Psychodynamische Interventionen in Familien mit chronischer Krankheit [1 ed.] 9783666405570, 9783525405574

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Psychodynamische Interventionen in Familien mit chronischer Krankheit [1 ed.]
 9783666405570, 9783525405574

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Silke Wiegand-Grefe

Psychodynamische Familieninterventionen in Familien mit chronischer Krankheit

V

Herausgegeben von Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Silke Wiegand-Grefe

Psychodynamische Interventionen in Familien mit chronischer Krankheit

Vandenhoeck & Ruprecht

Für Manfred Cierpka

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40557-0 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Paul Klee, Vogelgarten, 1924/akg‐images © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort zur Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort zum Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1 Zentrale Begriffe, Gegenstand und Konzepte psychodynamischer Familieninterventionen . . . . . . . . . . . . . . . 14 2 Abgrenzung psychodynamischer Familieninterventionen von anderen Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3 Bewältigung von Herausforderungen im familiären Entwicklungsverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4 Familien mit chronischer Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4.1 Familien mit psychisch kranken Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4.2 Familien mit einem chronisch kranken Kind . . . . . . . . . . . 31 5 Klinische Konzepte in der Arbeit mit Familien mit schwerer chronischer Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 5.1 Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs für Familien mit psychisch kranken Eltern . . . . . . . . . . . . . 37 5.2 Die psychodynamische Familienintervention CHROKODIL für Familien mit einem chronisch kranken Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 6 Implikationen für die Praxis – ein Plädoyer für eine Reform des Medizinsystems zu einer Familienmedizin . . . . . . . . . . . . . 64 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrund­lagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich. Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen. Themenschwerpunkte sind unter anderem: ȤȤ Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung. ȤȤ Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internet7

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basierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze. Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen. Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen. Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie. Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann. Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

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Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

Die spätmoderne Familie steht vielfältig unter gesellschaftlichem Druck. Auch wenn sich die äußeren Formen gewandelt haben und unterschiedliche Modelle von Familien gesellschaftlich akzeptiert werden: Immer geht es um Lebensgemeinschaften von Erwachsenen und ihren Kindern, immer geht es im Kern um Beziehungskultur, Bindungen und einen emotionalen Dialog. Die Lebensmaximen von Flexibilität und Mobilität in der Arbeitswelt, der Leistungsdruck und die Alltagssorgen bezüglich drohender Verarmung setzen in vielen Familien aber dem emotionalen Dialog der Beteiligten Grenzen. Zeitmangel, Generationskonflikte, Energieverluste in erfolgsorientierten Entwicklungsräumen, die Auseinandersetzung mit den neuen Medien und Orientierungsprobleme in zunehmend komplexen gesellschaftlichen Umwelten stellen hohe Anforderungen an die Elterngeneration wie an die Kinder. Familien brauchen Unterstützung. Sie sind jene Verantwortungsgemeinschaften, in denen die zukünftige Generation heranwächst. Familie ist nicht nur Privatsache und eine Suche nach persönlichem Glück. Familien sind Aufbauelemente der Gesellschaft, sie sind in öffentlichem Interesse. Hilfestellungen bei Familienproblemen bieten Familieninterventionen, die als präventive oder therapeutische Maßnahmen konzipiert sind. In diesem Buch werden Theorie und Praxis psychodynamischer Familieninterventionen vorgestellt. Psychodynamische Konzepte für zwei besondere Risikogruppen stehen dabei im Mittelpunkt: Familien mit chronisch psychisch kranken Eltern und Familien mit chronisch somatisch kranken Kindern. 9

Die psychotherapeutische Praxis der Familieninterventionen setzt nicht mehr die Anwesenheit aller Familienmitglieder voraus, vielmehr wird mit dem »Problemsystem« gearbeitet. Ein flexibles Arrangement ermöglicht die Bearbeitung eines bestimmten Familienproblems nach dem Grundsatz, das kleinste mögliche System zur Therapiesitzung einzuladen, das durch dysfunktionale Beziehungen gekennzeichnet ist und den intrafamiliären Problemdruck erhöht. Die therapeutische Arbeit konzentriert sich schließlich darauf, Veränderungen in den Beziehungsstrukturen der einzelnen Familienmitglieder herbeizuführen, um bestimmte Probleme zu lösen, Konflikte zu bearbeiten und Symptome zu verbessern. In Familien mit psychisch kranken Eltern sind die Kinder in hohem Maße belastet. Nicht selten beobachtet man eine transgenerationale Kontinuität psychischer Störungen. Kinder und Jugendliche in Familien mit psychisch kranken Eltern haben ein mehrfach erhöhtes eigenes Risiko, auch einmal eine psychische Störung zu entwickeln. Dabei spielen die familiären Belastungen – neben einer möglichen genetischen Prädisposition – eine ganz entscheidende Rolle. Die psychische Erkrankung der Eltern geht häufig mit Beeinträchtigungen der Familiendynamik und der familiären Beziehungsgestaltung einher. Familien mit einem chronisch kranken Kind sind wiederum in ihrer Alltagsgestaltung deutlich beeinträchtigt. Die schweren chronischen Erkrankungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensqualität der Kinder durch Schmerzen, umfassende medizinische Interventionen mit unangenehmen Begleiterscheinungen und eine andauernde Krankheitsüberwachung. Die Eltern wiederum stehen unter einem enormen Belastungsdruck in der Bewältigung ihres Alltags, wobei nicht nur die Auseinandersetzung mit der Bedrohung durch die Krankheit eine Rolle spielt, sondern auch die Gestaltung sozialer Beziehungen, Partnerprobleme, finanzielle Belastungen, Probleme im Beruf und die Organisation des Haushalts den elterlichen Kräftehaushalt verzehren. Silke Wiegand-Grefe stellt in ihrem Buch eine psychodynamische Familienintervention vor, die diesen Familien Hilfe bieten kann. 10

Vorwort zum Band

Dabei geht es um die Reflexion der Paar- und Familiendynamik und um Krankheitsbewältigung, wobei ein besonderer Fokus auf den inner- und außerfamiliären Beziehungen liegt. Schließlich wird eine problemfokussierte Diagnostik angestrebt. Die Gesprächsinterventionen sind in Elterninterventionen, Kindergespräche und Familiengespräche gegliedert. Sie dienen einer Abnahme des familiären Belastungsdrucks. Diese Kurzintervention kann einer umschriebenen Hilfestellung dienen oder der Auftakt für länger angelegte Interventionen sein. Silke Wiegand-Grefe hat ein klar gegliedertes, gut lesbares Buch zum Thema geschrieben, das viele wichtige Informationen enthält. Es ist dem Familientherapeuten Manfred Cierpka gewidmet. 

Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

Vorwort zum Band

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Vorbemerkung

Die Anforderungen, die sich an moderne Familien in unserer Gesellschaft stellen, sind hochkomplex. Mit diesen zunehmenden Anforderungen der Gesellschaft werden auch die Herausforderungen und die Probleme, die Familien heutzutage bewältigen müssen, immer komplexer. Dabei reicht die Bandbreite von einem Anspruch beruflich höchstmöglicher Flexibilität moderner Arbeitnehmer und Arbeitgeber über private Herausforderungen in Beziehungen, etwa bei Patchworkfamilien, die sich nach Trennung und Scheidung zusammenfinden, bis hin zu Anforderungen an Familien in der Auseinandersetzung mit der jungen Generation im Zuge zunehmender Globalisierung und Medienvielfalt. Vielfach sind in der modernen Gesundheitsversorgung daher nicht nur Therapie und Behandlung bereits vorhandener Symptome und Erkrankungen, sondern zunehmend in allen Bereichen öffentlichen Lebens auch Präventionen gefragt: vor Süchten, vor Gesundheitsrisiken, vor psychischer Erkrankung. Dabei sind die Übergänge zwischen Therapie und Prävention vielfach fließend. Um dem Rechnung zu tragen, wird in diesem Band nicht von Therapie oder Familientherapie auf der einen Seite und von Beratung oder Familienberatung oder Prävention auf der anderen Seite gesprochen, sondern von Familieninterventionen. Dieser Begriff umfasst therapeutische und präventive Interventionen gleichermaßen und wird als übergeordneter Begriff verwendet. In diesem Buch werden Theorie und Praxis psychodynamischer Familieninterventionen und ein psychodynamisches Konzept für zwei ausgewählte Risikogruppen vorgestellt. Ich möchte mich mit diesem Büchlein bei Manfred Cierpka bedanken. Manfred Cierpka hat mich gelehrt – wissenschaftlich und kli12

nisch –, psychoanalytisch mit Familien zu arbeiten. Seine wertschätzende, respektvolle, freundlich-annehmende Haltung in der Arbeit mit Familien, seine Fähigkeit, gelingende Präventionskonzepte in die Lebensumwelt von Kindern einzubringen, und sein Engagement für belastete Familien und ihre Kinder sind mir wegweisend. Er ist mir ein steter Berater und Begleiter bei der Entwicklung unserer Konzepte. Ich möchte ihm dafür herzlich danken und ihm dieses Büchlein widmen.

Vorbemerkung

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1 Zentrale Begriffe, Gegenstand und Konzepte psychodynamischer Familieninterventionen

Einer der Pioniere deutschsprachiger Familientherapie, Horst-Eberhard Richter, forderte bereits in den 1970er Jahren in Anlehnung an N. W. Ackerman, einen der bedeutenden amerikanischen Pioniere auf dem Gebiet der Familientherapie, dass sich die Behandlung nach dem Problem, nicht nach einer technischen Methode richten müsse (Richter, 1970). So finden in Familieninterventionen eine Reihe von Techniken Anwendung, die in ihrer Herkunft zwar einer bestimmten familientherapeutischen Schule zugeordnet werden können, häufig aber auch übergeordnet eklektisch verwendet werden (Hansen, 2012). In der Zielvorstellung klassisch psychodynamischer Familieninterventionen werden eine Mehrzahl relativ unterschiedlicher Methoden angewandt, die einen Familienkonflikt im Unterschied zu einem individuellen Binnenkonflikt zum Gegenstand haben und deren Ziel in der (zumindest partiellen) Überwindung dieses Konfliktes besteht. Einzelne Techniken, die häufig auch in psychodynamischen Familieninterventionen angewendet werden, sind beispielsweise die Arbeit mit dem Genogramm, Familienskulpturen, Familienbrett oder Familienaufstellungen. Für die eingehende Beschäftigung mit diesen verschiedenen Interventionstechniken wird auf die Lehrbücher zur Familiendiagnostik und Familientherapie verwiesen, beispielsweise von Cierpka (1996) oder Hansen (2012). Aktuelle Übersichten zur klinischen Paar- und Familienpsychologie finden sich bei Hantel-Quitmann (2015) oder Bodenmann (2016). Die Praxis moderner Familieninterventionen ist schon seit etwa Ende der 1980er Jahre nicht mehr dadurch charakterisiert, dass alle Familienmitglieder in Familieninterventionen anwesend sind. Fami14

lientherapeuten und -therapeutinnen arbeiten mit dem sogenannten »Problemsystem«. Oft wird in der diagnostischen Phase der Erstgespräche die ganze Familie gesehen, danach jedes System, das durch dysfunktionale Beziehungen gekennzeichnet ist, die in Verbindung mit den präsentierten Problemen der Familie gebracht werden können. Es wird dem Grundsatz gefolgt, das kleinste System zur Therapie einzuladen. Insgesamt wird das Arrangement gesucht und gewählt, das für die Bearbeitung dieses Familienproblems speziell geeignet erscheint. In den 1980er Jahren wurden auch – analog zu Entwicklungen in der Psychoanalyse – in Familieninterventionen die Interaktionen zwischen den beteiligten Familienmitgliedern ins Zentrum der Betrachtung gerückt und es wurde auf Beziehungsstörungen in der Familie fokussiert. Beispielsweise verstehen Gurman, Kniskern und Pinsof (1986) Familientherapie als eine psychotherapeutische Methode, die sich explizit darauf konzentriere, die Interaktionen zwischen den Familienmitgliedern so zu verändern, dass sich die Dynamik der Familie als Ganzes, der Subsysteme und der einzelnen Individuen verbessere. Auch der amerikanische Pionier Lyman Wynne (1988b) versteht Familientherapie als einen psychotherapeutischen Ansatz mit dem Ziel, Interaktionen zwischen einem Paar, in einer Kernfamilie, in einer erweiterten Familie oder zwischen einer Familie und anderen interpersonellen Systemen zu verändern und dadurch Probleme einzelner Familienmitglieder, Probleme von Familien-Subsystemen oder der Gesamtfamilie zu lindern. Cierpka und Frevert (1994) stellen fest, dass Paar- und Familientherapien dann zur Anwendung kommen, wenn es um psychische Erkrankungen geht, die durch gestörte zwischenmenschliche Beziehungen verursacht und/oder aufrechterhalten werden. Die therapeutische Arbeit konzentriert sich dabei auf die Veränderung von Beziehungsstrukturen des Familiensystems, um die Symptomatik der psychischen Erkrankung zu verbessern oder aufzulösen. Man verspricht sich gegenüber der Einzeltherapie dann bessere Ergebnisse, wenn die familiäre Problematik im interpersonalen Beziehungsfeld überwiegt. Eine Familientherapie kommt dann am ehesten Zentrale Begriffe, Gegenstand und Konzepte

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zustande, wenn die Familienmitglieder motiviert werden können, das bestehende Problem als gemeinsames zu sehen (Cierpka u. Frevert, 1994). Familientherapie mit nur einem Familienmitglied unterscheidet sich von einer Einzelpsychotherapie dadurch, dass die therapeutischen Interventionen darauf abzielen, Interaktionsmuster innerhalb der Familie zu verändern, unabhängig davon, wer an der Therapie teilnimmt. Der entscheidende Schritt der Umorientierung des Therapeuten von der Einzel- zur Familientherapie besteht darin, dass man ein Symptom nicht mehr als Eigenschaft eines Individuums, sondern einer Familiengruppe versteht und bearbeitet (Richter, 1970). Man arbeitet in modernen Familieninterventionen mit dem Problemsystem und lädt das kleinste System, das durch dysfunktionale Beziehungen gekennzeichnet ist, die in Verbindung mit dem präsentierten Problem gebracht werden können, zur Intervention ein. Auch der Begriff des »präsentierten Problems« findet bis heute in Familieninterventionen Anwendung. Man versteht darunter die zu Beginn jeder zieloffenen Familienintervention übliche Definition des Problems, das von der Familie oder von einzelnen Familienmitgliedern als Problem präsentiert wird. Dieses präsentierte Problem (Presenting Problem) ist auch in der Wirksamkeitsforschung von Familieninterventionen aufgrund seiner Messbarkeit von zentraler Bedeutung (WiegandGrefe, Zander u. Cierpka, 2002). Lyman Wynne (1988a) wählt einen weiten Problembegriff und versteht Problem als Oberbegriff für alles, was jemanden glauben lässt, professionelle Hilfe zu brauchen. Die Definition der Familienprobleme bildet in den Familieninterventionen einen wichtigen Bestandteil der diagnostischen Therapiephase (Cierpka, 1996), die üblicherweise in mehreren Phasen abläuft. Im Verlauf der diagnostischen Phase erfolgt als zentraler Bestandteil ein »Umdeuten« (Reframing) des individuellen Problems zum Familienproblem. Das Problem des Indexpatienten wird dabei vor dem Hintergrund der Struktur und der Psychodynamik der Familie als gemeinsames Problem der Familie verstanden. Das Problem des Indexpatienten wird zum Problem der Familie. Von zentraler Bedeu16

Zentrale Begriffe, Gegenstand und Konzepte

tung ist dabei, dass das Konzept des präsentierten Problems weit über den Begriff des Symptoms oder der Erkrankung im engeren Sinne hinausgeht. Es bezieht die verschiedensten Lebensprobleme und Beziehungskonflikte ein, also auch Probleme und Schwierigkeiten, die nicht krankheitswertig sind. Das präsentierte Problem der Familie kann nach Wynne (1988a) alles sein, was die Familie zum Psychotherapeuten führt. In der klinischen Praxis wird – im Unterschied zur Forschung – häufig eine ganze Bandbreite von Problemen thematisiert. Familien in komplexen psychosozialen und medizinischen Problemlagen werden häufig als Multiproblemfamilien bezeichnet, bei denen auch Konzepte aufsuchender Familienarbeit zur Anwendung kommen (Spangenberg, 1996; Conen, 1996). Um den fließenden Übergängen zwischen tiefenpsychologischer und psychoanalytischer familienorientierter Arbeit, die im Familiensetting noch schwerer abgrenzbar sind als im Einzelsetting, Rechnung zu tragen, wird in diesem Buch von psychodynamischen Familieninterventionen gesprochen. In frühen psychodynamischen Ansätzen wurden für die Arbeit mit Familien psychoanalytische Konzepte, die auf das Individuum bezogen sind, analog auf die Familienebene übertragen. Diese Konzepte lassen sich in aller Kürze wie folgt skizzieren: Im Zentrum klassischer psychoanalytischer Auffassung steht ein Konfliktmodell, wobei mit Konflikten nach traditioneller Sichtweise intrapsychische Konflikte wie Triebkonflikte und Über-Ich-Konflikte gemeint sind. Nach psychoanalytischer Auffassung müssten Konflikte, um Symptome hervorzurufen, solche intrapersonellen Konflikte werden. Aber auch äußere, interpersonelle Aspekte wurden von Psychoanalytikern in die Arbeit einbezogen. Äußere und innere Konflikte, interpersonelle und intrapersonelle Konflikte, schließen sich jedoch nicht aus, sondern bedingen einander. Psychoanalytische Familientherapie versucht, äußere und innere Konflikte in ihrem komplementären Verhältnis und in ihrer Wechselwirkung zu sehen (vgl. auch Reich, 1990). Bei der Mehrheit von Ansätzen psychodynamischer Familientherapie werden die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern in das Zentrum der Betrachtung gerückt und direkt theZentrale Begriffe, Gegenstand und Konzepte

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matisiert. Bauriedl (1994) analysiert beispielsweise die therapeutische Beziehung in psychodynamischen Familieninterventionen und versteht die psychoanalytische Theorie der Objektbeziehungen als Verbindungsglied zwischen der individuellen Psychodynamik klassischpsychoanalytischer Konzeption und sozialen Beziehungen. In den Objektbeziehungstheorien wird die Interaktion zwischen Personen als internalisierte frühe Eltern-Kind-Beziehung gedeutet. Grundgedanken dazu wurden bereits von Freud formuliert, spätere wesentliche Beiträge und Ausarbeitungen zu den Objektbeziehungstheorien leisteten beispielsweise Melanie Klein, Margaret Mahler, Edith J­ acobsen und Otto Kernberg (vgl. Wiegand-Grefe, 2002). In den meisten psychodynamischen familientherapeutischen Ansätzen wird die Perspektive von der Kernfamilie auf die Mehrgenerationenebene erweitert, wie das in der Göttinger Schule in frühen Arbeiten um Eckard Sperling schon in den 1970er Jahren konzeptualisiert wurde. Diese heute sehr verbreitete Betrachtungsweise einer Mehrgenerationen-Familientherapie (Massing, Reich u. Sperling, 1992), deren Grundgedanken mittlerweile auch von systemischen Familientherapeuten übernommen werden, geht davon aus, dass sich Störungen und Konflikte der jeweiligen Kindergeneration aus unbewussten oder verheimlichten Konflikten zwischen Eltern und Großeltern bzw. den Partnern und ihren Eltern ergeben. Dies geschieht durch intrafamiliäre Übertragungsprozesse. Außerdem nehmen die Begründer der Mehrgenerationenperspektive an, dass sich in Familien über die Generationen im Wesentlichen immer wieder dieselben Konflikte abspielen, also ein intrafamiliärer Wiederholungszwang besteht. Unter dieser Betrachtung können Delegationen, Aufträge und Vermächtnisse, die über Generationen hinweg wirksam sind, verständlicher werden und Berücksichtigung im Interventionsprozess finden. Im Behandlungsprozess der psychodynamischen Familieninterventionen geht es darum, die unbewussten und vorbewussten inter- und intrapersonellen Konflikte einzelner Familienmitglieder, bestimmter Subsysteme innerhalb der Familie oder der Gesamtfamilie auf der Grundlage der sich entfaltenden Beziehungen über spezifische the18

Zentrale Begriffe, Gegenstand und Konzepte

rapeutische Interventionen bewusst und dadurch einer Bearbeitung zugänglich zu machen. Eine praktikable und beliebte technische Möglichkeit, mehrgenerationale Dynamiken anschaulich und verständlich zu machen, bietet die Arbeit mit dem Genogramm. Es geht also letztlich, vereinfacht formuliert, in psychodynamischen Familieninterventionen darum, die präsentierten Probleme der Familie auf der Grundlage ihrer äußeren und inneren Konflikte zu verstehen und zu bearbeiten. Während des psychodynamisch orientierten Interventionsprozesses findet auch in Familieninterventionen eine Reinszenierung früherer Beziehungserfahrungen, vor allem primärer Objektbeziehungserfahrungen, also Beziehungserfahrungen mit der Mutter, dem Vater und anderen frühen Bezugspersonen, sowie der damit verbundenen bewussten, vorbewussten und unbewussten Konflikte statt. Gleichzeitig werden die mit diesen Bezugspersonen verbundenen bewussten und unbewussten Emotionen und Konflikte aktualisiert. Dies geschieht im Prozess einer Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung. Durch klärende, konfrontierende und deutende Interventionen werden diese unbewussten Konflikte schrittweise bewusstseinsfähig und dadurch einer Bearbeitung zugänglich. Mit dem prozesshaften Charakter des Geschehens kann verbunden sein, dass es sich auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Tiefendimensionen abspielt. Dabei bilden sich häufig in der diagnostischen Phase der Erstgespräche zunächst die konkreten, »oberflächlicheren« Konflikte ab, und mit fortschreitendem Behandlungsverlauf werden – wie in der Einzeltherapie auch – die vorher unbewussten bzw. vorbewussten Konflikte deutlicher. Die Aufgabe der Therapeutinnen und Therapeuten besteht darin, die jeweils gegenwärtigen, aufgedeckten, bewusst gewordenen Konflikte und Probleme zu reflektieren und daran die Formulierung von Therapiezielen der Familie zu orientieren (Cierpka, Zander u. Wiegand-Grefe, 1999; Cierpka, Wiegand-Grefe u. Zander, 2000; Wiegand-Grefe, 2002).

Zentrale Begriffe, Gegenstand und Konzepte

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2 Abgrenzung psychodynamischer Familieninterventionen von anderen Schulen

Die Abgrenzung psychodynamischer Familieninterventionen von anderen familienorientiert arbeitenden Schulen lässt sich in aller gebotenen Kürze folgendermaßen skizzieren: Die beiden großen traditionellen familientherapeutischen Schulen, die systemische Betrachtungsweise einerseits und die psychodynamischen Verfahren andererseits, lassen sich im Wesentlichen so beschreiben, dass sich Systemiker mit der Beschreibung von Problemsystemen beschäftigen, deren Konstrukthaftigkeit und fehlende Objektivität betonen und von Krankheitsund Diagnosesystemen klassischerweise eher Abstand nehmen, während psychodynamische Interventionen darauf abzielen, unbewusste oder vorbewusste Familienkonflikte zu verstehen, zu bearbeiten und aufzulösen. In der Verhaltenstherapie gibt es in der Arbeit mit Familien noch keine lange Tradition, in den letzten drei Jahrzehnten wurde dort aber eine Reihe von psychoedukativen Programmen vorgelegt, die in der Regel auf den klassischen Konzepten wie der Lerntheorie beruhen. In der systemischen Betrachtungsweise, auf die Bateson (1972) als einer der Ersten hingewiesen hat, sind Daten keine Ereignisse oder Objekte, sondern Aufzeichnungen, Beschreibungen oder Erinnerungen an Ereignisse oder Objekte, also Abbildungen. Es gibt eine Transformation oder Aufzeichnung des Ereignisses, es handelt sich um durch Ereignisse oder Objekte übertragene Information. Jede Aufzeichnung ist in irgendeiner Form bearbeitet oder transformiert. Nach Auffassung des systemischen Denkers Tom Levold (1997) sind Probleme keine objektiven Entitäten, sondern ergeben und entwickeln sich im Verlauf individueller und sozialer Prozesse des Erlebens und Bewertens. Levold betont die Konstrukthaftigkeit jeder Problem20

beschreibung und betrachtet Familienprobleme als individuelle und kollektive psychische bzw. psychosoziale Konstrukte, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Entsprechend wird in einem in der systemischen Betrachtung lange Zeit populärem Konzept, der »Theorie des problemdeterminierten Systems« (Goolishian u. Anderson, 1988), der »Ort« von Problemen aus dem individuellen Erleben in den Bereich der intersubjektiven, sprachlichen Verständigung verlagert. Aus dieser Perspektive sind Probleme hermeneutische Produkte, an deren Herstellung alle an der Kommunikation beteiligten Menschen mitwirken. Durch ihre Kommunikation entsteht ein problemdeterminiertes System, ein Problemsystem. Das System schließt alle jene Personen ein, die über ein Problem sprechen. Es ist veränderlich, jedes Problem bringt eine unterschiedlich wachsende oder abnehmende Anzahl von Menschen mit sich. Es wird so lange aufrechterhalten oder verändert, wie die Kommunikation über das jeweilige Problem anhält. Problemsysteme entstehen, indem über Probleme gesprochen wird, und lösen sich auf, wenn die Kommunikation über das Problem beendet wird. Soziale Systeme, wie Familien, haben demnach nicht aufgrund struktureller Eigenarten und Konflikte ein »Problem«, sondern Probleme werden in solchen sprachlich strukturierten Systemen dadurch hervorgebracht, aufrechterhalten und aufgelöst, dass über sie sprachlich kommuniziert wird. Ein Problem ist eine Feststellung, eine sprachliche Behauptung, die jemand aufstellt. »Probleme gibt es nur dann, wenn eine Sorge oder Klage ausgesprochen wird. Solange es keine ausgesprochene Sorge oder Klage gibt, gibt es keine Probleme. Probleme existieren nur in der Sprache und werden von Menschen, die miteinander sprechen, beschrieben und definiert« (Goolishian u. Anderson, 1988, S. 207). Es gibt so viele Problemdefinitionen wie Mitglieder im Problemsystem. Unter anderem aufgrund der fehlenden Bedeutung des Problemempfindens wird dieses Konzept jedoch kritisiert und in der Folge um emotionale Kom­ponenten erweitert, etwa von Ludewig (2000). Der klassisch systemische Diskurs nimmt Abstand von Krankheitsund Störungskonzepten und betrachtet den Gegenstand klinischer Theorie als einen Prozess, der sich als Sequenz einander ablösender Abgrenzung psychodynamischer Familieninterventionen

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sozialer Systeme oder Kommunikationen mit wechselnden, unterscheidbaren Themen darstellt (Ludewig, 2000). Nicht körperliches Leid, leidvolle Erlebnisse oder missglückte Beziehungen führen zum Beginn einer Therapie oder auch einer Familienintervention, sondern eine Kommunikation, die dies thematisiert. Am Anfang dieser Sequenz steht ein Problem als ein Verhalten oder eine Interaktion, die (vom Betroffenen selbst oder von anderen) als veränderungsbedürftig bewertet wird. Bei Problemen, die Leiden oder alarmierte Sorge bei einem Individuum auslösen, spricht Ludewig von einem Lebensproblem. Gelangt ein Lebensproblem zur Kommunikation und führt in der Folge zu einem sich selbst erhaltenden Kommunikationsprozess, spricht er von einem Problemsystem. Menschliche Probleme resultieren nach Ludewig aus dem missglückten Versuch, eine alarmierende oder Leid auslösende Störung zu entschärfen. Die Störung wirkt sich als systemüberfordernd aus, das System kann sich weder entziehen noch adäquat reagieren, sondern kann bestenfalls die leidvolle Situation hinnehmen oder vermeiden. So entsteht ein »­Problem«, das je nach Wirkungsgrad ein subjektives Lebensproblem bleibt oder ein kommunikatives Problemsystem wird. Im Zuge der Entwicklung der systemischen Therapie hin zu einem (Richtlinien-)Psychotherapieverfahren als Krankenbehandlungsverfahren mit entsprechender Anerkennung als krankenkassenfinanzierte Leistung werden in jüngster Zeit diese Auffassungen relativiert. Es werden Störungsmodelle und auch Behandlungsmanuale für umschriebene Störungsbilder entwickelt, zum Beispiel für Angststörungen im Kindesalter von der Arbeitsgruppe um Jochen Schweitzer aus Heidelberg. Der Mainstream der Systemiker tut sich mit solchen Entwicklungen jedoch nach wie vor schwer und kritisiert die Einordnung von Störungsbildern in Diagnoseschemata. Die Verhaltenstherapie beschäftigt sich seit etwa den 1980er Jahren mit der Arbeit mit Familien, sodass seit dieser Zeit von verhaltenstherapeutischen Familieninterventionen gesprochen werden kann. Gemäß der verhaltensorientierten Vorgehensweise wurde dabei eine Reihe von manualisierten Programmen zur Prävention, Behandlung 22

Abgrenzung psychodynamischer Familieninterventionen

und Rehabilitation hervorgebracht. Diese bauen auf den verhaltenstherapeutischen Standartvorgehensweisen auf, die sich in der Regel auf die Lerntheorien begründen. Im diagnostischen Standardprozess werden Beschwerden einer Person (oder Familie) als Verhaltensprobleme und damit zu lösende Probleme aufgefasst, als konkrete Verhaltensweisen formuliert und in einer Verhaltensanalyse diagnostiziert. Als Problemursachen werden historisch-genetische Bedingungen, die zur Entstehung eines Problems geführt haben, und Bedingungen, die das Problem aufrechterhalten und behandelt werden, unterschieden. Der Prozess der Analyse der Problembedingungen wird als Problemanalyse bezeichnet, die in den Teilschritten Problemstrukturierung, Bedingungsanalyse und Therapieplanung erfolgt. Dieses Vorgehen wird auf die Arbeit mit Familien übertragen. Verhaltenstherapeutische Familientherapie wird als ein therapeutischer Prozess beschrieben, der zum Ziel hat, Veränderungen im kindlichen Verhalten herbeizuführen (Sanders, 1998). Lieb (2009) unterscheidet zwei Typen verhaltenstherapeutischer Familientherapie: (1) als Kompetenzvermittlung, (2) als störungsspezifische Psychoedukation für Angehörige. Typ 1 fokussiert auf die gleiche Frage wie bei Einzelpatienten: Welche Kompetenzen könnten oder müssten hier gefördert werden? Mit welchen Methoden wäre das zu bewerkstelligen? Diese Form der verhaltenstherapeutischen Familientherapie besteht aus der Vermittlung systembezogener kollektiver Fertigkeiten, zum Einsatz kommen die gleichen Strategien wie in der Einzeltherapie: Kommunikationstraining, kognitive Methoden, Aufzeigen vorhandener Ressourcen, Stressbewältigungstraining. Der Therapeut ist Experte für Kompetenzprofilerhebung, Zielfindung, Methodenwahl und -durchführung. Die störungsspezifische Psychoedukation von Angehörigen (Typ 2) gibt es vor allem in Form von Angehörigengruppen, in denen der Therapeut oder die Therapeutin die Familie über die Krankheit eines ihrer Mitglieder und die Rolle der Familie bei deren Entstehung und Heilung aufklärt. Der Therapeut ist Krankheitsexperte (Stieglitz, 2002; Sulz u. Heekerens, 2002).

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3 Bewältigung von Herausforderungen im familiären Entwicklungsverlauf

Die familienzyklische Betrachtungsweise geht von der Annahme familiendynamischer Veränderungsprozesse aus, das heißt, die Familie wird nicht als statisches Gebilde wahrgenommen. Der Begriff des Familienzyklus bezieht sich sowohl auf die zeitliche Dimension als auch auf interne qualitative Veränderungen von Familien. Er macht deutlich, dass unter »Familie« je nach der Position im Familienzyklus etwas Unterschiedliches verstanden werden muss. Es wird von der Vorstellung einer lebenslangen Entwicklung der Familie ausgegangen und davon gesprochen, dass für die Beschäftigung mit der Familie als dynamischem Gebilde eine Art Gerüst der allgemeinen Stadien in ihrem Entwicklungsprozess notwendig ist (Scheller, 1989; Carter u. McGoldrick, 1980). Der Phasenverlauf im Familienentwicklungsprozess ist neben der zeitlichen Dimension durch konkrete Ereignisse, etwa die Geburt eines Kindes, bestimmt. Meist geht man von einem etwa sechs bis acht Phasen umfassenden Verlauf aus. Acht Phasen familiärer Entwicklung sind: Verlassen des Elternhauses, alleinstehende junge Erwachsene; Paar ohne Kinder; Familie mit Kleinkindern; Familie mit Schulkindern; Familie mit Adoleszenten; Familie im Ablöseprozess, bis alle Kinder das Haus verlassen haben; Paare in der Lebensmitte nach Auszug der Kinder bis zur Pensionierung; Familie im Alter (WiegandGrefe, 1999). Es wird angenommen, dass die Phasen im Familien­zyklus mit entwicklungsgeschichtlichen Familienaufgaben einhergehen, ein Konzept, das von Soziologen in den 1970er Jahren, u. a. beispielsweise von Aldous (1978), in die Familienforschung eingeführt wurde. Die entwicklungsspezifischen Aufgaben und damit verbundene spezifische Probleme, die sich in den Übergängen zwischen den ver24

schiedenen Phasen der Lebensspanne stellen, werden in der Literatur von allgemeinen Aufgaben, die sich für jede Familie in allen Phasen stellen, unterschieden (Kreppner, 1989). Neuere Konzepte verstehen den Lebenszyklus einer Familie als einen sich spiralförmig entwickelnden Prozess, in dem sich die individuellen Lebenszyklen der Familienmitglieder verschiedener Generationen zu einem Lebens­ zyklus der Familie als Ganzen verbinden (Wiegand-Grefe, 2002). Die Entwicklung der Familie vollzieht sich als Oszillationsprozess zwischen der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, die ein hohes Maß an Bindungsverhalten der Familienmitglieder erfordern, und Aufgaben, die Identitätsfindung und Autonomiebestrebungen der Familienmitglieder in den Vordergrund stellen. Typischerweise erleben die Familienmitglieder drei Oszillationen während einer idealtypischen lebenszyklischen Entwicklung: die eigene Kindheit und Adoleszenz, die Geburt und Adoleszenz der eigenen Kinder und die der Enkelkinder (Frevert, Cierpka u. Joraschky, 1996). Diese Konzepte familiärer Entwicklungszyklen sind jedoch insofern Anlass berechtigter Kritik, als es sich um idealtypische Vorstellungen einer normativen Kleinfamilie handelt, die für häufige und moderne eingangs genannte familiäre Realitäten, wie Patchworkfamilien u. a., nicht gleichermaßen gelten (Scheller, 1989). Die klassischen Konzepte des Familienzyklus gehen weder von einer Auflösung der Ehe durch Scheidung noch von einer Austauschbarkeit der Familienmitglieder bzw. einer Ergänzung der Familienrollen etwa durch Wiederheirat aus, sondern unterstellen eine stabile Ehe, die nicht kinderlos bleibt. Diese Annahmen sind jedoch ausschließlich für die traditionelle Kernfamilie typisch. Diese frühen Überlegungen zum Familienzyklus fokussieren innerfamiliäre Prozesse. Ein Modell, welches diese Entwicklung in einen außerfamiliären Lebenskontext einbindet, wurde von Markman, Floyd, Stanley und Lewis (1986) vorgeschlagen, von Schneewind (1989) in den deutschsprachigen Raum eingeführt und besonders unter dem Aspekt des außerfamiliären Lebenskontextes betrachtet. Schneewind unterscheidet zwischen vertikalen und horizontalen Stressoren und Ressourcen. Vertikale Stressoren und Ressourcen beziehen sich auf Herausforderungen im familiären Entwicklungsverlauf

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historisch gewachsene und in die Gegenwart hineinwirkende Gegebenheiten des sozialen Systems, des transgenerationalen Systems, des gegenwärtigen Paar- und Familiensystems und des Persönlichkeits­ systems. Die Balance zwischen vertikalen Stressoren und Ressourcen hat einen Einfluss auf die Verletzlichkeit eines Familiensystems, wenn es im Laufe seiner Entwicklung mit horizontalen Stressoren konfrontiert wird. Hinsichtlich dieser horizontalen Stressoren stellt Schneewind normative und nicht normative Stressoren gegenüber (vgl. auch Hantel-Quitmann, 1997, 2015). Als normative horizontale Stressoren werden die erwartbaren Übergänge und Phasen im Familienlebens­ zyklus bezeichnet. Als nicht normative Stressoren werden plötzliche und nicht vorhersehbare Ereignisse wie Scheidung, Unfälle, Tod, Arbeitslosigkeit oder auch der Einbruch einer chronischen Krankheit in die Familie benannt. Dieser Einbruch einer schweren chronischen Krankheit in die Familie kann als traumatisierend erlebt werden. Diese Bewältigung einer chronischen Krankheit im Familiensystem steht im Fokus der hier beschriebenen familiendynamischen Interventionen. Familiendynamische Interventionen erscheinen immer dann sinnvoll, wenn eine schwere Krankheit in der Familie zu bewältigen ist, unabhängig davon, ob es sich um eine körperliche oder psychische Erkrankung handelt und ob Eltern oder ein oder mehrere Kinder davon betroffen sind. Diese Interventionen können im gesunden Familiensystem und bei gesunden Personen präventiven Charakter haben und – sofern einzelne Familienmitglieder bereits infolge der erheblichen Belastungen psychisch erkrankt sind – auch diagnostischen und therapeutischen Charakter. In jedem Fall sollte eingangs vor jeder Familienintervention eine sorgfältige und fundierte Diagnostik stehen, worauf an späterer Stelle dieses Buches bei der Beschreibung unserer Interventionskonzepte noch eingegangen wird. In diesem Buch werden zwei Beispiele unserer familienorientierten Interventionskonzepte beschrieben: für Familien, in denen ein oder beide Elternteile schwer und chronisch psychisch erkrankt sind; außerdem für Familien, in denen ein Kind oder mehrere Kinder unter einer schweren, chronischen Krankheit leiden. 26

Herausforderungen im familiären Entwicklungsverlauf

4  Familien mit chronischer Krankheit

4.1  Familien mit psychisch kranken Eltern Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland etwa drei bis vier Millionen Kinder mit einem Elternteil mit einer psychiatrischen Erkrankung leben (Wiegand-Grefe u. Petermann, 2016). Kinder psychisch kranker Eltern sind in der Forschung und in der klinischen Arbeit als Hochrisikogruppe für die Entwicklung eigener psychischer Erkrankungen bekannt. Nicht selten beobachtet man in Familien mit psychisch kranken Eltern eine Familiengeschichte, in der über Generationen hinweg psychische Erkrankungen vermehrt vorkommen. Diese transgenerationale Weitergabe psychischer Erkrankungen – an der sowohl genetische als auch psychosoziale Faktoren beteiligt sind – stellt ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychischer Auffälligkeiten der Kinder dar. Ein besonders hohes Erkrankungsrisiko weisen Kinder auf, deren beide Elternteile psychisch erkrankt sind (Mattejat u. Lisofsky, 2014). Kinder und Jugendliche psychisch kranker Eltern weisen dabei ein mehrfach erhöhtes eigenes sowohl spezifisches als auch ein unspezifisches Erkrankungsrisiko auf. Das bedeutet, sowohl das Risiko, dieselbe psychische Erkrankung wie der erkrankte Elternteil, als auch das Risiko, eine andere psychische Erkrankung als der Elternteil zu generieren, sind erhöht. Das Erkrankungsrisiko ist außer einer genetischen Prädisposition vor allem deshalb erhöht, weil die Kinder einer Reihe von individuellen und familiären Belastungen ausgesetzt sind. Die vorliegenden Studien zeichnen ein vielschichtiges Bild dieser individuellen und familiären Problemkonstellationen und Belastun27

gen. Die Ergebnisse dieser Studien können in die folgenden Bereiche gegliedert werden, in denen die subjektiven Belastungen von Kindern psychisch kranker Eltern vor allem deutlich auftreten: elterliche Erkrankung; Wissen über die Erkrankung; Tabuisierung, Isolierung und Kommunikationsverbot; soziale Unterstützung; familiärer Alltag; Familienbeziehungen; Parentifizierung und Gefühlslagen der Kinder (vgl. Plass u. Wiegand-Grefe, 2012). So kann die elterliche Erkrankung selbst mit den jeweiligen Symptomen der Eltern für Kinder und Jugendliche zur Belastung werden. Aber auch der Umgang mit dieser Erkrankung in der Familie und gegenüber den Kindern ist entscheidend für die Bewältigung der Gesamtsituation. Eine besonders belastende Situation für Kinder und Jugendliche entsteht, wenn die Kinder keine Informationen und Aufklärung über die Erkrankung erhalten und mit ihren Sorgen alleingelassen werden. Manchmal geht eine mangelnde Aufklärung der Kinder mit einer Tabuisierung der häuslichen Situation und mit einem Verbot, außerhalb der Familie über die familiäre Situation zu sprechen, einher. Dies kann zur Isolation des Kindes, zum Gefühl, mit seinen Ängsten und Sorgen allein zu sein, beitragen. Oftmals fehlt der Familie ein soziales Unterstützungsnetzwerk. Familienkonflikte und konflikthafte Beziehungen können zu den Belastungen ebenso beitragen wie Belastungen im familiären Alltag. Im Alltag werden vor allem die älteren Kinder häufig parentifiziert, müssen also elterliche Aufgaben in der Familie übernehmen. Dabei wird zwischen destruktiver und konstruktiver Paren­tifizierung unterschieden (Ohntrup, Pollak, Plass u. Wiegand-Grefe, 2011). Vor allem Ausmaß, Häufigkeit und Schwere der Übernahme elterlicher Verantwortung entscheiden darüber, ob eine erlebte Paren­tifizierung mit der Aktivierung von Ressourcen im Kind einhergeht und damit letztlich entwicklungsförderlich oder – im Fall von Überforderung – entwicklungshemmend ist. Bei den Gefühlslagen der Kinder sind vor allem eine Reihe von Ängsten und Verunsicherungen (hinsichtlich Trennung, Rezidivs der elterlichen Erkrankung und mit zunehmendem Alter eigener Erkrankungsgefährdung) zu nennen sowie das oft beschriebene Gefühl der Einsamkeit. 28

Familien mit chronischer Krankheit

Aus subjektiven Belastungen können Risiken für die Entwicklung eigener Erkrankungen werden (Wiegand-Grefe u. Petermann, 2016). Kinder und Jugendliche psychisch kranker Eltern weisen störungsübergreifend ein drei- bis zu siebenfach erhöhtes eigenes Erkrankungsrisiko gegenüber Kindern und Jugendlichen gesunder Eltern auf (Wiegand-Grefe, Geers, Plass, Petermann u. Riedesser, 2009). Betrachtet man von der Vielzahl beschriebener Risikofaktoren auf der Ebene der Kinder (z. B. Alter, Geschlecht, soziale Kompetenz, Temperament), der Eltern (Erkrankung, Beziehungen, soziales Umfeld, sozioökonomische, genetische und psychosoziale Faktoren) an dieser Stelle vor allem die familiären Risikofaktoren, so lässt sich Folgendes festhalten: Neben der individuellen Krankheitsbewältigung stellt auch die familiäre Krankheitsbewältigung einen Risikofaktor für die Kinder dar, wenn sie mit einer Tabuisierung der Erkrankung oder einem Verbot, über die Erkrankung zu sprechen, einhergeht. Die Tabuisierung der elterlichen psychischen Erkrankung geschieht entweder intuitiv oder die Kinder werden durch die Eltern aufgefordert, mit niemandem über die Erkrankung und ihre Auswirkungen auf das Familienleben zu sprechen. Somit nimmt die elterliche Erkrankung den Charakter eines geteilten Familiengeheimnisses an (Plass u. Wiegand-Grefe, 2012). Geheimnisse können das emotionale Klima von Familien tief greifend beeinflussen, ohne dass die Quelle dieses Einflusses bemerkt wird, weil das Thema auch innerhalb der Familie weitgehend tabuisiert, bagatellisiert oder nur vorsichtig umschrieben wird. Wagenblass (2001) zeigt in einer retrospektiven Befragung an jungen Erwachsenen, dass eine Tabuisierung der elterlichen Erkrankung Verunsicherung und Gefühle von Angst hervorruft. Die psychische Erkrankung von Eltern geht häufig auch mit einer Beeinträchtigung der Familiendynamik und der familiären Beziehungsgestaltung einher. Es finden sich problematische Eltern-KindBeziehungen oder Interaktionen, eine mangelnde Kommunikation in der Familie, ein fehlender Familienzusammenhalt sowie ein konfliktbehaftetes Familienklima. Diese Störungen in der Familien­dynamik führen dazu, dass Kinder oftmals nicht wissen, an wen sie sich mit Familien mit psychisch kranken Eltern

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ihren Problemen wenden und mit wem sie über ihre Probleme sprechen können. Scham- und Schuldgefühle verhindern, dass sich Kinder an Bezugspersonen außerhalb der Familie wenden, da dies als Verrat erlebt wird. Ein soziales Unterstützungssystem ist oft nicht vorhanden, viele der Familien sind weitgehend isoliert. Weitere familiäre Risikofaktoren sind Disharmonie der Eltern, Betreuung von einem alleinerziehenden Elternteil nach der Trennung oder Scheidung der Eltern sowie die Instabilität der familiären Lebensbedingungen (Plass u. Wiegand-Grefe, 2012). Oftmals findet sich in Familien eine Häufung von Risikofaktoren, die sich kumulieren und wechselseitig bedingen. Diese subjektive – am besten in qualitativen Studien zugängliche – Perspektive bietet wertvolle Ansatzpunkte, um bei der Entwicklung und Durchführung präventiver und therapeutischer Hilfsund Unterstützungsangebote die Bedürfnisse und den individuellen Unterstützungsbedarf der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu berücksichtigen. Bei der Entwicklung von Interventionsangeboten ist die Komplexität der Ausgangslagen der Familien zu beachten, sowohl in psychosozialer als auch in medizinischer Hinsicht. Interventionskonzepte sollten berücksichtigen, dass die Ausgangs­lagen der Kinder und Familien sehr unterschiedlich sind und sowohl Aspekte der Früherkennung und Behandlung als auch präventive Aspekte sinnvoll und notwendig sein können. Die Mehrzahl internationaler Fachkolleginnen und -kollegen hält daher familienorientierte Ansätze – wie sie in diesem Buch beschrieben werden – unter Berücksichtigung der Ausgangslage aller Familienangehörigen für besonders sinnvoll (Krumm, Becker u. Wiegand-Grefe, 2013). Manche Kinder sind bereits psychisch erkrankt, benötigen Behandlung und sind mit einem niederfrequenten Präventionsangebot nicht ausreichend versorgt; andere Kinder sind psychisch völlig gesund, können aber von einem Präventionsangebot, wie es beispielsweise eine sogenannte Auryn-Gruppe bietet (benannt nach dem Amulett in der »unendlichen Geschichte« von Michael Ende), gut profitieren. Ausgangspunkt jeder Intervention, gleichgültig, ob diese Intervention einen Präventions- oder eher einen therapeutischen Charakter hat 30

Familien mit chronischer Krankheit

(wobei die Grenzen fließend sein können), sollten daher eine fundierte Diagnostik und eine sorgfältige Indikationsstellung sein. Der von uns speziell für diese Familien entwickelte familienorientierte psychodynamische Interventionsansatz wird in Kapitel 5 beschrieben.

4.2  Familien mit einem chronisch kranken Kind Schwere chronisch körperliche Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen beeinflussen nicht nur das psychosoziale Wohlbefinden des betroffenen Kindes bzw. Jugendlichen selbst, sie wirken sich auf das alltägliche Leben aller Familienangehörigen aus. Besondere Anforderungen sind der tägliche Umgang mit der spezifischen Symptomatik, die bisweilen mit erheblichen Schmerzen verbunden sein kann. Dabei durchleben die Betroffenen oftmals wiederkehrende zeitlich intensive und körperlich unangenehme medizinische Therapien sowie eine ständige Krankheitsüberwachung. Das Krankheitsmanagement erfordert dabei meist einen hohen Grad an Unterstützung durch Eltern, Großeltern und auch die Geschwister. Zu den am schwersten betroffenen körperlich chronisch erkrankten Kindern und Jugendlichen gehören Kinder und Jugendliche in der Langzeitbeatmung. In Deutschland werden jedes Jahr 300 Kinder geboren, die aufgrund verschiedener Grunderkrankungen auf Beatmung angewiesen sind. Derzeit leben beispielsweise etwa 2.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland, die aufgrund respiratorischer Insuffizienz (Versagen der Atmungsaktion) dauerhaft auf Beatmungstherapie angewiesen sind und medizinisch betreut werden. Die zugrunde liegenden Krankheitsbilder der Kinder, die eine Langzeitbeatmung erforderlich machen, sind sehr komplex. Sie können entweder konnatal oder nach einem Trauma bzw. im Laufe des Fortschreitens einer Erkrankung zu Beeinträchtigungen der Atmung führen. Wegen der Heterogenität der Krankheitsbilder seien im Folgenden nur die wichtigsten Erkrankungen aufgezählt und in fünf Erkrankungsgruppen gegliedert (Grolle, 2010): Erstens führen neuroFamilien mit einem chronisch kranken Kind

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muskuläre Erkrankungen zu einer Langzeitbeatmung, wie spinale Muskelatrophien, Muskeldystrophien, myotone Dystrophie, andere Myopathien, u. a. Mitochondriopathien, hohe Querschnittssyndrome. Zweitens machen Thoraxdeformitäten eine Langzeitbeatmung erforderlich. Drittens zählen zentrale Atemregulationsstörungen zu den Ursachen einer Beatmung. Viertens ist bei Lungenparenchymerkrankungen, wie bronchopulmonale Dysplasie, Lungenhypoplasie, Mukoviszidose, eine Beatmung notwendig. Fünftens sind OSAS/Obesitas-Hyperventilationssyndrom und kraniofaziale Dysmorphien, ­Trisomie 21 und Speicherkrankheiten Ursache für eine Langzeitbeatmung. Zu den Grunderkrankungen, die sehr häufig eine Beatmungstherapie notwendig machen, gehören degenerative Muskelerkrankungen (Müller-Felber u. Schara, 2015). Die häufigste fortschreitende Muskelerkrankung im Kindes- und Jugendalter ist die Duchenne-­ Muskeldystrophie, die bei ca. 1:3.500 (überwiegend männlichen) Kindern auftritt. Mithilfe medizinisch-technischer Möglichkeiten kann die Lebenserwartung der Kinder und Jugendlichen stetig erhöht werden. Gleichzeitig wird die Rolle der Familien und Angehörigen für eine langfristige Betreuung dieser Kinder zunehmend wichtig. Während früher langzeitbeatmete Kinder üblicherweise in Kliniken betreut wurden, ist das heutzutage eine Ausnahme. Der Zuwachs an Verantwortung, Kompetenz und Versorgung führt zu höheren Anforderungen an die Familie. Mit einer höheren Lebenserwartung der Kinder gehen komplexere Anforderungen an die Familie einher. Infolge dieser komplexen Anforderungen führt eine schwere chronische Erkrankung eines Kindes oftmals zu erheblichen psychischen Belastungen für die ganze Familie sowie zu Beeinträchtigungen der Lebensqualität und psychischen Begleitsymptomen der betroffenen Kinder und ihrer Angehörigen (Waldman, Perlman u. Rader, 2010; Toly, Musil u. Carl, 2012). Eine Metaanalyse von Lavigne und Faier-Routman (1992) aus über achtzig Studien bei Kindern und Jugendlichen von drei bis 19 Jahren mit verschiedenen chronischen Erkrankungen weist ein erhöhtes 32

Familien mit chronischer Krankheit

Risiko für externalisierende und internalisierende Verhaltensstörungen sowie für Entwicklungsstörungen nach. Die langzeitige Abhängigkeit von medizinischen Geräten oder Hilfsmitteln kreiert für die Kinder und ihre Familien erhebliche Barrieren im sozialen Leben (Carnevale, Alexander, Rennick u. Troini, 2006). Die Mehrzahl der Kinder ist Studien zufolge unzufrieden mit diesen Barrieren, da sie sich infolgedessen als kein vollwertiges Mitglied in ihrem sozialen Umfeld fühlen (Heaton, Noyes, Sloper u. Shah, 2005a, 2005b). Chronisch erkrankte Kinder müssen sich mit drei Thematiken regelmäßig auseinandersetzen: »Can/Can’t«, »Normal/Different« und »I’m still a person!« (Sarvey, 2008, S. 179). Eltern langzeitbeatmeter Kinder benennen folgende Belastungen, die sie in ihrer Familie und der Umwelt erfahren: a) Sie tragen eine enorme Verantwortung für ihre Kinder, b) sie sehnen sich nach Normalität in ihrem Alltag, c) sie fühlen sich isoliert und d) sie sind von ihrem sozialen Umfeld (Nachbarschaft, Schule, Arbeitsstätte u. a.) enttäuscht, da die Gesellschaft das Leben ihres Kindes als nicht lebenswert einstuft. Im Ergebnis fühlen sie sich fremd wie »strangers in their own communities« (Carnevale et al., 2006, S. 49). Subjektiv und objektiv wahrgenommene Belastungen der Familien werden auch von Tsara, Serasli, Voutsas, Lazarides und Christaki (2006) erfragt. Als besonders tief greifende Belastungen werden Belastungen in sozialen Beziehungen (49 %), in der Organisation des Haushalts (43 %), in finanziellen Angelegenheiten (31 %) und in Arbeitnehmerangelegenheiten (29 %) angegeben. Zusätzlich wächst bei Eltern schwer chronisch erkrankter Kinder (z. B. Kinder in Langzeitbeatmung) die Sorge und die Unsicherheit über die Zukunft ihres Kindes (Quint, Chesterman, Crain, Winkleby u. Boyce, 1990). Psychische Beschwerden infolge der erheblichen Belastungen bei Eltern chronisch erkrankter Kinder zeigen sich vermehrt in den Bereichen Depression und Angst. Van Oers et al. (2014) weisen bei 689 Elternteilen chronisch erkrankter Kinder auf deutlich erhöhte Depressionssymptome hin. Mütter benennen darüber hinaus vermehrt Angstsymptome. Der prozentuale Anteil der Mütter, die sich bereits im klinischen Bereich Familien mit einem chronisch kranken Kind

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der Angst befinden, liegt bei über 30 % und im Bereich der Depressivität bei 23 %. Praktische Probleme im täglichen Leben und elterlicher Stress scheinen die stärksten Einflussfaktoren für Angst und Depressivität darzustellen. Nicht nur die Kinder selbst, sondern auch Eltern und Geschwister sind also erheblichen Belastungen und psychischen Begleitsymptomen ausgesetzt. Familienstudien und Metaanalysen befassen sich mittlerweile auch mit den spezifischen Anforderungen an die Geschwister (Sharpe u. Rossiter, 2002; Knecht, Hellmers u. Metzing, 2015). Lindahl und Lindblad (2011) beschreiben als Ergebnis ihrer Metasynthesis zwei zentrale Erfahrungen von Geschwistern langzeitbeatmeter Kinder: Erstens liegt der elterliche Fokus der Aufmerksamkeit selten auf ihnen – die Autoren formulieren es als »Living with a loss of parental attention« (S. 253). Oft wachsen sie in einem Lebensumfeld auf, das durch die Pflege und medizinische Versorgung des erkrankten Geschwisters geprägt ist. Häufig sind auch die Geschwister in pflegerische und technisch-medizinische Aufgaben eingespannt, übernehmen bereits in frühen Jahren Verantwortung für ihre kranken Geschwister und für gesamtfamiliäre Abläufe. Rollen und Aufgaben der Geschwister variieren zwischen Familien, wechseln und wachsen häufig mit steigendem Alter (Heaton et al., 2005a, 2005b). Oftmals unterstützen Geschwister zunächst bei einfachen Hausarbeiten und übernehmen mit zunehmendem Alter zusätzlich pflegerische Aufgaben, häufig auch zur Entlastung ihrer Eltern. Durch die enorme Verantwortung und die zeitlich intensive Unterstützungsleistung fühlen sich Geschwister in ihren außerfamiliären Aktivitäten oftmals zunehmend eingeschränkt (Morgenstern, Timmermann, Weitkamp u. Wiegand-Grefe, 2015). Studien zeigen, dass auch die Geschwister erhöhte Belastungen und psychische Begleitsymptome sowie eine eingeschränkte Lebensqualität aufweisen (Quittner et al., 2016; Limbers u. Skipper, 2014). Die Ergebnisse einer Metaanalyse deuten darauf hin, dass auch für die Geschwister das Risiko externalisierender und internalisierender Verhaltensstörungen erhöht ist (Vermaes, van Susante u. van Bakel, 2012). Geschwister von Kindern mit besonders schweren 34

Familien mit chronischer Krankheit

Erkrankungen und hohem Pflegeaufwand sowie lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen sind besonders gefährdet. Zudem benennen die Autoren eine geringere positive Selbstattribution bei den Schwestern und Brüdern, was auf ein geringeres Selbstwertgefühl der Geschwister schließen lassen kann. In der Literatur wird mittlerweile außer der medizinischen Versorgung daher eine psychosoziale Beratung und Begleitung der Familien empfohlen. Die S2-Leitlinie, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (Windisch et al., 2010), über »Nichtinvasive und invasive Beatmung als Therapie der chronischen respiratorischen Insuffizienz« beschäftigt sich auch mit der Situation der Kinder und fordert: »Pädiatrische Patienten unterscheiden sich […] in vielerlei Hinsicht von Erwachsenen und ihre Behandlung sollte […] in einem multidisziplinären Team […] erfolgen. Eine sichere und erfolgreiche außerklinische Beatmung muss das familiäre und häusliche Umfeld des Patienten berücksichtigen und durch medizinische, pflegerische und psychosoziale Unterstützungsangebote begleitet werden« (S. 231). Dabei ist die Lebensqualität der beatmeten Kinder und ihrer Familien von großer Bedeutung, um auch begleitenden psychischen Störungen präventiv und im Sinne von Früherkennung und Frühbehandlung zu begegnen. Die Studienlage zur psychosozialen Versorgung dieser Kinder und ihrer Familien ist jedoch bisher ausgesprochen rar. Eine speziell für diese belasteten Familien mit chronisch kranken oder langzeitbeatmeten Kindern entwickelte psychotherapeutisch-psychosoziale familienorientierte psychodynamische Intervention, die darauf abzielt, die psychische Gesundheit und gesundheitsbezogene Lebensqualität aller Familienangehörigen zu verbessern, wird in diesem Band vorgestellt.

Familien mit einem chronisch kranken Kind

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5 Klinische Konzepte in der Arbeit mit Familien mit schwerer chronischer Krankheit

Wenn ein Familienmitglied, sei es ein Kind oder ein Elternteil, schwer erkrankt, sei es an einer körperlichen oder psychischen Erkrankung, ist oftmals die gesamte Familie betroffen. In Familien, in denen ein oder beide Elternteile psychisch oder körperlich krank oder aus anderen Gründen in ihrer Elternrolle nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen, sind alle Angehörigen, die Partner und die Kinder, in hohem Maße belastet und müssen eine Reihe von Kompensationen leisten, Bewältigungsstrategien entwickeln, die Kinder oftmals Elternrollen übernehmen. Eltern und Geschwister, die ein chronisch schwer krankes Kind begleiten, pflegen, unterstützen, sind ebenfalls oftmals hoch belastet, müssen sich von Lebensplänen und Zukunftsvisionen für ihre Kinder oder sich selbst verabschieden, Schuldgefühle bewältigen, erheblichen Aufwand um die Pflege und das Krankenmanagement des kranken Kindes leisten. Geschwister müssen lernen, dass sie den Eltern ebenso wichtig sind, auch wenn sich deren Aufmerksamkeit und Ressourcen häufiger auf das kranke Kind richten (müssen). In der Hamburger Forschungsgruppe haben wir es uns zum Ziel gemacht, für Familien, die durch schwere chronische Krankheit belastete sind, innovative psychodynamische Familieninterventionskonzepte zu entwickeln, zu evaluieren und in der Versorgungsrealität zu implementieren. Zwei Beispiele unserer psychodynamischen Familieninterventionskonzepte werden im Folgenden vorgestellt.

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5.1 Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs für Familien mit psychisch kranken Eltern Ein psychodynamisches Interventionsprogramm, welches diese eingangs genannten Anforderungen umsetzt, sich an die ganze Familie richtet und eine Diagnostik für die ganze Familie enthält, ist CHIMPs (Children of mentally ill parents – Kinder psychisch kranker Eltern; Wiegand-Grefe, Halverscheid u. Plass, 2011). Diese spezielle ambulante Familienintervention richtet sich an Familien, in denen ein Elternteil oder beide psychisch erkrankt sind, mit mindestens einem minderjährigen Kind ab drei Jahren bis ins junge Erwachsenenalter. Es werden auch alleinerziehende Mütter und Väter beraten, die selbst psychisch erkrankt sind oder einen psychisch erkrankten Partner haben, der nicht an der Intervention teilnehmen kann oder möchte. Auch Bezugspersonen, die nicht mit den Kindern verwandt sind, können grundsätzlich mit einbezogen werden. Bei den verschiedensten Konstellationen des familiären Zusammenlebens kann eine Intervention sinnvoll sein, wenn es darum geht, den Umgang mit einer psychischen Erkrankung in der Familie im weitesten Sinne (auch in Patchwork-, Stief-, Pflegefamilien) unter Einbeziehung der Kinder zu bearbeiten. Die Inanspruchnahme von ambulanten Beratungsangeboten erfordert jedoch ein gewisses Maß an psychischer Stabilität und Belastbarkeit. Kontraindikationen für die Teilnahme von Familien ergeben sich daher bei akuten psychiatrischen Zuständen einzelner Personen, wie einer floriden Psychose, akuter Suizidalität, dissoziativen Zuständen, akutem Substanzmissbrauch und psychischen Erkrankungen mit einer gegenwärtigen Erkrankungsschwere, die eine stationäre akute Behandlung notwendig erscheinen lässt. Es geht darum, die Doppelbelastung einer psychischen Erkrankung und einer gleichzeitigen Elternrolle in Einklang zu bringen, die Erziehungskompetenzen eines Erwachsenen in der Elternfunktion zu stärken, wenn dieser selbst oder sein (ehemaliger) Partner psychisch erkrankt ist. Das klinische Konzept ist in einem Manual ausführDie psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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lich und fallorientiert beschrieben, sodass die Anwendbarkeit in der Breite der Versorgung ermöglicht ist (Wiegand-Grefe et al., 2011). Die psychischen Erkrankungen der elterlichen Patienten umfassen dabei eine große Bandbreite aller Diagnosegruppen, wie Suchterkrankungen, schizophrene Erkrankungen, affektive Erkrankungen, Angst-, Zwangs- und andere neurotische Erkrankungen sowie Persönlichkeitsstörungen. Eine Indikation für die Familienintervention CHIMPs besteht also dann, wenn in einer Familie mit mindestens einem Kind von drei bis 21 Jahren ein Elternteil psychisch erkrankt ist. Geschwisterkinder außerhalb dieses Altersspektrums werden je nach Wunsch und Absprache mit den Familien in den Beratungsprozess einbezogen. Ziel ist es, bereits auffällige Kinder im Sinne einer Früherkennung und Frühbehandlung einer Intervention zuzuführen und bei gesunden betroffenen Kindern und Jugendlichen einer möglichen Erkrankung durch eine frühzeitige Intervention vorzubeugen. Der psychodynamischen Vorgehensweise verbunden, ist der Ansatz krankheitsunspezifisch und diagnoseübergreifend konzipiert. Die CHIMPs-Beratung ist also eine diagnoseübergreifende psychodynamische Familienintervention, konzipiert für Familien mit Kindern und Jugendlichen einer breiten Altersgruppe, die eine mehrgenerationale Perspektive berücksichtigt. Die theoretische Grundlage der CHIMPs-Intervention bildet das »Modell für psychische Gesundheit für Kinder psychisch kranker Eltern« (Wiegand-Grefe et al., 2011). Das Modell wurde auf der Grundlage der Arbeiten von Mattejat und Kollegen entwickelt (Mattejat, Wüthrich u. Remschmidt, 2000). Im Zentrum dieses Modells und damit im Fokus der Interventionen stehen drei wesentliche Komponenten als Einflussfaktoren für die Entwicklung von Kindern in Familien mit psychisch kranken Eltern: erstens die Art und Angemessenheit der Krankheitsbewältigung, zweitens der Umfang und die Qualität der innerfamiliären und außerfamiliären Beziehungen und drittens der sozialen Unterstützung auf dem Hintergrund der Paar- und Familiendynamik. Beide erstgenannten Konstrukte stehen mit der Familiendynamik und -funktionalität in Wechselwir38

Klinische Konzepte in der Arbeit mit Familien

kung. Bei der Frage, ob und wie Kinder eine psychische Erkrankung ihrer Eltern bewältigen können, spielen diese Faktoren eine entscheidende Rolle. Die Paar- und Familiendynamik als Grundlage unserer Intervention lässt sich aus der angewandten psychoanalytischen Familientherapie als Anwendungsform der Psychoanalyse verstehen. Der psychodynamische Ansatz unserer klinischen Arbeit bildet sich vor allem in einer psychoanalytischen Haltung und im psychoanalytischen Verstehen der zentralen inhaltlichen Themenbereiche ab (Krankheitsbewältigung, Beziehungsthemen und Paar- und Familiendynamik). Aber auch in den Interventionen wird überwiegend psychodynamisch mit klärenden, deutenden und konfrontierenden Interventionen gearbeitet. Bei Indikation finden aber zusätzlich auch psychoedukative Interventionen Anwendung, beispielsweise bei Fragen der Familienmitglieder zur Erkrankung und deren Behandlung oder zur Aufklärung der Kinder. Bei Fragen zu persönlichen Bereichen der Therapeuten dagegen (»Wohin fahren Sie denn in den Urlaub?« »Haben Sie selbst Kinder?«) wird eher neutral interveniert. Dieser Abstinenz und Neutralität liegt die psychodynamische Konzeption zugrunde, dass der Behandlungsprozess fruchtbarer und für alle Beteiligten inhaltlich weiterführender ist, wenn nicht die Frage beantwortet wird (und damit kein Thema mehr ist), sondern deren zugrunde liegenden Motivationen, Ideen und Phantasien verstanden werden. Wie in der Arbeit im Einzelsetting auch ist der Anteil klassisch psychodynamischer Interventionen vom Strukturniveau der Familie abhängig. Familien mit einer größeren strukturellen Beeinträchtigung benötigen eher interaktionelle, aktivere Interventionen. Neben diesem Theoriemodell orientieren wir uns bei der Entwicklung der CHIMPs-Beratung an den Arbeiten von William Beardslee, einem Wegbereiter auf dem Gebiet der Forschung mit Familien mit depressiv erkrankten Eltern (Beardslee, 2003, 2009; Wiegand-Grefe et al., 2011). Beardslees Annahme, dass die Informationen über die elterliche Erkrankung mit individuellen Aspekten der Familiengeschichte in Verbindung gebracht werden müssen, um zu einer langfristigen Verbesserung der familiären Situation zu führen, bildet einen Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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zentralen Aspekt der CHIMPs-Intervention. In der CHIMPs-Intervention wird die aktuelle Situation auf dem Hintergrund der mehrgenerationalen Familiengeschichte verstanden. Übergeordnete Ziele der CHIMPs-Intervention sind die Unterstützung von betroffenen Familien im Alltag sowie eine gesunde Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen und ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität sind daher zentral. Darüber hinaus können die konkreten Einzelziele, je nach individueller Familiensituation, unterschiedlich sein. Die Inhalte und Einzelziele orientieren sich am beschriebenen Modell. Im Fokus stehen dabei die Verbesserung der familiären Krankheitsbewältigung (u. a. Gespräch mit den Eltern und Kindern über die Erkrankung, bei Bedarf eine altersgerechte Aufklärung der Kinder über die Krankheit, Stärkung der Bewältigungsmöglichkeit im Umgang mit der Erkrankung, Inanspruchnahme von Hilfsangeboten), der Beziehungen (u. a. Reflexion der inner- und außerfamiliären Beziehungen, Erweiterung der sozialen Unterstützungsnetzwerke für die Familie mit dem Fokus von kompensierenden Beziehungserfahrungen des Kindes) und der Paar- und Familiendynamik (u. a. Verknüpfung von Informationen zur Erkrankung mit lebens- und familiengeschichtlichen Erfahrungen, Einführung einer mehrgenerationalen Perspektive) (Wiegand-Grefe et al., 2011). Im aktuellen Geschehen steht oft auch die Besprechung von bedeutsamen konfliktaktualisierenden Ereignissen für die Familie auf der Tagesordnung, wie Klinikaufenthalte, Stellenverluste oder Wohnungswechsel. Es kann hilfreich sein, den Eltern ein Gespräch über die Stärken und Schwächen des Kindes sowie über Fördermöglichkeiten im Bedarfsfall anzubieten. In diesem Zusammenhang erweist sich auch eine umfassende Psychodiagnostik der Kinder als hilfreich, durch die Auffälligkeiten und daraus resultierende ungünstige Entwicklungsverläufe frühzeitig erkannt, thematisiert und behandelt werden können. Schließlich stehen bei Bedarf eine Vermittlung in weitergehende Unterstützungsangebote für die Familie und eine Erhöhung der Motivation zu deren Nutzung im Fokus. Dafür ist eine ausführliche Diagnostik aller Familienmitglieder unerläss40

Klinische Konzepte in der Arbeit mit Familien

lich. Insgesamt wird die der Erkrankung zugrunde liegende Paar- und Familiendynamik zumindest ansatzweise aus einer psychodynamischen, mehrgenerationalen Perspektive verstanden und reflektiert. 5.1.1  Reflexion der Paar- und Familiendynamik Schon während der ersten Kontaktmomente mit dem Paar und während des Gespräches über die Erkrankung und den Umgang des Paares damit wird sich gleichzeitig die Beziehungsdynamik des Paares inszenieren. Dies wird im Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen wahrgenommen, reflektiert und – sofern möglich und sinnvoll – im Verlauf angesprochen. Die Paar- und Familiendynamik bildet sich gleichsam einer Hintergrundfolie, vor der sich das Gesagte im Vordergrund abspielt, während des gesamten Gespräches ab. Sie fließt gleichermaßen in die Krankheitsbewältigung und die Beziehungsgestaltung ein. Wenn ein Patient oder ein Paar beispielsweise die Erkrankung oder deren Konsequenzen verleugnen und abwehren muss, so lässt sich dies auf dem Hintergrund der individuellen Psychodynamik und der elterlichen Paar- und Familiendynamik besser verstehen. Wenn die Beziehungen in der Familie konflikthaft sind und der Umgang des Paares miteinander von offenen oder latenten Aggressionen geprägt ist, so lässt sich auch dies psychodynamisch mithilfe der Paar- und Familiendynamik besser verstehen. Die Wahrnehmung der Paar- und Familiendynamik sollte zunächst diagnostischen Zwecken dienen, kann aber im Verlauf des Prozesses auf der Grundlage einer gewachsenen therapeutischen Arbeits­ beziehung und eines Arbeitsbündnisses auch besprochen werden. Auf diese Weise können unbewusste Konflikte oder Affekte, beispielsweise Aggressionen, bewusster und dadurch der Bearbeitung und Behandlung zugänglicher werden. Während sich die Krankheitsbewältigung und die Qualität der Beziehungen auf einer bewussten oder weitgehend bewusstseinsnahen und für Außenstehende beobachtbaren Dimension abspielt, ist die Paar- und Familiendynamik weitgehend unbewusster Natur und kann durch die beobachteten verbalen und nonverbalen Interaktionen im therapeutischen Prozess verstanden werden. Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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5.1.2  Krankheitsbewältigung im Gespräch Die Krankheitsbewältigung steht von Beginn an im Zentrum der Gespräche. Eine gelungene individuelle und familiäre Krankheitsbewältigung in den betroffenen Familien wird als wichtig erachtet, weil sie es ermöglicht, mit Krisen und erneuten Krankheitsphasen besser, entspannter und situationsadäquater umzugehen. Das kann bedeuten, sich beispielsweise im Fall erneuter Krankheitsphasen frühzeitig in Behandlung zu begeben. Möglicherweisen können Krisen dadurch vermieden oder in ihrem Ausmaß verringert werden. Auch der Blick für die Probleme und die Situation der Kinder wird erst möglich, wenn Patienten und ihre Partner die eigene Erkrankung als Konfliktherd und als erhöhtes Risiko für eheliche und familiäre Krisen verstehen und akzeptieren können. 5.1.3  Inner- und außerfamiliäre Beziehungen im Fokus Die Beziehungen in den Familien psychisch kranker Eltern sind oft konflikthaft, brüchig und instabil. Regelmäßige und zeitweilige Trennungen durch Krankenhaus- oder Klinikaufenthalte sind an der Tagesordnung. Verständnisvolle, mitfühlende, gleichzeitig für eine Klärung im Konfliktfall offene Beziehungen ermöglichen es hingegen, mit einer Krisensituation, wie sie eine psychische Erkrankung mit sich bringen kann, adäquater umzugehen. In vielen Familien ist es jedoch nicht zuletzt aufgrund der zusätzlichen Belastungen durch die elterliche Erkrankung bereits zu einer Trennung der Eltern gekommen. Die ständige oder zeitweilige Abwesenheit einer elterlichen Bezugsperson ist für ein Kind besser zu bewältigen, wenn es kompensierende Beziehungen mit anderen vertrauten Bezugspersonen gibt. Dies können Großeltern oder andere Angehörige der Familie, aber auch befreundete Nachbarn oder Freunde der Familie sein. Kann sich das Kind an andere Bezugsperson wenden, wenn die Eltern nicht verfügbar sind, so können negative Konsequenzen für das Kind abgemildert oder gänzlich verhindert werden. Daher ist es neben der Krankheits­bewältigung ein wesentliches Ziel in den Beratungsgesprächen, zur Reflexion und Klärung der Beziehungen innerhalb der Familie und nach außen beizutragen, 42

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diese Reflexion anzuregen und Beziehungskonflikte ansatzweise zu bearbeiten. Im Bedarfsfall sollte gemeinsam nach Möglichkeiten weiterer Bezugspersonen für das Kind gesucht werden. 5.1.4  Diagnostik als Bestandteil des Konzeptes Eine Anregung für die Intervention kommt häufig von niedergelassenen Fachkollegen und -kolleginnen oder Ämtern, die mit betroffenen Familien zusammenarbeiten. Die Initiative, den Beratungsprozess einzuleiten, kann dabei sowohl vom erkrankten als auch vom gesunden Elternteil ergriffen werden. Grundsätzlich können auch die betroffenen Kinder ab einem gewissen Alter den Beratungsprozess initiieren. Gelegentlich ergeben sich Beratungskontakte, in denen sich zunächst der gesunde Elternteil aus Sorge um die Kinder an das Interventionsteam wendet. Ziel ist es jedoch, den psychisch erkrankten Elternteil bzw. den anderen Partner in die Beratungsgespräche mit einzubeziehen. Häufig stehen bei dem Wunsch nach einer Vorstellung der Familie Fragen zur Gesundheit eines Kindes als Vorstellungsanlass im Vordergrund. Viele Eltern mit einer psychischen Erkrankung zeigen sich besorgt über die psychische Gesundheit ihrer Kinder. Einige befürchten, dass krisenhafte Situationen von den Kindern nicht angemessen bewältigt werden können, andere sorgen sich um eine genetische Prädisposition der Kinder, die die Entwicklung einer psychischen Erkrankung begünstigen könnte. Nicht immer wird diese schwer auszusprechende Sorge in den Erstgesprächen von den Eltern thematisiert. Angesichts der erhöhten erblichen und psychosozialen Risikofaktoren halten wir eine umfassende Psychodiagnostik neben den Einzel-, Paar- und Familiengesprächen als wesentlichen Bestandteil des Beratungskonzeptes für sinnvoll. Ziel ist es dabei, ungünstigen Entwicklungsverläufen möglichst frühzeitig entgegenzuwirken. So ermöglicht es die Kombination aus freien und diagnostisch-­teilstrukturierten Gesprächen, eventuell bestehende Auffälligkeiten vor dem biografischen Hintergrund der Familienmitglieder zu verstehen, um diese im Beratungssetting zu thematisieren und gezielt weiterführende Hilfsund Unterstützungsmaßnahmen etablieren zu können. Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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5.1.5  Die Struktur der Intervention Die etwa sechs bis acht Sitzungen finden über einen Zeitraum von etwa sechs Monaten statt. Die ambulante Intervention gliedert sich in drei Phasen: Nach einem Vorgespräch mit der Familie finden zwei Elterngespräche, ein Kindergespräch mit jedem Kind und drei Familiengespräche statt. Im Vorgespräch erfolgt zur Klärung des Bezugsrahmens eine Skizzierung der Struktur der Intervention (Paargespräche, Kindergespräche, strukturierte Diagnostik und Familiengespräche). Dabei besteht die Möglichkeit, sowohl auf Ängste und Befürchtungen hinsichtlich der anstehenden Gespräche mit den Kindern als auch der Familiengespräche einzugehen. Sofern es zu diesem Zeitpunkt schon ein Anliegen der Familie bezüglich der Intervention gibt, sollte es erfragt werden. Im Vorgespräch werden auch die Zielsetzung, die Erwartungen und die Wünsche der Eltern an die Interventionsgespräche thematisiert. In den beiden Elterngesprächen geht es um die familiäre Lebenssituation, die Erkrankung und Krankheitsbewältigung auf der Paarund Familienebene, die Kommunikation über die Erkrankung, den elterlichen Umgang mit der Erkrankung und um die Beziehungen der Eltern, die Eltern-Kind-Beziehungen und das soziale Netzwerk der Familie. Außerdem stehen die Kinder im Fokus der Elterngespräche (ihre Lebenssituation, Stärken, Schwächen, Ressourcen u. a.). Nach den Elterngesprächen wird mit jedem Kind der Familie ab drei Jahren mindestens ein Einzelgespräch geführt. Um bei mehreren Geschwistern jedem Kind gleiche Gesprächsmöglichkeiten zu eröffnen, werden die Kinder einzeln gesehen. Im Fokus dieser Kindergespräche steht die Erfassung der familiären Situation aus Kindersicht. Dabei wird auf die individuellen und familiären Möglichkeiten zur Krankheitsbewältigung, die subjektiven Krankheitstheorien des Kindes und die familiären Beziehungen Bezug genommen. Neben den Kindergesprächen können (sofern die Ressourcen dafür vorhanden sind) teilstrukturierte diagnostische Interviews durchgeführt werden, um eventuell bestehende psychische Beeinträchtigungen und Erkrankungen aller Familienmitglieder standardisiert zu erheben. 44

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Den Abschluss der Beratung bilden drei Familiengespräche, in denen Verlauf und Themen der Einzelgespräche noch einmal gemeinsam reflektiert werden, um zu überlegen, wie alle Familienmitglieder die besondere Situation bewältigen und möglichst gut miteinander umgehen können. Das gesamtfamiliäre Setting ermöglicht es, die hierbei sichtbar und spürbar werdende Familiendynamik zu verstehen. Außerdem kann die Familie in einem geschützten Rahmen neue, offene Kommunikationsformen erleben, die später zumindest in Ansätzen in den familiären Alltag übernommen werden können. In die Familiengespräche werden alle wesentlichen Themen integriert, die ursprünglich Vorstellungsanlass waren oder sich im Laufe des Interventionsprozesses ergeben haben. Die einzelnen Sitzungen sind semistrukturiert. Es existiert ein Leitfaden für die Gesprächsinhalte, der bei Bedarf und Anwendung des Manuals genutzt werden kann. Für eine ausführlichere Beschreibung des Beratungsablaufs sei an dieser Stelle noch einmal auf das Manual (Wiegand-Grefe et al., 2011) verwiesen. Die Elterngespräche In den ersten beiden Elterngesprächen machen sich die Beratenden ein Bild über die Erkrankung und die Krankheitsbewältigung, die Kommunikation und Information über die Erkrankung und den elterlichen Umgang mit der Erkrankung in der Familie. Außerdem entsteht ein Bild über die Paarbeziehung, die Kinder und die Beziehungen zu den Kindern, die eigenen Eltern und anderen Bezugspersonen der Familie sowie die familiäre Lebenssituation. Dieses Bild wird als Ausgangspunkt für die Familienintervention genutzt. Das erste Paargespräch hat neben der Kontaktaufnahme und der Klärung des Beratungsrahmens zum Ziel, die bestehende Erkrankung im psychosozialen Kontext zu erfassen. Dazu zählt, Art und Ausmaß der elterlichen Erkrankung zu erfahren und die Entstehung der vorhandenen Symptome vor dem Hintergrund der Biografie ansatzweise nachzuvollziehen. Dabei ist nicht nur ein Erfragen der Symptomatik und der Krankheitsgeschichte gemeint, sondern es geht darum, mögDie psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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lichst viele Aspekte und Dimensionen der Erkrankung in ihrem Kontext zu verstehen. Unsere Vorgehensweise ist dabei an der psychoanalytischen Haltung orientiert, die offen ist gegenüber allem, was von den Familien berichtet wird (z. B. in welcher Art und Weise, mit welchen Worten und Gefühlen die Situationen geschildert werden), aber auch, was erstaunlicherweise nicht Gegenstand der Schilderungen ist. Gleichermaßen werden die Affekte, Ideen und Phantasien, die sich beim Zuhörer einstellen, wahrgenommen und reflektiert. Es geht also um ein möglichst komplexes Erfassen der Situation. Inhaltlich steht von Beginn des ersten Elterngespräches an die Krankheitsbewältigung im Zentrum. Es wird erfragt, wie das Befinden des erkrankten Elternteils momentan ist, und die Erkrankungsgeschichte wird in Ansätzen beleuchtet, beispielsweise wird an einen früheren stationären Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik angeknüpft. Es geht darum, die Folgen der Erkrankung und die bisherigen Versuche der Krankheitsbewältigung auf der individuellen und der familiären Ebene zu erfassen, um einen Eindruck zu erhalten, ob die bisherigen Versuche der Krankheitsbewältigung angemessen und adäquat erscheinen. Möglicherweise können diese bei Bedarf Ansatzpunkte für Interventionen sein. Gleichzeitig wird besprochen, welche Auswirkungen die Erkrankung auf den Partner hat. Es wird thematisiert, ob das Paar miteinander über die Erkrankung spricht, inwiefern das Gespräch offen und transparent ist oder ob es zum Thema der Erkrankung »Familiengeheimnisse« gibt. Weniger gelungene Bewältigungsversuche können bearbeitet werden. Ein wichtiges Thema wird dabei sein, ob die Kinder aufgeklärt sind, was sie über die Erkrankung wissen und wie sie aus Sicht der Eltern damit zurechtkommen. Sachliche Fragen der Eltern zu diesem Thema werden beantwortet. Eine Einstiegsfrage in diesen Themenbereich der Krankheitsbewältigung kann sein: »Bitte schildern Sie uns Ihren Umgang mit der Erkrankung in der Familie.« Gleichzeitig stehen zu Beginn des Interventionsprozesses in den ersten Gesprächen mit den Eltern auch das Wahrnehmen der Funktionalität und der Qualität der Elternbeziehung und ein Verständnis 46

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der Paardynamik im Fokus der klinischen Arbeit. Auf eine Verbesserung der Paarbeziehung kann die Intervention bei Bedarf abzielen. Zum Verständnis der Paardynamik kann beispielsweise erfragt werden, wie sich die Partner kennengelernt haben, was sie aneinander fasziniert hat. Im Verlauf der Intervention bewusster gewordene eheliche bzw. partnerschaftliche Konflikte können  – wenn möglich – direkt und offen besprochen und bearbeitet werden. Sofern eine Konfliktdynamik des Paares eine ambulante Paartherapie indiziert erscheinen lässt, wird diese so früh wie möglich, schon während dieser ersten Gespräche, angeregt. Es können auch konkrete Hilfen und Unterstützung bei der Umsetzung gegeben werden. Wichtige Ansatzpunkte einer hohen Qualität der elterlichen Beziehung sind ein offener Umgang mit der Erkrankung, der einen Austausch über das eigene Wohlbefinden und ambivalente Gefühle ermöglicht, um Verständnis füreinander zu schaffen und die Beziehung zu stärken. Im Gespräch geht es neben der partnerschaftlichen Beziehung auch um die früheren und aktuellen Beziehungen zu anderen Familienmitgliedern, vor allem zu den eigenen Eltern und der Herkunftsfamilie (Großeltern der Kinder). Es wird erfragt, aus welchen Herkunftsfamilien beide Elternteile stammen, und Überlegungen zur Paardynamik werden angestellt. Fragen wie »Mögen Sie uns erzählen, wie Sie selbst aufgewachsen sind?« dienen als Einleitung in diesen Themenblock. Des Weiteren geht es darum, die Qualität der Beziehungen im sozialen familiären Umfeld, zu Nachbarn, Freunden und Bekannten zu erfahren. Im Fokus steht hierbei, eine möglicherweise bestehende Isolation des Paares und der Familie zu erkennen und gegebenenfalls zu bearbeiten. Das Thema der Isolation hat sich insbesondere als wichtig erwiesen, um abzuklären, inwieweit dem Kind kompensierende Beziehungserfahrungen zur Verfügung stehen, wenn die Eltern krankheitsbedingt abwesend sind. Das zweite Paargespräch dient zunächst dazu, Fragen und Probleme anzusprechen, die bisher offengeblieben sind. Themen, die im Nachklang des ersten Gespräches die Eltern noch weiter beschäftigten, können vertieft werden. In der Regel beginnt das Gespräch Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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mit diesen oder ähnlichen Sätzen: »Wie ging es Ihnen nach dem letzten Gespräch?«, »Ist noch etwas offengeblieben?«, »Hat Sie ein Thema noch weiter beschäftigt?«, »Ist Ihnen etwas aus dem ersten Gespräch besonders in Erinnerung geblieben?«. Im zweiten Paargespräch können die angesprochenen Themen vertieft oder bisher noch offengebliebene Fragen angesprochen werden. Ein wesentliches Thema im zweiten Termin mit dem Paar ist die Beziehung der Eltern zu den Kindern. »Welche Stärken, welche Schwächen hat jedes Kind?«, »Gibt es ein Sorgenkind?« sind die typischen Fragen dieser Beratungsphase. Die Einschätzung der Eltern ihrer Kinder, ihrer Lebenssituation, Sorgen, Schwächen und Probleme, aber auch ihrer Stärken, Ressourcen und Fähigkeiten werden besprochen. Inhaltlich geht es um die Klärung der Eltern-Kind-Beziehungen aus Elternsicht. Manchmal werden auch Fragen der Eltern zum Umgang mit der Erkrankung gegenüber den Kindern besprochen. In der Regel stehen in einem der beiden Elterngespräche das Paar, deren Erkrankungen und Krankheitsbewältigung sowie die Beziehungsgeschichte des Paares und die Beziehungen zur Herkunftsfamilie im Vordergrund. Im zweiten Elterngespräch geht es schwerpunktmäßig um die Kinder. Bei getrennt lebenden oder geschiedenen Elternteilen wird, sofern möglich, auch der leibliche Vater des Kindes in die Eltern­ gespräche einbezogen. Die Kindergespräche Ziel des Erstgesprächs mit dem Kind sollte die Erfassung der familiären Situation aus Sicht des Kindes unter besonderer Berücksichtigung der individuellen und familiären Krankheitsbewältigung sowie der familiären und außerfamiliären Beziehungsstrukturen sein. Meist ist auch eine erste diagnostische Einschätzung möglich. Mit jedem Kind der Familie (in der Regel ab drei Jahren) wird mindestens ein Einzelgespräch geführt, das möglichst mit dem Kind allein ohne Anwesenheit der Eltern stattfinden sollte. Dies gelingt meist dann gut, wenn in den Elterngesprächen ein vertrauensvolles Arbeitsbündnis entstanden ist, das es den Eltern erlaubt, ihre Kinder 48

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mit der Therapeutin oder dem Therapeuten allein sprechen zu lassen. Im Einzelgespräch ist der Loyalitätskonflikt abgemildert, in dem sich die Kinder befinden, wenn sie über ihre familiäre Situation berichten. Die Kinder können sich häufig freier äußern als in Anwesenheit der Eltern. Die Gefühle der Kinder, beispielsweise Ängste, dass dem erkrankten Elternteil etwas zustoßen könnte, an die Eltern gerichtete Wünsche und auch ihre Wut auf die Eltern, weil sie nicht in dem Maße zur Verfügung stehen, wie es sich die Kinder und Jugendlichen wünschen, können in Abwesenheit der Eltern leichter ausgesprochen werden. Gelegentlich äußern Eltern in der Vorbereitung auf das Gespräch mit dem Kind, dass es dem Kind schwerfallen werde, sich zu trennen. Oft kommen diese Kinder initial in Begleitung eines Elternteils in das Therapiezimmer. Diese Konstellation erfordert eine akzeptierende und gewährende Haltung, die dem Kind meist ermöglicht, den Elternteil nach einer kurzen Phase gehen zu lassen. Häufig sind Befürchtungen der Eltern der Hintergrund für diese Trennungsschwierigkeiten der Kinder. Die Befürchtungen können sich beispielsweise darauf beziehen, das Kind mit einem Einzelgespräch zu überfordern, oder – meist unbewusst – auf Inhalte, die das Kind preisgeben könnte. Das Einzelgespräch mit einem Kind verläuft in Abhängigkeit vom Alter des Kindes unterschiedlich. Bei Kindern im Vorschulalter steht zumeist das Spiel im Vordergrund. Wir haben in dieser Altersgruppe gute Erfahrungen mit dem »Kritzelspiel« (das Squiggle-Spiel; ­Winnicott, 1971) gemacht. Für jüngere Kinder ist diese Methode sehr gut geeignet, um in einen lebendigen Dialog einzutreten. Bei älteren Kindern nimmt der sprachliche Dialog zunehmend Raum ein, sodass Spiel und gemeinsames Zeichnen in den Hintergrund treten. Mit Jugendlichen ähneln die Gesprächsführung und Themenauswahl weitgehend dem Vorgehen bei Erwachsenen. Für die Gesprächsführung sind weniger das tatsächliche Alter als vielmehr der Entwicklungsstand des Kindes sowie seine geäußerten Interessen ausschlaggebend. Am Beginn des Gesprächs steht die Frage, inwiefern das Kind von den Eltern über die Familienintervention informiert worden ist Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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bzw. welche eigenen Fragen dazu existieren. Das Gespräch kann mit der Frage eingeleitet werden: »Weißt du, warum du heute hier bist?« Daran schließt sich gegebenenfalls eine altersangepasste Aufklärung über den Beratungsrahmen an. Beispielsweise: »Deine Eltern sind schon hier gewesen, um mit uns darüber zu sprechen, wie im Moment die Situation der Familie ist und welche Schwierigkeiten es gibt. Da ich weiß, dass Eltern und Kinder oft eine ganz unterschiedliche Einschätzung haben, interessiert es mich heute, zu erfahren, wie du die Situation eurer Familie siehst.« Die Antwort des Kindes auf die Frage nach dem Beratungsrahmen liefert bereits Hinweise darauf, wie in der Familie mit dem Thema der Erkrankung des Elternteils umgegangen wird. Die Form der Krankheitsbewältigung findet häufig einen Ausdruck in den Worten, mit denen die elterliche Erkrankung benannt wird. Manchmal kündigen Eltern schon vor dem Gespräch mit dem Kind an, dass es von der psychischen Erkrankung des Elternteils noch nichts wisse, man habe ihm anlässlich des Krankenhausaufenthalts gesagt, der Elternteil mache zum Beispiel eine Kur. Da es nicht das Ziel dieses Gespräches ist, das Kind über die Erkrankung des Elternteils in Abwesenheit der Eltern aufzuklären, wird die Sprachregelung, die in der Familie gefunden worden ist, im Gespräch mit dem Kind aufgenommen. Wenn sich Eltern im Verlauf der Beratung eine weitergehende Aufklärung des Kindes über die Erkrankung wünschen, werden sie dabei unterstützt, ihre Kinder selbst aufzuklären. Dies findet gegebenenfalls in einem der Familiengespräche statt. Der Umgang mit der Erkrankung in der Familie spielt eine wichtige Rolle dabei, wie Kinder die elterliche Erkrankung bewältigen können. Wird in der Familie über die Erkrankung und die damit einhergehenden Gefühle gesprochen, erscheint die Erkrankung meist weniger bedrohlich. Ist sie hingegen ein Tabuthema, das hintergründig immer eine Rolle spielt, aber nicht angesprochen werden kann, bleibt das Kind mit seinen Ängsten und Sorgen allein. Im Weiteren geht es darum, wie das Kind die Erkrankung des Elternteils bis zu diesem Zeitpunkt erlebt hat. Je nach Alter und Entwicklungsstand äußern Kinder sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die 50

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Erkrankung entstanden ist und welche Gründe sie hat. Bei diesen subjektiven Krankheitstheorien ist es wichtig, aufmerksam dafür zu sein, ob das Kind Schuldgefühle entwickelt hat und glaubt, die Erkrankung verursacht zu haben. Schuldgefühle sind in allen Altersgruppen häufig und können dem psychodynamischen Mechanismus einer Umkehr vom Passiven ins Aktive entsprechen: Ein nicht zu beeinflussendes Geschehen ist beängstigender als ein Geschehen, für das man die Schuld trägt, da man meint, es selbst herbeigeführt zu haben. Solche Schuldgefühle gilt es zu bemerken und in dem Sinne zu thematisieren, dass das Kind die Erkrankung nicht verursacht hat. Bei der Bearbeitung von Schuldgefühlen ist es wichtig, ihnen zunächst Raum zu geben und sie anzuerkennen. Im weiteren Prozess kann es dann gelingen, Schuldgefühle in ihrem Ausmaß zu vermindern, in der Regel aber nicht, sie gänzlich aufzulösen. Eine Fallvignette soll das Thema »Verschulden der Erkrankung«1 verdeutlichen: Die fünfjährige Selma, deren Mutter an einer schizophrenen Erkrankung leidet, erzählt, wie es zu der ersten von ihr miterlebten psychotischen Phase ihrer Mutter gekommen sei. Sie habe mit der Mutter und ihrer jüngeren Schwester wie gewohnt beim Frühstück gesessen, dann ein Brötchen in die Hand genommen und es mit den Worten in die Luft gehoben: »Lasst uns Essensschlacht spielen!«. Die Mutter, die eine solche Spielidee unter normalen Umständen abgelehnt hätte, sei auf den Aufruf der Tochter hin merkwürdig geworden und habe dann selbst begonnen, Salamischeiben an die Wand zu werfen. Selma befürchtet nun, durch ihren Ausspruch und die Aufforderung zur »Essensschlacht« den psychotischen Zustand ihrer Mutter hervorgerufen zu haben.

Neben Schuldgefühlen spielen Gefühle wie die anhaltende Sorge um den erkrankten Elternteil, Angst vor einer plötzlichen Verschlechte1 Sämtliche Fallbeispiele sind aus dem Buch von Plass und Wiegand-Grefe (2012), verfasst von Angela Plass, der ich für die Verwendung danken möchte. Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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rung oder vor einem Krankenhausaufenthalt, Unsicherheit, wie es weitergehen wird, eine wichtige Rolle. Mit zunehmendem Alter und besseren Reflexionsfähigkeiten tritt vermehrt die Angst auf, selbst zu erkranken. Die Gedanken des Kindes über die elterliche Erkrankung, seine Ängste und Sorgen sollten möglichst genau im Fokus der Interventionen sein. Außerdem geht es darum, wie das Kind mit der Erkrankung bisher umgegangen ist, was ihm dabei geholfen hat, was aber auch besonders schwierig oder ängstigend gewesen ist. Einige Beispiele von Kindern unterschiedlichen Alters sollen das Thema »Erleben der elterlichen Erkrankung« veranschaulichen: Die fünfjährige Svenja beschreibt eindrücklich, wie sie die manische Episode ihres Vaters erlebt hat. Er habe laut gelacht und seltsame Dinge getan. Immer, wenn der Vater jetzt lache, habe sie Angst, er könne womöglich wieder krank sein. Die siebenjährige Tanja schildert, dass sie sich für ihren Vater häufig ein Fernsehprogramm ausdenke, damit er nicht auf die Idee komme, Alkohol zu trinken. Wenn er allerdings begonnen habe zu trinken, müsse sie häufig zum nächsten Geschäft laufen, um zusätzlichen Alkohol für ihn zu kaufen. Der achtjährige Thomas berichtet, dass seine Mutter oft sehr müde und schlapp sei. Sie liege dann meist auf dem Sofa und spiele nicht mit ihm. Er decke dann den Tisch und bereite das Essen vor. Der Mutter helfe es, wenn er ihr den Rücken massiere. Er tue dies zwar nicht gern, erfülle aber den Wunsch der Mutter, damit es ihr wieder besser gehe. Der neunjährige Robert beschreibt, wie sehr sich die Beziehung zu seinem Vater verändere, je nachdem, ob dieser alkoholisiert ist oder nicht. Wenn der Vater nüchtern sei, sei er verschlossen und mürrisch und spreche nicht mit Robert. Wenn der Vater Alkohol getrunken habe, komme er in Roberts Zimmer und weine, sage, wie leid ihm alles tue, und bitte Robert um Verzeihung. 52

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Die elfjährige Nele schildert, dass ihr Vater sie in den Ferien auf dem Handy angerufen habe, um ihr zu sagen, dass er nicht mehr leben wolle. Sie werde ihn nur noch auf Fotos sehen. Sie habe sehr viel geweint nach dem Telefonanruf ihres Vaters und sich große Sorgen um ihn gemacht. Die 16-jährige Nadine schildert, dass sie in der Schule immer nur an ihre Mutter habe denken müssen, nachdem diese ihr bei einem Telefonat gesagt habe, sie habe nicht mehr genug Geld, um sich etwas zu essen zu kaufen.

Als hilfreich beschreiben Kinder oft außerfamiliäre Bereiche, in denen die elterliche Erkrankung keine Rolle spielt, wie zum Beispiel den Kindergarten, die Schule oder das berufliche Umfeld. Häufig erleben sie es als entlastend, wenn sie mit der Erkrankung des Elternteils in diesem Umfeld nicht konfrontiert werden, und sorgen dafür, dass diese Bereiche vor der elterlichen Erkrankung geschützt bleiben. Es werden aber auch Gespräche über die familiäre Situation mit Gleichaltrigen oder mit erwachsenen Bezugspersonen außerhalb der Kernfamilie als entlastend erlebt, die in verlässlichen Beziehungen stattfinden und in denen die Kinder ihre Ängste thematisieren können. Die Kinder beschreiben damit einen Bewältigungsmechanismus als hilfreich, der auch in der Theorie als günstig für die Bewältigung einer elterlichen psychischen Erkrankung gilt, nämlich tragfähige innerfamiliäre und außerfamiliäre Beziehungen. Dabei spielt einerseits die Quantität vorhandener Bezugspersonen eine Rolle, womit unter anderem die Verfügbarkeit und Kontakthäufigkeit gemeint sind. Andererseits ist die Qualität der erlebten Beziehungen relevant für ihre protektive Wirkung. Fällt ein Elternteil aufgrund einer akuten psychischen Erkrankung, etwa eines Krankenhausaufenthalts, in der Alltagsgestaltung aus, ist es häufig der andere Elternteil oder nahe Verwandte, wie die Großeltern, die dessen Aufgaben im Alltag übernehmen. Es wird thematisiert, ob Versorgungsdefizite durch den Ausfall des erkrankten Elternteils entstehen. Neben den Fragen der praktiDie psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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schen Alltagsbewältigung geht es vor allem darum, ob das Kind in einer solchen Situation zuverlässige und vertrauensvolle Bezugspersonen hat, die für seine Ängste und Sorgen zur Verfügung stehen. Ein Beispiel aus der Beratungsarbeit soll den Umgang mit der elterlichen Erkrankung in den Kindergesprächen verdeutlichen: Der dreijährige Hubertus kommt ohne Zeichen von Ängstlichkeit oder Schüchternheit in das Untersuchungszimmer. Die Frage, ob seine Mutter zunächst einmal mitkommen soll, verneint er. Wie ein »Großer« setzt er sich an den Besprechungstisch und schaut sich das Aufnahmegerät an. Ich erkläre ihm, dass ich von unserem Gespräch gern eine Tonaufnahme machen möchte, damit ich hinterher noch einmal genau nachhören könne, worüber und wie wir gesprochen haben. Ich frage ihn, ob er einverstanden ist. Hubertus stimmt der Aufnahme zu. Ich frage: »Hast du mit deiner Mutter darüber gesprochen, warum du heute hierher zu mir gekommen bist?« Er antwortet: »Ich bin hier, weil meine Mutter krank ist; wenn es ihr schlecht geht, kommt sie hierher.« Diese Reaktion eines Dreijährigen erstaunt mich sehr, meist können auch ältere Kinder nicht genau sagen, warum sie zum Erstgespräch kommen. Ich frage: »Woran merkst du, dass es deiner Mutter schlecht geht, dass sie krank ist?« Hubertus: »Sie ist dann ganz schlapp und liegt auf dem Sofa. Sie kann dann nicht mit uns spielen.« Untersucherin: »Was machst du, wenn es deiner Mutter schlecht geht?« Hubertus: »Ich spiele dann mit meiner Schwester. Wir versuchen, nicht so laut zu sein, weil das meine Mutter stört. Wir machen ihr zusammen das Abendessen, meine Schwester kann schon Tee kochen.« Untersucherin: »Wie fühlst du dich, wenn es deiner Mutter so schlecht geht, dass sie nicht mit dir spielen kann?« Hubertus: »Ich bin traurig.« Untersucherin: »Das verstehe ich. Was könntest du dann tun gegen die Traurigkeit?«

Die Ressourcen des Kindes stehen am Ende des Gespräches im Mittelpunkt. Dies dient dazu, gemeinsam die Möglichkeiten des Kindes zu betrachten, mit der häufig sehr schwierigen familiären Situation umzugehen und gegebenenfalls selbst Unterstützungsmaßnahmen 54

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anzunehmen oder einzuleiten. Die Selbstbeschreibung des Kindes kann mit der Frage nach Fähigkeiten oder Kompetenzen eingeleitet werden: »Gibt es etwas, das du besonders gut kannst oder besonders gern machst?« Meist sind die Schwierigkeiten des Kindes in dieser Phase des Gesprächs bereits ausreichend thematisiert worden. Zum Abschluss des Gesprächs können die Kinder nach ihren Zukunfts­ visionen befragt werden. Am Ende des Gesprächs steht die Frage, was sich das Kind wünschen würde, wenn es drei Wünsche frei hätte. Diese Frage beantworten sehr viele Kinder mit dem Wunsch, dass der kranke Elternteil wieder gesund oder dass in der Familie wieder alles »normal« sein möge. Aus dem Verlauf des Gesprächs ergibt sich meist eine erste diagnostische Einschätzung, in die die Interaktionen von Eltern und Kind, das Verhalten in der Trennungssituation und in den Gesprächssituationen ebenso einfließen wie die geäußerten Sorgen und Konflikte, aber auch Schilderungen eigener Fähigkeiten, Wünsche und Zukunftsphantasien. Die im Gespräch gewonnene Einschätzung des Kindes wird ergänzt durch die Berichte der Eltern aus den Elterngesprächen und die diagnostischen Interviews. Diagnostische Interviews Die teilstrukturierte Psychodiagnostik kann anhand von diagnostischen Interviews nach den Kriterien der ICD-10 bzw. des DSM-IV erfolgen. Eltern und Jugendliche ab dem 17. Lebensjahr können mithilfe des SKID-I- und SKID-II-Interviews (Wittchen, Zaudig u. Fydrich, 1997) nach psychischen Beeinträchtigungen im Sinne klinisch-psychiatrischer Syndrome und klinisch bedeutsamer Persönlichkeitsakzentuierungen befragt werden. Für die Diagnostik der Kinder kann anhand des Kiddie-SADS-Interviews (Kaufman, Birmaher, Brent, Rao u. Ryan, 1996, deutsche Übersetzung und Adaption: K-SADS-Arbeitsgruppe2, 2000) ein Gespräch mit den Eltern zur psychischen Gesundheit ihrer Kinder stattfinden. Ab dem zehnten 2 Cynthia Delmo, Olaf Weiffenbach, Martin Gabriel, Christina Stadler, Fritz Poustka. Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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Lebensjahr erfolgt in unserem Konzept zusätzlich ein Interview mit den Kindern und Jugendlichen selbst. Sofern die klinische Kompetenz oder die Ressourcen im Beratungsteam für die Diagnostik nicht vorhanden sind, sollte Sorge getragen werden für eine umfassende Diagnostik an anderer geeigneter Stelle (niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten, klinische Institutionen, Polikliniken, Ambulanzen). Zeigen sich in den Interviews psychische Auffälligkeiten, die mit dem klinischen Eindruck der Therapeuten einhergehen, sollte mit der Familie im Laufe der Intervention die Indikation für weiterführende Therapie- und Unterstützungsangebote besprochen werden. Inwiefern dabei eine Rückmeldung der aus den Interviews resultierenden Diagnosen erfolgt, richtet sich nach dem Wunsch der Familienmitglieder und der klinischen Indikation, wenn sich zum Beispiel aus Sicht der Therapeutinnen und Therapeuten eine klinisch bedeutsame Diagnose ergibt und eine Weiterbehandlung indiziert ist. Die Familiengespräche Das Kernstück des klinischen Beratungsangebots bilden die Familiengespräche. Es finden Gespräche mit der ganzen Familie statt, um die Perspektiven, Erkenntnisse und Sichtweisen aus den Einzelgesprächen im Familiengespräch zu reflektieren. Dabei ist es gleichzeitig möglich, Offenheit, Transparenz und Kommunikation in der ganzen Familie anzuregen. Es kann im Familiengespräch um den familiären Umgang mit der elterlichen Erkrankung, die Krankheitsbewältigung und die innerfamiliären und außerfamiliären Beziehungen gehen. Individuell nach den Wünschen der Familie werden aber auch andere Themen, beispielsweise aktuelle Konflikte, besprochen. Zu Beginn des ersten Familiengespräches wird überlegt, welche Themen in den folgenden Familiengesprächen behandelt werden sollen. Es kommen Themen der aktuellen Alltagssituation zur Sprache, manchmal wird die Entwicklung der Familie seit Beginn des ersten Kontaktes mit der Beratungsstelle reflektiert. Manchmal bitten wir um Rückmeldung, wie die Familie den bisherigen Beratungsverlauf empfunden hat, was als hilfreich und was als weniger hilfreich erlebt 56

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wurde. Eine Einstiegsfrage kann sein: »Wie ist es Ihnen im Verlauf der Beratung bisher ergangen?« Oder: »Welche Themen sollen wir in den nun folgenden Familiensitzungen besprechen?« In den Familiengesprächen wird also mit der Familie der bisherige Beratungsprozess reflektiert. Im Sinne einer hohen Transparenz und Offenheit sollten möglichst alle für die Familie relevanten Themen im Familiengespräch angesprochen werden. In begründeten Ausnahmefällen (auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern oder wenn die zu besprechende Problematik, z. B. bei elterlichen sexuellen Konflikten, eine Anwesenheit der Kinder nicht sinnvoll erscheinen lässt) kann eines der Familiengespräche als Elterngespräch geführt werden, welches auch den Rückmeldungen aus der Diagnostik mit Eltern und Kindern dienen kann. Ein wichtiger Bestandteil der Familiengespräche kann das gemeinsame Gespräch der Eltern mit ihren Kindern über die psychische Erkrankung sein. In Familien mit hoher Verleugnung und wenig Offenheit und Kommunikation ist es manchmal in den Familiengesprächen erstmals möglich, Worte für die Erkrankung des Elternteils und für deren Auswirkungen auf die Familie zu finden. Eine empathische und wertschätzende Haltung, die der Familie ein eigenes Tempo in der Bearbeitung der Familienthemen gestattet, kommt dem zugute. Eine eigene therapeutische Unerschrockenheit und Offenheit wirkt gleichzeitig manchmal auf die Familie hilfreich und ermöglicht das An- und Aussprechen von beschämenden oder ängstigenden Familienthemen. Familie W. spricht im Familiengespräch zum ersten Mal über die psychische Erkrankung der Mutter. Der 13-jährige Benedikt sagt seiner Mutter unter Tränen, dass er sich große Sorgen um sie mache und sich wünsche, dass sie wieder mehr für sich unternehmen könne. Die Mutter ist sichtlich überrascht, dass sich ihr Sohn solche Gedanken über ihren Zustand macht. In der Vorbereitung auf das Familien­ gespräch hatte sie geäußert, große Angst davor zu haben, mit ihren Kindern über ihre Erkrankung zu sprechen, da sie nicht wolle, dass sie sich Sorgen machen. Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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Ein wichtiges Thema in den Familiengesprächen bilden die weitergehenden Hilfen, Beratungen und Behandlungen. Die Familienmitglieder sollten bei bestehender Indikation motiviert werden, weitergehende psychotherapeutische, psychiatrische oder sozialtherapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Dies kann beispielsweise eine Paarberatung und/oder Paartherapie, eine ambulante oder stationäre Kinderpsychotherapie, eine Auryn-Gruppe für das Kind, eine Familientherapie oder eine sozialpädagogische Familienhilfe sein. Es sollten Wege aufgezeigt und konkrete Anregungen gegeben werden, an diese weiterführenden Beratungen zu gelangen. Auf jeder Ebene, sei es auf der individuellen Ebene beider Elternteile und der Kinder, der Paarebene oder der gesamtfamiliären Ebene, sollte bei Indikation zu weitergehender Psychotherapie eine entsprechende Empfehlung und Unterstützung bei der Suche nach Psychotherapeutinnen und -thera­ peuten gegeben werden. Eine behandlungstechnische Herausforderung unseres Vorgehens besteht im Settingwechsel, indem wir zunächst mit den Eltern getrennt, dann mit den Kindern und dann mit der ganzen Familie arbeiten. In den Eltern- und Kindergesprächen entwickeln sich häufig vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen und -bündnisse, auf deren Grundlage auch persönliche oder beschämende Themen besprochen werden können. Eine Gefahr besteht daher darin, sich mit einzelnen Familienmitgliedern zu verbünden und sich in einzelne familiäre Subsysteme verstricken zu lassen. Die Arbeit mit der gesamten Familie sollte jedoch mit einer therapeutischen Haltung von Offenheit, Transparenz und Loyalität gegenüber allen Familienmitgliedern verbunden sein. Der Wechsel auf die Familienebene ist manchmal schwierig und erfordert ein hohes Maß an Empathie und Professionalität, um die richtige Balance zwischen Loyalität zu einzelnen Familienmitgliedern und Transparenz im gesamten System zu wahren. Drei Gespräche mit der Familie sind für eine derart komplexe Problematik, mit der viele Familien kommen, relativ wenig. Manchmal ist erst im Verlauf dieser Gespräche eine konsequentere psychotherapeutische Arbeit mit der Familie möglich. Wir haben uns aufgrund 58

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begrenzter Ressourcen entschieden, es bei diesem »Einstieg« zu belassen und für längere Familienberatungen an andere Versorgungsinstitutionen zu verweisen. Gleichzeitig ist mit drei Familiengesprächen schon ein Eintauchen in familiäre Themen möglich. Am Ende wird jeder Familie angeboten, sich bei Bedarf erneut an uns zu wenden, was von den Familien sehr gern angenommen und in vielen Fällen auch in Anspruch genommen wird. Die Familienintervention CHIMPs wurde umfassend evaluiert. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Kinder nach der Intervention (im Vergleich zu einer Wartelistenkontrollgruppe) verbessert hat. Diese Verbesserung war auch ein Jahr nach der Intervention noch stabil (Wiegand-Grefe et al., 2015). Ebenso verbesserte sich die soziale Unterstützung der Familie (Wiegand-Grefe, Werkmeister, Bullinger, Plass u. Petermann, 2012). Zudem führte die CHIMPs-Intervention zu einer verbesserten psychischen Gesundheit der betroffenen Kinder aus Sicht der Kinder, Eltern und Therapeuten (Wiegand-Grefe, Crone­meyer, Plass, Schulte-Markwort u. Petermann, 2013). Auch auf die elterliche Krankheitsbewältigung (Wiegand-Grefe, Cronemeyer, Halverscheid, Redlich u. Petermann, 2013) und die Familienbeziehungen hatte die CHIMPsBeratung einen positiven Einfluss (Wiegand-Grefe, Alberts, Petermann u. Plass, 2016). Das Interventionskonzept CHIMPs (Children of mentally ill parents) wird aktuell bundesweit an sieben Standorten in Deutschland und in der Schweiz (Hamburg, Leipzig, Wiesbaden-Rheingau, Gütersloh-Paderborn, Ulm-Günzburg, Berlin, Winterthur) in einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt in die Routineversorgung der Versorgungspraxis implementiert. Das Projekt wird unter Koordination der Autorin gemeinsam mit den Wissenschaftlern Prof. Martin Lambert, Prof. Karl Wegscheider (Hamburg), Prof. Reinhold Kilian (Ulm-Günzburg), Prof. Klaus Kronmüller (Gütersloh-Paderborn), Dr. Doris Mallmann (Rheingau), Prof. Kai von Klitzing (Leipzig), Dr. Sibylle Winter (Berlin) und Dr. Albermann (Winterthur) durchgeführt. Die Evaluation Die psychodynamische Familienintervention CHIMPs

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der Wirksamkeit erfolgt unter Praxisbedingungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe im kontrolliert-randomisierten Forschungs­ design. Gesundheitsökonomische Interviews ermöglichen eine Analyse der Interventionskosten und eine Kosten-Nutzen-Analyse. Bisher existiert keine Routineversorgung für die Kinder psychisch kranker Eltern, die in aller Regel unversorgt bleiben. Mit zu dieser schlechten Versorgungssituation trägt die fehlende Familienorientierung im Gesundheitssystem bei. Eine Versorgung der Kinder sollte in familienorientierten Konzepten und in enger Kooperation zwischen Medizinsystem und Jugendhilfe­trägern erfolgen. Das beschriebene multizentrische Projekt CHIMPs soll dazu beitragen, die Versorgungssituation der Kinder psychisch kranker Eltern an den beteiligten Zentren nachhaltig zu verbessern.

5.2 Die psychodynamische Familienintervention CHROKODIL für Familien mit einem chronisch kranken Kind Unsere familienorientierte Arbeit mit Familien mit einem chronisch kranken Kind trägt den Titel CHROKODIL – chronische kranke Kinder und deren familiäre Lebensqualität. An einem Forschungs- und Beratungsprojekt unter diesem Titel sind außer der Autorin aktuell PD Dr. Jonas Denecke und PD Dr. Jessica Johannsen aus der Neuropädiatrie des UKE, Dr. Benjamin Grolle aus der Station »Lufthafen« des Altonaer Kinderkrankenhauses, Prof. Dr. Karl Wegscheider aus dem Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie des UKE beteiligt. Für Probleme in Familien oder belastete Familien sind Familientherapien indiziert, aber diese Familien suchen in der Regel die herkömmlichen familientherapeutischen Beratungsstellen nicht auf. Daher wurden die beschriebenen Ansätze speziell für diese belasteten Familien mit chronisch kranken oder langzeitbeatmeten Kindern entwickelt. 60

Klinische Konzepte in der Arbeit mit Familien

Familien mit chronisch kranken Kindern und Familien mit psychisch kranken Eltern unterscheiden sich in ihrer spezifischen Lebenssituation und in einer Reihe von Problemen erheblich. Der psychodynamisch zentrale Unterschied besteht in einer Störung, einem »Defekt«, zum einen auf der Elternseite und zum anderen in einer schweren Erkrankung, einem »Defekt«, des Kindes, was zu einer sehr unterschiedlichen Dynamik in der Familie führt. In der Konsequenz einer Erkrankung auf der Elternebene sind beispielsweise psychosoziale Folgeprobleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, Probleme der elterlichen Erziehungskompetenz und Störungen in den Familienbeziehungen zwischen den Partnern, aber auch zum Kind typische Problemfelder, die häufig mit einer elterlichen Erkrankung einhergehen. Die oftmals vorherrschenden Bindungs- und Beziehungsstörungen der Eltern führen neben der Erkrankung selbst häufig zu Trennungs- und Scheidungskonflikten der Eltern und im Ergebnis zu alleinerziehenden Elternteilen. Bisweilen prägen Traumatisierungen über mehrere Generationen die Familien, in manchen Familien gibt es Betreuungsdefizite, die in einigen Fällen bis hin zu Vernachlässigung und Kindeswohlgefährdung führen. In Familien mit chronisch kranken Kindern ist der erkrankte, zu pflegende Part in der Familie das Kind, und die Eltern »funktionieren« in hohem Maße gewissermaßen darum herum. Man kann sogar oft beobachten, dass die Eltern scheinbar besonders belastbar und auch in ihren Beziehungen ausgesprochen stabil sind. Aber dennoch gibt es – eine schwere Erkrankung im Familiensystem eint beide Gruppen – eine Reihe von Gemeinsamkeiten und zentrale Themen, die beide hoch belastete Familiengruppen verbinden. So gibt es in beiden Gruppen erhebliche Schuld- und Schamgefühle und viele Selbstwertzweifel bei Eltern und Kindern. Die sozialen Beziehungen sind häufig beeinträchtigt, vor allem die sozialen Beziehungen außerhalb der Familie. Dies kann bis hin zur sozialen Isolation führen und sich in einem mangelnden oder fehlenden sozialen Unterstützungssystem für die Familie äußern. Auch auf der affektiven Ebene des Erlebens gibt es eine Reihe von ÄhnlichkeiDie psychodynamische Familienintervention CHROKODIL

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ten. So sind in beiden Familiengruppen eine Reihe von Ängsten die zentralen Affekte, beispielsweise Angst vor Verschlechterung des Zustands bis hin zum Suizid des Elternteils auf der einen Seite, Angst vor Verschlechterung des Zustands des Kindes bis hin zum Tod des Kindes auf der anderen Seite. Damit verbunden sind häufig Trennungsängste, die zu sehr symbiotischen Beziehungsmustern führen können. Außerdem sind in beiden Familien (z. T. unbewusst bleibende) Affekte von Wut und Hass auf das Versagen (der Eltern oder des medizinischen Systems) zu finden. Im Ergebnis weisen beide Familiengruppen erhebliche körperliche, psychische und soziale Belastungen auf, die mit Beeinträchtigungen in der Lebensqualität und im psychischen Wohlbefinden von Eltern und Kindern einhergehen können. Psychisch erkrankte Eltern haben große Bedenken und Ängste, für ihre Kinder professionelle psychosoziale Unterstützungen in Anspruch zu nehmen. Sie fürchten, die Kinder zu pathologisieren und ihre Erziehungsfähigkeit infrage gestellt zu sehen. Die genannten Schuld- und Schamgefühle der Eltern und eine soziale Isolation, in der viele betroffene Familien leben, tragen ebenfalls dazu bei, sich psychosozialen Unterstützungen gegenüber ambivalent zu zeigen. Auch Familien mit chronisch kranken Kindern sind psychosozialen Unterstützungsangeboten gegenüber manchmal äußerst skeptisch. Viele Familien mit chronisch kranken Kindern funktionieren in hohem Maße und fürchten eine psychische Labilisierung durch den therapeutischen Prozess. Bei der Entwicklung des Interventionskonzeptes muss diesen – nicht unbegründeten und gut verstehbaren – Bedenken Rechnung getragen werden, etwa durch niedrigschwellige und niederfrequente Angebote, die zunächst mit den Eltern eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung herstellen, um dann mit den Kindern und der ganzen Familie arbeiten zu können. Das in Familien mit psychisch kranken Eltern erfolgreiche familienorientierte Interventionskonzept CHIMPs dient als Grundlage des Konzeptes für Familien mit chronisch kranken Kindern. Auch diese psychodynamische Familienintervention enthält ca. sechs bis 62

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acht niederfrequente Termine mit der Familie (die Diagnostik erfolgt parallel) im Zeitraum von etwa sechs Monaten. Auch in dieser Intervention werden nach einem Vorgespräch zwei Elterngespräche, dann ein Gespräch mit jedem Kind der Familie geführt, und es finden diagnostische Interviews mit Eltern und Kindern statt. Abschließend finden zwei bis drei Familiengespräche statt. Die Gespräche sind semistrukturiert, ein Leitfaden der Gesprächsinhalte und eine detaillierte Beschreibung des Vorgehens finden sich im Manual (Wiegand-Grefe, in Vorb.). Im Fokus der Gespräche steht die Lebensqualität der Kinder. Kinder mit weitergehendem Psychotherapiebedarf, der mit dieser Intervention nicht abgedeckt werden kann, werden je nach Indikation an niedergelassene Psychotherapeuten (wohnortnah) vermittelt. In jüngster Zeit haben wir uns außerdem auf chronisch kranke Kinder mit seltenen Erkrankungen spezialisiert und auch für diese Familien unser Interventionskonzept adaptiert. Eine Erkrankung gilt als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Schätzungen zufolge leben in Deutschland etwa zwei Millionen Kinder und Jugendliche mit einer der bis zu 8.000 seltenen Erkrankungen, die eine sehr heterogene Gruppe von komplexen Krankheitsbildern bilden, meist chronisch verlaufen, oft mit eingeschränkter Lebenserwartung einhergehen und häufig bereits im Kindesalter zu Symptomen führen. Das Krankheitsmanagement erfordert meist einen hohen Grad an Unterstützung und Pflege durch Eltern und Geschwister und stellt hohe Anforderungen an die Familie. Kinder und Jugendliche mit seltenen Erkrankungen, deren Geschwister und Eltern häufig körperlich und psychisch (sozial, emotional) hoch belastet sind, nehmen aber ebenfalls häufig keine psychotherapeutische Versorgung in Anspruch.

Die psychodynamische Familienintervention CHROKODIL

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6 Implikationen für die Praxis – ein Plädoyer für eine Reform des Medizinsystems zu einer Familienmedizin

Krankheit betrifft die ganze Familie – egal, ob ein Elternteil körperlich oder psychisch erkrankt ist oder ob ein Kind an einer schweren chronischen körperlichen Krankheit leidet oder psychisch erkrankt ist. Alle Angehörigen erkrankter Menschen müssen ihren familiären Alltag, das Zusammenleben mit Kindern, ihre Elternrolle oder ihre kindlichen Entwicklungsaufgaben meistern. Zusätzlich sind sie erheblichen Belastungen durch die Bewältigung der Krankheit im Familiensystem ausgesetzt. Die Belastungen führen zu mehrfach erhöhten Risiken, eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Die erhöhten Krankheitsrisiken haben gesundheitsökonomische Konsequenzen. Unser Medizinsystem und das gesundheitliche Versorgungssystem sind auf die erkrankte Person fokussiert. Die Angehörigen mit ihren Fragen, Sorgen, Ängsten kommen häufig zu kurz. Für deren Anliegen ist wenig Raum und Zeit, sind im Versorgungssystem kaum Ressourcen eingeplant. Es braucht eine konsequente Reform des Medizinsystems hin zu einer Familienmedizin, eine familienorientierte Betrachtung und Behandlung psychischer und körperlicher Erkrankungen.

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