalt der Regierung lähmen, Factionen und anarchische Zustände hervorrufen und das Land dem ersten besten Eroberer in die Hände liefern. Einigkeit der deutschen Regierer unter sich ist ein eben so dringendes Bedürfniß. Sind die Monarchen Deutschlands entzweit, so werden seine Feinde leich-
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tes Spiel haben – wie es auf jedem Blatt der deutschen Geschichte verzeichnet steht. 5. Das A und O aller gouvernementalen Einigkeit ist die Eintracht Oestreichs und Preußens. Durch die Eintracht der beiden Hauptmächte wird zugleich die Eintracht aller übrigen deutschen Regierungen auf das vollständigste garantirt. Jeder Gedanke einer Opposition ist in Deutschland unausführbar, wenn die Cabinette von Wien und Berlin in weisem und ehrlichem Sinne über die politischen Mittel und Zwecke einverstanden sind. Aus der Entzweiung der beiden Hauptmächte muß naturgemäß auch die Entzweiung der übrigen Regierungen hervorgehen, da solche zu einer selbständigen Stellung zu schwach und daher bei Wahl ihrer Allianzen auf Beachtung der natürlichen Machtsphäre angewiesen sind, der sie nach ihrer geographischen Gestaltung unterliegen, wie denn z. B. Süddeutschland für den Fall eines Krieges nur die Wahl hat, sich an Frankreich oder an Oestreich anzuschließen. 6. Hindernisse der Eintracht des Volks sind die dem deutschen Character eigenthümliche Unfügsamkeit unter einen fremden Willen, verbunden mit der vorherrschend idealen Richtung der gebildeteren Classen Deutschlands, einer natürlichen Folge des mangelnden großen Staatslebens, das allein ein Volk zur politischen Bildung erzieht. Das Hinderniß der Eintracht der Regierungen liegt in dem Umstand, daß die Lenker Preußens und Oestreichs sich bis jetzt noch nicht über ein gemeinsames Zusammengehen zu verständigen vermochten. Die Parthei, welche dermalen das Ruder des preußischen Staates lenkt, strebt nach Ausscheidung Oestreichs aus dem staatlich-nationalen Bundesleben und nach der alleinigen Hegemonie über die kleinern deutschen Länder, während die östreichische Regierung den möglichst innigen Anschluß an Deutschland als eine Lebensbedingung des Kaiserstaates betrachtet. 7. Durch Bundesverfassungen, parlamentarische und executive Centralgewalten kann man die Einheit der deutschen Staaten niemals herbeiführen. Kein Großstaat wird sich in Bedrängnissen, bei denen es sich um die ersten Bedingungen der Macht und sogar der staatlichen Fortexistenz handelt, bei denen nicht bloß die Meinungen, sondern sogar die Interessen oft in schwerem Widerstreit stehen, dem Willen der Mehrheit fremder Regierungen bloß darum unterwerfen,
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weil der Bundesvertrag ihm solche Verpflichtungen auferlegt. Noth kennt kein Gebot. Im Gegentheil lehrt die Erfahrung, daß solche künstliche Organisationen erst recht zur fruchtbaren Quelle der traurigsten Entzweiung werden, wenn ihnen nicht volles Einverständniß über die Ziele, Bedürfnisse und Mittel der Politik zu Grunde liegt und nicht bloß die Ausführung, sondern die Principien selbst erst durch Bundesbehörden gesucht und gefunden werden sollen. Durch straffere Ausbildung der Bundesgewalt wird die Einigkeit zwischen Preußen und Oestreich nicht gekräftigt, sondern vernichtet werden. 8. Noch weniger gerechtfertigt ist der Gedanke, die Einheit der deutschen Politik dadurch herbeizuführen, daß man eine der beiden entzweiten Großmächte aus dem Bundesleben zu beseitigen sucht. Sowohl Oestreich wie Preußen legen auf die föderative Verbindung mit dem übrigen Deutschland den größten Werth und werden sich freiwillig niemals zum Aufgeben solchen Bandes verstehn. Nur der Gewalt würden sie weichen, das wäre aber gerade der Weg zum Bürgerkrieg. Noch in andern wesentlichen Beziehungen ist aber dieser Gedanke gegen die ersten Sätze der politischen Vernunft, da es sich ja nach der jetzigen Lage darum vor allem handelt, kriegerische Stürme und fremde Eroberungsgelüste vom deutschen Boden abzulenken oder niederzuschlagen – Preußen aber mit dem übrigen Deutschland allein einer französisch-russischen Coalition lange nicht gewachsen ist, wenn Oestreich einem Bundeskriege fremd bleiben sollte. 9. Das einzige Mittel, um die östreichisch-preußische Einigkeit herbeizuführen, ist eine freiwillige Verständigung ihrer Regierer über eine richtige, nationale Politik. Das einzige Princip, das zu einer ehrlichen und dauernden Verständigung führen kann, ist Verzichtleistung auf jeden Sondervortheil, auf jedes hegemonische Vorrecht, auf alle Erbschaftsgelüste. Mannhaftes Auftreten gegen außen, vorurtheilsfreie Beachtung der Gesammtinteressen, gerechtes und rücksichtsvolles Handeln den schwächeren Bundesgenossen gegenüber, conservative Gesinnung bei muthigem Fortschreiten, Achtung des Rechtes und der Sittlichkeit. Ohne Beseitigung der Minister aus dem Rathe der preußischen Krone, welche durch frühere politische Niederlagen persönlich erbittert, in der Ausscheidung Oestreichs aus dem deutschen Bundesleben und in der Errichtung eines preußisch-deutschen Sonderbundes die Aufgabe der preußischen Politik sehen, ist die östreichisch-preußische Einigung ein Ding der Unmöglichkeit.
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So lange die Verständigung der beiden Hauptmächte fehlt, der auch im Geiste ihrer Bevölkerungen erhebliche Hindernisse im Wege stehen, bleibt den übrigen deutschen Staaten nichts übrig, als sich einträchtig an einander zu schließen, ihre nationalen und staatlichen Kräfte durch feste Vereinigung zu erhöhen und dadurch nicht allein dem Ausland gegenüber sich zu einer politischen Kraft zu gestalten, sondern auch auf die Einigkeit Preußens und Oestreichs moralisch einzuwirken. Das kann aber aus bereits angedeuteten Gründen nicht durch förmliche neue Föderativkörper geschehen, weil solche das einzige jetzt bestehende, wenn auch noch so unvollkommene Band der Bundesverfassung zerstören und sowohl bei Preußen wie bei Oestreich als gegen ihr Recht und ihre Interessen gerichtet auf den entschiedensten Widerstand stoßen würden. Wohl aber durch ihre freie Verständigung, ein Weg, der das Bundesrecht nicht gegen sich und die Erfahrung für sich hat, da eine Reihe der wichtigsten Reformen dadurch erlangt worden ist. Es steht nichts im Weg, daß sich zunächst die Regierungen der Mittel- und Kleinstaaten in fortwährender Verbindung erhalten und in freien Conferenzen über die einzuschlagenden politischen Bahnen berathen. Eben so wenig bedenklich scheint es in drangvoller Zeit, daß aus dem Schoße der Landtage zuverlässige Vertrauensmänner zu jenen Berathungen gezogen werden, um solche gründlicher und vielseitiger zu machen und zugleich das Mißtrauen abzuwenden, dem in solchen Lagen die nicht öffentliche Wirksamkeit der Diplomatie beim Volke leicht verfällt. 10. Bei Feststellung der politischen Pläne muß als Grundgedanke festgehalten werden, daß es sich jetzt vor Allem darum handelt, sich auf kriegerische Stürme einzurichten, ohne darum den Verrichtungen zu entsagen, welche die Wohlfahrt und Zufriedenheit des Volks auch in den Tagen des Friedens zu erhöhen geeignet sind. Es ergibt sich mithin als dringendstes Bedürfniß, die Wehrkraft der deutschen Länder möglichst zu steigern, ohne doch den Bevölkerungen allzudrükkende Opfer aufzulegen, da ja der Wohlstand und die wirthschaftliche Kräftigkeit eines Volkes eine eben so unerläßliche Bedingung der kriegerischen Wehrkraft bilden, als die Menge der Soldaten und Festungen. Das jetzige Wehrwesen der meisten deutschen Länder ist in höchst unvollkommenen Zustand. Mit Ausnahme Baierns hat kein deutscher Staat ein Kriegsheer, sondern nur eine größere oder geringere Zahl von Soldaten, die fast einzig auf dem Papier als Bundesarmeen figuriren, jedoch weder äußerlich noch innerlich zu einem
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taktischen Ganzen vereinigt und daher nur als Material eines Heeres zu betrachten sind. Es ist die erste Bedingung jeder Verbesserung, daß dieses Aggregat von Einzelkräften zu wirklichen organischen Körpern geformt wird. Ohne Aufhebung der bestehenden Bundeskriegsverfassung müssen aus den betreffenden Contingenten des 8., 9. und 10. Armeecorps drei wirkliche Heere geschaffen werden, welche nach gleichen Principien organisirt, eingeübt, bewaffnet in gegenseitige Verbindung gebracht und systematisch darin erhalten werden müssen, so daß sie im Stande sind, auch ohne Verbindung mit preußischen oder östreichischen Regimentern ins Feld geführt zu werden. Gründung eines Obercommandos mit dem nöthigen Stabe, gemeinsame Uebungslager, Verbindung der technischen Waffen, Einführung gemeinschaftlicher Bildungsanstalten ec. ec. und was sonst noch zur Herstellung einer einheitlichen Verbindung zu einer Armee dient – Beseitigung der jetzigen Einzelstellung, die wenigstens in den Kleinstaaten bei aller Tüchtigkeit des Offizierstandes nur den Spott des Auslandes erregt und doch große Opfer verschlingt. Mit Ausnahme der wenigen Bundesfestungen ist in allen kleinern Ländern für die Vertheidigung gar nichts geschehen. Die Küsten der Nordsee sind offen, ein paar fremde Kriegsschiffe genügen, um unsern überseeischen Handel lahm zu legen. Ganz versäumt ist der Schutz der wichtigen Eisenbahn- und Steinstraßen, der Flüsse, der vielen Gebirgspässe, nichts ist geschehen, um die Vortheile von Wald, Berg, Moor zu einem Vertheidigungssystem zu benutzen. Hat ein auswärtiger Feind den Gürtel der Festungen einmal durchbrochen, so ist er nicht gehindert, sich auf deutschem Boden frei zu bewegen, der doch einer Landesvertheidigung große Vortheile bietet. Es ist ganz unabweisbar, daß sich die kleineren Staaten dazu verstehen, neben ihren 3 Feldarmeen noch eine wirksame Landesvertheidung einzurichten, bei welcher das schweizerische System recht füglich zu benutzen wäre, das wenigstens eine Menge tüchtiger Schützen schafft, sehr wenig kostet und im Volke den kriegerischen Geist viel mehr erhöht, als der Garnisons- und Kamaschendienst. Einführung militärischer Turnübungen auch in den Schulen des flachen Landes, Wiederbelebung der Schießstätten und Schützenfeste, regelmäßige Benutzung der Sonntagsnachmittage zum Einexerciren der Mannschaft in ihren Heimathorten wären die unentbehrlichen Mittel. Aus den Bevölkerungen der Nordseegegenden, deren Niederungen keine guten Landsoldaten aber vortreffliche Matrosen erziehn, wäre eine Kriegsflotte zu bilden, deren Aufgabe zunächst aber dahin ginge, die Vertheidigung der Küsten zu vervollständigen, da es an den Mitteln fehlt, um eine große Kriegsmarine zu unterhalten. Dafür wäre den betreffenden Ländern die Stellung von Linientruppen ganz oder theilweise zu erlassen.
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11. Es ist die erste Pflicht der Bevölkerungen, durch alle Mittel sich möglichst wehrhaft zu erhalten, nicht durch leeres Bürgerwehrspiel, sondern durch Heranbildung der Jugend zu einem kräftigen, körpergewandten und waffengeübten Geschlecht. Das Selbstgefühl und nationalen Sinn zu erwecken, ist dringende Obliegenheit der Schule und Erziehung. Gründung nationaler Feste ohne polizeiliche Angst. Durch richtig geleitete politische Vereine und die Presse ließe sich der Geist wecken und wachhalten, der Noth thut. Bloßes Strohfeuer ist von Uebel. Es ist eine weitere Pflicht der deutschen Bevölkerungen, ihren Regierungen die so schwere Stellung nicht durch Mißtrauen und unzeitige Opposition zu erschweren, sondern in allen Beziehungen durch ein dem Ernst der Lage entsprechendes Thun und Lassen möglichst zu erleichtern. Die Sorge für die Interessen der Freiheit ist an sich eine berechtigte. Aber es ist Unverstand, sie in einer Periode als ersten Richtpunkt zu betrachten, in welcher die ersten und unersetzlichsten Güter auf dem Spiel stehn – Existenz, Habe, nationale Fortdauer. Auch die freisten Völker fügen sich in solchen Lagen der Beschränkung der Freiheit, der Einführung militärischer und diplomatischer Dictatur. 12. Aber die vermehrten Rechte der Regierer sind auch mit Vermehrung der Pflichten verbunden. Möglichst tüchtige, das Vertrauen des Volkes genießende, energische und umsichtige Männer ans Ruder! Wo das nicht der Fall ist, entlasse man die Minister mit vollem Gehalt, das sind keine Zeiten, wo man mit etwas Repräsentation, Gelehrsamkeit und bureaukratischer Routine das Schiff eines Staates lenkt. Man fahre fort, der Nation auf allen Feldern möglichst einheitliche Institutionen zu geben. Wie leicht wäre es, z. B. für die nichtpreußischen und nichtöstreichischen Länder eine gemeinsame Civil- und Criminalgesetzgebung zu schaffen! Aber vor allem Achtung und Vertrauen auch dem Volke. Gerechtes und billiges Handeln in humaner Form. Man entsage der unseligen Reactionspolitik, die sich mit Sisyphus-Arbeit abmüht, dem kläglichen Polizeistaat, der gegen die Symptome wüthet, statt das Uebel zu heilen, man übe ein freisinnigeres System im Leben der Kirche und Schule, der Vereine und Corporationen. Aber der Schlange der Revolution trete man klug und mannhaft auf den Kopf. ––––––––––––
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Naht dann der Feind nach den Schickungen der Vorsehung von West oder Nord, so wird er ein kampfbereites und rüstiges Volk finden, das in den Bergen und Wäldern der Heimath den vaterländischen Heerd mannhaft vertheidigen wird, wenn es auch staatlich getheilt ist. Aber auch für die Eintracht Preußens und Oestreichs wird es Ausschlag gebend sein, wenn das „übrige Deutschland“ sich zu einem kräftigen Ganzen verbindet und im Leben des Bundes auch politisch als achtbares Glied geltend macht, wie es ihm durch Zahl, Wohlstand und Bildung seiner Bevölkerung zukommt. Vor Allem aber hüte man sich vor dem Partheigeist, der jetzt wieder sein Haupt zu erheben beginnt. Einem entzweiten Volke flicht die Siegesgöttin keine Kränze. Nicht auf der Stiftung einer „nationalen Parthei“ beruht des Vaterlandes Wohl, sondern auf der Einigkeit, auf der willigen Unterwerfung unter die bestehenden Gewalten, auf dem guten Willen, dem Vertrauen und Ansehen der Regierer. Niemand weiß, ob wir auf solchem Weg uns der Feinde erwehren werden – er ist mit manchen Klippen umgeben. Aber jeder Deutsche sollte wissen, daß unser Verderben sicher ist, wenn wir in Momenten, wo die größten Opfer in Thun und Lassen dem Volke angesonnen werden müssen, dahin streben wollten, den Massen die gewohnten Führer zu entziehn und an Stelle der Fürsten, wie der Volksvertretungen in den deutschen Ländern wieder das Experiment einer vielköpfigen Versammlung zu setzen, wie im Jahr 1848. So unvollkommen sich auch unsere jetzige Staatenordnung darstellt, so bietet sie immer noch bei weitem mehr politische Mittel und Kräfte, als die Organisationsversuche der Doctrin, die im Streben nach formellen Garantieen das Haupterforderniß aller Einheit zerstören – die Eintracht der Nation, der Regierer und Regierten.
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16. Beust an Savigny1 1 GStA Berlin, III. HA, Nr. 147, fol. 146–153. Privatschreiben. Behändigte Ausfertigung. Druck: Real (Hrsg.), Savigny, Bd. 2, S. 744–750.
Beust setzt sich mit dem von Savigny mitgeteilten preußischen Standpunkt auseinander, wonach Preußen sich nicht darauf einlassen könne, die Bundesverfassung auf der bestehenden Grundlage weiterzuentwickeln und die Bundesaufgaben noch zu vermehren. Dieser Standpunkt laufe dem wahren preußischen Interesse zuwider und werde Preußen isolieren. Beust kritisiert die moralische Unterstützung der preußischen Regierung für die bundesfeindliche öffentliche Meinung. Schon jetzt verbindet sich die Revolution mit der preußischen Regierung, die eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Bund und seiner Verfassung zeigt. Diese Gleichgültigkeit ist verderblich für die öffentlichen Zustände in Deutschland und muß deshalb bekämpft werden. Wenn der bundesfeindlichen Agitation weiter freier Lauf gelassen wird, führt dies nicht zur Einheit, sondern zur Zerreißung Deutschlands von innen und von außen. Es liegt in der Hand der preußischen Regierung, den Angriffen auf den Bund entgegenzutreten und sich für eine Verbesserung der Bundeseinrichtungen einzusetzen.
Dresden, 25. August 1859 Mein sehr geehrter Freund! Unseren Verabredungen gemäß habe ich Ihnen in Abschrift den an unsern Gesandten in Wien unterm 5. dieses Monats ergangenen Erlaß2, die Agitation gegen den Bund betreffend, übersendet. Dessen Kenntnißnahme in Berlin wird hoffentlich den Zweck erreichen, unsere Anschauungen und Absichten in das rechte Licht zu stellen und etwaigen irrigen Nachrichten zuvorzukommen. Im Uebrigen glaube ich nicht, daß – wenigstens für die nächste Zeit – Ihrer Allerhöchsten Regierung sehr dringender Anlaß geboten sein werde, dem diesseits angeregten Gegenstande ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden, da inmittelst die Bundesferien begonnen haben, und bis zu deren Ablauf man wohl allseits der Meinung sein wird, den weiteren Verlauf der jetzigen Bewegung abzuwarten, um darnach zu bemessen, ob eine Dazwischenkunft des Bundes gerechtfertigt sei und in welcher Richtung dieselbe zu erfolgen haben werde. Höheren Werth würde ich darauf legen, wenn Sie mir erlauben wollten, an unser letztes Gespräch anknüpfend, Ihnen meine Ansichten über die Stellung Preußens zu der angeregten Frage und die dadurch für uns bedingten Beziehungen zu Ihrer Höchsten Regierung auch schriftlich darzulegen. Sie haben, mein sehr geehrter Freund, mir Ihre persönlichen Ansichten über den Ihnen mitgetheilten Erlaß mit jener Offenheit zu erkennen gegeben, die 1 Karl Friedrich von Savigny (1814–1875), 1859–1864 preußischer Gesandter in Dresden, 1864–1866 Bundestagsgesandter; ADB, Bd. 30, S. 452–454; Real (Hrsg.), Savigny, Bd. 1, S. 1–40. 2 Dok. 7.
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ich nicht dankbar genug zu schätzen weiß und deren Erwiederung ich mir zur Pflicht mache, indem ich mir von deren fortgesetzter gegenseitiger Anwendung wenigstens den Erfolg verspreche, daß wir beiderseits die gegenüberstehenden Rechte, Pflichten und Interessen mit Unbefangenheit beurtheilen, eine Annäherung die viel weiter führt, als ein versöhnliches Hinweggleiten über einmal bestehende Gegensätze. Erinnere ich mich aber recht Ihrer Worte, so haben Sie, abgesehen von der außerordentlichen Abneigung, die Sie mit Recht auch auf Seite anderer Regierungen gegen bundestägige Repressivmaßregeln voraussetzten, mir den Standpunkt Preußens folgendermaßen dargelegt. Preußen habe schon vor 1848 zeitgemäße Reformen des Bundes angestrebt, ohne zu Resultaten damit zu gelangen. Seine Bemühungen die durch die Bewegung der Jahre 1848 und 1849 gestörten Bundesverhältnisse auf einer neuen Basis zu regeln, seien ebenfalls vereitelt worden; es habe ebensowenig der von anderer Seite gebotenen Umgestaltung des Bundes sich anzuschließen in seinem Interesse gefunden, und so habe es dann die einfache Rückkehr zur Bundesverfassung und Wiederbeschickung der Bundesversammlung als eine Art Sicherheitshafen betrachtet, in welchem das Einlaufen unter den damaligen Umständen geboten erschien. Daß die jetzige Bundesverfassung für Preußens Stellung und Aufgabe oftmals eine beengende und erschwerende sei, habe sich immittelst [sic] so allgemein fühlbar gemacht, daß es fortan in Preußen weder einen Regenten, noch einen Staatsmann, noch einen Staatsbürger geben könne, der nicht davon durchdrungen wäre, wie dieses Band nicht noch enger und fester geknüpft werden dürfe, ohne daß gleichzeitig Preußens Stellung im Bunde eine bessere und seinen Machtverhältnissen entsprechendere werde. Angesichts der einer solchen Modification bisher von anderer Seite entgegengestellten Schwierigkeiten sei es aber begreiflich, daß die preußische Regierung, ihrem eigenen Lande gegenüber, sich nicht wohl auf Vorschläge einlassen könne, welche berechnet wären, den Aufbau der Bundesverfassung auf der jetzigen Grundlage noch weiter zu entwickeln und auf diesem Wege die dem Bunde gestellten Aufgaben noch wesentlich zu vermehren. Erlauben Sie mir nun, diesen preußischen Standpunkt, der mir bereits vielfach anschaulich geworden ist, etwas näher in’s Auge zu fassen. Zunächst würde ich mir erlauben, gewissermaßen protestando daran zu erinnern, daß zwar i. J. 1848 eine Auflösung der Bundesversammlung, nicht aber irgend ein Act stattgefunden habe, welcher die Zurechtbeständigkeit der Bundesacte und Wiener Schlußacte hätte in Frage stellen können. Daher kann die bestehende Bundesverfassung wohl in keiner Weise als eine aus den Dresdner Conferenzen hervorgegangene Transaction betrachtet werden; ebensowenig kann dies in Bezug auf die Bundesversammlung der Fall sein, deren
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Wiederzusammentritt, nach dem Aufhören der provisorischen Centralgewalt und dem Scheitern aller Verständigungen über eine anderweite Einrichtung, durch das Fortbestehen der Bundesgrundgesetze von selbst bedingt war. Ich könnte daher jener Anschauung auch das einhalten, daß der also unzweifelhaft bestehende Bundesvertrag Anspruch habe, von allen Bundesgenossen mit gleichem Eifer nicht allein gehalten, sondern auch gepflegt und gefördert zu werden und daß es daher moralisch nicht in der Macht Preußens liegt, dieser Verfassung engere oder weitere Grenzen zu ziehen. Ich sehe aber hiervon ab, und stelle mich jenem Standpunkte gegenüber auf das praktische Feld, und da geht nun meine Ansicht dahin, daß dieser Standpunkt dem wahren preußischen Interesse zuwiderlaufe, indem ich auf der einen Seite nicht zugeben kann, daß die gegenwärtige Bundesverfassung eine für Preußens Stellung und Aufgabe beengende und beschränkende sei, während auf der andern Seite ich davon überzeugt bin, daß das Festhalten jenes Standpunktes nur dazu führen muß, Preußen zu isoliren und ihm die naturgemäße Verstärkung seiner Stellung als europäische Großmacht durch Deutschland zu verkümmern. In erster Beziehung darf ich an die Zeiten bis zum Jahre 1848 erinnern, an den langen Zeitraum, wo nach Gründung des Zollvereins Preußen den größten Theil Deutschlands in vertrauensvoller Einigkeit sich näher verband und zwar, indem es in gleicher Weise Regierungen und Völker für sich zu gewinnen wußte. Hat die Bundesverfassung dieses Ergebniß, welches den Namen einer moralischen Eroberung vollständig verdiente, etwa verhindert? Blicken wir ferner auf den Zeitraum seit 1851 zurück, so knüpfen sich daran wohl unbefriedigende Erinnerungen an mancherlei verdrießliche Differenzen. Ich lasse die Frage unerörtert, inwiefern dieselben eine nothwendige Folge der Bundesverfassung gewesen seien. Sie gehörten indessen zumeist Gegenständen untergeordneter Bedeutung an. Welchen Anlaß zur Unzufriedenheit hat dann aber das bestehende Bundesverhältniß Preußen in den wichtigsten, in den auswärtigen Fragen dargeboten? Während des orientalischen Krieges hat Preußen für diejenige Politik, welche es für die richtige erkannt hatte, an der Mehrheit der Bundesglieder entschiedene und beharrliche Unterstützung gefunden, und wenn eben die Politik, welcher die unparteiische Geschichte mit der Zeit Gerechtigkeit widerfahren lassen wird, augenblickliche Ungunst zu erfahren hatte, so konnte es für Preußen nur erwünscht sein, daß die Mittelstaaten sich zu einem brauchbaren Ableiter dafür hergaben. Ist aber wohl während des letzten Krieges die Bundesverfassung wirklich für Preußen ein Hemmniß gewesen, seine Stellung als europäische und als deutsche Macht zu entfalten? Ich will hier nicht auf abgethane Streitfragen zurückkommen, allein, werden Sie mir wohl widersprechen, wenn ich behaupte,
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daß es einen Moment gab, wo Regierungen und Völker in Deutschland einmüthig ein rasches und entschiedenes Vorangehen Preußens verlangten und wo Preußen um diesen Preis die willigste Unterordnung von allen Seiten und die Zustimmung Oesterreichs dazu erwarten durfte? Glaubt aber die preußische Regierung, sie habe es nicht zu bereuen, diesen Vortheil nicht benutzt zu haben, und ist sie zufrieden mit den Resultaten der von ihr befolgten Politik, nun so kann sie sich auch darüber nicht beklagen, daß die Bundesversammlung sie an deren Verfolgung gehindert habe. Wenn ich aber der Meinung bin, daß in der bestehenden Bundesverfassung für die Stellung und Aufgabe Preußens nichts Beengendes liege, so glaube ich mit gleicher Entschiedenheit, daß die Festhaltung der entgegengesetzten Ansicht gerade dahin führt, Preußens Stellung in Deutschland zu beengen und ihm die Erfüllung seiner Aufgabe in Deutschland zu erschweren. Wenn wir eine kleine Anzahl von Regierungen, welche noch dazu, vielleicht mit Ausnahme einer einzigen, dem äußersten Norden angehörigen, kleine Staaten repräsentiren und daher an ihrer relativen Selbstständigkeit geringes Interesse haben, in Abrechnung bringen, so werden Sie mir aufrichtigerweise zugestehen müssen, daß die übrigen Regierungen, mithin namentlich die bedeutenderen, sämmtlich froh waren, der 1849er Union ledig zu werden und in ihre bundesmäßige Stellung zurückzukehren. Sie sind, gleich Denen, welche außerhalb der Union geblieben waren, sämmtlich mehr und weniger überzeugt, daß die geschäftliche Behandlung der Bundesangelegenheiten einer Verbesserung bedürfe und einer Verbesserung fähig sei; daß die Bundeseinrichtungen vervollständigt werden könnten, wohin von mehrern Seiten insbesondere die Errichtung eines Bundesgerichts gerechnet wird; an dem Bunde und den Grundzügen seiner Verfassung halten sie aber alle fest, sie erblicken darin eine wesentliche Garantie ihres Fortbestandes, ihrer Bedeutung, ihrer Theilnahme an der Förderung deutscher Interessen. Tritt nun dieser Auffassung von Seite eines der mächtigsten Bundesglieder eine Anschauung entgegen, welche den Bund und seine Verfassung mehr oder weniger zu einer vorübergehenden Nothwendigkeit stempelt, wie kann es dann anders kommen, als daß Entfremdung und Mistrauen die Folge ist und auf alle gegenseitigen Beziehungen störend und vergiftend zurückwirkt – daß – um die Sache beim rechten Namen zu nennen – Preußen sich den deutschen Regierungen gegenüber isolirt und diese einen Stützpunkt bald in einem engern Verbande unter sich, bald in einseitigem Anschlusse an Oesterreich suchen? Sie werden mir vielleicht einhalten, daß Preußen an dieser Entfremdung nicht die Schuld trägt, sondern die feindselige Haltung, welche eine Anzahl deutscher Regierungen in den Jahren 1849 und 50 gegen Preußen eingenommen hat.
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Ich kann diesen Einwurf nicht gelten lassen. Ob im Laufe jener Jahre überall das rechte Maß eingehalten worden sei, ist eine andere Frage. Aber billigerweise muß doch zugestanden werden, daß man nur darauf ausging, seine eigenen Rechte zu vertheidigen, der Versuch, diejenigen Preußens zu schmälern, ist nie und von keiner Seite gemacht worden. Und wenn leider im Jahre 1852, bei Gelegenheit der Zollkrisis der alte Hader wieder entbrannte, so war es nicht, weil man gegen den Abschluß des Hannöverschen Vertrags3 eine frivole Opposition machen, oder Preußen wider seinen Willen zu einer Zolleinigung mit Oesterreich nöthigen wollte, sondern weil man sich, durch den geheimen Abschluß des hannöverschen Vertrags, – der zwar den preußischen Kammern, nicht aber den Zollvereinsstaaten vor der Ratification zur Annahme vorgelegt, den Letzteren vielmehr als ein fait accompli aufgenöthigt wurde, – in seinen Rechten für bedroht hielt. Sie werden mir vielleicht ferner einhalten, die preußische Regierung könne unmöglich der öffentlichen Meinung des eigenen Landes, welche einmal gegen den Bund und dessen Einrichtungen gestimmt sei, Zwang anthun, und ebensowenig berufen sein, der entsprechenden Geistesrichtung der übrigen deutschen Bevölkerungen entgegenzuarbeiten. Erlauben Sie mir in dieser Beziehung zunächst die Ueberzeugung auszusprechen, daß eben diese öffentliche Meinung zum sehr großen Theile ihren Ursprung und ihre Nahrung in nichts Anderem findet, als in der Lauigkeit, mit welcher die deutschen Regierungen den Bund und seine Verfassung vertreten, und ganz besonders in der stillen Voraussetzung einer Uebereinstimmung und einer moralischen Unterstützung der preußischen Regierung. Glauben Sie mir, hätte die preußische Regierung nur einmal nach dem Wiederzusammentritte der Bundesversammlung Das laut erklärt, was doch nur eine unzweifelhafte Wahrheit ist, daß nämlich Deutschland ein Staatenbund ist und als solcher eine andere Verfassung, als die welche er sich gegeben hat, in der Hauptsache nicht verträgt, so würde die öffentliche Meinung die Richtung, die sie seitdem eingeschlagen hat, schwerlich genommen haben; und hätte ferner Preußen die Initiative am Bunde zu den möglichen Verbesserungen der Bundesverfassung ergriffen, so würde die öffentliche Meinung in eine Bahn gelenkt worden sein, auf welcher ihr und der preußischen Regierung die übrigen Regierungen hätten folgen müssen und ihr auch gern gefolgt wären. Aehnliches ist nun aber nicht geschehen, und Preußen sieht sich, statt der Re3 Der Zollvertrag zwischen Preußen und Hannover vom 7. September 1851 sah den Eintritt Hannovers in den Deutschen Zollverein zum 1. Januar 1854 vor. Der geheim ausgehandelte Vertrag konterkarierte die österreichischen Pläne zur Schaffung einer gesamtdeutschen Zollunion und die auf den Dresdener Konferenzen eingeleiteten Verhandlungen zu einer bundeseinheitlichen Regelung der Zoll- und Handelsverhältnisse. Vgl. Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, S. 144 ff.; Böhme, Deutschlands Weg, S. 35 ff.
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gierungen, die Bevölkerungen näher gerückt. Die Bevölkerungen? Nein! Sagen wir die ganze Wahrheit: die Unzufriedenen aller deutschen Länder hat es für sich. Kann das ein verlässiger, kann das ein erwünschter Bundesgenosse für Preußen sein? Als eine unmittelbare Folge der jetzigen Bewegung tritt schon jetzt hervor, daß die demokratische Partei, welche sich unmöglich gemacht hatte und vom politischen Schauplatze abgetreten war, wieder der gemäßigten liberalen Partei sich annehmbar zu machen gewußt hat. Ich möchte glauben, daß dieser Nachtheil mit der Zeit nicht blos von den Mittelstaaten empfunden werden dürfte. Ich weiß es und spreche damit sicherlich die Ueberzeugung aller deutschen Regierungen aus, Nichts liegt den Gedanken der Regierung Seiner Königlichen Hoheit des Prinz-Regenten ferner, als die Revolution zu fördern und sich gar mit ihr zu verbinden. Aber sie, die Revolution ist es, die sich schon jetzt mit der preußischen Regierung verbindet und sich noch enger mit ihr verbinden wird, wenn man zögert, sie öffentlich zu desavouiren. Läßt es sich denn leugnen, daß die jetzt in Schwung gekommene Bewegung, die umso beharrlicher im Stillen fortschleichen wird, je weniger sie augenblicklich glänzende Erfolge hat, nichts ander[e]s ist, als eine systematische Aufwiegelung der Unterthanen gegen ihre rechtmäßigen Regierungen? Und weil diese, unter dem Zujauchzen eines Theils der preußischen Presse betriebene Aufwiegelung den Namen Preußens auf ihr Banner schreibt und für die Rechnung Preußens stattfindet, so ist die nächste bedauerliche Folge ein Zustand der Nothwehr, der für die deutschen Regierungen eintritt und in welchem die Letzteren sehr gegen ihren Willen und ihre Neigung genöthigt sind, mit ihrer Vertheidigung gegen die Angreifer, mit denen die preußische Regierung nichts zu thun hat, gleichwohl zugleich Preußen und die preußische Regierung zu treffen. Es schlägt Dies in das Capitel ein, das wir schon mehrmals besprachen, die hiesige Regierungspresse. Wir kennen uns seit einer längern Reihe von Jahren und ich hoffe, Sie lassen mir die Gerechtigkeit widerfahren, daß Leidenschaftlichkeit nicht in meinem Charakter liegt. Sollte ich mich aber auch hierin über mich selbst täuschen, so werden Sie mir gewiß soviel Bewußtsein meiner Pflicht zutrauen, um nicht blinde Gefühlsrichtungen in meine amtliche Thätigkeit eingreifen zu lassen. Ich kann in der That mit gutem Gewissen den Vorwurf einer preußenfeindlichen Gesinnung zurückweisen, und seyn Sie versichert, daß es nicht diese ist, welche die sächsische Regierungspresse inspirirt; ich würde mich glücklich schätzen, könnte ich derselben eine andere Richtung vorschreiben als sie oft zu verfolgen genöthiget ist. Aber – kann ich Das?
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Stünde ihr nur die „Preußische Zeitung“4 gegenüber, so könnte auch sie sich in befriedigender Weise ausschweigen. Aber neben diesem officiellen Organe schreiben officiöse Blätter – ich erinnere nur an das „Preußische Wochenblatt“5; – neben diesen wieder ganz unabhängige preußische, und endlich in unserem eigenen Lande preußischgesinnte Zeitungen. Enthalten diese Blätter directe Ausfälle gegen die sächsische Regierung, so läßt sich darauf noch am Ehesten in einer Weise antworten, welche die angreifende Zeitung allein trifft. Viel schwieriger ist Dies, ja fast unvermeidlich wird eine gegen Preußen gerichtete Polemik, wenn die Angriffe indirecter Natur sind. Die sächsische Regierungspresse soll durchaus nicht den Beruf haben, preußische Einrichtungen, Maßregeln und Zustände zum Gegenstande der Kritik zu machen. Wenn aber, wie dies seit einiger Zeit unablässig geschieht, preußische und preußischgesinnte Blätter uns erzählen, wie nur in Preußen Gesetzlichkeit, Aufklärung und Toleranz herrschen und in den übrigen deutschen Staaten mehr oder minder das Gegentheil stattfindet, wie kann die Regierungspresse ihrer Aufgabe, aufklärend und beruhigend zu wirken, anders genügen, als indem sie den Vergleich aufnimmt, und dadurch unwillkürlich auf die Beleuchtung solcher Punkte hingeführt wird, wo dieser Vergleich für uns nicht ungünstig ausfällt? Ebensowenig ist unsere Regierungspresse darauf hingewiesen, den an sich ganz müßigen Streit über Das was Deutschland, während des italienischen Krieges, gefrommt haben würde, fortzusetzen. Wenn aber, nachdem die Regierung Seiner Majestät des Königs aus der überstandenen Krisis mit dem Bewußtsein herausgetreten ist, bundestreu und opferwillig sich gezeigt und gehandelt zu haben, unzähliche [sic] Zeitungsartikel sich bemühen, die dem deutschen Volke gebliebene Mißstimmung zu dem Zwecke auszubeuten, um alle Schuld auf den Bund und dessen Anhänger zu werfen und den Leuten einzureden, daß es nur dann besser werden könne, wenn die deutschen Fürsten sich ihrer Rechte zu Gunsten einer preußischen Oberherrschaft begeben, so bleibt dann freilich nichts Anderes übrig, als die neuste Vergangenheit, welche den Ausgangspunkt für diese Agitation bilden soll, immer und immer wieder zu beleuchten und daraus den Beweis für die Unstatthaftigkeit solcher Zumuthungen zu entnehmen. Auf diese Weise kommen wir aus dem Zustande der Befehdung nicht heraus. Ich bin weit entfernt, zu glauben, daß derselbe der k. preußischen Regierung willkommen sei, er ist aber die natürliche Folge eines Laisser-faire, wel4 Die „Neue Preußische Zeitung“, gemeinhin „Kreuzzeitung“ genannt, erschien von 1848 bis 1939 und war das Organ der preußischen Hochkonservativen; vgl. Bussiek, „Mit Gott für König und Vaterland!“ Die Neue Preußische Zeitung. 5 Preußisches Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen, erschien von 1851 bis 1861 und war das Organ der nationalkonservativen „Wochenblattpartei“; vgl. Behnen, Das Preußische Wochenblatt.
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ches seinen alleinigen Grund in der Gleichgültigkeit für den Bund und die Bundesverfassung hat. Und ich bin aufrichtig genug hinzuzufügen daß, wenn dieser Gedanke einen Vorwurf in sich schließt, ich denselben keineswegs der preussischen Regierung allein mache. Diese Gleichgültigkeit ist es, die wir für so verderblich für die öffentlichen Zustände in Deutschland halten; diese Gleichgültigkeit zu bekämpfen, ist der leitende Gedanke der Ihnen mitgetheilten Depesche. Wenn Jemand einer Genossenschaft angehört und er scheut sich, öffentlichen Verunglimpfungen derselben entgegenzutreten, so setzt er sich selbst herab. Wir schwärmen nicht für die Bundesverfassung als das Ideal deutscher Organisation. Es handelt sich aber nicht darum, dieselbe wie sie ist zur Annahme zu empfehlen, sondern darum, ob fortgefahren werden soll, in ihr und mit ihr zu leben und sie öffentlich herabwürdigen, verspotten und verhöhnen zu lassen. Was jetzt in Deutschland vorgeht, ist ohne Beispiel. Einer Bewegung gegenüber, welche gegen die Verfassung gerichtet ist, pflegt man gewöhnlich zweierlei Wege einzuschlagen; entweder man befriedigt sie, oder man bekämpft sie. Im erstern Falle modificirt man die Verfassung, im zweiten erhält man sie aufrecht, in beiden hat man die Verfassung in den Händen; läßt man aber der Bewegung freien Lauf, ohne das Eine oder das Andere zu thun, so erlebt man eines Tages, daß die Verfassung unterwühlt zusammenbricht und man nichts mehr in den Händen hat. Auf diesen Ausgang werden wir hingeführt, wenn die Dinge so fortgehen als es jetzt der Fall ist. Die unausbleibliche Folge aber davon wird nicht die Einheit, sondern die Zerreißung Deutschlands von Innen und von Außen sein. In der Hand der preußischen Regierung ist viel gelegen; sie hat das Vertrauen der liberalen Parteien, sie kann daher um so leichter jenen gehässigen und unwürdigen Angriffen auf das Grundprincip des Bundes, der ein Staatenbund ist, entgegentreten und allen den stürmischen Stimmen ein Quos ego!6 entgegenrufen. Sie kann ebendeshalb zu einer Verbesserung der Bundeseinrichtungen, welche jenes Grundprincip nicht verläßt, die Hand bieten, ohne an dem Systeme, welches sie für das eigene Land als das richtige erkannt hat, Etwas zu ändern. Dann wird sie die Sympathien der Bevölkerungen von Neuem und fester als bisher gewinnen. Und ich sollte meinen, Beides sei für Preußen nicht zu verachten, will es seine Stellung als europäische Großmacht vervollständigen. Nehmen Sie, mein sehr geehrter Freund, dieses Glaubensbekenntniß freundlich entgegen. Ich fürchte sehr, wir werden noch manchen Strauß 6 „Euch will ich’s zeigen“; Einhalt gebietender Zuruf Neptuns an die tobenden Winde in Vergils „Äneis“; vgl. Duden, Bd. 5: Fremdwörterbuch, S. 657.
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durchkämpfen. Vielleicht kommt es besser. Gott gebe es! Wenigstens glaube ich aber, in dem ich auf diese Weise meine Gedanken schriftlich in Ihre Hände lege, Ihnen die Ueberzeugung zu geben, daß wir hier nicht nach wechselnden Eindrücken und unter fremden Impulsen, sondern nach feststehenden Grundsätzen und gewissenhaften Anschauungen handeln. Mit geehrter Hochachtung Ihr ergebenster Beust
17. Denkschrift von Borries11 HStA Hannover, Dep. 103, VIII, Nr. 62. Reinschrift.
Die gegenwärtige Agitation ist nicht auf eine Änderung der Bundesverfassung, sondern auf die gänzliche Umgestaltung der staatlichen Zustände Deutschlands gerichtet. Die Misere in Deutschland ist nicht in der Bundesverfassung begründet, sondern in der Mißbeachtung der Bundesbestimmungen und -beschlüsse durch einzelne Staaten. Diesem Mißstand kann durch eine Änderung der Bundesverfassung nicht abgeholfen werden. Die Schaffung einer Zentralgewalt und einer Volksvertretung würde mit der bisherigen historischen Entwicklung brechen. Schon der erste Schritt zu einer Bundesreform würde auf eine abschüssige Bahn führen.
Norderney, 28. August 1859 Die deutsche Frage betr. Wie nichts Vollkommenes auf dieser Erde ist, so mag auch die bestehende Bundesverfassung ihre Mängel haben. Nicht aber gegen diese etwaigen Mängel ist die gegenwärtige Agitation auf Abänderung der Bundesverfassung gerichtet, sondern sie erstrebt eine gänzliche Umgestaltung der aus einer tausendjährigen Entwickelung hervorgegangenen staatlichen Zustände und Einrichtungen Deutschlands. Die gegenwärtige Agitation will vorzugsweise Herrschaft der Masse oder richtiger ihrer Führer durch ein s. g. Reichsparlament, und weil Letzteres ohne eine s. g. Centralgewalt in Deutschland nicht möglich ist, eine einheitliche Leitung der deutschen Angelegenheiten durch ein regierendes deutsches Fürstenhaus, im Norden Deutschlands durch Preußen, im Süden unter einer andern Form. Die Verwirklichung dieses Plans kann nur mit der Vernichtung der Selbstständigkeit und des Bestehens aller übrigen deutschen Regierungen und Staaten endigen und es würde dann vom weiteren Entwicklungsgange abhangen 1 Wilhelm Friedrich Otto von Borries (1802–1883), Jurist, 1851/52 und 1855–1862 Innenminister von Hannover; ADB, Bd. 47, S. 116–134.
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[sic], ob Eine deutsche Macht dann ganz Deutschland zu centralisiren vermögte, oder ob Deutschland in zahlreiche Republiken zerklüften würde. Die gegenwärtige Agitation wird einer Seits von destructiven Elementen und anderer Seits von hegemonischen Bestrebungen getragen. Daher die auffällige Erscheinung, daß die Agitation fast allein nur diejenige deutsche Macht an die Spitze zu bringen bestrebt ist, deren Verhalten ein einmüthiges kräftiges Zusammenwirken in der Kriegesfrage vorzugsweise verhindert hat. Man hofft dabei offenbar von dieser Regierung nach der von derselben seit einem Jahre eingeschlagenen Richtung am ehesten ein Eingehen auf die beabsichtigten liberalen und democratischen Pläne. Um so ernster aber ist auch die gegenwärtige Agitation aufzufassen. Man kann beklagen, daß Deutschland in so und so viele Staaten zerfällt. Will man diese historische Entwickelung aber nicht gewaltsam umstürzen, so entspricht diesen staatlichen Zuständen die bestehende Bundesverfassung durchaus. Die hervorgetretenen Unzuträglichkeiten liegen auch nicht in der Bundesverfassung, sondern vielmehr darin, daß deren Bestimmungen und die in Folge derselben gefaßten Beschlüsse nicht immer getreu beachtet sind, daß einzelne Glieder sich so kräftig fühlen, um thatsächlich, wenn es ihren wirklichen oder vermeintlichen Sonderinteressen nicht entspricht, die Bundesverfassung nicht zu beachten. Diesen Unzuträglichkeiten kann durch keine Aenderung der Bundes-Verfassung abgeholfen werden, die einzige Abhülfe liegt allein darin, wenn die Ueberzeugung sich mehr und mehr Bahn bricht, daß eine getreue Beachtung der Bundesvorschriften sowohl den Interessen von ganz Deutschland wie aller einzelnen deutschen Regierungen am meisten oder allein entspricht. Mit dem Eingehen auf Aenderung der Bundesverfassung in der bestehenden Leitung der Angelegenheiten durch Bildung einer Centralgewalt und durch Einführung einer Vertretung der Unterthanen bei dieser Centralgewalt würde eine Bahn betreten werden, welche mit der bisherigen historischen Entwickelung der staatlichen Zustände in Deutschland bricht, und nothwendig zur Zernichtung [sic] entweder des bisherigen Zusammenwirkens der deutschen Regierungen durch das Bundesorgan, also zu einer noch größeren Uneinigkeit oder, was noch mehr zu besorgen steht, zur gänzlichen Umwälzung der deutschen staatlichen Zustände führen muß. Erkennt man die Nothwendigkeit einer mehr einheitlichen Leitung an, so wird man erst mit halben Maßregeln experimentiren, und dann zu immer durchgreifenderen Schritten gedrängt werden, worneben [sic] auch die eingeschränkteste Selbstständigkeit der einzelnen deutschen Regierungen nicht ferner bestehen kann. Giebt man die Nothwendigkeit einer Volksvertretung beim Bunde zu, so haben die Regierungen sich selbst den Stab gebrochen. Man wird mit sehr beschränkten, anscheinend unschuldigen Einrichtungen zunächst experimenti-
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ren, sehr bald dann in allen liberalen und democratischen Kreisen das Geschrei sich erheben, daß, um dem selbst von den Regierungen anerkannten Bedürfnisse abzuhelfen, man statt Brod einen Stein geboten habe, und die Aenderung würde mit einer vollständigen Volksvertretung auf breiten Grundlagen endigen. Daher hüte man sich vor dem ersten Schritte mit dem historischen Entwikkelungsgange der deutschen staatlichen Zustände zu brechen und die geneigte Ebene der Aenderung der bestehenden Bundesverfassung zu betreten. Dieser Schritt könnte leicht eine Brandfackel werden, welche Deutschland in ähnlicher Weise, wie es durch den dreißigjährigen Krieg geschehen, in Flammen setzen und zerrütten würde. Hiernach dürfte es sich dringend empfehlen, nicht allein allen Schritten auf Abänderung der bestehenden Bundesverfassung, namentlich in der bezeichneten Richtung entschieden entgegen zu treten, sondern auch dahin zu wirken, daß solche Anträge namentlich beim Bunde nicht gestellt werden.2
18. Antwort der preußischen Regierung auf die Stettiner Adresse Neue Preußische Zeitung Nr. 427 vom 13. September 1859.
Die preußische Regierung erkennt die Notwendigkeit einer Bundesreform an. Preußen wird sich aber an Recht und Gesetz halten und hält Anträge auf Änderung der Bundesverfassung für verfrüht. Nützlicher sind statt dessen praktische Maßnahmen wie die Stärkung der Wehrkraft Deutschlands und die Herstellung gesicherter Rechtszustände auf dem ganzen Bundesgebiet.
Berlin, 12. September 1859 An den Stadt-Schulrath Herrn Alberti1 Wohlgeboren und die übrigen Herren Unterzeichner der Adresse zu Stettin. Se. königliche Hoheit der Regent, Prinz von Preußen, haben auf den Antrag des Staats-Ministeriums geruht, die Allerhöchstdenselben von Ihnen über2 In einer weiteren Denkschrift vom selben Tag machte Borries detaillierte „Vorschläge der gegen die Agitationen für Bildung einer deutschen Centralgewalt mit einem deutschen Parlamente zu ergreifenden Maßregeln“. Im einzelnen forderte er eine strenge Überwachung der Presse und des Vereinswesens, Repressivmaßnahmen gegen Personen, die sich an bundeskritischen Petitionen beteiligten und periodische Treffen von Regierungsbevollmächtigten zur bundesweiten Koordinierung der Maßregeln. Vgl. HStA Hannover, Dep. 103, VIII, Nr. 62. 1 Karl Edmund Robert Alberti (1801–1870), Theologe und Schriftsteller, 1854–1866 Stadtschulrat in Stettin; DBE, Bd. 1, S. 70.
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reichte Adresse mir zugehen zu lassen, um Sie darauf mit einer Bescheidung zu versehen. Indem ich demgemäß auf Allerhöchsten Befehl es Ihnen auszusprechen habe, daß Sr. königlichen Hoheit die sich in der Adresse ausdrückende Gesinnung der Treue und des Vertrauens zu Ihm, so wie der Liebe und Hingebung für das preußische und für das deutsche Vaterland erfreulich gewesen, füge ich in Betreff der Gesichtspunkte, welche die preußische Regierung den Bestrebungen auf eine Reform der deutschen Bundes-Verfassung gegenüber festhalten zu müssen glaubt, Folgendes hinzu. Die durch die letzten Ereignisse und Erfahrungen in weiten Kreisen bei aller Verschiedenheit der Ansichten lebendig gewordene Ueberzeugung, daß die Unabhängigkeit und Macht Deutschlands nach Außen und die Entwickelung seiner geistigen und materiellen Kräfte im Innern ein festes und energisches Zusammenfassen dieser Kräfte und eine Umgestaltung der Bundesverfassung in diesem Sinne voraussetze, erkennt auch die Preußische Regierung in ihrer vollen Berechtigung an. Aber sie darf sich weder durch die Kundgebungen, welche dieses nationale Bewußtsein hervorruft, noch durch ihre eigene Ueberzeugung von dem, was an sich als das Heilsamste erscheinen möchte, bestimmen lassen, von dem Wege abzuweichen, welchen ihr die gewissenhafte Achtung vor fremdem Rechte und die Rücksicht auf das zur Zeit Mögliche und Erreichbare vorzeichnen. Dieselbe Achtung vor Recht und Gesetz, welche unsere inneren Zustände kennzeichnet, muß auch unsere Beziehungen zu Deutschland und unseren deutschen Bundesgenossen regeln. Durch die Förderung der gemeinsamen deutschen Interessen auf Gebieten, auf welchen sich praktische Erfolge hoffen lassen; durch die Stärkung der Wehrkraft des Vaterlandes, durch Befestigung gesicherter Rechtszustände auf dem ganzen Bundesgebiete, wird sie Deutschland im gegenwärtigen Augenblicke mehr zu nützen glauben, als durch verfrühte Anträge auf Aenderungen der Bundesverfassung. Entschlossen, diesen Zwecken unausgesetzt ihre Bemühungen zu widmen, glaubt sie dann aber auch bei Allen, welchen, wie ihr, eine heilsame Entwikkelung der deutschen Dinge am Herzen liegt, für sich selbst das Vertrauen in Anspruch nehmen zu dürfen, daß sie zu rechter Zeit die Wege zu finden wissen werde, auf denen die Interessen Deutschlands und Preußens sich mit den Geboten der Pflicht und der Gewissenhaftigkeit vereinen. Der Minister des Innern Graf v. Schwerin.
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19. Degenfeld1 an König Wilhelm I. von Württemberg 22 HStA Stuttgart, E 50/01, Büschel 866. Bericht. Behändigte Ausfertigung.
Der bayerische Minister Schrenk hält eine Reform der Grundverfassung des Bundes für unmöglich, allein die Verbesserung von Bundesgesetzen wie etwa der Bundeskriegsverfassung sei wünschenswert und möglich.
No 42.
München, 13. September 1859
Euer Königlichen Majestät habe ich im Nachstehenden von einer Unterredung allerunterthänigst Meldung zu machen die Ehre, welche ich mit dem K. Bayer. Staatsminister Freiherrn von Schrenk über die dermalen wieder so vielfach in den Vordergrund tretende Frage der Bundesreform gepflogen. Wie Euer Königlichen Majestaet bekannt ist, hat nämlich der K. Sächsische Staatsminister Freiherr von Beust diese Frage zunächst in Wien angeregt, und das Kaiserliche Cabinet hat zwar keine ablehnende Antwort gegeben, es jedoch nicht für passend erachtet, zur Zeit die Initiative zu ergreifen. – Auch an Freiherrn von Schrenk ist, wie ich Euer Königlichen Majestaet Minister der auswärtigen Angelegenheiten unterm 20. vor. Mts. berichtete, von Seiten des Wiener Cabinets das Ersuchen ergangen, demselben seine Ansichten, über die mögliche Reform der deutschen Bundesverhältnisse auszusprechen. Freiherr von Schrenk hat sich nun, wie er mir mittheilte, zumal auch bei Gelegenheit der Anregung der Frage durch die Bayerischen Kammern3, eingehend mit derselben beschäftigt. Hiernach, sprach er sich mir gegenüber aus, sei es ihm bis jetzt nicht gelungen, einen positiven Boden zu finden, auf dem er, wenn es sich um die Reform des Deutschen Bundes handle, festen Fuß fassen könne. Er sehe überall nicht ein, wo und was man eigentlich reformiren wolle. Der Fehler sei und bleibe, daß eine mächtige deutsche Regierung fortwährend erkläre, sich den Bundesbeschlüssen, wenn sie ihr nicht genehm seien, nicht unterwerfen zu wollen. Hiegegen gebe es einmal kein Heilmittel, und das sei das einzige, was zu reformiren wäre, und weßhalb man eine Reform wünsche. Dieser Umstand aber bleibe immer derselbe, auch wenn, was ihm etwa als eine mögliche und wünschenwerthe Reform dünke, man es dahin brächte, die Nothwendigkeit der Einstimmigkeit bei gewissen Fragen zu beseitigen, und an ihre Stelle die Be1 Ferdinand Christoph Graf von Degenfeld-Schonburg (1802–1876), 1844–1868 württembergischer Gesandter in München; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 425. 2 Wilhelm I. Friedrich Karl, König von Württemberg (1781–1864), regierte von 1816–1864; ADB, Bd. 43, S. 209–213. 3 Dok. 9.
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schlußfassung durch einfache Majorität zu setzen. – Unter solchen Umständen dünke ihm deßhalb eine Reform in der Grundverfassung des Bundes eine Unmöglichkeit, eine Reform, deren Zweck doch wesentlich sein soll, ein namentlich nach Außen einiges Deutschland zu schaffen. – Etwas anderes sei es, wenn es sich um Gesetze des Bundes z. B. die Bundeskriegsverfassung handle. Obgleich er bestreite, daß sich letztere als unzulänglich oder unpractisch erwiesen, so gebe er doch zu, daß von einem gewissen Standpunkt aus hier Aenderungen wünschenswerth, möglich und durchführbar seien – und die Verbesserung der Bundesgesetze dünke ihm allein der Boden für eine Bundesreform. Freiherr von Beust scheine anderer Ansicht zu sein, fügte schließlich Herr von Schrenk an, und er sei sehr begierig alle diese Verhältnisse mit diesem Staatsmann, der nach einer Mittheilung des K. Sächsischen Ministerresidenten von Bose4 am Mittwoch den 14. ds. Mts. hier eintreffen und mehrere Tage hier bleiben wird, durchzusprechen.5 In tiefster Ehrfurcht ersterbend Eurer Königlichen Majestät allerunterthänigster und gehorsamster Graf von Degenfeld
4 Carl Gustav Adolf von Bose (1817–1893), 1850–1864 sächsischer Ministerresident in München, 1864–1866 sächsischer Bundestagsgesandter; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 356. 5 Beust kam erst am 19. September 1859 nach München und konferierte mit Schrenk. Am Abend des 19. September traf „sehr unerwartet“ auch der württembergische Staatsminister von Hügel in München ein, für den 20. September war ein Treffen Beusts mit Pfordten vorgesehen. An den Ministerbesprechungen nahm Pfordten allerdings nicht teil. Vgl. Bose an Außenministerium, HStA Dresden, 10 717, Nr. 930, fol. 259; Pfordten an Pfistermeister, Frankfurt, 2. Oktober 1859, HStA München, Abt. III, Geheimes Hausarchiv, Kabinettsakten König Maximilians II., Nr. 34 c. Zu den Münchener Verhandlungen siehe unten Dok. 22.
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Statut des Deutschen Nationalvereins
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20. Statut des Deutschen Nationalvereins StA Coburg, LA A, Nr. 7188, fol. 5. Druck. Abdruck u. a. in: Biefang (Hrsg.), Der Deutsche Nationalverein, S. 441 f.; Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 2, S. 105 f. (Auszug).
Gründung einer nationalen Partei in Deutschland.
Frankfurt am Main, 16. September 1859 Statut des deutschen National-Vereins.
(Auszug aus dem Sitzungsprotokoll der Versammlung deutscher Männer zu Frankfurt a. M. vom 16. September 1859.)
§ 1. Zweck des Vereins. Da die in Eisenach und Hannover angebahnte Bildung einer nationalen Partei in Deutschland zum Zwecke der Einigung und freiheitlichen Entwickelung des großen gemeinsamen Vaterlandes zur Thatsache geworden ist, so begründen die Unterzeichneten einen Verein, welcher seinen Sitz in Frankfurt a. M. hat, und es sich zur Aufgabe setzt: für die patriotischen Zwecke dieser Partei mit allen ihm zu Gebote stehenden gesetzlichen Mitteln zu wirken, insbesondere die geistige Arbeit zu übernehmen, Ziele und Mittel der über unser ganzes Vaterland verbreiteten Bewegung immer klarer im Volksbewußtsein hervortreten zu lassen. § 2. Mitgliedschaft. Der Beitritt zu diesem Vereine wird durch Unterzeichnung des gegenwärtigen Statuts erklärt. Die Mitglieder übernehmen die Verpflichtung, einen fortlaufenden Beitrag in die Vereinskasse zu zahlen und für die Vereinszwecke nach Kräften zu wirken. § 3. Leitung der Vereins-Angelegenheiten. Die Leitung seiner Angelegenheiten bis zur nächsten Versammlung überträgt der Verein einem aus seiner Mitte gewählten Ausschusse von 12 Personen, welcher die verschiedenen Functionen unter seine Mitglieder selbst vertheilt und ermächtigt wird, sich aus den Vereinsgliedern nach Bedürfniß zu verstärken und neue Versammlungen zu berufen. Diesem Ausschusse steht die Befugniß zu, über die in die Vereinskasse fließenden Gelder für die Vereinszwecke zu verfügen, sowie den Sitz des Vereins geeigneten Falles nach einem andern Orte zu verlegen.*) *) Der Sitz des Vereins ist durch Beschluß des Ausschusses vom 16. Oktober 1859 nach Coburg verlegt.
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21. Schrenk an König Maximilian II.11 HStA München, Abt. III, Geheimes Hausarchiv, Kabinettsakten König Maximilians II., Nr. 27 c. Ministerialantrag. Ausfertigung.
Schrenk berichtet über das Ergebnis der Besprechungen mit Beust und Hügel. Man kam überein, beim Wiederzusammentritt der Bundesversammlung eine Kollektiverklärung zu Protokoll zu geben, worin von seiten der Mittelstaaten die Bereitschaft zu Verhandlungen über Bundesreformen sowie die Entschlossenheit bekundet wird, den auf den Umsturz der Bundesverfassung abzielenden Bestrebungen entgegenzutreten. Mit dieser Erklärung soll ein Antrag zur Reform der Bundeskriegsverfassung verbunden werden. Es wird eine Vereinigung der außerösterreichischen und außerpreußischen Staaten zu einer dritten Gruppe, der sogenannten Trias ins Auge gefaßt. Dies würde zum Erhalt des Bundes beitragen, den Mittel- und Kleinstaaten Schutz gegen die drohende Mediatisierung bieten und die Möglichkeit eröffnen, die materiellen Interessen durch gemeinsame Einrichtungen zu fördern. Die Trias soll aber wegen der zu erwartenden Widerstände nicht durch eine förmliche Übereinkunft, sondern durch freiwilliges Zusammenwirken herbeigeführt werden. Bayern müßte in der sich bildenden dritten Staatengruppe einen überwiegenden Einfluß gewinnen. Beust hat Vorschläge zum gemeinsamen Handeln in der Bundesversammlung, zu einer gemeinsamen Pressepolitik und zu periodischen Ministerkonferenzen vorgelegt.
München, 23. September 1859 An Seine Majestaet den Koenig Allerunterthänigster Antrag von Seite des Staats Ministeriums des Koeniglichen Hauses und des Aeußern Die Bundesreform-Bestrebungen betreffend. Der königlich Sächsische Minister Freiherr von Beust und der königlich württembergische Minister Freiherr von Hügel haben sich, wie Euere Koenigliche Majestaet bekannt ist, Montag den 19ten laufenden Monats dahier eingefunden, um mit dem treugehorsamst Unterzeichneten über die dermalige Lage Deutschlands und über die in Bezug auf dieselbe etwa zu treffenden Maßregeln Rücksprache zu nehmen, und es beeilt sich der treugehorsamst Unterzeichnete, nachdem die genannten beiden Minister heute München wieder verlassen haben, Euerer Koeniglichen Majestaet hiemit das Ergebniß der gepflogenen Besprechungen allerunterthänigst zur Anzeige zu bringen. 1. Von Seite Württembergs ist bereits früher der Gedanke angeregt worden, daß von Seite der Mittelstaaten in irgend einer Weise kund gegeben werden sollte, wie sie die in der jüngsten Zeit durch die politischen Ereigniße und durch die 1 Maximilian II., König von Bayern (1811–1864); ADB, Bd. 21, S. 39–53; NDB, Bd. 16, S. 490–495.
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Haltung Preußens während derselben, in Ansehen und Wirksamkeit tief erschütterte Bundes-Verfassung aufrecht zu erhalten und die von der Bundesversammlung in ihrer Zuständigkeit gefaßten Beschlüße zu vollziehen entschloßen seien, und es hat dieser Gedanke von Seite des Wiener Cabinets Billigung gefunden. Bei den gepflogenen Besprechungen erachtete man es nun für das angemessenste, eine deßfallsige Erklärung bei dem bevorstehenden Wieder-Zusammentritte der Bundesversammlung in deren Protokoll niederlegen zu lassen, dabei aber nicht nur gleichzeitig die Bereitwilligkeit zu Verhandlung etwaiger Anträge auf Änderung der Bundesverfaßung, in so weit solche mit den unverrückt aufrecht zu erhaltenden Grundprinzipien derselben in Übereinstimmung stehen, auszusprechen, sondern auch den Willen kund zu geben, unberufenen auf Umsturz der Verfaßung des Bundes gerichteten Bestrebungen, wie solche jüngst in Eisenach und Frankfurt zu Tage traten, mit Ernst entgegenzutreten. Mit dieser Erklärung dürfte sodann auch ein Antrag in Bezug auf die Bundeskriegs-Verfaßung zu verbinden sein. Die königlich preußische Regierung hat nämlich bekanntlich, als es sich jüngst um deren Anwendung handelte, mehrere Bestimmungen derselben als unausführbar und unzureichend bezeichnet, und es hat sich, wohl vorzugsweise in Folge dessen, in weiten Kreisen die Besorgniß verbreitet, daß die dermalige Einrichtung des Heer- und Kriegswesens in Deutschland nicht genüge, um das Bundesgebiet vor Gefahren von Außen zu schützen. Unter diesen Verhältnißen scheint es unerläßlich, die Frage in ernste Erwägung zu ziehen, ob die Bundeskriegsverfaßung in der That Gebrechen an sich trage, oder nicht? um ersteren Falles dieselbe zu verbeßern andernfalls aber die angeregten Besorgniße wieder zu beschwichtigen. Am passendsten möchte es sein, zunächst die Bundesmilitär-Commission mit gutachtlichem Bericht hierüber zu vernehmen, und demgemäß einen hierauf gerichteten Antrag in die Bundesversammlung einzubringen. Der unter Lit. A hieneben ehrerbietigst eingefügte Antrag2 soll diese verschiedenen Ansichten und Zwecke darlegen und verwirklichen, und es würde derselbe, im Falle ihm Allerhöchste Genehmigung zu Theil werden sollte, in der ersten Bundestags-Sitzung nach den Ferien einzubringen sein; es wäre aber derselbe wo möglich nicht blos von den Gesandten von Bayern, Sachsen und Württemberg zu stellen, sondern die Zwischenzeit bis dahin auch dazu zu benutzen, um möglichst viele Regierungen zu bestimmen, demselben beizu2 Der Antragsentwurf findet sich u. a. im HStA München, MA 492. Er wurde im Laufe der weiteren Verhandlungen zwischen den Mittelstaaten noch leicht modifiziert und schließlich am 20. Oktober in die Bundesversammlung eingebracht. Dieser Antrag ist unten in Dok. 27 abgedruckt.
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treten. Freiherr von Beust würde sich desfalls mit den Regierungen von Hannover, Braunschweig und Mecklenburg, Freiherr von Hügel mit jenen von Baden und Großherzogthum Hessen in Benehmen setzen, und dem treugehorsamst Unterzeichneten wurde zugedacht, Kurhessen und Nassau zum Beitritte zu bestimmen. 2. Die Abgabe einer derartigen Collectiv-Erklärung in der Bundesversammlung wäre, abgesehen von der Bedeutung eines solchen Schrittes für die Sache selbst, zugleich auch der Anfang einer engeren Vereinigung der Mittelstaaten unter sich, auf welche die Bildung einer dritten Gruppe der ausserösterreichischen und außerpreußischen Staaten im Bunde, der sogenannten Trias, gestützt werden könnte. Die Bildung eines derartigen dritten Gliedes im Bunde, welches zwischen den beiden deutschen Großstaaten eine Stellung nehmen, und nöthigenfalls Selbstständigkeit äußern könnte, würde gewiß nicht nur zu Erhaltung des Bundes, sondern auch zum Schutze der Mittel- und Kleinstaaten gegen die immer näher rückende Gefahr der Unterordnung unter den einen der Großstaaten, und des Aufgehens in denselben, wirksam sein, und dabei die Möglichkeit erleichtern, den materiellen Interessen der betreffenden Länder durch gemeinsame Einrichtungen Vorschub zu leisten. So wünschenswerth aber auch eine solche Einrichtung sein dürfte, so liegt es doch nahe und wird einer eingehenden Ausführung nicht bedürfen, daß das Ziel auf dem Wege der förmlichen Verhandlung und Übereinkunft schwer zu verwirklichen wäre, denn es würden dann außer den in der Sache selbst liegenden Schwierigkeiten, nicht nur die Ungunst der Großstaaten, sondern vielleicht auch die Bedenklichkeiten mancher Mittel- und Kleinstaaten entgegentreten; dagegen möchte aber der Hoffnung von vorneherein nicht zu entsagen sein, daß es auch ohne förmliches bindendes Übereinkommen, auf dem Wege der Verabredung und freiwilligen Zusammenwirkens vielleicht doch gelingen könnte, mindestens eine Mehrzahl der Regierungen der Mittel- und Kleinstaaten zu einem innigeren Aneinanderschließen und zur Gemeinsamkeit des Verhaltens im Bunde zu vereinigen, und so den Grund zur Homogenität der Interessen unter denselben und zur Befriedigung dieser letzteren, sowie zur Erlangung höherer Bedeutung im Bunde für dieselben zu legen. Es ist einleuchtend, daß wenn die auf dieses Ziel gerichteten Bestrebungen von Erfolg begleitet sein sollten, Bayern in der sich bildenden dritten Staatengruppe, wenn nicht eine bevorzugte Stellung, doch überwiegenden Einfluß nothwendig gewinnen müßte; da aber eben deßhalb jedes Vorgehen Bayerns in dieser Frage nur zu leicht den Anschein egoistischer Bestrebungen erregen könnte, wird es unerläßlich sein, daß Bayern desfalls die möglichste Zurück-
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haltung beachtet und es anderen überläßt, mit Vorschlägen in dieser Beziehung hervorzutreten. Deßhalb konnte es dem treugehorsamst Unterzeichneten nur erwünscht sein, daß bei den gepflogenen Besprechungen Freiherr von Beust die Idee der Trias lebhaft vertrat und nicht nur Vorschläge darüber machte in welchen Gegenständen die Regierungen der Mittelstaaten zunächst gemeinsam handeln sollten, sondern auch die Gründe näher auseinandersetzte, welche den Regierungen der Mittel- und Kleinstaaten das engere gegenseitige Anschließen und gemeinsame Zusammenwirken dringend zu empfehlen geeignet scheinen. Das unter Lit. B hieneben ehrerbietigst angefügte Schriftstück3 enthält die von Herrn von Beust gemachten und sowohl von Freiherrn von Hügel als auch von dem treugehorsamst Unterzeichneten für zweckmäßig erachteten Vorschläge, wonach die betreffenden Regierungen zunächst und vorzugsweise in den Bundesverhandlungen gemeinsam zu handeln, und sich insbesondere von der Fassung von Beschlüssen, wie von deren Ausführung, mindestens in dem engeren Bezirke ihrer Länder, durch Wiederstreben einzelner Bundesglieder nicht abhalten zu lassen hätten. Außerdem sollte auch in Benützung der Presse Gemeinsamkeit erstrebt, und ein periodischer Zusammentritt der Minister der betreffenden Staaten in Aussicht genommen werden. Dem treugehorsamst Unterzeichneten scheinen diese Vorschläge ganz angemessen zu sein, um den Bund zu erkräftigen, die Bildung einer Dreigliederung in demselben anzubahnen, und gleichzeitig den Bestrebungen auf Umsturz der Bundes-Verfaßung und auf Bildung eines Einheits-Staates aus Deutschland entgegenzutreten; es vermag derselbe ferner nicht wahrzunehmen, daß die Ausführung dieser ohnedem sehr allgemein gehaltenen Vorschläge die speziellen Interessen Bayerns irgendwie verletzten könnte, und es trägt derselbe daher kein Bedenken deren Allerhöchste Genehmigung unter dem ehrerbietigsten Beifügen unzielsetzlichst zu begutachten, daß der getroffenen Abrede gemäß, die fraglichen Vorschläge, wenn dieselben Euerer Koeniglichen Majestaet und der Könige von Sachsen und Württemberg Allerhöchste Gutheißung finden würden, sodann auch in eben der Weise, wie der unter Zif. 1 ehrerbietigst erörterte Antrag anderen Bundesregierungen unter der Einladung zum Beitritte mitgetheilt werden kann. 3. In Bezug auf gemeinsame Benützung der Presse hat Freiherr von Beust in der Beilage II zu dem Schriftstücke B4 näher ausgeführt, wie es wünschenswerth 3 Dok. 22. 4 Dok. 22.
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sei, neben den eigentlichen Regierungsblättern noch ein mehr unabhängiges Organ zu besitzen, in welchem die Interessen der Mittelstaaten vertreten würden; er deutet dabei die Möglichkeit an, die in Frankfurt erscheinenden Wochenblätter, die bisher schon im gedachten Sinn redigirt worden sind, für diesen Zweck zu gewinnen.5 Der Redakteur dieser Wochenschrift hat sich vor kurzem an den treugehorsamst Unterzeichneten gewendet und um Unterstützung seines Unternehmens gebeten, deßhalb aber haben die Herrn von Beust und von Hügel gemeint, es solle der treugehorsamst Unterzeichnete den kgl. Bundestagsgesandten Freiherrn von der Pfordten beauftragen, sich mit dem gedachten Redakteur Dr. Fischer-Goullet in Benehmen zu setzen, und mit demselben den Plan der Ausführung dieses Vorhabens näher zu besprechen, sodann aber hierüber gutachterliche Vorschläge zu machen. Der treugehorsamst Unterzeichnete erachtet es für unbedenklich, in dieser Weise vorerst Einleitungen zu dem gedachten gewiß zweckmäßigem Unternehmen zu treffen und wagt es demgemäß hiezu allerunterthänigst um allergnädigste Ermächtigung zu bitten. Auf Grund der gepflogenen Verhandlungen erlaubt sich hienach der treugehorsamst Unterzeichnete allerunterthänigst zu beantragen: Euere Koenigliche Majestaet möchten allergnädigst geruhen 1tens den unter Litr. A anruhenden Antrag zu genehmigen und zu gestatten, daß der königliche Bundestagsgesandte ermächtigt werde, denselben in Gemeinschaft mit den Gesandten jener Regierungen, welche sich anzuschließen geneigt sind, in der ersten Bundestags-Sitzung nach den Ferien einzubringen, 2tens ingleichen die unter Lit. B anruhende Vereinigung zu gemeinsamem6 Verhalten der hiezu geneigten Bundesregierungen in den darin näher bezeichneten Gegenständen Allerhöchst gutzuheißen, 3tens zu gestatten, daß die Regierungen anderer Bundesstaaten und namentlich jene von Kurhessen und Nassau durch den treugehorsamst Unterzeichneten, eingeladen werden, sich sowohl dem in der Bundes-Versammlung zu stellenden Antrage Lit. A als der Verabredung zu gemeinsamem6 Verhalten Litr. B anzuschließen und endlich 4tens den treugehorsamst Unterzeichneten Allerhöchst zu ermächtigen, durch den königlichen Bundestags-Gesandten Einleitungen zur Gewinnung eines Organs der Presse für die Interessen der Mittelstaaten in Frankfurt treffen zu lassen, deren Erfolg sodann weiter allerunterthänigst anzuzeigen und der Allerhöchsten Genehmigung zu unterbreiten wäre. Frh. v. Schrenck 5 Gemeint sind die in Frankfurt erscheinenden „Deutschen Blätter“; vgl. Dok. 40. 6 Emendiert. Vorlage: gemeinsamen.
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22. Münchener Verabredungen der Mittelstaaten HStA Dresden, Gesandtschaft Wien, Nr. 129. Abschrift. Es handelt sich hierbei um die endgültige Fassung der Verabredungen. Die von Beust auf der Münchener Konferenz der Mittelstaaten vom 19.–22. September 1859 vorgelegten Entwürfe wurden auf Wunsch Bayerns und anderer Staaten in einigen Punkten modifiziert. Die hier edierte Fassung wurde von Beust am 11. Oktober 1859 an Schrenk übersandt (Beust an Schrenk, 11. Oktober 1859, HStA München, MA 492). Die ursprüngliche Fassung findet sich im HStA Dresden, 10 717, Nr. 931, fol. 1–12. Eine Reinschrift der ursprünglich in München vorgelegten Fassung mit Korrekturen findet sich im HStA München, MA 492.
Die Mittelstaaten vereinbaren, sich in allen wichtigen Bundesangelegenheiten über eine gemeinsame Abstimmung zu verständigen; sie verständigen sich auf die Fassung und Ausführung von Majoritätsbeschlüssen, sofern diese verfassungsmäßig sind; sie verabreden eine gemeinsame Pressepolitik sowie regelmäßige Ministerkonferenzen. – Anlage B: Die „dritte Gruppe“ ist das einzige brauchbare Korrektiv zu den Gothaer Ideen. Es ist ein großer Fehler der Wiener Regierung, sich kategorisch gegen die Trias auszusprechen. Der engere Bund der Mittelstaaten bietet vielleicht die einzige Möglichkeit, den Fortbestand der Mittelstaaten zu sichern, deren Souveränität von innen und außen bedroht ist.
[München, 19. September/11. Oktober 1859] I.1 Die Idee einer Constituirung der deutschen Staaten außerhalb Oesterreich und Preußen zu einem engen Verbande ist in der neuern Zeit zum ersten Mal in einem Theil der deutschen Presse mit Wärme vertreten und wie sich gar nicht verkennen läßt mit größerm Anklang als früher aufgenommen worden. Wenn die in dieser Richtung laut gewordenen Stimmen bald wieder verstummten, so dürfte diese Erscheinung weniger auf Rechnung einer vermeintlichen Ungunst zu setzen und am allerwenigsten den Erfolgen der kleindeutschen Presse zuzuschreiben sein, sondern ihre Erklärung darin finden, daß die ganze Idee nicht nur in Berlin, sondern auch in Wien auf Widerstand stieß und man in Folge dessen in der dem Gedanken ursprünglich zugewendeten Presse theils entgegengesetzte Einwirkungen zu erfahren hatte, theils an der praktischen Durchführbarkeit verzweifelte. Es verdient aber eben diese Idee die vollste Beachtung der Mittelstaaten. Selbst vorausgesetzt ihre praktische Schwierigkeit und sogar Unmöglichkeit, so hat dieselbe schon als Project den unzweifelhaften Vortheil, das Einzige zu sein, was bisher als correctiv für die Gothaer Idee sich brauchbar erwiesen hat. Alle Verbesserungen, die nur irgend in Bezug auf die Bundesverfassung gedacht werden können, entziehen der Gothaischen Agitation nicht den Boden, 1 In der ursprünglichen Vorlage auf der Münchener Konferenz figuriert dieser Teil als Beilage I (B. I) zu dem Antrag A, der vorausgeht. In der endgültigen Fassung sind die Beilagen I und II als allgemeine Begründungen dem Antrag A vorangestellt.
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indem sie weder die Concentrirung der deutschen Kräfte wesentlich fördern, noch den Ueberdruß an der Viel- und Kleinstaaterei vermindern helfen. In beiden Beziehungen verspricht die obige Idee eine wesentliche Aenderung der bestehenden Zustände und eben deshalb macht sie Eindruck, während alle Zusicherungen zweckmäßiger Bundesreform klanglos verhallen. Aus diesem Grunde ist es von Seiten des Wiener Cabinets, mag dasselbe das endliche Zustandekommen einer organisirten dritten Gruppe mit Recht oder mit Unrecht als für seine Interessen nachtheilig betrachten, ein großer Fehler, sich im Voraus, wie dies in der „Wiener Zeitung“2 geschehen ist, gegen die Dreitheilung kategorisch auszusprechen, denn jedenfalls wäre diese Combination für Oesterreich einem preuß. Kaiserthum vorzuziehen und um so mehr hat man alle Ursache in Wien die Verbreitung einer Idee nicht zu verhindern, welche wenigstens als Project das Verdienst hat, die Gothaer Pläne zu durchkreuzen. Es wird daher von Seiten der Regierungen der Mittelstaaten wohlgethan sein, auf diesen Umstand in Wien aufmerksam zu machen; um so mehr aber erscheint es als ihre Aufgabe, die Vorbereitung des Gedankens in der Presse mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu fördern. Es hat aber auch die nämliche Idee für diese Regierungen einen intensiven Werth in so fern, als die Ausführung derselben, wenn sie gelingen sollte, unverkennbare Garantien für die Zukunft und das Bestehen der Mittelstaaten darbietet, ja vielleicht die einzige Combination in sich schließt, welche diesen Fortbestand mit dem Interesse Gesammtdeutschlands in Einklang bringt und denselben auf eine ebenso populäre, als für die Souveraine der betreffenden Staaten annehmbare Basis stellt. Mit alleiniger Ausnahme Bayerns, welchem Gebietsumfang und geographische Lage eine günstigere Stellung sichern, gilt für die übrigen deutschen Staaten im höheren und minderen Grade die unabweisliche Betrachtung, daß die Behauptung der vollen Souveränetät noch längere Zeit möglich ist, aber nicht ohne einen unausgesetzten Kampf, in welchem das Erliegen nicht allein von der Kraft und Zähigkeit des Widerstandes gegen das Andrängen von Innen, sondern eben so sehr von dem Impulse auswärtiger Conjuncturen abhängt. Eine Beschränkung der Souverainetät zu Gunsten einer Centralgewalt, wobei sämmtliche Mitglieder des Bundes nach Verhältniß ihrer Bedeutung vertreten sein würden und welche allein das Mittel gewährte, daß Fürsten in der Stellung der Souveraine der Mittelstaaten ohne gänzliche Unhaltbarkeit der Letztern, sich dieselbe gefallen lassen könnten, wird allgemein und mit
2 Im Jahr 1703 als „Wienerisches Diarium“ gegründet, erschien das Blatt seit 1782 unter dem Namen „Wiener Zeitung“, seit 1810 offizielle Regierungszeitung; vgl. Paupié, Handbuch der österreichischen Pressegeschichte 1848–1959, Bd. 1, 119 f.
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vollem Recht mit Rücksicht auf die Stellung der beiden Großmächte als unmöglich bezeichnet. Eine theilweise Uebertragung der Souverainetät dagegen, sei es an eine der beiden Großmächte oder an beide zugleich, wäre für diese Souveraine eine dergestalt unannehmbare, weil mit der Natur ihrer fürstlichen Stellung unvereinbare Zumuthung, daß diese Art der Combination nur als eine erzwungene gedacht werden kann, welche zur vollständigen Mediatisirung führen müßte, weshalb voraussichtlich die betreffenden Dynastien sogar ein gänzliches Aufgeben vorziehen würden. In der Bildung eines engern Bundes neben Oesterreich und Preußen ist dagegen allein und in praktisch denkbarer Weise die Möglichkeit der Vermittelung zwischen den Ansprüchen der deutschen Nation an die einzelnen Dynastien und den Bedingungen eines geachteten Fortbestandes der Letztern gegeben, denn hier allein ist die Möglichkeit geboten, daß die einzelnen Souveraine einen wirklichen und verhältnißmäßigen Antheil an den Beschlüssen und der Action des Centralorgans ausüben können, zu dessen Gunsten sie ihre vereinzelte selbstständige Action beschränken sollen. Innerhalb dieser Gränzen wäre es auch möglich populäre Wünsche, soweit sie überhaupt eine praktische Berechtigung haben, viel eher zu befriedigen, als dies in einem Großdeutschland, ja selbst in einem Kleindeutschland nach Gothaischem Muster möglich sein würde. Die Idee eines aus directen Wahlen hervorgegangenen Parlaments ist nicht allein durch die Erfahrung von 1848 sondern auch in neuerer Zeit durch die Einsicht selbst der dafür sonst begeistert gewesenen Parteien überwunden, denn in dem neuesten Gothaischen Programm tritt bereits die Vertretung der Einzelkammern an deren Stelle. Eine solche Vertretung kann in Bezug auf Gegenstände der Gesetzgebung von praktischem Nutzen sein und möchte in dieser Einschränkung keineswegs zurückgewiesen werden; so wie aber im Bereiche von Großdeutschland der Mangel von Landesvertretung in Oesterreich die Ausführung erschwert, so geschieht dies im Gothaischen Kleindeutschland durch den überwiegenden Druck des preußischen Contingents, welcher entweder zu einer thatsächlichen Unterordnung der übrigen, oder was vielleicht noch wahrscheinlicher wäre, zu einem Kampf zwischen beiden führen würde. Auch in dieser Beziehung fielen bei einer Kammervertretung in dem engern Bunde der dritten Gruppe ähnliche Disproportionen hinweg. Nun läßt sich nicht verkennen, daß die Ausführung des Gedankens, wenn dieselbe im Wege der Verhandlung versucht werden wollte, aus mehrern sehr nahe liegenden Gründen geringe Aussicht des Gelingens haben würde, dieselbe kann jedoch und wird endlich möglich werden, wenn sie sich beharrlich aus sich selbst heraus entwickelt und zwar dadurch, daß die Regierungen dazu thatsächlich das Ihrige beitragen und die öffentliche Meinung immer mehr den
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Gedanken in sich aufnimmt und sich daran gewöhnt, nicht allein dadurch, daß die Presse ihre Aufmerksamkeit dafür theoretisch zu gewinnen versteht, sondern daß das Volk Handlungen erkennt, welche ihm den Glauben an eine Zukunftfähige [sic] Umbildung gewähren. Hierin haben die Regierungen der Mittelstaaten ihre Aufgabe zu suchen. II.3 Wenn es der Haltung der preußischen Regierung, wie sie nicht erst im Verlauf des letzten Jahres, sondern während eines ganzen Decenniums Statt gefunden hat, gelingen konnte, die Thätigkeit des Bundes und seines verfassungsmäßigen Organs zu lähmen und sich allen in entgegengesetzter Richtung an sie gerichteten Aufforderungen zu entziehen, so liegt der Grund hiervon nicht in einem materiellen Uebergewicht und einer diplomatischen Ueberlegenheit, sondern weit mehr in der ausgiebigen Benutzung der Presse, über welche die preußische Regierung verfügen konnte und welche – man kann dies bis zu einem gewissen Grade zur Entschuldigung Preußens sagen – aus einem Bundesgenossen und einem Instrument zu einem Leiter und Gebieter der preußischen Regierung wurde. Für die Regierungen der Mittelstaaten, welche den Plänen dieser zusammenwirkenden Kräfte im Wege stehen und deshalb in ihrer Existenz bedroht werden, ergiebt sich daher von selbst die Nothwendigkeit dem auf sie eindringenden Feinde, nämlich der preußischen Presse, wie sie in und außerhalb Preußens existirt, mit gleichen Waffen entgegenzutreten. Dieser Kampf wird bereits geführt, aber in dreifacher Beziehung ist er ein ungleicher, wobei die Mittelstaaten nothwendig den Kürzern ziehen. Auf der einen Seite nämlich erfolgen die Hauptangriffe gegen die Mittelstaaten und deren Regierungen in Blättern, welche nach Außen hin die Eigenschaft der Unabhängigkeit in Anspruch nehmen und für welche die preuß. Regierung die Verantwortung ablehnen kann. Die Polemik dieser Blätter ist daher eine vollkommen freie, ungebundene und schonungslose; die Vertheidigung dagegen fällt fast durchgehends solchen Blättern zu, welche sich mehr oder minder in der Stellung von Regierungsblättern befinden. Sie haben Rücksichten zu nehmen, ihre Polemik ist daher der preußischen Regierung gegenüber eine gebundene, schonende und folglich wirkungslose. Eine zweite Ungleichheit besteht darin, daß die preußische Regierung allein und ohne Theilnahme einer andern Regierung die Leitung und Inspiration der ihr dienenden Presse zu versehen hat, daher sich in der letztern eine einheitliche, consequente Richtung offenbart, welche ihr der öffentlichen Meinung gegenüber jene große Sicherheit verleiht, die oft mehr wirkt, als die erschöpfendsten Argumente. Auf Seiten der Mittelstaaten dagegen zeigt sich natürlich in 3 In der ursprünglichen Vorlage Beilage II.
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der sie vertretenden Presse eine Vielfältigkeit der leitenden Ansichten, welche in demselben Grade Unsicherheit und Abschwächung der Wirkung hervorbringt. Ein drittes Mißverhältniß ist endlich darin zu suchen, daß die preußische Regierung die ihr zu Gebote stehenden materiellen und intellectuellen Kräfte vornehmlich auf wenige große Blätter concentrirt, während die in den Mittelstaaten vorhandenen entsprechenden Mittel sich wiederum in der Vertheilung zersplittern. Diesem dreifachen Uebelstande könnte allein, wenn auch nicht ganz, doch zum großen Theile abgeholfen werden, wenn die Mittelstaaten eine Art Centralpunkt für ihre Presse und zwar in Frankfurt a./M. gründen helfen wollten. Die Ausführung dieses würde in nachstehender Weise möglich sein. Es wäre ein nach Vorbild der größten deutschen Zeitungen auszustattendes Blatt in Frankfurt a./M. ins Leben zu rufen. Die Begründung eines solchen ist vielleicht in diesem Augenblicke bereits angebahnt durch die Wochenschrift „die deutschen Blätter“4, deren Tendenz den Interessen und Ansichten der Regierungen der Mittelstaaten im Wesentlichen entspricht. Die Hauptsache ist, daß ein Blatt in’s Leben tritt, welches mit größern Mitteln ausgestattet, auch in seinem nicht reinpolitischen Theile so viel Anziehungskraft für das lesende Publicum hat, um eine größere Verbreitung zu finden und dessen Redaction eine consequente, einheitliche Polemik durchführen kann. Nächst einer materiellen Unterstützung, welche die sich vereinigenden Mittelstaaten nach dem Maßstabe der Matricularumlagen aufbringen könnten und welche für jede der betreffenden Regierungen eine verhältnißmäßig sehr unbedeutende Summe erheischen würde, könnten dieselben das Blatt auch in intellectueller Weise, theils durch Zusendung von Beiträgen, theils dadurch befördern, daß die Artikel des Centralblatts auch hinwiederum in die in den einzelnen Ländern zu Gebote stehenden Blätter überzugehen hätten. Zu gleicher Zeit könnte eine Controle des Blattes und eine Einwirkung von Seiten der einzelnen Regierungen erfolgen ohne das einheitliche Princip zu stören, nämlich in der Art, daß diejenige Regierung, welche Ausstellungen oder Wünsche geltend zu machen hätte, ihren Bundestags-Gesandten beauftragte, dieselbe zum Gegenstande der Besprechung mit den übrigen der vertretenden Gruppe angehörigen Bundestags-Gesandten zu machen, welche sich dann nicht mit allzugroßer Schwierigkeit über eine der Redaction zu machende Mittheilung einigen werden. Auf diese Weise würden die eben berührten Mißstände bedeutend gemindert, denn 1., hätte das betreffende Centralblatt, welches in keiner Weise als Organ anerkannt würde, keine Rücksichten und Beschränkungen in der Polemik sich aufzuerlegen. 4 S. oben Dok. 6, Anm. 1.
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2., würde seine Polemik eine einheitliche und consequente zu sein vermögen und 3., durch die ihm zu Theil werdende reiche Ausstattung die Concurrenz mit den großen Blättern des Inn- und Auslands zu bestehen im Stande sein. A. Antrag. Die öffentliche Meinung Deutschlands ist, von dem Eindrucke der politischen Ereigniße der jüngsten Zeit irre geleitet, vielfach zu der in ihren Consequenzen gefährlichen Schlußfolgerung gelangt, daß die deutsche Bundesverfassung den Grund der Unausführbarkeit in sich selbst trage, und daß dieselbe zu Erreichung ihrer Hauptzwecke, als der Wahrung der Sicherheit Deutschlands, und der Förderung seiner gemeinsamen Interessen unzureichend sei. Angesichts dieser beklagenswerthen Thatsache, erachten es die antragstellenden Regierungen für ihre Pflicht, im Schoße hoher Versammlung zunächst ihre innigste Überzeugung offen dahin auszusprechen, daß es nur des aufrichtigen und ernsten Willens aller im Bunde vereinigten Staaten zu unverkürzter Ausführung der Bestimmungen des Bundesvertrages bedürfe, um die Zwecke des Bundes zu erreichen, und insbesondere auch Conflicten mit dem Auslande gegenüber, derjenigen Machtentwicklung und einheitlichen Aktion fähig zu sein, welche die Sicherheit des Bundes zu verbürgen geeignet ist. Dabei mißkennen dieselben indessen nicht, daß die Verfassung und die Einrichtungen des Bundes der Entwickelung und Fortbildung wohl fähig seien, und sie werden deshalb gern auf die sorgsamste Prüfung und Verhandlung von Vorschlägen eingehen, die unter unverrückter Festhaltung der Grundprincipien des Bundesvertrages durch Anbahnung lebendigen Vollzuges desselben und durch heilsame Verbesserung und Ausbildung der Bundesverfassung Deutschlands Gesammtwohl zu fördern geeignet wären und durch welche die Wiederkehr der während der jüngsten Zeitereignisse so folgenschwer hervorgetretenen Einwendungen gegen Ausführung bundesverfassungsmäßiger Bestimmungen und gegen Beschlußfassungen des Bundes ferne gehalten werden könnte. Auf der andern Seite betrachten sie es aber, in so lange eine Änderung der bestehenden Grundgesetze des Bundes in verfassungsmäßiger Weise nicht eingetreten ist, als eine unzweifelhafte Verpflichtung aller Bundesglieder, für Aufrechthaltung und Vollzug dieser Gesetze, wie der von der Bundesversammlung in ihrer Zuständigkeit gefaßten Beschlüsse einzustehen und hiezu mitzuwirken, nicht minder aber auch unberufenen auf Umsturz der Bundesverfassung gerichteten Bestrebungen nach Maßgabe der bestehenden Gesetze mit allem Ernste entgegenzutreten. Von diesen Ansichten geleitet, und hienach etwaigen Anträgen in vorerwähnter Richtung entgegenstehend, glauben die Antragstellenden [sic] Regie-
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rungen jedoch ihrerseits schon jetzt die Aufmerksamkeit der hohen Versammlung auf eines lenken zu sollen. Es hat sich nämlich während dem Verlaufe der jüngsten Zeit vor allem die Ansicht verbreitet, daß die Bundeskriegsverfassung nicht ausreiche, um eine den Schutz des Bundes sichernde Verwendung der Wehrkraft desselben zu verbürgen, und es hat diese Ansicht bekanntlich selbst in officiellen Aeußerungen Ausdruck gefunden. Im Interesse der gemeinsamen Sicherheit, wie in Berücksichtigung der durch jene Ansicht in weiten Kreisen verbreiteten Besorgnisse, scheint es den antragstellenden Regierungen unerläßlich zu sein, sofort in sorgsamste Erwägung zu ziehen ob und welcher Aenderungen die Bundeskriegsverfassung allenfalls bedürftig sei, um ihren Zweck zu erfüllen, und es haben hienach die Gesandten zu beantragen: Hohe Versammlung wolle die Bundes-Militär-Commission beauftragen, alsbald die Bundeskriegsverfassung einer sorgsamen Prüfung zu unterziehen und sich auf Grund derselben baldmöglichst gutachtlich zu äußern, ob und welche Änderungen an derselben sie für nöthig erachte, um die entsprechendste Verwendung der Wehrkraft des Bundes zu dessen Schutz zu sichern. B5 Um derjenigen Erklärung, welche sie gemeinschaftlich in der nächsten Bundestagssitzung abgeben werden, die nöthige Gewähr ihrer Aufrechthaltung und Durchführung zu sichern, vereinigen sich die Regierungen von denen dieselbe ausgegangen ist, über nachstehende Punkte: a) Sie werden sich angelegen sein lassen, sich über eine gemeinsame Abstimmung in allen wichtigen Bundesangelegenheiten zu verständigen. b) Sie werden zu Majoritätsbeschlüssen ohne Rücksicht auf einen dagegen erhobenen Widerspruch schreiten, sobald man sich von der Verfassungsmäßigkeit und der überwiegenden Heilsamkeit des Majoritätsbeschlusses überzeugt hat. c) Sie werden die Ausführung beanstandeter Majoritätsbeschlüsse, wenn solche Ausführung nach reiflicher Erwägung der Umstände rathsam erscheint, mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln und innerhalb der Grenzen der dazu vereinigten Staaten sich angelegen sein lassen (Beispiel: Annahme und Ausführung des Handelsgesetzbuchs). d) Sie werden sich zu dem Zwecke einer gemeinsamen Benützung der Presse vereinigen6. 5 Im ursprünglichen Entwurf überschrieben mit: Programm. 6 Im ursprünglichen Entwurf weiter: etwa nach Anleitung der Beilage II.
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e) Sie werden sich gegenseitig ihre Ansichten über mögliche Verbesserungen der Bundesverfassung und die geschäftliche Behandlung der Bundesangelegenheiten mittheilen. f) Behufs einer wirksamen und fortgesetzten Ausführung obiger Beschlüsse werden von Zeit zu Zeit Minister-Conferenzen stattfinden7.
23. Hügel an Schrenk HStA München, MA 492. Vertrauliches Schreiben. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 30. September 1859.
Hügel regt an, bei Wiedereröffnung der Bundesversammlung von seiten der Mittelstaaten konkrete Reformanträge vorzulegen, und zwar zur Revision der Bundeskriegsverfassung, zur Errichtung eines Bundesgerichts und zur Vereinbarung allgemeiner Bundesgesetze im Hinblick auf die materiellen Interessen.
Vertraulich
Stuttgart, 28. September 1859
Hochwohlgeborener Freiherr! Gestatten mir Euer Excellenz, Ihnen für die durch den Gesandten Grafen von Reigersberg1 mir gestern zugekommene gefällige Benachrichtigung von der am 1. Oktober erwarteten Rückkehr Ihres allergnädigsten Herrn und Königs meinen verbindlichsten Dank mit dem Beifügen auszudrücken, daß ich bei meiner Zurückkunft hierher sofort Seine Königliche Majestät davon in Kenntniß gesetzt hatte, daß wegen der dermaligen Abwesenheit Seiner Majestät des Königs Max eine Allerhöchste Resolution aus München nicht vor den ersten Tagen Oktobers zu erwarten stehe. In meiner mit Herrn von Bose, welcher, wie Ihnen bekannt, in den Gegenstand unserer Besprechungen in München genau eingeweiht ist, hier gehabten Unterredung habe ich einige Gesichtspunkte hervorgehoben, welche den Staatsminister von Beust zu der telegraphischen Anfrage veranlaßten, ob ich dieselben nicht zum Gegenstand abermaliger mündlicher Besprechung mit Euer Excellenz zu machen geneigt seyn würde. Aus Gründen, welche näher zu bezeichnen wohl überflüssig seyn dürfte, ziehe ich jedoch vorerst den Weg vertraulicher schriftlicher Mittheilung vor. 7 Im ursprünglichen Entwurf weiter: wozu die königlich bayerische Regierung unter Vorschlag von Zeit und Ort Einladungen ergehen lassen wird. 1 August Lothar Graf von Reigersberg (1815–1888), 1852–1859 bayerischer Innenminister, 1859–1868 bayerischer außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Stuttgart; Schärl, Zusammensetzung, S. 109.
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Wenn ich nämlich das Maß der durch unsere Münchner Zusammenkunft in ganz Deutschland hervorgerufenen Erwartungen und Hoffnungen in Betracht ziehe, so möchte die Annahme keine unrichtige seyn, daß die Enttäuschung der Gutgesinnten eben so groß seyn würde, als der Triumph der Gothaisch-demokratischen Parteien, wenn vorerst gar nichts weiter zur Kenntniß des Publikums gelangen würde, als die in der Bundesversammlung abzugebende Erklärung, in welcher, mit Ausnahme einer in Aussicht gestellten Modification der Bundeskriegsverfassung nichts zu erkennen wäre, als Rückkehr zu der Bundesverfassung mit allen ihren früheren der Förderung der gesammten deutschen Interessen in den Weg tretenden Hemmnissen. Es erschiene mir daher ein wesentliches Erforderniß zu seyn, daß wo möglich noch vor Abgabe der Erklärung das Vorhandenseyn des zum Zwecke der Beseitigung jener Hemmnisse organisirten Vereins der Mittelstaaten durch Zusammentritt der Minister sämmtlicher demselben beigetretenen deutschen Regierungen constatirt werde, wozu der für Wiederbeginn der Bundestagssitzung bestimmte Termin noch eine Frist von drei Wochen gewähren würde. Nichts wäre wohl geeigneter, die gegen den Bundestag gerichteten Bestrebungen der Gothaer u. Demokraten mehr zu paralysiren, als wenn es den Mittelstaaten gelingen würde, sich wenigstens über einige von der öffentlichen Meinung vorzugsweise herbeigewünschte Anträge sofort zu einigen. In welcher Richtung wir hierin auf den Beistand des Oesterreichischen Cabinetes zu rechnen haben würden, ersehe ich aus einer mir gestern zugekommenen Depesche des diesseitigen Gesandten in Wien2: „auf meine Frage“, spricht Letzterer, „ob man von hier aus diesem bundeswidrigen Treiben lediglich negativ durch Abwarten zusehen wolle, oder ob man nicht vorziehe, durch positives reformerisches Vorgehen beim Bunde der Bewegung entgegenzutreten, vertraute mir Graf Rechberg an, daß er geneigt wäre, hauptsächlich in drei Punkten beim Bundestage einer Neuerung beizutreten, möge solche von einer andern Regierung beantragt, oder deren Antragstellung durch Oesterreich von andern Staaten gewünscht werden. Diese Punkte wären 1. Revision der Bundeskriegsverfassung hauptsächlich in der Richtung, den Bundesfeldherrn in einem fünfjährigen Turnus je zum Voraus zu ernennen, sowie auch die übrigen obersten Militär-Commandos je zum Voraus festzustellen – eine Einrichtung wodurch zugleich vielleicht die bisherigen kostspieligen Bundesmilitär-Inspectionen erspart werden könnten. 2. Errichtung eines Bundesgerichtes, theils an die Stelle des bisherigen Austrägalgerichts, theils zur Erledigung anderweitiger rechtlicher Fragen, und 3. Beförderung gemeinschaftlicher materieller Interessen von Bundeswegen, wie z. B. Gleichheit der Maaße und Gewichte, Einheit der Handelsgesetz2 Ow an Hügel, Wien, 24. September 1859, HStA Stuttgart, E 50/01, Büschel 866.
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gebung u.s.w., wobei die Einstimmigkeit des Bundestages im Prinzipe zwar beibehalten, der Beitritt zu der Vereinbarung jedoch jedem Bundesmitgliede freigestellt bleiben könnte.“ Hiebei glaube ich Euer Excellenz bemerken zu sollen, daß der König, mein gnädigster Herr, Sich mit diesen von dem Kaiserlichen Cabinete hervorgehobenen Gesichtspunkten vollkommen einverstanden erklärt hat. Auch dürfte es für Euer Excellenz nicht uninteressant seyn zu erfahren, daß ich gestern von dem Staatsminister von Dalwigk3 ein Schreiben erhielt, worin folgender Passus enthalten ist: „Sie begreifen, mit welcher Spannung ich der Mittheilung dessen entgegensehe, was Sie in München mit den Staatsministern Freiherrn von Schrenk und von Beust verabredet haben. Eine möglichst gleichmäßige Gesetzgebung für alle deutschen Staaten, oberstes Bundes-Schiedsgericht, Verbesserung der Bundes-Militärverfassung und periodische Minister-Conferenzen, das werden wohl die Haupt-Rubriken der Vorschläge seyn, die wir zu gewärtigen haben.“ Bezüglich des Inhaltes des von Freiherrn von Beust uns noch in München mitgetheilten vertraulichen Schreibens des Staatsministers Freiherr von Dalwigk bin ich im Stande, Euer Excellenz die beruhigende, aus ganz sicherer Quelle geschöpfte Berichtigung zu geben, daß die Denkungsweise des Herzogs von Nassau der in jenem Schreiben angedeuteten Richtung aufs Entschiedenste zuwiderläuft und daher die auf der fraglichen Voraussetzung basirten Besorgnisse ganz unbegründet erscheinen dürften. Mit den Gesinnungen aufrichtigster Freundschaft und wahrer Verehrung Euer Excellenz ergebenster Diener Hügel Nachschrift. Ich erlaube mir die Bemerkung beizufügen, daß ich gegenwärtige Zeilen in meinem Cabinete einer ganz sicheren Person diktirt, und ich unserer Verabredung gemäß selbst kein Mitglied meines eigenen Departements in die stattgehabte Verhandlung eingeweiht habe.
3 Carl Friedrich Reinhard Freiherr von Dalwigk zu Lichtenfels (1802–1880), 1850–1871 Außenminister des Großherzogtums Hessen-Darmstadt, seit 1852 Leiter des Gesamtministeriums; ADB, Bd. 47, S. 612–615; NDB, Bd. 3, S. 495 f.
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Bundesreformplan Roggenbachs
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24. Bundesreformplan Roggenbachs1 GLA Karlsruhe, Großherzogliches Familienarchiv (Eigentum SKH des Markgrafen von Baden), Abt. 13: Korrespondenz Großherzog Friedrichs I., Bd. 30. Beilage zum Schreiben Roggenbachs an Großherzog Friedrich I. vom 29. September 1859; das Bundesverfassungsstatut übersandte Roggenbach am 2. Oktober 1859 an den Großherzog, ebd.; Druck: Oncken (Bearb.), Großherzog Friedrich I. von Baden, S. 116–153.
Roggenbach skizziert die Bedingungen und Interessen bei der Gründung des Bundes. Der Bund hatte eine fehlerhafte Grundlage, die dazu führte, daß die ganze Maschinerie unwirksam wurde. Die Rivalität der Großmächte hat gegenüber der französischen Bedrohung dazu geführt, daß der Deutsche Bund seiner Aufgabe nicht nachkommen konnte. Daraus hat sich das Verlangen nach Bundesreform ergeben. Für die neue Organisation schlägt Roggenbach ein Vertragsverhältnis zwischen Preußen und den anderen deutschen Staaten einerseits sowie Österreich andererseits vor. Preußen und die deutschen Staaten sollen in einer staatsrechtlichen Organisation mit einem Bundesverfassungsstatut verbunden werden.
[Karlsruhe, September 1859] Ideen zu einem Versuche, eine Reorganisation des Deutschen Bundes durch Ausgleichung der Interessen der betheiligten Regierungen zu erreichen I. Die mannigfachen Beweggründe, welche im Jahre 1815 die beiden deutschen Großmächte und die durch Auflösung des Deutschen Reiches und des Rheinbundes eines gemeinsamen Bandes beraubten Souveräne der übrigen deutschen Staaten veranlaßten, in freiem Entschluße den völkerrechtlichen Verein „des Deutschen Bundes“ einzugehen, sind hinlänglich bekannt. Als wichtiges vorbereitendes Moment wirkte unstreitig die Betrachtung mit, in einer Zeit der Restauration müße die geschehene Zertrümmerung des alten Reichsnexus, wie sie infolge der Erschütterungen der Französischen Revolution und der Napoleonischen Eroberungspolitik stattgefunden, soweit es das Interesse der staatlichen Neubildungen erlaubte, wieder aufgehoben werden. Wichtiger noch war die gewonnene Einsicht der absoluten Unsicherheit jedes Rechtszustandes, ja des Besitzes jeder politischen Herrschaft, so lange die deutschen Staaten zersplittert und vereinsamt, eine stets reizende Beute, neben weit mächtigere Nachbarn gestellt blieben. Die Erfahrungen schwerer Bedrückung und langer Leidensjahre hatten beigetragen eine doch nur von fremder Willkür abhängige Herrschaft zu verleiden. Zuletzt hatte endlich der jähe Sturz des Protectors auch noch den Wankelmut des Glückes bewiesen, und dargetan, 1 Franz Freiherr von Roggenbach (1825–1907), 1848 Sekretär im Reichsministerium des Auswärtigen in Frankfurt, 1849 badischer Legationssekretär in Berlin, seit 1859 Ratgeber Großherzog Friedrichs I. von Baden, 1861–1865 badischer Außenminister; NDB, Bd. 21, S. 756 f.; DBE, Bd. 8, S. 366.
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wie die gewonnene Selbstständigkeit ohne weitere innere Consolidirung selbst dann ein unsicherer Besitz blieb, wenn sie von vornherein entschloßen wäre, sich dem Mächtigen zu gefügigem Dienste anzuschließen. Sollte die Wiederkehr so schwerer Zeiten verhütet werden, so mußte das politische System, was bisher nur durch Anlehnung an Frankreich bestanden hatte, einen eignen Schwerpunkt finden. Konnte dies durch ein Abkommen geschehen, das neben dem verlangten Schutze die möglichst geringsten Opfer der erlangten Selbstständigkeit und individuellen Beweglichkeit forderte, so neigten sich von selbst die einzelnen Stimmen demselben zu. So entstand der völkerrechtliche Verein der deutschen Staaten, welchen sie „den Deutschen Bund“ nannten. Sein ausgesprochener Zweck war: „Erhaltung der äußern und innern Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen deutschen Staaten.“2 Daß jeder der Contrahirenden Staaten, sich neben diesem Hauptzwecke, seine besondere Vorstellung der Dienste bildete, welche er von der neuen Schöpfung erwartete, war bei der allen Staaten zu ihrer nothwendigen Selbsterhaltung eingepflanzten und unentbehrlichen Selbstsucht natürlich. Insbesondere waren die Hauptpaciszenten von Anfang bestrebt vor allem das Interesse der neubeseelten Staatsexistenz zu wahren, mit der sie in den Bund traten. So vor allem das territorial neu arrondirte junge Kaiserreich „Oestreich“ und das gleichfalls vielfach umgestaltete, mit der erlangten Freiheit vom Reichsverbande von neuem Ehrgeize erfüllte Königreich Preußen, die beiden mächtigsten Bundesglieder. Sehen wir genau zu, so erwartete Oestreich von seinem Eintritt in den Bund, neben der ziemlich wertlosen Aussicht auf Schutz seiner nie in erster Linie bedrohten Deutschen Bundesländer, vor allem, daß es ihm durch den auf den Bund geübten Einfluß gelingen werde, die feindselige Richtung, welche die preußische Politik seit Friedrich II.3 eingeschlagen, zu modificiren. Außerdem trug es sich mit der Hoffnung durch die Bundesinstitution könne es sich die Unterstützung der gesammten deutschen Kräfte, nicht nur für den stipulirten Fall der Bedrohung seiner Bundesländer, sondern auch dann sichern, wenn es in seinem außerdeutschen, bundesmäßig nicht geschützten Territorialbestande bedroht war. Dazu ja hatte das Haus Habsburg von Anfang an die deutsche Kaiserwürde hauptsächlich gebraucht, die mannigfachen Kriege, in welche es seine verwikelten [sic] Interessen und ein weitläufiger, schlecht geschloßener Territorialbesitz verflochten, durch das Reich ausfechten zu lassen. Da die Bundesacte, zum großen Schaden der Loyalität im Gebrauche dieser 2 Art. 2 der Bundesakte, wo es allerdings „Unverletzbarkeit“ (nicht: „Unverletzlichkeit“) heißt. Vgl. QGDB I/1, S. 1508. 3 Friedrich II., König von Preußen (1712–1786).
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Institution, diese Verpflichtung nicht stipulirte und anderseits Oestreich diese Unterstützung nur schwer entbehren konnte, so mußte Oestreich notwendig vertrauen, dieses Ziel künftig durch seinen Einfluß auf die Mehrheit der Bundesglieder, der in diesem Punkte stets ungefügigen preußischen Politik gegenüber, zu erreichen. Hätte Oestreich die Gewißheit gehabt, daß der Bund sich nur zu seinem eigensten Zwecke würde gebrauchen lassen, so hätte sich das Interesse an Demselben bei den Stiftern selbst sehr vermindert, und wohl vor allem in dem Streben nach Verhinderung einer etwaigen Nationalitätspolitik Preußens, mit ihrer Gefahr einer endlichen Zersplitterung der Monarchie, concentrirt. Die mittlern und kleinern Bundesstaaten, welche eben erst der Gefahr eines gemeinsamen Unterganges mit ihrem Protector entronnen waren und ohne die natürliche Anlehnung sich befanden, die sie nicht entbehren konnten, fanden in der gebotenen Institution eine sichere gefahrlose4 Garantie ihrer Existenz als selbstständige Staaten, mit der äußerst günstigen Chance durch die Rivalität der beiden größten Bundesglieder zu einem Schutze zu gelangen, ohne dafür, wie bei dem napoleonischen Protectorat, einen Herrn einzutauschen. Sie waren um dieser günstigen Stellung willen und wenn das Wesen der Souverainität gerettet blieb, gerne bereit, ihre Machtübung [sic] durch freiwillige Opfer zum Besten der Gemeinschaft beschränken zu lassen. Einmal hatte in ihnen nicht das Interesse der Sonderexistenz alle patriotische deutsche Regung erstickt. Dann war diese Bereitwilligkeit zugleich eine Abfindung mit dem in letzter Entwiklung [sic] doch gefahrbringenden Verlangen ihrer Bevölkerungen nach nationaler Einigung und Ersatz der alten viel geschmähten und doch vermißten Reichsform. Preußen seinerseits, doch einer der wesentlichsten Mitbegründer des Bundes, hätte denselben wohl am leichtesten entbehren können, wenn es sich hätte entschließen können, aus Deutschland mit allen seinen Ansprüchen, seinen Hoffnungen und seinem Ehrgeize auszuscheiden. Allein es betrachtete sich überhaupt nicht als definitiv constituirt in Deutschland und konnte es auch so lange nicht, als seine unfertige und unzureichende Macht nach steter Ergänzung verlangte, sollte das Großmachtsprogramm, wie es Friedrich II. traçiert hatte, mit Erfolg durchgehalten werden. Außerhalb des Bundes bleiben, wäre zudem dem preußischen Politiker einem definitiven Ueberliefern Deutschlands an den oestreichischen Einfluß gleichgekommen. Diese Furcht allein war aber bis auf die neuste Zeit stets hinreichend, die preußische Politik aus den Bahnen gesunder Grundsätze und ruhiger, leidenschaftsloser Ueberlegung abzulenken. So befand sich Preußen also von Anfang an in der eigenthümlichen Alternative, daß das Interesse des 4 Emendiert. Vorlage: Gefahrlose.
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aktuellen Staates Preußen durch den Eintritt in den Bund sich eher verletzt fühlte; dagegen das Bedürfniß des geträumten Preußens der Zukunft diesen Eintritt verlangte. Um dieser Zukunft nichts zu vergeben und den Nachtheil zu verhüten, daß durch Enthaltung ganz Deutschland willenlos oestreichischem Belieben anheimfalle, und der eignen Beeinflußung entzogen werde, war die Uebernahme beschränkender Bundespflichten unvermeidlich. Man rechnete auf die mögliche Handhabe, welche der Bund für Ausdehnung des eignen Einflußes bot und tröstete sich, daß die Perspective einer weitern Ausbildung zu Gunsten Preußens, wie unwahrscheinlich sie auch war, doch nicht ganz ausgeschloßen blieb. So war die Thatsache, daß Preußen von dem Bunde eigentlich nie das erwartete, was die neue Institution nach Sinn und Wort meinte, sondern daß es ihn zu einem transitorischen Mittel für Plane, die über dem Bund hinauslagen, verfälschte, abwechselnd gebrauchte, dann wieder lähmte, je nach seiner oft ganz willkürlichen Auffaßung der augenblicklichen Dienlichkeit zu diesem Zwecke. Die Realität des abgeschloßenen Bundes war also folgende, daß derselbe zwar einen allgemeinen nationalen Zweck verfolgen sollte, daß aber jeder der einzelnen Hauptcontrahenten wieder einen so speciellen Einzelzweck verfolgte, daß es in jedem Falle, wo beide5 collidirten, nimmer zweifelhaft blieb, welcher die Oberhand behalten würde. Das oestreichische Streben, den Bund zu eignem Zwecke zu mißbrauchen – das preußische, den Bund überhaupt nur soweit gelten zu lassen, als er den Bedürfnißen der preußischen Separatpolitik nicht hinderlich war, hielten sich ungefähr die Waage. Diese fehlerhafte, unwahre Grundlage, der unbundesmäßige Sinn der beiden Großmächte, ergab als Resultat nothwendig die Unwirksamkeit der ganzen Maschienerie mit alleiniger Ausnahme der Fälle, wo die particularen Interessen der einzelnen Contrahenten zusammenstimmten. Auch das lautsprechendste Interesse der Gemeinschaft, der offenkundigste Eintritt des durch den Bundeszweck bezeichneten Falles, reichten nicht hin eine Action hervorzubringen, wenn nicht gleichzeitig der andere Gesichtspunct der Befriedigung der Particularinteressen der Betheiligten wirksam ward. In Zeiten, in welchen eine innigere Beziehung zwischen den beiden Großmächten den Kreis der als gemeinsam begriffenen Einzelinteressen ausdehnte, dehnte sich auch der Kreis der Wirksamkeit des Bundes für gemeinsame Leistung aus. In dem Maße dagegen, als die politische Weisheit der beiden Cabinette dahin stand, den eignen Vortheil vornehmlich in Benachtheiligung eines alten Rivalen zu sehen; in dem Maße, als confessionelle Engherzigkeit, Vorurteile aller Art, Empfindeley, Kleinlichkeit und Kläglichkeit in den herrschenden Kreisen beider Höfe die Oberhand bekamen, war der Bund 5 Emendiert. Vorlage: beiden.
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zu Erfüllung aller seiner Zwecke und Pflichten vollständig gelähmt und unfähig. Die übrigen Mitglieder hatten auf diesen Stand der Sache nahezu keinen Einfluß und waren in der traurigen Lage dem kläglichen Zustande zuzusehen, ohne mehr thun zu können, als zu versuchen mit ohnmächtigen Vermittlungsvorschlägen denselben mehr zu verdecken, als zu bessern. Dieser innern Beschaffenheit des Bundes entsprachen denn auch die Erfahrungen, welche Deutschland in der gefährlichsten Lage, in welche es und seine heiligsten Interessen gestellt sein konnten, machen mußte. Die Gefahr, welche mit dem offnen Auftreten des Imperialismus, seiner Selbstständigkeit, der Geltung seiner Nationalität, der Integrität seiner Grenzen drohte, war größer, als je einmal zuvor. Nicht etwa, weil Deutschland materiell schwächer war, als früher. Wohl aber, weil der Ueberlegenheit des Mannes, der es bedrohte6, in fast allen europäischen Cabinetten die vollendetste Willensunfähigkeit und Thatkraftlosigkeit gegenüberstand. Deutschland war in dieser äußersten Lage also ganz auf sich gestellt und in Bekämpfung des politischen Systems, das sich langsam gegen es entwikelte [sic], nur auf sich gewiesen. Das Deutsche Volk hat aber erfahren, daß es inmitten der Rivalität der beiden ersten Bundesmächte ohne alle Vertretung seiner wichtigsten Interessen blieb, daß die Institution, welche dafür geschaffen und bestimmt war, die Stelle des ohnmächtigen deutschen Reiches zu ersetzen, noch weit kraftloser, als dieses, selbst nur eitler Schein und das Spielwerk kurzsichtiger Einzelinteressen sey. Das Deutsche Volk und mit ihm die Regierungen aller übrigen deutschen Staaten wissen nun, daß sie Französischer Eroberungspolitik gegenüber jeden Schutzes baar und durch die Formen des deutschen Bundes nicht nur nicht gestärkt, sondern sogar in Geltendmachung des Maaßes der politischen und militärischen Kraft, die ihnen innewohnt, behindert werden, durch die kläglichen Kreuz- und Querzüge, welche die Rivalität der beiden Großmächte sie am Bunde thun ließ. Aus der Erkenntniß dieser traurigsten Beschaffenheit der Verwaltung seiner Angelegenheiten entspringt zunächst ein Verlangen nach Bundesreform und die Bewegung, welche dieselbe zum Ausgang nimmt. Allein die genaue Betrachtung der Thatsachen zeigt zugleich, daß keinerlei formelle Veränderung eine Aenderung der Ursachen herbeiführen wird, welche die Ohnmacht Deutschlands verschulden. Jede neue Schöpfung, welche Aussicht auf ein besseres Ergebniß bieten soll, muß vielmehr nothwendig damit beginnen, die Quelle politischer Thatäußerung in Deutschland dem Einfluße dieser Rivalität zu entziehen. Der Umstand, daß die den Ausschlag gebenden politischen Mächte nur ebenso viele Particularinteressen darstellen, bringt es mit sich, daß jeder praktische Versuch überhaupt nicht von dem Stre6 Gemeint ist Napoleon III. (1808–1873), Kaiser der Franzosen seit 1852.
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ben ausgehen darf, die möglichst beste Schöpfung für Wahrung des gemeinsamen Deutschen Nationalinteresses zu begründen, sondern diejenige, welche neben besserer Wahrung desselben7, zugleich den Particularinteressen der meisten am entsprechendsten ist. Ließe sich nicht vielleicht ein politisches System auffinden, in welchem dieselben Kräfte, welche 1815 die politische Institution des Bundes schufen, in ihrem Zusammenwirken eine größere Leistung für die Gemeinsamkeit zu Stande brächten? Könnten dabei die Contrahenten nicht wieder von dem Standpuncte ausgehen, möglichst ihr Particularinteresse bedenken zu wollen, solches aber doch auch nicht dabei unbetheiligt zu erachten, daß die Institution, welche die Deutsche Nation unter sich zusammenhält, eben gar nichts leistet? Erinnern wir uns [an] die Gesichtspunkte, welche für alle einzelnen Contrahenten, vor allem aber für Oestreich und Preußen, den8 Eintritt in den Bund veranlaßten, welche Erwartungen sie von demselben hegten, so dürfte die Erfahrung dieses Jahres die Bereitwilligkeit einer Aenderung wohl vermehren. Oestreich zunächst hat thatsächlich erfahren, daß die Bundesstipulation in den beiden wesentlichsten Puncten, die es von ihr erwartete, vollständig werthlos sey. Dieselbe ließ es ohne jeder Unterstützung in einem Falle, für welchen vor allem auf eine Wirksamkeit derselben im Oestreichischen Interesse gerechnet war. Sie war ferner nicht nur nicht im Stande der preußischen Politik einen freundlichen Charakter zu geben, sondern umgekehrt eher die Veranlaßung einer feindseligen Haltung des Berliner Cabinetes. Es blieb als einziger problematischer Nutzen die Perspective auf etwaiges Einstehen für die Integrität des Bundesgebietes. Allein man kann in Wien sich unmöglich verhehlen, wie nahe es war, daß der Buchstabe der Bundesacte auch in diesem Falle den Combinationen preußischer Politiker gegenüber ohnmächtig geblieben wäre. Preußen seinerseits erklärte offen, daß es in der Bundesform überhaupt in keinerlei Weise irgend gemeinsame Maaßregeln mit seinen Bundesgenossen unternehmen werde. Es muß also wohl die definitive Ueberzeugung gewonnen haben, daß das Interesse, welches es bisher in einem Bundesnexus mit Deutschland erhielt, sehr gering sey, und sein eignes durch Nichtanerkennung desselben besser stehen werde. Die übrigen Deutschen Staaten ihrerseits wissen nun, daß der Bund durchaus keine Möglichkeit für sie bietet, einigen bestimmenden Einfluß auf den Gang deutscher politischer Entschlüße üben zu können. Vielmehr erfuhren sie, daß Preußen grade deßhalb in der Stunde der Gefahr ihn paralysirte, um dem Drucke der öffentlichen Meinung Deutschlands und der deutschen Regie7 Emendiert. Vorlage: derselben. 8 Emendiert. Vorlage: der.
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rungen auf seine politischen Combinationen zu entgehen. Sie wissen ferner, daß nicht nur der Bund, sondern durch den Bund sie selbst vollkommen ohnmächtig sind, und daß auch sein Schutz für sie nur grade so weit reicht, als die Vorstellung, welche man von seiner Zweckmäßigkeit in Berlin grade hat. Unter diesen Umständen kann das Interesse an Erhaltung des Bundes auf keiner Seite mehr so stark sein, wie zu Zeiten, als der Traum noch dauerte, es ließe sich damit etwas leisten. Jedenfalls dürfte unter den Contrahenten sich einige Bereitwilligkeit finden (wenigstens bei einigen), Vorschläge zu discutiren, welche darauf ausgehen, die ursprünglichen Zwecke des Bundes künftig dadurch zu realisiren, daß die besser, als 1815 beratenen Particularinteressen sich unter einander vergleichen und auf Grund der wirklich gemeinsamen Interessen einen Zustand schaffen, der darum vielleicht Leben gewinnen könnte, weil er die Realität der Verhältniße unter den Contrahenten, die volle Wahrheit der Lage anerkennt und mehr nicht schafft, als diese mit sich bringt. Untersuchen wir aber, welche innern Erforderniße ein solches neues System haben müßte, um für die einzelnen Theile annehmbar zu sein, so steht fest, daß dasselbe den einzelnen Contrahenten die Dienste leisten müßte, welche dieselben von der Bundesinstitution erwarteten, und welche dieselbe thatsächlich nicht geleistet hat. 1. Oestreich müßte sie zunächst[,] über die Garantie seines im Deutschen Bunde befindlichen Gebietes hinaus, die von ihm stets auf Umwegen erstrebte Sicherstellung seines gesammten Territorialbesitzes gewähren. Ferner die Sicherheit, daß Preußen und Deutschland sich nicht an einer feindseligen, auf Dismembration der Monarchie ausgehenden Nationalitätspolitik beteiligen. Endlich:9 die Zusicherung der Unterstützung der militärischen und politischen Kräfte Deutschlands, so oft die künstliche Monarchie durch eine der immer wiederkehrenden Krisen bedroht ist, welche die Zusammensetzung aus ebenso vielen Nationalitäten mit sich bringt. 2. Preußen müßte die neue Organisation vor allem die Ergänzung seiner unvollständigen politischen Macht und die Befriedigung seines dadurch und durch das Bedürfniß territorialer Abrundung erzeugten Ehrgeizes bringen. Preußen bedarf eine politisch gesicherte Stellung in Deutschland, wenn es überhaupt eine Bundesstellung ehrlich acceptiren und sich aus den Tergiversationen der Schwäche zu der festen und muthigen Politik einer Deutschland vertretenden Macht erheben soll. Die Zusicherung der Reciprocität der Vertheidigung und Garantie seines Besitzstandes durch Oestreich folgt von selbst aus der seinerseits übernommenen Verpflichtung. 9 Emendiert. Vorlage: Endlich;
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3. Den übrigen Deutschen Staaten muß zunächst Sicherung ihrer Selbstständigkeit in vertragsmäßiger Begränzung werden. Die Opfer, die sie der Gemeinschaft bringen[,] müßen scharf begränzt sein, die Souverainität nicht in ihrem Wesen, sondern nur in der Ausübung ergreifen, wie sie thatsächlich bereits bedingt ist durch die übermächtige Gewalt der Verhältniße. Sie haben ein volles Recht zu erwarten, daß die Interessen, für welche richtige Fürsorge zu treffen die Kleinheit ihrer Verhältniße [sie] vielfach hinderte, auch in der Gemeinschaft besser gewahrt werden. Endlich ist es nur billig, daß ihnen ein Weg für Geltendmachung ihres Einflußes zu Vertretung ihrer Interessen nach Maaßgabe [von] deren Größe und Bedeutung eröffnet bleibe. Für sehr viele der kleinern Staaten hatte das Stimmrecht im engern Rathe nicht mehr Inhalt, und eine Garantie für die wenigen Fälle, wo Stimmeneinhelligkeit erfordert ward, läßt sich ohne Nachtheil beschaffen. Es wird überhaupt das Maaß der Aufgabe der Ausübung einzelner Souverainitätsrechte zu Gunsten der Gemeinschaft im ganzen weniger Schwierigkeit bieten, als die Ausführung der Gegenforderung eines verhältnißmäßigen Einflußes auf das Organ der Gemeinschaft[,] und letzterer Anspruch wird nicht von den Regierungen allein, sondern vor allem von den Bevölkerungen selbst getragen. Diese dreifältige[n] Interessen nun, die Oestreichs, Preußens, und der übrigen Staaten[,] würde nun jede politische Schöpfung, welche den Contrahenten der Verträge von 1815 annehmbar sein soll, befriedigen müßen. Anderseits dürfen die Schwierigkeiten, namentlich seitens der deutschen Königreiche nicht verhehlt werden und ist es gleich eine Thatsache, daß der Bund von 1815, wie er sich bewährt hat, keinerlei Interessen und die Interessen von Keinem befriedigt hat, so dürfte er schon um deswillen von einzelnen Mitgliedern vorgezogen werden, weil alle Theile an seine Mißachtung gewohnt sind. Denkt man das Detail einer solchen Organisation, als Ersatz des Deutschen Bundes und Ablösung seiner Leistungen an die Einzelnen näher aus, so ist es wesentlich, als Hauptgrundsatz festzuhalten, nur die Form zu wählen, welche das Geforderte zwar ganz, aber auch absolut nur dieses, und dieses auf die einfachste Weise gewährt. Für die für Oestreich unerläßlichen Anforderungen 1. der Garantie seines gesammten Territorialbestandes, wie solcher durch den Frieden von Villafranca festgestellt ist; 2. der Zusicherung der Unterstützung im Falle innerer Unruhen und 3. der Sicherung gegen eine feindselige Richtung der preußischen Politik, wäre unzweifelhaft die richtige und entsprechende Form, die eines einfachen Garantie- und Allianzvertrags. Die Schwierigkeit ist, eine wirksame reale Garantie wieder dafür zu beschaffen, daß das geschriebene Wort erfüllt werde, wenn die rechtliche und militärische Position in Deutschland aufgegeben ist. Der einzige mögliche und sichere Weg diese Garantie der Er-
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füllung der Stipulation zu geben, liegt allein in der Möglichkeit, irgendeine Connexität zwischen den Interessen des Verpflichteten (Preußens und Deutschlands) und den Ansprüchen des Berechtigten (Oestreichs) zu begründen. In wiefern das gelingen wird, hängt vornehmlich von dem Verhältniße ab, welches zwischen Preußen und den übrigen Deutschen Staaten im neuen Bunde hergestellt werden kann. Es frägt [sic] sich, ob es möglich ist ein solches engeres Verhältniß für Preußen wünschenswerth zu machen, und dennoch gleichzeitig durch Erfüllung der gegen Oestreich übernommenen Verpflichtungen zu bedingen. Es müßten gleichsam die Deutschen Staaten, welche ihrerseits an Oestreich den natürlichen Garanten ihrer Stellung Preußen gegenüber finden würden, selbst die Garantie geben, daß, so lange sie in dem Nexus mit Preußen verharren, die preußische Politik auch vertragsmäßig verfahre. Für die von den Deutschen Einzelstaaten, außer Preußen, zu erhebenden Forderungen einer 1. nach außen und innen in wirksamem Schutze sich bewährenden Organisation, 2. einer gemeinsamen Vorkehrung für gemeinsame Interessen, 3. einer dem Maaße ihrer Opfer entsprechenden Vertretung ihrer Interessen selbst, in verfaßungsmäßiger begränzter Form, ergiebt sich dagegen von selbst, daß dafür ein internationales Vertragsverhältniß unzureichend ist, vielmehr eine auf dem Vertragswege zu Stande gebrachte staatsrechtliche Organisation nicht zu umgehen ist. Es handelt sich hier nicht um die Erfüllung wechselseitiger Verbindlichkeiten, sondern um die Ermöglichung gemeinschaftlicher positiver Leistung. Den Ausgangspunkt müßte nothwendig ein freies Uebereinkommen der souverainen Staaten bilden, welche Interesse haben, daß diese Leistung geschehe10. Die zu errichtende Stipulation dürfte ferner nicht die Souverainität und damit den Grundcharakter des heutigen deutschen Staatszustand[es] ergreifen, sondern nur die Ausübung einzelner Rechte derselben. Sie muß Garantien geben, die nothwendig nur konstitutionelle, in der Verfaßung und Organisation selbst liegende sein können, daß einmal die contrahirenden Staaten in der ihnen verbleibenden freiwillig übernommenen Stellung und ihrem Einfluße nicht ferner verkürzt werden, und daß die Geltendmachung eines legitimen, begränzten, entsprechenden Einflußes auf die Politik und auf Verwendung der Gesammtkräfte der Gemeinschaft ihnen gesichert bleibe. Eignet sich somit die Vertragsform wohl zu Festsetzung der Rechtsgrundlagen eines solchen Verhältnißes, so erfordert die Erfüllung dieser weitern Anforderungen der einzelnen Staaten nothwendig eine in einem „Bundesverfaßungsstatut“ 10 Emendiert. Vorlage: geschehen.
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praecisirte Organisation. Dasselbe muß vielfach verändernd in die Verfaßung der Einzelstaaten eingreifen, soll es dem gefühlten Bedürfniße nach Vergemeinsamung einzelner Verwaltungszweige entsprechen. Anderseits wird nicht zu vermeiden sein, soll dem Bedürfniße eines so wesentlichen Mitcontrahenten, wie Preußen, entgegengekommen werden, daß zwar von dem Standpuncte der Gleichberechtigung aller Mitcontrahenten ausgegangen werden kann, in dem Maaße der Vertheilung der für Bundeszwecke zu übenden Thätigkeit Preußen besonders berücksichtigt werden muß. Soll nämlich 3. Preußen ehrlich und ohne Hintergedanken auf diese neue Organisation eingehen, und die ihm nöthige Machtergänzung gewinnen, so steht zunächst fest, daß formell nur eine verfaßungsmäßig gesicherte, staatsrechtlich ausgeprägte Stellung dazu hinreicht. Also auch das preußische Interesse erheischt eine über einen bloßen Vertrag hinausgehende Organisation. Materiell muß ihm dieselbe aber sichern, was eben diese Machtergänzung ausmacht, die selbstständige, wenn gleich konstitutionell durch Mitwirkung der verbündeten Staaten beschränkte Leitung der militärischen und politischen Angelegenheiten der Gemeinschaft. Ferner eine Garantie, daß die Uebernahme der Geschäftsführung der Gemeinschaft nicht eine Desorganisation des preußischen Staatsorganismus selbst veranlaße und nach etwaiger Auflösung der Gemeinschaft hinterlasse. Diese zu geben liegt gleichfalls allein in der richtigen Abgränzung der zu centralisirenden Gebiete und in der Bestimmung der Competenz, wie der eventuellen Uebergangsnormen. Diese preußischen Staatsnothwendigkeiten bedingen also zunächst, daß der Umfang der, der Ausübung nach abzutretenden Souverainitätsrechte die Oberleitung der Bundesmilitärangelegenheiten und die Vertretung Deutschlands dem Auslande gegenüber ergreife. Die übrigen centralisirter Verwaltung zu unterwerfenden Geschäftszweige sind von untergeordneter Bedeutung. Ferner[,] daß diese Abtretung an Preußen11 geschehe, daß dagegen Preußen als Gegenbedingung den legitimen Einfluß und die Vertretung der Interessen der Staaten dulde, welche auf diese Weise sich und ihre Interessen hingeben. Endlich, daß Preußen einwillige, Garantien zu geben, für Heilighaltung der Verträge, welche bestimmt sind, das Interesse, welches Oestreich am Deutschen Bunde und an seiner vertragsmäßig gesicherten, freiwillig aufgegebenen Stellung in Deutschland hatte, zu wahren und zu ersetzen. In den vorstehend entwickelten Erfordernißen des Bedürfnißes und Interesses aller Theile sind die Grundlagen gegeben, von denen ausgegangen werden müßte, soll zu einer Auseinandersetzung der im deutschen Bunde mehr collidirenden als zusammenwirkenden Interessen gelangt werden. In der Sache ist es gewiß nicht unmöglich, einen ganz anderen staatsrechtlichen Zustand in 11 Die Worte „an Preußen“ sind doppelt unterstrichen.
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Deutschland herzustellen, der zugleich alle berechtigten Particularansprüche berücksichtigt und anderseits doch das nationale Interesse nicht ganz bloßstellt und Deutschland den größten Gefahren preisgibt. Der Weg dazu ist der Versuch der Ablösung der Einzelberechtigungen. Die ungeheuern Schwierigkeiten, welche dem Gelingen in den Weg treten, liegen in der That weniger in der Sache, als in den Stimmungen. Da keinerlei Druck stark genug sein wird, diese unbereitwillige Gesinnung, vor allem bei den deutschen Mittelstaaten zu ändern, so hängt das Gelingen eines jeden Versuchs fast allein von den Anschauungen ab, welche man dort über dessen Zweckmäßigkeit hat. So lange aber nicht ganz ausgeschlossen ist, daß diese Einsicht früher oder später unter dem Eindrucke der politischen Kräfte, welche in jüngster Zeit die Staatsgeschicke bestimmten, reifen könnte, so lohnt es wohl der Mühe[,] diese Grundlagen noch etwas näher auszuführen. Es ließe sich vielleicht darüber verschiedener Ansicht sein, in wiefern der Zeitpunkt der geeignete ist, an allgemeinen, von Europa anerkannten und garantirten Punctationen zu rütteln. Allein es tritt grade in jetziger Weltlage der Umstand begünstigend ein, daß Europa vielleicht zum ersten Male seit 1815, nicht ganz einmüthig einer Änderung in dem Lähmungszustande der deutschen Staatskräfte entgegen wäre. Rußland und England dürften der Gefahr napoleonischer Uebermacht gegenüber, einer Entbindung der politischen Kräfte Deutschlands wohl eher geneigt sein. Schon deßhalb, weil sie eine Realität, die politisch brauchbar einer Fiction, als welche der Deutsche Bund sich erwies, unter allen Umständen vorziehen müßen. Nur Frankreich bliebe freilich unter allen Umständen entgegen, getreu zwingender Interessenpolitik und einer, auch über Napoleon III. mächtigen Tradition. Allein einmal ist die vorgeschlagene Einigung grade für den Fall berechnet und ließe sich bei seinem Eintritt vollziehen, wo die ohnedies feindlichste Stellung dieser Macht, deren Widerspruch mißachten und die Neugestaltung sich auch gegen den französischen Widerstand durchsetzen ließe. Dann wäre es doch fraglich, ob dem einigen Deutschland im engen Bunde mit Oestreich die Bedingungen seiner Lebensexistenz mit Erfolg bestritten werden könnten. Von äußerster Wichtigkeit ist dagegen eine weitere Frage, ob die Aussicht des Gelingens eines solchen Reorganisationsversuches sich steigert durch Beschränkung der Einführung auf eine Reihe Jahre. Soll die neue Organisation gleichsam nur als politisches Experiment, wie der Zollverein, à terme ins Leben treten, die bisherige Bundesverfaßung bloß suspendirt werden, und nach Ablauf der bedungenen Zeit weitere Erneuerung besonders stipuliert werden müßen? Oder soll von Anfang an ein Definitivum ins Auge gefaßt und die Competenzen so begränzt werden, daß der geschaffene Zustand allseitig gerne und willig für die Dauer angenommen wird?12 Würde das Provisorische eines 12 Emendiert. In der Vorlage schließt der Satz mit einem Punkt ab.
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Abkommen’s [sic] jedenfalls den Abschluß erleichtern, so ist kein Zweifel, daß dadurch das gedeihliche Functioniren wesentlich erschwert, ja die Resultate der neuen Einrichtung ganz in Frage gestellt würden. Vornehmlich würde Preußen kaum den Argwohn vermeiden, die kurze Dauer seiner Geschäftsleitung 13 im Hinblicke auf die Nothwendigkeit zu nützen, nach deren Ablauf wieder allein preußische Separatinteressen wahren zu müssen. Es würde ganz außer Stande sein, als alleinigen Mittelpunct alles seines Wirkens das Interesse der Gesammtheit am Herzen zu tragen. Es wäre ihm ferner unmöglich, die nothwendigen Modificationen seiner eignen Verfaßung eintreten und das eigene Haus zum Theile abbrechen zu lassen, wie doch für das Gelingen und lebendige14 Wirken der neuen Schöpfung nothwendig wäre. Anderseits ist es ebenso zweifelhaft, ob in einem Provisorium die übrigen deutschen Staaten die neue Stellung ehrlich erfassen und auszufüllen bestrebt sein würden. Die Entscheidung der Frage kann und muß dem thatsächlichen Erfolge der Unterhandlungen anheimgestellt bleiben, ob eine definitive Gestaltung erreichbar, oder eine provisorische noch als Gewinn betrachtet werden muß. Gewiß ist, daß der ganze Versuch von vornherein verfehlt sein würde, besteht nicht bei den Interessenten eine so lebhafte Ueberzeugung der Zweckmäßigkeit der neuen Einrichtung für ihre eigenen Interessen, daß sie, was vielleicht als Provisorium stipulirt wird, auch gerne als definitive15 Stellung ertragen würden. Daß die ganze Organisation aber nicht im Widerspruch mit dem Bunde entstehen, seine Sanktion erfordern und der rechtliche Nachfolger desselben sein würde, geht aus der Natur des ganzen Vorschlages hervor und ergibt sich auch aus der Nothwendigkeit[,] für die rechtlichen Verbindlichkeiten und Ansprüche des Bundes, als solcher vorzukehren. Dahin gehören vornehmlich die Ansprüche des Bundes an die auswärtigen Staaten, die zugleich mit Theilen ihres Gebietes dem Bunde angehören. Diese Verhältniße zu regeln, kann nur von dem Bunde selbst geschehen, und zwar durch Verwandlung der staatsrechtlichen Stellung dieser Gebietstheile in ein obligatorisches Verhältniß, wobei das jetzt bestehende wechselseitige Maaß gegenseitiger Leistungen und Verpflichtungen zum Ausgangspuncte genommen würde. Das Incompatible käme auch hier zur Ablösung. Gehen wir nun im Folgenden zur Skizzirung der Detailbestimmungen der sich als nothwendig ergebenden Verträge, Statute und Bundesbeschlüße über, welche das Bild des künftigen Staatszustandes Deutschlands und des Verhältnißes der jetzigen Bundesglieder deutlicher zeigen werden. 13 Unleserliche Stelle. 14 Emendiert. Vorlage: Lebendige. 15 Emendiert. Vorlage: Definitive.
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II. Versetzen wir uns über die verschiedenen Phasen, welche das Zustandekommen einer so tiefgreifenden Umgestaltung der Bundesverhältniße nothwendig durchlaufen muß, im Geiste an den Zeitpunkt des Abschlußes derselben, so lägen bei demselben 4 neue Urkunden des zukünftigen Bundesrechtes vor: 1. Ein Vertrag zwischen Preußen und den deutschen Staaten einerseits, und Oestreich anderseits, welcher die Grundlagen des künftig zwischen beiden Theilen bestehenden Rechtsverhältnißes enthalten würde. 2. Ein Vertrag zwischen Preußen einerseits und den einzelnen deutschen Staaten ohne Oestreich anderseits, welcher die Grundlagen enthielte, worauf sie eine neue Bundesverfaßung errichten wollen und die dazu nötigen Rechtsübertragungen vornehmen. 3. Das Statut dieser Bundesverfaßung mit den nothwendigen constituirenden Bundesgesetzen. 4. Die Bundesbeschlüße, welche die neue Ordnung bundesrechtlich begründen und den Uebergang einleiten. Vertrag mit Oestreich Der mit Oestreich abzuschließende Vertrag hätte in den Einleitenden Worten von der Anerkennung der Unauflösbarkeit des 1815 geschloßenen Bundes und der von Oestreich in Erfüllung seiner Bundespflichten bewiesenen Treue und Aufopferung auszugehen. Die Erreichung des Bundeszwecks von 1815 müßte von den Contrahenten als das unabänderliche Ziel aller ihrer Bemühungen ausgesprochen werden. Die Erfüllung desselben sey aber erschwert und zweifelhaft geworden durch die Mannigfaltigkeit16 der Interessen des Bundesgebiets und die praktischen Schwierigkeiten, die es biete[,] von einem Zentrum aus, auch in den wesentlichen Zweigen, wo gemeinsame Bundesinstitutionen begründet worden waren, die erfolgreiche Vertretung dieser Interessen zu führen p. p. In dem ersten Artikel würde dann die Entschließung des Kaisers von Oestreich ausgesprochen, für den seiner Monarchie einverleibten Theil des Bundesgebiets die Vertretung selbst zu übernehmen, und die Einwilligung der übrigen Bundesstaaten in diesen Austritt aus dem Bundesnexus. In dem 2ten Artikel müßte nun die Verwandlung der von Oestreich gegen die Gemeinschaft und der von der Gemeinschaft gegen Oestreich bestandenen Rechte und Pflichten, wie solche aus der Bundes- und der Wiener Schlußacte hervorgingen, in ein gegenseitiges obligatorisches Verhältniß, ausgedrückt sein, und zwar: 16 Emendiert. Vorlage: Manigfaltigkeit.
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1. Der von Oestreich, als Mitglied des Deutschen Bundes, gegen seine Bundesgenossen obliegenden Verpflichtungen in die Uebernahme der Garantie des Territorialbestandes der Gesammtheit derselben. 2. Der von Oestreich zu beanspruchenden Rechte, in die Uebernahme der Garantie des Territorialbestandes der Oestreichischen Gesammtmonarchie, wie der Friede von Villafranca (?) sie constituirt hat, seitens der Gesammtheit dieser seiner Bundesgenossen; in die weitere Uebernahme der Verpflichtung bundesfreundlicher Hülfeleistung im Falle eines feindlichen Angriffes auf den Oestreichischen Besitzstand, und der Unterstützung im Falle innerer Unruhen auf vorgängiges Anrufen Oestreichs; endlich in der Zusicherung wechselseitiger, ewiger bundesfreundlicher Gesinnung und bundesmäßigen Verhalten[s], wie solches, dem von jeher unter den Gliedern eines Reiches bestehenden Verhältniß und dem Charakter der Unlöslichkeit des 1815 eingegangenen Bunde[s] entspricht. Artikel 3 enthielte die Einwilligung Oestreichs zu Begründung eines neuen Bundes ohne Oestreich, wie solcher durch die vielfachen gemeinsamen Interessen der nicht unter Oestreichischer Souverainität stehenden Bundesländer gefordert werde. Artikel 4 gäbe die Ermächtigung an die Bundestagsgesandten die Rechts[-] und Eigenthumsverhältniße des Deutschen Bundes zu ordnen und den Uebergang zu vermitteln. Artikel 5 würde die Regelung der Beziehungen zu Dänemark und Niederlande einer besondern Convention zuweisen. Artikel 6 spräche nach Erledigung dieser Verrichtungen des Bundestags dessen Suspension aus.17 Artikel 7 enthielte die Uebernahme der Garantie der neuen Stellung der einzelnen Deutschen Staaten in dem eingegangenen neuen Bunde, und die Garantie dieses Vertrages selbst, weßhalb derselbe als Anlage beigeschloßen wäre. Damit ungefähr würde sich der ganze Umfang des zwischen Oestreich und dem übrigen Deutschland Nöthigen und Nützlichen erschöpfen. Die Interessen beider Teile an einer Verbindung wären vollständig gewahrt; der politischen Pietät gegen eine alte Bundesverbindung wäre ihr Teil geworden. Jedes engere Band, jede weitere Stipulation bleibt ewig eine Lüge und die Quelle eines nie endenden Antagonismus. Vertrag zwischen Preußen und den übrigen Deutschen Staaten Die Einleitung dieses Vertrags hätte zunächst auf die Anerkennung der Tatsache vielfacher gemeinsamer, gemeinsame Fürsorge fordernder Interessen un17 Am Rand des Absatzes steht ein großes Fragezeichen.
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ter den Contrahenten, wie solche in dem Vertrage mit Oestreich ausgesprochen ist, hinzuweisen. Als Voraussetzung dieses neuen Vertrags wäre der Hauptinhalt des mit Oestreich abgeschloßenen zu wiederholen, und auszusprechen, daß durch denselben das Bundesverhältniß mit Oestreich nicht alterirt werden solle, sondern nur andere wirksamere Formen der Ausübung gewinne. Artikel 1 hätte daher zunächst die Erfüllung der gegen Oestreich übernommenen Verpflichtungen, als die Voraussetzung und Bedingung, als die erste Pflicht des neuen Bundes auszusprechen. Artikel 2 stellte den Bundeszweck fest: „Die Erhaltung der äußern und innern Sicherheit Deutschlands, wie der wirksamern Entwiklung [sic] und Vertretung der gemeinsamen nationalen und politischen Interessen der vereinigten Staaten.“ Artikel 3 constituirte den neuen Bund, und spräche die Bereitwilligkeit aller contrahirenden Staaten aus, die Opfer zu bringen, welche die Erreichung dieses Zweckes erheischt, namentlich in Beschränkung der eigenen Ausübung einzelner in ihrer Souverainität belegenen Rechte zu willigen. Artikel 4 hätte die Absicht der Contrahenten, eine Bundesverfaßung, die einen integrirenden Theil dieses Vertrags bilden müßte, zu erlassen, auszusprechen, und die Puncte festzusetzen, welche dieselbe normiren solle: die rechtliche Natur des neuen Bundes, den Inhalt der Bundesgewalt, die Organisation derselben und ihre rechtlichen Garantieen. Artikel 5 würde als Grundsatz dieser Bundesverfaßung zunächst den Entschluß der Contrahenten aussprechen, daß zur wirksameren Führung ihrer gemeinsamen Angelegenheiten eine gemeinsame bundesleitende einheitliche Gewalt bestellt werde, die in den ihr zugewiesenen Gebieten diese Leitung unabhängig von den Instructionen der contrahirenden Staaten zu leiten habe. Artikel 6. Der Träger dieser Gewalt müßte die „Bundesversammlung“ sein. Die N. N. (einzelnen deutschen) Staaten (außer Preußen) erklären sich aber bereit die Ausübung dieser Gewalt nach Maaßgabe der Bestimmungen der Bundesverfaßung dem Könige von Preußen und seinen Nachfolgern auf dem preußischen Throne nach Maaßgabe der preußischen Erbfolgeordnung zu überlassen; und S. Maj. der König von Preußen erklärt sich bereit zur Uebernahme dieser Bundesleitung nach Maaßgabe und auf Grundlage der mit seinen Bundesgenossen vereinbarten Verfaßung und des darüber erlassenen „Bundesverfaßungsstatuts“. Artikel 7 müßte die Zusicherung und die Verpflichtung Preußens enthalten, insbesondere den verfaßungsmäßigen Besitzstand und die Rechte der souveränen Staaten, welche mit Preußen diese Verfassung vereinbarten, zu schützen, und die gegen das verbündete Kaiserreich „Oestreich“ übernommenen Verpflichtungen seinerseits und für seine Bundesgenossen zu erfüllen.
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Artikel 8 müßte die Anerkennung der vertragsmäßigen Grundlage der übernommenen Gewalt durch Preußen enthalten, und wie solche in ihrer Ausübung durch die konstitutionelle Mitwirkung der verfaßungsmäßig dazu verordneten Organe beschränkt sey. Artikel 9 enthielte für die Contrahenten den Vorbehalt des Rechtes, durch neuen Vertrag jederzeit die Competenz der Bundesgewalt erweitern zu können, und die wechselseitige Zusicherung, daß keinerlei Veränderung der Bundesverfaßung auf einem andern Wege, als dem freien Uebereinkommens der contrahirenden souverainen Staaten zuläßig sein soll und von der bundesleitenden Macht zugelaßen werden darf. Artikel 10 würde festsetzen, daß im ganzen Umfange der der Krone Preußens zur Verwaltung und Oberleitung zugewiesenen Gegenstände, die von derselben in verfaßungsmäßiger Form getroffenen Verfügungen derogatorische Kraft gegen alle Bestimmungen der Einzelgesetzgebungen und alle Verordnungen der Einzelregierungen haben; daß sich alle Contrahenten zu unbedingter Folgeleistung dieser Verfügungen und zu Enthaltung von allen Maaßregeln verpflichten, welche mit Sinn und Geist dieses Vertrages und den Bestimmungen des „Bundesverfaßungsstatuts“ im Widerspruch stehen. Artikel 11 brächte die Verpflichtung der Contrahenten, für alle Veränderungen in dem Verfaßungsrechte ihrer Staaten die Zustimmung ihrer Stände, wo sie nöthig ist, beizubringen. Artikel 12 brächte die Aufzählung der Gebiete, welche der Bundesgewalt unterstellt sein sollen, und zwar zunächst die Wahrnehmung aller bisher dem Deutschen Bunde obliegenden Functionen, insbesondere 1. der zum Schutze gegen außen erforderlichen militärischen Einrichtungen der vereinigten Staaten[,] 2. die Vertretung der gemeinsamen politischen Interessen derselben gegenüber des Auslandes [sic] [,] 3. die Vertretung der Handelsinteressen[,] 4. die Sorge für Marine und Schifffahrtsangelegenheiten[,] 5. die Zollvereinsangelegenheiten, Alles nach Maaßgabe des „Bundesverfaßungsstatuts“ und der einzelnen Conventionen, welche den Uebergang dieser Geschäftsübernahmen zu vermitteln bestimmt sind. Artikel 13 müßte die wesentlichsten Grundlagen der Verfaßungsbestimmungen über die künftige „Bundeskriegsverfaßung“ und die Grundsätze, wornach [sic] die nothwendigen Militärconventionen abgeschlossen werden müßten, enthalten, als 1. Der künftigen Bundeskriegsverfaßung soll die „Kriegsverfaßung des deutschen Bundes“ zum Ausgang dienen[.] 2. Der Bundesgewalt steht dagegen das ausschließliche Recht der Organi-
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sation und Gesetzgebung, wie die Oberaufsicht des deutschen Heerwesens zu. 3. Die Integrität der einzelnen Armeecorps soll jedoch nicht geschmälert werden, auch kein Armeecorps in Friedenszeiten, außer zum Zwecke vorübergehender Uebung, außerhalb der Gränzen des Landes verlegt werden. 4. Den einzelnen deutschen Souverainen bleibt die volle Verfügung über ihre bewaffnete Macht, soweit solche nicht für Bundesdienst in Anspruch genommen wird. 5. Den Souverainen bleibt die Ernennung der Befehlshaber ihrer Truppen vorbehalten, mit Ausnahme der Corpscommandanten activer Corps, und falls ein Corps mehrere Divisionen umfaßen sollte, auch der Divisionäre und des gesammten Generalstabs der activen Corps. Dagegen haben die nach der Organisation von den Kriegsherrn der einzelnen Staaten zur Charge ernannten Ober- und Generalstabsofficiere einen Anspruch auf Verwendung im Bundesdienst. 6. Die Bundesmilitärcommißion, mit Ausnahme der Bevollmächtigten von Oestreich, Dänemark und den Niederlanden[,] soll sich alsbald nach Abschluß dieses Vertrags in Berlin unter dem Vorsitze des königl. Preußischen Kriegsministers versammeln und die „Bundeskriegsverfaßung“ nach Maaßgabe dieser Bestimmungen und des „Bundesverfaßungsstatuts“ ausarbeiten. Artikel 14 müßte in ähnlicher Weise die Grundsätze für Vereinigung der diplomatischen Vertretung und des diplomatischen Dienstes regeln. 1. Der Bundesgewalt soll die ausschließliche völkerrechtliche Vertretung Deutschlands und der einzelnen deutschen Staaten überlassen sein. Sie stellt die Gesandten und Consuln an, führt den diplomatischen Verkehr, schließt Bündnisse und Verträge und ordnet alle völkerrechtlichen Maaßregeln an. 2. Die einzelnen deutschen Staaten verzichten zu Gunsten der Bundesgewalt auf ihr Recht ständige Gesandte zu senden und zu empfangen, wie über politische Gegenstände in Verkehr mit dem Auslande zu treten. Dagegen behalten sie sich das Recht vor, in Familienangelegenheiten unter Kenntnißgabe an die Bundesgewalt Missionen kurzer Dauer mit dem Mandate ad hoc zu senden. 3. Das Vertragsrecht der deutschen Regierungen mit andern Deutschen Regierungen bleibt unverändert. Desgleichen bleibt denselben die Befugniß über Gegenstände der Staatswirthschaft, des nachbarlichen Verkehrs und der Polizei mit dem Auslande Verträge abzuschließen. Solche müßen jedoch der Bundesgewalt vorgelegt werden und bedürfen ihrer Bestätigung.
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4. Der amtliche Verkehr zwischen den einzelnen deutschen Staaten und den auswärtigen Staatsregierungen soll sich auf den Verkehr mit untergeordneten Grenzbehörden beschränken. 5. Die contrahirenden Staaten verpflichten sich eine Commission niederzusetzen mit dem Mandate die „Organisation des diplomatischen Dienstes“ auszuarbeiten, und nachdem solche in verfaßungsmäßige Wirksamkeit getreten ist, die „Ministerien der auswärtigen Angelegenheiten“ aufzuheben, als dem Geiste gegenwärtigen Vertrages entgegen. Sie werden dagegen zur Vermittlung des Verkehrs mit der Bundesgewalt eine eigene Behörde errichten, und solche entweder dem „Ministerium des Hauses“ oder dem „Ministerium des Innern“ beiordnen. Artikel 15 müßte aussprechen, daß der Verkehr mit Oestreich ausschließlich von der Bundesgewalt geleitet wird. Artikel 16 bestimmte, daß wegen Uebernahme der Leitung der Marineangelegenheiten, der Zollvereinsangelegenheiten und aller gemeinsamer Verwaltung zuzuweisenden Gegenstände besondere Conventionen unter den Contrahirenden Staaten abgeschlossen werden sollen, welche den Bestimmungen des „Bundesverfaßungsstatuts“ entsprechen sollen. Diese Conventionen bilden einen Theil der Bundesgesetzgebung und können jederzeit auf verfaßungsmäßigem Wege modificirt werden, immer vorbehaltlich der Bestimmung des Artikel 9 des gegenwärtigen Vertrags und des „Bundesverfaßungsstatuts“. Artikel 17 bestimmte, daß die Bundesgewalt von der Bundesversammlung ausgeübt werde, und zwar von der Krone von Preußen, als bundesleitender Macht, einem Staatenrath, als dem Vertreter der Interessen der einzelnen Regierungen und Staaten, und einem Nationalrath, als dem Organe, den unmittelbarsten Ausdruck des Bedürfnißes des deutschen Volkes auf allen vergemeinschaftlichten Gebieten zu gewinnen. Alles nach Maaßgabe des „Bundesverfaßungsstatuts“. Artikel 18 instituirte das Bundesgericht. Die Contrahenten verpflichten sich ein Bundesgericht einzusetzen, welches zunächst die ganze Gerichtsbarkeit ausüben soll, welche dem deutschen Bunde, und seinen richterlichen Organen zustand; dann aber auch über alle aus vorstehendem Vertrage und dem dadurch begründeten Rechtszustande hervorgehenden Klagen rechtsgültig entscheiden soll. Die Contrahenten, sowohl die bundesleitende Macht, in ihren verantwortlichen Ministern, als die Regierungen der einzelnen Staaten in Person derselben (ihrer Minister) verpflichten sich[,] diesem Gerichte sich jederzeit zu unterwerfen. Ein Bundesbeschluß wird den Uebergang der Gerichtsbarkeit auf dieses „Bundesgericht“ regeln. Artikel 19. Der neue Bund, als Rechtsnachfolger des deutschen Bund[es], tritt in alle Rechte und Verpflichtungen desselben ein, insbesondere was seine Ansprüche und Verpflichtungen den Staaten gegenüber betrifft, welche mit
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einzelnen Gebietstheilen dem Deutschen Bunde angehörten und deren Beziehungen durch die im Vertrage mit Oestreich vorgesehenen Verträge geregelt werden sollen. Artikel 20. Der officielle Namen [sic], welchen die verbündeten contrahirenden Staaten in ihrer Bundesgemeinschaft führen, ist: „Die vereinigten Staaten von Deutschland.“ Die bundesleitende Macht führt die Geschäfte im Namen: „Sr M. des Königs von Preußen und der vereinigten Staaten von Deutschland.“ Das Auswärtige Amt und die übrigen Ministerien für die centralisirten Geschäftszweige zeichnen: „Königl. Preußische Bundesministerien für (auswärtige, Marine-, Handels-, Kriegs-)angelegenheiten der vereinigten Staaten von Deutschland.“ Artikel 21 enthielte die Zeitbestimmung für Eintritt der Wirksamkeit der neuen Bundesverfaßung. Artikel 22 die nothwendigen Ratificationsclauseln, Schlußformeln p.p. p. Bundesverfaßungsstatut Das „Bundesverfaßungsstatut“ muß von der in „Artikel 4“ des Vertrages zwischen Preußen und den übrigen deutschen Regierungen übernommenen Verbindlichkeit ausgehen, und außer der Abgränzung der Beziehungen der neuen Bundesgewalt zu den einzelnen Staaten und der Regierungsgewalt in denselben, den Inhalt derselben genau festsetzen. Es muß die Organisation derselben, die Bestimmung über das Bundesgericht, und die Hinweisung auf die organischen Gesetze enthalten, welche die Bundesverfaßung ergänzen sollen. Es muß damit begonnen werden, die rechtliche Natur des neuen staatsrechtlichen Verhältnißes dogmatisch zu formuliren, das rechtliche Verhältniß zu dem alten Bunde, zu Oestreich und den Bundesgliedern „Dänemark und Niederlande“ zu bestimmen, und den Zweck des neuen Bundes zu bezeichnen. Damit füllt sich ein erster Abschnitt des Statuts, etwa: Abschnitt I Artikel 1 Der Bund, welchen die deutschen Regierungen in Gemäßheit des Vertrags vom – – (mit Oestreich) und des Vertrags vom – – (zwischen Preußen und den übrigen Staaten) unter sich errichtet haben, ist ein Bund souverainer Staaten, welche in freiem Uebereinkommen die Ausübung einzelner in ihrer Souverainität gelegener Befugniße durch ein gemeinsames Organ zu leiten beschloßen haben. Artikel 2 Der Bund der vereinigten Regierungen soll den Namen führen: „Bund der vereinigten Staaten von Deutschland.“ Er hebt den „Deutschen Bund“ nicht auf,
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der für die Gesammtheit der Bundesglieder des Vertrags vom 8. Juni 1815, in dem Umfange und nach Maaßgabe der Bestimmungen des (mit Oestreich und Dänemark resp. den Niederlanden) abgeschloßenen Vertrages aufrechterhalten bleibt. Die genannten Verträge erschöpfen jedoch fortan den gesammten Umfang gegenseitiger Rechte und Verpflichtungen zwischen den bezeichneten Bundesglieder[n]. Für den ganzen Umfang der von dem „Deutschen Bunde“ geübten Rechte und Verbindlichkeiten über diese Bestimmungen hinaus tritt der „Bund der vereinigten Staaten von Deutschland“ als Rechtsnachfolger des „Deutschen Bundes“ ein. Artikel 3 Der Zweck des Bundes ist die Erhaltung der äußern und innern Sicherheit der vereinigten Staaten und die wirksame Entwiklung [sic] und Vertretung der gemeinsamen nationalen und politischen Interessen des deutschen Volkes. Artikel 4 Alle Bundesglieder haben unter sich in allen Puncten, in welchen die Bundesverfaßung nicht über Ausübung der einzelnen Souverainitätsrechte besondere Bestimmungen vorschreibt, gleiche Rechte. Sie stehen sich in allen, von der Bundesverfaßung nicht vorgesehenen Fällen, als souveraine Staaten gegenüber, namentlich, wo es sich um Veränderung der Verfaßung selbst, um Erweiterung der Bundesgewalt, und um jura singulorum18 der einzelnen Bundesglieder handelt. Artikel 5 Der Bund als Gesammtheit gewährleistet den einzelnen Mitgliedern ihre Souverainität und die aus gegenwärtigen Verträgen hervorgehende rechtliche Stellung. Er gewährleistet ferner den Bundesglieder[n] des Vertrags vom 8. Juni 1815: Oestreich, Dänemark und Niederlande, ihre aus den Verträgen vom – – und vom – hervorgehenden Rechte und Ansprüche. Artikel 6 Die Bestimmungen des „Bundesverfaßungsstatuts“ sind strict zu interpretiren. ___________ Nun müßte die Aufzählung der Glieder des neuen Bundes, und die Abgränzung des Gebiets folgen: also
18 Einzelstaatliche Rechte und Gesetze.
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Abschnitt II Artikel 7 Folgt die Namensliste der Mitglieder nach der Bundesordnung. Artikel 8 Die Bezeichnung der Bundesgrenze. ___________ Dann die Bestimmung des Wesens und Inhalts der Bundesgewalt, in Abschnitt III Artikel 9 Den19 Inbegriff der von den einzelnen Staaten zu gemeinsamer Verwaltung vereinigten Regierungsgewalten bildet die Bundesgewalt. Auch die Bestimmung des Artikel 2 über den Eintritt des „Bundes der vereinigten Staaten Deutschlands“ in die Rechtsnachfolge des d[eutschen] Bundes giebt der Bundesgewalt keine weitern Befugnisse, als die in folgenden Artikeln constituirten. Artikel 10 Der Bundesgewalt steht die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands und der einzelnen vereinigten Staaten zu. Die Bundesgewalt stellt die Gesandten und Consuln an; sie führt den diplomatischen Verkehr, schließt Bündnisse und Verträge mit dem Auslande; sie ertheilt fremden Consuln das Exequatur20. Die einzelnen Regierungen haben nicht das Recht ständige Gesandten zu empfangen, noch solche und Consuln zu halten. Der amtliche Verkehr zwischen den einzelnen deutschen Staaten und auswärtigen Staatsregierungen ist auf den Verkehr mit untergeordneten Grenzbehörden beschränkt. Den Souverainen der vereinigten Deutschen Staaten bleibt jedoch das Recht, in Familienangelegenheiten, unter Kenntniß der Bundesgewalt, für kurze Dauer und mit einem „Mandate ad hoc“, außerordentliche Missionen zu senden. Das Vertragsrecht der Deutschen Regierungen mit andern deutschen Regierungen bleibt unverändert, desgleichen bleibt den einzelnen Staaten die Befugniß Verträge über Gegenstände der Staatswirthschaft, des nachbarlichen Verkehrs und der Polizei mit dem Auslande abzuschließen. Jedoch müssen solche der Bundesgewalt zur Bestätigung vorgelegt werden und dürfen nichts dem Bunde zuwiderlaufendes enthalten. 19 Emendiert. Vorlage: Der. 20 Bestätigung im Amt.
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Artikel 11 Der Bundesgewalt steht das Recht des Kriegs und des Friedens zu. Artikel 12 Ueber Organisation der diplomatischen Vertretung und [des] Verkehrs, wie über die Uebergangsbestimmungen, wird eine besondere Convention abgeschloßen, welche einen Theil der Bundesgesetzgebung bilden wird, und auf dem verfaßungsmäßigen Wege entwikelt [sic] werden kann. Artikel 13 Der Bundesgewalt steht die Verfügung über die gesammte bewaffnete Macht der vereinigten Staaten zu, nach Maaßgabe der folgenden Bestimmungen. Das Bundesheer der vereinigten Staaten besteht aus den Contingenten derselben, wie solches die Bundeskriegsverfaßung festsetzte. Die Bundesgewalt hat die allgemeine Gesetzgebung und Organisation dieses Bundesheeres und des gesammten Heerwesens nach den Grundsätzen, welche darüber der Vertrag unter den vereinigten Staaten aufstellt. Sie überwacht die Durchführung ihrer Organisation durch fortwährende Controlle. Den einzelnen Staaten bleibt die Ausbildung ihres Contingentes auf Grund dieser allgemeinen Gesetze, und die Verwaltung ihres gesammten Kriegswesens, wie die Verfügung über dasselbe, wenn solches nicht für allgemeine Bundeszwecke aufgeboten wird. Das Recht der Bundesgewalt über die bewaffnete Macht der Einzelstaaten zu verfügen, tritt mit der Bedrohung der innern oder äußern Sicherheit der Gesammtheit oder einzelner Staaten ein. Alle durch Verwendung von Truppen zu Bundeszwecken entstehenden Kosten, welche den festgesetzten Bundes-Friedensmilitäretat übersteigen, fallen dem Bunde zur Last. Den Regierungen der einzelnen Staaten bleibt die Ernennung der Befehlshaber und Officiere ihrer Truppen. Wo zwei Contingente zu einem größeren Ganzen combinirt sind, ernennt die Bundesgewalt die Befehlshaber dieser Corps. Für den Krieg ernennt die Bundesgewalt die kommandirenden Generale, Divisionäre und den Generalstab der operirenden Corps. Der Bundesgewalt steht die Befugniß zu, Bundesfestungen und Küsten Vertheidigungswerke anzulegen und insoweit es die Sicherheit des Bundes erfordert, vorhandene Festungen gegen billige Ausgleichung zu Bundesfestungen zu erklären. Die Bundesfestungen und Vertheidigungswerke des Bundes werden durch Bundeskosten erhalten. Es steht der Bundesgewalt zu, eine Bundescentralmilitär-Bildungsanstalt zu gründen. Jede Regierung hat das Recht, nach Maaßgabe der Volkszahl ihrer
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Staaten die freiwerdenden Plätze zu vergeben. Diese Anstalt soll in – – (Erfurt?) ihren Sitz haben. Artikel 14 Die Seemacht ist ausschließliche Sache des Bundes. Es ist keinem Einzelstaate gestattet, Kriegsschiffe für sich zu halten. Die Bemannung der Kriegsflotte bildet einen Theil der Contingentsquote der Bundesstaaten und ist von derselben abzurechnen. Die Bundesgewalt hat die alleinige Ernennung der Officiere und Beamten der Seemacht. Ihr liegt die Sorge für Ausrüstung, Ausbildung und Unterhaltung der Kriegsflotte, die Anlegung, Ausrüstung und Unterhaltung von Kriegshäfen und See Arsenalen ob. Eine besondere Convention regelt die Eigenthumsübernahme des Materials der einzelnen Staaten und die nothwendigen Detailfragen der Ausführung dieser Bestimmung. Artikel 15 Der Bundesgewalt steht zu allen für ihre Bundeszwecke nöthigen Eigenthumserwerbungen das Expropriationsrecht gegen billige Entschädigung zu, mit einer einzigen Ausnahme, der Residenzen und Residenzparkanlagen der Souveraine, mit welchen in solchen Fällen ein freies Uebereinkommen abzuschließen ist. Artikel 16 Die Bundesgewalt hat die Oberaufsicht über Schifffahrtsanstalten am Meere und in den Mündungen der Flüsse (Häfen, Seetonnen[,] Leuchtschiffe, Lootsenwesen, Fahrwasser p. p.). Es steht ihr zu, die betreffenden Staaten zu gehöriger Unterhaltung anzuhalten, dieselbe überall und zu jeder Zeit aus Bundesmitteln zu vermehren, und zu sorgen, daß für die vorhandenen der Einzelstaaten keine höhere Abgabe erhoben wird, als zur Unterhaltung erforderlich ist. Die von fremden Schiffen erhobene Mehrabgabe unterliegt in jedem einzelnen Falle der Genehmigung der Bundesgewalt. Alle solche Abgaben sind jederzeit auf Verfügung der Bundesgewalt gegen volle Entschädigung des Einzelstaates, wo solcher zur Erhebung berechtigt war, ablösbar. Artikel 17 Die Bundesgewalt hat das Recht der Oberaufsicht und der Gesetzgebung über die in ihrem Laufe mehrere Staaten durchströmenden und begrenzenden Flüsse und Seen und über die Mündungen der in dieselben fallenden Nebenflüsse. Sie ist befugt die Einzelstaaten zu Unterhaltung dieser Wasserstraßen anzuhalten, auch überall selbst Bauten im Interesse der Schifffahrt anzuordnen.
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Artikel 18 Die Bundesgewalt hat das Recht alle Flußzölle gegen billige Entschädigung abzulösen. Sie allein kann solche neue Zölle auf fremde Schiffe auflegen. Artikel 19 Die Bundesgewalt kann, soweit es der Schutz des Bundes und das Interesse des allgemeinen Verkehrs erheischt, Gesetze über das Eisenbahn- und Postwesen, Straßen und Canäle erlassen. Allerorten auch eigene Eisenbahnen, Straßen, Canäle und Verkehrsverbindungen anlegen, wo solches im Interesse der Sicherheit des Bundes nothwendig ist. Der Bundesgewalt steht die Benutzung der vorhandenen Verkehrsmittel aller einzelnen Bundesstaaten für Bundeszwecke jederzeit gegen entsprechende Vergütung frei. Im Falle der Nichteinigung über letztere darf der Gebrauch derselben ihr nicht entzogen werden, sondern bleibt die Regelung der Differenz späteren Abkommen vorbehalten. Artikel 20 Die Verweigerung der von dem Bunde verlangten Dienstleistungen, wie des Gehorsames in allen Fällen, in welchen dies Bundesverfaßungsstatut ihm Gewalt verleiht, constituirt das Verbrechen des „Bundesverraths“. Dasselbe ist in die Strafgesetzbücher aller einzelnen Staaten aufzunehmen und mit einer Strafe, je nach Schwere des Falles von 1 Jahr Bundesfestungshaft bis zur Lebensstrafe zu belegen. Der Bundesgewalt steht es zu das Verfahren gegen die Schuldigen durch den Bundesstaatsanwalt bei dem Bundesgericht einleiten und durch Bundesmacht vollziehen zu lassen. Das Nähere bestimmt die Bundesstrafgerichtsordnung, welche als Bundesgesetz zu erlassen ist. Artikel 21 Der Bundesgewalt steht das Recht zu, eine Bundesmünze prägen zu lassen, und sie kann verlangen, daß die Matricularbeiträge der Bundesstaaten in dieser Münze gezahlt werden. Es soll ein Bundesgesetz über Einführung eines einheitlichen Maaß[-] und Gewichtsystem[s] erlassen werden, desgl. über den Feingehalt von Gold- und Silberwaaren. Der Bundesgewalt steht das Recht zu, eine Bundesbank mit Filialanstalten in allen deutschen Ländern zu errichten, und sollen dieselben zugleich zu Vermittlung der Zahlungen zwischen der Bundesregierung und den Einzelstaaten, sowie der Auszahlungen an die Bundesbeamten dienen. Die Noten der Bank stehen der Bundesmünze als Zahlungsmittel für die einzelnen Staaten und deren Matricularbeiträge gleich. Über das Bankwesen und die Ausgabe von Papiergeld wird ein Bundesgesetz erlassen.
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Artikel 22 Die Bundesgewalt hat die Verwaltung der Zollvereinsangelegenheiten so lange zu führen, bis die Contrahenten des Vertrags v. – – sich über die Einigung ihrer Staaten zu einem Zoll- und Handelsgebiet geeinigt haben, welche der Bundesgewalt die ausschließliche Gesetzgebung in Zoll[-] und Handelsangelegenheiten zuweisen soll. Artikel 23 Der Bundesgewalt soll ferner Gesetzgebung und Oberaufsicht in allen den Zweigen zustehen, welche durch Specialverträge der einzelnen Regierungen ihr unterworfen sind, alles nach Maaßgabe dieser Verträge. Artikel 24 Zur Bestreitung seiner Ausgaben ist der Bund ausschließlich an die Matricularbeiträge seiner Mitglieder gewiesen, mit Ausnahme der Einnahme, welche die Bundesbank ergiebt. Die Bundesgewalt ist jedoch befugt, zur Erreichung ihres Bundeszweckes Anlehen zu machen oder sonstige Schulden zu contrahiren. Artikel 2521 Der Bund hat die richterliche Gewalt nach Maaßgabe des Abschnittes über das Bundesgericht. Artikel 26 Der Bundesgewalt liegt die Wahrung des Bundesfrieden[s] ob. Sie hat die für Aufrechthaltung der innern Sicherheit und Ordnung erforderlichen Maaßregeln zu treffen: 1. wenn ein Deutscher Staat von einem andern Deutschen Staate in seinem Frieden gestört oder gefährdet wird; 2. wenn in einem Deutschen Staate die Sicherheit und Ordnung durch Einheimische oder Fremde gestört wird, auf Anrufen der Regierung dieses Staates; 3. wenn die Verfaßung eines Deutschen Staates einseitig aufgehoben wird, auf Anrufen eines Theiles, bis zur Entscheidung durch das Bundesgericht. Die Bundesgewalt ist in der Wahl der Mittel zu Erfüllung dieser ihrer Pflicht nur an ihre eigene Verantwortlichkeit gewiesen.
21 Emendiert. Vorlage: Artikel 24. – Ab hier werden alle Artikelnummern um 1 gegenüber der Vorlage erhöht.
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Artikel 27 Die Bundesgewalt hat das Recht in allen Ländern die Beamten anzustellen, deren sie zu Ausführung ihrer Befugniße und Verpflichtungen bedarf. Ein Bundesgesetz soll die Bundesdienstpragmatik feststellen. Artikel 28 Alle Bundesgesetze und Verordnungen erhalten verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Bundeswegen. Dieselbe soll der Regel nach in den Regierungsblätter[n] der einzelnen Staaten erfolgen. Im Falle der Unterlaßung der Verkündigung Seitens der einzelnen Regierungen tritt die Rechtsverbindlichkeit mit der Verkündigung im Bundesblatte nach 8 tägiger Frist von selbst ein. Die Unterlaßung der Verkündigung begründet gegen die verantwortlichen Minister des einzelnen Staates die Anklage auf „Bundesverrath“ nach den Bestimmungen des Bundesstrafgesetzes. Artikel 29 Alle Bundesgesetze, denen nicht subsidiäre Geltung beigelegt ist, gehen den Gesetzen des Einzelstaates vor. Im Falle es zweifelhaft ist, in wiefern ein Bundesgesetz die Competenz der Bundesgewalt überschreitet, wird dessen Wirksamkeit nicht aufgehoben. Es bleibt aber der Recurs an das Bundesgericht offen, und ist die Bundesregierung in Person ihrer Minister für Überschreitung und deren Folgen und Schaden verantwortlich. Es hätten nun die Bestimmungen über das Organ zu folgen, wodurch diese Bundesgewalt wirksam wird; nämlich: Abschnitt IV Artikel 30 Das Organ der Ausübung der Bundesgewalt ist die „Bundesversammlung“. Dieselbe besteht: 1. aus der Bundesleitenden Macht „Preußen“, in der Person des jedesmaligen Königs von Preußen; 2. aus den Vertretern der Regierungen und Stände der einzelnen Staaten, vereinigt in einem „Staatenrath“; 3. aus der Vertretung der Bevölkerungen aller vereinigten Staaten, gebildet auf Grundlage eines zu erlassenden Bundeswahlgesetzes, dem „Nationalrath“. Artikel 31 Von der Bundesleitenden Macht Der König von Preußen hat die Ausübung aller Rechte und Befugniße, welche der Bundesgewalt zugewiesen sind und für welche in den folgenden Artikeln
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nicht ausdrücklich die Mitwirkung des Staatenraths und des Nationalraths gefordert ist. Es steht der bundesleitenden Macht zu Vermittlung der regelmäßigen Geschäftsverbindung und zu jederzeitigen Information über die Verhältniße eines jeden Staates in dem Geschäftskreise, der ihr zur Oberleitung und Wahrnehmung zugewiesen ist, für jeden Staat ein Bevollmächtigter zur Seite. Diese Bevollmächtigten bilden kein Collegium, sondern haben nur die Bestimmung, die Communication zwischen Preußen und den einzelnen Staaten zu unterhalten. Die Einzelnen der vereinigten Staaten errichten eine eigene Behörde (Ministerium für Bundesangelegenheiten)[,] mit welcher die bundesleitende Macht durch diese Bevollmächtigten allein in Verkehr steht für Mittheilung ihrer sämmtlichen Verfügungen. Dem Bevollmächtigten können für die einzelnen Zweige, Militärangelegenheiten, Zollwesen p. p. besondere Beamte zugeordnet sein. Nur im Falle des erklärten Bundeskrieges steht der Bundesleitenden Macht das Recht direckter Communication mit allen Einzelstellen eines deutschen Staates zu, die in diesem Falle unter Verwirkung der im Bundesstrafgesetz festgesetzten Strafe zu unbedingtem Gehorsam verbunden sind. Artikel 32 Zu den Rechten der Bundesleitenden Macht gehört: 1. Die Führung des Bundesheeres mit dem Recht einen Stellvertreter Sr M. des Königs, als Bundesfeldherrn zu ernennen. 2. Das Recht, die Bundesminister zu ernennen, welche alle Bundesregierungshandlungen zu contrasigniren und für die Verfaßungsmäßigkeit ihrer Handlungen dem Staaten- und Nationalrath verantwortlich sind. 3. Die völkerrechtliche Vertretung des Bundes, die Anstellung der Gesandten und Consuln, die Führung des diplomatischen Verkehrs überhaupt. 4. Kriegserklärung und Friedensschluß, Abschluß von Verträgen und Bündnißen, wie Bestätigung der einzelnen von den einzelnen Staaten abgeschloßenen Verträge. 5. Berufung des Staatenraths und des Nationalraths zu den regelmäßigen und zu den außerordentlichen Sitzungen. Recht der Auflösung des Nationalraths. 6. Recht des Gesetzvorschlages in allen der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Gegenständen; Recht, die Gesetze zu verkündigen und Vollziehungsverordnungen zu erlassen. Recht der Oberaufsicht und Controlle in allen Gebieten, in denen der Bundesgewalt die Gesetzgebung zusteht. 7. Recht der Begnadigung und Strafmilderung in allen der Zuständigkeit des Bundesgerichts unterstehenden Fällen, mit einziger Ausnahme des Falles einer Anklage eines Bundesministers. 8. Recht, die Bundesbeamten anzustellen und zu entlassen.
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Artikel 33 Vom Staatenrath
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Der Staatenrath wird gebildet: 1. aus den Häuptern der souverainen Häuser mit dem Rechte der Stellvertretung. Außer den in der Geschäftsordnung näher zu bezeichnenden Ehrenrechten soll es der Hälfte der stimmberechtigten Souveraine, wenn deren 2/3 persönlich in der Sitzung anwesend sind, als persönliches Recht zustehen, durch eine Erklärung in das Protokoll des Staatenraths jeden Beschluß beider Häuser, [be]vor derselbe der Bundesleitenden Macht vorgelegt wird, zur Genehmigung bis zur nächsten Sitzungsperiode zu vertagen. Derselbe muß dann als neuer Vorschlag wieder eingebracht werden und geht dann den gewöhnlichen Weg neuer Gesetzesvorlagen und Anträge. 2. Aus 167 Mitglieder[n], welche sich in folgendem Verhältniß auf die einzelnen Staaten verteilen: Preußen 40, Bayern 24, Sachsen 12, Hanover 12, Württemberg 12, Baden 10, Kurhessen 7, Großherzogthum Hessen 7, Mecklenburg Schwerin 4, Nassau 4, Braunschweig 2, Oldenburg 3, Sachsen Weimar 2, Sachsen Coburg Gotha 2, Sachsen Meiningen 2, Altenburg 2, Mecklenburg Strelitz 2, Anhalt Dessau 1, Bernburg 1, Köthen 1, Schwarzburg Sondershausen 1, Schwarzburg Rudolstadt 1, Preußen für Hohenzollern Sigmaringen 1, Hechingen 1, Waldeck 1, Reuß ält. L. 1, jung. L. 1, Schaumburg Lippe 1, Lippe Detmold 1, Hessen Homburg 1, Lübeck 1, Frankfurt 2, Bremen 2, Hamburg 2. Diese Mitglieder werden zur Hälfte durch die Regierung der einzelnen Bundesstaaten, zur Hälfte durch die Volksvertretung ernannt. Wo zwei Kammern bestehen, wird die Hälfte von jeder Kammer gewählt. In denjenigen Staaten, welche nur ein Mitglied in den Staatenrath senden, schlägt die Regierung 3 Candidaten vor, aus denen die Volksvertretung mit absoluter Stimmenzahl wählt. Auf dieselbe Weise ist in denjenigen Staaten, welche eine ungrade Zahl von Mitgliedern senden, in Betreff des letzten derselben zu verfahren. Mitglied des Staatenraths kann nur sein, wer: [1.] Staatsbürger des Staats ist, welcher ihn sendet, 2. das dreißigste Lebensjahr zurückgelegt hat, 3. sich im vollen Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte befindet. Die Mitglieder des Staatenraths werden auf Lebenszeit von dem ernennenden Factor ernannt. In jeder Sitzungsperiode wird jedoch ein Drittheil sämmtlicher Mitglieder ausgelost, die dann bis zur nächsten Sitzung von demselben politischen Factor, welcher den Ausgeloosten ernannte, zu ersetzen sind. Die Ausscheidenden sind wieder wählbar. Auch steht es jedem Mitgliede frei, seine Stelle mit dem Ende einer Sitzungsperiode niederzulegen.
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Artikel 34 Vom Nationalrathe Der Nationalrath wird aus Abgeordneten des deutschen Volkes gewählt. Die Wahl geschieht auf 6 Jahre, nach den im Bundeswahlgesetze enthaltenen Bestimmungen. Die Mitglieder beziehen Tagegeld und Entschädigung für Reisekosten aus der Bundeskasse. Die Mitglieder beider Versammlungen können durch Instructionen nicht gebunden werden. Niemand kann gleichzeitig Mitglied von beiden Versammlungen sein. Artikel 35 Zu einem Beschluße eines jeden der beiden Räthe ist die Theilnahme der Hälfte der gesetzlichen Anzahl seiner Mitglieder und die einfache Stimmenmehrheit erforderlich. Im Falle der Stimmengleichheit wird ein Antrag als abgelehnt betrachtet. Jedem Rathe steht das Recht des Gesetzesvorschlags, der Beschwerde, der Adresse, der Erhebung von Thatsachen, sowie der Anklage der Minister zu. Zu letzterer ist jedoch eine Majorität von 2/3 der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder eines jeden Rathes erforderlich. Ein gültiger Bundesratsbeschluß erfordert die Übereinstimmung der beiden Räthe. Ein Bundesratsbeschluß, welcher die Zustimmung der Bundesregierung nicht erlangt hat, darf in derselben Sitzungsperiode nicht wiederholt werden. Stimmen die Bundesleitende Macht (sey es, daß eine Maaßregel von ihr vorgeschlagen war, oder daß sie den Vorschlägen der beiden Räthe ihre Zustimmung gab) und die Beschlüße der beiden Räthe überein, so entsteht ein „Beschluß der Bundesversammlung“. Artikel 36 Ein „Beschluß der Bundesversammlung“, d. h. die Mitwirkung der beiden Räthe zur Ausübung der Bundesgewalt, ist erforderlich: 1. wenn es sich um Erlaßung, Aufhebung und Abänderung oder Auslegung von Bundesgesetzen handelt; 2. wenn der jährliche Finanzbedarf des Bundes festgestellt wird, Anleihen oder Lasten zum Nachtheil des Bundes übernommen, und Matricularbeiträge erhoben werden sollen; 3. wenn fremde See[-] und Flußschifffahrt mit Lasten belegt werden soll; 4. wenn Landesfestungen zu Bundesfestungen erklärt werden sollen; 5. wenn völkerrechtliche Verträge geschloßen werden, die den Bund belasten;
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6. wenn die Bundesregierung von ihrem Expropriationsrechte für einen bestimmten Zweck Gebrauch machen muß, für die Billigung dieses Zwekkes; 7. für alle Anlagen und Maaßregeln, wodurch den einzelnen Staaten Kosten erwachsen; 8. wenn nicht zum Bunde gehörige Länder oder Landestheile dem deutschen Zollgebiet angeschlossen oder Gebietstheile aus der Zollinie ausgeschloßen werden sollen; 9. wenn Gebietstheile des Bundes abgetreten oder andere ihm einverleibt werden sollen. Artikel 37 Bei Feststellung des jährlichen Finanzetats des Bundes treten folgende Bestimmungen ein: 1. Alle Bewilligungen von Ausgaben erfolgen nur auf Antrag der Bundesleitenden Macht und bis zum Belauf desselben. Jede Bewilligung gilt nur für den besonderen Zweck, für welchen sie bestimmt worden. Die Verwendung darf nur innerhalb der Grenzen der Bewilligung erfolgen. 2. Die Bundesleitende Macht legt den Bundesräthen in der ersten Sitzung ein Budget über die regelmäßigen Ausgaben des Bundes vor, und über die Höhe der erforderlichen Matricularumlage zu seiner Deckung. Außerdem kann sie für außerordentliche Ausgaben ein außerordentliches Budget einbringen. 3. Die Budgetbewilligung ist für ein Jahr. Nach Ablauf desselben bedarf die Bundesleitende Macht neuer Bewilligung, und muß daher vorher diese Bewilligung der Bundesräthe einholen. 4. Das jedesmalige Budget wird jedesmal zuerst dem Nationalrathe vorgelegt und von diesem in seinen einzelnen Ansätzen nach den Erläuterungen und Belegen, welche die Bundesleitende Macht vorzulegen hat, geprüft und ganz oder theilweise bewilligt. Eine Verweigerung der Positionen des ersten regelmäßigen Budget’s, als vertragsmäßig unter den Regierungen vereinbart, soll nicht stattfinden. Nach erfolgter Prüfung und Bewilligung durch den Nationalrath wird das Budget an den Staatenrath zur Berathung und Beschlußnahme abgegeben. Wenn dieser Beschluß nicht mit dem des Nationalraths übereinstimmt, so geht das Budget zur weitern Berathung und Verhandlung an letztern zurück. Ein endgültiger Beschluß kann nur durch Uebereinstimmung beider Räthe zu Stande kommen. Die Nachweisung über Verwendung der Bundesgelder wird gleichfalls zuerst dem Nationalrath und dann dem Staatenrath zur Prüfung und zum Abschluß vorgelegt.
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Artikel 38 Der Bundesrath versammelt sich jedes Jahr am Sitze der Regierung der Bundesleitenden Macht. Die Zeit der Einberufung bleibt derselben überlassen. Außerdem kann der Bundesrath jederzeit zu außerordentlichen Sitzungen von derselben einberufen werden. Der Nationalrath kann von der Bundesleitenden Macht aufgelöst werden und ist in diesem Falle binnen 3 Monaten wieder zu versammeln. Die Auflösung des Nationalrathes hat die gleichzeitige Vertagung des Staatenrathes bis zur Wiederversammlung des Bundesrathes zur Folge. Die Sitzungsperioden beider Räthe sind dieselben. Das Ende derselben wird von der Bundesleitenden Macht bestimmt. Eine Vertagung der Bundesräthe nach Eröffnung der Sitzung auf länger, als 14 Tage22 bedarf der Zustimmung der betreffenden Räthe. Jeder der Räthe kann sich auf vierzehn Tage vertagen. Jeder der Räthe wählt seinen Praesidenten, Vicepraesidenten und seine Secretäre. Jeder der Räthe gibt sich selbst seine Geschäftsordnung p.p. __________ Nun hätten die Bestimmungen über Organisation der Bundesregierung selbst zu folgen. Abschnitt V Artikel 39 Seine Maj. der König von Preußen übt die ihm als Bundesleitende Macht zustehenden Gewalten durch verantwortliche Minister aus, welche mit dem Personale ihrer Ministerien aus der Bundeskasse besoldet und den Bundesräthen für die Verfaßungsmäßigkeit und vertragsmäßige Handhabung ihrer Functionen verantwortlich sind. Der König von Preußen übt diese Gewalten in „seinem Namen und dem der vereinigten Staaten von Deutschland“ aus. Die betreffenden Minister führen den Titel: „Königlich preußische Bundesminister der Marine“ – „auswärtigen Angelegenheiten der vereinigten Staaten von Deutschland“ p. p. Die Bundesleitende Macht ernennt demnach zunächst: 1. Einen ersten Bundesminister, dem außer der Gesamtvertretung der Politik des Ministeriums den beiden Räthen gegenüber, außer der Sorge für Einheit und Disziplin des Cabinetes die Erledigung der Beziehungen, die aus den Verträgen mit Oestreich, Dänemark und Niederlanden hervorgehen, die Abwiklung [sic] der aus der Rechtsnachfolge des Deutschen Bundes entspringenden Verwiklungen [sic], die polizeilichen Verpflich22 Emendiert. Vorlage: Tagen.
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tungen, die Vorlage des Bundesbudgets, und die Verwaltung der Bundesfinanzen obliegt. Es steht ihm darin der „Director der Bundesbank“ zur Seite, der gleichfalls Sitz im Cabinette haben müßte. ein[en] „königl. preußischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten der vereinigten Deutschen Bundesstaaten“, der mit Vertretung der Gesammtinteressen Deutschlands zugleich den ganzen Geschäftskreis des königl. preußischen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten zu vereinigen hätte, mit alleiniger Ausnahme der Branchen, die etwa nach Artikel 4523 dieses Statuts auszuscheiden wären. Derselbe würde mit den preußischen Behörden direct, mit den Behörden der übrigen Deutschen Staaten aber durch deren Bevollmächtigte bei der Bundesleitenden Macht in Verkehr zu treten haben. Ihm unterstehen alle Gesandten, Consuln p. einen königl. preußischen Bundeskriegsminister, der zugleich preußischer Kriegsminister sein könnte, weil das ganze Militärdepartement in Preußen der Controlle der preußischen Stände entzogen würde. einen Minister für die „Marineangelegenheiten“, der zugleich See- und Schifffahrtsangelegenheiten und die Admiralität unter sich hätte. einen Minister für Zollvereinsangelegenheiten, Münzwesen, Verkehrsfragen, Flußzollangelegenheiten, Post[-] und Eisenbahnfragen, soweit sie der Bundesgewalt unterliegen. einen Bundesstaatsanwalt und einen Bundesadvokat, der die Rechtsfragen[,] in welche die Bundesregierung verflochten werden kann, vor dem Bundesgerichte vertritt und gleichfalls Sitz im Cabinette haben kann. Den Praesidenten des Bundesgerichtes, der gleichfalls Mitglied des Cabinetes sein muß, und mit demselben austritt.
Artikel 40 Die Bundesminister können mit keiner doppelten Verantwortlichkeit belastet sein. In allen der Bundesgewalt unterworfenen Gebieten sind sie nur der Bundesversammlung, d. h. Sr Majestät dem Könige von Preußen und den beiden Bundesräthen nach Maaßgabe dieses Statuts verantwortlich. Die Bundesminister haben das Recht jederzeit den Verhandlungen beider Räthe anzuwohnen und von denselben gehört zu werden. Sie haben die Verpflichtung auf Verlangen in jedem der Räthe zu erscheinen, und Auskunft zu ertheilen oder den Grund anzugeben, weßhalb dieselbe nicht ertheilt werden könne. Die Bundesminister können nicht Mitglied des Staatenrathes sein. Vertretung durch Kommissarien, die nicht Mitglieder des Cabinettes sind, ist unzuläßig. 23 Emendiert. Vorlage: 44.
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Was das Bundesgericht angeht, so ist nur seine Organisation und Competenz hier festzusetzen, seine Prozeßordnung, das Bundesstrafgesetz p.p. ist Gegenstand der Bundesgesetzgebung. Abschnitt VI Artikel 41 Die dem Bunde zustehende richterliche Gewalt wird durch das Bundesgericht ausgeübt. Zur Zuständigkeit des Bundesgerichtes gehören: 1. Alle Gegenstände, wofür die Bundesgerichte competent sind. 2. Klagen eines Einzelstaates gegen die Bundesgewalt wegen Verletzung der Bundesverfaßung durch Erlaßung von Bundesgesetzen und Maaßregeln der Bundesregierung, sowie Klagen der Bundesgewalt gegen einen Einzelstaat wegen Verletzung der Bundesverfaßung. 3. Streitigkeiten zwischen dem Staatenrath und dem Nationalrath unter sich, und zwischen jedem von ihnen und der Bundesregierung, welche die Auslegung der Bundesverfaßung betreffen, wenn die streitenden Theile sich vereinigen, die Entscheidung des Bundesgerichts einzuholen. 4. Politische und privatrechtliche Streitigkeiten aller Art zwischen einzelnen Deutschen Staaten. 5. Streitigkeiten über Thronfolge, Regierungsfähigkeit und Regentschaft in den Einzelstaaten. 6. Streitigkeiten zwischen der Regierung eines Einzelstaates und dessen Volksvertretung über die Gültigkeit oder Auslegung der Landesverfaßung. 7. Klagen der Angehörigen eines Einzelstaates gegen die Regierung wegen Verletzung der Landesverfaßung, wenn die in der Landesverfaßung gegebnen Mittel der Abhülfe nicht zur Anwendung gebracht werden können. 8. Klagen der Angehörigen eines Einzelstaates gegen die Regierung wegen Aufhebung oder verfaßungswidriger Veränderung der Landesverfaßung. 9. Beschwerden wegen verweigerter oder gehemmter Rechtspflege, wenn die landesgesetzlichen Mittel der Abhülfe erschöpft sind. 10. Strafgerichtsbarkeit über Anklagen gegen die Bundesminister, insofern sie deren ministerielle Verantwortlichkeit treffen. 11. Strafgerichtsbarkeit über Anklagen gegen die Minister der Einzelstaaten, insofern sie deren ministerielle Verantwortlichkeit treffen – und die Gerichte der Einzelstaaten dazu nicht competent sind. 12. Strafgerichtsbarkeit in den Fällen des Bundesverraths.
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13. Klagen gegen den Bundesfiscus, die Bundesbank und die Bundesinstitute, wo ein gemeinrechtlicher Gerichtsstand nicht begründet sein sollte. 14. Klagen gegen Deutsche Staaten, wenn die Verpflichtung, dem Anspruche Genüge zu leisten, zwischen mehreren Staaten zweifelhaft oder bestritten ist, sowie wenn die gemeinschaftliche Verpflichtung gegen mehrere Staaten in einer Klage geltend gemacht wird. Die Frage, ob ein Fall zur Entscheidung des Bundesgerichts geeignet sei, entscheidet einzig und allein das Bundesgericht selbst. Artikel 42 Das Bundesgericht wird durch Delegation von Mitgliedern der Oberappellationsgerichte gebildet. Die Ernennung geschieht durch die Einzelregierungen. Sie geschieht auf Lebenszeit. Haben mehrere Deutsche Staaten zusammen ein gemeinschaftliches Oberappellationsgericht, so haben sie sich über die Person des Delegaten unter sich zu einigen. Preußen ernennt 6 Mitglieder, Bayern ernennt 4 Mitglieder, und einen der zwei Vicepraesidenten, Sachsen, Hanover, Württemberg, Baden je 2 Mitglieder, aus welchen sie zusammen den 2ten Vicepraesidenten bezeichnen. Preußen ernennt außer seinen Mitgliedern den Praesidenten, und das übrige Personal des Gerichts. Jeder der übrigen Oberappellationsgerichtssprengel ernennt 1 Mitglied. Alle Delegirten Mitglieder und das ganze Personal des Gerichtes werden mit ihren Besoldungen auf die Bundeskasse übernommen, und empfangen außerdem für die Zeit ihrer jährlichen Sitzungen Tagesgebühren und Entschädigung der Kosten. Sie bleiben für die Zeit, wo kein Material für das Bundesgericht vorliegt, Mitglieder der Oberappellationsgerichte, denen sie angehören. Der Praesident des Bundesgerichtes ruft die Beisitzer so oft ein, als es nöthig ist. Artikel 43 Ueber das Verfahren, die Vollziehung der Entscheidungen, wird ein Bundesgesetz erlassen. Desgleichen ein Bundesstrafgesetz und eine Strafgerichtsordnung. Ebenso bleibt die Einsetzung von See- und Admiralitätsgerichten und die Bestimmung der Gerichtsbarkeit der Gesandten und Consuln der Bundesgesetzgebung vorbehalten. __________
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Schließlich hätten eine Reihe von Bestimmungen zu folgen, welche ebensoviele Voraussetzungen eines gedeihlichen Functionirens der neuen Organisation sind. Abschnitt VII Artikel 44 Keine Bestimmung in der Verfaßung eines der Bundesstaaten darf mit den Bestimmungen des Bundesverfaßungsstatuts in Widerspruch stehen. Mit dem Tage der Einführung desselben erlischt für alle einzelnen Regierungen, alle Behörden, alle Kammern das Recht, in einem der Geschäftszweige, welche der Bundesgewalt zugewiesen sind, wirksam zu werden. Die Überschreitung dieser Bestimmung constituirt das Verbrechen des „Bundesverraths“. Artikel 45 Alle einzelnen Staaten sind verpflichtet, die solchergestalt werthlos gewordenen Behörden, die in Wegfall kommenden Verfaßungsbestimmungen und Institutionen auch tatsächlich aufzuheben. Desgleichen werden sie alle Einzelnen und alle Behörden, welche durch Zuweisung eines Geschäftszweiges an die Bundesgewalt derselben künftig unterstehen werden, der Verpflichtungen gegen sie selbst, soweit die Bundesverfaßung es erfordert, jederzeit entbinden, vornehmlich auch für die Zeit, als sie im Bundesdienst verwandt werden, ihre Officiere und Militärbeamten, das diplomatische Personal, die etwa zu übernehmenden Zollbeamten p.p. Die Bundesleitende Macht vor allem bringt die Modificationen ihrer Verwaltung zu Stande, welche die Collision mit ihren Bundesministern unmöglich macht. Sie scheidet aus dem Geschäftskreise ihrer Ministerien alle Competenzen aus, welche dem Bundesministerium zugewiesen sind, so daß überall, wo Verantwortlichkeit für Bundesangelegenheiten eintritt, die Verantwortlichkeit gegen die preußischen Kammern aufhört. Sie wird das Praesidium der restirenden Geschäftszweige des preußischen Ministeriums dem jedesmaligen 1. Bundesminister übertragen. Die Preußischen Ministerien nehmen den Namen „Generaldirection des Innern“ p. p. an, und die Chefs den Titel „Vorstand der Generaldirection“. Artikel 46 Die Regierungen der einzelnen Staaten sind verpflichtet, alle Positionen über die Gegenstände, welche der Bundesgewalt unterworfen und im Bundesbudget bewilligt werden, in einem besonderen Etat zusammengestellt, ihrem Staatsbudget zur Kenntnißnahme ihrer Stände beizulegen. Es ist dasselbe mit den genauen Belegen zu versehen, wie solches den beiden Bundesräthen vor-
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gelegt wird. Alle so nachgewiesenen Positionen und die darauf ruhende Quote der Matricularbeiträge eines einzelnen Staates sind der Controlle der Stände so weit entzogen, als dafür die Bewilligung der Bundesräthe vorliegt. Artikel 47 Die Bundesleitende Macht verpflichtet sich für Wahrnehmung der Geschäfte eines ihr mit dem Rechte der Stellenvergebung zugewiesenen Zweiges, innerhalb eines jeden Landes, nur Angehörige dieses Staates zu wählen, wo nicht eine Ausnahme durch besondere Rücksichten auf das Wohl des Dienstes gerechtfertigt ist. __________ Im Falle die „Verfaßung“ überhaupt nicht als definitive Organisation beschlossen würde, so wäre hier auch der Modus des Uebergangs in einen anderen, wäre es auch der frühere Zustand, anzugeben. Umgekehrt würde im Falle dies „Bundesverfaßungsstatut“ als definitive Organisation angenommen würde, eine Vorsorge für den Fall eines Regierungswechsels in Preußen zu treffen sein, etwa über die Zeit binnen der die Bundesräthe einberufen werden müßen. Für die meisten Zwecke genügt aber, was die preußische Verfaßung darüber vorgesorgt hat. Bundesbeschlüße welche zum formellen Abschluße der neuen Ordnung und rechtlichen Überleitung aus der „des deutschen Bundes“ gehören: 1. Ein Bundesbeschluß, welcher die rechtliche Stellung von Holstein und Luxemburg-Limburg, auf Grund des Abkommens mit Dänemark und Niederlande ausspricht. 2. Ein Bundesbeschluß, welcher den mit Oestreich abgeschloßenen Vertrag, wie den der einzelnen Staaten mit Preußen registrirt, die Einwilligung Oestreichs, Preußens und der einzelnen Bundesstaaten in die Einführung der in letzterm begründeten Verfaßung enthält, und die Uebergabe der von dem Bunde wahrgenommenen Rechte und Pflichten an die neue Bundesgewalt ausspricht. 3. Ein Bundesbeschluß, der diese Uebergabe den europäischen Mächten und Garanten der Wiener Verträge zu notificiren bestimmt. 4. Ein Bundesbeschluß, der einen Ausschuß zur Eigenthum’s Uebergabe und Abwiklung [sic] der Geschäfte einsetzt; endlich: 5. Ein Bundesbeschluß, der die Sitzungen des Bundestag[s] auf unbestimmte Zeit suspendirt. __________
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Damit wäre in wenigen Grundzügen der Weg ungefähr angedeutet, der gegangen werden müßte, wenn die Deutschen Staaten und vor allem deren Souveraine die Ansicht gewinnen könnten, daß die Aufrechthaltung einer als werthlos erfundenen Form ihren eigenen Interessen und denen ihrer Völker nicht entspricht, daß es aber zugleich unmöglich ist, einen Organismus einiger Leistungsfähigkeit herzustellen, ohne erhebliche Opfer für die Einzelberechtigten. Wie verfahren werden müßte, diese Ueberzeugung zu wecken und einen Entwurf, wie den vorliegenden[,] in die Realität überzuführen, ist Aufgabe der praktischen Politik, nicht dieser Blätter.
25. Arnim1 an Schleinitz
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GStA Berlin, III. HA, Nr. 147, fol 229–233. Behändigte Ausfertigung. Übermittelt „Durch Englischen Courier“. Praes.: 1. Oktober 1859. Vermerk: „Zu den Acten. Sch 8/10“. Druck: Die auswärtige Politik Preußens, Bd. 1, Nr. 527, S. 803 f.; Srbik (Hrsg.), Quellen zur deutschen Politik Österreichs, Bd. 1, S. 39–41.
Österreich erwartet mit Ungeduld Verhandlungen mit Preußen über Reformen der Bundesverfassung und will dazu Preußen die Initiative überlassen. Rechberg ist der Auffassung, daß Reformverhandlungen unnütz sind, so lange die Einigkeit der Großmächte nicht feststeht. Andererseits werden Reformen entbehrlich, wenn zwischen Österreich und Preußen Einverständnis besteht. Ohne dieses Einverständnis ist keine Form stark genug, um Deutschland zusammenzuhalten. Wünschenswert sind nach Rechbergs Ansicht einige praktische Verbesserungen im Hinblick auf die Kommandogewalt bei den Bundescorps und die Bestimmung eines Bundesfeldherrn bereits in Friedenszeiten. Rechberg schlägt vor, für jeweils fünf Jahre einen Oberbefehlshaber der Bundesarmee zu bestellen. Arnim hält es für eine Fiktion zu glauben, ein Bundesgeneral könne eine Autorität insbesondere im Hinblick auf die Kontingente der großen Staaten erlangen. Man darf die Machtverhältnisse nicht ignorieren, wenn man etwas Reales schaffen will, und deshalb kann der Oberbefehl nur von Österreich und Preußen ausgeübt werden, entweder in Form eines Alternats oder gemeinschaftlich. – Zu den Münchener Beratungen der Mittelstaaten bemerkt Rechberg, man solle sich hüten in Frankfurt Reformanträge einzubringen, ohne zuvor ein Einverständnis mit allen Regierungen erzielt zu haben. – Rechberg zeigt sich befriedigt über die Zurückweisung der Stettiner Adresse durch die preußische Regierung. – Rechberg kritisiert heftig den Herzog von Coburg und sieht in der gothaischen Agitation eine „revolutionaire, auf den Umsturz der Bundesverfassung gerichtete Bewegung“.
1 Harry Kurt Eduard Freiherr von Arnim-Suckow (1824–1881), 1859/60 preußischer Legationssekretär in Wien; Grypa, Der Diplomatische Dienst des Königreichs Preußen, S. 458.
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Wien, 29. September 1859 Euerer Excellenz hohen Erlaß vom 23sten d. Mts. die Coburgische Angelegenheit betreffend, habe ich dem Grafen Rechberg vorgelesen und ihm auf seinen Wunsch Abschrift davon gegeben.2 Nachdem ich die Vorlesung beendigt hatte, sagte Graf Rechberg: „3Wenn3 Ihre Regierung Reformen der Bundes-Verfassung für nöthig hält, so sind wir bereit mit Berlin in Verhandlungen darüber zu treten. Ja ich kann sagen daß wir den Beginn derselben mit Ungeduld erwarten und Preußen 4sehr gern die Initiative überlassen.“4 Auf meine Frage, ob er denn wirklich glaube daß dergleichen Verhandlungen jetzt ein Resultat haben könnten, erwiederte er etwa Folgendes: „Ich weiß sehr wohl daß alle Verhandlungen über Reformen unnütz sind, so lange die Basis der ganzen Bundes-Verfassung, das Princip auf welchem Deutschlands Existenz überhaupt beruht, d. h. die Einigkeit der beiden Großmächte nicht feststeht. Auf der andern Seite werden allerdings auch Reformen in dem Maße entbehrlich als das Verständniß zwischen Oesterreich und Preußen innig ist. Mit demselben ist jede Verfassung ausreichend, ohne dasselbe keine Form stark genug Deutschland zusammenzuhalten. Immerhin giebt es jedoch einige practische Verbesserungen der bestehenden Bestimmungen, über die es wünschenswerth wäre eine Einigung herbeizuführen. So wäre es gewiß gut wenn für die Commando-Verhältnisse der einzelnen Bundeskorps Anordnungen getroffen würden, wie sie für das 8te Corps bereits bestehen,5 so daß bei ausbrechendem Kriege nicht erst darüber verhandelt zu werden braucht, wer das Corps kommandiren soll. Noch wichtiger wäre eine Abänderung der Bestimmungen über den Bundesfeldherrn. Nach meiner Ansicht müßte der Bund stets, auch im Frieden, einen Bundesfeldherrn haben, der im 2
Schleinitz an Arnim, Berlin, 23. September 1859, in: Die auswärtige Politik Preußens, Abt. 1, Bd. 1, Nr. 525, S. 800–802. Mit dem Erlaß reagierte Schleinitz auf einen Erlaß Rechbergs an die österreichische Gesandtschaft in Dresden vom 4. September 1859 (Srbik [Hrsg.], Quellen zur deutschen Politik Österreichs, Bd. 1, Nr. 16, S. 24 f.), in dem dieser sich gegen die zustimmende Antwort des Herzogs von Sachsen-Coburg und Gotha auf die Adresse des Nationalvereins (s. dazu S. 146, Anm. 13) verwahrt und in dem Verhalten des Herzogs eine „Lossagung vom Bundesvertrage“ erblickt hatte. Schleinitz verteidigte den Herzog und versicherte, Preußen werde bei der zukünftigen Lösung der deutschen Frage nicht selbstsüchtig und einseitig vorgehen, sondern seine Pflichten Deutschland gegenüber beachten. 3–3 Unterstreichung. 4–4 Unterstreichung. 5 Marginalie: „Das steht ja den Betheiligten eben so frei wie bei dem 8. Corps.“ – Nach Srbik (Hrsg.), Quellen zur deutschen Politik Österreichs, Bd. 1, S. 41, handelt es sich um eine Bleistiftnotiz von Graf Schlieffen. Albrecht Hermann Alexander Graf Schlieffen (1802–1864) war von 1851 bis 1861 Vortragender Rat in der Ersten Abteilung des preußischen Außenministeriums; vgl. Grypa, Der Diplomatische Dienst des Königreichs Preußen, S. 405.
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Frieden für den kriegstüchtigen Zustand der Bundes-Armeen sorgt, und uns so die kostbare6 und nutzlose Ceremonie der Bundes-Inspectionen erspart. Auch würde dann im Moment des Krieges nicht erst nöthig sein mit irritirenden Verhandlungen über die Wahl des Bundesfeldherrn Zeit zu verlieren. Man könnte – denke ich – recht wohl dahin kommen, von 5 zu 5 Jahren einen Oberbefehlshaber der Bundesarmee zu bestellen, und würde damit einen großen Schritt in der Wehrverfassung des Bundes gethan haben.“ Ich erwiederte dem Grafen Rechberg, daß ich die Ansichten meiner Regierung über diesen Punkt nicht kenne. Wenn ich jedoch meine persönliche Ansicht über seine Aeußerungen aussprechen dürfe, so schiene mir daß man fortfahren würde sich mit Fiktionen zu unterhalten, wenn man glauben wollte, daß ein von der Bundesversammlung auf 5 oder 10 Jahre gewählter General, kraft dieser Bestallung irgend welchen Einfluß auf die Fortbildung und die Tüchtigkeit der Bundes-Armee oder irgend eine Autorität innerhalb der großen Armeen haben könne, welche ihre Contingente zum Bundesheer stellen. – 7Ein wirklicher Fortschritt7 im Sinne der größeren Concentration der Bundesmacht könne ich nur in einer Einrichtung erkennen welche die lebendigen Machtverhältnisse nicht ignorire. Nur Oesterreich und Preußen seien im Stande die Leitung der militairischen Kräfte des Bundes im Kriege oder im Frieden zu übernehmen. 8Wolle man also etwas Reales schaffen, so müsse man sich entschließen, dieses Factum durch bundesgesetzliche Bestimmungen zur Anerkennung zu bringen,8 und ganz einfach Oesterreich und Preußen mit dem Oberbefehl über die Bundesarmee im Krieg und Frieden beauftragen, sei es daß man für die beiden Mächte ein Alternat einrichte oder beiden gemeinschaftlich die Führung eines Heereskörpers übertrage der ohnehin 9nie auf einem Kriegstheater9 operiren würde. – Graf Rechberg sagte darüber könne man eben unterhandeln, und er wünsche nichts mehr, als eine Gelegenheit dazu von Berlin aus zu erhalten.10 Ich fragte hierauf den Grafen Rechberg was er von den Verhandlungen der Premierminister der rein deutschen Staaten in München höre. „Ich habe darüber gar keine Berichte des Fürsten Schönburg der nicht in’s Geheimniß gezogen zu sein scheint,“ erwiederte Graf Rechberg, [„]jedoch erwarte ich den Baron Beust, der sich angemeldet hat. Wenn man in München Reform-Anträge vereinbart hat, die in Frankfurt eingebacht werden sollen, so wird ein Resultat nicht erreicht werden. Frankfurt ist für dergleichen Dinge nicht der Boden, 6 7–7 8–8 9–9 10
Im Sinne von: kostspielig. So in der Vorlage. Grammatikalisch richtig müßte es heißen: „Einen wirklichen Fortschritt“. Unterstreichung. Unterstreichung. Marginalie: „Für uns wäre es jetzt rathsamer, die Gelegenheit vielmehr in Wien zu erhalten.“ Zur Urheberschaft siehe oben Anm. 5.
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und man sollte sich hüten in Frankfurt etwas zur Sprache zu bringen, worüber nicht vorher ein Einverständniß aller Regierungen erzielt worden ist.“ Ich konnte dem Grafen Rechberg mit Rücksicht auf diese Aeußerung, welche im Munde des ehemaligen Leiters der Bundes-Majorität mich einigermaßen überraschte, nur beipflichten und verhehlte ihm nicht, daß mir die Bestrebungen der versammelten Premier-Minister eben so wenig zweckförderlich erschienen wie die Eisenacher und Frankfurter Beschlüsse. – Diese Aeußerung führte dann auf den Erlaß des Grafen Schwerin an die Unterzeichner der Stettiner Adresse.11 Graf Rechberg äußerte, daß er mit den allgemeinen Rechtsprincipien, von welchen die Antwort des Grafen ausginge, nur im höchsten Maße befriedigt sein konnte. Freilich hatte er gewünscht daß die Verwerflichkeit und Unzulässigkeit der Eisenacher Bestrebungen mehr betont worden wäre. Ich unterließ nicht den Minister darauf aufmerksam zu machen, daß es wohl ebenso wenig in der Aufgabe meiner Regierung liegen könne, sich polemisirend auf die détails eines Parteiprogramms einzulassen, als man berechtigt sei von ihr zu erwarten, daß sie die von ihr schon oft behauptete Nothwendigkeit von Bundes-Reformen verläugnen und in Abrede stellen solle, weil dieselben auch von einer Partei verlangt würden, deren Programm mit allen Consequenzen ja eben durch die Berufung auf das Recht der deutschen Fürsten von der Hand gewiesen wurde. Das Gespräch lenkte sich dann auf die nächste Veranlassung dieser Unterredung, die Antwort des Herzogs von Coburg12 an die Gothaer Deputation13, und ich fragte den Grafen Rechberg, ob nicht vielleicht die ganze Sache durch seine Depesche an den Kaiserlichen Vertreter am Coburg’schen Hofe eine Wichtigkeit bekommen habe, die ihr in keiner Weise ursprünglich beiwohne. Der Kaiserliche Minister entwickelte nun seine Auffassung von der in Deutschland zu Tage getretenen Agitation dahin, daß dieselbe nichts sei, als eine revolutionaire, auf den Umsturz der Bundesverfassung gerichtete Bewegung, die ein deutscher Bundesfürst nicht unter seine Obhut nehmen könne, 11 Siehe oben Dok. 8. Zum Erlaß von Graf Schwerin siehe Dok. 18. 12 Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha (1818–1893), regierte seit 1844 und protegierte den Nationalverein; NDB, Bd. 4, S. 621 f. 13 Damit sind offenbar die Vertreter des Nationalvereins gemeint, die seit Ende August 1859 in Verhandlungen mit Ernst II. standen und in einer Adresse an den Herzog dessen Unterstützung und Protektion erbaten. Die zustimmende mündliche Antwort Ernsts II. erfolgte am 28. August 1859, wobei der Herzog unter anderem sagte: „Und so nehmen Sie denn meine Versicherung hin, daß ich nicht nur jetzt das Streben nach Bildung einer großen nationalen Partei mit Freuden begrüße, sondern auch stets mit Rath und That zur Hand sein werde, wo es sich darum handelt, unserem Vaterlande das Ansehen und die Macht zu verschaffen, auf welche die deutsche Nation vor Allem so gerechten Anspruch hat.“ Ernst II., Aus meinen Leben, Bd. 2, S. 521 f., Zitat S. 522. Vgl. Biefang, Politisches Bürgertum, S. 79; Brütting, Fürstlicher Liberalismus, S. 57.
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ohne sich außerhalb der Bundesversammlung zu stellen. Wenn der Herzog von Coburg seine Worte nicht in dem Sinne aufgefaßt wissen wollte, wie die Kaiserliche Regierung sie allerdings aufgefaßt habe, so könne er nichts besseres thun, als sich diejenige Interpretation aneignen, welche in dem über seine Aeußerungen vorgelesenen Erlasse von Euerer Excellenz gegeben sei. Eine Antwort von Coburg habe er noch nicht erhalten. Arnim
26. Albers1 an Elder22 StA Bremen, 2–M.3.b.3.b.3.b, Nr. 47. Konzept.
Die Bundesverfassung ist im Absterben begriffen; Kritik an der preußischen Haltung gegenüber dem Bund und an den „albernen“ mittelstaatlichen Reformversuchen.
Bremen, 5. Oktober 1859 Ihre beiden Schreiben vom 30. Septbr. und 3. Octbr. habe ich – verehrter Herr Syndicus – erhalten. Sie haben recht! Ueber eine regiminale Einheit Deutschlands wird und kann man sich reb. sic. stantibus nicht verständigen! Die Bundesverfassung ist aber auch ein im Absterben begriffenes diplomatisches Geschöpf. Wenn Preußen nicht formell gültigen Bundestagsbeschlüssen pariren, sich nicht majorisiren lassen will, so sind Bundesbeschlüsse ein juristischer Unsinn. Was will denn aber Preußen noch weiter im Bunde? Churhessen zur Einführung der Verf. von 1831 zwingen, selbst aber nicht gehorchen und sich nicht zwingen lassen wollen. Nicht pariren wollen, als Princip aufstellen: wir lassen uns nicht majorisiren und doch im Bunde bleiben, ist ein Widerspruch in sich, und nur durch die Halbheit und Unklugheit der Preuß. Politik erklärlich. Wenn aber eine Einheit nicht zu erreichen, und die Bundesverfassung als ein an allen Ecken und Enden zerfetztes Hemd aussieht, was Deutschland, wie die Bettler vor ihrer Hütte, in Frankfurt ausgehängt hat. Was dann?
1 Georg Wilhelm Albers (1800–1876), 1847–1869 Senator der Hansestadt Bremen, 1857–1863 bremischer Bundestagsgesandter; Wurthmann, Senatoren, S. 473; Bremische Biographie, S. 3 f. 2 Peter Ludwig Elder (1798–1881), Syndikus und Senator der Hansestadt Lübeck, 1854–1866 Bundestagsgesandter von Lübeck; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 260.
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Antrag auf Revision der Bundeskriegsverfassung
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Die albernen mittelstaatlichen Reorganisationsversuche sind lächerlich. Die deutschen Mittelstaaten sind in der Europäischen Politik Nullen, haben gar keine Bedeutung, und leiden sammt und sonders an widrigen Aufblähungen. Das Ding wird sich also eine Weile so hinschleppen, bis ein großes historisches Ereigniß es todtschlägt. Die Frankfurter, Eisenacher Erklärungen haben für den Moment wenig Werth, sie könnten höchstens vorbereitend wirken, wenn sie die Sachen nur greifbarer, practischer behandelten, und nicht wieder in den Fehler von 1848 – „das Steckenpferdreiten“ verfallen wären. Ist Ihnen beifolgender Bericht von Geffcken3 bereits von Lübeck mitgetheilt? Ihr ergebenster (gez.) Albers.
27. Antrag von Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Großherzogtum Hessen und Nassau auf Revision der Bundeskriegsverfassung ProtDBV 1859, § 280, S. 734–736.
Die öffentliche Meinung ist zu der gefährlichen Schlußfolgerung gelangt, daß die deutsche Bundesverfassung unausführbar und unzureichend sei. Die antragstellenden Regierungen sprechen ihre Überzeugung aus, daß es bei aufrichtigem Willen möglich ist, die Bundeszwecke zu erreichen und eine Verbesserung der Bundesverfassung herbeizuführen. Solange dieses aber noch nicht erfolgt ist, schlagen die Regierungen im Interesse der gemeinsamen Sicherheit eine Änderung der Bundeskriegsverfassung vor. Der Bundestag beschließt, den Antrag dem Militärausschuß zuzuleiten.
32. Sitzung
Frankfurt am Main, 20. Oktober 1859
§ 280. Antrag von Bayern, Königreich Sachsen, Hannover, Württemberg, Großherzogthum Hessen und Nassau in Betreff der Revision der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes. Bayern, Königreich Sachsen, Hannover, Württemberg, Großherzogthum Hessen und Braunschweig und Nassau für Nassau. Die öffentliche Meinung Deutschland ist, von dem Eindrucke der politischen Ereignisse der jüngsten 3 Friedrich Heinrich Geffcken (1830–1896), 1856–1866 hamburgischer Geschäftsträger und Ministerresident in Berlin; ADB, Bd. 55, S. 763–770; DBE, Bd. 3, S. 597.
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Zeit irregeleitet, vielfach zu der in ihren Consequenzen gefährlichen Schlußfolgerung gelangt, daß die deutsche Bundesverfassung den Grund der Unausführbarkeit in sich selbst trage, und daß dieselbe zu Erreichung ihrer Hauptzwecke, als der Wahrung der Sicherheit Deutschlands, und der Förderung seiner gemeinsamen Interessen unzureichend sey. Angesichts dieser beklagenswerthen Tatsache erachten es die antragstellenden Regierungen für ihre Pflicht, im Schooße hoher Versammlung zunächst ihre innigste Ueberzeugung offen dahin auszusprechen, daß es nur des aufrichtigen und ernsten Willens aller im Bunde vereinigten Staaten zu unverkürzter Ausführung der Bestimmungen des Bundesvertrages bedürfe, um die Zwecke des Bundes zu erreichen, und insbesondere auch Conflicten mit dem Auslande gegenüber derjenigen Machtentwicklung und einheitlichen Action fähig zu seyn, welche die Sicherheit des Bundes zu verbürgen geeignet ist. Dabei mißkennen dieselben indessen nicht, daß die Verfassung und die Einrichtungen des Bundes der Entwicklung und Fortbildung wohl fähig seyen, und sie werden deßhalb gern auf die sorgsamste Prüfung und Verhandlung von Vorschlägen eingehen, die unter unverrückter Festhaltung der Grundprincipien des Bundesvertrages durch Anbahnung lebendigen Vollzuges desselben und durch heilsame Verbesserung und Ausbildung der Bundesverfassung Deutschlands Gesammtwohl zu fördern geeignet wären, und durch welche die Wiederkehr der während der jüngsten Zeitereignisse so folgeschwer hervorgetretenen Einwendungen gegen Ausführung bundesverfassungsmäßiger Bestimmungen und gegen Beschlußfassungen des Bundes fern gehalten werden könnte. Auf der anderen Seite betrachten sie es aber, in so lange eine Aenderung der bestehenden Grundgesetze des Bundes in verfassungsmäßiger Weise nicht eingetreten ist, als eine unzweifelhafte Verpflichtung aller Bundesglieder, für Aufrechthaltung und Vollzug dieser Gesetze, wie der von der Bundesversammlung in ihrer Zuständigkeit gefaßten Beschlüsse einzustehen und hierzu mitzuwirken, nicht minder aber auch unberufenen, auf Umsturz der Bundesverfassung gerichteten Bestrebungen nach Maßgabe der bestehenden Gesetze mit allem Ernste entgegenzutreten. Von diesen Ansichten geleitet, und hiernach etwaigen Anträgen in vorerwähnter Richtung entgegensehend, glauben die antragstellenden Regierungen jedoch ihrerseits schon jetzt die Aufmerksamkeit der hohen Versammlung auf Eines lenken zu sollen. Es hat sich nämlich während des Verlaufes der jüngsten Zeit vor Allem die Ansicht verbreitet, daß die Bundes-Kriegsverfassung nicht ausreiche, um eine den Schutz des Bundes sichernde Verwendung der Wehrkraft desselben zu verbürgen, und es hat diese Ansicht bekanntlich selbst in officiellen Aeußerungen Ausdruck gefunden.
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Im Interesse der gemeinsamen Sicherheit, wie in Berücksichtigung der durch jene Ansicht in weiten Kreisen verbreiteten Besorgnisse, scheint es den antragstellenden Regierungen unerläßlich zu seyn, sofort in sorgsamste Erwägung zu ziehen, ob und welcher Aenderungen die Bundes-Kriegsverfassung allenfalls bedürftig sey, um ihren Zweck zu erfüllen, und es haben hiernach die Gesandten zu beantragen: Hohe Bundesversammlung wolle die Bundes-Militärcommission beauftragen, alsbald die Bundes-Kriegsverfassung einer sorgsamen Prüfung zu unterziehen und sich auf Grund derselben baldmöglichst gutachtlich zu äußern, ob und welche Aenderungen an derselben sie für nöthig erachte, um die entsprechendste Verwendung der Wehrkraft des Bundes zu dessen Schutz zu sichern. Hannover. Der Gesandte ist beauftragt, Vorstehendes mit der Erklärung zu begleiten, daß seine allerhöchste Regierung, indem sie mit den höchsten und hohen Regierungen von Bayern, Königreich Sachsen, Württemberg, Großherzogthum Hessen und Nassau sich zu dem gemeinschaftlichen Antrage vereinigte, nicht auch durchweg die Motivirung dieses Antrages sich angeeignet, vielmehr nur geglaubt hat, daß eine Revision der Bundes-Kriegsverfassung wesentliche Verbesserungen darin bringen, namentlich die innere Tüchtigkeit der einzelnen Contingente und dadurch die Wehrhaftigkeit von ganz Deutschland fördern könne. Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz. Die Großherzoglichen Regierungen erklären sich mit dem von Bayern, Königreich Sachsen, Hannover, Württemberg, Großherzogthum Hessen und Nassau gestellten Antrage auf Revision der Bundes-Kriegsverfassung vollkommen einverstanden und schließen sich demselben an, behalten sich jedoch eventuell vor, dieser Erklärung eine nähere Motivirung folgen zu lassen, indem sie eine vorherige Berathung mit einander über diejenigen Gesichtspunkte, welche in dieser wichtigen Bundesangelegenheit ihnen vorzugsweise beachtenswerth erscheinen dürften, für erforderlich halten. Präsidium schlägt vor, den obigen Antrag dem Ausschusse in Militärangelegenheiten zuzuweisen. Umfrage. Oesterreich. Der Gesandte tritt diesem Präsidialvorschlage um so mehr bei, als die Motivirung des Antrages mit den Ansichten der Kaiserlichen Regierung übereinstimmt. Preussen. Der Gesandte hat gegen die Ueberweisung an den Ausschuß nichts einzuwenden, aber folgende Erklärung abzugeben: Die Königliche Regierung kann in dem so eben gestellten Antrage, wonach die Bundes-Kriegsverfassung einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden soll, nur ein ihren eigenen Absichten entsprechendes Entgegenkommen erblicken. Denn auch sie ist längst von der Ueberzeugung durchdrungen, daß
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diese Verfassung den Anforderungen der realen Verhältnisse nicht entspricht und unpraktische Bestimmungen enthält, welche für den Fall eines Krieges die nothwendige Energie und Einheit der Action zu gefährden geeignet sind. In den ihrem Antrage vorausgeschickten Bemerkungen haben die hohen Regierungen auch die Bundesverhältnisse im Allgemeinen und deren Fortbildung zum Gegenstande der Erörterung gemacht. Ihrerseits hat die Königliche Regierung die hohe Wichtigkeit der hier berührten Fragen niemals verkannt, vielmehr denselben längst ihre vollste Aufmerksamkeit zugewendet. Sie wird hierin und bei der Beurtheilung der Aufgaben und der bestehenden Einrichtungen des Bundes, wie während der jüngsten Zeitereignisse so auch jetzt noch, von der Ueberzeugung geleitet, daß das sicherste Mittel, den Bundesbeschlüssen ihre Autorität und den bundesverfassungsmäßigen Bestimmungen ihre Wirksamkeit zu sichern, darin zu suchen ist, daß jene innerhalb des Gebietes ihrer richtig beschränkten Competenz und diese auf der Basis praktischer Ausführbarkeit sich bewegen. Geht der Bund bei weiterer Entwicklung seiner Institutionen, von deren Nothwendigkeit die Königliche Regierung durchdrungen ist, von dieser Basis aus, und läßt er dabei zugleich den wohlverstandenen Bedürfnissen der Nation und den realen Machtverhältnissen seiner Mitglieder ihre volle Berücksichtigung widerfahren, so wird man sich auch mit Recht der Erwartung hingeben dürfen, daß in Tagen der Gefahr er sich derjenigen Machtentwicklung und einheitlichen Action fähig zeigen werde, welche seine Sicherheit zu verbürgen geeignet ist. Bayern, Königreich Sachsen, Hannover und Württemberg treten dem Präsidialvorschlage bei. Baden. Die Großherzogliche Regierung ist vollkommen damit einverstanden, daß die Militärcommission veranlaßt werde, die bereits im Jahre 1853 in Angriff genommene und noch nicht in allen Theilen vollendete Revision der Bundes-Kriegsverfassung sofort wieder aufzunehmen und mit aller Thätigkeit zu Ende zu führen. Sämmtliche übrigen Gesandtschaften erklärten sich mit dem Vorschlage des Präsidiums einverstanden. Demgemäß erfolgte der Beschluß: den obigen Antrag der Regierungen von Bayern, Königreich Sachsen, Hannover, Württemberg, Großherzogthum Hessen und Nassau dem Ausschusse in Militärangelegenheiten zuzuweisen.
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28. König Maximilian II. an Schrenk HStA München, MA 492. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 30. Oktober 1859.
König Maximilian II. will sich nicht auf Ministerkonferenzen einlassen, wenn er nicht vorher genau weiß, was dabei verhandelt werden soll. Bayern muß stets Herr der Situation bleiben und darf sich nicht auf eine Bahn drängen lassen, die nicht in seinem Interesse liegt.
Vorder Riss, 28. Oktober 1859 Herr Staats Minister Freyherr von Schrenk! Indem Ich die in jüngster Zeit eingelaufenen Berichte aus Dresden und Frankfurt über die Bundesreformbewegung hiebei zurückgebe, bemerke Ich zu Ihrer Verständigung, daß Ich für die von dem Minister Freyherrn von Beust angeregte Wiederholung resp. Ausdehnung der Minister-Conferenzen nur unter der Voraussetzung bin, daß Ich vorher genau weiß, welche Fragen und in welchem Sinne sie dabei zur Erörterung kommen sollen und daß Ich entschlossen bin, Mich auf gar nichts einzulassen, wenn diese Punkte nicht vorher geregelt sind, damit Bayern stets Herr der Situation bleibt und durch den sehr rührigen Sächsischen Staatsmann nicht auf eine Bahn gedrängt werde, deren Verfolgung nicht in unserem Interesse liegt. Mit bekannten Gesinnungen Ihr wohlgewogener König Max
29. Artikel in der Ost-Deutschen Post 11 Ost-Deutsche Post Nr. 278 vom 28. Oktober 1859.
Die Mittelstaaten haben die Initiative zur Bundesreform ergriffen. Indem sie an der Auffassung festhalten, daß die Bundesverfassung hinreichend sei, um die inneren und äußeren Nationalzwecke zu verwirklichen, ignorieren sie die gerechten Wünsche der Nation. Die Mittelstaaten irren, wenn sie glauben, damit die Reformagitation beruhigen zu können. Die Bundesverfassung braucht wesentliche Ergänzungen, um aus der bisherigen Leblosigkeit zu einer organischen Tätigkeit erweckt zu werden. Die Reaktion des preußischen Bundestagsgesandten ist auffallend zurückhaltend und stellt die Grundprinzipien des Bundes indirekt in Frage. 1 Die Tageszeitung „Ost-Deutsche Post“ erschien von 1848 bis 1866 in Wien. Bis 1848 wurde das Blatt von Ignaz Kuranda (1811–1884) geleitet, der 1841 die liberale Wochenschrift „Der Grenzbote“ gegründet hatte, 1848 Abgeordneter der Paulskirche wurde und seit 1861 dem niederösterreichischen Landtag angehörte. Die Tendenz der „Ost-Deutschen Post“ war „gemäßigt-liberal mit großdeutscher Zielstellung, seit 1852 mit Beziehungen zum österreichischen Außenministerium“; Dokumente aus geheimen Archiven, Bd. 5, S. 464, Anm. 116; DBE, Bd. 6, S. 176.
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Wien, 28. Oktober 1859 Ein Lebenszeichen des Bundestages. Wien, 27. Oktober. Der Ruf deutscher Nation nach einer Reform der Bundesinstitutionen hat endlich im Bundestage selbst ein Echo gefunden2, und wenn dasselbe selbstverständlich auch nicht die Wünsche wiedergab, welche die Stimme des Volkes gerufen hat und ruft, so ist es doch immerhin interessant, die Bundesbehörde wenigstens zur Erwägung der Reformfrage angeregt zu sehen und ein Lebenszeichen des Bundestages konstatiren zu können. Den Regierungen der deutschen Mittelstaaten gebührt das Verdienst, die Initiative ergriffen zu haben. Sie haben sich indessen auf das geringste Minimum dessen beschränkt, was geschehen konnte, wenn nur überhaupt etwas geschehen sollte. Es waren über die Münchener Ministerkonferenz Gerüchte im Umlauf, welche theils große Hoffnungen, theils schlimme Befürchtungen erregten. Das Auftreten der Mittelstaaten hat weder den einen noch den andern entsprochen. Man hatte bestimmt formulirte, tiefgreifende Anträge erwartet, die Mittelstaaten3 haben sich aber darauf beschränkt, lediglich eine Erklärung abzugeben. Der daran geknüpfte Antrag in Betreff einer Revision der Bundeskriegsverfassung zeigt in seiner vagen problematischen Fassung, daß er in der That eben nur gestellt wurde, um doch irgend etwas Positives wenigstens anzuregen. Die Erklärung war die Hauptsache, und sie ist allerdings gewichtig genug und trifft zweischneidig scharf nach zwei Seiten hin. Die Mittelstaaten erklären, daß sie an dem Bunde, wie er ist, festhalten wollen. Das ist sehr bedeutsam und lobenswerth in der Beziehung, daß dadurch dem von verschiedenen Seiten andringenden Bestreben, den Bund als solchen aufzulösen, ein Veto entgegengestellt wird, welches, da es von den vereinigten Mittelstaaten ausgesprochen wird, das Gewicht der Erklärung einer höchst respektabeln Großmacht hat. Die Mittelstaaten protestiren durch diese Erklärung gegen jede neue Staatengruppirung, gegen jede wie auch immer geartete und benamsete Mediatisirung im Bunde. Sie gehen aber noch viel weiter, sie sprechen die Ueberzeugung aus, daß der Bund, wie er ist, gut und hinreichend sei, die innern und äußern Nationalzwecke zu realisiren, sofern nur die Be2 In der ersten Sitzung der Bundesversammlung nach den Ferien am 20. Oktober 1859 hatten der bayerische Bundestagsgesandte von der Pfordten sowie seine Kollegen aus Sachsen, Hannover, Württemberg, Großherzogtum Hessen und Nassau die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer Reform der Bundesverfassung hervorgehoben und den Antrag gestellt, die Bundesmilitärkommission mit einer Prüfung der Reform der Bundeskriegsverfassung zu beauftragen (Dok. 27). Dies war ein erster Schritt zur Umsetzung der Münchener Vereinbarungen vom 19. September 1859 (Dok. 22). 3 Emendiert. Vorlage: Mittelstanten.
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stimmungen der Bundesverfassung von allen Staaten mit aufrichtigem und ernstem Willen zur unverkürzten Ausführung gebracht würden. Die Mittelstaaten erklären die öffentliche Meinung Deutschlands für irre geleitet in der Ansicht, daß die Bundesverfassung den Grund der Unausführbarkeit einiger ihrer wesentlichsten Bestimmungen in sich selber trage, und sie ignoriren gänzlich diejenigen lauten, dringenden und gerechten Wünsche der Nation, für deren Befriedigung in der jetzigen Bundesakte gar keine Vorsorge getroffen ist. Es wird nur zugegeben, daß die bestehende Verfassung und die vorhandenen Einrichtungen des Bundes der Entwickelung und Verbesserung fähig seien, aber die Grundprinzipien müßten unverrückt festgehalten werden, von einer Ergänzung derselben, um dadurch dem Bunde etwa erst den wirklichen lebendigen Inhalt zu geben, dürfte keine Rede sein. Es darf nicht verschwiegen werden, daß die Regierungen der Mittelstaaten sich einer Täuschung hingeben, wenn sie hoffen, durch diese ihre Erklärung die öffentliche Meinung Deutschlands eines Irrthums überführt und die Reformagitation beruhigt zu haben. Zu der Ueberzeugung, daß die Bundesverfassung wesentliche Ergänzungen braucht, um aus der bisherigen Leblosigkeit zu einer organischen Thätigkeit erweckt zu werden, ist das deutsche Volk nicht erst durch die politischen Ereignisse der jüngsten Zeit gebracht worden; diese Ueberzeugung ist so alt wie der Bund selber, und sie wird nach Anerkennung und Geltung ringen, so lange der Bund so bleibt wie er ist, und sie wird die Geltung auf irrigen, verzweifelten Wegen suchen, wenn ihr der klar vor Augen liegende richtige und rechte verschlossen bleibt. Die Erklärung der Mittelstaaten rief sofort eine Antwort des preußischen Bundestagsgesandten hervor4, gleichsam als ob die Expektoration der Mittelstaaten weit weniger an den Bundestag im Allgemeinen, als vielmehr speziell und direct an die preußische Regierung adressirt gewesen wäre. Diese Konversation ist von hohem Interesse. Die Mittelstaaten stumpften, wie gesagt, ihre scharfe Erklärung schließlich zu einem sehr unbestimmten Antrag ab, der preußische Gesandte aber faßte diese stumpfe Spitze, um seinerseits daraus eine sehr spitze Erklärung zu schmieden. Der Vertreter Preußens vermeidet es in auffallender Weise, seine Zustimmung zu der bedeutsam mahnenden Erklärung der Mittelstaaten auszusprechen, daß der Bundesverfassung, „insolange eine Aenderung in verfassungsmäßiger Weise nicht eingetreten ist“, von allen Bundesstaaten gehorcht werden müsse; er vermeidet es nicht nur, der Ansicht beizutreten, daß die Bundesverfassung gut und ausreichend sei, sondern er tritt dieser Ansicht indirect in der schärfsten Weise entgegen, indem er die Autorität der Bundesbeschlüsse von der nie gelösten und unlösbaren leidigen Kompetenzfrage abhängig 4 Siehe Dok. 27, S. 150 f.
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macht, und indem er offen ausspricht, daß es in der jetzigen Bundesverfassung praktisch unausführbare Bestimmungen gibt. Gegen das Grundprinzip des deutschen Bundes, nämlich gegen das Prinzip einer Genossenschaft vollkommen gleichberechtigter Mitglieder, verstoßt [sic] die preußische Erklärung, indem sie die volle Berücksichtigung der „realen Machtverhältnisse“ verlangt. Wenn der Vertreter Preußens auch von den „wohlverstandenen Bedürfnissen der Nation“ spricht, so können wir dies nicht würdigen, weil wir nicht wissen, auf welcher Seite das Kriterium des Wohlverständnisses gedacht wird. Indem wir derart das Lebenszeichen des deutschen Bundestages aufrichtig sine ira et studio betrachten, kommen wir zu dem betrüblichen Schlusse, daß es für die Beruhigung und Befriedigung Deutschlands ein noch ganz unergiebiges und wenig erhebendes sei.
30. Pergler von Perglas1 an König Maximilian II. HStA München, MA 492. Immediatbericht. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 2. November 1859.
Berichtet über die Haltung des hannoverschen Ministers von Borries zur Bundesreformfrage. Borries beklagt die Initiative zu einer Revision der Bundesgesetzgebung. Mit der liberal-demokratischen Bewegung kann der Bund nicht wetteifern. Wenn die Bundesgesetzgebung modifiziert würde, so ginge das auf Kosten der Mittel- und Kleinstaaten und würde Preußen in die Hände arbeiten, das nach der Hegemonie strebt. Borries spricht sich gegen die Schaffung eines Bundesschiedsgerichts aus, das die Autorität der Regierungen schwächen würde.
Hannover, 30. Oktober 1859 Allerdurchlauchtigster Großmächtigster Koenig Allergnädigster König und Herr! Bey Gelegenheit eines Besuchs, welchen ich dem Staatsminister von Borries abstattete, entwickelte mir derselbe die Grundsätze, welche mir schon von anderer Seite bezeichnet waren, als die bisher an Allerhöchster Stelle Geltenden in Bezug der Haltung, welche Hannover gegenüber einer Reform oder Revision der Bundes-Gesetzgebung beobachten müße. Während eines längeren Aufenthaltes Herrn von Borries’ in Norderney, haben Sich S. M. der König mit den Ansichten des Ministers nahezu2 identifi1 Maximilian Freiherr Pergler von Perglas (1817–1893), 1854–1860 bayerischer Ministerresident in Hannover; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 37. 2 Emendiert. Vorlage: nahe zu.
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Pergler von Perglas an König Maximilian II.
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cirt, und Herr von Borries, in Vereinigung mit Herrn Minister Wermuth3, genießt einen fast ausschließlichen Einfluß in Herrenhausen4, der bereits einen Zwiespalt im Ministerium verursacht hat, wenigstens steht Graf Platen-Hallermund dem Minister des Innern so schroff gegenüber, daß beide kaum lange nebeneinander im Amte bleiben können, falls sich ihre Ansichten nicht ausgleichen. Herr von Borries beklagt lebhaft, daß von deutschen Regierungen die Initiative einer Bundes-Gesetzgebungs-Revision ergriffen worden sey. Wenn dieselbe auch vorerst nur auf eine Revision der Bundeskriegsverfaßung beschränkt werden wolle, so böte doch die ihr zu Grunde liegende allgemeine Motivirung, welche er durchaus nicht billigen könne, die ernstesten Bedenken. Nach seiner Ansicht ist mit der liberalen-demokratischen Bewegung in Deutschland (die wohl organisirt sey, und den richtigen Zeitpunkt ihrer Wirksamkeit erlauere) niemals zu wetteifern. Die Concessionen, welche die Regierungen etwa geneigt sein würden in der Richtung der Forderungen jener Bewegung und Parthey zu gewähren, können Cardinal-Punkte der BundesGesetzgebung nicht alteriren; alle anderen Concessionen oder Modifikationen würden nur Opfer der Mittel- und Kleinstaaten Deutschlands seyn, die Monarchieen schwächen, und schließlich werde allein Preußen in die Hände gearbeitet, das die Lockerung der Bundesgesetzgebung anstrebe um seine Hegemonie um so leichter durchzuführen; – deßhalb auch den jüngsten Antrag bezüglich der Revision der Kriegsverfaßung günstig begrüßt habe. Herr von Borries glaubt nimmermehr, daß durch Reform der Bundesgesetzgebung Deutschland eine Einrichtung geschaffen werden könne, welche die Rivalitaet der beyden deutschen Großmächte beseitigen würde, und ohne daß die einzelnen Monarchen wesentliche Souverainetaets-Rechte zum Opfer brächten. Man müße sich gegen die preußischen Tendenzen um so mehr versehen, als Oestreich durch seine traurige innere Lage wenig Schutz bey einer Crisis verleihen werde. – Offenbar fühlt der Minister, daß wenn eine solche entstünde, Hannover ganz besonders ausgesetzt sein würde. Deßhalb sprach sich der Minister auch sehr entschieden gegen die Schöpfung eines Bundesschiedsgerichtes aus, wodurch die Autoritaet der Regierungen geradezu in Frage gestellt würde, indem vom juristischen Standpunkte Conflikte zwischen Regierungen und Ständen entschieden werden sollen, während viel3 Karl Georg Ludwig Wermuth (1804–1867), seit 1853 Generalpolizeidirektor von Hannover und Mitglied im Staatsrat. Wermuth war ein persönlicher Vertrauter König Georgs V. und ein Jugendfreund von Borries. Er verfolgte als Polizeidirektor einen harten Repressionskurs; ADB, Bd. 47, S. 118; Dokumente aus geheimen Archiven, Bd. 5, S. 5, Anm. 5; Wrage, Der Staatsrat im Königreich Hannover, S. 238; Böttcher, Hannoversches Biographisches Lexikon, S. 384 f. 4 Emendiert. Vorlage: Herrenheusen. – Das königliche Schloß in Herrenhausen bei Hannover, seit 1862 ständige Residenz des Königs von Hannover.
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mehr staatspolitische Erwägungen den Vorzug haben sollten, entfernt nicht starr-juristische Entscheidungen. [Im weiteren Verlauf des Gespräches äußert sich Borries zum kurhessischen Verfassungsstreit, der bevorstehenden Kammerwahl in Hannover und der äußeren Politik.]
31. Antrag Badens auf Errichtung eines Bundesgerichts ProtDBV 1859, § 305, S. 793–795.
Die badische Regierung stellt den Antrag, die 1851 eingeleiteten Beratungen über die Errichtung eines Bundesgerichts wieder aufzunehmen und legt dazu eine Denkschrift vor. Das Bundesgericht soll einerseits in Rechtsstreitigkeiten entscheiden, andererseits die Bundesversammlung bei der Rechtsgesetzgebung beraten und dazu Entwürfe erarbeiten. Der Antrag wird an den zuständigen Ausschuß überwiesen.
34. Sitzung
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§ 305. Antrag von Baden in Betreff der Wiederaufnahme der Berathungen über die Errichtung eines Bundesgerichtes. (14. Sitz. § 67 u. 15. Sitz. § 76 v. J. 1851.)
Baden. Auf Errichtung eines ständigen Bundesgerichtes ist schon bei den ersten Verhandlungen über die Constituirung des Deutschen Bundes, so wie später auf den Dresdener Conferenzen gedrungen worden.1 Stets wurde ein solches Gericht als eine höchst wichtige und zur Entwicklung der Bundeseinrichtungen selbst nothwendige Institution anerkannt. Der Mangel derselben hat sich seither wiederholt fühlbar gemacht. Um diese Lücke in der Bundesgesetzgebung auszufüllen, hat hohe Bundesversammlung in ihrer Sitzung vom 8. Juli 1851 einen besonderen Ausschuß zu Bearbeitung der hinsichtlich eines obersten Bundesgerichtes eingereichten Vorschläge der vierten Dresdener Commission niedergesetzt.2 Wenn diese Angelegenheit seitdem nicht den erwünschten Fortgang gehabt hat, so ist der Grund wohl darin zu suchen, daß man die der Ausführung im Allgemeinen wie einer Vereinbarung über die Detailpunkte entgegenstehenden Schwierigkeiten nicht überwinden zu können glaubte. 1 Siehe dazu die entsprechenden Dokumente in QGDB, Bd. I/1 und III/1; Real, Von Bemühungen um die Errichtung eines Bundesgerichts; Wyduckel, Die Diskussion um die Einführung eines Bundesgerichtes. 2 ProtDBV 1851, S. 127–129.
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Antrag Badens auf Errichtung eines Bundesgerichts
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Indem die Großherzogliche Regierung den Antrag stellt, die Berathungen über diesen Gegenstand wieder aufzunehmen, hält sie sich daher für verpflichtet, zu thunlichster Beseitigung obwaltender Bedenken und zu Förderung einer allseitigen Verständigung hoher Bundesversammlung gleichzeitig ausführliche Vorschläge über die Art der Ausführung und insbesondere die hiebei vorzugsweise in Betracht kommenden Fragen der Competenz und Zusammensetzung des Bundesgerichtes vorzulegen. Dieselben sind in der angeschlossenen Denkschrift enthalten.3 Die Großherzogliche Regierung ist dabei überall von der Rücksicht auf Ermöglichung der zu dem Ende erforderlichen Vereinbarung unter sämmtlichen Bundesgliedern und von dem Wunsche eines praktischen Erfolges geleitet worden. Hiervon ausgehend hat sie den Einwendungen, welche von dem Standpunkte der Theorie gegen verschiedene ihrer Vorschläge, insbesondere in der Richtung der Competenz-Erweiterung und Zuweisung einer selbstständigen Gerichtsbarkeit an das Bundesgericht, nicht ohne Grund erhoben werden können, kein überwiegendes Gewicht beigelegt. Es handelt sich nicht darum, sofort einen in sich vollkommenen Bau aufzuführen, wohl aber das Fundament zu legen und das nothwendigste Ingebäude aufzurichten, damit sich allmälig und an der Hand der Erfahrung das weiter den Bedürfnissen Entsprechende daraus hervorbilde4 und mehr und mehr entwickle. Endlich soll der Gesandte noch besonders hervorheben, daß nach den Vorschlägen der Großherzoglichen Regierung die vom Bunde zu berufenden Rechtsgelehrten eine zweifache Thätigkeit zu entwickeln haben würden, – einmal nämlich als Gerichtshof durch Entscheidung der an sie erwachsenen Rechtsstreitigkeiten, sodann als ein der Bundesversammlung beigeordnetes berathendes Collegium durch Erstattung rechtlicher Gutachten und insbesondere durch Bearbeitung von Entwürfen über Gegenstände der Rechtsgesetzgebung. Dem mehr und mehr hervortretenden Bedürfnisse einer gemeinsamen deutschen Rechtsgesetzgebung ist auf dem Gebiete des Handelsrechtes bereits von hoher Bundesversammlung Rechnung getragen worden.5 Es wird sich aber wohl nicht verkennen lassen, daß die Berathung legislativer Gegenstände wesentlich erleichtert und sachlich gefördert werden würde, wenn in der Bundesstadt ein aus gemeinsamer Wahl hervorgegangenes Gremium von Rechtsgelehrten seinen Sitz hätte, deren Beruf gerade in der genaueren Ergründung 3 Denkschrift, die Errichtung eines Bundesgerichtes betreffend, ProtDBV 1859, Beilage zu § 305, S. 807–814. 4 Emendiert. Vorlage: hervorbilden. 5 Die Verhandlungen des Bundes über ein Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch waren 1855 eingeleitet worden, eine mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Gesetzentwurfs beauftragte Sachverständigenkommission beriet seit 1857 in Nürnberg. Vgl. Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation, S. 412–419.
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und Anwendung des gemeinen und internationalen deutschen Rechtes bestände, und welche daher für solche Berathungen – in geeigneten Fällen unter Beiordnung von Fachmännern – vorzugsweise als geeignet erscheinen. Der Gesandte ist nun beauftragt, Namens der Großherzoglichen Regierung den Antrag zu stellen: Hohe Bundesversammlung wolle den betreffenden Ausschuß veranlassen, die Berathungen über Errichtung eines Bundesgerichtes sofort wieder aufzunehmen, dabei die in der angeschlossenen Denkschrift enthaltenen Vorschläge der Prüfung zu unterwerfen und daraufhin über Errichtung, Zusammensetzung und Competenz eines ständigen Bundesgerichtes Vortrag zu erstatten. Präsidium schlägt vor, diesen Antrag der Großherzoglich-Badischen Regierung nebst dessen Anlage dem am 8. Juli 1851 für den in Rede stehenden Gegenstand niedergesetzten Ausschusse zuzuweisen. Umfrage. Oesterreich, Preussen und Bayern erklären sich hiermit einverstanden. Königreich Sachsen. Dem Königlichen Gesandten sind die Ansichten seiner hohen Regierung über den einschlagenden Gegenstand, welchem sie schon seit längerer Zeit ihre besondere Aufmerksamkeit zugewendet hat, hinreichend bekannt, um danach ermessen zu könnne, daß dieselbe mit der Ueberweisung des vernommenen Antrages und der darin in Bezug genommenen Denkschrift an den Ausschuß einverstanden seyn werde, zumal letztere ja großentheils eine Erneuerung der Vorlage enthält, welche der betreffenden Commission der Dresdener Conferenzen durch den Königlich-Sächsischen Bevollmächtigten unterbreitet und in der Hauptsache als Vorschlag dieser Commission in der 14. Sitzung der Bundesversammlung vom Jahre 1851 bereits dem Ausschusse zur Bearbeitung überwiesen wurde; ohne jedoch dadurch eine Uebereinstimmung, namentlich mit den abweichenden Vorschlägen der Denkschrift bezüglich der Normirung der Competenz des Bundesgerichtes, auszusprechen. Alle übrigen Gesandtschaften stimmen dem Präsidialvorschlage bei, daher Beschluß: den obigen Antrag der Großherzoglich-Badischen Regierung nebst dessen Anlage dem am 8. Juli 1851 für den in Rede stehenden Gegenstand niedergesetzten Ausschusse zuzuweisen.
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Schrenk an Beust
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32. Schrenk an Beust HStA Dresden, 10 717, Nr. 932, fol. 103 f. Einladungsschreiben zu Ministerialkonferenzen in Würzburg. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 14. November 1859. Gleichlautende Schreiben ergingen unter dem gleichen Datum an die Regierungen in Stuttgart, Kassel, Darmstadt, Schwerin und Wiesbaden. Am selben Tag richtete Schrenk ein Schreiben an die bayerischen Gesandten in Hannover, Kassel, Frankfurt und Karlsruhe mit dem Auftrag, sich bei den dortigen Regierungen bzw. Bundestagsgesandten für eine Beteiligung an der Konferenz einzusetzen.
Bayern schlägt eine Ministerkonferenz der Mittelstaaten in Würzburg vor, auf der über die gemeinsamen Angelegenheiten beraten werden soll.
München, 12. November 1859 Hochwohlgeborner Freiherr! Bei den Verhandlungen, welche in jüngster Zeit theils in mündlicher Besprechung, theils auf schriftlichem Wege über die Frage gepflogen worden sind, wie in den gemeinsamen Angelegenheiten Deutschlands lebendigerer Verkehr und einigeres Vorgehen erzielt werden könnten, stimmten zunächst die höchsten Regierungen von Bayern, Sachsen, Württemberg, Kurhessen, Großherzogthum Hessen, Mecklenburg-Schwerin und Nassau unter Anderem auch in der Überzeugung überein, daß ein zeitweiser Zusammentritt der Minister der betheiligten Staaten zu vertraulicher Besprechung gemeinsamer Angelegenheiten und zu gegenseitigem Ideen-Austausche über solche den Mitteln beizuzählen sei, durch welche der vorerwähnte Zweck wesentlich gefördert und erreicht werden könnte. Mehrseitig seither kundgegebenen Wünschen entsprechend, erlaube ich mir demgemäß die Veranstaltung eines derartigen Zusammentrittes nunmehr unzielsetzlich in Anregung und für solchen ganz unmaßgeblichst als Ort der Zusammenkunft die ziemlich centralgelegene durch Eisenbahnen nach allen Seiten hin in Verbindung stehende Stadt Würzburg, und als Zeitpunkt derselben den 23tn laufenden Mts. als Tag des Eintreffens in Würzburg in Vorschlag zu bringen. Indem ich mich beehre, Euer Excellenz ganz ergebenst hievon in Kenntniß zu setzen, verbinde ich damit die Bitte, mir baldmöglichst, – etwa thelegraphisch [sic] – geneigtest darüber Nachricht zukommen lassen zu wollen, ob die beabsichtigte demnächstige Conferenz überhaupt, und ob namentlich der, hiefür in Vorschlag gebrachte Ort und Zeitpunkt genehm seien, und ich behalte mir dabei bevor, das Resultat der allseitigen Aeußerungen sodann Euer Excellenz baldmöglichst nachträglich mitzutheilen. Für den Fall, daß sich der Vorschlag eines demnächstigen Zusammentrittes allerseitiger Billigung zu erfreuen haben sollte, erachte ich es für angemessen, Euer Excellenz schon im Voraus jene Gegenstände zu bezeichnen, welche nach Inhalt der mir bis jetzt zugekommenen Mittheilungen von der
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einen und der anderen Seite bei der Conferenz wollen zur Sprache gebracht werden. Es sind dieses: 1., die Veröffentlichung der Verhandlungen der Bundesversammlung, 2., die Benützung der Presse für die gemeinsamen Interessen, und die Gewinnung oder Gründung eines gemeinschaftlichen Organes für diesen Zweck, 3., die Errichtung eines Bundesgerichtes, 4., die Förderung der Verhandlungen über die bereits beantragte Vereinbarung gemeinsamer Bestimmungen über das Heimathsrecht, sowie bezüglich des Gerichtsstandes und der Vollziehung richterlicher Urtheile, und eines Handelsgesetzbuches, 5., Herbeiführung einer übereinstimmenden Gesetzgebung über Civil- und Criminal-Recht, wie über Civil[-] und Criminal-Prozeß, 6., Einführung gleichen Maßes und Gewichtes, 7., Erwägung der Frage, ob die Constituirung des s. g. National-Vereines in Coburg nicht Gegenstand der Dazwischenkunft des Bundes werden sollte? 8., die kurhessische Verfaßungsangelegenheit, insoferne bezüglich derselben bis dahin von der Bundesversammlung noch kein entscheidender Beschluß gefaßt sein sollte u. 9., die bedenkliche Constellation der europäischen Angelegenheiten und deren mögliche Rückwirkung auf Deutschland. An diese Mittheilung der bisher bereits namhaft gemachten und zur Besprechung ausgesetzten Gegenstände erlaube ich mir das ganz ergebenste Ansuchen zu reihen, im Falle jenseits noch weitere Angelegenheiten in Anregung gebracht und in Erörterung gezogen werden wollen, dieselben Behufs der weiteren Kundgabe mir gefälligst mittheilen, oder aber directe sämmtlichen betheiligten Regierungen hievon Nachricht geben zu wollen, damit die etwa erforderlichen Vorbereitungen für die Erörterung allseits noch rechtzeitig Platz greifen können. Schließlich glaube ich noch anfügen zu sollen, daß ich, in Anhoffnung allerseitiger Zustimmung, die höchsten Regierungen von Hannover und Baden welche bisher Bedenken getragen hatten, sowie jene von Oldenburg und Braunschweig, an welche in Folge zufälliger Umstände seither noch keine Mittheilung gelangt war, in vertraulicher Weise durch gesandtschaftliche Vermittlung von der Sachlage und der wahrscheinlichen bevorstehenden Zusammenkunft habe in Kenntniß setzen lassen, und dabei eventuell, für den Fall nämlich, daß dortselbst Geneigtheit hiezu bestehen sollte, deren Einladung zur Antheilnahme an den Besprechungen, in so ferne solche in der beantragten Weise allseits sollten beliebt werden, eingeleitet habe. Ich unterstelle es dabei Euer Excellenz einsichtsvollem Ermeßen, ob nicht etwa auch von jenseits bei der einen oder andern der übrigen Bundesregierun-
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gen, mit welchen vielleicht dortselbst vertrautere Beziehungen bestehen, in gleicher Weise Einleitungen getroffen werden wollen, um dieselben zur Antheilnahme an der Zusammenkunft zu bestimmen, da es nur erwünscht sein könnte, die höchsten u. hohen Regierungen der ausschließlich deutschen Bundesstaaten möglichst zahlreich in der Conferenz vertreten zu sehen. Indem ich diese Mittheilung der geneigten Aufnahme und Erwägung Euer Excellenz ganz ergebenst empfehle und einer gefälligen baldigen Rückäußerung erwartungsvoll entgegensehe, ergreife ich mit besonderem Vergnügen auch diesen Anlaß, um die Versicherung ausgezeichnetster Hochachtung zu erneuern, womit ich verharre Euer Excellenz ganz ergebenster Frh. v. Schrenk
33. Artikel in der Neuen Würzburger Zeitung11 Neue Würzburger Zeitung Nr. 326 vom 24. November 1859, Morgenausgabe.
Die deutschen Mittel- und Kleinstaaten halten den Bund zusammen und vertreten die Idee des einigen und einen Deutschland. Es ist natürlich, daß sich die Mittel- und Kleinstaaten um eine dauernde Einrichtung bemühen, um ihre gemeinsamen Ziele zu verwirklichen – das ist der Grundgedanke der Trias. Die Trias ist aber nicht das letzte Ziel der deutschen Reformbestrebungen, sondern nur eine provisorische Einrichtung bis zur Einigung über eine gründliche Abänderung der Bundesverfassung, zu der eine Volksvertretung und eine Zentralgewalt gehören.
Würzburg, 24. November 1859 Die deutschen Mittel- und Klein-Staaten Es ist in diesen Blättern schon öfter darauf hingewiesen worden, daß die Mittel- und Klein-Staaten als Bestandtheile des deutschen Bundes eine eigenthümliche, nicht gering anzuschlagende Aufgabe zu erfüllen haben. Sie sind es wesentlich, durch welche die auseinander strebenden Großstaaten Oesterreich und Preußen noch im Bund zusammengehalten werden; sie sind es, in welchen das Gefühl der Zusammengehörigkeit aller deutschen Stämme am stärksten und wirksamsten sich zeigt, während in den Großstaaten es von dem Sonderbewußtseyn des speziellen Vaterlands weit mehr zurückgedrängt ist; sie 1 Die „Neue Würzburger Zeitung“ war eine der bedeutendsten katholischen Tageszeitungen in Deutschland und erschien von 1803 bis 1916; Krones, Würzburger Zeitungsgeschichte.
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sind es, in welchen das Bedürfniß nach einer starken Zentralgewalt, die uns Schutz und Ansehen nach Außen sichern könnte, am lebhaftesten empfunden wird; sie sind es, in welchen die Idee des einigen und einen Deutschland durch alle Ungunst der Zeiten hindurch mit Zähigkeit festgehalten wurde und hoffentlich festgehalten wird, bis endlich die Stunde kommt, wo die Wünsche und Hoffnungen aller Freunde des Vaterlandes in Erfüllung gehen, wo die Form gefunden seyn wird, welche, die Selbständigkeit der einzelnen Staaten möglichst achtend, sie zu einem starken Ganzen fest geschlossen vereinigt. Man hat oft und viel über die Uebel der Klein- und Vielstaaterei in Deutschland geklagt – mit Recht allerdings; aber wie die Sachen jetzt einmal stehen, haben die Mittel- und Kleinstaaten doch auch etwas Gutes für das gesammte Deutschland, und darin wurzelt ein ihr historisches Recht unterstützender Anspruch auf Fortbestand. Die hohe Bedeutung, welche die Mittel- und KleinStaaten für das Gesammtvaterland haben, ist in früherer Zeit wenig beachtet worden, erst in den letzten Jahren wurde sie mehr und mehr erkannt, als zu wiederholten Malen diese Staaten, ihrem naturgemäßen Beruf folgend, durch einzelne, in die Augen springende Akte, wie z. B. die Darmstädter Konvention2 ec., ausgleichend, versöhnend, vermittelnd zwischen die beiden deutschen Großmächte traten. Nun ist es aber sehr natürlich, daß die, welche gemeinsame Ziele des Handelns haben, sich auch darüber unter einander verständigen, und weiter, wenn diese Ziele dauernder Art sind, daß sie sich nicht damit begnügen, immer, wenn gerade Noth an Mann geht, nur über das Zunächstliegende sich zu einigen, sondern daß sie darauf denken, auch eine dauernde Einrichtung zu finden, welche sie in Stand setzt, ihre Zwecke mit Sicherheit, Ausdauer, Nachhaltigkeit zu verfolgen, und als wohlgeordnetes Ganze alle ihre Kräfte nach einem Plan zweckgemäß zu leiten. Das ist der Grundgedanke der Trias, welcher vor mehreren Monaten in diesen Blättern entwickelt wurde, und der im westlichen Deutschland, in dessen Boden er eben wurzelt, vielfach Anklang gefunden hat. Von der österreichischen und der preußischen Presse ist er als unpraktisch kurzweg verworfen worden: das wundert uns gar nicht; denn in Oesterreich, in Preußen kann und wird man ihn weder so würdigen, noch so begreifen, wie bei uns, weil dort Verständniß und Bedürfniß desselben gleichermaßen fehlen. Daß aber der Gedanke der Trias einen realen Boden hat, dafür spricht die Thatsache, daß eben von Zeit zu Zeit 2 Gemeint ist die Darmstädter Übereinkunft der Mittelstaaten Bayern, Sachsen, Württemberg, Kurhessen, Großherzogtum Hessen und Nassau vom April 1852. Darin wurde ein einheitliches Vorgehen bei den anstehenden Verhandlungen mit Preußen zur Fortsetzung des Deutschen Zollvereins vereinbart. Darüber hinaus sollte eine gesamtdeutsche Zolleinigung mit Einschluß von Österreich angebahnt werden. Vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 147 f.; Hahn, Der Deutsche Zollverein, S. 146 f.; Roloff, Zollvereinskrise; Werner, Zollvereinspolitik, ebd. S. 148–152 Druck der Darmstädter Übereinkunft.
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die Mittelstaaten immer wieder durch die dringende Nothwendigkeit veranlaßt sind, zusammenzutreten und die bindende Kraft, die ihnen innewohnt, durch einen feierlichen Akt, durch einen Beschluß gemeinsamen Handelns zu bethätigen. Wenn nun diese Nothwendigkeit sich immer wieder kund gibt, in neuerer Zeit immer öfter und dringender wiederkehrt, warum sollten sie nicht darauf denken, eine bleibende Einrichtung zu schaffen, welche ihnen die Mittel gewährt, ihre Aufgabe besser, sicherer, als durch bloß vorübergehende Konferenzen zu erfüllen? Es fällt uns, wie wir schon früher dargelegt haben, durchaus nicht ein, damit die Auflösung des deutschen Bundes zu befürworten; wir glauben, daß der engere Bund der Mittel- und Klein-Staaten in dem weiteren mit Oesterreich und Preußen nicht wohl bestehen kann. Es fällt uns ebensowenig ein, die Trias als letztes und höchstes Ziel der deutschen Reform-Bestrebungen anzusehen; wir betrachten sie vielmehr als eine provisorische Einrichtung bis auf jene Zeit, wo Oesterreich und Preußen sich zu einer durchgreifenden, gründlichen und wirksamen Abänderung der Bundesverfassung herbeilassen werden. Diese ist aber nur denkbar, wenn sie sich entschließen, mit ihrem ganzen Länderverband in den Bund zu treten, eine Volksvertretung am Bundestag zuzulassen und der Zentralgewalt jene Befugnisse einzuräumen, welche ihr Ansehen und Kraft gewähren, um zum Schutz und zum Heil des Vaterlandes etwas Tüchtiges wirken zu können. Bis es aber dahin kommt, wird noch geraume Zeit vergehen, und daß während dieser Zwischenzeit die Mittel- und Kleinstaaten den selbständigen Einfluß auf die deutschen Angelegenheiten üben und bewahren können, der ihnen nach ihrer Gesammtgröße zukommt, den sie aber jetzt in Wahrheit nicht üben, dazu sollten sie sich, so denken wir, durch eine entsprechende Organisation, je eher, je lieber befähigen.
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34. Schrenk an König Maximilian II. HStA München, MA 492. Antrag. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 8. Dezember 1859. Auf der letzten Seite die Genehmigung des Königs vom 8. Dezember 1859.
Schrenk berichtet über den Verlauf der Beratungen der mittelstaatlichen Minister in Würzburg am 23. November 1859 und die vereinbarten Anträge für Bundesreformmaßnahmen.
Würzburg, 28. November 1859 An Seine Majestaet den Koenig Allerunterthänigster Antrag des Staats Ministers Freiherrn von Schrenk Betreff. Die zu Würzburg gepflogenen Verhandlungen. Zu der mit Euerer Koeniglichen Majestaet Allerhöchster Genehmigung veranstalteten Versammlung von Ministern deutscher Mittel- und Klein-Staaten haben sich am 23n laufenden Monats dahier eingefunden Herr v. Beust von Sachsen, Herr v. Hügel von Württemberg, Herr Abée1 Justizminister von Kurhessen, Herr v. Dalwigk von Großherzogth. Hessen, Herr v. Örtzen von Mecklenburg-Schwerin, Fürst Wittgenstein2 von Nassau, Herr v. Harbou3 von Sachsen-Meiningen, und Herr v. Larisch4 von Sachsen-Altenburg. Vom 24n dieß an, bis zum gestrigen fanden unter den ehrerbietigst genannten Ministern und dem treugehorsamst Unterzeichneten täglich andauernde und eingehende Besprechungen über sämmtliche im voraus bereits angemeldeten und von Euerer Koeniglichen Majestaet Allerhöchst gutgeheißenen Verhandlungs-Gegenstände statt, und es hat sich bei denselben in der Wesenheit eine höchst erfreuliche Uebereinstimmung der Ansichten, wie die größte Be1 Conrad Abée (1806–1873), 1858–1861 kurhessischer Bundestagsgesandter, die Ernennung zum Justizminister erfolgte 1860, im Jahr 1863 wurde Abée kurhessischer Außenminister; DBE, Bd. 1, S. 2; NDB, Bd. 1, S. 6. 2 August Ludwig Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (1788–1874), 1852–1866 nassauischer Ministerpräsident; Renkhoff, Nassauische Biographie, S. 680. 3 Andreas Paul Adolph von Harbou (1809–1877), 1854–1861 Staatsminister von Sachsen-Meiningen; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 369. 4 Karl August Alfred von Larisch (1809–1897), 1853–1864 Staatsminister von Sachsen-Altenburg; ABD, Bd. 51, S. 593–595.
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reitwilligkeit zu gemeinsamen [sic] Zusammenwirken für das wohlverstandene gemeinschaftliche Interesse kund gegeben. Der treugehorsamst Unterzeichnete behält sich vor, Euerer Koeniglichen Majestaet über das Gesammt-Resultat der gepflogenen Erörterungen in München noch ausführlichen unterthänigsten Vortrag zu erstatten, er erlaubt sich aber, im voraus schon jetzt die zunächst erzielten positiven Ergebniße allerehrfurchtsvoll anzuzeigen. Nachdem über die Haltung, welche in den zur Zeit eben am Bunde anhängigen Kurhessischen und Holstein’schen Angelegenheiten einzunehmen seyn möchte, nach langer und ausführlicher Besprechung und Erwägung Vorschläge einstimmig angenommen worden waren, über welche der treugehorsamst Unterzeichnete besonders allerunterthänigste Berichte erstatten und Allerhöchste Entschließung in tiefster Ehrfurcht erbitten wird, einigten sich sämmtliche Anwesenden dahin, die Anregung von 8 der zur Berathung gebrachten Gegenstände bei der Bundesversammlung unzielsetzlich zu begutachten. In Bezug auf 3 dieser Gegenstände, – als 1. der Einführung gleichen Maßes und Gewichtes, 2. des Erlaßes eines gemeinschaftlichen Patent-Gesetzes für Erfindungen, so wie 3. gleichmäßiger Normen über Errichtung von Privatbanken und Ausgabe von Banknoten, – wurde die nähere Formulirung der etwa zu stellenden Anträge noch vorbehalten, indem es hiezu einer eingehenderen Prüfung der Sache und des bereits vorliegenden Materiales bedarf. Die übrigen 5 Gegenstände schienen dagegen so gut vorbereitet zu seyn, daß bezüglich derselben sofort Anträge formulirt werden konnten, und es beeilt sich der treugehorsamst Unterzeichnete die Entwürfe dieser 5 Anträge hieneben ehrerbietigst vorzulegen5 und dieselben mit nachstehenden unzielsetzlichen Bemerkungen zu begleiten. 1. Die Veröffentlichung der Verhandlungen der Bundesversammlung ist von Preußen schon im Jahre 1852 und dann wieder 1858 beantragt worden6, und es hat ein besonders hiefür bestellter Ausschuß über diesen Antrag noch Bericht zu erstatten. Bereits haben Preussen und Baden in gedachtem Ausschuße die Sache wieder in Anregung gebracht, und es darf als gewiß angenommen werden, daß die Majorität im Ausschuße, wie in der Bundes-Versammlung sich im Prinzipe für die Veröffentlichung aussprechen, dabei jedoch der Ver5 Die Anträge liegen nicht in der Akte. 6 ProtDBV 1852, Bundestagssitzung vom 21. Februar 1852, § 39, S. 247–249; ProtDBV 1858, Bundestagssitzung vom 6. Mai 1858, § 216, S. 471. Vgl. dazu Meisner, Protokolle, S. 7–11; QGDB, Bd. III/2, S. 108, Anm. 4.
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sammlung die Befugniß vorbehalten wird, einzelne Berathungs-Gegenstände von der Publication auszunehmen. Wenn auch gegen die Kundgabe der Bundestags-Verhandlungen manche Bedenken bestehen, so sprechen doch andererseits auch gewichtige Gründe für dieselbe, und zwar insbesondere die Erwägung, daß dermalen doch alles, was am Bunde verhandelt wird in die Öffentlichkeit tritt, die Publicationen aber in der Regel von einem Partei-Standpunkte aus erfolgen, und daher oftmals die öffentliche Meinung irreleiten. Wir haben deßhalb, und da das Bekanntwerden der Verhandlungen am Bunde gewiß dazu beitragen wird, irrthümliche Ansichten über dessen Thätigkeit zu berichtigen, den Antrag Preussens zur baldigen Beschlußfassung bevorworten, dabei aber gleichzeitig begutachten zu sollen geglaubt, daß die Bundesversammlung für eine schleunige Feststellung ihrer Protokolle besorgt seyn möge, da hiedurch deren rasche Veröffentlichung bedingt ist, diese allein aber dem Zwecke zu entsprechen vermag. Die Beilage Zif. I enthält den Entwurf eines desfallsigen Antrages. 2. Aus Anlaß der schon vor mehreren Jahren auf Euerer Koeniglichen Majestaet Allerhöchsten Befehl gestellten Anträge in Bezug auf Vereinbarung gleichmäßiger Bestimmungen über Ansässigmachung und Heimat7, wurden alle Bundesregierungen ersucht, die in ihren Ländern desfalls bestehenden Bestimmungen vorzulegen und es wurden besondere Ausschüße beauftragt, eine Zusammenstellung des eingegangenen Materials, mit gutachtlichen Anträgen für zu erlassende gemeinsame Bestimmungen, auszuarbeiten. Da seither in der Sache weiter nichts mehr geschehen ist, so glaubten wir, eine erneuerte Anregung derselben, und zwar in der Art begutachten zu sollen, daß wenn auch etwa die eine, oder die andere Regierung mit der Vorlage der in dem betreffenden Lande geltenden Vorschriften noch im Rückstande seyn sollte, dennoch die Ausschüße die ihnen abverlangten gutachtlichen Aüsserungen [sic] nunmehr abgeben sollten. Der Entwurf eines desfallsigen Antrages ist in der Beilage Zif. II enthalten. 3. Auf Herbeiführung einer gemeinsamen Gesetzgebung über das Civil- und Criminal-Recht, wie über den Civil- und Criminal-Prozeß wird von vielen Seiten 7 Am 21. Februar 1856 hatte die bayerische Regierung in der Bundesversammlung den Antrag auf Einleitung von Beratungen über eine Vereinheitlichung der gesetzlichen Bestimmungen über das Heimatrecht und die Ansässigmachung sowie über gemeinsame Regelungen zur Organisation der Auswanderung gestellt. Vgl. Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation, S. 541.
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ein großes Gewicht gelegt, und es wurde von mehreren der anwesenden Minister versichert, daß es in ihren Ländern den besten Eindruck machen würde, wenn hiezu eine Anregung gegeben werden wollte. Insbesondere warm sprachen die Herrn von Hügel und von Dalwigk für sofortige Stellung eines desfallsigen Antrages, und sie fanden fast allseitige Unterstützung. Euerer Koeniglichen Majestaet Allerhöchstem Befehle vom 10. laufenden Monats gehorsamst entsprechend8, machte ich auf die Bedenken und Schwierigkeiten aufmerksam, welche der Durchführung eines derartigen Antrages entgegenständen, und lehnte es ab, mich der Begutachtung eines solchen anzuschließen. Im Laufe der weiteren Erörterung wurde wohl anerkannt, daß das Bedürfniß einer gemeinsamen Gesetzgebung nicht alle Theile der Rechtssphäre gleichmäßig umfaße, und daß die Erreichung des erwünschten Zieles in weiter Ferne liege, aber die Mehrheit der Anwesenden vermochte dem dringenden Wunsche nicht zu entsagen, daß die Sache doch irgendwie möge zur Sprache gebracht, und mindestens im Allgemeinen möchte angeregt werden. Wir verständigten uns zuletzt dahin, daß zunächst nur angedeutet werden möge, wie dem Bundesgerichte, 9wenn ein solches in Folge des bereits vorliegenden desfallsigen Antrages sollte errichtet werden, auch die Aufgabe zugewiesen werden könnte, die nöthigen Vorarbeiten zu Herbeiführung einer gemeinschaftlichen Gesetzgebung zu übernehmen9, und daß hieran der Antrag geknüpft werde, den betreffenden Ausschuß anzuweisen, bei seinem Gutachten über Errichtung 10eines Bundesgerichtes auch den erwähnten Gesichtspunkt zu berücksichtigen, und sich überhaupt über die Frage gutachtlich zu äussern, 11ob und in wie weit11 die Herbeiführung einer gemeinsamen Civilund Criminal-Gesetzgebung wünschenswerth und ausführbar erscheine.10 12Auf diese engen Grenzen zurückgeführt scheint dem treugehorsamst Unterzeichneten der Antrag unverfänglich zu seyn;12 bei der durch denselben anzubahnenden näheren Erwägung wird sich 13unzweifelhaft die Einsicht Bahn brechen13, daß eine Gemeinsamkeit nur in einzelnen Zweigen der Gesetzgebung als wirkliches Bedürfniß des internationalen Verkehres zu erkennen sey, 8
9–9 10–10 11–11 12–12 13–13
Maximilian II. an Schrenk, Bad Kreuth, 10. November 1859, HStA München, MA 492. In diesem Schreiben hatte König Maximilian ein gemeinschaftliches Kriminalgesetzbuch abgelehnt, weil eine solche Gesetzgebung „der Autonomie der einzelnen Staaten [. . .] zuwiderlaufen“ würde. Passage unterstrichen. Anstreichung am Rand. Passage unterstrichen. Anstreichung am Rand. Die Passage „der Antrag unverfänglich zu seyn“ ist unterstrichen. Zusätzlich ein großes Fragezeichen am Rand. Passage unterstrichen, zusätzlich Fragezeichen am Rand.
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und die 14wahrscheinlich14 unbesiegbaren Schwierigkeiten einer Vereinbarung am Bunde 15über derartige Materien werden gewiß dahin führen, daß das Streben nach desfallsiger Gemeinsamkeit auf kleinere Kreise und auf StaatenGruppen beschränkt wird, in welchen größere Gleichartigkeit der Lebens-Verhältniße und lebhafterer wechselseitiger Verkehr besteht.15 In Anbetracht dessen, und da es offenbar nur erwünscht seyn kann, wenn die öffentliche Meinung durch eine sorgsame Prüfung dieser Frage darüber aufgeklärt wird, daß ein gemeinsames Civil- und Criminalrecht für ganz Deutschland in der Allgemeinheit nicht als Bedürfniß erkannt werden könne, und auch kaum erreichbar sey, glaubt der treugehorsamst Unterzeichnete die Allerhöchste Genehmigung des 16Antrages in der aus der Beilage III ersichtlichen Fassung unzielsetzlich begutachten zu sollen.16 4. Als in der Bundestags-Sitzung vom 20. Oktober l. J. der Antrag in Betreff der Bundeskriegs-Verfassung gestellt wurde17, beschränkten sich die antragstellenden Regierungen darauf, die Prüfung der Kriegs-Verfassung durch die Militär-Commission zu begutachten, ohne selbst irgendwelche Vorschläge hiermit zu verbinden. Es wurde nun in der Conferenz beantragt, nachträglich noch einige Gesichtspunkte für die Revision der Kriegsverfassung aufzustellen, und dabei insbesondere zu betonen, daß man die Erhöhung der Wehrkraft des Bundes nicht durch numerische Verstärkung des Heeres, sondern nur durch Besserung der organischen Einrichtungen, namentlich in den gemischten Armeecorps anzustreben gedenke, für welche letztern insbesondere ständige Commandos, Gleichmäßigkeit der Bewaffnung und Reglements, gemeinschaftliche größere Uebungen u. d. gl. empfohlen wurden. Auch die Oberfeldherrn-Frage kam zur Sprache und es wollte die ständige Aufstellung eines Bundesfeldherrn beantragt werden, auf die dem treugehorsamst Unterzeichneten dagegen erhobenen, von Herrn von Beust unterstützten Einwendungen aber beschränkte man sich darauf, die Feststellung eines im entscheidenden Augenblicke rasch ausführbaren Modus der Wahl eines Bundes-Oberfeldherrn als wünschenswerth herauszuheben. Die demgemäß begutachtete Erklärung, deren Fassung Euere Koenigliche Majestaet aus der Anlage Zif. 4 allergnädigst zu entnehmen geruhten, scheint hienach den Allerhöchsten Intentionen vollständig zu entsprechen, welche 14–14 Wort unterstrichen, zusätzlich Fragezeichen am Rand. 15–15 Anstreichung am Rand, die Worte „desfallsiger Gemeinsamkeit“ sind unterstrichen, zusätzlich Fragezeichen am Rand. 16–16 Anstreichung am Rand. 17 Siehe Dok. 27.
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Schrenk an König Maximilian II.
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Euere Koenigliche Majestaet dem treugehorsamst Unterzeichneten in Bezug auf diesen Gegenstand allergnädigst zu eröffnen geruht haben, und es dürfte sich dieselbe deßhalb Allerhöchster Genehmigung zu erfreuen haben. 5. Die dem Allerhöchsten Befehle vom 11. d. gemäß von dem treugehorsamst Unterzeichneten zur Sprache gebrachte Anregung der Befestigung der Seeküsten Deutschlands hat allseits freudigen Anklang und ungetheilte Zustimmung gefunden, und es wurde sich dahin geeinigt, sofort durch den unter Zif. V im Entwurfe anruhenden Antrag die nähere Prüfung und Erwägung dieser Angelegenheit durch die Bundesversammlung zu veranlaßen. Indem sich der treugehorsamst Unterzeichnete die weiteren allerunterthänigsten Vorlagen, wie er im Eingange ehrerbietigst zu erwähnen sich erlaubte, allerunterthänigst vorbehält, wagt er es nunmehr vorerst die anruhenden fünf Anträge unzielsetzlichst der allerweisesten Prüfung Euerer Koeniglichen Majestaet zu unterbreiten und Allerhöchstderer Genehmigung in tiefster Ehrfurcht zu empfehlen.18 Frh. v. Schrenk19
18 König Maximilian II. genehmigte die fünf Anträge am 8. Dezember 1859 mit Ausnahme zweier Klauseln in den Vorlagen 3 und 4; Signat Maximilians II. vom 8. Dezember 1859 auf dem Antrag Schrenks vom 28. November 1859, HStA München, MA 492. 19 Schrenk überging in seinem Bericht an den bayerischen König einige Beratungsgegenstände, die von Beust in seinem Bericht an den sächsischen König erwähnt wurden. Darin heißt es u. a.: „7. Nationalverein in Coburg. Die längere Debatte hierüber führte zu einer negativen Entscheidung, indem man nicht allein von Seiten der Mehrheit der Zweckmäßigkeitsrücksicht vorwiegende Beachtung schenkte, sondern auch die von Herrn von Harbou erfolgte Vorlage der Coburger Statuten den Ausschlag gab, durch deren Fassung der Verein jeder Ausstellung, in Gemäßheit des Bundesvereinsgesetzes zu begegnen gewußt hat.“ – Ferner sprachen die Minister in Würzburg über den Zollvereinsvertrag mit Sardinien sowie eine geplante Schillerstiftung: Beust an König Johann von Sachsen, Würzburg, 30. November 1859, HStA Dresden, Gesandtschaft Wien, Nr. 129, Abschrift.
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35. Artikel im Korrespondent von und für Deutschland 11 Korrespondent von und für Deutschland Nr. 628 vom 7. Dezember 1859, Abendblatt.
Der Artikel weist die im Preußischen Wochenblatt geäußerte heftige Kritik an der Würzburger Konferenz zurück. Das preußische Blatt hatte den Mittel- und Kleinstaaten vorgeworfen, eine Koalition zu bilden, auf Sonderzusammenkünften die Beschlüsse der Bundesversammlung zu präjudizieren und damit den Einfluß Preußens in den deutschen Angelegenheiten zu annullieren. Nach Ansicht des Preußischen Wochenblatts sind die Stimmenverhältnisse im Bund eine Abnormität, die keine Grundlage in den realen Machtverhältnissen hat. Die Bundesverfassung beruhe deshalb auf der ideellen Voraussetzung, daß die kleineren Staaten darauf verzichten, ihre „Schein-Majorität“ „auf Kosten der wirklichen Mehrheit des deutschen Volkes“ auszubeuten. Der Korrespondent von und für Deutschland weist die Berufung Preußens auf die Bundesverfassung als unzutreffend zurück und argumentiert, daß die Verständigung der Mittel- und Kleinstaaten bundesrechtlich zulässig sei. Im Hinblick auf die realen Machtverhältnisse sei es zweckmäßig, daß die Mittel- und Kleinstaaten durch eine Einigung ihre reale Macht vergrößerten, vor allem deshalb, weil man sich nicht darauf verlassen könne, daß die deutschen Großmächte „die Interessen und die Würde der Nation“ in allen Fällen wahren würden.
Nürnberg, 7. Dezember 1859 Die Würzburger Konferenz. Das Preußische Wochenblatt bringt einen Artikel über die Würzburger Konferenz2, die bei den bekannten Beziehungen des genannten Blattes zu maßgebenden Persönlichkeiten in Preußen (in früheren Zeiten wurde es gewöhnlich das „Organ der Bethmann-Hollweg’schen Partei[“] genannt) besondere Beachtung verdient; denn wenn es auch ausdrücklich versichert, die Meinung der preußischen Regierung über den von ihm behandelten Gegenstand nicht zu kennen, so wird man sich doch nach den eben angedeuteten Verhältnissen für berechtigt halten dürfen, den Aeußerungen des „Wochenbl.“ eine nähere Verwandtschaft mit den Anschauungen der preußischen Regierung beizumessen, als es selbst vermöge der, offiziösen Organen eigenen Bescheidenheit, zugeben will. Das Preuß. Wochenbl. schreibt: „Die Einigung, welche auf diesen Konferenzen (der Würzburger und denen, die ihr der Voraussetzung nach weiter folgen sollen) unter den kleineren Staaten erzielt werden soll, betrifft eingestandenermaßen nicht solche Angelegenheiten, welche sich ausschließlich auf das Verhältniß der betreffenden Staaten untereinander beziehen und deß1 Der „Korrespondent von und für Deutschland“ erschien von 1806 bis 1889 in Nürnberg und war eine der wichtigsten liberalen deutschen Tageszeitungen; Losse, Nürnberger Zeitung. 2 Preußisches Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen, Nr. 49 vom 3. Dezember 1859, S. 406 f. Der Wochenblattartikel ist im Folgenden unter Weglassung der einleitenden Absätze vollständig abgedruckt.
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halb nicht auf das Gebiet der Bundestagsverhandlungen verpflanzt werden sollen; sondern im Gegenteil solche Fragen, die in der Bundesversammlung berathen und entschieden werden sollen. Es ist die Absicht der Mittel- und Kleinstaaten, innerhalb des Bundestages als eine geschlossene Koalition für eine bestimmte, vorher ausdrücklich festgestellte Meinung aufzutreten und in solcher Weise, unter Benützung der ihnen durch die Bundesverfassung eingeräumten Stimmenmajorität, die bundesmäßige Entscheidung vorweg zu nehmen. Auf die Feststellung eines solchen die Bundesbeschlüsse präjudizirenden Abkommens haben die Kabinette der beiden deutschen Großmächte, hat wenigstens das Berliner Kabinet – denn über das Verhältniß der Koalition zu Oesterreich sind wir nicht unterrichtet – keinen Einfluß. Die Ansichten der preußischen Regierung finden bei diesen Sonderzusammenkünften keine Vertretung; und wenn sie in der Bundesversammlung zur Sprache kommen, so werden sie hier wirkungslos verhallen, gegenüber einer Verabredung, bei deren Feststellung die Ansichten des Berliner Kabinets nicht einmal gehört, geschweige denn in Anschlag gebracht worden sind. Die von den Mittel- und Kleinstaaten jetzt eingeschlagene Praxis läuft also darauf hinaus, den Einfluß Preußens in deutschen Angelegenheiten zu annulliren. Die eigentliche Entscheidung über diese letzteren verlegt man aus der Bundesversammlung, in welcher Preußen seine Ansicht zur Geltung zu bringen das Recht besizt [sic], in eine Vorversammlung der die Majorität bildenden Mittel[-] und Kleinstaaten und tritt dann, für eine bestimmte Meinung engagirt und mit bereits fertigen Beschlüssen, in die Bundesversammlung, wo alle Macht der Wahrheit und des Rechts, die den Ansichten und Rathschlägen der preußischen Regierung innewohnen mag, an der geschlossenen Front der für eine bereits festgestellte Meinung eintretenden Majorität fruchtlos abprallt. Wir lassen es dahin gestellt seyn, ob der deutschen Nation gerathen werden kann, mit Gleichgiltigkeit über diese Thatsache hinweg zu sehen. Das aber wissen wir, daß diese neue Praxis dem Geist des Bundesverhältnisses schnurstracks zuwiderläuft und die Voraussetzungen, auf denen der deutsche Bund beruht, vollkommen mißachtet. Ein Bundesverhältniß unter souveränen Staaten auf dem Prinzip gleicher Berechtigung hat begreiflicherweise nur da eine logische Begründung und eine reale Unterlage, wo es sich um Staaten von ungefähr gleicher Macht und Bedeutung handelt. Nur in diesem Falle trifft zu, was Vernunft und Billigkeit unerbittlich erheischen, daß nämlich die Stimmenmehrheit in der Bundesversammlung auch die überwiegende Summe der Interessen und die überwiegende Summe der staatlichen Kraft repräsentirt. Diese Grundbedingung für eine Föderation gleichberechtigter Staaten fehlt in Deutschland vollkommen. Hier existiren neben zwei europäischen Großmächten die kleinsten Staatswesen, welche die neuere Geschichte kennt. Nichts desto weniger hat die Bundesverfassung das Prinzip der Gleichberechtigung unter diesen so sehr ver-
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schiedenen Staatswesen festzuhalten gesucht. Sie hat es festgehalten bis zu dem Grade, daß sie die Abnormität schuf, den beiden Großmächten, welche weit über die Hälfte des Areals, weit über die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands in sich schließen, von den 17 Stimmen des engeren Rathes der Bundesversammlung nur zwei zu verleihen. Sie hat die Berücksichtigung der kleineren Staatswesen so weit getrieben, daß nach ihren Festsetzungen neun Stimmen des engeren Rathes, welche nicht einmal den achten Theil des deutschen Landes und der deutschen Bevölkerung repräsentiren, den übrigen sieben Achttheilen durch einen Majoritätsbeschluß Gesetze vorschreiben können. Dieser Punkt bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung. Das Idealistische – um nicht mehr zu sagen – einer solchen Verfassung liegt auf der Hand. Ohne Grundlage in den realen Verhältnissen, beruht sie lediglich auf ideellen Voraussetzungen; insonderheit auf der Voraussetzung, daß sich in den Regierungen der kleineren Staaten stets ein hinlängliches Maß vernünftiger und gerechter Würdigung der wirklichen Machtverhältnisse vorfinden werde, um sie von dem Versuche fern zu halten, den ihre Bedeutung weit überragenden Einfluß, den die Bundesverfassung ihnen gestattet hat, auf Kosten der wirklichen Mehrheit des deutschen Volkes (?) auszubeuten. Sie beruht ferner auf der Voraussetzung, daß den Regierungen der kleineren Staaten, falls ihnen nicht ihre eigene bundesfreundliche Gesinnung und die Befriedigung über die ihnen durch den Bund gewährten Vortheile jene gerechtere Würdigung ihrer Stellung nahe legen sollte, doch die Rücksicht auf die Ausführbarkeit der von ihrer Schein-Majorität gefaßten Beschlüsse eine den wirklichen Machtverhältnissen entsprechende Selbstbeschränkung rathsam machen werde. Die in München verabredeten Separatkonferenzen beabsichtigen nun, das direkte Gegentheil zur Erscheinung zu bringen. Sie wollen den kleineren Staaten jene billige Berücksichtigung der Machtverhältnisse abschneiden, indem sie dieselben für bestimmte Beschlüsse engagiren, ohne daß die Meinung der mächtigeren Staaten überhaupt nur gehört worden ist. Sie zerstören damit die ideelle Voraussetzung, welche für eine so eigenthümliche Verfassung, wie die deutsche Bundesakte, den einzigen Rechtfertigungsgrund bildet. Auf Grund solcher Separatbeschlüsse soll sodann das Mißverhältniß der Stimmenvertheilung im engeren Rathe der Bundesversammlung auf Kosten der wirklichen Mehrheit des deutschen Volkes (?) ausgenutzt werden. Die in Würzburg vertretenen Regierungen repräsentiren etwa den vierten Theil des deutschen Landes und des deutschen Volkes; gleichwohl verfügen sie, im günstigsten Fall, wenn die Kuriatstimmen von den hier betheiligten Regierungen abgegeben werden, im engeren Rath über acht Stimmen; der Zutritt einer einzigen Stimme gibt ihnen die Entscheidung über Deutschland in die Hand. Von einer Berathung, wie sie die Bundesakte voraussezt [sic], kann füglich nicht mehr die Rede seyn, wo die Majorität bereits für bestimmte Beschlüsse engagirt ist;
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die Entscheidung ist bereits antizipirt und kann den übrigen drei Viertheilen Deutschlands ohne Weiteres aufgedrängt werden. Während also das Bestreben der kleinern Regierungen dahin gerichtet seyn sollte, die zu ihren Gunsten beliebte Abnormität der Bundesverfassung durch billige Rücksichtnahme ihrerseits möglichst zu verdecken, führt der von der Würzburger Konferenz eingeschlagene Weg dahin, die Unzuträglichkeit dieser Verfassung praktisch in Szene zu setzen, sie durch Thatsachen vor aller Welt zur Evidenz zu beweisen. Es ist hier nicht unsere Absicht, aus diesem Umstande weitere Konsequenzen zu ziehen: wir beschränken uns lediglich darauf, die Situation zu charakterisiren, die uns von den Würzburger Konferenzstaaten als Grundlage für unsere Beschlüsse dargeboten wird, und das neue und mächtige Moment hervorzuheben, welches der nationalen Bewegung in Folge dieser Thatsachen zuwächst. Eine andere Seite deuten wir kurz an. Wiederholt ist in München das Projekt aufgetaucht, das außerpreußische und außerösterreichische Deutschland als dritte Staatengruppe geeinigt neben die deutschen Großmächte zu stellen. Es liegt auf der Hand, daß die Sonderberathungen, zu welchen die Münchener Politik die Mitglieder dieser Staatengruppe zu vereinigen sucht, die Trias Idee, auch ohne staatsrechtliche Begründung, praktisch ins Leben zu führen geeignet sind. Wir wissen nicht, wie die preußische Regierung über eine solche Entwickelung denkt. Sollte das außerpreußische und außerösterreichische Deutschland in seiner Gruppirung zu einer besondern Föderation unter bayerischer Hegemonie sein Heil erblicken, so mag es auf geordnetem Wege versuchen, für die Durchführung dieses Gedankens eine neue rechtliche Basis zu gewinnen. Aber die preußische Regierung kann und darf es nicht dulden, daß eine solche Schöpfung den Grundcharakter des gegenwärtigen Bundesvertrages verfälscht, ohne sich auf eine andere rechtliche Basis gestellt zu haben. Denn eine derartige Föderation involvirt schon in ihrem jetzigen Entwickelungsstadium eine verkappte Cumulation von Stimmen, durch welche die Anordnung des Art. 16 der Schlußakte, daß kein Bundesstaat im engeren Rathe mehr als eine Stimme führen soll, illusorisch gemacht wird.3 Unmöglich kann Preußen es dulden, daß ihm diese oder eine ähnliche Föderation auf Grund des gegenwärtigen Bundesvertrags an der entscheidenden Stelle mit einer stets geschlossenen Mehrheit von 15 gegen 2 Stimmen, oder in einem anderen überwältigenden konstanten Stimmenverhältniß entgegen tritt. Das hieße, diese
3 Art. 16 WSA lautet: „Wenn die Besitzungen eines souverainen deutschen Hauses durch Erbfolge auf ein anderes übergehen, so hängt es von der Gesammtheit des Bundes ab, ob und in wie fern die auf jenen Besitzungen haftenden Stimmen im Plenum, da im engern Rathe kein Bundes-Glied mehr als eine Stimme führen kann, dem neuen Besitzer beigelegt werden sollen.“ Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 93.
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Monarchie dem Schalten der neuen Koalition wehrlos und geknebelt preisgeben.“ Das Preuß. Wochenblatt bekämpft, wie man sieht, die von den mittleren und kleineren Regierungen angestrebte Einigung und dadurch bezielte gegenseitige Stärkung von dem zweifachen Gesichtspunkte der Machtverhältnisse und der Bundesverfassung. Was leztere [sic] anbelangt, so muß es in der That befremden, sie als höchste Rechtsquelle von den Gönnern und Förderern einer politischen Richtung angerufen zu sehen, die in ihrem Endziel wahrlich auf nichts weniger als auf die Erhaltung dieser Verfassung hinausläuft. Zudem bedarf es nur eines Blickes in die von dem Preuß. Wochenbl. zitirte Schlußakte, um sich zu überzeugen, wie verfehlt dieser Appell an die Bundesgesetze ist und wie wenig die angeführte Stelle auf die Würzburger Konferenz und ihre etwaigen Nachfolgerinnen paßt. Der Artikel 16 handelt von der bleibenden Uebertragung der Stimme eines Bundesstaats auf einen andern im Wege der Vererbung, der Abtretung der Souveränetätsrechte u. dgl., und er macht eine solche Uebertragung für’s Plenum von der Entscheidung der Bundesversammlung abhängig, für den engeren Rath schließt er sie grundsätzlich aus, indem hier kein Staat mehr als eine Stimme führen dürfe. Bei den Konferenzen der Mittel- und Kleinstaaten handelt es sich aber weder um eine dauernde noch um eine vorübergehende Stimmübertragung; man beräth sich gemeinsam über diese und jene Frage, man einigt sich vielleicht von Fall zu Fall über eine gleichartige Auffassung, welche konsequenter Weise auch die Abstimmung in der Bundesversammlung im gleichen Sinne zur Folge haben wird. Dadurch ist aber nicht ausgeschlossen, daß jede Regierung ihre volle freie Selbstbestimmung und bis zum lezten [sic] Augenblick das Recht und die Möglichkeit behält, ihre Meinung zu ändern und ihre Stimme in einem andern Sinne abzugeben, als bei den Konferenzbesprechungen für angemessen erachtet worden seyn mag. Wo läge hier die dauernde, wo nur die vorübergehende Stimmübertragung? Kein Staat verliert seine Stimme, keiner gewinnt eine solche; wer aber wollte den Bundesregierungen, so lange sie noch souverän sind, verwehren, sich über ein gleichartiges Auftreten in bestimmten Angelegenheiten untereinander zu verständigen? Hat die Geschichte des Bundes nicht auch Fälle aufzuweisen, in welchen Preußen und Oesterreich sich außerhalb der Bundesversammlung über ein gemeinsames Verhalten einigten und dann durch dieses überwältigende Einverständniß den ganzen Bundestag nolens volens mit sich fortrissen? Fast komisch klingt es, wenn von dem großen Einfluß gesprochen wird, welchen die „Macht der Wahrheit und des Rechts“ in den Berathungen der Bundesversammlung auf die schließliche Beschlußfassung üben soll. Sollte man nicht meinen, das Preuß. Wochenblatt rede von einer großen parlamentarischen Versammlung, wo in öffentlicher Sitzung, in freier Rede, unter der Kontrole eines andächtig lauschenden Publikums Beweis-
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grund gegen Beweisgrund, Beredsamkeit gegen Beredsamkeit ankämpft, irrige Meinungen berichtigt, schwankende befestigt oder zu sich hinüberzieht? Bekanntlich geht es aber in der Bundesversammlung ganz anders her: hier bringt jeder Gesandte sein daheim, vom Minister des Auswärtigen geschriebenes Votum fein säuberlich in der Tasche mit, und wehe Demjenigen, der sich durch „die Macht der Wahrheit und des Rechts“ verleiten ließe, anders zu stimmen, als er von seiner Regierung instruirt ist! Mit andern Worten, die Beschlüsse der Bundesversammlung werden nicht in Frankfurt, sondern in Wien, Berlin, München ec. gemacht, und wer einen Einfluß auf sie gewinnen will, Der [sic] muß sich mit den andern Regierungen verständigen, wie es dem preußischen Kabinette jederzeit freisteht und wie es eben mit dem nämlichen Rechte die Regierungen der kleineren Staaten in Würzburg unter sich gehalten haben. Weit mehr Gewicht, als diese Berufung auf die Bundesverfassung, hat die Hinweisung des Preuß. Wochenbl. auf die realen, die Machtverhältnisse, denn diese geben, das formelle Recht möge lauten, wie es wolle, schließlich doch immer den Ausschlag in der Politik, obgleich wir es eine unbarmherzige und wenig verlockende Interpretation der Bundesverfassung nennen müssen, wenn das Preuß. Wochenbl. die ganze Summe der Souveränetätsrechte der kleineren Staaten in die Befugniß oder vielmehr in die Pflicht legt, sich „in vernünftiger und gerechter Würdigung der wirklichen Machtverhältnisse“ jedesmal dem Willen der größeren unterzuordnen. Aber eben weil Dem so ist, wie das offiziöse preuß.sche Organ sagt, eben weil die realen Machtverhältnisse das entscheidende Moment im staatlichen Leben sind, eben darum finden wir es ganz natürlich und in Betracht des Berufs der Mittel- und Kleinstaaten zweckmäßig und heilsam, daß sie ihren „ideellen Rechten“ die reale Macht hinzuzufügen trachten, die sie sich durch Einigung und Eintracht allerdings in einem Maße zu geben vermögen, das sie jeder der beiden Großmächte des Bundes ebenbürtig macht. Das deutsche Volk kann nach den Lehren der Geschichte und nach den Erfahrungen einer nicht sehr fernen Vergangenheit das unbedingte Vertrauen nicht hegen, daß seine beiden Großmächte die Interessen und die Würde der Nation in allen Fällen in untadeliger Weise wahren, am Wenigsten dann, wenn die traditionellen Gegensätze und Eifersüchteleien zwischen ihnen beiden in’s Spiel kommen. Daher ist es dem Interesse der Nation vollkommen angemessen, daß sich neben jenen in der einen oder andern Weise ein dritter Faktor bilde mit genügender „realer Macht“, um, wo jene etwa durch ihre Sonderbelange als selbständige Großstaaten oder durch den Widerstreit unter sich aus der rechten Bahn weichen, ein ausgleichendes Gegengewicht im nationalen Sinne in die Wagschale zu legen. Daß es im nationalen Sinne d. h. zur Wahrung der Ehre, der Macht und der bürgerlichen Freiheit der Nation geschehe, davon hängt der Werth und die Wirksamkeit der Vereinigung der Mittel- und Kleinstaaten ab. Verfolgen sie in inneren
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und äußeren Bundes-Angelegenheiten eine solche Politik, die ihnen die Stütze der öffentlichen Meinung sichert, dann sind sie eine „reale Macht“ und werden sich als solche, mit oder ohne die Sanktion des Preuß. Wochenblattes und der Wiener Ztg., Geltung und Anerkennung verschaffen; fehlt ihnen mit der Zustimmung und dem Vertrauen ihrer Völker der einzige natürliche und haltbare Kitt für ihre Vereinigung, so wird diese in sich zerfallen, ehe sie noch Bestand gewonnen, und sie werden nach wie vor angewiesen seyn, „in vernünftiger und gerechter Würdigung der wirklichen Machtverhältnisse“ – den beiden Großstaaten, je nach ihrer Auswahl, die Schleppe zu tragen.
36. Artikel im Dresdner Journal11 Dresdner Journal Nr. 283 vom 9. Dezember 1859.
Eine tiefgreifende Verbesserung der Bundesverfassung kann nur aus dem von parteilichen Sonderbestrebungen geläuterten Nationalgeist entstehen. Bei den gegenwärtigen Reformversuchen kann es sich demnach noch nicht um Änderungen von vitaler Wichtigkeit handeln. Die Bundesverfassung gibt aber weiten Spielraum für gemeinnützige, nationale Bestrebungen. Dem Bund soll der Charakter einer wahrhaft nationalen Institution verschafft werden. Die Absicht geht dahin, durch die Vereinigung der Mittelund Kleinstaaten ein antreibendes Element für eine größere Bundestätigkeit zu schaffen. Die Würzburger Konferenzen sind kein Ausgangspunkt für eine große Bundesreform, sie haben nur das praktisch Erreichbare im Auge. Die Angriffe in der deutschen Presse gegen die Konferenzen werden zurückgewiesen. Es ist nicht zulässig, die Konferenzen als „Koalition“ oder „Sonderbund“ zu bezeichnen.
Dresden, 9. Dezember 1859 Die Würzburger Conferenzen.2 Es konnte erwartet werden, daß die neuen Conferenzen, zu denen Minister einiger deutscher Staaten in Würzburg sich zusammenfanden, die Aufmerksam1 Das „Dresdner Journal“ ging aus dem 1846 gegründeten „Dresdner Tageblatt“ hervor. Unter dem Namen „Dresdner Journal“ erschien das Blatt von 1850 bis 1914, als es in „Sächsische Staatszeitung“ umbenannt wurde. Das „Dresdner Journal“ gehörte dem sächsischen Staat und war das offizielle Regierungsorgan; http://www.archiv.sachsen.de/archive/dresden/4412_ 3130373038.htm. 2 Der Artikel stammt aus der Feder von Beust; siehe dazu das Schreiben von Beust an Schrenk vom 20. Dezember 1859, in dem der sächsische Minister ausführt, er habe das Dresdner Journal sprechen lassen, um die Sache der Würzburger Konferenz zu unterstützen. Damit wolle er aber nicht den Anspruch erheben, „die Rolle des Wortführers für Würzburg zu übernehmen“; HStA München, MA 492.
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keit der Zeitungspresse auf sich ziehen würden. Neigung und Hoffnung einerseits, Vorurtheile und Abneigung auf der andern Seite mußten gleich sehr dazu beitragen, daß der Würzburger Conferenz ein besonderes Interesse zugewandt wurde. Wie der Zustand der Meinungen und Strebungen der Parteien in Bezug auf die deutschen Verfassungsverhältnisse nun einmal ist, läßt es sich nicht umgehen, daß jeder Versuch, diese Verhältnisse zu bessern, selbst wenn er in sehr gemäßigter und rücksichtsvoller Weise eingeleitet wird, den verschiedenartigsten Beurtheilungen Preis gegeben ist, und sowohl mit bittern Gegnerschaften in der Presse zu kämpfen hat, die aus der Eingenommenheit für idealistische Lieblingspläne entstehen, als auch mit allzuhochgespannten Erwartungen über die Tragweite eingeleiteter Besserungsversuche. Diese Erfahrung wird und kann allerdings nicht davon abhalten, daß Bundesregierungen, welche von der Nützlichkeit eines Fortschrittes in den Bundesverhältnissen durchdrungen sind und sich eine klare Vorstellung von Dem machen, was in dieser Beziehung erreichbar ist, mit Ernst und Eifer einer Sache obliegen, welche leider durch das Eingreifen der Parteiansichten nicht leichter geworden ist; einleuchtend muß aber auch sein, daß unter solchen Umständen nur Mäßigung und Vorsicht in Behandlung der Sache einen Erfolg versprechen, und wenn es wahr ist, was unsrerseits bereitwillig zugestanden wird, daß eine tiefgreifendere Verbesserung der Bundesverfassung nur aus dem, von Partei-Sonderbestrebungen geläuterten, Geschichte und Recht achtenden, für das Ganze mit Hingebung erfüllten Nationalgeiste entstehen kann, so muß man eben an der Bitterkeit, mit welcher sich jetzt die Parteien bei jedem Reformversuche einander gegenüber stehen, erkennen, daß es sich noch nicht um Aenderungen von vitaler Wichtigkeit in der Bundesverfassung handeln kann. Soll gleichwohl der Fortschritt auf diesem Gebiete befördert werden, so wird der deutsche Staatsmann ihn jetzt wo anders suchen müssen: in der Ausfüllung der gegebenen Form, in der Belebung des bestehenden Organismus. Die Bundesverfassung bietet in dieser Hinsicht weiten Spielraum für gemeinnützige, nationale Bestrebungen. Man wird auf diesem Wege, ohne Hand an die Grundgesetze des Bundes zu legen und dadurch nur erfolglos die bestehenden Antipathien zu schärfen, die materiellen Interessen der deutschen Staaten in Bezug auf den äußern Verkehr einander näher bringen, das höhere, geistige Culturleben der Nation in Bezug auf das Recht in seiner weitesten Ausdehnung von Land zu Land mit einander verknüpfen können; man wird dem politischen Charakter des gemeinsamen Organs eine innigere Uebereinstimmung mit dem politischen Fortschritt in den Einzelstaaten zu geben vermögen, der bei der innern Entwickelung des deutschen constitutionellen Lebens immer die größte politische Arbeit der deutschen Nation sein wird; endlich wird man die äußere Stellung des Deutschen Bundes sowohl durch Kräftigung der Militärmacht des Bundes, ganz besonders aber auch dadurch gesi-
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cherter und bedeutsamer machen können, daß das gemeinsame deutsche nationale Interesse von den Bundesmitgliedern jedem andern Interesse vorangestellt wird und eindrucksvoller auf die Eintracht der Großmachtpolitik Oesterreichs und Preußens wirkt. Die Keime zu allen solchen nationalen Erfolgen liegen im Schooße der bestehenden Bundesform. Wenn sie bisher nicht so entwickelt sind, wie es mit den ungetheilten Wünschen aller deutschen Vaterlandsfreunde übereinstimmt, so muß dies, abgesehen davon, daß der Zeitraum seit Schöpfung des Bundes immer noch nicht so bedeutend ist, um für die höchsten Resultate der Eintracht unter früher so oft und feindlich getrennten Theilen genügende Vorbereitungen zu bieten, daran liegen, daß man bisher nicht die rechte Art wählte, sie zu befruchten. Und blicken wir nun zurück auf die bisherige Geschichte des Deutschen Bundes, so springt zunächst in die Augen, daß von 1815 bis 1848, während welcher Zeit der Bund von den beiden deutschen, in Harmonie lebenden Großmächten beherrscht war, nur ein Gedanke ausschließlich die Bundesthätigkeit regelte, der nämlich, die äußere und innere Sicherheit des Bundes zu wahren. Wohl mochte dies nach einer Periode, welche Deutschland jeder Sicherheit so bar gesehen hatte, ein großes Ziel sein, und was im Anstreben an dasselbe erreicht ist, wird der Deutsche stets dankbar anerkennen, welcher geschichtskundig genug ist, um sich des Friedens und friedlichen Fortschrittes in Deutschlands Gauen durch Vergleichung mit sehr trostlosen Zeiten freuen zu können; aber es hätte nicht das einzige sein sollen, welches dem deutschen Nationalgeiste gestellt wurde, – ja, in seiner ängstlichen Festhaltung für die innern politischen Zustände Deutschlands verhinderte es die Entwickelung des nationalen Lebens, während es zugleich den Bund um die innigere Berührung mit dem Fortschritte der Einzelstaaten brachte und ihn dadurch fremd in Deutschland selbst erscheinen ließ. Die Folge war, es ist nicht zu verkennen, eine tiefe Abneigung gegen den Bund seiten der Constitutionellen, eine gewisse Unlust auf Seiten der Regierungen wie des Volkes in Verfolgung eines Weges, welcher den Bund von den Wünschen und Bedürfnissen der Einzelstaaten seitab führte. Im Jahre 1848 machten sich jene Abneigung und diese Unlust Luft. Aber beide verfuhren einseitig; denn es war irrig, zu meinen, daß nur in einer völligen Umgestaltung der Form die berechtigten Nationalwünsche Befriedigung erlangen könnten, wie es falsch war, zu glauben, daß eine Unterdrückung des monarchischen Princips die Interessen und Bedürfnisse Deutschlands klarer erkenntlich und leichter zu befriedigen machen würde. Im Laufe eines Decenniums ist das deutsche Volk, bis auf einige Parteien, welche ihre Lieblingstheorien eigensinnig festhalten, über jene Irrthümer gründlich und oft hart genug belehrt worden. Idealistische Vorstellungen einer „deutschen Einheit“ sind von ihm gewichen. Das Vertrauen zu einer radicalen Fertigkeit, die schwierigsten und ver-
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wickeltsten Verhältnisse umzugestalten, ist geschwunden, und man erkennt den ganzen Ernst, den auch schon das gemäßigste Besserungsstreben erfordert. Und es ist besonders eine drückende Erfahrung, welche den schönen Phantasien einen schweren Hemmschuh angelegt hat: die nämlich, daß von einer innigen Eintracht der Großmächte für den Impuls zu weiterer Bundesentwikkelung nicht viel gehofft werden kann. Das Einvernehmen Oesterreichs und Preußens am Bunde, welches bis 1848 bestanden hatte und dem wir wenigstens den innern und äußern Frieden verdankten, war in jenem Jahre geschwunden, und es hat sich trotz so manchen Versöhnungstages, trotzdem, daß beide Großmächte, den Gefährdungen des monarchischen Princips gegenüber, oft von gleichem Interesse bewegt wurden, bis jetzt nicht wieder finden wollen. Verschiedene Regierungssysteme haben in Preußen und Oesterreich geherrscht; die Weltlage hat sich mehrere Male geändert, sie hat neue Interessen gezeigt, neue Gefahren geschaffen: aber die innige Harmonie der beiden deutschen Großmächte hat bei keiner Constellation wieder geherrscht. Daß hierunter der Bund leiden mußte und selbst in Gefahr kam, die einzige große Errungenschaft seines Bestehens von 1815 bis 1848, seine äußere Sicherheit und den innern Frieden zu verlieren, hat eine Reihe trauriger Ereignisse gelehrt. Diese Erfahrungen, welche dem deutschen Volke so klar vorliegen, sind es, die zu einer neuen Phase der Bundesentwicklung die Kräfte erweckt haben. Man hat auf diese Erfahrungen den Parteiversuch gründen wollen, Deutschland in zwei Hälften zu zerreißen. Mit welchem Erfolge, beweist die Geschichte der letzten Monate, beweist die Thatsache, daß das deutsche Volk in seiner ungeheuern Mehrheit, obwohl es in der lebhaftesten politischen Erregung war, sich schweigend zu allen jenen Parteibestrebungen verhalten hat, welche nicht einmal offen, sondern nur halb versteckt, den Zerreißungsplan aufstellten und überdies den Anschein sich zu verschaffen suchten, als verträten sie einzig und allein das Fortschrittsprincip in Deutschland, als wenn Alles, was ihnen entgegenstände, von reactionären und absolutistischen Gelüsten durchdrungen sei. Der nationale Nothstand, welcher in dem Mangel an Eintracht zwischen den Großmächten im Deutschen Bunde unläugbar besteht, hat dagegen schon seit geraumer Zeit das Verlangen nach einer lebendigern und kräftigern Gestaltung der Bundeswirksamkeit bei solchen deutschen Regierungen erweckt, welche, weil sie keine Collision ihrer Bundespflicht mit der eigenen Machtstellung zu besorgen hatten, das meiste Interesse daran haben müssen, daß dem Bunde der Charakter einer wahrhaft nationalen Institution durch Stärke und Gemeinnützigkeit verschafft werde. Man mußte sich gestehen, ohne deshalb Vorwürfe gegen irgend eine Regierung besonders auszusprechen, daß die Art der Geschäftsbehandlung am Bunde langsam und schwerfällig sei; man
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mußte sich gestehen, daß, wenn Etwas ins Stocken gerathen, keine Regierung da sei, wie in den Einzelstaaten, welche der Angelegenheit neuen Schwung gebe, die darauf sehe, daß nichts liegen bleibe; man mußte sich gestehen, daß es an kräftigen Impulsen für Erweiterung der Bundesthätigkeit fehle, da die Großmächte durch ihre eigenen Machtinteressen häufig zurückgehalten seien von einer eifrigen Verfolgung der Bundesthätigkeit, da überdies eine solche gemeinsame Verfolgung seiten beider selten stattfinde und die von nur einer Großmacht ausgehende Anregung, noch seltener auf die Unterstützung der andern zu rechnen habe, während jede einzelne der übrigen Regierungen eine gewisse Scheu davor empfindet, als Excitator am Bunde aufzutreten. Aus diesen Erwägungen ging die Absicht hervor, durch die Vereinigung einer größern Anzahl von Regierungen der Mittel- und Kleinstaaten ein antreibendes Element für die Bundesthätigkeit zu schaffen, dem man in keiner Weise egoistische Pläne vorwerfen könnte. Der Kürze wegen und weil es der Sache am dienlichsten schien, werden diese, lediglich auf die Hebung der Bundesthätigkeit gerichteten Absichten der Bundesregierungen durch Conferenzen der Minister zu erreichen gesucht, und daß dieser Weg der zweckdienlichste ist, hat auch die letzte Würzburger Conferenz wieder bewiesen, denn es ist auf ihr über eine große Anzahl von Berathungsgegenständen, – bis auf einige wenige, unter denen sich, beiläufig erwähnt, die kurhessische Verfassungsangelegenheit nicht befindet – völliges Einverständniß erreicht worden. Die Conferenzen bieten sich also nach alle dem Gesagten nicht als einen Ausgangspunkt für große Reformbestrebungen in Bezug auf die Bundesreform dar, und Diejenigen, welche in dieser Beziehung große Erwartungen hegten, haben die Bedeutung der Conferenzen überschätzt. Sie haben, indem sie dies thaten, auch wohl nicht bedacht, daß, wenn aus den Conferenzen in Würzburg solche Reformpläne hervorgingen, dies kaum mehr als eine Effecthascherei auf Kosten der nicht auf den Conferenzen vertretenen Regierungen sein würde, – ein Unternehmen, dessen Mißerfolg nicht zu bezweifeln wäre, wenn man bedenkt, daß beide Großmächte ihm fremd sein würden und daß überhaupt der praktische Widerstand aller nicht auf der Conferenz vertretenen Regierungen dadurch geschärft werden müßte, daß auf sie gewissermaßen das Odium vor der Oeffentlichkeit fiele, sich von Reformbestrebungen ausgeschlossen zu haben. Indeß bleibt zu hoffen, daß die gute Meinung, welche man auf dieser Seite – z. B. in der „Allgem. Zeitung“3 – mit so hoch gespannten Erwartungen über die Ministerconferenzen ausgedrückt hat, nicht herabgestimmt werden wird durch diese Enttäuschung. Man wird es billigen müs3 Augsburger Allgemeine Zeitung, gegründet 1798 von Johann Friedrich Cotta, erschien von 1810 bis 1882 in Augsburg; Blumenauer, Journalismus; Breil, Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“.
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sen, daß die Conferenzen nicht einen so hohen und gewagten Flug nehmen und vielmehr das praktisch Erreichbare im Auge behalten. Dies aber glauben sie zu thun, indem sie sich als eine praktische Vorbereitung für die Bundesthätigkeit, als eine Ergänzung der schwerfälligen Geschäftsbehandlung am Bunde, als ein betreibendes und antreibendes Element für die Bundesentwikkelung betrachten. Mit diesen Eigenschaften können sie keine Jalousien4 erregen und es ist zu hoffen, daß die öffentliche Meinung im deutschen Volke, welche sich von allen Parteisonderplänen so abgestoßen gezeigt hat, sich theilnahmsvoll und vertrauend solchen Conferenzberathungen zuwendet, in denen sich das Bestreben der Regierungen, die nationalen Angelegenheiten auf jede Weise zu fördern, deutlich zeigt, und aus denen sich der Beweis ergeben kann, daß nicht das föderative Princip, nicht die staatliche Vielheit in Deutschland es sind, welche einer kräftigen Behandlung der nationalen Interessen hinderlich sind. Mit Dem, was hier über die Richtung und Zwecke der Ministerconferenzen gesagt ist, ist auch zum großen Theil auf alles Das geantwortet, was ein Theil der deutschen Presse so freigebig herbeigeschleppt hat an Vorwürfen und Verdächtigungen. Greifen wir jedoch noch Einzelnes aus denselben heraus, um darauf in dem Folgenden zu antworten, so geschieht dies nicht, weil wir die Pflicht fühlten, die Conferenzen gegen Angriffe zu rechtfertigen, denen der Stempel blinder Parteilichkeit so deutlich aufgedrückt ist, sondern deshalb, um zu zeigen, daß es ein eitles Beginnen sein würde, nach Reformen zu streben, welche Parteien von solcher Unduldsamkeit und Exclusivität befriedigen könnten. Aus dem langen Register der Angriffe, welche die Blätter von der Richtung der „Hamburger Nachrichten“5, „National-Zeitung“6, „Kölnischen Zeitung“7, „Deutschen Allgem. Zeitung“8, der „Elberfelder Zeitung“9, des „Preußischen Wochenblattes“10 u. a. m. erhoben haben, ohne daß nur eine ein4 Eifersucht, Eifersüchteleien, von französisch: „jalousie“. 5 Die „Hamburger Nachrichten“, gegründet 1792, vertraten nach der Revolution von 1848/49 konservative, propreußische Auffassungen; vgl. Dokumente aus geheimen Archiven, Bd. 5, S. 389, Anm. 285. 6 Die „National-Zeitung“ erschien seit 1848 in Berlin und war kleindeutsch-nationalliberal orientiert; ebd. S. 87, Anm. 46. 7 Die „Kölnische Zeitung“, gegründet 1763, war eine der größten deutschen Tageszeitungen und nach 1848 zunehmend nationalliberal ausgerichtet; ebd. S. 91, Anm. 76. 8 Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ erschien von 1843 bis 1879 in Leipzig und war nationalliberal orientiert; ebd. S. 413, Anm. 388. 9 Die „Elberfelder Zeitung“ erschien von 1834 bis 1905 und war in den 1840er Jahren ein streng konservatives Organ. 10 Das „Preußische Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen“ erschien von 1851 bis 1861 in Berlin und war das Sprachrohr der liberalen „Wochenblattpartei“ in Preußen; Behnen, Das Preußische Wochenblatt.
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zige sichere Kunde von der Tendenz der Conferenzen den Angreifern zugekommen sein konnte, machen wir hier nur folgende namhaft. Man ließ es schwer ins Gewicht fallen, daß nicht alle Mittel- und Kleinstaaten vertreten gewesen seien. Da hieß es: die Conferenzen seien eine preußenfeindliche Coalition, nicht einmal „rechtzeitig“ der preußischen Regierung angezeigt; sie seien ein reactionärer Sonderbund gegen gründliche Reformbestrebungen, die sie mit polizeilichen Mitteln zu unterdrücken versuchen würden; sie seien in Dunkel gehüllt und erinnerten an die Ministerconferenzen in Karlsbad und Wien, 1819 und 1834; ja, man wollte in ihnen sogar Etwas den Bund „Fälschendes“ sehen, weil eine derartige „Föderation eine verkappte Cumulation von Stimmen im engern Rathe involvire“ und der Berathung am Bunde vorgegriffen würde. Allen diesen Vorwürfen und Verdächtigungen können wir kurz genug entgegnen. Was die Nichtvertretung einiger Staaten betrifft, welche eingeladen waren, so wäre es wohl erwünschter gewesen, wenn sie Vertreter gesandt hätten; indeß würde es andererseits die Berathungen erschwert haben, wenn die anwesenden Vertreter der Bundesstaaten nicht über gewisse allgemeine politische Grundsätze sich einig gewußt hätten, und je verschiedenartiger diese Grundsätze sich hätten verlauten lassen, um so mehr Hindernisse wären dem raschen, praktischen Erfolge der Berathungen bereitet worden. Hervorheben zu müssen glauben wir dagegen die Anwesenheit der Vertreter von zwei thüringischen Staaten11, weil hierdurch gezeigt wurde, daß die Tendenzen der Conferenz fern sind von der so oft auf gewisser Seite den Mittelstaaten vorgehaltenen Erhebungssucht auf Kosten anderer Staaten. Daß die Conferenz nichts „Preußenfeindliches“ leitete, ergiebt sich aus Dem, was bereits in diesem Aufsatze über die Zwecke derselben gesagt wurde. Will man nach dieser Charakteristik aber noch immer etwas „Preußenfeindliches“ darin finden, so sind die Conferenzen dafür nicht verantwortlich zu machen, und wir wenigstens würden uns in Preußens Interesse dagegen verwahren, daß man „bundesfreundlich“ und „preußenfeindlich“ für synonym erklärte. Die Angabe wegen der angeblich unterlassenen „rechtzeitigen“ officiellen Benachrichtigung Preußens bedarf zunächst einer thatsächlichen Berichtigung. Preußen ist durch gleichlautende Erklärungen der zur Conferenz einladenden Regierungen vorher benachrichtigt worden. Inwiefern auf diese Benachrichtigung das Beiwort „rechtzeitig“ anzuwenden gestattet sein soll, ist uns nicht klar. Dasselbe könnte doch nur den Sinn haben, daß Preußen die Füglichkeit gegeben wäre, Einspruch zu erheben, daß es der Erlaubniß Preußens und anderer Bundesregierungen zu Abhaltung von Conferenzen bedurft hätte. Einer solchen aber 11 Sachsen-Meiningen war vertreten durch Staatsminister Harbou und Sachsen-Altenburg durch Staatsminister Larisch.
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steht keine Bestimmung des Bundesrechts entgegen. Die Conferenzen sind vollkommen frei in der Form; man faßt dort keine für die Haltung am Bunde verpflichtende Beschlüsse nach der Majorität, und wenn man deshalb in ihnen etwas, die Freiheit der Bundesglieder Beeinträchtigendes sehen wollte, so hieße das: ein Vergehen aus der Erstrebung der Eintracht am Bunde machen. Ebensowenig zulässig ist die Bezeichnung der Conferenzen als „Coalition“ oder „Sonderbund“. Zum Begriffe der „Coalition“ fehlt in diesem Falle jede vertragsmäßige Unterlage und die Richtung gegen irgend einen Staat. „Sonderbund“ ist ein Name, der, behält man im Auge, wie und wo er zuerst entstanden ist, hier gerade die entgegengesetzten Verhältnisse findet, denn in Würzburg strebte man danach, der Gesammtheit dienstbar zu sein, die Thätigkeit für sie, den Fortschritt auf dem gemeinsamen Rechtsgebiete zu befördern, während jener Name erfunden wurde für einige Staaten der Schweiz, welche sich von der Umgestaltung der Verfassung ausschließen wollten.12 Allerdings kann man von den Conferenztendenzen sagen, daß sie gewissen Parteibestrebungen, nämlich denen der Eisenacher Agitation13, hinderlich sein werden, aber vergebens hat man wohl auf jener Seite die Hoffnung danach gehegt, daß ihren lahmen Agitationen durch polizeiliche Maßregelungen wenigstens das Märtyrerthum noch vor dem gänzlichen Erliegen verschafft werden würde. Treffen werden die Conferenzberathungen nur insofern jene Parteitendenzen, als das deutsche Volk sich ihnen um so gewisser verschlossen halten wird, wenn es sieht, daß die ernstlichsten Bestrebungen für Hebung und Vervollkommnung des Bundeswesens aufgeboten werden. Die Erinnerung an die Karlsbader und Wiener Conferenzbeschlüsse dürfte dem Plane der mitteldeutschen Conferenzen eher zur Empfehlung, als zum Vorwurf gereichen, denn man wird sich erinnern, daß die Karlsbader und Wiener Conferenzen in einer Zeit stattfanden, wo die deutschen Großmächte, abgeneigt einer constitutionellen Entwicklung, mit solchen Gesinnungen den Bund beherrschten, während die innere politische Entwicklung der übrigen deutschen Staaten keinen Einfluß auf den Bund gewinnen konnte. Das „Dunkel“ zu beklagen, in welches sich die Ministerconferenzen hüllen, ist im Allgemeinen unverständig zu nennen, denn, obgleich die auf der Conferenz vertretenen Regierungen kein Geheimniß aus ihrem Thun machen, wäre es doch eben so unthunlich, die Bureaux der Regierung in den Einzelstaaten zu öffnen, als die Ministerconferenzen öffentlich zu halten. In diesem speciellen Falle aber ist der Vorwurf der 12 Als „Sonderbund“ wurde die sogenannte „Schutzvereinigung“ bezeichnet, zu der sich im Jahre 1843 einige konservative Schweizer Kantone zusammengeschlossen hatten, um ihre kantonale Autonomie gegen eine liberale Bundesverfassung zu verteidigen. 13 Anspielung auf die Eisenacher Erklärungen der kleindeutsch-preußischen Nationalbewegung im Vorfeld der Gründung des Deutschen Nationalvereins im Sommer 1859, siehe Dok. 5 und 10. Vgl. Biefang (Bearb.), Der Deutsche Nationalverein, S. 434 u. 438–441.
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Umhüllung der Conferenzberathungen mit tiefem Dunkel auch noch besonders naiv, da dieselben Blätter, welche ihn erhoben, doch so Vieles von den Gegenständen der Berathung, ihrem Gange und dem Erfolge und Mißerfolge zu erzählen wissen. Wir fühlen keine Veranlassung die Vermuthungen und unwahren Nachrichten in dieser Beziehung mit einer detaillirten Veröffentlichung der Berathungen zu belohnen. Die Resultate werden in nicht zu ferner Zeit erkennbar werden. Daß sie nicht mit einem Male, sondern nur in allmählicher Folge hervortreten können, wird jeder Unbefangene sich selbst sagen, wenn er sich erinnert, daß die Berathungen über ein in der That reichhaltiges Material nur vier Tage dauerten und daher binnen einer so kurz bemessenen Zeit die Erledigung ausführlicher Detailarbeiten nicht erwartet werden darf. Die Conferenz hat allerdings einen ganz andern Weg eingeschlagen als den, welcher unlängst in einer Kammersitzung von maßgebender Stelle aus als der geeignete bezeichnet wurde. Wollte man diesen wählen und sich mit endlicher Redaction ausgearbeiteter Entwürfe beschäftigen, so würde die Conferenz die Stelle der Bundestagsausschüsse usurpiren und, mit geringer Aussicht auf praktische Resultate, eines Aufwandes von Zeit bedürfen, der sich mit den laufenden Geschäften auch da nicht vertragen würde, wo die Herren Minister zufällig nicht „gegen den Landtag nähere Pflichten haben sollten.“ Wird endlich über den Zweck der Conferenzen in der „Deutschen Reichszeitung“14 noch gesagt, er bestehe in einer „eigenen Politik am Bunde gegenüber von Oesterreich und Preußen,“ woran die Aeußerung geknüpft wird, Oesterreich werde sich ebensowenig wie Preußen dadurch angenehm berührt fühlen, und dies vielleicht zu einer Annäherung beider Großmächte beitragen, – so ist darauf zu antworten, daß eine solche Schlußwirkung der Conferenzen den Mitgliedern derselben nur die höchste Genugthuung sein könnte. In Abrede aber muß zugleich gestellt werden, daß die Conferenzberathungen irgendwie dem deutschen Interesse Oesterreichs oder Preußens widersprechen und deshalb eine unangenehme Wirkung in Wien oder Berlin begründen können. Handelt es sich doch nicht um Sonderungen oder Machtschmälerungen, um antagonistische Bestrebungen irgend einer Art, sondern um innigere Verbindung des Ganzen, um dessen Machterhöhung und um die Beschwichtigung vorhandener Antagonismen. Die Regierungen, welche auf den Conferenzen vertreten sind, können im Bewußtsein ihres redlichen vaterländischen Strebens das Vertrauen zum deutschen Volke hegen, daß es ihren ernstlichen Bestrebungen, ohne jede Effecthascherei, ohne jede Parteispeculation auf einem praktischen
14 Die „Deutsche Reichs-Zeitung“ erschien von 1848 bis 1866 in Braunschweig und war „bürgerlich-demokratisch“ ausgerichtet; vgl. Dokumente aus geheimen Archiven, Bd. 5, S. 69, Anm. 21.
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Wege das Bundeswesen zu beleben und zu vervollkommnen, erkennen, würdigen und seiner Theilnahme werth halten wird.
37. Kübeck an Rechberg HHStA Wien, PA II 38, fol. 196–209, a) Geheimes Schreiben. Behändigte Ausfertigung. Mit Anlage: b) Denkschrift von [Ludwig] Windthorst zur Lage in Deutschland. Abschrift. Praes.: 24. Januar 1860. Druck: Srbik (Hrsg.), Quellen zur deutschen Politik Österreichs, Bd. 1, S. 95–100.
Kübeck übersendet eine Denkschrift von Windthorst, in der dieser Initiativen zur Hebung des österreichischen Einflusses in Deutschland vorschlägt. Der Einfluß Österreichs ist zurückgegangen, weil die Regierung in Wien jede Initiative am Deutschen Bund fallengelassen hat. Es besteht die Gefahr, daß Preußen die faktische Suprematie über Deutschland erlangt, insbesondere dann, wenn es Österreich nicht gelingt, die allgemeine deutsche Zolleinigung anzubahnen. Gegen die Bestrebungen zu einer Suprematie Preußens muß die Stellung Gesamtdeutschlands und Österreichs gestärkt werden. Der stärkste Wall gegen diese Bestrebungen ist die Bundesverfassung, die erhalten und ausgebaut werden muß. Auf materiellem wie auf geistigem Gebiet findet eine ständige Annäherung zwischen Preußen und den norddeutschen Staaten statt. Über die Zollbeamten und die Presse übt Preußen einen großen Einfluß in seinem Sinne aus. Die zentrale Leitung aller dieser Bestrebungen liegt bei dem preußischen Bundesgesandten in Frankfurt. Windthorst regt die Schaffung einer „Zentralstelle“ in Hamburg an, die unter der Leitung des dortigen österreichischen Gesandten im Norden und Nordwesten Deutschlands im Sinne der großdeutschen Ideen auf die Öffentlichkeit einwirken soll.
[a) Schreiben] Geheim
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Hochgeborner Graf! In der Anlage beehre ich mich Euerer Excellenz Abschrift eines Mémoire’s vorzulegen, welches in großen Umrissen die Ideen eines norddeutschen Staatsmannes1 über die Frage enthält, durch welche Mittel den immer mehr Raum gewinnenden Bestrebungen Preußens, seine Suprematie in Deutschland herzustellen, entgegengetreten und das Interesse von Gesammtdeutschland, somit die Stellung Oesterreichs 1 Das Mémoire stammt von Ludwig Windthorst (vgl. fol. 197v), dem späteren Zentrumsführer, der seit 1849 Abgeordneter in der zweiten Kammer des hannoverschen Landtags war. Windthorst (1812–1891) war von 1851 bis 1853 Justizminister in Hannover gewesen, ein Amt, das er von 1861–1865 erneut ausübte. Der norddeutsche Katholik Windthorst lehnte die kleindeutschpreußischen Tendenzen ab und ergriff mit seiner Denkschrift Partei für die Erhaltung des österreichischen Einflusses in Deutschland; ADB, Bd. 55, S. 97–104.
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a) in Deutschland überhaupt und b) speciell im deutschen Norden und Nordwesten am wirksamsten gestärkt und gefördert werden könnte. Den Vortrag dieser Aufzeichnungen begleitete der Verfasser mit mündlichen Erläuterungen, deren wesentlichsten Inhalt ich im Nachstehenden zusammenzufassen mir erlaube. Die Ursachen des sich mehr und mehr mindernden Einflusses Oesterreichs in Deutschland lägen in dem Fallenlassen einer jeden Initiative von Seiten Oesterreichs am Bunde. Die Wahrnehmung, daß namentlich auf dem Gebiete der materiellen Interessen es Preußen immer wieder gelinge, diese außerhalb des Bundes in Berathung nehmen zu lassen, daß es, um zum gedeihlichen Ausbaue des Bundes Anträge vor die Versammlung gebracht zu sehen, der Vereinigung der Mittelstaaten bedürfe, müsse – abgesehen von der allmäligen faktischen Herausbildung der Trias – nothwendiger Weise das Vertrauen von der ersten deutschen Großmacht abwenden. Der Constitutionalismus hätte ferner in Deutschland nie so tiefe Wurzel gefaßt, er hätte sohin nie den Gegnern die mächtigsten Waffen gegen Oesterreich in die Hände geben können, wenn Oesterreich vom Anfange an mit dem Vollzuge des Art. 13 der Bundes-Acte durch Herstellung einer landständischen Verfassung vorgegangen wäre. So aber ist es gelungen den Glauben zu verbreiten und festzuhalten, daß, sobald sich bei irgend einer deutschen Regierung reaktionäre Bestrebungen zeigten, Anregung und Ermuthigung von Oesterreich käme. Mit besonderer Beziehung auf Norddeutschland wies der geistvolle Beobachter auf die Mißgriffe der Regierungen in Hannover und Kurhessen wie auf die verrotteten, unhaltbaren Zustände Mecklenburgs, indem er es als eine lohnende Aufgabe der oesterreichischen Diplomatie bezeichnete, auf deren Abstellung hinzuwirken oder Falls dieß nicht gelänge, wenigstens darüber keinen Zweifel zu lassen, daß die kaiserliche Regierung solche Vorgänge mißbillige. Endlich sähen die Freunde Oesterreichs, da von zweckentsprechenden Anstrengungen weder auf diplomatischem Wege noch auf dem Felde der Presse Erhebliches zu Tage trete – mit Besorgniß dem Schlusse des Jahres 1865 entgegen, an welchem der Februarvertrag vom Jahre 1853 sein Ende erreicht2 und es sich vor Allem entscheiden soll, ob es Oesterreich gelingen werde, durch Zustandebringung oder wenigst möglichst sichere Anbahnung einer deutschen Zolleinigung seinen Platz in Deutschland zu behaupten, oder ob es durch das Mißlingen dieses 2 Mit dem Handelsvertrag zwischen Österreich und Preußen vom 19. Februar 1853 war einerseits der Eintritt des norddeutschen Steuervereins in den preußisch dominierten Zollverein anerkannt worden, andererseits waren für das Jahr 1860 Verhandlungen über eine allgemeine deutsche Zolleinigung in Aussicht gestellt worden. Der Vertrag war auf 12 Jahre befristet. Vgl. Hahn, Geschichte des Deutschen Zollvereins, S. 140–151.
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weitaus wichtigsten Planes Preußen die faktische Suprematie in Deutschland werde überlassen müssen. Mit dieser Andeutung der Hindernisse zur Erreichung der Oesterreich gebührenden Stellung in Deutschland seyen zugleich die Mittel zu deren Beseitigung gegeben. Da das Bestreben, Preußen an die Spitze Deutschlands zu bringen, vorzugsweise im nördlichen und nordwestlichen Theile von Deutschland eine täglich an Umfang gewinnende Unterlage finde, müsse gerade dort Oesterreich Alles aufbieten, um diesem übermächtig werdenden Einflusse entgegenzutreten und zu dem Ende jene Thätigkeit entfalten, welche Preußen verwendet, um im Süden und Südwesten Deutschlands seinen Einfluß zu begründen. Die Denkschrift zählt nun die darauf zielenden Mittel auf und bezeichnet vor Allem Hamburg als den geeignetsten Centralpunkt, von welchem aus sie in Anwendung zu bringen wären. Ich habe geglaubt, dieses uneigennützige, von den besten Gesinnungen für Oesterreichs Stellung in Deutschland eingegebene Schriftstück Euerer Excellenz vorlegen zu sollen, da sich hieran durch geeignete Persönlichkeiten weitere Studien und Einwirkungen an Ort und Stelle knüpfen ließen. Die Verhältnisse des Verfassers3 dürften ihn selbst kaum zu einer solchen Aufgabe verwendbar erscheinen lassen, was indeß nicht ausschließt, daß sein Rath vorkommenden Falls benützt werden könnte, um außerhalb Hamburg’s Kräfte zu dem angedeuteten hochwichtigen Zwecke zu gewinnen, dessen Anbahnung jedenfalls bedeutende geistige und materielle Mittel in Anspruch nehmen würde und durch eine gewandte Leitung in dem genannten Centralpunkte bedingt wäre. Genehmigen Hochdieselben den Ausdruck meiner tiefsten Ehrfurcht. Kübeck [b) Denkschrift von Ludwig Windthorst zur Lage in Deutschland] [Anlage] ad No. 5 D. Bon Kübeck 20. Jänner 1860 Promemoria über die Mittel zur Hebung des oesterreichischen Einflusses in Deutschland überhaupt und insbesondere im deutschen Norden und Nordwesten. (Bon Windhorst)4 Dem berechtigten und wohlbegründeten Einflusse Preußens in Deutschland entgegentreten will gewiß Niemand. Die Bestrebungen aber, aus dem Kreise 3 Windthorst war zu dieser Zeit Advokat und Landtagsabgeordneter in Hannover. 4 Die Abschrift der Denkschrift selbst ist ohne Überschrift und Verfasserangabe. Diese Angaben befinden sich auf einem separaten, dem Schreiben Kübecks beigefügten Blatt (fol. 197v).
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der Bundesverfassung hinaus zu schreiten und für Preußen eine Suprematie in Deutschland herzustellen, sind so unbegründet, wie unberechtigt und ist es deshalb eine in ihrer Bedeutung nicht hoch genug anzuschlagende Aufgabe, die Interessen von Gesammtdeutschland und damit die Stellung Oesterreichs in Deutschland jenen offen zu Tage liegenden und immer mehr Raum gewinnenden Bestrebungen gegenüber zu stärken und zu fördern. Sollten die Mittel zur Lösung dieser Aufgabe erschöpfend erörtert werden: so würde dazu eine ausführliche Abhandlung erforderlich seyn. Es müßte dieselbe die deutsche Politik Oesterreichs und der gesammten übrigen deutschen Staaten zum Gegenstande nehmen; das kann nicht der Zweck dieses Notats seyn. Hier sollen nur einzelne abgerissene Andeutungen kurz skizzirt werden. 1. Der stärkste Wall gegen die gedachten Bestrebungen ist die Bundesverfassung. Diese muß festgehalten, aber ausgebildet werden auf den Grundlagen, die sich in derselben bereits vorfinden. Der Bund hat die Deutschen bis jetzt mehr an ihre Pflichten erinnert, als ihre Rechte geschützt und ihre Interessen gefördert. In seiner Verfassung aber liegt nicht allein zu jenen, sondern auch und vorzugsweise zu diesen der Beruf wie die Macht. Gewährt derselbe insbesondere den Verfassungen der Einzelstaaten und den Rechten der Unterthanen den Schutz, welchen Preußen verspricht, so wird jeder Deutsche den Schutz des Bundes vorziehen und sich erinnern, daß, wenn der Bund in Beziehung auf die Einzelverfassungen seine Competenz überschritten hat, dies zumeist auf Betreiben Preußens und nie ohne dessen Zustimmung geschehen ist. 2. In den Einzelstaaten muß ein solches Regiment geführt werden, daß ein Einvernehmen zwischen Regierung und Regierten stattfindet. Findet der Deutsche seine Befriedigung in eigener engerer Heimath, so wird er sie auswärts nicht suchen. In Beziehung auf ein solches Regiment aber bleibt in manchem deutschen Staate unmaßgeblich Vieles zu wünschen. Ein preuß. Staatsmann sagte kürzlich bezeichnend genug: „Die Fehler unserer Nachbarn nützen uns viel mehr, als das Beste, was wir selbst gethan.“ Man hebe diese Fehler, und Preußen wird auf dieselben die moralischen Eroberungen nicht mehr zu begründen vermögen, welche es eingestandener Maßen zu machen gedenkt. 3. Das Bestreben, Preußen an die Spitze Deutschlands zu bringen, findet vorzugsweise im nördlichen und nordwestlichen Theile von Deutschland eine täglich an Umfang gewinnende Unterlage. Es liegt dies theils in den gegebenen Verhältnissen. Nach einem überall gültigen Naturgesetze werden kleinere Körper von größeren angezogen. Preußen ist im Norden Deutschlands der weitaus größte Körper und seine Anziehungs-
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kraft wird um so stärker, je größer die Nähe und je vielartiger die Berührungspunkte sind. Mit der Dampfkraft und dem Telegraphen sind die Entfernungen geschwunden, mit dem Zollvereine sind alle Barrieren gefallen und die Berührungspunkte vermehrt. Auf materiellem wie geistigem Gebiete ist ein täglich steigender Verkehr zwischen Preußen und den übrigen norddeutschen Staaten bemerkbar; die Statistik des Handels, der Fabrikation und der Gewerbe im Allgemeinen documentirt dies auf dem materiellen Gebiete. Eine auch nur oberflächliche Umschau auf das innere Leben und die Beziehungen der Universitäten, der Gymnasien, der Real- wie der Volksschulen, ein flüchtiger Einblick in die Bewegungen der Presse, der Literatur und des Buchhandels, ein auch nur kurzes Verweilen bei den Gestaltungen der kirchlichen Verhältnisse documentirt dasselbe auf dem geistigen Gebiete. Dieser Verkehr vermittelt allmälig, aber stetig und sicher eine Solidarität der Interessen und eine überraschende Assimilation des Denkens, Fühlens und Seyns. Dazu kommt in den kleineren Staaten das Gefühl, daß unerachtet der schweren Opfer, welche für den Militär-Etat gebracht werden, die eigenen Kräfte nicht genügen, um den nöthigen Schutz nach außen zu gewähren, daß dazu vielmehr ein festeres Anlehnen an einen größeren Staat nicht zu vermeiden seyn werde. Theils aber liegt es darin, daß im nördlichen und nordwestlichen Deutschland an Preußen fast allein das Feld überlassen ist, seinen Einfluß geltend zu machen. Es wirkt für diesen Einfluß nicht allein seine Diplomatie, die unterschätzt würde, wollte man sie bloß nach den Namen wägen, welche in den Salons erscheinen, und die ihre Stützpunkte findet in den zahlreichen preuß. Zollbeamten höheren und niederen Grades, welche in den Directivbehörden und an einzelnen Zollstationen ihren Sitz haben; es wirkt vor Allem dafür fast die gesammte Presse, nicht allein die Tagespresse, sondern auch die übrige Literatur. In letzterer Beziehung soll nur auf das so wichtige Gebiet der Geschichte verwiesen werden. Man durchblättere die Werke, welche dem Geschichtsunterrichte zur Grundlage dienen, man gehe in die Hörsäle und man wird sich von dieser Wahrheit überzeugen. Wie diesem übermächtig werdenden Einflusse Preußens im Norden und nordwestlichen Deutschland entgegengetreten werden kann, das lehrt Preußen selbst in den Mitteln, welche es verwendet, um im Süden und Südwesten von Deutschland seinen Einfluß zu begründen. Es hat daselbst aller Orten eine zahlreiche Diplomatie, der auch hier wiederum die Stütze in der Zollpartie nicht entgeht. Wie dieselbe durch die verschiedenartigsten Verbindungen und Beziehungen, die man anzuknüpfen verstanden hat, nach allen Richtungen hin ihre Wirksamkeit entfaltet, kann keinem aufmerksamen Beobachter entgehen.
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Hier mag nur auf die Presse verwiesen werden, weil dieselbe ein in die Augen tretendes Spiegelbild von der allerdings viel realeren Unterlage darbietet, gleichzeitig aber auch zur festeren Begründung dieser Unterlage dient. Man lese die Frankfurter, Nassauischen, Badischen, Baierischen Blätter und man wird erstaunen über die Summe des preuß. Einflusses, welcher darin zu Tage tritt. Könnten und dürften die Redactionen der betreffenden Blätter, z. B. die Redaction der Augsburger Allgemeinen Zeitung sprechen, es würden dieselben in dieser Richtung die interessantesten Aufschlüsse gewähren können. Wenn nicht alle Zeichen trügen, so liegt die Centralstelle für alle diese Bestrebungen in Frankfurt a/m [sic] und hat kein Geringerer, als der preußische Bundestagsgesandte5 selbst die Leitung. Es ist dies ganz dem Zweck entsprechend. Mit Erfolg kann eine solche Leitung nur derjenige führen, welcher genau von den Dingen unterrichtet und genau von [sic] den Intentionen der betreffenden Regierung auf allen Gebieten der Politik vertraut ist. Frankfurt ist der Platz, wo der leitende Gesandte die vollste und freieste Bewegung hat und nicht durch alle Rücksichten gehemmt wird, welche eine Residenz nothwendig mit sich bringt. Daneben hat Preußen seine Garnisonen in Mainz, Frankfurt und nun auch in Rastatt6, und giebt dadurch den angebahnten moralischen Eroberungen einen Stützpunct, welcher wegen des Eindrucks, der dadurch auf die Massen geübt wird, an Bedeutung weitaus das Maß der Kraft übersteigt, welche diese Garnisonen im gegebenen Falle zu entwickeln im Stande wären. Wollen die natürlichen Vertreter der großdeutschen Idee, die vier deutschen Königreiche und Oesterreich, ihren Einfluß im Norden und Nordwesten des Vaterlandes stärken, so dürften sie nach der von Preußen also gegebenen Anleitung ihre Maßregeln zu treffen haben. Ganz besonders in Beziehung auf den Norden und Nordwesten von Deutschland behauptet dasjenige sein Gewicht, was oben sub 1 und 2 in Beziehung auf die Bundesverhältnisse und in Beziehung auf die Nothwendigkeit 5 Guido von Usedom. 6 Die Bundesfestung Rastatt, erbaut zwischen 1842 und 1852, war ursprünglich nur mit badischen und österreichischen Truppen belegt. Nach langen erbitterten Streitigkeiten erreichte es Preußen im Jahr 1859, daß in Rastatt auch preußische Truppen stationiert wurden. Unter dem Eindruck des Italienischen Krieges beschloß die Bundesversammlung am 11. August 1859, die Festungsbesatzung zu erhöhen. Zuvor hatten sich Österreich, Preußen und Baden darauf verständigt, die Besatzung von Rastatt „im Kriege wie im Frieden“ gemeinsam zu stellen. Davon sollten für die Friedensbesatzung auf Österreich 3000, auf Preußen 2000 und auf Baden 1000 Mann entfallen, bei der Kriegsbesatzung entfielen auf Österreich 5400, auf Preußen 4000 und auf Baden 2600 Mann. Den Gouverneur der Festung sollte Baden ernennen, bei der Ernennung des Festungskommandanten sollten sich Österreich und Preußen im fünfjährigen Turnus abwechseln. Vgl. ProtDBV 1859, S. 708–718; Sempell, The Rastatt Dispute, S. 405; Meyer, Bismarcks Kampf, S. 432.
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eines guten Einvernehmens zwischen Regierung und Regierten gesagt ist. Der Charakter des Volksstammes, die geschichtliche Entwickelung seiner socialen und rechtlichen Verhältnisse, der starke Verkehr mit Holland, den nordamerikanischen Freistaaten, mit England, begründen diese Erwägung. Sodann wird eine Verstärkung der Diplomatie erforderlich. Für eine Vertretung bei den Höfen scheint freilich hinlänglich gesorgt. Jene Verstärkung wird nöthig, a) um die Entwickelung auf allen Gebieten menschlicher Thätigkeit zu beobachten und davon zu jeder Zeit der heimischen Regierung ein treues Bild zu übersenden, damit dieselbe daraus für das eigne Land ihren Nutzen ziehen und je nach dem Gange dieser Entwickelung die Maßregeln treffen kann, welche ihrem Interesse entsprechen; b) um durch mündliche Mittheilungen an maßgebende Stellen und im täglichen Verkehr die nicht selten irrig aufgefaßten und noch öfter absichtlich falsch dargestellten Zustände und Maßregeln in der Heimath in das rechte Licht zu stellen; c) um nach allen Richtungen hin diejenigen Beziehungen und Verbindungen anzuknüpfen, welche einen Einfluß sichern, insbesondere aber denjenigen Elementen, welche der Idee des Gesammt-Deutschlands und damit auch dem Kaiserstaate ihre Sympathien bewahrt haben, einen Stütz- und Sammelpunct zu bieten, an dem es jetzt völlig fehlt; d) um in der Presse den Anschauungen der heimischen Regierung und des Heimathlandes, insbesondere den Interessen des in der Bundesverfassung vereinten Deutschlands, den gebührenden Ausdruck zu sichern. Für diese gesammte Thätigkeit ist eine Centralstelle erforderlich. Ein dazu eben so geeigneter Ort, wie Frankfurt ihn in Beziehung auf den Süden und Südwesten für Preußen bietet, findet sich im nördlichen und nordwestlichen Deutschland nicht. Aehnliche Verhältnisse jedoch giebt Hamburg, wenn zwar allerdings der Bundestag und die Vortheile, welche daraus erwachsen, fehlen. Wie es scheint, würde dort die Centralstelle zu gründen sein. Die eigentliche Leitung an solcher Stelle würde mit Erfolg nur der dasige österreichische Gesandte übernehmen können. Es würde demselben dabei an der nöthigen Hülfe freilich nicht fehlen dürfen. Außer dem mit den nöthigsten Kenntnissen (namentlich auf dem Gebiete der National-Oeconomie und der Finanzwissenschaft) ausgerüsteten Gesandtschafts-Personals würden dazu gehören ausreichende literarische Kräfte, um dieselben in der Presse verwenden zu können. Diese wären thunlichst im Norden und nordwestlichen Deutschland selbst zu sammeln. Vielleicht wäre die Gründung eines neuen Zeitblattes erforderlich, vielleicht aber wäre in einem bestehenden Blatte der Raum zu gewinnen. Auf jeden Fall würde es weniger auf das eine Blatt, als darauf ankommen, zu möglichst vielen Blättern
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Zutritt zu gewinnen. Dies ist bald durch Mittheilung allgemein interessanter Nachrichten, bald durch Geldsubvention für das betreffende Blatt, bald durch Unterstützung geeigneter Literaten zu erreichen. In’s Detail gehende, die concreten Verhältnisse erfassenden Vorschläge lassen sich jedoch nur an Ort und Stelle und nach dem sorgfältigsten Studium aller einschlagenden Verhältnisse machen und können zweckmäßig nur von demjenigen ausgehen, der die Leitung der Sache zu übernehmen hat. So viel aber ist ohne Weiteres klar, daß nur mit einem großen Aufwand geistiger Kraft und materieller Mittel und auch dann nur allmälig und in zäher Ausdauer zum Ziele zu gelangen ist, zumal im nördlichen und nordwestlichen Deutschland viele derjenigen Verhältnisse fehlen, welche Preußen im Süden und Südwesten begünstigend zur Seite stehen. In wie fern die jetzt zur Erörterung stehenden Maßregeln zur Vertheidigung der Nord- und Ostseeküsten7 die Errichtung eines oder mehrerer Waffenplätze erforderlich machen, in welchen die zur Vertheidigung der Küsten erforderlichen Streitkräfte Sammlung und Stütze finden; ob für die großdeutschen Staaten ein Mitbesatzungsrecht in diesen Waffenplätzen zu bedingen und so ein Analogon von Mainz, Frankfurt und Rastatt herzustellen, ist eine militärische Frage, die außerhalb des Bereiches dieses Notats liegt. So viel aber ist gewiß, daß in neuerer Zeit kaum ein anderes Ereigniß die Autorität Oesterreichs im nördlichen Deutschland so sehr gekräftigt hat, als der Marsch des Legedits’schen Corps, so wenig populär das Ziel dieses Marsches auch sein mochte.8
7 In der Bundestagssitzung vom 17. Dezember 1859 stellten die Regierungen von Bayern, Sachsen, Württemberg, Großherzogtum Hessen, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Nassau, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz den Antrag, „die zur Befestigung der deutschen Nordsee- und Ostsee-Küsten nöthigen Maßregeln in Berathung [zu] nehmen“. Der Antrag wurde an den Militärausschuß des Bundestages verwiesen. Vgl. ProtDBV 1859, S. 889 f. 8 Der österreichische General Ignaz von Legeditsch (1790–1866) kommandierte im Jahr 1851/52 die Bundestruppen in den Elbherzogtümern und erfreute sich dabei großer Zustimmung von seiten der Bevölkerung; vgl. ADB, Bd. 18, S. 126.
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38. Denkschrift von Herzog Bernhard II. von SachsenMeiningen11 über die Bundesreform HStA Dresden, 10 717, Nr. 933, fol. 26–32. Reinschrift, von Herzog Bernhard am 17. Februar 1860 vertraulich zur „Prüfung“ an Beust gesandt, vgl. ebd. fol. 25.
Es besteht die dringende Notwendigkeit einer Bundesreform, vor allem auch im Hinblick auf die außenpolitische Situation. Alle deutschen Staaten, auch Österreich und Preußen, müssen in der auswärtigen Politik ihren Willen der Gesamtheit unterordnen. Die Bundesverfassung muß Garantien für die Einigkeit der beiden Großstaaten schaffen. Es ist die „nationale Pflicht“ der Mittel- und Kleinstaaten, zwischen Österreich und Preußen zu vermitteln Der Herzog schlägt vor eine Zentralgewalt (Exekutive) zu bilden, bestehend aus Österreich, Preußen und einer dritten, auf drei Jahre aus den vier Königreichen zu wählenden Stimme. Der Zentralgewalt sollen die „auswärtigen Kriegs- und Militärsachen“ übertragen werden, alle anderen Bundesangelegenheiten sollen wie bisher bei der Bundesversammlung verbleiben. Die Truppen der Mittel- und Kleinstaaten sollen eine einheitliche Organisation erhalten.
[Meiningen, 17. Februar 1860] Den Plänen zur Umgestaltung der Bundesverhältnisse, welche Deutschland von 1848–1852 erschütterten, ist eine Berechtigung insofern nicht abzusprechen, als aus den in der Bundesacte u.s.w. aufgestellten Grundzügen kein Zustand entwickelt war, der die Einigkeit Deutschlands im Innern und seine Macht dem Ausland gegenüber sicher stellte. Die in jener Zeit versuchten Neubildungen scheiterten, weil keine von ihnen geeignet schien, die divergierenden Interessen der Staaten auszugleichen oder das Ziel einer geeinigten Macht wirklich zu erreichen. Man kehrte dann im Wesentlichen zu dem Alten zurück. So ward allerdings die Grundlage wieder gesichert, von der allein ausgegangen werden darf, aber der damals vorbehaltene Ausbau ist bisher nicht erfolgt. Die erste größere Gefahr, welche Deutschland bedrohte, mußte daher die alten Schäden wieder bloslegen und eben dadurch auch die dringende Nothwendigkeit einer Reform von neuem beweisen. Indem dies gegenwärtig geschehen ist, und indem dadurch auf verschiedenen Seiten Reformgedanken ins Leben gerufen sind, ist ein Zustand der Unruhe und des Haders, ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit in Deutschland entstanden, welches unter den von aussen her drohenden Gefahren doppelt bedenklich erscheinen muß. Die Lage der europäischen Politik ist der Art, daß in jedem Augenblick auf unberechenbare Weise Ereignisse eintreten können, welche Deutschlands Interessen auf das empfindlichste berühren. Deutschland aber ist nicht in der 1 Bernhard II. Erich Freund, Herzog von Sachsen-Meiningen (1800–1882), regierte von 1821 bis 1866; ADB, Bd. 45, S. 409–424.
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Verfassung, solche Gefahren entweder durch eine imponierende Haltung im Keime zu ersticken, oder ihnen im Falle eines ausbrechenden Krieges mit sicherer Ruhe zu begegnen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß gegenwärtig weder der deutsche Bund noch die deutschen Großstaaten die Machtstellung einnehmen, welche ihnen gebührt und welche als wesentliche Bürgschaft für den Frieden Europas gewünscht werden muß. Oesterreich ist durch den eben beendeten Krieg geschwächt und nicht in der Lage, eine imponierende Stellung nach aussen zu behaupten. Preußen ist in Wirklichkeit nur dann eine Großmacht, wenn es seine Politik in aufrichtigem Anschließen an das übrige Deutschland bestimmt. Die der Machtstellung Deutschlands augenblicklich mehr wie je verderblichen Verhältnisse sollten so rasch als möglich eine Aenderung erleiden, damit der Bund gegen das Ausland Achtung gebietend auftreten könne und im Innern die Ruhe der Gemüther hergestellt werde. Jedwede Reform kann freilich nur unter der Voraussetzung fruchten, daß alle deutschen Staaten, also auch Oesterreich und Preußen, sich zu der Resignation bestimmen, ihren Willen im Betreff der auswärtigen Politik und alles damit Zusammenhängende den Bedürfnissen und dem Willen der Gesammtheit unterzuordnen. Ob dies nicht eher erreicht wird, wenn Oesterreich und Preußen dem Bunde mit ihren sämmtlichen Staaten beitreten, dürfte nach den Erfahrungen des letzten Jahres von Neuem ernstlich erwogen werden. Ferner aber muß das Ziel der Reform erreicht werden unter Festhalten an den bestehenden Grundlagen des Bundes; es kann erreicht werden durch scharfe sachgemäße Ausprägung des Gedankens, der bei der Schöpfung der Bundesinstitutionen leitend gewesen ist. Die Stärke und das Heil Deutschlands ruht in der Einigkeit seiner beiden Großstaaten. Die Bundesverfassung muß daher vor Allem nach Garantien für diese Einigkeit suchen. (cf. die Denkschrift Humboldts vom 24. Februar 1815).2 Aus dem Dualismus entsteht bei divergierenden Interessen eine feindliche Gegenüberstellung, wenn die beiden Mächte ohne Vermittelung nebeneinander hergehen; dies würde nicht minder auch dann der Fall sein, wenn eine Preußische Clientel in Deutschland und eine Oesterreichische, etwa auf der Mainlinie, als geschlossene Körperschaften auf einanderstießen. Eine Vermittelung zwischen den beiden Großstaaten ist politisch nothwendig; sie auszuüben ist der natürliche Beruf und eine nationale Pflicht der Mittel- und Kleinstaaten. Sie bedürfen aber dazu einer andern, als der bisherigen Organisation. Die schwierige und delicate Aufgabe einer solchen Vermittelung muß in beharrli2 Siehe QGDB I/1, Dok. 188, S. 1129–1135. Zur Datierung siehe ebd. S. 129, Anm. 1.
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cher Consequenz, in ungestörtem Verfolg der leitenden Gedanken, bei schweren Verwicklungen aber auch mit der moralischen Möglichkeit wie der politischen Machtbefugniß rascher und durchgreifender Entscheidungen ausgeübt werden; darum genügt für sie ein Institut, wie die Bundes-Versammlung, in keiner Weise. Auch eine einzelne Regierung ist trotz des besten Willens und der geschicktesten Persönlichkeiten gegenwärtig dennoch nicht in der Lage, in dieser Richtung Erhebliches zu wirken, denn mit der verfassungsmäßigen Pflicht fehlt ihr auch das Recht, bei den dissentirenden Großstaaten Gehör zu fordern, oder eine Meinung zu äußern, welche Anspruch darauf hätte, von den anderen Mittel- und Kleinstaaten getheilt zu werden. Diese Pflicht und dieses Recht muß geschaffen, diese Vollmacht muß verliehen werden. Man bilde zu dem Ende eine Executive, Centralgewalt, mit drei Stimmen, zusammengesetzt aus Oesterreich, Preußen und einer dritten Stimme, welche von sämmtlichen deutschen Fürsten ausser den Regenten Oesterreichs und Preußens aus den vier Königen auf drei Jahre gewählt wird. Die Bundesversammlung bleibt neben der Centralgewalt in der bisherigen Zusammensetzung bestehen. Das Mitglied der Centralgewalt, dessen dreijährige Periode zu Ende geht, darf erst beim Ablauf der nächsten dreijährigen Periode wieder gewählt werden. Nur wenn wegen eines drohenden oder schon ausgebrochenen Krieges die Mobilisirung der Bundesarmee befohlen oder eingetreten ist, steht die sofortige Wiedererwählung derselben Krone frei. Die Fürsten der ausserköniglichen Staaten verzichten aus praktischen Gründen auf das Recht, in der Centralgewalt zu sitzen. Für das darin gebrachte Opfer wird ihnen, ihrer Souverainetät entsprechend, bei der Wahl des dritten Mitgliedes der Executive das gleiche Stimmrecht mit den Königen und untereinander gewährt, so daß jeder Fürst in der Wahl eine Stimme führt. Dieser Centralgewalt übertrage man die auswärtigen Kriegs- und Militärsachen. Alle übrigen Bundesangelegenheiten verbleiben in bisheriger Weise der Bundesversammlung. Um der dritten Stimme der Executive den gehörigen Nachdruck zu schaffen, geben sämmtliche Mittel- und Kleinstaaten ihren Truppen im Anschluß an die auf der Würzburger Conferenz aufgestellten Grundsätze eine einheitliche Organisation, so daß die Armee der so verbundenen Staaten in ähnlicher Weise, wie die oesterreichische und preußische, ihren Halt in sich selbst findet. Ueber die Modalitäten der Verwendung der 3 Armeekörper im Kriege und die, dieser Verwendung entsprechende Gestaltung des Oberbefehls entscheidet die Centralgewalt. Durch eine Einrichtung, wie die vorgeschlagene, welche die bestehende Bundesverfassung nicht aufhebt, sondern sie nur in einzelnen Punkten entwik-
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kelt und modificirt, entsteht zuvörderst der Vortheil, daß zu jeder Zeit eine der deutschen Regierungen die Pflicht und das Recht hat, zwischen den Großstaaten vermittelnd zu wirken; mit der Generalvollmacht der in ihr vertretenen Staaten versehen, kann sie mit den Großmächten in einfacher und rascher Verhandlung die Linie der für Deutschland inne zu haltenden Politik bestimmen. Bei gefährlicher Sachlage, die intimste Verständigung erheischt, können die drei Monarchen sich jederzeit auf das Leichteste zu persönlicher Besprechung versammeln und sind dann in der Lage Beschlüsse zu fassen, die durch keine nachfolgenden Verhandlungen gefährdet oder abgeschwächt werden, und denen die That auf dem Fuße nachfolgen kann. Während selbstverständlich die bisherigen Gesandtschaftsverhältnisse der deutschen Staaten unverändert bleiben, wäre es doch wohl denkbar, daß in einzelnen concreten Fällen die in solcher Art von der Centralgewalt beschlossene deutsche Politik im Auslande durch die Person eines Bundesgesandten vertreten würde. Bei einer solchen Organisation würde Deutschland durch rückhaltloses offnes Entgegenkommen und Aneinanderschließen der sämmtlichen deutschen Staaten, dem Ausland gegenüber eine so gebietende einheitliche Machtstellung einnehmen, daß dies allein schon hinreichen könnte, auf die großen Fragen der Zeit mächtig einzuwirken und den Frieden zu sichern, während jetzt weder dem Bund noch den zersplitterten Stimmen der Großstaaten besondere Beachtung geschenkt wird.3
3 Beust zollte den Vorschlägen „vollste Anerkennung“ und empfahl, die Denkschrift an sämtliche deutschen Regierungen zu senden „und späterhin einen entsprechenden Antrag in der Bundesversammlung stellen zu lassen“; Beust an Herzog Bernhard von Sachsen-Meiningen, Dresden, 11. März 1860, HStA Dresden, 10 717, Nr. 933, fol. 35–38. – Am 20. März 1860 sandte Herzog Bernhard eine revidierte Fassung der Denkschrift an König Johann von Sachsen. Darin war der Vorschlag zur Bildung der dritten Stimme der Zentralgewalt in der Weise abgeändert, daß nicht mehr auf eine Prärogative der vier Königreiche Bezug genommen wurde. Statt dessen war nur noch die Rede davon, daß die Zentralgewalt zusammengesetzt sein sollte „aus Oesterreich, Preußen und einer dritten auf drei Jahre einzusetzenden Wahlstimme“. Auf diese Weise sollte es ermöglicht werden, daß der Vorschlag des Herzogs von Meiningen von einer der königlichen Regierungen eingebracht werden könnte. Herzog Bernhard bat den König von Sachsen, sich um die Zustimmung der auf der Würzburger Konferenz vertretenen Staaten zu dem Plan zu bemühen, so daß ein entsprechender Antrag auf die Schaffung einer Zentralgewalt „gemeinschaftlich beim Bund“ eingebracht werden könne. Herzog Bernhard von Meiningen am König Johann von Sachsen, Meiningen, 22. März 1860, mit Anlage: Revidierte Denkschrift zur Schaffung einer Zentralgewalt, HStA Dresden, 10 717, Nr. 933, fol. 39–41 u. fol. 43–46, Zitate fol. 44v und fol. 40r. – Kurz danach ergriff aber der Herzog von Meiningen selbst die Initiative und schickte eine abermals modifizierte Fassung seines Vorschlags am 10. April 1860 an die Monarchen in Wien und Berlin, siehe unten Dok. 42.
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39. Antrag des gemeinschaftlichen Landtags der Herzogtümer Coburg und Gotha betreffend die deutschen Verfassungsverhältnisse Verhandlungen des am 15. April 1857 einberufenen gemeinschaftlichen Landtags der Herzogtümer Coburg und Gotha 1860, Nr. 9, 22. Sitzung v. 20. Februar 1860, S. 171–173.
Das deutsche Volk ist sich der Unbrauchbarkeit seiner politischen Verfassung für die Erhaltung von Frieden und Sicherheit bewußt geworden. Die Bildung einer starken Zentralgewalt und einer Gesamtvertretung der deutschen Nation ist ein unabweisbares Erfordernis. Deutschland drohen große Gefahren von dem „kriegerischen Geiste“ Frankreichs und der „dämonischen Ausdehnungssucht“ Rußlands. Kritik am „Bundesabsolutismus“, der zur „Verkümmerung der Volksrechte“ geführt hat. Die künstlich erhaltene Ohnmacht Deutschlands verhindert die Wahrnehmung der deutschen Interessen. Die Abgeordneten wollen keinen „hoffnungslosen Antrag“ beim Deutschen Bund vorschlagen, sondern die herzogliche Regierung an ihre Pflicht erinnern, alles zu tun, um „die nationale Aufgabe ihrer Lösung näher zu bringen“.
Gotha, 20. Februar 1860 II. Commissionsbericht über den Antrag des Abg. Sterzing, die deutschen Verfassungsverhältnisse betreffend.1 (S. Protocoll der 22. Sitzung.) Der Abg. Henneberg2 als Berichtserstatter: Der Landtag eines, wenn auch kleinen, aber doch selbständig in dem Verbande der deutschen Staaten stehenden Landes hat sich der bedeutungsschweren Thatsache zu erinnern, wie tief und folgenreich solches bei der Herstellung eines gesunden Organismus des Ganzen betheiligt erscheint. Er soll sich vergegenwärtigen, wie auch der kleinste Bruchtheil des deutschen Volks rücksichtlich seines Wohles und Wehes von der allgemeinen Entwickelung abhängig bleibt und in seinem geistigen und wirthschaftlichen Fortschritte von der Einrichtung des Ganzen wesentlich beeinflußt wird. Es muß ihm die Schwere der Verantwortlichkeit vor Augen stehen, welche er übernähme, wollte er den Blick abwenden von dem größeren Vaterlande und zur Einschläferung eines erst wieder erwachten lebendigen Bewußtseins von der Größe und Dringlichkeit der Lösung der nationalen Aufgabe beitragen. 1 Auf Antrag des Abgeordneten Sterzing war eine Kommission beauftragt worden, einen Antrag im Hinblick auf die deutschen Verfassungsangelegenheiten zu entwerfen. Gotthilf Albert Sterzing (1822–1889) war Kreisgerichtsrat und Staatsanwalt in Gotha und gehörte von 1850 bis 1861 dem gothaischen Landtag an. Sterzing war auch Begründer und langjähriger Präsident des Deutschen Schützenbundes; ADB, Bd. 54, S. 504 f. 2 Friedrich Wilhelm Henneberg (1815–1880), Rechtsanwalt, Mitglied des Landtags seit 1848, 1869/70 Mitglied des Reichstags des Norddeutschen Bundes; Haunfelder/Pollmann (Bearb.), Reichstag des Norddeutschen Bundes, S. 352.
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Jeder Ruf in das größere Vaterland hinein weckt in den Herzen des deutschen Volks ein millionenfaches Echo; er belebt die Hoffnung und stärkt den Muth der Bevölkerungen in den Ländern, in welchen durch Beschädigung der theuersten Landesrechte das ganze Volksleben im innersten Marke bedenklich krankt. Ganz Europa erzittert gleichsam in dem Gedanken an die Unhaltbarkeit der jetzigen staatlichen Zustände, entweder wie der neue Napoleonismus in der Begier nach Herstellung eines andere Culturvölker mit umfassenden Herrschaftssystems, oder wie das Russenthum in der lauernden Freihaltung der Wege für eine dereinstige Aufrichtung der Weltherrschaft, oder wie die übrigen in dem Streben theils nach Erhaltung schon gewonnener Macht, theils nach Rettung und Fortentwickelung selbständigen eignen Lebens. Inmitten bedeutsamer Ereignisse der letzten Vergangenheit ist sich das deutsche Volk, wie schon früher, so nun in verstärktem Maße seiner hohen Aufgabe nach Herstellung eines starken, auf dem Bedürfniß des gesicherten Friedens und der Arbeit ruhenden Reiches, seiner Fähigkeit dazu und vor Allem der Unbrauchbarkeit seiner politischen Verfassung für diesen Zweck in energischer Weise bewußt geworden. Wenn der Zusammenstoß der Interessen, welche den italienischen Krieg hervorgerufen und die betheiligten Mächte Europa’s nur in einen scheinbaren Friedenszustand geführt haben, für die deutschen Mächte auch kein bestimmtes Ergebniß geliefert hat, so hat er doch für das deutsche Volk das große Ergebniß geliefert, daß dasselbe zu der einmüthigen klaren Erkenntniß gelangt ist, wie für die Erhaltung und Sicherung der theuersten Güter der Nation die Zusammenfassung der in dem deutschen Bunde machtlosen und uneinigen deutschen Staaten unter einer bleibenden und starken Centralgewalt im ureignen, das eigne Leben der Stämme nicht vernichtenden, sondern vielmehr belebenden und erhöhenden deutschen Geiste ein ebenso unabweisbares Erforderniß ist, als eine würdige Gesammtvertretung der deutschen Nation, durch welche ein wesentlicher Antheil bei der wirksamen Wahrung der Sicherheit und Unabhängigkeit der deutschen Staaten, wie der Förderung des Wohlstands der gesammten deutschen Bevölkerung zur Geltung kommt, ein Antheil, der nach den Forderungen der Neuzeit ebenso berechtigt, als in deutscher Cultur und Sitte überhaupt begründet ist. Ueber die Machtlosigkeit Deutschlands in seiner jetzigen politischen Verfassung sind dem deutschen Volke während der italienischen Crisis und nach deren kriegerischer Beendigung, wie nie zuvor, mit einem Male die Augen aufgegangen, und es verschließt der Erkenntniß dieser Thatsache jetzt die Augen so wenig, daß es von Tag zu Tag zugleich an Entschlossenheit zu wachsen scheint, seine höchste Aufgabe auch gegenüber den unermeßlichen Schwierigkeiten seiner Lage nicht mehr fallen zu lassen.
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Jene Crisis hat uns belehrt, wie groß die Gefahren sind, welche der Sicherheit Deutschlands zunächst von der Ehrfurcht und dem kriegerischen Geiste des westlichen und im weiteren Verlaufe von der dämonischen Ausdehnungssucht des colossalen östlichen Nachbarreiches drohen; hat uns das Unberechtigte eines Zustandes zu Gemüthe geführt, vermöge dessen an der Spitze der deutschen Angelegenheiten noch ein niederhaltendes System des von der Zeit verurtheilten Absolutismus herrscht, während in den Einzelstaaten eine Selbstregierung des Volks sich zu entwickeln begonnen3 hat, welche nicht eher wird gesund werden und ihren befruchtenden Geist entfalten können, bis es diesem Geiste gelungen ist, die Schranken des Bundesabsolutismus zu beseitigen, jenes Bundesabsolutismus, welcher es in der Wahrung der theuersten Interessen des deutschen Rechtes nicht weiter als zu schwächlichen Versuchen nach Schutz für die arg beschädigten Landesrechte in Schleswig-Holstein4, zu einer schuldhaften Mithülfe bei den schweren Rechtskränkungen in Kurhessen5 und zu einem lässigen Zusehen bei vielfachen Verkümmerungen der Volksrechte in einigen andern Ländern gebracht hat. Mit Trauer erblickt sich das deutsche Volk der Thatsache gegenüber, daß der Rechtsbruch in Kurhessen deshalb seine Sühne nicht erhält, weil das deutsche Volk auch da nicht Recht behalten darf, wo es sich offenbar im Rechte befindet, und daß die Achtung des deutschen Gemeinwesens beim Auslande immer wieder auf ein Minimum herabgedrückt werden muß, wenn man sich in der Schleswig-Holsteinschen Sache zwar zu der Anerkennung gezwungen sieht, daß das verhältnißmäßig kleine Dänemark seine Verpflichtungen gegen Deutschland nicht erfüllt hat, die Diplomatie aber dennoch zu der seltsamen Schlußfolgerung gelangt, daß mit der wirksamen Verfolgung deutschen Rechtes Anstand zu nehmen sei. Jene Crisis6 hat die Entfaltung großer militärischer Mittel hervorgerufen, welche ausgänglich zu einer Achtung gebietenden wahren Kraftentwickelung nicht geführt, wohl aber unermeßliche Werthe vernichtet, die productiven Kräfte der Nation unaufhörlich zerstört oder brach gelegt, den Wohlstand in Staaten, Familien und Gemeinden untergraben oder gefesselt und bei dem Hinblick auf die Unbeständigkeit der Zustände das Vertrauen in sicheren Genuß des Segens geistiger und materieller Arbeit immer wieder auf’s Tiefste erschüttert hat. Jene Crisis hat dargelegt, wie lähmend das System der in ihren Grundfugen erbebenden, durch das Concordatwesen gefesselten österreichischen Kaiser3 4 5 6
Emendiert. Vorlage: bogonnen. Siehe oben Dok. 12, Anm. 5. Siehe unten Dok. 44, Anm. 5. Gemeint ist der Krieg in Italien.
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staaten ist, so lange es den Anspruch aufrecht erhält, die einheitliche und freiheitliche Entwickelung in Deutschland nach dem Maßstabe des Bedürfnisses ihrer Zustände zu bestimmen, hat dargelegt, wie wenig in der künstlich erhaltenen Ohnmacht Deutschlands dessen freie Kraft zur Stütze der deutschen Interessen, welche in Oesterreich vertreten sind und ihm ein heiliges Anrecht auf unsere brüderliche Genossenschaft verleihen, Hülfe bringend und kräftig verwendet werden kann. Jene Crisis hat es offenbar gemacht, wie Preußen seine Bedeutung als Großmacht, seine Weltstellung in Kraft des Bedürfnisses der Selbsterhaltung nur gewinnen kann, wenn es die Bevölkerungen der übrigen deutschen Staaten sich innigst und organisch zuzugesellen weiß zu einem Ganzen, indem es keinen andern Beruf mehr kennt, kein anderes Leben mehr führt, als das eines Deutschlands zur Abwehr nach Außen, zur kräftigsten freiheitlichen Entwikkelung nach Innen. Jene Crisis hat der Welt offenbar gemacht, wie die übrigen deutschen Regierungen, mit wenigen Ausnahmen, nicht nur nicht gemeint sind, den für die Einheit und Freiheit Deutschlands unerläßlichen Einrichtungen ihre freiwillige Zustimmung zu geben, sondern auch bedacht, das Interesse ihrer Sonderunabhängigkeit und Sonderfreiheit gegen die Freiheit und Unabhängigkeit Deutschlands auf Kosten der Wohlfahrt des Ganzen durchzusetzen und aufrecht zu erhalten. Noch sind unsere Blicke und Hoffnungen unverkümmert darauf gerichtet, daß die Macht der Dinge den größten rein deutschen Staat, Preußen, das in der jüngsten Zeit einen ersten schüchternen Anfang gemacht hat, gesündere Grundlagen für sein Staatsleben zu gewinnen und die vorherigen tiefgeschlagenen Wunden auszuheilen, mit der gesunden sittlichen, geistigen und materiellen Kraft seiner Bevölkerung diesen seinen Beruf willenskräftig erkennen, daß das übrige Deutschland sich zu rechter Zeit belehren lassen wird, wie unberechtigt und gefahrdrohend zugleich für ein ehrenvolles Dasein der Nation die Pflege jedes Sonderinteresses ist, welches seine Rechnung nur auf ein Fristen von einem Tage zum andern stellt. Wir hier in unserem Lande haben seit lange her eine gerechte Ursache, uns in der glücklichen Stellung wohl zu fühlen, vermöge welcher das kleine Herzogthum Coburg-Gotha unter der Führung seines in der nationalen Sache stets treu und tapfer erfundenen Landesherrn mit dem Gewichte der Stimme, welches im deutschen Volke bei aller Beschränktheit des Staatsgebiets die Vertretung der geheiligten Grundsätze humanen und nationalen Fortschrittes wie der Gerechtigkeit verleiht, stets mit im Vordertreffen gestanden hat. Wir nehmen keinen Anstand, diesem Gefühle in der unerschütterlichen Zuversicht einen freudigen Ausdruck zu geben, daß die Hzgl. Staatsregierung diesen Ehrenposten ohne Wanken behaupten und daß sie keine Rücksicht ei-
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nes zu erreichenden Sondervortheils je bestimmen werde, nicht unter dem Zeichen zu stehen, unter welchem allein dem besseren Geiste im Vaterlande der endliche Sieg zu Theil werden wird. Es ist, meinen wir, nicht unsere Aufgabe, der Hzgl. Staatsregierung gegenüber auf eine Würdigung der Mittel einzugehen, mit welchen die colossalen Schwierigkeiten der Lage zu vermindern oder zu heben seien, am wenigsten einen hoffnungslosen Antrag beim deutschen Bunde vorzuschlagen, der nichts weniger in sich schließen dürfte, als die Zumuthung einer Selbstvernichtung; wohl aber liegt es nahe, der Hzgl. Staatsregierung auf’s Neue die heilige Pflicht vorzuführen, welche sie mit dem deutschen Volke theilt, alle ihr zu Gebote stehenden Mittel zu erwägen und in Bewegung zu setzen, welche direct oder indirect dazu beitragen können, die nationale Aufgabe ihrer Lösung näher zu bringen. Wenn wir in Deutschland aus seiner neuesten Entwickelung noch immer in vielen Stücken ein erfreuliches, unsern Muth stärkendes Gedeihen hervortreten, wenn wir immer neue Blüthen auf geistigem und materiellem Gebiete in Fülle hervorsprossen, wenn wir das Nationalgefühl in erhebender Weise sich mehr und mehr kräftigen sehen, so ist dies ein Beweis von der unverwüstlichen Dauer und Kraft der sich im tiefsten Innern neugestaltenden Nation und ein Beweis, wie groß und herrlich das Gedeihen emporwachsen kann, wenn die Versäumnisse auf politischem Gebiete ihre Endschaft erreichen, welche das deutsche Leben tief unter das Maß seiner Entwickelungsfähigkeit herabgedrückt und auf diesem Standpunkte erhalten haben, ein Beweis, welcher hohe Preis in Aussicht steht und wie schwer die Verantwortlichkeit der Vernachlässigung einer heiligen Sache ist, welcher wir den ganzen Ernst eines geläuterten und gekräftigten Willens zu widmen haben, wie sehr wir Ursache haben, nicht dann erst mit dem Sinnen und Trachten für das vaterländische Werk den Anfang zu machen, wenn die Rosse fremder Heerschaaren den Segen der heimischen Felder zertreten und aufgezehrt und die Saaten der Zwietracht zur Ernte der Entsittlichung und Noth einer schweren Zeit gereift haben. Ihre Commission bringt deshalb in Vorschlag, „der gemeinschaftliche Landtag der Herzogthümer Coburg und Gotha möge beschließen, folgende Erklärung an die Hzgl. Staatsregierung gelangen zu lassen: Noch dauern die schweren Kränkungen fort, welche der Rechtszustand in einigen deutschen Staaten zu erleiden hat. Die politische Verfassung Deutschlands ist offenbar unbrauchbar für die Gewährleistung der Sicherheit und Unabhängigkeit der deutschen Staaten und hinderlich der freien Entwickelung des Wohlstandes ihrer Bevölkerungen. Durchdrungen von dem Gewicht dieser Thatsachen, legen wir Eurer Hoheit Staatsregierung auf’s Neue an’s Herz das erste und theuerste Anliegen der gesammten deut-
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schen Nation nach Herstellung einer wirksamen Centralgewalt in Verbindung mit einer von derselben unzertrennlichen genügenden Vertretung des deutschen Volks. Wir hegen, gestützt auf Eurer Hoheit bewährten Rechtssinn, die vertrauensvolle Erwartung, daß Eurer Hoheit Staatsregierung ausharren werde in der Vertheidigung des Rechts in der Kurhessischen und Schleswig-Holsteinischen Frage und daß es ihr gelingen werde, auf die baldige würdige Umgestaltung der politischen Verfassung Deutschlands einen heilsamen Einfluß zu gewinnen.“ Der Herr Staatsminister7: Die Staatsregierung theile auf das Vollständigste den von der Commission in dem vorliegenden Antrag kundgegebenen Wunsch nach einer bessern Gestaltung der deutschen Bundesverhältnisse; sie kenne aber auch die Schwierigkeiten, welche der Erreichung dieses Ziels nach verschiedenen Richtungen hin entgegenstehen, und würde es nicht für gerechtfertigt halten, durch ihre Erklärung den Landtag zu der Erwartung zu berechtigen, daß sie sich schon bald in der Lage befinden werde, seiner Kundgebung in Beziehung auf die allgemeinen deutschen Verfassungsverhältnisse eine unmittelbare practische Folge zu geben. Was dagegen im Besondern die Kurhessische und Schleswig-Holsteinische Angelegenheit anlange, so beruhe das bisherige Verhalten der Staatsregierung auf der von ihr gewonnenen und in ihr festbegründeten rechtlichen Ueberzeugung; die geehrte Versammlung werde sich daher auch nicht in der Erwartung getäuscht finden, daß die Staatsregierung ihren bisher eingehaltenen Standpunkt auch bei den künftigen Abstimmungen unverändert festhalten werde. Die Versammlung genehmigte den Commissionsantrag einstimmig.
7 Camillo Freiherr von Seebach (1808–1894), 1849–1888 Staatsminister von Sachsen-Coburg und Gotha; ADB, Bd. 54, S. 295–297.
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Plan einer „Bundeszeitung“
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40. Plan einer „Bundeszeitung“ HStA München, MA 1238. Beilage zum Schreiben von Hofrat Fischer-Goullet an Schrenk, Frankfurt am Main, 2. März 1860. Abschrift.
Fischer-Goullet ist bereit, seine Wochenschrift „Deutsche Blätter“ ab 1. April 1860 in eine täglich erscheinende „Bundeszeitung“ umzuwandeln, die für die Erhaltung der Bundesverfassung und deren organische Reform eintritt, sich gegen eine Schwächung Österreichs und die Beschränkung Preußens auf den ihm gebührenden Einfluß ausspricht. Als Herausgeber verlangt Fischer-Goullet für die Gründung der Zeitung eine Summe von 16 000 Gulden in bar. Die Finanzierung soll zusätzlich gesichert werden durch ein „Allgemeines Anzeigenblatt der deutschen Bundesstaaten“, in dem die Regierungen alle amtlichen Bekanntmachungen abdrucken lassen.
[Frankfurt am Main, 2. März 1860] Plan einer „Bundeszeitung“. Hoher Aufforderung entsprechend erlaube ich mir die Überreichung folgender Propositionen: I. Ich verpflichte mich womöglich bis zum 1sten April d. J. die von mir herausgegebene Wochenschrift „Deutsche Blätter“ etwa unter dem Titel Bundeszeitung als Tagblatt erscheinen zu lassen. II. Das darin vertretene Princip bleibt: Erhaltung der deutschen Bundesverfassung, kräftige Fortentwicklung durch Erweiterung ihrer Stellung und geeignete organische Reform. Kein Ausscheiden, keine Machtschwächung Oesterreichs, keine formelle Hegemonie Preussens, vielmehr Beschränkung auf den ihm gebührenden Einfluß. Möglichstes Zusammenhalten der Staaten des übrigen Deutschlands zu gemeinsamer Action in Frieden und Krieg. III. Das neu zu gründende Organ erscheint 6mal in der Woche und zwar wenigstens in 11/4 Foliobogen (d.h. 5 Folioseiten). Einmal wöchentlich wird ihm ein Beiblatt beigegeben, das auf einem Quartbogen1 unterhaltende und belehrende Stoffe, namentlich kritische Übersichten aus der Literatur und Kunst liefert. Der Leserkreis, auf den das neue Organ berechnet ist, sind die gebildeten Kreise Deutschlands. IV. Das Blatt wird enthalten: 1. Kurze Übersichten der wichtigsten Tages-Ereignisse. 2. Leitartikel mit und ohne Polemik. 3. Die wichtigsten Vorgänge en detail. 1 Das Folioformat entsprach 21 mal 33 Zentimeter, das Quartformat 22,5 mal 28,5 Zentimeter. Vgl. Trapp, Kleines Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung, S. 270.
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4. Volkswirthschaftlicher Theil. 5. Anzeigen. Ein Viertelbogen erscheint jeden Abend, die neuesten Börsenkurse, Telegramme und Posten2 enthaltend. V. Der Preis des Journals wird auf 3/4 der anderen hiesigen Zeitungen bestellt, also 8–9 fl.3 nicht überschreiten. VI. In Erwägung, daß ein Journal um so schwieriger4 Eingang findet, je gewissenhafter, würdiger und anständiger es in Form und Inhalt ausgestattet ist, bedinge ich mir die geneigtest angebotene Beihülfe der hohen Regierungen in der Art: 1. Dieselben haben das Recht, Beiträge, die der oben angeführten Tendenz des Journals entsprechen, in die Zeitung einrücken zu lassen, auch ihre Wünsche oder Ausstellungen dem Herausgeber mitzutheilen, welche derselbe sorgfältig zu beachten sich zur Pflicht macht, ohne im Übrigen in der Leitung des Journals dem sub II. bezeichneten Zweck gemäß beschränkt zu seyn. 2. Dieselben verwilligen dem Herausgeber einen Beitrag zu den Gründungskosten und zwar a) indem sie demselben eine Baarsumme von 16 000 fl. ein für allemal gewähren, b) sich für das Annoncenblatt „Allgemeines Anzeigenblatt der deutschen Bundesstaaten“ nach anliegendem Plane5 bei den Behörden ihrer Länder verwenden und c) die Garantie übernehmen, daß der Ertrag der amtlichen Anzeigen im ersten Jahre die Summe von 8000 fl. ausmacht – das Fehlende aber nach abzulegender Rechnung zuschießen. Die Beitragsquote jeder der hohen Regierungen wäre mir zu bezeichnen. 3. Ich verpflichte mich je nach der Zunahme des Ertrags des Anzeigenblatts die Zeitung in Form und Inhalt immer reichhaltiger auszustatten. Dagegen steht es mir frei, nach Ablauf eines Jahres das Journal wieder eingehen zu lassen, falls der Ertrag die Kosten nicht deckt. In diesem Falle sind jedoch die hohen Regierungen befugt, das Journal auf eigene Rechnung fortzuführen. 2 Aktuelle Meldungen von Nachrichtenagenturen und dergleichen. 3 Fischer-Goullet verwendet eindeutig das Währungszeichen für Gulden, der angegebene Preis bezieht sich von daher offenbar auf ein Abonnement für ein Jahr. 4 So in der Vorlage, obwohl dadurch der Sinn ins Gegenteil verkehrt wird, möglicherweise ein Versehen des Verfassers, wo es eigentlich heißen müßte: leichter. 5 Nach diesem Plan sollte unter der Leitung Fischer-Goullets ein bundesweites Anzeigenblatt herausgegeben werden, in dem künftig alle amtlichen Bekanntmachungen der Landesbehörden der deutschen Einzelstaaten veröffentlicht werden sollten. Vgl. HStA München, MA 1238, Beilage zum Schreiben von Fischer-Goullet an Schrenk, 2. März 1860.
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Artikel in der Londoner „Times“ zur Situation des Deutschen Bundes
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4. Als Eigenthümer des Blatts bin ich berechtigt, solches ganz oder theilweise an Andere abzutreten, wie sich solches überhaupt auf meine Erben überträgt. Entspricht jedoch die neue Redaction den Wünschen der hohen Regierungen nicht, so sind solche berechtigt, die dem Anzeigenblatt bisher zugewandten Annoncen zu verweigern und anderen Journalen zukommen zu lassen.6
41. Artikel in der Londoner „Times“11 zur Situation des Deutschen Bundes The Times, 2. April 1860.
Deutschland steckt in einer tiefen Krise, die an das Jahr 1806 erinnert. Die Bevölkerung hat das Vertrauen in ihre Souveräne und in den Bund verloren. Nationen können nicht mehr durch einen Bund von Monarchen gerettet werden, die Könige müssen das Volk auf ihrer Seite haben. Die Seele des Bundes ist immer noch das politisch, moralisch und materiell bankrotte Österreich. Preußen ist in Deutschland isoliert und hat die Wahl, entweder durch Waffengewalt oder durch ein Bündnis mit Frankreich seine Ziele zu verfolgen. Die deutsche Bevölkerung wartet nur auf eine Gelegenheit, sich von der verhaßten Herrschaft ihrer Monarchen zu befreien. Deutschland braucht angesichts der drohenden Gefahren die Einigkeit seiner Fürsten und die Loyalität seiner Bevölkerung.
London, 2. April 1860 Very careless or very stupid must that statesman be who can look without alarm on the present state and future prospects of the Germanic Confederation. The crisis at which Germany has arrived reminds us only too forcibly, as regards her foreign relations, of the state of things in the early part of that most gloomy year of her history, 1806. At that period, as now, France was strong, warlike, and aggressive, led on by a chief of surpassing ability, and 6 Der bayerische Innenminister Max von Neumayr (1808–1881), dem der Plan von Schrenk vorgelegt wurde, schrieb am 21. März 1860, es sei gegenwärtig nicht der richtige Zeitpunkt zur Ausführung des Projekts; auch sei das Innenministerium nicht in der Lage, die beträchtlichen Kosten zu übernehmen; Neumayr an Schrenk, München, 21. März 1860, HStA München, MA 1238. – Der Plan der „Bundeszeitung“ wurde niemals verwirklicht. 1 Die „Times“ wurde 1785 unter dem Namen „Daily Universal Register“ gegründet und war Mitte des 19. Jahrhunderts eine der wichtigsten europäischen Tageszeitungen. – Zur britischen Sicht auf die deutschen Verhältnisse siehe nun auch die Edition britischer Gesandtenberichte: British Envoys to Germany, 1816–1866, Vol. 4: 1851–1866, mit zahlreichen Dokumenten zur Entwicklung des Deutschen Bundes; vgl. ebd. die Einleitung S. 1–24.
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entirely emancipated from those traditions which fettered, if they could not always restrain, the ancient monarchies of Europe. Austria, then as now, was staggering and almost stupefied under the effects of a mighty blow, for Austerlitz has found no unworthy counterpart in Solferino.2 Italy was then overshadowed by French influence, and the smaller Powers of Germany, buried each profoundly in its own individual selfishness and shortsightedness, were considering, alike unmindful of the general interest, what could be snatched from the common ruin to increase their splendour and their influence. Prussia alone stood erect, confiding in the army and in the reputation of her great KING – Prussia, which had stood aloof during the dreadful struggle between France and Austria, which had congratulated NAPOLEON on the morrow of Austerlitz, and which hoped, while securing the immunities of peace, to obtain for herself all the advantages which could be gained by successful war. A little time served to dispel these delusions. Austria sued humbly for peace, and obtained it. The smaller States of Germany were formed into new combinations or aggregated into kingdoms unheard of in history, and Prussia on the fields of Jena and Auerstadt fell prostrate before the impetuous valour of the legions of France. Such was the state of Germany 54 years ago. In those days the people went for little or nothing, but the Confederation fell because the Sovereigns were utterly unable to trust each other. Each was anxious for a general scramble, in order to gain, if possible, a little more territory, and each only awoke to find his dream of individual aggrandizement lost in the reality of universal slavery. If anyone wishes to see what are the passions and feelings which actuate modern Germany, let him turn back to that announcement in our columns which tells him the decision of the Bund on the future Constitution of the Electorate of Hesse Cassel. The Bund resolves, Prussia dissenting, to reject the Constitution of 1831, and to affirm the Constitution of 1852, the odious work of HASSENPFLUG, or Hessenfluch, „the Curse of Hesse,“ as the people delighted to call him.3 At the present moment such a decision is peculiarly significant. The deepest discontent prevails throughout Germany. The people have lost confindence in their individual Sovereigns, and still more have they 2 Bezug auf die Schlacht von Solferino am 24. Juni 1859, die den Krieg in Italien zugunsten des Königreichs Sardinien entschied. 3 Hans Daniel Ludwig Friedrich Hassenpflug (1794–1862) war bereits im Vormärz von 1830 bis 1837 Mitglied des kurhessischen Ministeriums gewesen. Von 1850 bis 1855 amtierte er erneut als Innen- und Justizminister. Er betrieb eine scharfe Reaktionspolitik und ersetzte im Jahr 1852 die liberale kurhessische Verfassung von 1831 durch eine neue Verfassung, die Anlaß zu jahrelangen Konflikten mit der liberalen Opposition in Kurhessen und zu langwierigen Auseinandersetzungen auf Bundesebene gab; NDB, Bd. 8, S. 45 f.; ADB, Bd. 11, S. 1–9; Ham, Ludwig Hassenpflug; Grothe, Hassenpflug und die Revolution.
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lost confidence in the combination of them by which Germany is governed. A powerful and warlike nation is concentrated in arms on their frontier, and now, if ever, it is necessary to rouse once more to the aid of German nationality that national enthusiasm which her Princes knew so well how to call forth and how to deceive in 1813. The days are gone by when nations can be saved by a league of Sovereigns. Kings must take their people with them if they expect that their deliberations will amount to anything more than impotent manifestations. It is not by riveting fetters on one of the members of the Confederation that the German Bund proves its aptitude for dealing with the emergencies of the present time. Beaten, disheartened, disjointed, politically, morally, and materially bankrupt, Austria – the living death of what was once a flourishing Empire – is still the life and soul of the great Germanic Confederation. Her spirit animates the whole mass, her blood circulates through every vein, her voice rules their councils, her intellect presides over their deliberations. The same inert regard for tradition, the same helpless inability to adopt new ideas, which rendered the defeat in Italy even more disgraceful than calamitous, give the tone to and dictate the measures of the Germanic Confederation. Austria forms the nucleus round which the petty States of Germany love to cluster; Austria forms the head which their wise and magnanimous Sovereigns love to follow. Prussia, indeed, as in 1806, stands still erect, an exception to the rest of the Germanic Confederation. For Prussia has still a prosperous exchequer, and still a surplus revenue, and a Government which, if not exactly liberal, has liberal tendencies. But Prussia is more than counterbalanced in the deliberations of the Bund by Austria, and, isolated as she is from the rest of Germany, she may perhaps find that she has little choice between repeating the campaign of 1806, with a strong probability of the same calamitous result, or listening to the propositions which there is too much reason to suppose that France is ready to make her, with the view of obtaining by the pen which she is otherwise tempted to conquer by the sword. What if France be disposed to offer to Prussia, in exchange for her Rhenish Provinces, Saxony, Hanover, Brunswick, and Mecklenburg, – territories which could offer little or no resistance to such an amalgamation? Might not Prussia think it better to surrender for an equivalent so fully adequate that which she will hardly retain after the most desperate and costly efforts? The THIRD NAPOLEON has found a better means of executing his will than the FIRST. He views long campaigns and bloody battles as the resort of bunglers in the art of kingcraft. He has the choice among the Sovereigns of Europe, all competing with each other for the honour of being his instrument in the development of any policy he may choose to adopt, or the appropriation of any territory he may choose to seize. If we turn to the people of Germany, we find that their Sovereigns have little or no reason to count on their loyalty. The people have not forgotten the prom-
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ises which were made and broken to their fathers in 1813, and made and broken to themselves in 1848, and they do but await a fitting opportunity to rid themselves of an odious domination. The Tyrolese and the Croats are wearied of their allegiance to a Power which can neither appreciate their services nor reward their devotion; while Hungary, Bohemia, the Southern Tyrol, and Venetia threaten Austria with all the horrors which the rebellion of a justly provoked people can bring with it. Let Germany, then, look to herself; empires and provinces are won in these days by other means than by those of brute force. We have seen what can be effected by universal suffrage, by municipal demonstrations, or even, when these means fail, by nameless, unappointed, and unrecognized deputations. Prussia may be offered a tempting equivalent, and the Rhine, after all, – is it not a national boundary? See what sacrifices Piedmont has made in surrendering Savoy, and ask whether every considerable German Sovereign may not receive an equivalent as ample as that against which she has been content to truck the loyalty and devotion of 800 years. It never was yet known that one success blunted the appetite of the gamester for another, and when we see what has been done we may partly conclude what it is we are next to expect. Under these circumstances, we should be glad to hear what are the intentions of Germany. Is she determined to wait till the last moment? Is she to go on confiscating the liberties and trampling on the rights of mankind till the very stones of their cities rise up to protest against her cruel and callous injustice? Now, if ever, Germany needs that her Princes should be united among themselves, and her people should be confirmed in their loyalty. Unhappy is that nation to which danger cannot teach union, and infatuated are those Princes to whom a bitter experience, just about to repeat itself, cannot teach the most ordinary precepts of equity and moderation.
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42. Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen an den Prinzregenten von Preußen GStA Berlin, III. HA, Nr. 148, fol. 20–25. Schreiben. Behändigte Ausfertigung. Mit Anlage: Mémoire zur Bildung einer Bundeszentralgewalt. Praes.: 12. April 1860. Ein gleichlautendes Schreiben erging am gleichen Tage an den Kaiser von Österreich. Druck des Schreibens (ohne Mémoire): Srbik (Hrsg.), Quellen zur deutschen Politik Österreichs, Bd. 1, S. 178 f. Am 13. und 14. Juni 1860 sandte der Herzog das Memoire an weitere deutsche Regierungen (Baden, Hamburg, Bremen, Bayern, Württemberg; GLA Karlsruhe 48/1523; StA Hamburg, 111–1 Senat, Cl. I. Lit. Sa, Vol. 23; HStA München, Abt. III, Geheimes Hausarchiv, Kabinettsakten König Maximilians II., Nr. 27a; HStA Stuttgart, E 9, Büschel 31).
Der Herzog übersendet ein Memoire mit Vorschlägen zur Bildung einer Bundeszentralgewalt. Es ist nötig, daß die deutschen Staaten einträchtig den drohenden Gefahren, die über Deutschland heraufziehen, begegnen. Es wäre nützlich, wenn im Deutschen Bund ein „fürstlich persönliches Element“ zur Geltung käme. Die Zentralgewalt kann entweder aus drei Stimmen bestehen und durch einen beratenden Fürstenrat ergänzt werden, oder sie kann aus 17 Stimmen analog dem bisherigen engeren Rat gebildet werden. Der Zentralgewalt soll die Beschlußfassung über Krieg und Frieden sowie die Disposition über die Bundesarmee im Kriegsfall übertragen werden.
Meiningen zur Elisabethenburg, 10. April 1860 Durchlauchtigster Prinz-Regent, Hochgeehrtester Herr Vetter! Angesichts der Gefahren, welche immer drohender über Deutschland heraufziehen, kann man sich der schmerzlichen Erkenntniß nicht verschließen, daß eine hereinbrechende Katastrophe den deutschen Bund nicht in der Lage findet, das ihm gebührende Gewicht in die Wagschale zu legen und darauf gestützt der Entwickelung mit sicherer Ruhe entgegen zusehen. Um unberechenbaren Leiden vorzubeugen, thut es dringend Noth, daß alle deutschen Staaten in brüderlicher Eintracht der Gefahr begegnen. Schon das sichtbare Hervortreten eines engeren Aneinanderschließens der mächtigsten deutschen Staaten im Vereine mit den übrigen würde nicht ohne Wirkung nach außen bleiben. Solche Erwägungen haben das anliegende Memoire geboren, welches ich hiermit der wohlwollenden Betrachtung Ew. Königlichen Hoheit vorzulegen mir gestatte, indem ich es gleichzeitig Seiner Kaiserlich Königlichen Majestät dem Kaiser von Oesterreich übersende. Die allgemeine Stimme in Deutschland verlangt nach einer größeren Machtentfaltung dem Auslande gegenüber, sie begehrt zu diesem Zweck vor Allem einen Organismus, der es erleichtert, Entschlüsse rasch zu fassen und auszuführen. Ueber die Frage jedoch, wie dies Ziel am vollständigsten erreicht werde, sind die Meinungen getheilt und es unterbleibt der Fortschritt zum Besseren über die Frage nach dem Besten. Der Augenblick aber der Gefahr des Vaterlandes gebietet das practisch Mögliche zur Ausführung zu bringen.
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Indem ich in den Vorschlägen des Memoires dasjenige bezeichnet habe, was mir als im Augenblick erreichbar erscheint, verkenne ich dabei nicht, daß auch andere Lösungen als möglich erscheinen und vielleicht zweckmäßiger befunden werden können. Erreicht würde damit jedenfalls, daß in den großen politischen Fragen ein fürstlich persönliches Element zur Geltung käme, dessen der Organismus des Bundes bisher zu seinem Schaden zu sehr entbehrt. Auch mit Rücksicht auf die in hohem Grade aufgeregten Verhältnisse in Deutschland selbst wäre es gar wünschenswerth, daß die Fürsten in patriotischem Sinne, und etwaige Opfer minder ängstlich wägend, ein solches Werk der Einigung vollbrächten. Es würde beruhigend auf die Gemüther wirken und manches drohende Unheil auch nach dieser Seite hin gnädig abwenden. Mit hoher Freude würde es mich demnach erfüllen, wenn Ew. Königliche Hoheit solchen Erwägungen beipflichten und Sich entschließen könnten, mit Seiner Majestät dem Kaiser von Oesterreich eine Berathung der deutschen Regierungen über die angeregte Frage in der am zweckmäßigsten erscheinenden Form einzuleiten, sei es auf einer Fürstenversammlung, durch die beauftragten Minister, oder am Bundestage. Ich bin es mir wohl bewußt, daß etwas Ungewöhnliches darin liegt, wenn ich in dieser Angelegenheit mit einem Vorschlag heraustrete. Eben so sehr aber bin ich von der Gewißheit erfüllt, daß Ew. Königliche Hoheit mir stets bewiesene und stets mit hohem Dank erkannte wohlwollende Gesinnung die redliche Absicht, welche mich bei diesem Schritte leitet, nicht verkennen werde, und darum trage ich kein Bedenken, der Stimme des Gewissens, welche mich dazu drängt, Gehör zu geben. Genehmigen Ew. Königliche Hoheit auch bei diesem Anlasse mit Geneigtheit die erneuerte Versicherung der hohen Verehrung, womit ich verharre Ew. Königlichen Hoheit 1dienstwilliger treuer Vetter und ergebenster Diener Bernhard Herzog zu Sachsen-Meiningen.1 [Mémoire] Neben der Bundeskriegsverfassung, welche gegenwärtig neuer Berathung am Bundestage unterliegt, nimmt wol [sic] keine die Bundesverfassung betreffende Frage eine gleich große Aufmerksamkeit in Anspruch, als diejenige, in welcher Weise das Mittel geschaffen werden könne, um im Augenblick der Gefahr rascher zu einheitlichen Entschlüssen zu gelangen und deren eben so ungesäumte Ausführung sicher zu stellen. Ja es dürfte, wenn diese letztere Frage gelöst wäre, die Lösung der ersteren erleichtert sein. 1–1 In der Hand von Herzog Bernhard.
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Wohl sind bisher schon manche Versuche, sich über eine Bundesbehörde zu einigen, welche dem Bedürfniß rascherer Entschließungen und einer mehr centralisirten politischen Thätigkeit entspräche, erfolglos geblieben. Der Augenblick drohender Gefahren giebt aber der Ueberzeugung neue Kraft, daß die deutschen Fürsten von dem Werke einer solchen Einigung nicht ablassen dürfen und bei der Opferwilligkeit, welche auf allen Seiten für das Wohl des gemeinsamen Vaterlandes vorausgesetzt werden muß, darf man nicht zweifeln, daß das Ziel erreicht werden könne. Man bilde eine Centralgewalt, in welcher neben den Regenten von Oesterreich und Preußen die übrigen deutschen Fürsten, zur Ausübung einer bei Meinungsverschiedenheiten ausgleichenden Thätigkeit durch Wahl vertreten sind. Es lassen sich dafür verschiedene Modalitäten denken. Die Executive selbst könnte aus drei Stimmen (Oesterreich, Preußen und einer der übrigen Könige) gebildet, und ihr ein nach Kategorien gewählter Fürstenrath mit berathender Stimme an die Seite gestellt werden. Oder die Executive würde in der Weise nach Kategorien gebildet, daß in ihr Oesterreich und Preußen mit je 5, Bayern, Würtemberg, Sachsen und Hannover mit 3, die Großherzoge mit 2, die Herzöge mit 1, die Fürsten und freien Städte ebenfalls mit 1 Stimme (zusammen 17 Stimmen) vertreten wären. Unter den verschiedenen Möglichkeiten zu wählen würde die Aufgabe einer einzuleitenden Berathung sein. Dieser Centralgewalt übertrage man Berathung und Beschlußfassung über Krieg und Frieden, sowie die Disposition über die Bundesarmee im Kriegsfall. Die übrigen Bundesangelegenheiten würden der Bundesversammlung verbleiben. Durch eine Einrichtung, wie die vorgeschlagene, welche die bestehende Bundesverfassung nicht aufhebt, sondern nur in einem bestimmten Punkt entwickelt, wird nicht nur die Berathung und Beschlußfassung in Angelegenheiten der auswärtigen Politik auf einen kleineren Kreis zurückgeführt, sondern, worauf das Hauptgewicht zu legen ist, es lassen sich dadurch die, namentlich in politischen Angelegenheiten hervortretenden mannigfachen Mißstände des Verhandelns in einer Behörde von Gesandten, welche an Instructionen gebunden sind, vermeiden. Denn sobald die Wichtigkeit der Sache oder die Dringlichkeit der Lage es erfordern, können die in der Centralgewalt stimmführenden Fürsten sich ohne Schwierigkeit versammeln, in persönlichem Meinungsaustausch die Linie der für Deutschland inne zu haltenden Politik feststellen, und die dazu nöthigen Maßnahmen zu ungesäumter Ausführung anordnen. Schon das Zusammentreten der Centralgewalt würde unter Umständen vermöge der daraus hervorblickenden Einheit der deutschen Action nach aussen hin von moralischem Eindruck sein. Die augenblickliche Lage der europäischen Politik ist der Art, daß ein sol-
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cher moralischer Eindruck dazu beitragen könnte, Deutschland vor unabsehbaren Gefahren zu retten. Es ist darum zu wünschen, daß der bezeichnete Weg von den deutschen Fürsten rasch und im Geiste einmüthiger Vaterlandsliebe betreten werde.
43. Bülow11 an Hall22 Reichsarchiv Kopenhagen. Udenrigsministeriets, Det tyske forbund, Depêcher 1860–1862. Bericht. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 27. April 1860.
In Preußen nehmen das Abgeordnetenhaus und die Regierung den Kampf gegen den Bund wieder auf, indem sie wieder auf das kleindeutsche Programm zurückgreifen; die Wirkung des preußischen Auftretens in Deutschland.
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Die große Demonstration, zu welcher die Kurhessische Angelegenheit in der Preußischen Zweiten Kammer einen willkommenen Anlaß geboten3, mußte 1 Bernhard Ernst von Bülow (1815–1879), von 1850 bis 1862 Bundestagsgesandter für Holstein und Lauenburg; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 66. 2 Karl Christian Hall (1812–1888), 1859–1863 dänischer Außenminister; Dansk Biografisk Lexikon, Bd. 6, S. 493–509. 3 Bülow bezieht sich auf die Debatte im preußischen Abgeordnetenhaus vom 20. und 21. April 1860. Der Anlaß der Debatte war ein von dem liberalen Abgeordneten Vincke und anderen eingebrachter Antrag, der lautete: „Dieses Haus ist den Schritten der Königlichen Staats-Regierung – der Kurhessischen Verfassung von 1831 rechtliche Anerkennung zu sichern – mit lebhafter Zustimmung gefolgt und hegt das Vertrauen, daß die Königliche Staats-Regierung den von ihr eingenommenen Standpunkt – auch den von der Mehrheit der deutschen Regierungen am 24. März d. J. zu Frankfurt gefaßten Beschlüssen gegenüber – mit Energie festhalten werde.“ Der Antrag wurde nach intensiver und emotionaler Diskussion mit 207 zu 68 Stimmen angenommen. Das preußische Abgeordnetenhaus bekundete damit seine Abwendung von der Bundespolitik und der Solidarität der deutschen Regierungen in der Bundesversammlung. Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 22. Dezember 1859 einberufenen beiden Häuser des Landtages. Haus der Abgeordneten, Bd. 2, S. 798–813 u. 815–836. Der seit langem schwelende Verfassungsstreit in Kurhessen war seit 1857 wieder zu einem bundespolitischem Thema geworden. Im Jahr 1852 war die liberale Verfassung von 1831 aufgehoben und durch eine neue, vom Kurfürsten oktroyierte und von der Bundesversammlung anerkannte Verfassung ersetzt worden. Beide Kammern des kurhessischen Landtags verlangten seither die Revision der neuen Verfassung. Die Auseinandersetzungen verschärften sich, nachdem die Kammern im Juni 1857 dem Kurfürsten ihre Wünsche zur Abänderung der Verfassung übermittelten. Die kurhessische Regierung legte daraufhin am 15. Juli 1858 der Bundesversammlung einen Bericht über die Verhandlungen mit den Kammern sowie einen neuen Verfassungsentwurf vor, für den sie die Garantie des Bundes beantragte. Die langwierigen Ausschußver-
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hier um so mehr Aufsehen und Verstimmung hervorrufen, als dieselbe viel weniger die Hessische Rechtsfrage, als Preußens Stellung zum Bundestag zum Zweck und Vorwurf hatte. Wenn man erwägt, daß parallel mit diesen Kammerdebatten eine noch unverhüllter auftretende Manifestation der demokratischen Kreise gegangen ist, welche in einer, vom Minister-Praesidenten huldreich entgegengenommenen Adreße die letzten zehn Regierungsjahre Friedrich Wilhelm[s] IV. eine „Mißregierung“ nennen und zur energischen Verfolgung der gothaischen Politik auffordern durfte, so wird es noch klarer, daß mit der ganzen Sache sowohl ein Fortschritt auf der, gegen die Fortdauer der Bundesverfassung gerichteten Politik, als eine Popularisirung des jetzigen Ministeriums und namentlich eine Revanche für die Parthei beabsichtigt war, welche 1850 an ihrer eigenen Unfähigkeit zu Grunde ging und nun, mit der nämlichen Ueberhebung und der gleichen Nicht-Achtung der Souveraine des nicht-preußischen Deutschlands, den damaligen Kampf offen wieder aufnimmt. Die Rede des Herrn von Vincke4, welche ex professo alle einschlägigen Fragen berührt, ohne von einem der Minister irgend angehalten oder nur durch eine Mahnung zur Mäßigung beantwortet zu sein, läßt als Programm der ministeriellen, ein Vertrauens-Votum darbringenden Parthei an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und es wird aus derselben – abgesehen davon, daß nach dem Character jener politischen Schule vorläufig mehr auf Reden als auf Handeln abgezielt ist – zu constatiren sein, wie die Preußische Regierung im letzten Ende die Reform der Bundesverfassung als eine durchaus offene Frage, die Existenz der Bundesversammlung als eine factische und durchaus unberechtigte, und den Austritt Oesterreichs nebst obligater Verwandlung des handlungen im Bund führten am 24. März 1860 zu einem Bundesbeschluß, wonach die nachgesuchte Garantie „zur Zeit nicht ertheilt werden könne“, diese aber dann erfolgen werde, wenn eine Verfassungsurkunde vorgelegt werde, „in welcher von allen Abänderungen der Verfassung von 1852, wozu eine Zustimmung der Stände nicht zu erlangen“, abgesehen werde. Bis dahin bleibe „selbstverständlich die Verfassung von 1852 sammt Wahlgesetz und Geschäftsordnung in Wirksamkeit“. Dieser Beschluß wurde gegen das Votum von Preußen gefaßt und war somit der Beginn von Gegensätzen und Spannungen innerhalb der Bundesversammlung im Hinblick auf die Regelung der kurhessischen Verfassungsfrage, die sich über Jahre hinziehen sollten. Vgl. ProtDBV 1860, S. 157–170, Zitate S. 170. Zum kurhessischen Verfassungskonflikt siehe Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 436–449; Nathusius, Kurfürst, Regierung und Landtag im Dauerkonflikt; Seier (Hrsg.), Akten und Dokumente; Ham, Bundesintervention und Verfassungsrevision; siehe auch Goebel, Die Bundes- und Deutschlandpolitik Kurhessens; Grothe, Konstitutionalismus in der Dauerkrise. 4 Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 22. Dezember 1859 einberufenen beiden Häuser des Landtages. Haus der Abgeordneten, Bd. 2, S. 822–831. – Georg Ernst Friedrich Freiherr von Vincke (1811–1875) war von 1849 bis 1855 Mitglied der Zweiten preußischen Kammer, 1859–1863 und 1866–1868 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses; ADB, Bd. 39, S. 743–752; Best/Weege (Hrsg.), Biographisches Handbuch, S. 343 f.; Behr, „Recht muß doch Recht bleiben“.
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Preußischen Parlaments in ein Deutsches als das eigentliche Ziel proclamirt. In diesem Haß gegen die Oesterreichische Suprematie, wäre es auch nur die formelle am Bundestag[,] und die für die Selbstständigkeit der einzelnen Souveraine und Staaten in der Bundesverfassung enthaltenen Garantie[,] begegnen sich überdies alle Preußischen Partheien: und der Sophismus, daß man wohl noch den Bund, aber nicht dessen Verfassung anerkenne, behält von jetzt an um so weniger Werth, als nach jenen Vordersätzen entweder jede völkerrechtliche Verbindung der deutschen Staaten unter einander, wie 1806–15 aufhören oder wie im Jahr 1848 durch ein revolutionäres Parlament und dann wie von 1849–50 durch Preußische Annexionsversuche ersetzt werden müßte. Kurhessen ist jetzt[,] genau wie im Jahr 1850, das Schlachtfeld für den Kampf zwischen Preußischer Hegemonie und dem Bundesrecht geworden: die Eifersucht und Gehässigkeit, die sich seit der in Olmütz entschiedenen Niederlage der Parthei aufgesammelt, ist bei diesem wunden Fleck wieder, vorläufig freilich nur in selbstgefälligen Reden, zu Tage gefördert und während man Einheit und Macht Deutschlands auf die Fahne schreibt, jede Mahnung zur Mäßigung oder zur Anerkennung der Gegner überhört werden. Characteristisch ist, daß weder den Argumenten der letzteren, noch dem eigentlichen Streitobject, nach den früheren Acten der eigenen Regierung die geringste Aufmerksamkeit zugewendet wird: daß Hessen jetzt eine liberalere Verfassung bekommt, als Preußen, daß Preußen 1851 ohne allen Rückhalt in die Bundesversammlung wieder eingetreten und bei all deren Beschlüssen seit 9 Jahren betheiligt ist, wird vollständig ignorirt: Kurz von Herrn von Carlowitz5, der schon jetzt aus dem Bundestag austreten will, (auf die Gefahr hin, daß Dänemark dann Holstein incorporire) bis zum Minister, der den Beschluß von 18526 „allerdings etwas künstlich“ so interpretirt, daß er das Gegentheil von der damals
5 Albert von Carlowitz (1802–1874), seit 1859 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses; ADB, Bd. 3, S. 783–788; NDB, Bd. 3, S. 144 f. – Bülow bezieht sich auf die Rede von Carlowitz in der preußischen Kammerdebatte vom 20. April 1861. Darin übte Carlowitz heftige Kritik am Deutschen Bund und plädierte für einen Austritt Preußens aus dem Bund. Unter anderem sagte Carlowitz: „Aber ich gehe auch noch weiter, ich nehme an, daß der Bundestag rechtlich nicht mehr existiert.“ Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 22. Dezember 1859 einberufenen beiden Häuser des Landtages. Haus der Abgeordneten, Bd. 2, S. 809–813, Zitat S. 812. 6 Bundesbeschluß vom 27. März 1852 über die Außerkraftsetzung der kurhessischen Verfassung von 1831, ProtDBV 1852, § 90, S. 432 f.; Druck in: Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 636 f. Mit dem Beschluß und der kurz darauf erfolgenden Bestätigung einer neuen oktroyierten Verfassung brachte die Bundesversammlung die 1851 in Kurhessen eingeleitete Bundesintervention zur Wiederherstellung der Autorität des Kurfürsten und seines reaktionären Ministers Hassenpflug gegenüber dem Landtag und den Gerichten zum Abschluß. Vgl. dazu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 926–933.
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von Preußen durchgesetzten Intention bedeute7, stehen in so weit alle Redner auf dem Standpunkt der unbefangendsten [sic] Selbstständigkeit, d.h. der alle erworbenen Rechte ignorirenden Doctrin. Der nächste Grund zu diesem entschiedenen Auftreten wird hier außer in dem alten Antagonismus und in der Empfindlichkeit über die Staaten der Würzburger Conferenz in dem Umstande gesucht, daß die Majorität der Kammer nur um den Preis einer solchen Manifestation der Regierung Concessionen in der Militairfrage machen wolle und daher das Ministerium, nach einigen Fluctuationen und Verstimmungen, zu Gunsten jener Vorlagen vom Regenten weitere Concessionen auf dem Wege „Deutscher“ Politik und gegen die Kreuzzeitungs-Traditionen erhalten habe. Solches werde sich auch baldigst in anderen Fragen und Personal-Aenderungen zeigen, hänge überdies mit der vom Herzog von Coburg vermittelten Schwenkung von dem, immer Französischer gesinnten Rußland zu einer Englischen Allianz genau zusammen. Wie lange bei diesem Gebahren Preußen die Stellung und Competenz des mit der größten Rücksichtslosigkeit geschmähten Bundestags sich ohne offenen Conflict erhalten könne, wird daher zumeist von der auswärtigen Politik und der Entwickelung der Oesterreichischen Schwierigkeiten abhängen: in der Hessischen Sache beabsichtigt man für den Augenblick in Berlin wohl nichts weiter zu thun, als durch die eingenommene Haltung das Land zum passiven oder activen Widerstand gegen die jetzige Verfassung aufzustacheln und dann eine, übrigens vor der Hand sehr unwahrscheinliche, Einmischung der Bundesversammlung zu verhindern, wie leicht können aber andere Eventualitäten sich ergeben, in denen man, um so mehr als nun das gesammte Rechtsfundament in der Bundesversammlung in Frage steht, von der einen oder der anderen Seite zum offenen Bruch gedrängt würde: eine krankhafte Empfindlichkeit über die „unwürdige Stellung“ der „Großmacht“ Preußen im 7 Bülow bezieht sich auf die Rede des preußischen Außenministers von Schleinitz in der Kammerdebatte vom 20. April 1860. Schleinitz stellte darin die Bundesbeschlüsse von 1852 zur Revision der kurhessischen Verfassung als ein Provisorium dar, als eine „künstliche“ Erklärung, die damals die einzige gewesen sei, „die sich mit den verfassungsmäßigen Rechten und Pflichten des Bundes vereinigen ließ“ und einen Ausweg aus der Konflikt geboten habe. Schleinitz führte weiter aus, daß jetzt, im Jahr 1860, nach der Auffassung der preußischen Regierung „nicht das Beharren auf dem im Jahr 1852 eingeschlagenen Wege“ das rechte Mittel sei, sondern vielmehr „das entschiedene und alsbaldige Einlenken von einer seitdem als verfehlt, ja als gefahrvoll erkannten Bahn“. Preußen sei es sich schuldig gewesen, sich „in unumwundener Weise [. . .] von einer Politik loszusagen, deren Tendenzen bis in die Tage der Karlsbader Beschlüsse hinaufreichen“. Die Rede Schleinitz’ wurde mehrfach von Bravorufen unterbrochen. Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 22. Dezember 1859 einberufenen beiden Häuser des Landtages. Haus der Abgeordneten, Bd. 2, S. 794 f.
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Bunde und die Speculation auf Oesterreichs Paralysirung ist wie gesagt, allen Partheien gemeinsam, und jetzt der Aufruf an die „Völker“ gegen die doch nicht zu gewinnenden Souveraine zu unverhüllt ausgesprochen, als daß noch auf langes Hinhalten oder wirklichen Frieden zu zählen wäre: man hört schon sagen, Frankreich meine es vielleicht ehrlicher mit Conservirung der Deutschen Bundesverfassung, als das Annexions-lustige Preußen. Ueber die eigentliche Gesinnung des jetzigen Preußischen Cabinets, der Bundesverfassung und Oesterreich gegenüber, hat man sich hier vielleicht länger Illusionen gemacht, als durch die Acta und Ante-Acta gerechtfertigt war: ich erinnere mich u. a. daß der Graf von Rechberg in der letzten Unterredung, die ich mit ihm hatte, die deutsche Gesinnung dieses Cabinets der Haltung des Herrn von Manteuffel vorziehen zu können glaubte und den Schlüssen, die ich gerade aus der Stellung der Parthei Vincke zog, große Bedenken entgegensetzte: seitdem haben sich denn freilich diese Schlüsse erfüllt und Vielerlei sonst verändert. Dabei ist es für den Augenblick wohl eine müßige Frage, zu untersuchen, ob Preußen nicht für seine eigene Machtstellung viel weiter gelangt wäre und gelangen würde, wenn Es [sic] statt des Rückgriffes zu dem Gothaischen oder kleindeutschen Programm die Einheit und Einigkeit zu bauen versuchte und gerade durch ehrliche Anerkennung des Bundesrechts hier die8 Leitung und Entwicklung der Deutschen Politik angestrebt hätte. Selbst nach dem Frieden von Villa Franca dürfte eine solche Politik, unter dem logischen Druck der realen Verhältnisse, nicht lange erfolglos geblieben sein und die Minister fast aller Mittelstaaten, statt wie jetzt zu offenen Gegnern, sehr bald (wahrscheinlich allerdings sehr gegen deren Neigung) zu folgsamen Anhängern der Preußischen Oberleitung gemacht haben. Eine gute Illustrirung dieser Ansicht bietet die Oberfeldherrnfrage. Wenn Preußen den Oberbefehl nicht außerhalb der Bundesverfassung als ein Recht der Oberherrlichkeit, sondern innerhalb deren Rahmens als einen freien Beweis des Vertrauens erstrebte, so würde, wie man im vorigen Sommer an der Wahl des Prinz Regenten zum Oberfeldherrn gesehen, in praxi ein Widerstand kaum versucht, schwerlich durchgeführt worden sein. Ebenso in andern Dingen, wo man jetzt in Berlin, statt sich mit den Würzburger Staaten zu concertiren, deren Argwohn durch Förderung der Zwecke des geradezu revolutionairen Nationalvereins immer wieder erweckt. Der Praesident dieses Vereins, Herr von Bennigsen, ist so genau mit den Berliner Führern verbunden, daß man schon aus diesem Grunde ziemlich bald einer Einmischung in die – allerdings nicht eben beruhigenden – hannoverschen Verhältnisse entgegensehen will: vor der Hand scheint freilich erst Schleswig
8 Emendiert. Vorlage: der.
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und Holstein vor das Tribunal des zukünftigen deutschen Parlamentes gezogen werden zu sollen. Daß die Wirkung dieses Auftretens die Regierungen der übrigen Staaten weniger anzieht als abschreckt, beweist in diesem Augenblick namentlich Baden. Es wird mir aus guter Quelle versichert, daß obwohl der Ministerwechsel von Berlin aus betrieben worden9, das neue Ministerium weder die Deutsche Politik noch die Stellung zur Kurhessischen Frage ändern wolle und lebhaft wünsche, sich durch den sehr gemäßigten Großherzoglichen Gesandten in Wien, Freiherrn von Rüdt10 (Minister-Praesident nach der Revolution) zu ergänzen. Die politische Stimmung, namentlich in Beziehung auf die Schweitzer Frage, hat sich letzthin ausnehmend beruhigt. Sämmtliche Süddeutschen Regierungen sprechen sich, zum Theil aus Besorgniß vor Frankreich[,] zum Theil aus Abneigung gegen die für die Schweitz agirende rothe Demokratie, durchaus friedlich und gegen jede Einmischung aus. Als Beweis erlaube ich mir einen von der Württembergischen Regierung ausgehenden Artikel gegen solche Agitationen anzuschließen.11 Uebrigens will man hier trotz der von Frankreich kommenden sehr friedlichen Versicherungen, noch nicht recht an eine wirkliche Verbesserung des Verhältnisses zu England glauben: sucht sich wohl eben darum bei der auch zwischen Paris und Berlin vorausgesetzten Verstimmung in Süddeutschland möglichst neutral zu halten und ist denn wohl 9 Am 2. April 1860 war es im Großherzogtum Baden zu einem „Regierungs- und Systemwechsel“ gekommen, indem das konservative Ministerium Meysenbug von einem liberalen, von der Mehrheit der zweiten Kammer unterstützten Ministerium unter der Führung von August Lamey (1816–1896) ersetzt wurde. Baden war damit der erste deutsche Staat, in dem die Regierung aus der liberalen Parlamentsmehrheit hervorging. Vgl. Gall, Der Liberalismus als regierende Partei, S. 111–114. 10 Ludwig Freiherr Rüdt von Collenberg (1799–1885), 1850–1856 badischer Staats- und Außenminister, 1856–1861 badischer Gesandter in Wien; Badische Biographien, Bd. 2, S. 224–227. 11 Bei der „Schweizer Frage“ ging es um die im Anschluß an den Italienischen Krieg von 1859 von Frankreich angestrebte Annexion Savoyens, die ihm vom Ministerpräsidenten Sardiniens, Camillo Cavour, im Sommer 1858 bei den Verhandlungen in Plombières als Kompensation für die Unterstützung im Krieg gegen Österreich versprochen worden war. Im März 1860 wurde die Abtretung von Savoyen (und Nizza) in einem Geheimvertrag zwischen Sardinien und Frankreich festgelegt. Über die Einverleibung des an die Schweiz grenzenden Savoyen gab es seit Frühjahr 1860 zwischen der Schweiz und Frankreich Verhandlungen, bei denen die Schweiz Garantien für ihre eigene territoriale Integrität erstrebte. Vgl. Baumgart, Europäisches Konzert, S. 354–359. – Der von Bülow seinem Bericht beigefügte Artikel stammt aus dem Staatsanzeiger für Württemberg, ist datiert auf den 17. April 1860 und als „halbamtliche Kundmachung“ bezeichnet. Darin wird eine „politische Manifestation“ von Advokaten und Wirtschaftsbürgern in Stuttgart kritisiert, die einer Aufforderung an die Schweiz gleichkomme, sich mit Waffengewalt gegen den Anschluß Savoyens an Frankreich zu wehren, für welchen Fall die militärische Hilfe Württembergs zugesichert werde.
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hauptsächlichst durch die schwierige Lage der Oesterreichischen Regierung praeoccupirt und desorientirt. Die hiegegen sehr zurücktretende Aufregung in unserer Angelegenheit12 wird, außer durch die bekannten Norddeutschen Organe, in dieser Gegend hauptsächlich durch gelegentliche Einsendungen im zu Stuttgart erscheinenden „Schwäbischen Mercur“ und durch regelmäßige Correspondenzen der dem Nationalverein nahe stehenden, übrigens wenig verbreiteten Münchener „Süddeutschen Zeitung“ unterhalten. Die Herren Beseler13 und Gervinus14 haben die Absicht, mit Hülfe wohlhabender Frankfurter Gesinnungsgenossen hier ihr früheres Organ die „Deutsche Zeitung“15 wieder ins Leben zu rufen, nicht ermöglichen können: vielmehr selbst bei diesen Anstoß durch die Unbefangenheit erregt, womit sie in der schriftlich circulirenden Aufforderung jede weitere Berücksichtigung Oesterreichs „als eines in der Verwesung begriffenen Staates“ aus ihrem Deutschen Programm [ausgeschlossen] wissen wollten. Der kaiserlich Französische Gesandte beim Bunde ist nach einer längeren Abwesenheit in Paris hierher zurückgekehrt. Genehmigen Ew. Excellenz den erneuten Ausdruck ehrerbietiger Ergebenheit, worin ich verharre Ew. Excellenz ganz gehorsamster B. Bülow
12 Gemeint ist die wieder am Bund verhandelte schleswig-holsteinische Frage; vgl. dazu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3 S. 449–460. 13 Georg Karl Christoph Beseler (1809–1888), liberaler Politiker, 1849–1852 und 1860 Mitglied der Zweiten preußischen Kammer bzw. des Abgeordnetenhauses; NDB, Bd. 2, S. 174 f. 14 Georg Gottfried Gervinus (1805–1871), liberaler Historiker und Politiker; NDB, Bd. 6, S. 335–338; Hübinger, Gervinus. 15 Die „Deutsche Zeitung“ war 1847 von führenden deutschen Liberalen in Heidelberg gegründet worden. Gervinus war leitender Redakteur von 1847/48. Von 1848 bis 1850 erschien das Blatt in Frankfurt am Main; Hirschhausen, Liberalismus und Nation.
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Beust an Bose
Nr. 44
44. Beust an Bose HStA Dresden, Gesandtschaft München, Nr. 50. Erlaß. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 7. Mai 1860.
Die Lage der Dinge in Deutschland läßt ein demonstratives Auftreten der Mittelstaaten angezeigt erscheinen. Es wäre wünschenswert, bald eine Ministerkonferenz zu veranstalten, um sich angesichts der preußischen Provokationen über eine gemeinsame Haltung zu verständigen. Wichtige Beratungsgegenstände sind die kurhessische Angelegenheit sowie die Revision der Bundeskriegsverfassung. Schließlich ist an die Anträge der Würzburger Konferenz zu erinnern, für deren Verwirklichung mehr geschehen muß als bisher.
No. XXVII
Dresden, 5. Mai 1860
Ew. Hochwohlgeboren erwähnen in Ihrem neusten Berichte vom 30. April1 die Eventualität einer abermaligen Ministerconferenz. Ich habe über diesen Gegenstand bereits Gelegenheit genommen, mit Freiherrn von Gise2 zu sprechen und bezweifle nicht, daß derselbe in entsprechender Weise berichtet hat. Obschon bei der Würzburger Zusammenkunft ein abermaliger Zusammentritt für das nächste Frühjahr allseits in Aussicht genommen worden war, so würde ich doch hierin keinen bestimmenden Grund zu einer Anregung finden, indem ich der von dem Minister Freiherrn von Schrenk sicherlich getheilten Ansicht bin, daß ohne dringende Veranlassung Zusammenkünfte besser unterbleiben, wenn deren Zwecke auf schriftlichem Wege erreicht werden können. Auf der andern Seite dürften wir allen Grund haben, daran festzuhalten, daß, sobald die Umstände eine directe Vernehmung erheischen, weder die Besorgniß des demonstrationsweisen Eindrucks, noch diejenige des Mangels nach Außen hervortretender Resultate uns an der Abhaltung einer Conferenz verhindern darf. Die gegenwärtigen Zeitumstände sind aber so beschaffen, daß nicht allein überwiegender Grund vorliegt, eine mündliche Besprechung der schriftlichen vorzuziehen, sondern auch die ebengedachte Besorgniß weniger als je Anspruch auf Geltung hat, indem ein demonstratives Auftreten der Mittelstaaten sehr angezeigt erscheinen würde und auch sehr zu hoffen steht, daß positive Resultate werden erzielt werden. Die Lage der Dinge in Deutschland im Allgemeinen und in Preußen insbesondere ist so anschaulich, daß jedes Wort darüber überflüssig sein würde. Ebenso zweifellos ist der Beruf, welcher daraus für die Mittelstaaten erwächst. Daß diesem Berufe nur und ganz allein durch gemeinsames, auf fort1 Bose an Beust, vertraulicher Bericht, 30. April 1860; HStA Dresden, 10 717, Nr. 933, fol. 82–85. 2 Maximilian Freiherr von Gise (1817–1890), 1847–1870 bayerischer Geschäftsträger in Dresden; Schärl, Zusammensetzung, S. 317.
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gesetzte Verabredung und deren strenge Innehaltung begründetes Auftreten mit Erfolg genügt werden könne, ist mehr und mehr Gegenstand allgemeiner Ueberzeugung geworden. Soll indessen diese Ueberzeugung zu gedeihlichen Resultaten führen, so wird es nicht allein wünschenswerth, sondern beinahe unerläßlich sein, vereinzelte Anregungen, namentlich wo solche bedeutende Tragweite haben, thunlichst zu beschränken und soviel als möglich dahin zu wirken, daß zu einer mündlichen Berathung darüber im Wege der Ministerconferenz, wo sämmtliche Theilnehmer von Seiten ihrer allerhöchsten und höchsten Souveraine mit Instruction versehen sein können, Gelegenheit geboten werde. In diesem Falle wird der betreffende Gegenstand erst dann in den Bereich der diplomatischen Correspondenzen außerhalb der Mittelstaaten und nach Befinden in den der Oeffentlichkeit gezogen werden, wenn er unter den Mittelstaaten feststeht, während die Erfahrung uns gelehrt hat, daß das umgekehrte Verhältniß eintritt, wenn Vorschläge von einer einzelnen Regierung im Correspondenzwege in Umlauf gesetzt werden. Es ist bezeichnend, daß die münchner Verabredungen vom vorigen Jahr3, welche bekanntlich den Correspondenzweg durchlaufen mußten, sehr bald in Berlin bekannt waren, und wenngleich mit anfänglichen Entstellungen und Zusätzen auch von den Zeitungen richtig wiedergegeben wurden, während nach den Würzburger Conferenzen allerdings auch das Programm der Verhandlungen, welches ebenfalls den Correspondenzweg durchlaufen hatte, in den Zeitungen erschien, die eigentlichen Beschlüsse der Conferenz aber, selbst der preußischen Regierung erst bekannt wurden, als die betreffenden Regierungen in Berlin selbst davon Mittheilung machten. Beweis dafür die unmittelbar darauf an die Uferstaaten erlassene Einladung zu einer Conferenz wegen der Küstenbefestigung.4 3 Siehe Dok. 22. 4 Als Folge des Italienischen Krieges war seit dem Sommer 1859 die Frage der Verteidigung der norddeutschen Küsten in den Blickpunkt der deutschen Regierungen gerückt. Die Mittelstaaten hatten in ihren Beratungen über Bundesreformen die Frage mehrfach erörtert und schließlich am 17. Dezember 1859 in der Bundesversammlung den Antrag gestellt, Beratungen über Maßregeln zum Schutz der deutschen Nord- und Ostseeküsten aufzunehmen (siehe Dok. 37, Anm. 7). Fast zeitgleich damit lud die preußische Regierung am 15. Dezember 1859 die norddeutschen Küstenstaaten zu einer Konferenz über die Frage der Küstenbefestigung ein. Die Konferenz fand vom 9.–22. Januar 1860 in Berlin statt, es beteiligten sich daran neben Preußen Bevollmächtigte aus Hamburg, Lübeck, Bremen und Oldenburg, während Hannover mit Hinweis auf die bei der Bundesversammlung eingeleiteten Verhandlungen fernblieb. Die Berliner Konferenz einigte sich auf die Grundlagen eines Küstenschutzsystems, das im wesentlichen den im Dezember 1859 in einer preußischen Denkschrift formulierten Vorschlägen folgte. Nachdem sich Hannover schließlich zur Teilnahme an den weiteren Verhandlungen bereiterklärt hatte, brachten Preußen, Hannover, Oldenburg und Bremen am 12. Juli 1860 in der Bundesversammlung eine Vorlage ein, die drei Anträge enthielt: 1. sollte die Bundesversammlung die auf außerpreußischem Gebiet zu gründenden Verteidigungsanstalten bezeichnen, für die technische Vorarbeiten einzuleiten sein würden; 2. sollte die Bundesversammlung eine aus Bevollmächtigten der
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Diese letztere Betrachtung dürfte zu der Behauptung berechtigen, daß es im gegenwärtigen Augenblicke ebensosehr in negativer als positiver Beziehung wünschenswerth sein würde, bald zu einer Ministerconferenz zu gelangen. Es ist sehr begreiflich und zugleich sehr erfreulich, das Dasjenige, was in den letzten Monaten in Frankfurt und Berlin sich zugetragen hat – Protest Preußens gegen einen verfassungsmäßigen Majoritätsbeschluß, Verhöhnung des Bundes und Aufforderung zum Bundesbruch im preußischen Abgeordnetenhause bei vollständigem Schweigen der Regierung, endlich auch die Art und Weise, wie Preußen seinen Anträgen wegen der Bundes-Kriegsverfassung inhärirt und welche bereits Neigung zu einem neuen Proteste durchblicken läßt – es ist begreiflich und zugleich erfreulich, sage ich, daß dies Alles die Regierungen der übrigen deutschen Staaten nicht gleichgültig gelassen hat, und daß bereits mehrere derselben sich ernstlich mit der Frage beschäftigt haben, was unter diesen Umständen zu thun sey. Wir sind indessen hierorts der festen Ueberzeugung, daß vereinzelte Schritte, welche zu diesem Zwecke geschehen Uferstaaten zu bildende Kommission einsetzen, um die Planungen für die Küstenschutzanlagen zu erarbeiten; 3. sollte die Bundesmilitärkommission beauftragt werden, Vorschläge zur Bildung einer besonderen Küstenverteidigungsbrigade zu machen. Über diese Anträge gab es in den folgenden Jahren langwierige Verhandlungen in der Bundesmilitärkommission und im Bundestagsausschuß für Militärangelegenheiten. Während die preußische Regierung mit den militärischen Stellen und technischen Kommissionen der Uferstaaten die Vorarbeiten vorantrieb, kam es auf Bundesebene zu Auseinandersetzungen über die Zusammensetzung der von den Uferstaaten beantragten Bundeskommission. Erst im Februar 1862 erstattete der Bundestagsausschuß für Militärangelegenheiten seinen Bericht über die Anträge der Mittelstaaten vom 17. Dezember 1859 und der Uferstaaten vom 12. Juli 1860. Darin wurde der preußische Vorschlag, die Bundeskommission nur aus Bevollmächtigen der Uferstaaten zu bilden, zurückgewiesen, denn es sei mit der „Natur des Bundesverhältnisses und der darin liegenden Gleichberechtigung seiner Glieder“ nicht zu vereinbaren, eine Bundesregierung von vornherein von einer Bundeskommission auszuschließen. Auch sei die Zustimmung der Bundesversammlung zu der von der Kommission zu erstattenden Vorlage wahrscheinlicher, „wenn das Commissionsgutachten nicht als einseitiges Werk der Uferstaaten erscheint“. Der Militärausschuß setzte sich damit durch, und die Bundeskommission wurde schließlich am 8. März 1862 eingesetzt. Sie begann ihre Arbeit am 15. April 1862 in Hamburg unter der Leitung des preußischen Generalstabschefs Helmuth von Moltke (1800–1891). Die Kommission legte ihren Bericht am 22. Mai 1862 vor, mit der Ausarbeitung der Einzelheiten wurde eine „engere Kommission“, bestehend aus den Bevollmächtigten der Uferstaaten (Preußen, Hannover, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg und der Hansestädte) beauftragt. Der Schlußbericht dieser engeren Kommission wurde am 10. August in Hamburg festgestellt. Über diesen Schlußbericht beriet dann in den folgenden Monaten die Bundesmilitärkommission, für die der bayerische Militärbevollmächtigte am 19. Februar 1863 einen Vortragsentwurf vorlegte, der erheblich vom Bericht der Küstenschutzkommission abwich. Es kam in der Militärkommission zu keiner Einigung, und so ging es auf Bundesebene in der Frage des Küstenschutzes nicht voran, die Frage wurde nie zur Beschlußreife gebracht. Zu den Verhandlungen siehe ProtDBV 1860, S. 50–53; ProtDBV 1861, S. 451–453; ProtDBV 1862, S. 72–80 (Zitat S. 76), 108 ff. Einen detaillierten Überblick über die komplizierten Verhandlungen auf breiter Quellenbasis gibt Rogosch, Hamburg im Deutschen Bund, S. 59–97.
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könnten, einem gemeinsamen Auftreten keinesweges vorarbeiten, sondern dasselbe erschweren würden. Sie können unsers Erachtens nur dazu führen, entweder einen vereinzelten Kampf zu veranlassen und dadurch den Anschein einer Spaltung unter den Mittelstaaten zu begründen, oder illusorisch beruhigende Erwiederungen zu provociren, welche alsdann die Betheiligung der betreffenden Regierungen an gemeinsamen Schritten lähmen. Aus diesen Gründen halten wir den baldigen Zusammentritt der Conferenz schon deshalb für nothwendig, damit man sich über eine gemeinsame Haltung verständige, möge sie eine passive oder active sein, und es wäre leicht möglich, daß nach verschiedenen Richtungen und unter verschiedenen Voraussetzungen Beides als das Richtige erkannt würde. Eine fernere Betrachtung, welche uns berücksichtigungswerth scheint, ist aber die, daß in Bezug auf die Erweiterung der Conferenz sich gerade jetzt die Aussichten viel günstiger gestalten als dies im vorigen Herbst der Fall war. Unsern neuesten Berichten aus Hannover zufolge darf auf eine Betheiligung der kön. hannoverschen Regierung mit ziemlicher Sicherheit gerechnet werden, und was Baden betrifft, so deuten die Kundgebungen des neuen Ministeriums darauf hin, daß man sehr geneigt sein werde, den an seinen Eintritt geknüpften irrigen Voraussetzungen durch ein engeres Anschließen an die übrigen Mittelstaaten vorzubeugen. Von Alledem abgesehen liegt aber auch noch in anderer Beziehung Material genug zur Besprechung vor. Zunächst ist es die kurhessische Angelegenheit, welche eine Verständigung wünschenswerth erscheinen läßt. Der Bund kann sehr bald in den Fall kommen, einen weiteren Beschluß zu fassen, sobald die kurfürstliche Regierung die durch den Beschluß vom 24. März d. J.5 ihr zugesagte Ertheilung der Garantie nachsucht. Wir sind für unsern Theil, nach reiflicher Prüfung der Sache, darüber mit uns einig, daß die Ertheilung der Garantie, auch ohne gleichzeitigen Antrag der Stände in rechtlicher Beziehung gerechtfertiget, der kurfürstlichen Regierung gegenüber eine moralische Verpflichtung und in politischer Beziehung eine Nothwendigkeit sei. Wir glauben auch bei den übrigen Regierungen im Allgemeinen gleiche Auffassung voraussetzen zu dürfen. Inzwischen erscheint es uns, im Hinblick auf den Zweifel, welchen in dieser Beziehung das Votum der k. württembergischen Regierung angeregt hat, sehr wünschenswerth, daß die kurfürstliche Regierung, bevor sie einen bezüglichen Antrag einbringt, der Ansichten der Majorität versichert werde. Ein6 Gegenstand von nicht geringerer Wichtigkeit ist die in einiger Zeit bevorstehende Abstimmung über den Bericht des Militairausschusses bezüglich 5 ProtDBV 1860, S. 157–170. Siehe dazu Dok. 43, Anm. 3. 6 Emendiert. Vorlage: Einen.
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Eisendecher an das oldenburgische Staatsministerium
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der Revision der Bundes-Kriegsverfassung. Es wird dabei zunächst Anlaß gegeben sein, sich über den neuesten Vorschlag der kön. württembergischen Regierung zu einigen, und wahrscheinlicherweise werden daran von anderer Seite Vorschläge geknüpft werden, um im Fall der Kriegsgefahr die politischmilitairische Einheit Deutschlands sicher zu stellen. Endlich haben wir uns zu erinnern gehabt, daß es für die würzburger Regierungen hohe Zeit sei, sich der von ihnen bei der letzten Conferenz gestellten Anträge zu erinnern und für deren Schicksal etwas mehr[,] als bisher geschehen, besorgt zu zeigen. Ich gestatte mir bei dieser Gelegenheit daran zu erinnen, daß der sächsischerseits vorgelegte Entwurf eines Patentgesetzes, obschon er seit Monaten in Umlauf ist, noch immer den Frankfurter Hafen nicht hat erreichen können. Allerhöchstem Befehle zufolge habe ich Ew. Hochwohlgeboren zu beauftragen, vorstehende Bemerkungen der geneigten Erwägung der k. bayerischen Regierung, unter Hinterlassung gegenwärtigen Erlasses zu empfehlen und den Herrn Minister Freiherrn von Schrenck um baldige Eröffnung der Jenseitigen Ansicht zu ersuchen. Beust
45. Eisendecher an das oldenburgische Staatsministerium StA Oldenburg, 31–15–13, Nr. 81 III, fol. 49–50. Bericht. Eigenhändige Ausfertigung. Praes.: 11. Mai 1860.
Die Verhandlungen in der Bundesversammlung sind belanglos. Der allgemeine Mißmut nimmt zu, ein jeder fühlt die Haltlosigkeit der deutschen Zustände. Die Stimmung in der Bundesversammlung ist überwiegend gegen Preußen. Das allgemeine Gefühl ist, daß sich erschütternde Ereignisse vorbereiten.
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Die heute gehaltene 16te diesjährige Bundestags-Sitzung brachte nichts an Belang. [Bericht über diverse Voten und Vorlagen einiger Staaten zu verschiedenen Gegenständen sowie über Eingaben an die Bundesversammlung.]
Ich kann diesen inhaltleeren Bericht nicht schließen ohne zu erwähnen, daß der allgemeine Mißmuth und der Vertrauensmangel vor der Zukunft hier in auffallender Weise zunimmt. Ein Jeder fühlt die Haltlosigkeit unserer allgemeinen deutschen Zustände und das Gefährliche des thatlosen Dahintreibens; aber Niemand weiß die Zauberkraft und das Wort zu nennen, um die zerfah-
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renden Elemente zu bannen und zu binden. Statt zu sammeln, wird aller Scharfsinn aufgewendet um noch mehr zu spalten. Sehr leidiges Aufsehen haben die Vorgänge in der Hannoverschen Ständeversammlung auch hier gemacht.1 In der heutigen Sitzung der Bundesversammlung unterhielt man sich lebhaft über diese und die politischen Dinge überhaupt. Im Ganzen ist hier natürlich die Stimmung überwiegend gegen Preussen, dem fast alle Schuld an der mißlichen Gestaltung der Verhältnisse zugeschoben werden soll. So ungerechtfertigt dies auch ist, so schwer wird es doch, die von Preussen seither befolgte Politik zu vertreten und auch nur genügend zu erklären. Heute besprach man auch das an sich ziemlich unbedeutende Factum, daß einzelnen Bundestags Gesandten anonyme Schreiben zugeschickt werden, worin „aus sicherer Kenntniß“ versichert und gewarnt wird, in 4 Wochen würden die Franzosen am Rhein stehen, sie besäßen die Pläne sämmtlicher Bundesfestungen; Baden werde an Frankreich, Bayern an Österreich annexirt, und Preussen anderweit entschädigt werden pp. pp. Das Alles mögen Anklänge aus der Menge von Broschüren sein, die täglich aufflattern. Man sieht aber, daß die innern Schichten der Bevölkerung in Bewegung und Aufregung kommen. Das allgemeine Gefühl ist, daß sich erschütternde Ereignisse vorbereiten. Daß es an rücksichtslosen Aufhetzern nicht fehlt, denen es vor Allem darum zu thun ist, die Dinge wieder in Fluß und Bewegung zu bringen, versteht sich wohl überall von selbst. Da ich indessen nur wenig Neues zu sagen wüßte, nehme ich Anstand mich weiter über dieses Thema zu verbreiten. Beifolgend eine Notiz aus der 11. Sitzung der B. Militair-Commission. Schließlich bemerke ich noch, daß Minister Windhorst wieder hier ist, um die bentincksche Angelegenheit zu betreiben.2 W. von Eisendecher
1 In der Zweiten Kammer des hannoverischen Landtags war es am 2. Mai 1860 zu einer kontroversen Debatte über das Petitionsrecht von Städten und Korporationen gekommen, in deren Verlauf es Auseinandersetzungen über den Nationalverein zwischen liberalen Abgeordneten und Innenminister Borries gegeben hatte. Borries hatte dabei unter anderem geäußert, die Bestrebungen des Nationalvereins würden „nicht zur Einigung Deutschlands, sondern nur zu dem entgegengesetzten Resultate führen“. Vgl. Hannoversches Landtagsblatt Nr. 66, 1860, Bericht über die Sitzung der Zweiten Kammer vom 2. Mai 1860, S. 499–503, Zitat S. 502. 2 Der sogenannte bentincksche Erbfolgestreit beschäftigte den Deutschen Bund seit Jahrzehnten. Es ging dabei um die zwischen den Reichsgrafen von Bentinck umstrittene Erbfolge in den Herrschaften Kniphausen und Varel. Vgl. dazu Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 766–786.
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46. Beust an Bose HStA Dresden, Gesandtschaft München, Nr. 50. Schreiben mit drei Beilagen (nicht in der Akte). Behändigte Ausfertigung. Praes.: 14. Mai 1860.
Beust skizziert ein Programm für die Beratungen der von ihm angeregten neuerlichen Ministerkonferenz der Mittelstaaten und plädiert dafür, bis zu einer Verständigung über die einzuschlagende Richtung auf Kundgebungen von einzelner Seite zu verzichten, um die „moralische Kraft“ der Mittelstaaten nicht zu schwächen. Folgende Punkte sollen gemeinschaftlich erörtert werden: die Eventualität eines Rücktritts Preußens aus der Bundesversammlung; ob es weiterhin toleriert werden soll, daß Preußen die Beschlüsse der Bundesversammlung nicht anerkennt; die von SachsenMeiningen vorgeschlagene Bildung eines Bundeszentralorgans; die kurhessische Verfassungsangelegenheit. Es ist sehr dringend, daß das Zusammenwirken der Mittelstaaten von Neuem nach außen hin sichtbar wird.
No. XXIX.
Dresden, 12. Mai 1860
Ew. Hochwohlgeboren Bericht No LXX1, worin Sie mir die vorläufigen Aeußerungen des Herrn Ministers Freiherrn von Schrenk, bezüglich der diesseits angeregten Abhaltung einer Minister Conferenz2, meldeten, giebt mir zu nachstehenden zusätzlichen Bemerkungen Anlaß. Ich habe absichtlich von Aufstellung eines Programms oder einer Tagesordnung für die Berathungen Abstand genommen, weil es mir nicht angemessen schien, damit hervorzutreten, bevor nicht die Königlich-Bayerische Regierung sich darüber ausgesprochen haben würde, ob Sie mit der Abhaltung der Conferenz überhaupt einverstanden sei oder nicht. Um inzwischen den Herrn Minister Freiherrn von Schrenk davon zu überzeugen, daß wir in dieser Beziehung uns die nöthige Rechenschaft gegeben haben, will ich nicht anstehen, eine nähere Darlegung der zu verhandelnden Gegenstände zu versuchen. Ich rechne dahin allerdings in erster Linie eine allgemeine Berathung über die Situation, die eine ganz andere und bedrohlichere geworden ist, als dies zur Zeit der letzten Würzburger Conferenz der Fall war. Diese Berathung wird, nach diesseitiger Ansicht, unter allen Umständen einen entschiedenen Vortheil haben und zwar in zweifacher Beziehung. Die Interessen der bei der Conferenz Betheiligten sind fast identisch, jedenfalls solidarisch und umso rückhaltloser werden die Ansichten über Das was zu thun sei, sich aussprechen. Diese Ansichten selbst aber bewegen sich, verschiedenen Wahrnehmungen zufolge, zum Theil in abweichender Richtung und es wird daher für jede einzelne Regierung und in Folge Dessen auch für die Gesammtheit der betheiligten Regierungen ein großer Gewinn sein, wenn diese Ansichten ausge1 Bose an Beust, vertraulicher Bericht, 9. Mai 1860; HStA Dresden, 10 717, Nr. 933, fol. 103– 106. 2 Siehe Dok. 44.
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tauscht und discutirt werden. Dabei halte ich es allerdings für wünschenswerth daß, im Gegensatz zu der zuletzt befolgten Praxis, eine wenn auch noch so gedrängte protocollarische Aufzeichnung erfolgt, wesfalls, um etwaigen Bedenken wegen möglicher Indiscretion zu begegnen, von Nennung der Namen der Regierungen sowohl, als der Bevollmächtigten abgesehen werden könnte. Ist auf diese Weise eine schriftliche Grundlage gewonnen, so wird sich hieran eine weitere Correspondenz unter den Regierungen sehr leicht und in einer Weise knüpfen lassen, die zu bestimmten Resultaten führen kann. Einen zweiten Vortheil aber, und diesen schlagen wir besonders hoch an, würden wir darin erblicken, daß man sich dabei dahin einigen kann, – ich bezeichne es als Möglichkeit, der Erfolg wird von den sich kundgebenden Dispositionen abhängen – bis zu einer solchen Verständigung, die ich, wie gesagt, zunächst noch nicht von der Conferenz, wohl aber von der darauf folgenden Correspondenz hoffe, auf vereinzelte Anregungen und Kundgebungen zu verzichten, welche unserer innigsten Ueberzeugung nach, nur dahin führen, die moralische Kraft der Mittelstaaten in ihrer Zusammengehörigkeit zu schwächen und zu Mißverständnissen, zuweilen auch zu den böswilligsten Interpretationen die Handhabe zu bieten. Bei jener allgemeinen Discussion sind sehr brennende Fragen zu erörtern. Dahin rechne ich die noch immer nicht beseitigte Eventualität eines erklärten oder doch factischen Rücktritts Preußens aus der Bundesversammlung. Nicht minder die Frage, ob der gegenwärtige Zustand, wo Preußen zwar Bund und Bundesversammlung anerkennt, aber die Anerkennung der Beschlüsse, nach Befinden der Umstände verweigert, ferner tolerirt werden, oder ob etwas geschehen solle, um darüber eine klare Auseinandersetzung herbeizuführen? Diese Frage kann sehr bald von der entschiedensten Dringlichkeit werden, falls Preussen, ungeachtet unsers Erbietens, für den concreten Fall Verhandlungen wegen ausnahmsweiser Feststellung der Bundesheeresführung, eine Erklärung abgeben sollte, welche der bestehenden Bundesmilitairverfassung im Voraus die Folgeleistung verweigerte. Ich verwahre die diesseitige Regierung gegen die Tendenz, schlechterdings eine Demonstration gegen Preußen herbeiführen zu wollen. Wir wünschen, daß die Bedeutung des Augenblicks gemeinschaftlich in’s Auge gefaßt und eine gemeinsame Haltung verabredet werde und wir glauben, daß das geringste Maß gemeinsamen Widerstandes und gemeinsamer Initiative mehr bewirken, als der kräftigste Anlauf einzelner Regierungen. Unstreitig ist Freiherr von Schrenk von dem Vorschlage unterrichtet, welchen S. H. der Herzog von Sachsen Meiningen an mehrere der Allerhöchsten und Höchsten Souveraine wegen Bildung einer temporairen Centralgewalt hat gelangen lassen.3 Im engsten Vertrauen theile ich Ew. Hochwohlgeboren im 3 Siehe Dok. 38 und 42.
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Anschluß Abschrift einer Correspondenz mit dem Fürsten Wittgenstein mit4, woraus Sie das Weitere ersehen. Es befindet sich dabei auch das von dem Fürsten in Bezug genommene Memoire in Abschrift. Wir halten dieses Project, vorbehaltlich unserer Aeußerung darüber, zur Berathung auf der Conferenz für geeignet. In der Frage wegen Ertheilung der Garantie für die kurhessische Verfassung habe ich die diesseitige Ansicht zu erkennen gegeben. Ich behalte mir deren Begründung vor. Wir sind keinesweges gemeint, damit dem Ermessen anderer Regierungen vorzugreifen, allein es ist jedenfalls wünschenswerth, daß eine zweite Berathung es herausstelle, in wie weit die kurhessische Regierung auf die Majorität der Bundesversammlung rechnen kann oder nicht. Mir scheint hiernach es an Stoff zu den Berathungen nicht zu fehlen, behalte mir übrigens vor, noch mehrere Gegenstände anzumelden, falls dieselbe zu Stande kommen sollte. Die letzte Conferenz hat allerdings den Gang der Dinge in Preußen nicht aufgehalten; mit dieser Hoffnung hatten wir uns aber auch wenig geschmeichelt. Wohl aber hat der Widerstand, der sich gegen die Bestrebungen des Nationalvereins und die damit gleichen Schritt haltenden Berliner Bestrebungen unter den Bevölkerungen regt, an der Würzburger Conferenz einen keinesweges zu verachtenden Anlehnungspunkt gefunden und es scheint uns durchaus nicht überflüssig, sondern im Gegentheil sehr dringend, daß der Zusammenhang der Mittelstaaten von neuem nach Außen sichtbar werde. Mit großem Interesse habe ich gelesen, was Herr Minister Frh. von Schrenk Ihnen über Baden mitgetheilt und was die diesseitigen Erwartungen in Bezug auf diesen Staat erhöhet. Was uns aus Hannover zugeht, bestärkt uns mehr und mehr in der Hoffnung auf eine dortseitige Geneigtheit zur Beschickung. Daß aber ein demonstratives Auftreten der Mittelstaaten vorzeitig komme, darüber dürfte wohl der eben erschienene Commissionsbericht des preußischen Abgeordnetenhauses, betreffend die außerordentliche Creditforderung, den letzten Zweifel entfernen.5 Beust 4 Die Abschrift liegt nicht in der Akte. 5 Beust bezieht sich auf den im Abgeordnetenhaus am 5. Mai 1860 eingebrachten Antrag der preußischen Regierung, „zur Aufrechterhaltung und Vervollständigung derjenigen Maßnahmen, welche für die fernere Kriegsbereitschaft und erhöhte Streitbarkeit des Heeres erforderlich [. . .] sind, außer den im gewöhnlichen Budget bewilligten Mitteln für die Zeit vom 1. Mai d. J. bis zum 30. Juni 1861 neun Millionen Thaler zu bewilligen“. Das Abgeordnetenhaus nahm den Antrag am 15. Mai 1860 mit 315 gegen 2 Stimmen an. Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 22. Dezember 1859 einberufenen beiden Häuser des Landtages. Haus der Abgeordneten, Bd. 2, S. 993 u. 1128–1130; Schulthess (Hrsg.), Europäischer Geschichtskalender, Jg. 1, 1860, S. 126 f.
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Stuttgart, 12. Mai 1860
47. Artikel im schwäbischen „Beobachter“ 1 Der Beobachter. Ein Volksblatt aus Schwaben, Nr. 111 u. 112 vom 12. und 13. Mai 1860.
Die Zeit naht, um einen deutschen Staat ohne Österreich und Preußen zu bilden. Preußens Politik ist kraftlos und unentschlossen. Harte Kritik am preußischen Prinzregenten Wilhelm und Erinnerung an dessen Rolle 1848/49. Der sogenannte deutsche Beruf Preußens wird in Frage gestellt. Hinweis auf die Unterschiede in den politischen Auffassungen zwischen Norddeutschland und Südwestdeutschland. Es ist Selbsttäuschung zu glauben, Preußen werde in Deutschland aufgehen, vielmehr will Preußen alles deutsche Wesen verschlingen. Auch von Österreich ist derzeit nichts für die Bildung eines deutschnationalen Lebens zu erwarten.
No 111.
[Stuttgart,] 12. Mai 1860 Ein Rheinbund ohne Schutzherrn.
1. Endlich, endlich scheint die Zeit nahen zu wollen, in welcher der Gedanke zu Ehren kommen und seiner Ausführung näher gebracht werden soll, den schon seit einer langen Reihe von Jahren denkende Vaterlandsfreunde als den einzig richtigen Weg erkannt haben, auf dem Deutschland ein achtunggebietender Staat werden kann: es ist der Bund der deutschen Staaten zu einem Ganzen neben Oestreich und Preußen. Laßt Oestreich Oestreich und Preußen Preußen sein! wir sind dann Deutschland und Oestreich und Preußen unsere Bruderstaaten, Staaten, in welchen Millionen unserer deutschen Brüder wohnen und mit denen wir in weiterem Bunde gemeinsam gehen; wir werden ein Staat, mit welchem andere Völker und Staaten es sich zur Ehre rechnen, Bündnisse zu schließen, zu dem die durch List und Gewalt getrennten Glieder mit Freude zurückkehren, ein Staat, der jedem Feind trotzen, jeden Ruhestörer zurechtweisen kann. Woher diese schöne Hoffnung? Viele Gründe berechtigen dazu. Vor Allem Preußens Gebahren. Wohl nehmen seine Minister den Mund voll und bemächtigen sich der Fragen, die des Deutschen Brust zu zersprengen drohen, auf eine Weise, wie sie ein prahlender „Vaterlandsretter“ übt. Schleswig-Holstein! Kurhessen! Bundestag! sind die Schlagworte, mit denen man um sich wirft. Mit diesen will man „moralische Eroberungen“ machen, weil man zu andern den Muth nicht hat. Aber auch dazu fehlt der Muth, jene Schlagworte zu einer Wahrheit zu machen. Denn kaum ist das kecke Wort entfahren, so nimmt man es halb zurück, giebt im Abgeordnetenhause auf die Frage über Anerkennung 1 „Der Beobachter. Ein Volksblatt aus Schwaben“ erschien von 1833 bis 1920 in Stuttgart und war das führende Organ der württembergischen Demokraten. Vgl. Dokumente aus geheimen Archiven, Bd. 5, S. 92, Anm. 82.
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des deutschen Bundes „nebelhafte“, ausweichende Antworten, entschuldigt sich in Wien und anderwärts wegen vincke-schleinitz’scher hochfliegender Parlamentsreden2, schleicht schüchtern ins Mäuseloch zurück, nachdem man kaum erst einen muthigen Schritt vorwärts und einen kühnen Griff3 zu thun den Anlauf genommen hatte. So farb- und kraftlos ist diese preußische Staatskunst, daß selbst ein preußisches Blatt, was gewiß viel heißt, die Volkszeitung4 die Regierung ernstlich tadelt und ihr geradezu ins Gesicht sagt, man dürfe sich nicht wundern, wenn man im deutschen Volke zu der Ueberzeugung komme, daß die preußische Regierung besten Falls nicht klüger sei als vor 10 Jahren. Woher sollte da das übrige Deutschland Vertrauen fassen zu dem an der Spitze Preußens stehenden Manne, daß es ihn an die Spitze Deutschlands stellte, wenn vollends hinzugenommen wird, wie er als Freund des kleinlichten Soldatendienstes, statt kriegerischen Geist seinem Volke einzuhauchen, Millionen zur weiteren Ausbildung des Kamaschendienstes5 vom Volke verlangt und wenn man sich erinnert, wie er am 18. März 1848 seinen jetzt geisteskranken Bruder anfeuerte, Berlin zusammenkartätschen zu lassen, wenn man endlich sich vergegenwärtigt, wie derselbe ein Erinnerungsfest feierte an die Siege, die er in der Pfalz und Baden erfocht, im schrecklichen – Bruderkriege. Wird aber dieß Alles nicht vergessen und aufgewogen durch die unendliche Begeisterung für Preußen, die von unzähligen Sendboten über ganz Deutschland verbreitet wird? Sind nicht so viele Männer aus tiefster Ueberzeugung, aus tiefwissenschaftlichen Gründen von dem Gedanken durchdrungen, daß Preußen und Preußen allein die geschichtliche Aufgabe und den germanischen Beruf habe, ja daß es eine „geschichtliche Nothwendigkeit“ sei, daß Preußen das ungetheilte Deutschthum darstelle? Arbeiten nicht Vereine und Schriften aller Art für die Ausbreitung dieses Gedankens? so zwar, daß die berliner Volkszeitung bei Empfehlung einer neuesten Schrift hofft, dieselbe werde alle Deutschgesinnten zu der Ueberzeugung leiten, daß, „wenn eine geeinigte 2 Siehe oben S. 213 f. 3 Anspielung auf den sogenannten „kühnen Griff“ des Präsidenten der Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, d. h. seinen Vorschlag vom 24. Juni 1848, die Reichszentralgewalt selbst einzusetzen und den österreichischen Erzherzog Johann zum Reichsverweser zu wählen. 4 Die Berliner Volkszeitung war hervorgegangen aus der 1853 verbotenen demokratischen „Urwählerzeitung. Organ für Jedermann aus dem Volke“. Die oppositionelle liberale Volkszeitung wurde geleitet von Franz Duncker, einem Gründungsmitglied des Nationalvereins und der Deutschen Fortschrittspartei (1861). Vgl. Dokumente aus geheimen Archiven, Bd. 5, S. 85, Anm. 40; DBE, Bd. 2, S. 651. 5 Kamaschen- oder Gamaschendienst war seit Anfang des 19. Jahrhunderts ein abwertender Begriff für den stupiden Kasernendrill, mit dem besonders die preußische Armee in Verbindung gebracht wurde.
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deutsche Nation einer Centralmacht bedürfe, sie ihr Geschick nur mit dem der preußischen Monarchie vereinigen könne?“ so, daß ein neugegründetes preußisches Blatt bereits es wagt, den siegsgewissen preußischen Adler als Sinnbild seinem Blatte aufzudrucken mit der Umschrift: „In diesem Zeichen wirst du siegen!“ und das Blatt seinen ersten Leitaufsatz damit schließt: „Des preußischen Landboten Königthum ist: das preußische Volkskönigthum von Gottes Gnaden, das Königthum von Hohenzollern.“ Ist es nicht, wird weiter gefragt, eine in Fleisch und Blut übergegangene Ansicht der preußischen Nation (!), daß Deutschland in ihr aufgehen müsse, und sind es nicht ganze deutsche Stämme, die in Preußen aufgehen wollen? Benützen nicht Tausende einzelner Deutschen jede Gelegenheit, um Preußen aufzufordern, daß es doch endlich einmal den entscheidenden Schritt thue, die Führerschaft in Deutschland zu ergreifen und die getrennten Theile Deutschlands als ein Ganzes in sich zu vereinen? freilich mit dem Vorbehalt, daß Preußen in Deutschland und nicht Deutschland in Preußen aufgehe. Ist es nicht bereits so weit gekommen, daß Jeder, der nicht schwarzweiß ist, als Schwarzgelber, d. h. als Anhänger der östreichischen Regierung, des habsburgischen Hauses, verdächtigt wird? oder in Gefahr kommt, nicht als Vaterlandsfreund anerkannt zu werden? oder gar als Solcher zu gelten, der nicht über die vier Pfähle des Kleinstaates, in dem er geboren ist, hinauszublicken vermöge, als frommer und getreuer Anhänger seines Fürstenhauses? No 112.
[Stuttgart,] 13. Mai 1860 Ein Rheinbund ohne Schutzherrn.
2. Wohl sind die Bemühungen und Anstrengungen groß, die von Denen gemacht werden, welche zum Theil aus reiner, auf gute Gründe, wie sie glauben, sich stützender Ueberzeugung alles Heil von Preußen erwarten. Dennoch wird es ihnen nie gelingen, die Andersgesinnten zu bewegen, daß sie Preußen die Führerschaft anvertrauen, außer in der Stunde gemeinsamer Gefahr, wenn kein Tüchtigerer da ist. Die Mehrzahl Solcher findet sich im Südwesten unseres Landes, während die Hannoveraner z. B. sich Preußen zuneigen aus dem besondern Grunde, weil sie von einer Willkürherrschaft niedergedrückt sind, der sie in Preußen zu entgehen hoffen. Im südwestlichen Deutschland ist das verfassungsmäßige Staatsleben, freilich auch mit den ihm anklebenden Mängeln und möglichst abgeschwächt, mehr entwickelt, und das, was den Preußen, insbesondere den Berliner begeistert, die Anbetung des Königthums von Gottes Gnaden, ist dem Südwestdeutschen fremd und zuwider, ja es ekelt ihn geradezu an. Seit Friedrich dem Großen ist der zusammenhaltende Gedanke Preußens der König. Damals hatte das preußische Volk etwas von dem, was
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man Nationalstolz heißt, sofern dieser das Bewußtsein ist, in der Einheit stark und dadurch als Volk von andern Völkern geachtet und gefürchtet zu sein. Aber seitdem haben die Staatsumwälzungen andere Vorstellungen vom Königthum verbreitet und die Preußen insbesondere hatten von dort ab wenig Grund, hierfür noch sich zu begeistern. Dennoch war auch im Jahre 1813 der innere Kern der Begeisterung der preußischen Jugend, das Ziel ihres Kämpfens vor Allem die Wiederherstellung des preußischen Königthums. Als der königliche Thron wieder aufgerichtet dastund, blickte man freudestrahlend und stolz zu ihm empor, indem man von dem Wahlspruch: „Mit Gott für König und Vaterland!“ das Letztere vergaß und dem Ersteren, dem „guten König“, der ohnehin immer vor dem Vaterlande genannt wird, zur gnädigsten Besorgung überließ, freilich nicht mit Zustimmung aller Preußen, sondern unter ernstem Kopfschütteln der besten preußischen Männer, die zum Theil dem Tugendbunde angehörig6, gerade diejenigen gewesen waren, welche jene Begeisterung für das Königthum verbreitet hatten und nun zum Danke dafür die Auflösung des Bundes und die Rückkehr des unumschränkten Herrscherthums trauernd mitansehen mußten. – Der Südwestdeutsche nun also weiß nichts und will nichts von dem, auf was der Preuße als auf seine „Nation“ stolz ist. Wenn er auch viele einzelne Preußen lieben kann und achten muß, so fühlt er sich dem Preußen entfremdet, den er begeistert singen hört: „Ich bin ein Preuße! kennt ihr meine Farben?“ Der Südwestdeutsche hält nichts auf Landesfarben, schon darum, weil er sie zu bunt und vielfach nebeneinander sieht. Je zudringlicher nun trotz der mehr oder weniger zum klaren Bewußtsein gekommenen Abneigung gegen dieses absonderliche Preußenthum im deutschen Südwesten Glauben und vertrauende Hingebung an diesen Staat dem Südwestdeutschen zugemuthet wird, desto mehr wirkt dann die hinzutretende Ueberzeugung, daß gerade das was ein Volk zum Volke oder – um den als bezeichnender geltenden Ausdruck zu gebrauchen – zur „Nation“ macht, Preußen abgeht. Preußen ist ein kleiner Großstaat oder ein großer Kleinstaat, so urtheilt der Südwestdeutsche. Wenn er nun auch mit größter Freude die vielen Grenzpfähle fallen sehen oder selbst fällen würde, um ein großes Ganze herzustellen, so fällt er sie nicht, um sich einer solchen Macht in die Arme zu werfen. Ist schon die Form des staatsbürgerlichen Lebens eine ihm widerstre6 Der Tugendbund wurde im Frühjahr 1808 als „sittlich-wissenschaftlicher Verein“ in Königsberg gegründet und hatte das Ziel, das gedemütigte Preußen wieder aufzurichten und den Patriotismus und die Anhänglichkeit an die Dynastie zu fördern. König Friedrich Wilhelm III. genehmigte den Verein am 30. Juni 1808, mußte ihn aber schon am 31. Dezember 1809 auf Druck Napoleons auflösen. Dem Tugendbund gehörten wichtige Vertreter des preußischen Reformadels und der Bürokratie an. Vgl. Schmidt, Tugendbund.
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bende, so findet er auch keine Befriedigung und Beruhigung in dem Gedanken, Preußen angeschlossen zu sein, einem Staate, dessen ganzes Wesen so schwankend, dessen Kräfte so beschränkt sind, als seine Regierung es ist bis in7 ihre Spitze hinauf. Preußen, urtheilt der Südwestdeutsche weiter, will durch Ansichziehen kleiner deutscher Staaten erst werden, was es indessen mit Mühe vorgestellt hat: ein Großstaat, aber kein deutscher, sondern der preußische; denn es ist Selbsttäuschung, zu glauben, Preußen werde in Deutschland aufgehen; vielmehr würde es alles deutsche Wesen verschlingen, damit aber würde sich, da der preußische Geist kein deutscher ist, noch wird, das Preußen einverleibte Deutschland so unglücklich fühlen, als Holstein in den Armen Dänemarks, als Griechenland in den Armen Philipps8. So sieht sich denn der deutsche Südwesten auf andere Wege gewiesen, um zu einem „Nationalbewußtsein“, d. h. zu dem Bewußtsein zu gelangen, daß er, als abgeschlossener Staat, nach Innen frei, nach Außen selbstständig und von jeder äußern Macht unabhängig, achtunggebietend in der Reihe der übrigen Völker dastehe, also mit einer Macht ausgerüstet, die, wie sie keines fremden Beistands bedarf, so jeden Angriff willens- und thatkräftig zurückweisen kann. Mit dem andern deutschen Großstaat, Oestreich, ist, so lange die gegenwärtigen unglückseligen Verhältnisse dort obwalten, keine gemeinschaftliche Sache zu machen. Wie sehr auch ein großer Theil der Oestreich unterworfenen Völker nicht nur nach Abstammung und auch geistig wie gemüthlich mit dem Südwesten verwandt und verwachsen ist, sondern auch ihm zum Theil wirklich angehört, so können wir von jenem vorderhand nichts für die Bildung eines deutsch„nationalen“ Lebens erwarten, wenn nicht, was höchst unwahrscheinlich, in einem Zusammenbrechen Oestreichs naturgemäß einzelne Theile davon zum Südwesten herüber fallen sollten.
7 Emendiert. Vorlage: iu. 8 Gemeint ist Philipp, der König von Makedonien (ca. 382–336), der die griechischen Poleis eroberte.
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Schrenk an König Maximilian II.
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48. Schrenk an König Maximilian II. HStA München, MA 493/1. Antrag. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 24. Mai 1860.
Angesichts der Verschlimmerung der Verhältnisse in Deutschland empfiehlt Schrenk die Abhaltung einer Konferenz der Mittelstaaten nach dem Vorschlag von Beust. König Maximilian hält dies im Augenblick für nicht günstig und ordnet an zu erforschen, worüber auf einer solchen Konferenz im einzelnen verhandelt werden solle.
München, 13. Mai 1860 An Seine Majestaet den Koenig Allerunterthänigster Antrag von Seite des Staats-Ministeriums des Koeniglichen Hauses und des Aeußern die Abhaltung von Minister-Conferenzen betreffend. Bei den Zusammenkünften, welche im verflossenen Jahre zuerst dahier zwischen den Freiherrn von Beust und Hügel und dem treu gehorsamst Unterzeichneten, und dann im Spätherbst zu Würzburg stattgefunden haben1, ist, wie Euere Königliche Majestät allergnädigst Sich zu erinnern geruhen, die Abrede getroffen worden, zeitweise, bei sich hiezu ergebenden Anläßen, Conferenzen der Minister der deutschen Mittelstaaten zu veranstalten, um sich auf solchen über gemeinsame Angelegenheiten zu besprechen und über die bezüglich solcher zu beobachtende Haltung zu verständigen. Aus den in den letzten Tagen von dem k. Ministerresidenten zu Dresden erstatteten Berichten werden Euere Königliche Majestät bereits allergnädigst ersehen haben, daß der k. sächsische Staats-Minister Freiherr von Beust die Lage der Dinge in Deutschland so gelagert erachtet, daß die Einberufung einer derartigen Ministerconferenz als höchst wünschenswerth erscheine, und es hat nun Freiherr von Beust die Gründe, welche ihn zu einer deßfallsigen Anregung bestimmen, in der hieneben ehrerbietigst in Abschrift angefügten Depesche an den Sächsischen Minister-Residenten Herrn von Bose vom 5. dß. ausführlich entwickelt und um Eröffnung der diesseitigen Ansicht über den von ihm gemachten Vorschlag ersucht.2 Es ist nun nicht zu verkennen, daß die inneren Verhältniße Deutschlands sich in jüngster Zeit wesentlich verschlimmert haben, und möglicherweise einer entscheidenden Crisis entgegengehen. Die Bestrebungen einer weitverzweigten Partei, welche den Umsturz des Bundes in seiner dermaligen Gestalt und die Ersetzung desselben durch eine den Händen Preußens anzuvertrauende Centralgewalt, nebst einer Volksvertretung ihr zur Seite, sich zum Ziele gesetzt hat, treten immer offener und drängender hervor; sie finden entschie1 Siehe Dok. 22 und 34. 2 Siehe Dok. 44.
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dene Unterstützung in der Versammlung der Abgeordneten zu Berlin, und selbst die k. Regierung dortselbst scheint diese Partei, welche begreiflicher Weise in Preußen die zahlreichsten Anhänger hat, gerne gewähren zu lassen. Die jüngsten Verhandlungen in der Kammer der Abgeordneten zu Berlin über die kurhessische Verfassungsangelegenheit, wie dann jene über die Schleswig-Holsteinische Frage haben dieses zur Genüge dargethan, und natürlich zugleich den Muth der sogenannten Gothaer Partei in ganz Deutschland wesentlich gehoben, da dieselbe nun eines mächtigen Rückhaltes in Berlin sicher ist. Unter diesen Verhältnißen liegt der Wunsch nahe, daß von Seite der Regierungen, welche entschlossen sind, am Bundesvertrage festzuhalten, irgend etwas geschehe, um ihre Gesinnungen und Absichten zu dokumentiren, damit einerseits der preußischen Regierung kein Zweifel darüber bleibe, wie sie gemeinsamem Widerstande der anderen deutschen Regierungen begegnen werde, wenn sie auf der zu Auflösung des Bundes führenden Bahn fortschreiten wollte, und damit andererseits auch die öffentliche Meinung aufgeklärt werde und nicht etwa der Glaube sich Eingang verschaffe, daß die übrigen deutschen Regierungen, den von Berlin ausgehenden Angriffen weichend, den deutschen Bund und mit ihm ihre eigene Selbstständigkeit, zum Theil wenigstens, aufgeben. Das Gefühl, daß den Vorgängen in Berlin entgegen irgend etwas geschehen sollte, ist weit verbreitet, und wenn auch über das, was etwa zu thun wäre, noch keine bestimmten Vorschläge vorliegen, so haben sich doch mehrere Regierungen bereits mit der Sache beschäftigt und in der einen oder anderen Weise deßfalls Thätigkeit entwickelt. Von Württemberg aus hat man sich nach Berlin hin entschieden mißbilligend über die Kammerverhandlungen in der kurhessischen Angelegenheit ausgesprochen und andere Regierungen zu ähnlichem Vorgehen zu bestimmen gesucht; man hat dortselbst in der Frage der Revision der Bundes-Kriegsverfassung einen neuen Vorschlag gemacht, und endlich selbst einen besonderen Allianz-Vertrag der Mittelstaaten mit Oesterreich in Wien angeregt. In Hannover ist man, nach Inhalt der Berichte des Freiherrn von Perglas, mit Ausarbeitung eines Vorschlages zu Bildung einer Bundes-Central-Gewalt für Zeiten der Gefahr beschäftigt3, und auch in Sachsen scheint man sich mit irgend einem Plane zu tragen, der indessen bisher noch keine bestimmte Gestalt gewonnen hat. In Carlsruhe sprach man von der Nothwendigkeit irgend eines, wo möglich gemeinsamen Schrittes, und selbst in dem Cabinete zu Wien neigt man zu der
3 Siehe Dok. 49.
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Ansicht, daß irgend eine Erklärung zu Documentirung der Absicht, am Bunde festzuhalten, erforderlich sey. Wenn nun nicht bald eine Berathung und Einigung darüber erfolgt, ob und was etwa gemeinsam geschehen sollte und könnte, ist wohl zu besorgen, daß die einzelnen Regierungen selbstständig mit verschiedenartigen Vorschlägen hervortreten, und daß dadurch Verwirrung hervorgerufen und eher der gemeinsamen Sache geschadet, als genützt werde. Sowohl von dem positiven Standpunkte der offenen Beurkundung fortwährender Uebereinstimmung der Mittelstaaten und ihres Festhaltens am Bunde, sowie der Verständigung über etwa zu ergreifende Maaßregeln, als auch von dem negativen Gesichtspunkte der Verhinderung einseitiger Schritte einzelner Regierungen aus, erscheint in der That der Vorschlag der Abhaltung einer Ministerconferenz der deutschen Mittelstaaten aus den ehrerbietigst erwähnten Erwägungen zur Zeit aller Beachtung werth, und es ist die Hoffnung wohl nicht unbegründet, daß an einer solchen, außer den Regierungen, welche im vorigen Herbste zu Würzburg vertreten waren, nun vielleicht auch jene von Hannover und Baden Antheil nehmen würden. Der treu gehorsamst Unterzeichnete glaubt sich hienach verpflichtet, den gedachten Vorschlag zu allerhuldreichster Gutheißung zu bevorworten, er ist jedoch ohne alle Maaßgabe der allerhöchsten Befehle Euerer Königlichen Majestät in tiefster Ehrfurcht gewärtig, und erlaubt sich schließlich nur noch anzufügen, daß p. von Beust in einer weiteren Depesche vom 7. dß. beantragt hat, eine derartige Conferenz, wenn sie genehm seyn sollte, wieder in Würzburg abzuhalten. Frh. v. Schrenck Alles reiflich überlegt, scheinen Mir für den jetzigen Augenblick wenigstens die Ihnen mündlich angedeuteten Gründe, welche gegen die sofortige Abhaltung einer Ministerconferenz sprechen, überwiegend. Meine Ansicht geht dahin, zu sehen, wie weit man sich auch ohne Conferenz über die wichtigsten der, als Berathungsgegenstände der Conferenz vorgeschlagenen Punkte verständigen kann, ferner genau zu erforschen, möglichst bis ins Einzelne, was ausserdem auf der verlangten Conferenz verhandelt werden sollte. München den 24. Mai 1860. Max
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49. Memoire Platens zur Bundeszentralgewalt HStA München, MA 493/1. Geheimes Memoire. Abschrift. Vom bayerischen Gesandten Pergler von Perglas am 19. Mai 1860 an König Maximilian II. übermittelt. Praes.: 23. Mai 1860.
Die Verhältnisse, unter denen der Bund gegründet wurde und lange Zeit bestand, haben sich seit 1848 wesentlich verändert. Insbesondere hat sich die europäische Situation seit der Thronbesteigung Kaiser Napoleons III. völlig umgewandelt. Auch England sowie Preußen und einige kleinere deutsche Staaten unterwühlen seit 1848 die Grundlagen der legitimen fürstlichen Herrschaft, indem sie konstitutionelle Bestrebungen unterstützen. Käme es jetzt in Deutschland zu einem revolutionären Ausbruch, was nicht unmöglich ist, so würde es den Regierungen ähnlich ergehen wie in Italien. Die äußere Lage Deutschlands hat sich völlig zum Nachteil verändert, während Frankreich nun „in furchtbarer Macht“ dasteht. Deutschland ist auf sich allein gestellt und muß das System seiner Verteidigung gegen innere und äußere Feinde an die neuen Bedürfnisse anpassen. Dazu bedarf es vor allem einer Stärkung der Bundesexekutive. Diese soll aber nur für die Zeit außergewöhnlicher Gefahr konzentriert werden, d. h. es soll eine zeitlich beschränkte „Diktatur“ eingeführt werden. Da der Bund eine Staatenföderation ist, kann die Diktatur nicht einem einzigen übertragen werden, sondern nur einem Kollegium. Dieses sollte bestehen aus Österreich, Preußen und einem von den übrigen Bundesstaaten zu wählenden Mitglied, wählbar sollten dabei aber nur die vier mittelstaatlichen Könige sein. Mit der so gebildeten Zentralgewalt würde im Bund eine größere exekutive Einheit erreicht, der Schutz nach außen hin verbessert und Preußen „wieder in den Bundesweg getrieben“. Selbst wenn ein Antrag auf die Bildung einer Zentralgewalt in der Bundesversammlung nicht die nötige Zustimmung aller Staaten erhielte, hätte er doch den Nutzen, daß der Vorwurf von seiten Preußens und des Nationalvereins, der Bund tue nichts gegen die drohenden Gefahren, auf jene Regierungen abgewälzt würde, die die Einrichtung der Zentralgewalt ablehnten. Platen ist dafür, mit den anderen Königreichen einen entsprechenden Antrag zu vereinbaren und ihn in der Bundesversammlung zu stellen. Platen befürwortet in den gemischten Bundesarmeekorps die Beibehaltung des Kommandanten und des Generalstabs auch in Friedenszeiten, um so die Korps als Bundestruppen erscheinen zu lassen und ihre Schlagkraft zu verbessern.
[Hannover, April/Mai 1860]1 Geheimes Aktenstück, zu Allerhöchst-Eigenen Händen Sr. Majestät des Königs2. Copie Mémoire, betreffend Bundes-Central-Gewalt für Zeiten der Gefahr und Ernennung von Corps-Kommandanten in Friedenszeiten. Die Verhältniße unter denen der Bund und seine organischen Anstalten errichtet wurden und eine lange Zeit fortbestanden, haben sich seit 1848 wesentlich 1 verändert. 1 Das Memoire wurde wahrscheinlich im April 1860 verfaßt. Pergler von Perglas hatte in einem Bericht vom 3. Mai 1860 erstmals das Memoire Platens erwähnt, worauf Schrenk den Gesand-
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Memoire Platens zur Bundeszentralgewalt
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Frankreich lag im Jahre 1815 darnieder. Ganz Europa war gegen den deutschen Erbfeind vereinigt, und es schien, als ob die Hauptmächte für immer in einer festen Allianz gegen Frankreich verharren würden. In der Regierung einer wieder aufgedrungenen Dynastie und in der constitutionellen Verfaßungsform lagen sichere Garantieen, daß Frankreich seine inneren furchtbaren Kräfte nicht energisch und einheitlich nach Außen hin würde verwenden können. Revolutionäre Bewegungen tauchten zwar schon kurz nach Entstehung des Bundes auf. Sie kamen aber nur in Staaten zweyten u. dritten Ranges zum offenen Ausbruch, wurden unterdrückt und vereinigten die continentalen Hauptmächte noch inniger, auch die französische Regierung stand in so weit 2 auf Seiten der anderen Mächte. Für jene damaligen Verhältniße war die Form in welche die deutsche Föderation und ihre Kriegsmittel gebracht wurden, genügend. Die Langsamkeit und Schwerfälligkeit ihrer Maschinerie schadete nicht weil Frankreich gleichfalls durch seine constitutionelle Form an raschen Entschlüßen und kräftigen Operationen gehindert war. Außerdem bildete die Deutsche Armee gewißermaßen einen Theil des großen europäischen Heeres, das sich bey jedem Kriegsfall wider Frankreich in Bewegung zu setzen und Deutschland zu dekken bereit war. Schon die französische Revolution von 1830 brachte aber eine Veränderung in jene Verhältniße. Frankreich wählte sich einen Herrscher und die Solidarität im Legitimitäts-Principe mit den östlichen Mächten war dadurch aufgegeben. Auch hatte seitdem die französische Regierung kein Intereße zu verhindern, daß eine thätige Propaganda in den Nachbarländern den Principen [sic] Geltung zu verschaffen strebte, auf welchen die Herrschaft in Frankreich beruhte. Doch fand damals diese neue Stellung Frankreichs noch ein Gegengewicht in dem festen Zusammenhalten der östlichen Mächte, in der persönlichen Schwäche des neuen Königs von Frankreich und in der Vermehrung der constitutionellen Einrichtung. ten am 15. Mai angewiesen hatte, das Memoire zu beschaffen und nach München zu übersenden, da der König es einsehen wolle. Im Bericht vom 19. Mai schrieb Pergler, das Memoire liege bei dem König von Hannover und Platen habe noch keinen Bescheid darüber erhalten. Gleichwohl ließ Platen Pergler eine Abschrift des Memoires nehmen, unter der Bedingung, daß der hannoversche Gesandte in München, Knesebeck, davon keine Kenntnis erhalten dürfe, weil Platen sonst kompromittiert werden könne. Vgl. HStA München, MA 493/1. – König Georg V. von Hannover nahm das Memoire im Juni 1860 mit zur Fürstenkonferenz nach Baden-Baden, um dort „davon Gebrauch zu machen“, doch wurde das Memoire, wie König Johann von Sachsen auf dem Berichtschreiben des sächsischen Bundestagsgesandten Könneritz an Beust vom 16. Juni 1860 notierte, den anderen Monarchen in Baden „nicht mitgetheilt“; HStA Dresden, 10 717, Nr. 933, fol. 265–280: Bericht Könneritz’ mit beigefügter Abschrift des Memoires von Platen, Zitate fol. 265. 2 Georg V. (1819–1878), 1851–1866 König von Hannover.
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Seit dem Jahr 1848, und namentlich seit der Thronbesteigung des Kaisers Napoleon haben sich jedoch die Umstände völlig umgewandelt. Frankreich kam erst auf die republikanische Grundlage und hierauf auf die einer Wahlmonarchie welche beide dem Principe der monarchischen Legitimität völlig entgegengesetzt sind. England unterstützt im Auslande jede Verfaßungsform, welche die Regierung von dem Willen der Bevölkerung abhängig macht, und Preußen so wie ein Theil der anderen deutschen Staaten läuft seit 1848 gleichfalls auf der constitutionellen Bahn und macht für sie Propaganda. Die deutschen Fürsten sind also gegenwärtig nicht blos von Frankreich und England her durch die gefährlichsten Principe bedroht, sondern auch Preußen und einige andere deutsche kleinen Staaten unterwühlen die bisherigen Grundlagen der fürstlichen Herrschaft. Dadurch ist die Gefahr des revolutionaeren Princips furchtbar gesteigert worden. Kömmt jetzt ein revolutionärer Ausbruch in Deutschland, wie er doch nicht unmöglich ist, so würde es den Regierungen ähnlich ergehen wie in Italien, wenn nicht bey Zeiten in Deutschland Anstalten getroffen sind, welche die Möglichkeit und Mittel gewähren, sofort mit vereinten Kräften die Revolution zu besiegen. Noch mehr aber hat sich die Lage Deutschlands nach Außen hin verändert. Die europäische Allianz, welche gegen Frankreich bestand, und von welcher Deutschland ein Glied und gedeckt war, ist völlig aufgelöst. England geht seinen besonderen Weg, jedenfalls kann nicht auf seinen Beistand gerechnet werden, und es vermag auf dem Continente nur wenig zu schützen, selbst wenn es sich mit Deutschland alliirte. Rußland ist geschlagen, geschwächt, und mehr auf Frankreichs als auf deutscher Seite. Oestreich, der eigentliche Hort Deutschlands, auf deßen kräftigem Bestande das Bundesverhältniß sich stützte, wurde besiegt und laborirt jetzt in Folge des unglücklichen Feldzuges, innerer Zerrüttung und Mißmuths an einer Schwäche, wie sie kaum jemals gesehen wurde. Dazu noch die Zwietracht zwischen Oestreich und Preußen. Inmittelst hat sich aber Frankreich unter dem Absolutismus des Kaisers in schroffster Einheit concentrirt. Die Siege über Rußland und Oestreich haben gezeigt, was diese Concentration zu leisten vermag und naturgemäß ist dadurch der politische Einfluß Frankreichs und die Siegesfähigkeit seiner Armee verdoppelt worden. Frankreich steht jetzt in furchtbarer Macht da, stark durch seine materielle und gestiegene moralische Kraft, und durch die Schwäche der anderen ContinentalMächte. Deutschland durch die Niederlage Oestreichs eines Theils seiner Kraft beraubt, befindet sich isolirt diesem Gegner gegenüber, und sieht mit Wahrscheinlichkeit einem demnächstigen Angriffe entgegen. Es liegt zu nahe, daß Deutschland nunmehr auf sich allein angewiesen das System seiner Vertheidigung gegen innere und äußere Feinde, welches für
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Memoire Platens zur Bundeszentralgewalt
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ganz andere Verhältniße geschaffen war, als sie jetzt vorhanden sind mit den neuen Bedürfnißen in Einklang setze. Nach meiner unmaßgeblichen Ansicht wird es hauptsächlich darauf ankommen die Concentration und Schnellkraft der Bundesexekutive und ihrer Mittel zu vermehren. Dem Bundes-Organe eine stärkere Einheit zu verleihen war bereits ein Gegenstand der Diskußion auf den Dresdener Conferenzen. Damals projektirte man aber, dem Stimmenverhältniß im Bunde überhaupt eine andere Gestalt zu geben; die beabsichtigte Einrichtung war nicht lediglich auf Zeiten der Gefahr berechnet, und für solche Perioden nicht concentrirt genug.3 Mir scheint es hinreichend zu sein, wenn die Veränderung des Bundesorganes nur auf die außergewöhnliche Gefahr beschränkt und für diese eine Diktatur4 eingeführt wird, so einheitlich und unbeschränkt, als die Natur einer Föderation immerhin erlaubt. Die Concentration der Bundes-Gewalt in einer Person mit discretionärer5 Gewalt wäre allerdings für solche Ausnahmsfälle die beßte Form, weil die einheitliche und folglich die wirksamste und am meisten geeignet der französischen schroffen Einheit das Gegengewicht zu halten. Sie läßt sich aber in der deutschen Föderation nicht erreichen so lange zwey Großmächte in ihr vorhanden sind, von denen keine der anderen sich unterordnen will. Ist es aber sonach unmöglich die büreaukratische Form6 einzuführen, so bleibt nichts übrig, als die collegialische Form zu wählen, oder, wenn man will beizubehalten, da sie bereits in der Bundesversammlung besteht, aber aus zu viel Stimmen. Zum Collegium gehören bekanntlich wenigstens drei7 Mitglieder. Zwey Mitglieder an die Spitze zu stellen, Oestreich und Preußen, hieße von vorneherein das System des Widerstreites und Stillstandes der Maschine durch den ungelösten Gegensatz einführen. Es ist ganz unleugbar, die collegialische Form entspricht am meisten, wo nicht allein, einer Staatenföderation, wenn sie auch nicht die zweckmäßigste für den Zweck der Rettung aus Gefahr ist. Kann also die schroffe Einheit, die büreaukratische Form nicht erreicht werden, so ist es das Richtige diese Natur 3 Siehe dazu QGDB III/1; Flöter/Wartenberg (Hrsg.), Die Dresdener Konferenz 1850/51. Zur Diskussion über die Bundesexekutive auf der Dresdener Konferenz siehe Müller, „. . . das dringendste Bedürfniß für Deutschland“. 4 Platen benutzt hier offenbar den Begriff in dem Sinne, wie er in der römischen Republik gebraucht wurde, in der in Zeiten der Gefahr auf Vorschlag des Senats ein Beamter zum Diktator mit außerordentlichen Vollmachten für die Zeit von sechs Monaten ernannt werden konnte. 5 Im Sinne von: dem eigenen Ermessen überlassen. 6 Im Sinne von: die von einem einzigen geleitete Behörde. 7 Erstes Wort auf der neuen Seite der Vorlage; auf der vorhergehenden Seite findet sich unter der letzten Zeile das Wort, verweisend auf die Fortsetzung auf der folgenden Seite, in der Schreibweise: drey.
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maßgebend sein zu laßen, und es fragt sich dann nur, wie das Collegium, welches die Diktatur bekommen soll einzurichten, und von wem deßen Mitglieder zu wählen sind. Die kleinste Zahl von Mitgliedern, welche ein Collegium überhaupt haben kann, also drei, scheint die wünschenswertheste, weil sie sich am möglich wenigsten von der büreaukratischen Einheit entfernt und also dem Zwecke der Sicherung relativ die meiste Garantie bietet. Oestreich, Preußen, und die übrigen Bundesgenoßen curiatim würden je ein Mitglied stellen, das letztere wäre entweder in dem engeren Rathe der Bundesversammlung oder durch alle Bundesgenoßen mit Ausnahme von Oestreich und Preußen zu wählen, obwohl die letztere Wahlform schleppend und den Mittelstaaten nicht günstig wäre. Die Wahl müßte auf die vier Könige8 beschränkt sein. Ja man könnte sogar zugeben, daß Oestreich und Preußen durch das Loos den dritten Theilhaber der Diktatur aus den Königen auswählen.* Diese Einrichtung entspräche ziemlich dem Verhältniße der deutschen Bevölkerung angenommen, daß Oestreich 1/3, Preußen 1/3 und die übrigen Bundesgenoßen zusammen 1/3 jener Bevölkerung ausmachten, und sie trüge dem Machtverhältniße von Oestreich und Preußen am meisten Rechnung. Das dritte Mitglied lediglich durch die vier Könige wählen zu laßen würde zu großem Neid und Widerstand bei den kleineren Bundesgenoßen führen9. Im Ganzen schließe ich mich hinsichtlich der Bildung dieser Trias dem Vorschlage an, welcher in der Broschüre: „Ueber die Centralgewalt in Deutschland, Hannover 1860.“10 Seite 9 gemacht ist.** Doch würde ich ihn folgendermaßen formuliren: „Für außergewöhnliche Ereigniße und Kriegs-Gefahren übernimmt eine Bundes-Centralgewalt die Bundes-Gewalt. Ihr Eintritt wird in jedem einzelnen Falle durch den engeren Rath der Bundesversammlung mit absoluter Mehrheit beschloßen. Jedes Bundes* Es ist mir durchaus nicht erinnerlich, daß Graf Platen mir diesen Passus vorgelesen hätte – ich glaube, daß er ihn übersprungen hat. (Bemerkung ad L. No 80 von Freyherrn v. Perglas.) ** Die Broschüre ist eingesendet mit Depesche L. No 55. (Bemerkung von Frhr Perglas.)
8 Die Könige von Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg. 9 Emendiert aus Vorlage: finden. 10 Ueber die Centralgewalt in Deutschland. Hannover 1860. Druck von August Grimpe, 15 S. Verfasser der Schrift war der hannoversche Leutnant Eduard Grote (1811–1883); NDB, Bd. 24, S. 543. – In der Vorlage ist als Erscheinungsjahr der Schrift irrtümlich das Jahr 1850 angegeben.
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glied hat das Recht auf ihren Eintritt anzutragen und spätestens 8 Tage nach dem Antrage muß über ihn abgestimmt sein. Jene Central-Gewalt soll bestehen aus dem Kaiser von Oestreich, dem Könige von Preußen, und einem Könige der vier übrigen Königreiche. Das letzte Mitglied wird durch absolute Mehrheit im engeren Rathe in derselben Sitzung gewählt, wo über den Antrag auf Eintritt der Central-Gewalt abgestimmt wird. Die Mitglieder der Central-Gewalt laßen sich durch volljährige Prinzen eines der fürstlichen Häuser vertreten, welche in den Bundesstaaten regieren; doch müßen die Vertreter mit unbedingten Vollmachten versehen sein. Die Central-Gewalt hat ihren Sitz zu Frankfurt a/M. Doch kann sie ihren Sitz in eine andere Stadt, welche in der Mitte Deutschlands liegt verlegen, wenn die Umstände es verlangen. Die Form, in welcher die Central-Gewalt ihre Gewalt ausübt, ist die collegialische Berathung und der Beschlüße nach Majorität. Jedes Mitglied hat das Recht sich zum Zwecke der Bearbeitung der Gegenstände und der Relationen einige Referenten zu bestellen, welche als Beisitzer ohne Votum im Collegium sitzen dürfen. Sie sind commißarisch aus den Behörden der Bundesstaaten der respektiven Mitglieder der Centralbehörde zu entnehmen, verbleiben in dem Dienste und dem Gehalte jener Staaten, während ihrer commißarischen Stellung, erhalten Diäten aus der Bundeskaße, kehren nach Aufheben ihres Commißoriums in ihre Dienststellen zurück, sind aber während des Commißoriums nur der Central-Gewalt zu Dienst verpflichtet. Auch das übrige Personal, welches die Central-Gewalt braucht ist auf dieselbe Weise den respektiven Bundesstaaten zu entnehmen. Von dem Augenblick an, wo von der Bundesversammlung der Eintritt der Centralgewalt beschloßen, und das dritte Mitglied gewählt ist gehen alle politischen Befugniße des Bundes, namentlich das Recht des Krieges und des Friedens, die Bestimmung über das Bundesheer und deßen Verwendung auf sie über. Die Centralgewalt besitzt aber keine Befugniß, die Bundesgrundgesetze aufzuheben oder abzuändern. Die Bundesversammlung ist nicht aufgehoben mit dem Eintritte der Centralgewalt, sondern ihre Thätigkeit ruht nur inmittelst, und die Gesandten vermitteln den Verkehr zwischen den Bundesstaaten und der Centralgewalt. Jedes Bundesglied besitzt das Recht einen Antrag darauf zu richten, daß die Thätigkeit der Centralgewalt aufhöre und die regelmäßige Thätigkeit der Bundesversammlung wieder anfange. Zu diesem Zwecke treten die Bundestags-Gesandten entweder in Frankfurt oder am Sitz der Centralgewalt zusammen und beschließen über jenen Antrag im engeren Rathe nach absoluter Stimmenmehrheit.
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Stimmt die Majorität im engeren Rathe für das Aufhören der Centralgewalt, so ist diese in dem Augenblick aufgelöst, wo der Beschluß der Bundesversammlung ihr gehörig zugegangen und keine andere Zeit des Aufhörens in demselben bestimmt worden ist.“ Die vornehmlichsten Verschiedenheiten meiner unmaßgeblichen Formulirung von derjenigen in jener erwähnten Broschüre bestehen darin:11 Erstens schien es mir zweckdienlich, wenn die collegialische Behandlung der Geschäfte in der Centralgewalt bestimmt ausgesprochen würde, damit nicht ein Geschäftsgang einriße, wonach die Mitglieder der Centralgewalt nicht gehörig zusammenkämen und deliberirten, und namentlich das dritte Mitglied nicht gehörig zur Berathung und Thätigkeit gelangte, vielleicht sogar von Hofe zu Hofe geführt würde. Zweitens muß verhütet werden, daß es nicht geht wie im Jahre 1848 und 1850, wo die Bundesversammlung aufgehoben wurde, und dann Niemand vorhanden war, der sie wieder zusammenrufen und zur Thätigkeit bringen konnte. Preußen, und andere Feinde des Bundes würden gewiß frohlocken wenn das grundgesetzliche Bundesorgan durch Errichtung einer Central-Gewalt aufgehoben würde, und dann wie 1850 Grund dazu vorhanden wäre, zu bestreiten, daß die Bundesversammlung überhaupt rechtlich noch existire, und wieder berufen werden dürfe. Im Jahre 1850 halfen einige Fiktionen des Fürsten Schwarzenberg, und schließlich erzwang man mit Gewalt, daß Preußen die Bundesversammlung wieder anerkannte, ob ihre Restauration wieder gelingen würde, wenn sie einmal beseitigt wäre, möchte sehr problematisch sein. Drittens muß verhütet werden, daß die Central-Gewalt nicht die Gestalt einer Staatsgewalt mit einem Ministerium bekömmt; ihr läge der Zusatz eines Parlamentes und Minister-Verantwortlichkeit zu nahe. Die collegialische Form der Centralgewalt selbst und ihrer Beschäftigung, ferner die Art und Weise, wie ich ihre Gehülfen gebildet habe, bezwecken diese Richtung zu verhindern, sowie anderseits kein Personal entstehen zu laßen, das für regelmäßige und ruhige Zeiten lästig wird. Wenn es gelänge eine solche außerordentliche Diktatur herzustellen so wäre nach meiner geringen Ansicht etwas Bedeutendes erreicht. Zunächst würde damit jenes kaum leugbare Bedürfniß einer stärkeren Einheit der exekutiven Mittel des Bundes so gut als eine Föderation es erlaubt, befriedigt. Man machte ferner dem Begehren eine Conceßion, das alle Parteien von ganz Deutschland theilen, nämlich Anstalten zu besitzen, welche beßeren Schutz nach Außen versprechen, als die gegenwärtigen. Auch wäre damit das preußische Bestreben paralysirt, welches die größere Einheit außerhalb des Bundes und in seiner Allein-Hegemonie sucht; Preußen selbst würde dadurch wieder 11 Emendiert. In der Vorlage steht statt des Doppelpunktes nur ein Punkt.
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in den Bundesweg getrieben. Ferner opferten die Mittelstaaten bey dieser Art von Central-Gewalt ungleich weniger, als sie bei jeder anderen Form der Concentration zu fürchten haben, – und in der nächsten Kriegs-Gefahr werden sie schwerlich umhin können einer dieser Formen sich zu unterwerfen, denn der Bund und ihre jetzige Theilnahme an der Bundesgewalt bliebe dann für die regelmäßigen Zeiten bestehen, und in den außergewöhnlichen participirten sie doch einigermaßen an der Diktatur. Endlich würde in der Entstehung einer solchen Centralgewalt und deren Thätigkeit gewißermaßen von selbst die Lösung der Streitfragen (z. B. Bundesfeldherrn-Frage) liegen, über welche gegenwärtig zwischen den Bundesstaaten gehadert wird, und welche die größte Gefahr im Augenblicke eines ausbrechenden Krieges bringen können. Doch muß man wohl für sehr zweifelhaft halten, ob ein Antrag auf Errichtung einer solchen Centralgewalt, gestellt in der Bundesversammlung durchgeht und zum Beschluß erhoben wird. Daß Oestreich aus sich selbst dagegen wäre, glaube ich nicht, denn dieses muß Kräftigung der Bundesanstalt wünschen, und außerdem garantirt ihm jene Einrichtung seine Stellung im Bunde, welche durch die gegenwärtige preußische Richtung angegriffen wird. Dagegen fürchte ich, daß Preußen sich bestreben wird einen solchen Beschluß zu hindern. Denn seine gegenwärtige Tendenz geht dahin, nichts am Bund entstehen zu laßen, was diesen befestigt und kräftigt, und was Oestreichs Stellung im Bunde verlängert. Wenn es auch nicht wagen wird direkt gegen die Einrichtung einer solchen Centralgewalt aufzutreten, so wird es sich wahrscheinlich hinter seine kleinen deutschen Satelliten stecken und auf diese Weise eine Einrichtung vereiteln, die nur durch Stimmeneinhelligkeit entstehen kann. Auch Dänemark wird ohne Zweifel zu verhindern suchen, daß Deutschland durch eine Diktatur erstarke. Indeßen auch angenommen, daß beym Bunde die Stimmeneinhelligkeit nicht erreicht wird, so hätte doch der gestellte Antrag an sich schon seinen Nutzen. Jetzt wird dem Bunde der harte und nicht ganz unrichtige Vorwurf gemacht, daß seine Einrichtung nicht die gehörige Garantie für Kriegsgefahren bietet12; den deutschen Regierungen wirft man vor, daß sie nichts dafür thun Anstalten gegen die Gefahren herzustellen – und auf beide Vorwürfe basiren Preußen und der Nationalverein ihre Machinationen. Diejenigen Regierungen, welche den Antrag auf Herstellung einer solchen Centralgewalt stellen, zeigen, daß sie das Opfer bringen wollen, welches in dieser Einrichtung liegt, und sie wälzen jene Vorwürfe vom Bunde und von sich auf diejenigen zurück, welche die Errichtung der Anstalt verhindern. Deßhalb möchte ich dafür sein, daß Hannover einen solchen Antrag mit den anderen Königreichen und was noch anschließen will, vereinbare, und ihn ge12 Emendiert. Vorlage: bieten.
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meinsam mit ihnen stelle. Die demnächstige Conferenz, welche Minister Beust beabsichtigt, könnte zur Vereinbarung benützt werden. Doch glaube ich nicht, daß man bei der Sorge für größere Einheit und Concentration des Bundesganzen stehen bleiben darf; man muß auch in kleineren Kreisen, um so zu sagen, im eigenen Hause jenen Zweck der größeren und schärferen Einheit verfolgen. Die gemischten Armeecorps, zu denen das X. gehört13, leiden durch ihre Natur an gehöriger Gleichförmigkeit und einheitlicher Gewohnheit. Sie sind ferner, weil sie aus den Contingenten mehrerer und zum Theile kleinerer Kriegsherrn bestehen, und in Friedenszeiten nur einmal ausnahmsweise bey Zusammenziehungen äußere Verbindung haben, sehr stark den preußischen Bemühungen ausgesetzt, den Corpsverband zu sprengen und die einzelnen Contingente der preußischen Armee einzuverleiben. Es scheint mir zweckmäßig, wenn beyde Gefahren in das Auge gefaßt und Gegenmittel gesucht werden. Als eines der am nächsten liegenden Gegenmittel erscheint mir die Beibehaltung des Korpskommandanten und seines Generalstabes auch in der Zeit des Friedens, und wenn das Corps nicht zusammengezogen ist. Durch diese Einrichtung bleibt dauernd die Eigenschaft der zum Corps gehörigen Contingente als Bundescorps äußerlich repräsentirt; und indem diese Idee der Zusammengehörigkeit genährt und gestärkt wird, erschwert sie die ablösenden Absichten und Manipulationen Preußens und wirkt auf die Truppen selbst, sich als Einheit zu betrachten. Der Corpskommandant wird ferner durch diese Einrichtung in den Stand gesetzt, sich mit den Truppen, welche er nachher im Felde kommandiren soll, vertraut zu machen, ihren Geist und die Beschaffenheit des Offizierkorps, sowie ihre Mängel und Fehler kennen zu lernen. Er vermag, auf einheitlichem Standpunkte stehend und von ihm ausgehend, den Zweck der Gleichförmigkeit in Waffen, Munition, Reglement u.s.w. stetig und systematisch zu betreiben, und auf Abstellung von Mängeln hinzuwirken. Das Corps dürfte, nach meiner unmaßgeblichen Meinung durch längere Fortsetzung einer solchen Einrichtung sehr an Einheit und Schlagfertigkeit gewinnen. Auch könnte bei unruhigen Zuständen in den Ländern, wenn solche wie 1848 wiederkehren sollten, leicht gemeinsame Handlung der Staaten des 10ten Armee-Corps an das Vorhandensein des Commandanten geknüpft werden. Natürlich würde jene Maßregel wenig fruchten, wenn man den Corps-Kommandanten als Titulair-Befehlshaber an die Spitze stellte, ohne ein gehöriges 13 Nach der Bundeskriegsverfassung von 1822 bestand das Bundesherr aus je drei österreichischen und preußischen Korps, einem bayerischen Korps sowie drei gemischten Korps. Das zehnte Korps setzte sich zusammen aus Truppen aus Hannover, Holstein (und Lauenburg), Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Waldeck, LippeSchaumburg, Lippe-Detmold, Lübeck, Bremen und Hamburg. Vgl. die Übersichten bei Angelow, Von Wien nach Königgrätz, S. 324–329.
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Maß von Berechtigung, das seine concentrirende Einwirkung sichert. Das Minimum, was ihm nach meiner unmaßgeblichen Ansicht gewährt werden müßte wäre: Ernennung seines Generalstabes; das Inspectionsrecht; das Kommando bey statthabenden Manövern; das Recht den respektiven Kriegsherrn Verbeßerungs-Vorschläge in Bezug auf alle militärischen Angelegenheiten zu machen;14 [das] Recht bei allen Veränderungen in der Organisation, Bewaffnung, Bekleidung pp der Contingente vorher mit seinem Gutachten gehört [zu] werden; [das] Recht Officiere, welche sich besonders auszeichnen der betreffenden Regierung zu empfehlen. Da die Wahl des Corps-Commandanten sowohl nach der Bundeskriegs-Verfaßung als nach der Corps-Akte des 10ten Armeecorps nur auf den Kriegsfall berechnet ist, zu dem nach besonderer Concretion beim 10ten Armee-Corps noch der Fall der Zusammenziehung des Corps kömmt, so kann die Anstellung des Kommandanten in Friedenszeiten nicht ohne besondere Convention der Kriegsherrn erfolgen, deren Truppen zum 10ten Armee-Corps gehören. Ob diese zu erreichen sein wird, das ist nicht mit Bestimmtheit vorherzusagen. Dänemark sowie die Hansestädte werden wahrscheinlich nicht geneigt sein, die letzteren nicht, weil sie Preußen anhängen, namentlich Lübeck und Bremen. Indeßen muthmaßlich treten doch die meisten der zum Corps gehörigen Staaten bey, und es dürfte nützlich sein, doch ohne jene sich-ausschließenden die Einrichtung des Commandanten in Friedenszeiten zu treffen, um die Vortheile der größeren Einheit und Bereitheit des Corps herbeizuführen. Hindern können jene sich-ausschließenden Staaten die Neuerung nicht, wenn sie so formulirt wird, daß sie neben der Corps-Akte läuft, folglich diese nicht abändert. Das Alternat in der Wahl des Corps-Commandanten, welches zwischen den zwey Divisionen des 10ten Armee-Corps Statt findet wird freilich nicht zulaßen, daß die Wahl des Corps-Commandanten für immer an Hannover überlaßen wird.15 Wenn man in der Convention aber nur erreicht, daß der CorpsCommandant für einige Jahre durch Hannover gestellt wird, so hat man ihn für die Zeit der Gefahr, welche jetzt zunächst von Frankreich her droht, und das Weitere findet sich dann. Bleibt das Institut der Corps-Commandanten bestehen, so finden sich dann immer wieder Mittel Hannover die Wahl zuzuwenden. Sollte das Projekt des Corpscommandanten in Friedenszeiten Billigung finden und verfolgt werden, so würde es wohl den Regierungen darzulegen und auf Zusammenberufung einer Conferenz von Militärbevollmächtigten anzu14 Emendiert. In der Vorlage steht statt des Semikolons ein Komma. 15 Die erste Division des X. Bundesarmeekorps wurde gebildet von den Truppen Hannovers und Braunschweigs, die zweite Division aus den Kontingenten aller übrigen Staaten. Vgl. Angelow, Von Wien nach Königgrätz, S. 327.
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tragen sein, um das Nähere festzustellen. In einer solchen Conferenz kömmt man wohl eher überein, als durch Correspondenz mit den Regierungen.
50. Schrenk an Gise HStA Dresden, 10 717, Nr. 933, fol. 163–166. Depesche. Abschrift. Vermerk auf der ersten Seite: „Durch den k. bayerischen Minister-Residenten, Herrn Freiherrn von Gise br. m. mitgetheilt am 1. Juni 1860“.
Schrenk lehnt die von Beust angeregte Ministerkonferenz der Mittelstaaten ab. Es gibt derzeit keinen Anlaß zu näherer Besprechung der von Beust genannten Beratungsgegenstände. Von Reformversuchen soll zur Zeit abgesehen werden, da davon schwerlich Erfolge zu erwarten sind. In der gegenwärtigen europäischen Situation sind demonstrative Schritte zu vermeiden, weil sie kontraproduktiv sein würden.
München, 28. Mai 1860 Hochwohlgeborner Freiherr! Der k. sächs. Min. Resident Leg. Rath von Bose hat mir Depeschen mitzutheilen die Güte gehabt, welche der k. sächsische Staatsminister des Aeußern unterm 5. und 12. lfd. M. an ihn erlassen und in welchen der genannte Herr St. Minister des Näheren ausgeführt hat, daß und aus welchen Gründen er den baldigen Zusammentritt einer abermaligen Conferenz der Minister der deutschen Mittelstaaten für wünschenswerth erachtet.1 Hr. Leg. Rath von Bose hat, erhaltenem Auftrage gemäß, an diese Mittheilung das Ansuchen um Kundgabe der diesseitigen Ansicht über die angeregte Frage geknüpft, und ich habe mich beeilt, die lichtvollen Ausführungen des Hrn. St. M. Freiherrn von Beust S. M. dem Könige, u. a. H.2 zu unterbreiten, sehe mich aber nunmehr, auf Grund erhaltenen allerhöchsten Befehls, in der Lage, Ew. pp. Nachstehendes zu eröffnen. Freih. von Beust hat seinen Erlaß an den k. Leg. Rath Herrn v. Bose v. 5. d. mit der allgemeinen Bemerkung eingeleitet, daß ohne dringende Veranlassung Zusammenkünfte der fraglichen Art, besser unterbleiben dürften, in der weiteren Ausführung aber auseinandergesetzt, wie die Zeitumstände seiner Ansicht nach gegenwärtig so beschaffen seien, daß die für eine mündliche Berathung sprechenden Gründe die Besorgnisse überwiegen, welche sich an die Abhaltung einer Conferenz knüpfen könnten. Es hat Derselbe sodann die kurhessi1 Siehe Dok. 44 und 46. 2 Abkürzung für: unserm allergnädigsten Herrn.
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sche Verfassungsangelegenheit, – die Revision der Bundeskriegsverfassung, – die Förderung der in Folge der würzburger Conferenz bereits in der Bundesversammlung gestellten Anträge, und endlich die allgemeine Situation in Deutschland, wie die bezüglich derselben einzunehmende gemeinsame Haltung und desfalls wahrscheinlich von der einen oder der andern Seite zu gewärtigenden Vorschläge, – als die zu demnächstiger Berathung geeigneten Gegenstände bezeichnet, sich indessen die Anmerkung weiteren Stoffes noch vorbehalten. Wir stimmen nun vollkommen den Aeußerungen des Fh. von Beust, über den Ernst der gegenwärtigen Lage der Dinge in Deutschland bei und sind mit ihm von der Ueberzeugung durchdrungen, daß ein festes Zusammenhalten der durch Gemeinsamkeit der Interessen zu gleichmäßiger Haltung berufenen Bundesstaaten die sicherste Bürgschaft für Aufrechthaltung des bedrohten Rechtsbestandes des Bundes zu bieten vermöge; wir theilen aber auch die Ansicht, daß Zusammenkünfte, wie die in Frage gestellte, ohne dringende Veranlassung besser unterbleiben, und haben deshalb, gerade an [sic] der Gefahr der gegenwärtigen allgemeinen Situation eine umso unabweisbarere Mahnung gefunden, es der sorgsamsten allgemeinen Erwägung zu unterstellen, ob die Veranstaltung einer Ministerconferenz zur Zeit als geboten, ob sie als wünschenswerth erscheine, oder aber ob nicht die entgegenstehenden Bedenken, welche Frh. von Beust in der Depesche vom 5. d. selbst bereits angedeutet hat, vorerst wenigstens eine überwiegende Bedeutung beanspruchen? Wir bedauern es aufrichtig, hiebei zu einem Resultate gelangt zu sein, welches den Wünschen des k. sächs. Herrn Staatsministers nicht entsprechen wird, hoffen indessen, daß eine kurze Darlegung der uns bestimmenden Gründe Denselben mindestens davon überzeugen werde, daß unsere Auffassung der Berechtigung nicht entbehre. Wir haben uns nämlich zunächst die Frage gestellt, ob die als Berathungsgegenstände in Aussicht genommenen speciellen Angelegenheiten zur Zeit einer näheren Besprechung und der Einigung zu bestimmten Vorschritten bedürfen, hiezu aber einen dringenden Anlaß nicht wahrzunehmen vermocht. Denn was zunächst die kurhessische Verfassungssache betrifft, so ist dem BBeschlusse3 vom 24. März l. J.4 von Seite der kurh. Regierung bisher noch keine Folge gegeben worden, es ist demnach noch nicht bekannt, wie sie den3 Abkürzung für: Bundesbeschlusse. 4 Mit dem Bundesbeschluß vom 24. März 1860, der unter anderem ohne die Zustimmung Preußens gefaßt worden war, hatte die Bundesversammlung die von der kurhessischen Regierung beabsichtigte Änderung der Verfassung von 1852 ohne die Zustimmung der kurhessischen Landstände verworfen und es abgelehnt, für die vom Kurfürsten beabsichtigte Verfassungsänderung eine Bundesgarantie zu erteilen; ProtDBV 1860, S. 157–170; siehe oben Dok. 43, Anm. 3.
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selben schließlich vollziehen, ob sie namentlich für die zu erlassende Verfassung sofort die Garantie des Bundes verlangen oder etwa vorerst mit ihren Ständen noch Verhandlungen pflegen werde und es will uns scheinen, daß es demgemäß dermalen an einer Grundlage zur Erörterung dieser Angelegenheit oder wenigstens zu einer Einigung über das ferner einzuhaltende Verfahren bezüglich derselben mangle. Das Gleiche scheint uns sodann auch hinsichtlich der Revision der Bundeskriegsverfassung der Fall zu sein. Die Regierungen, welche im verflossenen Herbst an den Conferenzen in Würzburg Antheil nahmen, haben ihre Ansicht über diese Frage bereits in der Bundesversammlung kundgegeben5; es herrscht unter denselben fast allseitig Uebereinstimmung darüber, daß dem von Preussen gestellten Antrage auf Zweitheilung des Bundesheeres und des Oberbefehls über dasselbe6 nicht beigestimmt werden könne, und auch über den durch die preußische Circulardepesche vom 12. v. M.7 veranlaßten würtembergischen Vorschlag ist unsres Wissens auf dem Wege der Correspondenz bereits im Wesentlichen Einverständniß erzielt. 5 In der Bundestagssitzung vom 20. Oktober 1859, siehe Dok. 27. 6 In der Bundestagssitzung vom 23. Februar 1860 hatte der Ausschuß für Militärangelegenheiten über den Gang der Beratungen über die Revision der Bundeskriegsverfassung berichtet. Die preußische Regierung hatte in der damit befaßten Bundesmilitärkommission am 4. Januar 1860 eine ausführliche Erklärung zu Protokoll gegeben. Demnach sah die preußische Regierung einige Grundbestimmungen der Bundeskriegsverfassung als „praktisch unausführbar“ an, weil sie „den realen Verhältnissen“ nicht entsprächen. Insbesondere bezog sich Preußen auf die Bestimmungen der „Allgemeinen Umrisse der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes“, wonach das Bundesheer im Kriegsfall als „ein Heer“ aufgestellt und „von einem Feldherrn“ befehligt werden sollte, sowie ferner, daß der Oberfeldherr vom Bund gewählt, von ihm vereidigt und ihm persönlich verantwortlich sein sollte. Preußen hielt es für „nicht denkbar“, daß „jemals einer der Souveraine der deutschen Großstaaten“ sich in ein derartiges Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Bund oder der Gesamtheit der Bundesfürsten begeben werde. Zudem bedingten „die Größe der Heeresmassen und der Umstand, daß dieselben im großen Kriege auf verschiedenen Kriegstheatern zu kämpfen berufen sind“, die Teilung des Bundesheers und die „doppelte Leitung“. Preußen beantragte, diese Grundsätze zur Leitlinie der Verhandlungen in der Militärkommission über die Revision der Bundeskriegsverfassung zu machen. Die Mehrheit in der Militärkommisison lehnte dies ab, weil bisher „die Allgemeinen Grundrisse der Kriegsverfassung als feststehend betrachtet worden seyen, und nur unter dieser Voraussetzung eine Revision der Näheren Bestimmungen möglich wäre“. In der Bundesversammlung kam man am 23. Februar 1860 zu dem vorläufigen Kompromiß, daß die Bundesmilitärkommission über die preußische Anregung „ein auf rein militärischen Gesichtspunkten ruhendes Gutachten“ erstatten solle, während der Bundestagsausschuß für Militärangelegeneiten beauftragt wurde, nach dem Erhalt dieses technischen Gutachtens „die bundesrechtliche und politische Würdigung jener Anträge“ vorzunehmen. Siehe ProtDBV 1860, § 75, S. 115–121, Zitate S. 115–117, 121; vgl. Angelow, Von Wien nach Königgrätz, S. 227–230; Keul, Die Bundesmilitärkommission, S. 127 ff. 7 Schleinitz an die preußischen Missionen bei den deutschen Höfen, Berlin, 12. April 1860, in: Die auswärtige Politik Preußens, Bd. 2/1, Nr. 136, S. 301–306.
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Wie sich die Majorität des Militairausschusses in dem vor ihr zu erstattenden Vortrage über den gedachten preußischen Antrag aussprechen werde, steht wol [sic] außer Zweifel und es könnte sonach unsers Dafürhaltens erst dann zu weiterer Besprechung dieser Sache Anlaß gegeben sein, wenn bekannt sein wird, welche Haltung die Minorität des Ausschusses und die dieselbe bildenden Regierungen dem Ausschußantrage und dem zu fassenden Beschlusse gegenüber einzunehmen gedenken. Zur Zeit bestehen desfalls nur Voraussetzungen welche, so begründet dieselben auch sein mögen, doch nicht wohl die Grundlage einer förmlichen Erörterung und Vereinbarung bilden könnten. Zur Förderung der in Folge der Würzburger Conferenz in die Bundesversammlung eingebrachten Anträge wird es endlich, insoweit eine solche zur Zeit erreichbar ist, genügen, wenn die betreffenden Regierungen ihre Gesandten desfalls mit entsprechenden Weisungen versehen wollen. Wir verkennen hierbei allerdings nicht, daß diese speciellen Angelegenheiten im innersten Zusammenhange mit der gegenwärtigen allgemeinen Sachlage in Deutschland und mit den Bundesverhältnissen stehen und diese sind es wol [sic] zunächst, welche den Gedanken an Veranstaltung einer MinisterConferenz hervorgerufen haben, und den wichtigsten Stoff der Besprechung zu bilden hätten. Es sollte in dieser Beziehung eine Verständigung über die der ganzen Situation und gewissen Eventualitäten gegenüber einzunehmende gleichmäßige Haltung angebahnt werden und es sind in dieser Beziehung verschiedene Vorschläge in Aussicht gestellt, welche namentlich auch dahin gerichtet wären, die politische und militairische Einheit Deutschlands mehr sicher zu stellen. Unseres Dafürhaltens gebietet die augenblickliche Situation vor Allem dahin zu streben, daß die Bundesverfassung unversehrt aufrecht erhalten werde, hieraus aber würde sich die, den entgegengesetzten Bestrebungen gegenüber, einzunehmende Haltung von selbst ergeben, dann aber auch weiter folgen, daß zur Zeit von Reformversuchen um so füglicher abzusehen sein möchte, als solche ja schwerlich Erfolge versprechen; dessenungeachtet würden wir indessen die Theilnahme an Berathung der in Aussicht gestellten Vorschläge nicht ablehnen, aber wir würden es dabei als eine in mancher Beziehung unerläßliche Vorbedingung erachten, daß diese Vorschläge im voraus bekannt gegeben werden; denn nur unter dieser Voraussetzung könnte unserer Ansicht nach eine Berathung deren Theilnehmer, wie in der Depesche vom 5. Mai ausdrücklich hervorgehoben ist, mit Instructionen versehen in Verhandlung zu treten hätten, zu Ergebnissen führen. Es scheinen uns demgemäß die zur Berathung ausgesetzten Gegenstände theils zur Zeit eben einer Besprechung nicht dringend zu bedürfen, theils für eine solche noch nicht zureichend vorbereitet zu sein.
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Hiezu tritt nun aber noch die weitere gewichtige Erwägung, daß angesichts der bestehenden europäischen Verwicklungen jeder Tag Gefahren zu bringen vermag, welchen nur durch allseitiges opferbereites Zusammenwirken aller deutschen Staaten begegnet werden könnte, wonach es uns eine heilige Pflicht des Augenblicks zu sein scheint, alles zu vermeiden, was die leider im Uebermaß bereits bestehenden Mißstimmungen steigern, den Riß vergrößern könnte, der die deutschen Staaten zu spalten droht. Freiherr von Beust hat zwar in der Depesche v. 12. d. die k. sächs. Regierung ausdrücklich gegen die Tendenz, eine Demonstration herbeiführen zu wollen, verwahrt, aber er hat dabei dennoch nicht mißkannt, daß die Abhaltung einer Ministerconferenz im gegenwärtigen Augenblicke einen demonstrativen Charakter an sich tragen würde, und es lehrt die Erfahrung zur Genüge, daß demonstrative Schritte viel eher eine abstoßende Wirkung äußern, als daß sie Gegensätze vermitteln und zur Rückkehr von einer betretenen Bahn bestimmen. Deshalb halten wir es aber jetzt für geboten, einen Schritt zu vermeiden, welchen die Verhältnisse nicht dringend erheischen, der aber seiner demonstrativen Bedeutung wegen, in Anbetracht der allgemeinen Situation die Lage der Dinge in Deutschland leicht verschlimmern könnte, schwerlich aber zu deren Verbesserung Vieles beizutragen vermöchte. Nach reiflicher Ueberlegung finden wir uns aus diesen Erwägungen gedrungen, für den jetzigen Augenblick den gegen die sofortige Abhaltung einer Ministerconferenz sprechenden Gründen eine überwiegende Bedeutung beizulegen und indem ich der Hoffnung Raum geben, daß das Gewicht der uns hierbei leitenden Motive nicht werde mißkannt werden, beauftrage ich allerhöchstem Befehle gemäß Ew. pp. der k. sächs. Regierung von Vorstehendem Kenntniß zu geben. Genehmigen pp. (gez.) Frh. von Schrenk
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Hügel an Beust
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51. Hügel an Beust HStA München, MA 493/1. Vertrauliches Schreiben. Abschrift. Vermerk: „mitgetheilt durch Frhr. v. Soden1 den 3. Juni 1860“.
Hügel berichtet über die Zusammenkunft der Könige von Bayern und Württemberg am 31. Mai in Stuttgart. Auch in Württemberg hat man Bedenken gegen eine Ministerkonferenz der Mittelstaaten, weil dies ein demonstrativer Akt gegenüber dem Prinzregenten von Preußen wäre. Die Könige von Bayern und Württemberg schlagen vor, in den Mittelstaaten gemeinsame militärische Vorkehrungen gegen die von außen drohende Gefahr zu treffen. Darüber hinaus sollen sich die Regierungen über ein einheitliches Vorgehen gegen die „gefährlichen Bestrebungen der liberalen Partheien in Deutschland“ verständigen. Über dieses Thema wollen die Könige von Bayern und Württemberg mit dem Prinzregenten von Preußen bei sich bald ergebender Gelegenheit sprechen.
Vertraulich.
Stuttgart, 1. Juni 1860
Hochgeehrtester Freund! In Gemäßheit allerhöchsten Auftrages beeile ich mich, das Ergebniß der gestern zwischen dem Könige, meinem allergnädigsten Herrn, und des Königs von Bayern Majestät dahier stattgehabten Zusammenkunft vertraulich zu Ihrer Kenntniß mit der ergebensten Bitte zu bringen, mir in derselben Weise die Diesfallsigen Ansichten Seiner Majestät des Königs von Sachsen in Bälde gefälligst mittheilen zu wollen. Auch diesseits vermochte man sich den in dem Schreiben des kgl. bayer. Staats-Ministers Freiherrn v. Schrenk v. 28. v. Mts.2 näher entwickelten, von Eurer Excellenz indessen ebenfalls anerkannten Motiven nicht zu verschließen, welche dem Zusammentritte einer Minister-Conferenz der Mittelstaaten gerade in einem Augenblicke entgegentreten dürften, in welchem der Prinz Regent von Preußen nicht blos in der Thronrede Sich gegen die in der Kammer der Abgeordneten sowohl als vielleicht auch in einer Fraktion des Ministeriums selbst vertretenen, gegen die Souveränitäts-Rechte der Mittelstaaten gerichteten Tendenzen ausgesprochen, sondern auch durch persönliche Schritte den Wunsch kundgegeben hatte, eine Beseitigung der gerechten Mißstimmung der Regierungen der Mittelstaaten möglichst zu erzielen, wozu die Vorgänge im Verlaufe der letzten Zeit in Berlin Anlaß gegeben hatten. Deßhalb pflichtete, wie gesagt, auch die k. Regierung der Ansicht bei, daß es ein politischer Fehler gewesen wäre, ohne den Gegenbeweis aufrichtiger Absicht abzuwarten, die schon so schwierige den Partheibestrebungen in Preußen gegenüber eingenommene Stellung des Prinz Regenten durch einen Akt von immerhin demonstrativem Charakter noch mehr zu gefährden. 1 Oskar Freiherr von Soden (1831–1906), 1868–1906 württembergischer Gesandter in München; NDB, Bd. 24, S. 523; Bringmann, Handbuch der Diplomatie, S. 424. 2 Siehe Dok. 50.
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Unter diesen Verhältnissen glauben aber die Könige von Württemberg und Bayern Sich um so mehr verpflichtet, die leider nur kurz zugemessene Zeit der stattgehabten Zusammenkunft dazu benützen zu müssen, um wenigstens in allgemeinen Umrissen eine Verständigung über die nothwendigsten, durch den Ernst des Augenblicks gebotenen Maßnahmen zu erzielen, indem Sich Ihre Majestäten der freudigen Hoffnung hingaben, daß Ihre Hohen Verbündeten, und insbesondere Seine Majestät der König von Sachsen Ihren Absichten Gerechtigkeit widerfahren laßen und Sich mit dem Ergebnisse der diesfallsigen Besprechung einverstanden erklären werden. Von der innigsten Ueberzeugung durchdrungen, daß der gefährlichste Feind der Regierungen der Mittelstaaten, welcher auch den gemäßigten Theil der Bevölkerung entweder der gothaischen Parthei, oder der National-Vertretung und durch sie consequenter Weise der Revolution zuführen müßte, in dem immer mehr um sich greifenden Gefühl der Hilflosigkeit zu suchen ist, in welchem die deutschen Volksstämme ihre Regierungen gegenüber den vom Auslande sowohl als auch in Folge revolutionärer Bewegungen im Inlande drohenden Gefahren befangen glauben, sahen Sich die beiden Majestäten veranlaßt, zum Zwecke der Abhilfe in diesen letzten Beziehungen Sich über nachstehende Vorschläge zu einigen. 1. Bezüglich der Deutschland von außen bedrohenden Gefahr erscheint es vor Allem räthlich, schon jetzt eventuell die erforderlichen militärischen Vorkehrungen zu treffen, um die Organisation der Streitkräfte der Mittelstaaten so weit zu fördern, daß sie im Falle eines voraussichtlichen Angriffes und eines deshalb vom Bunde ergehenden Aufgebotes in kürzester Zeit schlagfertig dastehen. Hiezu wäre insbesondere eine sofortige Designation der Commandanten der verschiedenen Bundescorps und ihrer Stäbe erforderlich, welche sich jetzt schon über das Vorhandensein der Pferde, Waffen und Munitionen, über die Vereinigungspunkte der combinirten Streitkräfte, über die Transportmittel, namentlich über Benützung der Eisenbahnen für Militärtransporte, kurz über alle eine rasche Concentrirung der Truppen der Mittelstaaten bedingenden Vorbereitungsmaßregeln in fortlaufende Communication untereinander zu setzen hätten. Um eine so bewerkstelligte militärische Uebereinstimmung unter den Mittelstaaten zur Beruhigung der Gemüther mehr in die Augen fallend zu machen, wären die beiden Souveräne nicht abgeneigt, zeitweise Zusammenziehungen, wenn auch nur kleinerer Abtheilungen aus den verschiedenen Armee-Corps zu Maneuvres in ein gemeinschaftliches Lager zu veranlaßen. Selbstverständlich müßten die ebenerwähnten Maßnahmen auf dem Wege des Zusammentritts von Fachmännern erzielt werden. Aus dem Ergebniße dieser projectirten Vereinbarungen ein Geheimniß dem Prinz Regenten von Preußen gegenüber zu machen, erscheint den beiden Souveränen weder nothwendig noch auch räthlich, indem es auf glatter Hand liegen dürfte, daß, wie auch die
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Bundeskriegsverfassung und insbesondere die Oberfeldherrnfrage aus dem Revisionsstadium hervorgehen sollte, die Mittelstaaten in Folge solcher Verständigung einestheils im Falle eines Krieges an militärischem Werthe gewonnen und anderntheils aus oben angeführten Gründen zur Niederdrückung revolutionärer Tendenzen wesentlich beigetragen haben werden. Was sodann 2. die sehr gefährlichen Bestrebungen der liberalen Partheien in Deutschland und namentlich des manches republikanische Element in sich schließenden National-Vereins betrifft, so erschien es den beiden Souveränen dringend geboten, daß die Regierungen den gegen die bestehende Bundes-Verfassung gerichteten Tendenzen ihre volle Aufmerksamkeit unverrückt zuzuwenden, und denselben mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln entgegenzutreten haben. Von der größten Wichtigkeit und für einen nachhaltigen Erfolg unabweislich nothwendig ist es aber, daß sich die Regierungen ganz genau über ein gleichmäßiges, je nach dem Grade der weiteren Entwickelung dieser Organisationen zu bemessendes Verfahren verständigen, insbesondere über diejenigen Maßregeln, welche gegen etwaige gesetzwidrige, gewaltsam gemachte Versuche zur Herbeiführung einer Volksvertretung am Bunde (Abhaltung von Volksversammlungen zu diesem Zwecke, Einberufung s. g. Vorparlamente u. dgl.) zu ergreifen wären. Auch in dieser und gerade in dieser Beziehung liegt es in der Absicht der Könige von Württemberg und Bayern, dem Prinz Regenten von der Nothwendigkeit zu sprechen, in welcher sich die Mittelstaaten befinden, Maßregeln zum Schutze ihrer Souveränitätsrechte, sowie für Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung im Allgemeinen, vorkommenden Falls eintreten zu laßen und glauben Allerhöchstdieselben um so mehr an Seine Königliche Hoheit die Frage stellen zu sollen, ob Sie hiemit Sich einverstanden erklären, und den etwa erforderlichen Maßnahmen Sich anschließen würden, als eine offen ausgesprochene Mißbilligung jener Bestrebungen Seitens des Preußischen Staats-Oberhauptes den Umtrieben der Gothaer Parthei, – welche auch durch die klaren Worte der Thronrede sich nicht abhalten läßt, in der öffentlichen Meinung wenigstens an eine passive Haltung der Preußischen Regierung gegenüber ihren Tendenzen glauben zu machen – sofort die Spitze abbrechen würde. Zu solchem offenen und directen Aussprechen mit dem Prinz Regenten wird sich voraussichtlich in ganz kurzer Zeit eine willkommene Gelegenheit darbieten, und zwar noch ehe es den Regierungen der Mittelstaaten wird möglich gewesen sein, sich über die militärischen sowohl als auch Sicherheitsmaßregeln gegen das Treiben der Partheien in allen Details zu verständigen, da schon der Formulirung der Vorschläge Berathungen mit den Ministerien des Krieges, des Innern und der Justiz in den betreffenden Staaten werden vorausgehen müssen. Allein eine solche Detail-Mittheilung an den Prinz Regenten dürfte zum Zwecke einer an Seine
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Königliche Hoheit bezüglich der Seitens Preußens dem bezeichneten Partheitreiben gegenüber beabsichtigten Haltung zu stellenden Anfrage weder nothwendig noch vorerst rathsam erscheinen. Jedenfalls glaube ich annehmen zu dürfen, daß man sich hier sowohl als auch in München mit der Abfassung der betreffenden Detail-Vorschläge unverzüglich befassen werde, und indem ich mich der angenehmen Hoffnung hingebe, daß auch ein Gleiches Seitens der kgl. Sächsischen Regierung stattfinden werde, bin ich gerne bereit, im Falle Sie es als der schnelleren Verständigung zwischen unseren beiderseitigen Höfen förderlich erachten sollten, nach der in nächster Zeit wahrscheinlich erfolgenden Abreise des Königs, meines gnädigsten Herrn von hier, Höchstwelcher hiezu Seine Einwilligung eventuell zu ertheilen geruht hat, unter dem Vorwande, meine Familie in und in der Umgegend Dresdens zu besuchen, die diesseitigen Punktationen selbst zu überbringen. – Der Staatsminister Freiherr von Schrenk wird, wie ich aus den Worten Seiner Majestät des Königs von Bayern entnehmen zu können glaubte, die nöthigen Schritte schriftlich oder durch Absendung einer Vertrauensperson bei der Königlich Hannöverischen Regierung zu übernehmen die Gefälligkeit haben. Empfangen Sie, hochgeehrtester Freund, auch bei diesem Anlaße den erneuerten Ausdruck der hochachtungsvollsten und freundschaftlichsten Gesinnungen Ihres ergebensten (gez.) Hügel
52. Reigersberg an Schrenk HStA München, MA 493/1. Bericht. Behändigte Ausfertigung. Praes.: 3. Juni 1860.
Reigersberg berichtet über die Besprechungen zwischen den Königen von Bayern und Württemberg und Minister Hügel in Stuttgart. Die Könige stimmen überein, daß man der preußischen Regierung Vertrauen entgegenbringen muß und daß deshalb eine Ministerkonferenz der Mittelstaaten zur Zeit nicht ratsam ist. Gleichzeitig ist es notwendig, gegen die äußere Kriegsgefahr und die drohenden inneren Unruhen sofort feste Verabredungen zu treffen. Auch Hannover und Sachsen sollen zur Teilnahme an diesen Verabredungen eingeladen werden. Der Beitritt des Prinzregenten von Preußen soll bei der bevorstehenden Zusammenkunft in Baden erbeten werden.
No. 46.
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Eurer Excellenz habe ich mich beehrt, unterm 31t. vor. Mts. über den Aufenthalt I. Majestäten in Stuttgart zu berichten, und hiebei weitern Bericht über die Besprechungen
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Reigersberg an Schrenk
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Sr Maj. des Königs mit Sr Maj. dem Könige von Württemberg und dem Minister Fr. v. Hügel anzukündigen. Ich hielt es für nothwendig, um allen Mißverständnissen vorzubeugen, über diese Besprechungen eine kurze Punktation aufzuzeichnen, und diese dem Fh. v. Hügel mitzutheilen. Da Letztrer diese Aufschreibung vollständig korrekt und mit den Aeußerungen seines höchsten Herrn übereinstimmend fand, erlaube ich mir, sie in der Anlage zu überreichen.1 Freih. von Hügel hatte heute bereits eine Conferenz mit den Ministern des Innern u. des Kriegs bezüglich der Maßregeln bei eintretenden innern Unruhen, u. es hat namentlich der Kriegsminister sein vollstes Einverständniß ausgesprochen. I. Maj. die Könige von Bayern und Württemberg haben bei Ihren Besprechungen der gegenwärtigen Lage Sich in nachstehenden Gedanken einig befunden: I. Die Haltung Preussens, die noch vor wenigen Wochen zu ernsten Besorgnissen Anlaß bot, scheint in eine neue Bahn getreten zu seyn. Die Thronrede des Prinz-Regenten, im Zusammenhalte mit den Erklärungen des Frh. v. Schleinitz verkündet treues Festhalten am Bunde und unerschütterliche Treue für das gemeinsame Vaterland. Diese Erklärung aus dem Munde des Prinz-Regenten gegenüber den Vertretern des Landes muß mit Vertrauen aufgenommen und Alles vermieden werden, was das bisherige Mißtrauen neuerdings kund geben, u. das zu hoffende Vorgehn in der nunmehr proclamirten Politik erschweren, oder wohl gar unmöglich machen könnte. Zunächst aus diesem Grunde erscheint eine Conferenz der Mittelstaaten zur Zeit nicht rathsam. II. Hierdurch ist jedoch nicht ausgeschlossen, vielmehr als nothwendig anerkannt, für die Eventualitäten 1. einer Kriegs-Gefahr, und 2. drohende innere Unruhen sofort feste Verabredungen zu treffen, um in beiden Fällen rasch und gemeinsam – als Grundlage des Erfolgs – wirken zu können. Zu diesem Behufe wäre ad 1. nicht nur eine Basis für eine schleunig nothwendig werdende Zusammenziehung und Aufstellung der betreffenden Bundes-Contingente, für die Transportmittel, das Verpflegswesen pp. aufzustellen, sondern auch sogleich die Bezeichnung der Commando-Stellen, die Bildung der General-Stäbe zu 1 Die Punktation findet sich nicht in einer separaten Anlage, sondern folgt im Text des Berichts.
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beschäftigen [sic], unter allen Umständen aber eine Zusammenziehung von Truppen mehrer[er] Contigente zu gemeinsamen Uebungen sofort vorzubereiten, als den besten Anhaltspunkt zur Bemessung weiter etwa nöthiger Reformen in Betr. der Ausrüstung, Bewaffnung pp. ad 2. wäre[n], falls gleich den Vorgängen im J. 1848 Versuche zu allgemeiner Erhebung, zur Einberufung eines Vor-Parlaments u. dgl. gemacht werden sollten, bestimmte Verabredungen über ein gemeinsames rasches und energisches Entgegentreten von Seite aller Regierungen zu treffen, u. hiezu sogleich Vorarbeiten einzuleiten. III. Diese Verabredungen sollen nicht durch Conferenzen, sondern durch specielle Mittheilungen oder Abordnungen, bezüglich der militärischen Punkte durch Fachmänner, erfolgen, und sofort Württemberg in Dresden, Bayern in Hannover geeignete Mittheilung zum Beitritt machen. IV. Auch soll dem Prinz-Regenten bei der bevorstehenden Zusammenkunft in Baden von diesen Verabredungen Mittheilung gemacht u. dessen Beitritt erbeten werden. Auch hat er über diese Besprechungen der beiden Majestäten eine umfassende Note an Frh. v. Beust erlassen2, von welcher Frh. Soden eine Abschrift erhaltet, um sie Eurer Excellenz mitzutheilen. Genehmigen Eure Excellenz bei diesem Anlasse die erneute Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung, womit [v]erharrt Eurer Excellenz gehorsamster Diener G. Reigersberg
2 Gemeint ist der württembergische Minister Hügel, siehe Dok. 51.
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Julius Fröbel: Die Forderungen der deutschen Politik
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53. Julius Fröbel1 : Die Forderungen der deutschen Politik Julius Fröbel, Die Forderungen der deutschen Politik. Ein Brief an den Verfasser der Studien über das europäische Gleichgewicht. Frankfurt am Main 1860, Druck, 38 S.; Druck in leicht gekürzter Fassung in: Fröbel, Kleine Politische Schriften, Bd. 1, S. 335–373.
Politik kann nur von Staaten betrieben werden, nicht von Völkern bzw. Nationen im ethnographischen Sinne. Als einzelner Staat kann Preußen nur preußische, Österreich nur österreichische, Bayern nur bayerische Politik treiben. Eine deutsche Politik kann nur von Deutschland als Ganzem ausgehen, das heißt gegenwärtig nur vom Deutschen Bund. Nur der Bund ist dazu legitimiert, deutsche Politik zu betreiben. Alle anderen Wege führen nur zu Revolution und Gewalt. Eben durch den Deutschen Bund ist Deutschland ein politischer Begriff, seine Zerstörung wäre ein Verrat an der Nation. Der Bund muß erhalten und befestigt werden. Die äußere Politik muß in den Vordergrund gestellt werden, und der Deutsche Bund muß als eine Großmacht ersten Ranges auftreten. Der Bund muß sich zum Kern eines mitteleuropäischen Staatensystems machen, dann werden sich auch die inneren Angelegenheiten ordnen lassen. Es ist der Beruf der Mittel- und Kleinstaaten, die Nation mit dem Föderativsystem auszusöhnen, die Zerreißung Deutschlands in zwei Teile zu verhindern und in der inneren Politik bzw. dem bürgerlichen Leben Einigungsmaßregeln durchzuführen. Zwei Systeme kämpfen in Europa um die Herrschaft: der französische Imperialismus und der deutsche Föderalismus. In Deutschland stehen sich analog die Zentralisten und die Föderalisten gegenüber. Der Zentralismus ist der Demokratie entgegengesetzt. Demokratie im vernünftigen Sinne ist weder der Gegensatz zu Aristokratie oder Monarchie, sondern zum bürokratischen Zentralismus. Der Weg der kleindeutschen Partei führt in Zustände, aus denen nur ein Bonaparte retten kann. Deutschland hat im Osten und Westen je einen natürlichen Feind – Rußland und Frankreich. Um das Mißtrauen gegen den Bund zu überwinden, muß das Volk an den Arbeiten und Leistungen der Bundesbehörde beteiligt werden. Der Bundesversammlung sollte deshalb ein Volkshaus aus Abgeordneten der Kammern der Einzelstaaten an die Seite gestellt werden. Ferner müßte ein höchster Gerichtshof geschaffen werden. Damit wären die wesentlichsten Bedürfnisse einer Bundesreform befriedigt, eine vollziehende Zentralgewalt ist zur Zeit nicht unbedingt nötig, da sie die Gefahr der Hegemonie mit sich bringt. Die Bundesversammlung selbst ist schon eine Zentralgewalt, die gestärkt und besser organisiert werden muß.
1 Carl Ferdinand Julius Fröbel (1805–1893), Professor, Verleger und Publizist, 1848 Mitglied der Nationalversammlung. Fröbel leitete 1848 den Kongreß deutscher Demokraten in Frankfurt und nahm am Oktoberaufstand in Wien teil. Nach der Revolution emigrierte Fröbel nach Amerika, von wo er 1857 nach Deutschland zurückkehrte. In den folgenden Jahren setzte er sich für eine großdeutsche Lösung der deutschen Frage ein; ADB, Bd. 49, S. 163–172; NDB, Bd. 5, S. 644–646; Schuler, Julius Fröbel; Koch, Demokratie und Staat; ders., Julius Fröbel.
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Heidelberg, 17. Juni 1860 An den Verfasser der Studien über das europäische Gleichgewicht.2 Geehrter Herr! Auf einem Wege der, wie ich voraussetzen muß, von dem Ihrigen sehr verschieden gewesen, sehe ich mich in meiner Beurtheilung der deutschen Angelegenheiten mit Ihnen am gleichen Ziele angelangt. Wie Sie, bin ich der Meinung, daß Preußen seinen wesentlichen Beruf verkennt wenn es ihn im Westen sucht. Wie Sie, sehe ich in Preußen und Oesterreich deutsche Marken, aus denen wir uns, sowenig an der Weichsel, dem Memel und an der Ostsee, wie an der Donau und am adriatischen Meere dürfen zurücktreiben lassen, die wir vielmehr in allen diesen Gegenden werden weiter vorschieben müssen. Wie Sie, sehe ich im westlichen oder eigentlichen Deutschland ein drittes Glied des deutschen Staatensystemes, welches geographisch wie historisch, innerhalb dieses Staatensystemes, zu einer eigenen politischen Rolle bestimmt ist, und wie Sie erkenne ich in der innigen Bundesgenossenschaft Preußens, Oesterreichs und Westdeutschlands, also in einem vom deutschen Geiste beherrschten dreigliedrigen Mitteleuropa, das große politische Erforderniß der Zukunft, und das Ziel auf welches wir hinzuarbeiten haben. Wie Sie, betrachte ich überhaupt die Bundesgenossenschaft, den Föderalismus, als das politische System durch welches allein die internationalen Nothwendigkeiten der gegenwärtigen Welt mit den inneren Freiheitsbedürfnissen der Völker versöhnt werden können. Eine Uebereinstimmung in so wichtigen Dingen, zwischen Männern, deren Gedankenläufe so verschiedene Ausgangspunkte gehabt haben, ist eine nicht gleichgiltige Thatsache, und ein Ergebniß aus welchem unsere vereinzelten Bemühungen zur Begründung einer wahrhaft deutschen Politik verstärkte Kraft schöpfen können. Ich möchte unsere weiteren Bestrebungen in der nationalen Sache aneinanderknüpfen. Diese Absicht ist es, welche mich 2 Fröbel bezieht sich auf die über 400seitige Schrift „Untersuchungen über das Europäische Gleichgewicht“, die im Jahr 1859 anonym von Constantin Frantz veröffentlicht wurde. Frantz beschäftige sich darin in Kapitel XIII ausgiebig mit dem Thema „Der deutsche Bund und das europäische Gleichgewicht“ (S. 384–416). Die wichtigsten Thesen von Frantz waren, daß das europäische Gleichgewicht nur auf dem Deutschen Bund als starker „Centralmacht“ beruhen könne, daß die deutsche Nation einen universalen „Beruf“ habe, daß die Grundlagen des Deutschen Bundes mit dieser nationalen Aufgabe im Einklang stünden, daß die Schwäche des Bundes aus den österreichischen und preußischen Großmachtideen entspringe und daß es nicht auf ein deutsches Parlament ankomme, sondern auf eine einheitliche deutsche Politik: „Auch kommt es für die deutsche Politik nicht sowohl auf eine neue Bundesverfassung, als vielmehr auf eine neue Idee an.“ Diese „leitende Idee“ sei „die Idee eines deutschen Weltberufes“, und diese könne nicht „aus dem Gesumme eines deutschen Parlamentes hervorspringen“, ein deutsches Parlament sei vielmehr „das denkbar schlechteste Organ zur Begründung einer deutschen Politik“; [Frantz,] Untersuchungen über das Europäische Gleichgewicht, Zitate S. 410 f., 414.
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bestimmt den gegenwärtigen Brief an Sie zu richten. Ich wünsche Ihnen meine Gedanken über die mehr unmittelbaren praktischen Anforderungen der deutschen Lage auszusprechen. Ihnen selbst etwas Neues sagen zu wollen, kommt mir dabei natürlich nicht in den Sinn; aber ich möchte Ihnen die Punkte hervorheben in welchen, nach meiner Kenntniß herrschender Strömungen der öffentlichen Meinung, diese letztere einer aufklärenden, berichtigenden, Inhalt gebenden Einwirkung bedarf. Wollen wir der deutschen Nation von deutscher Politik reden, so ist vor allen Dingen dieser Gedanke selbst zur Klarheit zu bringen. Zunächst muß daran erinnert werden daß Politik nur von Staaten – einzelnen Staaten oder Staatenbünden, – immer aber nur von Staaten betrieben werden kann; von Völkern nur in sofern sie Staaten bilden, von Einzelnen nur in sofern sie Staaten angehören. Ein Volk als Volk, eine Nation im ethnographischen Sinne, hat mit Politik nichts zu thun. Sodann muß es, für die Deutschen wenigstens, zum allgemeinen Bewußtsein gebracht werden, daß in ihren letzten Zielen jede Politik sich auf den Staat – einfachen oder zusammengesetzten – bezieht, von welchem sie betrieben wird. Frankreich mag eine italienische, England gleichfalls eine italienische Politik betreiben: nichts destoweniger kann die italienische Politik Frankreichs nur eine ächt französische, die italienische Politik Englands nur eine ächt englische sein. Das ist freilich von selbst klar, so klar wie die Thatsache daß ich nicht spazieren gehen kann damit Sie frische Luft genießen, oder daß Sie nicht frühstücken können damit ich satt werde. Und doch ist es nichts Geringeres als für Andere zu essen, zu trinken und spazieren zu gehen, was man Preußen, Oesterreich, oder irgend einem anderen deutschen Bundesstaate zumuthet, wenn man verlangt er, als einzelner Staat, solle deutsche Politik treiben. Als einzelner Staat kann in der That Preußen nur preußische, Oesterreich nur österreichische, Baiern nur bairische Politik betreiben, und jede darüber hinausgehende Zumuthung kann nur auf nebelhaften Vorstellungen beruhen. Eine deutsche Politik also, im klaren und verständigen Sinne des Wortes, – eine Politik deren letztes Ziel Deutschland als Ganzes ist, kann auch nur von Deutschland als Ganzem ausgehen, – und zwar nur insofern dieses Ganze ein staatliches Dasein hat. Das heißt: deutsche Politik kann, wie Deutschland gegenwärtig organisirt ist, nur vom deutschen Bunde betrieben werden und von Niemand anders. Den einzelnen Bundesstaaten fällt freilich, nach Bundespflicht und eignem guten Willen, ihr Antheil von Mitwirkung zu, und sie können, wie die einzelnen Bürger, mehr oder minder patriotisch sein; ja von diesem Patriotismus wird am Ende unser Schicksal abhangen. Niemals aber kann, selbst in der patriotischsten Absicht, ein einzelner deutscher Staat von sich aus und für sich allein die deutsche Politik in die Hand nehmen wollen, ohne daß damit gerade die Möglichkeit einer wirklichen deutschen Politik überhaupt in Frage gestellt wird. Dies gilt nicht nur für
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die Regierungen, sondern auch für die Kammern der Einzelnstaaten. Wenn ein sächsischer Minister eine diplomatische Note über allgemeine deutsche Angelegenheiten erläßt, so hat er, sei es in noch so deutschpatriotischem Sinne, doch nur sächsische Politik betrieben, denn sächsische Interessen müssen es sein welche die obersten Beweggründe seiner Regierungshandlungen bilden. Wenn ein preußisches Kammermitglied sich über allgemeine deutsche Angelegenheiten ausspricht, so kommt ein solcher Redner damit noch nicht über die Grenzen der preußischen Politik hinaus, vorausgesetzt daß es ihm auch nur gelungen sei in diese Grenzen hineinzukommen; denn er hat, wenn ihm nicht nach dem Ruhme eines politischen Dilettanten gelüstet, die deutschen Angelegenheiten von keinem anderen als dem preußischen Standpunkte, und in keinem anderen als dem preußischen Interesse zu besprechen. Mehr ist nicht seines Amtes. Nur der Bund ist dazu legitimirt deutsche Politik zu betreiben. Würde behauptet daß er aus Gründen3 einer fehlerhaften Organisation dazu wenn auch legitimirt, doch nicht befähigt wäre, so würde damit nur gesagt sein, einestheils, daß er besser organisirt werden müsse, anderntheils aber, daß unterdessen überhaupt keine deutsche Politik bestehen könne, denn nicht nur wegen fehlendem Rechte, sondern auch wegen fehlender Macht ist außer ihm Niemand dazu vorhanden. Es ist freilich leicht gesagt, daß das deutsche Volk seine Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen könne; aber damit ist noch keine deutsche Politik geschaffen. Damit ist nur die Bahn der Revolution eröffnet, welche ihrer innersten Natur nach das Gegentheil der Politik ist. Einer Revolution liegt freilich eine politische Macht zum Grunde. Aber zwischen dem Wollen und dem Vollbringen liegt ein Interregnum, innerhalb dessen das elementarische Volksleben an die Stelle4 des Staatslebens tritt. Im Uebrigen ist die Behauptung daß der Bund unfähig sei, höchstens scheinbar begründet. Ohne alle Frage würden sich, bei dem guten Willen derer die am meisten über Unfähigkeit des Bundes zum Guten klagen, mit den Mitteln welche dem Bunde schon bei seiner jetzigen Verfassung zu Gebote stehen, die wichtigsten Anforderungen einer richtigen und einflußreichen deutschen Politik befriedigen lassen, sobald man sich nur über die Bedingungen klar wäre. Diese Klarheit läßt sich, wo sie fehlt, hervorbringen. Sollte man aber den guten Willen für unmöglich halten: – wie will man ohne den guten Willen mit der Bundesumgestaltung zu Stande kommen? – Auf dem Weg der Gewalt? – Ist man etwa dieser letzteren sicherer als des guten Willens? – Und müßte nicht eben auch 3 Emendiert. Vorlage: Gründung. – Die Fassung in Fröbels Kleinen Politischen Schriften schreibt richtig: Gründen, ebd. Bd. 1, S. 341. 4 Emendiert. Vorlage: Rolle. – In Fröbels Kleinen Politischen Schriften, Bd. 1, S. 341 richtig: Stelle.
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bei der Gewalt der gute Wille vorausgesetzt werden? – Ist man etwa des guten Willens derer so sicher, auf deren gutem oder schlechtem Willen das Gelingen einer Revolution beruht? – Hat unsere Zeit zur Beantwortung dieser Frage etwa noch nicht genug Material geliefert? Die Partei welche dem preußischen Staate zumuthet5, Deutschland mit List oder Gewalt in einen Einheitsstaat umzuwandeln, und welche Deutschland zumuthet sich dies gefallen zu lassen, scheint in den italienischen Begebenheiten ein Vorbild für das zu sehen was in Deutschland geschehen soll. Dieser Anschauung der Dinge liegen große Unklarheiten und Irrthümer zu Grunde. Setzt der sardinische Staat sich den Zweck Italien in einen einzigen Staat zu verschmelzen, so ist auch dies noch nicht italienische sondern nur sardinische Politik; – sardinische Politik, der Italien als Material dient. Ebenso würde eine Politik Preußens deren Ziel die Gründung eines deutschen Einheitsstaates wäre, immer nur preußische Politik sein und bleiben, – preußische Politik, welcher Deutschland als Material zur Gründung Großpreußens zu dienen bestimmt wäre. Freilich könnte man im Falle des Gelingens das politische Ergebniß ebensoleicht Kleindeutschland wie Großpreußen nennen, wie auch Victor Emanuel schon König von Italien genannt worden ist.6 Aber der Name ist noch nicht das Wesen. Ein Staat hat einen Charakter, einen Geist, welcher sich erhält, so wichtig auch die Einflüsse sein mögen die er durch Aufnahme fremder Bestandtheile erleidet. Ohne Zweifel erleiden wir wichtige Einflüsse durch die Nahrungsmittel die wir zu uns nehmen. Durch die genossenen Pflanzenstoffe werden wir aber nicht Pflanzen, durch die thierischen Stoffe nicht Thiere, sondern Pflanzen und Thiere helfen, indem wir sie essen, in uns den Menschen aufbauen und erhalten. Völker die es noch nicht zur Staatenbildung gebracht, oder deren Staaten zertrümmert werden und in sich zerfallen, sind für die Politik nichts als Material. Der Staatsgeist ist ein höherer als der Volksgeist, und mit Recht muß der letztere dem ersteren weichen. Werden Staaten von bloßen Völkern besiegt, so wird darum, wie die Geschichte ohne Ausnahme lehrt, nichtsdestoweniger der Volksgeist dem Staatsgeiste unterthan; und werden die verschiedenen Bestandtheile eines Volkes durch das Umsichgreifen eines seiner Staaten politisch verschmolzen, so ist es wiederum nicht der allgemeine Volksgeist, sondern der besondere Staatsgeist welcher zur Herrschaft kommt. Ist dieser Volksgeist der deutsche und der Staatsgeist der preußische, so siegt bei der politischen7 Einigung Deutschlands der Letztere über den Ersteren. Sollte auch Preußen dem 5 Emendiert. Vorlage: zugemuthet. – In Fröbels Kleinen Politischen Schriften, Bd. 1, S. 342 richtig: zumuthet. 6 Viktor Emanuel II. (1820–1878), 1849–1861 König von Sardinien, wurde 1861 als Viktor Emanuel I. König von Italien. 7 Emendiert. Vorlage: bei politischen. – In Fröbels Kleinen Politischen Schriften, Bd. 1, S. 343 richtig: bei der politischen.
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Namen nach in Deutschland aufgehen, der Sache nach wäre und bliebe Deutschland eine preußische Eroberung. Das möchte vielen unter uns kein großes Unglück zu sein scheinen, und es ist nicht hier meine Absicht zu untersuchen in wiefern es eine wünschenswerthe Auskunft zur Befriedigung unserer politischen Bedürfnisse wäre. Klar aber soll sich wenigstens ein Jeder machen, wohin der Weg zielt auf welchem er geht. Auf die nämliche Weise verhält es sich mit Sardinien und Italien. In Italien wie in Deutschland, und in jedem Lande welches an der Viel- und Kleinstaaterei leidet, kann das Bedürfniß der Einheit und Macht des Ganzen mit dem Bedürfniß der Besonderheit und des eigenen Lebens der Theile, in welchem sich der wahre Geist gesunder Demokratie zu erkennen gibt, nur durch das System der Bundesgenossenschaft versöhnt werden. Von der Geschichte auf dieses System angewiesen zu sein, ist es was Italien und Deutschland mit einander gemein haben, und was auch, nach allem was immer jetzt vorgehen mag, Italien wieder unter deutschen Einfluß bringen wird. Bei dieser Aehnlichkeit besteht aber zwischen den Verhältnissen beider Länder eine Verschiedenheit, die unseren deutschen Nachahmern der Italianissimi noch nicht in den Sinn gekommen zu sein scheint. Italien, als staatlicher Körper, besteht weder, noch hat es bestanden. Deutschland aber ist nicht nur ein mächtiges Reich gewesen, sondern ist auch gegenwärtig, trotz aller Mängel seiner Verfassung, ein mächtiger Staatenbund, – mächtig in dem Augenblicke, in welchem er sich entschließt es zu sein. Deutschland ist schon, was Italien, um eine italienische Nationalität zum ersten Male zu gründen, und eine italienische Politik zum ersten Male möglich zu machen, erst werden müßte, und ist, dem Wesen nach, schon gerade das, was Italien in der Richtung auf dieses Ziel im glücklichsten Falle allein werden kann. Wollte also Preußen für Deutschland versuchen was Sardinien für Italien versucht, so hätte es nicht etwa, wie dieser Staat, etwas zu gründen was noch nicht da ist, sondern umgekehrt, vor allem etwas zu zerstören was bereits besteht. Sardinien versucht es, wenn auch nicht mit ehrenwerthen Mitteln, doch als unabhängiger Staat, andere Staaten, gegen die es keine besonderen Verpflichtungen hat, zu stürzen, und deren Land und Leute sich einzuverleiben: – Preußen müßte den Treubruch am Bunde und den Verrath an seinen Bundesgenossen begehen. Die That wäre vor dem Richterstuhle politischer Moral eine himmelweit verschiedene. Der italienische Volksgeist mag das sardinische Verfahren rechtfertigen; der deutsche Volksgeist würde für ein ähnliches Verfahren Preußens keine Entlastung kennen, und die Wahrheit, daß man den Verräther benutzt aber wegwirft, würde sich bald an Jenen erhärten, welche sich soweit vergessen könnten den Zielen einer mehr unsinnigen als gewissenlosen Partei eine höhere Stütze zu leihen. Diese Partei, welche offenbar in ihrem Streben Preußen nichtsdestoweniger auf diese Bahn zu drängen, nur an der Gewissenhaftigkeit eines einzigen Man-
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nes gescheitert ist8, gibt wie es scheint ihren Zweck noch nicht auf, und verfährt dabei sehr systematisch. Sie kennt die drei Haupthindernisse welche der Erreichung des Zieles im Wege stehen: Das Dasein Oesterreichs, das Bestehen des deutschen Bundes, und den deutschen Volksgeist der zur Billigung einer Cavour-Napoleonischen Moral sich nicht verstehen will. Man muß den einer bessern Sache würdigen Muth bewundern, welcher es unternimmt drei solche Hindernisse zu beseitigen. Der deutsche Volksgeist wird demnach bearbeitet. Für die Partei in ihren eigenthümlichen Verhältnissen ist dies nicht allzuschwer. Ein großer Theil der deutschen Presse ist – Dank dem Organisationstalente der letztabgetretenen preußischen Verwaltung9 – zu einer Maschine ausgebildet worden, welche von einem Punkte aus gelenkt werden kann, und deren Benutzung mit andern Erbstücken von einer Hand in die andere übergehen zu können scheint. Was Oesterreich betrifft, so weiß man daß es zertrümmert werden muß, und wie das gemacht wird, ist für die Welt kein Geheimniß mehr. Der deutsche Bund endlich muß zu Grunde gerichtet werden. Wie das gemacht wird, ist freilich nicht allgemein bekannt, und möchte sich auch für jetzt noch nicht zur allgemeinen Kenntniß eignen, wenn auch manche der gröberen Operationen die auf diesen Erfolg berechnet sind, am Tage liegen: systematisch betriebene Herabsetzung der Bundesautorität in der öffentlichen Meinung durch die Presse wie durch die frivolen Worte parlamentarischer Redner, – Verhinderung nützlicher Wirksamkeit des Bundes im Gebiete wesentlicher und wirklicher Interessen der Nation, bei lärmendem Eifer in Bezug auf unwesentliche und eingebildete, für welche daneben künstlich im Volke eine unfruchtbare Rechthaberei unterhalten wird, wie von einem rabulistischen Advocaten die Streitsucht eines störrischen Bauern, – und dergleichen mehr. In Wahrheit dagegen, gibt es für Preußen wie für Oesterreich und jeden anderen Bundesstaat, groß oder klein, keine andere Möglichkeit deutsche Politik zu betreiben, als durch gewissenhafte Erfüllung der Bundespflichten, durch Vermeidung jedes Zerwürfnisses, durch gemeinsame Arbeit an der Beseitigung der Bundesmängel, und durch Benutzung aller Bundesmittel – welche bei gutem Willen selbst zu großen Leistungen ausreichen würden – zur Hervorbringung des möglichen Guten für das innere Leben und die äußere Machtstellung der Nation. Daß der Bund nicht nur wesentlicher Verbesserungen sondern sogar tiefgreifender Umgestaltungen bedarf, ist für Jedermann klar welcher von den politischen Bedürfnissen der deutschen Nation und Europa’s einen Begriff hat. 8 Fröbel bezieht sich hier wahrscheinlich auf den preußischen König Friedrich Wilhelm IV., der im Jahr 1849 die ihm angebotene deutsche Kaiserkrone ablehnte und damit die kleindeutsche Reichsgründung verhinderte. 9 Der Regierung Manteuffel, die mit Beginn der „Neuen Ära“ Ende 1858 abgelöst wurde.
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Daß aber bei diesen Umgestaltungen der Bund selbst nicht gefährdet werden darf, sondern daß seine Erhaltung die unterste Grundlage aller deutschen Politik sein muß, ist für den einfachsten politischen Verstand nicht minder unzweifelhaft. Wenn jetzt, bei bestehendem Bunde, die Mittel- und Kleinstaaten, einzeln oder in Gesammtheit, sich in unpatriotischem Sinne in ein Bündniß mit einer auswärtigen Macht einlassen wollten, so wären sie Verräther am Vaterlande, und nichts besseres wäre jeder der beiden Großstaaten welcher sich in eine auswärtige Allianz gegen das übrige Deutschland oder einen Theil desselben begeben würde. Denn eben durch den Bund ist für uns das Vaterland mehr als ein geographischer Begriff, – eben durch den Bund ist es eine politische Wirklichkeit. Das Volk, welches unter solchen Umständen gegen unpatriotische Fürsten aufstände, wäre in seinem Rechte, und der Versuch zu einem Landesverrathe würde die kleineren Dynastien unfehlbar hinwegfegen. Sowie dagegen der Bund auseinanderginge, – wer hätte noch ein Recht die Mittel- und Kleinstaaten um eines Rheinbundes zu tadeln? Wer könnte dann einem einzelnen deutschen Miniatur-Staate, welcher zu einem europäischen Atome geworden wäre, das Recht bestreiten welches die Natur jedem Atome ertheilt hat: das Recht, der Anziehung zu folgen die von der stärkeren Kraft ausgeht? – Hat man den ernsten Willen den Bund zu erhalten, zu stärken, zu fördern, seinen Vorschriften zu gehorchen so lange sie in Kraft sind, mangelhafte Einrichtungen zu achten bis sie durch bessere ersetzt sein werden, und auch den Schein zu vermeiden als wolle man durch stürmische Umgestaltungen die Existenz von Bundesgenossen gefährden, dann hat man allerdings das Recht auch die bloßen Gelüste zu einer unpatriotischen Verbindung mit dem Auslande zu brandmarken; – freilich nicht nur wenn sie bei den Kleinen sondern auch wenn sie bei den Großen auftreten, und nicht nur wenn sie sich dem Westen sondern auch wenn sie sich dem Osten zuwenden sollten. Arbeitet man dagegen selbst an der Zerstörung des Bundes, – dann hat man das Recht des Tadelns verwirkt; dann rechtfertigt man Aeußerungen wie die, welche kürzlich so großen Unwillen hervorgerufen haben. Der durch eine Auflösung des Bundes isolirte Staat hätte in Wahrheit keine deutschen Pflichten mehr. Er wäre auf den stürmischen Ocean der europäischen Politik geworfen, und kein vernünftiger Mensch könnte ihn tadeln wenn er in der Noth an fremder Küste landete. Solchen Erwägungen muß auch der einfachste Verstand des Volkes zugänglich sein; aber es ist nöthig daß sie ihm nahe gebracht werden. Unser Volk, welches ein politisch unerfahrenes Volk ist, muß auf Manches was an sich klar und einfach ist, erst aufmerksam gemacht werden. Es urtheilt in politischen Dingen noch auf eine ganz naive Weise nach Sympathien und Antipathien. Es muß ihm zur Einsicht gebracht werden, daß Verfassungen und Einrichtungen darum weil sie unbefriedigend sind, noch nicht gerade abgeschafft werden
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müssen; daß man vielmehr zu den vollkommneren nur dann mit Sicherheit emporsteigt, wenn man die unvollkommneren als Stufe benutzt, und daß in der politischen Entwickelung eines Volkes der Schritt vom Nichts zum Etwas, und der Sturz vom Etwas zum Nichts, größer ist als der Fortschritt von der schlechtesten zur besten und der Rückschritt von der besten zur schlechtesten Verfassung. Den Schritt vom Nichts zum Etwas haben wir nach dem Untergange des Reiches in der Gründung des Bundes glücklich vollbracht. Hüten wir uns daß wir nicht durch Zerstörung des Bundes den Sturz vom Etwas zum Nichts herbeiführen! – Wenn einmal ein Volk anfängt mit Verfassungen zu wechseln wie man einen alten Rock aus- und einen neuen anzieht, dann ist die Zeit spanischer Pronunciamientos und mexikanischer Zustände gekommen.10 Bereits haben wir, wenigstens auf dem Papiere, neben der deutschen Bundesverfassung auch noch die Reichsverfassung von 1849, und eine Menge anderer Entwürfe steckt in Köpfen und Flugschriften. Hüten wir uns, daß sie nicht auf Fahnen geschrieben werden unter denen die Parteien zum Bürgerkriege ausziehen! – Der Bund ist freilich unpopulär, und nicht ohne Grund unpopulär. Es gibt aber noch gar viele unpopuläre Dinge, welche nichtsdestoweniger sehr nützlich, sehr nothwendig, sehr unentbehrlich sind. Wenn es aber wahr ist daß der Bund erhalten und befestigt werden muß, so geht daraus hervor, daß die Verbesserungen welche mit ihm vorzunehmen sind, nur mit der größten Vorsicht unternommen werden dürfen. Sagt man daß wir in Zeiten äußerer Bedrohung an dem überhaupt nicht festen Baue unserer nationalen Einrichtung nicht rütteln dürfen, so wird freilich von Seiten vorwärts drängender Vaterlandsfreunde nicht mit Unrecht geantwortet, daß, wenn in ruhigen Zeiten nichts geschieht, und in unruhigen Zeiten nichts geschehen soll, die deutschen Angelegenheiten natürlich nicht aus der Stelle rücken können. Aber beide Theile haben hier Recht und Unrecht zugleich. Eine Zeit äußerer Bedrohung ist allerdings die Zeit einer Steigerung und Zusammendrängung nationaler Kraft und die wahre Zeit der Hervorbringung neuer Organe für eine erhöhte Thätigkeit des nationalen Lebens. Aber diese neuen Organe müssen geschaffen werden ohne daß man die alten zerstört. Eine Zeit der äußeren Bedrohung ist allerdings eine ganz geeignete Zeit für Neubildungen, aber für Neubildungen die sich dem Bestehenden ergänzend, erhaltend und kräftigend anschließen. Eine Zeit der äußeren Bedrohung ist allerdings eine Zeit für Neubildungen, aber nur für solche welche dem praktischen Bedürf10 Mit dem Begriff „Pronunciamiento“ wurden die wiederholten Putsche bezeichnet, die im 19. Jahrhundert in Spanien stattfanden. Die „mexikanischen Zustände“ beziehen sich auf die zahlreichen inneren Unruhen, die Ende der 1850er Jahre in einen Bürgerkrieg mündeten, der schließlich zum Ende der ersten mexikanischen Republik und zum militärischen Eingreifen Frankreichs führte. Vgl. Bernecker/Pietschmann/Tobler, Kleine Geschichte Mexikos.
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nisse des Augenblicks entsprechen, und über welche deßhalb keine Verschiedenheit der Meinungen bestehen kann. Für Umgestaltungen dagegen, welche von Doctrinen, Theorien, Systemen und Liebhabereien ausgehen und mit der Vernichtung des Bestehenden anfangen, ist eine Zeit der äußeren Bedrohung in keiner Weise geeignet, und wenn in solcher Zeit politische Dilettanten und Rechthaber nicht schweigen können, müssen sie auf eine oder die andere Weise zur Ruhe gesetzt werden. Eine Zeit der Noth, und rettender Thaten wie sie von der Noth erfordert werden mögen, ist vor allem nicht eine Zeit „verfassunggebender Reichsversammlungen“ und parlamentarischer Reden. Zudem kann in einer solchen Zeit kaum gehofft werden etwas dauerndes zu schaffen; höchstens das, was sich aus den Bedürfnissen des Augenblicks und den thatsächlichen Vorgängen von selbst ergibt, kann auf Bestand rechnen. Eine so durchgreifende Umgestaltung des deutschen Bundes wie sie von Vielen und in verschiedenem Sinne verlangt wird, darf überhaupt nicht einmal beabsichtigt oder erwartet werden. Könnte sie aber jemals in dieser Weise zu Stande kommen, so möchte ein solcher Vorgang wohl nur hinter einem glücklich beendigten Kriege Deutschlands gegen seine äußeren Feinde liegen, und wird dann wahrscheinlich nur die Sanction der Verhältnisse sein die sich während eines solchen Krieges thatsächlich gebildet haben werden. Ueberhaupt ist unsere innere Politik nur durch die Begründung und kräftige Fortführung einer äußeren deutschen Bundespolitik auf eine glückliche Bahn zu bringen. Dies muß dem Volksurtheile nahe gebracht werden. Staaten, – einfache oder zusammengesetzte – können sich immer nur unter dem Drucke des Gegensatzes mit anderen Staaten entwickeln. Deßhalb ist es, ganz angesehen von den Rücksichten der äußeren Politik selbst, schon aus Gründen der inneren gewöhnlich schädlich, neutral zu bleiben. Vor allem aber ist die äußere Sicherheit das erste aller Staatsinteressen, so daß die innere Politik ihre praktisch entscheidenden Beweggründe immer von der äußeren herleiten muß. Wo sich das Verhältniß umkehrt, ist die Kraft eines Staates gelähmt. Ein innerlich bewegtes Land ist bei gleichzeitiger äußerer Bedrohung immer mehr oder minder gefährdet, sofern die innern Gesichtspunkte nicht zur rechten Zeit in den Hintergrund zu treten wissen. Haben doch die Meister der großen Intrigue, deren Hand in den Fäden der europäischen Politik arbeitet, immer zur rechten Zeit eine Reformbill oder andere innere Maßregeln bereit, um selbst Englands äußere Politik durch die innere zu beherrschen!11 Zur erwünschten Zeit kann unter solchen Umständen durch das Dazwischentreten einer inneren Frage leicht ein Ministerwechsel bewirkt werden, mit welchem ein ganzes System der äußeren Beziehungen zerstört wird. Zehnfach gefährlich müssen 11 Fröbel bezieht sich hier wahrscheinlich auf die Wahlrechtsreform von 1832 und auf die Corn Laws von 1846, die den Übergang Englands zur Freihandelspolitik besiegelten.
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diese Möglichkeiten für ein Land sein, dessen auswärtige Politik so nichtig ist wie die deutsche, und dessen innere Politik, wie diese, aus tausend verwickelten Fäden und Fädchen besteht! Die äußere Politik also muß für Deutschland in den Vordergrund gestellt werden, und muß uns die entscheidenden Beweggründe für das gesammte Verhalten der Nation geben. Der deutsche Bund muß als eine Großmacht ersten Ranges auftreten, und darf nicht dulden daß ohne seine Mitwirkung ferner irgend eine Entscheidung der großen Politik getroffen werde. Dazu ist nichts erforderlich was sich nicht unter der gegenwärtigen Bundesverfassung ausführen läßt. Auf diesem Wege schaffe man das Unentbehrliche, aber in diesem Augenblick auch nichts was über dieses Unentbehrliche hinausgeht. Fragen wir worin es besteht, so ist die Antwort kurz und einfach. Sofern nur von auswärtiger Politik die Rede ist, können sich die ungenügenden Bundeseinrichtungen nur auf zweierlei, auf das Wehrsystem und die Diplomatie beziehen. An der Verbesserung des ersteren wird mit unmittelbarem Bezuge auf die Erfordernisse der Weltlage wirklich gearbeitet. Alle Glieder des Bundes sehen die Nothwendigkeit einer festeren Leitung, einer größeren Einheit, einer besseren Schlagfertigkeit des Bundesheeres ein, und die Hindernisse welche bisher der Abhilfe entgegengestellt worden sind, werden durch die nöthigende Macht der Zeitverhältnisse beseitigt werden. Der diplomatische Verkehr des Bundes ist bei bisheriger Praxis auf eine sonderbare Weise einseitig. Der Bund empfängt die Gesandten fremder Mächte, ohne selbst bei fremden Mächten Gesandte zu unterhalten. Es ist nothwendig daß hierin die Praxis der Gegenseitigkeit eingeführt werde. Daraus folgt nicht, daß den einzelnen Bundesstaaten das Recht besondere diplomatische Agenten auswärts zu unterhalten, genommen werden solle. Der Bund hätte dazu weder ein Recht, noch wäre Verstand und Billigkeit darin. Oesterreich, Preußen, Dänemark und die Niederlande haben außer den Ländern mit denen sie am Bunde betheiligt sind, noch andere Gebietstheile. Diese vier Staaten haben, außer ihrem Verhältniß im Bunde, als eigne politische Körper, welche dem europäischen Systeme angehören, auch unvermeidlich eigne Beziehungen zu den übrigen Staaten der Welt. Sie müssen also schon besondere und selbstständige diplomatische Beziehungen unterhalten, und es kann ihnen nicht geboten werden daß diese Beziehungen nicht theilweise das diplomatische Gebiet des Bundes bestreichen. Ist es aber diesen Staaten nicht zuzumuthen auf eigne Diplomatie zu verzichten, so läßt es sich schwer mit der Billigkeit vereinigen den anderen Bundesgliedern das nämliche Recht zu bestreiten. Man wird es also dem freien Willen der übrigen Bundesstaaten überlassen müssen, ob sie, nachdem der Bund angefangen haben wird bei den auswärtigen Mächten seine Gesandte zu unterhalten, es noch für nöthig und wünschenswerth erachten werden, ihren besonderen diplomatischen Verkehr fortzuführen. Es ist allerdings wahr, ein Staat, welcher nicht befähigt ist eine selbstständige aus-
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wärtige Politik zu betreiben, kann in der Gesellschaft der Staaten nicht als vollzählig gelten. Man kann es deßhalb unseren Fürsten kaum verargen, wenn sie wenig geneigt sind ihre diplomatische Selbstständigkeit aufzugeben. Die militärische Selbstständigkeit erledigt sich in einer Zeit wie die unsrige von selbst, und dieser Charakter der Zeit wird sich nicht mehr ändern. Die politischen Weltverhältnisse gestalten sich immer mehr in großem Maßstabe, so daß wir bereits ein Zeitalter herannahen sehen in welchem sich Welttheile mit ihrer geeinten Macht gegenüberstehen. In der Diplomatie dagegen kann unter Umständen durch einen geistvollen und genialen Mann auch der kleinste Staat eine Rolle spielen. Nichtsdestoweniger täuscht ein verständiger Mensch sich nicht absichtlich über seine Lage. Wie jetzt die Dinge in Europa liegen, muß es den Fürsten unserer Mittel- und Kleinstaaten klar sein daß jede Hoffnung die sie in der Gefahr auf auswärtige Verbindungen gründen könnten, nur zum Verderben führen müßte. Italienische Vorgänge wären geeignet sie darüber zu belehren, wenn es denkbar wäre daß sie einer solchen Belehrung bedürften. Ein wesentliches Interesse kann also im gesonderten diplomatischen Verkehr der Mittel- und Kleinstaaten gewiß nicht mehr seine Befriedigung suchen. Sei es also dieser Erkenntniß überlassen, sich selbst Bahn zu brechen. Einzelne unter unseren Fürsten werden vielleicht, sowie der Bund seine Gesandten schickt, die ihrigen nicht ungern zurückziehen. Mögen sie alle darin ihre eigenen Interessen und die ihres Landes berathen! Wie jetzt die Dinge stehen, ist es naturnothwendig daß Oesterreich, Preußen, Dänemark und Holland ihre eigne Politik betreiben, und daß, wenn sie sich nebenbei in wesentlicherem oder unwesentlicherem Sinne an der Politik des deutschen Bundes betheiligen, doch die Bundespolitik sich den Rücksichten ihrer eignen Staatspolitik unterordnen muß. Einem jeden Staate welcher nur mit einem Theile seines Gebietes zu einem Staatenbunde gehört, müssen unvermeidlich seine eigenen Interessen über die Interessen des Bundes gehen. Die Interessen, in welchen er sich als Ganzes fühlt, müssen ihm wichtiger sein als die, in welchen er in doppelter Beziehung bloß betheiligt ist. Man ist in ganz Deutschland erbittert über Dänemarks Eingriffe in die Rechte von Schleswig-Holstein und über seine Widerspenstigkeit gegen den deutschen Bund. Man höre aber einen unparteiischen Beurtheiler, welcher weder Deutscher noch Däne ist, und er wird finden daß Niemand ein Recht hat Dänemark sein Verfahren vom dänischen Standpunkte aus zu verdenken. Die dänischen Centralisationsversuche sind, wie die nun glücklich beseitigten österreichischen, das nothwendige Widerspiel der deutschen. Man hat Oesterreich beschuldigt daß es den deutschen Bund stets nur für österreichische Interessen auszubeuten gesucht, als ob unter gegebenen Verhältnissen verständigerweise ein anderes Verhalten denkbar gewesen wäre. Und wenn seit 1849 Preußen zuerst mit allen Mitteln die Wiederherstellung des Bundes zu verhindern und
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seitdem dessen Ansehen und Bestand zu lockern und zu untergraben gesucht hat, – weßhalb anders ist dies geschehen als weil der Bund sich für preußische Interessen nicht mit Vortheil ausbeuten läßt? – Ist es wahr daß Oesterreich an der Erhaltung des Bundes ein egoistisches Interesse hat, so kann doch der österreichische Egoismus in seiner erhaltenden Thätigkeit nicht größer sein, als der preußische, welcher den Bund zu beseitigen sucht, in seiner zerstörenden Thätigkeit. Kann aber ein vernünftiger Beurtheiler politischer Vorgänge in dem Verfahren dieser Staaten, des einen wie des anderen, etwas anderes sehen als eine natürliche, und insofern – um die Sprache Berliner Publicistik zu gebrauchen – vollkommen „correcte“ Erscheinung? Was folgt nun aus dieser Sachlage? – Etwa die Nothwendigkeit der Zertrümmerung Oesterreichs? – Und Dänemarks? – Weßhalb nicht auch die Zertrümmerung oder Beschneidung Preußens? – Und das Königreich der Niederlande – – scheint von unseren zertrümmerungsmuthigen Centralisten bisher ganz vergessen worden zu sein! Nein! Diese Staaten dürfen nicht zertrümmert, sondern die Erhaltung ihrer Integrität und die gänzliche Vereinigung ihrer Interessen mit den unsrigen muß das erste objective Ziel deutscher Politik werden. Mit jedem dieser Staaten muß der Bund einen gegenseitigen Garantievertrag abschließen, so daß die Gesammtwirkung dieser Garantieverträge der Begründung eines mitteleuropäischen Staatensystemes gleichkommt. Sich zum Kerne eines solchen Systemes zu machen, ist die nächste große Aufgabe des deutschen Bundes. Es würde nicht zum Ziele führen, an eine Aufnahme der außerbündischen Länder der vier theilweise zum Bunde gehörigen Staaten zu denken. Wie der Bund jetzt gestaltet ist, könnte er diese Länder nicht einmal brauchen. Ihre Bevölkerungen würden zum größten Theile gar nicht aufgenommen werden wollen, und der Aufnahme würden sich europäische Schwierigkeiten der ernstesten Art entgegenstellen. Die außerbündischen Theile Oesterreichs, Preußens, Dänemarks und der Niederlande sollen zum deutschen Bunde nur in ein Allianzverhältniß treten, welches ungefähr dem der sogenannten „zugewandten Orte“ des früheren eidgenössischen Bundesrechtes entspricht.12 Die Interessen Preußens und Oesterreichs an einem solchen Verhältnisse sind klar. Daß die Niederlande, in einer Zeit wie die unsrige, sich nicht selbst genügen können, ist nicht minder klar, und welche annehmbare Allianz könnte ihnen geboten werden als die mit Oesterreich, Preußen und dem deutschen Bunde? Was endlich Dänemark be12 Als „zugewandte Orte“ wurden in der alten schweizerischen Eidgenossenschaft diejenigen Städte, Länder, geistlichen oder weltlichen Herrschaften bezeichnet, die mit den eidgenössischen Orten in einer engen, in der Regel unbefristeten (ewigen) vertraglichen Bindung standen und als zur Eidgenossenschaft gehörend galten, ohne aber voll berechtigte Orte zu sein; Würgler, Zugewandte Orte.
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trifft, so scheint freilich von der gegenwärtigen Spannung zu einer Allianz mit Deutschland ein großer Sprung zu sein. Aber von Krieg zu Frieden ist ein noch größerer Sprung, und dennoch muß er gethan werden. Eine solche Allianz könnte gerade das Mittel zur Beilegung eines in mancher Beziehung albernen Streites gewähren, eines Streites, in welchem doch die wichtigsten Interessen beider Länder für die Marotten von doctrinären Pedanten und für die Aussichten der Eitelkeit auf’s Spiel gesetzt werden. Und welche Allianz außer der deutschen könnte Dänemark wählen? Die französische? dann doch lieber gleich die russische; da wäre man doch gleich am Ziele angelangt, an welchem man, bei fortgesetztem Einhalten des bisherigen Kurses, am Ende doch anlangen muß! – oder die englische? Wenn die Dänen dafür eine besondere Liebhaberei haben, so mögen sie es versuchen. Kopenhagen ist eine schöne neue Stadt, dafür ist man freilich den Engländern einigen Dank schuldig. Schweden und Norwegen machen allerdings einen wünschenswerten Alliirten aus; aber selbst die drei skandinavischen Staaten miteinander sind den Gefahren der gegenwärtigen Weltlage nicht gewachsen, und ihrem festen Zusammenhalten stehen mancherlei innere und äußere Hindernisse entgegen. Nur am deutschen Bunde kann Dänemark den Schutz finden, dessen es bedarf. Mit der Erstrebung dieses Gesammtzieles sollte unmittelbar von Seiten des deutschen Bundes Ernst gemacht werden. Natürlich setzt die Ausführung des Gedankens die endgiltige Beseitigung aller pentarchistischen Anschauungen voraus. Solange diese in Wien und Berlin noch nicht mit der Wurzel ausgereutet13 sind, ist überhaupt für die deutschen Verhältnisse nichts Gutes zu erwarten. Ich stimme mit Ihnen in der vollen Anerkennung der Wichtigkeit überein, die der Krimkrieg, als der eigentliche Act der Auflösung der Pentarchie, für die Entwickelung der Weltverhältnisse gehabt hat. Aber auch die letzten pentarchistischen Erinnerungen müssen verwischt werden, wenn der deutsche Bund als das was er seiner Anlage nach ist, als Großmacht ersten Ranges, auch wirklich auftreten soll. In dem Augenblicke, in welchem es dem deutschen Bunde gelungen wäre sich zum Kern eines solchen mitteleuropäischen Systemes zu machen, würden die inneren Zustände Deutschlands von selbst umgewandelt sein. Was bisher sich entgegengearbeitet hat, würde in allen großen und wesentlichen Dingen ein gemeinsames Interesse an der Erhaltung und Förderung des Ganzen haben. Preußen könnte und müßte seine Aufmerksamkeit der Richtung zuwenden, der dieselbe von Natur, durch die Geschichte, und im Interesse seiner eignen staatlichen Entwickelung gehört: – dem Osten. Preußen wäre wieder geworden, was es ursprünglich war: – unsere nordöstliche Mark, – mit Recht aber in ein Königreich verwandelt, denn seine Aufgabe ist eine königliche, 13 Altertümliche Form für ausroden, ausrotten.
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und es ist bei ihrer Vollbringung und dem treuen Zusammenhalten mit dem Bunde in einem so großen und mächtigen mitteleuropäischen Systeme mehr Ehre zu ernten, als bei allen Unionsversuchen mit denen es sich und Andere noch weiter quälen könnte. Oesterreich, über den bedrohten Besitz seiner außerbündischen Länder beruhigt, könnte sich ungestört der Lösung seiner inneren Aufgaben widmen, durch die es befähigt wird von Neuem dem französischen Einflusse in Italien die Spitze zu bieten und den russischen Plänen an der untern Donau und am Bosporus entgegenzutreten. Ist das nicht Spielraum genug auch für den stolzesten Ehrgeiz der beiden Nebenbuhler? – Und wäre es nicht, solchen Aufgaben gegenüber, klein und armselig, kleindeutsche Intriguen zu betreiben, und schwache Bundesgenossen cavouisiren zu wollen? – Und die Mittel- und Kleinstaaten? – Von dem Augenblick an, wo sie aufgehört haben werden ein Gegenstand der Eifersucht zwischen den beiden Großstaaten zu sein, kann nichts sie verhindern sich zur Vollbringung von Aufgaben, welche von Natur hauptsächlich ihnen zufallen, enger zu verbinden. Alle diese Aufgaben lassen sich in dem allgemeinen Ausdrucke zusammenfassen, daß es ihr Beruf ist, die Nation mit dem durch die Kleinstaaterei in Mißachtung gebrachten Föderativsysteme auszusöhnen. Nichts kann sie verhindern, sich für alle die Angelegenheiten welche nicht den Bund als Ganzes betreffen, oder für alle die in welchen die Bundesverfassung ihnen freies Handeln läßt, unter sich enger zu vereinigen, den Rückfall Preußens und Oesterreichs in die alte Nebenbuhlerschaft für immer unmöglich zu machen, die Zerreißung Deutschlands in zwei Theile für immer aus der Reihe der uns drohenden Gefahren zu beseitigen, und im Kreise des bürgerlichen Lebens und der inneren Politik alle die Einigungsmaßregeln durchzuführen, welche im weiteren Kreise des gesammten Bundes undurchführbar sein möchten. Wer hindert sie die Einheit von Maß und Gewicht für sich allein herzustellen, wenn die beiden Großstaaten sich dabei nicht betheiligen wollen? Wer hindert sie in mehreren ganzen Gebieten gleiches Recht einzuführen? und ähnliches mehr. Eine solche auf Einigung zielende innere Politik der Mittel- und Kleinstaaten würde bald die Nation mit dem Föderativsysteme aussöhnen, welches doch von Natur das einzige dem deutschen Geiste entsprechende ist, und würde dazu beitragen dieses System in der Mitte Europas auf den Thron zu setzen. Ich halte dies für den allgemeinsten und wichtigsten Zweck, den überhaupt ein Staatsmann von klarem Bewußtsein in unserer Zeit haben kann. Die Gründung eines mitteleuropäischen Staatensystemes dessen Kern der deutsche Bund wäre, würde freilich möglicher Weise den Krieg, wenn er nicht schon vorher ausgebrochen sein sollte, zum Ausbruche bringen. Aber ein auf dieser Grundlage geführter Krieg würde das Wünschenswertheste sein, was der deutschen Nation begegnen kann. Er würde alle die Umgestaltungen der
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europäischen Politik von selbst mit sich bringen, an denen wir uns jetzt vergebens theoretisch abmühen, und deren in’s Einzelne gehende Besprechung nur ein Beitrag zu sinn- und zwecklosem Gerede sein würde. Was Bestand haben soll, muß sich im Kampfe thatsächlich geltend machen.14 Eine thatenhafte und mit Entschiedenheit auftretende auswärtige Politik also, durch welche die inneren Streitigkeiten in den Hintergrund gedrängt werden, die Gemeinsamkeit der wesentlichsten Interessen dem Bewußtsein eingeprägt und das praktische Bedürfniß an die Stelle der politischen Schulmeistereien gesetzt wird die sich jetzt wieder mit so abgeschmackter Anmaßung vordrängen15, – eine Politik endlich, und vor Allem, in welcher andere Nationen einen Beweggrund erhalten unsere Freunde zu sein – eine solche auswärtige Politik ist der Weg auf welchem wir auch in unseren inneren Angelegenheiten allein zum Ziele gelangen können. Meine Anschauung der Dinge trifft hier ganz mit der Ihrigen zusammen. Die Nationen des europäischen Westens, welche zur Zeit der Blüthe des deutschen Reiches ein mehr oder minder zusammenhängendes Ganze bildeten, sind im Verlaufe der neueren Zeit auseinander gefallen. Nun tritt das Bedürfniß ihrer Wiedervereinigung im Geiste der Gegenwart mit täglich zunehmender Nöthigung auf, und es liegen zwei verschiedene Wege vor uns, welche zur Befriedigung des großen geschichtlichen Bedürfnisses zu führen scheinen: der französische Imperialismus, von welchem unser kleindeutscher Centralismus mit seiner Pseudo-Demokratie nur eine schlechte Uebersetzung ist, – und der deutsche Föderalismus, die der Natur germanischer Völker ursprünglich entsprechende politische Lebensform. Das sind zwei Systeme, zwischen denen nicht nur in Deutschland, sondern in Europa um die Herrschaft gekämpft werden muß, ja der Kampf in Deutschland ist nur eine einzelne Scene des allgemeinen Vorganges. Die Anhänger der beiden Systeme bilden die zwei großen Parteien welche sich in Deutschland wie anderwärts gegenüberstehen, obschon ihr Gegensatz noch nicht zur Klarheit gelangt ist. Für unsre deutschen Verhältnisse muß es aber einmal klar ausgesprochen werden, daß es Centralisten und Föderalisten sind die sich gegenüberstehen, und daß, wenn ein Theil der deutschen Demokratie sich hat für centralistische Pläne gewinnen lassen, dies nur in Unklarheit über die eigenen Principien, oder in einer freilich begreiflichen Entmuthigung seine Erklärung finden kann. Aber der Centralismus ist seiner innersten Natur nach dem Geiste der Demokratie entgegengesetzt. Demokratie, im vernünfti14 Die Formulierung Fröbels erinnert stark an das Darwinsche Konzept des „struggle for existence“ und ist ein früher Beleg für die Ausstrahlung des 1859 veröffentlichten Buches „The Origin of Species“ auf die politische Theorie. Vgl. insbesondere das 3. Kapitel bei Darwin: „Struggle for Existence“. 15 Emendiert. Vorlage: verdrängen. – Fröbel, Kleine Politische Schriften, Bd. 1, S. 360, richtig: vordrängen.
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gen Sinne, ist nicht jenes unwürdige Spiel, welches jenseit[s] des Rheines und des Genfer Sees mit dem allgemeinen Stimmrechte getrieben worden ist, noch ist Demokratie eine Theilnahme Aller an allen Angelegenheiten des Staates, welche jeden größeren politischen Körper unmöglich machen würde, und welche selbst Rousseau in der kleinsten Gemeinde nicht ohne das Bestehen der Sklaverei für möglich hielt.16 Demokratie, im vernünftigen Sinne, ist das Recht des Bürgers, seine eignen Interessen innerhalb der Grenzen ihrer wirklichen Geltung selbst zu verwalten. Demokratie ist Selbstregierung, die, vom kleinen Kreise örtlicher Interessen ausgehend, mit der weiteren Geltung allgemeinerer Interessen sich zu größeren Kreisen der Wirksamkeit ausbreitet, bis sie endlich, in den allgemeinsten und wichtigsten Angelegenheiten, solchen die den ganzen Staat umfassen, mit der Staatsregierung und Staatsverwaltung selbst zusammenfällt und einerlei ist. Demokratie, im vernünftigen Sinne, ist, in unserer Zeit, und in unseren Verhältnissen, weder der Gegensatz der Aristokratie, noch der Monarchie; – sie ist der Gegensatz des bureaukratischen Centralismus. Demokratie im vernünftigen Sinne, – in dem Sinne, in welchem sie nicht eine künstlich unterhaltene fixe Idee, sondern das wahre und fühlbare Wohl des Volkes bedeutet, ist das politische System, nach welchem die Staatsregierung sich unnöthiger Einmischung in die Angelegenheiten der Bürger enthält. Sie ist ein System, welches von dem Gedanken ausgeht daß Jeder am besten wissen muß was ihm frommt, und daß, wenn Einer es nicht weiß, die Schule der Erfahrung, welche er durchmachen muß um es zu lernen, die einzige ist welche Männer zieht, – Männer, wie ein Staat sie braucht um in der Welt groß und mächtig dazustehen. Demokratie ist also gleichbedeutend mit dem von unten bis oben durchgeführten Föderativsysteme. Eine centralistische Demokratie ist daher ein Widerspruch in sich selbst und recht eigentlich eine der „Carricaturen des Heiligsten“17. Centralismus und Demokratie können nicht eine Ehe mit einander eingehen. Ihre Verbindung kann nur auf Prostitution der Demokratie gegründet sein. Der Bastard-Sprößling aus dieser Verbindung ist der moderne Imperialismus. Glaubt man daß die Verbindung der nämlichen Elemente in Deutschland etwas Edleres erzeugen werde als in Frankreich? – Etwas Schwächeres – ja! – etwas Edleres – nein! – Der Weg welchen die kleindeutsche Partei zu betreten gedankenlos genug gewesen, führt in Zustände aus denen nur ein Bonaparte retten könnte. Aber Gott weiß daß diese Partei zwar viele sehr dünkelhafte Menschen, aber weder 16 Fröbel bezieht sich auf den „Gesellschaftsvertrag“ von Jean-Jacques Rousseau; vgl. ders., Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts. 17 Anspielung auf ein Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) über den Kölner Dombau, das 1844 unter dem Titel „Die Stadt und der Dom. Eine Carricatur des Heiligsten“ veröffentlicht wurde; Droste-Hülshoff, Gedichte, S. 6–10.
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einen Bonaparte noch einen Cromwell, noch einen Washington, noch einen Garibaldi, noch selbst einen Cavour enthält. Der Ausgang eines Unternehmens, welches von Anfang an nur eine abgeschwächte Nachahmung von Vorgängen in der romanischen Welt gewesen ist, würde nichts als eine stümperhafte Wiederholung romanischer Zustände sein; denn ein Volk kann nur groß sein in dem was der Natur seines eigenen Geistes entspringt. Was Deutschland auf dem Wege des Centralismus politisch hervorbringen könnte, würde im günstigsten Falle sich zum romanischen empire verhalten, wie einst die europäischen Königreiche sich zum deutschen Kaiserthume verhalten haben: – es würde eine Nebenbildung des die Zeit und den Welttheil beherrschenden Hauptgebildes sein. Deutsches Kaiserthum und französischer Imperialismus sind principiell entgegengesetzte Gedanken. Als der erste verwirklicht war, konnten die nichtdeutschen Völker es nur zu schwächeren Nebenbildungen bringen. Sollten wir auch bei uns den Geist zur Herrschaft bringen lassen welcher den französischen Imperialismus hervorgebracht hat, so werden die Rollen sich umdrehen, und wir werden zu denen gehören welche mit den schwachen Nebenbildungen zufrieden sein müssen. Wir werden dann alle die moralischen Nachtheile haben welche aus einem durch und durch verderbten Systeme hervorgehen, ohne auch nur am Ruhme und der Ehre selbst für die großen Erscheinungen des Verfalles Antheil zu erhalten, der dann unaufhaltsam über Europa hereinbrechen wird. Unsere Centralisten haben Oesterreich, um es aus dem Wege zu schaffen, auf die Erbschaft des oströmischen Reiches angewiesen. Ich will es ununtersucht lassen, ob diese Erbschaft für Oesterreich erreichbar ist oder nicht. Eins aber ist für mich Gewißheit: – Wenn Deutschland das Föderativsystem aufgibt und im Centralismus sein Heil sucht, dann wird es nicht Deutschland, sondern Frankreich, der Meister des Centralismus wird es sein, durch welches das weströmische Reich auf der Bühne der Welt neu in Scene gesetzt wird. Von der Möglichkeit das Föderativsystem zur Herrschaft zu bringen, hängt das Heil Europas ab. Die Möglichkeit dieser Möglichkeit liegt in Deutschland. Wenn nach allem Diesem die auswärtige Politik für uns in den Vordergrund treten muß, so fragt sich, unter welchen weiteren Voraussetzungen in den europäischen Verhältnissen dies geschehen kann. Es ist dies die Frage der eigentlichen auswärtigen Allianzen; denn das Verhältniß zu den außerbündischen Ländern der nicht ganz bündischen Staaten kann nicht vollständig als auswärtige Politik betrachtet werden. Unter der Voraussetzung daß dieses Verhältniß in der bezeichneten Weise schon begründet sei, sind unsere auswärtigen Beziehungen sehr einfach. Wir haben im Osten und Westen je einen natürlichen Feind, – das heißt einen Feind, der es nicht aus besonderem üblen Willen, nicht aus einer besonderen Abneigung gegen unsere Art des Seins, sondern aus einer in den Weltverhält-
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nissen begründeten Naturnothwendigkeit ist. Unser natürliches Verhältniß zu Rußland und zu Frankreich ist ein solches, daß selbst die Freundschaft dieser Staaten, in welchen inneren Zuständen sie sich auch befinden mögen, uns gefährlich ist. Glaubt man etwa daß die französischen Republikaner nicht eben so gut wie der Kaiser das linke Rheinufer wollen? Sogar Arago18 hat sich 184619 in diesem Sinne gegen mich ausgesprochen, und heute predigt Victor Hugo20 seinen Nachbarn auf Guernesey [sic], daß Köln eigentlich eine französische Stadt sei. Ich glaube nicht daran daß dieses Verhälntiß sich abändern wird. Ich glaube nicht daran daß wir einen dieser beiden Feinde hinreichend schwächen können, um die Gefahr von seiner Seite aufzuheben. Und ich glaube wir bedürfen sogar noch auf lange Zeit der Gefahr, um unsere gesunkene Nationalkraft wieder auf die richtige Höhe zu bringen. Wenn ich Frankreich und Rußland unsere natürlichen Feinde nenne, so will ich damit keinesweges sagen daß wir von unserer Seite gegen sie feindselig sein sollen; ein absolutes Mißtrauen gegen diese beiden Staaten aber müssen wir uns zur Pflicht machen. Dieses Mißtrauen muß eine der festen Maximen deutscher Politik werden, so sehr, daß selbst gegen eine Bedrohung von Seiten Frankreichs keine Coalition mit Rußland, wie umgekehrt gegen eine Bedrohung von Seiten Rußlands keine Coalition mit Frankreich annehmbar sein darf. Nur ganz außerordentliche Umstände wenigstens könnten allein eine solche rechtfertigen. Auch einem gleichzeitigen Angriffe von beiden Seiten müssen wir gewachsen sein. Sind wir aber fähig einem solchen Angriffe Stirn zu bieten, so werden andere Staaten, deren Interessen mit den unsrigen zugleich bedroht sind, von selbst unser Bündniß suchen. Ob dies gerade am ersten der Staat thun wird, auf welchen die politischen Kannegießer der preußischen Hauptstadt sich so lange verlassen haben, weiß ich nicht. Ein England, welches, wie das gegenwärtige, an dem gegen die bestehenden europäischen Staatenverhältnisse gerichteten Complotte Frankreichs und Rußlands in gewissem Grade selbst Theil nimmt, sei es auch nur um dasselbe im wahren oder vermeintlichen englischen Interesse zu lenken, kann unmöglich unser Alliirter sein. England muß erst selbst im Begriffe sein Frankreich den Krieg zu erklären, ehe es unser Bundesgenosse werden kann. Ob und wann dieser Zeitpunkt eintreten wird, läßt sich nicht voraussagen. 18 Wahrscheinlich ist Étienne Arago (1802–1892) gemeint, ein französischer Schriftsteller und Politiker. 1849 beteiligte sich Arago am Juliaufstand der radikalen Republikaner und mußte nach dessen Niederschlagung nach Belgien fliehen. Erst nach seiner Begnadigung 1859 konnte Arago wieder nach Frankreich zurückkehren; siehe WBIS. 19 In der Fassung des Textes in Fröbels Kleinen Politischen Schriften, Bd. 1, S. 364: 1843. 20 Victor Hugo (1802–1885), französischer Schriftsteller und Publizist, wurde nach dem Staatsstreich Napoleons III. 1851 aus Frankreich verbannt und ging ins Exil auf die Kanalinsel Guernsey, von wo er erst 1871 wieder zurückkehrte; vgl. Biermann, Victor Hugo.
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Eine englische Allianz ist uns freilich wünschenswerth; und hätten wir schon eine deutsche Diplomatie, ihre Aufgabe müßte es sein den Zeitpunkt der Möglichkeit eines solchen Bündnisses herbeizuführen. Darauf rechnen läßt sich aber unter den bestehenden Verhältnissen nicht. Ein Land welches sich zu Oesterreich in einer ähnlichen Stellung wie England zu Preußen befindet, ist Spanien, und eine spanische Allianz könnte für uns unter Umständen natürlich sehr wünschenswerth sein, um so mehr als sie sich mit einer englischen auf das beste verträgt. Daß religiöse Beweggründe auf diese Verhältnisse keinen Einfluß ausüben dürfen, versteht sich für den Politiker von selbst. Aber freilich, Menschen, die es unternehmen Deutschland unter der einseitigen Fahne des preußischen Protestantismus zu centralisiren, Menschen, welche geglaubt haben daß der Protestantismus für britische Staatsmänner in allem Ernste einen Beweggrund der äußeren Politik abgeben könne, und daß, nachdem der Katholicismus angefangen hat tolerant zu werden, für den Protestantismus die Zeit der Intoleranz gekommen sein müsse, kurz Menschen, welche sich einbilden die Zeit sei gekommen ihre Bornirtheit an die Stelle einer anderen zu setzen welche im Begriffe ist Platz zu machen, – solche Menschen dürften auch kindisch genug sein gegen die Allianz mit einem Lande zu protestiren welches durchaus katholisch ist. Zum Glück machen diese Leute keine Weltgeschichte. Selbst sie zu schreiben, was doch im Verhältniß zum Machen nicht viel heißen will, gelingt ihnen zuweilen herzlich schlecht. Uebrigens, wenn wir von England wissen daß es nicht immer will, so wissen wir von Spanien daß es unter gewöhnlichen Umständen nicht kann. Auch hier ist also kein fester Anhaltspunkt, und ein ähnliches Ergebniß findet sich in Bezug auf die beiden skandinavischen Königreiche. Von zwei Ländern dagegen dürfen wir mit Bestimmtheit erwarten, daß sie in der Zeit der Gefahr sich uns anschließen werden, – ich meine Belgien und die Schweiz. Beide sind die natürliche Ergänzung dessen was schon zu uns gehört, und müssen von uns als natürliche Freunde angesehen werden. Freilich müssen wir selbst schon mit unseren eigenen Angelegenheiten einigermaßen in’s Reine gekommen sein, ehe wir erwarten dürfen daß sie ohne Noth ihr Schicksal mit dem unserigen verbinden. Aber eben die Noth kann sie auch früher schon zu unseren Bundesgenossen machen. Die Politik gebietet uns, daß wir in einem solchen Falle alles für sie thun was wir für uns selbst thun würden. Ihre Sicherheit ist die unserige. Ihre Sicherstellung wäre zugleich einer der Punkte, auf welchem wir uns mit England begegnen würden. Eine der wichtigsten und erfolgreichsten Verbindungen könnte endlich unter Umständen eine Allianz mit der Türkei für uns werden. Doch ich will mich hier nicht in eine so weitgreifende Angelegenheit wie die orientalische Frage einlassen. Soviel nur steht für Deutschland fest, daß, wenn die Türkei von Rußland und Frankreich zugleich bedroht wird, der deutsche Bund mit den
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ihm zugewandten Ländern zum Schutze des bedrohten Landes nöthigenfalls die Waffen ergreifen muß, und daß die orientalische Frage nicht gelöst werden darf ohne daß Deutschland ein entscheidendes Wort mitzureden hat. Doch ich fühle wie sehr ich Ihre Geduld mißbrauche, indem ich Sie mit Dingen unterhalte die Sie besser wissen als ich. Es war nur meine Absicht die Hauptpunkte eines ganzen Systems unserer nach außen gerichteten politischen Thätigkeit zu bezeichnen, welches der Nation bis in alle Winkel der öffentlichen Meinung klar gemacht werden muß. Ich habe auf unsere auswärtige Politik den Hauptnachdruck gelegt, weil ich überzeugt bin daß die Gründe der inneren Unzufriedenheit des deutschen Volkes immer zuletzt auf Gesichtspunkte der auswärtigen Politik führen. Erlauben Sie mir ein schlagendes Beispiel anzuführen, – den hessischen Verfassungsstreit. Fast die ganze deutsche Nation glaubt, daß es sich in dieser Angelegenheit um eine bessere oder schlechtere Verfassung für Kurhessen handle. Das mag nebenbei der Fall sein; wer aber die Frage in ihren wahren politischen Beweggründen auffaßt, der weiß daß es sich im Jahre 1850 darum handelte ob der Bund wiederhergestellt werden sollte, oder ob die preußischen Unionsbestrebungen ihr Ziel erreichen sollten. Wer für die Union war, mußte natürlich auf Seite der hessischen Kammer stehen, welche für die Union gewonnen war. Wer aber die Union für die definitive Theilung Deutschlands und also für ein nationales Unglück ansah, ein Unglück zu dessen Vermeidung es vor der Hand kein anderes Mittel als die Wiederherstellung des Bundes gab, der mußte gegen die hessische Kammer sein, und mußte für eine Intervention stimmen wie die welche vorgenommen worden ist, wenn auch vielleicht die Ausführung in mancher Beziehung eine andere hätte sein können.21 Daß sich mit dem verständigen politischen Zwecke reactionäre Ausschreitungen verbanden, kann in einer Zeit wie die des Jahres 1850 nicht überraschen, denn immer, solange die Welt steht, wird die Ausschreitung in einer Richtung eine Ausschreitung in der entgegengesetzen zur Folge haben. Das Wesentliche aber war in jenen Vorgängen die Frage, ob den preußischen Unionsbestrebungen entgegengetreten werden sollte oder nicht, – ob der Versuch gemacht werden sollte Deutschland zu centralisiren, oder ob unsere Zukunft der Entwickelung des Föderativsystemes anzuvertrauen sei. Nicht Liberale und Reactionäre, sondern Centralisten und Föderalisten stehen sich auch heute noch in der hessischen Frage gegenüber, obschon die Angelegenheit, wie mir scheint, neuerdings von den letzteren auch nicht gerade zweckmäßig behandelt worden ist. Fragen wir nun weiter nach den Beweggründen der Parteinahme welche im 21 Zum kurhessischen Verfassungstreit und der Bundesintervention von 1850 siehe QGDB III/1, S. XIX–XXIII; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 908–915; Seier, Verfassungskämpfe, in: ders. (Hrsg.), Akten und Dokumente, S. LII–LV.
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Volke für den Centralismus und gegen den Föderalismus vorhanden sein mag, so sehen wir uns auf unsere auswärtige Politik als letzten Bestimmungsgrund verwiesen. Wenn das deutsche Volk, dem ursprünglichen germanischen Geiste zum Trotz, centralistische Sympathien hat, so liegt der Grund in der Unzufriedenheit mit unserer Stellung in den Weltverhältnissen, in dem Mangel an Macht und Ansehen in der Gesellschaft der Völker. Wir fühlen, daß zwischen dem was wir sind und dem was wir in der Welt gelten, ein Mißverhältniß besteht. Im gleichen Verhältnisse mit der zunehmenden inneren Blüthe Deutschlands, welche schon jetzt die einer langen Reihe früherer Jahrhunderte weit übertrifft, haben wir angefangen als Nation in der Gesellschaft der anderen Nationen ehrgeizig zu werden. Das ist in der Ordnung, und zur Befriedigung dieses Ehrgeizes, wie zur Sicherung unserer blühenden Zustände und weiteren glücklichen Aussichten, fordern wir Macht. Und das Machtbedürfniß drängt sich uns noch von einer anderen Seite auf. So wie wir praktischer und realistischer werden, was mit unseren inneren Fortschritten gegeben ist, so haben wir mehr und mehr begreifen gelernt daß man mit dem Recht und der Vernunft in der Welt allein nicht durchkommt. Je mehr wir uns eines gerechten Willens und eines vernünftigen Urtheils bewußt sind – worin wir keinem Volke der Welt eine Stellung über uns einräumen – um so mehr muß uns die Macht wünschenswerth erscheinen, durch welche allein wir unseren gerechten Willen und unser vernünftiges Urtheil geltend machen können. So ist durch alle unsere inneren Fortschritte unsere nationale Unzufriedenheit nur erhöht worden, und dieser Proceß wird sich fortsetzen. Je besser es uns innerlich geht, um so unzufriedener werden wir mit unserer Stellung nach außen sein, bis wir haben was wir gebrauchen: – nationale Macht. Ich habe zu zeigen gesucht welche unmittelbar erreichbaren Bedingungen der nationalen Macht uns zu Gebote stehen. Es bleibt mir noch übrig von den Gründen der bisherigen Ohnmacht zu sprechen, welche uns auch jetzt noch hindern das so nahe liegende Gute zu ergreifen. Diese Gründe bestehen durchaus nur in vorgefaßten Meinungen, welche theils ehrlich gehegt, theils aber auch absichtlich unterhalten werden. Absichtlich ist die Art wie das Föderativsystem in der Meinung des Volks herabgesetzt worden ist und die Stichwörter des Centralismus in der Nation in Umlauf gesetzt worden sind. Der Centralismus soll der einzige Weg sein welcher uns zu nationaler Macht führt, während er doch zunächst sich in der Wüste des Bürgerkrieges und der Einmischung des Auslandes verliert, aus der wir vielleicht nie mehr einen Ausgang finden. So ist das vorher freilich natürliche, aber nicht raffinirte Mißtrauen des Volkes gegen den Bund zu einem arglistigen Systeme ausgebildet worden, durch welches unsere Zukunft bedroht wird. Das Mißtrauen des Volkes gegen den Bund ist vorhanden, und ist auch ganz begründet. Dieses Mißtrauen ist vorhanden, ist mächtig und ist gefährlich, –
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gefährlich, weil es von mächtigen Parteigängern unterhalten und benutzt wird. Es kommt hier nicht darauf an, wie es entstanden ist und wer es besonders verschuldet hat. Es ist vorhanden, bedroht uns, und muß beseitigt werden. Dazu gibt es nur ein Mittel: die Betheiligung des Volkes an den Arbeiten und Leistungen der Bundesbehörde. Vielleicht komme ich hier auf den ersten Punkt in welchem Sie eine von der meinigen entschieden abweichende Ansicht hegen. Ich vermuthe es. Meine Ansicht ist folgende: Die Bundesversammlung selbst bedarf einer anregenden und treibenden Kraft; das Volk bedarf der Beruhigung daß am Bunde nichts gegen sein Interesse unternommen wird; der Bund aber als Ganzes bedarf einer Popularität durch welche Unbotmäßigkeiten, wie die daß man sich nicht majorisiren lasse, unmöglich werden. Stellen wir also der jetzigen Bundesversammlung wie sie ist, als dem deutschen Ober- oder Staatenhause, ein deutsches Unteroder Volkshaus an die Seite, dessen Mitglieder aus den Kammern aller Mittelund Kleinstaaten, aus den Landesvertretungen der deutsch-österreichischen Länder, und aus Provinzialversammlungen der deutschen Provinzen Preußens ausgeschossen, respective durch sie ernannt werden. – Es handelt sich natürlich um einen Vorschlag, der ohne Vernichtung von irgend etwas Bestehendem ausführbar ist und der nichts Bestehendes gefährdet. Denn ich wiederhole den Satz, daß eine Zeit äußerer Bedrohung zwar ganz unzweifelhaft eine Zeit der schaffenden Arbeit und der Neubildungen ist, aber nicht eine Zeit der Vernichtung und des inneren Kampfes. Was bei uns zum Heile des Ganzen in positivem Geiste, in Friede und Eintracht geschaffen werden kann, das werde geschaffen, das werde sogleich geschaffen, und je mehr es unseren Hauptzweck, die Herstellung des Vertrauens unter uns selbst und die nationale Macht nach außen, erreichen hilft, desto willkommener soll es sein. Aber mit aller Macht wollen wir uns gegen blinde oder egoistische Bestrebungen wehren, welche mit der Vernichtung beginnen und nur auf einer Brandstätte den Nationalpalast errichten wollen. Der Vorschlag welchen ich mache, trifft mit den Gedanken vieler deutschen Patrioten und Politiker zusammen. Ein preußischer Staatsmann hat erst kürzlich mir eben diesen Gedanken ausgesprochen. Und was vor Allem wichtig ist: der Vorschlag ist der einzige, auf welchen Oesterreich eingehen kann. Darauf aber kommt im Grunde alles an, weil ein Oesterreich welches nicht Theil nehmen könnte, aus Gründen der Selbsterhaltung die Ausführung des ganzen Gedankens zu verhindern suchen müßte, und dazu auch den nöthigen Einfluß besäße. Der Gedanke eines deutschen Volkshauses, als eines Unterhauses der Bundesversammlung, muß natürlich mit Oesterreich ausgeführt werden, oder er ist überhaupt nicht ausführbar. Für Preußen liegen keine wesentlichen Hindernisse vor, und würde die Wahl in das deutsche Volkshaus nicht den Berli-
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ner Kammern sondern preußischen Provinzial-Versammlungen übertragen, so wären zwei Zwecke zugleich erreicht: es würde die Schwierigkeit beseitigt welche aus Preußens außerbündischen Besitzungen hervorgeht, und es würde der Anstoß zu einem selbstständigeren provinziellen Leben gegeben welches Preußen Noth thut, welches von der preußischen Demokratie schon gefordert worden ist, in welchem aber Preußen in Gefahr ist, wie in einigen anderen Dingen, von Oesterreich überholt zu werden. Einer in dieser Weise ergänzten deutschen Bundesversammlung wäre nun der Beruf geworden die Bedürfnisse der Nation zu berathen und an ihrer Befriedigung zu arbeiten. Daß das Volkshaus dabei nicht von der Ansicht ausgehen dürfte, das Staatenhaus sei an sich ein Uebel an dessen Beseitigung gearbeitet werden müßte, versteht sich von selbst. Es muß von Anfang an klar sein daß das Staatenhaus so nothwendig ist wie das Volkshaus, und daß die deutsche Nation dasselbe so wenig entbehren kann wie die nordamerikanische Nation ihren Senat neben dem Hause der Volksrepräsentanten.22 Guter Wille zu einträchtigem Zusammenwirken wäre natürlich die Grundbedingung zu einer ersprießlichen Thätigkeit. Unter den Schöpfungen die von einer auf diese Weise ergänzten Bundesversammlung ausgehen müssen, wäre die erste die eines höchsten Gerichtshofes für die gesammten Bundesländer. Streitigkeiten wie die Kurhessische, und, von der einen Seite, auch die schleswig-holsteinische, müssen nicht wieder vorkommen. Nur ein Bundesgericht aber kann sie verhüten, oder in anständiger Weise schlichten. Die Mitglieder dieses Gerichtshofes müssen Männer allerersten geistigen Ranges in der Nation sein, im Ansehen so hoch gestellt, daß in ihrer Stellung die Majestät des Rechtes auf eine wahrnehmbare Weise an den Tag tritt. Nicht Volksagitation, sondern die Gründung eines solchen Gerichtes ist das was uns auf die Dauer gegen mögliche unpatriotische Handlungen einzelner Bundesstaaten schützen muß, und auch auf das „Nichtmajorisiren lassen“ hat nur ein Bundesgericht Antwort zu geben. Die richterliche Gewalt muß überhaupt in den inneren Verhältnissen jeder Bundesgenossenschaft die vorherrschende sein. Die bessere Ausbildung der militärischen Gewalt des Bundes dagegen kann nicht auf die vorgeschlagene Reform der Bundesversammlung warten. Sie ist unmittelbares, augenblickliches Bedürfniß, und ein Volkshaus hätte überhaupt wenig dazu zu sagen. Was in diesem Gebiete Bedürfniß ist, muß noch unter den gegenwärtigen Umständen geschaffen werden. 22 Der Vergleich hinkt, denn der amerikanische Senat bestand aus gewählten Vertretern der Einzelstaaten, während die Bundesversammlung mit Gesandten beschickt wurde, deren Ernennung und Abberufung allein von den jeweiligen Regierungen bzw. den Monarchen der Einzelstaaten abhing.
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Und die Centralgewalt! – Wo ist die Centralgewalt? höre ich rufen. – Ich theile mir das Wort in seine zwei Bestandtheile. Der erste bedeutet den23 Centralismus; der zweite bedeutet, daß zu seiner Einführung Gewalt gebraucht werden soll. Ich bin gegen das eine so entschieden wie gegen das andere. Haben wir eine durch ein Volkshaus ergänzte Bundesversammlung, haben wir ein in fester Hand ruhendes Bundescommando, haben wir die Gegenseitigkeit des diplomatischen Verkehres, welcher jetzt vom Bunde nur einseitig betrieben wird, und haben wir ein höchstes Bundesgericht, so scheinen mir die wesentlichsten Bedürfnisse der Bundesreform befriedigt zu sein. Was sich weiter im Verlaufe der Zeit als Bedürfniß der Vollziehungsgewalt herausstellen mag, muß auch zu seiner Befriedigung der Zeit überlassen bleiben. 1848 glaubte das Volk alle seine Beschwerden seien vorüber, da es nun ein Parlament habe. Jetzt sucht man ihm glauben zu machen das Heil Deutschlands beruhe in einer Centralgewalt. Will man mit dem Föderalismus nicht radical brechen, so nennt man sie Hegemonie. Die Hegemonie aber ist nichts als die Raupe, die Centralgewalt ist die Puppe, und der Schmetterling endlich soll der preußischdeutsche Einheitsstaat werden. Es ist nicht übel gedacht, aber eben nur gedacht. Für Die aber, welche einen solchen stufenweisen Gedankengang nicht durchschauen, ist die Centralgewalt nur eine fixe Idee, der sie um so leidenschaftlicher anhängen, je weniger sie dem Gedanken eine klare Form zu geben wissen. Die Bundesversammlung selbst ist schon eine Centralgewalt. Sie bedarf nur der Verstärkung und der besseren Organisation. Das muß in der innern Politik unser Ziel sein. Freiheit und Gerechtigkeit, und Bildung und Wohlstand im Innern, Macht aber nach außen, – mehr kann die Nation nicht wünschen. Ich kann nicht einsehen daß zur Erreichung dieser Güter ein Umsturz aller unserer Verhältnisse erforderlich sei. Wohl aber kann ich einsehen daß durch einen solchen Umsturz die Existenz unserer Nation überhaupt auf’s Spiel gesetzt wird. Mein Brief ist länger geworden als ich beabsichtigte. Möchte er für Sie eine Aufforderung enthalten Ihre publicistische Thätigkeit diesen nämlichen unmittelbar vor uns liegenden praktischen Fragen zuzuwenden. Ich werde diesem Ergebniß mit dem gespannten Interesse entgegensehen welches ihre [sic] so geistvollen Arbeiten in mir erweckt haben, und mit welchem ich bin Ihr ergebener Julius Fröbel.24
23 Emendiert. Vorlage: der. – Fröbel, Kleine Politische Schriften, Bd. 1, S. 372, richtig: den. 24 Die „Antwort“ des Adressaten von Fröbels „Brief“, Constantin Frantz, lieferte dieser mit seinem Buch „Drei und dreißig Sätze vom Deutschen Bunde“, das 1861 erschien. Ein Auszug daraus ist unten in Dok. 82 abgedruckt.
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Baden-Baden, 16. Juni 1860
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54. Diktat des Herzogs Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha über die Fürstenkonferenz in Baden-Baden StA Coburg, LA A, Nr. 7191, fol. 103–107. Reinschrift.
Die Könige von Bayern, Sachsen und Hannover halten die Bundesorganisation für ausreichend. Sie wollen das Fürstentreffen dazu benutzen, sich über eine Initiative am Bundestag zur gewaltsamen Unterdrückung der nationalen Bestrebungen zu verständigen. Die Großherzöge von Baden und Sachsen-Weimar haben mit dem Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha verabredet, den Prinzregenten von Preußen zu einer Ansprache zu bewegen, in der er den Königen deutlich macht, wie gefährlich es wäre, dem deutschen Patriotismus von seiten der Regierungen entgegenzuwirken. Schilderung der Verhandlungen in Baden-Baden, bei denen die „Würzburger“ die gewaltsame Unterdrückung des Nationalvereins verlangen.
[Baden-Baden,]1 16. Juni 1860 Beobachtungen. Die gestern proponirte Vereinigung der deutschen Souveraine, die hier grade anwesend sind2, um die deutsche Frage unter sich zu berathen, erlitt heute eine nothgedrungene Änderung. Auf indirecte Fragen bei den drei Königen, Bayern, Sachsen und Hannover gaben die beiden Ersteren ziemlich unumwunden, der Dritte unklarer, zu verstehen, daß sie die alte Bundes-Organisation für ausreichend und gut hielten, daß sie eine Verstärkung der Macht Preußens und ein sich Nähern zwischen Preußen und Österreich nicht für wünschenswerth erachteten, vielmehr es für angemessen hielten, die zufällige Vereinigung so vieler Bundesglieder zu benutzen, um sich zu verständigen über gemeinsam zu machende Schritte beim Bundestag zur gewaltsamen Unterdrückung der aufkeimenden nationalen Bestrebungen, besonders zu einem gleichmäßigen Verbot des Nationalvereins und gerichtlicher Einschreitung gegen seine Mitglieder. Obige Herren hofften, den Prinzen v. Preußen zu bewegen, daß er, den Fürsten Hohenzollern3 und Herrn von Schleinitz ausgenommen, sein verkappt 1 Das Diktat entstand während des sogenannten Baden-Badener Fürstentreffens, zu dem sich vom 15.–19. Juni 1860 neben dem Prinzregenten von Preußen und den vier mittelstaatlichen Königen zahlreiche Fürsten aus den kleineren deutschen Staaten – nicht aber der Kaiser von Österreich – einfanden, um über die außenpolitische Situation sowie über die deutsche Frage zu beraten. Besondere Brisanz erhielt das Treffen durch die Anwesenheit Kaiser Napoleons III. Vgl. Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation, S. 317 f.; Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 403 f. 2 Anwesend in Baden-Baden waren die Monarchen von Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Hessen-Darmstadt, Baden, Sachsen-Weimar, Oldenburg, Nassau sowie SachsenCoburg und Gotha. 3 Karl Anton Fürst Hohenzollern-Sigmaringen (1811–1885), letzter regierender Fürst des Herzogtums Hohenzollern-Sigmaringen 1848/49, 1850–1858 preußischer Divisionskommandeur
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Diktat des Herzogs Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha
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demokratisches Ministerium zu entlassen und Männer, die dem conservativen Prinzip huldigten und das Vertrauen der deutschen Souveräne hätten, anzunehmen. Der König v. Würtemberg ging nicht so weit. Er erklärte zwar, daß er die nationalen Bestrebungen nicht billigte, daß er es aber für unklug hielte, dem Nationalverein zu Leibe zu gehen. Mir persönlich sagte er, er hätte mir seine rothesten Demokraten geschickt und hoffe nur, daß sie nicht zu unvorsichtiges Zeug sprechen möchten. Zwischen den Großherzogen v Baden und Weimar4 und mir ward verabredet, den Prinzen v. Preußen à trois anzugehen, eine Ansprache an die übrigen Herren zu halten, wenn der Kaiser5 abgereist sein würde, und die anderen Herren entweder für unsere Meinung zu gewinnen, vorausgesetzt daß er sie theile, oder wenigstens ihnen begreiflich zu machen, wie gefährlich es sei, dem erfreulichen Aufschwung des Patriotismus in Deutschland von Seiten der Regierungen entgegenzuwirken. 17. Juni 1860 Dem gestern gefaßten Entschluß von uns Dreien (Baden, Weimar u Gotha) ward in soweit entsprochen, als wir uns mit dem Fürsten von Hohenzollern zusammen setzten und in allgemeinen Grundzügen ein Mémoire entwarfen, welches der Fürst dem Prinz-Regenten vorzutragen hätte. Nachdem wir uns über den Inhalt dieses Mémoires vollständig verständigt, machten wir aus, daß der Prinzregent die Worte des Mémoire’s benutzend, die Ansprache an die versammelten Fürsten auszuarbeiten haben würde. In diesem Mémoire ist auf drei Punkte besonders Rücksicht genommen. ad 1. Ist auf die kaiserliche Visite und die Besprechung mit dem Kaiser ein conte [sic] rendu zu geben. ad 2. Ist bestimmt auszudrücken, daß der Prinzregent auf seiner betretenen Bahn in betreff der deutschen Angelegenheiten sich nicht werde beirren lassen, und von seiner Anschauung der Stellung Preußens in Deutschland u als Großmacht nicht abgehen werde; daß er die Regenten auffordere, ihn darin zu unterstützen etc. in Düsseldorf, zu Beginn der „Neuen Ära“ am 5. 11. 1858 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt, entlassen am 11. 3. 1862; Büsch (Hrsg.), Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. 3, S. 371; NDB, Bd. 9, S. 502 f. 4 Friedrich I., Großherzog von Baden (1826–1907), übernahm 1852 die Regentschaft für seinen kranken Bruder Ludwig und regierte als Großherzog von 1856 bis 1907; NDB, Bd. 5, S. 490–492; Karl Alexander, Großherzog von Sachsen-Weimar (1818–1901), regierte von 1853–1901; NDB, Bd. 11, S. 264 f. 5 Napoleon III.
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Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha (1818–1893)
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ad 3. Ist den Herren die Mittheilung zu machen, daß er eine intime Verständigung mit Österreich anbahnen werde und versuchen werde, in dieser Verständigung Österreich zu den Conzessionen zu vermögen, die nothwendig erscheinen zur inneren Sicherung der Monarchie. Die Regenten möchten diesem Bemühen, Österreich u Preußen in einem engeren Verhältniß sich vereinigen zu sehen, nicht entgegen sein. Der Fürst v. Hohenzollern ging damit zum Prinzen; inzwischen waren die Könige nicht unthätig geblieben. Sie hatten sich gleichfalls nach dem Déjeuner auf der Burg zusammengefunden und den Großherzog von Hessen6 u den Herzog von Nassau7 zu ihrer Besprechung noch eingeladen (Wir drei wurden nicht aufgefordert). Sie sollen beabsichtigen, wie aus Bemerkungen des Königs von Bayern u des Herzogs v. Nassau zu entnehmen war, in dem gestern angedeuteten Sinn ein Mémoire zu entwerfen und dem8 Prinzen v Preußen persönlich gemeinsame Vorstellungen zu machen. Als diese Kunde dem Prinz-Regenten wurde, äußerte er sich sehr ängstlich und schien entschieden zu sein, seine Ansprache unterlassen zu wollen, um etwaigen Discussionen aus dem Wege zu gehen. Nur unserem gemeinsamen Zuspruche und besonders den von uns aufgestellten Argumenten, daß alle Schritte, die Preußen inzwischen für Deutschland gethan habe, umsonst gewesen sein würden, wenn der Prinz in diesem Augenblick der Öffentlichkeit gegenüber nicht klar hervortrete, daß vielmehr sonst ein Sieg der Würzburger proklamirt und der Revolution Thor und Thür geöffnet sei, brachte ihn zu dem Entschluß, die Herren wirklich morgen zu berufen und nach unseren Angaben eine Ansprache zu bearbeiten und zu halten. 18. Juni 1860 Fürsten-Conferenz. Der Prinz-Regent traf mit den 4 Königen, 2 Großherzogen und 2 Herzogen um 4 Uhr im Schlosse zusammen u las ohne weitere Umschweife im Conversationston die nach den angegebenen Punkten verfaßte Rede ab. Der Eindruck, besonders des Schlußsatzes in betreff Östreichs war bei den Würzburgern ein augenscheinlich befriedigender. Nichtsdestoweniger trat der König von Würtemberg vor und sprach frei, nicht sehr zusammenhängend ungefähr Folgendes: 6 Ludwig III., Großherzog von Hessen (1806–1877), regierte von 1848 bis 1877; NDB, Bd. 15, S. 397 f. 7 Adolf V. Wilhelm Carl August Friedrich, Herzog von Nassau (1817–1905), regierte von 1839–1866; NDB, Bd. 1, S. 85. 8 Emendiert. Vorlage: den.
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„Er danke im Namen der vier Könige („meiner Vettern Bayern, Sachsen und Hannover[“]) für die offene[n] und sie so ganz befriedigenden Eröffnungen des Prinzen. Er wäre aber beauftragt bei der Gelegenheit, welche die Herren zufällig zusammen geführt hätte, dem Prinzen noch Einiges mitzutheilen. Angesichts der näheren oder ferneren Gefahren und der Unzureichendheit der militärischen Bundesverfassung hätten die Herren vor, Militairconventionen beim Bunde vorzuschlagen (??). Vorzüglich aber wünsche er und seine Herren Vettern (und dabei traten die drei anderen Könige aus dem Kreis und dicht an den Prinzen heran), daß er sie unterstützen möge bei gewaltsamer Unterdrückung der Vereine . . . (hier stockte er einen Moment) . . . des Nationalvereins und des „sogenannten Gothaischen Vereins“ (??), durch deren Tendenzen ihre Regierungen auf das Höchste gefährdet würden.“ (Der König von Bayern ließ sich dabei zu der Exclamation hinreißen: „Dies ist unser sehnlichster Wunsch!“). Auf diese, mit einer gewissen Hast (Peinlichkeit) gesprochenen Worte des Königs v. Würtemberg folgten noch einige, sich kreuzende Worte der Freude von mehreren der Herren, an dem heutigen Tage des Schlachttags v. Waterloo so vereinigt zusammenzustehen. Ehe der Prinz sich dessen versehen konnte, drückten ihm dabei die Könige vereinigt die Hand. Der Prinz erwiederte, daß er in seiner Ansprache wohl hinreichend seine Ansichten ausgesprochen habe und alles Übrige auf Verhandlungen der Kabinette verweise. Die Versammlung war zu Ende. Einen peinlichen Ausdruck (in Folge der Hinweisung auf Unterdrückung der nationalen freien Regungen) las man einem jeden der Souveräne auf dem Gesichte, und doch zugleich wieder die innere Befriedigung, nach Außen hin nunmehr des Einen vor dem Anderen sicher zu sein. Schließlich wurde conservativ noch der Wunsch ausgesprochen, ja gemeinsame Schritte in der Presse zu thun, um über die Baden-Badener Vorkommnisse (bei Anwesenheit des Kaisers) das Richtige in’s Publikum gelangen zu lassen. Ich erlaubte mir die unbefangene Frage an die Könige von Würtemberg und Sachsen, ob sie denn auch wünschten, daß die Rede des Königs v. Würtemberg ihrem Inhalt nach der Öffentlichkeit übergeben werde, und erhielt, bei sichtbarer Verlegenheit beider Herren, die Antwort, daß diese Ansprache nicht als officielle Rede angesehen werden könne, sondern nur als Ansprache „entre souverains“ zu betrachten sei. Versuche der Könige, den Großherzog von Baden nachträglich zu gewinnen, was nicht gelang und dagegen schien zu gleicher Zeit ein innerer Zwiespalt zwischen den Würzburgern eingetreten zu sein.
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Der Prinz Regent hatte auch wieder Zweifel bekommen, die wir zu besiegen hatten, u. theilte uns den Entwurf der Rede mit, änderte Einiges nach unseren Angaben.
55. Aufzeichnungen des Herzogs von Nassau über die Fürstenkonferenz in Baden-Baden HStA Wiesbaden, 130 II/2123q, fol. 53–65. Reinschrift. Druck: Srbik (Hrsg.), Quellen zur deutschen Politik Österreichs, Bd. 1, S. 279–289.
Der Herzog berichtet über die Verhandlungen zwischen den deutschen Fürsten sowie die Gespräche mit Kaiser Napoleon III. in Baden-Baden. Dabei wurde allseitig der Wunsch ausgesprochen, die Kluft zwischen den beiden deutschen Großmächten auszugleichen. Napoleon hat seinen Friedenswillen erklärt, ist aber einer Besprechung der europäischen Politik stets ausgewichen. Die Einigkeit der deutschen Fürsten hat den französischen Monarchen beeindruckt. Nach der Abreise Napoleons verhandelten die deutschen Fürsten weiter und versprachen einander, „fest zusammen und fest am Bunde zu halten“. Die inneren deutschen Angelegenheiten wurden aber nur oberflächlich berührt, weil man ohne Beteiligung Österreichs keine Resultate erzielen könne. Es wurde einstimmig der Wunsch ausgesprochen, daß Österreich und Preußen sich verständigen möchten. Der Prinzregent von Preußen hat erklärt, daß Preußen den Bestand des Gesamtvaterlandes wie auch der einzelnen Landesherren schützen werde. Für eine Reform des Bundes halte er den gegenwärtigen Augenblick nicht geeignet. Der Gesamteindruck des Herzogs von Nassau ist, daß der Prinzregent von Preußen entschlossen ist, „einer jeden undeutschen Versuchung zu widerstehen“ und daß er eine Verständigung mit Österreich aufrichtig wünscht.
[Baden-Baden,] 16.–19. Juni 1860 Einige Notizen des Herzogs zu Nassau über die Zusammenkunft des Kaisers der Franzosen mit dem Prinzen von Preußen und einigen anderen deutschen Fürsten in Baden-Baden am 16./17./ 18. Juni 1860. [Bericht über die Unterredungen zwischen Napoleon III. und Prinzregent Wilhelm am 16. Juni 1860.]
Der 17. Juni. Es war Sonntag. Der König von Sachsen war früh zur Messe gegangen; der König von Bayern ging später zum Hochamt und traf daselbst mit dem Kaiser Napoleon, der sich wie die übrigen Hohen Herren zu Fuß dahin begeben hatte, zusammen. Der Kaiser war auf diesem Gang von fünf badischen Gensd’ar-
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men, einer Menge seiner eigenen, natürlich in Civilkleidern einhergehender, Mouchards1 und einer Masse von Neugierigen umgeben. Um 12 Uhr war Déjeuner auf dem alten Schloß. Das schönste Wetter begünstigte diese Landparthie. Der Kaiser Napoleon fuhr wie immer in seiner eigenen, die übrigen Fürstlichkeiten in Großherzoglichen Hofequipagen. Ich hatte die Ehre sowohl auf dem Hin- als dem Rückwege mit dem König von Bayern zu fahren. Während des Frühstücks kam der Großherzog von Hessen an, und nach demselben besichtigte man die Ruine und stieg namentlich bis in die Spitze des Höchsten Thurms, von wo man bekanntermaßen eine herrliche Aussicht genießt, einen großen Theil des Rheinstroms und fast die ganze Gegend von Trier bis Straßburg übersieht. Kaiser Napoleon ließ sich durch einen badischen Forstminister die Aussicht erklären, wobei er vollkommen gut deutsch sprach. Während der ganzen Zeit standen sowohl die Fürstlichkeiten als auch das Gefolge in vielfachen Gruppen zusammen, wobei natürlich viel von der Bedeutung des Tages gesprochen wurde. Man freute sich vielfach über den Eindruck, den dem französischen Kaiser das feste Zusammenstehen der deutschen Fürsten machen müsse; politische Conversationen von besonderer Bedeutung kamen auch hier nicht vor. Beim Nachhausefahren theilte mir der König von Bayern mit, daß gleich nach der Rückkehr eine Besprechung der vier Könige bei ihm stattfinden solle, wobei die Majestäten mich bäten zu erscheinen, und außer mir nur der Großherzog von Hessen, da wir sowohl beim Bunde als auch in Würzburg stets mit ihnen gestimmt hätten. Zweck der Unterredung sollte sein, sich darüber zu verständigen, auf welche Weise man sich Preußen nähern könne, ohne das Princip des Bundes in Frage zu stellen. So schmeichelhaft mir diese Einladung auch war, so dachte ich mir gleich, daß dadurch eine kleine Verstimmung bei den nicht zugezogenen Hohen Herren entstehen würde. Eine solche kleine Verstimmung fand später auch wirklich statt, wurde aber durch das offene Auftreten des Königs von Sachsen vis-à-vis des Großherzogs von Baden so ziemlich wieder ausgeglichen. Bei der Unterredung erkannten die Majestäten als den schwierigsten und zugleich brennendsten Punkt die Vorlagen, welche Preußen beim Bunde über die Bundesmilitärorganisation gemacht habe.2 Als vor Allem das Wichtigste und Wünschenswertheste, ja, zur Sicherheit Deutschlands Nothwendigste wurde allseitig der Wunsch aus1 Spitzel, Spione. 2 Siehe oben Dok. 50, Anm. 6.
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gesprochen, daß die zwischen den beiden deutschen Großmächten bestehende Kluft möge ausgeglichen werden. Darüber, daß die Preußischen Militärvorschläge nicht angenommen werden könnten, ohne das Bundesprincip zu alteriren, war man von vornherein einverstanden und besprach einen entgegenkommenden Vorschlag, den man beim Bunde machen wollte, der wohl geeignet sein dürfte, den beiden Großmächten genehm zu sein. Der König von Sachsen übernahm es eine Art von Protocoll zu redigiren. Um fünf Uhr war Diner auf dem Schloß in gleicher Weise wie am vorhergehenden Tage. Vor demselben erwieß mir der Kaiser Napoleon die Ehre bei mir vorzufahren, fand mich aber nicht mehr zu Hause. Sowohl vor als nach dem Diner wurde ich von verschiedenen Herren, namentlich dem Herzoge von Coburg und dem Großherzog von Weimar über die beim König von Bayern stattgehabte Conferenz interpellirt. Ich sprach mich sehr offen aus und erlaubte mir bei einem längeren Besuche, den ich nach dem Diner beim Großherzog von Weimar machte, diesem meine Ansichten darüber zu entwickeln, für wie wichtig ich es gerade in diesem Augenblick halte, fest am Bunde zu halten, wobei ich übrigens sehr williges Gehör fand. Um 9 Uhr war thé en famille bei der Prinzessin Marie, Herzogin von Hamilton3, wobei nur die Fürstlichkeiten erschienen, und zwar die Herren ohne Orden und mit schwarzen Halsbinden, da der Kaiser der Franzosen in Reisekleidern kommen sollte um von da abzureisen. Zwischen Diner und thé fanden noch Abschiedsbesuche und Schlußconversationen des Prinzen von Preußen sowohl als der vier Könige einzeln beim Kaiser Napoleon statt. Bei dieser Gelegenheit wiederholte der Kaiser Napoleon im Wesentlichen seine Anfangs gemachten Versicherungen und versprach im Moniteur4 bei seiner Rückkehr friedliche Erklärungen über seine Reise machen zu wollen. Einer Besprechung der europäischen Politik wich der Kaiser stets aus und nur über Neapel äußerte er, daß ihm nach seinen Nachrichten die Lage des Königs und der dortigen Regierung ein[e] sehr kritische zu sein schiene.5 3 Marie Amelie Elisabeth Karoline von Baden (1817–1888), seit 1843 verheiratet mit William Douglas-Hamilton, dem 11. Duke of Hamilton. 4 Le Moniteur Universel, 1789 gegründete französische Tageszeitung, seit 1799 offizielles Organ der französischen Regierung; Popkin, Revolutionary News. 5 Nach dem Krieg von 1859 hatte das Königreich Sardinien-Piemont durch den Anschluß der nord- und mittelitalienischen Herzogtümer die Grundlage für einen italienischen Nationalstaat geschaffen. Im Jahr 1860 griff die Einigungsbewegung auf Süditalien über, wo im Königreich beider Sizilien die spanischen Bourbonen herrschten. Im Mai 1860 stießen Freischärlertruppen im sogenannten „Zug der Tausend“ unter dem Kommando von Giuseppe Garibaldi (1807–1882) nach Süden vor und stürzten im September/Oktober die Bourbonenherrschaft in der Hauptstadt Neapel; Baumgart, Europäisches Konzert, S. 359; Mack Smith, Cavour and Garibaldi.
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Gegen 10 Uhr nahm der Kaiser von den verschiedenen Fürstlichkeiten Abschied[,] gab Jedem die Hand und sagte ungefähr bei Jedem: „J’étais charmé de Vous rencontrer et j’espère que ce ne sera pas las dernière fois.“ Die Entgegnung war seiner hohen Stellung angemessen; es wäre aber Lüge zu behaupten, daß sie eine nur einigermaßen herzliche gewesen sei. Um 10 Uhr verließ der Kaiser Baden, vom Großherzog und dem Herzog von Coburg zum Bahnhofe und vom Prinzen Wilhelm von Baden6 Namens seines Bruders bis Kehl begleitet. Den 18ten Juni schien er nicht auf deutschem Boden zubringen zu wollen.7 Kaiser Napoleon hat Baden anscheinend befriedigt verlassen. In seinem Innern kann es unmöglich der Fall gewesen sein. Er hatte offenbar den Wunsch, den Prinzen von Preußen allein zu finden und hoffte diesem die Rolle Victor Emanuels in Deutschland zuweisen zu können. An dem über alles Lob erhabenen, bestimmten, offenen und loyalen Benehmen des Prinzen ist er damit so großartig abgefahren, daß er nicht einmal bei ihm selbst eine Insinuation der Art wagte. Die große Anzahl der Fürsten, die er fand, die Einigkeit, die unter diesen herrschte, und die Einstimmigkeit, mit der sie ihm entgegentraten, mag ihm zur Ehre von Deutschland die Ueberzeugung gegeben haben, daß wenn er einmal in weniger friedlichen Absichten wieder erscheinen sollte, er Deutschland ebenso fest vereint finden würde. Möge Gott diese Ansicht bei ihm befestigen und sie dermaleinst zur Wahrheit werden lassen! Am 18. Juni früh verließ der Großherzog von Hessen Baden, da er eines Familienfestes halber nach Darmstadt zurückkehren mußte. Gegen Mittag war wieder eine Vereinigung der vier Majestäten beim Könige von Bayern, bei der ich ebenfalls zugezogen zu werden die Ehre hatte. Zuerst wurden die Aufzeichnungen verlesen, welche der König von Sachsen über die Conferenz des vorigen Tages gemacht hatte. Nach längerer Besprechung, wobei der großen militärischen Erfahrung des Königs von Württemberg die größte Anerkennung gezollt wurde, erhob man die Vorschläge des vorigen Tages zum Beschluß.8 Die Majestäten gaben sich mit Wort und Handschlag das bestimmte Versprechen fest zusammen und fest am Bunde zu halten. Zur sicheren Erreichung dieses Ziels sollten ihre Minister und die Minister derjenigen Souverains, die dazu geneigt seien, sich zeitweise in Würzburg oder einem anderen 6 Prinz Ludwig Wilhelm August von Baden (1829–1897); ADB, Bd. 42, S. 701–703. 7 Der 18. Juni war der Jahrestag der Schlacht von Waterloo 1815, die mit der Niederlage Napoleons I. gegen die britisch-niederländisch-deutsche Koalition endete und das Ende der Herrschaft Napoleons besiegelte. 8 Siehe Dok. 56.
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geeigneten Ort in Conferenzen versammeln. Die Ordnung der inneren deutschen Angelegenheiten wurde nur oberflächlich berührt, weil man darüber einverstanden war, daß ohne Zuziehung Oesterreichs Unterhandlungen darüber doch zu keinem Ziele führen könnten und wurde auch bei dieser Gelegenheit wieder die Hoffnung laut und einstimmig ausgesprochen, daß Oesterreich und Preußen sich vereinigen möchten. Dann würde der Zeitpunkt gekommen sein, über diesen hochwichtigen Gegenstand zu verhandeln und war man der Ansicht, daß die Vorschläge des Herzogs von Sachsen-Meiningen9 wohl geeignet sein dürften zur Grundlage zu dienen. Abends vorher hatte der Prinz von Preußen sämmtliche Fürstlichkeiten gebeten, vor dem Diner sich um 4 Uhr beim Großherzog von Baden zu versammeln[,] da er uns für unser Kommen zu danken und Einiges mitzutheilen wünsche. Auch dieß wurde in der Conferenz der Könige besprochen und der König von Württemberg gebeten, als der Älteste dem Prinzen von Preußen zu antworten und ihm namentlich zu sagen, daß so sehr man bereit gewesen sei, zu erscheinen und zu zeigen, daß Deutschland gegen Außen wie ein Mann stehen werde, man auch hoffe, daß er fest an den Bundeseinrichtungen halten würde. Einige Wünsche, die die Hohen Herren noch hätten, würden ihm durch den König von Bayern in den nächsten Tagen vorgetragen werden. Als die sämmtlichen Fürstlichkeiten zur bestimmten Stunde beim Großherzog von Baden versammelt waren, erschien der Prinz von Preußen und verlas eine von ihm eigenhändig geschriebene Erklärung10, die sich ihrem wesentlichen Inhalt nach in der Karlsruher Zeitung vom ***ten *** 1860 abgedruckt findet11. Die bemerkenswerthesten Punkte daraus sind noch folgende: zuerst dankte der Prinz sämmtlichen Fürstlichkeiten für ihr Erscheinen in Baden, indem ihm dadurch bei seiner Begegnung mit dem Kaiser Napoleon eine große Unterstützung zu Theil geworden sei. Es sei der Beweis gegeben worden, wie einig Deutschlands Fürsten sind, wenn dem gemeinsamen Vaterlande Gefahr drohen sollte. Alle seien Zeugen gewesen von den wiederholt und einstimmig vorgetragenen friedlichen Versicherungen des Kaisers Napoleon. Dadurch, daß der Kaiser der Franzosen auf die Vorbedingung hin erschienen sei, daß die Integrität Deutschlands nicht in Frage gestellt werden dürfe, habe dieser Grundsatz eine Anerkennung erfahren. Der Prinz erkenne es als die erste Aufgabe der deutschen als auch der europäischen Politik Preußens, den Territorialbestand sowohl des Gesammtvaterlandes wie den der einzelnen Landesherren zu schützen. Er habe niemals die Absicht, das völkerrechtliche Band, welches die deutschen Staaten umfaßt, zu 9 Siehe Dok. 42. 10 Siehe Dok. 57. 11 Es handelt sich um die Ausgabe der Karlsruher Zeitung Nr. 145 vom 21. Juni 1860.
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erschüttern. Eine Reform des Bundes könne nur unter gewissenhafter Wahrung der Interessen Aller erstrebt werden und er halte den gegenwärtigen Augenblick nicht für geeignet dafür. Wenn er auch glaube, auf dem betretenen Weg seiner inneren wie seiner deutschen Politik beharren zu müssen, so hoffe er doch sich auf demselben mehr und mehr mit allen deutschen Regierungen zu begegnen. (Wenn man sich begegnen will, muß man sich von beiden Seiten entgegenkommen, dieß scheint mir im Wort „begegnen“ zu liegen.) Auf eine Verständigung mit Oesterreich, die der Prinz von höchster Wichtigkeit halte, hoffe er; in neuester Zeit habe eine Annäherung stattgefunden und der Prinz werde die respectiven Cabinete von den Fortschritten auf dieser Bahn in Kenntniß setzen. Schließlich dankte der Prinz im Namen Aller dem Großherzog von Baden für die Mühe der herzlichen Gastfreundschaft, der er sich während der ganzen Zeit so hingebend unterzogen habe. Der Eindruck, den diese Erklärung hervorbrachte, war ein augenscheinlich günstiger und dem Dank an den Großherzog von Baden schloß man sich allseitig an. Der Großherzog erwiederte: „Ich schätze mich glücklich, diesen Tag in meinem Hause zu erleben und erkläre mich mit Allem einverstanden, was der Prinz von Preußen eben gesprochen hat.“ Weiter sagte der Großherzog nichts. Hierauf erwiederte der König von Württemberg dem Prinzen von Preußen, er danke ihm im Namen der anwesenden Souveraine für das Vertrauen, mit welchem er sich an sie gewendet habe sowohl, wie auch für die eben vernommenen Aeußerungen. Sie Alle seien gewiß von dem Geiste beseelt, daß zur Abwehr eines jeden Angriffs von Außen Deutschland als ein festes Ganze dastehen müsse. Einige Wünsche, welche namentlich die anwesenden Majestäten hätten, würden dem Prinzen durch den König von Bayern übergeben werden; sie bezögen sich hauptsächlich auf eine Militärconvention, die man beim Bunde abzuschließen wünsche, auf die Unterdrückung der gefährlichen Vereine, wie namentlich des Nationalvereins, und vor Allem in dem Wunsch, daß er sich mit Oesterreich verständigen und vereinigen möge. Der Prinz erwiederte, daß er hierauf in diesem Augenblick natürlich nicht antworten könne und die Vorlagen abwarten müsse. Die Könige von Bayern und Hannover sprachen sich hierauf in sehr anerkennender Weise gegen den Prinzen von Preußen aus. Zuletzt sprach der König von Sachsen12: „Du hast in Deiner Erklärung des Schlachttages von Waterloo erwähnt, den wir heute feiern – möge es uns ein friedliches Waterloo sein, sollte es aber ein kriegerisches werden, so wollen wir fest zusammenhalten und fest zusammenstehen wie ein Mann.“ Indem er die letzten Worte sprach, streckte er die rechte Hand aus, die der Prinz von Preußen sowie die 12 Johann I., König von Sachsen (1801–1873), regierte von 1854–1873; NDB, Bd. 10, S. 528 f.
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sämmtlichen Könige gleichzeitig ergriffen, und sie mit größter Herzlichkeit schüttelten. – Ein für alle Anwesenden schöner und für jedes deutsche Herz ergreifender Augenblick! Um 5 Uhr war Diner in gewöhnlicher Weise, nur daß der Prinz von Preußen seit der Abreise des Kaisers der Franzosen den Vorrang einnahm. Der Herzog von Coburg, welcher der Unterredung beigewohnt hatte, nahm an dem Diner nicht mehr Theil, indem derselbe um 6 Uhr nach Coburg zurückeilte. Nach der Tafel machte ich einen längeren Besuch bei dem Großherzog von Baden. Wir durchsprachen natürlich die Ereignisse der letzten Tage und waren darüber einverstanden, daß das feste Zusammenstehen der deutschen Souveräne auf unseren freundschaftlichen überrheinischen Nachbarn einen großen Eindruck hinterlassen haben müsse und daß, wenn auch bei dessen bisher bethätigter Wahrheitsliebe die Friedensversicherungen nicht durchaus ernsthaft gewesen sein möchten, wir jedenfalls Zeit gewonnen haben würden. Bei der Berührung der inneren deutschen Verhältnisse waren wir auch darüber einverstanden, daß die Einigung der beiden Großmächte vor Allem nothwendig sei und der Großherzog gab mir auch darin recht, daß Unterhandlungen darüber ohne Oesterreich zu nichts führen könnten. Abends versammelten sich die noch anwesenden Fürstlichkeiten in einer kleinen Soirée beim Prinzen von Preußen, bei der politische Conversationen von Bedeutung nicht stattfanden. 19. Juni. Nachdem des Morgens die verschiedenen Herrschaften gegenseitig Abschied genommen hatten, fuhr der Prinz von Preußen um 1/2 11 Uhr nach Rastatt zur Inspicirung der dortigen Preußischen Truppen. Die Könige von Sachsen und Hannover reisten zur selben Zeit nach Karlsruhe ab, wo die Majestäten im Vorüberfahren der verwittweten Großherzogin einen Besuch machten. Ich fuhr noch nach dem Schloß, wo ich mich von den Großherzoglichen Herrschaften verabschiedete und reiste um 12 Uhr ebenfalls ab. In Karlsruhe traf ich mit den beiden Majestäten zusammen und hatte die Ehre bis Darmstadt in ihrer Begleitung zu fahren, von wo dieselben ihren Weg nach Frankfurt fortsetzten und ich nach Hause eilte. Der Totaleindruck, den diese Tage mir hinterlassen haben, ist der, daß der Prinz von Preußen vollkommen correct einer jeden undeutschen Versuchung zu widerstehen entschlossen ist, daß er eine Verständigung mit Oesterreich aufrichtig wünscht, von dem Entgegenkommen der übrigen Fürsten befriedigt, namentlich in der Kurhessischen Frage entgegenkommend sein dürfte. Wie lange uns der Friede mit Frankreich erhalten bleibt, ist nicht vorauszusehen, jedenfalls haben wir wohl Zeit gewonnen, die allen Staaten sehr erwünscht sein und hoffentlich dazu angewendet werden wird, um uns denjeni-
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gen großen Zielen zu nähern, die Deutschland erreichen muß, um sowohl im Innern als gegen Außen groß und stark dazustehen. Das walte Gott! Jedes wahrhaft deutsche Herz schlägt diesem Ziel entgegen.
56. Besprechungen der Könige von Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg, des Großherzogs von Hessen und des Herzogs von Nassau in Baden-Baden HStA München, MA 493/1. Protokoll König Johanns von Sachsen. Abschrift. Druck: Srbik (Hrsg.), Quellen zur deutschen Politik Österreichs, Bd. 1, S. 310 f.; Hohlfeld (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 96 f.
Der Antrag Preußens zur Frage des Oberfeldherrn der Bundesarmee soll abgelehnt und der Prinzregent ersucht werden, den Antrag entweder zurückzuziehen oder doch mindestens gegen einen anderslautenden Bundesbeschluß nicht zu protestieren. Für den Fall eines Krieges mit Frankreich soll am Bund eine Militärkonvention abgeschlossen werden, die die Aufteilung der Bundeskorps in drei Armeen regelt.
Baden-Baden, 17./18. Juni 1860 Baden den 17ten Juni 1860 Nachmittags 3–4 Uhr. Bei der heutigen Besprechung der Könige von Bayern, Sachsen, Württemberg und Hannover, des Großherzogs von Hessen u. des Herzogs von Nassau über die Mittel die gegenwärtige Vereinigung zu benützen und eine Verständigung mit Preussen über die deutschen Angelegenheiten anzubahnen, kam zuerst der von Preussen am Bund gestellte Antrag über die Oberfeldherrnfrage zur Sprache.1 Man war darüber einig, daß derselbe in Gemäßheit des Ausschußgutachtens von der Hand zu weisen sei. Dabei machte jedoch der König von Sachsen den Vorschlag, die Motive dieses Gutachtens[,] vermöge welcher auf den Eintritt Österreichs oder Preussens oder Beider mit ihrer ganzen Heeresmacht bei einem Bundeskrieg besondere Verabredungen nach Befinden unter Modificationen der den Bundesoberfeldherrn betreffenden Bestimmungen vorbehalten 1 Am 29. Februar 1860 hatte der preußische Militärbevollmächtigte, Generalleutnant Ernst Dannhauer, in der Bundesmilitärkommission eine „durchgreifende, die organischen Bestimmungen mit umfassende Revision“ der Bundeskriegsverfassung gefordert. Der Antrag zielte auf eine Zweiteilung des Bundesheers und des Oberbefehls unter den beiden deutschen Großmächten ab, wodurch Preußen die militärpolitische Hegemonie in Norddeutschland erlangt hätte; Angelow, Von Wien nach Königgrätz, S. 227; Keul, Bundesmilitärkommission, S. 129–131.
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Besprechungen der Könige von Bayern, Sachsen, Hannover
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bleiben, in den Abstimmungen ausdrücklich zu adoptiren. Von dieser Absicht möge der Prinz-Regent in Kenntniß gesetzt und zugleich bei ihm beantragt werden, daß er seinerseits mit Bezug hierauf entweder seinen Antrag zurückziehen* oder mindestens gegen einen in jenem Sinn zu fassenden Bundesbeschluß nicht protestiren, sondern die weitere Berathung der Bundeskriegsverfassung ihren Fortgang nehmen lasse. Dieser Antrag fand von verschiedenen Seiten Anklang; dagegen wendete der König von Hannover ein, daß auf diese Weise für den einzelnen Kriegsfall die preussische Absicht dennoch erreicht würde. Besser sei es[,] wenn drei Bundesheerabtheilungen solchen Falls gebildet würden, eine aus dem österreichischen, eine aus dem preussischen Heere, die dritte aus den übrigen Bundestruppen bestehend, wobei die Wahl des Feldherrn über diese letztere durch die betheiligten Regierungen zu erfolgen habe. Obgleich man nun obiges Bedenken bei einer Einrichtung im einzelnen Fall an sich nicht so entscheidend fand, auch bei der vorgeschlagenen Modalität ein Oberkommando immer für nöthig hielt, so glaubte man doch, daß es zweckmässig sei, vor Fassung endlichen Beschlusses diese Anträge und die Resultate der heutigen Besprechung schriftlich abzufassen, womit der Unterzeichnete beauftragt wurde. (Von der Hand des Herrn v. Bose geschrieben, aber nicht unterzeichnet). Besprechung der Obigen mit Ausnahme des (bereits abgereisten) Großherzogs von Hessen. Baden den 18ten Juni 1860, 12–2 Uhr. Bei der heutigen Fortsetzung der gestrigen Besprechung wurde zunächst der Antrag des Königs v. Sachsen in der im gestrigen Protokolle enthaltenen Weise genehmigt, jedoch mit Abänderung des Wortes „zurückziehen“ in „auf sich beruhen lassen“. Nächstdem wurde zu Ausführung der für den erwähnten Fall vorbehaltenen besonderen Verabredungen Folgendes als die Meinung der versammelten Bundesfürsten dem Prinz-Regenten mitzutheilen beschlossen und zwar wesentlich nach dem Antrag des Königs von Bayern: 1. Eine vorher am Bunde für den jetzigen Fall eines möglichen Krieges mit Frankreich abzuschliessende Militärkonvention regelt die Vertheilung der Corps in drei nach den jedesmaligen Umständen zu bildende Armeen; sowie deren gemeinschaftliche Leitung. 2. Zu diesem Zwecke ist zunächst die Meinungsäusserung Oesterreichs und Preussens zu erholen.
* „auf sich beruhen lassen“ (vide infra).
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Übrigens wird die Zustimmung zu diesem Vorschlage von den hier nicht vertretenen Theilnehmern an den Würzburger Verabredungen seitens der Könige von Sachsen und Bayern eingeholt werden. (Von der Hand des Königs von Sachsen geschrieben und zwar sogleich in der Sitzung selbst.)
57. Ansprache des Prinzregenten von Preußen an die deutschen Fürsten in Baden-Baden StA Coburg, LA A, Nr. 7191, fol 110 f. Abschrift. Am 19. Juni 1860 von Prinzregent Wilhelm an Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha gesandt, „mit der ausdrücklichen Bedingung, daß dieselben nicht dem Wortlaute nach, sondern nur ihrem Sinne nach eine weitere Verbreitung erhalten“ (ebd., fol. 112). Druck: Srbik (Hrsg.), Quellen zur deutschen Politik Österreichs, Bd. 1, S. 312–314; Hohlfeld (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 98 f.
Prinzregent Wilhelm würdigt die Zusammenkunft der deutschen Fürsten in Baden-Baden als Zeichen der Einigkeit Deutschlands in Zeiten der Gefahr. Das Treffen mit dem Kaiser der Franzosen hat demonstriert, daß die Integrität Deutschlands in keiner Weise in Frage gestellt wird und daß Preußen das Gesamtinteresse Deutschlands im Auge hat. Der Prinzregent bekennt sich zur „nationalen Aufgabe“ Preußens. Für eine Reform des Bundes ist der gegenwärtige Zeitpunkt aber nicht geeignet. Der Prinzregent bekräftigt die Hoffnung auf eine Verständigung zwischen Preußen und Österreich.
[Baden-Baden, 18. Juni 1860] Es ist meinem Herzen ein Bedürfniß Eueren Majestäten (von Baiern und Württemberg) meinen lebhaftesten Dank auszusprechen, daß Sie Sich so bereitwillig geneigt gezeigt haben, bei der Zusammenkunft mit dem Kaiser Napoleon hier mit mir anwesend sein zu wollen. Euere Majestäten haben dadurch der Absicht in welcher ich meiner Seits dieser Zusammenkunft zugestimmt hatte, das Gewicht der Uebereinstimmung gegeben. Nicht minder bin ich verpflichtet den anwesenden Majestäten, Königlichen Hoheiten und Hoheiten, welche zu gleichem Zweck herbeigeeilt sind, meinen aufrichtigen Dank für die Unterstützung auszusprechen, die mir dadurch in meiner Begegnung mit dem Kaiser Napoleon zu Theil geworden ist. Es ist der Beweis gegeben worden, wie einig Deutschlands Fürsten sind, wenn dem gemeinsamem Vaterlande Gefahr drohen sollte. Der Kaiser Napoleon hatte als Grund seines Wunsches einer Zusammenkunft mit mir die Absicht ausgesprochen, seinen Willen, den Frieden zu erhalten, dadurch vor Europa zu beweisen und die Aufregung der Gemüther in Deutschland zu beschwichtigen, die, wie es wohl bekannt ist, von der Besorg-
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niß erfüllt sind, daß die Annexions-Politik auch auf Theile Deutschlands ausgedehnt werden könnte. Wir sind nunmehr Zeuge gewesen von den wiederholten und uns allen übereinstimmend vorgetragenen friedlichen Versicherungen des Kaisers, und aus der freimüthigen, offenen Antwort, welche dem Kaiser zu Theil geworden ist, wird derselbe die Ueberzeugung geschöpft haben, daß wir gern bereit sind, seinen Friedens-Versicherungen Glauben zu schenken. Die Bedingungen, unter welchen ich auf diese Zusammenkunft allein eingehen konnte, habe ich dem Kaiser nicht verschweigen lassen; sie bestanden in der Voraussetzung, die Integrität Deutschlands in keiner Weise in Frage gestellt zu sehen. Indem der Kaiser auf Grundlage dieser Vorbedingungen erschienen ist, hat dieser Grundsatz eine Anerkennung erfahren, welche nicht verfehlen wird, nach allen Seiten hin Eindruck zu machen. Ich hoffe auch damit wieder ein Zeugniß abgelegt zu haben, daß Preußens auswärtige Politik das Gesammt-Interesse Deutschlands wohl im Auge hat. Ob Deutschland in näherer oder fernerer Zeit Gefahren drohen, ich spreche heute – als am Jahrestag eines denkwürdigen Sieges1 – in diesem erlauchten Kreise es gern noch einmal aus, was ich in meiner letzten Thronrede öffentlich erklärt habe, daß ich es nicht blos als die Aufgabe der deutschen sondern als die erste Aufgabe der Europäischen Politik Preußens erachte, den TerritorialBestand sowohl des Gesammt-Vaterlandes als der einzelnen Landesherrn zu schützen. An dieser Aufgabe werde ich mich durch Nichts beirren lassen, auch durch den Umstand nicht, daß die Entwicklung der inneren Politik, die ich für Preußen als unerläßlich erkannt habe, so wie meine Auffassung mehrerer Fragen der inneren deutschen Politik von den Auffassungen einiger meiner hohen Bundesgenossen abweichen möge. Die Erfüllung jener nationalen Aufgabe, die Sorge für die Integrität und Erhaltung Deutschlands, wird bei mir immer oben an stehen. Ueber die Loyalität meiner Bemühungen, die Kräfte des deutschen Volkes zu gedeihlicher Wirksamkeit zusammen zu fassen, kann kein Zweifel bestehen. Sie haben niemals die Absicht, das völkerrechtliche Band, welches die deutschen Staaten umfaßt, zu erschüttern. Wiederholt habe ich erklärt, daß eine Reform des Bundes nur unter gewissenhafter Wahrung der Interessen Aller erstrebt werde, und die letzten Akte meiner Regierung werden keinen Zweifel gelassen haben, daß ich den gegenwärtigen Augenblick für eine Reform dieser Art nicht für geeignet erachtet habe. Dagegen sind die Punkte bezeichnet worden, an welchen ich festhalten muß. Wenn ich auf dem von mir betretenen Wege meiner inneren wie meiner deutschen Politik beharren muß, so habe ich doch keinen Grund die Hoffnung 1 Der Prinzregent bezieht sich auf den endgültigen Sieg der Alliierten über Napoleon in der Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815.
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aufzugeben, daß ich mich auf demselben mehr und mehr mit allen deutschen Regierungen begegnen werde. Auch auf eine Verständigung nach einer anderen Richtung hin hoffe ich; – auf die Verständigung zwischen Preußen und Oestreich. Ich erachte dieselbe von der höchsten Wichtigkeit, und wenn in neuester Zeit eine Annäherung stattgefunden hat, so werde ich nicht verfehlen den respektiven Cabinetten Mittheilung von den Fortschritten auf dieser Bahn zu machen. So möge denn unsere Vereinigung hier in Baden nicht nur den Beweis der Einigkeit gegen das Ausland gegeben haben, sondern auch das Gefühl derselben innerhalb des gemeinsamen Vaterlandes beleben und Nichts dem Eindruck dieser Tage entgegentreten. Ich kann diese Ansprache nicht schließen, ohne dem Großherzog von Baden, der sich der Mühe herzlicher Gastfreundschaft so hingebend unterzogen hat, meinen Dank auszusprechen, welchem sich Euere pp. gewiß gern anschließen.
58. Antwort des Königs von Württemberg auf die Ansprache des Prinzregenten von Preußen HStA München, MA 493/1. Abschrift.
Die Mittelstaaten wünschen eine innigere Verbindung von Preußen mit Österreich. Am Bund soll eine Militärkonvention für den Fall eines auswärtigen Krieges verabredet werden. Preußen soll die nationalen Vereine unterdrücken.
Baden-Baden, 18. Juni 1860 Ihre Majestäten haben mich beauftragt, Euerer Königlichen Hoheit in Ihrem Namen Ihren verbindlichsten Dank auszudrücken für das bewiesene Zutrauen, welches gewiß in ganz Deutschland den besten Eindruck machen muß. Bei dieser Gelegenheit ist auch der allgemeine Wunsch ausgesprochen worden, daß eine vertrautere und innigere Verbindung mit Oesterreich wieder angeknüpft werden, indem diese Einigung für das Ausland wie für das Inland von den wohlthätigsten Folgen sein würde. Um aber auch für alle Fälle gerüstet zu sein, sind wir übereingekommen, vorläufig durch den Bund eine Militär-Convention zu verabreden, damit die deutschen Armeecorps bei einem auswärtigen Krieg schon zum Voraus ihre Bestimmung kennen. Ebenso würde es den besten Eindruck hervorbringen, wenn Euerer Königlichen Hoheit Regierung die verschiedenen Vereine, als National-Verein und Gothaer Verein, ebenso wie wir, zu unterdrücken suchen würde.
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Besprechung des Königs von Bayern mit dem Prinzregenten von Preußen
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59. Besprechung des Königs von Bayern mit dem Prinzregenten von Preußen HStA München, MA 493/1. Metallographiertes Gesprächsprotokoll.
Der König von Bayern teilt dem Prinzregenten die Absprachen der Mittelstaaten mit. Der Prinzregent reagiert skeptisch und will eine Zurückziehung des preußischen Antrags zur Oberfeldherrnfrage noch nicht zusagen. Er hält Polizeimaßnahmen gegen die nationalen Vereine für erfolglos. In der kurhessischen Frage will Preußen durch entschiedene Einwirkung auf beide Konfliktparteien einen Eklat vermeiden. Zur Einigung mit Österreich hat der Prinzregent schon Schritte eingeleitet.
Baden-Baden, 19. Juni 1860 Unterredung Seiner Majestät des Königs von Bayern mit Seiner Königlichen Hoheit dem Prinz-Regenten von Preußen im Auftrage I. I. M. M. der Könige von Sachsen, Hannover und Württemberg und Sr Kgl. Hoheit des Herzogs von Nassau zu Baden, den 19ten Juni 1860. In dieser Unterredung begann ich damit, den Prinz-Regenten in unserem Namen anzugehen, den preußischen Antrag am Bunde in der Kriegsverfassungsfrage1 fallen zu lassen oder doch nicht gegen einen in unserem Sinne zu fassenden Bundesbeschluß zu protestiren; wogegen wir den im Referate meines Bundestagsgesandten entwickelten Antrag annehmen würden. Dieser enthält bekanntlich die Concession für Preußen, daß es sich bezüglich seiner zum Bundesheere zu stellenden drei Armeecorps nicht mehr der Wahl des Bundesfeldherrn zu unterziehen, sondern selbst den Oberbefehl über sein ganzes Heer zu führen hätte.2 1 Gemeint ist der preußische Antrag vom 4. Januar 1860, das Bundesheer und den Oberbefehl über die Bundestruppen zwischen Österreich und Preußen aufzuteilen. Siehe oben Dok. 50, Anm. 6. 2 Der bayerische Bundestagsgesandte hatte am 23. Februar 1860 in der Bundesversammlung als Referent des Bundesmilitärausschusses den Bericht über den preußischen Antrag vom 4. Januar 1860 erstattet. Der Bericht endete mit dem Antrag, die Bundesversammlung solle 1. die Bundesmilitärkommission beauftragen, über den preußischen Antrag „ein auf rein militärischen Gesichtspunkten ruhendes Gutachten“ zu erstellen, und 2. den Bundesmilitärausschuß beauftragen, „daß er nach Empfang des Gutachtens der Militärcommission die bundesrechtliche und politische Würdigung jener Anträge damit verbinde und umfassenden Vortrag erstatte“. Beide Anträge wurden angenommen. Der in den nachfolgenden Verhandlungen gemachte bayerische Kompromißvorschlag war nicht geeignet, eine Einigung herbeizuführen, denn die Mehrheit in der Bundesmilitärkommission und im Bundesmilitärausschuß machte unmißverständlich klar, daß es bei einer einheitlichen Leitung der Bundesarmee, das heißt einem Oberfeldherrn bleiben müsse, während Preußen weiterhin auf der Teilung des Oberbefehls beharrte. Am 26. Juli 1860 kam es in der Bundesversammlung zu einer langen Debatte, die mit zwei gegensätzlichen Anträgen endete: Die Mehrheit lehnte eine Änderung der Bestimmungen der Bundeskriegsverfas-
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An diesen Punkt mußte ich im Gespräche unmittelbar einen weiteren anknüpfen, nämlich unseren Beschluß, Preußen eine Militär-Convention anzubieten, worin zufolge unserer Berathungen hauptsächlich auf eine Dreitheilung der gesammten ins Feld zu stellenden Heeresmacht angetragen werden soll. Obwohl ich dem Prinzen in längerem Verweilen hiebei alle dafür sprechenden Gründe auseinandergesetzt hatte, schien er sich doch nicht davon überzeugen zu können, daß diese Dreitheilung mit der nöthigen Einheit und Uebereinstimmung in der Kriegsführung vereinbarlich sey, und er äußerte seine Ansicht dahin, vorerst abwarten zu wollen, auf welche Grundlagen hin wir ihm eine Militärconvention anbieten würden, je nach deren Beschaffenheit er sich erst aussprechen würde, ob er gegen die von uns ihm angebotenen Concessionen den preußischen Antrag zurückziehen könne oder nicht. Der Verlauf des Gesprächs führte auch auf die Gothaer und den NationalVerein. Der Prinz-Regent äußerte hierüber, er glaube nicht, daß die Anwendung von Polizei-Maßregeln gegen sie den gewünschten Erfolg haben werde, er selbst habe aber ihre Ueberschreitungen bereits in der Preße mißbilligt und werde durchaus keine ungesetzliche Handlungsweise derselben dulden, wie z. B. die Berufung eines Vorparlaments oder eines deutschen Parlamentes. Bezüglich der kurheßischen Frage theilte mir der Prinz-Regent mit, er habe sowohl auf den Kurfürsten, als die kurheßischen Stände schon entschieden dahin einzuwirken gesucht, daß sie gegenseitig sich über die schwebenden Verfassungsfragen verständigten, damit es zu keinem Eclat komme. Ueber die gewünschte Einigung mit Oesterreich bemerkte mir der Prinz, er habe auch schon deshalb Schritte gethan.
sung über den Oberbefehl ab und bekräftigte „die Einheit der Bundesarmee und des Oberbefehls“, die Minderheit, bestehend aus Preußen, verlangte weiterhin die Änderung der Bundeskriegsverfassung. Vgl. ProtDBV 1860, § 75, S. 115–121; § 202, S. 357–378.
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Ernst II. an die Könige von Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg
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60. Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha an die Könige von Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg HStA Dresden, 10 717, Nr. 934, fol. 8–9. Schreiben. Behändigte Ausfertigung an König Johann von Sachsen. – Behändigte Ausfertigung an den König von Hannover im HStA Hannover, Dep. 103, VIII, Nr. 70, sowie an den König von Württemberg, HStA Stuttgart, E 9, Büschel 31; Abschrift des gleichlautenden Schreibens an König Maximilian II. von Bayern im HStA München, MA 493/1; korrigierter Entwurf im StA Coburg, LA A, Nr. 7191, fol. 116–118, Abschrift ebd. Nr. 7192, fol. 198–200. – Am 23. Juni 1860 übermittelte Ernst II. das Schreiben auch an Prinzregent Wilhelm von Preußen, StA Coburg LA A, Nr. 7191, fol. 122.
Ernst beklagt die in Baden-Baden von den vier Königen angeregte gewaltsame Unterdrückung des Nationalvereins. Der Verein bewegt sich auf bundesgesetzlichem Boden, seine Motive sind die edelsten. Die Fürsten müssen seine Tätigkeit mit Freuden begrüßen, weil er durch die „Weckung des Nationalgefühls“ zur nationalen Aufgabe beiträgt, nach außen hin die Integrität Deutschlands zu wahren und nach innen seine Einheit herzustellen.
Coburg, 20. Juni 1860 Durchlauchtigster Großmächtigster König, Hochgeehrtester Herr Vetter! Gegen Ew. Königlichen Majestät fühle ich mich gedrungen, schriftlich auf einen Gegenstand zurückzukommen, welchen Se. Majestät der König von Württemberg berührte, als Höchstderselbe, nach der von Sr. Königlichen Hoheit dem Prinzregenten von Preußen am 18ten Juni in Baden-Baden an die versammelten Fürsten gehaltenen Ansprache, noch einige Wünsche der vier Könige vortrug.1 Zu meinem innigen Bedauern mußte ich vernehmen, daß die vier Hohen Herren gesonnen seien, den Nationalverein und den (mir unbekannten) „sogenannten Gothaischen Verein“ – wie Se. Majestät von Württemberg Sich ausdrückte – gewaltsam zu unterdrücken, und daß sie sich hiezu die Mitwirkung des Prinzregenten erbaten. Ich kann nur tief beklagen, daß es den Hohen Herren nicht gefallen hat, mich von ihrer Absicht in Kenntniß zu setzen, ehe sie in so directer Weise einen Gegenstand berührten, der, wie Se. Königliche Hoheit der Prinzregent vollkommen richtig erwiderte, erst später zwischen den Cabineten verhandelt werden könnte. Ew. Königlichen Majestät, wie den drei übrigen Hohen Herren, konnte es ja nicht unbekannt sein, daß ich in meinen Landen dem Nationalverein Aufnahme gewährt hatte und daher mich wohl in der Lage befunden haben würde, Aufklärungen zu geben, welche geeignet gewesen wären, die Besorgnisse der Hohen Herren zu zerstreuen. Da es jedoch leider anders gekommen, so möchte ich wenigstens nicht un1 Siehe Dok. 57 und 58.
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terlassen, die Hohen Herren, ehe sie weitere Schritte in jener Richtung unternehmen, darauf aufmerksam zu machen, daß sich nach den Bestimmungen der Bundesgesetzgebung der Nationalverein auf gesetzlichem Boden bewegt, und daß derselbe, nachdem ich ihm gestattet unter der bundesgesetzlich vorgeschriebenen Beaufsichtigung Seitens meiner Regierung seinen Sitz in meinem Lande zu nehmen, auch unter meinem Schutze steht. Ich darf mich darauf beschränken, anzuführen, daß die Form des Vereins die einer freien und offenen Verbindung von deutschen Männern ist, welche mit vollster Achtung vor bestehendem Recht ein nationales Ziel durch Mittel anstreben, deren rein geistige Natur an sich schon etwaige, neue Carlsbader Beschlüsse wirkungslos machen müßte.2 Mit Aengstlichkeit hat man vermieden, sich mit anderen Vereinen in Verbindung zu setzen, weil die Bundesgesetze dies verbieten. Die Motive der Vereinsthätigkeit sind die edelsten, ihre Wirksamkeit kann, soweit gegenwärtig zu urtheilen erlaubt ist, nur eine segensreiche werden. Derjenige Fehler der Nation, der sie im Innern zerrüttet, nach Außen machtlos gemacht, so vieles deutsche Land unter fremde Herrschaft gebracht hat, ist offenbar die Theilnahmslosigkeit des Volkes an seinen öffentlichen Angelegenheiten, die Gleichgültigkeit gegen nationale Ehre oder Schande gewesen. Die Fürsten dieses Volkes können deßhalb nur mit Freuden einen Verein begrüßen, der ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgabe, nach Außen die Integrität Deutschlands zu schützen, nach Innen seine Einheit zu kräftigen, durch Weckung des Nationalgefühls und Verschmelzung der Stammesunterschiede zu Hülfe kommt. Ich bin nicht dazu berufen, Ew. Königlichen Majestät und Ihrer Hohen Herren Vettern Aufmerksamkeit weiter darauf hinzulenken, daß der beabsichtigte Schritt dahin führen müßte, das gerade jetzt so erfreuliche Aufleben nationalen Geistes und wahrhaft deutsch-patriotischer Gesinnung in seiner schönsten Entwicklung zu hemmen und alle die edlen und schönen Regungen, welche davon unzertrennlich sind, im Keime zu verbittern, ja Empfindungen gegen deutsche Fürsten hervorzurufen, welche bis jetzt Gottlob noch nicht vorhanden sind. Ew. Königliche Majestät wollen diese freimüthige Erklärung so wohlwollend aufnehmen, wie es von Ihrer deutschen Gesinnung zu erwarten ist, und 2 Gegen diesen Vorwurf verwahrte sich der König von Württemberg in seiner Antwort vom 24. Juni 1860 mit den Worten: „Von Carlsbader Beschlüssen kann wohl in unseren Tagen keine Rede sein, aber ebenso sehr ist es in unserem Recht, wenn wir deutsche Regierungen darauf aufmerksam machen, welche Folgen es hat, wenn Verbindungen entstehen, die ohne irgend ein rechtliches Mandat aus eigener Machtvollkommenheit [. . .] Anfangs nur mit geistigen Mitteln zu wirken suchen. Die Jahre 1848 und 1849 haben es bewiesen, wohin solche Verbindungen führen, wenn man sie unbeachtet fortbestehen läßt.“ König Wilhelm an Herzog Ernst II., Baden, 24. Juni 1860, StA Coburg, LA A, Nr. 7191, fol. 113.
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Pfordten an Pfistermeister
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den Ausdruck der ausgezeichnetsten Hochachtung und Ergebenheit entgegennehmen, mit welcher ich zu verharren die Ehre habe. 3Ew. Königl. Majestät dienstwilligster treuer Vetter und Diener Ernst.3
61. Pfordten an Pfistermeister 11 HStA München, Abt. III, Geheimes Hausarchiv, Kabinettsakten König Maximilians II., Nr. 34 c. Schreiben. Behändigte Ausfertigung.
Pfordten erstattet ein Gutachten zum in Baden-Baden diskutierten Vorschlag, beim Bund eine Zentralgewalt zu schaffen. Er weist darauf hin, daß bereits eine Zentralgewalt besteht, nämlich die Bundesversammlung. Deren Unwirksamkeit liegt im Zwiespalt zwischen Österreich und Preußen begründet, der auch von einer neuen Einrichtung nicht überwunden werden kann. Die Bildung einer kleineren Zentralgewalt ist überdies unausführbar, weil sie dem Wesen des Bundes widerspricht. Der Ausschluß von der Zentralgewalt wäre eine Mediatisierung des betreffenden Staates. Organische Änderungen des Bundes sind nicht möglich, der Bund muß bleiben, wie er ist oder sich ganz auflösen. Pfordten macht einen Vorschlag für eine Antwort auf die Anregung des Herzogs von Sachsen-Meiningen zur Bildung einer Zentralgewalt. Ferner sendet er eine Schrift von Julius Fröbel ein, die er sehr zur Beachtung empfiehlt.
Frankfurt am Main, 20. Juli 1860 Hochgeehrter Herr Hofrath! Indem ich Euer Hochwohlgeboren die Anlagen2 wieder zusende, gebe ich die von Seiner Majestät anbefohlene Begutachtung in Folgendem ab. Die Bildung einer sogenannten Centralgewalt ist einer von jenen unklaren Vorschlägen, welche immer dann auftauchen, wenn der Zwiespalt zwischen Oestreich u. Preußen den deutschen Bund lähmt. Eine Centralgewalt besteht ja; es ist eben die Bundesversammlung. Was diese ungenügend erscheinen läßt, ist aber nicht die Theilnahme der vielen Staaten, sondern die Eifersucht Preußens gegen Oestreich. Dieser Zwiespalt wird bleiben, wenn auch nur drei oder fünf oder sieben Stimmen in der Centralgewalt vertreten wären. Das vorgeschlagene Heilmittel würde also den Grund der Krankheit nicht treffen, u. darum auch nichts wirken. Sind aber die beiden Großstaaten einig, so kann die
3–3 Grußformel eigenhändig von Ernst II. 1 2
Franz Pfistermeister (1820–1912), Sekretär König Maximilians II. von Bayern; NDB, Bd. 24, S. 253. Die Anlagen befinden sich nicht in der Akte.
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jetzige Bundesversammlung ebenso rasch handeln, wie eine kleinere Centralgewalt. Der Vorschlag ist überdies unausführbar, wie die Verhandlungen der Dresdner Conferenzen im J. 1850 gezeigt haben. Es will sich eben kein Staat von der Theilnahme an der Centralgewalt ausschließen lassen, u. dies ist im Wesen des Bundes begründet. Jedenfalls wird Bayern darauf bestehen müssen, daß es immer eine selbständige Stimme in jedem Bundesorgan hat. Dann verlangen die andern Königreiche dasselbe. Aber auch Dänemark u. Holland werden darauf nicht verzichten. Ebensowenig Baden und die Hessen u. Mecklenburge. Der Ausschluß von der Centralgewalt ist eine Art Mediatisirung. Entschließt sich eine Regierung einmal dazu, so wird sie sich lieber gleich ganz unter Preußen stellen, um dann wenigstens dem Zuge der Bevölkerung zu entsprechen und den vollen Schutz Preußens zu erwerben. Ich werde immer fester in der Ueberzeugung, daß organische Aenderungen des Bundes nicht möglich sind. Er muß bleiben, wie er ist, oder sich ganz auflösen. Nur darauf kann man hier wirken, daß Oestreich u. Preußen sich verständigen, und daß der Bund dann leistet, was seine jetzige Verfassung gestattet, und das kann bei gutem Willen viel seyn. In der Antwort an den Herzog von Meiningen3 würde ich etwa Folgendes sagen: Wenn ein solcher Vorschlag in der Bundesversammlung gemacht werden sollte, würde sich Bayern der Berathung desselben nicht entziehen. Die Erfahrungen der Conferenzen von 1850 ließen aber den Erfolg sehr zweifelhaft erscheinen, und der jetzige Zeitpunkt sey für organische Umgestaltung des Bundes nicht günstig. Es sey zunächst wohl auf Verständigung zwischen Oestreich u. Preußen hinzuwirken. Werde diese erreicht, so würde auch die Bundesversammlung rasch u. entschieden handeln können. Dies ist meine Ansicht. Zur Bestätigung, daß auch ganz unabhängige Männer so denken, lege ich hier eine Schrift von Julius Fröbel bei, die mir dieser mit der Bitte übergab, sie Seiner Majestät vorzulegen. Es ist der bekannte Demokrat von 1848, der in Wien beinahe erschossen wurde. Er ist in Amerika praktisch geworden, und vertheidigt nun den Bund und die Trias. Die Schrift ist vortrefflich, und die beste Wiederlegung der Gothaer u. des Nationalvereins.4 Ich empfehle sie sehr zur Lektüre, und den Mann zur Beachtung. Es wäre mir lieb, wenn ich ihm gelegentlich sagen könnte, wie die Schrift aufge3 Pfordten bezieht sich hier auf die Denkschriften des Herzogs von Sachsen-Meiningen vom Februar bzw. April 1860 zur Bildung einer Bundeszentralgewalt; siehe Dok. 38 u. 42. 4 Die Schrift liegt nicht in der Akte. Es handelt sich um Fröbels „Brief an den Verfasser der Studien über das europäische Gleichgewicht“, Constantin Frantz, der am 17. Juni 1860 als Flugschrift unter dem Titel „Die Forderungen der deutschen Politik“ in Frankfurt am Main veröffentlicht wurde; siehe Dok. 53.
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Denkschrift der sächsischen Regierung gegen den Nationalverein
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nommen wurde. Fröbel ist mit einer Tochter des Grafen Armansperg verheirathet5, lebt in Heidelberg, und könnte in der Presse gut wirken. Mit vorzüglichster Hochachtung Euer Hochwohlgeboren ergebenster v. d. Pfordten
62. Denkschrift der sächsischen Regierung gegen den Nationalverein HStA München, MA 493/1. Denkschrift. „Als Manuscript gedruckt“ bei B. G. Teubner in Dresden, von Beust am 22. Juli 1860 an die bayerische Regierung übermittelt. Die Denkschrift umfaßt 24 Druckseiten.
Die Agitation der nationalen Partei ist mit der gesetzlichen Ordnung unvereinbar. Um Schlimmeres zu verhüten, sollte die Tätigkeit des Nationalvereins frühzeitig gehemmt werden.
Dresden, [Juli 1860] Die Bestrebungen des Nationalvereins in ihrem Widerspruche mit der gesetzlichen Ordnung innerhalb des deutschen Bundes und der einzelnen Bundesstaaten. Die Agitation, welche zur Zeit von dem sogenannten Nationalvereine geleitet wird, ist nicht erst von diesem Vereine hervorgerufen. Sie hat vielmehr von einer Seite her und zu einer Zeit begonnen, welche keinen Zweifel darüber ließen, daß diese Agitation rein revolutionären Ursprungs ist. [Im Folgenden (S. 3–23) rekapituliert die Schrift ausführlich und detailliert die seit 1859 zu Tage getretenen Bestrebungen der sogenannten „Bewegungspartei“, die darauf abzielen, in Deutschland eine einheitliche nationale Verfassung mit Volksvertretung zu errichten. Dabei wird insbesondere die Rolle des Nationalvereins geschildert.]
In vorstehender Darstellung des Entwicklungsganges der sogenannten nationalen Partei haben wir uns lediglich auf Thatsachen gestützt und zwar auf solche, die sofort nachweisbar sind. Unser Zweck war nur: zu zeigen, daß diese Agitation in eine Bahn gerathen ist, auf welcher sie mit der gesetzlichen Ord5 Im Jahr 1855 heiratete Julius Fröbel Gräfin Caroline von Armansperg (1821–1888), eine Tochter von Joseph Ludwig Graf von Armansperg (1787–1853), der unter König Ludwig I. von Bayern Finanz- und Außenminister gewesen war und von 1832 bis 1837 die Regentschaft für den minderjährigen König Otto von Griechenland geführt hatte; ADB, Bd. 49, S. 167; ADB, Bd. 1, S. 532 f.; NDB, Bd. 1, S. 353.
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nung immer unvereinbarer wird, und welche ein längeres unthätiges Zusehen der Regierungen nicht gestattet. Wir sind weit entfernt, dieser Agitation eine solche Wirksamkeit beizumessen, daß wir die Sicherheit der Throne und den Bestand der Verfassungen in den einzelnen Staaten durch sie ernstlich gefährde