Psychodynamische Psychotherapie mit Älteren: Eine Einführung [1 ed.] 9783666405952, 9783525405956

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Psychodynamische Psychotherapie mit Älteren: Eine Einführung [1 ed.]
 9783666405952, 9783525405956

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Meinolf Peters

Psychodynamische Psychotherapie mit Älteren Eine Einführung

V

Herausgegeben von Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Meinolf Peters

Psychodynamische Psychotherapie mit Älteren Eine Einführung

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 2 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40595-2 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Paul Klee, Keramisch-Mystisch (In Der Art Eines Stillebens), 1925/Private Collection/Photo © Christie’s Images/Bridgeman Images © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort zur Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort zum Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Psychoanalyse und Alter – eine allmähliche Annäherung . . . . 11 2 Der gesellschaftliche Rahmen des Alters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1 Die gegenwärtige Neuverhandlung des Alters . . . . . . . . . . 13 2.2 Dem Schatten des Alters entkommen? . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.3 Die Bürde der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3 Das »Innere des Alters« – eine psychodynamische Ausleuchtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.1 Von der Kontinuität des Lebens – die Zeitlosigkeit des Unbewussten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.2 Altern als das Fremde in uns – die Spiegelphase des Alters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.3 Der gelebte Augenblick – die depressive Position . . . . . . . 22 3.4 Das innere Gleichgewicht erhalten – Narzissmus und Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.5 Die Suche nach Sicherheit – Bindung im Alter . . . . . . . . . 25 3.6 Grenzen ziehen sich zusammen – Neuropsychoanalyse und Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.7 Vom Prozess der Aneignung des Alters . . . . . . . . . . . . . . . . 28 5

4 Konzepte psychodynamischer Psychotherapie und Alter . . . . 30 4.1 Konfliktorientierte Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4.2 Mentalisierungsbasierte Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . 31 4.3 Strukturbezogene Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 5 Zur heutigen Versorgungsrealität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 6 Das verborgene Alter in der klinischen Praxis . . . . . . . . . . . . . 39 6.1 Die Anbahnung der Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 6.2 Zur Eigenübertragung des Therapeuten . . . . . . . . . . . . . . . 41 6.3 Unbewusstes Alter und Gegenübertragung . . . . . . . . . . . . 42 6.4 Zur Entwicklung der therapeutischen Beziehung . . . . . . . 43 6.5 Altersspezifische Themen – die existenzielle Dimension .47 6.6 Das Hervortreten aus der Verborgenheit – das bewusste Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 6.7 Altern als alltägliche Herausforderung – eine Erweiterung der therapeutischen Aufgaben . . . . . . . . 50 6.8 Was kommt danach – von der Therapie zur therapeutischen Begleitung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 7 Ein Blick in die klinische Praxis – ein Behandlungsverlauf . . . . 54 7.1 Erstgespräch und Hintergrund – Frau F., 74 Jahre . . . . . . . 54 7.2 Erste Therapie – Abschied und Neubeginn . . . . . . . . . . . . 56 7.3 Zweite Therapie – die Last des Alters tragen . . . . . . . . . . . 59 7.4 Der Therapieverlauf – kreative Räume nutzen . . . . . . . . . . 62 8 Psychotherapieforschung und Alterspsychotherapie . . . . . . . . 65 9 Fort- und Weiterbildung in Alterspsychotherapie . . . . . . . . . . 67 10 Wenn Psychoanalytiker alt werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

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Inhalt

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrund­ la­gen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich. Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen. Themenschwerpunkte sind unter anderem: ȤȤ Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung. ȤȤ Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internet7

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basierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze. Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen. Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen. Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie. Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann. Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

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Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

Die langzeitliche Lebensperspektive schließt das Altern mit ein. Die gestiegene Lebenserwartung der Nachkriegsgenerationen im 20. Jahrhundert hat zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer gegenwärtigen Neuverhandlung des Alters geführt. Gegen die Vorstellungen von Abbau und Verlust als Schattenseiten des Daseins im Alter – die von Schmerzen, Krankheiten, Einsamkeit und Einschränkungen geprägt sind – werden heute die Konzepte des erfolgreichen Alterns und des aktiven Engagements im Alter gesetzt. Diese betonen die Selbstbestimmung und Freiheit im Alter und heben die positiven Lebensaspekte des Alterns hervor. Aber auch die zu einseitige Betonung der Freuden des Alters, die zur Tabuisierung der belastenden Facetten führt, kann als Kultur der repressiven Idealisierung die Gefahr in sich bergen, einer strukturellen Desintegration alter Menschen Vorschub zu leisten, die diesem Ideal nicht genügen. Das Alter ist nur in seiner dialektischen Doppelnatur zu fassen: Denn es stehen den Zunahmen an Wissen und Freiheitsgraden durchaus auch Verluste und Einbußen gegenüber – wie zwei Seiten einer Medaille. Deswegen braucht eine kritisch inspirierte Psychoanalyse ein differenzierteres Leitbild, das die inhärenten Werte des Lebensabschnitts zwar hervorhebt, aber auch die Schattenseiten nicht ausspart. Denn Introspektion, Gelassenheit und Generativität können auch mit einer Verlangsamung einhergehen, die durchaus eine neue Lebensqualität besitzt und als Antithese zur Beschleunigung in einer globalisierten Welt aufzufassen ist. Die psychodynamische Ausleuchtung der inneren Aspekte des Alters gelingt Meinolf Peters in seinem Buch mit großem Feinsinn und einem besonderen Fingerspitzengefühl. Es 9

geht dabei um die Zeitlosigkeit des Unbewussten und das Altern als das Fremde in uns. Der Suche nach Erhaltung des Selbstwerts und nach Sicherheit in Bindungen steht der Prozess der Aneignung des Alters gegenüber. Meinolf Peters stellt unterschiedliche Konzepte einer psychodynamischen Therapie im Alter vor. Neben konfliktorientierter Psychotherapie wird die Bedeutung der Mentalisierungsbasierten Psychotherapie und der Strukturbezogenen Psychotherapie hervorgehoben. Eine Mentalisierungsbasierte Therapie bei Älteren scheint besonders sinnvoll zu sein, da sie auf die Förderung der Reflexionsfähigkeit im Rahmen einer therapeutischen Beziehung abzielt. Dabei muss der Therapeut, die Therapeutin die offenbar im Alter abnehmende Bindungssicherheit gut herzustellen imstande sein. Demgegenüber bietet die Strukturbezogene Psychotherapie eine Arbeit an den Bewältigungsmechanismen und kompensatorischen Strukturen an, wobei dabei auch die äußere Realität Berücksichtigung findet. Ein Kapitel zur gegenwärtigen Versorgungswirklichkeit öffnet uns die Augen: Trotz guter Möglichkeiten wird Psychotherapie bei Älteren sehr selten durchgeführt, erscheint bestenfalls als ein Ergänzungsangebot. Insbesondere höheraltrige Patientinnen und Patienten werden heute immer noch marginalisiert. Das Kapitel vom verborgenen Alter in der Psychotherapie greift auf den großen Erfahrungsschatz des Autors zurück und handelt von der Bedeutung des Alters in der Übertragung des Patienten und in der Gegenübertragung der Therapeuten. Sehr kundig werden die Einzelheiten fassbar gemacht, die in der Therapie zu einem bewussten Hervortreten des Alters führen können. Ein Blick in die klinische Praxis an einem Fallbeispiel rundet das Buch ab. Ein erhellender Beitrag zur Psychotherapie mit Älteren, der nicht nur mit Fachkenntnis, sondern auch mit Lebensklugheit geschrieben ist. Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

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Vorwort zum Band

1 Psychoanalyse und Alter – eine allmähliche Annäherung

Die Psychoanalyse hat sich mit dem Alter lange Zeit schwergetan. Freud schrieb 1904, damals selbst 48 Jahre alt: »Auch eine Altersstufe in der Nähe des fünften Dezenniums schafft ungünstige Bedingungen für die Psychoanalyse. Die Masse des psychischen Materials ist dann nicht mehr zu bewältigen, die zur Herstellung erforderliche Zeit wird zu lang und die Fähigkeit, psychische Vorgänge rückgängig zu machen, beginnt zu erlahmen« (zit. nach Gay, 1987). Diese von ihm lebenslang durchgehaltene Auffassung geht auf ein ausgesprochen negatives Altersbild zurück. In seinen Briefen hatte er sich schon früh immer wieder mit seinem »Alterskomplex«, wie er ihn selbst später bezeichnete, befasst. So beschreibt er sich knapp vierzigjährig in einem Brief an Fließ als gealtert, schwerfällig, nicht gesund, als einen »alten, etwas schäbigen Israeliten« (Gay, 1987). Seine Einstellung zum Alter und seine skeptische Haltung im Hinblick auf die Behandlungsmöglichkeiten älterer Menschen korrespondieren also in auffallender Weise. Zwar finden sich in der Folgezeit vereinzelt Arbeiten, die sich mit der Behandlung Älterer beschäftigt haben (z. B. Grotjahn, 1955)1, doch die skeptische Haltung Freuds setzte sich über mehrere Therapeutengenerationen fort. Als ich selbst in den 1980er Jahren begann, mich mit dem Thema zu befassen, waren Ressentiments allerorten spürbar, und ähnlich wie bei Freud dürften dabei – bis heute – persönliche Vorbehalte von erheblicher Bedeutung sein. In einer Befragung im Jahre 1980 gab die große Mehrheit der Psychotherapeuten an, 1 In den 1960er Jahren insbesondere im Journal of Geriatric Psychiatry. 11

keine älteren Patienten behandeln zu wollen (Ray, McKinney u. Ford, 1987). Ich habe es Hartmut Radebold, dem Nestor der Alterspsychotherapie in Deutschland, zu verdanken, dass ich zu einem Thema fand, das mich bis heute nicht losgelassen hat. In den 1990er Jahren haben wir zusammen einen alterstherapeutischen Schwerpunkt in einer Psychosomatischen Klinik aufgebaut und wissenschaftlich begleitet, später habe ich zusammen mit meiner Kollegin, der Psychoanalytikerin Christiane Schrader, das von ihm gegründete Institut für Alterspsychotherapie und angewandte Gerontologie übernommen. Ich selbst war in der Zwischenzeit in verschiedenen Zusammenhängen und Kontexten mit dem Thema Alter befasst: neben der ambulanten und stationären Psychotherapie in der Fortbildung von Kolleginnen und Kollegen, der universitären Lehre und Forschung sowie in Supervisionen und Beratung von Kliniken. Die folgende Abhandlung gibt einen Überblick über meine Erfahrungen und den Stand der psychodynamischen Alterspsychotherapie.

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Psychoanalyse und Alter – eine allmähliche Annäherung

2 Der gesellschaftliche Rahmen des Alters

2.1 Die gegenwärtige Neuverhandlung des Alters Wir befinden uns in einer Phase der »Neuverhandlung« des Alters. Bisherige Altersdeutungen greifen kaum noch, Altersgrenzen weichen auf, und es scheint zunehmend unklar, was denn unter alt zu verstehen sei. Nun betreten wir keineswegs völlig unbekanntes Terrain, unterlag Alter doch seit jeher kulturellen Deutungen. Alterslob und Altersklage durchziehen die abendländische Kultur, angefangen bei Platon und Aristoteles. Platon kreierte ein Positivbild Älterer, die er als erfahren, tugendsam, ehrwürdig und weise beschrieb, als die idealen Hüter der Gesetze und natürlichen Oberhäupter von Staaten. Ganz anders Aristoteles, der die Alten als bösartig, misstrauisch, ängstlich, geldhörig, feige und geschwätzig sah (Göckenjan, 2000). Diese beiden Deutungen des Alters ziehen sich durch die westliche Kulturgeschichte, wobei doch zumeist die Aristoteles’sche Version dominierte. Nach einer kurzen Phase mit Beginn der Aufklärung und der Zeit der Romantik, in der Ältere ein besseres Ansehen erlangten und etwa das romantisierende Bild der Großmutter entstand, überwog ein negatives Altersbild, vor allem mit Beginn der kapitalistischen Produktionsweise (Göckenjan, 2000). In dieser avancierte das Bild von Jugend zum fast überwertigen Ideal: »Jugend ist Leben, Jugend ist Farbe, ist Form und Licht«, so hieß es im Gründungsmanifest der Zeitschrift »Jugend« (Safranski, 2007). Das Alter musste sich nun rechtfertigen, es stand unter dem Verdacht, abgestorben und erstarrt zu sein. In den letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts ist diese Sichtweise jedoch erneut fraglich geworden. Das Bild der ergrauten, 13

unflexiblen Alten, die sich nach dem Ausscheiden aus dem Beruf genügsam in den Fernsehsessel sinken lassen, um den wohlverdienten Ruhestand zu genießen, geriet ins Wanken. Die Vorstellung vom Senior, der aktiv bleibt und sein Leben selbstverantwortlich gestaltet, rückte zunehmend in den Fokus öffentlicher Darstellungen. Basis dieses veränderten Bildes waren zweifellos auch Veränderungen der objektiven Lebenssituation älterer Menschen: Sie verfügen heute über eine in der Regel gute finanzielle Basis und zunehmend auch über eine bessere Bildung. Vor allem aber sind sie deutlich gesünder als vorangegangene Kohorten, was auch Basis der sprunghaft gestiegenen Lebenserwartung ist. So verkehrt sich das Negativbild des Alters immer stärker in ein Positivbild. Im öffentlichen Diskurs werden zunehmend die Chancen des Alters hervorgehoben, das traditionelle Alter mit seinen Einschränkungen scheint einem neuen Möglichkeitsraum gewichen zu sein, einem »großen offenen Raum« (van Dyk, 2015, S. 252). Parallel dazu wird jedoch der Negativdiskurs fortgeführt, wenn Altenlast, Pflegenotstand und Demenz als Schreckensbilder an die Wand gemalt werden. Moody (2005) spricht von der bipolaren Struktur des Alters, immer seien beide Bilder im Spiel, das negative wie das positive. Diese manifestiert sich auch in der gesellschaftlichen Realität des Alters, die zunehmend durch eine Zweiteilung kennzeichnet ist. Auf der einen Seite die jungen Alten, denen ein gesellschaftliches Inklusionsangebot gemacht wird, daneben das hohe, weiterhin marginalisierte Alter. Es fehlt eine Alterskultur, die es ermöglichen würde, die Spaltung in Gut und Böse zu überwinden und eine integrierte Altersrepräsentanz zu entwickeln (Woodward, 1991).

2.2  Dem Schatten des Alters entkommen? Die gesellschaftliche Neuverhandlung des Alters spiegelt sich auch im gerontologischen Diskurs wider, ja wurde von diesem untermauert und forciert. Die Gerontologie – oder Teile dieser Wissenschaft – lieferte 14

Der gesellschaftliche Rahmen des Alters

gewissermaßen den Überbau für die auf gesellschaftlicher Ebene sich vollziehenden Veränderungen. Das »Abbau- und Verlustparadigma«, das die Schattenseiten des Alters betont hatte und auch in der Psychoanalyse verbreitet war, wurde seit den 1980er Jahren zunehmend abgelöst durch das Konzept des Successful Aging, wobei die Arbeiten von Rowe und Kahn (1998) besonders einflussreich wurden. »Erfolgreiches Altern« ist danach gekennzeichnet durch einen hohen Funktionsstatus und geringes Risiko, während »normales Altern« ein krankheitsfreies, aber risikobehaftetes Altern ist. Es wurden drei Kriterien des erfolgreichen Alterns formuliert: (1) geringe Wahrscheinlichkeit für Krankheiten oder krankheitsbedingte Behinderungen, (2) hohes kognitives und physisches Funktionsniveau, (3) »active engagement in life«. Erfolgreich zu altern erfordert somit den Einsatz von Ressourcen im Sinne einer aktiven Lebensführung. Dieses Konzept hatte erheblichen Einfluss und prägte eine ganze Generation von Wissenschaftlern. Auch wenn später durchaus modifizierte Modelle entworfen wurden, so hat sich die Kritik – insbesondere im Rahmen der »kritischen Gerontologie« (van Dyk u. Lessenich, 2010; van Dyk, 2015) – besonders an dieser Ausformulierung erfolgreichen Alterns entzündet, da sie die Problematik des Paradigmas sichtbar macht. Problematisch ist zunächst einmal der Begriff »erfolgreich« als solcher, der nicht frei von einer normativen Wirkung ist. Er impliziert Aktivität, Selbstständigkeit und Leistungsbereitschaft, also Normen der mittleren Lebensphase, die damit auf das Alter übertragen werden. Damit verstärkt er den sich entwickelnden Kult der Alterslosigkeit, der die Schattenseiten des Alters ausspart, als könnten die »Fesseln des kalendarischen Alters« (Featherstone u. Hepworth, 2009) abgestreift werden. Altern wird damit zur Frage der persönlichen Anstrengung und des persönlichen Scheiterns. Man kann das Konzept der Kultur der repressiven Idealisierung (Junker, 1973) heranziehen, um ein Klima zu beschreiben, das die Gefahr struktureller Ausschlüsse und gesellschaftlich bedingter Deprivation eher verstärkt als abmildert, weil die belastenden Facetten des Alters tabuisiert werden (van Dyk, 2015). Mit Blick auf das hohe Alter wird bereits von einer neuen Form des Dem Schatten des Alters entkommen?

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Ageism gesprochen, der im Konzept des Successful Aging eine wissenschaftliche Legitimation findet. Dillaway und Byrnes (2009) weisen etwa darauf hin, dass dieses Konzept in einer Zeit formuliert wurde, in der Ronald Reagan als Präsident der Vereinigten Staaten drastische Kürzungen an Sozialprogrammen vornahm – was natürlich immer auch Ältere trifft – und das Konzept des Successful Aging eine willkommene Legitimation schaffte. Eine kritisch inspirierte Psychoanalyse kann sich nicht am Konzept des Successful Aging orientieren, sie braucht ein anderes Leitbild, ein Verständnis vom Alter, das sich an dessen Eigenwert orientiert (Peters, 2013). Es gilt, die inhärenten Werte dieses Lebensabschnitts hervorzuheben, etwa Introspektion, Gelassenheit und Generativität. Diese Eigenschaften können einen anderen Lebensrhythmus hervorbringen, der sich nicht an entfremdeter Zeit orientiert, sondern die Lebensqualität der Langsamkeit zur Entfaltung bringt (Peters, 2002). Durch die Langsamkeit gewinnt das Alter ein eigenes Gesicht und einen eigenen Rhythmus, die Langsamkeit verleiht ihm Würde, so wie eine Prozession, ein feierlicher Augenblick oder ein tiefer gehendes Gespräch auf Langsamkeit angewiesen sind. Die Sinneswahrnehmung wird verfeinert, wenn Zeit ist, die Eindrücke wirken zu lassen. Das Alter kann so seine eigene Atmosphäre und Temperatur entfalten, wie schon Hermann Hesse geschrieben hatte (Hesse, 1972). Eine selbstbestimmte Lebenspraxis und ein selbst gewählter Lebensrhythmus aber müssen eine Gesellschaft zutiefst beunruhigen, die immer stärker einer kaum noch zu kontrollierenden Beschleunigung unterliegt (Rose, 2005). Die Langsamkeit des Alters ist die Antithese zur Beschleunigung in der globalisierten Welt.

2.3 Die Bürde der Vergangenheit Bisherige Kohorten Älterer sind in der Zeit der Weimarer Republik, des aufkommenden Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs geboren und aufgewachsen. Die in dieser Zeit vorherr16

Der gesellschaftliche Rahmen des Alters

schenden Erziehungsvorstellungen und -praktiken unterschieden sich maßgeblich von den heutigen. Im 1928 erschienenen Buch der Kinderärztin Johanna Haarer werden die Erziehungsgrundsätze dargelegt, die auf Selbstkontrolle, Gehorsam, Anerkennung der Autorität abzielen, und zwar schon im ersten Lebensjahr. Sigrid Chamberlain (1997) hat in ihrem Buch »Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind« den Ratgeber von Haarer, der in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in millionenfacher Auflage gedruckt wurde, analysiert. Darin hieß es: »Außerdem hat die Trennung von Mutter und Kind für letzteres außerordentliche erzieherische Vorteile« (zit. nach Chamberlain, 1997, S. 123). Es ging also um Trennung, nicht um Bindung, wie Chamberlain hervorhebt. Manches spricht dafür, dass solche Prägungen bis ins Alter hinein wirksam bleiben. Nicht nur diese Persönlichkeitsprägung kennzeichnet bisherige Ältere, ihnen blieb nicht erspart, die dunkelsten Phasen der deutschen Geschichte mit Nationalsozialismus, Krieg, Hunger, Flucht und Vertreibung zu durchleben (Radebold, 2006). Die Generation der Täter, also derjenigen, die aktiv an Kriegshandlungen beteiligt waren, befindet sich heute im hochbetagten Alter oder ist bereits verstorben; die heutige Altengeneration hat in dieser Zeit ihre Kindheit und Jugend verbracht und war damit selbst Opfer. Sie war oft unsagbarem Leid ausgesetzt und ist vielfach traumatisiert, hat Entbehrungen, Not und Hunger erlitten und häufig Trennungen erlebt. So wurden über zwei Millionen Kinder im Rahmen der sogenannten Kinderlandverschickung in andere, weniger von Kriegshandlungen betroffene Ortschaften und damit vermeintlich in Sicherheit gebracht. Besonders häufig war die Abwesenheit des Vaters, der an der Front, schon gefallen oder in Kriegsgefangenschaft war. Das Fehlen des Vaters als triangulierendes Identifikationsobjekt – insbesondere für Jungen – als Voraussetzung für eine reife, autonome Persönlichkeitsentwicklung wirkt sich bis ins Alter aus und ist mit einem erhöhten Risiko von Depressionen verbunden (Franz, 2011). Die Bürde der Vergangenheit

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Die Zäsur des Zweiten Weltkriegs hat die Kontinuität der Erziehungshaltung zunächst kaum berührt; das Buch von Haarer erschien in immer neuen Auflagen – leicht gesäubert – bis 1986. Erst die 1960er Jahre führten zu einem Bruch in der Erziehungshaltung, im Umgang mit Konflikten und Gefühlen. Jetzt älter werdende Kohorten sind bereits von den soziokulturellen Veränderungen der 1960er Jahre geprägt und bringen in mancherlei Hinsicht bessere Voraussetzungen für die Bewältigung des Alters mit (Lindner u. Peters, 2017).

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Der gesellschaftliche Rahmen des Alters

3 Das »Innere des Alters« – eine psychodynamische Ausleuchtung

Der Gerontologe M. Kenyon (Kenyon, Ruth u. Mader, 1999) sprach einmal vom »Innern des Alters« und hob damit auf die Tatsache ab, dass sich das Leben zunehmend auf eine innere Bühne verlagert. Im Folgenden werden einige psychodynamische Überlegungen aufgegriffen, die geeignet erscheinen, diese innere Bühne zu beleuchten. Allerdings bedürfen sie in mancher Hinsicht der Ergänzung bzw. Verknüpfung mit empirischen Befunden zum Prozess des Älterwerdens.

3.1 Von der Kontinuität des Lebens – die Zeitlosigkeit des Unbewussten Im Alter verändert sich vieles, und manchmal scheint es, als ob dem Alternden das eigene Leben entgleitet. Und doch gibt es auch eine Kontinuität, bleiben die Phantasien, Wünsche und Ängste, aber auch Einstellungen und Vorlieben erhalten, und das vorherrschende Lebensgefühl hat Bestand. Es scheint einen Kern der Persönlichkeit zu geben, der von den Veränderungen des Alters unberührt bleibt. Dies scheint Freud mit seiner Beschreibung der Zeitlosigkeit des Unbewussten erfasst zu haben. Freud hatte in »Zeitgemäßes über Krieg und Tod« (1915) formuliert, das Unbewusste kenne keinen persönlichen Tod. Und 1933 schrieb er: »Im Es findet sich nichts, was der Zeitvorstellung entspricht, keine Anerkennung eines zeitlichen Ablaufs […] und keine Veränderung des seelischen Vorgangs durch den Zeitablauf. Wunschregungen, die das Es nie überschritten haben, aber auch Eindrücke, die durch Veränderungen ins Es versenkt 19

worden sind, sind virtuell unsterblich, verhalten sich nach Dezennien, als ob sie neu vorgefallen wären« (S. 80 f.). Freud hat damit, ohne das Alter im Blick zu haben, einen entscheidenden Hinweis für eine modernere Sicht vom Alter geliefert. Dieses erscheint nicht mehr als unvermeidlicher Verfallsprozess, sondern als eine Zeit, in der die Dynamik des Unbewussten mit all seinen unabgegoltenen Wünschen und verdrängten Triebimpulsen und -konflikten fortbesteht. Diese müssen unter den Vorzeichen des Alters erneut durchgearbeitet werden. Triebdynamisch gesehen bestehen der orale, der anale und der ödipale Konflikt fort und erfahren im Alter eine Neuauflage. Wenn sich die Identität als Mann oder Frau verändert, wenn es gilt, Einfluss und Macht aufzugeben oder Abhängigkeit im hohen Alter hinzunehmen, dann ist der Umgang mit diesen Alterserfahrungen nicht unabhängig davon, wie diese psychodynamischen Konflikte im bisherigen Leben bewältigt wurden. Die Freud’schen Überlegungen schaffen eine Basis, psychodynamisches Denken und Arbeiten auch bei Älteren zur Anwendung zu bringen. Und doch werden sie den altersbedingten Veränderungen nicht gerecht, vielmehr sind sie auch Ausdruck dafür, dass Freud zu Phänomenen des Alters keinen Zugang fand.

3.2 Altern als das Fremde in uns – die Spiegelphase des Alters »Seit einigen Wochen bemerkt A., wenn sie morgens bei der Toilette vor dem Spiegel steht, an den Augenlidern kleine gelbliche Hautknötchen, die ihr weiter keine Beschwerden verursachen, beim Abtasten nicht schmerzen, offensichtlich als harmlos ermessen werden können, nur einfach da sind, nicht einmal besonders hässlich, entstellend nur in sehr beschränktem Maße, von den anderen erst wahrzunehmen nach ausdrücklichem Hinweis, die aber ihr, A., zu mancher Beunruhigung, die sich da einstellte in den letzten Jahren, eine neue, nicht panische, doch auf feinsägende Weise peinigende hinzufügen.« 20

Das »Innere des Alters« – eine psychodynamische Ausleuchtung

So beginnt Jean Améry (1979, S. 38) seine Beschreibung der Entdeckung körperlicher Veränderungen des alternden Menschen sowie des Entfremdungsgefühls, das damit verbunden ist. Die körperlichen Veränderungen sind wohl die ersten Signale, die das Alter ankündigen, sie beginnen schleichend und es ist, als ob etwas Fremdes in das bisher so vertraute Leben eindringt, etwas, das irritiert, vielleicht auch beunruhigt, das jedenfalls kaum jemand freudig begrüßen dürfte. Freud (1919) beschreibt in dem kleinen Aufsatz »Das Unheimliche« ein eigenes Erlebnis, bei dem er glaubte, einen Fremden zu sehen, bis er entdeckte, dass er selbst der alte Mann gegenüber war, der ihm unheimlich – als Gegensatz zu heimlich, heimisch, vertraut – erschien; eine Begegnung mit Alter und Tod. Nicht nur betrachtet sich jeder von Zeit zu Zeit im Spiegel, auch die Gesellschaft hält diesen den Älteren vor. Woodward (1991) spricht deshalb in Anlehnung an Lacan von der Spiegelphase des Alters, in der der älter werdende Mensch mit dem körperlichen Altern konfrontiert wird. Der Körper tritt damit aus seinem So-Sein heraus, wir sind nicht mehr nur Körper, wir haben auch einen Körper, der uns als Objekt entgegentritt. Dass damit eine Spaltung verbunden ist, kommt in den zahlreichen Befunden zum Ausdruck, denen zufolge ältere Menschen ihr gesundheitliches Befinden auch dann noch als gut oder befriedigend einschätzen, wenn Krankheiten kaum zu übersehen sind. Es kommt zu einer Dissoziation, das gesundheitliche körperliche Empfinden wird partiell abgekoppelt vom medizinisch-organischen Geschehen, die narzisstische Körperrepräsentanz bleibt zunächst erhalten und von der objektalen Körperrepräsentanz getrennt, das körperliche Empfinden hinkt gewissermaßen dem realen körperlichen Altern hinterher (Teising, 1996). Dies ist als Schutzreaktion angesichts des Unheimlichen des sich verändernden Körpers zu verstehen, doch es wird zum Problem, wenn es darum geht, für diesen Körper Sorge zu tragen, ihn zum Objekt von Selbstpflege und Fürsorge zu machen. Das jugendzentrierte Körperbild in unserer Gesellschaft erhöht die Schwierigkeit, zu diesem »fremden« Körper ein akzeptierendes, liebevolles Verhältnis zu finden. Dies kann nur gelingen, wenn ein gutes Altern als das Fremde in uns – die Spiegelphase des Alters

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mütterliches Objekt zur Verfügung steht, das angesichts des Spiegelbildes wiederbelebt wird. Ohne dieses, so Teising (1996), könne man nicht alt werden, werde der alternde Körper zum Objekt der Klage und Anklage. Die körperlichen Veränderungen geben somit einen entscheidenden Anstoß zum inneren Wandel im Alter.

3.3 Der gelebte Augenblick – die depressive Position Nicht selten begegnen uns ältere Menschen, die weder hadern noch verzweifeln, die nicht in Depression verfallen, sondern in sich zu ruhen scheinen und ihr Leben genießen. Sie kosten den Augenblick aus und scheinen dabei vorhandene Einschränkungen ausblenden zu können. Die gerontologische Forschung hat immer wieder den Befund bestätigen können, dass der überwiegende Teil der älteren Menschen eine große Lebenszufriedenheit aufweist. Dieses Phänomen wird als Altersparadoxon bezeichnet, da es der Erwartung widerspricht, ältere Menschen müssten aufgrund von Einschränkungen unzufrieden sein. Die gerontologische Theorie der sozioemotionalen Selektivität erklärt dies mit einer veränderten Zeitperspektive (Carstensen, 2007): Während jüngere Menschen auf Zukunft hin orientiert seien und dies ihre Lebensgestaltung bestimme, führe die eingeschränkte Zukunft in der zweiten Lebenshälfte, die nicht zuletzt auch durch die körperlichen Veränderungen signalisiert wird, zu einer Betonung des Hier und Jetzt. Davon wird etwa die Tendenz zur selektiven Auswahl von Beziehungen abgeleitet, die besonders gepflegt werden, nämlich solchen, die dem persönlichen Wohlbefinden dienen, beispielsweise zu den Enkelkindern. Die Theorie geht davon aus, dass ein hedonistisches Lebensprinzip, das Freud am Beginn des Lebens im Vordergrund sah, angesichts der verkürzten Lebensperspektive im Alter erneut wirksam wird. Verbunden damit ist eine ausgesprochene Tendenz zur Positivierung in der Wahrnehmung, zur Ausblendung negativer Informati22

Das »Innere des Alters« – eine psychodynamische Ausleuchtung

onen sowie zur Vermeidung negativer Affekte, damit aber auch zur Abwehr von Endlichkeit, Alter und Tod, wie aus psychodynamischer Perspektive hinzuzufügen ist. Doch der gelebte Augenblick kann auch eine tiefere Bedeutung erlangen und zum gefüllten Augenblick werden, folgt man dem französischen Psychoanalytiker E. Jaques (1965). Er hatte in seinem Essay »Death and the Mid-Life Crisis« die Durcharbeitung der depressiven Position als Aufgabe der Lebensmitte beschrieben, um zu einem Leben im Hier und Jetzt zu gelangen. In der ersten Hälfte des Lebens überwiege eine hypomanische Abwehr, das Leben erscheine unbegrenzt und unendlich. In der Lebensmitte, wenn der Gedanke an den Tod im Unbewussten auftauche, müsse die depressive Position erneut durchgearbeitet werden, um zu einer konstruktiven Resignation zu gelangen. Gelinge dies dem älter werdenden Menschen nicht, bleibe die innere Struktur desintegriert und das Gute und das Böse, die immer wieder nach außen projiziert werden, unverbunden. Damit gehe ein Gefühl des Bedroht- oder Verfolgtwerdens einher, das auch das Alterserleben prägen könne. In der depressiven Position hingegen befinde sich im Innern der Persönlichkeit eine gute, hilfreiche Gestalt, die die Gesamtidentität trage. Das gute innere Objekt sorge für den kontinuierlichen inneren Dialog, auf dem Selbstvertrauen und psychische Sicherheit gründen können. Es bewirke ein Nachlassen von Projektionen und das Überwiegen von Introjektion, also das Aufnehmen von guten Aspekten in die innere Welt. Es begrenze Schuldgefühle und Angst vor Vernichtung, rufe stattdessen Sorge um die geliebten Objekte hervor und schaffe einen Zustand von Dankbarkeit und den Wunsch nach Wiedergutmachung. Es erlaube ein Akzeptieren von Grenzen, Endlichkeit und Tod (Cohen, 1982). Allerdings ist eine solche Position immer wieder insbesondere bei eintretenden Einschränkungen oder Verlusten bedroht. Bei einem Rückfall auf eine paranoid-schizoide Position muss die depressive Position neu erarbeitet werden, damit ein Gefühl der Verbundenheit mit der Welt auch dann erhalten bleibt, wenn die eigenen Lebensmöglichkeiten immer begrenzter werden. Der gelebte Augenblick – die depressive Position

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3.4 Das innere Gleichgewicht erhalten – Narzissmus und Alter Um die im vorherigen Abschnitt beschriebene Haltung zu erlangen, ist eine weitgehende Umstrukturierung der inneren Welt erforderlich. Was dies bedeutet, wird etwa in der Studie von Dittmann-Kohli (1990) deutlich, die mithilfe eines Satzergänzungstests jüngere und ältere Menschen miteinander verglich und eine Verschiebung von Zielen, Werten und Bedeutungszuschreibungen bei den Älteren gefunden hat. Bei jüngeren Menschen waren zahlreiche Ängste und Selbstzweifel im Hinblick darauf zu beobachten, ob sie die eigenen Wünsche, Träume und zukunftsbezogenen Ziele auch realisieren und den Anforderungen des Ich-Ideals würden genügen können. Die Älteren hingegen sahen ihre bisherigen Ziele als erreicht oder als nicht mehr relevant an, die meisten hatten keine großen, auf die Zukunft bezogenen Pläne mehr. Durch die Abwertung bzw. die Aufgabe bisheriger Ideale und Standards erreichen Ältere eine größere Übereinstimmung von Realund Idealselbst und dadurch eine hohe psychische Stabilität (Peters, 1998). Da Ziele immer auf Zukunft ausgerichtet sind, haben diese für Ältere keine positive Orientierungsfunktion mehr, von der Zukunft erwarten sie eher negative, nicht mehr ausreichend selbst zu kontrollierende Veränderungen. Folglich sind die im Vordergrund stehenden Ängste Verlustängste, also die Sorge um das Bestehende, während bei Jüngeren die Angst im Vordergrund steht, die anvisierten Ziele nicht zu erreichen, also Versagensängste. Auch der bei Älteren häufig zu beobachtende Rückgang der Affekte Wut und Ärger lässt sich damit erklären, entstehen diese doch vornehmlich dann, wenn nach außen gerichtete Ziele blockiert werden. Ärger ist mithin eher ein Affekt jüngerer Jahre, während Ältere in nicht lösbaren Konfliktsituationen eher mit Traurigkeit reagieren, einem Affekt, der eher dann zu erwarten ist, wenn das Bestehende bedroht ist (Charles u. Carstensen, 2010). Ihren gegenwärtigen Stolz und ihr Selbstwertgefühl begründeten Ältere mit den positiven Selbstattributen, die ihnen geblieben sind, beispielsweise die noch 24

Das »Innere des Alters« – eine psychodynamische Ausleuchtung

gute Gesundheit, noch »fit« zu sein, sich weiterhin aktiv und vital zu fühlen oder noch jünger zu wirken als Gleichaltrige. Zweifellos ist auch das gelebte Leben als narzisstisches Polster von erheblicher Bedeutung, also das narzisstisch gesättigte, vergangenheitsbezogene Ich-Ideal (Peters, 1998).

3.5 Die Suche nach Sicherheit – Bindung im Alter Im höheren Alter nehmen Unsicherheit und Ungewissheit zu. Die Wahrscheinlichkeit, einen nahen Angehörigen oder Freund zu verlieren, steigt ebenso an wie die Gefahr, krank und womöglich gebrechlich und hilfsbedürftig zu werden. Die wachsende Sturzgefahr macht dies besonders augenfällig: Circa ein Drittel aller über 65-Jährigen stürzt mindestens einmal im Jahr, nicht selten mit gravierenden Folgen. Die zunehmende Gangunsicherheit symbolisiert gewissermaßen die wachsende Ungewissheit des Lebens. Um die Auswirkungen dieser Veränderungen zu verstehen, ist die Bindungstheorie in neuerer Zeit auch auf das Alter bezogen worden (van Asche et al., 2013). Im Alter wird aufgrund bedrohlich erscheinender Veränderungen und Verluste das Bindungssystem besonders häufig aktiviert und die Suche nach Sicherheit wird zu einem zentralen Lebensmotiv. Dies führt in der Regel zu einer Intensivierung bedeutsamer Beziehungen. Nach Verlusten müssen unter Umständen neue Bindungsobjekte gefunden werden, dies können auch Hilfspersonen wie Ärzte oder symbolische Bindungsobjekte wie Erinnerungsstücke sein. Auch die Beziehung zu Tieren oder der Glaube an Gott kann unter Bindungsgesichtspunkten verstanden werden. Besonders bedeutsam ist eine Verschiebung in der Prävalenz der Bindungsmuster: Während die Häufigkeit sicherer Bindungen den meisten Studien zufolge gleich bleibt, verringert sich die Anzahl unsicher-verstrickter Bindungen. Personen mit diesem Bindungsstil zeichnen sich durch eine inkonsistente und inkohärente Darstellung von Beziehungserfahrungen sowie durch Verstrickungen mit BindungsDie Suche nach Sicherheit – Bindung im Alter

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personen aus. Auffallend sind weiter die Abhängigkeit von anderen, der Mangel an eigener Identität und die Überbewertung von Bindungen. Die Mentalisierungsfähigkeit scheint eingeschränkt und Affekte, besonders Angst, scheinen eher unterreguliert zu sein. Den Studien zufolge findet sich dieses Bindungsmuster nur noch bei circa 10–15 Prozent der Älteren. Dennoch dürfte dieser Bindungstypus im klinischen Kontext überrepräsentiert sein. Eine Zunahme erfährt vor allem die unsicher-vermeidende Bindung. Personen mit diesem Bindungsstil legen ein vermeintlich hohes Wohlbefinden an den Tag, weisen aber ein ebenso hohes Maß an Verdrängung auf und neigen zur Idealisierung ihrer Kindheit, an die sie sich allerdings kaum erinnern können. Sie beschreiben mehr positive und wenig negative Affekte wie Angst oder Ärger, sodass ein hohes Maß an Verdrängung und Konfliktvermeidung angenommen wird. In einer experimentell hergestellten Konfliktsituation wiesen sie dann auch eine erhöhte Herzrate auf, was als Dissoziation von selbst erlebten Affekten und physiologischen Reaktionen interpretiert wurde (Jain u. Labouvie-Vief, 2010). Übereinstimmend stellen die Studien einen deutlichen Anstieg dieses Bindungstypus im Alter fest, einige kommen zu Werten von über 70 Prozent unsicher-vermeidend gebundener Älterer. Dies zeigt das wachsende Sicherheitsbedürfnis älterer Menschen und einen zunehmend defensiv ausgerichteten Lebensstil (Peters, 2015a, 2015b).

3.6 Grenzen ziehen sich zusammen – Neuropsychoanalyse und Alter Während sich im jungen Alter der Lebensradius noch einmal erweitern kann, wird er im höheren Alter mehr und mehr eingeschränkt; die Wohnung wird zum bevorzugten Aufenthaltsort. Das Leben begrenzt sich zunehmend auf den Bereich, in dem der Ältere sich sicher fühlen und ausreichend eigene Kontrolle haben kann. Auch die Fülle der Aufgaben wird reduziert und die Komplexität des Lebens 26

Das »Innere des Alters« – eine psychodynamische Ausleuchtung

auf ein beherrschbares Ausmaß begrenzt. Dieser Rückzug ist in der Regel nicht Ausdruck einer Depression, vielmehr eine Entwicklung, die mit dem Alter selbst zu tun hat. Von Bedeutung sind neurophysiologische und -psychologische Veränderungen als Teil des biologischen Alterns, das auch das Kognitive umfasst. Neben einer allgemeinen Verlangsamung der Informationsaufnahme und -verarbeitung sind Neuronenverluste und eine Reduktion der synaptischen Verbindungen Teil dieses Prozesses, der jedoch nicht in allen Regionen des Gehirns gleich einschneidend ist. Besonders ausgeprägt sind solche Verluste im Hippocampus, der für die Speicherung von Gedächtnis­ inhalten wichtig ist, sowie im Frontalhirn; man spricht auch vom frontalen Altern. Infolgedessen sind besonders die exekutiven Funktionen betroffen, das heißt die höheren kognitiven Prozesse, die die Handlungsplanung und -steuerung umfassen, die Inhibitionsfähigkeit und das Arbeitsgedächtnis. Damit sind wesentliche Funktionen beeinträchtigt, die für die Alltagsbewältigung ebenso von Bedeutung sind wie für das soziale Leben. Was bedeutet dies nun für ein psychodynamisches Verständnis älterer Menschen? Ich habe an anderer Stelle die Theorie der sekundären Strukturdefizite entwickelt (Peters, 2014a, 2017). Sie geht von den oben beschriebenen Veränderungen aus und postuliert, dass damit eine erhöhte strukturelle Vulnerabilität einhergeht. Diese kommt kaum zum Tragen, solange das Leben mithilfe der kristallinen Intelligenz bewältigt werden kann, das heißt des gut gespeicherten Welt- und Erfahrungswissens. Sobald aber fluide Fähigkeiten gefordert sind, machen sich die Defizite bemerkbar. Dies ist der Fall, wenn die Anforderungen bzw. deren Komplexität steigen oder besondere Belastungen durch Erkrankungen oder Verluste hinzukommen. Die Defizite zeigen sich dann in den Bereichen, die in der psychodynamischen Strukturtheorie beschrieben sind, beispielsweise der Affektregulation, in sozialkognitiven Fähigkeiten oder der Mentalisierungsfähigkeit. So bestätigen zahlreiche empirische Befunde Defizite in den »Theory of Mind«-Fähigkeiten, in der Fähigkeit, die Gefühle, Intentionen und Beweggründe des Gegenübers zu verstehen und in das eigene BezieGrenzen ziehen sich zusammen – Neuropsychoanalyse und Alter

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hungsverhalten einzubeziehen (Henry, Philips, Ruffman u. Bailey, 2013). Auch die ebenfalls bestätigte Tendenz zur Positivierung und Vermeidung negativer Affekte (vgl. Kapitel 3.3) hat mit den verringerten kognitiven und körperlichen Ressourcen zu tun. Die Verarbeitung negativer Affekte erfordert mehr innere Ressourcen als die positiver Affekte; insofern sprechen Labouvie-Vief, Grühn und Studer (2010) in diesem Zusammenhang von einem ressourcenschonenden Verhalten. Aus diesen Ausführungen ergibt sich die Notwendigkeit, neuropsychodynamische (Böker u. Northoff, 2005) in die psychodynamischen bzw. psychotherapeutischen Überlegungen einzubeziehen. Psychische Probleme Älterer lassen sich oftmals nur aus dem Zusammenwirken lebensgeschichtlicher, aktualgenetischer und neuropsychologischer Einflüsse verstehen. Es kommt also eine Dimension mit ins Spiel, die sich nicht allein psychodynamisch aufklären lässt.

3.7 Vom Prozess der Aneignung des Alters Obwohl sich das Älterwerden in der Person selbst vollzieht, ist es eine Erfahrung, die von außen zu kommen scheint, dem Menschen zustößt und ein Gefühl von Fremdheit auslösen kann. Jaeggi (2005) beschrieb das Phänomen der Entfremdung als Gefühl der Entzweiung, als eine Macht und Beziehungslosigkeit sich selbst oder der als fremd erlebten Welt gegenüber. Der Existenzialist Jean Améry (1968) hat den Prozess des Alterns als einen Prozess zunehmender Entfremdung beschrieben. Dieser vollziehe sich auf mehreren Ebenen, angefangen beim Vergehen der Zeit, die dem Älteren davonlaufe und sich jedem Versuch, sie intellektuell zu erfassen, entziehe, bis zu den körperlichen Veränderungen, die den Alternden dem vertrauten Bild von sich selbst und seinem Körper entfernten. Die soziale Entfremdung entstehe, weil Ältere soziale Rollen und ihre soziale Macht verlören und an den Rand der Gesellschaft gedrängt würden; die kulturelle Entfremdung komme zustande, da die Zeit über die Älteren hinweggehe und sie sich immer weniger mit dem identifizieren könnten, was 28

Das »Innere des Alters« – eine psychodynamische Ausleuchtung

sie umgibt. Sie verstünden manches nicht mehr, was die Welt ausmache, die nicht mehr die ihre sei. Das Fremdheitsgefühl, das Améry (1968) eindringlich beschrieben hat, kann als Teil eines Prozesses verstanden werden, der durch Aneignung überwunden werden kann. Aneignung ist ein aktiver Vorgang der Auseinandersetzung und des Durcharbeitens, beides steht in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Das, was man sich aneignet, bleibt nicht äußerlich, es wird zu einem Teil des Selbst. Das Angeeignete verändert sich und gewinnt eine ganz persönliche Prägung. Der Vorgang beschreibt somit eine Verinnerlichung, in der das Angeeignete gleichzeitig gestaltet und formiert wird. In gleichem Maße verändert sich auch der Aneignende, sein Denken, sein Fühlen und sein Selbstbild; es findet ein gegenseitiges Durchdringen in dem Spannungsverhältnis zwischen Vorgegebenem und Gestaltbarem, zwischen Übernahme und Schöpfung statt (Jaeggi, 2005). Die Vorstellung eines Aneignungsprozesses auf das Alter zu beziehen, eröffnet die Chance, den Prozess des Älterwerdens weder als Unterwerfung unter das Schicksal zu verstehen noch es zu verleugnen bzw. als einen abgespaltenen Teil seiner selbst zu erleben (Peters, 2008). Vielmehr umfasst ein solcher aktiver Prozess die Möglichkeiten der Aneignung der positiven Seiten des Alters wie aber auch eine Begegnung mit dessen Schattenseiten (Moody, 2005). Innerhalb dieses Prozesses kann eine individuelle Altersidentität entstehen. Eine solche integrierte Repräsentanz des Alters vermag auch die grundsätzliche Ambivalenz auszuhalten, das heißt die Chancen, dem Leben noch einmal neue Akzente zu verleihen, aber ebenso das näher rückende Lebensende.

Vom Prozess der Aneignung des Alters

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4 Konzepte psychodynamischer Psychotherapie und Alter

4.1 Konfliktorientierte Psychotherapie Alterspsychotherapie ist zunächst einmal nicht anders als Psychotherapie mit anderen Patientengruppen auch. Die Freud’sche These von der Zeitlosigkeit des Unbewussten schafft eine Grundlage, die konfliktorientierte Perspektive der Psychoanalyse auch auf ältere Patientinnen und Patienten zu übertragen. So kommt auch das klassische Interventionsspektrum von Klarifikation, Konfrontation, Deutung und Durcharbeiten zum Tragen. Das bewährte therapeutische Vorgehen auch auf Ältere anzuwenden kann als wichtiger Schritt hin zu einer »Normalisierung« der Alterspsychotherapie verstanden werden (Radebold, 1992). Zweifellos haben auch viele Ältere den Wunsch, ihr Gewordensein und das, was sie innerlich umtreibt und bedrängt, besser zu verstehen. Gelingt es, dieses Verständnis durch Deutungen zu erweitern und zu vertiefen, gewinnen auch sie dadurch eine größere innere Handlungsfreiheit; es liegt auch eine Reihe von Fallberichten vor, in denen dieses nachvollziehbar dargestellt wird (vgl. Kapitel 7). Doch wie weit trägt diese Form der konfliktbearbeitenden, einsichtsorientierten Psychotherapie bei Älteren, inwieweit können sie von einem Angebot profitieren, das auf dem »Durchspielen« verschiedener Bedeutungen aus unterschiedlichen Perspektiven basiert? Insbesondere von Rudolf (2006) wird kritisch diskutiert, dass der Vorrang von Deutungen im therapeutischen Prozess ein Machtgefälle in der therapeutischen Beziehung impliziert. Insbesondere labile Patienten könnten sich dadurch bedroht fühlen und Deutungen als beschämenden Verweis auf die eigene Ohnmacht erleben. In 30

der Behandlung Älterer nun kann das Altersgefälle in der therapeutischen Beziehung die Bereitschaft älterer Patienten mindern, Therapeuten eine Deutungsmacht zuzugestehen. Selbst wenn dies möglich ist, steht doch die altersspezifische Abwehr einer konstruktiven Wirkung von Deutungen oftmals im Weg. Das verstärkte narzisstische Schutzbedürfnis, der Wunsch nach positiver Umdeutung sowie der damit verknüpfte Widerstand, sich mit negativen Affekten zu befassen, lassen deren Wirkung oft verpuffen. Auch der depressive Rückzug dient häufig diesem Schutzbedürfnis, weil er die vertiefende innere Auseinandersetzung vermeidet. Experimentelle Studien zeigen, dass die Positivierungstendenz auch bei depressiven Älteren fortbesteht, das heißt, der Wunsch nach narzisstischem Schutz angesichts der Zumutungen des Alters bleibt auch bei diesen Patienten bestehen. Er schlägt sich auch im Umgang mit interpersonellen Konfliktsituationen nieder, in denen Ältere eher als Jüngere mit Beschwichtigung, Verständnis oder Bagatellisierung reagieren (Blanchard-Fields, Stein u. Watson, 2004). All diesen Veränderungen ist insofern Rechnung zu tragen, als der Herstellung eines Gefühls von Sicherheit und narzisstischem Schutz ebenso eine größere Bedeutung zukommt wie der Generierung positiver Affekte. Diese Erfordernisse sprechen für die Einbeziehung der neueren Entwicklungen innerhalb der psychodynamischen Psychotherapie in das therapeutische Vorgehen.

4.2 Mentalisierungsbasierte Psychotherapie Die Entwicklung modifizierter therapeutischer Ansätze als Reaktion auf die Erfahrung, dass der auf Deutung und Einsicht basierende Therapieansatz bei manchen Patientengruppen nur begrenzt wirksam ist, hat auch der Alterspsychotherapie neue Impulse verliehen. Zu diesen neueren Verfahren gehört die Mentalisierungsbasierte Psychotherapie (Schulz-Venrath, 2013; Taubner, 2015). Bietet sie auch Chancen für die Behandlung Älterer (Schrader, 2017; Peters, 2017)? Mentalisierungsbasierte Psychotherapie

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Zunächst stellt sich die Frage, ob Mentalisierungsdefizite bei Älteren von Bedeutung sind. Wird ihnen nicht eine besondere Reflexionskompetenz und Weisheit zugesprochen? Um die Frage beantworten zu können, ist ein Blick in die empirische Forschung erforderlich. Auf die sozialkognitiven Defizite, insbesondere in den »Theory of Mind«-Fähigkeiten, wurde bereits hingewiesen (Kapitel 3.6). Dieser erste Eindruck reduzierter Mentalisierungsfähigkeiten bestätigt sich, schaut man auf die Befunde zur dynamischen Integrationstheorie, in der das Konstrukt der kognitiv-affektiven Komplexität definiert wurde. Hohe kognitiv-affektive Komplexität bedeutet, über eine Sprache für Affekte zu verfügen und diese in komplexer, nicht stereotyper und nicht polarisierender Form zum Ausdruck bringen zu können, positive und negative Affekte integrieren, zwischen Selbst und anderen differenzieren, intra- und interindividuelle Konflikte tolerieren und die Einzigartigkeit individueller Erfahrungen anerkennen zu können (Labouvie-Vief et al., 2010; Labouvie-Vief u. Medler, 2002). Die empirischen Befunde zeigen, dass diese Fähigkeit bei etwa zwei Drittel – und damit deutlich mehr als bei Jüngeren – der älteren Menschen reduziert ist. Legt man die Befunde zu dieser, mit psychodynamischen Überlegungen gut zu vereinbarenden Theorie zugrunde, scheint eine Mentalisierungsbasierte Therapie bei Älteren besonders sinnvoll zu sein. Sie knüpft insofern an psychodynamische Therapieverfahren an, als sie auf die Förderung der Reflexionsfähigkeit respektive der kognitiv-affektiven Komplexität des Patienten abzielt. Dies geschieht jedoch nicht voraussetzungsfrei, sondern in einer therapeutischen Beziehung, die nicht allein unter dem Blickwinkel der Übertragung konzipiert wird, sondern auf der Basis der Bindungstheorie. Eine grundlegende Annahme der Mentalisierungsbasierten Psychotherapie besagt, dass sich die Mentalisierungsfähigkeit nur auf der Basis von Bindungssicherheit entfalten kann und Unsicherheit diese Fähigkeit einschränkt. Die Ausführungen zur Bindungstheorie (Kapitel 3.5) legen nahe, dass die Mentalisierungsfähigkeit aufgrund zunehmender Unsicherheiten bei vielen Älteren eingeschränkt ist. Der Therapeut 32

Konzepte psychodynamischer Psychotherapie und Alter

muss in der Lage sein, Bindungssicherheit herzustellen, nur dann kann er die Mentalisierungsfähigkeit anregen. Gewonnene Sicherheit erlaubt dann die bessere Integration von Kognition und Affekt bzw. die Mentalisierung der Affekte. Die therapeutische Beziehung basiert auf einem kooperativen Miteinander, die Übertragungsbeziehung wird zwar berücksichtigt, doch der Umgang damit ist weniger deutend als anerkennend und ebenfalls mentalisierend, das heißt, sie wird validiert und auf die Auslöser und die affektive Bedeutung hin untersucht. Auch die Interventionsmöglichkeiten unterscheiden sich von der klassischen Behandlungstechnik und orientieren sich mehr an der Alltagssprache und einfachen Formulierungen; auch diese Haltung kommt vielen Älteren entgegen, die sich durch eine »psychologisierende« Sprache manchmal abgeschreckt fühlen. Auch bedient sich der Therapeut einer aktiven, anregenden Therapietechnik und zeigt seine Neugier und sein Interesse am Patienten. Die Forderung einer größeren Aktivität im Umgang mit älteren Patientinnen und Patienten durchzieht die alterspsychotherapeutische Literatur; die Mentalisierungsbasierte Therapie macht nun deutlich, wie eine solche größere Aktivität therapeutisch förderlich umgesetzt werden kann. Geht man von der erhöhten strukturellen Vulnerabilität vieler Älterer aus, dann trägt die Form der Gestaltung der therapeutischen Beziehung und die Bevorzugung aktiver, anregender Interventionstechniken dem bereits Rechnung. Auch die Fokusformulierung am Beginn der Behandlung bzw. zu Beginn jeder Stunde (»Worum geht es heute?«) trägt zu mehr Kontrolle und Sicherheit bei und bringt die kooperative Dimension der Beziehung zum Ausdruck (Taubner, 2015). Worauf aber kann sich dieser Fokus beziehen? Dabei ist nun an die verschiedenen strukturellen Dimensionen zu denken, die bei Älteren von besonderer Relevanz sind (Peters, 2017). In der Mentalisierungsbasierten Therapie kommt dem Affektfokus eine besondere Bedeutung zu, weshalb auch das affektive Fragen als zentrale Interventionstechnik betrachtet werden kann (Schultz-Venrath, 2013). Auch bei Älteren hat die Dimension der Affektregulation eine erhebliche Mentalisierungsbasierte Psychotherapie

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Bedeutung, da sie oftmals eingeschränkt ist (Peters, 2015a, 2015b). Der Therapeut, die Therapeutin übernimmt dann die Rolle eines »interaktiven Affektregulators« (Schore, 2007), der dem Patienten hilft, Affekte zu differenzieren, zu modulieren und in einen Kontext zu stellen, um sie besser integrieren zu können. So kann auch der Zugang zu negativen Affekten erleichtert werden.

4.3 Strukturbezogene Psychotherapie Mit der Strukturbezogenen Psychotherapie nach Rudolf (2006) liegt ein weiterer Ansatz vor, der die Möglichkeiten der Alterspsychotherapie insbesondere auch im Hinblick auf Hochaltrige erweitert (Peters, 2014a, 2017). Sie weist einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zur Mentalisierungsbasierten Psychotherapie auf. Gemeinsam ist beiden Ansätzen ohne Zweifel eine im Vergleich zur klassischen Behandlungstechnik aktive, entwicklungsfördernde Haltung und Gesprächsführung des Therapeuten, die Älteren entgegenkommt. Klassische Konzepte wie das der Abstinenz und Neutralität erscheinen in neuem Licht. Abstinenz ist eher parteiliche Abstinenz, die voraussetzt, dass sich der Patient einerseits der Unterstützung des Therapeuten gewiss sein kann und Äußerungen von Besorgnis oder Mitgefühl durchaus angebracht sind, er andererseits aber ebenso sicher sein kann, dass sich dieser der Verwirklichung eigener Interessen und Bedürfnisse enthält. Die Unterschiede zwischen beiden modernen psychodynamischen Ansätzen lassen sich vorrangig darauf reduzieren, dass der strukturbezogene Ansatz Patienten mehr Strukturierungshilfen anbietet und mehr die äußere Realität berücksichtigt. Im Fokus steht weniger eine Klärung der unbewussten Determinanten des Verhaltens als eine Arbeit an den Bewältigungsmechanismen und kompensatorischen Strukturen. Er ist somit unterstützender und lässt Raum für übende Anteile, während die Mentalisierungsbasierte Psychotherapie stärker auf die Förderung der Selbstreflexionskompetenz beschränkt bleibt. 34

Konzepte psychodynamischer Psychotherapie und Alter

Die Strukturbezogene Psychotherapie hat ein großes Potenzial insbesondere im Hinblick auf die Behandlung Hochaltriger bzw. erheblich – körperlich wie kognitiv – eingeschränkter älterer Patienten. Diese sind in ihrem »So-Sein in der Welt« fundamental verunsichert, und die Notwendigkeit einer supportiven Haltung ist dementsprechend größer. Die Rückgewinnung eines grundlegenden Gefühls von Sicherheit dürfte bei diesen Patienten fundamental sein. Insofern geht es auch weniger um Veränderung als vielmehr darum, dass Patientinnen und Patienten sich so annehmen können, wie sie sind – ein alter Gedanke der Gesprächspsychotherapie –, also auch darum, die Abwehr und bisherigen Bewältigungsbemühungen anzuerkennen, was auf der Basis einer wertschätzenden Haltung des Therapeuten oder der Therapeutin möglich ist. Die Wirksamkeit von Deutungen beurteilt Rudolf (2006) hingegen skeptisch. Die Bedeutung der Übertragungsbeziehung wird zwar anerkannt, für die konkrete therapeutische Arbeit ist sie aber weniger bedeutsam. Die Aufmerksamkeit richtet sich mehr auf die gegenwärtige emotionale Situation des Patienten und deren Klärung und Bearbeitung; auch diese Fokusverlagerung erscheint bei alten und hochaltrigen Patienten sinnvoll, bei denen oftmals das unmittelbare Leben als große Last und schwer zu bewältigende Aufgabe erscheint. Rudolf (2006) beschreibt folgende Elemente der therapeutischen Haltung: Der Therapeut bietet sich nicht als Interpret unbewusster Vorgänge an, sondern stellt sich als entwicklungsförderndes Gegenüber zur Verfügung, als wohlwollendes Hilfs-Ich, das klärt, versorgt, anregt, spiegelt und mit dem Patienten zusammen konkret überlegt, welche Möglichkeiten er bisher entwickeln konnte und welche weiteren er erproben müsste. Ziel ist das gemeinsame Suchen und Erforschen der inneren Welt des Patienten, das heißt seiner Gedanken und Gefühle, und zwar möglichst eng am derzeitigen Erleben und an der Jetzt-Situation. Es gibt ein breites Spektrum an Interventionsmöglichkeiten: Anregungen geben, klärende Fragen stellen, zur Selbstreflexion einladen, Antworten geben (»Prinzip Antwort«), strukturierende InterventiStrukturbezogene Psychotherapie

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onen einbeziehen (»Concrete Interventions«, Greenberg, 2009, vgl. Kapitel 6.7) sowie zukünftige Aufgaben und planende Schritte vorwegnehmen. Im Mittelpunkt stehen aber die »spiegelnden Interventionen«, womit Rudolf (2006) meint, dem Patienten bestimmte wiederkehrende Muster des Erlebens und Verhaltens zurückzumelden. Einige der in der klassischen Psychoanalyse etablierten Parameter wie die Bearbeitung frühkindlicher Konflikte, das Gewinnen von Einsicht durch Deutungen oder auch technische Parameter wie die freie Assoziation oder die gleichschwebende Aufmerksamkeit treten in den Hintergrund. Demgemäß setzt die strukturelle Interventionstechnik ebenso wie die der Mentalisierungsbasierten Psychotherapie am augenblicklichen mentalen Zustand des Patienten oder der Patientin an.

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Konzepte psychodynamischer Psychotherapie und Alter

5 Zur heutigen Versorgungsrealität

Bis in die jüngste Vergangenheit hinein waren ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen in extremster Weise psychotherapeutisch unterversorgt. Einschlägige Studien fanden immer wieder Anteile Älterer in der ambulanten Versorgung von 1 bis 1,5 Prozent. Die Gründe hierfür sind eingehend erörtert worden (Heuft et al., 2006; Peters, 2006). Ich habe in diesem Zusammenhang von einem Vermeidungsbündnis gesprochen, das heißt dass unterschiedliche Akteure in einem unbewussten Bündnis zusammenwirken mit der Folge, dass Ältere aus der Versorgung ausgeschlossen bleiben. Auf der einen Seite waren es Ältere bisheriger Kohorten selbst, die eine große Distanz zur Psychotherapie an den Tag legten, auf der anderen Seite aber auch die Psychotherapeuten (vgl. Kapitel 6.2), deren Ressentiment über Jahrzehnte dazu führte, dass Jüngere bevorzugt wurden. Aber auch die Kostenträger waren dabei nicht unbeteiligt, auch wenn deren hemmender Einfluss eher im stationären als im ambulanten Bereich zum Tragen kam. All diese Akteure einte ein negatives Altersstereotyp, das Älteren Veränderungsfähigkeit absprach und Psychotherapie für diese Altersgruppe als nicht mehr sinnvoll erachtete. Erst in den letzten Jahren können wir einen Anstieg der Behandlungszahlen beobachten (Peters et al., 2013); inzwischen liegen einige Untersuchungen vor, die von einem Anteil von bis zu 8 Prozent über 60-Jähriger in der ambulanten Psychotherapie ausgehen. Dieser Anstieg ist nicht nur mit dem demografischen Wandel, sondern auch mit dem Kohortenwandel zu erklären, kommen doch jetzt Kohorten in ein höheres Lebensalter, für die Psychotherapie nicht mehr völlig fremd ist und die eher bereit sind, bei psychischen Belastungen Hilfe 37

in Anspruch zu nehmen. Doch das Bild eines Anstiegs der Inanspruchnahme ist trügerisch, denn bei genauerer Betrachtung beschränkt sich dieser weitgehend auf die Gruppe der 60- bis 69-jährigen gut gebildeten Frauen. Auf der anderen Seite lassen sich drei Gruppen ausmachen, die kaum oder gar nicht von diesem Trend profitieren: weniger gebildete Ältere, ältere Männer und Hochaltrige; schon bei den über 70-Jährigen sinken die Behandlungszahlen wieder drastisch ab. Bleibt die Frage nach der Versorgung Älterer in Psychosomatischen Kliniken, in denen – anders als in der Gerontopsychiatrie und Geriatrie, in denen Psychotherapie im besten Fall ein Ergänzungsangebot ist – auch Ältere psychotherapeutisch behandelt werden können (Peters, Gehle u. Lindner, 2006). Die Entwicklung dort verläuft parallel zur Entwicklung im ambulanten Sektor: Waren in der Vergangenheit Ältere hier in eklatanter Weise unterrepräsentiert, wenn auch etwas weniger stark als im ambulanten Sektor, so sind die Behandlungszahlen auch dort deutlich angestiegen. Der Anteil der 60- bis 69-Jährigen liegt inzwischen bei 10,8 Prozent und entspricht damit etwa dem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Der Anteil der über 70-Jährigen stieg von 1,3 Prozent im Jahre 1995 über 2,0 Prozent 2001 auf 5,5 Prozent im Jahre 2010 (Klemt u. Heuft, 2013). Auch wenn hier das Altersspektrum geringfügig höher reicht als im ambulanten Sektor, wo schon die 70-Jährigen nur noch selten kommen, fällt doch auf, dass über 80-Jährige praktisch nicht mehr in Psychosomatischen Kliniken behandelt werden. Die Versorgungssituation bietet heute also ein ambivalentes Bild: Einerseits ist ein Anstieg festzustellen, andererseits bleiben große Gruppen Älterer aber weiterhin unterversorgt, was insbesondere auf die Hochaltrigen zutrifft. Damit finden wir in der psychotherapeutischen Versorgung eine ähnliche Zweiteilung des Alters wie in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die den jüngeren Älteren zunehmend ein Inklusionsangebot macht, während die Höheraltrigen weiterhin marginalisiert bleiben. Es bleibt eine Zukunftsaufgabe, aber auch ethische Verpflichtung, auch die Gruppe der Hochaltrigen mehr in die Versorgungsrealität einzubeziehen. 38

Zur heutigen Versorgungsrealität

6 Das verborgene Alter in der klinischen Praxis

Explizit spielt das Alter in einer psychotherapeutischen Behandlung selten eine Rolle, am ehesten am Beginn, wenn der Therapeut oder die Therapeutin nach dem Lebensalter fragt. Implizit jedoch durchzieht die Erfahrung des Älterwerdens den psychotherapeutischen Prozess wie ein roter Faden. Dieser soll in den folgenden Abschnitten sichtbar gemacht werden.

6.1  Die Anbahnung der Psychotherapie Auch wenn heute mehr Ältere als noch vor einigen Jahren den Weg in die Psychotherapie finden, so fällt vielen dieser Weg doch weiterhin nicht leicht, und manche brauchen einen zusätzlichen Anstoß durch den behandelnden Arzt oder einen Familienangehörigen. Ist der Schritt getan, ist vielen in der ersten Begegnung die Fremdheit und Skepsis anzumerken, sie bleiben zurückhaltend oder treten kontraphobisch die Flucht nach vorn an. Wie kann ein Psychotherapeut, eine Psychotherapeutin damit umgehen? Zunächst einmal ist auf eine altersgerechte Gestaltung des Zugangs und der Raumausstattung zu achten. Ist die Praxis gut erreichbar, ist ein Fahrstuhl vorhanden und ist die Bestuhlung so, dass sie auch für ältere Menschen geeignet ist? Die Signalwirkung dieser äußeren Faktoren sollte nicht unterschätzt werden. Ob nun ein therapeutischer Kontakt zustande kommt, hängt dann aber wesentlich davon ab, wie sich der Therapeut auf eine möglicherweise vorhandene Unsicherheit, Fremdheit und Skepsis einstellt und es ihm gelingt, ein Gefühl 39

von Sicherheit herzustellen. Hilfreich dabei kann eine Unterscheidung sein, die Argelander (1970) einmal im Hinblick auf die Psychotherapiemotivation getroffen hat, nämlich die zwischen bewusster und unbewusster Einstellung. Diese müssen keineswegs übereinstimmen, und es zeigt sich, dass bei Älteren die Skepsis zunächst auf einer bewussten Ebene angesiedelt ist. Dabei spielt Unkenntnis darüber, was Psychotherapie überhaupt ist, wie man sich dort verhält und was davon zu erwarten ist, eine erhebliche Rolle. Um nicht zu sehr eine pädagogische Haltung einzunehmen, sollten psychoedukative Elemente möglichst beiläufig eingefügt werden. Die Erfahrung zeigt, dass auf einer bewussten Ebene meist rasch eine positive Haltung zur Psychotherapie geschaffen werden kann und das gewonnene Wissen zur Beruhigung beiträgt. Die unbewusste Einstellung zur Psychotherapie wird in der Regel erst in den weiteren Gesprächen sichtbar. Dabei können Ängste vor Veränderung, vor Beeinflussung und vor allem auch Schamgefühle von Bedeutung sein (Peters et al., 2000). Gerade Letztere spielen bei älteren Patienten eine erhebliche Rolle, wobei meist ein Gefühl der Kränkung und Demütigung darüber zugrunde liegt, nach einem langen Leben die Kontrolle über das eigene Leben verloren zu haben. Dies vor einem fremden und zumeist auch deutlich jüngeren Menschen sichtbar werden zu lassen, führt oft zu einer Zurückhaltung, dem Wunsch nach Ratschlägen und schneller Besserung oder einer Flucht ins »Erzählen«, eine von Älteren häufig gewählte Form der Selbstdarstellung. Ältere sind oft kompetente Erzähler, und in der Therapie kann das Erzählen hilfreich sein, in einer ansonsten fremden Situation Sicherheit zu finden. Der Therapeut kann diese Fähigkeit nutzen, um einen therapeutischen Kontakt anzubahnen. Es kommt zunächst darauf an, dass er eine taktvolle, das Selbstwertgefühl des älteren Menschen schützende Haltung einnimmt, um allmählich eine »gute« Motivation des Patienten oder der Patientin, also mehr Offenheit, Aufnahme- und Veränderungsbereitschaft, und eine therapeutische Arbeitsbeziehung entwickeln zu können.

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Das verborgene Alter in der klinischen Praxis

6.2  Zur Eigenübertragung des Therapeuten Die geringen Behandlungszahlen der Vergangenheit wurden nicht ganz zu Unrecht auch den Psychotherapeuten angelastet. Heuft (1990) hatte den Begriff der Eigenübertragung geprägt, um die Haltung zu älteren Patienten zu beschreiben. In der Eigenübertragung wird eine Reihe von Einflüssen wirksam, die von bewusster Ablehnung über ausbildungsbedingte Defizite bis hin zu unbewussten Einflüssen reichen: Angst vor der Komplexität der Krankheitsbilder sowie die vermutete Aussichtslosigkeit, Behandlungserfolge zu erreichen, Angst vor der Macht der Eltern, von denen sich jüngere Therapeuten unter Umständen gerade gelöst haben, oder die Angst, zu nah auf den Verfall der elterlichen Imagines zu blicken, sind Gründe, die Therapeuten und Therapeutinnen zurückhaltend bleiben lassen. Die Begegnung mit Hinfälligkeit und Tod erinnert immer auch an die eigene Sterblichkeit, repräsentieren ältere Menschen doch den Schatten unseres zukünftigen Lebens, so Moody (2005). Angesichts steigender Behandlungszahlen, die auch auf die gewachsene Bereitschaft von Psychotherapeuten, Ältere in Behandlung zu nehmen, zurückzuführen sind, erscheinen die obigen Überlegungen aber nicht mehr ausreichend. Zunehmend mehr Psychotherapeuten entwickeln eine positive Eigenübertragung, sodass die obigen Faktoren durch ein Kompetenzprofil ergänzt werden sollten. Ergebnisse einer eigenen Befragung haben einige dabei bedeutsame Faktoren sichtbar gemacht (Peters, 2014c): Filiale Reife, das heißt die innere Unabhängigkeit von den eigenen alten Eltern, die reflexive Auseinandersetzung mit dem eigenen Älterwerden, ein positives Altersbild sowie das Lebensalter des Therapeuten – ältere Therapeutinnen und Therapeuten haben eine höhere Bereitschaft, ältere Patienten in Behandlung zu nehmen als jüngere – erwiesen sich als bedeutsam. Auch das Vorhandensein von altersspezifischen Kenntnissen hatte einen positiven Einfluss. Therapeuten, die ein solches Profil aufweisen, sind eher bereit, mit älteren Patienten zu arbeiten. Zur Eigenübertragung des Therapeuten

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Die genannten Einflussfaktoren machen deutlich, dass in der Psychotherapie Älterer mehr als sonst die ganze Person des Therapeuten, der Therapeutin involviert ist und somit Selbstreflexion, die die persönlichen Erfahrungen mit älteren Menschen und dem eigenen Älterwerden zum Thema macht, unverzichtbar ist.

6.3  Unbewusstes Alter und Gegenübertragung Das Alter ist eines der wichtigsten Merkmale, anhand derer wir im Alltag andere Menschen einschätzen und kategorisieren. Dabei orientieren wir uns an äußeren Merkmalen, bei Älteren an grauen Haaren, den Falten der Haut und anderen Altersanzeichen. Rasch wird dann ein Altersstereotyp aktiviert, das zahlreiche Defizitmerkmale aufweist und das unseren Umgang mit den Älteren beeinflusst (Thimm, 2000), und zwar auch dann, wenn auf bewusster Ebene eine positive Einstellung vorhanden ist. Ein negatives Altersstereotyp, das in der Regel mehr über denjenigen aussagt, dessen Wahrnehmung es zugrunde liegt, als über die wahrgenommene Person, führt bei jüngeren Menschen häufig dazu, Kontakte mit Älteren zu vermeiden, und auch Psychotherapeuten folgen oftmals diesem Vermeidungsimpuls. Psychotherapeuten und -therapeutinnen fragen oftmals bereits bei der telefonischen Anmeldung nach dem kalendarischen Alter, und die Antwort, siebzig oder achtzig Jahre alt zu sein, weckt bereits defizitorientierte Bilder, die zu einer Ablehnung der Anfrage führen. Andere Assoziationen würden entstehen, richteten sie ihren Blick eher auf das Geburtsjahr, dann würde ein historisches Bild von der Zeit der Herrschaft durch die Nationalsozialisten, der Zeit des Krieges oder der Nachkriegszeit vor ihren Augen entstehen, also vom Gewordensein, weniger von Altersdefiziten. Sich von einem Stereotyp zu lösen und die Individualität des Älteren anzuerkennen, kann in der Gegenübertragung auch eine erste Vorstellung davon entstehen lassen, wie die Patientin oder der Patient sein eigenes Alter erlebt: Hinkt das innere Alter dem kalendarischen 42

Das verborgene Alter in der klinischen Praxis

hinterher, wie es häufig der Fall ist, ist das innere Alter fixiert und hat sich nicht weiterentwickelt, hat der Betreffende mit einer äußeren Fassade weitergelebt, die er nicht als die seine erlebt? Welche Erfahrungen halten den Patienten in einem bestimmten Lebensabschnitt fest, und welche Ängste haben dazu geführt, dass der Verlauf der Zeit zum Stillstand gekommen ist (Stroecken, 1993)? Um das innere, erlebte Alter ins Gespräch zu bringen, kann es hilfreich sein, an lebensgeschichtlichen Erfahrungen anzuknüpfen: Welchen älteren Menschen ist der Patient in seiner Kindheit und Jugend begegnet? Hat er Großeltern gehabt und wie war die Beziehung zu ihnen? Großelternschaft ist erst in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts mit steigender Lebenserwartung zu einem erwartbaren Lebensereignis geworden, sodass der Patient selbst vielleicht keine Großeltern kennengelernt hat. Möglicherweise waren aber andere ältere Menschen Teil der Familie oder des sozialen Umfelds, die erste Erfahrungen mit dem Alter und dem Tod ermöglicht und das Altersbild mitgeprägt haben. All dies vermittelt einen ersten Eindruck von der Altersrepräsentanz des Patienten oder der Patientin.

6.4 Zur Entwicklung der therapeutischen Beziehung 6.4.1  Das Konzept der umgekehrten Übertragung Übertragung und Gegenübertragung bilden ein Kernstück der psychodynamischen Psychotherapie, zugleich bilden sich darin wesentliche altersspezifische Besonderheiten ab, indem es zu komplexen umgekehrten und multigenerationalen Übertragungskonstellationen kommt (Radebold, 1992; Heuft et al., 2006). Hiatt (1971) hat die multigenerationelle Übertragung in drei Kategorien eingeteilt: Elternübertragung, Geschwisterübertragung und Kinder-Enkel-Übertragung. Obwohl auch bei Älteren der Wunsch nach mächtigen Elternimagines besteht, werden die jüngeren Therapeutinnen und Therapeuten zunächst eher als Kinder oder Enkelkinder erlebt, das heißt, es werden Hoffnungen, Zur Entwicklung der therapeutischen Beziehung

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Enttäuschungen und Wünsche geweckt, die die Beziehung zu diesen geprägt haben oder prägen. Diese umgekehrte Übertragung kann dazu führen, dass der Therapeut nicht in seiner Expertenrolle akzeptiert wird. Ist dies der Fall, in der Regel zu Beginn der Therapie, kann sich der Therapeut in der Gegenübertragung abgelehnt, gewissermaßen als unzureichendes Kind fühlen, was wiederum zur Ablehnung des Patienten führen kann, oder aber der Therapeut fühlt sich zu besonderer Anstrengung veranlasst, um den Erwartungen der »Eltern« doch noch zu genügen. Meist wird die umgekehrte Übertragung allerdings von libidinösen Wünschen nach Zuwendung, Hilfestellung und Versorgung getragen. Freud hatte ja eine milde positive Übertragung als notwendige Basis einer Therapie betrachtet, die keiner Deutung bedarf; dies dürfte auch bei einer milden positiven umgekehrten Übertragung gelten. Allerdings bleibt immer wieder zu prüfen, ob sich der Therapeut, die Therapeutin auch in der Position des »guten« und »geliebten« Kindes frei genug fühlt, den Patienten zu konfrontieren. Auch stellt sich immer wieder die Frage, ob die »Eltern« die Deutungen oder anderen Interventionen des Therapeuten wirksam werden lassen können oder ob sie doch unbewusst weiterhin ihre elterliche Rolle beanspruchen und versuchen, »das Heft in der Hand« zu behalten, ohne zu einer kritischen Selbstreflexion zu gelangen. Diese Fragen gilt es immer wieder im Laufe des therapeutischen Prozesses zu prüfen, besteht doch in der Begegnung mit Älteren ein »regressiver Sog«, sich mit der angetragenen Rolle des Kindes zu identifizieren. Im Laufe der Zeit wird die umgekehrte Übertragung allerdings meist abgelöst von einer regulären Elternübertragung, die unabhängig von der Altersdifferenz wirksam wird, oft bestehen beide Formen der Übertragung auch nebeneinander, wobei jedoch auch andere Personen als die Eltern von Bedeutung sein können. Bei Älteren, die in der Kriegs- oder Nachkriegszeit aufgewachsen sind, haben häufig Verwandte oder auch ältere Geschwister eine Elternrolle eingenommen, die dann auch in der Therapie wiederbelebt werden kann. 44

Das verborgene Alter in der klinischen Praxis

6.4.2  Die reduzierte personale Distanz Die Besonderheiten der therapeutischen Beziehung können noch unter einem anderen Blickwinkel betrachtet werden, wird doch in der gerontologischen Literatur auf veränderte Beziehungswünsche und -bedürfnisse bei älteren Menschen hingewiesen. Lang (2004) zufolge treten Wünsche nach Abgrenzung und Durchsetzung in den Hintergrund, während der Wunsch nach emotionaler Nähe, Fürsorge, Anerkennung und Generativität wichtiger wird. Fingerman, Miller und Charles (2008) konnten zeigen, dass jüngere Menschen im alltäglichen Kontakt mit Älteren intuitiv diese Wünsche aufnehmen und sich darauf einstellen. Sie vermeiden Themen, die dem zuwiderlaufen könnten, darin ist eine gewisse Vorsicht, die Jüngere im Umgang mit Älteren an den Tag legen, begründet. Von diesen Veränderungen im sozialen Verhalten und in den sozialen Beziehungen bleibt auch die therapeutische Beziehung nicht unbeeinflusst. Auch Psychotherapeuten berichten regelmäßig, dass es ihnen bei Älteren schwerer fällt, »heikle« Themen anzusprechen. Peters, Lindner, Jeschke und Peters (2014) fanden in einer Studie Unterschiede in der therapeutischen Haltung und im therapeutischen Stil bei jüngeren und älteren Patienten. Die Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Psychotherapeuten in der Behandlung Älterer intuitiv die »Personal Distance« (Wallach u. Strupp, 1964) im Vergleich zum Umgang mit jüngeren Patienten reduzieren. Bei Älteren ist ihnen Freundlichkeit wichtiger, sie legen weniger Wert auf die Einhaltung des Rahmens, beantworten eher persönliche Fragen und lassen Patientinnen und Patienten eher ihre Sympathie und Unterstützung spüren. Die Kehrseite dieser größeren persönlichen Nähe ist eine erschwerte Abgrenzung, die Psychotherapeuten in der Behandlung Älterer oftmals erleben, insbesondere bei vereinsamten Älteren. Die Problematik wird auch dann besonders spürbar, wenn existenzielle Fragen (vgl. Kapitel 6.5) etwa infolge einer bedrohlichen Erkrankung relevant werden. Auch ist die Abgrenzung bei unsicher-verstrickten Patienten erschwert. Der Therapeut ist also aufgefordert, einerseits mehr Nähe zuzulassen, was auch eine modifizierte Handhabung von Zur Entwicklung der therapeutischen Beziehung

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Neutralität und Abstinenz erfordert. Andererseits muss er die notwendige professionelle Distanz wahren, um nicht in eine Kollusion bzw. »Verstrickung« zu geraten. 6.4.3  Therapeutische Beziehung als sichere Bindung Bei den Überlegungen zum Umgang mit dem Nähe-Distanz-Problem in der Behandlung Älterer kann die Bindungstheorie wertvolle Hinweise geben, da eine sichere Bindung ja durch ein Gleichgewicht von Nähe und Distanz gekennzeichnet ist. Aus der Bindungstheorie abgeleitete psychotherapeutische Überlegungen, die mit der Mentalisierungsbasierten und der Strukturbezogenen Psychotherapie gut vereinbar sind, lassen es plausibel erscheinen, die therapeutische Beziehung in Richtung einer sicheren Bindung zu entwickeln. Diese erlaubt eine Verbindung von Autonomie und Abhängigkeit und den flexiblen und offenen Umgang mit Gefühlen und Wünschen. Eine solche Beziehung schafft auch dem Therapeuten die Möglichkeit, die Nähe-Distanz-Problematik flexibel, patienten- und situationsabhängig zu handhaben. Vom Therapeuten ist der Umgang mit Ambivalenz gefordert: Er muss sich auf die Nähe einlassen und sich doch abgrenzen. Auf dem Boden einer sicheren Bindung wird dies aber nicht als Gegensatz erlebt. Abgrenzung gefährdet nicht die Nähe und Verlässlichkeit, Nähe wird nicht zur »symbiotischen Falle«. Therapeuten sollten also der Entwicklung einer »Secure-enough Base« – in Anlehnung an Winnicotts Begriff der hinreichend guten Mutter (Holmes, 2012) – in der Therapie hohe Priorität einräumen. Im Hinblick darauf ist eine Affektabstimmung mit dem Patienten notwendig, so wie eine feinfühlige Mutter durch die affektive Synchronisierung mit dem Kind optimale Bedingungen für die psychobiologische Regulation und Mentalisierung schafft. Indem der Therapeut zum »interaktiven Affektregulator« (Schore, 2007) wird, fördert er die Entwicklung einer sicheren Bindung und damit die Fähigkeit des Patienten, seine Affektregulation sowie das Kohärenzgefühl zu verbessern.

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Das verborgene Alter in der klinischen Praxis

6.5 Altersspezifische Themen – die existenzielle Dimension Das Spezifische der Psychotherapie Älterer kommt auch in den behandelten Themen zum Ausdruck. Das Konzept der Entwicklungsaufgaben kann als Modell herangezogen werden, um das Themenspektrum zu beschreiben (Peters, 2004). Einen Vorschlag diesbezüglich hat Radebold (1992) vorgelegt, der von psychosozialen Aufgaben spricht. Dabei geht er von folgenden Oberkategorien aus, die noch – nach Alter unterschieden – weiter aufgeschlüsselt werden: ȤȤ Reagieren auf den sich verändernden eigenen Körper; ȤȤ Umgehen mit den eigenen libidinösen, aggressiven und narziss­ tischen Strebungen; ȤȤ Gestalten der intragenerativen Beziehungen; ȤȤ Gestalten der intergenerativen Beziehungen; ȤȤ Sichstabilisieren durch Beruf und Interessen; ȤȤ Erhalten der sozialen Sicherheit/Versorgung; ȤȤ Erhalten der eigenen Identität; ȤȤ Einstellen auf die sich verändernde Zeitperspektive sowie auf Sterben und Tod. Während dieses deskriptive Modell eher von gerontologischen Erkenntnissen ausgeht, stellt sich die Frage, welche Themen in der klinischen Praxis im Vordergrund stehen. Um dies zu ermitteln, wurden in einer eigenen Befragung Psychotherapeuten gebeten, zu einem erinnerten Patienten (die Hälfte wurde zu älteren, die andere Hälfte zu jüngeren Patienten befragt) drei Themen zu benennen, die in der Therapie besonderen Raum eingenommen hatten. In den meisten Themenbereichen, die sich in einem Kategorisierungsverfahren herauskristallisiert hatten, fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen jüngeren und älteren Patienten; in zwei Oberkategorien unterschieden sich beide Altersgruppen, nämlich bei biografischen und existenziellen Themen: Beide Themenkomplexe kommen in der Therapie Älteren häufiger vor (Peters, 2014b). Altersspezifische Themen – die existenzielle Dimension

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Bei den biografischen Themen spielt auch das in der derzeitigen Diskussion der Alterspsychotherapie wichtige Thema »Kriegskindheit« eine Rolle (Radebold, 2006), allerdings in geringerem Maße, als angenommen. Dieses Thema kann im Alter wieder virulent werden (Trauma-Reaktivierung), weil die kognitive Kontrolle reduziert ist und die bei der Aktualisierung des Themas generierten Affekte möglicherweise schwerer zu regulieren sind. Existenzielle Themen, die in der Therapie Älterer häufiger relevant werden, sind beispielsweise »Sinn und Sinnlosigkeit«, »Krankheit und Pflege« sowie »Tod und Trauer«. Diese thematische Relevanz stellt eine Verbindung der Alterspsychotherapie zur existenziellen Psychotherapie her, die sich mit menschlichen Grenzsituationen befasst (Yalom, 1989). Existenzielle Themen beeinflussen die therapeutische Beziehung und tragen zur Reduktion der therapeutischen Distanz bzw. zu einer spezifischen Übertragungskonstellation bei. Dies gilt nicht nur für die Frage des Sinns und der Sinnlosigkeit, sondern besonders auch dann, wenn Tod und Sterben näher rücken. Nach De M’Uzan (2014) führt der nahende Tod zu einer Überbesetzung der Liebesobjekte, zu einer Identitätsdiffusion zwischen Patient und Analytiker, unbewusst von dem Wunsch getragen, der Analytiker könne die narzisstische Wunde der Sterblichkeit wieder schließen. Der Therapeut kann sich der in dieser Situation entstehenden Nähe kaum gänzlich entziehen, und Yalom (1989) plädiert im Hinblick auf den Umgang mit existenziellen Themen für eine authentische, persönlichere Haltung des Therapeuten, die auch ein gewisses Maß an Selbstöffnung einschließen kann. Die bereits beschriebene Nähe-Distanz-Problematik gewinnt hier eine besondere Brisanz und fordert eine spezifische Reflexionskompetenz des Therapeuten.

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Das verborgene Alter in der klinischen Praxis

6.6 Das Hervortreten aus der Verborgenheit – das bewusste Alter Altersbilder beruhen auf kulturell verankerten Vorstellungen vom Alter und von älteren Menschen, beschreiben aber auch Vorstellungen vom eigenen Älterwerden. Diese persönlichen Altersbilder – im Unterschied zu generellen Altersbildern – haben weitreichende Folgen; so zeigen längsschnittliche Befunde, dass sie die Lebenserwartung stärker beeinflussen als verschiedene körperliche Parameter (Levy, Slade, Kunkel u. Kasl, 2002). Allerdings ist der psychoanalytische Begriff der Repräsentanz dem des Bildes vorzuziehen, weil er deutlich macht, dass es sich um eine Instanz handelt, die kognitive wie affektive Aspekte umfasst. Woodward (1991) hatte von der »Latenzphase des Alters« gesprochen, in der die Tatsache des Alterns noch keine innere Bedeutung erlangt hat, sondern das Gefühl überwiegt, jünger zu sein, als man tatsächlich ist. Erst ein einschneidendes Ereignis wie etwa eigene körperliche Alters- oder Verlusterfahrungen oder ein Todesfall lassen das Alter stärker ins Bewusstsein treten. So ist der Tod der eigenen Eltern auch deshalb ein so einschneidendes Ereignis, weil es auch eine Begegnung mit dem eigenen Altern und dem Tod bedeutet, vor dem bislang schützend die Eltern standen. Viele ältere Menschen haben eine gespaltene Altersrepräsentanz, man könnte auch von Teilrepräsentanzen sprechen: Das Alterserleben wird unter anderem durch soziale Erfahrungen beeinflusst, vor allem durch die Reaktionen Jüngerer, die oftmals eine eher ablehnende Haltung Älteren gegenüber einnehmen, oder durch ein in weiten Bereichen weiterhin wirksames negatives gesellschaftliches Altersbild. Vielfach sind Ängste mit dem Älterwerden verbunden, und die größte Angst der jüngeren Älteren ist die vor einer Demenz­ erkrankung. Schließlich bleibt das Alterserleben mit einem Unbehagen angesichts der Endlichkeit, die in jedem Verlust spürbar wird, und des näher rückenden Todes verbunden; Todesangst ist eine oft übersehene Komponente in der Psychodynamik älterer Patienten (Yalom, 2008). Von besonderer Bedeutung können angesichts dessen Das Hervortreten aus der Verborgenheit – das bewusste Alter

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die Erfahrungen mit den eigenen Großeltern sein, die häufig positiv sind und die Basis für eine gelassenere Einstellung bilden können, die auch Zugang zu den positiven Seiten des Alters ermöglicht. In der Therapie kommt es darauf an, die verschiedenen Facetten des Alters bewusster wahrzunehmen und sie zusammenzuführen, ohne dass die Repräsentanz des Alters frei von inneren Spannungen sein könnte, ist doch das Alter durch eine fundamentale und nicht aufzuhebende Ambivalenz gekennzeichnet. Ein reflexiver Umgang erleichtert es, diese Ambivalenz aushalten und »containen« zu lernen.

6.7 Altern als alltägliche Herausforderung – eine Erweiterung der therapeutischen Aufgaben In der Beschäftigung mit dem Alter werden oft große Begriffe wie Weisheit, Integrität oder Transzendenz herangezogen. All diese kommen auch in der bis heute einflussreichen Entwicklungstheorie Eriksons vor (Peters, 2004). Seine Frau Joan Erikson (Erikson u. Erikson, 1997), die sein Werk nach seinem Tod modifiziert hat, hat die Begriffe »geerdet«. So versteht sie, selbst im hohen Alter angekommen, Integrität als die Fähigkeit, angesichts körperlicher, sozialer und kognitiver Defizite die Dinge beisammenzuhalten. Sie macht damit auf unnachahmliche Weise deutlich, dass besonders das hohe Alter mit zunehmenden Einschränkungen und Gebrechen eine alltägliche Herausforderung darstellt. Damit verbunden sind nicht selten soziale Probleme; die äußere Welt wird weniger zugänglich bzw. scheint immer weiter entfernt. Die Folge sind oftmals Einsamkeit oder auch Sinnfragen, die nicht selten zu Suiziden führen. Diese Fragen fließen auch in die Psychotherapie ein und können nicht allein in der Intro­ spektion und Reflexion bearbeitet werden. Es reicht nicht, sie in ihrer Bedeutung zu verstehen und von der Erlebnisseite her zu betrachten, obwohl diese nicht außer Acht bleiben kann. Die Psychoanalytikerin Greenberg (2009), die sich mit der Therapie alter und körperlich kranker Menschen befasst hat, schlägt das Konzept der »Concrete 50

Das verborgene Alter in der klinischen Praxis

Interventions« vor. Damit ist gemeint, dass in bestimmten Situationen konkrete Hinweise und Ratschläge erforderlich sind, um alltägliche Umgangsweisen zu erleichtern und Hilfsmöglichkeiten zu erkunden. Dabei ist an zahlreiche Fragen zu denken, die auch über die Psychotherapie hinausweisen können und Kenntnisse erforderlich machen: der Umgang mit Hörgeräten (die jetzt älter werdende Kohorte hat – infolge des Konsums von Rockmusik – in weit größerem Umfang schon im jungen Alter mit Hörbeeinträchtigungen zu leben als Vorgängerkohorten), Sehhilfen (die Prävalenzrate der Makuladegeneration steigt rapide an), die Nützlichkeit von Sport und Bewegung (z. B. im Hinblick auf Sturzprophylaxe), die mit steigendem Alter von immer weniger Menschen regelmäßig durchgeführt werden, die Frage des altengerechten Wohnens, über die sich viele lange Zeit keine Gedanken machen, oder das Thema Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. All diese Fragen können in einer Psychotherapie mit Älteren nicht ausgeblendet werden, sondern verlangen eine sorgfältige Berücksichtigung. Dabei kann es erforderlich sein, auch auf andere Einrichtungen wie etwa Seniorenberatungsstellen hinzuweisen oder konkret dorthin zu vermitteln. Die Durcharbeitung der Altersrepräsentanz ist jedoch oft Voraussetzung, um die Bereitschaft zu schaffen, dass solche Interventionen auch aufgegriffen werden.

6.8 Was kommt danach – von der Therapie zur therapeutischen Begleitung? Plotkin (2000) berichtet von einer Befragung von Psychoanalytikern, die allesamt angaben, dass es ihnen bei älteren Patientinnen und Patienten schwererfalle, die Therapie zu beenden. Auch in Supervisionen ist das Ende der Therapie ein besonderes Thema, wenn Ungewissheit über den weiteren Weg besteht und Schuldgefühle im Spiel sind, die »Eltern« wegzuschicken. Die größere Nähe, die sich in der Behandlung Älterer meist herstellt, erschwert zweifellos diesen Schritt. Dass die therapeutische Beziehung mehr Elemente einer Realbeziehung Was kommt danach – von der Therapie zur therapeutischen Begleitung?

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umfasst, wird auch von psychoanalytischer Seite konstatiert. Weinberg (1989, zit. nach Schachter, Kächele u. Schachter, 2014) sieht in der Rolle des Therapeuten auch einen »Gesandten der Freundschaft«, also jemanden, der positive soziale Interaktionen ermöglicht. Zweifellos hängt dies auch von der jeweiligen Lebenssituation des Patienten ab, und bei familiär und sozial gut eingebundenen Älteren mag es sich anders darstellen. Doch viele Ältere kommen nach Verlusten in die Psychotherapie, besonders Partnerverlusten, erwachsene Kinder sind wenig verfügbar oder erreichbar, und Einsamkeit ist ein Schicksal vieler älterer Menschen. Zudem zeigt die gerontologische Forschung, dass Menschen im Alter ihr Beziehungsnetz reduzieren, aber die verbleibenden emotional bedeutsamen Beziehungen umso stärker libidinös besetzen, und dazu kann auch die Therapeutin oder der Therapeut zählen. Es bleibt dann kaum aus, dass der Therapeut eine über seine therapeutische Funktion hinausgehende Bedeutung erlangt, die das Ende der Therapie durchaus erschweren kann. Es besteht also nicht nur die Notwendigkeit, das Ende frühzeitig zu thematisieren, sondern möglicherweise auch, es weniger abrupt zu gestalten bzw. »Post Treatment«-Kontakte zu ermöglichen, so jedenfalls die Argumentation von Schachter et al. (2014). Sie schlagen vor, bei Älteren solche Kontakte in Erwägung zu ziehen, und sehen darin verschiedene Vorteile. Patienten könnten sporadisch auch nach Therapieende die Hilfe des Therapeuten in Anspruch nehmen. Dies könne auch deswegen hilfreich sein, weil Ältere häufiger nach Beendigung der Therapie erneut mit negativen Lebensereignissen konfrontiert sind. Solche Begegnungen könnten auch dazu genutzt werden, das Introjekt des Therapeuten zu bekräftigen bzw., wenn erforderlich, die Idealisierung des Therapeuten oder der Therapeutin zu reduzieren. Die Autoren gehen davon aus, dass solche Kontakte auch in einer anderen Umgebung stattfinden können und vermutlich eher durch eine »Person-Person-Begegnung« gekennzeichnet seien, ohne dass allerdings die professionelle Rolle aufgegeben werden dürfe. Im Vordergrund bleibe weiterhin das Anliegen des Patienten. Nicht zu über52

Das verborgene Alter in der klinischen Praxis

sehen ist, dass hier die Nähe-Distanz-Problematik noch einmal eine besondere Brisanz erfährt. Diese Überlegungen führen auch zu einem bislang weitgehend vermiedenen Thema, nämlich dem einer zugehenden Psychotherapie, bei der der Therapeut den Patienten in seiner eigenen Umgebung – sei es sein Zuhause oder das Pflegeheim – aufsucht. Zweifellos ist dies eine notwendige Erweiterung psychotherapeutischer Möglichkeiten, wenn Hochaltrige bzw. Pflegebedürftige stärker in die psychotherapeutische Versorgung einbezogen werden sollen. Die damit verbundenen Chancen, aber auch Anforderungen und Komplikationen sind jedoch erst ansatzweise reflektiert worden (Lindner, 2014).

Was kommt danach – von der Therapie zur therapeutischen Begleitung?

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7 Ein Blick in die klinische Praxis – ein Behandlungsverlauf

7.1 Erstgespräch und Hintergrund – Frau F., 74 Jahre Häufiger Anlass für Ältere, einen Psychotherapeuten oder eine Psychotherapeutin aufzusuchen, ist ein Verlusterlebnis, beispielsweise der Tod der betagten Eltern oder des Ehepartners. Im Vordergrund steht dann häufig eine pathologische Trauerreaktion oder Depression, oft verbunden mit Einsamkeit und körperlichen Beschwerden. Unterschätzt wurde allerdings in der Vergangenheit die Häufigkeit von Angststörungen im Alter, deren Prävalenz größer ist, als lange angenommen. Dies gilt insbesondere für die generalisierte Angststörung, aber auch für phobische Störungen. Dass Panikstörungen weniger häufig auftreten, bedeutet nicht, dass sie nicht mehr von Bedeutung wären, insbesondere dann, wenn eine unsicher-ängstliche Bindung vorherrscht. Die 74-jährige Patientin kam mit einer Angststörung – generalisierte Angst und Panikattacken – in die Therapie. Sie schien körperlich angegriffen und bewegte sich langsam und unsicher. Sie hatte einen Rucksack und eine Tasche dabei, wie sich später herausstellte, trug sie immer ein Blutdruckmessgerät mit sich. Sie verfügte über eine hohe Bildung und vielfältige Interessen, wirkte jedoch psychisch und körperlich sehr belastet. Sie sprach rasch offen darüber, wie sie immer wieder insbesondere in den Morgenstunden von der Angst überwältigt werde, von der sie nach dem Tod des Ehemannes und der Mutter erfasst worden war, einer Angst, die auch als Todesangst zu verstehen war. Da sie keine Kinder hatte, fehlten ihr enge Bezugspersonen, obwohl sie sozial sehr aktiv war und dadurch über zahlreiche Kontakte verfügte. 54

Als Säugling habe der Vater sie »auf Händen getragen«, dann musste sie wegen einer Hüftdysplasie in die Klinik und blieb dort ein halbes Jahr, ohne dass die Eltern sie häufiger hätten besuchen dürfen. Dieses frühe Trennungstrauma dürfte wesentlich zur Entwicklung einer unsicher-verstrickten Bindung beigetragen haben, die bei der Patientin im Vordergrund stand und die auch die therapeutische Beziehung prägte. Der Vater wurde eingezogen und als er nach dem Krieg zurückkehrte, habe er große Konflikte mit seiner Familie gehabt und sich sehr verändert. Dennoch blieb die frühe Beziehung zum Vater prägend, und nach dem Tod ihres Mannes suchte sie im Hausarzt, im Psychiater und Psychotherapeuten ausschließlich männliche Bindungsobjekte. Die Mutter habe viel für die Familie getan, aber auch unter Depressionen gelitten und habe sich dann mit ihrem Kummer an sie gewandt. Die Familie war sehr religiös und gehörte pietistischen Kreisen an, es sei viel von Sündhaftigkeit und ewiger Verdammnis die Rede gewesen. Als Jugendliche sei sie in eine »religiöse Krise« geraten. Wegen ständiger Kopfschmerzen habe eine Lehrerin sie in eine Erziehungsberatungsstelle geschickt. Der dortige Arzt habe wohl den Eindruck gehabt, dass sie suizidal sei, was aber nicht der Fall gewesen sei, jedenfalls habe er sie bald in die Psychiatrie einweisen lassen. Dies seien schlimme Wochen gewesen, sie sei mit Elektroschocks und Insulinschocks behandelt worden, und man kann vermuten, dass diese Zeit eine zweite traumatische Erfahrung bedeutet hat. Der Vater habe sich dann sehr für sie eingesetzt, Briefe geschrieben und sie bald »befreit«; sie sei noch einige Zeit in einer anderen Klinik behandelt worden. Erst danach habe sie wieder die Schule besuchen und Abitur machen können, um Theologie, Philosophie und Latein zu studieren. Doch sie habe immer an Prüfungsangst gelitten, weswegen sie ihr Studium unterbrochen und acht Jahre in einer Bibliothek gearbeitet habe. Dort habe sie ihren Mann kennengelernt, der ihr offenbar so viel Sicherheit gab, dass sie ihr Studium beenden und Gymnasiallehrerin werden konnte.

Erstgespräch und Hintergrund – Frau F., 74 Jahre

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7.2 Erste Therapie – Abschied und Neubeginn Wenn nach einem Todesfall der akute Trauerprozess abgeschlossen ist, ist die Um- und Neugestaltung des Lebens noch lange nicht zu Ende. Auf dem Weg dahin ist manches beiseitezuschaffen und zu entsorgen, vor allem der Nachlass und das elterliche Haus. Die französische Psychoanalytikerin Lydia Flem (2004) hat dies vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen beschrieben, wie beim Ausräumen des Elternhauses uralte Phantasmen angesprochen werden, das Trachten und die Begierde des Kindes, in die elterlichen Schätze einzudringen, das Allmachtsgefühl des Heranwachsenden, alles über Bord zu werfen und Tabula rasa zu machen, aber auch das Pflichtgefühl des Erwachsenen, die Pietät zu erfüllen und das Wertvolle zu bewahren. Es ist ein Prozess, der immer wieder mit schmerzlichen Entdeckungen verbunden ist, wenn man die Vergangenheit des Verstorbenen aufrühren muss und in jedem Augenblick der Verlust spürbar ist. Jeder Gegenstand ist nicht nur ein Gegenstand, sondern trägt menschliche Spuren, erinnert an die Abwesenheit und lässt das Gefühl des Verlustes und der Einsamkeit wieder aufleben. Und doch ist es auch ein Prozess der Aufklärung und Befreiung, der zu einem Neubeginn führen kann. Auch Frau F. stand vor der Frage, was nach dem Tod der Mutter mit dem elterlichen Anwesen geschehen solle. Nach sorgfältigem Überlegen entschloss sie sich zum Verkauf des Grundstücks als Bauland; die Vorstellung, dass dort junge Familien mit Kindern ein Zuhause finden könnten, schien ihr sehr tröstlich. Doch dies erforderte den Abriss der Gebäude, eines Holzhauses, das der Vater eigenhändig gebaut hatte, und des angrenzenden Sägewerks, in dem die Maschinen untergebracht waren. Über Monate fuhr sie immer wieder zum Haus, um alles zu sichten und auszusortieren und sich dabei intensiv mit der Familiengeschichte zu konfrontieren. So fand sie Briefe des Bruders, der sich zehn Jahre zuvor suizidiert hatte, sowie Unterlagen der Schwester, die offenbar psychotisch erkrankt gewesen und schon in den 1990er Jahren verstorben war. 56

Ein Blick in die klinische Praxis – ein Behandlungsverlauf

Doch sie gestaltete diesen Prozess gleichzeitig in einer Art und Weise, dass er zum Gemeinschaftserlebnis wurde. An einer Reihe von Wochenenden fand eine Art Basar statt, und es gelang ihr, viele Menschen zu mobilisieren, sodass fast alles einen Abnehmer fand. Nichts auf der Mülldeponie entsorgen zu müssen war ihr wichtig, möglichst alles einer weiteren Verwendung zuführen zu können gewann eine generative Bedeutung. Die Nachbarn nahmen intensiven Anteil an dem Prozess, fühlten sie sich doch mit der Familie verbunden; das Haus war ein markantes Wahrzeichen im Dorf gewesen. Der bevorstehende Abriss führte die Menschen noch einmal zusammen, man traf sich, tauschte Erinnerungen aus, und es war wie ein kollektiver Abschied, in den ihr eigener, persönlicher Abschied eingebettet war. Über lange Zeit stellte dieser Prozess des Abschieds und der Befreiung das zentrale Thema der Therapie dar, und als er dem Ende zuging, stellte sie die Frage, ob sie einen Abschiedstext auf die Spanplatte schreiben solle, die inzwischen die vom Vater kunstvoll gestaltete Eingangstür ersetzt hatte. Der Therapeut ermunterte sie mit dem Hinweis, dass nach all der Mühe, die sie sich gemacht habe, damit auch ein emotionaler Abschluss gefunden werden könne. Sie schrieb schließlich mit ihrer schönen, kunstvollen Handschrift auf diese Ersatztür – die Tür als Ein- und Ausgang, als Symbol für Abschied und Neubeginn: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Brief an die Hebräer 13,14 Danach folgte eine Verszeile von Rilke und das Gedicht »Stufen« von Hermann Hesse. Am Ende fand sich ein Dank an alle, die in diesem Haus ein- und ausgingen. Sie löste damit eine überwältigende Reaktion aus. Die herbeigeströmten Anwohner waren teils zu Tränen gerührt, der gemeinsame Schmerz des Abschieds hatte einen Ausdruck gefunden, was ein intensives Gemeinschaftsgefühl schuf und allen Trost gab. Nur die Verbundenheit mit anderen kann Zeitlichkeit Erste Therapie – Abschied und Neubeginn

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und Endlichkeit etwas entgegensetzen. Die Nachbarn benachrichtigten die Lokalzeitung, die einen großen Artikel mit einem Bild veröffentlichte (Abbildung 1). Frau F. erhielt zahlreiche Dankesbriefe und wurde lange danach immer wieder darauf angesprochen. Die Tür blieb nach Abriss des Hauses noch seitlich an einen Baum gelehnt stehen. Ein langer, intensiver Prozess hatte sein Ende gefunden.

Abbildung 1: Der Abschied vom Haus

Nun hätte sie zur Ruhe kommen können. Einige Wochen später schilderte sie folgende Szene: Sie war in der Stadt gewesen, hatte sich, um etwas auszuruhen, einige Minuten auf eine Bank gesetzt. Da setzte sich ein kleiner, etwa dreijähriger Junge zu ihr. Er hatte ein Spielzeugauto dabei und fuhr damit auf der Bank herum, immer wieder sie anstup58

Ein Blick in die klinische Praxis – ein Behandlungsverlauf

send. Dies löste etwas in ihr aus, sie habe sich wegdrehen müssen, um ihre Tränen zu verbergen. Das Leben hatte sie »angestupst«. Einige Zeit darauf erzählte sie eine weitere Situation, als sie im Dorf war, um die Gräber der Angehörigen zu pflegen. Es sei ein schöner Tag gewesen, auf einer kleinen Anhöhe habe sie sich auf eine Bank gesetzt, schließlich habe sie sich hingelegt und ein wenig geschlafen. Sie habe sich plötzlich frei und lebendig gefühlt. Auf dem Rückweg sei sie an einer Wiese vorbeigekommen, auf der eine Gruppe Schafe weidete. Plötzlich seien diese ganz unverhofft über die ganze Wiese blökend auf sie zugestürmt, als hätten sie mit ihr sprechen wollen. So mit dem Leben konfrontiert zu werden habe ihr wieder die Tränen in die Augen getrieben. Es schien, als könne sie sich nun wieder mehr ihrem gegenwärtigen Leben zuwenden und als bestünde die Möglichkeit, die Therapie bald zu beenden. Doch es kam anders, der Neubeginn blieb aus.

7.3 Zweite Therapie – die Last des Alters tragen In der Psychotherapie Älterer spielt immer auch die körperliche Ebene eine Rolle, nicht zuletzt dann, wenn Krankheiten zur Einschränkung des Lebensradius führen. Der Psychiater und Existenzialist Karl Jaspers sah diese Grenzsituationen als etwas an, das nicht zu verändern, sondern nur zur Klarheit zu bringen ist und eine Haltung erfordert, die er wie folgt beschrieben hat: »Auf Grenzsituationen reagieren wir daher sinnvoll nicht durch Plan und Berechnung, um sie zu überwinden, sondern durch eine ganz andere Aktivität, das Werden der in uns möglichen Existenz; wir werden wir selbst, indem wir in die Grenzsituationen offenen Auges eintreten« (Jaspers, 1932/1956, S. 204). Nun sind diese Äußerungen Jaspers nicht so zu verstehen, dass es keinen Spielraum gäbe, eigene Möglichkeiten zu erweitern, aber er beschreibt das existenziell Unüberwindbare, mit dem sie uns konfrontieren. In einer solchen Situation verändern sich auch die therapeutischen Ziele und Therapie kann zur therapeutischen Begleitung werden. Zweite Therapie – die Last des Alters tragen

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Der Zustand der Patientin besserte sich nicht durchgreifend. Zwar hatten die Angstanfälle abgenommen, doch sie fühlte sich weiterhin besonders in den Morgenstunden schlecht, klagte über »Stauungen«, Angstgefühle und eine große Last, in den Tag hineinzukommen. Weitere Untersuchungen blieben zunächst ohne Befund, bis eine Bekannte, zu der sie viele Jahre keinen Kontakt gehabt hatte, in einem Café auf sie zugekommen sei und gleich losgelegt habe: »Was haben Sie für eine Krankheit? Was ist mit Ihnen los?« In der Therapie wurde diese merkwürdige Begegnung reflektiert, ohne dass der Kern erfasst wurde. Doch die Patientin selbst schien diesen intuitiv erkannt zu haben. Schon zuvor hatte sie einmal angemerkt, dass sie in der Stadt gewesen sei und sich im Schaufenster gesehen habe. Erschrocken habe sie sich gefragt: »Das bist doch nicht du?« Sie habe sich kaum wiedererkannt. Nach der jetzigen Begegnung ging sie zu ihrem Hausarzt, wiederholte die schon lange zuvor geäußerte Angst, an einer Parkinson-Erkrankung zu leiden, und verlangte eine Untersuchung. Diese wurde nun durchgeführt, und es bestätigte sich eine schon fortgeschrittene Parkinson-Erkrankung. Nun hatte die bisher ungerichtete Angst einen konkreten Inhalt gefunden, das schien eine gewisse Erleichterung mit sich zu bringen. Zugleich aber verstärkten sich auch wieder die Ängste. Sie erinnerte sich an die Großmutter, die an »Schüttelfrost«, wie man damals sagte, gelitten und mehrere Jahre auf dem Sofa gelegen habe. Oft habe sie gesagt: »Holt die Axt und schlagt mich tot, ich bin nichts mehr wert.« War sie, Frau F., noch etwas wert mit dieser Erkrankung, wie sollte ihr Leben weitergehen? Wie lange würde sie noch in der bisherigen Umgebung bleiben können? Die zweite Therapie hatte begonnen, und sie wurde mehr und mehr zu einer therapeutischen Begleitung ohne absehbares Ende.

Die Behandlung einer Parkinson-Erkrankung erfordert einen multimodalen Ansatz. Neben der medikamentösen Behandlung ist regelmäßige Physiotherapie unerlässlich. Was aber kann die Aufgabe der Psychotherapie sein? Es kann nicht nur um Abschied vom bisherigen Leben gehen, auch nicht allein darum, die Anpassung an die zuneh60

Ein Blick in die klinische Praxis – ein Behandlungsverlauf

menden Einschränkungen zu erleichtern – bis hin zur Frage des weiteren Wohnens –, sondern es muss darüber hinaus darum gehen, die Krankheit kennenzulernen, sich mit der Grenze, die sie setzt, auseinanderzusetzen und die gesunden Teile des Selbst zu stärken und vor der Macht der Krankheit zu schützen. In der Therapie ging es nun darum, so viel »normales« Leben wie möglich zu erhalten, ohne sich in einen Kampf mit der Krankheit zu verstricken. Es ging darum, dass die Krankheit ihr Recht fordere und akzeptiert werden müsse, dass sie nun Teil ihres Lebens ist, es aber dennoch möglich sei, Teile ihres Lebens und ihres Selbst davor zu schützen. Dabei half das Bild der »Lichtblicke«, also Momente der Erleichterung, der Freude und des Glücks, wenn sie etwa von Begegnungen mit ehemaligen Schülern berichtete, bei denen sie beliebt gewesen sein muss. Doch sie kämpfte auch immer wieder gegen die Krankheit an, suchte den Psychiater auf in der Hoffnung, er könne doch noch durch eine andere medikamentöse Einstellung eine Besserung bewirken, eine Hoffnung, die immer wieder enttäuscht wurde. Der Therapeut bot ihr das Bild der »friedlichen Koexistenz« an, wissend, dass sie in der Friedensbewegung aktiv gewesen war und immer noch aktiv an Gruppentreffen teilnahm und dass diese Wortwahl ihre Sprache und ihre Grundhaltung traf. Es gelang ihr, allmählich ein besseres Gleichgewicht zu finden, der Krankheit ihren Raum zu geben, aber dennoch einen erheblichen Teil ihrer Aktivitäten und ihrer Teilnahme am öffentlichen und kirchlichen Leben weiterzuführen.

Zweite Therapie – die Last des Alters tragen

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7.4 Der Therapieverlauf – kreative Räume nutzen Kreativität und Krankheit haben eine Beziehung zueinander, die häufiger Gegenstand psychoanalytischer Betrachtungen waren. Ein Beispiel ist Beethoven, der schon in seinen mittleren Lebensjahren ertaubte und danach zahlreiche seiner größten Werke schuf, bis hin zur 9. Sinfonie, die kurz vor seinem Tod in Wien uraufgeführt und zu einem triumphalen Erfolg wurde. Bei seinem Tod war Beethoven 58 Jahre, für damalige Begriffe also durchaus schon alt (Caeyers, 2012). Viele andere Künstler haben in ihren letzten Lebensjahren große Werke geschaffen, und der näher rückende Tod scheint dafür eine wichtige Triebfeder gewesen zu sein. Musik, Kunst und Literatur stellen nur eine Möglichkeit dar, eine transzendente Dimension in seinem Leben zu schaffen. Das Fortleben in den eigenen Kindern, religiöse Überzeugungen oder die Liebe zur Natur bieten weitere Quellen, symbolische Unsterblichkeit zu entwickeln, von der der amerikanische Psychoanalytiker Lifton (1986) meinte, dass sie Voraussetzung sei, die Tatsache der eigenen Endlichkeit auszuhalten. Sich mit Teilen seines Selbst mit etwas verbunden zu wissen, das über die personalen Grenzen hinausweist, schafft ein Gefühl des inneren Halts und der Verbundenheit, das die Bedeutung des Todes relativiert. Frau F. verfügte über kreative Möglichkeiten, auch solche, die lange verschüttet waren und nun allmählich wieder hervortraten. Zunächst einmal führte sie ihre bisherigen Aktivitäten im kirchlichen Rahmen weiter, dort fand sie Zuspruch und Unterstützung. Auch an einem philosophischen Gesprächskreis nahm sie weiter teil, und besonders angesprochen fühlte sie sich, als ein Text von Nietzsche gelesen werden sollte, über den sie in der Studienzeit zwei Arbeiten geschrieben hatte, die sie nun wieder hervorholte und mit großem Interesse erneut las. Nicht nur hier knüpfte sie an Verschüttetes an und stellte eine Kontinuität her, die ein Gegengewicht zum körperlichen Verfall schuf. Eines Tages nahm sie ein Blatt Papier zur Hand und begann zu 62

Ein Blick in die klinische Praxis – ein Behandlungsverlauf

Abbildung 2: Im Jugendalter angefertigte Zeichnungen während eines ­Psychiatrieaufenthaltes Der Therapieverlauf – kreative Räume nutzen

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zeichnen. Ihr war in Erinnerung gekommen, dass sie dies in früheren Jahren schon einmal gemacht hatte, nämlich als sie als Jugendliche in die Psychiatrie eingewiesen worden war. Sie hatte damals die Mitpatienten gezeichnet, und es waren beeindruckende Bilder, die von ihrem zeichnerischen Talent zeugten, die aber auch Dunkelheit und Leid in der damaligen Situation zum Ausdruck brachten (Abbildung 2). Man kann vermuten, dass sie diese Bilder in der damaligen traumatischen Situation retteten und dass diese kreative Verarbeitung der Schmerzen auch jetzt ein Weg sein könnte, den körperlichen Schmerz besser auszuhalten und die Verzweiflung zu mildern. Schließlich fand sie auch ihre Liebe zu Gedichten wieder, und wenn sie das gerade gelernte Gedicht in der Stunde vortrug, war das auch für den Therapeuten immer ein besonderer Augenblick, nicht nur, weil es immer beeindruckende Gedichte waren, die sie ausgewählt hatte, sondern auch durch die Art und Weise, wie sie diese vortrug. Sie setzte sich aufrecht hin und sprach klar und deutlich mit ausdrucksvoller Betonung und gestischer Unterstützung, sodass die Wirkung des Gedichts auf beeindruckende Weise zur Geltung kam. Von der Erkrankung war sie in diesen Augenblicken weit entfernt, für sie selbst waren alle diese Aktivitäten eine wunderbare Medizin gegen die Parkinson-Symptome. Es waren »Lichtblicke«, die die gesunden Seiten in ihrem Leben stärkten und eine symbolische Form der Unsterblichkeit schufen, die dem Tod das Bedrohliche nahm.

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Ein Blick in die klinische Praxis – ein Behandlungsverlauf

8 Psychotherapieforschung und Alterspsychotherapie

Die Psychotherapieforschung hat sich bislang wenig um das Alter gekümmert. Immerhin liegt doch eine Reihe von Evaluationsstudien vor, die in einigen Metaanalysen zusammengefasst wurden. Erst jüngst wurden von Gühne, Luppa, König, Hautzinger und Riedel-Heller (2014)  – einer verhaltenstherapeutischen Arbeitsgruppe – diese Metaanalysen zur Behandlung von Depressionen im Alter gewissermaßen einer »Zweitsicht« unterzogen mit folgenden Schlussfolgerungen: ȤȤ Psychotherapie bei Älteren ist ebenso erfolgreich wie bei jüngeren Patienten, was vornehmlich für einzeltherapeutische Behandlungen gilt. ȤȤ Gruppentherapien sind bei Älteren in der Regel etwas weniger erfolgreich als bei Jüngeren. ȤȤ Es gibt keine Unterschiede in den Effektstärken zwischen Verhaltenstherapie und psychodynamischer Psychotherapie. Allerdings wird auch darauf hingewiesen, dass kaum Studien vorliegen, in die auch Hochaltrige einbezogen worden sind. Doch nicht nur darin, sondern auch in dem völligen Fehlen von Untersuchungen des Therapieprozesses wird ein eklatantes Forschungsdefizit deutlich. Hartmut Radebold hat zusammen mit Ruth Schweitzer (2001), einer von ihm behandelten älteren Patientin, ein Buch über die Behandlung geschrieben, das Einblicke in die klinische Arbeit mit einer älteren Patientin gibt. So wichtig solche kasuistischen Darstellungen sind, reichen sie doch nicht aus. Empirische Studien zum therapeutischen Geschehen aber liegen kaum vor; die »Berliner Studie« stellt hier eine 65

der wenigen Ausnahmen dar (Peters, 2014d). Es wäre erforderlich, genauer zu erforschen, welche psychotherapeutischen Prozessmerkmale bei Älteren zu beobachten sind, welche Interventionen Therapeuten bevorzugen und welche wirksam sind. Auch die Frage, ob bei Älteren andere oder zusätzliche Wirkfaktoren zum Tragen kommen, könnte von großem Interesse sein. So wäre es möglich, dass Generativität ein besonderer Wirkfaktor in der Psychotherapie Älterer ist, der genutzt werden kann, jedenfalls im Hinblick auf eine narzisstische Stabilisierung und die Entwicklung der therapeutischen Beziehung. Die Beantwortung all dieser Fragen steht aber noch aus.

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Psychotherapieforschung und Alterspsychotherapie

9 Fort- und Weiterbildung in Alterspsychotherapie

Im Studium bleibt das Thema Alter in der Regel ebenso unterbelichtet wie in der psychotherapeutischen Ausbildung. Kessler, Agines und Bowen (2015) fanden in einer Befragung, dass weniger als die Hälfte der Ausbildungsinstitute das Thema berücksichtigt, und wenn, dann fast immer in einem Umfang von nur fünf bis acht Doppelstunden. Eine besondere Stellung nimmt deshalb das Institut für Alterspsychotherapie und Angewandte Gerontologie ein2. Es bietet – inzwischen schulenübergreifend – Fortbildungen für Ärzte und Psychologen an, die acht Fortbildungsblöcke umfassen. Das Curriculum berücksichtigt folgende Schwerpunkte: ȤȤ Grundlagenwissen: soziale Gerontologie, Entwicklungspsychologie, gerontopsychiatrische und geriatrische Grundlagen; ȤȤ Therapiewissenschaften: das »Besondere« in der Therapie Älterer, Diagnostik und Therapieziele, Beitrag verschiedener therapeutischen Richtungen; ȤȤ Beziehungskompetenz: Umgang mit den Besonderheiten in der therapeutischen Beziehung; ȤȤ Therapie bei spezifischen Krankheitsbildern, zum Beispiel Depression, Angststörungen, Demenz;

2 Das Institut wurde 1997 von Prof. Dr. Hartmut Radebold gegründet und 2008 von Prof. Dr. Meinolf Peters und Dipl.-Psych. Christiane Schrader übernommen (www.alterspsychotherapie.de). Die Kurse finden in Hamburg und Berlin (zusammen mit der Psychotherapeutenkammer) sowie in der Fortbildungseinrichtung Schloss Hofen (Bregenz) in Österreich statt. 67

ȤȤ spezifische Aufgaben und Arbeitsfelder (»Kriegskindheit«, Psychotherapie und Palliative Care u. a.); ȤȤ Erwerb klinisch-praktischer Kompetenz durch Fallarbeit, Supervision und Rollenspiel; ȤȤ Selbstreflexion: Auseinandersetzung mit eigenen Alterserfahrungen und Altersbildern.

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Fort- und Weiterbildung in Alterspsychotherapie

10 Wenn Psychoanalytiker alt werden

Was geschieht, wenn Psychotherapeuten oder Psychoanalytikerinnen selbst alt werden? Radebold (2010) plädiert für einen rechtzeitigen Abschied, um für ein Leben nach der Psychoanalyse frei zu sein und sich den anstehenden Entwicklungsaufgaben zu widmen. Doch es scheint, dass die wenigsten Psychoanalytiker und Psychotherapeuten seinem Rat folgen. Ein erheblicher Teil scheint es Freud gleich zu tun, der bis ins hohe Alter täglich in seinen Behandlungsraum ging, um dort Patienten zu empfangen. Zahlen der Psychotherapeutenkammern belegen, dass weit mehr als 50 Prozent der Psychotherapeutinnen und -therapeuten auch nach Erreichen der Altersgrenze weiterarbeiten. So bleibt denn die Frage, ob sich das eigene Älterwerden auf die Berufspraxis auswirkt. Dies bestätigte sich in einer Studie, in der ältere Psychotherapeuten zu ihrer beruflichen Auffassung und Tätigkeit befragt wurden (Orlinsky u. Rønnestad, 2015). Es zeigte sich, dass ein erheblicher Teil mit dem eigenen Älterwerden eine wachsende berufliche Zufriedenheit berichtete, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass vermutlich eher diejenigen weiterarbeiten, die ohnehin eine hohe Berufszufriedenheit haben. Schließlich zeigte sich auch ein Wandel in der Berufsauffassung: Die älteren Psychotherapeuten und -therapeutinnen beschrieben eine zunehmend gelassene und tolerante Haltung ihren Patienten gegenüber, ja viele gaben an, dass sie weniger gezielt auf rasche therapeutische Veränderungen hinarbeiteten, sondern sich mehr und mehr in der Rolle eines therapeutischen Begleiters sahen. Vielleicht sind sie auch dadurch in besonderer Weise für die Therapie älterer Patientinnen und Patienten geeignet. 69

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