Privatrechtliche Grenzen der Verbraucherwerbung [1 ed.] 9783428485154, 9783428085156

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Privatrechtliche Grenzen der Verbraucherwerbung [1 ed.]
 9783428485154, 9783428085156

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INGE SCHERER

Privatrechtliche Grenzen der Verbraucherwerbung

Schrüten zum Wirtschaftsrecht Band 93

Privatrechtliehe Grenzen der Verbraucherwerbung Von Inge Scherer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Scherer, loge:

Privatrechtliche Grenzen der Verbraucherwerbung / von loge Scherer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Wirtschaftsrecht ; Bd. 93) Zugl.: Giessen, Univ., Habil., 1994/95 ISBN 3-428-08515-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-08515-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde Wlter dem Titel "Zivilrechtliche Grenzen der VerbraucherwerbWlg" im Wintersemester 1994/95 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen als Habilitationsschrift angenommen. Bei meiner dreieinhalb Jahre dauernden Beschäftigung mit dem Problembereich der VerbraucherwerbWlg Wld den Mühen des anschließenden Habilitationsverfahrens hat mich mein Habilitationsvater Professor Dr. Diethelm Klippel immer wieder ermutigt Wld durch zahlreiche kritische Diskussionen die ErstellWlg der Arbeit gefördert. Er hat nicht nur die Arbeit angeregt, sondern er hatte auch jederzeit ein offenes Ohr, viel Geduld Wld großherzige Toleranz. Danken möchte ich an dieser Stelle auch den Herren Professoren Dres. Helmut Köhler, Günter Weick Wld Fritz Traub, die durch die schnelle Vorlage ihrer Gutachten den Verlauf des Habilitationsverfahrens wesentlich gefördert haben. Dank sage ich schließlich den zahlreichen Kollegen an den Universitäten Gießen, Marburg, Bielefeld Wld Hannover, die durch ihr Engagement Wld ihre Ermutigungen mir in zahlreichen Schwierigkeiten immer wieder geholfen haben. Schließlich habe ich Frau Marlene Wallmann für die sorgfältige BetreuWlg des Manuskripts zu danken. Literatur und RechtsprechWlg konnten bis März 1995 berücksichtigt werden. Inge Scherer

Inhaltsverzeichnis Einleitung

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I. Problemstellung............................................................................................................................ 13 11. Aufbau und Ziel der Untersuchung ............................................................................................. 14

1. Teil Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung gegenüber dem Verbraucher 1. Kapitel: WerbWlg ............................................................................................................................ 19 I. Defmition.... ........... ....... .............. .... ......................................... ... ..... ................ ... ........ .... .............. 19 11. Geschichte der Werbung ............................................................................................................... 22 III. Funktionen der Werbung .............................................................................................................. 23 1. Das statische Modell der Marktwirtschaft ............................................................................... 24 2. Das dynamische Modell der Marktwirtschaft .......................................................................... 25 IV. Verfassungsrechtlicher Schutz ..................................................................................................... 27 V. Grundbegriffe der Werbung ......................................................................................................... 28 VI. Wirkungen der Werbung.......................................................................................•...................... 30 2. Kapitel: Verbraucher ...................................................................................................................... 31 I. Defmition.......................................................................................................................................31 11. Funktion des Verbrauchers ........................................................................................................... 34 III. Kritik ............................................................................................................................................. 36 IV. Schlußfolgerung ........................................................................................................................... 38 3. Kapitel: Die "freie WillensentschlieBWlg" des Verbrauchers in der RechtsprechWlg, ......... 39 I. Die Argumentation der Rechtsprechung ...................................................................................... 39 1. VeIWendung des Begriffs der freien Willensentschließung .................................................... 39 2. Argumentationszusarrunenhänge.............................................................................................. 41 II. Die dogmatische Tragf"ahigkeit .................................................................................................... 43 1. Die fehlende Defmition ............................................................................................................ 43 2. Die Konsequenzen der Rechtsprechung ................................................................................... 43 3. Die verfehlte Prämisse der Rechtsprechung ............................................................................. 47 4. Die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung ................................................................................................................................... 49 4. Kapitel: Die "freie WillensentschlieBWlg" des Verbrauchers in der Literatur ..................... 51 I. Argument der "unsachlichen Beeinflussung" .............................................................................. 52 11. "Unsachliche Beeinflussung" als alleiniger Ansatzpunkt............................................................ 54 III. Der Grad der Einflußnahme als Kriterium ................................................................................. 55 IV. Der Zusatznutzen als Ansatzpunkt. ............................................................................................. 57 V. Der Schutz der Menschenwürde des Verbrauchers ..................................................................... 59 VI. Die Reaktionsmöglichkeit des Umworbenen als Ansatzpunkt ................................................... 59 1. Die Ausgangsthese Fabers ....................................................................................................... 60 2. Modifikationen fiir die zivilrechtliche Anwendung ................................................................ 61

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Inhaltsverzeichnis VII. Eigener LösUJJgllvorschlag ........................................................................................................... 62 1. Kriterium der Beherrschbarlceit.. ............................................................................................ 62 2. Modifikationen zur Gewährleistung umfassender Verwendbarlceit ...................................... 65 3. Zusanunenfassung .................................................................................................................. 69 4. Willensbildungsprozeß des Verbrauchers .............................................................................. 69

11. Teil Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht 1. Kapitel: Die Sittenwidrlgkeit nach § 1 UWG ............................................................................... 73 I. Sittlich-ethische Interpretation ................................................................................................... 73 11. Funktionale Auffassung .............................................................................................................. 74 III. Kritik ........................................................................................................................................... 77 1. Probleme bei der sitt1ich-ethischen Interpretation ................................................................... 77 2. Probleme bei der funktionalen Auffassung ............................................................................. 79 3. Ergebnis ................................................................................................................................... 81 1. Kapitel: Briefkastenwerbung ......................................................................................................... 81 I. Einleitung ..................................................................................................................................... 81 II. Rechtsprechung ............................................................................................................................ 82 1. Generelle Zulässigkeit. ............................................................................................................ 83 2. "Getarnte" Werbebriefe ........................................................................................................... 83 3. Fortsetzung der Brietkastenwerbung trotz Widerspruchs des Umworbenen .......................... 84 a) Werbebriefe ......................................................................................................................... 85 b) Handzettel und Werbeprospekte ......................................................................................... 86 c) Postwurfsendungen .............................................................................................................. 87 4. Besonderheiten bei den Klagen gegen Brietkastenwerbung ................................................... 88 III. Literatur ....................................................................................................................................... 88 IV. Eigene Beurteilung ...................................................................................................................... 89 1. Generelle Zulässigkeit ............................................................................................................ 90 2. "Getarnte" Werbebriefe .......................................................................................................... 91 3. Zusendung von Werbematerial trotz Widerspruchs des Umworbenen.................................. 92 a) Werbebriefe ........................................................................................................................ 92 b) HandzetteL ......................................................................................................................... 93 c) Postwurfsendungen ............................................................................................................. 95 4. Sozialadäquanz ......................................•.•••................••..•••..................................................... 97 V. Exkurs: "Scheibenwischerwerbung" ........................................................................................... 98 3. Kapitel: Werbung durch teleteehn1sche Konun1lllikationsm1ttel... ......................................... 100 I. Einleitung ................................................................................................................................. 100 II. Rechtsprechung ......................................................................................................................... 103 I. Telefonwerbung .................................................................................................................... 103 2. Telex-Werbung ..................................................................................................................... 105 3. Teletex-Werbung .................................................................................................................. 105 4. Telefax-Werbung.................................................................................................................. 106 5. Btx-Werbung ........................................................................................................................ 106 III. Literatur ..................................................................................................................................... 107 IV. Eigene Beurteilung .................................................................................................................... 108

Inhaltsverzeichnis

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1. Telefonwerbung ............................................................................. ........................................ 109 2. Te1ex-, Te1etex- und Telefax-Werbung................................................................................. 111 3. Btx-Werbung ......................................................................................................................... 113 4. Kapitel: Der unerbetene Vertreterbesuch.................................................................................. 114 I. Einleitung..... ........ ........... .... ......... ............................................................................................ 114 11. "Sondenalle" unerbetener Vertreteroesuche ............................................................................. 115 1. Grabsteinaufträge .............................. ................................................................................ ... 115 2. Bestattungsaufträge ....................... ... ........ ................... ........ ..... .................... ........................ 116 3. Erschleichen des Besuchs.............. ............................ ......... .................................................. 117 III. Der "Normalfall" des unerbetenen Vertreterhesuchs .............................................................. 118 I. Rechtsprechung und Literatur....................... ......................................... .............................. 118 2. Eigene Beurteilung ............................................................................................................... 120 3. Einwände .............................................................................................................................. 122 a) Tradition der unerbetenen Vertreterbesuche ................................................................... 122 b) Art. 12 und Art. 14 00 ................................................................................................... 124 c) § 1 HaustürWiG .............................................................................................................. 125 5. Kapitel: AnreiDerische Werbung ................................................................................................. 130 I. Rechtsprechung und Literatur ................................................................................................... 130 H. Differenzierende Betrachtung...................... ....... ............. ....... ....... ....... ... ...... ... ............ ........ .... 132 1. Ansprechen von Straßenpassanten ....................................................................................... 133 2. Ansprechen von Unfallopfern ............................................................................................... 135 3. Telefonwerbung .................................................................................................................... 138 4. Zusendung unbestelIter Ware ............................................................................................... 138 5. Einladungen zu Werbeveransta1tungen unter Versprechung von Geschenken, Gewinnaussichten etc........................................................................................................................ 139 6. "Gewinnspiele" ..................................................................................................................... 143 6. Kapitel: "Progressive Kundenwerbung" , "Kaffeefahrten", Preisausschreiben und Gewinnspiele .................................................................................................................... 144 1. Einleitung....................................................................................................................... .......... 144 11. " Progressive Kundenweroung" ................................................................................................ 145 IH. "Kaffeefahrten", "Verkaufsfahrten" u.ä..................................................................................... 147 1. Rechtsprechung und Literatur ............................................................................................... 147 2. Notwendige Teilnahme an der Werbeveransta1tung ............................................................. 149 3. Freigestellte Teilnalune an der Werbeveransta1tung ............................................................. 151 IV. Preisausschreiben, Gewinnspiele u.ä......................................................................................... 153 7. Kapitel: Kopplungsangebot, Vorspannangebot, Animierangebot .......................................... 160 I. Kopplungsangebot ..................................................................................................................... 160 11. Vorspannangebot ....................................................................................................................... 163 III. Anirnierangebote........................................................................................................................ 168 8. Kapitel: Gefiihlsbetonte Werbung ............................................................................................... 170 I. Einleitung .................................................................................................................................. 170 11. Die amtliche Begründung zum BliWVG ................................................................................. 171 III. Generelle Abgrenzungskriterien................................................................................................ 172 1. Objektiv produktbezogene Informationen ............................................................................ 172 2. Nicht objektiv produktbezogene Informationen ................................................................... 174 a) Werbung durch Ansprechen des Mitleids ......................................................................... 176 b) Werbung unter Ausnutzung von sozialem Engagement.................................................. 177

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Inhaltsverzeichnis

c) Werbung unter Ausnutzung von Trauer ........................................................................... 179 d) Werbung mit der Angst ..................................................................................................... 180 9. Kapitel: Autoritätenwerbung, Laienwerbung, Werbung gegenüber Kindern ...................... 181 I. Autoritätenwerbung. .................. ............................................ .................... ... .............................. 181 1. Rechtsprechung und Literatur ............................................................................................... 181 2. Irreführung ............................................................................................................................. 183 3. Unsachliche Beeinflussung.................................................................................................... 183 11. Laienwerbung ............................................................................................................................ 185 1. Rechtsprechung und Literatur ............................................................................................... 185 2. Differenzierende Betrachtung................................................................................................ 186 III. Werbung gegenüber Kindern .................................................................................................... 189 10. Kapitel: Produd Placement und SpollSoring ........................................................................... 191 I. Product Placement ..................................................................................................................... 191 1. Einleitung............................................................................................................................... 191 2. Die medienrechtliche Regelung............................................................................................. 191 3. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ................................................................................ 193 a) Produktplazierung in Rundfunk- und Fernsehsendungen................................................. 193 b) Produktplazierung in Spielfilmen ..................................................................................... 198 11. Sponsoring................................................................................................................................... 200 1. Einleitung................................................................................................................................ 200 2. Die medienrechtliche Regelung.............................................................................................. 200 3. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ................................................................................. 201 11. Kapitel: SUggestivwerbung ......................................................................................................... 204 1. Einleitung ................................................................................................................................... 204 11. Rechtsprechung und Literatur ................................................................................................... 205 III. Eigene Beurteilung .................................................................................................................... 206 1. Generelle Abgrenzungskriterien ............................................................................................ 206 2. Beurteilung der Suggestivwerbung ....................................................................................... 209 a) Subliminale Werbung........................................................................................................ 209 b) Erinnerungswerbung ......................................................................................................... 211 c) Tiefenpsychologische Techniken in der Werbung ............................................................ 212 12. Kapitel: EIkurs: §§ 6, 6a-6c, 7, 8 UWG.................................................................................... 216 1. Einleitung ................................................................................................................................... 216 11. Der Konkurswarenverkauf ........................................................................................................ 217 III. Verkauf durch Hersteller oder Großhändler an letzte Verbraucher ......................................... 218 IV. Berechtigungsscheine für letzte Verbraucher............................................................................ 220 V. Progressive Kundenwerbung .................................................................................................... 223 VI. Sonderveranstaltungen und Räumungsverkauf ........................................................................ 223 13. Kapitel: Exkurs: Zugabe und Rabatt ........................................................................................ 226 I. Einleitung .................................................................................................................................. 226 11. Zugaberecht. .............................................................................................................................. 227 I. Gesetzgebungsmaterialien zur ZugabeVO ........................................................................... 228 2. Die heutige Situation ........................................................................................................... 230 3. Kritik an der Rechtsprechung ............................................................................................... 233 III. Rabattrecht ................................................................................................................................ 236

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III. Teil Individuelle Abwehranspriche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung 1. Kapitel: § 823 11 BGB i.V.m. UWG-Nonnen ............................................................................. 239 I. Einleitung ................................................................................................................................... 239 11. Die Rechtsprechung ................................................................................................................... 240 Ill. Literatur ..................................................................................................................................... 241 IV. Kriterien zur Schutzgesetzbestimmung ..................................................................................... 242 1. Suche nach Präzision ............................................................................................................. 242 2. Weitergehende Präzisierungsversuche .................................................................................. 243 V. Der Verbraucherschutz im UWG .............................................................................................. 246 1. Entwicklung........................................................................................................................... 246 2. Analyse der Gesetzgebungsmaterialien................................................................................. 247 3. Schlußfolgerungen................................................................................................................. 250 2. Kapitel: Allgemeines PersönJicbkeitsrecht ................................................................................. 251 I. "Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht"? .................................................................................. 252 1I. Allgemeines Persönlichkeitsrecht zum Schutz der Verbraucher gegen Werbung ................... 254 1. Die Rechtsprechung .............................................................................................................. 254 a) Entwicklung...................................................................................................................... 255 b) Ergebnis ............................................................................................................................ 259 2. Die Literatur ......................................................................................................................... 260 3. Kritik und eigener Ansatzpunkt ........................................................................................... 261 a) Die Sphärentheorie ........................................................................................................... 261 b) Das Schutzgut. .................................................................................................................. 267 c) Einordnung des Schutzgutes............................................................................................. 271 d) Die Rechtswidrigkeit. ....................................................................................................... 273 e) Der Beurteilungsmaßstab - Prozessuales ......................................................................... 280 4. Ergebnis ................................................................................................................................ 284 3. Kapitel: Eigentwns- und Besitzschutz......................................................................................... 284 I. Einleitung ................................................................................................................................. 284 1I. Rechtsprechung und Literatur .................................................................................................. 285 III. Eigene Beurteilung ................................................................................................................... 287 IV. Konkurrenzen ........................................................................................................................... 291 4. Kapitel: § 826 BGB ........................................................................................................................ 292 I. Quasinegatorischer Unterlassungsanspruch.............•............................................................... 292 1I. Drohende Schadenszufilgung ................................................................................................... 292 III. Sittenwidrigkeit ........................................................................................................................ 295 1. Sittlich-ethische Auslegung .................................................................................................. 297 2. Funktionale Auffassung ....................................................................................................... 297 IV. Vorsatz ....................................................................................................................................... 299 V. Ergebnis .................................................................................................................................... 299

Literaturverzeichnis

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Einleitung I. Problemstellung Der weite Bereich der Werbung gegenüber dem Verbraucher und das sich daraus ergebende Problem der Zulässigkeit dieser Werbung im Hinblick auf den Verbraucherschutz werden seit jeher von der Rechtsprechung durch Ausbildung einer breit ausdifferenzierten Kasuistik gelöst: Jede konkrete Erscheinungsform der Werbung wird dabei bestimmten Fallgruppen zugeordnet, die ihrerseits wiederum (innerhalb einer jeden einzelnen Fallgruppe) eine ausdifferenzierte Kasuistik besitzen. So hat sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte eine gewaltige Menge Fallmaterial aufgehäuft, das durch diese Fallrechtsprechung in verschiedene "Ober-" und "Unter-"Fallgruppen "sortiert" wurde. Die Unterfallgruppen werden dabei regelmäßig aufgrund der konkreten Erscheinungsform der Werbung gebildet, sofern sich deren Ausprägungen hinreichend von anderen konkreten Erscheinungsformen der Werbung unterscheiden; innerhalb dieser aufgrund tatsächlich geübter Werbemethoden gebildeten Fallgruppen wird wiederum differenziert nach zusätzlichen speziellen Merkmalen dieser konkreten Erscheinungsform der Werbung: So wird beispielsweise nach Fallgruppen differenziert bei der Zusendung unbestellter Ware einerseits und dem unerbetenen Vertreterbesuch andererseits; innerhalb der Fallgruppe des unerbetenen Vertreterbesuchs wird wiederum unterschieden nach speziellen Merkmalen, etwa nach den Begleitumständen des Vertreterbesuchs, Z.B. ob es sich um den Besuch eines Bestattungsvertreters oder eines sonstigen Vertreters handelt, ob der Vertreter so tat, als habe der von ihm aufgesuchte Verbraucher diesen Besuch veranlaßt oder nicht etc. Diese anhand der tatsächlich geübten Werbemethoden gebildeten Fallgruppen werden durch plakative, schlagwortartige Bezeichnungen zu verschiedenen "Oberfallgruppen" zusammengefaßt, wobei gewisse verwandte Merkmale unterschiedlicher konkreter Erscheinungsfonnen der Werbung zur Bezeichnung dieser "Oberfallgruppen" dienen: So existieren beispielsweise die Benennungen "Verlockung", "Belästigung", "Aleatorische Anreize", "Gefiihls- und Vertrauensausnutzung", "Nötigung", "Täuschung", "Ausnutzung der Unerfahrenheit"l für die Zusammenfassung verschiedener konkreter Erscheinungsformen der Werbung zujeweils einer "Oberfallgruppe".

1

Vgl. Baumbach-Hefermehl, § 1, 1. Kap., 1.-8. Abschnitt.

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Einleitung

Bei der Entscheidungsfindung durch die Rechtsprechung ist im Rahmen dieser Kasuistik praktisch also dergestalt zu verfahren, daß zunächst zu untersuchen ist, ob der konkret zu entscheidende Fall einer bereits vorhandenen Fallgruppe zuzuordnen ist. Existiert eine solche Fallgruppe, beispielsweise bei der Beurteilung eines unerbetenen Vertreterbesuchs, so fällt fiir die in Streit befindliche konkrete Werbemaßnahme die Entscheidung im Rahmen dieser Fallgruppe; die entscheidungsrelevante Orientierung an bereits entschiedenen gleichgelagerten Fällen bestimmt also bei bereits vorhandenen Fallgruppen das Urteil über die Zulässigkeit der konkreten Werbemaßnahme. Für die Rechtssicherheit ist dieses Verfahren der kasuistischen Entscheidungsfindung sicherlich immer dann ausreichend, wenn bereits eine Fallgruppe vorhanden ist, die auch möglichst viele Entscheidungen zu dieser konkreten Erscheinungsform der Werbung umfaßt. Dann ist es nämlich auch für die Werbetreibenden möglich, sich im voraus Klarheit über die Beurteilung der von ihnen geplanten konkreten Werbemaßnahme zu verschaffen und sich entsprechend zu verhalten. Problematisch im Hinblick auf die Rechtssicherheit ist diese kasuistische Entscheidungsfindung jedoch immer dann, wenn die betreffende konkrete Werbemaßnahme noch nie Gegenstand einer (höchst-)richterlichen Entscheidung war, wenn also noch keine Fallrechtsprechung vorliegt, an der sich die Werbenden und die Verbraucher orientieren können. Hier tragen die Werbenden ein zum Teil erhebliches Risiko, wenn sie eine neue Werbekampagne starten - ebenso wie im Falle eines Rechtsstreits der sich gegen diese neue Werbemaßnahme wendenden Kläger. Unter den für die Rechtspraxis relevanten Gesichtspunkten mag man jedoch diese Kasuistik, wenn auch nicht fiir befriedigend, so doch zumindest für ausreichend halten: Da die Rechtspraxis seit vielen Jahren in dieser Weise verfährt und es der Rechtsprechung meistens auch gelungen ist, zumindest im Ergebnis vertretbare Lösungen zu finden, mag ein derartiger "modus vivendi" - unter gewissen Abstrichen bei der Rechtssicherheit - in der Rechtspraxis tragbar sein.

11. Aufbau und Ziel der Untersuchung Unter dogmatischen Gesichtspunkten jedoch kann eine derartige Fallrechtsprechung, selbst wenn sie sich zu einer verfeinerten und ausdifferenzierten Kasuistik entwickelt hat, nicht ausreichen, geschweige denn befriedigen. Es soll daher in der vorliegenden Arbeit versucht werden, ein dogmatisch tragfähiges Abgrenzungskriterium fiir die Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber dem Verbraucher zu erarbeiten. Dieses

Einleitung

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dogmatisch tragfähige Abgrenzungskriterium würde es nicht nur ennöglichen, jede konkrete Erscheinungsfonn der Werbung unabhängig von irgendeiner Kasuistik hinsichtlich ihrer Zulässigkeit zu beurteilen, sondern würde durch die Erarbeitung dogmatisch klarer, systemgerechter und nachvollziehbarer Kriterien die Rechtssicherheit in dem immer größer werdenden Komplex der Verbraucherwerbung beträchtlich erhöhen. In der Literatur gibt es bisher nur wenige Versuche, für den Bereich der Verbraucherwerbung umfassende Abgrenzungskriterien für die Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes zu erarbeiten. Ansätze sind in kleineren Teilbereichen der Werbung - vor allem im Bereich der Suggestivwerbung - vorhanden, die eine Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung zu entwickeln versuchen; diese Abgrenzungsversuche beziehen sich aber nur auf den jeweiligen Teilbereich der betreffenden Werbemethode, nicht auf den gesamten Bereich der Verbraucherwerbung. Sofern Ansätze vorhanden sind, die versuchen, den gesamten Bereich der Werbung gegenüber dem Verbraucher umfassend hinsichtlich seiner Zulässigkeit zu beurteilen, reichen diese aber entweder nicht über den von der Rechtsprechung aufgezeigten Lösungsweg hinaus oder aber sie sind dogmatisch nicht tragfähig. Hierauf wird ausruhrlieh im Rahmen des I. Teils der Untersuchung einzugehen sein. Zudem soll in der vorliegenden Arbeit versucht werden, den Rechtsschutz der Verbraucher gegen unzulässige Werbung zu vervollkommnen: Bisher nämlich ist zwar für die Verbraucherverbände gern. § 13 11 Nr. 3 UWG eine Klagemöglichkeit gegeben; dieses Verbandsklagerecht steht aber nur den Verbraucherverbänden, nicht jedoch den von der Werbung selbst betroffenen Verbrauchern zu. Wollen die betroffenen Verbraucher sich selbst gegen bestimmte Fonnen der Werbung zur Wehr setzen, stößt dies häufig auf Schwierigkeiten: Der um individuellen Rechtsschutz bei Gericht nachsuchende Verbraucher muß die Verletzung eines absoluten Rechts, eines Rechtsguts oder anderweitig geschützter rechtlicher Interessen darlegen, um mit seiner Individualklage gegen den Werbetreibenden obsiegen zu können; er benötigt also mit anderen Worten in jedem Fall rur die Begründetheit seiner Klage einen auf die Abwehr von Werbung gerichteten Individualanspruch. Nur wenn ein solcher besteht, ist der betroffene Verbraucher nicht darauf angewiesen abzuwarten, bis sich ein Verbraucherverband seiner Nöte hinsichtlich der Werbung annimmt. In der vorliegenden Untersuchung soll daher nicht nur ein dogmatisch tragfähiges Beurteilungskriterium für die Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber dem Verbraucher erarbeitet werden, sondern es soll darüber hinaus dieses Abgrenzungskriterium in ein System umfassenden Verbraucherrechtsschutzes gegen Werbung integriert werden. Sowohl im Bereich der Verbraucherverbands-Klage, also des kollektiven Rechtsschutzes, als auch im Bereich der Individualklage des betroffenen Verbrauchers soll dieses

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Einleitung

Abgrenzungskriterium verwendbar sein und dadurch gewährleisten, daß der gewährte Rechtsschutz - unabhängig davon, ob ein Verbraucherverband oder ein betroffener Verbraucher selbst klagt - hinsichtlich der Zulässigkeitsbeurteilung der betreffenden Werbung identisch ist. Die Entwicklung des Abgrenzungskriteriums wird dabei, um dem Phänomen der Werbung einerseits und der Rolle der Verbrauchern andererseits gerecht zu werden, von der Funktion der Werbung und des Verbrauchers im Wettbewerb auszugehen haben: Nur wenn nämlich Aufgaben und Funktionen der konfligierenden Interessenträger deutlich geworden sind, ist es möglich, eine rechtliche Beurteilung systemgerecht und dogmatisch tragfähig zu erarbeiten. Daher werden im I. Teil der Untersuchung die Funktion von Werbung und Verbraucher in der Wettbewerbsordnung zu klären sein. Da sich aber nicht nur die Rechtswissenschaft, sondern auch zahlreiche andere Wissenschaften wie beispielsweise Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, Kommunikationswissenschaften, Psychologie und Soziologie mit dem Phänomen der Werbung und der Rolle des Verbrauchers befassen, werden die Forschungsergebnisse dieser Wissenschaftsgebiete zu konsultieren sein. Da der für den Verbraucher hier zu entwickelnde Rechtsschutz - wie bereits dargelegt - ein "zweigleisiger", nämlich einerseits der Rechtsschutz über die Verbraucherverbands-Klage, andererseits über die Individualklage sein wird, wird der weitere Aufbau der Arbeit sich an diesem "zweigleisigen" Rechtsschutz ausrichten: Im 11. Teil wird zu erörtern sein, inwieweit sich der kollektive Rechtsschutz über die Verbraucherverbands-Klage nach dem UWG realisieren läßt, im III. Teil werden verschiedene Anspruchsgrundlagen untersucht werden, die für einen individuellen Abwehranspruch des Verbrauchers gegen Werbung in Betracht kommen könnten. Da im Rahmen des UWG die Generalklausel des § 1 die zentrale Rolle für die Beurteilung spielt, also auch für die Werbung gegenüber dem Verbraucher, wird auch im Rahmen dieser Untersuchung § I UWG im Mittelpunkt stehen: Hier muß zunächst geklärt werden, wie das im I. Teil entwickelte Abgrenzungskriterium für den Tatbestand der Generalklausel funktions gerecht fruchtbar gemacht werden kann. Sodann wird bei den praktisch wichtigsten konkreten Erscheinungsfonnen der Werbung gezeigt werden, wie es sich bei Anwendung dieses Abgrenzungskriteriums mit deren Zulässigkeit verhält. Im Rahmen des § 3 UWG sowie bei §§ 6, 6a-c, 7, 8 UWG spielt das hier erarbeitete Abgrenzungskriterium keine wesentliche Rolle, da insoweit bereits - anders als bei § 1 UWG - eine ausreichende tatbestandliche Konkretisierung durch den Gesetzgeber erfolgt ist. Wie im Rahmen der bürgerlich-rechtlichen individuellen Abwehransprüche das Abgrenzungskriterium für die jeweiligen Tatbestände fruchtbar gemacht werden kann, wird im einzelnen im III. Teil der Untersuchung gezeigt werden.

Einleitung

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Vorab ist nur darauf hinzuweisen, daß insoweit die Ergebnisse hinsichtlich des kollektiven und des individuellen Rechtsschutzes bis auf eine Ausnahme bei der vorbeugenden Unterlassungsklage gegen eine irrefuhrende Werbung bei Erstbegehungsgefahr konsequenterweise deckungsgleich sein müssen, da nur so umfassender Rechtsschutz :fiir die Verbraucher gewährt werden kann. Gelegentlich wird nun im Zusammenhang mit der Unzulässigkeit einer Werbung auch die Frage nach der Gültigkeit des aufgrund dieser Werbung abgeschlossenen Vertrages einschließlich möglicher Schadensersatzansprüche der betroffenen Verbraucher erörtert. Gegenstand dieser Untersuchung ist hingegen die Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes sowie die sich daraus ergebenden Abwehrmöglichkeiten der Verbraucher gegen Werbung, sei es über die Verbandsklage nach UWG, sei es über die bürgerlich-rechtliche Individualklage auf Unterlassung. Um etwaige Beseitigungs- oder Schadensersatzansprüche der Verbraucher, insbesondere aufgrund sogenannter "Folgeverträge", also der Verträge, die aufgrund einer bestimmten Werbung vom Verbraucher abgeschlossen werden, geht es hier nicht: Der sogenannte "Folgevertrag" ist nämlich nicht nur tatsächlich ein neuer, anderer Sachverhalt gegenüber der Werbemaßnahme, sondern er betrifft auch andere Rechtsfragen und mithin einen völlig anderen rechtlichen Problemkreis als den oben beschriebenen. Die Problematik der sogenannten "Folgeverträge" und die mit ihr zusammenhängenden rechtlichen und tatsächlichen Untersuchungen können daher hier nicht behandelt werden. Insoweit ist auf die hierzu vorliegenden Arbeiten2 zu verweisen. Zudem ist festzuhalten, daß es vorliegend ausschließlich um die Zulässigkeitsgrenze einer Werbung im Hinblick auf verbraucherschützende Gesichtspunkte geht; andere als verbraucherschützende Aspekte, insbesondere der Konkurrentenschutz dürfen hinsichtlich der Zulässigkeit der Werbung gegenüber dem Verbraucher konsequenterweise keine Rolle spielen. Hieraus ergibt sich, daß das hier entwickelte System zwar umfassend die Zulässigkeitsgrenze der Werbung gegenüber dem Verbraucher bestimmen kann; für die Frage der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der Werbung aus anderen als verbraucherschützenden Gründen, also etwa aus Gründen des Konkurrentenschutzes, aufgrund standesrechtlicher Werbeverbote oder aufgrund bau- oder straßenverkehrsrechtlicher Normen etc. kann es aber naturgemäß keine Aussage treffen. Auch geht es nicht um eine Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber der Allgemeinheit, also der Gesamtheit der Rechtssubjekte ohne Rücksicht auf ihre Stellung als Marktbeteiligte. Dieser

2

Vor allem Lehmann, Vertragsanbalmung durch Werbung, 1981, mit zahlreichen w.N.

2 Scherer

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Einleitung

Komplex betrifft nämlich gleichfalls einen völlig anderen rechtlichen Problemkreis als den oben beschriebenen und ist daher hier nicht zu erörtern. Dies gilt namentlich für den in letzter Zeit intensiv diskutierten Bereich der "schockierenden" Werbung (etwa der mit dem "Benneton"-Logo versehenen Darstellung eines mit Flüchtlingen überfiillten Containers oder eines schwarzen Soldaten, der an einem menschlichen Oberschenkelknochen nagt, vgl. OLG FrankfurtlM., GRUR 1993, l30f.). Diese "schockierende" Werbung, die menschliches Leid und Elend oder die Darstellung menschlicher Grausamkeiten ausnutzt zur Absatzförderung ihrer Produkte, betrifft nämlich genauso wie etwa der Bereich der rassistischen, der obszösen oder der gewaltverherrlichenden Werbung die Gesamtheit der Rechtssubjekte, unabhängig von ihrer Stellung als Marktbeteiligte.

1. Teil Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung gegenüber dem Verbraucher 1. Kapitel: Werbung

Um die Zulässigkeit der Werbung gegenüber dem Verbraucher beurteilen zu können und dogmatisch tragfähige und systemgerechte Kriterien für die Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber dem Verbraucher zu erarbeiten, ist es erforderlich, sich zunächst über die Funktionen der Werbung und sodann über die Funktionen des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung Klarheit zu verschaffen. Nur wenn beide bestimmt sind, ist es nämlich möglich, zwischen den Funktionen der Werbung einerseits und den Funktionen des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung andererseits die Konfliktpunkte festzustellen und anhand der notwendigen Voraussetzungen für diese jeweiligen Funktionen bestimmte unerläßliche Funktionsbedingungen herauszuarbeiten, die die Grundlage für die juristische Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber dem Verbraucher liefern. Es ist daher zunächst die Frage zu klären, was unter Werbung zu verstehen ist und wie deren Funktionen in der Wettbewerbsordnung zu bestimmen sind. I. Definition

Mit der Werbung und ihrer Definition beschäftigt sich naturgemäß nicht nur die Rechtswissenschaft, sondern mit Werbung befassen sich ebenso zahlreiche andere Wissenschaften wie Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Soziologie etc. Zum Begriff der Werbung gibt es daher zahlreiche Definitionen. So versteht Behrens 1 darunter "die absichtliche und zwangsfreie Form der Beeinflussung, welche Menschen zur Erfüllung der Werbeziele veranlassen soll". Clausen2 begreift Werbung als "eine besondere Strategie, welche Aktionen im Sinne des Werbenden zu bewirken trachtet, die sich anders nicht bewirken lassen". Möller3 definiert Werbung als "eine gezielte Beeinflussung von Menschen und Menschengruppen mit größtmöglichem Aufforderungscharakter - unter Verzicht auf negative BewerI

2 3

Behrens, in: Handbuch der Werbung, S. 4. Clausen, in: Handbuch der Werbung, S. 107. Möller, Gesellschaftliche Funktionen der Konsumwerbung,

s. 7.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

tungen und äußere Gewalt - zur Durchsetzung bestimmter Interessen". Die Definition von Seyffert4 geht davon aus, daß Werbung "eine Fonn der seelischen Beeinflussung ist, die durch bewußten Verfahrenseinsatz zum freiwilligen Aufnehmen, Selbsterfiillen und Weiterpflanzen des von ihr dargebotenen Zwecks veranlassen will". Für Lerches ist Werbung "diejenige Tätigkeit, die mittels planmäßiger Anwendung beeinflussender Mittel darauf abzielt, andere Menschen, sei es in deren Eigenschaften als Individuen oder in deren Eigenschaften als Mitglieder bestimmter Gruppen, für eine konkrete Meinung oder Verhaltensweise zu gewinnen". Von der Werbung allgemein wird die Wirtschaftswerbung unterschieden. Dabei unterscheidet sich die Wirtschaftswerbung von der Werbung allgemein aber lediglich dadurch, daß bei der Wirtschaftswerbung der Definitionsbestandteil der ökonomischen Zielsetzung hinzukommt; exemplarisch sei hier die Definition von Kaiser6 genannt, der Wirtschaftswerbung als "die geplante öffentliche Kommunikation zum Zweck einer ökonomisch wirksamen Infonnation, Persuasion und Entscheidungssteuerung" beschreibe. Aus der dargestellten Vielzahl von unterschiedlichen Definitionen ist leicht ersichtlich, daß es noch keine allgemein anerkannte Definition für die Begriffe "Werbung" beziehungsweise "Wirtschaftswerbung" gibt. Die Ansätze für die Definitionen sind je nach dem definierenden Wissenschaftsgebiet (Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Psychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaften, Rechtswissenschaft etc.), den Anwendungsgebieten (Wirtschaft, Recht, Politik etc.) oder nach sonstigen speziellen Sichtweisen der Werbung recht unterschiedlich. 8 Einigkeit besteht jedoch über zumindest ein wesentliches Begriffsmerkmal der Werbung: Durchgängig wird der Werbung das Merkmal der Beeinflussung zugeschrieben. 9 Für den Begriff der Wirtschaftswerbung wird des weiteren übereinstimmend als Wesensmerkmal die ökonomische Zielsetzung angesehen. Diese beiden Merkmale können vereinfachend dahingehend zusammengefaßt werden, daß Wirtschaftswerbung eine Fonn der Beeinflussung ist, die den Umworbenen zu veranlassen sucht, das vom Werbenden vorgegebene ökonomische Ziel zu erfiillen. Aus den oben vorgestellten Definitionen ergibt sich des weiteren, daß häufig zwischen Werbung allgemein und Wirtschaftswerbung differenziert wird; Wirtschaftswerbung ist hierbei jedoch nicht eine andere Fonn der Werbung an Seyffert, Werbelebre - Theorie und Praxis der Werbung, Bd. I, S. 7. Lerche, Werbung und Verfassung, S. 11. 6 Kaiser, Werbung _ Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 3. 7 Hinsichtlich der übrigen ähnlichen Definitionen der Wirtschaftswerbung vgl. Bebrens, in: Handbuch der Werbung, S. 4; Clausen, in: Handbuch der Werbung, S. 107; Seyffert, Werbelebre - Theorie und Praxis der Werbung, Bd. 11, S. 1505; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 11. • Kästing, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, S. 2242. 9 Ebenso: Kästing, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, S. 2242. 4

5

I. Kapitel: Werbung

21

sich, sondern lediglich ein besonderer, auf ökonomische Zielsetzungen bezogener Ausschnitt aus dieser allgemeinen Erscheinungsform. Mittlerweile wird der Begriff "Werbung" jedoch nicht nur in der UmgangssprachelO , sondern auch in der Rechtssprache bereits im ausschließlichen Sinn von "Wirtschaftswerbung" gebraucht: Die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung vom 10. September 1984 11 bezeichnet in Art. 2 Nr. 1 Werbung als "jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen zu fordern". Der Begriff der Werbung wird hier also ausschließlich im Sinne von Wirtschaftswerbung definiert. Auch in dem Vorschlag einer Richtlinie des Rates über die Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit12 wird unter Werbung ausschließlich Wirtschaftswerbung verstanden. Gleiches gilt für den Begriff der Werbung in der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung von Fernsehtätigkeit. 13 Im folgenden wird der Begriff Werbung aus zwei Gründen ebenfalls ausschließlich in diesem Sinne gebraucht: Zum einen sprechen die dem Thema zugrundeliegenden faktisch-ökonomischen Zusammenhänge für eine solche Begrenzung. Bei einer Untersuchung über Werbung gegenüber dem Verbraucher kann nämlich nicht außer acht gelassen werden, daß der Begriff des Verbrauchers notwendigerweise auf den Markt bezogen ist, auf die Wettbewerbsordnung und damit auf das Wirtschaftsleben. 14 Eine Untersuchung, die u.a. Werbung für politische, religiöse, karitative und gewerkschaftliche Ziele mit einbeziehen würde, würde außerhalb der dargelegten Zusammenhänge stehen und daher den von den faktisch-ökonomischen Gegebenheiten gesteckten Rahmen des Arbeitsthemas verlassen. Zum anderen sprechen auch juristisch-dogmatische Gründe für eine solche Beschränkung: Die politische, religiöse, karitative, gewerkschaftliche u.ä. Werbung erfolgt insbesondere vor einem anderen verfassungsrechtlichen Hintergrund als die Wirtschaftswerbung.

Beispiel: test 5/88, S. 12. 84/450IEWG, ABI. EG 1984, Nr. L 250; auch abgedruckt in GRUR lnt. 1984,688 ff. und bei Baumbach-Hefermehl, S. 16 ft: 12 KOM(86) 146, von der Kommission dem Rat vorgelegt am 29. April 1986; auch abgedruckt in GRUR Int. 1986,388 ff. 13 89/552, AbI. EG 1989, L 298, S. 23 ff.; auch abgedruckt in GRUR Int. 1990,134 ff. 14 Hinsichtlich der Definition des Verbraucherbegriffs vgl. unten, 2. Kapitel: "Verbraucher". 10

II

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

Den politischen Parteien steht für ihre Werbung der Verfassungsauftrag des Art. 21 I 1 GG über die Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes zur Seite. Die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften agieren vor dem Hintergrund des Art. 4 GG, der ihnen unter anderem das Recht zum freien Bekenntnis und zur Missionierung verbürgt; die Gewerkschaften betätigen sich geschützt durch Art. 9 III GG. Für die Wirtschaftswerbung hingegen besteht kein derartiger spezieller verfassungsrechtlicher Hintergrund; sie vollzieht sich unter dem Schutz der Art. 12, 14, 2 GG, unter bestimmten Voraussetzungen kann auch Art. 5 GG in Betracht kommen. Hier bestehen also gänzlich andere rechtliche Vorzeichen. Eine Einbeziehung auch dieser anderen Erscheinungsformen der Werbung wäre daher nicht nur wenig sinnvoll, sondern würde vielmehr eine weitere, vollständig neue rechtliche Untersuchung erfordern. Aus den dargelegten Gründen beschränkt sich die vorliegende Untersuchung daher auf die Wirtschaftswerbung. Sofern bei dieser Wirtschaftswerbung ausnahmsweise zugleich Gesichtspunkte von karitativer, religiöser, gewerkschaftlicher u.ä. Werbung eine Rolle spielen, wird hierauf bei den jeweiligen speziellen Erscheinungsformen der Werbung15 einzugehen sein. 11. Geschichte der Werbung Obwohl gelegentlich die Geschichte der Werbung bis in die Antike zurückverfolgt wird16 , besteht Einigkeit darüber, daß die uns heute vertraute Werbung erst viel später begann. Die Werbung in der heutigen Form, die uns täglich begegnet und als nicht mehr wegzudenkender Bestandteil des modernen Lebens vertraut ist wie die "Tagesschau" und der Stau im Berufsverkehr, begann in Westeuropa erst zu Beginn dieses Jahrhunderts, ernstlich erst nach dem Ende des l. Weltkrieges, in den USA etwas früher. 17 Sie wird als die notwendige Folge des Durchbruchs der industriellen Massenproduktion angesehen. 18 Durch ihre Massenproduktion nämlich wandelten sich die Märkte von sog. Verkäufer- zu Käufermärkten. 19 Die Verkäufermärkte früherer Epochen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie überschaubar waren und die Anzahl der Anbieter und ihrer Produkte begrenzt war. 20 Als Beispiel für einen reinen Verkäufermarkt in neuerer Zeit wird die Periode von 1945 bis etwa 1950 in Deutschland angesehen; der Markt war hier Vgl. unten, Teil H, 2.-13. Kapitel. Vgl. die umfassende Darstellung von Buchli, 6000 Jahre Werbung. 17 Kjaer-Hansen, in: Handbuch der Werbung, S. 30; Buchli, in: Handbuch der Werbung, S. 23 f; GrunertJStupening, Werbung - ihre gesellschaftliche und ökonomische Problematik, S. 10. 18 Kjaer-Hansen, in: Handbuch der Werbung, S. 30; Nieschlag/DichtllHörschgen, Marketing, S. 474; GrunertJStupening, Werbung - ihre gesellschaftliche und ökonomische Problematik, S. 10. 19 NieschlagiDichtl/Hörschgen, Marketing, S. 474. 20 NieschlagiDichtl/Hörschgen, Marketing, S. 474. IS

16

I. Kapitel: Werbung

23

hinsichtlich der angebotenen Produkte so begrenzt, daß auf ihm weder Platz noch Bedarf für eine absatzfördernde Werbetätigkeit war. 2 \ Auf diesen Verkäufennärkten früherer Zeitabschnitte (und den in Ausnahmesitutionen heute noch gelegentlich zu beobachtenden) genügte aufgrund der Überschaubarkeit und der damit verbundenen Knappheit des Angebots das persönliche Gespräch, um den Absatz der zudem oft individuell gefertigten Waren zu gewährleisten. 22 Mit dem Aufkommen der Massenproduktion hingegen zeichnete sich der Markt durch einen Überfluß an Waren und damit eine immer geringer werdende Überschaubarkeit des Angebots aus. Es wurde deshalb notwendig, ein Mittel zu finden, mit dessen Hilfe der Absatz dieser Massenkonsumgüter rationell betrieben werden konnte: Die Werbung in der uns heute bekannten Fonn der Massenurnwerbung war geboren. 23 Mit ihrer Hilfe konnten die Anbieter direkt die Verbraucher ansprechen und auf ihre Produkte hinweisen. 24. Durch die Vervollkommnung der Druckkunst, dem Rückgang des Analphabetentums und in jüngster Zeit nicht zuletzt das Aufkommen der elektronischen Medien waren auch die technischen und intellektuellen Voraussetzungen der heutigen Fonn der Werbung vorhanden. 25 Mit dem Ende des 1. Weltkrieges setzte die Massenumwerbung in Westeuropa in großem Stil ein. Sie erlebte ihre "Pionierjahre" mit einer im wesentlichen auf Aufmerksamkeitswerbung abgestellten Reklametätigkeit. 26 Nachdem in der Zeit ab etwa 1950 der Käufennarkt wieder zu erwachen begann, nahm auch der Umfang der Werbung erneut stark ZU. 27 Mit dem Aufkommen der Wohlstandsgesellschaft schließlich fiel der Werbung immer mehr die Aufgabe zu, die erheblich gestiegene Kaufkraft der Bevölkerung dem Markt zu erschließen und insbesondere Interesse zu schaffen für teuere Wirtschaftsgüter, deren Anschaffung dem größten Teil der Bevölkerung nun erstmals wirtschaftlich möglich wurde. 28 III. Funktionen der Werbung

Aus dem oben Dargelegten wird deutlich, daß die Werbung untrennbar mit dem Wirtschaftssystem verknüpft ist. Eine befriedigende Antwort auf die Frage 21 22 23 24 2S

26

Kjaer-Hansen, in: Handbuch der Werbung, S. 30. NieschiagIDichtlJHörschgen, Marketing, S. 474. Kjaer-Hansen, in: Handbuch der Werbung. S. 30. Kjaer-Hansen, in: Handbuch der Werbung, S. 30. NieschlagiDichtlJHörschgen, Marketing, S. 474. NieschiagIDichtllHörschgen, Marketing, S. 446; Kjaer-Hansen, in: Handbuch der Werbung,

S.30. 27

28

Kjaer-Hansen, in: Handbuch der Werbung, S. 30. Kjaer-Hansen, in: Handbuch der Werbung, S. 30.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

nach den Funktionen der Werbung ist daher nur zu gewinnen, wenn man sich die theoretischen Voraussetzungen des Wirtschaftslebens und der Wettbewerbsordnung vor Augen führt. Hierbei hat die Volkswirtschaftslehre insbesondere zwei wirtschaftstheoretische Denkmodelle entwickelt, die versuchen, die marktwirtschaftliche Ordnung und ihre Funktionsbedingungen zu beschreiben. 1. Das statische Modell der Marktwirtschaft

Das klassische wirtschaftstheoretische Denkmodell, das statische Modell der Marktwirtschaft, geht dabei von drei Voraussetzungen aus: Erstens wird jedes Gut von einer größeren Zahl von Unternehmern hergestellt und angeboten und von einer größeren Zahl von Käufern nachgefragt. Zweitens ist die Angebotsund Nachfragesituation auf dem Markt für jedes Gut jedem Beteiligten gut bekannt. Drittens ist jedes Gut soweit gleichartig, als es jedem Nachfrager gleichgültig ist, von welchem der vielen Anbieter er das Gut kauft; auch aus anderen Gründen (z.B. wegen des Standorts) bestehen keine Präferenzen von Nachfragern für bestimmte Anbieter und umgekehrt. 29 Dieses statische Modell geht also vom Bestehen eines vollkommenen Wettbewerbs, einer vollkommenen Markttransparenz und einem Verbraucher aus, der sich als "homo oeconomicus" verhält. Da in diesem Modell aufgrund der beschriebenen Voraussetzungen die Marktrnacht gleichmäßig verteilt, die Marktübersicht optimal ist und sich zudem der Verbraucher ausschließlich so verhält, daß er mit dem geringsten Aufwand den größtmöglichen Nutzen erzielt, ist unter den Voraussetzungen dieses statistischen Modells ein Bedarf für Werbung überhaupt nicht gegeben. 30 Auf einem wie in diesem Modell angenommenen Markt würden sich nämlich die qualitativ und preislich günstigsten Güter quasi von selbst verkaufen; die qualitativ und preislich schlechteren wären nicht konkurrenzfähig. Tatsächlich muß jedoch davon ausgegangen werden, daß es eine solche Marktsituation nicht gibt und wohl auch nie gegeben hat. 31 Das statische Modell beschreibt vielmehr einen Grenzfall, der in der Realität nicht existiert. 32 In Wirklichkeit ist die Markttransparenz beispielsweise bereits deshalb begrenzt, weil die Beschaffung von Informationen Aufwand verursacht. 33 Auch sind die Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 288; ders., Mikroökonomik., S. 313. Möller, Gesellschaftliche Funktionen der Konsumwerbung, S. 10 f. 31 Möller, Gesellschaftliche Funktionen der Konsumwerbung, S. 11; Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 292; Baumbach-Hefermehl, Allg., Rz. 14. 32 Baumbach-Hefermehl, Allg., Rz. 14. 33 Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 292; ders., Mikroökonomik, S. 340 ff. 29

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1. Kapitel: Werbung

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Güter in der Realität nicht homogen, sondern differieren mehr oder weniger stark in Qualität, Preis, Gestaltung, Aufmachung etc. 34 Des weiteren ergeben sich zwangsläufig bereits aus der Standortverteilung Präferenzen. Aus den tatsächlich regelmäßig unterschiedlichen Marktanteilen der Produzenten resu1tieren zudem unterschiedliche Produktionskapazitäten, was wiederum zumindest den größeren Produzenten Spielraum für eine eigene Preispolitik verschafft. 35 Schließlich ist auch die Vorstellung des ausschließlich rational handelnden, stetig auf eine ökonomische Nutzenmaximierung ausgerichteten Verbrauchers unrealistisch. 36 Das statische Modell ist daher wegen seiner realitätsfernen Voraussetzungen nicht geeignet zur Beschreibung des Marktes. 37 2. Das dynamische Modell der Marktwirtschaft

Aus diesen Gründen hat die Volkswirtschaftslehre ein weiteres wirtschaftstheoretisches Modell entwickelt: Das dynamische Modell der Marktwirtschaft versucht eine Analyse der Marktordnung unter prinzipiell gleichen, aber modifizierten, wirklichkeitsnäheren Voraussetzungen. 38 Das dynamische Modell geht aus den oben dargelegten Gründen von einem unvollkommenen Wettbewerb, von einer unvollkommenen Markttransparenz und von einem zumindest nicht ausschließlich als "homo oeconomicus" handelnden Verbraucher aus. 39 Gerade unter diesen Voraussetzungen kommen der Werbung daher in der Marktordnung wichtige Funktionen zu. Dabei ist davon auszugehen, daß es sich bei dem Einsatzfeld der Werbung um annähernd gesättigte Märkte handelt, daß Produktinnovationen weitgehend selten sind, daß ein gleichmäßig hoher Fertigungsstand besteht, auf Grund dessen sich ausgereifte Erzeugnisse durch die Produktbeschaffenheit oder den Preis kaum noch differenzieren lassen und daß die Notwendigkeit eines wirtschaftlichen Wachstums besteht. 40 Hieraus ergeben sich für die Werbung sowohl im Blick auf den Anbieter als auch im Blick auf den Verbraucher notwendigerweise mehrere Aufgaben: Für den Anbieter stehen insbesondere die Ziele der Absatzsteigerung, nämlich der Vergrößerung des Marktanteils bzw. der Schaffung neuer Märkte mit den sich daraus ergebenden positiven Folgen

34 35 36 37

38

Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 292; ders., Mikroökonomik, S. 346. Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 292. Möller, Gesellschaftliche Funktionen der Konsumwerbung, S. 45. Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 292. Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 288 ff.

39 Möller, Gesellschaftliche Funktionen der Konsumwerbung, S. 45; Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 292. 40 NieschlagIDichtllHörschgen, Marketing, S. 436 f.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

für ihr Wirtschaftsunternehmen im Zentrum der Aufmerksamkeit. 41 Für die Verbraucher ist die Werbung in wirtschaftlicher Hinsicht vor allem eine Quelle der Information: Wegen der Unübersichtlichkeit des Marktes ist es erforderlich, besonders im Hinblick auf die Neuprodukteinfiihrung, die Qualitätsverbesserung bei vorhandenen Waren, die Preissenkung und den Produkt-SystemVergleich über eine leicht zugängliche Informationsquelle zu verfügen. 42 Hinsichtlich etablierter Produkte spielt dagegen die Informationsfunktion keine wesentliche Rolle mehr, da nicht nur die Werbung insoweit regelmäßig keine wissenswerten Informationen mehr bietet43 , sondern auch die Verbraucher bezüglich etablierter Produkte naturgemäß über einen größeren Marktüberblick verfügen. Die beiden genannten zentralen Funktionen der Werbung - die der Absatzsteigerung und die der Information - sind eng miteinander verknüpft: Da mit steigendem Verbrauchereinkommen immer mehr Kaufkraft zur Verfügung steht, die zu einem immer geringer werdenden Teil zum Erwerb existentiell wichtiger Güter verwendet wird, ist ein immer größer werdender Rest der Kaufkraft frei verfügbar; dieser Rest läßt sich deshalb leicht neuen Verwendungszwecken zuführen. 44 Neue Bedürfnisse und damit Absatzsteigerungen bzw. die Erschließung neuer Märkte lassen sich jedoch nur erzielen, wenn die Verbraucher über die Existenz des betreffenden Produktes informiert sind. 45 Da nun die Information der Verbraucher die Voraussetzung für deren Konsum, folglich auch für eine dadurch bewirkte Absatzsteigerung und die Schaffung neuer Märkte bildet, ist die Werbung, die beide Funktionen als Hauptaufgaben erfüllt, ein notwendiger Funktionsbestandteil jeder marktwirtschaftlichen Ordnung. 46 Sie stellt als außerordentlich wichtiger Faktor im Gesamtmechanismus des Absatzprozesses ein wesentliches Bindeglied zwischen Angebot und Nach-

41 Stobbe, Gesarntwirtschaftliche Theorie, S. 293; ders., Mikroökonomik, S. 348 f; Herrmann/Denig, in: Handbuch der Werbung, S. 94; Strodthoff, Werbung in Wirtschaft und Recht, S. 7. 42 Schmalen, WiSt 1975, 496; Luckenbach, WiSt 1973, 399 ff., 400; Hundhausen, Wesen und Form der Werbung, Teil I, S. 133; Strodthoff, Werbung in Wirtschaft und Recht, S. 7 ff.; Seyffert, Werbelehre - Theorie und Praxis der Werbung, Bd. 11, S. 1505; Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 66. 43 Kaiser, Werbung _ Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 66; Schmalen, WiSt 1975,

496. Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 293; ders., Mikroökonomik, S. 349. Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 293; ders., Mikroökonomik, S. 349. 46 Stobbe, Gesamtwirtschaftliche Theorie, S. 293; ders., Mikroökonomik, S. 349; Strodthoff, Werbung in Wirtschaft und Recht, S. 13; Ohlgart, in: Handbuch der Werbung, S. 211; Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 2; Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 4. 44

45

I. Kapitel: Werbung

27

frage dar. 47 Sie ist daher notwendiges Element unserer Wettbewerbsordnung und eine ihrer tragenden Funktionsvoraussetzungen. IV. Verfassungsrechtlicher Schutz Angesichts dieser wichtigen Rolle der Werbung in einem marktwirtschaftlichen System fragt es sich, ob die Werbung als "Institution", das heißt als notwendiger Bestandteil unseres Wettbewerbssystems, verfassungsrechtlich geschützt ist. Die Frage nach einem verfassungsrechtlichen Schutz der Werbung als notwendiger und integraler Bereich der Marktwirtschaft ist aber notwendigerweise mit der Frage verbunden, ob ein verfassungsrechtlich geschütztes Wirtschaftssystem existiert - mit der Frage also, ob nach dem Grundgesetz eine bestimmte Wirtschaftsverfassung gewährleistet ist. 48 Diese Frage wurde von Nipperdey49 bejaht. Er geht davon aus, daß das Grundgesetz die Wirtschaftsverfassung der sozialen Marktwirtschaft gewährleistet. Dem steht jedoch nicht nur die ganz überwiegende Meinung in der Literatur50 , sondern auch die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts51 entgegen. Die Literatur geht ebenso wie das Bundesverfassungsgericht davon aus, daß das Grundgesetz keine Grundentscheidung fiir ein bestimmtes Wirtschaftssystem (etwa die soziale Marktwirtschaft) enthält; das Grundgesetz überläßt die Regelungen der Wirtschaftsordnung dem Gesetzgeber, der hierüber innerhalb der ihm durch das Grundgesetz gezogenen Grenzen frei entscheiden kann. 52 Freilich ist damit nicht gemeint, daß der Bereich der Wirtschaft einen "verfassungsfreien Raum" bildet. 53 Vielmehr ergeben sich die dem Gesetzgeber gezogenen Grenzen sehr wohl aus dem Grundgesetz, insbesondere den Grundrechten und aus tragenden Verfassungsprinzipien wie z.B. Sozialstaatlichkeit, Rechtsstaatlichkeit oder Individualprinzip, die auch auf dem Gebiet der Wirtschaft Geltung haben. 54 47

GrunertiStupening, Werbung - ihre gesellschaftliche und ökonomische Problematik,

s.

22;

Strodthoff, Werbung in Wirtschaft und Recht, S. 7 ff., 13. 48 Vgl. Lerche, Werbung und Verfassung, S. 69. 49 In: Die Grundrechte, S. 870; ders., in: Recht - Staat - Wirtschaft, S. 223. '0 Maunz/DUrig, Art. 2, Rz. 44; v. Münch, Art. 12, Rz. 3; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 70; Baumbach-HefermehI, A1lg., Rz. 42 ff. " BVerfGE 4, 7 ff., 17 f.; 30, 292 ff., 317; 39, 210 ff., 225; 50, 290 ff., 336 ff. '2 BVerfGE 50, 290 ff., 337; Maunz-Dürig, Art. 2, Rz. 44: v. Münch, Art. 12, Rz. 3; BaumbachHefermehl, A1lg., Rz. 42. " v. Münch, Art. 12, Rz. 3. '4 v. Münch, Art. 12, Rz. 3; Maunz/Dürig, Art. 2, Rz. 44; Baumbach-HefermehI, A1lg., Rz. 42; BVerfGE 50, 290 ff., 337.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

Werbung ist zwar nun notwendiger Bestandteil der marktwirtschaftlichen Ordnung. Aus dem Dargelegten ergibt sich jedoch der Schluß a maiore ad minus, daß es für die Werbung keinen "institutionalisierten" Schutz gibt; denn wenn schon die Wirtschaftsordnung als solche nicht verfassungsrechtlich geschützt ist, sind auch ihre notwendigen Funktionsbestandteile nicht durch das Grundgesetz geschützt. Der Schutz der Werbung durch das Grundgesetz richtet sich vielmehr - wie auch der Schutz aller anderen Funktionsvoraussetzungen unserer Wettbewerbsordnung - ausschließlich nach den Grundrechten und den tragenden Verfassungsprinzipien. Für den Schutz der Werbung ist also immer die Heranziehung eines bestimmten, in den Grundrechten oder den tragenden Verfassungsprinzipien gewährleisteten Schutzgutes erforderlich. Als für den Schutz der Werbung relevante Grundrechte kommen also insbesondere die Art. 2, 12, 14, unter bestimmten Voraussetzungen auch Art. 5 GG in Betracht. Ein dadurch bewirkter Schutz der Werbung kann jedoch nicht abstrakt für die Werbung als solche bestimmt werden, sondern muß in Auseinandersetzung mit den konfligierenden Interessen der beteiligten Marktpartner gefunden werden. V. Grundbegriffe der Werbung Um sich mit den Funktionen der Werbung und ihren verschiedenen, oft höchst unterschiedlichen Erscheinungsformen befassen zu können, ist es erforderlich, sich mit einigen Grundbegriffen der Werbung vertraut zu machen. Die Erscheinungsformen der Werbung sind, wie jeder aus seinen täglichen Kontakten mit Werbung weiß, äußerst vielfältig. Als Formen der Werbung werden unterschieden: die klassische Medienwerbung (z.B. Fernsehwerbespots), die Direktwerbung (z.B. Werbebriefe), die "Point-of-Purchase"-Werbung (Werbung am Ort des Kaufs; z.B. Werbeschilder im Kaufhaus, die auf besondere Angebote hinweisen), "Personal Selling" (persönlicher Verkauf; z.B. der Vertreterbesuch) und Mund-zu-Mund-Werbung (z.B. Werbung unter Einsatz von Laien, die in ihrem Bekanntenkreis werben).55 Kombinationen zwischen den verschiedenen Formen der Werbung sind dabei häufig, beispielsweise die Kombination von Direktwerbung und persönlichem Verkauf. Inhaltlich kann bei der Werbung unterschieden werden zwischen Firmenwerbung (bezüglich Image und Bekanntheit ihres Unternehmens) und Produktwerbung. Letztere läßt sich ihrerseits wiederum aufgliedern in vergleichende Werbung (zwischen Produkten oder Produktsystemen), emotionale Werbung (z.B. Werbung unter Ausnutzung von Mitleid), "Slice-of-Life"-Technik (produktwerbung in kleinem Theaterstück o.ä.), Leitbildwerbung (Form der Suggestivwerbung zur Auslö-

" Kaiser, Werbung - Tbeorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 7.

1. Kapitel: Werbung

29

sung von Identifikationsprozessen), Wertreklame (z.B. Zugaben), Schleichwerbung und unterschwelliger (subliminaler) Werbung. 56 Bei dem Entscheidungsverhalten der Konsumenten, auf das die Werbung gerichtet ist, wird ebenfalls differenziert in vier typische Entscheidungsformen: Erstens die impulsive Entscheidung, zweitens die habituelle Entscheidung, drittens die vereinfachte Entscheidung und viertens die extensive Entscheidung. 57 Hierbei entspricht die extensive Entscheidung am ehesten dem wirtschafts-theoretischen Leitbild einer rationalen Güterwahl; die Entscheidungsform kommt am häufigsten vor beim Kauf von teuren Produkten wie Kraftfahrzeugen, hochwertigen Elektrogeräten etc. 58 Den größten Teil der Kaufentscheidungen machen hingegen die vereinfachten Entscheidungen aus; sie sind gekennzeichnet dadurch, daß sich der Verbraucher von vorneherein aufgrund seiner Einstellungen auf einige wenige Alternativen beschränkt59 . Entsprechend seiner in die Entscheidungssituation mitgebrachten und durch direkte oder indirekte Erfahrung gewonnenen Vorurteilen wählt er unter wenigen in seinem Blickfeld liegenden Alternativen aus. 60 Die Entscheidung wird hier getroffen aufgrund geringer Information über Schlüsselmerkmale des Angebots und aufgrund ganz einfacher "Denkprogramme" 61 . Bei der impulsiven Entscheidung ist das Verhalten des Verbrauchers stark reizgesteuert, etwa beim Kauf von Nahrungsmitteln aufgrund des Aussehens oder Geruchs (z.B. Bratwurst oder Pizza im Straßenverkauf).62 Bei der habituellen Entscheidung folgt der Konsument aktiv verfestigten Verhaltensplänen, ohne sich aber Gedanken über das Für und Wider der Wahl zu machen. 63 Aus dem Dargelegten ergibt sich, daß die beiden ersten Typen des Entscheidungsverhaltens Entscheidungen mit eher geringer kognitiver Kontrolle darstellen, die beiden letzteren Entscheidungen mit stärkerer kognitiver Kontrolle. 64 Vgl. Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 7 jf. Kroeber-Riel, Konsumverhalten, S. 317; Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 61. j8 Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 61; vgl. auch Reinen, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 957. j9 Kaiser, Werbung _ Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 62. 60 Heinen, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 957; Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 317; Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, s. 62. 61 Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 317; Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 62. 62 Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 317. 63 Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 317. 64 Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 317. j6 j7

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

VI. Wirkungen der Werbung

Obwohl die bisherige Untersuchung ergeben hat, daß die Werbung eine notwendige Funktionsvoraussetzung und integraler Bestandteil der Wettbewerbsordnung ist, wird sie häufig sehr kritisch betrachtet und heftig attackiert. Dabei wird der Werbung vorgeworfen, sie manipuliere die Verbraucher mit tiefenpsychologischen Mitteln, denen "nichts heilig" sei; sie stoße in das Unterbewußtsein der Menschen vor, in den intimsten Bereich ihrer Ängste und ihres Fühlens und führe die so gewonnenen Erkenntnisse einer rücksichtslosen ökonomischen Nutzanwendung bei der Absatzsteigerung ZU. 65 Diese apokalyptische Beschreibung der Werbung als manipulativer Macht über den hilflosen Konsumenten stellt jedoch keine realistische Beschreibung der Situation dar. 66 Dafür spricht bereits der empirische Befund, daß - trotz intensiver Werbernaßnahmen - ein Großteil aller neuen Produkte (um 90 %) "Flops" werden, sich also arn Markt nicht durchsetzen können67 ; in der Zigarettenbranche ist die Versagerquote sogar noch höher: auf einen Erfolg kommen hier 30 Fehlschläge. 68 Wenn es auch für diese Mißerfolge eine Vielzahl von Ursachen u.a. im Bereich der Preispolitik und der Produktgestaltung geben kann, so geht doch daraus hervor, daß die Suggestivkraft der Werbung keineswegs unbegrenzt ist. 69 Zum einen wird nämlich von den auf die Verbraucher wirkenden Werbeeindrücken immer nur ein kleiner Teil registriert; in den Bereich dieser selektiven Wahrnehmung wird normalerweise nur das aufgenommen, was den bereits vorhandenen Einstellungen und Bedürfnissen des Verbrauchers entgegenkommt. 70 Außerdem spielen bei der Konsumentscheidung soziale Wirkungszusarnrnenhänge eine wesentlich größere Rolle als die Anpreisung durch die Werbung; dies resultiert daraus, daß die Werbung durch Massenmedien nur die sogenannten Innovatoren (einen kleinen, in ihrer jeweiligen Gruppe sozial hervorgehobenen Teil der Verbraucher) zum Kauf bewegen kann, während die Mehrzahl der Verbraucher kauft, weil andere gekauft haben. 71 Die Werbung vermag daher nicht oder nur sehr begrenzt die Verbraucher dazu zu bewegen, neue Einstellungen und Bedürfnisse sich zu eigen zu machen; wohl aber kann sie (offen oder latent) vorhandene Präferenzen aktualisie-

65 66 67 68

69 70 71

Als Paradebeispiel hierfur vgl. Packard, Die geheimen Verfilhrer, Deutsche Ausgabe 1965. Vgl. Röper, MA 1977, 328 ff., 333; NieschlaglDichtll Hörschgen, Marketing, S. 45. Kaiser, Werbung _ Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 66. Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 66. Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 66. Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 67. Kaiser, Werbung _ Theorie untl Praxis werblicher Beeinflussung, S. 66 f

2. Kapitel: Verbraucher

31

ren, festigen und verstärken. 72 Hiermit stimmt auch die aus untemehmerischer Sicht getroffene Feststellung überein, daß die Verbraucher mittlerweile gegen die Werbung weitgehend resistent geworden sind und nun sie ihrerseits der Wirtschaft durch ihre gewandelten, autonomen Konsuminteressen zunehmend die Maßstäbe für den Produktionsbereich setzen. 73 Führt man sich nun die hier aufgezeigte wirtschaftswissenschaftliehe, kommunikationswissenschaftliche und psychologische Erfassung der Werbung vor Augen, so ergeben sich daraus einige grundlegende Erkenntnisse, die die Voraussetzungen auch für die juristische Beurteilung der Werbung darstellen. Zum einen hat eine juristische Beurteilung der Grenze der Zulässigkeit von Werbung gegenüber dem Verbraucher die Tatsache zu berücksichtigen, daß die Werbung unerläßliche Funktionsvoraussetzung unserer Wettbewerbsordnung ist. Zum anderen muß die Tatsache beachtet werden, daß die Beeinflussung immanentes Wesensmerkmal der Werbung ist. Schließlich muß auch für die juristische Beurteilung der Werbung darauf verwiesen werden, daß eine umfassende Perhorreszierung und Verteufelung der Werbung unter Zugrundelegung realistischer Einschätzung ungerechtfertigt ist. Diese drei Gesichtspunkte werden daher auch für die rechtliche Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung eine wesentliche Rolle spielen müssen.

2. Kapitel: Verbraucher I. Definition Der Begriff des Verbrauchers wird unterschiedlich verwandt. Er hat keinen klar umgrenzten Inhalt. Insbesondere ergibt sich eine Mehrdeutigkeit daraus, daß häufig die Begriffe "Verbraucher" und "Letztverbraucher" synonym verwendet werden. In der Wirtschaftswissenschaft ist neben dem Begriff des Verbrauchers auch der des Verbrauchs als zugehöriges apersonales Element ein zentraler Begriff. Der private Verbrauch (als Gegenstück zum öffentlichen) wird hier als "die gewollte, das heißt der Bedürfnisbefriedigung dienende Vernichtung des Mafktwertes von Waren und Dienstleistungen durch private Haushalte" angesehen. 74 Hierbei kann die "Vernichtung wirtschaftlicher Güter" auch als Marktentnahme beschrieben werden. 75 72 Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 67; Heinen, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 957; vgl. auch Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 120. 73

74

75

v.Benningsen-Foerder, MA 1988, 334 ff., 337. Mäh!, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 2020. Mäh!, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 2020; Schneider, BB 1974,764.

32

I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

Unter dem Begriff "Verbraucher" werden jene Wirtschaftssubjekte verstanden, "deren wirtschaftliche Handlungen in der Schaffung und im Verzehr wirtschaftlicher Werte bestehen und einen unmittelbaren Bezug zur individuellen Bedürfnisbefriedigung aufweisen"76. Zentrales Merkmal ist also das Kriterium der privaten Bedürfnisbefriedigung.77 Negativ wird der Verbrauch charakterisiert durch die Abgrenzung von der Produktion von Gütern und Dienstleistungen. 78 Hinsicht des verbrauchten Gutes geschieht die Eingrenzung dahingehend, daß nur die Inanspruchnahme wirtschaftlich knapper Güter (beispielsweise also nicht Grundwasser oder Atemluft) Verbrauch bedeutet. 79 In der juristischen Terminologie wird unterschieden zwischen den näher bestimmten Begriffen des "letzten Verbrauchers", des "gewerblichen Verbrauchers" und des "privaten Verbrauchers". Der eigentliche Begriff des "Verbrauchers" wird hierbei nicht einheitlich mit einem der genannten Begriffe besetzt, so daß eine Erläuterung der Inhalte aller genannten Begriffe erforderlich ist. Unter "Letztverbraucher" werden diejenigen Wirtschaftssubjekte verstanden, die Ware beziehen, ohne sie weiter umsetzen zu wollen. 8o Letzter Verbraucher kann auch ein Abnehmer sein, der die bezogene Ware beruflich oder gewerblich verwendet (z.B. Arbeitsgeräte, Maschinen für den eigenen Betrieb), so daß der Begriff des Letztverbrauchers nicht dem des privaten Verbrauchers entspricht. 81 Der Begriff des privaten Verbrauchers steht vielmehr im Gegensatz zu dem Begriff des gewerblichen Verbrauchers82 ; dieser wiederum ist gekennzeichnet durch eine Abgrenzung vom Begriff des Letztverbrauchers: So sind gewerbliche Verbraucher keine Letztverbraucher, soweit sie Waren beziehen, die sie erst nach einer Bearbeitung oder nach Verarbeitung weiter umsetzen. 83 Privater Verbraucher ist demzufolge derjenige Abnehmer, der die erworbene Ware nicht beruflich oder gewerblich verwendet. Privater Verbraucher kann also auch ein Gewerbetreibender sein, der mit dem Warenerwerb seinen Privatbedarf deckt. Ein einheitlicher Verbraucherbegriff kann also - aufgrund der unterschiedlichen Schutzzwecke der verschiedenen, mit dem Verbraucherbegriff operieren-

76 77 78 79 8. 81

Wiswede, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 2028. Schneider, BB 1974,764. Schneider, BB 1974,764. Schneider, BB 1974,764. Baumbach-Hefermehl, § 6a, Rz. 9; § 1 RabattG, Rz. 11; v. Ganun, UWG, § 6a, Rz. 6.

Baumbach-Hefennehl, § 1 RabattG, Rz. 13; vgl. aber hinsichtlich § 6a Baumbach-Hefermehl, Rz. 11. 82 83

Schneider, BB 1974,764 ff, 768. Baumbach-Hefennehl, § 6a, Rz. 11.

2. Kapitel: Verbraucher

33

den Nonnen - nicht festgelegt werden. 84 Der Verbraucherbegriff ist daher so anzuwenden, daß er dem jeweiligen Schutzbedürfnis der von der betreffenden Nonnjeweils geschützten Marktbeteiligten gerecht wird. 85 Dabei hat das sozialpolitische Anliegen des wettbewerbsrechtlichen Verbraucherschutzes den privaten Letztverbraucher als rechtspolitisches Leitbild vor Augen. 86 Dessen soziales Schutzbedürfnis resultiert aus seiner typischen Unterlegenheit gegenüber dem Anbieter. 87 Es ist regelmäßig gekennzeichnet durch wirtschaftliche und intellektuelle Unterlegenheit und daraus resultierend eine leichte Verletzlichkeit, ein Angewiesensein auf das Angebotene und eine erhebliche Reaktionsschwäche. 88 Zwar wird zutreffend darauf hingewiesen, daß auch kleine Gewerbetreibende, wie beispielsweise Handwerker, die Waren für ihren Gewerbebetrieb beziehen, oder Wiederverkäufer mit geringen Umsätzen, auch in ihrem geschäftlichen Bereich häufig in gleichem oder ähnlichem Maß schutzwürdig sind. 89 Gleichfalls wird dabei jedoch nicht übersehen, daß grundsätzlich nur einem pauschalierten Personenkreis ohne Rücksicht auf ein im konkreten Einzelfall tatsächlich bestehendes Bedürfnis Schutz gewährt werden kann. 90 Auf eine Einbeziehung auch der gewerblichen Verbraucher in den hier verwendeten Verbraucherbegriff soll daher verzichtet werden, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist eine exakte Abgrenzung der oft schutzbedürftigen Gruppe der "kleinen" gewerblichen Verbraucher von den typischerweise nicht schutzbedürftigen "großen" gewerblichen Verbrauchern nicht befriedigend lösbar; denn eine Abgrenzung nach Betriebsgrößen oder Umsatzmengen wäre völlig willkürlich. Zum anderen bestehen selbst für die denkbar geringste Größe bei den gewerblichen Verbrauchern, nämlich den "Ein-Mann-Betrieb", wesentlich bessere Infonnationsmöglichkeiten über das Waren- und Dienstleistungsangebot, beispielsweise durch Fortbildung in Warenkunde, als dies bei privaten Letztverbrauchern der Fall ist. 84

SchrickerlLehmann, in: Handbuch des Verbraucherrechts, Gruppe 180, S. 8; Schneider, BB 1974,764 ff., 768; Uilmann, GRUR 1991,789. 85

SchrickerlLehmann, in: Handbuch des Veroraucherrechts, Gruppe 180, S. 8; Schneider, BB 1974,764 ff., 767. 86

Schricker/Lehmann, in: Handbuch des Verbraucherrechts, Gruppe 180, S. 7; v. Hippel, RabelsZ 40 (1976), 513. 87

Schricker/Lehmann, in: Handbuch des Verbraucherrechts, Gruppe 180, S. 7; Schneider, BB 1974,764 ff., 767; v. Hippel, RabelsZ 40 (1976), 513; Schricker, GRUR 1974, 579; vgl. auch die amtliche Begründung zur Einfilhrung des Rücktrittsrechts des § 13a UWG, BT-Drucksache 10/4741 (1986), S. 18 f., in der die Unterlegenheit und das sich daraus ergebende Schutzbedürfuis ausfiihrlich beschrieben werden. 88 89 90

SchrickerlLehmann, in: Handbuch des Verbraucherrechts, Gruppe 180, S. 7. Schneider, BB 1974, 764 ff., 767. Schneider, BB 1974,764 ff., 767.

3 Scherer

34

I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

Aus diesen Gründen soll in der vorliegenden Arbeit der Verbraucherbegriff ausschließlich im Sinne des privaten Letztverbrauchers verstanden werden. In den Fällen, in denen ausnahmsweise einmal diesem Begriff ein anderer Inhalt zugrunde gelegt werden soll, wird darauf ausdrücklich verwiesen werden.

n

Funktion des Verbrauchers

Um nun die Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung bestimmen zu können, ist es wiederum erforderlich, die wirtschaftstheoretischen Modelle hierzu heranzuziehen. Nach dem bereits oben dargestellten "klassischen" wirtschaftstheoretischen Modell, dem statischen Modell der Marktwirtschaft91 , tritt der Verbraucher als Nachfrager von Gütern und Dienstleistungen auf. Hierbei ist er frei in seiner Konsumwahl; durch seine Kaufentscheidung sendet er Signale an die Produzenten aus. 92 Diese Signale werden von den Produzenten aufgenommen und in ihre Produktionsentscheidungen umgesetzt; die Anbieter richten sich also nach den Konsumwünschen der Verbraucher. 93 Durch diesen Mechanismus bestimmt nach dem statischen Modell der Marktwirtschaft allein der Verbraucher durch seine Konsumwahl die Produktion. 94 Es besteht also eine Lenkung der Wirtschaft allein durch die Konsumentscheidungen der Verbraucher. Darauf beruht letztlich auch der Begriff der Konsumentensouveränität95 : Zur Freiheit der Konsumwahl kommt die Steuerung der Produktion und damit die der Wirtschaft durch die Verbraucher. 96 Die Entscheidungs- und Wahlfreiheit des einzelnen Konsumenten ist daher konstituierendes und unerläßliches Merkmal der Konsumentensouveränität. 97 Gegen das statische Modell werden jedoch, wie bereits oben gezeigt, gravierende Bedenken geltend gemacht Mit der Annahme eines vollkommenen Wettbewerbs, einer vollkommenen Markttransparenz und eines Verbrauchers, der sich ausschließlich als "homo oeconomicus" verhält, geht das statische Modell von einem Grenzfall wirtschaftlicher Existenz aus. Im übrigen ist zu be91

92 93 94

v g1. oben, I. Kapitel "Werbung", Abschnitt 111. I. NieschiagIDicbtl/Hörschgen, Marketing, S. 44. NieschiagIDichtllHörschgen, Marketing, S. 44.

GrunertJStupening, Werbung - ihre gesellschaftliche und ökonomische Problematik, S. 99; NieschlaglDichW Hörschgen, Marketing, S. 44. 95

Engelhardt, WiSt 1976, 548 ff.; GrunertJStupening, Werbung - ihre gesellschaftliche und ökonomische Problematik, S. 99; Langerrreis, MA 1972, 333; Luckenbach, WiSt 1973, 399 ff.; Lehrnann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 9. 96

97

Langerrreis, MA 1972, 333. Luckenbach, WiSt 1973,399.

2. Kapitel: Verbraucher

35

rücksichtigen, daß das Prinzip der Konsumentensouveränität in einer Zeit entwickelt wurde, in der die Auftragsfertigung auch bei Konsumprodukten eine beherrschende Rolle spielte. 98 Damals war die Annahme eines so beschriebenen Marktmechanismus wegen der aktiven, impulsgebenden Rolle des Verbrauchers und der eher passiven, auf Bestellungen wartenden Rolle des Produzenten durchaus gerechtfertigt. In unserem Zeitalter der industriellen Massenfertigung ist jedoch ein passiver Anbieter, der darauf wartet, daß die Verbraucher ihm ihre Wünsche mitteilen und ihre Bedürfnisse kundgeben, kaum noch denkbar. 99 Es ist daher unter Zugrundelegung des dynamischen Marktmodells eine neue Interpretation dieses Prinzips der Konsumentensouveränität erforderlich. Das dynamische Modell geht nun aber, wie oben dargelegt, nicht von prinzipiell anderen theoretischen Voraussetzungen aus, sondern es modifiziert lediglich die vom statischen Modell angenommenen theoretischen Voraussetzungen hinsichtlich ihrer Realitätsnähe: Es geht aus von einem unvollkommenen Wettbewerb, einer unvollkommenen Markttransparenz und einem Verbraucher, der sich nicht ausschließlich als "homo oeconomicus" verhält. Das Prinzip der Konsumentensouveränität muß unter diesen und den oben dargelegten Voraussetzungen deshalb zunächst einmal dahingehend modifiziert werden, daß allein der Anbieter darüber entscheidet, welche Produkte er zu welchem Preis und mit welcher Qualität auf den Markt bringt. 100 Die aktive, impulsgebende Rolle geht hier also zunächst einmal vom Produzenten aus. IOI Sobald sich aber das Produkt auf dem Markt befindet, tritt der Verbraucher in Funktion: Von der Kaufentscheidung des Verbrauchers hängt es jetzt ab, ob sich die vom Anbieter auf den Markt gebrachten Produkte erfolgreich absetzen lassen oder ob der Anbieter darauf "sitzen bleibt" 102 . Durch seine Konsumentscheidungen bestimmt der Verbraucher also über den Absatzerfolg der Produkte und damit auch über Gewinn und Verlust des Anbieters l03 , letztlich also darüber, ob der Anbieter sich mit seinen Produkten im Wettbewerb behaupten kann oder ob er aus dem Wettbewerb ausscheidet. Die primäre Funktion des Verbrauchers läßt sich also am besten beschreiben als die eines Schiedsrichters zwischen den Wettbewerbern. l04 98 99

GrunertiStupening, Werbung - ihre gesellschaftliche und ökonomische Problematik, S. 99.

100 101 102 103 104

GrunertiStupening, Werbung - ihre gesellschaftliche und ökonomische Problematik., S. 99. Mähling, MA 1984, 168 ff., 178. Jaumann, WiVerw 1977,201 ff., 203; Mähling, MA 1984,168 ff., 178. Langeffreis, MA 1972, 333; Jaumann, WiVeIW 1977, 201 ff., 203. Langeffreis, MA 1972,333.

Ebenso, wenn auch in anderem Zusammenhang: Emmerich, S. 202; ähnlich Loewenheim, GRUR 1975,99 ff., 104; Meyer-Cording, JZ 1964,310 ff., 312; Ulmer, GRUR 1977, 565 ff., 568; Baumbach-Hefermehl, Ein!. UWG, Rz. 98.

36

I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

Als Konsequenz dieser Schiedsrichterfunktion entscheidet der Verbraucher letztlich zugleich darüber, wie der betreffende Produzent zukünftig sinnvollerweise seine Produktstruktur ausrichten muß, um mit seinen Angeboten beim Verbraucher Erfolg zu haben. lOS Durch diesen komplexen, dynamischen, sich in ständiger Wechselwirkung vollziehenden Marktmechanismus übt der Verbraucher also auch fortlaufend eine Lenkungsfunktion auf die Produktion aus. 106 Mit dieser Schiedsrichterrolle des Verbrauchers, die im Ergebnis nichts anderes als die Aussage des Begriffs der Konsumentensouveränität beinhaltet, übt der Verbraucher eine unerläßlich notwendige, ganz zentrale Funktionsbedingung unserer Wettbewerbsordnung aus. IO? Der unserer Wettbewerbsordnung zugrundeliegende Gedanke, daß der Wettbewerb das Marktgeschehen regeln soll, daß das bessere wirtschaftliche Angebot, die beste wirtschaftliche Leistung sich durchsetzen sollen, geht nämlich damit zugleich von der Voraussetzung aus, daß der Verbraucher die Entscheidung darüber trifft, welches das beste und damit konkurrenzfähigste Angebot ist. lOg

m. Kritik Indes wird jedoch auch erhebliche Kritik an einem solchen Bild der Wettbewerbsordnung geübt, deren zentrales Leitbild und Funktionsvoraussetzung die Schiedsrichterrolle des Verbrauchers ist: Am Begriff der Konsumentensouveränität scheiden sich die Geister. 109 Die Gegner der Auffassung von der Konsumentensouveränität nehmen dabei an, die "Behauptung, der Konsument sei souverän, diene ideologischen Zwekken"llo. "Dabei wird folgendes Rechtfertigungsschema wirksam: Wenn der Konsument souverän ist, entscheidet er letztlich selbst, ob er ein Angebot akzeptiert oder ablehnt. Das gilt sowohl fiir Informationsangebote als auch fiir die Angebote von wirtschaftlichen Gütern. Er trägt deswegen auch die Verantwortung fiir sein Verhalten. Die Unternehmer richten sich nach den KonsulOS

Luckenbach, WiSt 1973,399 ff., 400; Mähling, MA 1984, 168 ff., 178; Jaumann, WiVerw 1977,201. 106 107

Luckenbach, WiSt 1973,399; Mähling 1984,168 ff., 178.

Loewenheim, GRUR 1975, 99 ff., 104; Lehmann, Vertragsanbalmung durch Werbung, S. 9; ders., GRUR 1974,689 ff., 690; Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 10; Luckenbach, WiSt 1973,399. 108 109

Loewenheim, GRUR 1975,99 ff., 104.

Vgl. Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 662 ff.; Heinen, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 964. llO

Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 662.

2. Kapitel: Verbraucher

37

menten und erfullen lediglich ihre Bedürfnisse. Sie brauchen deswegen nicht für die Folgen ihres Marketing einzustehen: Die Konsumenten wollen es ja nicht anders! "111 Tatsächlich aber sei der Konsument durch die Werbung in seinem Verhalten manipuliert112 ; nicht der Konsument bestimme nach seinen Bedürfnissen die Produktion, sondern die Produzenten gestalteten die Bedürfnisstrukturen der Verbraucher entsprechend ihrer Produktion. 113 Gegen das Leitbild von der Konsumentensouveränität spreche außerdem, daß der Mensch (also auch der Verbraucher) gar keinen freien Willen habe; vielmehr sei die Freiheit des Menschen stets nur eine manipulierte Freiheit, die Freiheit des durch seine Mitmenschen abgerichteten Menschen. 114 Begriffe wie "Souveränität des Konsumenten" oder "Unabhängigkeit der Konsumentscheidungen" seien daher lediglich ideologische Schönfärbereien ebenso wie "der philosophische Slogan von der menschlichen Willensfreiheit" 115 Diese Kritik hält einer näheren Betrachtung jedoch nicht stand; zumindest führt sie nicht weiter auf dem Weg zur juristischen Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung. Dies zeigt sich schon daran, daß die Annahme eines freien menschlichen Willens ein Axiom unserer Rechtsordnung ist. Die unser Zivil- und Strafrecht tragenden Prinzipien der Privatautonomie (insbesondere die Willenserklärung als deren zentrales Funktionselement) und des Schuldstrafrechts wären ohne das Postulat der menschlichen Willensfreiheit nicht denkbar. Auch die durch das öffentliche Recht vorgesehenen Wahlen und Abstimmungen wären ohne die Annahme eines freien Willens des Bürgers nichts weniger als der blanke Zynismus. Eine juristische Untersuchung hat daher ungeachtet des seit den frühen Philosophen andauernden Streits über diese Frage die menschliche Willensfreiheit (also auch die Willensfreiheit des Verbrauchers) für ihre Beurteilung zugrunde zu legen. Daß diese Willensfreiheit des Menschen, die insoweit Voraussetzung für jede rechtliche Beurteilung ist, grundsätzlich bei jedem gesunden Erwachsenen besteht, ist aber nicht nur Axiom unserer Rechtsordnung, sondern auch in der neueren psychoanalytischen und anthropologischen Forschung mittlerweile im Gegensatz zur älteren psychoanalytischen Forschung - gefestigter Erkenntnisstand. 116 Auch die zu diesem Problem - soweit ersichtlich - umfangreichste,

111 112 113

Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 663. Kroeber-Riel, WiSt 1972, 127 ff.

Heinen, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 964; Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 662 ff. 114 11~

116

Kroeber-Riel, WiSt 1972,127. Kroeber-Riel, WiSt 1972, 127 ff., 128.

Vgl. hierzu die eingehende, ausftihrliche Darstellung von Baudenbacher, insbesondere S. 84 ff., 40 ff., 19 ff. mit einschlägigen Hinweisen.

38

I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

ausführlichste und zudem aktuelle Untersuchung von Eduard Dreherll7 , die fachübergreifend die hierzu bestehenden wissenschaftlichen Aussagen philosophischer, theologischer, physikalischer, biologischer, genetischer, hirnmedizinischer und psychologischer Fachrichtungen ausführlich darstellt, scharf analysiert und eingehend kritisch überprüft, gelangt zu dem Ergebnis, daß jeder geistig gesunde Mensch Willensfreiheit besitzt. 118 Des weiteren ist zwar bei realistischer Betrachtung einzuräumen, daß eine völlige Annäherung an ein Leitbild - zum Beispiel das der Konsumentensouveränität - genauso wenig gelingen kann wie etwa die Herbeifiihrung vollständiger Markttransparenz. 119 Allerdings sollte aus diesem Auseinanderklaffen von Leitbild und Realität jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß es überhaupt keine Markttransparenz und niemals Konsumentensouveränität gibt. 120 Das wäre ebenso abwegig wie etwa die Behauptung, daß es keine Privatautonomie gebe, weil die Privatautonomie der Verbraucher häufig durch Allgemeine Geschäftsbedingungen und ein oft bestehendes Ungleichgewicht bei den Verhandlungspositionen stark eingeschränkt wird. Die Frage für eine juristische Untersuchung kann deshalb nur lauten, wie weit eine Entfernung vom Leitbild der Konsumentensouveränität und der Willensfreiheit des Verbrauchers akzeptiert werden kann bzw. ab welchem Punkt die Entfaltung konterkarierender Kräfte gegenüber diesem Leitbild so stark geworden ist, daß ihnen mit rechtlichen Maßnahmen Einhalt geboten werden muß. 121 Das Leitbild der Konsumentensouveränität ist daher kein ideologisches Rechtfertigungsschema, sondern Beschreibung einer notwendigen Funktionsvoraussetzung des Wettbewerbs. Die Berücksichtigung des Leitbildes der Konsumentensouveränität in der juristischen Untersuchung kann deshalb dazu beitragen, ihm in der Rechtswirklichkeit etwas mehr Geltung zu verschaffen und dadurch mit Hilfe des Rechts auch eine größere Annäherung an den Idealzustand zu erreichen - in jedem Fall aber das Funktionieren der Wettbewerbsordnung zu gewährleisten.

w. Schlußfolgerung Voraussetzung für die Ausübung der Schiedsrichterfunktion des Verbrauchers und immanenter Bestandteil des Begriffs der Konsumentensouveränität 117 118 119

120 121

Die Willensfreiheit, 1987. E. Dreher, S. 379 ff., 395. NieschlaglDichWHörschgen, Marketing, S. 46. NieschlaglDichtllHörschgen, Marketing, S. 46. NieschlaglDichWHörschgen, Marketing, S. 46.

3. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Rechtsprechung

39

ist die Möglichkeit des Verbrauchers, seine Konsumentscheidungen frei treffen zu können. 122 Notwendig ist also die Gewährleistung einer freien Willensentschließung. Da aber, wie oben gezeigt, Werbung notwendigerweise Beeinflussung des Verbrauchers bedeutet, die Verbraucher aber, um überhaupt ihre zentrale Aufgabe im Wettbewerb erfiillen zu können, ihre Konsumentscheidung frei treffen können müssen, lokalisiert sich an diesem Punkt der Konflikt zwischen Werbung einerseits und Verbraucher andererseits: In jedem Fall ist der Dreh- und Angelpunkt der freie Willen des Verbrauchers. Die Werbung trachtet danach, seinen Willen hinsichtlich der beworbenen Produkte positiv zu beeinflussen; der Verbraucher benötigt aber zur Sicherung seiner Funktion im Wettbewerb die Möglichkeit zur freien Entscheidung. Die Werbung und die ihr immanente Beeinflussung des Verbrauchers stellt, wie oben gezeigt, eine notwendige Funktionsvoraussetzung des Wettbewerbs dar; eine Beeinflussung des Verbrauchers durch die Werbung ist also unserer Wettbewerbsordnung immanent. Da es aber ebenso unabdingbare Funktionsvoraussetzung für die Aufgabe des Verbrauchers im Wettbewerb ist, seine Konsumentscheidungen frei treffen zu können, seinen dahingehenden Willen also frei zu bilden, wird diesem Gesichtspunkt der freien Willensbildung eine zentrale Bedeutung bei der Bestimmung der Zulässigkeitsgrenzen der Werbung gegenüber dem Verbraucher zukommen müssen.

3. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Rechtsprechung L Die Argumentation der Rechtsprechung 1. Verwendung des Begriffs der freien Willensentschließung

Die freie Willensentschließung des Verbrauchers spielt in der Rechtsprechung eine große Rolle; die Rechtsprechung operiert mit diesem Begriff in allen Bereichen der von ihr judizierten Erscheinungsformen der Werbung gegenüber dem Verbraucher. So argumentieren die Gerichte mit der freien Willensentschließung des Verbrauchers in folgenden Fallgruppen: "Anreißen" durch Gewinnspiele l23 ; durch Ansprechen von Straßenpassantenl24 ; durch 122

Luckenbach, WiSt 1973, 399; Henning-Bodewig, BB 1986, 605 ff., 609; Lehmann, GRUR 1974,689 ff., 690; Schricker/Lelunann, in: Handbuch des Verbraucherrechts, Gruppe 180, S. 32. 123 OLG Düsseldorf, JW 1931,474 f. 124 OLG Stuttgart, NJW 1955, 146 f.; BGH GRUR 1960,431 ff.; BGH GRUR 1965,315 ff.

40

1. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

Angebote von "branche- und leistungsfremden" Lockmitteln125 ; Erinnerungswerbung126 ; unbestellte Warenzusendungen127 ; gefühlsbetonte Werbung128 ; irreführende gefühlsbetonte Werbung129 ; Telefonwerbung130 ; "übertriebenes Anlocken" dnrch Geschenkeversrrechen für den Besuch einer Werbeveranstaltungl3l , dnrch "Butterfahrten" 32, dnrch kostenlose Fahrzeugüberprüfung133 , durch Kopplungsangebote134 ; unerbetener Vertreterbesuch135 ; Briefkastenwerbung trotz Widerspruchs des Umworbenenl36 ; Autoritätenwerbung137 ; Zugaben138 ; Sonderveranstaltungen139 ; Suggestivwerbung140 ; Laienwerbung141 ; "umgekehrte Versteigerung" (d.h., daß ein bestimmtes Angebot jeden Tag um eine festgeley}e Summe billiger wird, bis sich ein Kaufinteressent zum Erwerb entschließt) 42; "Scheibenwischer"-Werbung (Handzettel werden hinter Pkw-Scheibenwischer geklemmt)143; sowie auch ohne nähere Angabe zum Sachverhalt144 . Hierbei verwendet die Rechtsprechung in den dargestellten Entscheidungen zwar nicht ausschließlich den Begriff der freien Willensentschließung, sondern ersetzt diesen bisweilen dnrch die Begriffe der "freien Willensbestimmung" , m OLG Hamm, WRP 1965, 434 f. OVG Münster, DÖV 1958, 824 f.

126

127 BGH GRUR 1959,277 ff.; BGH GRUR 1960, 382 f.; BGH GRUR 1966, 47 ff.; BGH GRUR 1968,648 f. 128 BGH GRUR 1959, 143 ff.; KG WRP 1981,319 ff.; OLG Karlsruhe, WRP 1981,542; OLG Hamburg, GRUR 1987,346 f.; OLG Hamburg, GRUR 1988,41 ff. 129 OLG Karlsruhe, AfP 1977,417 ff. 130 OLG Hamburg, WRP 1961, 161. 131 BGH GRUR 1967,254 ff. 132 OLG Hamburg, WRP 1986, 103 ff. 133 BGH GRUR 1971, 162 f. H4 OLG Düsseldorf, wRl> 1974,279 ff.; LG Hamburg, WRP 1975, 184 ff.; OLG München, WRP 1975,307 ff.; BGH GRUR 1976,248 ff.; OLG Stuttgart, WRP 1979, 895 ff.; BGH GRUR 1983,781 ff.; BGH GRUR 1984,212 ff. l3S BGH GRUR 1971,317 ff., 320 f.; BGH GRUR 1973, 81 ff.; BGH GRUR 1976,32 ff.; KG WRP 1976, 614ff. 136 BGH GRUR 1973, 552 ff.; OLG München, NJW 1984,2422 f.; OLG Stuttgart, NJW 1987, 1422 f.; OLG FrankfurtlM., NJW 1988, 1854 ff.; BGH NJW 1989,902 ff.; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990,244 f.; LG Freiburg, NJW-RR 1990,2824 f. m OLG Hamburg, WRP 1979,729 ff. 138 OLG Stuttgart, WRP 1979, 895 ff. 139 BGH GRUR 1980, 112 ff. 140 KG WRP 1981, 146 ff.

141

OLG Hamm, WRP 1982, 479 ff. BGH GRUR 1986, 62 ff. OLG Hamm, GRUR 1991,229 ff.

144

OLG FrankfurtlM., WRP 1969, 420 f.

141 142

3. Kapitel: ];)ie "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Rechtsprechung

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der "freien Kaufentscheidung", der "Entschlußfreiheit" oder der "Freiheit des Angesprochenen". Inhaltlich ergeben sich aber zwischen diesen verschiedenen Begriffen keine Unterschiede; vielmehr werden sie in jeder der dargestellten Entscheidungen im Sinne der freien Willensentschließung des Verbrauchers verwendet. Die freie Willensentschließung des Verbrauchers ist also ein von der Rechtsprechung überall gebrauchtes, keineswegs nur auf bestimmte Fallgruppen der Werbung beschränktes Argument. Zu untersuchen ist deshalb nun, wie dieses in der Rechtsprechung gängige Argument gehandhabt wird und ob sich aus dieser Rechtsprechung ein dogmatisch tragfahiges Beurteilungskriterium für die Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber dem Verbraucher ergibt. 2. Argumentationszusammenhänge

Fragt man nach den Zusammenhängen, in denen der Begriff der freien Willensentschließung von der Rechtsprechung gebraucht wird, so ergibt sich folgende Argumentationsverbindung: Der Begriff der freien Willensentschließung wird in unmittelbaren Zusammenhang gebracht mit dem Begriff der sogenannten unsachlichen Beeinflussung und dem Begriff der "für den Leistungswettbewerb maßgeblichen Gesichtspunkte": Häufigste verwendete Argumentation der Rechtsprechung ist nämlich, daß eine bestimmte Werbung deshalb sittenwidrig sei, weil des Verbrauchers freie, nur durch sachliche Erwägungen gestützte Willensbestimmung beeinträchtigt und so eine unzulässige Beschränkung seiner Entschlußfreiheit herbeigeführt sei145 ; dies sei dann gegeben, wenn der Käufer in seiner Kaufentscheidung weniger (bzw. nicht) durch die Güte (Qualität und Preiswürdigkeit der angebotenen Hauptleistung) bestimmt werde146 , wenn die Werbung in unsachlicher, wettbewerbswidriger Weise von den im Leistungswettbewerb für die Willensentschließung des Käufers wesentlichen Umstände ablenke147 , wenn die Werbung seine freie Willensentschließung beeinflussen und ihn dazu veranlassen könne, die Ware nicht 14S OLG Düsseldorf, JW 1931,474 f., 475; OLG Stuttgart, NJW 1955, 146; BGH GRUR 1960, 382; BGH GRUR 1971, 162 f., 163. 146 OLG Düsseldorf, JW 1931,474 f., 475; OLG Stuttgart, NJW 1955, 146; BGH GRUR 1959, 277 ff., 279; OLG Frankfurt/M., WRP 1969,420 ff.; BGH GRUR 1971, 162 f., 163; LG Hamburg, WRP 1975, 184; OLG München, WRP 1975,307; BGH GRUR 1976,248 ff., 249; OLG Stuttgart, WRP 1979,895 ff., 898; BGH GRUR 1983,781 ff., 782; BGH GRUR 1984,212 ff., 213. 141 BGH GRUR 1959, 143 ff., 144; OLG Düsseldorf, WRP 1971,279 ff., 281; OLG München, WRP 1975,307; BGH GRUR 1976,248 ff., 249; KG WRP 1976,614 ff., 616; OLG Hamburg, WRP 1979,729; KG WRP 1981,391 ff., 393; OLG Karlsruhe, WRP 1981, 542; BGH GRUR 1983,781 ff., 782; OLG Hamburg, WRP 1986, 103 ff., 104; OLG Hamburg, GRUR 1987,386; OLG Hamburg, GRUR 1988,41 ff.

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1. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

mit Rücksicht auf sachliche, allein die Beschaffenheit der Ware betreffenden Erwägungen zu erwerben148 . Die Begründung für eine solche Beurteilung der betreffenden Werbung als sittenwidrig wird darin gesehen, daß eine solche unsachliche Beeinflussung der freien Willensentschließung mit einem lauteren Leistungswettbewerb, der sich nur auf sachliche, die Ware selbst betreffenden Erwägungen stützen soll, nicht vereinbar sei149 . Die für den Leistungswettbewerb wesentlichen Umstände, die "unsachliche" Beeinflussung und die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers, hängen also, wi~ sich aus diesen Entscheidungen ergibt, nach der Rechtsprechung untrennbar zusammen: Immer dann, wenn die sogenannte unsachliche Beeinflussung so stark wird, daß die Verbraucher sich nicht mehr nach - im Sinne der Rechtsprechung - sachlichen Erwägungen, sondern nach sogenannten unsachlichen Gesichtspunkten entscheiden, ist nach dieser Rechtsprechung die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt. Dabei muß ausdrücklich betont werden, daß die Rechtsprechung unter den "sachlichen" Erwägungen ausschließlich solche Erwägungen begreift, die Qualität und Preiswürdigkeit der angebotenen Hauptleistung betreffen; allein diese "sachlichen" Gesichtspunkte sieht sie also auch als die "im Leistungswettbewerb maßgeblichen Gesichtspunkte" an. "Unsachlich" im Sinne dieser Rechtsprechung sind hingegen alle diejenigen Erwägungen der Verbraucher, die nicht Qualität und Preiswürdigkeit der angebotenen Hauptleistung betreffen. Festzuhalten ist also, daß nach der Rechtsprechung die freie Willensentschließung des Verbrauchers dann beeinträchtigt ist, wenn die "unsachliche" Beeinflussung so stark ist, daß die Verbraucher ihre Entscheidung nicht mehr nach "sachlichen" Erwägungen, also nach Qualität und Preiswürdigkeit der angebotenen Hauptleistung treffen, sondern nach sogenannten unsachlichen, d.h. nicht Qualität und Preiswürdigkeit des Angebots betreffenden Gesichtspunkten.

148 BGH GRUR 1966,47 ff., 48; OLG Düsseldorf, WRP 1974,279 ff., 281; LG Hamburg, WRP 1975, 184 ff., 186. 149 BGH GRUR 1960,382; BGH GRUR 1973, 81; BGH GRUR 1976,248 ff., 249; KG WRP 1981,391 ff., 393; OLG Karlsruhe, WRP 1981, 542; OLG Hamm, WRP 1982, 479 ff., 480; OLG Hamburg, GRUR 1988,41.

3. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Rechtsprechung

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n. Die dogmatische Tragfähigkeit 1. Die fohlende Definition

Zweifel ergeben sich aber, ob diese von der Rechtsprechung geübte Argumentation zur freien Willensentschließung des Verbrauchers mit den von ihr gebrauchten, oben dargestellten Abgrenzungskriterien dogmatisch tragfahig ist. Hierzu ist zunächst festzustellen, daß die Rechtsprechung die entscheidenden Begriffe, nämlich Beeinflussung und Beeinträchtigung nicht definiert. Es wird weder dargelegt, was eine Beeinflussung, noch was eine Beeinträchtigung sein soll; insbesondere lassen die Entscheidungen jede Ausführung dazu vermissen, ob beide Begriffe den gleichen Sachverhalt beschreiben oder ob sie eine verschiedene Bedeutung haben, etwa einen qualitativen oder quantitativen Unterschied in der Einwirkung auf den Verbraucherwillen ausdrücken sollen. Die wahllose Verwendung der beiden Begriffe in der Rechtsprechung150 läßt zwar eher den Schluß darauf zu, daß nach Ansicht der Rechtsprechung beide Begriffe den gleichen Inhalt haben, also von identischer Bedeutung sind; warum dies jedoch so sein soll, bleibt ohne Erläuterung. 2. Die Konsequenzen der Rechtsprechung

Wesentlich schwerwiegender als das Fehlen einer genauen Begriffsbestimmung der Willensbeeinträchtigung sind jedoch die Konsequenzen der Rechtsprechung. Nähme man nämlich die Argumentation der Rechtsprechung zur "freien Willensentschließung" des Verbrauchers beim Wort, so würden sich - vorsichtig ausgedrückt - höchst überraschende Ergebnisse ergeben: Weite Teile der täglich millionenfach getroffenen Kaufentscheidungen der Verbraucher fallen nämlich fast ganz oder sogar vollständig aus dem Bereich der freien Willensentschließung heraus, da sie eben gerade nicht aufgrund sogenannter sachlicher, also an Güte und Preiswürdigkeit der Hauptleistung orientierten Erwägungen getroffen werden, sondern aufgrund völlig "unsachlicher". Gemeint sind hier vor allem die beiden großen Gruppen der sogenannten "impulsiven Entscheidung" und der sogenannten "habituellen Entscheidung" der Verbraucher. 151 Die "impulsive Entscheidung" ist nämlich dadurch gekennzeichnet, daß sie stark reizgesteuert ist. 152 Beispiele für impulsive Entscheidungen der Verbraucher sind regelmäßig der Kauf von Nahrungsmitteln aufgrund des Aussehens oder Geruchs: Wenn etwa ein Verbraucher aufgrund des verlockenden Geruchs Exemplarisch hierzu BGH GRUR 1960,382 f. Vgl. oben, 1. Kapitel "Werbung", Abschnitt V. m Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 317.

150 151

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

eines Bratwurststandes plötzlich auf den Gedanken kommt, eine Bratwurst essen zu wollen, und zwar hier und jetzt, wird er kaum eine Überlegung im Sinne der Rechtsprechung anstellen, ob denn der von ihm begehrte Imbiß in Qualität und Preiswürdigkeit das beste aller vorhandenen Angebote sei; ein "Marktvergleich" nach den "für den Leistungswettbewerb maßgeblichen Gesichtspunkten" kommt für ihn überhaupt nicht in Frage: Er will jetzt seine Bratwurst essen, selbst wenn er positiv weiß, daß sie an einem anderen Stand einige hundert Meter weiter preisgünstiger ist. Der Verbraucher ignoriert hier bewußt oder unbewußt sämtliche Forderungen der Rechtsprechung nach "sachlichen" Erwägungen in seiner Entscheidung. Die Warenpräsentation löst ein so starkes Verlangen zur Nahrungsaufnahme bei ihm aus, daß er demgegenüber den im Sinne der Rechtsprechung "sachlichen, für den Leistungswettbewerb maßgeblichen Gesichtspunkten" gleichgültig gegenüber steht. Oder aber man stelle sich den bekannten Fall vor, daß eine Ware des täglichen Verbrauchs aus Bequemlichkeit "im Vorbeigehen" gekauft wird, wobei eine Orientierung der Kaufentscheidung an Qualität und Preiswürdigkeit der Ware keine Rolle spielt: Maßgeblich ist alleine der Wunsch, nicht noch weitere Zeit und Wegstrecke auf den Einkauf verwenden zu müssen, mit einem Wort also: die pure Bequemlichkeit. Dieses Motiv der Bequemlichkeit ist jedoch ebenfalls eine höchst unsachliche Erwägung im Sinne der Rechtsprechung. Ähnlich sieht es im Bereich der "habituellen Entscheidung" aus. Diese wird dadurch charakterisiert, daß der Konsument verfestigten Verhaltensplänen folgt, ohne sich Gedanken über das Für und Wider seiner Wahl zu machen. 153 Der Verbraucher kauft hier also ein Produkt, das er schon immer gekauft hat, und zwar deshalb, weil er es schon immer gekauft hat. Sein Verhalten hinsichtlich der Kaufentscheidung ist gewohnheitsmäßig verfestigt. Er interessiert sich also hier nicht dafür, ob das Produkt hinsichtlich Qualität und Preiswürdigkeit die Konkurrenzprodukte übertrifft, denn er stellt ja ganz bewußt keinen Qualitäts- und Preisvergleich an. Er interessiert sich nicht dafür, ob es andere Produkte dieser Art gibt, die etwa besser als das von ihm immer gekaufte sind, ja er interessiert sich nicht einmal dafür, ob das von ihm immer gekaufte Produkt mittlerweile sich qualitativ oder preislich geändert hat: Er kauft es einfach deshalb, weil er es schon immer gekauft hat, eben gewohnheitsmäßig. Folglich kauft er es aus einem im Sinne der Rechtsprechung also höchst unsachlichen Grund. Selbst wenn der Verbraucher ganz zu Beginn dieses habituellen Kaufverhaltens einmal eine im Sinne der Rechtsprechung "sachliche" Erwägung angestellt und sich deshalb für dieses Produkt entschieden haben sollte, so ist doch die habituelle Verfestigung, also der gewohnheitsmäßige, immer wiederkeh133

Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 317.

3. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Rechtsprechung

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rende Kauf unsachlich im Sinne der Rechtsprechung: Den Verbraucher interessieren nämlich mittlerweile eingetretene Veränderungen am Markt, also etwa das Auftauchen neuer Konkurrenzprodukte, die qualitative oder preisliche Veränderung von Konkurrenzprodukten oder des immer gekauften Produktes nicht. Die habituelle Entscheidung ist daher eine aufgrund im Sinne der Rechtsprechung "unsachlicher" Erwägungen getroffene Entscheidung. Der einzige Entscheidungstypus, der im wesentlichen den Vorstellungen der Rechtsprechung von einer an "sachlichen" Erwägungen orientierten Kaufentscheidung entspricht, ist die "extensive Entscheidung". Bei der extensiven Entscheidung, die am ehesten der Vorstellung von "rationaler Güterwahl" entsprichtl54 , "sammelt" der Verbraucher zunächst Informationen über Qualität und Preis der verschiedenen konkurrierenden Produkte und wägt diese Kriterien gegeneinander ab, wobei seine Entscheidung maßgeblich auf diesen Gesichtspunkten der Qualität und des Preises beruht. ISS Bei der extensiven Entscheidung stehen also im Sinne der Rechtsprechung "sachliche", "für den Leistungswettbewerb maßgebliche Gesichtspunkte" im Mittelpunkt der Entscheidung. Unter Zugrundelegung großzügiger Betrachtungsweise entspricht auch noch - wenigstens teilweise - die "vereinfachte Entscheidung" den Vorstellungen der Rechtsprechung von einer "sachlichen" Kaufentscheidung. Bei der vereinfachten Entscheidung beschränkt sich der Verbraucher von vorneherein aufgrund seiner Einstellungen auf einige wenige Alternativen. 156 Entsprechend seiner in die Entscheidungssituation mitgebrachten und durch direkte oder indirekte Erfahrung gewonnenen Vorurteilen wählt er unter wenigen in seinem Blickfeld liegenden Alternativen aus. 157 Die Entscheidung wird hier getroffen aufgrund weniger Informationen über Schlüsselmerkmale des Angebots und aufgrund ganz einfacher "Denkprogramme,,158. Diese vereinfachte Entscheidung beruht insoweit auf im Sinne der Rechtsprechung "unsachlichen" Gesichtspunkten, als sie von vorneherein aufgrund bestimmter Vorurteile die Auswahlmöglichkeit auf wenige Alternativen einschränkt; innerhalb dieser Alternativen jedoch können durchaus im Sinne der Rechtsprechung "sachliche" Erwägungen die Kaufentscheidung bestimmen. IS4 Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 61; Heinen, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 957. ISS Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 61; vgl. auch Heinen, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 957. 1S6 Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 62. m Heinen, in: Handwörterbuch der Absatzwirtschaft, Sp. 957; Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 317; Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 62. IS8 Kroeber-Riel, Konsumentenverhalten, S. 317; Kaiser, Werbung - Theorie und Praxis werblicher Beeinflussung, S. 62.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

Die vereinfachte Kaufentscheidung kann daher - bei großzügiger Betrachtungsweise - noch als eine im Sinne dieser Rechtsprechung "sachliche" Kaufentscheidung des Verbrauchers angesehen werden. Das Postulat der aufgezeigten Rechtsprechung, nämlich die "sachliche" Verbraucherentscheidung, ist also bereits in der Realität in weiten Teilen der täglich millionenfach getroffenen Kaufentscheidungen der Verbraucher nicht vorhanden. Eine im Sinne der Rechtsprechung "unsachliche" Beeinflussung beeinträchtigt ja nach dieser Rechtsprechung die freie Willensentschließung der Verbraucher jeweils dann, wenn sie so stark wird, daß die Verbraucher ihre Entscheidung nicht mehr nach "sachlichen" Erwägungen, also nach Qualität und Preiswiirdigkeit der angebotenen Hauptleistung treffen, sondern nach "unsachlichen". Diese Argumentation setzt jedoch voraus, daß die Verbraucher "sachlich" entscheiden, daß die Kaufentscheidungen der Verbraucher auf "sachlichen" Erwägungen beruhen. Nur aufgrund dieses Postulats ist die Argumentation der Rechtsprechung verständlich, daß die Willensbeeinträchtigung der Verbraucher dann gegeben ist, wenn ihre Entscheidung - aufgrund der starken "unsachlichen" Beeinflussung - nicht mehr auf "sachlichen" Erwägungen beruht. Für die Rechtsprechung ist also die Voraussetzung für eine freie Willensentschließung der Verbraucher deren "sachliche" Kaufentscheidung. Liegt nun aber von vorneherein gar keine "sachliche" Kaufentscheidung der Verbraucher vor, sondern eine im Sinne der Rechtsprechung "unsachliche" (wie dies - wie oben gezeigt - bei dem impulsiven und dem habituellen Kaufverhalten der Fall ist), so kann hier der Verbraucher auch nicht mehr durch eine starke "unsachliche" Beeinflussung von seiner "sachlichen" Kaufentscheidung abgebracht werden, da es hier nämlich von vorneherein gar keine "sachliche" Kaufentscheidung des Verbrauchers gibt. Die Konsequenz dieser Rechtsprechung wäre· also das Herausfallen der "unsachlichen" Verbraucherentscheidungen aus dem durch diese Argumentation geschützten Bereich der freien Willensentschließung: Trifft nämlich der Verbraucher auch ohne Zutun einer "unsachlichen" Beeinflussung eine "unsachliche" Kaufentscheidung, so ist die "unsachliche" Beeinflussung gleichgültig; seine freie Willensentschließung kann nämlich in keinem Fall mehr im Sinne der Rechtsprechung beeinträchtigt werden, da er ja durch die "unsachliche" Beeinflussung gar nicht von einer "sachlichen" Entscheidung abgebracht werden kann. Die Beeinflussung der freien Willensentschließung des Verbrauchers im Sinne der Rechtsprechung, nämlich das Abbringen von einer "sachlichen" Kaufentscheidung hin zu einer "unsachlichen", wäre in diesen Fällen ja gar nicht möglich. Das Postulat der Rechtsprechung, die "sachliche" Verbraucherentscheidung, ist jedoch, wie oben gezeigt, in weiten Bereichen der täglichen Kaufentscheidungen in der Realität nicht vorhanden. Nähme man daher die Argumentation der Rechtsprechung beim Wort, so fielen zumindest die impulsive und die

3. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Rechtsprechung

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habituelle Entscheidung aus dem durch die Rechtsprechung geschützten Bereich der freien Willensentschließung heraus - die Rechtsprechung nähme diese Entscheidungen durch ihre Argumentation gewissermaßen selbst aus diesem Schutzbereich aus. Lediglich die extensive Entscheidung und - bei großzügiger Betrachtungsweise - auch die vereinfachte Entscheidung lägen in dem durch diese Rechtsprechung geschützten Bereich der freien Willensentschließung, da sie auf "sachlichen" Erwägungen beruhen. 3. Die verfehlte Prämisse der Rechtsprechung

Dieses nicht nur in dogmatischer Hinsicht, sondern auch bezüglich den Erfordernissen der Realität untragbare Ergebnis - nämlich der Schutz lediglich "sachlicher" Entscheidungen des Verbrauchers - resultiert letztlich aus einer vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten verfehlten Auffassung von der Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung: Die Rechtsprechung geht nämlich, wie oben bereits aufgezeigt, zur Begründung ihrer Entscheidungen davon aus, daß "... eine solche Beeinflussung der freien Willensentschließung mit einem lauteren Leistungswettbewerb, der sich nur auf sachliche, die Ware selbst betreffenden Erwägungen stützen soll, nicht vereinbar ist ... ,,159, weil dies "... dem Sinne des Leistungswettbewerbs und der Funktion des Verbrauchers im Rahmen dieser Ordnung widerspricht ... ,,160. Ursache des Schutzes lediglich "sachlicher" Entscheidungen des Verbrauchers ist also die Auffassung der Rechtsprechung, nur mit derartigen sachlichen, an Güte und Preiswürdigkeit der Hauptleistung orientierten Entscheidungen könne der Verbraucher seine Funktion im Rahmen der Wettbewerbsordnung erfiillen. Nun ist aber, wie oben dargelegt, die Funktion des Verbrauchers im Rahmen des Wettbewerbs die, darüber zu entscheiden, welche Produkte bei ihm ankommen, welche Angebote bei ihm Erfolg haben und dadurch letztlich auch die zukünftige Produktion nach seinen Wünschen zu lenken. 161 Ob nun aber ein Produkt beim Verbraucher ankommt, ob ein Angebot bei ihm Erfolg hat und aus welchen Gründen dies geschieht, das entscheidet allein der Verbraucher nach seinen Wünschen und Vorstellungen - nach ihm soll sich ja schließlich die zukünftige Produktion richten: So kann sich eine Ware oft gerade aus im Sinne der Rechtsprechung völlig "unsachlichen" Gründen beim Verbraucher nicht durchsetzen, etwa weil sie - obwohl sehr preiswert und von guter Qualität - nicht den Zeitgeschmack trifft, die Warenpräsentation oder die Produktaufmachung bei den Verbrauchern nicht ankommt, weil sie geänderten Vorstellungen der Verbraucher, ja einer geänderten Lebensauffassung nicht IS9 160 161

BGH GRUR 1960,382. BGH GRUR 1976,248 ff., 249. Vgl. oben, I. Kapitel "Werbung".

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

(mehr) entspricht, oft schlicht einfach deshalb, weil sie von den Innovatoren (einem kleinen, in ihrer jeweiligen Gruppe sozial hervorgehobenen Teil der Verbraucher) nicht mehr gekauft oder verwendet wird - trotz einer positiven Bewertung nach Güte und Preiswürdigkeit. Mit einer solchen Nichtbeachtung von Produkten übt der Verbraucher seine Lenkungsfunktion im Wettbewerb aus: Er signalisiert durch derartige "Flops" den Anbietern, daß sie diese Ware vom Markt nehmen und dafiir andere, mehr ihren Wünschen entsprechende Produkte auf den Markt bringen sollen. DeJjenige Anbieter, der als erster eine solche Tendenz erkennt, kann sich mit seinen auf die Wünsche der Verbraucher besser abgestellten Produkten auf dem Markt einen Vorteil sichern - wer diese Signale der Verbraucher hingegen nicht wahrnimmt oder ignoriert, muß mit Nachteilen rechnen. Ein gutes Beispiel für eine solche im Sinne der Rechtsprechung "unsachliche" Entscheidung der Verbraucher über den Mißerfolg eines Produktes ist der seit einigen Jahren bestehende, durch Medienberichte bekannte Absatzrückgang bei Pelzbekleidung: Obwohl mit Sicherheit nicht von schlechterer Qualität und Preiswürdigkeit als noch vor einigen Jahren, ist mittlerweile entgegen dem Boom in den 70er Jahren - eine starke Flaute bei der Pelzbekleidung eingetreten. Da Qualität und Preiswürdigkeit sichfür den Verbraucher nicht erkennbar verändert haben, kann diese Verbraucherentscheidung nicht im Sinne der Rechtsprechung "sachliche" Gründe haben, sondern lediglich im Sinne der Rechtsprechung "unsachliche": Etwa das Unbehagen, beim Tragen eines Pelzes möglicher Mißbilligung durch die Mitmenschen, vielleicht sogar in der Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein. Die Rechtsprechung legt also den Verbraucher in seinen zulässigen Erwägungen bei dem Kauf von Produkten in einer völlig unnötigen Weise fest; sie engt - gerade im Hinblick auf die Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung - seine Erwägungen und Motive unzulässig ein, indem sie seine zulässigen Motive auf die sogenannten sachlichen beschränkt: Gerade hinsichtlich der Lenkungsfunktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung darf ihm aber von niemandem vorgeschrieben werden, aus welchen Gründen er ein Produkt akzeptieren, ein anderes verwerfen darf - nach seinen Wünschen und Vorstellungen soll sich ja schließlich das künftige Angebot richten. Nicht nur das oben aufgezeigte Ergebnis, sondern auch die Begründung dieser Rechtsprechung ist daher nicht tragfähig. Die Argumentation, die Begründung und die Ergebnisse der Rechtsprechung hinsichtlich der freien Willensentschließung des Verbrauchers bei seiner Kaufentscheidung können daher nicht zur Abgrenzung von zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber dem Verbraucher herangezogen worden.

3. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Rechtsprechung

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4. Die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung

Soweit sich die Rechtsprechung nicht mit einer freien Willensentschließung des Verbrauchers hinsichtlich seiner Kaufentscheidung befaßt, sondern soweit die freie Willensentschließung des Verbrauchers hinsichtlich seiner Kenntnisnahme von Werbung betroffen ist, operiert die Rechtsprechung nun nicht mit den Begriffen der "sachlichen" und "unsachlichen" Erwägungen der Verbraucher. Hier verwendet sie vielmehr hinsichtlich einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers das Argument, in den Fällen einer Fortsetzung der Werbung trotz Widerspruchs des Umworbenen stelle die Fortsetzung der Werbung eine Mißachtung des erklärten Willens des Umworbenen dar. 162 Bei anderen Sachverhaltsgestaltungen wird hinsichtlich der Beeinträchtigung des freien Willens des Verbrauchers darauf abgestellt, ob fiir den Umworbenen ein Zwang bestehe, die Werbung zur Kenntnis zu nehmen, sich überhaupt mit ihr zu befassen. 1 63 Zunächst gilt hier hinsichtlich des Mangels einer definitorischen Bestimmung der gebrauchten Begriffe das oben bereits Dargelegte: Was unter einer Beeinträchtigung des Willens verstanden wird und welche Voraussetzungen dieses Kriterium hat, wird nirgends klargestellt. Im übrigen ist festzuhalten, daß die Argumentation hinsichtlich der Fortsetzung der Werbung trotz des Widerspruchs des Umworbenen nur auf einen kleinen Ausschnitt aller denkbaren Fälle anwendbar sein kann - nämlich diejenigen, in denen eine ausdrücklich erklärte Willensäußerung des Verbrauchers vorliegt, mit der er sich gegen die Werbung wehrt. Allein schon aus diesem Grund ist die dort angewendete Argumentation zur freien Willensentschließung des Verbrauchers nicht brauchbar zur Entwicklung eines dogmatisch tragfähigen Systems, da dieses ja auf jede denkbare Werbung gegenüber dem Verbraucher anwendbar sein muß, nicht lediglich auf einen kleinen Ausschnitt aller möglichen Fälle. Die beiden - soweit ersichtlich - einzigen Entscheidungen, die zur Feststellung einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers einen anderen Argumentationsgang wählen, stellen darauf ab, ob rur den Verbraucher ein Zwang zur Kenntnisnahme der betreffenden Werbung besteht. 164 Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, daß auch diese beiden Entscheidungen letztlich nur einen kleinen Bereich der in Frage kommenden Kollisionspunkte von Werbung mit dem Verbraucher abdecken, nämlich die Frage einer Kennt162 BGH GRUR 1973, 552 ff., 553; OLG München, NJW 1984,2422; OLG Stuttgart, NJW 1987, 1422; OLG FrankfurtlM., NJW 1988, 1854 ff., 1855; BGH NJW 1989,902 ff., 903; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990,244; LG Freiburg, NJW 1990,2824. 163 OLG Harnburg, WRP 1961, 161; OLG Hamm, GRUR 1991,229. 164 OLG Harnburg, WRP 1961, 161; OLG Hamm, GRUR 1991,229.

4 Scherer

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1. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

nisnahme von Werbung. Nun ist es zwar - gerade auch unter Zugrundelegung der Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung - offensichtlich, daß ein Zwang zur Kenntnisnahme von Werbung nicht auf ihn ausgeübt werden darf. Jedoch kann der in diesen Entscheidungen enthaltene Ansatz, daß der Verbraucher sich frei von Zwang entscheiden können muß, für die weitere Erarbeitung eines dogmatisch tragfähigen Systems im Blick behalten werden. Der in den beiden Entscheidungen enthaltene Ansatz selbst ist jedoch zu vage, um hier bereits etwas Konkretes :für ein dogmatisch tragfähiges Abgrenzungskriterium zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber dem Verbraucher beitragen zu können. Zudem ist hinsichtlich dieser Argumentation in der Rechtsprechung folgendes zu berücksichtigen: Nähme die Rechtsprechung ihre Argumentation hinsichtlich des Zwangs bei der Kenntnisnahme von Werbung ernst, so müßte nicht nur die Argumentation in der betreffenden Entscheidung selbst anders lauten, sondern die Beurteilung etlicher Erscheinungsformen der Werbung durch die Rechtsprechung müßte diametral entgegengesetzt ausfallen. Augenfallig wird diese Inkonsequenz der Rechtsprechung zunächst bereits in der Entscheidung, die das Argument als erste verwendet. 165 Hier stand die Zulässigkeit einer Telefonwerbung, also unerbetener Telefonanrufe bei Verbrauchern zu Werbezwecken in Streit. Das OLG Hamburg :führt im Rahmen der Beurteilung dieser Werbung als unzulässig hierzu aus l66 : "Eine Werbung durch telephonische Anrufe übt mithin einen gewissen psychologischen Zwang auf den Angesprochenen aus, sich mit dem Werbenden zu unterhalten und dessen Werbung zur Kenntnis zu nehmen". Nähme das entscheidende Gericht das Kriterium des Zwangs bei der Kenntnisnahme von Werbung aber ernst, so müßte die Argumentation an einem ganz anderen Punkt ansetzen: Bei der Telefonwerbung wird nämlich der Umworbene bereits durch den Anruf selbst gezwungen - will er nicht einen wichtigen Anruf sich entgehen lassen - das Gespräch anzunehmen und den ihm zunächst unbekannten Anrufer anzuhören, um herauszufinden, was dieser will. Der Umworbene wird also durch die Telefonwerbung selbst de facto gezwungen, eine Werbung zur Kenntnis zu nehmenl67 ; der Zwang liegt also nicht erst in der Ausübung von "psychologischem Zwang zu einer Unterhaltung mit dem Werbenden", sondern bereits in dem Zwang, eine Werbung an sich zur Kenntnis nehmen zu müssen, ohne vorher auch nur die Möglichkeit einer ablehnenden Entscheidung zu haben.

w OLG Hamburg, WRP 1961, 16l. 166 OLG Hamburg, WRP 1961, 16l. 167 Ausflihrlich vgl. unten, Teil 11, 3. Kapitel "Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel", Abschnitt IV. l.

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur

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Auch die Beurteilung anderer Erscheinungsfonnen der Werbung durch die Rechtsprechung ist - nähme die Rechtsprechung das Kriterium des Zwanges bei der Kenntnisnahme von Werbung ernst - inkonsequent: So müßte der unerbetene Vertreterbesuch - den die Rechtsprechung grundsätzlich für zulässig hält - eben wegen des dadurch tatsächlich bestehenden Zwangs zur Kenntnisnahme von der betreffenden Werbung konsequenterweise für unzulässig erklärt werden. 168 Weite Teile der meistens für unzulässig erklärten Einladungen zu Werbeveranstaltungen mittels Geschenkeversprechen müßten hingegen konsequenterweise für zulässig erklärt werden, da hier nur in den seltensten Fällen von einer Ausübung von Zwang auf die Entscheidung des Verbrauchers zur Kenntnisnahme von Werbung gesprochen werden kann. 169 Die Rechtsprechung nimmt dieses Kriterium also offensichtlich selbst nicht ernst; sie mißt ihm offensichtlich selbst keine dogmatische Lösungsrelevanz bei. Auch ist ihre diesbezügliche Argumentation so allgemein gehalten, daß die Vennutung naheliegt, daß der Begriff der freien Willensentschließung des Verbrauchers für die Rechtsprechung lediglich eine Argumentationsschablone, eine Leerfonnel darstellt, die eine dogmatische Fundierung der Rechtsprechung vorspiegelt, welche es ennöglicht, ihre Ausrichtung ausschließlich nach kasuistischen Kriterien zu verschleiern. Dogmatisch tragfahig als Abgrenzungskriterium für die Beurteilung zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber dem Verbraucher ist daher die Verwendung des Begriffs der freien Willensentschließung in der Rechtsprechung in keinem Fall.

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur Die Untersuchung der Verwendung des Begriffs der freien Willensentschließung in der Rechtsprechung hat keine dogmatisch tragfähige Grundlage ergeben. NUlllllehr ist zu untersuchen, wie die Literatur mit dem Begriff der freien Willensentschließung des Verbrauchers arbeitet. Dabei läßt sich in der Literatur aber keine einheitliche Argumentationslinie ausmachen; vielmehr existieren zahlreiche Richtungen, die alle in recht unterschiedlicher Weise mit dem Begriff der freien Willensentschließung des Verbrauchers argumentieren. Teilweise wird dabei von der Literatur keine eigene Linie ent-

168

Ansfilhrlich hierzu vgl. unten, Teil 11, 4. Kapitel "Der unerbetene Vertreterbesuch", Abschnitt

III.2. 169

AnsfUhrlich vgl. unten, Teil 11, 5. Kapitel "Anreißerische Werbung", Abschnitt 11. 5.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

wickelt, sondern lediglich die Grundsätze der Rechtsprechung wiedergegeben. Teilweise werden zwar eigene Argumentationen gebracht; diese unterscheiden sich jedoch wiederum zum Teil ganz erheblich voneinander. Es sollen daher nun die verschiedenen in der Literatur vorhandenen Argumentationslinien dargestellt und auf ihre dogmatische Tragfähigkeit für die Entwicklung eines Abgrenzungskriteriums zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber dem Verbraucher hin überprüft werden. I. Argument der "unsachlichen Beeinflussung" Ein Teil der Literatur liegt vollständig oder zumindest in wesentlichen Bereichen auf der Linie der Rechtsprechung über die "unsachliche Beeinflussung"170. Im Rahmen dieser Gruppe tritt vor allem die Kommentarliteratur hervor, die - soweit sie sich zu diesem Problem äußert - geschlossen die Rechtsprechung akzeptiert und sogar die Wendung von der "unsachlichen Beeinflussung" übernimmt: So wird es als unzulässig angesehen, wenn "der Absatz weniger durch die Güte und PreisWÜTdigkeit der Ware oder Leistung, als durch sachfremde Momente erreicht werden sollen, die die selbständige Entschließung des Kunden beeinträchtigen ... ,,171 ; wenn "unsachliche Werbemittel den Umworbenen statt ... durch Güte und PreisWÜTdigkeit durch außerhalb des eigentlichen Angebots liegende Mittel, durch materielle oder auch nur ideelle Vorteile in seiner Entscheidung beeinflussen sollen, ... so daß sachfremde Einflüsse auf den Kaufentschluß ein zu starkes Gewicht erlangen ... ,,172. "Jeder Kunde soll sich grundsätzlich frei und allein beeinflußt von Güte und Qualität der Leistung entscheiden können. Die Wahl- und Entscheidungsfreiheit gehört ... beim Verbraucher zum Wesen des Wettbewerbs ... "173; unzulässig sind daher Beeinflussungen, "... die keinerlei sachlichen Bezug zur angebotenen Leistung haben, bei denen ganz andere Kriterien als Güte und Qualität der eigenen Leistung eingesetzt werden, um den Verbraucher zu einer Kaufentscheidung zu bringen ... der Verbraucher kann sich in solchen Fällen nicht mehr frei entscheiden aufgrund sachlicher Kriterien, die sich an dem Leistungsangebot orientieren ... ,,174 . Gegenüber diesen Ansichten der Kommentarliteratur, die nichts anderes darstellen als eine Wiedergabe der ständigen Rechtsprechung - was auch von 170

v gl. oben, 3. Kapitel: "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Rechtsprechung".

Baumbach-Hefennehl, § I, Rz. 4; vgl. dazu oben, 3. Kapitel: "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Rechtsprechung", Abschnitt I. 2. 172 v.Garnm, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. I, L Hlbd., Kap. 24, Rz. 1 f.; ders., UWG, § 1, Rz. 135. 173 Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 4. 174 Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 5, eingeordnet unter "mittelbarer Zwang". 171

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur

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den Kommentarautoren durch die Wahl ihrer Belegstellen ausschließlich aus der Rechtsprechung bzw. aus den entsprechenden anderen Kommentierungen bestätig wird - sind nun dieselben Einwände gegeben wie gegenüber der Rechtsprechung selbst: Da weite Teile der täglich millionenfach getroffenen Kaufentscheidungen (und sonstigen Konsumentscheidungen) der Verbraucher von vornherein gar nicht auf "sachlichen" Erwägungen beruhen (impulsive Entscheidung, habituelle Entscheidung), fielen diese Verbraucherentscheidungen aus dem durch diese Ansicht geschützten Bereich der freien Willensentschließung heraus, da diese eine sachliche Verbraucherentscheidung voraussetzt. 175 Diese Verwendung des Begriffs der freien Willensentschließung ist daher aus denselben Gründen wie bereits für die Rechtsprechung dargelegt dogmatisch nicht tragfähig. Ebenso wie für die Rechtsprechung gilt außerdem auch für die dargestellte Kommentarliteratur, daß sie offensichtlich ihrem Ansatz, nämlich der "unsachlichen Beeinflussung", selbst keine dogmatische Lösungsrelevanz beimißt, sondern sich sofort nach Darstellung dieses Lösungsgesichtspunktes in die breitgefächerte Kasuistik flüchtet. 176 Maßgeblich ist demnach alleine, ob ein bestimmter Sachverhalt einer bestimmten Fallgruppe zugeordnet werden kann, nicht aber, ob anhand des eigenen Lösungsansatzes nach sorgfältiger Subsumtion eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers festgestellt werden kann. Auf einer ähnlichen Linie wie die Rechtsprechung und die Kommentarliteratur liegen Schricker/Lehmann. l77 Sie gehen davon aus, daß eine "sittenwidrige Beeinflussung der Handlung- und Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers dann vorliegt, wenn durch das Verhalten des Werbenden ein Verbraucher in seiner Entscheidungsfreiheit so beeinträchtigt wird, daß er den Geschäftsabschluß nicht auf Grund der Qualität und Preiswürdigkeit tätigt, sondern um der Belästigung zu entgehen ... ,,178. Zwar ist der Begriff der "Belästigung" lediglich auf bestimmte Fallgestaltungen bezogen; sieht man jedoch davon ab, so ist die Kernaussage dieser Ansicht der der dargestellten Rechtsprechung gleichgerichtet. Für sie gilt daher das gleiche wie für die Rechtsprechung und die Kommentarliteratur.

175

Vgl. oben, 3. Kapitel: "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Rechtsprechung",

Abschnitt II. 2. 176 Exemplarisch: v. Gamm, UWG, § 1, Rz. 135 ff.; Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 4 ff. 177 In: Handbuch des Verbraucherrechts, Gruppe 180, S. 5 ff. . 178

Schricker/Lehmann, in: Handbuch des Verbraucherrechts, Gruppe 180, S. 33.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

II. "Unsachliche Beeinflussung" als alleiniger Ansatzpunkt Noch weitergehend als Rechtsprechung und Kommentarliteratur sind die Äußerungen von ReichffonnerIWegener179 und von HinzI80 : ReichffonnerlWegener schlagen eine Ergänzung des § 1 UWG durch einen Absatz 2 vor: "Werbemaßnahmen, die geeignet sind, durch unsachliche Beeinflussung die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher zu beeinflussen, sind wettbewerbswidrig und damit unlauter. ,,181 Hinz geht davon aus, daß "die freie Entschließung nicht durch unsachliche Maßnahmen beeinflußt werden" dürfe, daß "die Werbung nicht versuchen dürfe, anstatt mit der Güte und Preiswürdigkeit der angebotenen Ware oder Leistung mit anderen Mitteln die Kaufentscheidung der Kunden zu beeinflussen,,182. Beiden Ansichten ist gemeinsam, daß für ihre Lösungsgesichtspunkte bereits die bloße Beeinflussung der Verbraucherentscheidung, die auf unsachlichen Kriterien beruht, ausreicht; nicht erforderlich ist eine - über die bloße Beeinflussung hinausgehende - Beeinträchtigung der freien Willensentschließung oder ein ähnliches Korrektiv wie etwa das Beruhen der Kaufentscheidung auf der starken unsachlichen Beeinflussung. Stellt man aber lediglich auf die bloße Beeinflussung ab, so muß man sich ins Gedächtnis rufen, daß die Beeinflussung des Umworbenen der Werbung wesenseigen ist. 183 Ist nun aber eine Beeinflussung des Verbrauchers jeder Werbung immanent, so wäre bereits jede Werbung, die nicht ausschließlich auf Güte und Preiswürdigkeit der beworbenen Ware abhebt, bei konsequenter Anwendung der dargestellten Ansichten unzulässig. Dies hätte zum einen die praktisch untragbare Konsequenz, daß nahezu jede heute vorhandene Art der Werbung - mit Ausnahme der sehr selten vorkommenden rein informativen Werbung - verboten werden müßte. Zum anderen würde dies dogmatisch dazu führen, daß es nicht mehr auf eine - über die bloße Beeinflussung hinausgehende - Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers ankommt, sondern die Wirkung der "unsachlichen Werbung" einerseits und die freie Willensentschließung des Verbrauchers bei seiner Kaufentscheidung andererseits quasi "entkoppelt" wären: Wenn bereits die jeder Werbung immanente bloße Beeinflussung durch "unsachliche" Werbung ausreicht, kommt es nämlich nicht mehr auf ihre tatsächlichen Auswirkungen auf die freie Willensentschließung des Verbrauchers bei seiner Kaufentscheidung an; da aber jede "unsachliche" Werbung aufgrund der ihr immanenten Beeinflussungsfunktion auch zugleich eine "unsachliche" Beeinflussung 179 180 181 182 183

Verbraucher und Recht, Göttingen 1976. WiVerw 1980, 171 ff. Reichffonner/Wegener, Verbraucher und Recht, S. 129. Hinz, WiVerw 1980, 171 ff., 174, 177. Vgl. oben, I. Kapitel: "Werbung".

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur

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darstellt, würde allein die Existenz einer solchen "unsachlichen" Werbung, unabhängig von ihrer tatsächlichen Auswirkung auf die freie Willensentschließung des Verbrauchers, genügen. Diese Ansicht nimmt also - konsequent betrachtet - keinerlei Rücksicht auf die Auswirkungen der Werbung auf die freie Willensentschließung des Verbrauchers. Bereits die jeder "unsachlichen" Werbung immanente bloße "unsachliche" Beeinflussung würde ausreichen, um die Werbung als unzulässig zu qualifizieren. Daß der Gesichtspunkt der "Unsachlichkeit" nicht brauchbar zur Abgrenzung ist, wurde jedoch bereits oben mehrfach hinsichtlich der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur erörtert. Außerdem würde es der Aufgabe der Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger werblicher Beeinflussung nicht gerecht werden, bereits aufgrund der bloßen, jeder Werbung wesenseigenen Beeinflussungsfunktion die Werbung als unzulässig zu qualifizieren. Da ja gerade die Grenzen zwischen zulässiger und unzulässiger werblicher Beeinflussung gezogen werden sollen, kann dies nicht in der Weise geschehen, daß jede Beeinflussung an sich als unzulässig angesehen wird. Selbst wenn man also die oben dargestellten praktischen Konsequenzen dieser Ansichten außer acht läßt, sind sie hinsichtlich einer Abgrenzung der Zulässigkeit von Werbung anband der freien Willensentschließung des Verbrauchers nicht brauchbar. ill. Der Grad der Einflußnahme als Kriterium

Andere Autoren arbeiten ohne Verwendung des von der Rechtsprechung entwickelten Kriteriums der "unsachlichen" Beeinflussung und versuchen anband des Grades oder der Art der werblichen Einflußnahme auf die freie Willensentschließung des Verbrauchers eine Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung zu ziehen. Meyer-Cording184 geht davon aus, daß die Grenze dort zu setzen sei, wo die Beeinflussung überhand nehme. Dies liege dann vor, wenn "die freie Entschließung behindert oder unmöglich gemacht" werde185 . Ähnlich argumentiert Lehmann186 : " ... wenn die ökonomische Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers eingeschränkt oder sogar ganz aufgehoben ist ... ". Zum einen ist dieser Ansicht jedoch entgegenzuhalten, daß sie zur Ausfüllung dieses Abgrenzungskriteriums sogleich wieder Zuflucht zu der von der Rechtsprechung entwickelten Kasuistik nimmt. 187 Zum anderen ist zu beriick184 • 8S

186 187

JZ 1964,310 ff., 313 . Meyer-Cording, JZ 1964,310 ff., 313. Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 270 ff. Meyer-Cording, JZ 1964,310 ff., 313 (; Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 273.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

sichtigen, daß das hier zur Abgrenzung verwendete Kriterium der Behinderung bzw. der Einschränkung der freien Willensentschließung des Verbrauchers letztlich keine Abgrenzung gegenüber der bloßen - jeder Werbung immanenten - Beeinflussung bedeutet: Jede werbliche Beeinflussung stellt nämlich notwendigerweise zugleich eine - wenn auch graduell verschiedene und vom Umworbenen unterschiedlich leicht oder schwer zu überwindende - Behinderung bzw. Einschränkung seines freien Willens dar. Wodurch sich nun das Kriterium der Behinderung von der bloßen Beeinflussung unterscheiden soll, wird nicht gesagt, ebensowenig wie eine konkrete Begriffsbestimmung des Inhalts einer "Behinderung" der freien Willensentschließung gegeben wird. Zur Ausfüllung dieses Begriffsinhalts wird vielmehr, wie bereits oben festgestellt, wieder nur auf die von der Rechtsprechung entwickelte Kasuistik verwiesen. 188 Für eine dogmatisch tragfahige Abgrenzung der Zulässigkeit einer Werbung gegenüber dem Verbraucher ist daher auch dieser Lösungsvorschlag nicht verwendbar. Ein weiterer Vorschlag von Jürgens geht davon aus, daß zur Qualifizierung einer Werbung als unzulässig "Umstände vorliegen müssen, durch die ein bewußter Widerstand des Werbungsgegners praktisch unmöglich gemacht oder doch erschwert wird"189. Unklar ist hierbei jedoch zunächst, ob mit diesem Abgrenzungskriterium lediglich eine suggestive unbewußte Einwirkung angesprochen sein soll; diese Annahme liegt deshalb vor, weil der Autor in seinen vorausgehenden Ausführungen lediglich von einer "Lenkung des Kunden" spricht, "ohne daß er es merkt und möglichst ohne daß er sich dagegen zu wehren vermag"190, und in den nachfolgenden Ausführungen von einer "Grenzziehung zwischen zulässiger Beeinflussung des bewußten Willens und unzulässiger vorwiegend suggestiver Willensbeeinflussung"191 spricht. Mit dieser Ausschließung lediglich der unbewußten werblichen Einwirkung, die allein zu einer Unzulässigkeit der subliminalen Werbung führt, würde der Autor aber sich nicht nur weit hinter die Linie der einhelligen Ansicht von Rechtsprechung und Literatur zurückziehen, sondern auch mit dieser Grenzziehung gerade die eigentlichen Problembereiche der Werbung - nämlich die bewußte Einwirkung auf den Willen des Umworbenen - völlig unberücksichtigt lassen. Sofern Jürgens jedoch auch bewußte werbliche Beeinflussung erfassen will, gilt hinsichtlich des Abgrenzungskriteriums "Erschweren" von Widerstand des Umworbenen192 Ähnliches wie hinsichtlich des von Meyer-Cording und Lehmann verfochtenen Abgrenzungskriteriums der "Behinderung": Jürgens ist 188 189 190 191 192

Meyer-Cording, JZ 1964,310 ff., 313 f.; Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 273. Jürgens, VerwArch 1962, 105 ff., 118. Jürgens, VerwArch 1962, 105 ff., 117. Jürgens, VerwArch 1962, 105 ff., 118. Jürgens, VerwArch 1962, 105 ff., 118.

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur

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entgegenzuhalten, daß jede werbliche Beeinflussung letztlich dem Umworbenen - wenn auch graduell verschieden und vom Umworbenen unterschiedlich leicht oder schwer zu bewältigen - den Widerstand gegen das durch eben diese werbliche Beeinflussung geforderte Konsumverhalten erschwert. Wann jedoch der vom Umworbenen aufzubringende Widerstand gegen diese werbliche Beeinflussung so weit erschwert ist, daß diese Werbung als unzulässig anzusehen ist, wird von Jürgens nicht dargelegt. Der Lösungsvorschlag von Jürgens ermangelt daher ebenso wie der von Meyer-Cording und Lehmann einer konkreten Inhaltsbestimmung des Abgrenzungskriteriums und ist daher dogmatisch nicht tragfähig.

IV. Der Zusatznutzen als Ansatzpunkt Thiedig193 hingegen setzt für seinen Abgrenzungsvorschlag bei dem durch die Werbung vermittelten Zusatznutzen an: Unter Zusatznutzen versteht er die Ablenkung vom Grundnutzen, nämlich dem stofflich-technischen Gebrauchswert der angebotenen Ware, auf soziale Leitbilder, auf mit dem Konsum verbundene soziale Anerkennung. 194 Thiedig geht nun davon aus, daß die Werbungtreibenden "mit Hilfe von Werbung Bedarfslenkung betreiben, die sich im Verschiebungsprozeß vom Grundnutzen zum Zusatznutzen äußert,,195. Daher sei "wohl kaum zu leugnen, daß sich die Verbraucherentscheidung nicht in Freiheit vollzieht ... , sondern mitbestimmt und mitgefonnt ist von einer Werbung, die nicht über den Grundnutzen eines Produktes informiert ... , sondern den Versuch unternimmt, mit suggestiven Mitteln den Zusatznutzen in den Vordergrund der Kaufentscheidung zu stellen .. .',196. So "versucht die Werbung die Freiheit der Entscheidung dadurch zu torpedieren, daß sie bewußt vom angebotenen Objekt (d.h. dem Grundnutzen, Anm. der Verf.) auf soziale Leitbilder (d.h. den Zusatznutzen, Anm. der Verf.) ablenkt. Die durch Werbung beeinflußte Kaufentscheidung ist nur noch fonnal in Freiheit getroffen ,,197 Die Kernthese von Thiedig besteht also darin, daß Werbung, die anstatt auf den Grundnutzen auf den Zusatznutzen abhebt, die Verbraucherentscheidung unfrei macht198 . Der Autor begründet dies damit, daß Werbung, die auf den Zusatznutzen abhebt, das "Urteil der Verbraucher trübt und sie in ihrer Kauf-

193 194 19l 196 191 198

Suggestivwerbung und Verbraucherschutz, 1973. Thiedig, Suggestivwerbungund Verbraucherschutz, S. 25, 27. Thiedig, Suggestivwerbungund Verbraucherschutz, S. 25. Thiedig, Suggestivwerbungund Verbraucherschutz, S. 25. Thiedig, Suggestivwerbung und Verbraucherschutz, S. 27 f. Thiedig, Suggestivwerbung und Verbraucherschutz, S. 27 f.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

entscheidung beeinflußt,,199. Hierbei geht Thiedig jedoch von einer grundlegenden Fehleinschätzung aus: Nicht nur die Werbung, die auf den Zusatznutzen abhebt, beeinflußt die Verbraucher in ihrer Kaufentscheidung, sondern jede Werbung beeinflußt, da die Beeinflussungsfunktion der Werbung immanent ist. 200 Konsequent zu Ende gedacht, würde diese Ansicht also dazu führen, daß jede Werbung - aufgrund der ihr wesenseigenen Beeinflussung - zu einer Beeinträchtigung der Konsumentenfreiheit ruhren würde. In letzter Konsequenz wäre daher jede Werbung gegenüber dem Verbraucher wegen der ihr immanenten Beeinflussungswirkung unzulässig. Da es jedoch gerade Aufgabe des Rechts ist, eine Grenze zu ziehen zwischen Zulässigkeit und Unzulässigkeit hinsichtlich der jeder Werbung immanenten Beeinflussung, kann eine Lösung nicht so beschaffen sein, daß sie jede Beeinflussung als schlechthin unzulässig qualifiziert. Es kommt hinzu, daß zwischen der Werbung mit dem Zusatznutzen und der konkreten Kaufentscheidung des Verbrauchers nach der Darstellung Thiedigs kein kausales Bindeglied, keine kausale Verknüpfung vorhanden ist: Die Entscheidung des Verbrauchers wäre bereits dann unfrei, wenn er mit einer Werbung konfrontiert wird, die auf den Zusatznutzen abhebt, vollkommen gleichgültig, ob diese Werbung tatsächlich irgendeinen Einfluß auf die Entscheidung des Verbrauchers hat. Die Entscheidungsfreiheit wäre also auch dann beeinträchtigt, wenn die konkrete Entscheidung gar nicht aufgrund des angepriesenen Zusatznutzens gefällt wurde, sondern etwa gerade aufgrund des Grundnutzens der Ware, wenn also der Zusatznutzen der beworbenen Ware in der konkreten Kaufentscheidung gar keine Rolle spielt. Weder hinsichtlich des konkreten Vorgangs der Beeinträchtigung der Willensfreiheit noch hinsichtlich einer etwaigen abstrakten Geeignetheit der Werbung zur Beeinträchtigung der Willensfreiheit finden sich bei Thiedig Ausführungen. Letztlich beruht die mangelnde dogmatische Tragfähigkeit von Thiedigs Lösungsansatz auf einer verfehlten Auffassung von der Funktion der Werbung im Wettbewerbssystem: Er geht davon aus, daß sich "Werbung innerhalb eines marktwirtschaftlichen Systems unter dem Gesichtspunkt eines funktionierenden Marktes nur insoweit rechtfertigen läßt, als sie dem Verbraucher die rur seine Entscheidung notwendigen Informationen verschafft,,201 . "Die Funktion der Wirtschaftswerbung ist allein die Schaffung von Markttransparenz, d.h.

200

Thiedig, Suggestivwerbung und Verbraucherschutz, s. 27 f. Vgl. oben, I. Kapitel: "Werbung".

201

Thiedig, Suggestivwerbung und Verbraucherschutz, S. 29.

199

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur

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Information über verschiedene Hersteller, Preise, Qualitäten, Lieferbedingungen etc. '" ,,202 . Der Autor verkennt dabei jedoch, daß - wie bereits oben ausführlich dargelegt203 - die Funktion der Werbung sich keinesfalls in der ausschließlichen Informationsfunktion für die Verbraucher erschöpft; wesentlich weitergehend hat die Werbung neben dieser Informationsfunktion zugleich auch die wichtige Aufgabe der Absatzsteigerung, der Erschließung neuer Märkte. Ausgehend von dem grundlegend anderen Verständnis Thiedigs von der Werbung und letztlich von der Marktwirtschaft ist sein Lösungsansatz - wenn auch rechtsdogmatisch nicht tragfähig - so doch zumindest politisch konsequent. V. Der Schutz der Menschenwürde des Verbrauchers Stobe~04 schließlich stellt, ausgehend von Art. I I GG, hinsichtlich des Verbrauchers die Menschenwürde in den Vordergrund seiner wirtschaftsverfassungsrechtlichen Betrachtungen. Er geht davon aus, daß der Verbraucher nicht zum Objekt, zu einer vertretbaren Größe herabgewürdigt werden dürfe. 205 Folgerichtig würde dies also dazu führen, daß eine Werbung, die den Verbraucher zum Objekt, zu einer vertretbaren Größe herabwürdigt, als unzulässig zu qualifizieren wäre. Mit dieser Ausführung wird im Ergebnis sicherlich auch der Schutz der freien Willensentschließung des Verbrauchers abgedeckt; nähere Ausführungen hierzu, insbesondere zu der Frage konkreter Abgrenzungskriterien, finden sich in den verfassungsrechtlich geprägten Ausführungen des Autors jedoch nicht. Der gedankliche Ansatz Stobers ist daher insbesondere verfassungsrechtlich möglicherweise ausbaufähig; für die exakte zivilrechtliche Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger Verbraucherwerbung fehlt es jedoch bei dieser völlig "offenen" Lösung an konkreten Abgrenzungskriterien.

VI. Die Reaktionsmöglichkeit des Umworbenen als Ansatzpunkt Andere Teile der Literatur versuchen ebenfalls, ohne das von der Rechtsprechung entwickelte Kriterium der "unsachlichen" Beeinflussung eine Abgrenzung zwischen zulässiger und unzulässiger werblicher Beeinflussung zu erarbeiten. Ihr Abgrenzungskriterium orientiert sich dabei am Umworbenen und dem Maß seiner Reaktionsmöglichkeiten. Die Ausgangstheorie hierzu entwik202 203 204 20S

Thiedig, Suggestivwerbung und Verbraucherschutz, S. 30,35. Vgl. I. Kapitel "Werbung", Absclmitt III. FS Lukes, 1989, S. 591 ff. Stober, FS Lukes, 591 ff., 598.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

kelte, vom öffentlichen Recht kommend, 1968 Faber. 206 Ihm folgten im zivilrechtlichen Bereich, allerdings beschränkt auf den Spezialfall der Suggestivwerbung, Loewenheim207 , Henning-Bodewii o8 und Freund209 ; auch Reichffonner/Wegener21o verwenden für den Spezialfall der Suggestivwerbung - entgegen ihrem für die Werbung allgemein angenommenen Abgrenzungskriterium der "unsachlichen Beeinflussung"211 - diesen Ansatzpunkt. J. Die Ausgangsthese Fabers

Faber begreift als zentrales Kriterium der zulässigen Beeinflussung die Beherrschbarkeit dieser Beeinflussuni l2 : Abzustellen sei für die Qualifizierung einer Beeinflussung als unzulässig also darauf, ob sich der Adressat von der Beeinflussung nicht mehr distanzieren kann, ihre Bedeutung im Motivationsgefüge nicht mehr kritisch abschätzen und entsprechende Gegenkräfte nicht mehr mobilisieren kann; mit anderen Worten: Die Beeinflussung ist unzulässig, wenn sie von dem Beeinflußten nicht mehr beherrschbar ist. 213 Zur näheren Differenzierung dieses Abgrenzungskriteriums führt Faber den kognitiven und den voluntativen Aspekt der Beherrschbarkeit einer Beeinflussung ein. 214 Vom Adressaten nicht mehr beherrschbar sei die Beeinflussung dann, wenn sie entweder nicht mehr seiner kognitiven oder seiner voluntativen Kontrolle untersteht. Kognitive Kontrolle bedeutet hierbei, daß der Einwirkungsversuch auf seinen Willen vom Adressaten auch als solcher erkannt werden muß. 215 Hierbei stellt Faber auf den skeptischen und wachsamen Menschen ab und fragt, ob die Beeinflussung von diesem bei kritischer Einstellung, insbesondere bei zumutbarer Aufmerksamkeitszuwendung und Gedächtnisanspannung erkannt werden kann. 216 Demgegenüber bedeutet voluntative Kontrolle, daß der Adressat gegen diesen erkannten Einwirkungsversuch auf seinen Willen Gegenkräfte mobilisieren kann. 217 So wie es aber bei der kognitiven Kontrolle nur auf die 206 207 208 209

210 211

212 213 214 215 216

217

Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, 1968. GRUR 1975,99 ff., 108. BB 1983,605 ff., 610. Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, 1983, S. 97. Verbraucher und Recht, 1976, S. 108. V g1. oben, Abschnitt II. Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 69. Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 69. Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 74 ff. Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 75. Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 75. Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 117 f.

4. Kapitel: Die "freie Willensemschließung" des Verbrauchers in der Literatur

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Möglichkeit der Erkenntnis bei Aufmerksamkeitszuwendung und Gedächtnisanspannung, also eine abstrakte Erkennbarkeit ankommt, so kommt es für die voluntative Kontrolle nicht auf die tatsächlich erfolgende Abwehr der Beeinflussung, sondern allein auf die Möglichkeit dieser Abwehr bei zumutbarer Willensanspannung, also auf die abstrakte Beherrschbarkeit an. 218 2. Modifikationen flr die zivi/rechtliche Anwendung

Im Bereich des Zivilrechts hat, soweit ersichtlich, als erster - wenn auch mit gewissen Modifikationen - Loewenheim219 dieses Abgrenzungskriterium für die werbliche Beeinflussung angewandt, ausschließlich bezogen allerdings auf den Spezialfall der Suggestivwerbung. Ebenso wie Faber verwendet Loewenheim als zentrales Abgrenzungskriterium die Beherrschbarkeit der werblichen Beeinflussung durch den Umworbenen, konkretisiert durch den kognitiven und den voluntativen Aspekt220 : Die erste Voraussetzung der Beherrschbarkeit der Beeinflussung sei deren Erkennbarkeit für den Umworbenen. "Soll sich der Adressat nämlich in eine objektive Beziehung zur Suggestion bringen, ihre Bedeutung im Motivationsgefüge kritisch abschätzen und entsprechende Gegenkräfte entwickeln können, so setzt das prinzipiell voraus, daß er die Situation überblickt und den suggestiven Beeinflussungsversuch als solchen erkennt"221. "Im voluntativen Bereich setzt die Beherrschbarkeit dann voraus, daß der Verbraucher der suggestiven Beeinflussung, auch wenn er sie als solche erkannt hat, nicht ohne weiteres erliegt, sondern in der Lage ist, ihr zu widersprechen und ihren Einfluß auf seinen Motivationsprozeß zu verhindern. Er muß sich von ihr distanzieren und entsprechende Gegenkräfte mobilisieren können,,222. Loewenheim modifiziert jedoch die Ausgangsthese von Faber in zweierlei Hinsicht. Zum einen setzt er als Maßstab für den Werbeadressaten anstelle des "skeptischen und wachsamen Menschen, der bei kritischer Einstellung, insbesondere zumutbarer Aufmerksamkeitszuwendung und Gedächtnisanspannung"223 die Suggestion erkennen kann, den "flüchtigen Durchschnittsbetrachter, der eine Werbebehauptung ungezwungen und unkritisch wahrnimmt,,224. Zum anderen steht Loewenheim dem Erfordernis der lediglich abstrakten Be-

218 219 220 221 222 223 224

Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 117 f GRUR 1975,99 ff, 108. Loewenheim, GRUR 1975,99 ff, 108. Loewenheim, GRUR 1975,99 ff, 108. Loewenheim, GRUR 1975, 99 ff, 108. Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 75. Loewenheim, GRUR 1975,99 ff, 108.

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

herrschbarkeit bei der voluntativen Kontrolle in Fabers These225 kritisch gegenüber226 : Da nach der Auffassung von Faber die abstrakte voluntative Beherrschbarkeit experimenteller Nachprüfung nicht zugänglich, also letztlich ein Problem der Willensfreiheit sei227 und daher Formeln für ein Übermaß an Suggestion allenfalls schwer konkretisierbar seien228 , geht Loewenheim, um den Zweck des Verbraucherschutzes zu wahren und Fiktionen hinsichtlich des Problems des Determinismus zu vermeiden, auch hierbei für die Frage der abstrakten voluntativen Beherrschbarkeit vom unkritischen Durchschnittsverbraucher aus. 229 Dieser von Loewenheim für das Wettbewerbsrecht modifizierten These von Faber folgen Reichffonner/Wegener23o , Henning-Bodewii31 und Freund232 . Reichffonner/Wegener setzen sich insoweit für diesen Bereich der Suggestivwerbuni 33 deutlich ab von ihrem für die Beurteilung anderer Werbernaßnahmen vorgeschlagenen Abgrenzungskriterium. 234 Henning-Bodewig bezieht dieses Abgrenzungskriterium sogar lediglich auf den Bereich der Leitbildwerbung, also einen kleinen Ausschnitt aus dem Feld der Suggestivwerbung. 235 Freund schließlich spricht von diesem Abgrenzungskriterium nur im Rahmen der Werbung durch Appell an das Unterbewußte?36 VII. Eigener Lösungsvorschlag 1. Kriterium der Beherrschbarkeit

Um nun die dogmatische Tragfähigkeit dieses oben dargestellten Abgrenzungskriteriums der Beherrschbarkeit zu überprüfen, ist zunächst einmal in Erinnerung zu rufen, daß die Beeinflussung des freien Willens des Umworbenen jeder Werbung immanent ist, da die Beeinflussungsfunktion der Werbung wesenseigen ist. Es ist daher - wie bereits oben mehrfach dargelegt - zunächst Voraussetzung eines tragfähigen Abgrenzungskriteriums, daß es nicht m Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 117 [ Loewenheim, GRUR 1975,99 ff., 108, Fn. 104. 227 Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 117 [ 228 Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 124. 229 Loewenheim, GRUR 1975,99 ff., 108, Fn. 104 und linke Sp. 230 Verbraucher und Recht, 1976, S. 108 [ 231 BB 1983,605 ff., 610. 232 Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, 1983, S. 97. 233 ReichfTonner/Wegener, Verbraucher und Recht, S. 108. 234 ReichfTonner/Wegener, Verbraucher und Recht, S. 129. 135 Henning-Bodewig, BB 1983,605 ff., 610. 236 Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 77 ff., 97. 226

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur

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schlechthin jegliche werbliche Beeinflussung als unzulässig qualifiziert, sondern eine Differenzierung vornimmt zwischen zulässiger werblicher Beeinflussung und unzulässiger Einwirkung auf die Willensfreiheit des Verbrauchers durch die Werbung. Diese grundlegende Voraussetzung der Differenzierung bei der jeder Werbung immanenten Beeinflussungswirkung wird von dem oben dargestellten Abgrenzungskriterium ausdrücklich erfüllt; das Kriterium der Beherrschbarkeit der werblichen Beeinflussung setzt diese nicht nur als notwendig voraus, sondern ermöglicht auch hinsichtlich verschiedener Beeinflussungen eine differenzierte Beurteilung. Weiter ist es erforderlich, daß das Kriterium der Abgrenzung zwischen zulässiger werblicher Beeinflussung und unzulässiger Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers durch die Werbung klare, nachvollziehbare Maßstäbe aufstellt, die es ermöglichen, eine exakte Abgrenzung vorzunehmen, ohne zu der Kasuistik der Rechtsprechung Zuflucht nehmen zu müssen. Ausgehend nun von der Tatsache, daß eine Beeinflussung des freien Willens des Verbrauchers jeder Werbemaßnahme immanent ist, muß es darauf ankommen, ob der Verbraucher noch die Möglichkeit hat, seinen Willen anders zu bilden und sich anders zu entschließen, als dies durch die werbliche Beeinflussung seines Willens angestrebt wird. Der Verbraucher muß also noch in der Lage sein, die anstehende Entscheidung (z.B. eine konkrete Kaufentscheidung) anders zu treffen, als dies durch die betreffende Werbung verlangt wird, mit anderen Worten: er muß die werbliche Beeinflussung noch beherrschen können. Hat er diese Möglichkeit eines anderen Verhaltens als durch die betreffende Werbung gefordert, also die Möglichkeit der Beherrschung der werblichen Beeinflussung nicht mehr, so ist seine freie Willensentschließung beeinträchtigt und die betreffende Werbung daher als unzulässig zu qualifizieren. Zwei Voraussetzungen bestehen für diese Möglichkeit des Verbrauchers, seinen Willen anders zu bilden als dies von der werblichen Beeinflussung verlangt wird: Zum einen ist notwendige Voraussetzung, daß diese werbliche Beeinflussung vom Verbraucher auch als solche erkannt werden kann, daß also eine kognitive Kontrolle möglich ist. Nur dann wird der Verbraucher nämlich überhaupt in der Lage sein, dieser Beeinflussung den ihr zukommenden Stellenwert in seinem Willensbildungsprozeß zuzuordnen. Zum anderen muß die voluntative Kontrolle, das Kernstück der Verbraucherentscheidung im Widerstreit mit der werblichen Beeinflussung, vom Verbraucher noch ausgeübt werden können: Der Verbraucher muß also noch in der Lage sein, der Beeinflussung zu widerstehen, die Werbeappelle nicht zu befolgen, sich also anders zu verhalten, als durch die betreffende Werbung gefordert. Ist also für den Verbraucher eine Werbemaßnahme entweder nicht erkennbar oder aber bei Erkennbarkeit nicht mehr durch die Anspannung entsprechender Gegenkräfte beherrschbar, so muß diese Werbung als unzulässig qualifiziert werden, da sie

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I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

die Willensfreiheit des Verbrauchers beeinträchtigt. Insoweit wird die von Loewenheim modifizierte These Fabers den Anforderungen an klare, nachvollziehbare Maßstäbe für eine exakte Abgrenzung vollauf gerecht. Nicht nachzuvollziehen ist jedoch, weshalb dieses Abgrenzungskriterium nur für eine Beurteilung der Suggestivwerbung Verwendung finden soll. Eine Begründung für diese Beschränkung wird von keinem der Autoren gegeben. Noch nicht einmal ReichffonnerfWegener, die sich in ihrer Arbeit für den Bereich der Suggestivwerbung deutlich von ihrem für die Beurteilung anderer Werbemaßnahmen vorgeschlagenen Abgrenzungskriterien absetzen, äußern sich überhaupt zu dem Grund dieser beschränkten Anwendung der These Fabers. Nun arbeitet zwar die Suggestivwerbung regelmäßig mit dem Einsatz emotionaler Werbemittel, die das Irrationale im Verbraucher ansprechen sollen und ihn zu nicht rational begründetem Konsumverhalten zu verleiten sucht. 237 Das die Suggestivwerbung kennzeichnende Element des Emotionalen ist jedoch von dem Element des Informativen in der Werbung kaum zu trennen, da auch nahezu jede informative Werbung emotionale Elemente enthält. 238 Das Element des Emotionalen kann also keine rechtliche Sonderbehandlung der Suggestivwerbung rechtfertigen. Selbst wenn man auf die regelmäßig tiefenpsychologisch fundierten Strategien dieser Werbeform abstellen würde und in ihnen eine alleine der Suggestivwerbung eigene Methode der werblichen Beeinflussung sehen wollte, müßte man berücksichtigen, daß eine besondere Methode der werblichen Beeinflussung in der Gesarnterscheinung der Werbung keineswegs etwas Besonderes darstellt: Die Methoden und Erscheinungsformen der Werbung wandeln sich "proteusartig" und zeigen sich in immer neuer Gestalt. 239 Vielmehr erfordert die bei jeder werblichen Beeinflussung mögliche Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers eine einheitliche Beurteilung und daher auch ein einheitliches Beurteilungskriterium. Eine Beschränkung des dargestellten Abgrenzungskriteriums auf die Suggestivwerbung kann daher nicht in Betracht kommen.

237 Loewenheim, GRUR 1975, 99; Droste, DB 1966, 1121; Hoppmann, WuW 1983,776; Kantzenbacll, Wu W 1984, 297 ff, 298; ReichffonnerlW egener, Verbraucher und Recht, S. 104 f. 238 Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 192; Loewenheim, GRUR 1975,99 ff, 101; Droste, DB 1966, 1121; Mähling, MA 1984, 168 ff., 174; ReichffonnerlWegener, Verbraucher und Recht, S. 106; Kantzenbach, WuW 1984,297 ff, 298. 23. Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 4.

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur

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2. Modifikationen zur Gewährleistung umfassender Verwendbarkeit

Um nun das aus der von Loewenheim modifizierten These Fabers entnommene Abgrenzungskriterium der Beherrschbarkeit für eine umfassende Verwendbarkeit bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Werbung tauglich zu machen, sind einige grundsätzliche Modifikationen erforderlich. Die erste Modifikation betrifft den Maßstab für die Beurteilung im Rahmen wettbewerbsrechtlicher Tatbestände. Zum einen bezieht sich dies auf den von Faber als Beurteilungsmaßstab postulierten "skeptischen und wachsamen Menschen, der bei kritischer Einstellung, insbesondere zumutbarer Aufmerksamkeitszuwendung und Gedächtnisanspannung"240 die werbliche Beeinflussung erkennen könne. Wie bereits Loewenheim zutreffend gesehen hat, kann dieser sehr strenge Maßstab für die Beurteilung einer wettbewerbsrechtlich relevanten Handlung nicht gelten241 , da der "skeptische und wachsame" Verbraucher ein unrealistisches, keineswegs repräsentatives Bild des Verbrauchers in unserer Wettbewerbsordnung darstellt. Vielmehr muß hier die Verkehrsauffassung relevant sein. 242 Es muß also darauf ankommen, ob für die Verkehrskreise, an die sich die betreffende Werbung wendet, die werbliche Beeinflussung noch kognitiv und voluntativ beherrschbar ist. Hierbei ist wiederum nicht auf sämtliche Angehörigen der betroffenen Verkehrskreise abzustellen, sondern auf einen Durchschnitt. 243 Extreme Dispositionen der Individuen, wie etwa besondere Begabung oder Feinfühligkeit, müssen dabei außer Betracht bleiben. 244 Da Werbemaßnahmen nur selten aufmerksam und kritisch, vielmehr in aller Regel nur flüchtig und ungezwungen wahrgenommen werden245 , muß als Maßstab der Beurteilung der flüchtige Durchschnittsbetrachter zugrunde gelegt werden. 246 Sowohl für die Untersuchung der kognitiven als auch der voluntativen Beherrschbarkeit einer werblichen Beeinflussung durch den Umworbenen ist daher auf den flüchtigen Durchschnittsbetrachter abzustellen. Zum anderen ist im Rahmen des Beurteilungsmaßstabes hinsichtlich der Abstraktheit der voluntativen Beherrschbarkeit der Kritik Loewenheims an den Ausführungen Fabers Rechnung zu tragen: Es kann für die rechtliche Kontrolle einer Werbemaßnahme nicht genügen, die abstrakte voluntative Be-

240 241 242 243 244 W

246

Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 75. Loewenheim, GRUR 1975,99 ff., 108. Loewenheim, GRUR 1975,99 ff., 108; Baumbach-Hefermehl, Einleitung, Rz. 249. Baumbach-Hefermehl, Einleitung, Rz. 249. Baumbach-Hefermehl, Einleitung, Rz. 249. Baumbach-Hefermehl, § 3, Rz. 33. So auch Loewenheim, GRUR 1975,99 ff., 108.

5 Scherer

66

1. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

herrschbarkeit lediglich als ein Problem der Willensfreiheit anzusehen. 247 Dies käme nämlich letztlich einer Rechtsverweigerung gleich. So ist zwar Faber darin zuzustimmen, daß der Gesetzgeber im Zivil- und Strafrecht die Willensfreiheit für den Regelfall unterstellt. 248 Nicht jedoch kann daraus gefolgert werden, daß dann auch regelmäßig bei erkannter werblicher Beeinflussung diese - aufgrund der gesetzgeberischen Postulation der Willensfreiheit - auch voluntativ beherrscht werden könne. 249 Die grundsätzliche Annahme der Willensfreiheit als Regelfall schließt nämlich keineswegs aus, daß diese Willensfreiheit beeinträchtigt werden kann. Da eine solche Beeinträchtigung der Willensfreiheit aufgrund fehlender voluntativer Beherrschbarkeit nicht für jeden konkreten Einzelfall festgestellt werden kann, ist hier - ebenso wie bei der kognitiven Beherrschbarkeit - eine abstrakte Betrachtungsweise geboten. Beurteilungsmaßstab ist hier wiederum - ebenso wie bei der kognitiven Beherrschbarkeit - der flüchtige Durchschnittsverbraucher. 250 Erforderlich ist jedoch für die exakte Bestimmung im Rahmen der abstrakten Beherrschbarkeit nicht nur die Festlegung eines eindeutigen Beurteilungsmaßstabes, sondern gleichfalls auch die Festlegung einer maßgeblichen Bezugsgröße. Hierbei muß für eine Beurteilung dieses wettbewerbsrechtlich relevanten Tatbestandes auf gefestigte Erkenntnisse der seit langem mit dieser Materie befaßten Literatur und Rechtsprechung zurückgegriffen werden: Im Rahmen der Irreführung durch Werbeangaben wird die Irreführung bejaht, wenn ein nicht völlig unbeachtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise von der Werbung getäuscht wird; die maßgebliche Zahl der getäuschten Umworbenen wird hier bei ca. 10-15 % der angesprochenen Verbraucher angesetzt, in der Gesundheitswerbung unter Umständen sogar schon bei 5-6 %.251 Als Bezugspunkt für die kognitive und voluntative Beherrschbarkeit muß hier sinnvollerweise ebenso ein nicht völlig unbeachtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise zugrunde gelegt werden. Dieser Teil wird bei einer sich an das breite Publikum wendenden Werbung bei ca. 10-15 % der Verbraucher anzusetzen sein. Ist daher für einen nicht völlig unbeachtlichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise, wobei als Maßstab der flüchtige, unkritische Durchschnittsverbraucher zugrundezulegen ist, die werbliche Beeinflussung nicht erkennbar oder trotz Erkennbarkeit nicht mehr beherrschbar, so ist die freie Willensentschließung der Verbraucher beeinträchtigt und die betreffende Werbung daher unzulässig. 247 So aber Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 117 f; kritisch hierzu Loewenheim, GRUR 1975,99 t1, 108, Fn. 104. 248 Faber, Innere Geistestreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 117 f 249 Faber, Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung, S. 117 tt: 2S0 Ebenso Loewenheim, GRUR 1975, 991f, 108. 2S1 Für alle: Baumbach-Hefermehl, § 3, Rz. 27.

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur

67

Von diesem Grundsatz, daß die Werbung dann unzulässig ist, wenn sie für die Verbraucher nicht mehr beherrschbar ist und sie daher in ihrer Willensfreiheit beeinträchtigt, ist jedoch eine wesentliche Ausnahme zu machen: Eine Werbung, die dem Kernstück des Leistungswettbewerbs - nämlich der Werbung mit Qualität und Preis - entsprichf52 , muß dem Werbenden, sofern sie für den Umworbenen erkennbar ist, auch dann gestattet sein, wenn die durch sie ausgelöste Beeinflussung des Verbraucherwillens gerade aufgrund dieses Preis-Leistungs-Verhältnisses voluntativ nicht mehr beherrschbar ist (und sie deshalb unter Umständen sogar ökonomisch sinnlose Ausgaben tätigen). Wenn also die Werbung gerade aufgrund des beworbenen Preises oder der beworbenen Qualität der Ware unwiderstehlich für den Verbraucher ist, er also trotz Anspannung entsprechender Gegenkräfte seinen Willen nicht mehr anders entschließen kann, als durch die betreffende Preis- oder Qualitätswerbung mit ihrem Kaufappell gefordert, so ist hierin trotz einer an sich vorliegenden Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers keine unzulässige Werbung zu erblicken. Der Grund für diese Ausnahme ist darin zu sehen, daß die Verbraucher hier durch einen zentralen Punkt des Leistungswettbewerbs beeinflußt werden, nämlich mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis des beworbenen Angebots. Da das Preis-Leistungs-Verhältnis für die Anbieter das Kernstück des Leistungswettbewerbs schlechthin bedeutet, muß eine Werbung mit diesbezüglichen Inhalten den Anbietern immer erlaubt sein, ungeachtet ihrer Wirkungen auf die Willensfreiheit der Verbraucher. Zu den bisher dargestellten Modifikationen des Abgrenzungskriteriums der Beherrschbarkeit bedarf es außerdem noch einer grundsätzlichen Ergänzung hinsichtlich der kognitiven Kontrolle der werblichen Beeinflussung: Sinn der kognitiven Kontrolle ist es, dem Verbraucher zu ermöglichen, der werblichen Beeinflussung den ihr zukommenden Stellenwert in seinem Willensbildungsprozeß zuzuordnen, sich von ihm distanzieren und entsprechende Gegenkräfte entwickeln zu können (vgl. oben). Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß der Verbraucher sich bereits hinsichtlich der Frage frei entscheiden kann, ob er überhaupt von der Werbung Kenntnis nehmen, sich mit ihr befassen will. Seine Willensfreiheit muß also bereits hinsichtlich dieser Vorfrage geschützt werden. 253 Zwingt also eine bestimmte Werbemaßnahme die Verbraucher, von ihr Kenntnis zu nehmen, sich mit ihr zu befassen, so nimmt sie ihnen die Möglichkeit, hinsichtlich dieser Frage ihren Willen frei zu bilden. Das Aufzwingen einer Werbung stellt also ebenso wie die mangelnde Erkennbarkeit der werblichen Beeinflussung eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit der Verbraucher dar. Oft wird eine mangelnde Erkennbarkeit des Werbecharakters einer BotBaumbach-Hefennehl, Einleitung, Rz. 98. m Ähnlich Götzfried, NJW 1963, 1961 ff., 1963.

252

68

I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

schaft und ein Aufzwingen dieser Werbung sogar zusammenfallen: Im Fall der "getarnten" Werbebriefe beispielsweise wird der Verbraucher rein faktisch dazu gezwungen, vom Inhalt des Briefes Kenntnis zu nehmen, bevor er dessen werblichen Charakter erfassen kann. 254 Gleiches gilt für das Ansprechen auf der Straße zu Werbezwecken, der Telefonwerbung und ähnlichen Werbernethoden: In all diesen Fällen ist der Umworbene gezwungen, sich mit der Botschaft zunächst einmal zu befassen, will er nicht z.B. einen wichtigen Anruf verpassen; erst wenn er sich der Botschaft einige Zeit ausgesetzt hat, ist für ihn der Werbecharakter erkennbar. Zu den Abgrenzungskriterien, daß die betreffende werbliche Beeinflussung für den Verbraucher erkennbar und die erkennbare Beeinflussung beherrschbar sein muß, ist also noch hinzuzufügen, daß die Verbraucher nicht gezwungen werden dürfen, von der Werbung Kenntnis zu nehmen. Im Rahmen der kognitiven Beherrschbarkeit ist außerdem noch folgendes zu berücksichtigen: Daß die werbliche Beeinflussung an sich für den Umworbenen erkennbar sein muß, hat seinen Sinn darin, daß der Umworbene die Bedeutung der werblichen Beeinflussung in seinem Motivationsgefüge abschätzen und den ihr zukommenden Stellenwert in seinem Willensbildungsprozeß zuordnen kann. 255 Ist nun aber der Inhalt einer solchen werblichen Beeinflussung irreführend, so ist die werbliche Beeinflussung als solche für den Umworbenen zwar erkennbar; durch den irreführenden Inhalt der Werbung jedoch wird der Verbraucher getäuscht. Es ist ihm in diesem Fall daher nicht möglich, das tatsächliche Ausmaß, die tatsächliche Auswirkung der Beeinflussung auf seinen Motivationsprozeß richtig einzuschätzen, und schon gar nicht, dieser Beeinflussung den ihr zukommenden Stellenwert in seiner Entscheidungsfindung zuzuweisen, sie also beispielsweise völlig zu ignonieren. Geht nämlich der Verbraucher von einer durch die Werbung gegebenen, objektiv unzutreffenden Entscheidungsgrundlage bei seinem Willensbildungsprozeß aus, so nimmt eben diese werbliche Beeinflussung aufgrund ihrer Täuschung dem Verbraucher von vorneherein die Möglichkeit, seinen Willen insoweit frei zu bilden. Das Abgrenzungskriterium der kognitiven Beherrschbarkeit erfordert aus seinem Sinn und Zweck also nicht nur, daß die werbliche Beeinflussung als solche für den Verbraucher erkennbar sein muß, sondern auch, daß diese werbliche Beeinflussung nicht irreführend ist.

Ausrubrlich vgl. dazu unten, Teil II vor allem 2. Kapitel "Briefkastenwerbung". m V gl. oben, Abschnitt VII, 1.

2S4

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur

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3. Zusammenfassung Zusammenfassend ist also festzuhalten, daß als einheitliches Beurteilungskriterium fiir die Zulässigkeit von Werbung gegenüber den Verbrauchern der Gesichtspunkt der abstrakten Beherrschbarkeit entscheidend ist. Ist also fiir den Verbraucher eine werbliche Beeinflussung nicht erkennbar (kognitive Kontrolle) oder bei Erkennbarkeit voluntativ nicht mehr beherrschbar (voluntative Kontrolle), so wird durch diese Werbung die Willensfreiheit des Verbrauchers beeinträchtigt und die betreffende Werbung ist daher als unzulässig zu qualifizieren. Im Rahmen der kognitiven Kontrolle ist außerdem zu berücksichtigen, daß der Verbraucher nicht gezwungen werden darf, von der Werbung Kenntnis zu nehmen und daß die erkennbare Werbung nicht irreführend sein darf. Nicht erfaßt von dem Kriterium wird aber eine Werbung, die aufgrund ihrer Preisoder Qualitätsangaben für den Verbraucher nicht mehr voluntativ beherrschbar ist. Als Beurteilungsmaßstab fiir die Feststellung dieser Kriterien ist der flüchtige, unkritische Durchschnittsverbraucher zugrunde zu legen. Als Bezugsgröße für die erforderliche abstrakte Beurteilung ist ein nicht völlig unbeachtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise, in der Regel ca. 10-15 % der angesprochenen Verbraucher maßgeblich. 4. WiIlensbildungsprozeß des Verbrauchers Die freie Willensentschließung des Verbrauchers kann durch eine Werbung in verschiedenen Bereichen und naturgemäß auf sehr unterschiedliche Art mit einer nahezu unüberschaubaren Anzahl von Methoden beeinträchtigt werden. (Auf die unterschiedlichen Methoden und Wirkungsweisen der verschiedenen Werbestrategien wird im 11. Teil der Untersuchung einzugehen sein.) In dem vorliegenden Zusammenhang ist festzuhalten, daß es aus der Sicht des Verbrauchers drei Stadien seines Willensbildungsprozesses gibt, in denen die Werbung seine Willensfreiheit beeinträchtigen kann. Das erste Stadium im Prozeß der Entscheidungsfindung ist hierbei der Kontakt mit der Werbebotschaft. 256 In diesem Stadium kann die freie Willensentschließung des Verbrauchers hinsichtlich seiner Kenntnisnahme von der betreffenden Werbung dadurch beeinträchtigt werden, daß er gezwungen wird, sich mit dieser Werbung zu befassen, daß ihm also diese Werbung aufgezwungen wird. 257

2>6

257

Le1unann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 55. Vgl. oben und ausfi1hrlich in Teil II der Untersuchung.

70

I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässiglceit von Werbung

Ein weiteres Stadium ist die Manifestation der Kaufentscheidung und ihre Durchfuhrung. 258 Als diesem Stadium noch vorgelagerter Bereich wird dabei allerdings unter Zugrundelegung des idealtypischen Modells des "homo oeconomicus" - die Suche nach einer Mittel-Zweck-Relation und die Bewertung unterschiedlicher Angebotsalternativen angesehen. 259 Abgesehen jedoch davon, daß (wie oben im 2. Kapitel "Verbraucher" dargelegt) der "homo oeconomicus" kein der Wirklichkeit entsprechendes Bild des Verbrauchers darstellt, ist auch in der Realität keinesfalls bei allen Kaufentscheidungen (oder sonstigen Entscheidungen hinsichtlich des konkreten Vertragsabschlusses), sondern regelmäßig nur bei der extensiven Entscheidung eine solche rationale Abwägung und Bewertung verschiedener Angebotsalternativen gegeben. 260 Zudem hat dieser Bereich im Hinblick auf die mögliche Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers keine eigenständige Bedeutung gegenüber der eigentlichen Kaufentscheidung, sondern muß vielmehr als deren Bestandteil gesehen werden. Demgegenüber muß jedoch zwischen dem Kontakt mit der Werbung und der eigentlichen Kaufentscheidung noch ein weiteres Zwischenstadium beachtet werden: Für den Verbraucher stellt es eine noch vor der konkreten Kaufentscheidung zu beantwortende Frage dar, ob er generell Güter dieser Art benötigt, ob er also insoweit ein (möglicherweise durch die Werbung erst geschaffenes) generelles Konsumbedürfnis befriedigen will. Es stellt sich also für den Verbraucher zunächst die Frage, ob er überhaupt eines der in der betreffenden Werbung angepriesenen Güter anschaffen möchte (z.B.: "Will ich überhaupt ein neues Auto kaufen?"), und erst bei Bejahung dieser Frage ist eine konkrete Kaufentscheidung zu treffen, deren Kernelemente Ware, Preis und Vertragspartner sind (z.B.: "Will ich einen Polo Fox bei dem Autohaus M. für 17.300 DM kaufen?"). Zwar ist nicht zu leugnen, daß beide Entscheidungen im Rahmen eines mehr oder weniger einheitlichen - Willensbildungsprozesses getroffen werden müssen. Für die Frage der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung jedoch ist diese Differenzierung notwendig, da es, wie noch ausführlich zu zeigen sein wird (im Teil 11 der Untersuchung), sowohl Fälle gibt, in denen die freie Willensbildung hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung beeinträchtigt wird, nicht aber hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses, als auch Fälle, in der die freie Willensbildung zwar hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses, nicht aber hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung beeinträchtigt wird. Die freie Willensentschließung im Stadium der Entscheidung über ein generelles Konsumbedürfnis kann also durch die werbliche Bem Lelunann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 55. m Lelunann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 55. 260 V gl. oben, 1. Kapitel "Werbung", Abschnitt V.

4. Kapitel: Die "freie Willensentschließung" des Verbrauchers in der Literatur

71

einflussung dahingehend beeinträchtigt werden, daß sich der Verbraucher für die generelle Anschaffimg eines solcherart beworbenen Gutes entscheidet. Die freie Willensentschließung im Stadium der konkreten Kaufentscheidung kann durch die Werbung hinsichtlich der Fakioren konkrete Ware, konkreter Preis und konkreter Vertragspartner beeinträchtigt werden. Bei der Untersuchung der abstrakten Beherrschbarkeit der betreffenden werblichen Beeinflussung durch den Verbraucher ist daher die Differenzierung des der Verbraucherentscheidung vorausgehenden Prozesses der Willensbildung und Entscheidungsfindung in die dargestellten drei Stadien zu berücksichtigen. Dies erleichtert die exakie Feststellung und Beschreibung der konkret erfolgten Willensbeeinträchtigung und damit auch die Rechtsanwendung in diesem Bereich erheblich. Eine Differenzierung zwischen der Willensbildung einerseits und der Willensentschließung andererseits ist hingegen - zu der hier vorgenommenen detaillierten theoretischen Aufgliederung des Prozesses der Entscheidungsfindung des Verbrauchers - weder dogmatisch nötig noch tatsächlich möglich. Eine solche Differenzierung wird vorgeschlagen von BüloW261 : Kennzeichnend sei dabei, daß die Beeinflussung (hier also konsequenterweise: die Beeinträchtigung) der Willensentschließung des Verbrauchers zu einem Kauf gegen seinen Willen führe 262 , die Beeinflussung (hier konsequenterweise: die Beeinträchtigung) der Willensbildung des Verbrauchers hingegen zu einem dem Willen entsprechenden Kaufentschluß. 263 Eine solche Differenzierung in eine Beeinträchtigung der Willensbildung des Verbrauchers, die zu einer Entscheidung entsprechend dem Willen führt und zu einer Beeinträchtigung der Willensentschließung, die zu einer Entscheidung gegen den Willen führt, kann jedoch bereits tatsächlich nicht vorgenommen werden: Die Entscheidungsfindung des Verbrauchers ist, wie oben ausführlich dargelegt, ein sehr komplexer und zudem nie statischer, sondern immer dynamischer Prozeß. In diesem komplexen, dynamischen Prozeß kann faktisch nicht differenziert werden zwischen einem Zeitpunkt, in dem bereits ein konkreter, nach den Merkmalen der konkreten Ware, des konkreten Preises und des konkreten Vertragspartners exakt bestimmter Kaufwille vorhanden ist (bzw. das Gegenteil hiervon, nämlich der konkrete Nichtkauf-Wille), der nun aber seinerseits durch Beeinträchtigung des Verbraucherwillens "beiseite geschoben" wird und demgegenüber der Beeinträchtigung des Verbraucherwillens eine "juristisch-logische Sekunde" vor dieser endgültigen Manifestation des Kauf- bzw. des Nichtkauf-Willens. Vielmehr ist der Prozeß der Entscheidungsfindung ein einheitlicher, nicht weiter aufspaltbarer, der vom Stadium 261 262 263

GRUR 1974,254 ff., 266. Bülow, GRUR 1974,254. Bülow, GRUR 1974,254 ff., 266.

72

I. Teil: Generelle Kriterien der Unzulässigkeit von Werbung

des ersten Kontakts mit der Werbebotschaft bis hin zur konkreten Vertragsabschlußentscheidung sich in natürlichen, fließenden Übergängen vollzieht. Zudem ist zu berücksichtigen, daß es nicht nur fiir den Verbraucher faktisch einerlei ist, in welcher Weise die Werbung nun seinen Willen beeinträchtigt, sondern dies auch fiir die dogmatische Untersuchung gleichgültig ist: Angriffsobjekt ist nämlich in jedem Fall die Willensfreiheit des Verbrauchers, Angriffsmittel in jedem Fall die Werbung. Die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung muß sich also in jedem Fall nach dem Gesichtspunkt der Beherrschbarkeit dieser werblichen Beeinflussung durch den Verbraucher richten. Eine dogmatische Differenzierung zwischen einem Zeitpunkt, in dem bereits ein konkreter Verbraucherwille vorhanden ist, der nun durch Beeinträchtigung des Verbraucherwillens "beiseite geschoben" wird und einem Zeitpunkt, in dem ein solcher konkreter Verbraucherwille noch nicht vorhanden ist und erst durch Beeinträchtigung des Willens in eine solche konkrete Form "gegossen" wird, ist daher nicht nur faktisch nicht möglich, sondern auch dogmatisch völlig unnötig. Es wird daher in der vorliegenden Untersuchung von einem einheitlichen Prozeß der Entscheidungsfindung des Verbrauchers in der oben beschriebenen Weise ausgegangen. Bei der Benennung dieses Entscheidungfindungsprozesses wird dabei zwischen den Begriffen der freien Willensbildung und der freien Willensentschließung des Verbrauchers - entgegen der dargestellten Ansicht von Bülow - nicht differenziert; diese werden synonym verwandt.

//. Teil Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht 1. Kapitel: Die Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG

Um eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers durch eine Werbemaßnahme nach dem UWG rechtlich verfolgen zu können, muß einer der Tatbestände der §§ Iff. UWG erfüllt sein; insbesondere kommt hier - allein oder neben einem Sondertatbestand - die Generalklausel des § 1 UWG in Betracht. Für den Tatbestand der Generalklausel muß daher das oben entwickelte generelle Abgrenzungskriterium der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers funktionsgerecht fruchtbar gemacht werden. Hierfür kommt das Tatbestandsmerkma1 der "guten Sitten" in Betracht. Es fragt sich daher, ob die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers als "gegen die guten Sitten" verstoßend zu qualifizieren ist. I. Sittlich-ethische Interpretation

Die "guten Sitten" des § 1 UWG werden schon seit jeher - ebenso wie der Begriff der "guten Sitten" in § 138 BGB und § 826 BGB - sittlich-ethisch interpretiert; Grundlage der Beurteilung ist das sittliche Bewußtsein, die sittlichen Anschauungen der als maßgeblich angesehenen Bevölkerungskreise. Dies wird von der Rechtsprechung durch die vertraute Formel vom "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" ausgedrückt. l Speziell im Rahmen des Wettbewerbsrechts verwendet die Rechtsprechung diese Formel eingeschränkt auf das "Anstandsgefühl des verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden"2 . Zudem fließen - sofern Interessen und Belange der Allgemeinheit durch die fragliche Wettbewerbshandlung betroffen sind - auch die "Anschauungen der Allgemeinheit" in die Beurteilung nach § 1 UWG mit ein und geben bisweilen

BGHZ 10, 228 ff., 232 ff.; 17, 327ff., 332;22, 167ff., 18t. BGHZ 15,356 ff., 365; 23,184 ff., 186; 54,188 ff., 190; 56, 18 ff., 19; 59,317 ff., 319; BGH GRUR 1955,541 ff., 542. 1

2

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

sogar den Ausschlag, auch entgegen dem "Anstandsgefiihl des verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden"3 . In der Literatur wurde dieses sittlich-ethische Verständnis der Rechtsprechung von der Sittenwidrigkeit bis etwa in die 60er Jahre im wesentlichen akzeptiert; die herrschende Meinung in der Literatur faßte die "guten Sitten" ebenso wie die Rechtsprechung als ethisch fundiert auf und griff zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit ebenfalls auf die genannten Formeln von "Anstandsgefiihl des verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden" zurück4 • Nach dieser sittlich-ethischen Auffassung des § I UWG stellt die Beeinträchtigung der freien Entschließung des Verbrauchers einen ganz zentralen Gesichtspunkt für die Beurteilung einer Wettbewerbshandlung als sittenwidrig dar: Wird festgestellt, daß etwa eine bestimmte Werbemaßnahme die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt, so wird die besagte Wettbewerbshandlung als sittenwidrig bewertet5 ; die Bewertung selbst erfolgt, wie bereits in der Einleitung dargestellt, im Rahmen einer ausdifferenzierten Kasuistik, die für die Sittenwidrigkeit einer Wettbewerbshandlung zahlreiche Fallgruppen bereithält, anhand derer etwa eine konkrete Werbemaßnahme eingeordnet werden kann und so die Feststellungen zur Frage der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers und damit der Sittenwidrigkeit erleichtert werden. Nach dieser sittlich-ethischen Auffassung der Generalklausel des UWG ist also eine Werbung immer dann als sittenwidrig zu bewerten, wenn diese konkrete Werbemaßnahme die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt (und zusätzlich natürlich insoweit die nötigen subjektiven Voraussetzungen beim Werbenden vorliegen). ll. Funktionale Auffassung In den 70er und 80er Jahren setzte sich nun aber gegenüber dem dargestellten sittlich-ethischen Verständnis der Generalklausel immer mehr eine funktionale Auffassung des Begriffs der "guten Sitten" im Sinne des § 1 UWG durch, die sich mittlerweile zur heute herrschenden Meinung6 entwickelt hat. BGH GRUR 1955, 541 ff., 542; BGHZ 54,188 ff., 190; 56, 18 ff., 19; 59, 317 ff., 319. Vg1. dazu die ausfilhrliche Darstellung von Meyer-Cording, JZ 1964, 273 ff., sowie die gJ1lndlegende Untersuchung von Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenver8toß, 1970, S. 190 ff.; jeweils m.w.N. S Vgl. die Nachweise in Teil I, Kap. 3, Fn. 123-144. 6 Menke, GRUR 1991, 661 ff., 662 f; Baudenbacher, ZHR 144 (1980), 145 ff.; ders., GRUR 1981,19 ff.; Burmann, WRP 1972, 511 ff.; Lehmann, FS f E. Ulmer, 1973,321 ff., 327; ders., GRUR 1977,580 ff., 586 ff.; 633 ff., 640; Schluep, GRUR Int. 1973,446 ff., 447, 451 f; ders., FS Kummer, 1980,487 ff., 488 f, 496 ff., 517 ff.; L. Raiser, GRUR Int. 1973,443 ff., 445 f; Loewenheim, GRUR 3

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1. Kapitel: Die Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG

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Die Ansicht begreift die Generalklausel von ihrem Sinn und Zweck, von ihrer Funktion her; die "guten Sitten" sind danach immer wettbewerbsbezogen zu verstehen. Die Maßstäbe für die "guten Sitten" im Sinne des § I UWG werden aus den Funktionsbedingungen der Wettbewerbsordnung entnommen. Der Wettbewerb und seine Funktionsvoraussetzungen sind also die Bezugspunkte für die Bewertung der Sittenwidrigkeit der Wettbewerbshandlung. 7 Dabei gibt es im Ralunen der funktionalen Auffassung zahlreiche unterschiedliche Ausprägungen des funktionalen Konzeptes. Die strengste, ausschließlich funktional bestimmte Auffassung wurde von Baudenbacher8 entwickelt; er geht davon aus, daß eine Wettbewerbshandlung dann als unlauter im Sinne des § I UWG zu gelten hat, "wenn sie geeignet ist, den Wettbewerb überhaupt (in seinem Bestand) zu gefährden oder die Realisierung seiner Funktionen zu vereiteln,,9. Andere Autoren kombinieren in zahlreichen unterschiedlichen Konstruktionen die funktionale Sichtweise der Generalklausel mit der sittlich-ethischen Auslegung: So wird etwa den Funktionsbedingungen des Wettbewerbs eine sozialethische Natur beigemessenlO und damit die funktionale Auffassung gänzlich in das ethisch fundierte Verständnis der Generalklausel eingebettet. Nach einer anderen Konzeption dient die funktionale Auslegung quasi als "Korrektiv" für die "Ansichten des verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden und der Allgemeinheit", welches im Zweifel ausschlaggebend ist.!! Auch wird die funktionale Auslegung mit mehreren anderen Kriterien, beispielsweise mit den Grundrechten kombiniert.!2 Auch bei der Rechtsprechung gewinnt die funktionale Auffassung immer mehr an Boden: In zahlreichen Urteilen gründet der BGH seine Bewertung einer Wettbewerbshandlung als sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG darauf, daß der Bestand des Wettbewerbs durch das streitige Verhalten gefährdet sei 1975, 99 ff., 103; Vogt, NJW 1976, 729 ff.; P. UImer, GRUR 1977, 565 ff., 577 f.; Hirtz, GRUR 1980,93 ff., 94 f.; Sack, GRUR 1975,297 ff., 301 ff.; ders., WRP 1974,247 ff., 251; ders., WRP 1985, 1 ff., 2 f., 6; ders., GRUR 1970,493 ff., 500; Hefennehl, GRUR Int. 1983, 507 ff., 508 ff.; Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970,233 ff.; ders., ZHR 139 (1975), 208 ff., 213, 218; Mettang, Die kritische werbliche Bezugnahme auf fremde Waren und Leistungen, 1989,81 ff.; Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, 1971,91; Baumbach-Heferrnehl, Eint. UWG, Rz. 69,73 ff., 109; v. Ganun, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. I, 1. Hlbd., Kap. 18, Rz. 2; Gloy-Kreft, § 13, Rz. 6; Ernrnerich, S. 49 ff.; aA Kraft, FS Bartholomeyczik, 1973, 223 ff., 228; ders., GRUR 1980,966 ff.; Hönn, FS Otto Mühl, 1981,309 ff., 314 ff.; offensichtlich auch Meier, BB 1977, 720 ff., 721. 7 Vgl. hierzu die ausfllhrliche Darstellung von Baudenbacher, ZHR 144 (1980), 145 ff. 8 ZHR 144 (1980), 145 ff. 9

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Baudenbacher, ZHR 144 (1980), 145 ff., 154; ebenso ders., GRUR 1981, 19 ff., 22. Sack, WRP 1974,247 ff., 248. v.Ganun, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. 1, 1. Hlbd., Kap. 18, Rz. 2. Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970, 210 ff.

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H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

und damit eine gemeinschaftschädigende Störung des Wettbewerbs vorliege. 13 Der BGH kombiniert dabei in seiner Argumentation die eingangs beschriebene sittlich-ethische Anschauung mit den dargestellten funktionalen Gesichtspunkten. 14 Nach der aufgezeigten funktionalen Auffassung von dem Begriff der "guten Sitten" im Sinne des § I UWG stellt die Beeinträchtigung der freien Entschließung des Verbrauchers gleichfalls ein ganz zentrales Kriterium für die Sittenwidrigkeit einer Wettbewerbshandlung dar: Auszugehen ist davon, daß eine Wettbewerbshandlung dann unlauter ist, "wenn sie geeignet ist, den Wettbewerb überhaupt (in seinem Bestand) zu gefährden oder die Realisierung seiner Funktionen zu vereiteln,,15. Hier sind also notwendigerweise die Wirkungen der streitigen Wettbewerbshandlung auf das Wettbewerbsgeschehen, den Marktmechanismus zu untersuchen. Wird nun die freie Willensentschließung des Verbrauchers durch eine Werbemaßnahme beeinträchtigt, so entfällt eine der zentralen Funktionsvoraussetzungen des Wettbewerbs: Wie oben bereits ausführlich dargestellt, kann die von der Wettbewerbsordnung dem Verbraucher zugewiesene "Schiedsrichterfunktion" nur dann von ihm erfüllt werden, wenn er dabei seine Konsumentscheidung frei treffen kann, wenn er also in seiner freien Willensentschließung nicht beeinträchtigt wird. 16 Entfällt jedoch mit der freien Willensentschließung des Verbrauchers die Möglichkeit, seine "Schiedsrichterfunktion" im Wettbewerb zu erfüllen, so entfällt eine der wesentlichen Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerbsmechanismus17 : Weder die Entscheidung über den Absatzerfolg der Anbieter noch gar die Steuerung der zukünftigen Produktion kann jetzt noch vom Verbraucher geleistet werden. 18 Der Wettbewerbsmechanismus ist also in diesen Fällen wegen Fehlens einer seiner zentralen Funktionsvoraussetzungen gestört oder - in krassen Fällen - sogar ganz aufgehoben. Da also die freie Willensentschließung des Verbrauchers für die Funktionsfälrigkeit des Wettbewerbs unerläßliche Voraussetzung ist, stellt ihre Beeinträchtigung nach funktionalem Verständnis der Generalklausel eine im Sinne des § I UWG sittenwidrige Wettbewerbshandlung dar. 19

13 BGHZ 51, 236 ff., 240; 23, 365 ff., 371; 81, 291 ff., 293; 43, 278 ff., 283 f; BGH GRUR 1971, 477 ff., 478; 1977,668 ff., 669; 1977,608 ff., 611; 1969,295 ff., 296; 1957,363 ff., 364. 14 Vgl. beispielsweise das Argumentationsmuster von BGHZ 23, 365 ff., 371. 15 Zur Definition vgl. Baudenbacher, ZHR 144 (1980),145 ff., 154; ders., GRUR 1981, 19 ff., 22. 16 Vgl. Teil 1,2. Kapitel: "Verbraucher", Abschnitt H. 17 Vgl. oben, Teil 1,2. Kapitel: "Verbraucher", Abschnitt 11.; vgl. auch Lehmann, Mitarbeiter-FS f E. Ulmer, 1971, 321 ff., 329; Loewenheirn, GRUR 1975, 99 ff., 104 f; Ulmer, GRUR 1977, 565 ff., 568; Schluep, GRUR Int. 1973, 446ff., 452. 18 Vgl. oben, Teil I, 2. Kapitel "Verbraucher", Abschnitt 11.

1. Kapitel: Die Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG

77

m. Kritik 1. Probleme bei der sittlich-ethischen Interpretation Gegen beide Auffassungen - sowohl die sittlich-ethische als auch die funktionale - ist jedoch beachtliche Kritik vorgebracht worden. Ein erhebliches Problem stellt bei der Konkretisierung der Generalklausel durch das sittlichethisch fundierte Verständnis zunächst die äußerste Kompliziertheit des modemen Wirtschaftslebens dar: Das "Anstandsgefiihl aller billig und gerecht Denkenden", mit der Rechtsprechung verstanden als das "Anstandsgefiihl des verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden" und die "Anschauungen der Allgemeinheit", setzt ja naturgemäß voraus, daß in den maßgeblichen Bevölkerungskreisen überhaupt ein Verständnis von dem jeweiligen wirtschaftlichen Lebenssachverhalt besteht. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die ökonomischen Verhältnisse heute unvergleichlich viel komplizierter sind als zur Entstehungszeit des UWG um die Jahrhundertwende. 20 Die Komplexität wirtschaftlicher Beziehungen in einer hochentwickelten Industriegesellschaft führt zu solch diffizilen Konflikten, daß bereits ein Verständnis des dem Konflikt zugrundeliegenden Wirtschaftssachverhaltes in der nicht ökonomisch geschulten Bevölkerung überhaupt nicht mehr vorhanden ist, geschweige denn eine Vorstellung von den konfligierenden ökonomischen Interessen der Kontrahenten. 21 Selbst bei dem "verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden" wird - sofern er nicht selbst der betreffenden Branche angehört - die Erfassung des ökonomischen Sachverhalts und die Feststellung der widerstreitenden Interessen auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, daß die Bewertung einer Wettbewerbshandlung als sittenwidrig nach den Anschauungen der maßgeblichen Bevölkerungskreise bereits mangels einer Vorstellung von dem betreffenden wirtschaftlichen Lebenssachverhalt auf massive Schwierigkeiten stößt. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die Formel vom "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" setzt voraus, daß es eine einheitliche Auffassung davon gibt, was als billig und gerecht, also als ethisch akzeptabel, negativ ausgedrückt: als nicht sittenwidrig zu werten ist. Jedoch existiert in unserer pluralistischen Massengesellschaft kein verbindlicher Maßstab mehr über Fragen des ethisch Gebotenen oder ethisch Verwerflichen; wenn heute selbst in ganz grundlegenden Fragen keine einheitliche Ansicht mehr darüber besteht, 19 Vgl. Loewenheim, GRUR 1975, 99 ff., 104 f.; Lehmann, Mitarbeiter-FS f. E. Ulmer, 1973, 321 fl,)29; Heferrnehl, GRUR Int. 1983,507 ff., 510; BaumbachcHeferrnehl, Einl. UWG, Rz. 114 f. 20 Vgl. Schricker, ZHR 139 (1975), 208 ff., 218; Vogt, NJW 1976,729. 21 Vgl. Lehmann, Mitarbeiter-FS f. E. Ulmer, 1973,321 ff., 326; Vogt, NJW 1976,729.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

wo die Grenzen der Sittenwidrigkeit verlaufen, wird sich eine solche Übereinstimmung wohl erst recht nicht für die diffizilen Probleme wettbewerbsrechtlicher Sachverhalte finden lassen. 22 Die sittlich-ethisch fundierte Auffassung der Generalklausel gelangt also letztlich nur in einfach gelagerten, krassen Fällen von sittenwidrigem Wettbewerbsverhalten zu eindeutigen Ergebnissen; derartige Fälle - wie etwa Betrugsoder Bestechungssachverhalte - sind jedoch entweder sowieso bereits durch Sondertatbestände geregelt, oder aber das Ergebnis liegt hier bei Anwendung der Generalklausel auf der Hand. 23 Die eigentlich problematischen Fälle diffiziler Wettbewerbssachverhalte aber lassen sich nicht mittels einer Bewertung nach dem "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" bzw. dem "Anstandsgefühl des verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden" und den "Anschauungen der Allgemeinheit" lösen. Letztlich entscheidet in den wirklich problematischen Fällen das Anstandsgefühl der Richter über die Grenzen der Sittenwidrigkeit, so daß die von der Rechtsprechung gebrauchte Formel vom "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" die tatsächlich vorgenommene Eigenwertung des Richters nur verdeckt. 24 Die eigentlichen Gründe für die Bewertung der streitigen Wettbewerbshandlung als sittenwidrig werden daher in der betreffenden Entscheidung auch nicht offengelegt; für eine nachvollziehbare Entscheidungsfindung und damit eine höhere Rechtssicherheit ist aber eine rationale Rechtsanwendung und eine Offenlegung der Entscheidungsgründe erforderlich. 25 Eine solche nachvollziehbare, weil rationale Entscheidungsfindung ermöglicht die Konkretisierung der Generalklausel durch die funktionale Auffassung. Hierbei wird der Richter gezwungen, seine Entscheidungsgründe nachvollziehbar offenzulegen: Um nämlich eine Bestandsgefährdung oder zumindest eine Funktionsstörung des Wettbewerbs durch die streitige Wettbewerbshandlung und damit deren Sittenwidrigkeit zu begründen, muß er die Folgen der Wettbewerbshandlung für den Marktmechanismus exakt darlegen. Eine Zuflucht zu dem nebulösen "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" ist dabei weder möglich noch erforderlich.

22

Vgl. Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970,217; ders., ZHR 139 (1975), 208

ff., 216 ff.; Hefermehl, GRUR Int. 1983, 507 ff., 508; Baumbach-Hefermehl, Ein!. UWG, Rz. 71; Böttner, WRP 1989,433. 23 Schricker, Gesetzesverletzungund Sittenverstoß, 1970,217. 24 2S

Vogt, NJW 1976,729 ff., 730; Sack, NJW 1985,761 ff., 764; Emmerich, S. 47. Vgl. Vogt, NJW 1976,729 ff., 731; Emmerich, S. 47; Menke, GRUR 1991,661 ff., 663.

I. Kapitel: Die Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG

79

2. Probleme bei der funktionalen Auffassung

Trotz der oben geschilderten Vorzüge des funktionalen Verständnisses gegenüber der sittlich-ethischen Interpretation ist die funktionale Auffassung nicht frei von Kritik. Zum einen wird ihr vorgeworfen, sie beziehe unzulässigerweise wirtschafts- und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte in die Auslegung der Generalklausel ein; das UWG sei wirtschafts- und gesellschaftspolitisch neutral, so daß der Bereich der Rechtsanwendung mit dem der Rechtsetzung im Rahmen des § 1 UWG von der funktionalen Auffassung unzulässig vennengt werde. 26 Außerdem würden bei der funktionalen Auslegung der Generalklausel Wertentscheidungen des GWB mit denen des UWG vermischt; das UWG schütze nämlich nur die Qualität, das GWB hingegen die Quantität des Wettbewerbs. 27 Zum anderen wird gegen das funktionale Verständnis des § I UWG eingewandt, daß diese Auffassung unter unklaren Bezugskriterien leide; da der Wettbewerb selbst sich einer präzisen Darstellung entziehe, seien die Schlüsse, die aus den Funktionen des Wettbewerbs gezogen werden könnten, fiir die Bewertung der Wettbewerbshandlung nicht eindeutig. 28 Gegenüber dem Vorwurf der unzulässigen Einbeziehung wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Gesichtspunkte und dem eng hiermit zusammenhängenden Kritikpunkt der Vennengung von Wertentscheidungen des GWB mit denen des UWG ist zunächst folgendes festzuhalten: Das gesamte UWG setzt, was auch explizit in der Generalklausel zum Ausdruck kommt, die Existenz von Wettbewerb voraus. Die Bezugnahme auf diesen Wettbewerb und die Ausrichtung der Generalklausei auf die positiven Ergebnisse, die durch die Wettbewerbsordnung entstehen, ist daher ein dem Wettbewerbsrecht immanenter Gesichtspunkt. 29 Von einer unzulässigen Einbeziehung wirtschafts- und geseIlschaftspolitischer Gesichtspunkte kann daher nicht die Rede sein, wenn der Bestand eben dieses Wettbewerbs und die Sicherung seiner Funktionen Bezugspunkte bei der Interpretation der Generalklausel sind. Das hierfür maßgebliche Referenzsystem des freien und fairen Wettbewerbs hat seine rechtliche Fonn insbesondere durch das GWB erhalten; bei der Auslegung der Generalklausel muß daher die im GWB zum Ausdruck gelangte Wertung des Ge" setzgebers Berücksichtigung finden. 30

28

Kraft, FS B;utholomeyczik, 1973,223 ff., 234 Ir. Kraft, GRUR 1980,966 ff.; ders., FS Bartholomeyczik, 1973,223 ff., 237." HölUl, FS Mühl, 1981,309 ff., 318 ff.

29

Baudenbacher, ZHR 144 (1980),145 ff., 152 ff.; Bunnann, WRP 1972,511 ff., 513; Emmerich,

26

27

S. 58; Baumbach-Hefennehl, Ein!. UWG, Rz. 73, Allg., Rz. 88. 30 Emmerich, S. 62; Ulmer, GRUR 1977, 565 ff., 578; L. Raiser, GRUR Int. 1973,443 ff., 445; Sack, GRUR 1970,493 ff., 500; ders., WRP 1985, 1 ff., 6.

80

11. Tei[: Die Unzu[ässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Hierbei ist davon auszugehen, daß UWG und GWB in einer Interdependenz zueinander stehen3) : GWB und UWG sind Teile einer wettbewerbsrechtlichen Gesamtordnung, deren gemeinsames Schutzgut der Wettbewerb ise 2 ; unterschiedlich sind lediglich die Regelungsbereiche und das Regelungsinstrumentarium beider Gesetze. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß der Lauterkeitsschutz, der vom UWG gewährt wird, unabhängig vom Freiheitsschutz des GWB sich vollziehe oder sogar einen Gegensatz zu diesem bilde: Der Bestand des Wettbewerbs und seine Funktionen können nämlich nicht nur durch ein "Zuwenig", sondern auch durch ein "Zuviel" an Wettbewerb gefährdet werden. 33 Freiheits- und Lauterkeitsschutz im Wettbewerbsrecht gehen daher Hand in Hand, sind keine Gegensätze, sondern sich ergänzende Postulate einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung. 34 Gegenüber dem Vorwurf unklarer Bezugskriterien der funktionalen Auffassung ist zwar zuzugeben, daß in der Wettbewerbstheorie gegensätzliche, zum Teil heftig umstrittene Ansichten über die Funktionsbedingungen und Voraussetzungen des Wettbewerbssystems bestehen; man denke nur an die lebhaft diskutierte Streitfrage hinsichtlich des statischen oder des dynamischen Marktmodells. 35 Jedoch darf nicht verkannt werden, daß das Referenzsystem des funktionsfähigen Wettbewerbs nicht nur eine scharfe Herausarbeitung und Konkretisierung der ökonomischen, wettbewerbsrechtlich zu beurteilenden Probleme ermöglicht; vielmehr erlaubt es durch die Einbettung dieser Probleme in den ökonomischen Sachzusammenhang eine rationale, weil an Sachgesichtspunkten orientierte Problemlösung. 36 Zwar ergibt sich hieraus für den Juristen die Notwendigkeit einer Konsultation der Wirtschaftswissenschaften; dies jedoch ist prinzipiell nichts Besonderes - die Konsultation anderer Wissenschaften, nicht nur der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, ist für den Juristen häufig geboten. Zudem ermöglicht die Theorie des funktionsfähigen Wettbewerbs bereits heute "so viele Aussagen, daß in dem unaufhörlich fortschreitenden und niemals zum Abschluß gelangenden Konkretisierungsprozeß immer häufiger (für den Moment) eindeutige Entscheidungen möglich werden,,3? .

31

Emmerich, S. 64.

Baumbach-HefeffilehI, A[[g., Rz. 88; Hefeffileh[, GRUR Int. 1983, 507 ff., 509; P. Ulmer, GRUR 1977, 565 ff., 578 (; Baudenbacher, ZHR 144 (1980), 145 ff., 169; Lehmann, GRUR 1977, 580 ff., 586; Sack, GRUR 1975,297 ff., 301; Hirtz, GRUR 1980,93 ff., 94; L. Raiser, GRUR Int. [973, 443 ff., 445. 33 Sack, GRUR 1975,297 ff., 301. 34 Baumbach-HefeffilehI, A[[g., Rz. 86. H Vgl. Tei[ I, 1. Kapitel: "Werbung" und 2. Kapite[: "Verbraucher". 36 Menke, GRUR [991,661 ff., 663; Emmerich, S. 61. 37 Emmerich, S. 61. 32

2. Kapitel: Briefkastenwerbung

81

3. Ergebnis Das funktionale Verständnis der Generalklausel ermöglicht daher für die wettbewerbsrechtlichen Problemfälle eine interessengerechte und rationale, weil wettbewerbs- und damit sachbezogene Problemlösung. Es hat zudem den immensen Vorteil, daß Beweisaufnahmen über die "Auffassungen der Allgemeinheit" durch kostenträchtige und aufwendige demoskopische Gutachten und die dadurch entstehenden Probleme38 entfallen, da die "Auffassungen der Allgemeinheit" nicht mehr für die "guten Sitten" im Sinne des § 1 UWG maßgeblich sind. Für die betreffende Wettbewerbshandlung, hier die jeweilige konkrete Werbemaßnahme, ist daher - aus den oben dargelegten Gründen - lediglich die Frage zu klären, ob durch diese Werbung die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt wird. Ist dies der Fall, so ist diese Werbung - sofern die entsprechenden subjektiven Voraussetzungen beim Werbenden vorliegen - gern. § 1 UWG sittenwidrig. In den folgenden Kapiteln soll daher nun für das Wettbewerbsrecht exemplarisch anhand von typischen, allgemein bekannten Erscheinungsformen der Werbung gezeigt werden, daß es für funktionsgerechte Lösungen auf die Anwendung des hier erarbeiteten Kriteriums der freien Willensentschließung des Verbrauchers ankommt. Dabei kann selbstverständlich keine vollständige Überprüfung sämtlicher denkbarer Werbemethoden erwartet werden; dies ist auch gar nicht Sinn und Zweck dieser Untersuchung. Vielmehr soll gezeigt werden, daß die Anwendung des in dieser Untersuchung erarbeiteten Kriteriums der freien Willensentschließung des Verbrauchers nicht nur zu dogmatisch tragfähigen und konsequenten, sondern auch praktisch durchführbaren Ergebnissen gelangt, die zudem funktionsgerechter und daher besser als die bisher von Rechtsprechung und Literatur erarbeiteten sind.

2. Kapitel: Brietkastenwerbung LEinleitung Der Begriff "Briefkastenwerbung" ist ein Sammelbegriff für verschiedene Erscheinungsformen der Werbung. Gemeinsames Merkmal ist bei allen diesen Werbemethoden, daß gedruckte und geschriebene Werbebotschaften dem Umworbenen in dessen Hausbriefkasten eingelegt werden. Bei dem in den Brief38 Vgl. etwa die komplizierte Situation bei dem demoskopischen Gutachten, das der Entscheidung des KG, WRP 1978,373 ff. zugrundelag.

6 Scherer

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wetibewerbsrecht

kasten des Umworbenen eingeworfenen Werbeträgers kann es sich dabei sowohl um individuell gestaltete Werbebriefe als auch an alle Haushalte verteilte Handzettel oder Prospekte, Anzeigenblätter oder Postwurfsendungen handeln. Diese als "Briefkastenwerbung" bezeichneten Erscheinungsformen der Direktwerbung sind in ihren verschiedenen Ausprägungen weiten Kreisen der Verbraucher aus eigener täglicher Anschauung vertraut. Dabei werden nicht nur die positiven Aspekte dieser Direktwerbung, sondern immer häufiger auch die negativen Seiten gesehen39 : Bei steigender Frequenz und Menge des in den Briefkasten eingeworfenen Werbematerials besteht die Gefahr, daß die derartig mit Handzetteln, Prospekten, Anzeigenblättern etc. überfluteten Briefkästen unter chronischer Verstopfung leiden. Das führt nicht nur dazu, daß häufig die eigentliche Postzustellung schwierig wird, sondern der überflutete Briefkasten signalisiert bereits bei der Abwesenheit des Briefkasteninhabers von nur wenigen Tagen auch, daß ein Einbruch in die betreffende Wohnung erfolgversprechend sein wird. 40 Andere Aspekte zeitigt die Direktwerbung mittels individuell gestalteter Werbebriefe: Hier ist zunächst relevant, daß die betreffenden Adressen der Umworbenen zur Kenntnis des werbenden Unternehmens gelangen. Dies geschieht heute meist durch Adressenvermittlung darauf spezialisierter Unternehmen. 41 Die EDV gibt dabei die Möglichkeit, eine intensive Aufschlüsselung der Umworbenen nach Geschlecht, Einkommen, Kaufkraft, Beruf, Wohnort, Alter sowie psychographischen Kriterien wie die Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale, aber auch Merkmale über Kaufverhalten, Kauf- und Interessenobjekte vorzunehmen. 42 Dies ermöglicht dem Werbenden faktisch die - wenn auch datenschutzrechtlich problematische - Herstellung zieladäquathomogener Interessenlisten. 43

n. Rechtsprechung Die Rechtsprechung hatte sich mit dem Komplex der Briefkastenwerbung bereits recht früh zu beschäftigen. Schon zu Beginn der 70er Jahre mußten sich das OLG Nürnberg44 und der BGH45 mit dem Phänomen der Briefkastenwerbung, hier speziell dem Einwurf von Anzeigenblättern und der Zu39 40

41 42 43

44 4S

Vgl. die Verbraucherzeitschrift "test" 5/88, S. 12. Vgl. JahnlGonzalez, WRP 1991, I. Simon, CuR 1986,3 ff., 5; ders., in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht, S. 25 ff., 28. Simon, CuR 1986,3 ff., 5; ders., in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht, S. 25 ff., 28 f. Simon, CuR 1986,3 ff., 6; ders., in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht, S. 25 ff., 29. OLG Nürnberg, AfP 1972,233 f. BGH GRUR 1973, 552 ff.

2. Kapitel: Briefkastenwerbung

83

sendung individuell gestalteter Werbebriefe auseinandersetzen. Auf diese beiden Entscheidungen folgte eine lange Phase der Ruhe, bis dann Mitte der 80er Jahre eine wahre Prozeßflut einsetzte, die ihren Höhepunkt in den Jahren 1990 und 1991 fand. 46 Bei der streitigen Briefkastenwerbung handelte es sich dabei nicht mehr nur um individuell gestaltete Werbebriefe und Anzeigenblätter, sondern auch um Handzettel, Werbeprospekte und Postwurfsendungen, ja sogar um die Beilagenwerbung in der - vom Umworbenen abonnierten - Zeitschrift oder Tageszeitung. 1. Generelle Zulässigkeit

Bei diesem gesamten Komplex der Briefkastenwerbung hat die Rechtsprechung von Anfang an hinsichtlich der generellen Zulässigkeit der verschiedenen Erscheinungsformen der Direktwerbung eine klare Stellung eingenommen: Wegen der Notwendigkeit aktueller Information über das Warenangebot bestehe für die Verbraucher ein grundsätzliches Interesse an der Direktwerbung mittels Handzetteln, Prospekten, Werbebriefen etc.; die werblichen Informationen über das Leistungsangebot allgemein, über Sonderangebote, im Sortiment neu geführte Ware und ähnliches ermögliche den Verbrauchern nämlich leicht Vergleiche zwischen verschiedenen Anbietern und erspare ihnen zeitaufwendiges Suchen nach günstigen Einkaufsquellen, so daß wegen des generellen Interesses der Verbraucher an der Briefkastenwerbung diese grundsätzlich als zulässig anzusehen sei. 47 2. "Getarnte" Werbebriefe

Kritisch stand jedoch die Rechtsprechung ebenfalls bereits zu Anfang dem Phänomen der sogenannten "getarnten" Werbebriefe gegenüber. Bei diesen getarnten Werbebriefen handelt es sich um solche, die in der Aufmachung eines Privatbriefs erscheinen und so die Umworbenen zum Öffnen und Lesen 46 OLG München, NJW 1984,2422 f.; LG Nümberg-Fürth, NJW 1985, 1642 f.; VG Hannover, NJW 1986, 1630 If.; OLG Stuttgart, NJW-RR 1987, 1422 f.; OVG Lüneburg, NJW 1988, 1867 If.; OLG FrankfurtJM., NJW 1988, 18541f.; BGH NJW 1989,902 ff.; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990, 244 f.; KG NJW 1990,2142; VGH Mannheim, NJW 1990,2145 If.; KG NJW 1990, 2824 If.; LG Freiburg, NJW 1990,2824; OLG Bremen, NJW 1990,2140 f.; LG Hagen, NJW 1991,2911 f.; OLG Hamburg, NJW 1991,2914 f.; LG Kassel, NJW 1991,2912 f.; OLG Stuttgart, NJW 1991, 2912; OLG Karlsruhe, NJW 1991,2913 f.; OLG Karlsruhe, NJW 1991,2910 f.; BGH GRUR 1992, 3161f.; LG Bonn, NJW 1992, 1112; BGH NJW 1992, 1958 f. 47 BGH GRUR 1973, 5521f., 553; LG Nllmberg-Fürth, NJW 1985, 1642 f., 1643; OLG Frankfurt/M., NJW 1988, 1854 f.; BGH NJW 1989, 9021f., 903; LG Kassel, NJW 1991,2912 f., 2913.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

bewegen sollen. 48 Der BGH hat hierzu bereits in seiner ersten "Briefwerbungs"-Entscheidung vom 16.2. 1973 49 festgestellt, "daß Werbesendungen, die sich in ihrer äußeren Aufmachung völlig als Privatbriefe tarnen und deren Werbecharakter erst nach näherem Befassen erkennbar ist, durchaus eine unzumutbare Belästigung des Adressaten darstellen können. Wer werben will, soll sich dazu auch eindeutig bekennen und nicht dadurch, daß er der Werbesendung den Anstrich eines Privatschreibens gibt, eine Aufmerksamkeit erwecken, die er ohne diesen irrefiihrenden Vorspann nicht zu erzielen vermöchte,,50. Als ausreichend hat es der BGH jedoch im Ergebnis angesehen, wenn spätestens nach dem Öffnen des Werbebriefes erkennbar ist, daß es sich um eine Werbesendung handelte. 51 3. Fortsetzung der Briefkastenwerbung trotz Widerspruchs des Umworbenen

Der Schwerpunkt der Rechtsprechung liegt jedoch in dem Problembereich der Fortfiihrung der Brietkastenwerbung trotz Widerspruchs des Umworbenen. Der Widerspruch des Umworbenen gegen die Brietkastenwerbung kann zum einen durch einen individuellen Widerspruch gegenüber dem Werbenden erfolgen; dies ist bei der Briefwerbung durch addressierte individuelle Werbebriefe die einzig sichere Möglichkeit für den Umworbenen, seine Ablehnung gegenüber dieser Direktwerbung dem Werbenden zur Kenntnis zu bringen. Die Eintragung in der sogenannten "Robinson"-Liste ist hier weniger sicher: In die "Robinson"-Liste können sich solche Verbraucher kostenlos aufnehmen lassen, die keine adressierten Direktwerbesendungen wünschen; sie wird beim Allgemeinen Direktwerbe- und Direktmarketingverband e. V. 52 gefiihrt und Adressenvorlagen, Versandhäusern und anderen direktwerbenden Unternehmen übersandt mit der Bitte, die aufgefiihrten Anschriften aus ihren Adressenkarteien zu streichen und bei zukünftigen Direktwerbesendungen nicht mehr zu verwenden. 53 Jedoch können durch diese Eintragung in die "Robinson"-Liste nur solche Unternehmen erreicht werden, die Mitglied im Dachverband des Allgemeinen Direktwerbe- und Direktmarketingverbandes sind. 54 48 Ausfilhrlich zu den - aus der Sicht des Werbenden - bestehenden Möglichkeiten, Problemen und Gestaltungsvarianten derartiger getarnter Werbebriefe Alt, Recht und Praxis der Briefkastenwerbung, S. 16 ff. 49 BGH GRUR 1973, 552 ff.

'0 BGH GRUR 1973, 552 ff., 553.

'I BGH GRUR 1973,552 ff., 553.

'2 Adresse: Deutscher Direktrnarketingverband e.V., Postfach 1401, 71254 Ditzingen.

" Alt, Recht und Praxis der Briefkastenwerbung. S. 38. '4 Alt, Recht und Praxis der Briefkastenwerbung, S. 38.

2. Kapitel: Briefkastenwerbung

85

Völlig nutzlos ist die Eintragung in die "Robinson"-Liste schließlich, wenn der Werbende die Adressen für seine Direktwerbesendungen nicht von Adressenverlagen bezieht, sondern aus Telefon- und Adressbüchern entnimmt. 55 Bei Direktwerbesendungen, die unadressiert an alle Haushalte verteilt werden, hat sich mittlerweile zur Kundgabe der Ablehnung dieser Werbung durch den Umworbenen der "Anti-Werbung"-Aufkleber am Briefkasten ("Keine Werbung einwerfen", "Werbung? Nein danke!" etc.) eingebürgert. Wird trotz dieses Aufklebers unadressierte Direktwerbung eingeworfen, gibt der zusätzliche individuelle Widerspruch beim Werbenden Sicherheit, daß dieser auch tatsächlich von der Ablehnung durch den Umworbenen Kenntnis erlangt. Die Rechtsprechung hat nun bei Fortführung der Briefkastenwerbung trotz Widerspruchs des Umworbenen hinsichtlich der einzelnen Varianten dieser Briefkastenwerbung differenziert. Dies war auch - wegen der etwas unterschiedlichen faktischen und rechtlichen Problematik bei den verschiedenen Erscheinungsformen dieser Direktwerbung - notwendig, um die relevanten Gesichtspunkte jeweils herausarbeiten zu können. Hier soll daher gleichfalls eine differenzierte Darstellung aus den genannten Gründen erfolgen. a) Werbebriefe Hinsichtlich der Zusendung individuell gestalteter Werbebriefe trotz Widerspruchs des Umworbenen hat die Rechtsprechung bereits in dem ersten "Briefwerbungs"-Urteil vom 16.2.1973 56 festgestellt, daß die Fortsetzung dieser Direktwerbung trotz ausdrücklichen Widerspruchs des Umworbenen grundsätzlich unzulässig sei. 57 Das grundsätzliche Verdikt der Unzulässigkeit wird jedoch vom BGH unter den Vorbehalt gestellt, daß die Beachtung des Widerspruchs für den Werbenden nicht mit Mühen und Kosten verbunden ist, die in keinem angemessenen Verhältnis zu der Verärgerung und Belästigung des Umworbenen stehen. 58 Dieser "Mühe- und Kostenvorbehalt" des BGH führte nun zu einer widersprüchlichen Judikatur: Einerseits wird die Unzulässigkeit der Fortsetzung der Briefwerbung verneint, da die "sichere" Eliminierung einer Adresse unter allen möglichen Anschriftsvarianten einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordere 59 ; andererseits wird die Unzulässigkeit bejaht, da "die Willensäußerung des Umworbenen nicht dadurch unterlaufen werden kann, daß sich die Werbefirma für wehrlos erklärt gegenüber "mehreren tausend Kombinations" Alt, Recht und Praxis der Briefkastenwerbung, S6 BGH GRUR 1973, 552 ff. S7 BGH GRUR 1973, 552 ff., 553. S8 BGH GRUR 1973, 552 ff., 553. S9 LG Nürnberg-Fürth, NJW 1985, 1542 f.

s. 38.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

möglichkeiten einer falschen Schreibweise" des Namens und der Anschrift eines bestimmten Umworbenen und diesen Umstand dem Umworbenen anlastet"; wenn das werbende Unternehmen sich außerstande sehe, dies zu verhindern, so liege ein Organisationsmangel vor, welchen der Werbende, nicht aber der Umworbene zu vertreten habe. 60 b) Handzettel und Werbeprospekte Hinsichtlich des Einwurfs von Handzetteln und Werbeprospekten in den Briefkasten des Umworbenen trotz dessen Widerspruchs hat die Rechtsprechung gleichfalls die grundsätzliche Unzulässigkeit festgestellt, da die Fortsetzung dieser Direktwerbung eine Mißachtung des erklärten Willens des Umworbenen darstelle. 61 Hierbei müßten vom Werbenden alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen werden, um einen Einwurf von Werbematerial bei erklärter Ablehnung des Umworbenen zu vermeiden; allein die bloße einmalige Anweisung an die mit der Verteilung des Werbematerials Beauftra~­ ten, die "Anti-Werbungs"-Aufkleber zu berücksichtigen, reiche nicht aus. 2 Vielmehr sei die eindeutige und konsequente Belehrung der Verteiler, deren Kontrolle sowie deren Auswahl unter anderem nach Befähigungs- und Zuverlässigkeitskriterien sowie zusätzlich die Androhung wirtschaftlicher und rechtlicher Sanktionen bei einer Nichtbefolgung d~s Zustellungsverbots, z.B. durch Vereinbarung von Vertragsstrafen oder die Androhung einer Entlassung der betreffenden Verteiler erforderlich. 63 Jedoch stellt die Rechtsprechung fest, daß sich gelegentliche "Ausreißer" auch durch das sicherste Abwehrsystem nicht vermeiden lassen; diese "Ausreißer" müßten dann trotz Widerspruchs vom Umworbenen hingenommen werden, weil andernfalls das werbende Unternehmen die Verteilung von Werbematerial vollständig aufgeben müßte. 64 Für Anzeigenblätter mit redaktionellem Teil geht die Rechtsprechung davon aus, daß es sich hier - auch bei umfangreichem redaktionellem Teil - um Werbung handele und derartige Anzeigenblätter somit von einem "Anti-Wer60 OLG München, NJW 1984,2422 f; ähnlich filr Werbematerial in Postgirobriefen VG Hannover, NJW 1986, 1630 ff., 1631 f; a.A OVG Lüneburg, NJW 1988, 1967 ff. 61 OLG Stuttgart, NJW-RR 1987, 1422; OLG FrankfurtJM., NJW 1988, 1854; BGH NJW 1989, 902 ff., 903; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990, 244; KG NJW 1990,2824 ff., 2825; LG Hagen, NJW 1991, 29 II f; BGH NJW 1992, 1958 f 62 OLG Stuttgart, NJW-RR 1987, 1422; BGH NJW 1989,902 ff., 904; KG NJW 1990,2824 ff., 2825 f 63 BGH NJW 1989, 902 ff., 904; KG NJW 1990,2824 ff., 2825 f; BGH NJW 1992, 1958 f, 1959. 64 BGH NJW 1989, 902 ff., 904; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990, 244 f, 245; OLG Karlsruhe,

NJW 1991,2910 f, 2911; BGH NJW 1992, 1958 f, 1959.

2. Kapitel: Briefkastenwerbung

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bungs"-Aufkleber ebenfalls betroffen seien. 65 Voraussetzung hierfür ist allerdings, daß der "Anti-Werbungs"-Aufkleber keine einschränkend wirkenden Präzisierungen enthalte, wie etwa das Verbot, Werbewurfsendungen und Prospekte einzuwerfen. 66 c) Postwurfsendungen Hinsichtlich der Werbung durch Postwurfsendungen war die Rechtslage bis zum Inkrafttreten der neuen Poststruktur zum l. 7 .1991 komplizierter als bei den übrigen Erscheinungsformen der Briefkastenwerbung: Die Post, die die Zustellung unadressierten Werbematerials als Wurfsendungen übernommen hatte, stellte sich - verwaltungsgerichtlich bestätigt67 - auf den Standpunkt, daß der Postempfänger entweder generell die Annahme von Postsendungen oder aber im Einzelfall die Annahme bestimmter individueller Sendungen verweigern könne, nicht aber bestimmter Arten von Sendungen, also etwa Werbesendungen schlechthin; sie beachtete deshalb die "Anti-Werbungs"-Aufkleber an den Hausbriefkästen nicht. Hierauf reagierte die Rechtsprechung mit widersprüchlichen Entscheidungen. Teilweise qualifizierte sie die Fortsetzung des Einwurfs von Postwurfsendungen trotz Widerspruchs des Umworbenen als unzulässig. 68 Zum wohl überwiegenden Teil ging die Rechtsprechung jedoch davon aus, daß bei dieser Sach- und Rechtslage die Zustellung trotz Widerspruchs des Umworbenen nicht als unzulässig angesehen werden könne, da der Werbende andernfalls gezwungen würde, die Werbung mittels Postwurfsendungen gänzlich zu unterlassen und auf private Verteilunternehmen auszuweichen; da diese jedoch - im Unterschied zur Bundespost - nicht flächendeckend arbeiteten, sei dies den Werbenden unzumutbar. 69 Durch die mit Wirkung vom 28.2.1991 geänderten Ausführungsbestimmungen zu § 59 11 Nr. 1 PostO, der Annaluneverweigerungen betrifft, und der Einführung der seit dem l. 7 .1991 geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Bundespost POSTDIENST, in denen festgelegt ist, daß Negativ-Aufkleber bei anschriftslosen Sendungen als Annahmeverweigerung angesehen und in diesen Fällen von einer Zustellung abgesehen wird, hat sich die Rechtslage jedoch entscheidend geändert; der den dargestellten Entscheidungen zugrundeliegende Konflikt ist daher mittlerweile obsolet geworden.

OLG Karlsruhe, NJW 1991,2910 f., 2911; KG NJW 1990, 2824 II OLG Karlsruhe, NJW 1991,2910 f., 2911. 67 VGH Mannheim, NJW 1990,2145. 68 LG Hagen, NJW 1991,2911 f.; LG Freiburg, NJW 1990,2824; KG NJW 1990,2142. 69 BGH GRUR 1992,316 II, 317 f.; OLG Stuttgart, NJW 1991,2912; LG Kassel, NJW 1991, 2912 f., 2913; OLG Hamburg, NJW 1991,2914 f., 2915; OLG Bremen, NJW 1990,2140 f., 2141. 6S

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

4. Besonderheiten bei den Klagen gegen Briefkastenwerbung Die Rechtsprechung zum gesamten Komplex der Briefkastenwerbung weist schließlich faktisch - gegenüber allen anderen Entscheidungen, die Verbraucherwerbung zum Gegenstand haben - eine Besonderheit auf: Im Gegensatz zu allen anderen Klagen gegen Verbraucherwerbung treten hier die betreffenden Umworbenen erstmals selbst als Kläger auf. Zwar liegen einigen Entscheidungen auch Klagen von Verbraucherverbänden zugrunde; die Klagen der Umworbenen selbst sind jedoch nicht nur in der Mehrzahl, sondern waren auch in der zeitlichen Reihenfolge die ersten. Dies zwang die Rechtsprechung dazu, eine Lösung nicht über das UWG zu suchen, da hierfür den Verbrauchern ja das Klagerecht fehlte, sondern aus bürgerlich-rechtlichen Normen die Entscheidung zu finden. Als Ansatzpunkt wählte die Rechtsprechung das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie Eigentum und Besitz; hierauf wird später ausführlich einzugehen sein. 70 Nachdem dann einige Zeit danach auch die ersten Klagen durch Verbraucherverbände erhoben wurden, griff die Rechtsprechung den - aus den individuellen Klagen der betreffenden Verbraucher stammenden - Ansatz der Rechtsverletzung auf und begründete die Sittenwidrigkeit dieser Werbung daher mit dem Argument des "Vorsprungs durch Rechtsbruch,,71 . Dieses Argument des "Vorsprungs durch Rechtsbruch" bedeutet, daß eine Wettbewerbshandlung deshalb sittenwidrig ist, weil sich der Wettbewerber durch einen Gesetzesverstoß einen Vorsprung vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern verschafft hat. Auf die Konsequenz und dogmatische Tragfähigkeit dieser Begründung wird im Rahmen der weiteren Untersuchung einzugehen sein.

m. Literatur Die Literatur stimmt - bis auf wenige Ausnahmen - grundsätzlich der Rechtsprechung zu, neigt jedoch in Detailfragen zu größerer Strenge. Grundsätzlich ablehnend stehen der Rechtsprechung lediglich zwei Autoren gegenüber72 , von denen die dargestellte Werbung als in aller Regel sozialadäquat angesehen wird und daher - abgesehen von Extremfällen - vom Umworbenen ihrer Meinung nach hinzunehmen sei. 73 70

Vgl. unten, Teil III, 2. Kapitel "Allgemeines Persönlichkeitsrecht" und 3. Kapitel "Eigentums-

und Besitzßchutz". 71 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990,244; KG NJW 1990,2142. 72 v.Garnm, Wettbewerbs- und WettbewerbsveIfahrensrecht, Bd. 1, 1. Hlbd., Kap. 24, Rz. 6; MünchKorrun-Schwerdtner, 12. Aufl., § 12, Rz. 245. 73 MünchKorrun-Schwerdtner, 12. Aufl., § 12, Rz. 245; v. Garnm, Wettbewerbs- und WettbewerbsveIfahrensrecht, Bd. 1, 1. Hlbd., Kap. 24, Rz. 6.

2. Kapitel: Briefkastenwerbung

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Die übrige Literatur sieht jedoch die Fortsetzung der Briefkastenwerbung trotz Widerspruchs des Umworbenen grundsätzlich als unzulässig an. 74 Strenger beurteilt als durch die Rechtsprechung werden dabei teilweise die getarnten Werbebriefe, :für die eine Erkennbarkeit des werblichen Charakters bereits aus der äußeren Gestaltung, nicht erst nach dem Öffnen verlangt wird. 75 Auf Kritik stößt gleichfalls der Mühe- und Kostenvorbehalt der Rechtsprechung hinsichtlich der Aussortierung der Adresse eines widersprechenden Umworbenen bei der Briefwerbung. 76 Teilweise wirdfür die Verteilung von Anzeigenblättern mit redaktionellem Teil wegen der grundrechtlich garantierten Pressefreiheit der Einwurf des Anzeigenblattes auch trotz Widerspruchs des Umworbenen als zulässig angesehen. 77 Insgesamt beschränkt sich die Literatur also im wesentlichen auf eine grundsätzliche Zustimmung zu der dargestellten Rechtsprechung, ohne jedoch eine dogmatisch fundierte Aufarbeitung dieser Erscheinungsform der Verbraucherwerbung zu geben. Diese soll daher hier im folgendenfür den Bereich des UWG in Angriff genommen werden. Für den Bereich von Individualansprüchen der betroffenen Umworbenen wird auf den III. Teil dieser Untersuchung78 verwiesen. IV. Eigene Beurteilung Zunächst ist festzuhalten, daß der dogmatische Ansatzpunkt der Rechtsprechung :für die Begründung der Sittenwidrigkeit der Briefkastenwerbung, nämlich der "Vorsprung durch Rechtsbruch,,79 - der Gedanke also, daß die Wettbewerbshandlung sittenwidrig ist, weil sich der Wettbewerber durch einen Gesetzesverstoß einen Vorsprung vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern verschafft80 - inkonsequent ist, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen sind kon74 Alt, Recht und Praxis der Briefkastenwerbung, S. 100 ff.; ders., WRP 1985,319 ff., 323; ders., NJW 1986, 1597 f., 1598; Simon, CuR 1986, 3 ff., 8 f.; ders., in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsreclrt, S. 25 ff., 33 ff.; Kirchner, in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht, S. 47 ff., 56; Freund, BB 1986,409 ff., 415; FuchiSimanski, NJW 1990,2983; Weise, GRUR 1989, 553 ff., 558; Kaiser, NJW 1991,2870 ff., 2873; Baumbach-Hefermehl, § I, Rz. 71 ff.; Nordemann, Rz. 530 e. 75 Alt, Recht und Praxis der Briefkastenwerbung, S. 16 f., ders., WRP 1985, 319 ff., 322; Simon, CuR 1986, 3 ff., 8; ders., in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht, S. 25 ff., 34. 76 Simon, CuR 1986, 3 ff., 9; ders., in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht, S. 25 ff., 35 f.; Kirchner, in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht, S. 47 ff., 56; Freund, BB 1986,409 ff., 415. 77 Bodendorf, AfP 1988,322 ff. 78 Vor allem 2. Kapitel "Allgemeines Persönlichkeitsrecht", 3. Kapitel "Eigentums- und Besitzschutz" und 4. Kapitel "§ 826". 79 OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990,244; KG NJW 1990,2142. 80 Für alle: Baumbach-Hefermehl, Einl., Rz. 118.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsreclrt

sequenterweise für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung einer Wettbewerbshandlung - hier der betreffenden Werbemaßnahme - der Wettbewerbsordnung immanente Gesichtspunkte heranzuziehen; inkonsequent ist es demgegenüber, die wettbewerbsrechtliche Beurteilung aus Rechtsnormen abzuleiten, die mit der Wettbewerbsordnung an sich nicht zu tun haben (wie etwa hier Persönlichkeits-, Eigentums- und Besitzschutz) und erst über ein "Vehikel" ins Wettbewerbsrecht transformiert werden. Eine solche Hilfsüberlegung wie der Gesichtspunkt des "Vorsprungs durch Rechtsbruch" mag durchaus sinnvoll und nützlich in all den Fallkonstellationen sein, in denen ein der Wettbewerbsordnung immanenter Gesichtspunkt für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung nicht ersichtlich ist. In den Fallkonstellationen jedoch, in denen der Wettbewerbsordnung immanente Gesichtspunkte vorhanden sind, die eine wettbewerbsrechtliche Beurteilung ermöglichen, sollten diese Gesichtspunkte die maßgeblichen sein. Zum anderen lenkt der Gesichtspunkt des "Vorsprungs durch Rechtsbruch" bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Werbung den Blick auf den Mitbewerber, gegenüber dem sich ja nach diesem Ansatzpunkt der Werbende einen ungerechtfertigten Vorsprung verschafft; der eigentlich und in erster Linie von dieser Werbung betroffene umworbene Verbraucher wird bei dieser wettbewerbsrechtlichen Sichtweise regelrecht als Objekt betrachtet, das keine eigene Rolle in der Wettbewerbsordnung spielt, sondern lediglich eine Begründung für ein wettbewerbswidriges Verhalten des Werbenden gegenüber dem Mitbewerber liefert. Eine solche Betrachtung geht jedoch am eigentlichen Problem dieser Werbung vorbei: Im Mittelpunkt der Problematik der Briefkastenwerbung - wie auch jeder anderen Werbung - steht nämlich der umworbene Verbraucher. In der hier vorliegenden Untersuchung muß daher für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der jeweiligen Werbung gegenüber dem Verbraucher die Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung, die bereits oben81 ausführlich dargelegt wurde, maßgeblich sein. Das Kriterium für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung dieser Erscheinungsform der Werbung gegenüber dem Verbraucher muß daher - wie für jede andere Spielart der Verbraucherwerbung - die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers sein. 82 1. Generelle Zulässigkeit

Fraglich ist daher zunächst, ob die verschiedenen Erscheinungsformen der Briefkastenwerbung als solche - ohne daß also ein Widerspruch von seiten des Umworbenen erfolgt wäre - die freie Willensentschließung des Verbrauchers 81

82

Vgl. oben, Teil 1,2. Kapit6l "Verbraucher". Vgl. oben, Teil 1,4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur".

2. Kapitel: Briefkastenwerbung

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beeinträchtigt. Dies wäre dann der Fall, wenn die Werbung als solche von vorneherein gegen den Willen des Umworbenen erfolgen würde - wenn also der Umworbene generell nicht damit einverstanden wäre, daß er auf diese Weise umworben wird. Nun bedeutet jedoch die Briefkastenwerbung, gleichgültig, ob sie durch Werbebriefe, Handzettel, Werbeprospekte, Anzeigenblätter, Postwurfsendungen oder ähnliches erfolgt, für den Umworbenen eine wichtige aktuelle Information über Warenangebote, die sich meistens zudem in der Nähe seines Wohnortes befinden; er wird dadurch über das Leistungsangebot allgemein, über Sonderangebote, über stets vorhandene sowie im Sortiment neu geführte Ware unterrichtet. Dadurch werden den Verbrauchern Vergleiche zwischen den verschiedenen Anbietern ermöglicht, und sie ersparen ihnen zudem zeitund energieaufwendiges Suchen nach lohnenden Einkaufsquellen. 83 Die Beseitigung des Werbernaterials ist hingegen für den Verbraucher relativ einfach und leicht zu bewerkstelligen: Nötig ist für ihn lediglich das Aussortieren des Werbematerials und der Einwurf desselben in die Altpapiertonne. Aufgrund dieser Sachlage ist davon auszugehen, daß die Verbraucher an dem Erhalt von Brietkastenwerbung grundsätzlich interessiert sind und den Einwurf bzw. die Zusendung von Werbematerial nicht gegen ihren Willen geschieht - die Briefkastenwerbung als solche beeinträchtigt daher die freie Willensentschließung des Verbrauchers nicht und ist daher grundSätzlich zulässig. 2. "Getarnte" Werbebriefe

Die Bewertung der Interessenlage - und mit ihr die wettbewerbsrechtliche Beurteilung - ändert sich jedoch dann, wenn es sich um getarnte Werbebriefe handelt. Hier besteht, wie bereits oben dargelegt, die Besonderheit, daß derartige Werbebriefe in der Aufmachung eines Privatbriefes erscheinen und die Umworbenen erst dann den werblichen Charakter erkennen können, wenn sie sich mit dem Inhalt - zumindest oberflächlich - beschäftigt haben. Die Verbraucher müssen also zunächst einmal den Brief wenigstens oberflächlich lesen, um überhaupt erkennen zu können, daß es sich hier um Werbung handelt. 84 Eine freie Entschließung des Umworbenen, ob er sich überhaupt mit dieser Werbung befassen will oder nicht, ist hier also von vorneherein für ihn nicht möglich - er wird vielmehr durch die "Tarnung" der Werbebotschaft gezwungen, von dieser Werbung Kenntnis zu nehmen. Bereits hinsichtlich der Frage einer Kenntnis der Werbung, also bereits im ersten Stadium seines Willensbildungsprozesses, wird der Verbraucher daher 83

Jahn/Gonzalez, WRP 1991, I.

84

Alt, WRP 1985,319 ff., 322 f.; ders., Recht und Praxis der Briefkastenwerbung, S. 16 f.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

in seiner freien Willensentschließung beeinträchtigt, wenn ein Werbebrief nicht bereits an der äußeren Aufmachung als solcher erkennbar ist; ist er dies, so liegt die Entscheidung des Umworbenen, ob er sich mit der Werbebotschaft befassen will, nur bei diesem. Sobald daher nicht bereits aus der äußeren Aufmachung eines Werbebriefes dessen werblicher Charakter erkennbar ist, ist diese Entscheidungsform der Briefkastenwerbung wegen Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers sittenwidrig und daher unzulässig. 85 3. Zusendung von Werbematerial trotz Widerspruchs des Umworbenen

Als nächster Problembereich kommt für eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers der Einwurf bzw. die Zusendung von Werbematerial trotz Widerspruchs des Umworbenen in Betracht. Da aber, wie breits oben dargelegt, die Sach- und Rechtslage bei den einzelnen Erscheinungsformen der Briefkastenwerbung unterschiedliche Probleme aufwirft, ist in diesem Rahmen auch hinsichtlich der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen zu differenzieren. a) Werbebriefe Zunächst ist die wettbewerbsrechtliche Lage bei Zusendung von Werbebriefen trotz ausdrücklichen Widerspruchs des Umworbenen zu begutachten: Mit Äußerung des Widerspruchs gegenüber der Zusendung von Werbebriefen die, wie oben dargelegt, normalerweise nicht die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigen - gibt der Umworbene zu erkennen, daß er die weitere Übersendung von Werbebriefen nicht wünscht, er also nicht einverstanden ist, auf diese Weise umworben zu werden - er äußert also einen entgegenstehenden Willen. Wird dieser ablehnende Wille des Umworbenen nun vom Werbenden ignoriert und werden trotz dieser Ablehnung weiterhin dem Umworbenen Werbebriefe zugesandt, so stellt dies eine eklatante Mißachtung der freien Willensentschließung des Umworbenen dar. Die freie Willensentschließung des Umworbenen wird bereits im ersten Stadium des Willensbildungsprozesses beeinträchtigt. Bei einem ausdrücklichen Widerspruch des Umworbenen ist die Fortsetzung der Briefwerbung daher wegen Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers unzulässig.

8S Ebenso: Alt, WRP 1985,319 ff., 323; ders., Recht und Praxis der Briefkastenwerbung, S. 16 f.; Simon, CuR 1986, 3 ff., 8; ders., in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht, S. 25 ff., 34; Freund,

BB 1986,409 ff., 415.

2. Kapitel: Briefkastenwerbung

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Eine Abwägung zwischen den Interessen des Umworbenen und einer finanziellen Mehrbelastung des Werbenden bei der Bereinigung der Adressenlisten für Werbebriefe, also ein Mühe- und Kostenvorbehalt im Sinne der Rechtsprechung für die Feststellung der Sittenwidrigkeit ist hingegen verfehlt; ein solcher Mühe- und Kostenvorbehalt würde nämlich nicht nur das Organisationsrisiko des Werbenden dem Umworbenen aufbürden und zudem noch denjenigen Werbenden bevorzugen, der seinen Betrieb unrationell organisiert hat86 , sondern eine solche Abwägung verkennt auch die zentrale Bedeutung der freien Willensentschließung des Verbrauchers für dessen Funktion in der Wettbewerbsordnung. 87 Es ist daher ausschließlich die Angelegenheit des Werbenden, sein Unternehmen so zu organisieren, daß er jederzeit einem Widerspruch des Umworbenen gegen die Fortsetzung der Briefwerbung nachkommen kann. 88 b) Handzettel Bei der Handzettel- und Prospektwerbung, bei der das Werbematerial von privaten Verteilungsunternehmen in die Briefkästen eingeworfen wird, ist die rechtliche Beurteilung eines Widerspruchs gegen den weiteren Einwurf von Werbematerial dieselbe wie bei der Briefwerbung: Der Umworbene bringt hiermit zum Ausdruck, daß er nicht einverstanden ist mit dieser Werbung ihm gegenüber; die Fortsetzung des Einwurfs von Werbematerial stellt daher ebenso wie bei der Briefwerbung - eine Mißachtung der freien Willensentschließung des Umworbenen bereits im ersten Stadium seines Willensbildungsprozesses dar und ist daher unzulässig. Problematisch ist hierbei jedoch die Tatsache, daß sich gelegentliche "Ausreißer", also ausnahmsweiser Einwurf von Werbematerial bei widersprechenden Umworbenen auch durch die gIiindlichste Belehrung, die sorgfaItigste Überwachung und die ernsthafteste Androhung von rechtlichen und wirtschaftlichen Sanktionen durch den Werbenden niemals völlig vermeiden lassen: Fehlleistungen sind eben dem Menschen, also auch den Verteilern von Werbematerial immanent. Derartige "Ausreißer" ließen sich daher wirklich sicher nur dadurch vermeiden, daß der Werbende auf eine derartige Werbung überhaupt verzichten würde. 86 Kirchner, in: Regulierungsproblerne im Wirtschaftsrecht, S. 47 ff., 56; Simon, CuR 1986, 3 ff., 9; ders., in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht, S. 25 ff., 35 f.; gegen eine Abwägung auch

Freund, BB 1986,409 ff., 415. 87 Vgl. oben, Teil I, 2. Kapitel "Verbraucher" und 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". 88 Ebenso Simon, CuR 1986,3 ff., 9; ders., in: Regulierungsprobleme im Wirtschaftsrecht, S. 25 ff.,

35f.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Müßte jedoch eine an sich zulässige Werbefonn ganz aufgegeben werden, um die Wahrung der freien Willensentschließung des Umworbenen sicher zu gewährleisten, so würde dies bedeuten, daß für diesen Bereich die Funktion der Werbung in der Wettbewerbsordnung nicht mehr erfüllt werden kann. Es stünden sich demnach einerseits als Schutzgut die Funktion der Werbung in der Wettbewerbsordnung, andererseits die Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung gegenüber. Einer derartigen Fallgestaltung liegt aber eine gänzlich andere Konfliktkonstellation zugrunde, als die für die generelle Abgrenzung zwischen Zulässigkeit und Unzulässigkeit einer Werbung gegenüber dem Verbraucher vorausgesetzte: Dort wurde ja davon ausgegangen, daß Möglichkeit und Funktion der Werbung an sich - wenn auch vielleicht unter erschwerten Bedingungen - erhalten bleiben. Würde nun aber eine an sich zulässige Werbung für den Werbenden untersagt, so entfiele damit für ihn die Möglichkeit dieser an sich zulässigen Werbung. In einer derartigen Konfliktkonstellation, in der die Untersagung einer an sich zulässigen Werbung zugleich deren Funktion aufhebt, kann nicht mehr die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers durch die an sich zulässige Werbung per se zur Unzulässigkeit führen; vielmehr ist eine Abwägung erforderlich zwischen der Funktion der an sich zulässigen Werbung und der Funktion der dadurch in EinzelfaJ.len beeinträchtigten freien Willensentschließung des Umworbenen: Dabei müßten in die Abwägung nicht nur die Schwere der aus der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung resultierenden Folgen für die Umworbenen und die Auswirkungen des Wegfalls der betreffenden Werbung für den Werbenden einbezogen werden, sondern auch die Auswirkungen, die der Wegfall der betreffenden Werbung und die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Umworbenen für die Wettbewerbsordnung insgesamt hat, insbesondere etwa die Auswirkungen des Wegfalls dieser Werbung für diejenigen Verbraucher, die an der Werbung interessiert sind. Da für die Fälle der Briefkastenwerbung durch Handzettel, Werbeprospekte etc. davon auszugehen ist, daß die Folgen der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung für den widersprechenden Umworbenen relativ geringfügig sind - ihm wird lediglich zusätzliches Aussortieren und Entsorgen des anfallenden Werbematerials zugemutet -, hingegen die Folgen für den Werbenden und die an der Briefkastenwerbung interessierten Verbraucher erheblich sind - nämlich der Verlust der Infonnationsmöglichkeit über nahe und günstige Einkaufsquellen, über Sonderangebote, über neue Waren - muß hier die Abwägung zugunsten der Werbung ausfallen: Die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Verbraucher durch "Ausreißer" sind also bei derartiger Werbung hinzunehmen.

2. Kapitel: Briefkastenwerbung

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Dies ändert nichts daran, daß der Werbende alle ihm sonst möglichen Anstrengungen unternehmen muß, um einen Einwurf von Werbematerial bei widersprechenden Umworbenen zu verhindern. Die von der Rechtsprechung aufgestellte Palette von Maßnahmen der Werbenden gegenüber dem VerteilerUnternehmen muß hierbei vom Werbenden tatsächlich ausgeschöpft werden; nur durch diese Maßnahmen nämlich kann der Werbende Sorge dafür tragen, daß seine Briefkastenwerbung die freie Willensentschließung des Umworbenen grundsätzlich respektiert. Ergreift der Werbende hingegen nicht alle ihm möglichen, insbesondere wirtschaftliche und rechtliche Maßnahmen, so macht der Einwurf von Werbematerial in den Brietkasteneines widersprechenden Umworbenen diese Brietkastenwerbung wegen Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers unzulässig. Für den Spezialfall des Einwurfs von Anzeigenblättern mit redaktionellem Teil gilt dasselbe: Auch hier stellt der Widerspruch eine Ablehnung dieser Werbung durch den Umworbenen dar. Der Widerspruch kommt auch bereits ausdrücklich in einem "Anti-Werbung"-Aufkleber am Briefkasten zum Ausdruck: Denn ein ausschließlich aus Anzeigeneinnahmen finanziertes und kostenlos an alle Haushalte verteiltes Anzeigenblatt stellt in jedem Fall - gleichgültig ob mit oder ohne redaktionellem Teil - Werbung dar und wird von den Verbrauchern auch als solche verstanden; der Aufkleber "Keine Werbung" besagt daher vom objektiven Empfangerhorizont nicht etwa eine Ausnahme von Anzeigenblätter mit redaktionellem Teil89 , sondern urnfaßt diese ebenso wie Handzettel, Werbeprospekte und ähnliches Werbematerial. Auch die Pressefreiheit des Art. 5 I 2 GG - einmal unterstellt, daß ein Anzeigenblatt mit redaktionellem Teil als echtes Presseerzeugnis anzusehen ist kann an dieser wettbewerbsrechtlichen Beurteilung nichts ändern: Würde man nämlich aufgrund des Art. 5 12 GG dem Werbenden hier gestatten, ungeachtet des erklärten entgegenstehenden Widerspruchs des Umworbenen ihm das Anzeigenblatt trotzdem aufzudrängen, würde man aus Art. 5 I 2 GG eine Pflicht für jeden Bürger statuieren, Presseerzeugnisse anzunehmen. Eine solche Pflicht ergibt sich jedoch aus Art. 5 I 2 GG , der lediglich die Freiheit der Äußerung und der Verbreitung von Presseerzeugnissen gewährt, in keinem Fal1. 90 c)Postwurfsendungen Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Postwurfsendungen mit werblichem Inhalt, die trotz Widerspruchs des Umworbenen in dessen Briefkasten eingelegt werden, gestaltete sich unter dem alten Rechtszustand vor dem Inkrafttreten der Poststrukturreform vom 1.7.1991 problematisch: Die Post, die 89

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So aber zu Unrecht Bodendorf, AfP 1988,322 ff., 325. KG NJW 1990,2824 ff., 2825; aA wohl Bodendorf, AfP 1988,322 ff., 323.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

das unadressierte Werbematerial als Postwurfsendungen an alle Haushalte zustellte, beachtete die "Anti-Werbungs"-Aufkleber an den Briefkästen nicht, da sie sich - verwaltungsgerichtlich bestätigt91 - auf den Standpunkt stellte, daß der Postempfanger entweder generell die Annahme von Postsendungen verweigern könne oder aber im Einzelfall die Annahme bestimmter individuellen Sendungen; hingegen sei die Annahmeverweigerung nicht möglich für bestimmte Arten von Sendungen, also etwa Werbesendungen. Hieraus folgte für den Rechtszustand vor Inkrafttreten der Poststrukturreform, daß der Werbende durch seine Entscheidung, das Werbematerial durch Postwurfsendungen zustellen zu lassen, zwangsläufig die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung derjenigen Umworbenen verursachte, die dem Einwurfvon Werbung in ihre Briefkästen widersprochen hatten. Die Alternative zu der Werbung mittels Postwurfsendungen wäre nun die Verteilung des Werbematerials durch private Verteilunternehmen. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die privaten Verteilunternehmen letztlich kein Ersatz für eine Wurfsendung durch die Bundespost sein können: Sie arbeiten nämlich im Gegensatz zur Bundespost - nicht flächendeckend; zum einen werden von den privaten Verteilern nicht Haushalte außerhalb geschlossener Ortschaften erfaßt92 , zum anderen stehen in vielen Gebieten, z.B. in ländlichen Bereichen bis hin zu Städten mit einer Größe bis zu 50 000 Einwohnern, private Verteilerdienste gar nicht zur Verfiigung. 93 Dem Werbenden die Postwurfsendungen zu untersagen und ihn auf die privaten Verteilunternehmen zu verweisen, hieße also letztlich, diese - an sich ja zulässige - Werbung faktisch unmöglich zu machen: Denn eine flächendeckende Verteilung des Werbematerials wäre überall unmöglich, und in weiten Gebieten, vor allem im ländlichen Raum, würde das Werbematerial überhaupt nicht verteilt werden können. Es ergibt sich also für die Postwurfsendung unter Geltung des alten Rechtszustandes dieselbe Konfliktkonstellation wie bereits oben für die "Ausreißer" bei der Werbung durch Handzettel und Werbeprospekte dargestellt: Entweder wird die freie Willensentschließung der Verbraucher, die dieser Werbung widersprechen, bei Gestattung dieser Werbung beeinträchtigt, oder aber die an sich zulässige Werbung wird bei Untersagung gänzlich unmöglich gemacht. Es stehen sich also hier wiederum die Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung und die Funktion der Werbung in der Wettbewerbsordnung gegenüber. Daher kann hier nicht bereits die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers die betreffende Werbung unzulässig machen; vielmehr ist die oben beschriebene Abwägung vorzunehmen, dergestalt, daß nicht nur die Folgen der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung 91

92 93

VGH Mannheim, NJW 1990,2145. OLG Bremen, NJW 1990,2140 f., 2141; LK Kassel, NJW 1991,2912 f., 2913. Kaiser, NJW 1991,2870 ff., 2872.

2. Kapitel: Brietkastenwerbung

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des Umworbenen fiir diesen und die Auswirkungen des Wegfalls der betreffenden Werbung fiir den Werbenden einbezogen werden, sondern auch die Auswirkungen, die der Wegfall der betreffenden Werbung und die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Umworbenen fiir die Wettbewerbsordnung insgesamt hat. Eine solche Abwägung fuhrt hier - ebenso wie hinsichtlich der oben dargestellten Handzettel- und Prospektwerbung - zu dem Ergebnis, daß aufgrund der relativ geringfiigigen Folgen der Fortsetzung der Werbung fiir den widersprechenden Umworbenen, aber der erheblichen Auswirkungen eines Wegfalls der Werbung fiir den Werbenden und vor allem fiir die an dieser Werbung interessierten Verbraucher die Zulässigkeit der Postwurfsendung trotz Widerspruchs des Umworbenen bejaht werden muß. Durch die am 1.7.1991 in Kraft getretene Poststrukturreform und der Einfiihrung Allgemeiner Geschäftsbedingungen94 , in denen festgelegt ist, daß "Anti-Werbungs"-Aufkleber bei anschriftslosen Sendungen als Annahmeverweigerung gelten und in diesen Fällen die Zustellung unterbleibt, ist nunmehr auch bei der Postwurfsendung gewährleistet, daß die Postzusteller den ablehnenden Willen des Umworbenen beachten; der oben dargestellte Konflikt ist daher durch die neue Rechtslage obsolet geworden. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ist daher fiir den neuen Rechtszustand dieselbe wie hinsichtlich der übrigen Erscheinungsformen der Briefkastenwerbung. Als Ergebnisse fiir die verschiedenen Erscheinungsformen der Briefkastenwerbung ist also festzuhalten, daß sowohl der getarnte Werbebrief als auch bei Widerspruch des Umworbenen die Fortsetzung der Briefkastenwerbung regelmäßig sittenwidrig und daher unzulässig ist. 4. Sozialadäquanz

Diesem Ergebnis wird jedoch von einer Mindermeinung entgegengehalten, diese Werbung sei in aller Regel sozialadäquat und daher vom Umworbenen hinzunehmen. 95 Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Zunächst ist festzustellen, daß der Begriff der Sozialadäquanz hier nicht näher erläutert wird. Das wäre jedoch insbesondere deshalb erforderlich, da bereits gegen den Begriff selbst eingewandt wird, er tauche "in einem so schillernden Gewand auf, daß seine praktische Verwendbarkeit fraglich ist,,96 . Bereits aus diesem Grund ist die Argumentation mit der Sozialadäquanz nicht

rur

Amtsblatt des Bundesministers Post und Telekommunikation vom 10.5.1991, S. 1019 ff. MünchKomrn-Schwerdtner, 12. Aufl., § 12, Rz. 245; v. Ganun, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. I, l. Hlbd., Kap. 24, Rz. 6. 96 Esser, Schuldrecht I, S. 63. 94 95

7 Scherer

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

tragfahig. Darüber hinaus werden die Heranziehung und die Anwendung des Begriffs der Sozialadäquanz, die durchaus umstritten sind97 , nicht begründet. Der Begriff der Sozialadäquanz wurde - aus dem Strafrecht kommend - von Nipperdey8 fiir das Zivilrecht fruchtbar gemacht, und zwar fiir den Bereich der Rechtswidrigkeit; hiernach sind alle jene Handlungen sozialadäquat und daher rechtmäßig, "die sich innerhalb des Rahmens der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen und von ihr offensichtlich gestattet werden,,99 . Ob etwas sozialadäquat ist, bestimmt sich also nicht nur danach, ob dies allgemein üblich ist, sondern auch danach, ob dies allgemein so akzeptiert wirdl °O, mit anderen Worten: Für die Sozialadäquanz eines bestimmten Vorgangs ist ein gesellschaftlicher Konsens erforderlich; es darf also bei Fällen der Sozialadäquanz an der Zulässigkeit des beanstandeten Vorgangs - hier also der umstrittenen Werbung - zumindest kein vernünftiger Zweifel bestehen. 101 Gerade in Fällen bestimmter Werbemaßnahmen trifft dies jedoch eben nicht zu: nicht nur, daß in weiten Kreisen der Verbraucher mittlerweile eine entschiedene Abwehrhaltung gegenüber bestimmten Formen der Werbung, insbesondere auch der Briefkastenwerbung besteht, was durch die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten augenfällig dokumentiert wird (die dargestellte Rechtsprechung geht ja gerade zum erheblichen Teil auf Klagen von Verbrauchern selbst gegen die Briefkastellwerbung zurück)102, sondern vor allem die Tatsache, daß bereits mehrere BGH-Entscheidungen und instanzgerichtliche Entscheidungen vorliegen, die alle die Briefkastenwerbung unter bestimmten Voraussetzungen fiir unzulässig erklären, zeigt, daß sehr wohl erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit dieser Werbeform bestehen und eben gerade kein Konsens über die Akzeptanz dieser Werbernaßnahmen vorhanden ist. Von Sozialadäquanz der Briefkastenwerbung kann daher nicht die Rede sein. 103 V. Exkurs: "Scbeibenwiscberwerbung" Eine Werbung, bei er sich der Werbende zwar nicht des Briefkastens des Umworbenen als Empfangseinrichtung bedient, wohl aber die Scheibenwischer Vgl. Esser, Schuldrecht I, S. 63; Wussow, NJW 1958,891. NJW 1957, 1777 ff. 99 Nipperdey, NJW 1957, 1777. 100 Weise, GRUR 1989, 553 ff., 555.

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Freund, BB 1986,409 ff, 414. Vgl. zur kritischen öffentlichen Haltung auch die Verbraucherzeitschrift "test" 5/88, S. 12. IOl Ebenso BGH NJW 1989,902 ff., 903; Freund, BB 1986,409 ff., 414 f; Weise, GRUR 1989, 553 ff., 556; JahnlGonzalez, WRP 1991, 1 ff., 3. 101

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2. Kapitel: Briefkastenwerbung

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von dessen Pkw kurzerhand als Briefkasten für Werbematerial umfunktioniert, soll als Kuriosum hier noch am Rande vermerkt werden: Gelegentlich wird Werbematerial - meistens Handzettel oder Werbeprospekte - hinter die Scheibenwischer von parkenden Pkws geklemmt; die Entsorgung dieses Werbematerials wird den Pkw-Fahrern überlassen. Das mit einer Klage gegen die "Scheibenwischer"-Werbung befaßte OLG Hamm104 entschied, daß die Umfunktionierung der Pkw-Scheibenwischer zum Briefkasten zwecks Aufnahme von Werbematerial zulässig sei; der Umworbene werde hier nicht in seiner Entscheidungsfreiheit, sich überhaupt mit der Werbung zu befassen, beeinträchtigt.105 Zudem würden die Scheibenwischer auch sonst gelegentlich benutzt, um Nachrichten an den Autofahrer zu hinterlassen; die Kfz-Besitzer seien darüber hinaus an Werbehinweisen interessiert, und die sachgerechte Entsorgung des Werbematerials sei auch nicht schwierig, so daß hier von einem Einverständnis der Umworbenen mit dieser Art von Werbung auszugehen sei. 106 Entscheidend für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ist nun die Frage, ob die "Scheibenwischer"-Werbung die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt. Dreh- und Angelpunkt ist hierbei, ob die Umworbenen grundsätzlich einverstanden sind, derartig umworben zu werden, oder ob sie diese Werbung grundsätzlich ablehnen, so daß die Mißachtung des entgegenstehenden Willens der Umworbenen durch den Werbenden deren freie Willensentschließung beeinträchtigt, und zwar bereits im ersten Stadium des Prozesses der Willensbildung. Zur Beantwortung der Frage nach dem grundsätzlichen Einverständnis der Umworbenen mit dieser Art von Werbung ist die Interessenlage der solcherart Umworbenen zu analysieren: Einerseits gibt das unter die Wischerblätter gesteckte Werbernaterial zwar eine werbliche Information für die Verbraucher; andererseits jedoch bürdet es dem Pkw-Besitzer die "Entsorgung" des Werbernaterials auf. Gemessen an der Entsorgung des bei der Briefkastenwerbung anfallenden Altpapiers ist diese erheblich: Das Werbematerial darf nämlich nicht einfach auf die Straße oder auf ein benachbartes Grundstück geworden werden, sondern muß in einem Papierkorb abgeladen werden. Allein schon die - meistens vergebliche - Ausschau nach einem nahegelegenen Papierkorb zwingt die Umworbenen regelmäßig dazu, das Werbematerial mit ins Auto zu nehmen und solange dort zu behalten, bis entweder sich auf der Fahrtstrecke ein Papierkorb findet oder aber die Papiertonne zu Hause als endgültige Entsorgungsstation dienen kann.

104 105 106

OLG Ramm, GRUR 1991,229 ff. OLG Ramm, GRUR 1991,229. OLG Ramm, GRUR 1991,229 f.

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Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Wegen der beschriebenen zeit- und müheaufwendigen Entsorgung des Werbematerials muß deshalb davon ausgegangen werden, daß die Autofahrer nur in Ausnahmefällen bereit sind, eine derartige Zustellung von Mitteilungen zu akzeptieren: Nur für dringende private Nachrichten oder hoheitliche Mitteilungen, wie etwa Falschparker-Verwarnungen, sind die Kfz-Besitzer bereit, die Zweckentfremdung der Scheibenwischer zu akzeptieren. 107 Für werbliche Mitteilungen hingegen besteht das Einverständnis der Kfz-Besitzer nicht. I 08 Wegen der grundsätzlichen Ablehnung einer derartigen Werbung durch die Umworbenen beeinträchtigt daher die "Scheibenwischer"-Werbung die freie Willensentschließung der Verbraucher. Sie ist somit - entgegen der Ansicht des OLG Ramm - unzulässig.

3. Kapitel: Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel LEinleitung Die rasante Entwicklung, die die teletechnischen Kommunikationsmittel vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten genommen haben, und ihre fortschreitende Verbreitung in der Bevölkerung haben sie zu einem für die Werbung interessanten Medium mit vielfältigen Möglichkeiten werden lassen: Werbung über das Telefon, über Telex, Teletex, Telefax und Btx ist längst nichts Außergewöhnliches mehr :für findige Werbefachleute. Die Telefonwerbung, mit der das "Telemarketing" seinen Anfang nahm, begann - aus den USA kommend - bereits in den frühen 60er Jahren. 109 Eine Werbeaktion über Telefon ermöglicht dem Werbenden nicht nur die direkte, persönliche Ansprache des Umworbenen, sondern sie ist zudem sehr kostengünstig und erleichtert eine Optimierung des Einsatzes von Außendienstmitarbeitern. llo Im Zuge groß angelegter Telefonwerbeaktionen begann sich neben dem herkömmlichen Adressenhandel dementsprechend ein eigener Telefonnummernhandel zu entwickeln; darüber hinaus entstand eine ganze Branche von Telefonakquisitionsunternehmen. III Für die solcherart umworbenen Verbraucher sind Telefonwerbeaktionen jedoch meistens weniger erfreulich: Neben gelegentlich interessanten Infor107 108 109 110 111

Ebenso Dahlen, MDR 1991, 1130 f., 1131. Ebenso Dahlen, MDR 1991, 1130 f., 1131. Gilles, NJW 1988,2424 ff., 2425. Wacket, FLF 1990, 110; Gilles, NJW 1988,2424 ff., 2425, Fn. 19. Gilles, NJW 1988,2424 ff., 2425.

3. Kapitel: Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel

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mationen (etwa im Bank- oder Geldanlagebereich) bedeutet die Telefonwerbung - gleichgültig zu welcher Tageszeit - meist eine Störung für den Umworbenen, der sich nun - anstatt mit einer ihn betreffenden privaten oder geschäftlichen Angelegenheit - mit einer Werbung für Autos, Wein, Heizgeräte, Investmentpapiere, Immobilien, Antiquitäten, Kunstgegenstände, Zeitschriften, Haushaltswaren oder Tiefkühlkost konfrontiert sieht (dem Gegenstand der Werbung wird dabei nur durch die Phantasie des Werbenden eine Grenze gesetzt). Der Telefonwerbung folgte nun alsbald die Telexwerbung: Über Fernschreiber wurden bereits Anfang der 70er Jahre den Inhabern von Telex-Anschlüssen Werbeschreiben übermittelt. 112 Durch die technische Entwicklung ist es mitt1erweile für den Werbenden möglich, durch einen sogenannten Empfangsspeicher auf einem Gerät gleichzeitig ein Fernschreiben abzusenden und ein anderes zu empfangen, das in diesem Fall zunächst gespeichert wird und erst nach dem Ende der Aussendung automatisch abgedruckt wird; zudem ermöglichen elektronische Telexgeräte den Anschluß bzw. die Integration von Sendeautomaten, die es erlauben, die Fernschreiben zu einer vorbestimmten Tages- oder Nachtzeit auszusenden, und zwar auch als Massensendungen, da die Sendung an eine Vielzahl von Adressaten progranuniert werden kann. 113 Da Telexgeräte meistens von Geschäftsleuten unterhalten werden, nicht aber von nichtgewerblich tätigen Verbrauchern, hat die Fernschreibwerbung ihre größte Bedeutung im geschäftlichen Bereich; gleichwohl können über Telexanlagen Güter oder Leistungen beworben werden, die zu dem Gewerbebetrieb des Telexanschluß-Inhabers keinen Bezug aufweisen. Unabhängig vom Inhalt der betreffenden Werbung entstehen für den Umworbenen Probleme bereits dadurch, daß die Telex-Werbung für ihn als Betreiber der Fernschreibanlage Kosten verursacht, die - abhängig von Menge und Häufigkeit der Übermittlung derartiger Werbe-Fernschreiben - beträchtlich sein können. II 4 Zudem kommt der Tatsache, daß die Telex-Anlage während des Empfangs eines Fernschreibens für den Empfang weiterer Mitteilungen blokkiert ise l5 , eine erhebliche Bedeutung zu. Bei der Werbung über Teletex ergibt sich gegenüber der Werbung über Telex eine Besonderheit dadurch, daß bei diesem elektronischen Textübertragungssystem wegen der relativ hohen Datenübertragungsgeschwindigkeit die Teletex-Endgeräte im Speicher-zu-Speicher-Betrieb arbeiten. 116 Dabei wird eine zu übertragende Mitteilung im Sendespeicher des absendenden Geräts Vgl. den Sachverhalt von BGHZ 59, 317 ff. Winkler, WRP 1987,643 f. 114 Gilles, NJW 1988, 2424 ff., 2426. m Gilles, NJW 1988,2424 ff., 2426. 116 Wienke, WRP 1986,455 ff., 456.

112 113

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

zwischengespeichert und sofort anschließend oder nach Bedarf zu einem tarifgünstigeren Zeitpunkt zum Empfangsspeicher des Empfangers übertragen. ll ? Beim Empfanger wird dann die Nachricht entweder automatisch ausgedruckt, in einem anderen Speichermedium festgehalten oder kann nach einem Bedienungsvorgang auf einem Bildschirm lesbar gemacht und sodann auf Wunsch ausgedruckt werden.l\S Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Speicherkapazität der Teletex-Anlagen begrenzt ist und das Teletex-Gerät zudem während des Ausdruckvorgangs nicht für die sonstigen Zwecke des Empfangers - insbesondere des Empfangs anderer Mitteilungen - zur Verfiigung steht. 119 Die sich daraus für den Umworbenen ergebenden Probleme sind die gleichen wie bei der Telex-Anlage. Bei der Werbung unter Einsatz von Telefax-Geräten nutzt der Werbende die durch dieses teletechnische Kommunikationsmittel ermöglichte originalgetreue Übermittlung von Fernkopien. Von Vorteil für den Werbenden und von Nachteil für den Umworbenen ist bei dieser Werbemethode die Verlagerung von Kosten der Werbung auf den Umworbenen bei gleichzeitiger Verringerung eigener Übermittlungskosten gegenüber der Briefwerbung: Bei dem Einsatz von Telefax-Geräten kostet nämlich die Werbung den Umworbenen etwa sechs Pfennig pro Seite; hingegen muß der Werbende lediglich die Telefongebühren - für eine DlN-A4-Seite 23 Pfennig - aufwenden statt des wesentlich höheren Briefportos.1 2o Im innerörtlichen Tarif-Bereich kann der Werbende sogar mehrere Seiten Werbematerial für eine Gebühreneinheit per Telefax übermitteln. 121 Die Werbung mittels Btx (Bildschirmtext) hat gegenüber den bereits dargestellten teletechnischen Kommunikationsmitteln zahlreiche Besonderheiten: Vereinfacht ausgedrückt wird hier die Werbebotschaft vom Werbenden quasi in einem "elektronischen Briefkasten" des Umworbenen hinterlegt, von wo dieser sie dann abrufen kann. Dabei ist der Btx-Dienst der Bundespost in einen Angebots- und einen Mitteilungsdienst aufgegliedert. Im Angebotsdienst werden Nachrichten übermittelt, die sich an die Allgemeinheit aller Btx-Benutzer richten und allgemein interessierende Information einschließlich Werbung enthalten; diese können vom Btx-Teilnehmer über das Fernmeldenetz auf seinem Femsehbildschirm mittels eines Zusatzgeräts aufgerufen und gelesen werden. 122 Im Angebotsdienst besteht gern. § 8 I-III Btx-Staatsvertragl23 eine Kennzeichnungspflicht für Werbung. 117 118 119 120 121 122 123

Wienke, WRP 1986,455 ff., 456. Wienke, WRP 1986,455 ff., 456. Baumbach-Hefennehl, § I, Rz. 69 a; LG Hamburg, NJW-RR 1986, 124. Vgl. LG Hamburg, NJW-RR 1989,487. Vgl. LG Hamburg, NJW-RR 1989, 487. Bartl, Handbuch Btx-Recht, Rz. 7 f, BGH 103,203 f Gesetzes- und Verordnungsblatt 1 filr das Land Hessen, Nr. 29 vom 20.12.1991, S. 399 ff.

3. Kapitel: Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel

103

Im Btx-Mitteilungsdienst, in dem eine Kennzeichnungspflicht für Werbung nicht besteht, aber gleichwohl mittlerweile eine Kennzeichnung möglich ist124 , wird dem Benutzer anders als im Angebotsdienst der individuelle Austausch von Nachrichten ermöglicht; dabei übermittelt der Absender die Nachricht in den Postspeicher, wo sie vom Empfanger abgerufen werden kann, wenn er seinen "elektronischen Briefkasten" leeren will. 125 Bei der Leerung des "elektronischen Briefkastens" wird auf dem Fernsehbildschirm des Empfangers zunächst das Inhaltsverzeichnis mit einer Liste der Absender aller im Postspeicher vorhandenen Informationen in der Reihenfolge ihres Eingangs aufgebaut. 126 Der Empfanger kann nun die Mitteilungen abrufen und auf seinem Femsehbildschirm darstellen; der vollständige Aufbau einer Mitteilung auf dem Bildschirm dauert etwa pro Seite zwischen 8 und 30 Sekunden. 127 Heute kann eine Mitteilung auch ohne vorherigen Abruf und Aufbau auf dem Bildschirm vorn Btx-Teilnehmer gelöscht werden. 128 Wird eine Mitteilung nicht vom Empfanger gelöscht, sorgt hierfür 15 Tage nach Einspeicherung die Bundespost; bis zur Löschung erscheint die Nachricht jedoch kontinuierlich im Inhaltsverzeichnis entsprechend der Reihenfolge ihres Eingangs. 129 Das Telefon des Btx-Teilnehmers ist während des gesamten Vorgangs vorn Anwählen des "elektronischen Briefkastens" an bis zur Beendigung der Verbindung besetzt.

n. Rechtsprechung 1. Tele/onwerbung

In der Telefonwerbung vertrat die Rechtsprechung von Anfang an eine klare Linie: Sie qualifizierte bereits in der ersten zur Telefonwerbung ergangenen Entscheidung vom 17.1.1961 130 diese als unzulässig. Die zahlreichen folgenden Entscheidungen sahen diese Erscheinungsform der Werbung gleichfalls als sittenwidrig und damit unzulässig an. 13I Begründet wird dies mit der Baumbach-Hefennehl, § I, Rz. 70. BGHZ 103, 202 ff., 204; Bartl, Handbuch Btx-Recht, Rz. 7 f. 126 BGHZ 103,203 ff., 204. 127 BGHZ 103, 203 ff., 204. 128 Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 70; Steckler, GRUR 1993, 865 ff., 872. 129 BGHZ 103, 203 ff., 204. 130 OLG Hamburg, WRP 1961, 161. 131 LG Dortmund, BB 1968, 970 f.; OLG Hanun, WRP 1968, 452; BGHZ 54, 188 ff.; KG WRP 1975, 445 ff.; KG WRP 1978, 373 ff.; OLG Hamburg, WRP 1978, 553 ff.; OLG Hamburg, WRP 1987,41; OLG Koblenz, WRP 1987,3269; KG WM 1988, 1144 ff.; BGH NJW 1989,2820; BGH GRUR 1990,280 f.; BGHNJW 1991,2087 ff.; OLG Köln, GRUR 1993, 562 f.; KG WRP 1995, 107 124 12S

ff.

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H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Belästigung, die die Telefonwerbung durch ein Eindringen in die Individualund Privatsphäre bewirke. 132 Dabei übe die Telefonwerbung Zwang auf den Angesprochenen aus, sich mit dem Werbenden zu unterhalten und dessen Werbung zur Kenntnis zu nehmenJ33 ; bei einem Telefonanruf sei nämlich nicht erkennbar, wer anruft, so daß der Anschlußinhaber genötigt sei, das Gespräch anzunehmen, da es sich um einen für ihn wichtigen Anruf handeln könne. 134 Der Angerufene müsse sich also erst mit dem Anruf befassen, bevor ihm der Zweck des Anrufs klar werde und er seine Entscheidung treffen könne, ob er das Gespräch fortsetzen wolle oder nicht. 135 Maßgeblich sei daher, ob der Telefonanschluß-Inhaber ein Interesse an dem Werbeanruf habe l36 , so daß ein Einverständnis des umworbenen Anschlußinhabers vorliege, durch Telefonanrufbeworden zu werden. 137 Hierbei macht die Rechtsprechung zwischen Telefonwerbung im privaten Bereich und Telefonwerbung im gewerblichen Bereich prinzipiell keine Unterschiede: Sowohl im privaten wie im gewerblichen Bereich hält die Rechtsprechung das ausdrücklich erklärte oder aufgrund der Interessenlage vermutete Einverständnis des Umworbenen, derart umworben zu werden, für maßgeblich bei der Beurteilung der Wettbewerbswidrigkeit. 138 Im privaten Bereich werden für ein solches Einverständnis des Umworbenen sehr strenge Anforderungen gestellt: Als ausreichend angesehen wurde weder die Anforderung von Prospektmateriall39 , noch die einige Zeit zurückliegende, bereits abgewickelte Bestellungl40 , noch die vorherige briefliche Ankündigung eines Vertreterbesuchs, fiir den telefonisch nun ein Termin vereinbart werden SOll141 , aus. Im geschäftlichen Bereich wird für das Vorliegen eines Einverständnisses des Umworbenen eine konkrete Sachbezogenheit zu der beruflichen Tätigkeit des Umworbenen verlangt.142 132 BGHZ 54, 188 ff., 191 f.; OLG Hamm, WRP 1968,452; KG WRP 1975,445 ff., 447; BGH NJW 1989,2820; BGH GRUR 1990,280 f., 281; BGH NJW 1991,2087 ff., 2088. 133 OLG Hamburg, WRP 1961, 161; BGHZ 54,188 ff., 191 f. 134 BGHZ 54,188 ff., 191.

m BGHZ 54,188 ff., 191 f.

BGHZ 54, 188 ff., 191; OLG Hamm, WRP 1968,452. BGH NJW 1989,2820; BGH GRUR 1990,280 f., 281; BGH NJW 1991,2087 ff., 2089; KG WM 1988, 1144 ff., 1146. 138 BGH NJW 1989,2820; BGH GRUR 1990, 280 f., 281; BGH NJW 1991,2087 ff., 2089; 136 137

BGH GRUR 1994,380 ff., 381. 139 KG WM 1988, 1144 ff.; BGH GRUR 1990,280 f.; OLG Köln, GRUR 1993, 562 f.; KG WRP

1995, 167 ff. 140 BGH NJW 1989,2820. 141 KG WRP 1975,445 ff. 142 BGH NJW 1991,2087 ff., 2088 f.; OLG Koblenz, NJW 1987,3269; OLG Hamburg, WRP 1987,41.

3. Kapitel: Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel

105

2. Telex-Werbung Auch die Telex-Werbung wurde von der Rechtsprechung von Anfang an prinzipiell für unzulässig erklärt143 , da der Anschlußinhaber wegen der drohenden Blockierung der Anlage bei Übersendung von Werbe-Fernschreiben ein berechtigtes Interesse daran habe, die Anlage von jeder Inanspruchnahme freizuhalten, die deren bestimmungsgemäße Funktion beeinträchtige. 144 Der Fernschreibanschluß-Inhaber sei daher nicht generell mit der Übersendung von Werbefernschreiben einverstanden; neben der Blockierung der Fernschreibanlage führe die Übermittlung von Werbe-Fernschreiben nämlich auch zu einer zusätzlichen Belastung des Geschäftsbetriebes. 145 Für die Zulässigkeit einer derartigen Telex-Werbung sei daher ein sachlicher, in der Interessensphäre des Adressaten liegender Grund erforderlich, die Werbung gerade über Fernschreiber zu übermitteln. 146 Nur wenn der Inhaber der Telex-Anlage einverstanden sei, gerade über Fernschreiben das betreffende Angebot übersandt zu bekommen, was anhand seines Interesses an der jeweiligen Werbung festzustellen sei, sah die Rechtsprechung die Telex-Werbung als zulässig an. 147 3. Teletex-Werbung Die Teletex-Werbung wurde prinzipiell ebenso wie die Telex-Werbung beurteilt: Aus ähnlichen Gründen wie bei der Werbung mittels Fernschreiben sei der Umworbene nicht schlechthin damit einverstanden, per Teletex Werbeschreiben jedweder Art übermittelt zu bekommen. Die Teletex-Anlage besitze nämlich nur eine begrenzte Speicherkapazität, so daß dieses Kommunikationsmedium unbrauchbar sei, wenn der Empfangsspeicher "verstopft" werde, was durch Werbemitteilungen geschehen könne. 148 Zudem führe die Übermittlung von Werbeschreiben über die Teletex-Anlage zu einer zusätzlichen Belastung des Geschäftsbetriebes, da Mitteilungen nicht immer sogleich als Werbung erkannt werden könnten. 149 Wegen der erheblich größeren Dauer-Blockierungsgefalrr als bei Fernschreibanlagen seien daher an die Bejahung

143 144 145 146

517. 147 148 149

BGH NJW 1973,42 f; LG Saarbrücken, WRP 1985,517; OLG Stuttgart, WRP 1987,641 ff. BGH NJW 1973, 42; OLG Stuttgart, WRP 1987, 641 ff., 642. BGH NJW 1973,42; OLG Stuttgart, WRP 1987,641 ff., 642 f BGH NJW 1973,42; OLG Stuttgart, WRP 1987, 641 ff., 643; LG Saarbrücken, WRP 1985, BGH NJW 1973,42 f, 43; OLG Stuttgart, WRP 1987,641 ff., 643. KG WRP 1986,470 ff., 472; LG Hamburg, NJW-RR 1986, 124. KG WRP 1986,470 ff., 472; LG Hamburg, NJW-RR 1986, 124.

106

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

des sachlichen Interesses am Empfang von Teletex-Werbungen noch höhere Anforderungen zu stellen als bei der Werbung durch Fernschreiben. 150

4. Telefax-Werbung Die Werbung per Telefax wird aus ähnlichen Gründen wie die Werbung über Telex und Teletex regelmäßig als unzulässig angesehen. 15l Wegen der relativ hohen Kosten dieser Telefax-Werbung für den Umworbenen (ca. sechs Pfennig pro DIN-A4-Seite) sei darauf abzustellen, ob ein sachlicher, in der Interessensphäre des Adressaten liegender Grund bestehe, die Werbung gerade über Telefax übermittelt zu bekommen. 152 Sei ein solcher Grund nicht vorhanden, stelle die Werbung durch Telefax eine unzulässige Belästigung des Umworbenen dar. Sie sei daher sittenwidrig und damit unzulässig. 153

5. Btx-Werbung Die Werbung mittels Btx im Mitteilungsdienst hingegen wurde von der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Die Instanzgerichte sahen die BtxWerbung im Mitteilungsdienst zwar als "an der Grenze zur Sittenwidrigkeit liegend" an, sie stelle jedoch noch keine unzumutbare Belästigung des Umworbenen dar. 154 Zwar sei die Aussortierung von Werbung bei Leerung des "elektronischen Briefkastens" für den Btx-Teilnehmer zeitaufwendig und mühevoll; da es aber zumindest derzeit nicht ersichtlich sei, daß die BtxTeilnehmer im Mitteilungsdienst mit Werbemitteilungen geradezu überhäuft würden, noch eine solche Überhäufung in absehbarer Zukunft zu erwarten sei, sei ein Verstoß gegen § 1 UWG zu verneinen. 155 Der BGH hingegen teilte diese Ansicht nicht. 156 Er stellte fest, daß die Bedenken gegen die Werbung im Btx-Mitteilungsdienst lediglich dann hinfällig würden, wenn die Möglichkeit geschaffen wäre, Werbemitteilungen im BtxMitteilungsdienst schon anhand des Inhaltsverzeichnisses nicht nur ohne weiteres als solche zu identifizieren, sondern auch ohne vorherigen Abruf und Aufbau auf dem Bildschirm zu löschen. I 57 150

151 152

KG WRP 1986,470 ff., 472. LG Hamburg, NJW-RR 1989,487 f; OLG Hamm, GRUR 1990, 689 f. LG Hamburg, NJW-RR 1989, 487 f, 488; OLG Hamm, GRUR 1990, 689 1:, 690; OLG

Stuttgart, WRP 1995,254 ff. 153 LG Hamburg, NJW-RR 1989,487 f; OLG Hamm, GRUR 1990, 689 f, 690. 154 KG NJW 1986,3215 ff.; LG Berlin, NJW 1984,2423 f 155 KG NJW 1986,3215 ff., 3216; LG Berlin, NJW 1984,2423 f 156 BGHZ 103, 203 ff.

3. Kapitel: Werbung durch teletecimische Kommunikationsmittel

107

Bei der - zur Zeit der Entscheidung bestehenden - Sachlage hingegen müsse davon ausgegangen werden, daß der Aufwand bei der Beschäftigung mit der Werbung im Btx-Mitteilungsdienst nicht hinnehmbar sei; der Btx-Teilnehmer brauche nicht die Belästigung in Kauf zu nehmen, die dadurch entstehe, daß er täglich längere Zeit darauf verwenden müsse, seitenweise Bildschinntexte aufzubauen, um aus einer großen Zahl unerbetener Werbemitteilungen die tatsächlich individuell fiir ihn bestimmten Mitteilungen von wirklichem Interesse herauszusuchen158 • Zur Abhilfe könne dem Btx-Teilnehmer nicht angesonnen werden, den Mitteilungsdienst, der für ihn sehr wichtig sein könne, gänzlich zu sperren, weil er nur damit einer für ihn unerträglichen Belästigung durch unerwünschte Werbung entgehen könne. 159 Da der Btx-Dienst in den Angebotsdienst einerseits und den Mitteilungsdienst andererseits aufgegliedert sei und die funktionale Zugehörigkeit breiter Werbung zur Kategorie der Angebote gehöre, müsse der Btx-Teilnehmer im Mitteilungsdienst nicht mit gehäufter, lediglich pseudoindividuell aufgemachter Werbung rechnen. 160

III. Literatur Die herrschende Meinung in der Literatur beurteilt die Telefon-, Telex-, Teletex- und Telefax-Werbung grundsätzlich ebenso wie die Rechtsprechung, wenn auch in Detailfragen wie etwa den Voraussetzungen für das Vorliegen eines Einverständnisses des Umworbenen etwas großzügiger als die Rechtsprechung. 161 Lediglich von einer Mindenneinung wird angenommen, daß die Telefonwerbung - entgegen der gefestigten Rechtsprechung - grundsätzlich zulässig sei. 162 Begründet wird dies damit, daß die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Differenzierungskriterien nicht überzeugten, dem Verbraucher BGHZ 103,203 ff., 212. BGHZ 103, 203 ff., 211. 159 BGHZ 103,203 ff., 211. 160 BGHZ 103,203 ff., 211. 161 Winkler, WRP 1987,643 f., 644; Nordemann, WRP 1969, 16 ff., 17; ders., AfP 1991,484 ff., 486; Hofmann, WRP 1970,8 f., 9; Ahrens, JZ 1988,615 f.; Bülow, WRP 1970,413 f.; ders., WRP 1978,774 f., 775; ders., GRUR 1976, 180 ff., 181; Wacke!, FLF 1990, 110 ff., 112; Klawitter, MA 1990, 595 ff., 598; Ehlers, WRP 1983, 187 ff., 190; Wienke, WRP 1986, 455 ff., 458; Gilles, Das Recht des Direktmarketing,Rz. 99, S. 69; ders., NJW 1988,2424 ff., 2426,2431 f.; ders., in: Law in East and West, S. 990 f.; Unger/Sell, GRUR 1993, 24 ff.; Steckler, GRUR 1993, 865 ff.; Paefgen, WRP 1994, 73 ff.; Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 67 ff.; Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 50 ff.; v. Gamrn, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. 1, I. Hlbd., Kap. 25, Rz. 35. 162 Zöller, GRUR 1992, 297 ff., 299 f. lS7

158

H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

108

mehr Mündigkeit im Umgang mit Werbung zugesprochen werden solle und außerdem von einer sachbezogenen bzw. interessenbezogenen Telefonwerbung keine Verwilderung des Wettbewerbs zu erwarten sei. 163 Allenfalls im Telefonanruf selbst könne eine Belästigung liegen, die zur Sittenwidrigkeit führen könne; ein freier Leistungswettbewerb müsse es jedoch dem Tüchtigsten und Schnellsten gestatten, gezielt potentielle Kunden anzurufen. 164 In einer konsumorientierten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft erscheine es anachronistisch, eine gezielte, verbraucherinteressenorientierte Telefonwerbung als für die Allgemeinheit unzumutbare Gefahr der Verwilderung des Wettbewerbs abzutun. 165 Bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Btx-Werbung hingegen ist die Literatur gespalten; einerseits wird jegliche Beschränkung der Werbung im Rahmen des Btx-Dienstes, vor allem auch die Kennzeichnungspflicht im BtxAngebotsdienst abgelehntl66 ; andererseits wird zwar die Kennzeichnungspflicht für Werbung im Btx-Angebotsdienst nicht abgelehnt, die Werbung im Mitteilungsdienst jedoch nicht für wettbewerbswidrig gehalten. 167 Schließlich geht eine weitere Ansicht davon aus, daß die - nicht gekennzeichnete - Werbung im Btx-Mitteilungsdienst für den Umworbenen wegen des erheblichen Mühe- und Zeitaufwandes mit der Folge einer entsprechend langen Blockade des Telefonanschlusses einschließlich der dadurch entstehenden höheren Telefongebühren sowie der "Tarnung" der Werbebotschaft eine unzumutbare Belästigung für den Umworbenen darstelle und daher wettbewerbswidrig sei. 168 IV. Eigene Beurteilung Das maßgebliche Kriterium für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Zulässigkeit der Werbung gegenüber dem Verbraucher ist, wie bereits mehrfach dargelegt, die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Ver-

163 164 165 166 167 168

Zöller, GRUR 1992,297 ff., 299. Zöller, GRUR 1992,297 ff., 300. Zöller, GRUR 1992,297 ff., 300. Kartelmeyer, MA 1980, 190 ff.; Adams, MA 1981, 261 ff. v.Garrun, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. 1, l. Hlbd., Rz. 37 f. Jäckle, WRP 1986, 648 f., 649; Ahrens, JZ 1988, 615 f., 616; Gilles, NJW 1988, 2424 ff.,

2426; ders., in: Law in East and West, S. 991; Lachmann, WRP 1983, 591 ff., 593 f.; Bartl, NJW 1985,258 f., 259; Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 70, 25; Henning-Bodewig, GRUR Irrt. 1991,858 ff., 867; Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 54; Schrey, Wettbewerbsrechtliche Probleme beim Bildschirmtext, S. 197 ff., 205 ff., 218; zur neueren technischen Entwicklung und den sich hieraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen vgl. Steckler, GRUR 1993, 865 ff., 872 f.

3. Kapitel: Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel

109

brauchers. 169 Fraglich ist also, ob die betreffende Werbung als solche die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt. Das ist zunächst immer dann nicht der Fall, wenn die betreffende Werbemaßnahme nicht gegen den Willen des Umworbenen erfolgt, wenn also der Umworbene damit einverstanden ist, auf diese Weise umworben zu werden und kein Zwang zur Kenntnisnahme der Werbung besteht. Ob dies bei den verschiedenen Erscheinungsformen der Werbung unter Einsatz teletechnischer Kommunikationsmittel der Fall ist, kann nicht generell bejaht oder verneint werden, sondern muß differenziert rur jede der verschiedenen Erscheinungsformen dieser Werbung untersucht werden. 1. Tele/onwerbung

Für die Frage, ob die freie Willensentschließung der Verbraucher durch die Telefonwerbung beeinträchtigt wird, ist zunächst einmal die typische Situation einer derartigen Werbung zu analysieren. Klingelt das Telefon, hat der Verbraucher die Möglichkeit, entweder den Hörer abzuheben und das Gespräch mit dem ihm zunächst unbekannten Anrufer anzunehmen oder den Hörer aufliegen zu lassen und so den Anruf zu ignorieren. Nur bei der letzten Möglichkeit ist er absolut sicher, von einer Telefonwerbung nicht behelligt zu werden. Zugleich geht er aber dabei das Risiko ein, einen wichtigen Anruf zu verpassen - ihm ist ja zunächst unbekannt, wer zu welchem Zweck ihn hier anruft. Diese letzte Möglichkeit würde also de facto das Telefon als Kommunikationsmittel völlig unbrauchbar machen und ist daher ftir den Verbraucher als Reaktionsmöglichkeit ungeeignet. Der Verbraucher hat daher keine Alternative zum Abheben des Telefons und zur Annahme des Gesprächs mit dem ihm unbekannten Anrufer. Er muß sich also auch mit dem Werbeanruf zunächst einmal befassen, bevor er überhaupt erkennen kann, daß es sich um Werbung handelt. Der Umworbene nimmt also zwangsläufig zunächst einmal die Werbung zur Kenntnis - er wird also gezwungen, sich mit dieser Werbung zu befassen170 ; ein Ignorieren der Werbung, wie etwa beim Werbebrief, der ungelesen weggeworfen werden kann, ist nicht mehr möglich. Der Zwang zur Kenntnisnahme der Werbung beeinträchtigt die freie Willensentschließung des Verbrauchers, denn er macht von vomeherein eine freie Willensentschließung hinsichtlich der Frage, ob sich der Verbraucher überhaupt mit dieser Werbung befassen möchte, unmöglich. Dieses Aufzwingen der Werbung, das letztendlich den Umworbenen zum - für den Werbenden verftigbaren - Objekt degradiert, beeinträchtigt die freie Wil169

Vgl. oben, Teil I, 2. Kapitel "Verbraucher" und 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des

Verbrauchers in der Literatur". 170 So bereits BGHZ 54, 188 ff., 191.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

lensentschließung des Verbrauchers in besonders krassem Maß, und zwar bereits im ersten Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung des Verbrauchers. Diese Beurteilung ändert sich lediglich dann, wenn von einem Einverständnis des Verbrauchers, durch Telefonanruf umworben zu werden, ausgegangen werden kann. Hier ist für den Privatanschluß auch kein strengerer Maßstab für das Vorliegen eines Einverständnisses anzulegen als für Geschäftstelefonanschlüsse: Für den Inhaber eines Privatanschlusses wie für den eines Geschäftstelefons ist nämlich gleichfalls die Frage des Vorliegens eines Einverständnisses nach der Interessenlage des Umworbenen zu beurteilen. Danach besteht beim Inhaber des Geschäftstelefons wegen der mit den Werbeanrufen meistens verbundenen Störungen ein Interesse an einem Werbeanruf lediglich dann, wenn eine konkrete Sachbezogenheit der beworbenen Ware oder Leistung zu dem Geschäftsbetrieb oder der beruflichen Tätigkeit des Umworbenen vorhanden ist. 171 Bei Inhabern von Privatanschlüssen kann - wegen der noch erheblicheren Störung durch Werbeanrufe als im Geschäftsbereich lediglich dann von einem Interesse an Werbeanrufen und daher auch ihrem Einverständnis hiermit ausgegangen werden, wenn sie ihre Telefonnummer dem Werbenden mitgeteilt haben (z.B. bei der schriftlichen Anforderung von Prospektmaterial) und nach den Umstände klar sein mußte, daß der Werbende diese Telefonnumer auch zu Werbeanrufen erfragt oder aber der Anruf der Durchführung einer bereits bestehenden Vertragsbeziehung dient. Gegenüber dieser Feststellung des Einverständnisses des Umworbenen mit der Telefonwerbung anhand einer Analyse seiner Interessenlage sind auch die gelegentlich hiergegen erhobenen Bedenken einer zu strengen Beurteilung172 nicht gerechtfertigt: Dem möglicherweise vorhandenen generellen Interesse der Umworbenen an interessanten Angeboten schlechthin kann der Werbende in jedem Fall durch die Zusendung von Werbematerial entgegenkommen; und in den Fällen, in denen eine telefonische Klärung erforderlich wird - wie etwa bei einer sich schwieriger als vermutet gestaltenden Reparatur173 - besteht ja zur Durchführung des bestehenden Vertrages ein Interesse des Verbrauchers an dem Anruf. Die grundsätzliche Postulierung der Zulässigkeit der Telefonwerbung hingegen mit der Begründung, daß das Verbot derselben aufgrund einer "anachronistischen" Auffassung erfolge, die in einer "konsumorientierten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft" keinen Platz mehr habe174 , verkennt in eklatantem Maße die Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbs171 so konsequent die Rechtsprechung: BGH NJW 1991,2087 ff., 2088 f.; OLG Koblenz, NJW 1987,3269; OLG Hamburg, WRP 1987,41. 172 Vgl. vor allem Nordemann, AfP 1991, 484 ff. 113 Vgl. das Beispiel von Nordemann, AfP 1991,484 ff., 486. 114 Zöller, GRZR 1992,297 ff., 300.

3. Kapitel: Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel

111

ordnung, die gerade eben für die Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft unerläßlich ist. Zusätzlich zu der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers bereits im ersten Stadium des Willensbildungsprozesses beeinträchtigt die Telefonwerbung die freie Willensentschließung des Verbrauchers zumindest bei den Privatanschlußinhabem - auch im zweiten und dritten Stadium, also hinsichtlich der Entscheidung über das generelle Konsumbedürfnis und über den konkreten Vertragsabschluß. 175 Ist der Umworbene erst einmal in ein Werbegespräch am Telefon verwickelt, so scheut er sich erfahrungsgemäß in vielen Fällen aus Höflichkeit oder aus einem sonstigen Unbehagen, den Hörer einfach aufzulegen oder auf andere Weise das Gespräch kurz angebunden zu beenden. 176 Die Telefonwerbung schafft also für den Umworbenen einen ganz besonderen psychischen Zwang177 , der zudem, gepaart mit dem dieser Werbeform eigenen Überraschungs- und Überrumplungseffekt und der ungleichgewichtigen Gesprächs- und Verhandlungssituation zwischen dem Umworbenen und einem psychologisch geschulten Werbeanrufer, zu einem psychischen Abschlußzwang fuhrt, der die Umworbenen zu übereilten und unüberlegten Geschäftsabschlüssen verleitet, nur um dieses für sie unangenehme Werbegespräch beenden zu können. 178 Die Telefonwerbung beeinträchtigt daher die freie Willensentschließung des Verbrauchers in allen drei Stadien des Prozesses der Entscheidungsfindung. Sie ist daher sittenwidrig und somit unzulässig. 2. Telex-, Teletex- und Telefax-Werbung Bei der Telex-Werbung besteht die Besonderheit, daß die Übermittlung von Werbeschreiben die Telex-Anlage blokkiert und zudem wegen des Papierverbrauchs erhöhte Betriebskosten entstehen. Der Werbende überbürdet so einen wesentlichen Teil der Kosten der Werbung auf den Umworbenen. Bereits deshalb ist der Umworbene nicht damit einverstanden, jedwede Werbesendung als Fernschreiben übermittelt zu bekommen; vielmehr ist auch hier wiederum - wie bereits bei der Telefonwerbung - ein in der Interessensphäre des Umworbenen liegender sachlicher Grund erforderlich, die Werbung ausgerechnet über Telex übermittelt zu bekommen. 179 Zusätzlich zu der konkreten Sachbezogenheit der beworbenen Ware oder Leistung zu der beruflichen Tätigkeit m Vgl. oben, Teil I, 4. Kapitel "Die freie Willensentscheidung des Verbrauchers in der Literatur", Abschnitt VII, 4. 116 Gilles, Das Recht des Direktmarketing, Rz. 99, S. 69. 177 Gilles, Das Recht des Direktmarketing, Rz. 99, S. 69; ders., NJW 1988,2424 ff., 2426. 178 Gilles, NJW 1988, 2424 ff., 2426; ders., in : Law in East and West, S. 990 f.; Bülow, WRP 1970,413 f. 179 So bereits BGH NJW 1973,42.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

oder dem Geschäftsbetrieb des Umworbenen kann dies etwa dann der Fall sein, wenn das Angebot - etwa wegen der Verderblichkeit der Ware - besonders eilbedürftig ist. Nur in diesen Fällen eines Einverständnisses des Umworbenen mit der Übermittlung der Werbung gerade über Fernschreiben wird eine Beeinträchtigung seiner freien Willensentschließung ausgeschlossen. Ansonsten beeinträchtigt die Übermittlung von Werbeschreiben über Telex die freie Willensentschließung des Umworbenen, da dieser nicht mit einer derartigen Werbung ihm gegenüber einverstanden ist. Bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung dieser Erscheinungsform der Werbung kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu: Häufig wird das Fernschreiben nicht bereits auf den ersten Blick aus Werbung erkennbar sein, sondern der werbliche Charakter wird sich oft erst nach einem - zumindest flüchtigen - Lesen des Schreibens offenbaren. Diese Situation ist vergleichbar mit der Situation der "getarnten" Werbebriefe: Hier wie dort wird der Empfanger des Schreibens zunächst einmal genötigt, die Mitteilung wenigstens oberflächlich zu lesen, will er nicht riskieren, eine wichtige Nachricht ungelesen wegzuwerfen. ISO Auch bei einem nicht sofort als Werbung erkennbaren Fernschreiben wird daher die freie Willensentschließung des Umworbenen noch zusätzlich durch den Zwang zur Kenntnisnahme der Werbung beeinträchtigt. Die Telex-Werbung ist daher wegen Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers - und zwar bereits im ersten Stadium des Prozesses der Willensbildung - sittenwidrig und daher unzulässig. Für die Telefaxund die Teletex-Werbung gilt prinzipiell das gleiche: Auch hier muß davon ausgegangen werden, daß die Blockierung der jeweiligen Anlage durch die Übermittlung von Werbeschreiben und die erhöhten Betriebskosten dazu führen, daß der Umworbene nicht schlechthin mit der Übermittlung von Werbeschreiben über diese Kommunikationsmittel einverstanden ist, sondern ein solches Einverständnis, ausgerechnet über Telefax und Teletex Werbung übermittelt zu bekommen, nur ausnahmsweise dann vorliegt, wenn neben der konkreten Sachbezogenheit des Angebots auf die berufliche Tätigkeit des Umworbenen auch die besondere Eilbedürftigkeit gegeben ist. 181 Ansonsten hindert der vom Werbenden zu respektierende entgegenstehende Wille des Umworbenen die Zulässigkeit dieser Werbung. Zudem stellt sich hier gleichfalls bei nicht auf den ersten Blick als solche erkennbaren Werbebotschaften das Problem des Zwangs zur Kenntnisnahme von Werbung: Sofern der werbliche Charakter der Mitteilung nicht sofort er180

ÄIm1ich BGH NJW 1973,42.

Zu eng aber Unger/Sell, die lediglich dann von einem Einverständnis des Umworbenen ausgehen, wenn dieser konkludent vorher der Werbung über Telefax zugestimmt hat, GRUR 1993,24 ff., 25. 181

3. Kapitel: Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel

113

kennbar ist, wird der Umworbene gezwungen, sie - wenigstens oberflächlich zu lesen, um nicht den Verlust einer wichtigen Nachricht zu riskieren. Dieser Zwang zur Kenntnisnahme von Werbung beeinträchtigt gleichfalls die freie Willensentschließung des Verbrauchers. Telex-, Teletex- und Telefax-Werbung sind daher - ebenso wie die Telefonwerbung - regelmäßig als unzulässig anzusehen; diese Unzulässigkeit ist ausnahmsweise dann nicht gegeben, wenn ein Einverständnis des Umworbenen vorliegt, gerade auf diese Weise umworben zu werden. 3. Btx-Werbung

Bei der Btx-Werbung im Mitteilungsdienst ist zunächst der Fall zu untersuchen, daß eine werbliche Mitteilung nicht bereits anhand des Inhaltsverzeichnisses durch eine Kennzeichnung ("W") als solche zu identifizieren ist. In einem solchen Fall ist es gleichgültig, ob eine Nachricht auch ohne vorherigen Abruf und Aufbau auf dem Bildschirm beim Btx-Teilnehmer löschbar ist oder nicht: Ist nämlich eine Mitteilung nicht bereits anhand des Inhaltsverzeichnisses als Werbung erkennbar, so muß der Btx-Teilnehmer - will er nicht riskieren, eine für ihn wichtige Mitteilung sich entgehen zu lassen - die Nachricht notgedrungen abrufen und auf dem Bildschirm aufbauen, um sie so wenigstens oberflächlich zu lesen. Es besteht daher bei ungekennzeichneten Werbemitteilungen wiederum dieselbe Situation wie bei den "getarnten" Werbebriefen: Der Umworbenen wird so gezwungen, sich mit der Werbung zu befassen, sie zur Kenntnis zu nehmen - seine freie Willensentschließung wird daher in diesem Fall bereits im ersten Stadium des Prozesses der Willensbildung, nämlich hinsichtlich der Frage einer Kenntnisnahme von Werbung beeinträchtigt. Ist hingegen die Werbung bereits anhand des Inhaltsverzeichnisses als solche aufgrund einer Kennzeichnung ("W") erkennbar, so ist es wiederum gleichgültig, ob sie ohne vorherigen Abruf und Aufbau auf dem Bildschirm vom Btx-Teilnehmer zu löschen ist182 : Hier ist der Umworbene nämlich nicht gezwungen, von der Werbung Kenntnis zu nehmen; vielmehr ist es ihm - auch wenn er sie nicht ohne vorherigen Abruf löschen kann - unbenommen, die Mitteilung solange im Inhaltsverzeichnis stehen zu lassen, bis diese von der Bundespost gelöscht wird. Die Situation ist hier vergleichbar der Situation bei Zusendung eines bereits aus der äußeren Aufmachung als solchem erkennbaren Werbebriefs. Die Entscheidung, ob der Umworbenen sich mit dieser - für ihn von vomeherein als solche erkennbaren - Werbung befassen möchte oder nicht, liegt nämlich allein beim Umworbenen; seine freie Willensentschließung wird in diesem Fall nicht beeinträchtigt. 182

AA BGHZ 103,203 ff., 212.

8 Scherer

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im WeUbewerbsrecht

Vergleichbar der Situation bei der Briefwerbung liegt es nun am Umworbenen -:für den Fall, daß er überhaupt keine Werbung im Btx-Mitteilungsdienst erhalten möchte -, seinen Willen entsprechend kundzutun. 183 Da die bereits im Inhaltsverzeichnis als solche gekennzeichnete Werbung im BtxMitteilungsdienst die freie Willensentschließung des Verbrauchers nicht beeinträchtigt, ist sie zulässig. Gleiches gilt für den Btx-Angebotsdienst: Sofern die Werbung dort ordnungsgemäß gekennzeichnet ist, beeinträchtigt sie - vergleichbar der Situation des Einwurfs von Werbeprospekten oder Handzetteln in den Briefkasten - nicht die freie Willensentschließung des Verbrauchers; bei ihm liegt ja die Entscheidung, ob er von dieser Werbung Kenntnis nehmen will oder nicht.

4. Kapitel: Der unerbetene Vertreterbesuch I. Einleitung

Bei den Fällen des unerbetenen Vertreterbesuchs handelt es sich um Sachverhalte, in denen der Werbende ohne vorherige Initiative des Umworbenen (Einladung etc.) diesen im häuslichen Bereich aufsucht, um Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Diese Werbemethode ist weit verbreitet und meist aus persönlicher Erfahrung mit unerbetenen Vertreterbesuchen - auch allgemein bekannt. 184 Zusätzlich zu dem geschilderten "Normalfall" des unerbetenen Vertreterbesuchs treten bisweilen besondere Umstände hinzu, wie etwa der unerbetene Hausbesuch bei Hinterbliebenen durch den Vertreter eines Steinmetzbetriebes zwecks Erlangung eines Auftrages für einen Grabstein, der unerbetene Vertreterbesuch bei alten oder kranken Menschen zwecks Abschluß eines Bestattungsvertrages oder das Erschleichen eines Vertreterbesuchs auf verschiedene Arten. Diese "Sonderfalle" des unerbetenen Vertreterbesuchs zeichnen sich gegenüber dem "Normalfall" also durch das Hinzutreten besonderer, erschwerender Gegebenheiten aus. Sie sind daher - anders als der "Normalfall" des unbestellten Vertreterbesuchs - völlig unbestritten als unzulässig zu beurteilen. Hierauf wird ausführlich im folgenden Abschnitt 11. einzugehen sein. Der "Normalfall", bei dem also keine besonderen Umstände hinzutreten, ist hingegen hinsichtlich seiner Zulässigkeit äußerst umstritten. Es soll daher zunächst auf die - eben wegen der erschwerenden Umstände - unproblematischen 183

Etwa durch eine Eintragung in die "Robinson"-Liste filr Teilnehmer des Btx-Mitteilungsdienstes,

hierzu vgl. Schrey, Wettbewerbsrechtliche Probleme beim Bildschinntext, S. 214. 184 Eine ausfilhrliche rechtstatsächliche Untersuchung zu dieser Fallgruppe gibt v. Fa1ckenstein, Rz. 100 ff., m.w.N.

4. Kapitel: Der unerbetene Vertreterbesuch

115

"Sonderfalle" eingegangen und sodann erst der wesentlich problematischere "Normalfall" behandelt werden. Das Problem des Aufzwingens der Werbung, das beim "Normalfall" den zentralen Punkt dieser Werbemethode darstellt, hat der "Normalfall" zwar mit den "Sonderfalien" gemeinsam. Da die Sonderfalle aber aus anderen Gründen als der "Normalfall" zweifelsfrei als unzulässig zu qualifizieren sind, soll das Problem des Aufzwingens der Werbung durch den unerbetenen Vertreterbesuch erst im Rahmen des "Normalfalls" erörtert werden - dort stellt es den Kernpunkt des Problems dar.

n. "Sonderlälle" unerbetener Vertreterbesuche 1. Grabsteinaufträge

In diesen Fällen erschien unaufgefordert nach einem Todesfall ein Vertreter eines Steinmetzuntemehmens bei den Hinterbliebenen, um einen Auftrag für die Gestaltung eines Grabmals zu erlangen. 185 Die Rechtsprechung186 beurteilt unerbetene Vertreterbesuche in diesen Fällen als unzulässig; die Literatur folgt der Rechtsprechung einhellig mit dem Argument einer unerträglichen Belästigung der Angehörigen durch den Werbenden. 187 Zu derselben Beurteilung gelangt man, wenn man anstelle des unscharfen und nur für wenige Werbernethoden verwendbaren Arguments der Belästigung das funktionsgerechte und umfassend verwendbare Kriterium der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen heranzieht: Aufgrund der psychischen Verfassung nach dem erst kürzere Zeit zurückliegenden Tod eines nahen Angehörigen sind die Umworbenen regelmäßig gar nicht in der Lage, mit klarem Kopf eine Kaufentscheidung hinsichtlich eines Grabmals für ihren Verstorbenen zu treffen; es liegt ersichtlich eine eklatante Beeinträchtigung der freien Willensbildung hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung sowie des generellen Konsumbedürfnisses vor. Selbst wenn seit dem Tod des Angehörigen bereits einige Zeit verstrichen ist188 , stehen die Hinterbliebenen einer unmittelbaren, persönlichen Ansprache durch einen Vertreter nicht mit genügender Distanziertheit gegenüber. Die unmittelbare, persönliche Ansprache beim Hausbesuch des unerbetenen Vertreters bedeutet für die Hinterbliebenen einen eindeutigen Gewissensappell: WÜfm BGH GRUR 1967,430 ff.; GRUR 1971,317 ff.; OLG Karlsruhe, WRP 1973,231 ff.; BVerfG GRUR 1972,358 ff. 186 Siehe vorhergehende Fn. 187 Für alle: Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 78; v.Garnm, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 1. Hlbd., Kap. 25, Rz. 28. 188 Fallgestaltung von BGH GRUR 1971,317 ff.

116

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

den sie nämlich in der Frage der Grabmalsgestaltung eines nahen Angehörigen Überlegungen hinsichtlich des Preis-Leistungs-Verhältnisses anstellen oder überhaupt von der Errichtung eines Grabmals absehen wollen, würde dies bedeuten, daß sie sich vor einem Fremden (dem unerbetenen Vertreter), also quasi öffentlich als "gefühlskalt" und "pietätlos" erweisen. Wegen eines solch "beschämenden" Verhaltens möchte regelmäßig kein Hinterbliebener angeprangert werden. Eine Entscheidung für das vom unerbetenen Vertreter angebotene und empfohlene Grabmal ist der einzig mögliche Ausweg für die Hinterbliebenen aus diesem Dilemma - sie befinden sich also hinsichtlich ihrer Kaufentscheidung in einer Situation moralischen Zwangs. Die Hinterbliebenen sind daher auch dann in ihrer freien Willensbildung beeinträchtigt, wenn der unerbetene Vertreter erst einige Zeit nach dem Tod des Angehörigen erfolgt. Ebenso wie bei dem erst kurze Zeit zurückliegenden Versterben eines Angehörigen wird die freie Willensbildung sowohl hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses als auch hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung, also im zweiten und dritten Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung des Verbrauchers beeinträchtigt. Die Fälle der "Grabsteinwerbung" durch unerbetene Vertreter sind daher im Ergebnis ebenso wie von der Rechtsprechung und der Literatur zu beurteilen: Sie sind in allen Fallvarianten unzulässig. 2. Bestattungsaufträge

Zu alten oder kranken Menschen kamen unaufgefordert Vertreter eines Bestattungsunternehmens, wiesen sie auf die Möglichkeit ihres baldigen Ablebens hin und bemühten sich, mit ihnen einen Vertrag für ihre zukünftige Bestattung abzuschließen.!89 Die Rechtsprechung!90 und ihr folgend die Literatur!9! qualifizieren diese Art der Werbung als unzulässig wegen der damit verbundenen unzumutbaren Belästigung. Zum gleichen Ergebnis gelangt auch die Beurteilung mittels des Kriteriums der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen: Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist in der Regel ein Mensch nicht in der Lage, die Dinge, die mit seinem eigenen Tod zusammenhängen, distanziert und nüchtern zu betrachten. Hinzu kommt, daß die angesprochenen Personen hier - aufgrund ihres Gesundheitszustandes - auf eine solche Erörterung besonders empfindsam reagieren; das Werbegespräch ist daher für sie äußerst unangenehm, und sie wollen es daher so schnell wie möglich beenden. Da aber gerade diese Personen kaum noch in der Lage sein werden, einen solchen Vertreter abzuweisen oder gar "hinauszuwerfen", dürfte BGH GRUR 1955, 541. Siehe vorhergehende Fn. 191 Für alle: Baumbach-Hefermehl, § I, Rz. 78; v.Gamm, Wettbewerbsrecht, Bd. I, 1. Hlbd., Kap. 25, Rz. 28. 189 190

4. Kapitel: Der unerbetene Vertreterbesuch

117

in der Regel der Abschluß eines solchen Vertrages für sie die einfachste Möglichkeit sein, das für sie äußerst unangenehme Gespräch zu beenden; von einer freien, unbeeinträchtigten Willensentschließung hinsichtlich eines Vertragsabschlusses für die eigene Bestattung kann daher keine Rede sein. Die freie Willensentschließung des Umworbenen wird also in diesen Fallgestaltungen sowohl hinsichtlich des konkreten Vertragsabschlusses als auch des generellen Konsumbedürfnisses beeinträchtigt. Die Beurteilung ist daher im Ergebnis ebenso wie die von Rechtsprechung und Literatur: Die beschriebene Werbung ist unzulässig. 3. Erschleichen des Besuchs

Bei dieser Fallgestaltung handelt es sich um verschiedene Sachverhaltsgestaltungen. 192 Gemeinsam ist allen Sachverhalten, daß der Verbraucher z.B. mit einer Postkarte Wareninformationen angefordert hatte, statt dessen aber ein Vertreter zu ihm in die Wohnung kam oder aber von Vertretern Gewinne für den Umworbenen in dessen Wohnung überbracht wurde. Die Rechtsprechung193 und ihr folgend die Literatur194 verneinen die Zulässigkeit dieser Spielart der unerbetenen Vertreterbesuche mit der Argumentation, daß der Umworbene der Möglichkeit beraubt werde, den immerhin von ihm ausgelösten Vertreterbesuch sofort ohne jegliche Begründung abzuwehren, und der Umworbene dadurch in eine Zwangslage gebracht werde. Eben dies begründet auch nach dem Kriterium der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen die Unzulässigkeit dieser Werbemethode: Dreh- und Angelpunkt dieser Fälle ist, daß sich hier immer der Verbraucher als deIjenige sieht, der das Auftauchen des Vertreters veranlaßt hat; er empfindet also "Schuldgefühle" hinsichtlich des Erscheinens des Vertreters (er meint, ihn bestellt zu haben) oder Dankbarkeit (er erhält zunächst etwas geschenkt vom Werbenden). Dies führt dazu, daß sich der Umworbene in einer noch wesentlich schwächeren Position befindet, als dies beim "normalen" unerbetenen Vertreterbesuch sowieso schon der Fall ist: Er ist nämlich zum einen aufgrund seiner "Schuld-" oder "Dankbarkeitsgefühle" in der Entscheidung darüber, ob er überhaupt mit dem Vertreter sich auf ein Verkaufsgespräch einlassen will, erheblich eingeschränkt; wenn nämlich der Vertreter an der Tür des Umwor192 Vgl. LG Osnabrück, WRP 1967, 416 f: "Weinprobe"; OLG München, WRP 1968, 160 If.: "Solebäder"; BGH GRUR 1968, 648 f: "Farbbildangebot"; BGH GRUR 1971, 320 If.: "Schlankheitskur"; BGH GRUR 1973, 81 If.: "Gewinnübermittlung"; BGH GRUR 1976, 32 If.: "Präsentation"; KG WRP 1976, 6141f.: "Gewinnspiei". 193 Vgl. vorhergehende Fn. 194 Für alle: Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 76; v.Ganun, Wettbewerbsrecht, Bd. I, I. Hlbd., Kap. 25, Rz. 30.

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

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benen erscheint, "bepackt mit schweren Mustermappen und Katalogen" 195 , wird es dem Umworbenen, der sich ja an der Mühewaltung des Vertreters "schuldig" wähnt, äußerst peinlich sein, diesen wegzuschicken. Zum anderen ist der Umworbene zusätzlich eines der beliebtesten und wichtigsten Argumente beim Abwehren eines unerbetenen Vertreters beraubt: Nämlich der Behauptung, es interessiere ihn nicht. 196 Darüber hinaus kann bei einer entsprechenden Sachverhaltsgestaltung die Abwehfmöglichkeit des Verbrauchers noch geschwächt werden durch eine mögliche Irreführung darüber, daß er den Vertreter mit seiner Postkarte tatsächlich bestellt hat. Der Verbraucher ist hier daher zunächst in der Freiheit seiner Entschließung beeinträchtigt, ob er den Vertreter zum Hausbesuch überhaupt zulassen SOIl.197 Ein Verkaufsgespräch in all diesen Situationen ist also so gut wie sicher. Wenn man sich nun vor Augen hält, daß die Vertreter, die ja geschultes Verkaufspersonal sind und bei denen die Ausnutzung von bestimmten psychologischen Gegebenheiten beim Kunden beinahe schon notwendigerweise zur Verkaufsstrategie gehört, hierbei auf Umworbene treffen, die sowieso schon "Schuld-" oder "Dankbarkeitsgefiihle" dem Werbenden entgegenbringen, kann von einer freien Willensentschließung des Verbrauchers hinsichtlich des Vertragsabschlusses keine Rede mehr sein. ("Wenn ich das schon angefordert habe und der Vertreter sich jetzt diese Mühe macht - oder: wenn die schon so großzügig sind und mir etwas schenken - muß ich schon etwas nehmen. ") Sowohl die freie Willensentschließung hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung als auch die freie Willensbildung hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses sind hier beeinträchtigt. Die Beurteilung ist daher hier im Ergebnis dieselbe wie die der Rechtsprechung und der Literatur in allen Fällen: Das Erschleichen des Vertreterbesuchs, gleichgültig, aufweIche Weise, ist unzulässig.

III. Der "Normalfall" des unerbetenen Vertreterbesuchs 1. Rechtsprechung und Literatur

Die Rechtsprechung sieht - in den älteren Entscheidungen - den "normalen" unaufgeforderten Vertreterbesuch (also den Besuch, der keine besonderen Begleitumstände - wie oben unter 11. dargestellt - aufweist) prinzipiell als zulässig an; dies wird jeweils festgestellt als "obiter dictum,,198. In der "Telefon-

19j

BGH GRUR 1968,648 f., 649.

196 197

Vgl. OLG München, WRP 1968, 160 f., 161. BGH GRUR 1968, 648 f., 649.

198

BGH GRUR 1955,541 f., 542; OLG München, WRP 1968, 160; BGH GRUR 1968, 648 f.,

649.

4. Kapitel: Der unerbetene Vertreterbesuch

119

werbung"-EntscheidungI99 und in der "Gewinnübermittlung"-Entscheidunioo scheinen sich jedoch Absetzbewegungen des BGH von diesen "obiter dicta" anzukündigen: Sowohl in der "Telefonwerbung"-Entscheidung201 als auch in der "Gewinnübermittlung"-Entscheidunio2 stellt der BGH fest, daß er bisher "über die Zulässigkeit unerbetener Vertreterbesuche nur in einzelnen, besonders gelagerten Fällen entschieden" habe. In der "Telefonwerbung"Entscheidung heißt es dann weiter 03 : "Ob Vertreterbesuche zulässig oder unzulässig sind, kann immer nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände entschieden werden." Auch dies stellt zwar wiederum nur ein obiter dictum dar; jedoch hat der BGH in den Entscheidungen nach dieser "Telefonwerbung"-Entscheidung die prinzipielle Zulässigkeit unaufgeforderter Vertreterbesuche nicht mehr festgestellt. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß sich der BGH die Abkehr von seinen früheren "obiter dicta" offenhalten wollte. 204 Das erscheint um so wahrscheinlicher, als zum einen auffällig ist, daß keiner der bisher konkret entschiedenen Fälle eines unerbetenen Vertreterbesuchs von der Rechtsprechung als zulässig angesehen worden ist; zum anderen, als in der "Grabsteinwerbung II"-Entscheiduni05 der unerbetene Vertreterbesuch zwecks Werbung für Grabsteinaufträge gänzlich - also nicht nur innerhalb einer bestimmten Frist - für unzulässig erklärt wurde, so daß in diesem Bereich die Rechtsprechung das (Un-)Wesen der unerbetenen Vertreterbesuche vollständig abgeschafft hat. Die Literatur zum unerbetenen Vertreterbesuch ist geteilter Meinung. Neben den Autoren, die der Rechtsprechung fOlgen206 , mehren sich in jüngerer Zeit die Stimmen, die dieser Erscheinungsfonn der Direktwerbung nicht nur sehr kritisch gegenüber stehen207 , sondern sie schlechthin für unzulässig halten. 208 199 200 201 202 203 204 20S

BGHZ 54,188 ff., 193. BGH GRUR 1973,81. BGHZ 54,188 ff., 193. BGH GRUR 1973, 81. BGHZ 54,188 ff., 193. Völp, WRP 1973,65; Ferruindez-N6voa, GRUR Int. 1973,436 ff., 440, Fn. 54. BGH GRUR 1971,317 ff.

206 Baumbach-Hefermehl, § I, Rz. 75; v. Garnm, Wettbewerbsund Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. I, I. Hlbd., Kap. 25, Rz. 28; ders., UWG, § I, Rz. 147; Ulmer-Reimer, Rz. 798; Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 42; Emmerich, S. 165; Nordemann, Rz. 180; P. Ulmer, WRP 1986,445 ff., 454; Lehmann, GRUR 1974, 133 ff. 207 Krüger-Nieland, GRUR 1974,561 ff., 563 f; dies., WRP 1979, 1 ff., 6; Schricker, RabelsZ 40 (1976), 535 ff., 549; Ferruindez-N6voa, GRUR Int. 1973,463 ff., 440; Hefermehl, GRUR 1980,622 f, 626; v. Falckenstein, Rz. 100 ff., 104 ff.; Droste, GRUR 1970,524 f, 525; Gilles, Rz. 143 ff. 208 Völp, WRP 1973, 63 ff.; ders., GRUR 1979, 435 f; Rödding, DB 1969, 1877 ff., 1879; ReichiTonnerlWegener, S. 115 f; v. Hippel, BB 1983,2024 f, 2025; ders., RabelsZ 40 (1976), 513 ff., 534; Borck, WRP 1980, 184 ff., 188.

120

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wetlbewerbsrecht

2. Eigene Beurteilung

Um das Problem der Unzulässigkeit dieser Werbeart beurteilen zu können, ist die Frage zu beantworten, ob der unerbetene Vertreterbesuch eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen darstellt. Hierbei erleichtert es die Bewertung, wenn man sich einerseits die Situation eines unaufgeforderten Telefonanrufs zu Werbezwecken - der von Rechtsprechung und Literatur einhellig für sittenwidrig und damit unzulässig erachtet wird209 - vor Augen hält. Klingelt die Tür- oder die Telefonglocke, hat der Verbraucher immer zwei Möglichkeiten: Entweder er öffnet die Tür bzw. hebt das Telefon ab, um herauszufinden, wer hier mit ihm sprechen möchte. Oder er sieht nicht an der Haustür nach und hebt das Telefon nicht ab. Bei der zweiten Möglichkeit ist er zwar sicher, von irgendwelcher unerwünschter Werbung verschont zu bleiben; er läuft allerdings auch Gefahr, einen wichtigen Besuch - Freunde, Bekannte, Nachbarn - vor der Tür stehen zu lassen oder einen wichtigen Anruf zu verpassen. 210 Der Umworbene ist deshalb in beiden Fällen regelmäßig gezwungen, die Haustür zu öffnen bzw. das Telefon abzunehmen - er ist also notwendigerweise gezwungen, sich mit der Werbung dieses Anbieters zu befassen. Ein Abstellen der Haustürklingel würde ebenso wie ein Abstellen der Telefonklingel zwar dazu führen, daß der Umworbene nun vor dieser unerbetenen Werbung geschützt wird; gleichzeitig würde dies jedoch zur Folge haben, daß dadurch beide Kommunikationsmittel vollständig unbrauchbar werden. An dem Zwang, sich notgedrungen mit der unerbetenen Werbung zu befassen, ändert sich nichts, will man nicht Gefahr laufen, wichtige Besuche oder Gespräche zu versäumen. Auch der BGH betont, daß niemandem Werbung aufgezwungen werden dürfe211 ; die Konsequenz aus dieser Feststellung hat er jedoch - bisher - bei den unaufgeforderten Vertreterbesuchen noch nicht gezogen. Durch die Tatsache also, daß der Umworbene gezwungen wird, von der Werbung des unerbetenen Vertreterbesuchs Kenntnis zu nehmen, sich mit dieser Werbung zu befassen, wird seine Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Frage, ob er überhaupt von einer Werbung Kenntnis nehmen, sich einer Werbung aussetzen will, beeinträchtigt: Ihm wird nicht die Möglichkeit gegeben wie etwa beim Werbebrief oder der Femseh- bzw. Rundfunkwerbung "im Block" - die Werbung vollständig zu ignorieren und seinen Willensentschluß, sich mit einer Werbung nicht zu befassen, in die Tat umzusetzen. Den Werbe209

Vgl. nur das grundlegende Urteil von BGHZ 54, 188 Ir., sowie Baumbach-H~fennehI, § 1, Rz.

67. 21 0 211

Ebenso Schade, S. 123. Vgl. BGHZ 54,188 ff., 191.

4. Kapitel: Der unerbetene Vertreterbesuch

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brief nämlich kann der Umworbene ungelesen in den Papierkorb befördern, das Werbefernsehen oder die Rundfunkwerbung "im Block" von vorneherein ausschalten (oder beim Fernsehen ohne Ton laufen lassen) - mit dem Vertreter jedoch muß er notgedrungen sogar persönlichen Kontakt aufnehmen, will er nicht Gefahr laufen, einen wichtigen Besucher vor der Tür stehen zu lassen. Bereits in diesem Zwang, sich mit der Werbung des Anbieters zu befassen, liegt eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen, und zwar hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung, also bereits im ersten Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung des Verbrauchers. Dieser Zwang zur Kenntnisnahme von Werbung ist aber nicht nur das Wesensmerkmal beim "Normalfall" des unaufgeforderten Vertreterbesuchs, sondern ist gleichfalls notwendiger Bestandteil bei jedem nur denkbaren "Sonderfall" des unerbetenen Vertreterbesuchs; der Zwang zur Kenntnisnahme von Werbung ist also kennzeichnend für den unerbetenen Vertreterbesuch schlechthin. Da aber bei den verschiedenen Fallgestaltungen der "Sonderfälle" regelmäßig die dort vorkommenden erschwerenden Umstände für die Verbraucher im Mittelpunkt stehen, kann es in der Praxis durchaus akzeptabel sein, sich für die Qualifizierung dieser unaufgeforderten Vertreterbesuche als unzulässig auf die erschwerenden Umstände und die dadurch ausgelöste Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen zu beschränken. Des weiteren ist folgendes zu berücksichtigen: Das Verkaufsgespräch und die eigentliche Werbung (Vorstellung des Vertreters an der Haustür) sind nach allgemeiner Lebenserfahrung sehr eng miteinander verzahnt. Da es nun aber regelmäßig nur unter Verletzung der Gebote der Höflichkeit möglich ist, den Vertreter abzuwehren - nämlich indem kurzerhand die Tür wieder geschlossen wird - ist der Umworbene im Handumdrehen in ein Verkaufsgespräch verwikkelt; die meisten Verbraucher schrecken nämlich - eben weil es die Gebote der Höflichkeit erheblich verletzt - vor der oben beschriebenen probaten Abwehrmethode zurück. Da aber Vertreter regelmäßig psychologisch geschulte Verkäufer sind, ist es sehr häufig für viele Verbraucher, insbesondere alte Leute und Verbraucher mit einer geringeren intellektuellen Konsumentenaufgeklärtheit212 , nur möglich, durch Abschluß eines Vertrages den Vertreter wieder loszuwerden. Zwar geht der BGH213 davon aus, daß "üblicherweise jedermann frei in seiner Entscheidung ist, ob er einem ungebetenen Vertreter den Zutritt ins Haus gestatten will oder nicht, und es auch erwartet werden kann, daß er von dieser Freiheit Gebrauch macht". Es ist Völp jedoch ohne Einschränkung zuzustimmen, wenn er hierzu sagt: "Über diesen Satz werden die Haustürvertreter nur lachen. Ein erfolgreicher Vertreter beherrscht alle Methoden, um 212 Daß diese VerbrauchergJUppen bevorzugt von unerbetenen Vertretern aufgesucht wird, belegt die rechtstatsächliche Untersuchung v. Falckensteins, Rz. 103, S. 101. 2B GRUR 1968,648 ff., 649.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Kaufwiderstand ZU brechen und die Freiheit ihn abzuweisen, zur heroischen Mutprobe werden zu lassen. Dieser Vertreter ist wohl vorbereitet auf all die Argumente, die ihm entgegengehalten werden. Gelingt es ihm erst einmal, mit vollendeter Höflichkeit ein Gespräch anzuknüpfen und gar in die Wohnung gelassen zu werden, befindet sich der Angesprochene in einer meist hoffnungslosen Defensive,,214 . Dabei ist die Aggressivität der Verkaufsstrategie unerbetener Vertreter bei Haustürkarnpagnen bisweilen erschreckend215 . Da beim unaufgeforderten Vertreterbesuch also der Umworbene aufgrund der dargestellten Situation216 sich häufig nur durch einen Vertragsschluß von der Anwesenheit des Vertreters wieder befreien kann, ist hier nicht nur die oben dargelegte Entschließungsfreiheit hinsichtlich der Kenntnisnahme von dieser Direktwerbung beeinträchtigt, sondern auch die Entschließungsfreiheit hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung und des generellen Konsumbedürfnisses. Auch der "Norrnalfall" des unerbetenen Vertreterbesuchs ist daher unzulässig. 3. Einwände

Diesem Ergebnis werden in Rechtsprechung und Literatur mehrere Einwände entgegengehalten. Zum einen und in erster Linie gehen der BGH und das Schrifttum davon aus, daß bei den unaufgeforderten Vertreterbesuchen historische Gegebenheiten vorlägen, die den Schutz des erworbenen Besitzbestandes rechtfertigen217 , so daß ein gänzliches Verbot unerbetener Vertreterbesuche gegen Art. 12 und 14 GG verstießen. 218 Von mehreren Autoren wird daher als Konsequenz ein Tätigwerden des Gesetzgebers zur Untersagung der auch von ihnen für höchst unerwünscht gehaltenen unerbetenen Vertreterbesuche gefordert. 219 a) Tradition der unerbetenen Vertreterbesuche Um diese Einwände beurteilen zu können, ist zunächst einmal die Tradition der Tätigkeit der Vertreter in historischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht 214

Völp, WRP 1973,63 ff., 64.

m V gl. hienu die ausfUhrliche rechtstatsächliche Darstellung bei v.Falckenstein, Rz. 103, S. 102 ( 216 Die psychische Zwangssituation bei Haustürgeschäften leugnet auch Schade, S. 123 nicht; ebenso Gilles, Rz. 61. 217 BGHZ 54,188 ff., 193; Krüger-Nieland, WRP 1979, I ff., 6; dies., GRUR 1974, 561 ff., 563 (; Lehrnann, GRUR 1974, 133 ff., 135; Hefermehl, GRUR 1980,622 ff., 626; Schade, S. 128 ff. 218 Lehrnann, GRUR 1974, 133 ff., 135; Klaka, GRUR 1971,321 (; Schade, S. 128 ff.; auf eine

Einzelfallabwägung abstellend: Hefermehl, GRUR 1980,622 ff., 626. 219 Krüger-Nieland, GRUR 1974, 561 ff., 564; dies., WRP 1979, 1 ff., 6; Hefermehl, GRUR 1980, 622 ff., 626.

4. Kapitel: Der unerbetene Vertreterbesuch

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zu betrachten. In Zeiten, in denen ein Großteil der Bevölkerung im ländlichen Raum lebte, ohne die Möglichkeit von zureichenden Verkehrsverbindungen, bot - über den Wochenmarkt hinaus - lediglich der altbekannte Jahnnarktbesuch oder die umständliche Fahrt in die Kreisstadt die Möglichkeit, sich mit Waren, die nicht selbst produziert wurden, zu versorgen. Hier erfüllte der damals wohl eher als Hausierer oder Wanderkrämer bekannte - unerbetene Vertreter eine wichtige ökonomische Funktion: Er verschaffte den im ländlichen Raum lebenden Menschen die Möglichkeit, sich außerhalb eines - oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbundenen - Markt- oder Stadtbesuchs mit dringend benötigten Waren einzudecken, die zudem möglicherweise auf dem normalen Wochenmarkt nicht feilgehalten wurden. 220 In diesen Verhältnissen vollzog sich jedoch im Laufe des 20. Jahrhunderts nicht nur eine Wandlung, sondern eine regelrechte Umwälzung der bestehenden Verhältnisse. Ein ganz wesentlicher Teil der Bevölkerung lebt heute in Städten mit einem geradezu sprichwörtlichen Überfluß an Waren und Dienstleistungen; doch selbst in ländlichen Gebieten besteht aufgrund der wesentlich verbesserten Verkehrsverbindungen, der beträchtlich gestiegenen individuellen Mobilität sowie der überdies bestehenden Möglichkeit einer Bedarfsdeckung im Versandhandel allerorten der Kontakt zu den normalen Vertriebsformen des modemen Wirtschaftslebens. 221 In dieser Situation eines regelrechten Überflusses an Einkaufsmöglichkeiten kann von einer wichtigen ökonomischen Funktion des unerbetenen Vertreters keine Rede mehr sein; im Gegenteil: Der Verkauf von Waren an der Wohnungstür wird heute von 92 % der Bevölkerung abgelehnt. 222 Überdies kommt aufgrund gestiegener Kriminalität und fehlenden Hauspersonals, das früher unerbetene Vertreter meist abfangen konnte, ein gesteigertes Bedürfnis hinzu, nicht von unbekannten Personen im eigenen Wohnungsbereich belästigt zu werden. 223 Festzuhalten ist somit, daß aufgrund der geänderten siedlungsstrukturellen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse nicht nur das Bedürfnis nach unerbetenen Vertreterbesuchen, sondern auch die Akzeptanz dieser Vertriebsform in der Bevölkerung nahezu vollständig entfallen ist. Die Generalklausel des Wettbewerbsrechts war jedoch von jeher ganz besonders darauf angelegt, auf Veränderungen in den tatsächlichen Verhältnissen durch eine sachgerechte Interessenabwägung zu reagieren. 224 Die dargelegte Änderung der Verhältnisse und die Umkehrung der Akzeptanz muß daher eine geänderte rechtliche Beurtei220 V gl. die rechtstatsächliche Untersuchung v.Falckensteins, Rz. 103, Fn. 177, sowie Gilles, Rz. 12 ff.; Krüger-Nieland, GRUR 1974,561 ff., 563 und Völp, WRP 1973,63 ff., 65. 221 Gilles, Rz. 15, 43 f. 222 223 224

Infratest-Umfrage 1974, zitiert von: Schade, S. 43 f. Krüger-Nieland, GRUR 1974, 561 ff., 563. Krüger-Nieland, GRUR 1974, 561 ff., 563.

124

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

lung ermöglichen. Wenn sich nämlich die rechtliche Bewertung eines Verhaltens nicht aufgrund einer geänderten Akzeptanz bei den Rechtssubjekten Wllkehren dürfte, wäre eine Fortbildung der Rechtsprechung nicht möglich. Die Beurteilung der Zulässigkeit einer Wettbewerbshandlung kann sich also Wllkehren. 225 Die Tatsache, daß die Rechtsprechung unerbetene Vertreterbesuche früher in ihren "obiter dieta" für unzulässig angesehen hat, kann somit jetzt einer anderen rechtlichen Beurteilung nicht entgegenstehen. b) Art. 12 und Art. 14 GG Möglicherweise könnte dieser wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des unerbetenen Vertreterbesuchs jedoch Art. 12 GG entgegenstehen. Bei der Untersuchung eines Verstoßes gegen Art. 12 I GG ist zunächst zu klären, ob das Verbot unerbetener Vertreterbesuche die freie Berufswahl oder lediglich die freie Berufsausübung betrifft. Da Art. 12 GG in jedem Fall alle Berufe umfaßt, die sich in bestimmten traditionell oder sogar rechtlich fixierten und erlaubten Berufsbildern darstellen226 , wird angenommen, daß ein wettbewerbsrechtliches Verbot des unaufgeforderten Kommens eines Vertreters nicht nur eine bestimmte Ausübungsform, sondern die Berufswahl an sich unmöglich mache. 227 Begründet wird diese Auffassung mit § 55 I Nr. 1 GewO. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm lauten: "Wer ... ohne vorherige Bestellung ... feilbietet ... ". Hierdurch werde deutlich, daß der Gesetzgeber quasi das unaufgeforderte Klingeln eines Vertreters an der Wohnungstür des Umworbenen zum Berufsbild gezählt habe; würde also das unaufgeforderte Kommen und Klingeln des Vertreters an der Haustür untersagt, so bliebe für das Hausierergewerbe im Rahmen von § 55 I Nr. 1 GewO kein Raum mehr und die eigentliche Wahl dieses Berufes werde unmöglich gemacht. 228 Ob jedoch der in § 55 GewO beschriebene Hausiererhandel notwendigerweise das Klingeln an fremden Wohnungstüren voraussetzt, erscheint als fraglich: Für das Feilbieten ohne vorherige Bestellung genügt es nämlich, sich in anderer Weise bemerkbar zu machen, etwa durch Verkaufswagen oder andere ambulante Verkaufsstände229 , so daß anstelle des Klingelns an der Wohnungstür das Glockenschwingen oder Hupen auf der Straße treten können und in einigen Bereichen des ambulanten Handels auch schon lange getreten sind (man denke nur an den traditionellen Altwarenhändler, den "Eiermann" oder andere Anbieter von frischen Lebensmitteln, die über fahrbare Verkaufsstände 225 226 227 228 229

Vgl. insbesondere KG WRP 1975,445 ff., 448. BVerfGE 7, 377 f., 397; 13,97 ff., 106; 17,232 ff., 241. LeJunann, GRUR 1974, 133 ff., 135; Schade, S. 129. LeJunann, GRUR 1974, 133 ff., 135; Schade, S. 129. Völp, WRP 1973,63 ff., 66.

4. Kapitel: Der unerbetene Vertreterbesuch

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verfügen). Von erheblicher Bedeutung in diesem Bereich könnte auch die vom BVerfG, anderen Gerichten und einigen Autoren vorgeschlagene Möglichkeit sein, mittels Werbeschriften die Umworbenen zu Einladungen zu Vertreterbesuchen anzuregen. 230 Das Tatbestandsmerkmal "ohne vorherige Bestellung feilbieten" beinhaltet also keineswegs notwendigerweise das unaufgeforderte Klingeln an fremden Wohnungstüren; es kann somit auch nicht davon ausgegangen werden, daß dies zum Berufsbild des Hausierers zählt. Ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl ist daher bei einer Qualifizierung des unerbetenen Vertreterbesuchs als unzulässig nicht gegeben. In einer ähnlichen Frage, nämlich dem generellen Verbot von unaufgeforderten Vertreterbesuchen für Grabsteinaufträge haben sowohl der BGH231 als auch das BVerfG232 eine Verletzung des Steinmetzunternehmers in seinem Recht aus Art. 12 I GG auf freie Berufswahl verneint, obwohl er die von ihm gefertigten Grabsteine nur durch Vertreter vertrieb. Das BVerfG hat hierzu festgestellt, daß - obwohl ja der Beschwerdeführer seine Produkte durch Vertreter vertrieb - nichts dafür ersichtlich sei, daß ihm (oder gar allen ihre Werbung durch Vertreter betreibenden Unternehmen) durch das Verbot die Ausübung ihres Berufs unmöglich gemacht werde. 233 Konsequenterweise kann dann - wie dargelegt - auch generell nicht von einer Verletzung der freien Berufswahl bei Untersagung der unerbetenen Vertreterbesuche ausgegangen werden. Auch eine Verletzung von Art. 14 I GG liegt nicht vor. Ein als "Eigentum" i.S.d. Art. 14 GG anzusehender objektiver Besitzstand kann nämlich nicht durch Wettbewerbshandlungen begründet werden, die sittenwidrig sind; das gilt auch in den Fällen, in denen das mittlerweile verurteilte Verhalten bisher von der Rechtsprechung geduldet worden ist. 234 Dies muß auch in den Fällen gelten, in denen Wettbewerbshandlungen aufgrund einer geänderten Akzeptanz einer anderen rechtlichen Beurteilung unterliegen, da der Gewerbetreibende gern. § 1 UWG verpflichtet ist, seinen Wettbewerb so zu gestalten, daß er nicht gegen die guten Sitten verstößt. c) § 1 HaustürWiG In Betracht kommt aber, daß der Gesetzgeber durch das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften vom 16.1.1986235 , 230 Sogenannte "positive" Postkartenaktion, vgl. BVerfG GRUR 1972,358 ff, 360; BGH GRUR 1971,317 ff, 319; Völp, WRP 1973,63 ff, 66; Hefermehl, GRUR 1980,622 ff, 627; OLG Karlsruhe, WRP 1973,231 ff.,233. 231 GRUR 1971,317 ff, 319. m GRUR 1972,358 ff, 360. m BVerfG GRUR 1972,358 ff, 360. 234 BVerfG GRUR 1972,358 ff, 360.

126

II. Teil: Die UlIZulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

in Kraft getreten am 1.5.1986, gezeigt hat, daß er von einer Zulässigkeit der dort angesprochenen konkreten Formen des Direktmarketing ausgeht, insbesondere von einer Zulässigkeit des unerbetenen Vertreterbesuchs. 236 Diese Frage stellt sich vor allem deshalb, weil § 1 I Nr. 1, 11 Nr. I HaustürWiG dem Kunden ein Widerrufsrecht nicht gewährt, wenn die Vertragsverhandlungen auf vorhergehende Bestellung des Kunden geführt worden sind. Dies trifft also regelmäßig dann zu, wenn der Kunde den Vertreter zum Zweck eben dieser Vertragsverhandlungen237 bestellt hat. Im Umkehrschluß könnte man daher davon ausgehen, daß der Gesetzgeber unaufgeforderte Vertreterbesuche kennt und akzeptiert, den Kunden jedoch für diese Fälle mit einem Widerrufsrecht gern. § I I Nr. I HaustürWiG schützen will. Diese Schlußfolgerung ist aber nicht zwingend. Vielmehr stellt das durch

§ I I HaustürWiG gewährte Widerrufsrecht nur einen neuen, zusätzlichen Schutz für die Verbraucher dar; nicht aber bedeutet es eine generelle gesetzge-

berische Sanktionierung des unerbetenen Vertreterbesuchs. Dies ergibt sich zum einen aus den Gesetzgebungsmaterialien238 , zum anderen aus dem Regelungszusammenhang. Aus der Begründung des Gesetzesentwurfs des Bundesrates vom 15.2.1985 ist zunächst zu entnehmen, daß dem Gesetzgeber deutlich vor Augen stand, daß mit dem Wettbewerbsrecht nicht etwaige unliebsame oder schädigende Geschäftsabschlüsse von Verbrauchern beseitigt werden können, da wettbewerbsrechtliche Verbote grundsätzlich die Wirksamkeit von Verträgen nicht berühren. 239 Die Gewährung eines Widerrufsrechts für Verbraucher in bestimmten Fällen durch das HaustürWiG stellt also einen gänzlich anderen Schutz für die betroffenen Verbraucher dar, als er durch das UWG und das bürgerliche Recht gewährt wird. 240 Das HaustürWiG und das Wettbewerbsrecht verfolgen mit dem von ihnen gewährten Schutz im wesentlichen unterschiedliche Ziele. 241 Der vom HaustürWiG gewährte Schutz für die Verbraucher bewirkt daher nicht die Reduzierung eines durch andere Gesetze, etwa durch das UWG gewährten Verbraucherschutzes. Die Feststellung, daß das Widerrufsrecht des § 1 I HaustürWiG nicht auf ein generelles wettbewerbsrechtliches Verbot des Haustürgeschäftes abziele42 , ist unter diesen Vorausset-

BGB!. I S. 122. So MünchKomm-Ulrner, vor § 1 HaustürWiG, Rz. 31; WernerlMachunsky, vor § 1, E, Rz. 7; einschränkend P. Ulmer, WRP 1986,445 ff., 453 ff. 237 A1lg. Meinung, vg!. nur WemerlMachunsky, § 1, Rz. 191 ff.; MünchKomm-Ulrner, § 1 HaustürWiG, Rz. 37 ff., jeweils m.w.N. 238 BT-Dmcksache 10/2876 (1985); BT-Dmcksache 10/4210 (1985). 239 BT-Dmcksache 10/2876 (1985), S. 1,7. 240 BT-Drucksache 10/2876 (1985), S. 7; BT-Dmcksache 10/2210 (1985), S. 9. 241 BT-Dmcksache 10/2876 (1985), S. 7. 242 BT-Drucksache 10/2876 (1985), S. 7. 23S

236

4. Kapitel: Der unerbetene Vertreterbesuch

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zungen eine Selbstverständlichkeit, da, wie dargelegt, beide Gesetze verschiedene Zielsetzungen haben und einen völlig unterschiedlichen Schutz gewähren. Aus der Begründung zur Einführung eines Widerrufsrechts für Verbraucher durch § 1 HaustürWiG läßt sich also, wie gezeigt, keine gesetzgeberische Erlaubnis unerbetener Vertreterbesuche ableiten. Das ergibt sich auch aus dem Rgelungszusammenhang des durch § 1 I Nr. 1 HaustürWiG gewährten Widerrufsrechts, insbesondere § 1 II Nr. 1 HaustürWiG und § 1 I Nr. 3 HaustürWiG. § 1 II Nr. 1 HaustürWiG schließt das durch § 1 I Nr. 1 HaustürWiG gewährte Widerrufsrecht aus, wenn "die mündlichen Verhandlungen, auf denen der Abschluß des Vertrages beruht, auf vorhergehende Bestellung des Kunden geführt worden sind". Hieraus könnte nun der Umkehrschluß gezogen werden, der Gesetzgeber akzeptiere damit die unaufgeforderten Vertreterbesuche, da ansonsten kein Raum mehr für das Widerrufsrecht nach § 1 I Nr. 1 HaustürWiG verbliebe. Hierbei ist jedoch folgendes zu berücksichtigen: Der Begriff der "vorherigen Bestellung" meint nicht jede Aufforderung des Verbrauchers an den Vertreter, ihn aufzusuchen; vielmehr muß die "vorherige Bestellung" des Kunden i.S.d. § 1 II Nr. 1 HaustürWiG auf das Führen von Vertragsverhandlungen mit dem Vertreter gerichtet und bereits auf einen hinreichend konkret bestimmten Verhandlungsgegenstand - einschließlich Zeit und Ort des gewünschten Vertreterbesuchs - bezogen sein. 243 Eine allgemeine Einladung des Vertreters durch den Kunden zu einem Hausbesuch, einer Warenpräsentation, reiner Information und Beratung oder der Erstellung eines Kostenvoranschlages reicht hingegen nicht aus, um das Widerrufsrecht des Kunden gern. § 1 II Nr. 1 HaustürWiG auszuschließen. 244 Daraus folgt, daß aus § 1 I Nr. 1 HaustürWiG keineswegs der Umkehrschluß gezogen werden kann, der Gesetzgeber akzeptiere durch diese Regelung unaufgeforderte Vertreterbesuche: Der "unbestellte" Vertreterbesuch entsprechend § 1 II Nr. 1 HaustürWiG und der unaufgeforderte Vertreterbesuch schlechthin sind nämlich keineswegs identisch. Wie oben dargelegt kann ein Vertreterbesuch zwar vom Verbraucher erbeten - und daher wettbewerbsrechtlich zulässig -, aber nicht i.S.d. § 1 II Nr. 1 HaustürWiG "bestellt" sein. Es bleibt daher auch bei Ausschluß der Zulässigkeit der unerbetenen Vertreterbesuche ein genügendes Anwendungsgebiet für das Widerrufsrecht des § 1 I Nr. 1 HaustürWiG eben den aufgeforderten, aber, i.S.d. § 1 II Nr. 1 HaustürWiG, nicht "bestellten" Vertreterbesuch. Auch läßt die Regelung des § 1 I Nr. 3 HaustürWiG den Schluß darauf zu, daß das HaustürWiG keine gesetzgeberische Erlaubnis des unerbetenen Vertre243 Alig. Meinung, vgl. nur MünchKomm-Ulmer, § 1 HaustürWiG, Rz. 41; Wemer/Machunsky, § I, Rz. 191 ff.,jeweils m.w.N. 244 Allg. Meinung, vgl. nur Wemer/MlWhunsky, § 1, Rz. 194; MünchKomm-Ulmer, § 1 Haustür-

WiG, Rz. 41,jeweilsm.w.N.

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H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

terbesuchs darstellt: § 1 I Nr. 3 HaustürWiG gewährt das Widerrufsrecht ausdrücklich auch denjenigen Verbrauchern, die "im Anschluß an ein überraschendes Ansprechen in Verkehrsmitteln oder im Bereich öffentlich zugänglicher Verkehrswege" den Vertrag geschlossen haben. Seit jeher wird aber ein derartiges Ansprechen von Passanten einhellig als unzulässig angesehen. 245 Wenn nun aber der Gesetzgeber in Kenntnis der generellen Unzulässigkeit hier dennoch ein Widerrufsrecht gibt, zeigt er damit deutlich, daß dieses Widerrufsrecht bloß ein anderer, zusätzlicher Schutz der Verbraucher gegenüber dem durch das Wettbewerbsrecht gewährten Schutz sein soll; keineswegs lassen sich aus dieser Regelung Rückschlüsse auf eine gesetzgeberische Erlaubnis dieser als unzulässig qualifizierten Form der Direktwerbung ziehen. Aus dem Regelungszusammenhang des HaustürWiG ergibt sich daher gleichsfalls kein Anhaltspunkt über eine Aussage des Gesetzgebers für eine generelle Zulässigkeit unerbetener Vertreterbesuche. Das HaustürWiG hindert also eine Qualifizierung der unerbetenen Vertreterbesuche als unzulässig nicht. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß die Möglichkeit eines Widerrufs nicht ausreicht, um die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung und des generellen Konsumbedürfnisses wieder zu beseitigen. (Hinsichtlich der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung bei der Kenntnisnahme von Werbung besteht ohnehin keine Möglichkeit, diese Beeinträchtigung hinsichtlich der aufgezwungenen Werbung nachträglich zu beseitigen.) Kommen nach dem Vertragsabschluß mit dem unerbetenen Vertreter dem Verbraucher nämlich Zweifel und bereut er den Kauf, so steht ihm nun zwar de jure das Widerrufsrecht zu; de facto hat er jedoch zunächst einmal ein von ihm unterschriebenes Vertragsformular in Händen, welches ihm bestimmte Zahlungspflichten verheißt. Möglicherweise befindet er sich sogar schon in Besitz der Ware. Beträgt das Entgelt nun nicht mehr als 80.- DM, ist das Widerrufsrecht gem. § I 11 Nr. 2 HaustürWiG sowieso ausgeschlossen. Selbst wenn dies aber nicht der Fall ist und der Verbraucher Kenntnis von seinem Recht zum Widerruf hat, wird ihm klar sein, daß mit einiger Wahrscheinlichkeit durch Ausübung dieses Widerrufsrechts erhebliche Schwierigkeiten auf ihn zukommen werden: Die Versuche unseriöser Unternehmen, mit verschiedenen Machenschaften den Kunden an der Ausübung seiner gesetzlichen Rechte zu hindern, sind in der Praxis bezüglich des Abzahlungsgesetzes und anderer verbraucherfreundlicher Gesetze seit langem bekannt. 246 (Ganz zu schweigen davon, daß es einen erheblichen Aufwand an Zeit und Geld für den Verbraucher bedeutet, sein Widerrufsrecht gegenüber einem rechtlich versierten und wirtschaftlich übermächtigen Direktvertriebsunternehmen durchzusetzen.) Alles dies vor Augen, wird beim Verbraucher nicht 245

Allg. Meinung, vgl. nur BGH GRUR 1960,431 ff.; 1965,315 ff.; 1975,264 ff., 266 (; Baum-

bach-Hefermehl, § I, Rz. 60. 246 Vgl. GiIles, NJW 1986, 1131 ff., 1143.

4. Kapitel: Der unerbetene Vertreterbesuch

129

selten letztendlich die "nonnative Kraft des Faktischen" siegen: Er wird den Vertrag nolens volens zähneknirschend erfiillen. Auch das Widerrufsrecht ändert somit nichts an der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung bzw. des generellen Konsumbedürfnisses; diese bereits erfolgte Beeinträchtigung der freien Willensbildung wird nicht in ausreichendem Maße "wiedergutgemacht". Deshalb ändert das HaustürWiG nichts an der Beurteilung des unerbetenen Vertreterbesuchs als unzulässig. Zur Lösung des auch von ihm erkannten Problems der unaufgeforderten Vertreterbesuche schlägt Lehmann vor, den Vertreter von der Wohnung durch ein Schild "Betteln und Hausieren verboten" fernzuhalten. 247 Er ist der Ansicht, daß in dieser Abwehnnöglichkeit der Unterschied zur Telefonwerbung zu sehen ist, bei der auch er eine solche Abwehr, z.B. durch entsprechenden Vennerk im Telefonbuch248 , nicht für möglich hält. Das hieße also, den Verbraucher zu zwingen, selbst aktiv zu werden, wenn er eine Werbung nicht wünscht. Dies kann aber dem Verbraucher nicht zugeschoben werden; wenn nämlich der Werbende eine Werbemethode benützt, die die Umworbenen zwingt, von ihr Kenntnis zu nehmen249 , liegt es an dem Werbenden, eine Werbemethode zu wählen, die weniger aggressiv ist. Auf welche Weise er seine Werbung gestaltet, obliegt nämlich einzig und allein seiner Entscheidung. So hat auch das OLG Karlsruhe den Fall einer "negativen" Postkartenaktion beurteile 50 , bei der ein Unternehmer, dem unerbetene Vertreterbesuche zur Werbung fur Grabsteinaufträge untersagt worden waren, mit Postkarten einen Vertreterbesuch ankündigte, und die Empfänger aufforderte, sich zu melden, falls dieser Vertreter nicht erwünscht sei. Das Gericht fuhrt hier aus, daß die Initiative fur den geschäftlichen Kontakt von den Umworbenen auszugehen hat; die Notwendigkeit eines aktiven Verhaltens der Umworbenen, um den Besuch abzuwehren, sei nicht akzeptabel, weshalb der Werbende eine Werbemethode wählen müsse, die den Besuch wirklich vom Willen der Umworbenen abhängig mache. 251 Der Argumentation hinsichtlich unaufgeforderter Vertreterbesuche kann auch nicht entgegengehalten werden, daß die Umworbenen bei Einwurf von Werbematerial in den Briefkasten ihrerseits selbst aktiv werden müssen, wenn sie diese Werbung nicht erhalten möchten (nämlich durch einen "AntiWerbungs-Aufkleber" am Briefkasten); hier liegt nämlich - im Gegensatz zu den unerbetenen Vertreterbesuchen - der Unterschied darin, daß der Umworbene nicht gezwungen wird, von dieser Werbung Kenntnis zu nehmen (und diese Werbung somit nicht unzulässig ist), so daß hier vom Umworbenen eigene 247

Lehmann, GRUR 1974, 133 ff., 138.

248

250

Lehmann, GRUR 1974, 133 ff., 138. Und deshalb das Verdikt der Unzulässigkeit nach sich zieht, vgl. oben III. 2. OLG Karlsruhe, WRP 1973, 231 ff.

251

OLG Karlsruhe, WRP 1973,231 ff., 233.

249

9 Scherer

130

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Aktivität verlangt werden kann, wenn er überhaupt nicht von dieser Werbung berührt werden will.

5. Kapitel: Anreißerische Werbung L Rechtsprechung und Literatur Als sittenwidrig und damit unzulässig betrachten Rechtsprechung und Literatur Werbemethoden, die "anreißerisch" sind. Was unter diesem Begriff zu verstehen ist und vor allem welche Sachverhalte hierunter fallen, ist letztendlich offen252 ; exakte Abgrenzungskriterien bestehen nicht. So werden von der Rechtsprechung und Teilen der Literatur sehr verschiedene Werbemethoden als "Anreißen" angesehen: Die schlichte Irreführung von Kunden durch eine Werbung, die unzutreffende Vorstellungen erwecken kann253 , die Verteilung von Gewinngutscheinen, bei denen die Kunden Gewinne im Geschäftslokal abholen mußten254 , das Ansprechen von nicht erkennbar interessierten Straßenpassanten255 , die Zusendung unbestellter Ware256 , die unerbetene Telefonwerbuni 57 , das Ansprechen von Verkehrsunfallopfern am Unfallort durch Beauftragte von Kfz-Werkstätten258 , Verlosung zu Werbezwecken, wenn die Verbraucher dabei über ihre Gewinnchancen und die Tatsache, daß ein Werbefilm vorgeführt werden soll, irregeführt werden259 , Einladungen zu Werbeveranstaltungen mit dem Versprechen, jedem Besucher 250 Gramm Bohnenkaffee oder Markenpralinen zu schenken260 sowie das Angebot eines Barkredits beim Verkauf von Gebrauchtwagen. 26 \ Allerdings wird von der Rechtsprechung häufig in Sachverhalten, die den als "anreißerisch" beurteilten Werbemethoden gleichen und zum Teil sogar mit ihnen identisch sind, eine Qualifizierung dieser Werbemethoden als "anreißerisch" nicht vorgenommen, sondern nur allgemein eine Sittenwidrigkeit wegen "unzumutbarer Belästigung" angenommen: Ansprechen von Brautpaa252 Zur Entwicklung des Begriffs vgl. die ausführliche Untersuchung von Ferruindez-N6voa, GRUR Int. 1973,436 ff. m.w.N. m Wertheimer, JW 1928,2364 ff., 2368; aA OLG Düsseldorf, JW 1928,2364 ff. 254 OLG Düsseldorf, JW 1931,474 f. m OLG Stuttgart, NJW 1955, 146 f. 256 BGH GRUR 1960, 382 ff.; 1966,47 ff. m LG Dortmund, BB 1968, 970. 258 BGH GRUR 1975,264 ff., 266 f. 259 BGH GRUR 1962, 461 ff.; OLG München, BB 1961,915. 260 OLG Celle, BB 1965, 179; BGH GRUR 1967,254 ff. 261 OLG Hamm, WRP 1965, 434 f.

5. Kapitel: Anreißerische Werbung

131

ren. vor dem Standesamt durch Hochzeitsfotografen262 , Ansprechen von nicht erkennbar interessierten Straßenpassanten, um sie zum Betreten eines Bücherwagens zu bewegen263 , Ansprechen von Verkehrsunfallopfern am Unfallort durch Beauftragte von Kfz-Werkstätten264 , unerbetene Telefonwerbuni65 , Ansprechen von Passanten auf öffentlichen Straßen und Plätzen266 , Zusendung unbestellter Ware267 , Ansprechen von Passanten, um sie zum Kauf von Büchern oder Teilnahme an Kursen zu bewegen. 268 Die bisweilen nahezu identischen Sachverhalte werden also ohne erkennbaren Grund mit unterschiedlichen Argumenten gelöst. Unklar bleiben der Anwendungsbereich und die Abgrenzungskriterien, unklar auch der dogmatische Standpunkt dieser Argumente. In der Literatur wird daher auch die dargestellte Rechtsprechung kritisiert; ihr wird eine Aufweichung des Kriteriums des "Anreißens" vorgeworfen, da sie in übermäßiger Weise die Grenzen der Figur der "anreißerischen Werbung" erweitere und so diese unpräzise und verschwommen rnache. 269 Als "anreißerisch" wird daher gegenüber den in der Rechtsprechung unter diesem Begriff gefaßten Sachverhalten nur eine Werbung verstanden, die die Kunden aufdringlich belästigt?70 Als Fallgestaltungen der "anreißerischen" Werbung werden hier genannt "die vielfältigen Formen der Direktwerbung, der Straßenwerbung und der Telefon-, Telex-, Teletex-, Btx- und Briefkastenwerbung"271. Andererseits wird die "anreißerische Werbung" als vollständig deckungsgleich mit den Sachverhalten der "belästigenden Werbung" angesehen272 , worunter auch unerbetene Vertreterbesuche273 sowie der Einsatz von Freundschart, Bekanntschaft oder Nachbarschaft zu ·Werbezwecken274 gezählt werden; teilweise werden sogar unentgeltliche Zuwendungen als "anreißerisches" Anlocken angesehen. 275 WiederUm nach einer anderen Definition meint der Begriff des "Anreißens" den "Versuch, mit plumpen Mitteln das Publikum zur Aufnahme von GeschäftsbeKGWRP 1973, 156f. BGH GRUR 1965,315, m. zustimmender Anm. Droste. 264 OLG Köln, WRP 1972,275 ff.; OLG Nürnberg, BB 1968, 1449. 26S OLG Hamm, WRP 1968,452; OLG Hamburg, WRP 1961, 161. 266 BGH GRUR 1960,431 ff. 267 BGH GRUR 1959,277 ff. 268 BGHNJW-RR 1986, 531 ff. 269 Ferruindez-Növoa, GRUR Int. 1973,436 ff., 438; Baumbach-Heferrnehl, § I, Rz. 58. 270 Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 57 f.; Gloy-Jacobs, § .49, Rz. 73; ähnlich auch v. Gamm, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. 1, 1. Hlbd., Kap. 25, Rz. 32. m Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 57. 172 Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 73. 273 Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 42. 274 Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 43. m Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 65. 262 263

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H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

ziehungen zu veranlassen"276; noch anders wird das "Anreißen" angesehen als "das Anlocken von Kunden durch aufdringliche Werbung, die für den Kunden nicht mehr zumutbar ist beziehungsweise die seinen Willen durch plumpe Machenschaften zu überrumpeln versucht,,277 . Unter diesen Umständen kann es kaum mehr erstaunen, wenn gesagt wird, "... daß sich ohnehin sämtliche Fallgruppen überschneiden und daß für die Entscheidung der einzelnen Fälle oft viele verschiedenartige Gesichtspunkte maßgeblich sind. Entscheidend kann daher immer nur sein, wo - in den Augen des jeweiligen Betrachters - der Schwerpunkt des Falles liegt. Selbst hierüber kann man naturgemäß durchaus verschiedener Meinung sein ... 00278 . Tatsächlich bedeutet dies nichts anderes, als daß zugegeben wird, daß in diesem Bereich vollständige Unklarheit hinsichtlich des Anwendungsbereichs und der Abgrenzungskrlterien der "anreißerischen Werbung" herrscht; präzises juristisches Arbeiten ist mit dem Begriff des "Anreißens" nicht möglich. Von einer dogmatisch klaren und konsequenten Linie kann unter diesen Umständen keine Rede sein. 11. Differenzierende Betrachtung Um nun eine dogmatische Durchdringung dieses Bereichs der Verbraucherwerbung, der von der Rechtsprechung als "anreißerisch" bezeichnet wird, aufgrund des Kriteriums der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen zu erreichen, ist zunächst unter den oben aufgezählten vielfältigen Sachverhalten dieser "anreißerischen" oder "unzumutbar belästigenden" Werbung eine Aufteilung vorzunehmen. Ausgegliedert werden sollen zunächst die Fälle des persönlichen Direktmarketings. Gemeinsam ist all diesen Sachverhalten, daß der Verbraucher unmittelbar, persönlich und zum Teil auch unerwartet umworben wird. Dieser gemeinsame Grundtatbestand, diese gemeinsame Ausgangssituation wird von der Rechtsprechung nicht erkannt, ebensowenig wie der Umstand, daß dadurch auch all diesen Fällen ein Rechtsproblem gemeinsam ist: Aus der Tatsache, daß der Verbraucher hier unmittelbar und persönlich mit einer Werbung konfrontiert wird, ergibt sich die Frage, ob es dem Verbraucher in einer solchen Situation noch möglich ist, der Werbung auszuweichen, sie zu ignorieren oder ob er nicht aufgrund der unmittelbar persönlichen Konfrontation generell zunächst einmal Kenntnis von

276

Bertermann, DB 1955,890.

277

Maier, WRP 1968, 141.

Emmerich, S. 166; ähnlich G1oy-Jacobs, § 49, Rz. 65. immer möglich ... 278

00.

00 •• •

Eine eindeutige Abgrenzung ist nicht

5. Kapitel: Anreißerische Werbung

133

der Werbung nehmen, sich mit ihr befassen muß - mit anderen Worten: Ob dem Verbraucher in dieser Situation die Werbung aufgezwungen wird. 1. Ansprechen von Straßenpassanten

Hierbei ist zunächst die Werbeform des Ansprechens auf öffentlichen Straßen oder Plätzen zu begutachten. Charakteristisch ist es in diesen Sachverhalten, daß nicht erkennbar interessierte Passanten von Werbern angesprochen werden, sei es, daß diese sie zum Beitritt zu einem Buchclub zu bewegen versuchen279 , sei es zum Erwerb von Kraftfahrzeugnummerschildern280 , zur Erteilung eines Hochzeitsfotoauftrages281 oder zu einem anderen Zweck: 282 In all diesen Fällen wird der Verbraucher als Straßenpassant unerwartet von einem Fremden angesprochen. Um herauszufinden, um was es sich handelt, muß der Verbraucher notwendigerweise zunächst einmal dem Werber zuhören und sich so mit der Werbung befassen, bis er feststellen kann, daß das Anliegen, um welches es sich hier handelt, werblicher Art ist. Die Möglichkeit, das persönliche Ansprechen zu ignorieren, besteht faktisch nicht: Um überhaupt feststellen zu können, was der Unbekannte will - er könnte ja auch nach dem Weg fragen oder sonstiger Hilfe bedürfen -, ist der Verbraucher zunächst einmal gezwungen zuzuhören. Erst wenn er sich darüber klar geworden ist, daß es sich hier um Werbung handelt, besteht für ihn die Möglichkeit, das Gespräch zu beenden. Der Verbraucher wird hier also gezwungen, sich zunächst einmal mit der Werbung zu befassen. Bereits in diesem Aufzwingen einer Werbung liegt aber eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen: Gleichgültig, ob er mit dieser Werbung konfrontiert werden will oder nicht - er muß sie zur Kenntnis nehmen. Er hat - anders als bei der Brief- oder Handzettel-, der Rundfunk- oder Fernsehwerbung "im Block" - keine Möglichkeit, sie nicht zur Kenntnis zu nehmen, sie zu ignorieren. Die freie Willensentschließung des Umworbenen wird bei dem Ansprechen von Straßenpassanten also bereits im ersten Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung beeinträchtigt. Das Kriterium des Aufzwingens der Werbung ist nur dann nicht gegeben, wenn die Verbraucher Interesse an dem Angebot des Werbenden zeigen, etwa dadurch, daß sie vor dem Werbewagen oder Stand eines Werbenden stehenbleiben oder gar ein Geschäft betreten: In diesen Fällen kann näInlich davon ausgegangen werden, daß sie an einer Information durch den Werbenden zumindest potentiell interessiert sind und daher ein persönliches Ansprechen 279 280 281 282

BGH GRUR 1965,315 ff.; OLG Stuttgart, NJW 1955, 146 f. BGH GRUR 1960,431 ff. KG WRP 1973, 156 f. BGHNJW-RR 1986, 531 ff.

134

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

nicht gegen, sondern mit ihrem Willen geschiehe83 , ihnen die Werbung also nicht aufgezwungen wird. Gleiches gilt für das Ansprechen auf Jahrmärkten, Messen, Rummelplätzen etc. Ebenso wie bei Betreten eines Geschäfts zeigt der Besucher hier prinzipielles Interesse an dem Angebot der Schausteller; zudem ist hier das Ansprechen (etwa durch Losverkäufer etc.) auch üblich, so daß vorausgesetzt werden kann, daß die Jahrmarkt- oder Messebesucher mit dieser hier traditionellen Werbeform einverstanden sind: 284 Relevantes Kriterium ist also immer, ob der Angesprochene zumindest potentiell mit diesem Ansprechen zu Werbezwecken einverstanden ist oder ob von einem solchen Einverständnis nicht ausgegangen werden kann und ihm daher die Werbung aufgezwungen wird. Zwar sieht die Rechtsprechung, daß es bei der Werbung durch persönliches Ansprechen nicht erkennbar Interessierter schwerer ist, sich dem von ihr ausgehenden Einfluß zu entziehen, als bei zahlreichen Fällen anderer Werbung; sie bezieht dies jedoch auf das nachfolgende Verkaufsgespräch: 285 Selbst wenn diese Zusammenhänge erkannt werden, wird daraus lediglich eine "Belästigung" abgeleitet286 , nicht aber klar aufgezeigt, daß der entscheidende Punkt die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Verbraucher eben durch diesen Zwang zur Kenntnisnalune von Werbung ist. Die Ausführungen zur Freiheit der Willensbestimmuni87 bleiben daher auch nur im vagen, schablonenhaften Bereich eines Scheinarguments. 288 Konsequenterweise kann auch der Sachverhalt von BGH WRP 1967, 60ff. keine andere Beurteilung erfahren als die oben dargelegte hinsichtlich der Fälle des Ansprechens zu Werbezwecken. Hier mußten die Teilnehmer einer Gratisverlosung zur Feststellung, ob sie überhaupt gewonnen hatten, einen Werbewagen betreten, wo sie dann zu Werbezwecken (Beitritt zu Buchclub) angesprochen wurden. Der BGH geht davon aus, daß hier eine Sittenwidrigkeit wegen Irreführung des Publikums gegeben sei, und stellt darauf ab, daß das Publikum insoweit irregeführt werde, als die meisten Teilnehmer erwarteten, daß sie bereits aus dem Los selbst Niete oder Gewinn ersehen könnten und OLG Stuttgart, NJW 1955, 146 f, 147; Schibel, BB 1968, 1449. OLG Stuttgart, NJW 1955, 146 f, 147; vgl. auch Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 64; Bülow, GRUR 1974,254 ff., 263. 28S OLG Stuttgart, NJW 1955, 146; BGH GRUR 160,431 ff., 432. 286 BGH GRUR 1965,315 ff., 316. 287 OLG Stuttgart, NJW 1955, 146 f; BGH GRUR 160,431 ff., 432; BGH GRUR 1965,315 ff., 316. 288 Generell eine Verschleierung von Konkurrenteninteressen durch die dargestellte Rechtsprechung zum Ansprechen von Straßenpassanten sieht Rödding, DB 1969, 1877 ff., 1878; dies geht jedoch zu weit - Rödding verkennt nämlich den Aspekt des Zwangs zur Kenntnisnahme von Wewerbung, welcher ganz elementar Verbraucherinteressen betrifft. 283

284

5. Kapitel: Anreißerische Werbung

135

dieser Irrtum von der Beklagten im Interesse eines gesteigerten Werbeerfolgs ausgenutzt werde. 289 Entscheidender Punkt ist hier jedoch - entgegen dem Lösungsansatz des BGH - nicht eine Irreführung, sondern wiederum das unerwartete, persönliche Ansprechen im Werbewagen: Würde man sich nämlich das Ansprechen der Verbraucher im Werbewagen wegdenken, wäre allein an der Tatsache, daß aus dem Los selbst noch nichts für Gewinn oder Niete zu ersehen ist, nichts Sittenwidriges zu entdecken. Erst das unerwartete Ansprechen im Werbewagen zwecks Beitritt zu einem Buchclub macht das Vorgehen wegen Verstoßes gegen die freie Willensentschließung des Verbrauchers unzulässig. Hier wird ihm nämlich wiederum keine Möglichkeit gegeben, die unmittelbare, persönliche Werbung zu ignorieren. Ebenso wie in den oben dargestellten Fällen wird er gezwungen, sie zur Kenntnis zu nehmen.

2. Ansprechen von Unfallopfern Ebenso wie hinsichtlich des Ansprechens von Passanten verhält es sich mit Fällen des Ansprechens von Verkehrsunfallopfern am Unfallort durch Beauftragte von Kraftfahrzeugwerkstätten, die für das Abschleppen des beschädigten Wagens, den Abschluß von Mietwagenverträgen und der Vergabe von Reparaturaufträgen unter den Unfallopfern werben. 290 Es wird jedoch in diesen Fällen - so seltsam dies vielleicht zunächst auch anmuten mag - die Frage gestellt, ob nicht sogar der Verkehrsunfallgeschädigte an den Leistungen der KfzWerkstätten potentiell interessiert sei. 291 Genau diese Frage ist aber der entscheidende Punkt: Wie oben dargelegt, beeinträchtigt ein unerwartetes, persönliches Ansprechen dann nicht die freie Willensentschließung des Verbrauchers, wenn dieser an der Leistung (zumindest potentiell) interessiert ist und das Ansprechen zur Werbung für eben diese Leistung daher nicht gegen seinen Willen geschieht. Ob nun das Unfallopfer an einer der angebotenen Leistungen der Kfz-Werkstätten generell interessiert ist, kann durch Analyse seiner Interessenlage festgestellt werden. Sowohl bei schweren Unfällen (insbesondere auf der Autobalm) als auch bei leichteren (oft im Stadtverkehr) sind die Beteiligten, sofern sie nicht oder nur leicht verletzt sind, vordringlich an einer Absicherung der Unfallstelle und einer Aufnahme des Unfalls durch die Polizei interessiert; bei Schwerverletzten, die sich um diese beiden Dinge nicht mehr kümmern können, ist die Versorgung durch den Notarzt und der schnellstmögliche Transport in eine Unfallklinik von lebensnotwendiger Bedeutung. Völlig nebensächlich und für die Unfallbeteiligten von keinerlei BeBGH WRP 1967,60 ff., 61. OLG Nürnberg, BB 1968, 1448 f.; OLG Köln, WRP 1972,275; BGH GRUR 1975,264 If., 266 f.; BGH NJW 1980, 1690 f. 291 Bejahend filr das Abschleppen: Schibel, BB 1968, 1449. 289

290

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Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

deutung ist hingegen die Frage, ob ein neues Fahrzeug angemietet und/oder ein Reparaturauftrag über das beschädigte abgeschlossen werden soll. Diese Entscheidung wollen die Geschädigten vielmehr erst später und in Ruhe treffen, keinesfalls aber noch am Unfallort. Auch für das Abschleppen des beschädigten, fahruntüchtigten Kraftfahrzeugs gibt es nur scheinbar eine andere Interessenlage: 292 Zwar ist es nach dem Unfall tatsächlich erforderlich, ein fahruntüchtiges Auto abschleppen zu lassen, also die Dienste eines Abschleppunternehmers in Anspruch zu nehmen. Die Frage ist jedoch, ob das Unfallopfer selbst unmittelbar nach dem Unfall in der Weise ein Angebot unterbreitet haben möchte, indem es noch am Unfallort von einem Beauftragten eines Abschleppunternehmers angesprochen wird. Zum einen befindet sich nämlich der noch unter dem Eindruck des Unfallgeschehens Stehende in einem Zustand der Hilflosigkeit, oft auch des Schocks und der Verwirrung; in einem Zustand also, in dem er geneigt ist, jedes an ihn herangetragene "Hilfs"-Angebot "dankbar" und kritiklos entgegenzunehmen. 293 Zudem wird dadurch, daß der Abschleppunternehmer regelmäßig den Wagen auf sein Betriebsgelände abschleppt, bereits ein faktisches Präjudiz für eine Reparatur in seiner Werkstatt getroffen. 294 Diese beiden Tatsachen sprechen dagegen, daß der Unfallgeschädigte persönlich an der Unfallstelle ein Angebot eines Abschleppunternehmers unterbreitet bekommen möchte. Vielmehr liegt die bisher übliche Regelung in seinem Interesse. Die den Unfall aufnehmende Polizei verfügt meistens über komplette Listen der erreichbaren Abschleppunternehmer und verständigt diese der Reihe nach (so daß auch für die Abschleppunternehmer nicht die Gefahr besteht, daß sie ihrerseits in einen Wettbewerb um die Gunst der Verkehrspolizisten treten müßten). Akzeptabel im Hinblick auf die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers wäre auch die von der Rechtsprechung vorgeschlagene Möglichkeit, daß sich der Abschleppunternehmer lediglich bereitstellt und abwartet, ob das Unfallopfer von sich aus in Verhandlung mit ihm eintritt. 295 Auch ein Ansprechen mit dem Angebot des Abschleppens des beschädigten Fahrzeugs liegt daher nicht im Interesse der Unfallopfer und beeinträchtigt somit ihre freie Willensentschließung hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung. Des weiteren ist zu fragen, ob durch die aufgezeigte Werbemethode des Ansprechens nicht noch in anderen Stadien des Prozesses der Entscheidungsfindung die freie Willensentschließung des Umworbenen verletzt wird. In Betracht käme hier die freie Willensbildung zum einen hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses (zweites Stadium des Prozesses der Entscheidungsfin292 293 294

AA Schibel, BB 1968, 1449. OLG Nürnberg, BB 1968, 1448; OLG Köln, WRP 1972,266; BGH NJW 1980, 1690 f., 1691. Pietzcker, GRUR 1975,267.

m BGH NJW 1980, 1690 f.

5. Kapitel: Anreißerische Werbung

137

dung) und zum anderen hinsichtlich des konkreten Vertragsabschlusses (drittes Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung). Die Situation ist hier in den Fällen des Ansprechens sowohl von "normalen" Passanten als auch von Unfallopfern in einem wesentlichen Punkt gleich: Die gemeinsame Ausgangslage bei all diesen Sachverhalten ist nämlich zunächst einmal der "Überrumplungs-Effekt", der durch das unerwartete und persönliche Ansprechen bewirkt wird. Dieser löst eine gewisse Verlegenheit aus, da der Angesprochene aufgrund von Höflichkeit und Anstandsgefiihlen Hemmungen hat, das Gespräch einfach abzubrechen und den Werbenden stehen zu lassen. Hieraus wiederum resultiert bei dem Umworbenen das Gefühl eines spürbaren Unbehagens und einer Unlust: Einerseits möchte man das unangenehme Gespräch gerne beenden und den aufdringlichen Werber loswerden; andererseits kann man das regelmäßig nur unter Verletzung von Geboten der Höflichkeit und des allgemeinen Anstands. Der Umworbene befindet sich also in einer Zwangslage. Es liegt in dieser Situation für viele Verbraucher nahe, diesen höchst unangenehmen Zustand durch eine wirtschaftliche Bindung zu beenden: Man vergibt dann eben den Auftrag für die Hochzeitsfotos, für die Herstellung des Kfz-Nummernschildes oder für das Abschleppen des beschädigten Unfallautos an den betreffenden Werber, tritt dem Buchclub bei oder schließt einen anderen Vertrag ab. Dieser Mechanismus eines psychischen Abschlußzwangs wird von Rechtsprechung und Literatur erkanne96 ; es wird zutreffend gesehen, daß hierin eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers liegt.297 Erschwerend kommt in den Fällen des Ansprechens von Unfallopfern hinzu, daß diese aufgrund der Verwirrung und Hilflosigkeit, in der sie sich meistens befinden, überhaupt nicht in der Lage sind, mit klarem Kopf zu entscheiden298 . Dem Unfallopfer ist es hier regelmäßig gar nicht möglich, einen Willen frei zu bilden, da es sich in einer Ausnahmesituation befindet. Ein Ausnutzen dieser Lage stellt daher - wesentlich stärker noch als beim Ansprechen von Straßenpassanten - eine Verletzung der Willensfreiheit des Verbrauchers dar, da diesem - in seiner Situation als Unfallopfer - hier von vorneherein noch nicht einmal eine Chance gegeben ist, seinen Willen frei zu bilden. In den Fällen des Ansprechens zu Werbezwecken wird also die freie Willensentschließung des Umworbenen hinsichtlich des Kontakts mit der Werbebotschaft, hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses und hinsichtlich der konkreten Vertragsabschlußentscheidung beeinträchtigt. 29. BGH GRUR 1965.315 ff., 316; Droste, GRUR 1965,317; OLG Stuttgart, NJW 1955, 146 f., 147; KG WRP 1973, 156 f., 157; BGHNJW-RR 1986, 531. 297 BGH GRUR 1965,315 ff., 316; BGH GRUR 1960,431 ff., 432. 298 BGH NJW 1980, 1690 f., 1691; BGH GRUR 1975, 264 ff., 265; BGH GRUR 1975, 266; OLG Köln, WRP 1972,275 ff., 276; OLG Nümberg, BB 1968, 1448.

138

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

3. Telefonwerbung

Der Problemkreis der Telefonwerbung wurde bereits im Kapitel "Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel" 299 ausfiihrlich erörtert. Festgehalten werden soll hier daher nur noch einmal das Ergebnis, daß auch die Telefonwerbung die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt, und zwar zunächst wegen des Zwanges für den Umworbenen, von ihr Kenntnis zu nehmen und sich zumindest bis zur Klarheit über den Zweck des Anliegens des Anrufers mit ihr zu befassen, also bereits im ersten Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung des Umworbenen. Regelmäßig liegt hier auch wegen der "Überrumplungssituation" beim Umworbenen eine Beeinträchtigung von dessen freier Willensentschließung hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses sowie des konkreten Vertragsabschlusses, also im zweiten und dritten Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung des Umworbenen vor. Zur näheren Behandlung dieses Problemkreises der Telefonwerbung wird auf das betreffende Kapitee Oo verwiesen.

4. Zusendung unbestel/ter Ware

Eine weitere Fallgruppe des Direktmarketings, jedoch ohne das Merkmal der persönlichen Kontaktaufnahme zwischen Werbendem und Umworbenen, ist die Zusendung unbestelIter Ware. 30! Gleichgültig, wie diese Sachverhalte im einzelnen gestaltet sind, ist ihnen eines gemeinsam: Dadurch, daß der Verbraucher ohne seinen Willen eine Ware zugesandt bekommt, wird er zunächst zur Kenntnis vom Inhalt dieser ihm unbekannten Sendung genötigt und damit zur Kenntnisnahme von dieser Werbung gezwungen. Es liegt hier also wie bei den oben dargestellten Werbemethoden eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers im ersten Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung vor. Gleichzeitig wird der Verbraucher durch die Zusendung einer unbestellten Ware in eine weitere Zwangslage versetzt: Er befindet sich im Besitz einer unbestellten, aber geöffneten Warenpackung; als juristischer Laie hat er regelmäßig keine Kenntnis über die Rechtslage, er weiß nicht, ob ihn nun Zahlungs-, Aufbewahrungs- oder Rücksendungspflichten treffen. 302 Der Verbraucher wird daher häufig den für ihn einfachsten und überschaubarsten Weg gehen, um

299 300 301 302

Vgl. oben 3. Kapitel. Oben 3. Kapitel "Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel", Abschnitt IV. 1. BGH GRUR 1959,279 ff.; BGH GRUR 1960,382 ff.; BGH GRUR 1966,47 ff. Vgl. Wessel, BB 1966,432 ff., 433; Greifeit, WRP 1955, 120 ff., 122.

5. Kapitel: Anreißerische Werbung

139

weiteren Schwierigkeiten zu entrinnen: Er wird die Ware kaufen. Daß hierin eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers liegt, verkennt auch die Rechtsprechung nicht. 303 Exakt ausgedrückt liegt hierin eine Beeinträchtigung hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses und des konkreten Vertragsabschlusses. Es erscheint als akzeptabel, daß die Rechtsprechung lediglich die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich des Vertragsabschlusses beanstandet, eine ebensolche Beeinträchtigung hinsichtlich der Entscheidung, ob von der Werbung Kenntnis genommen werden möchte, jedoch nicht erwähnt. Denn allein die Tatsache der Zusendung bewirkt die Beeinträchtigung der Willensbildung in allen Stadien, so daß es hier für die Praxis vertretbar erscheint, lediglich auf die Beeinträchtigung der Willensbildung abzustellen, die wirtschaftlich für die Umworbenen die gravierendsten Folgen nach sich zieht. Eine Ausnahme von der Beurteilung eines Sachverhalts als Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen ergibt sich lediglich dann, wenn der Verbraucher ausdrücklich bei Zusendung der unbestellten Ware darauf hingewiesen wird, daß ihn weder Zahlungs-, noch Rückgabe- oder auch nur Aufbewahrungspflichten treffen, und dies auch lediglich dann, wenn es sich bei der Ware um wirtschaftlich wenig bedeutende Güter handelt. 304 Nur in diesen Fällen nämlich besteht nicht die Gefahr, daß der Verbraucher aus Unklarheit über die Rechtslage die Ware kauft oder aus moralischem Verantwortungsgefühl heraus meint, die Ware nicht vernichten oder verbrauchen zu können und sie deshalb zurücksendet. 305 Ausnahmsweise kann daher in diesen Fällen von einem Fehlen der Willensbeeinträchtigung ausgegangen werden.

5. Einladungen zu Werbeveranstaltungen unter Versprechen von Geschenken, Gewinnaussichten etc.

Anders als bei den oben beschriebenen Werbemethoden wird der Verbraucher dann nicht unerwartet mit der Werbung konfrontiert, wenn er zu Werbeveranstaltungen unter Versprechen von Geschenken, Gewinnen etc. eingeladen wird. Vielmehr erhält er lediglich eine - meist durch Handzettel, Annoncen oder Wurfsendungen zugestellte - Aufforderung zum Besuch einer Werbeveranstaltung. Charakteristisch für diese Werbemethode ist jedoch, daß dem Verbraucher bei der Einladung zum Besuch der Werbeveranstaltung Geschenke 303 304 30S

BGH GRUR 1959,277 ff., 279; 1960,382 ff., 383; 1966,47 ff., 48. BGH GRUR 1959,277 ff., 279; 1960,382 ff., 384. Vgl. BGH GRUR 1959,277 ff., 279; 1960,382 ff., 384.

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H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

versprochen oder Gewinne in Aussicht gestellt werden. So verschieden diese Fälle im einzelnen auch sein mögen, gemeinsam ist ihnen jedoch grundsätzlich das anlockende Moment der versprochenen Geschenke oder Gewinnaussichten. Es stellt sich daher bei dieser Werbemethode die Frage, wann die Verlockung rur die Umworbenen, in den Genuß der versprochenen Güter zu kommen, so stark ist, daß eine Beeinträchtigung ihrer freien Willensentschließung hinsichtlich der Kenntnisnahme von der betreffenden Werbeveranstaltung bejaht werden kann. 306 Diese Frage soll anhand zweier exemplarischer Sachverhalte erörtert werden. In dem ersten Sachverhale07 hatte ein Händler, der mittels Postwurfsendung zu einer Werbeveranstaltung eingeladen hatte, auf den Einladungen jedem Besucher 1/2 Pfund Bohnenkaffee oder Markenpralinen versprochen. Sowohl das OLG Celle als auch der BGH waren der Ansicht, daß eine solche "Lockmittel"-Werbung sittenwidrig sei, weil durch sie die freie Entschließung der angesprochenen Publikumskreise, ob sie die Veranstaltung aufsuchen wollten oder nicht, beeinträchtigt werden könne. 308 Beide Gerichte gehen also davon aus, daß die Verbraucher in ihrer Willensentschließung, ob sie sich einer Werbung aussetzen möchten oder nicht, durch das Versprechen von 250 Gramm Bohnenkaffee oder Markenpralinen in einer solchen Weise beeinflußt werden, daß sie ihren Willen nicht mehr frei bilden können. Es stellt sich hier also die Frage, ob die Verbraucher durch ein Geschenkversprechen im Warenwert von damals ca. 3.- DM309 tatsächlich in einer solchen Weise beeinflußt werden können, daß eine freie Willensentschließung nicht mehr möglich ist. Voraussetzung dafiir wäre, daß durch ein solches Geschenkversprechen quasi ein "positiver ökonomischer Zwang" auf den Willen der Verbraucher ausgeübt wird, dergestalt, daß fiir ihn die Möglichkeit, nicht zu der Veranstaltung zu gehen, von vomeherein ausscheidet: Die Verbraucher müßten sich hier also sagen, daß der Wert des versprochenen Geschenks von einer solchen wirtschaftlichen Bedeutung fiir sie ist, daß ein Nichtwahmehmen dieser Möglichkeit zum Erhalt eines Geschenks wirtschaftlich gesehen gerade-

306

Anders Roth, GRUR 1974,547 ff., 549, der generell das Anlocken zu Werbeveranstaltungen als

solches als unproblematisch ansieht, gleichgültig, wie groß der Wert des Werbegeschenks und damit die Verlockung durch das Geschenk für den Werbenden ist. Roth verkennt dabei jedoch die Funktion und den Stellenwert der freien Willensentschließung des Verbrauchers hinsichtlich des ersten Stadiums des Prozesses der Entscheidungsfmdung des Umworbenen, vgl. dazu die Ausfilhrungen in Teil I, 1. Kapitel "Werbung" und 2. Kapitel "Verbraucher". 307 OLG Celle, BB 1965, 179 und BGH GRUR 1967,254 ff. 308 BGH GRUR 1967, 254 ff., 255; etwas unklar auf "Ieistungfi"emde Momente" abstellend OLG Celle, BB 1965, 179. 309 BGH GRUR 1967, 254 ff., 255; heute WÜrde der Wert abhängig von der Qualität der Ware sogar z.T. noch unter 3.- DM liegen.

5. Kapitel: Anreißerische Werbung

141

zu "sträfliche Dummheit" und damit unverantwortlich wäre. Erst wenn eine solche Verlockung, ein solch starker ökonomischer Anreiz von der in Aussicht gestellten Vergünstigung auf den Umworbenen ausgeübt wird, daß eine andere Entscheidung als die von der Werbung geforderte - hier: Besuch der Werbeveranstaltung - für den Verbraucher nicht mehr möglich ist, ist die betreffende Werbung für den Umworbenen nicht mehr beherrschbar und daher seine freie Willensentschließung beeinträchtigt. Ein solcher wirtschaftlicher Zwang kann mit erheblicher Wahrscheinlichkeit ausgeübt werden durch Geschenke, deren Warenwert für den Durchschnittsverbraucher von erheblicher, um nicht zu sagen exorbitanter Höhe ist, wie etwa hochwertige technische Geräte o.ä.; in solchen Fällen gebietet es die wirtschaftliche Vernunft geradezu zwingend, sich ein solches Geschenk nicht entgehen zu lassen: Gleichgültig, ob man nun zu dieser Werbeveranstaltung hingehen möchte oder nicht, versteht es sich von selbst, daß man sie besucht, um das Geschenk entgegennehmen zu können. In diesen Fällen wird die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt, da hier die freie Willensbildung durch den "positiven ökonomischen Zwang", der von dem Geschenkversprechen ausgeht, regelrecht ausgeschaltet wird. Fraglich ist jedoch, ob dies bei einem Warenwert von ca. 3.- DM - selbst bei wirtschaftlich schlechter gestellten Verbrauchern - überhaupt der Fall sein kann. Der BGH meint hierzu, daß es sich bei den versprochenen Geschenken um besonders begehrte Genußmittel handele, die sich nicht jeder leisten könne, so daß die Verbraucher dadurch veranlaßt werden sollten, die angekündigte Werbeveranstaltung schon allein wegen des Wertes des Geschenks aufzusuchen. 310 Eine solche Ansicht ist jedoch in einer Wohlstands- und Konsumgesellschaft wie der unsrigen mit einem engmaschigen und weitgespannten sozialen Netz schlechterdings nicht haltbar: Selbst ein Sozialhilfe-, Baf"öG- oder Mindestrentenempfänger wird sich, sofern er Lust danach verspürt, Genußmittel im Warenwert von ca. 3.- DM (!) ohne weiteres leisten können. Verständlich und nachvollziehbar wäre eine solche Annahme der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung in Ländern, in denen Teile der Bevölkerung an der Grenze des Hungers oder knapp darüber leben, nicht aber in einem der reichsten Länder der Welt. Die Feststellung des BGH hinsichtlich der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung ist in diesem Fall daher unhaltbar. Wünschenswert wäre es hier gewesen, wenn die Rechtsprechung mehr von dem auch von ihr postulierten Bild des "mündigen und selbständigen Verbrauchers" ausgegangen wäre. Bisweilen entsteht jedoch der Eindruck, daß sich die Gerichte gegenüber dem Verbraucher eine Betreuungsfunktion anmaßen, die sich bis zur Bevormundung steigern kann, und die auf dem Hintergrund einer Rechtsprechung, die sich ständig auf den mündigen Verbraucher beruft, sehr 310

BGH GRUR 1967, 254 ff., 255.

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Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

seltsam anmutet. Ob nämlich jemand über so viel Zeit verfugt, daß er meint, sich für 250 Gramm Bohnenkaffee oder Pralinen einen ganzen Nachmittag "um die Ohren zu schlagen" zu wollen, sollte die Rechtsprechung dem Betreffenden getrost selbst überlassen. Die Verwendung des Kriteriums der freien Willensbildung in diesem Urteil ist daher nicht nur dogmatisch inkonsequent, sondern erscheint auch als schablonenhaftes Argument, mit der die Rechtsprechung versucht, eine Bevormundung des Verbrauchers zu verschleiern. 311 In dem zweiten als Beispiel dienenden Sachverhale l2 hatte ein Veranstalter in der Weise geworben, daß er einen Film ankündigte, wobei aber nicht deutlich zum Ausdruck kam, daß es sich hier um einen Werbefilm handelte; vielmehr konnte man der Meinung sein, daß ein Kultur- oder Spielfilm gezeigt werden sollte. Des weiteren wurde in der Einladung angekündigt, daß zahlreiche wertvolle Preise (u.a. ein Opel Rekord, ein komplettes Schlafzimmer, zwei vierzehntägige Mittelmeerreisen, ein Fernsehgerät etc.) verlost werden sollten; dabei wurde aber nicht deutlich, daß diese Preise nicht allein unter den Besuchern der betreffenden Werbeveranstaltung verlost wurden, auf die sich die jeweilige Einladung bezog, sondern etwa halbjährlich unter den Besuchern aller Werbeveranstaltungen, die die Beklagte innerhalb dieses Zeitraumes abhielt. Zunächst ist hier festzuhalten, daß bereits aufgrund der Irreführung über den werblichen Charakter der Veranstaltung die freie Willensentschließung der Verbraucher beeinträchtigt wird, und zwar hinsichtlich der Frage, ob sie sich überhaupt mit der Werbung befassen wollen: Voraussetzung nämlich für eine freie, unbeeinträchtigte Bildung des Willens ist, daß dieser Willensbildung keine falschen werblichen Informationen zugrunde liegen. Diese Voraussetzung war hier aber nicht gegeben. In der Erwartung, sich einen Kultur- oder Spielfilm ansehen zu können, begaben sich die Verbraucher tatsächlich zu einer Werbeveranstaltung. 313 Damit wurde den Umworbenen bereits die Möglichkeit genommen, sich über den tatsächlichen Inhalt und die Folgen ihrer Entscheidung klar zu werden, so daß hier eine freie Willensbildung hinsichtlich der Frage, ob sich die Verbraucher überhaupt einer Werbung (Werbefilm!) aussetzen wollten, von vorneherein nicht möglich war. Zudem bestand eine weitere Irreführung über die tatsächlichen Gewinnchancen der Besucher: Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob die Gewinnchancen sich errechnen aus den Besuchern einer einzigen Werbeveranstaltung (dann etwa je nach Saalgröße im Verhältnis eins zu wenigen hundert) ober aber aus den Besuchern aller Werbeveranstaltungen innerhalb eines halben 3ll Kritisch zu dieser "Betreuungs"-Rechtsprechung auch Rödding, DB 1969, 1877 ff., 1878; Enunerich, S. 169. m BGH GRUR 1962, 461 ff. und OLG München, BB 1961,915. 313 BGH GRUR 1962,461 ff.

5. Kapitel: Anreißerische Werbung

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Jahres (dann etwa im Verhältnis eins zu mehreren zehntausend). Der Verbraucher geht daher von unzutreffenden Tatsachen hinsichtlich seiner Gewinnchancen aus, wenn er sich entschließt, die Veranstaltung zu besuchen, um seine Gewinnchancen nutzen zu können. Sein Entschluß ist daher bereits aufgrund der Irrefiihrung nicht frei gebildet. Selbst wenn man die Irrefiihrung außer acht läßt, stellt sich jedoch wiederum die Frage, ob nicht die Verlockung für die Verbraucher durch die in Aussicht gestellten Gewinnchancen so groß ist, daß hier ein "positiver ökonomischer Zwang" zum Besuch der Werbeveranstaltung auf die Verbraucher ausgeübt wird: Die im Beispielsfall festzustellende Ankündigung von extrem hohen Gewinnchancen bei solch - für die späten 50er und frühen 60er Jahre - exorbitant hohen Gewinnen lassen es für die Umworbenen geradezu als ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft erscheinen, sich eine derartige "einmalige Chance" nicht entgehen zu lassen; aus Gründen wirtschaftlicher Vernunft wird also der Besuch der angekündigten Werbeveranstaltung - wenn auch als "notwendiges Übel" - unumgänglich. Jede andere Entscheidung würde nämlich bedeuten, sich diese "einmalige Chance" entgehen zu lassen. Der Sachverhalt bietet also ein gutes Beispiel für eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung durch eine Zwangssituation, die auf ökonomischen Erwägungen beruht. 6. "Gewinnspiele"

Problematisch ist ebenfalls die - mit der oben dargestellten Werbemethode der Einladung zu Werbeveranstaltungen mittels Geschenk- oder Gewinnversprechen eng verwandten - Werbung durch "Gewinnspiele". Dieser Problemkreis umfaßt vor allem solche Fallgestaltungen, bei denen die Gewinne im Geschäft des Werbenden von den Teilnehmern am Gewinnspiel abzuholen sind. Ausführlich wird diese Werbemethode im nächsten Kapitel "Progressive Kundenwerbung, Kaffeefahrten, Preisausschreiben und Gewinnspiele" erörtert werden. 314 Hier soll nur auf folgendes hingewiesen werden: Um eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung feststellen zu können, ist eine Differenzierung erforderlich zwischen großen Geschäftslokalen, in dem der Verbraucher dem Werbenden lediglich als Teil einer anonymen Masse gegenüber tritt, und kleinen Geschäftslokalen, unter Umständen im ländlichen Raum, in denen der Verbraucher dem Werbenden persönlich gegenüber tritt

314

Vgl. unten, 6. Kapitel.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

und ihm vielleicht sogar persönlich bekannt ist. Im ersten Fall wird die Gefahr einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers wesentlich geringer sein als im zweiten; die Gefahr des Entstehens einer Situation, die aus Gründen der Peinlichkeit, des "Anstands" etc. zum psychologischen Abschlußzwang für den Umworbenen führt, ist nämlich um so geringer, je mehr der Verbraucher in der Anonymität bleibt, und um so größer, je mehr er mit dem Werbenden in persönlichen Kontakt gelangt. Eine ausführliche Erörterung dieses Problemkreises soll jedoch dem dafür vorgesehenen Abschnitt im nächsten Kapitel vorbehalten bleiben.

6. Kapitel: "Progressive Kundenwerbung" , "Kaffeefahrten", Preisausschreiben und Gewinnspiele LEinleitung Die in diesem Kapitel dargestellten Werbemethoden der "progressiven Kundenwerbung", der "Kaffeefahrten", der Preisausschreiben und Gewinnspiele haben von ihren sonst durchaus unterschiedlichen Ausgestaltungen her gemeinsam, daß durch die betreffende Werbung dem Umworbenen eine vermeintliche oder wirkliche Vergünstigung durch den Werbenden in Aussicht gestellt wird, die entweder nicht vom Kauf einer Ware abhängig ist oder aber zusätzlich zur Ware gewährt wird. Die Werbemethoden sind also zum einen verwandt mit der Einladung zu Werbeveranstaltungen unter dem Versprechen von Geschenken, zum anderen mit dem Problemkreis von Zugabe und Rabatt sowie dem Bereich derKopplungs-, Vorspann- und Animierangebote. Injedem Fall wird die betreffende Werbemethode aufgrund der in Aussicht gestellten oder tatsächlich gewährten Vergünstigung beim Umworbenen eine Dankbarkeit gegenüber dem Werbenden auslösen, gepaart mit dem Wunsch, in den Genuß der dargebotenen Vergünstigung auch tatsächlich zu gelangen. Diese typische Wirkung jener Werbemethoden macht es sinnvoll, die betreffenden Arten und Erscheinungsbilder der Werbung zusammen in einem Kapitel zu behandeln, sofern nicht zusätzliche, andere Rechtsprobleme bestehen, die eine gesonderte Darstellung erfordern. Letzteres gilt für den Komplex von Zugabe und Rabatt, da er in zwei Spezialgesetzen geregelt ist, sowie für die Kopplungsgeschäfte in allen Spielarten, bei denen zusätzlich zu den oben beschriebenen Auswirkungen auf die Umworbenen noch mehrere andere Gesichtspunkte eine wesentliche Rolle spielen; jede der angesprochenen Werbemethoden wird daher eingehend in einem eigenen Kapitel untersucht werden. Die Einladung zu Werbeveranstaltungen unter dem Versprechen von Geschenken etc.

6. Kapitel: "Progressive Kundenwerbung" , "Kaffeefahrten", Preisausschreiben u.ä.

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wurde bereits im Kapitel über "anreißerische Werbung" behandelt, da sie von der Rechtsprechung mit diesem Schlagwort belegt und unter die Fallgruppe der "anreißerischen Werbung" gefaßt wird. Für die restlichen Werbemethoden, nämlich der "progressiven Kundenwerbung", der Preisausschreiben, Gewinnspiele u.ä. sowie der "Kaffeefahrten" wird in diesem Kapitel anhand der oben dargestellten allgemeinen Wirkungen auf die Verbraucher der Schwerpunkt zum einen auf der Frage einer Irrefiihrung der Verbraucher über die ihnen in Aussicht gestellten Vergünstigungen liegen; zum anderen wird ein weiterer Schwerpunkt die Frage sein, ob für die Verbraucher möglicherweise der Wunsch, in den Genuß der dargebotenen Vergünstigungen zu gelangen, so stark werden kann, daß sie dadurch in ihrer freien Willensentschließung beeinträchtigt werden, und zwar sowohl hinsichtlieh der Entscheidung hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses und der konkreten Kaufentscheidung als auch hinsichtlich der Entscheidung über eine Kenntnisnahme von der betreffenden Werbung. II. "Progressive Kundenwerbung"

Unter dieser Werbeform werden Absatzsysteme wie das sogenannte "Schneeballsystem" u.ä. verstanden; gemeinsam ist all diesen verschiedenen Systemen, daß dem Kunden ein Teil des Kaufpreises vergütet wird für jeden weiteren von ihm geworbenen Kunden, welchem seinerseits für die Werbung weiterer Kunden ebenfalls Vergütung des Kaufpreises in Aussicht gestellt wird. Diese Absatzsysteme sind in der Regel als unerlaubte Ausspielungen i.S.d. § 286 StGB strafbar, ebenso gern. § 6 c UWG. 315 Dies allein kann aber weder per se die Sittenwidrigkeit begründen, noch ist die Strafbarkeit hierfür Voraussetzung. Vielmehr kommt es für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit auf die Art der Ausspielung, ihren Zweck und ihre Folgen an. 316 Rechtsprechung und Literatur sehen diese Formen der Verbraucherwerbung seit jeher als sittenwidrig an. 317 Begründet wird dies damit, daß durch Erregung der Spielsucht aufgrund von Täuschung weite Kreise der Bevölkerung zu übermäßigen Ausgaben verleitet würden. 318 Die Täuschung liege darin, daß die Aussicht auf kostenlosen oder sehr günstigen Erwerb in Wahrheit bei den meisten Kunden gerade nicht bestehe, und zwar aus Gründen, die auf der Na-

m Baumbach-Hefennehl, § 6 c, Rz. I. RGZ 115,319 ff., 326; Baumbach-Hefennehl, § I, Rz. 173. 317 RGZ 115,319 ff.; BGHZ 15,356 ff.; OLG München, NJW 1986, 1880; filr die Literatur: Baumbach-Hefermehl, § I, Rz. 172 m.w.N. 318 RGZ 115,319 ff., 330. 316

10 Scherer

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H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

tur des Systems beruhten. 319 Da die Kundenzahl hier nach dem Prinzip der geometrischen Reihe anwachse, fuhre die planmäßige Durchfiihrung schon bald zu einer Marktverstopfung; die weitere Werbung werde Verbrauchern, die an fortgeschrittener Stelle in der Progression stehen, wesentlich erschwert und sogar bald unmöglich. 320 Dieser Rechtsprechung ist grundsätzlich zuzustimmen. An der Feststellung, daß diese Werbeform aufgrund von Täuschung sittenwidrig sei, ist festzuhalten. Die Irrefiihrung der Verbraucher, die von den Werbenden fiir dieses progressive Absatzsystem gezielt ausgenutzt wird, liegt hier darin, daß die tatsächliche Möglichkeit zur Gewinnung weiterer Kunden und damit zur Verringerung der eigenen Kaufpreisverpflichtung wesentlich geringer ist, als der Kunde dies nach der Ankündigung des Werbenden erwarten darf. Der Kunde weiß vor allem nicht, an welcher Stelle er innerhalb der Progression steht. Da aber mit steigender Progression seine Chancen zur Neu-Werbung weiterer Kunden notwendig kleiner werden und schließlich ganz verschwinden, ist das System darauf angelegt, nach einiger Zeit undurchfiihrbar zu werden. Weil nun aber jedem neu zu werbenden Kunden vorgespiegelt wird, daß die Chancen einer Rückvergütung des Kaufpreises durch weitere Neu-Werbung seinerseits möglich ist, ist die Werbung fiir dieses Absatzsystem unwahrhaftig. Die freie Willensentschließung des Verbrauchers wird hier also bereits durch objektiv falsche Informationen beeinträchtigt, da fiir eine freie Willensbildung grundsätzlich Voraussetzung ist, daß sie von objektiv richtigen Gegebenheiten ausgeht. Des weiteren liegt eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung aufgrund eines "positiven ökonomischen Abschlußzwangs" fiir den Verbraucher vor, der allerdings von der Rechtsprechung in dieser Form nicht gesehen wird: Durch die Fehlvorstellung, die sich der Verbraucher über seine Rückvergütungschancen macht, meint er, hier fiir ein wertvolles Gut nur ein ganz außergewöhnlich niedriges oder gar kein Entgelt entrichten zu müssen. Er geht deshalb davon aus, daß sich ihm hier eine solch günstige Gelegenheit biete, daß es geradezu ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft sei, sich dieses Geschäft nicht entgehen zu lassen. Zutreffend meint der BGH hierzu, daß "die Stimme der Vernunft durch die verlockende Aussicht auf scheinbar mühelosen und sicheren Gewinn in aller Regel übertönt" wird. 321 Konsequent weitergefuhrt bedeutet dies nichts anderes, als daß der Verbraucher aufgrund des scheinbar unwiederholbar günstigen Angebots geradezu genötigt wird, es sich nicht entgehen zu lassen: Der Abschluß dieses anscheinend einmaligen günstigen Kaufvertrages wird fiir ihn zu einem Gebot wirtschaftlicher Vernunft; 319 320 321

BGHZ 15,356 ff., 366. BGHZ 15,356 ff., 366. BGHZ 15,356 ff., 368.

6. Kapitel: "Progressive Kundenwerbung", "Kaffeefahrten", Preisausschreiben u.ä.

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diesen Abschluß nicht zu tätigen, wäre unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geradezu unverantwortlich. Der ökonomische Anreiz ist also so stark, daß eine andere Entscheidung als die von der Werbung geforderte, nämlich der Abschluß des Kaufvertrages, für den Umworbenen ausscheidet. Es besteht also für den Umworbenen ein "positiver ökonomischer Abschlußzwang"; die freie Willensbildung des Verbrauchers ist beeinträchtigt. Die Besonderheit dieser Werbeform liegt nun darin, daß die Irreführung über die tatsächlichen Rückvergütungschancen zugleich die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung aufgrund des "positiven ökonomischen Abschlußzwangs" herbeiführt. Diese doppelte Beeinträchtigung der freien Willensentschließung - einerseits durch Irreführung, andererseits durch "positiven ökonomischen Abschlußzwang" - ist für die Verbraucher besonders gefährlich. Die wirtschaftlichen Folgen treffen diejenigen Kunden oft außergewöhnlich hart, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse das angebote Gut zu dem festgesetzten Kaufpreis nie erworben hätten, sondern eine Kaufentscheidung nur trafen, weil sie fest damit rechneten, zumindest einen Teil dieses Kaufpreises nicht bezahlen zu müssen, sondern "abverdienen" zu können. Paradebeispiel ist das Urteil des Reichsgerichts vom 7.12. 1926322 , wo sich junge Leute in der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage der Jahre 1925/26 ein Fahrrad für 128.- RM kauften, weil sie annalunen, letztlich nur 8.- RM dafür bezahlen zu müssen; ebenso das Urteil des OLG München vom 12.9.1985 323 , wo ebenfalls junge Leute mit relativ geringem Einkommen sich in einer Größenordnung von 10.000.- DM verschuldeten, weil sie hofften, durch diese Investition und anschließende Kundenwerbung selbst zu Geld zu kommen. Die verschiedenen Arten der "progressiven Kundenwerbung" beeinträchtigen also die freie Willensentschließung des Umworbenen sowohl hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses als auch hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung. Diese Werbemethode ist daher mit der in Rechtsprechung und Literatur einhellig vertretenen Auffassung als gern. § 1 UWG unzulässig anzusehen.

III. "Kaffeefahrten", "Verkaufsfahrten" u.ä. 1. Rechtsprechung und Literatur

Kennzeichnend für diese Werbeform der sogenannten "Kaffeefahrten" ist, daß für ein sehr niedriges Entgele 24 eine Ausflugsfahrt mit Zusatzleistungen 322 323 324

RGZ 115, 319 ff. OLG München, NJW 1986, 1880. Zu der Kalkulation solch niedriger Preise vgl. die Ausfiihrungen von Walter, WRP 1970, 293.

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Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

wie Mittagessen, Kaffeetafel, Geschenken etc. 325 angeboten wird. In das Programm dieses Ausfluges ist dann eine Werbe- und Verkaufsveranstaltung eingebaut. Diese Verbraucherwerbung wird von der Rechtsprechung, ihr folgend die Literatur, öfters wegen Irreführung über den Charakter der Fahrt als sittenwidrig angesehen. 326 Insbesondere müssen die Veranstalter deutlich und auch für den flüchtigen Leser erkennbar darauf hinweisen, daß es sich bei der Fahrt um eine Verkaufsveranstaltung handelt. 327 Dies gilt insbesondere für die sogenannte "Blickfangwerbung", also eine Werbung, in der bestimmte Teile des Anzeigen- oder Handzetteltextes blickfangmäßig hervorgehoben sind: In solchen Fällen muß der klarstellende Hinweis auf den eigentlichen Charakter der Fahrt ebenfalls in ähnlicher Weise blickfangmäßig hervorgehoben sein. 328 Des weiteren wird bisweilen Sittenwidrigkeit dieser Verkaufsfahrten aufgrund eines "psychologischen Kaufzwangs" angenommen. 329 Begründet wird dies damit, daß die Fahrtteilnehmer infolge der ihnen gewährten übennäßigen Vorteile aus starken Dankbarkeitsgefühlen gegenüber den Veranstaltern meinten, "anstandshalber" etwas kaufen zu müssen. 330 Außerdem wird eine Sittenwidrigkeit wegen "übertriebenen Anlockens" bejaht331 . Darunter versteht die Rechtsprechung das Anlocken von Kunden durch Inaussichtstellen übermäßiger Vorteile; bei solch wettbewerbswidrigem Anlocken bestehe die Gefahr einer in solchem Grad unsachlichen Beeinflussung, daß die freie Entschließung der angesprochenen Publikumskreise, ob sie die Veranstaltung aufsuchen wollten oder nicht, beeinträchtigt werden könne. 332 Der in Aussicht gestellte Vorteil dürfe nämlich für die Besucher nur eine Aufmerksamkeit für die durch den Besuch der Veranstaltung aufgewendeten Zeit und Mühe darstellen. 333 In vollem Umfang zuzustimmen ist Rechtsprechung und Literatur hinsichtlich ihrer Annahme der Sittenwidrigkeit im Fall der Irreführung. Die Verbraucher müssen vor ihrer Anmeldung zu einer solchen Ausflugsfahrt wissen, daß es sich auch um eine Werbe- und Verkaufsveranstaltung handelt. Konnten sie darüber aufgrund der undeutlichen oder versteckten Hinweise des Veranstalters keine Klarheit gewinnen, ist bereits wegen Fehlerhaftigkeit der objektiven Entscheidungsgmndlage die Freiheit ihrer Willensentschließung beeinträchBis zur mehrtägigen Auslandsreise, OLG Celle, WRP 1984, 148 f BGH GRUR 1986,318 ff.; OLG Frankfurt, WRP 1971, 135 ff.; OLG Hamm, WRP 1970, 32 ff.; tur die Literatur vgl. nur Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 113 m.w.N. 327 BGH GRUR 1986,318 ff. 328 BGH GRUR 1986,318 ff., 320. 329 OLG Celle, GRUR 1970,93 f; WRP 1984, 148 f; OLG Frankfurt, WRP 1971, 135 f 330 OLG Celle, WRP 1984, 148 f., 149. 331 OLG Hamburg, WRP 1986, 103 ff.; OLG Celle, GRUR 1970,93 f 332 OLG Celle, GRUR 1970, 93 f, 94. 333 BGH GRUR 1962, 461 ff., 465; OLG Celle, GRUR 1070, 93 f, 94. 325

326

6. Kapitel: "Progressive Kundenwerbung" , "Kaffeefahrten", Preisausschreiben u.ä.

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tigt. Diese Willensbeeinträchtigung besteht unabhängig von der Frage, ob durch "psychologischen Kaufzwang" oder "übertriebenes Anlocken" weitere Beeinträchtigungen der freien Willensentschließung vorliegen. 2. Notwendige Teilnahme an der Werbeveranstaltung

Hinsichtlich der beiden zuletzt genannten Kriterien der Rechtsprechung zur Feststellung der Sittenwidrigkeit ist bei der Werbefonn der "Kaffee"- oder "Verkaufsfahrten" zu differenzieren: zum einen in solche Veranstaltungen, bei denen die Teilnehmer rein faktisch (aufgrund des Programmablaufs etc.) keine andere Möglichkeit haben, als der Werbe- und Verkaufsveranstaltung beizuwohnen (rechtliche Verpflichtung zur Teilnahme ist kaum denkbar), und zum anderen in solche, bei denen den Verbrauchern eine Teilnahme an der Werbeveranstaltung freigestellt ist und auch de facto andere Möglichkeiten des Zeitvertreibs gegeben sind. Hinsichtlich der ersten Gruppe von "Kaffeefahrten", also derjenigen mit faktischem Teilnahmezwang an der Werbeveranstaltung, gelten ähnliche Beurteilungskrlterien wie für Einladungen zu Werbeveranstaltungen unter Geschenkeversprechungen und Inaussichtstellung von Gewinnchancen. 334 Gemeinsam ist beiden Werbefonnen nämlich, daß die Vergünstigung für den Verbraucher (z.B. Geschenk, Verpflegung, äußerst günstiger Ausflug) zwingend an die Teilnahme an der betreffenden Werbeveranstaltung gekoppelt ist. Der Kunde kann also in diesem Fall die für ihn erstrebten Vergünstigungen nur erlangen, wenn er sich der Werbung aussetzt. Seine Entscheidung, sich nicht der Werbung auszusetzen, bedeutet daher notwendigerweise den Verlust der in Aussicht gestellten Vergünstigungen. Es fragt sich also, ob hier die freie Willensentschließung des Verbrauchers hinsichtlich der Teilnahme an einer Werbeveranstaltung und damit der Kenntnisnahme von Werbung, also dem ersten Stadium des Prozesses der Willensbildung, beeinträchtigt wird. Dies wäre aber noch nicht dann der Fall, wenn das Kriterium des Gewinns oder Verlustes der Vergünstigung lediglich einen zusätzlichen Faktor der Beeinflussung des Verbrauchers bildete: Der Verbraucher wird nämlich in seiner Willensbildung von zahlreichen Faktoren beeinfluße 3s , eine bloß weitere, zusätzliche Beeinflussung kann also noch nicht per se zu einer Beeinträchtigung der Freiheit seiner Willensentschließung führen. Hierzu ist vielmehr erforderlich, daß dem Verbraucher eine Abwägung der Kriterien, die seiner Willensbildung zugrunde liegen, nicht mehr möglich ist: Er befindet sich hierbei in einer Lage, die eine andere Entscheidung als Vgl. oben 5. Kapitel "Anreißerische Werbung", Abschnitt 11. 5. Wie ausfiihrlich in Teil 1 der Untersuchung im 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur" und im 3. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Rechtsprechung" dargelegt. 114

115

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H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsreclrt

diejenige zugunsten besagter Werbeveranstaltung nicht erlaubt. Es ist also rur die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung erforderlich, daß der Verbraucher durch die in Aussicht gestellten Vergünstigungen in eine "positive ökonomische Zwangslage" versetzt wird: Es muß fiir ihn geradezu ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft sein, sich die dargebotenen Vergünstigungen nicht entgehen zu lassen und dafiir dann die Teilnahme an der Werbeveranstaltung als "notwendiges Übel" in Kauf nehmen. Ein solcher "positiver ökonomischer Zwang" in dem beschriebenen Sinn wird jedoch nicht bei jeder Verkaufsfahrt gegeben sein. Vielmehr müssen der Fahrpreis und die zusätzlich gewährten Vergünstigungen, verglichen mit den sonst üblichen Durchschnittspreisen fiir derartige Leistungen, so niedrig sein, daß sie von dem Verbraucher als "einmalige Gelegenheit" aufgefaßt werden. 336 Sofern ein solcher "positiver ökonomischer Zwang" zur Teilnahme an der Werbeveranstaltung vorliegt, ist die betreffende Verkaufsfahrt sittenwidrig, da sie die freie Willensentschließung der Verbraucher beeinträchtigt, und zwar hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung, also dem ersten Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung. Zudem ist in diesen Fällen häufig auch eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses und der konkreten Kaufentscheidung, also im zweiten und dritten Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung anzutreffen. Die durch die erheblichen Vergünstigungen ausgelösten starken Dankbarkeitsgefiihle der Verbraucher - sowieso meist ältere, oft auch unkritische Menschen - werden zusammen mit dem häufig bei derartigen Werbeveranstaltungen vorhandenen und vom Werbenden gezielt ausgenutzten Gruppendruck zu einem "moralischen Kaufzwang" bei den Umworbenen fUhren, der es ihnen unmöglich macht, nicht wenigstens einen Gegenstand zu erwerben. Nun geht die Rechtsprechung aber in ihrer Argumentation zum "übertriebenen Anlocken" davon aus, daß jeder Vorteil, der über eine bloße Aufmerksamkeitswerbung für die Verbraucher und über eine "Entschädigung" rur ihre Aufwendungen an Zeit und Mühe hinausgehe, die freie Entschließung des Publikums beeinträchtige. 337 Eine solche Ausdehnung der Grenze rur die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung läßt dieses Abgrenzungskriteriumjedoch konturenlos und damit unbrauchbar werden: Wenn die vielzitierte "Mündigkeit der Verbraucher" von der Rechtsprechung so schwach eingeschätzt wird, daß bereits eine geringwertige Vergünstigung, die über ein bloßes 336

Gute Beispiele hierfilr: OLG Celle, GRUR 1970,93 f: Tagesausflugsfahrt ca. 100 km + Mit-

tagessen + Kaffeetafel insgesamt rur 5.- DM, etwas später 6.- DM; OLG Frankfurt, WRP 1971, 135 ff.: Ausflugsfahrt, Kaffeetafel, reichhaltiges Abendessen, Weinausschank, eine Flasche Wein und ein Einkaufskorb als Präsente, insgesamt rur 7.80 DM. 337 OLG Celle, GRUR 1970,93 f., 94; BGH GRUR 1962,461 ff., 465.

6. Kapitel: "Progressive Kundenwerbung", "Kaffeefahrten", Preisausschreiben u.ä.

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(äußerst geringwertiges) Aufmerksamkeitspräsent hinausgehe 38 , geeignet ist, die Verbraucher in ihrer freien Willensbildung zu beeinträchtigen, müßte man konsequenterweise davon ausgehen, daß eine freie Willensbildung grundsätzlich bei jeder Beeinflussung ausscheidet, die über eine werbliche Angabe von Preis und Qualität der beworbenen Ware hinausgeht. Eine Auseinandersetzung des Verbrauchers mit anderen Beeinflussungen ist nämlich de facto durch die dargestellte Rechtsprechung nicht mehr möglich. Zudem ist die Feststellung einer generellen Beeinträchtigung der freien Willensbildung hier - in Anbetracht der übrigen Rechtsprechung - auch inkonsequent: Einerseits legt nämlich die Rechtsprechung zum vermeintlichen Schutz der Freiheit der Willensbildung des Verbrauchers sehr strenge Maßstäbe an, andererseits akzeptiert sie ohne weiteres aggressives Vorgehen gegen die freie Willensentschließung in Fällen, in denen dem Verbraucher eine Werbung aufgezwungen und er mit allen psychologischen Tricks zum Kauf gedrängt wird (z.B. beim unerbetenen Vertreterbesuch). Unter dem Gesichtspunkt dogmatisch klarer Grenzziehung ist es daher erforderlich, mit klaren Begriffsbestimmungen und dogmatisch präzisen Beurteilungskrlterien zu arbeiten; daher ist - wie dargelegt - eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung nicht in jedem Fall einer Vergünstigung fiir den Verbraucher und einer dadurch hervorgerufenen Beeinflussung gegeben, sondern lediglich dann, wenn diese ihn einem "positiven ökonomischen Zwang" zur Kenntnisnahme von der Werbung aussetzt, ihm also durch die "positive ökonomische Zwangssituation" keine Möglichkeit mehr verbleibt, sich anders zu entscheiden, als von der betreffenden Werbung gefordert. 3. Freigestellte Teilnahme an der Werbeveranstaltung

In den Fällen, in denen keine Kopplung zwischen Vergünstigung - hier also Ausflug, Essen, Präsent u.ä. - und Teilnahme an der Werbeveranstaltung besteht, sind die Verbraucher nicht gezwungen, sich der Werbung auszusetzen. Eine ökonomische Zwangslage, aus der heraus sie an der Werbeveranstaltung als unumgängliches Übel teilnehmen, um überhaupt in den Genuß der Vergünstigung gelangen zu können, kann hier also nicht entstehen - gleichgültig, wie niedrig der Preis fiir die Ausflugsfahrt ist. Insoweit scheidet daher auch notwendigerweise eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung aus. Dies wird von der Rechtsprechung nicht gesehen339 , da die vorgenommene Differenzierung mit den daraus folgenden verschiedenen Ansatzpunkten fiir 338 Dies soll schon bei Waren im Verkaufswert von ca. 3.- DM der Fall sein, vgl. BGH GRUR 1967,254 ff.; OLG Düsseldorf, BB 1965, 1172 ff. 339 Gleiches gilt rur Stimmen in der Literatur, die sich zu dieser Werbemethode äußern, vgl. z.B. Bülow, GRUR 1974,254 ff., 257.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung von ihr nicht vollzogen wird. So ist auch das von Rechtsprechung und Literatur verwendete Argument des "übertriebenen Anlockens" konsequent betrachtet kein Beurteilungskriterium des Verbraucherschutzes, sondern des Konkurrentenschutzes: Das Verbot "unsachlicher Beeinflussung" der Verbraucher durch Gewährung von Vergünstigungen soll ein "übertriebenes Anlocken" von Verbrauchern durch andere Anbieter verhindern; es dient damit dem Erhalt des Kundenstamms der übrigen Anbieter und damit den Konkurrenten des betreffenden Veranstalters340 - der Verbraucher hingegen ist in seiner freien Willensentschließung nicht tangiert. Ob der Verbraucher über den dargestellten "positiven ökonomischen Zwang" zur Teilnahme an der Werbeveranstaltung hinaus - trotz freigestellter Teilnahme an der Werbeveranstaltung - noch weiteren Zwängen zur Kenntnisnahme von der Werbung unterliegt, ist sehr problematisch. Von der Rechtsprechung wird insoweit bisweilen ein "moralischer" Teilnahmezwang, etwa Dankbarkeit gegenüber dem Veranstalter oder aus Schamgefühl gegenüber den Mitreisenden (da man vor diesen nicht als "Schmarotzer" dastehen will)341 angenommen. Ob ein solcher "moralischer" Druck beim einzelnen Fahrtteilnehmer aber überhaupt entstehen kann, wenn sich dieser von vorneherein über den Charakter der Fahrt im klaren war, ist sehr zweifelhaft. Wenn nämlich die Verbraucher darüber informiert sind, daß die Austlugsfahrt auch eine Werbeund Verkaufsveranstaltung beinhaltet, haben sie, bevor sie sich überhaupt zu der Fahrt anmelden, reichlich Zeit zu überlegen, ob sie an der Werbeveranstaltung teilnehmen wollen oder nicht - sie begeben sich ja schließlich freiwillig in diese Situation. Aufgrund dieser rationalen Problemaufarbeitung werden zum einen spontane Emotionsreaktionen wie Teilnahme aus Dankbarkeit oder Schamgefühl kaum aufkommen können. Zum anderen ist festzuhalten, daß bei vorheriger Kenntnis der Verbraucher von der auf sie zukommenden Entscheidungssituation ein BerUfen auf eine eventuelle Zwangslage nicht mehr möglich ist: Da die Umworbenen sich freiwillig in die entsprechende Situation hineinbegeben haben, können sie sich nicht darauf stützen, daß die ihnen von vorneherein bekannte und von ihnen auch erwartete Situation nun schließlich doch zu einer moralischen Zwangslage für sie geführt habe - "volenti non fit iniuria". Gleiches gilt für den von der Rechtsprechung ins Feld geführten "psychologischen Kaufzwang": Da die Verbraucher genau wissen, worauf sie sich einlassen, ist ihnen eine gründliche Vorbereitung und "psychische Abhärtung" gegenüber dem Druck der Verkaufswerbung möglich. Man wird es daher der 340

Vgi. in diesem Zusanunenhang insbesondere auch die Ausflihrungen zum "Kunden-Sog"-Urteil,

unten, Abschnitt IV. 341 OLG Celle, GRUR 1982,687 f., 688; OLG Frankfurt, WRP 1971, 137.

6. Kapitel: "Progressive Kundenwerbung", "Kaffeefahrten", Preisausschreiben u.ä.

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eigenen Entschließung der Verbraucher überlassen müssen, ob sie sich auf derartigen Ausflugsfahrten der Verkaufswerbung und dem mit ihr verbundenen Gruppendruck aussetzen wollen oder nicht. 342 Wenn sich demgegenüber Gerichte darauf berufen, daß die angesprochenen Publikumskreise hier vorwiegend aus einfachen und/oder älteren Menschen bestehen343 , und deshalb meinen, sogar eine sechstägige Auslandsreise für 298.- DM verbieten zu müssen, nur weil an einem Vormittag eine Teilnahmemöglichkeit an einer Werbeveranstaltung bestand344 , machen sich die Gerichte nicht nur selbst unglaubwürdig hinsichtlich dem von ihnen häufig beschworenen "mündigen, selbständig entscheidenden Verbraucher"; sie maßen sich vielmehr eine Betreuungsfunktion gegenüber den Verbrauchern an, die gerade unter dem Gesichtspunkt der Funktion des Verbrauchers im Wettbewerb nicht akzeptabel ist. 345 IV. Preisausschreiben, Gewinnspiele u.ä. Bei der Werbemethode der Preisausschreiben und Gewinnspiele wird regelmäßig differenziert zwischen solchen Spielen, bei denen ein Einsatz erforderlich ist (auch versteckter Einsatz, z.B. Kaufpreis oder Eintrittspreis) - solche Gewinnspiele werden grundsätzlich als unzulässig angesehen346 - und solchen, bei denen kein Einsatz erbracht werden muß, sondern die Teilnahme frei ise 47 . Für die Feststellung einer wettbewerbsrechtlichen Unzulässigkeit gibt es nun bei beiden Werbungsformen mehrere Ansatzpunkte: Zum einen kann sie gegeben sein bei einer Irreführung des Publikums über die Gewinnchancen u.ä. 348 Zum anderen begründet die Rechtsprechung eine Sittenwidrigkeit häufig mit dem Argument des "psychologischen Kaufzwangs"349, meistens dann, wenn der Kunde das Ladengeschäft zum Zweck des Spiels, zur Abholung eines Gewinns oder der Teilnehmerkarte betreten muß, da er in diesen Situationen So konsequent OLG Hanun, WRP 1970,32 ff., 34. OLG Celle, WRP 1984, 148 f., 149; OLG Frankfurt, WRP 1971, 135 ff., 137. 344 OLG Celle, WRP 1984, 148 f. 34S Kritisch auch zu dieser "Betreuungs"-Rechtsprechung Rödding, DB 1964, 1877 ff., 1878; Emmerich, S. 169. 346 Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 147 f., 155 f.; Vieregge/ Strotzmann, FS Quack, 1991, 139 ff., 142; Heil, WRP 1989,647; Bülow, GRUR 1974,254 ff., 259; Loewenheim, Neue Wirtschaftsbriefe, 1981, Fach 20, 337 ff., 341; kritisch zwar Hix, WuW 1957, 467 ff., der jedoch gleichfalls i.E. zur Unzulässigkeit gelangt. 34 7 Vgl. Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 151 ff. Zur strafrechtlichen Beurteilung ungenehmigter Lotterien und Ausspielungen vgl. Sch-Sch-Eser, § 286, Rz. 1 ff. m.w.N. 348 BGH GRUR 1962,461 ff.; 1989,434 ff.; LM § 1 UWG Nr. 268; OLG Hamburg, WRP 1993, 39 f. 349 OLG Düsseldorf, Betrieb 1965, 1172 f.; BGH NJW 1977,2075 f.; GRUR 1973,418; 591 ff., 593; GRUR 1959,285 ff., 287; GRUR 1971,223 f., 224; GRUR 1989,757. 342 343

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11. Teil: Die Unzu1ässigkeit der Werbung im Wettbewerbsreclrt

einem psychologischen Druck ausgesetzt sei. 350 Des weiteren wird eine Sittenwidrigkeit aufgrund eines "übertriebenen Anlockens" angenommen351 , da es sich in diesen Fällen nach Ansicht der Rechtsprechung um eine Werbung handele, die geeignet sein könne, die Verbraucher von der sachgerechten Prüfung der angebotenen Ware nach Qualität und Preis abzuhalten und den Kundenstrom in das Geschäftslokal des Veranstalters zu ziehen. 352 Eng mit diesen beiden Argumenten verknüpft ist der Vorwurf der "Ausnutzung der Spiellust und Gewinnsucht" des Publikums353 , da der Werbende sich hierdurch zunächst einen Vorsprung vor seinen Konkurrenten verschaffen könne (indem die Verbraucher in sein Ladengeschäft gelockt werden) und zum anderen die Verbraucher den Kaufentschluß nicht mehr aus sachlicher Erwägung, sondern allein aufgrund des Gewinnanreizes des Spiels träfen. 354 Hinsichtlich einer Unzulässigkeit wegen Irreführung gilt das bereits oben Gesagte. Die Unzulässigkeit ist also immer dann zu bejahen, wenn die Informationen über das Gewinnspiel so beschaffen sind, daß sie geeignet sind, bei einem nicht unerheblichen Teil der Verbraucher falsche Vorstellungen über die Gewinnchancen, die ausgesetzten Preise, den Wert der Gewinne etc. zu erwekken. 355 Im Fall der Irreführung wird nämlich auch hier die freie Willensentschließung hinsichtlich des (weiteren) Kontakts mit dieser Werbung beeinträchtigt. Zur Feststellung einer Sittenwidrigkeit aus den anderen Gründen, die die Rechtsprechung gegen derartige Werbeformen ins Feld führt, bedarf es einer genaueren dogmatischen Differenzierung und klarer Herausarbeitung der relevanten Tatsachen. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen hier zunächst die "gekoppelten" Gewinnspiele, also diejenigen, die als (versteckten) Einsatz den Kaufpreis einer Ware erfordern, bei denen also die Teilnahme an den Erwerb einer bestimmten Ware oder Leistung gekoppelt ist. Dreh- und Angelpunkt aller Argumente der Rechtsprechung ist hier der Vorwurf, die Verbraucher würden ihre Kaufentscheidung nicht aufgrund einer Abwägung nach Güte und Preis der Ware treffen, sondern aufgrund der Hoffnung auf einen - möglichst hohen - Gewinn. Hieraus allein aber kann eine Sittenwidrigkeit noch nicht 3'0 Vgl. BGH GRUR 1973, 418 f.; OLG Hamburg, GRUR 1984, 825; BGH GRUR 1973,591 ff., 593; NJW 1977,2075. 3>1 BGH WRP 1979, 558 f.; GRUR 1974, 156 f., 157; GRUR 1973, 418 f., 419; 476; NJW 1977, 2075; NJW 1990,3199 ff., 3203; OLG Düsse1dorf, Betrieb 1965, 1172; OLG Hamm, GRUR 1992, 630;RGJW 1928, 1210. m OLG Frankfurt, WRP 1979,558 f., 559. m OLG Stuttgart, WRP 1985,365; BGH GRUR 1986, 622; GRUR 1973,418 f., 419; RG JW 1928, 1210. 3'4 BGH GRUR 1986,622; NJW 1990,3199 ff., 3203. m Zur Irrefiihrung durch die Rätselaufgabe selbst vgl. Hix, WuW 1957,467 ff.

6. Kapitel: "Progressive Kundenwerbung", "Kaffeefahrten", Preisausschreiben u.ä.

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begründet werden. 356 Relevant ist vielmehr, ob die Freiheit der Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt wird. Zwar wird dies von der Rechtsprechung unter Hinweis auf eine fehlende "sachliche" Abwägung generell bei allen gekoppelten Gewinnspielen angenommen. Hierbei läßt die Rechtsprechungjedoch außer acht, daß der Verbraucher über die Abwägungskriterien von Güte und Preis der Ware hinaus tatsächlich vielfältigen und häufig unsachlichen Beeinflussungen durch die Werbung ausgesetzt ist. Nicht jede Beeinflussung aber stellt auch zugleich eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung dar. Wenn nun die Rechtsprechung davon ausgeht, daß prinzipiell andere Motivationen als das PreisLeistungs-Verhältnis bei der begehrten Ware - welches der einzige von der Rechtsprechung als "sachlich" angesehene Gesichtspunkt ist - nicht in die Kaufentscheidung des Verbrauchers einfließen sollten, übersieht sie dabei, daß der Verbraucher bei nahezu jeder Kaufentscheidung einer Fülle von unsachlichen Einflüssen und Motiven ausgesetzt ist. 357 Diese werden von der Werbewirtschaft auch häufig ganz gezielt eingesetzt und zum Teil sogar als zum Produktimage dazugehörig "mitverkauft". Deshalb kann die Tatsache, daß die Verbraucher auch unsachlichen Motiven wie Spiellust und "Gewinnsucht" bei der Kaufentscheidung Raum geben, für sich allein noch nicht geeignet sein, eine Werbung als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies kann vielmehr erst dann angenommen werden, wenn der werbliche Einfluß als solcher so stark wird, daß er alle anderen Motive des Verbrauchers verdrängt und die Kaufentscheidung völlig beherrscht - wenn also eine andere Entscheidung als die von der betreffenden Werbung verlangte für den Umworbenen nicht mehr möglich ist. Eine solche Situation ist aber regelmäßig erst dann gegeben, wenn der Konsument hinsichtlich der Willensentschließung in eine Zwangslage gebracht wird. Im vorliegenden Problemkreis kann dafür nur ein "positiver ökonomischer Abschlußzwang" in Betracht kommen. Eine solche "positive ökonomische Zwangslage", die es dem Verbraucher aus Gründen der wirtschaftlichen Vernunft gebietet, den Vertrag abzuschließen, um an dem Gewinnspiel teilnehmen zu können, ist jedoch keineswegs in allen Fällen einer Kopplung gegeben. Sie liegt vielmehr lediglich dann vor, wenn die ausgesetzten Gewinne so wertvoll, die Gewinnchancen so hoch, das Rätsel so leicht und die zu erwerbende Ware relativ gesehen so geringwertig sind, daß das Entgehenlassen dieser Gewinnchance für den Durchschnittsverbraucher unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten äußerst unklug, um nicht zu sagen unverantwortlich wäre. Die 3S6 Vgl. die ausfiihrliche Darstellung in Teil I, 3. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Rechtsprechung" und 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". m Vgl. hierzu die ausfiihrliche Darstellung in Teil I, 3. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Rechtsprechung".

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Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

wirtschaftliche Vernunft muß es hier geradezu gebieten, die Ware zu kaufen, um die Teilnahmemöglichkeit an dem Gewinnspiel zu erlangen. Als Beispiele ftir einen ökonomischen Kaufzwang sei hier angeführt der Sachverhalt von BGH GRUR 1973, 474ff. (wo sich die Werbung zwar an Einzelhändler wendete, aber die Situation ebensogut auf Letztverbraucher übertragen werden kann): Als Preise waren hier ausgesetzt 100 Geschirrspülautornaten (1968!), später Kraftwagen, Fernseher und Brillianten (!); die gestellte Aufgabe war auffallend leicht zu lösen und die Ware, deren Bestellung gleichzeitig mit der Teilnahme am Preisausschreiben auf demselben Formu1ar dem Kunden de facto "nahegelegt" wurde, war von geringem Wert (3.bis 5.- DM). In dem Urteil des OLG Hamburg vom 3.3.1954 358 ging es darum, daß eine Privatschu1e ftir Stenographie und Maschinenschreiben damit warb, jedem fünften, der sich innerhalb einer bestimmten Zeit für einen Kurs anmelde, den gesamten Kurs gratis zu gewähren. Im Sachverhalt des Reichsgerichtsurteils vom 27.2.1928 359 warb ein Nähseidenhersteller damit, daß in 1110 Nähseidenröllchen Geldgutscheine im Wert von 10.- RM bis 1.000.- RM (!) versteckt seien, insgesamt 30.000,- RM (!). Bei Kindern und Jugendlichen, die eine häufige Zielgruppe dieser Werbemethode mit Gewinnspielen o.ä. darstellen, gelten hinsichtlich des "positiven ökonomischen Abschlußzwangs" jedoch notwendigerweise andere Beurteilungskriterien. Sie sind nämlich aufgrund ihres altersgemäßen Verhaltens, ihrer mangelnden Beurteilungsfahigkeit und ihrer Unerfahrenheit360 wesentlich leichter in einen "positiven ökonomischen Abschlußzwang" zu bringen als Erwachsene. Bereits bei geringwertigen Gewinnen oder Ausnutzung der SammeIleidenschaft etc. ist daher bei Kindern und Jugendlichen eine freie Willensentschließung nicht mehr gewährleistet (zu dem Problemkreis der Werbung gegenüber Kindern generell vgl. 9. Kapitel "Autoritätenwerbung, Laienwerbung, Werbung gegenüber Kindern", Abschnitt III.); Ansonsten gilt generell der Grundsatz: Je niedriger Gewinnchancen und Gewinne und je höher der Warenwert, desto weniger wird ein ökonomischer Abschlußzwang anzunehmen sein. Entgegen der einhelligen Ansicht von Rechtsprechung und Literatur ist also auch bei einer Kopplung von Teilnahmemöglichkeit und Warenerwerb keineswegs per se eine Werbung sittenwidrig. Vielmehr ist eine Abwägung zwischen den genannten Kriterien geboten, die durchaus in vielen Fällen deutlich machen wird, daß die von der Rechtsprechung behauptete Verleitung zu Kaufentscheidungen, die der Verbraucher ohne die Inaussichtstellung des Gewinns nicht getroffen hätte, eine pure Fiktion ist; ebenso wie mit dem Argument des "übertriebenen Anlockens" m OLG Hamburg, GRUR 1954, 588. m RG JW 1928, 1210 f. 360 OLG München, GRUR 1983,678 f., 679.

6. Kapitel: "Progressive Kundenwerbung", "Kaffeefahrten", Preisausschreiben u.ä.

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versucht die Rechtsprechung hier nämlich in vielen Fällen zu verdecken, daß mit dem von ihr behaupteten Schutz der Verbraucher in Wirklichkeit ein Schutz der Konkurrenten, der Mitbewerber verfolgt wird. 361 Dieser Schutz der Konkurrenten ist durchaus legitim und keineswegs als negativ anzusehen. Zu kritisieren ist jedoch, daß hier dogmatisch inkonsequent die Verfolgung des einen Zwecks mit den Argumenten des anderen verdeckt wird; kurz gesagt wird "Etikettenschwindel" betrieben. Hinsichtlich des Verbraucherschutzes ist konsequenterweise lediglich darauf abzustellen, ob eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung gegeben ist. Ist dies nicht der Fall, können wohl Aspekte des Konkurrentenschutzes zu untersuchen sein, und eine Sittenwidrigkeit kann wegen Verletzung von Konkurrenteninteressen vorliegen; dogmatisch verfehlt ist es jedoch, eine Sittenwidrigkeit wegen Verletzung der Willensfreiheit der Verbraucher anzunehmen, obwohl tatsächlich lediglich die Sphäre der Mitbewerber betroffen ist. Daß das "übertriebene Anlocken" der Kunden durch eine Werbung ein Argument des Konkurrentenschutzes ist, wird am deutlichsten im "Kunden-Sog"Urteil des OLG Frankfurt vom 12.4.1979. 362 Hier hatte zu Beginn des Schlußverkaufs ein Warenhaus damit geworben, am ersten Tag ab 7.30 Uhr "GlücksKleeblätter" zu verteilen, mit denen man Einkaufsgutscheine gewinnen konnte. Da die Einkaufsgutscheine nicht hochwertig waren (70 x 10.- DM, 1 x 300.DM), lag keine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers durch eine "positive ökonomische Zwangssituation" vor. (Dies wäre im übrigen selbst bei höheren Gewinnen nicht anzunehmen, weil weder Zwang zur Kenntnisnalune von irgendeiner Werbung noch Zwang hinsichtlich irgendeines Vertragsschlusses erzielt worden wäre.) So stützt sich das OLG Frankfurt daher auch darauf, daß durch das "übertriebene Anlocken" die Kunden gleichsam "magnetisch" zu dem Geschäft des Werbenden gezogen würden; diese "Sog-Wirkung" sei aber geeignet, den Leistungswettbewerb zu verfälschen, da ftir die Anbieter alles darauf ankomme, den "ersten Ansturm" auf sich zu ziehen und von anderen Geschäftslokalen fernzuhalten. 363 An diesen Ausftihrungen wird deutlich, daß das "übertriebene Anlocken", das von der Rechtsprechung als Verbraucherschutzargument verwendet wird, lediglich einen Aspekt des Konkurrentenschutzes betrifft - ein "Anlocken" der Verbraucher durch den Werbenden und damit ein "Weglocken" dieser Verbraucher von anderen Anbietern, also der Verlust von deren Kundschaft soll verhindert werden. Dieses Argument sollte von der Rechtsprechung daher auch dogmatisch konsequent nicht mehr mit der Behauptung, damit Verbraucherschutz zu verfolgen, verwendet werden, sondern offen als Aspekt des Konkurrentenschutzes deklariert werden. 361 362 363

Vgl. Ohlgart, GRUR 1974,695. OLG Frankfurt, WRP 1979,558 f. OLG Frankfurt, WRP 1979,558 f., 559.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Die Situation des von der Rechtsprechung als "psychologischer Kaufzwang" bezeichneten Drucks auf den Kunden hingegen ist eine andere als die des "positiven ökonomischen Abschlußzwangs". Typisch ist hier, daß die Verbraucher zur Teilnahme am Gewinnspiel mindestens einmal das Geschäftslokal des Anbieters betreten müssen. Hier ist zur Feststellung, ob die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt wird, wiederum zu differenzieren: Entscheidend ist, ob durch das Betretenmüssen des Geschäfts eine psychische Situation für den durchschnittlichen Verbraucher entstehen kann, die den Abschluß eines Kaufs für ihn unumgänglich macht. Eine derartige Situation kann aber regelmäßig dann nicht entstehen, wenn der einzelne Verbraucher dem Werbenden nur als Teil einer anonymen Masse, nicht aber persönlich gegenübertritt. 364 Lediglich der persönliche Kontakt, die persönliche Begegnung, versetzt den Konsumenten nämlich in die Lage, gegenüber einem nun konkret personifizierten Anbieter Gefühle wie Dankbarkeit, Peinlichkeit, Großzügigkeit etc. zu empfinden365 und durch diese Gefühle in einen psychischen Abschlußzwang zu geraten. Als Teil einer anonymen Masse der Verbraucherschaft hingegen fehlen für den Durchschnittsverbraucher die psychischen Voraussetzungen für derartige emotionale Reaktionen. Ein psychischer Abschluß zwang kann daher in solchen Situationen nicht auftreten. Müssen nun die Teilnehmer an einem Gewinnspiel zur Teilnahme das Ladenlokal des Werbenden betreten, so ist danach zu unterscheiden, ob es nach dem Betreten des Geschäfts dem Verbraucher ermöglicht wird, Teil einer anonymen Masse zu bleiben, oder ob er aus diesem "Schutzschild" heraustreten muß. Dies wird regelmäßig der Fall sein in kleinen, unter Umständen sogar im ländlichen Raum gelegenen Geschäften, in denen der Verbraucher dem Werbenden persönlich gegenüber tritt (und ihm vielleicht sogar persönlich bekannt ist).366 Als Beispiel sei hier der Sachverhalt des BGH-Urteils vom 26.1.1973 367 genannt, bei dem die Verbraucher zur Teilnahme an einem Gewinnspiel das gesamte Möbelgeschäft des Werbenden durchsuchen mußten nach einem "Goldenen A". In dem Geschäft, das mit 800 qm nicht mit einem anonymen Warenhaus vergleichbar war, standen überdies 'fünf Verkäufer zur Kundenbetreuung zur Verfügung. Hier war der durch das Spiel nötige Aufenthalt in dem Ladenlokal so lang, das geforderte Verhalten der Teilnehmer so auffällig und die Gegebenheiten im Geschäft so wenig "anonymisierend", daß für den durchschnittlichen Verbraucher hier ein erhebliches Peinlichkeitsgefühl ob seines Verhaltens in einem Geschäft, "das doch verkaufen will", entstehen konnte; hierbei wiederum lag die Reaktion der Verbraucher nahe, sich dieser Pein-

J64 J6' J66 J67

BGH GRUR 1989,757; Baumbach-Hefennehl, § I, Rz. 159. Vieregge/Strothmann, FS Quack 1991, 139 ff., 146; Borck, WRP 1983,311 ff., 312. Müller, NJW 1972,273 ff., 275; Hix, WuW 1957,467 ff., 478, BGH GRUR 1973, 418 ff.

6. Kapitel: "Progressive Kundenwerbung", "Kaffeefahrten", Preisausschreiben u.ä.

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lichkeit durch den Kauf eines Kleinartikels, die das Haus ebenfalls anbot, zu entziehen. Eine ähnliche Situation, die zum psychischen Abschlußzwang führte, sah der BGH zu Recht in seinem Urteil vom l6.3.l973?68 Hier mußten die Kunden zur Ausschöpfung ihrer Gewinnchancen mindestens sechsmal (!) ein Lebensmittel-Einzelhandelsgeschäft betreten. Zwar besteht hier die Besonderheit, daß ein generelles Konsumbedürfnis für Lebensmittel grundsätzlich bei jedem Verbraucher besteht; insoweit konnte hier also keine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses vorliegen. Wohl aber wurde durch das mehrfache Betretenmüssen des Geschäfts ein psychischer Abschlußzwang hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung hervorgerufen, da von Anonymität aufgrund der Bestimmung, daß pro Besuch an die Kunden nur ein Los ausgegeben werde, nicht die Rede sein konnte. Hier liegt also einer der Fälle vor, in denen zwar die freie Willensentschließung hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung, nicht aber hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses beeinträchtigt ist; die im I. Teil der Untersuchung369 herausgearbeitete Differenzierung zwischen dem zweiten und dem dritten Stadium des Prozesses der Entscheidungsfindung ermöglicht es jedoch, auch diese Fallkonstellation rechtlich zu erfassen. Zusätzlich zu den aufgezählten Kritikpunkten an der Rechtsprechung ist ihr außerdem bisweilen Inkonsequenz gegenüber den Beurteilungen ähnlicher Sachverhalte im Hinblick auf ihre eigene Prämisse vorzuwerfen. Als Beispiel genannt sei ein Vergleich zwischen zwei Sachverhalten, die beide Gewinnspiele zum Gegenstand hatten. In der Entscheidung des BGH vom 11.2.1977370 mußten die Verbraucher ihren Gewinn, ein Päckchen Kaffee, im Geschäft der Filiale einer Großrösterei abholen und der BGH war - nach dem Kriterium der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers zutreffend - der Ansicht, daß ein psychischer Abschlußzwang nicht vorliege; in dem Urteil des OLG Hamburg vom 5.7.1984371 wurde ein "psychologischer Kaufzwang" bejaht allein aufgrund der Tatsache, daß die Verbraucher eine Kaffeerösterei-Filiale zum Abholen eines Teilnahmescheins betreten mußten. Wenn aber ein Verbraucher schon keine Peinlichkeit verspürt bei der Vorstellung, sich "nur etwas schenken lassen zu wollen", nicht aber zu kaufen, kann ein solches Peinlichkeitsgefühl sicher erst recht nicht entstehen, wenn ein Geschäft nur einmal kurzfristig zum Abholen von bereitstehenden Teilnahmekarten betreten werden mußte, selbst wenn nicht sofort ersichtlich war, wo die Teilnahmekarten ausgelegt waren. Der "Schutzschild" der Anonymität wird näm368

BGH LM § 1 UWG, Nr. 259.

370

Vgl. oben, Teil 1,4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". BGH NJW 1977,2075 ff.

371

OLG Hamburg, GRUR 1984, 825 f.

369

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11. Teil: Die Unzuliissigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

lich bei einem solchen kurzfristigen, lediglich auf die Abholung einer Teilnahmekarte beschränkten Kontakt - falls hier überhaupt von einem solchen gesprochen werden kann - nicht preisgeben.

7. Kapitel: Kopplungsangebot, Vorspannangebot, Animierangebot I. Kopplungsangebote Bei den Kopplungsangeboten, einer Form der Wertreklame (d.h. Werbung mit speziellen Vergünstigungen) werden zwei (oder mehrere) Waren, die nicht üblicherweise eine Wareneinheit darstellen, nur zusammen angeboten. Keine der gekoppelten Waren wird alleine veräußert. Hierbei unterscheidet man zusätzlich zwischen sogenannten verdeckten und offenen Kopplungen: Bei der verdeckten Kopplung wird nur der Gesamtpreis, nicht aber werden die Einzelpreise der gekoppelten Waren genannt372 ; bei der offenen Kopplung werden hingegen die Einzelpreise angegeben. 373 Grundsätzlich geht die Rechtsprechung, wie sie immer wieder betont, von einer generellen Zulässigkeit der Kopplungsangebote aus. 374 Jedoch bestehen gewichtige Ausnahmen von diesem Grundsatz. Die Rechtsprechung differenziert in diesem Bereich der Wertreklame nämlich im wesentlichen zwischen brancheneigenen Kopplungen (das betrifft Waren, die beide der gleichen Branche angehören, z.B. verschiedene Teesorten oder Tee- und Kaffeesorten) und branchenverschiedenen Kopplungsangeboten. Die verdeckte Kopplung bei branchenverschiedenen Waren wird hierbei regelmäßig für sittenwidrig gern. § I UWG erklärt. 375 Brancheneigene Kopplungen hingegen werden akzeptiert. 376 Das Verbot der verdeckten Kopplung branchenverschiedener Waren begründet die Rechtsprechung vor allem mit dem Argument der Preisverschleie372 Gängige Definition, vgl. BGH GRUR 1962,415 ff., 418; LG Köln, WRP 1983, 178 f., 179; hinsichtlich anderer Unterscheidungen, die sich in der Rechtstenninologie jedoch nicht durchgesetzt haben vgl. Borck, WRP 1974, 1 ff., 2; Reimer-Krieger, Rz. 15; ausführlich zu den verschiedenen tatsächlichen ErscheinungsfoImen vgl. Nees/Sauberschwarz, WRP 1993,369 ff.; Burkert, S. 31 ff. 373 OLG Düsseldorf, WRP 1978, 591. 374 BGH GRUR 1962,415 ff., 417; 1967,530 ff., 532; OLG Köln, WRP 1981,227 ff., 229. m BGH GRUR 1962,415 ff., 418; 1967,530 ff., 532; OLG Köln, WRP 1981,227 ff., 229; LG Köln, WRP 1983, 178 f., 179. 376 OLG Köln, WRP 1981, 227 ff., 228 f.; vgl. auch BGH GRUR 1967, 530 ff., wo das Angebot allerdings an der Grenze zur offenen Kopplung liegt.

7. Kapitel: Kopplungsangebot, Vorspannangebot, Animierangebot

161

rung377 , da diese Form der Kopplung den Verbraucher nicht erkennen lasse, welcher Preis für welche der beiden Leistungen verlangt werde. Ohne die Kenntnis der Einzelpreise sei aber ein Vergleich mit den Waren der Mitbewerber nicht oder nur schwer möglich. 378 Gelegentlich wird auch angenommen, daß ein nicht unerheblicher Teil des Publikums durch diese Art der Preisangabe zu der falschen Vorstellung verleitet werden könne, es handele sich um ein besonders günstiges Preisangebot. 379 Die Wertungen der Rechtsprechung werden von wesentlichen Teilen der Literatur akzeptiert380 ; es finden sich jedoch auch kritische381 und gänzlich ablehnende Stellungnahmen. 382 Der Grund, weshalb die Rechtsprechung die branchenfremden verdeckten Kopplungen mit dem Verdikt der Sittenwidrigkeit belegt, ist also zum einen der Vorwurf der Preisverschleierung, die Unmöglichkeit eines Preisvergleichs bei den branchenfremden Waren, und zum anderen, wenn auch weniger häufig, die Irreführung, es handele sich um ein besonders günstiges Angebot. Hierbei ist zum Vorwurf der Unmöglichkeit eines Preisvergleichs zunächst festzustellen, daß jeder Preisvergleich - sofern er Verbrauchern de facto überhaupt noch möglich ist (man denke nur an die "ungeraden" Inhaltsmengen von Packungen, die gezielt einen Preisvergleich der Verbraucher verhindern sollen) - heute erheblich erschwert ist. Jeder Preisvergleich erfordert daher gewisse eigene Bemühungen. 383 Erschwerungen eines Preisvergleichs aber sind - mittlerweile alltäglich und durchweg akzeptiert - keine Grundlage für eine Feststellung der Sittenwidrigkeit. Für die Verbraucher ist vielmehr relevant, daß es überhaupt noch möglich sein muß, Preise zu vergleichen, oder ob nicht durch eine generelle Unmöglichkeit eines Preisvergleichs nahezu unumgänglich eine Preisverschleierung und damit ein Irrtum über die Preiswürdigkeit des Angebots herbeigeführt wird. Fraglich ist daher, ob eine Ermittlung der Einzelpreise und damit ein Preisvergleich bei branchenfremden verdeckten Kopplungen entgegen der Meinung der Rechtsprechung und eines Teils der Literatur überhaupt möglich ist. Zunächst ist hierzu festzustellen, daß bei Waren des täglichen Bedarfs die Durchschnittspreise den Verbrauchern bekannt sind oder sich zumindest sehr leicht ermitteln lassen. Bei solchen gekoppelten Angeboten, in denen Waren des BGH GRUR 1962,415 ff., 418; LG Köln, WRP 1983,178 f., 179. BGH GRUR 1962,415 ff., 418. 379 BGH GRUR 1962,415 ff., 418. 380 Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 127 ff.; Kopp, GRUR 1967, 533; Hefermehl, GRUR 1974, 542 ff., 543; Gerstenberg, GRUR 1980, 618 ff., 620. 381 Seydel, GRUR 1962,419. 382 Emmerich, S. 196; Ulmer-Reimer, Rz. 840 f. 383 Seydel, GRUR 1962,419. 377

378

11 Scherer

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

täglichen Bedarfs enthalten sind, ist also der ungefähre Preis zumindest der einen Ware bekannt (zumal häufig eine der beiden angebotenen Waren im anbietenden Geschäft selbst einzeln vorhanden ist); der Preis der anderen Ware ist demnach ebenfalls leicht durch Subtraktion zu ermitteln. Als Beispiel sei hier der "Glockenpackungs-Fall"384 genannt, in dem 50 Gramm Tee zusammen mit einer "Japantasse" für insgesamt 2,75 DM angeboten wurden; im übrigen Sortiment des Anbieters wurde dieselbe Sorte und Menge des Tees für 1,50 DM angeboten, so daß den Verbrauchern leicht erkennbar war, wie sich die Preise des gekoppelten Angebots zusammensetzen mußten. Ein Preisvergleich ist somit hinsichtlich Kopplungsangeboten, in denen Waren des täglichen Bedarfs enthalten sind, keineswegs unmöglich. Wenn demgegenüber darauf abgestellt würde, daß ein Preisvergleich hinsichtlich der branchenfremden gekoppelten Ware unmöglich sei, da diese Warengattung sonst ja im Sortiment des Anbieters nicht vorhanden sei und deswegen kein Preisvergleich zu ähnlichen Waren hier möglich sei, wird nicht berücksichtigt, daß damit jedem Kaufmann seine Sortimentsgestaltung vorgeschrieben würde385 ; denn diese Situation besteht ebenso bei nicht gekoppelten branchenfremden Waren - sie ist also unabhängig von einer Kopplung. Fraglich ist nun, ob eine Unmöglichkeit des Preisvergleichs bei gekoppelten Angeboten besteht, in denen keine Waren des täglichen Bedarfs enthalten sind, sondern insbesondere höher- und hochwertige Gebrauchsgüter. Hier ist zu berücksichtigen, daß bei derartigen Waren ein Preisvergleich sowieso kaum durchführbar ist, da generell die Schwierigkeit besteht, Preise verschiedener Waren, fur die keine einheitlichen Qualitäten bestehen, zu vergleichen. 386 Die genannten Schwierigkeiten bestehen unabhängig von der Kopplung. Die Kopplung selbst mag zwar die Feststellung der Einzelpreise erschweren (obwohl nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen ist, daß Interessenten fur derartige Waren sehr wohl über die Preise der verschiedenen Anbieter informiert sind und daher auch die verschiedenen Einzelpreise ermitteln können); da diese Einzelpreise jedoch selbst bei Kenntnis einen Preisvergleich nicht erleichtern, bleibt es bei solchen Angeboten der persönlichen Entscheidung eines jeden Verbrauchers überlassen, fur sich selbst zu beantworten, ob ihm das gekoppelte Angebot "diesen Preis wert" erscheint - verneint er dies, so muß er von einem Vertragsabschluß absehen. Das Absehen vom Vertragsschluß durch die Verbraucher ist zudem (was vielfach unterschätzt wird) eine der schärfsten Waffen der Verbraucher - häufig wesentlich schärfer und damit auch wirksamer als Abmahnungen von Verbraucherverbänden oder gerichtliche Verbote. Die "Abstimmung an der Ladenkasse", also die Entscheidung der

38>

BGH GRUR 1962,415 ff. Emmerich, S. 196.

386

So rur einen Preisvergteich hinsichtlich eines gekoppelten Angebots von Motorrad, Helm und

384

Jacke: OLG Köln, WRP 1981,227 ff., 229.

7. Kapitel: Kopplungsangebot, Vorspannangebot, Animierangebot

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Verbraucher darüber, ob ein Angebot ankommt, ist nämlich für die Anbieter das eigentlich Maßgebliche. Ein Irrtum über die Preiswürdigkeit kann also wegen der beschriebenen Besonderheiten bei der branchenfremden verdeckten Kopplung - auch wenn die Waren nicht dem täglichen Bedarf zuzurechnen sind - nicht entstehen. Eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Verbraucher durch einen Irrtum über die Preiswürdigkeit ist daher bei den verdeckten branchenfremden Kopplungsangeboten nicht gegeben.

n. Vorspannangebote Die Vorspannangebote stellen den Hauptanwendungsfall der offenen Kopplungsangebote dar, sind jedoch hinsichtlich der Kopplungsgeschäfte an sich ein Sonderfall. Hier wird zwar eine zugkräftige, branchenfremde Nebenware nur zusammen mit der Hauptware abgegeben, die Hauptware hingegen ist nicht an die Nebenware gebunden, sondern auch alleine erhältlich. Der Preis beider Waren wird den Verbrauchern stets bekanntgemacht; darin aber ist gerade die Attraktivität der Vorspannangebote begründet, da die Nebenware meistens äußerst preiswert ist. Die Vorspannangebote machten vor allem in den 70er Jahren im Kaffeehandel von sich reden. Die Rechtsprechung hat die Vorspannangebote grundsätzlich als unzulässig angesehen. 387 Begründet wird das mit dem Argument des "übertriebenen Anlockens": Derartige Werbernaßnahmen würden die Kaufinteressenten von einer sachgerechten Prüfung des Angebots nach Qualität und Preiswürdigkeit ablenken und sie dazu bewegen, den Kaufentschluß allein im Hinblick auf sachfremde Einflüsse zu treffen. 388 Die unsachliche Beeinflussung des Kunden in seinem Kaufentschluß hinsichtlich der Hauptware reiche praktisch bis an die Aufhebung seiner Entschlußfreiheit heran389 ; sie sei generell geeignet, die freie Entschließung der Umworbenen zu beeinträchtigen. 39o Der Kunde werde hier nämlich quasi gezwungen, die Hauptware (mit) zu kaufen, um sich die einmalig günstig erscheinende Gelegenheit zum Erwerb der Nebenware nicht entgehen zu lassen. 391 Die Literatur ist hier - anders als die Rechtsprechung - geteilter Meinung. Einerseits werden eine Trübung des Urteilsvermögens des Verbrauchers und 387 OLG Düsseldorf, WRP 1974, 279 ff., 281; LG Hamburg, WRP 1975, 184 ff., 185; OLG München, WRP 1975,307 ff.; BGH GRUR 1976,248 ff., 249; 1977, 110 ff., 111; 1982,688 ff., 689; 1983,781 ff.,782. 388 OLG Düsseldorf, WRP 1974, 279 ff., 281; LG Hamburg, WRP 1975, 184 ff., 185; BGH GRUR 1976,248 ff., 249; 1977, 110 ff., 111; 1983,781 ff., 782. 389 LG Hamburg, WRP 1975, 184 ff., 186. 390 OLG München, WRP 1975,307 ff. 391 LG Hamburg, WRP 1985, 184 ff., 186.

164

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

eine Beeinträchtigung seiner freien Willensentschließung durch das preisgünstige Vorspannangebot verneinen, andererseits werden Argumentation und Ergebnisse der Rechtsprechung akzeptiert. 393 Es stellt sich also die Frage, ob der Vorwurf der Rechtsprechung und eines Teils der Literatur zutrifft, die Vorspannangebote würden die freie Willensentschließung des Verbrauchers durch unsachliche Beeinflussung beeinträchtigen. Auf diese Fragestellung kann jedoch nicht mit einer generellen Bejahung oder Verneinung geantwortet werden. Vielmehr ist zu differenzieren: Die Tatsache nämlich, daß es sich bei den Hauptwaren, bei denen die Praxis der Vorspannangebote gängig war, üblicherweise um sogenannte homogene Produkte (das sind solche Waren, die in ihrer Zusammensetzung, Angebotsform und Qualität und regelmäßig trotz verschiedener Marken auch im Preis für den Kaufentschluß kaum wesentliche Unterschiede aufweisen, z.B. Kaffee, Benzin, Zucker etc.)394 handelt, erfordert eine unterschiedliche Betrachtungsweise. Zum einen ist die Verbrauchergruppe zu begutachten, die das homogene Gut, dessen Erwerb die Voraussetzung zum Erwerb der günstigen Nebenware ist, sowieso kaufen würde (also z.B. jene Verbraucher, die sowieso Kaffee kaufen würden, unabhängig davon, ob bei dem Kauf des Kaffees auch noch die Möglichkeit besteht, eine besonders preisgünstige Segeltuchtasche etc. zu erwerben). Diese Verbrauchergruppe hat in jedem Fall - unabhängig von den Vorspannangeboten - ein generelles Konsumbedürfnis hinsichtlich der Hauptware; eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses scheidet daher bei dieser Verbrauchergruppe von vorneherein aus. In Betracht käme lediglich eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung. Hier besteht jedoch, wie oben dargelegt, die Besonderheit, daß es sich bei den Hauptwaren regelmäßig um homogene Produkte handelt. Da diese homogenen Produkte für die Kaufentscheidung relevante Unterscheidungskriterien kaum aufweisen395 , sind in diesem Produktbereich Artikel gleicher Güteklasse vom Standpunkt des Verbrauchers untereinander qualitativ oft so gut wie austauschbar. 396 Hieraus folgt, daß es für die konkrete Kaufentscheidung des Verbrau392 Utescher, GRUR 1977, 113; a.A aber Utescher, GRUR 1983, 783; Ohlgart, GRUR 1974, 693 ff., 695; Borck., WRP 1975, 1 ff., 6; 75 ff., 80; Hoth, GRUR 1976,219 ff., 220; ders., GRUR 1978, 147 ff., 152 f.; Weiland, BB 1978,382 ff., 383; Tetzner, JZ 1977,29. 393 Utescher, GRUR 1983,783; anders aber Utescher, GRUR 1977, 113; Schmeding, WRP 1974, 305; Hefennehl, GRUR 1974, 542 ff., 544 f.; Sack., WRP 1975, 65 ff., 71; Fezer, BB 1975, 1500; Kisseler, WRP 1978, l81; Nordemann, WRP 1979,695; Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 138; GloyKlosterfelde, § 49, Rz. 121; v. Gamm, UWG, § 1, Rz. 184. 394 BGH GRUR 1976,248 ff., 249. 395 BGH GRUR 1976,248 ff., 249. 396 Schricker!Lehmann, WRP 1977,289 ff., 290.

7. Kapitel: Kopplungsangebot, Vorspannangebot, Animierangebot

165

chers regelmäßig gleichgültig ist, welches der Produkte dieser homogenen Güterklasse er konkret erwirbt397 ; relevant ist für seine Kaufentscheidung daher nur, generell ein Produkt dieser homogenen Güterklasse zu erwerben. Auch die konkrete Kaufentscheidung derjenigen Verbrauchergruppe, die sowieso - unabhängig von den Vorspannangeboten - das homogene Produkt erwerben würde, kann daher aufgrund der prinzipiellen Austauschbarkeit dieser Güter nicht beeinträchtigt werden. Zum anderen ist diejenige Verbrauchergruppe zu betrachten, die die Hauptware generell nicht erwerben würde (z.B. weil die betreffenden Verbraucher keinen Kaffee trinken und auch keine andere Verwendungsmöglichkeit wie Verschenken o.ä. für den Kaffee haben). Hinsichtlich der Verbrauchergruppe kann eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung sowohl hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses als auch hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung vorliegen. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, daß eine solche Beeinträchtigung der freien Willensentschließung von vorneherein bei jedem Vorspannangebot gegeben ist. Vielmehr ist auch hier eine differenzierende Betrachtung erforderlich. Daß eine Wertreklame wie die Vorspannangebote eine - im Sinne der Rechtsprechung - unsachliche Beeinflussung des Kunden darstellen, also eine Beeinflussung, die nicht nach Qualität und Preis der Ware ausgerichtet ist, liegt auf der Hand. Der Anreiz zum Kauf der Hauptware soll hier ja gerade von einem außerhalb der Hauptware stehenden Faktor, nämlich der Vorspannware ausgehen. 398 Es kann jedoch nicht (wie bereits mehrfach ausführlich dargelegt) jede irgendwie geartete unsachliche Beeinflussung bereits eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung darstellen. Diese ist vielmehr erst dann gegeben, wenn die in Aussicht gestellte Vergünstigung so groß ist, daß es für den Verbraucher als ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft erscheint, diese "einmalige Gelegenheit" zu nutzen, wenn also durch das Vorspannangebot hinsichtlich des Erwerbers der Hauptware ein "positiver ökonomischer Abschlußzwang" auf den Verbraucher ausgeübt wird. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Hauptware vom Verbraucher eine - bisweilen sogar ziemlich erhebliche - Investition erfordert. 399 Selbst bei Waren des täglichen Bedarfs wie Kaffee ist die Investition, die von den Verbrauchern zu tätigen ist, keineswegs zu vernachlässigen, noch dazu in Anbetracht der Tatsache, daß die Hauptware bei einem Erwerb der Nebenware nicht günstiger ist, als wenn sie allein gekauft würde. Es kann daher bei Beurteilung dieser Art der Wertreklame die Vorspannware nicht unabhängig von der Hauptware betrachtet werden und umgekehrt.

Weiland, BB 1978,382 ff., 385. Weiland, BB 1978, 382 ff., 383; SchrickerlLehmann, WRP 1977, 289 ff., 290; Hefennehl, GRUR 1974, 542 ff., 544. 399 Vgl. z.B. BGH GRUR 1983,781 ff.; 1982, 6881f. 397

398

166

H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Um also auf den Verbraucher einen "positiven ökonomischen Abschlußzwang" hinsichtlich der Hauptware ausüben zu können, müßte das gesamte Angebot, also Haupt- und Nebenware zusammen erheblich unter dem üblichen Durchschnittspreis für die Vorspannware liegen. Erst dann nämlich kann es für den Verbraucher als ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft erscheinen, die Hauptware, die er eigentlich überhaupt nicht braucht, trotzdem zu kaufen, um nämlich dadurch die Möglichkeit zum Erwerb der Nebenware zu erhalten. Die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung kann daher nicht damit begründet werden, daß die Nebenware als Vorspannartikel wesentlich günstiger als sonst üblich sei. Dies verkennt die Rechtsprechung. Vielmehr ist - wie oben dargelegt - eine Differenzberechnung hinsichtlich des üblicherweise für die Vorspannware im Handel geforderten Durchschnittspreises und des gesamten für Haupt- und Nebenware geforderten Preises anzustellen. Wann nun der Punkt erreicht ist, an dem die Differenz zwischen dem Gesamtpreis und dem üblichen Durchschnittspreis der Vorspannware so erheblich ist, daß er geeignet ist, auf die Verbraucher "positiven ökonomischen Abschlußzwang" auszuüben, ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen. Anhaltspunkte und Hilfestellung zur Beurteilung kann der Klageantrag zu 4. in dem der BGH-Entscheidung vom 30.6. 1976 400 zugrundeliegenden Sachverhalt geben: Dort wurde beantragt, ein Vorspannangebot zu verbieten, wenn dessen Gesamtpreis weniger als 113 desjenigen Preises betrug, der bis dahin im Handel für die Nebenware allein gefordert wurde. Hier sah also der Kläger den kritischen Punkt in der Wertrelation zwischen Gesamtpreis des Vorspannangebots und dem bis dahin üblichen Handelspreis der Vorspannware bei Unterschreitung der 1I3-Marke. Spätestens bei diesem Punkt erscheint auch nach allgemeiner Lebenserfahrung für den Verbraucher das Gesamtangebot so günstig, daß er ohne Rücksicht auf einen Bedarf hinsichtlich der Hauptware diese im wahrsten Sinne des Wortes "in Kauf nimmt", um die einmalig günstige Gelegenheit hinsichtlich der Vorspannware nutzen zu können. In diesen Fällen wäre also ein "positiver ökonomische Abschlußzwang" und damit eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Verbraucher sowohl hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses als auch der konkreten Kaufentscheidung an sich zu bejahen. Da es sich hier jedoch um Güter des täglichen Bedarfs handelt, bestehen für sie in nahezu jedem Haushalt Verwendungsmöglichkeiten. Die Gruppe der Verbraucher, die keinerlei Verwendungsmöglichkeiten für diese Waren hat, und bei der daher auch eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung vorliegen kann, wird dementsprechend naturgemäß relativ klein sein. Es fragt sich also, ob diese Verbrauchergruppe wettbewerbsrechtlich überhaupt erheblich sein kann, da eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung nur 400

BGH GRUR 1977, 110 ff.

7. Kapitel: Kopplungsangebol, Vorspannangebot, Animierangebot

167

dann für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung relevant ist, wenn sie für einen nicht unerheblichen Teil (das sind nach ständiger Rechtsprechung ca. 10-15%) der in Betracht kommenden Käuferkreise von Bedeutung ist. 401 Ob dieser wettbewerbsrechtlich relevante Prozentsatz hier erreicht ist, muß offenbleiben, da insoweit keine empirischen Untersuchungen vorliegen. Die Beantwortung der Frage nach der betroffenen Anzahl der Verbraucher kann jedoch aus Rechtsgründen dahinstehen, wenn eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung aus Gründen, die dem wettbewerbsrechtlichen System immanent sind, von den betreffenden Verbrauchern hingenommen werden müßte.

Was die große Attraktivität der Vorspannangebote ausmacht, ist die Tatsache, daß bestimmte Waren zu Preisen angeboten werden, die erheblich unter den sonst üblichen Durchschnittspreisen liegen, ohne daß aber dadurch die Qualität dieser äußerst preisgünstigen Waren gegenüber den vergleichbaren sonstigen Angeboten geringer wäre; mit einem Satz: Die Vorspannangebote sind absolute "Knüller" im Preis-Leistungs-Verhältnis. Der "positive ökonomische Abschlußzwang", der auf bestimmte Verbraucher ausgeübt werden kann, wird also bewirkt durch eine äußerst günstige Preis-Leistungs-Relation; das Verhältnis von Leistungsqualität und Preis zueinander stellt jedoch nach einhelliger Ansicht den Kernpunkt des Leistungswettbewerbs dar. Die Werbung eines Anbieters, der zwei Waren in Form eines Vorspannangebots koppelt und für dieses Vorspannangebot mit dem äußerst niedrigen Preis einer der beiden Waren - und damit auch des gesamten Angebots - Reklame macht, wirbt für dieses Angebot also entsprechend dem zentralen Punkt des Leistungswettbewerbs. 402 Eine solche Werbung, die dem Kernstück des Leistungswettbewerbs nämlich der Werbung mit Qualität und Preis - entspricht, muß dem Anbieter gegenüber dem Verbraucher jedoch in jedem Fall gestattet sein. Der dadurch möglicherweise hervorgerufene "positive ökonomische Abschlußzwang" bringt nämlich auch für die Verbraucher, obwohl darin eine Beeinträchtigung ihrer freien Willensentschließung liegt, keinen wirtschaftlichen oder sonstigen Nachteil: So ist es keineswegs negativ, sondern rundweg positiv für die Verbraucher, wenn sie für ein Kochbuch und 500 Gramm Kaffee insgesamt nur 15,95 DM auszugeben brauchen, anstatt für das gleiche Kochbuch allein 55,DM. 403 Die Verbote der Rechtsprechung hinsichtlich der Vorspannangebote können daher - entgegen den Behauptungen der entscheidenden Gerichte - keinen

401

BGH NJW 1978,2598 ff., 2599.

402

Ähnlich auch Tetzner, JZ 1977,29. Borele, WRP 1975,75 ff., 80; vgl. Sachverhalt von BGH GRUR 1977, 110 ff.; das berechtigte

403

Interesse an dem durch Vorspannangebote hervorgerufenen Preiswettbewerb betont auch Tetzner, JZ 1977,29.

168

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Verbraucherschutz zum Ziel haben, sondern allein den Konkurrentenschutz. 404 Daß dies auch tatsächlich die Intention der Rechtsprechung ist, wird am deutlichsten in der Feststellung, daß " ... die schädlichen und unerwünschten Auswirkungen solcher Vorspannangebote aber auch eher bei den Mitbewerbern der Beklagten zu finden sind ... ,,405. Die schädlichen Auswirkungen der Vorspannangebote liegen nämlich für die Konkurrenten darin, daß die Verbraucher, die ja in der Regel die Hauptwaren sowieso benötigen, dort kaufen, wo es die für sie interessantesten Vorspannangebote gibt - kurz: Dem Mitbewerber kann der Markt durch attraktive Vorspannangebote ruiniert werden. Die Frage, ob Vorspannangebote wettbewerbsrechtlich unzulässig sind, betrifft daher allein Aspekte des Konkurrentenschutzes, nicht aber des Verbraucherschutzes. 406 Auf diesem Standpunkt steht auch die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher (AGV), die die Vorspannangebote, solange sie keine Irreführung enthalten, als nicht tadelnswert bezeichnet: Sie hat es nämlich abgelehnt, gegen diese Form der Wertreklame vorzugehen und zu bedenken gegeben, "daß es bei den Verbrauchern zu Recht auf Unverständnis stoßen würde, wenn gerade ein Verbraucherverband gegen preisgünstige Warenangebote einschreiten würde,,407 .

m. Animierangebote Die Animierangebote stellen die Reaktion der großen Kaffeefilialisten auf die Verbote der Vorspannangebote durch die Rechtsprechung dar: Es werden die gleichen oder ähnlich attraktiven Nebenwaren wie bisher in wechselnder Folge angeboten, nur mit dem Unterschied, daß sie nicht an den Kauf einer Hauptware gekoppelt sind. In der Literatur erhielten diese günstigen ungekoppelten Vorspannangebote aufgrund ihrer großen Attraktivität für die Verbraucher den treffenden Ausdruck Animierangebote. 408 Die Rechtsprechung hält Animierangebote mittlerweile für wettbewerbsrechtlich vollständig unbedenklich409 , und zwar sowohl hinsichtlich des Vorwurfs des "psychologischen Kaufzwangs", des "übertriebenen Anlockens" und

Ebenso Tetzner, JZ 1977,29. LGHamburg, WRP 1975, 184ff., 186. 406 Ebenso Tetzner, JZ 1977,29. 407 AGV, Verbraucherpolitische Korrespondenzen vom 7.10. 1975, S. 7; zit. bei Schrikker/Lehmann, WRP 1977,289 ff., 303, Fn. 116; vgl. auch Reich, WiVerw 1977, 218 ff., 320. 408 Gerstenberg, GRUR 1980,618 ff., 621. 409 BGH NJW 1978,2598 ff.; KG WRP 1977,783 ff., 789 ff.; OLG Stuttgart, WRP 1976,723 ff. 404

40S

7. Kapitel: Kopplungsangebot, Vorspannangebot, Animierangebot

169

ähnlichem410 als auch hinsichtlich einer verbotenen Sonderveranstaltung gern. dem jetzigen § 7 UWG. 411 Die Literatur ist geteilter Ansicht. Einerseits wird mit der Rechtsprechung diese Form der Wertreklame als zulässig angesehen. 412 Andererseits werden Animierangebote für unzulässig gehalten. 413 Eine Unzulässigkeit der Animierangebote könnte sich ergeben aufgrund einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung durch einen "psychischen Abschlußzwang", etwa dergestalt, daß die Verbraucher, die das äußerst preisgünstige Animierangebot kaufen, es als peinlich empfinden, nur dieses und nicht etwa auch eine brancheneigene Ware (z.B. Kaffee) zu kaufen. 414 Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Verbraucher aufgrund der in den letzten Jahrzehnten eingetretenen Marktentwicklung daran gewöhnt sind, gezielt Sonderangebote und andere günstige Kaufgelegenheiten wahrzunehmen. Dabei ist allgemein bekannt, daß die Anbieter den Käufern mit derartigen Angeboten nicht etwa Geschenke machen, sondern daß günstige Angebote in die Gesamtkalkulation einbezogen sind und sich für den Anbieter in jedem Fall rechnen. 415 Beispielsweise verdiente die Beklagte der "Kochbuch"-Entscheidung416 , wie sich aus ihrer unwiderlegten Einlassung ergibt, an jedem für 8,05 DM verkauften Kochbuch - dessen sonstiger Ladenpreis 55,- DM betrug - immer noch 1,04 DM pro Buch nach Abzug der Mehrwertsteuer, also 12 %. Ein Gefühl von Peinlichkeit oder Dankbarkeit etc. besteht daher bei Verbrauchern, die nur Sonderangebote wahrnehmen wollen, gegenüber den Anbietern nicht. 417 Ein "psychischer Abschlußzwang" und damit eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung scheidet folglich aus. Die Tatsache, daß viele Verbraucher, die ein derartiges Animierangebot z.B. eines Kaffeefilialisten wahrnehmen, auch zugleich Kaffee kaufen, beruht daher auch nicht auf einem von diesem ausgeübten "psychologischen Abschlußzwang", sondern auf der Bequemlichkeit der Verbraucher, die sowieso Kaffee brauchen und ihn dann eben in der betreffenden Kaffeefiliale mitnehmen, anstatt noch zusätzlich 410 BGH NJW 1978, 2598 ff., 2599; OLG Stuttgart, WRP 1976, 723 ff., 726; KG WRP 783 ff., 788; 789 ff., 792. 411 BGH NJW 1978,2598 ff., 2601 f.; OLG Stuttgart, WRP 1976,723 ff., 727; KG WRP 783 ff., 787; 789 ff., 793; anders noch KG WRP 1975,448 ff., 451. 412 Schricker!Lehmann, WRP 1977, 289 ff.; Hoth, GRUR 1978, 147 ff.; Weiland, BB 382 ff.; Hirtz, BB 1979,450 ff., 454; Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 141; v. Gamm, UWG, § 185; Gloy-Klosterfelde, § 49, Rz. 123. 413 Burchert, WRP 1975,451 f., 452; Kisseler, WRP 1978, 181 ff.; Halm, WRP 1984,59 ff. 414 Vgl. die Argumentation der Klägerin in BGH NJW 1978,2598 ff., 2599. m OLG Stuttgart, WRP 1976,723 ff., 727; KG WRP 1977,783 ff., 788; 789 ff., 792. 416 BGH GRUR 1977, 110 ff. 417 Hirtz, BB 1979,450 ff., 451.

1977, 1977, 1978, I, Rz.

170

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

ein anderes Geschäft aufzusuchen. 418 Ein aufgrund der Bequemlichkeit der Verbraucher bestehendes Kaufverhalten hat jedoch nichts mit einer Beeinträchtigung von deren freier Willensentschließung zu tun. Die Annahme, die Verbraucher würden hier einem "psychischen Abschlußzwang" ausgesetzt, würde daher auch eine eklatante Bevormundung der Verbraucher darstellen. Hinsichtlich der Frage, ob es sich beim Angebot derartiger attraktiver branchenfremder Waren um unzulässige Sonderveranstaltungen gern. § 7 UWG handelt, kann ein verbraucherschützender Gesichtspunkt nur in einer eventuell durch die entsprechende Ankündigung hervorgerufener Irreführung liegen etwa hinsichtlich vermeintlicher besonderer Kaufvorteile durch die Veranstaltung. Soweit diese jedoch nicht gegeben ist (was hinsichtlich der Animierangebote die Regel ist) werden von § 7 UWG lediglich Konkurrenteninteressen betroffen.

8. Kapitel: Gefühlsbetonte Werbung LEinleitung Unter gefiihlsbetonter Werbung versteht man alle diejenigen Fallgestaltungen, bei denen der Anbieter die Gefiihle der Verbraucher rur seine Werbung ausnutzt, etwa das Mitleid mit Behinderten, die Angst vor Geldentwertung, das soziale oder umweltschützende Engagement, die Trauer von Hinterbliebenen usw. Der BGH hat hierzu bereits recht früh in mehreren Entscheidungen festgestellt, daß sich aus § 1 UWG ein grundsätzliches Verbot einer gefiihlsbetonten Werbung ergebe, da diese in unsachlicher, wettbewerbswideriger Weise von den im Leistungswettbewerb ftir die Willensentschließung des Käufers wesentlichen Umständen ablenke. 419 In der Annahme eines solchen grundsätzlichen Verbots gefiihlsbetonter Werbung sieht sich die Rechtsprechung durch die Regelung des § 1 des Blindenwarenvertriebsgesetzes (BliWVG) vom 9.4.1965 420 und der DVOvom 11.8.1965421 , wodurch bestimmte "echte" Blindenwaren in Werbung und Verkauf privilegiert werden, bestätigt; sie nimmt an, daß der Gesetzgeber mit dem BliWVG eine bestimmte, eng umgrenzte Ausnahme von dem auch von ihm angenommenen Verbot der gefiihlsbetonten Werbung geschaffen habe. 422 Die Literatur teilt hingegen nicht diese Ansicht, gefiihlsbetonte Werbung sei grundsätzlich verboten, sondern neigt zu einer Krüger-Nieland, WRP 1979, 1 ff., 3; Weiland, BB 1978,382 ff., 384. BGH GRUR 1959, 143 ff., 144; DW 1962,284; 1964, 17; GRUR 1965,485 ff., 487; 1968, 44 ff., 46. 420 BGB!. I, S. 311. 421 BGB!. I, S. 807. 422 BGH GRUR 1965,485 ff., 488; 1968,44 ff., 46. 418 419

8. Kapitel: Gefilhlsbetonte Werbung

171

differenzierten Betrachtungsweise423 . Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob - wie die Rechtsprechung meint - der Gesetzgeber selbst tatsächlich von einem grundsätzlichen Verbot gefiihlsbetonter Werbung ausgeht und das BliWVG insoweit lediglich eine eng umgrenzte Ausnahme darstellt. IL Die amtliche Begründung zum BIiWVG Daß der Gesetzgeber mit Schaffung des BliWVG deutlich gemacht habe, daß ein Verbot der gefiihlsbetonten Werbung bestehe, wovon lediglich zugunsten der privilegierten "echten" Blindenwaren eine Ausnahme zu machen sei, läßt sich jedoch nicht halten. So ergibt sich aus der amtlichen Begründung zum alten BliWVG vom 9.9.1953, daß dieses Gesetz ausschließlich den Zweck verfolgte, die betrügerischen Praktiken, die im Bereich des Blindenwarenvertriebs eingerissen waren, zu unterbinden und der echten Blindenware einen möglichst guten Absatz zu sichern. 424 Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber etwa von einem allgemeinen Verbot der gefiihlsbetonten Werbung ausging, sind nicht vorhanden. Auch der amtlichen Begründung des geänderten BliWVG vom 9.4.1965 425 sind keinerlei Hinweise dafür zu entnehmen, daß der Gesetzgeber die vom BGH zuvor in mehreren Entscheidungen geäußerte Ansicht teilt: Einerseits betont die amtliche Begründung, daß im stehenden Gewerbe mittlerweile ähnliche Mißstände entstanden sind, wie sie seinerzeit Veranlassung zur Schaffung des alten Blindenwarenvertriebsgesetzes vom 9.9.1953 gaben. 426 Andererseits befiirchtet der Gesetzgeber nach der amtlichen Begründung, daß die Rechtsprechung aufgrund ihres allgemeinen Verbots der gefühlsbetonten Werbung jeglichen Vertrieb von Blindenwaren unter Bezugnahme auf die Beschäftigung von Blinden oder die Fürsorge fiir Blinde, der nicht durch das alte BliWVG gedeckt sei, verbieten könne; dies würde sich jedoch - nach der Ausführung der amtlichen Begründung - sehr hinderlich auf den Absatz von Blindenwaren auswirken. Mit der Ausdehnung des Geltungsbereichs des BliWVG solle diesen Schwierigkeiten vorgebeugt werden. 427 Aus dieser amtlichen Begründung folgt also - entgegen der Ansicht der Rechtsprechung - nur, daß der Gesetzgeber den unerwünschten Folgen der Rechtsprechung vorbeugen wollte. 428 Daß der Gesetzgeber selbst den Stand423 Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 185 ff.; v. Ganun, UWG, § 1, Rz. 145; G1oy-Jacobs, § 49, Rz. 22 ff.; Mylaeus, S. 268 ff.; Bemet, S. 102 ff., Schranun, GRUR 1976,689; ders., GRUR 1968, 47 f.; ders., GRUR 1965,488 f.; Meydam, GRUR 1970,399 ff.; Rödding, DB 1969, 1877 ff., 1879. 424 BT-Drucksache I/4381 (1953), S. 5.

m BT-Drucksache IV/2534 (1964). BT-Drucksache IV/2534 (1964), S. 7. 427 BT-Drucksache IV12534 (1964), S. 7. 428 Meydam, GRUR 1970,404.

426

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

punkt eines allgemeinen Verbots der gefühlsbetonten Werbung vertritt, ist aus der amtlichen Begründung nicht zu entnehmen429 ; vielmehr spricht die Tatsache, daß die Entwicklung der Rechtsprechung für den Gesetzgeber gewissermaßen unerwartet kam und unerwünschte Folgen befürchten ließ, dafür, daß der Gesetzgeber eben gerade nicht von einem generellen Verbot der gefühlsbetonten Werbung ausging. Im übrigen kann eine Sittenwidrigkeit nach § I UWG nicht durch Gesetz beseitigt werden. 430 Die Ansicht der Rechtsprechung, es sei von einem generellen Verbot der gefühlsbetonten Werbung auszugehen, ist folglich nicht zutreffend. Die Frage, ob eine gefühlsbetonte Werbung zulässig oder unzulässig ist, ist daher nach allgemeinen Kriterien zu beurteilen.

m. Generelle Abgrenzungskriterien Wie bereits mehrfach ausführlich dargelegt, ist das maßgebliche Abgrenzungskriterium für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Werbung die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers. Da die freie Willensentschließung des Verbrauchers sowieso immer dann beeinträchtigt ist, wenn der Inhalt der werblichen Beeinflussung irreführend ist431 , ist die unwahre gefühlsbetonte Werbung von vorneherein - ebenso wie alle anderen Fälle der Irreführung - unzulässig. Wirklich problematisch sind also lediglich diejenigen Fälle der gefühlsbetonten Werbung, deren Werbebehauptungen wahr sind. Hinsichtlich der wahren gefühlsbetonten Werbung müßte nun an sich der Grundsatz gelten, daß diese immer dann im Hinblick auf die Verbraucher sittenwidrig und damit unzulässig ist, wenn deren freie Willensentschließung durch die Werbemaßnahme (anders als durch Irreführung) beeinträchtigt wird. 1. Objektiv produktbezogene Informationen

Für den Bereich der gefühlsbetonten Werbung ist jedoch - wie bereits oben mehrfach erläutert432 - nochmals klarzustellen, daß die Verbraucher eine Beeinträchtigung ihrer freien Willensentschließung hinzunehmen haben, wenn der Anbieter seine Ware mit einer Werbebehauptung anpreist, die dem Kernbereich des Leistungswettbewerbs zuzuordnen ist: So stellt nach einhelliger Ansicht die Werbung mit der Produktqualität einen der beiden Kernpunkte des 429

Meydam, GRUR 1970,404.

430

Schrarrun, GRUR 1959, 146 f., 147; ders., GRUR 1968, 46 ff., 48; ders., GRUR 1976, 689;

Meydam, GRUR 1970,399 ff., 403. 431 Vgl. oben, Teil 1,4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". 432 Vgl. oben, Teil I, 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur".

8. Kapitel: Gefiihlsbetonte Werbung

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Leistungswettbewerbs dar. Wirbt nun der Anbieter mit einer Behauptung, die sich objektiv auf das Produkt, seine besondere Herstellungsweise etc. bezieht, so bewegt er sich damit im Kernbereich des Leistungswettbewerbs. Wird durch diese Werbung der Verbraucher in seiner freien Willensentschließung beeinträchtigt, etwa dadurch, daß er die Qualität der Ware als so außergewöhnlich gut ansieht, daß er dadurch geradezu genötigt wird, dieses Produkt zu kaufen, so kann dem Anbieter diese objektiv produktbezogene Werbung dennoch nicht aus verbraucherschützenden Aspekten untersagt werden, eben weil er sich mit seiner Werbung im Kernbereich des Leistungswettbewerbs bewegt und sie ihm deshalb gegenüber dem Verbraucher in jedem Fall gestattet sein muß. Dies betrifft auch die objektiv produktbezogenen Informationen, die beim Verbraucher positive oder negative Gefühle auslösen, selbst wenn er dadurch in seiner freien Willensentschließung beeinträchtigt wird. Wirbt etwa ein Hersteller damit, daß die von ihm vertriebenen Postkarten Reproduktionen von mundoder fußgemalten Originalen darstellen433 , und diese objektiv produktbezogene Information würde beim Verbraucher so starke Mitleidsgefiihle hervorrufen, daß er sich dadurch zum Erwerb dieser seiner Postkarten genötigt sähe, so kann diese Werbung trotz der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung nicht untersagt werden, da eine Werbebehauptung, die dem Kernbereich des Leistungswettbewerbs zuzuordnen ist, dem Anbieter immer erlaubt sein muß. Das gilt jedoch nur für Informationen, die objektiv produktbezogen sind, nicht jedoch für beliebige objektive Informationen, die nur mittelbar im Zusammenhang mit dem Produkt stehen. Wird etwa mit einer Behinderung der Hersteller geworben, so ist diese Information nur dann objektiv produktbezogen, wenn sich die Tatsache der Behinderung auch in der Qualität des Produkts, also etwa seiner besonderen Eigenschaft, seiner speziellen Herstellungstechnik oder Produktionsweise etc. niederschlägt; objektiv produktbezogen ist daher beispielsweise die Information darüber, daß ein Bild mund- oder fußgemalt ist, nicht aber darüber, daß der Maler taub oder stumm ist, da sich die Taubheit oder Stummheit des Malers nicht auf eine besondere Maltechnik niederschlägt. Objektiv produktbezogen ist auch die Information über die Blindheit der Hersteller, wenn die Produktion der Ware in Handarbeit erfolgt, der Ware also gerade aufgrund der Blindheit der Hersteller ein besonderes Leistungselement innewohnt. 434 (Besonderheiten schafft in diesem Bereich jedoch das oben bereits erwähnte BliWVG, auf das später noch näher einzugehen ist.) Regelmäßig nicht objektiv produktbezogen ist die Information über eine Behinderung der Hersteller, wenn die Herstellung nicht wenigstens teilweise manuell, sondern ausschließlich maschinell erfolgt.435 Vgl. Sachverhalt von BGH GRUR 1959,277 ff. AA wohl Schramm, GRUR 1965,488 f, 489. 43S Vgl. den Sachverhalt von BGH GRUR 1959, 143 ff.: Hier bedienten Blinde Maschinen bei der Seifenherstellung. 433

434

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Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Für diesen Bereich der objektiv produktbezogenen Infonnation kommen Rechtsprechung und Literatur im wesentlichen zu gleichen Ergebnissen wie die hier vorliegende Untersuchung, wenn auch mit etwas anderen Begründungen. Die strengere Ansicht in der Literatur akzeptiert eine gefiihlsbetonte Werbung regelmäßig dann, wenn ein sachlicher Zusammenhang mit der Leistung, wie den Eigenschaften einer Ware, ihrer Herstellungsart oder PreisWÜfdigkeit besteht436 , wobei die Anforderungen an den Sachzusammenhang bisweilen sogar noch strenger, wenn auch nicht völlig konsequent beurteilt werden. 437 Die großzügigere Ansicht hält die gefiihlsbetonte Werbung, soweit sie nicht irreführend ist, sowieso grundsätzlich für zulässig. 438 Die Rechtsprechung macht eine Ausnahme von ihrem grundsätzlichen Verbot der gefühlsbetonten Werbung ebenfalls bei einem sachlichen Bezug zwischen der Versehrtheit und dem Herstellungsprozeß. 439 Eine dogmatisch fundierte Begründung dafür gibt sie nicht. Eine solche wäre jedoch wünschenswert gewesen, da die Rechtsprechung hier einen wichtigen Beitrag hätte leisten können zu dem Problem, wie die Grenzziehung zwischen Anbieter- und Verbraucherrechten bei der Werbung zu ziehen ist.

2. Nicht objektiv produktbezogene Informationen Hinsichtlich der nicht objektiv produktbezogenen Werbebehauptungen giltaus den bereits mehrfach dargelegten Gründen - uneingeschränkt der Grundsatz, daß eine Werbung gegenüber dem Verbraucher immer dann sittenwidrig und damit unzulässig ist, wenn sie dessen freie Willensentschließung beeinträchtigt. Eine solche Beeinträchtigung der freien Willensentschließung ist im Bereich der wahren, gefiihlsbetonten Werbung denkbar insbesondere durch die Ausübung von psychischem Abschlußzwang auf den Verbraucher, und zwar sowohl hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses als auch hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung. Es kann jedoch keineswegs generell davon ausgegangen werden, daß alleine aufgrund der Ausnutzung von Gefiihlen bereits eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers gegeben ist. Zwar geht der BGH davon aus, daß die gefiihlsbetonte Werbung den Verbraucher in unsachlicher, wettbewerbswidriger Weise von den im Leistungswettbewerb für die Willensentschließung wesentlichen Umständen (das sind

436 Baumbach-Hefermehl, § I, Rz. 186; Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 26; v. Ganun, UWG, § I, Rz. 145; Mylaeus, S. 282 ff.; Schranun, GRUR 1968,47 f., 48; ders., GRUR 1965,48 ff., 489. 437 Vgl. Schranun, GRUR 1965,488 f., 489. 438 Meydam, GRUR 1970,399 ff., 405; Rödding, DB 1969, 1877 ff., 1879 f.; Bernet, S. 128 ff. 439 BGH GRUR 1959,277 ff., 279; 1976,699 ff., 700; 1980,800 ff., 801.

8. Kapitel: Gefilhlsbetonte Werbung

175

nach der Rechtsprechung ausschließlich Qualität und Preis) ablenke. 44o Dies reicht jedoch noch nicht fiir eine Bejahung der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers aus. 441 Weite Teile der heutigen Werbung stellen geradezu auf eine Ablenkung des Verbrauchers von den fiir seine Willensentschließung im Leistungswettbewerb wesentlichen Umständen, nämlich Qualität und Preis, ab. 442 Wollte man bereits jede derartige unsachliche Ablenkung des Käufers für eine Sittenwidrigkeit ausreichen lassen, ohne daß zugleich eine wirkliche Beeinträchtigung der freien Willensentschließung gegeben ist, müßte man konsequenterweise den größten Teil der heutigen Werbung verbieten. 443 Die Gründe für die sehr strenge Rechtsprechung des BGH, die nur auf ideelle Organisationen bei deren caritativer Betätigung keine Anwendung findet444 , liegen daher nicht im Verbraucherschutz; dies klingt in einigen Entscheidungen auch an. 445 Völlig deutlich werden die Gründe dieser Entscheidungspraxis, wenn man sich die Argumentation der "KÜflstlerpostkarten"- und der "UNICEF-Grußkarten"Entscheidung446 einerseits und der "Versehrtenbetrieb"- und der "Schwerbeschädigtenbetrieb"-Entscheidung447 andererseits vor Augen hält: Der "Markt des Mitleids" und damit die sozial-zweckgebundene Kaufkraft sind naturgemäß nur sehr begrenzt. Daher sollen nur diejenigen Unternehmen die sozialzweckgebundene Kaufkraft abschöpfen dürfen, bei denen dies auch gerechtfertigt ist, die also wirklich caritativ tätige Unternehmen bzw. gesetzlich privilegiert448 sind, nicht aber solche, die sich lediglich ein "caritatives Mäntelchen" umgehängt haben. 449 Letztere schöpfen nämlich nicht nur zu Lasten der wirklich caritativ Tätigen die sozial-zweckgebundene Kaufkraft ab, sondern verschaffen sich durch den angeblich altruistischen Charakter ihres Gewinnstrebens einen unberechtigten

BGH GRUR 1959, 143 ff., 144. Vgl. oben, Teil I, 3. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Rechtsprechung". 442 Vgl. hierzu Bemet, S. 76, wenn dieser auch hinsichtlich seiner Schlußfolgerungen über die Aufgabe der Werbung, S. 128, etwas zu weitgehende und einseitige Folgerungen zieht. 443 Vgl. oben, Teil I, 3. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Rechtsprechung" und 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". 444 BGH GRUR 1976,308 ff., 310. 44~ BGH GRUR 1976,308 ff., 309; LGTrier, NJW 1976,755. 446 BGH GRUR 1959,277 ff.; 1976,308 ff. 447 BGH GRUR 1965, 485 ff., bes. 486; 1968,44 ff., bes. 46. 448 Z.B. durch das BliWVG. 449 BGH GRUR 1976, 699 ff.; 1987,534 f.; OLG Karlsruhe, WRP 1981, 542; LG Mainz, WRP 1972,400 ff.; LGTrier, NJW 1976,755. 440 441

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H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Vorsprung vor den anderen Mitbewerbern450 : Die "soziale Masche" verkauft sich nämlich immer gut. Verbraucherschutz kann diese Rechtsprechung hinsichtlich des Werbens mit Wohltätigkeit und sozialem Engagement der Anbieter im übrigen bereits deshalb nicht bezwecken, weil die Verbraucher nämlich anstatt "caritativ" zu kaufen ja genausogut etwas spenden könnten: Bei ersterem haben sie aber außerdem noch die Ware, stehen sich also wirtschaftlich in jedem Fall besser als bei der ebenso möglichen Spende. Der Grund für die sehr strenge Rechtsprechung zur gefühlsbetonten Werbung ist also nicht der Verbraucherschutz, sondern eine besondere Art des Konkurrentenschutzes, nämlich die Privilegierung einer bestimmten Anbietergruppe ("echte" Caritative bzw. die durch das BliWVG Begünstigten) gegenüber den übrigen Mitbewerbern und im übrigen der "normale" Konkurrentenschutz gegenüber einem kommerziellen Mitbewerber, der sich durch einen "altruistischen Anstrich" seiner Marktbetätigung einen ungerechtfertigten Vorsprung verschafft. Hinsichtlich einer Beurteilung der gefühlsbetonten Werbung unter verbraucherschützenden Gesichtspunkten ist, wie bereits dargelegt, die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung maßgeblich. Für die hier in Frage kommende Beeinträchtigung des generellen Konsumbedürfnisses und der konkreten Kaufentscheidung durch die Ausübung von psychischem Abschlußzwang lassen sich jedoch eine Vielzahl von Fallgestaltungen vorstellen: Da durch die einzelnen gefühlsbetonten Werbungen verschiedene Gefiihle angesprochen werden (z.B. Mitleid, Angst, Trauer, soziales oder umweltschützendes Engagement, Hilfsbereitschaft, Frömmigkeit, Vaterlandsliebe, Eitelkeit etc.) sind auch sehr verschiedene Wirkungsweisen des psychischen Abschlußzwangs denkbar. a) Werbung durch Ansprechen des Mitleids Hinsichtlich der Werbung durch Ansprechen des Mitleids kommt - ebenso wie bei den übrigen Gefiihlen - nur in den seltensten Fällen ein psychischer Abschlußzwang bereits aufgrund der bloßen Werbebehauptung in Betracht. Der Fall nämlich, in dem die Konsumenten alleine durch die Information, die angebotene Ware sei z.B. von Behinderten hergestellt bzw. der Erlös komme ihnen zugute, vom Mitleid derartig übermannt werden, daß sie sich gar nicht anders als für den Kauf entscheiden können, ist nahezu nicht vorstellbar. Wesentlich eher denkbar - und häufig auch durch die Werbepraxis bestätigt - ist hingegen der Fall, daß bei der Mitleidswerbung durch die Herstellung eines persönlichen Kontakts von seiten des Anbieters, verbunden mit geschicktem psychologischem Einwirken auf den Verbraucher ein psychischer Abschlußzwang erzeugt wird. Gute Beispiele für eine solche Situation sind die im we450 Sehr deutlich LG Trier, NJW 1976,755; LG Mainz, WRP 1972,400 ff, 401; vgl. auch BGH GRUR 1987,534 f

8. Kapitel: GefliWsbetonte Werbung

177

sentlichen gleichgelagerten Fallgestaltungen, die den Entscheidungen des BGH vom 31.5.1960451 , vom 14.11.1958452 , vom 19.2.1965 453 und vom 22.3.1967 454 zugrunde liegen, soweit sie den Vertrieb von Haus zu Haus betreffen: Wenn der Anbieter den persönlichen Kontakt mit dem Verbraucher hergestellt hat und die Ware unter Hinweis auf die Behinderung der Hersteller anbietet, liegt darin ein persönlicher Appell an die Hilfsbereitschaft des betreffenden Verbrauchers. Hierdurch wird dieser vor die Wahl gestellt, entweder zu kaufen oder den unmittelbaren persönlichen Anruf an sein Mitleid mit einem offenen Bekenntnis mangelnder Hilfsbereitschaft zu beantworten. 455 Da letzteres sehr viele Menschen als äußerst peinlich empfinden, schrecken sie vor einer mit einem solchen Bekenntnis identischen Ablehnung zurück; sie kaufen statt dessen also die Ware ohne Rücksicht auf einen Bedarf allein deshalb, weil sie bei Nichterwerb moralisch ein negatives Bild von sich zeigen würden. Die Herstellung einer derartigen moralischen Zwangssituation führt bei den Verbrauchern zu einem psychischen Abschlußzwang; dieser ensteht regelmäßig bei persönlichen Kontakten des Anbieters zum Verbraucher und einer relativen Geringwertigkeit der Ware (die ja üblicherweise in dem hier in Betracht kommenden Hausierer- oder Straßenhandel gegeben ist) und beeinträchtigt den Verbraucher in seiner freien Willensentschließung hinsichtlich eines generellen Konsumbedürfnisses sowie der konkreten Kaufentscheidung (abgesehen davon, daß bei einem unerbetenen Vertreterbesuch bzw. einem Ansprechen in der Öffentlichkeit außerdem eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich der Kenntnisnahme von der Werbung vorliegt).456 b) Werbung unter Ausnutzung von sozialem Engagement Die Werbung unter Ausnutzung des sozialen oder umweltschützenden Engagements oder der Wohltätigkeit der Verbraucher457 ist eng verwandt mit der Mitleidswerbung. Unter Hinweis darauf, daß der Verbraucher mit seiner Kaufentscheidung zugleich eine "gute Tat" tut, weil z.B. ein Teil des gezahlten Kaufpreises einer "guten Sache" zufließt, wirbt der Anbieter für sein Produkt

BGHDW 1962,28. m BGH GRUR 1959,143 ff. m BGH GRUR 1965,485 ff. 454 BGH GRUR 1968, 44 ff. m BGHDW 1962,29. 456 Vgl. oben, Teil II, 4. Kapitel "Der unerbetene Vertreterbesuch", Abschnitt III. 2. m Auch als "Social Sponsoring" der Unternehmen bezeichnet, Federhoff-Rink, GRUR 1992, 643 ff.; Wiebe, WRP 1993,798 ff., 809. 451

12 Scherer

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

oder seine Dienstleistung458 . Dabei sind der Phantasie des Werbenden keine Grenzen gesetzt: So warb etwa eine Schnellimbiß-Restaurantkette damit, daß der Erlös von jedem an diesem Tag verkauften "Big Mac" vollständig als Spende an das Deutsche Kinderhilfswerk e.Y. weitergeleitet werde459 ; ein Autohaus warb damit, daß es für jeden in diesem Autohaus gekauften Wagen einen Baum für die Stadt Köln stiften werde460 und ein Möbel- und Einrichtungshaus wies die Verbraucher in ihrer Anzeigenwerbung darauf hin, daß die gesamte bundesweite Tageseinnahme eines bestimmten Tages an die Mitarbeiter des Unternehmens verteilt werde. 461 Auch hier wird, ebenso wie bei der Mitleidswerbung, regelmäßig noch nicht die "Wohltätigkeitsankündigung" allein, sondern erst die Herstellung eines persönlichen Kontakts des Anbieters zum Verbraucher, verbunden mit einem unmittelbaren persönlichen Appell an die "Moral" des Angesprochenen, den psychischen Abschlußzwang herbeiführen. Auf eine Differenzierung zwischen produktunanhängiger und rechtlich akzessorischer (also mit dem Produkt- und Leistungsangebot des Werbenden gekoppelter) Werbung mit sozialem Engagement kann es hingegen nicht ankommen. 462 Die Werbung mit dem sozialen Engagement des betreffenden Anbieters bewirkt nämlich in dem einen wie in dem anderen Fall zunächst lediglich ein positives Image des betreffenden Anbieters bei den Verbrauchern - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Um nun aber eine Zwangssituation für die Verbraucher herbeizuführen, die diese in ihrer freien Willensentschließung beeinträchtigt, ist jedoch wesentlich mehr als nur ein positives Image des betreffenden Anbieters bei den Verbrauchern erforderlich. Wirbt daher der Anbieter nicht unter Ausnutzung eines unmittelbaren persönlichen Appells an den Umworbenen, sondern lediglich durch öffentliche Werbung für sein besonders wohltätiges oder sozial engagiertes oder der Umwelt zugute kommendes Wettbewerbsverhalten, werden die Kunden somit noch nicht in ihrer freien Willensentschließung beeinträchtigt. Die Verbraucher, die ein bestimmtes Produkt sowieso benötigen, werden dieses - bei gleichen oder sogar niedrigeren Preisen - jedoch sicher lieber dort kaufen, wo sie zugleich mit der Deckung ihres Bedarfs "etwas Gutes" tun können. 463 Dadurch ver458

Vgl. z.B. BGH GRUR 1976,699 ff.; LG Trier, NJW 1976,755; KG GRUR 1984,605 f; OLG

Hamburg, GRUR 1987,386 f; BGH GRUR 1987, 534 f; OLG Hamburg, GRUR 1988,41 ff.; OLG Hamburg, GRUR 1989,614; BGH GRUR 1991,545 f; auch BGH GRUR 1991, 542 f 459 Sachverhalt von BGH GRUR 1987, 534 f. 460 KG WRP 1984,607 f 461 BGH GRUR 1991,545 f 462 So aber Federhoff-Rink, GRUR 1992, 643 ff., 651 f.; noch strenger Wiebe, WRP 1993,798 ff., 809 f; anders hingegen Teichrnannlvan Krüchten, WRP 1994,704 ff. 463 Vgl. insbesondere die Sachverhalte von KG GRUR 1984, 605 f; BGH GRUR 1987, 534 f; BGH GRUR 1991, 545 f

8. Kapitel: Geflihlsbetonte Werbung

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schafft sich der Werbende einen oft sehr erheblichen Vorsprung vor seinen nicht "sozial" werbenden Konkurrenten. Nicht der Verbraucherschutz, sondern die Verhindung eines solchen, dem Leistungswettbewerb fremden Vorsprungs eines Mitbewerbers vor seinen Konkurrenten ist daher auch der eigentliche Grund für die Verbote derartiger Werbung durch die Rechtsprechung. 464 c) Werbung unter Ausnutzung der Trauer Ein ähnlicher unmittelbarer persönlicher Appell an das Gewissen der betroffenen Verbraucher zeigt sich in der Werbung unter Ausnutzung der Trauer465 : Um einen Auftrag für die Gestaltung eines Grabmals zu erlangen, erschienen bei Angehörigen von Verstorbenen unaufgefordert Vertreter eines Steinmetzbetriebes. 466 Sofern der Besuch bereits kurze Zeit nach dem Tod des Angehörigen stattfand467 , muß davon ausgegangen werden, daß die Hinterbliebenen sich regelmäßig in einer seelischen Verfassung befinden, die es ihnen nicht ermöglicht, Kaufentscheidungen mit klarem Kopf zu treffen. Kurze Zeit nach dem Todesfall stehen die Angehörigen nämlich regelmäßig noch unter dem tiefen Eindruck dieses Ereignisses. 468 Sie sind in dieser Verfassung in der Regel nicht in der Lage, auch nur einigermaßen gewichtige Entscheidungen auf wirtschaftlichem Gebiet zu treffen. Eine freie Willensentschließung hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung und dem generellen Konsumbedürfnis ist daher kurze Zeit nach einem Todesfall - sofern nicht lediglich Güter des täglichen Bedarfs betroffen sind - regelmäßig nicht möglich. Selbst wenn jedoch seit dem Todesfall bereits einige Zeit verstrichen ist469 stehen die Angehörigen einer unmittelbaren, persönlichen Ansprache durch den Werbenden aufgrund des hochsensiblen Themas nicht mit ausreichender Distanziertheit gegenüber. 470 Das Angebot zur Errichtung eines Grabmals für den Verstorbenen stellt nämlich einen Gewissensappell an die Hinterbliebenen dar: Nach weithin üblichen Auffassungen erlaubt nämlich die Pietät es nicht, bei den Dingen, die mit dem Tod eines nahen Angehörigen zusammenhängen, wirtschaftliche Überlegungen, also etwa hinsichtlich des Preis-LeistungsVerhältnisses bei einem Grabmal, anzustellen. Da sich nun aber die Hinterbliebenen nicht gegenüber einem Fremden (nätnlich dem Werbenden), also 464 Sehr deutlich LG Trier, NJW 1976, 755; LG Mainz, WRP 1972, 400 ff, 401; auch BGH GRUR 1987,534 f. 46S Ausfiihrlich vgl. hierzu das 4. Kapitel "Der unerbetene Vertreterbesuch", Abschnitte 1., 11. 466 BGH GRUR 1967, 430 ff.; 1971,317 ff.; OLG Karlsruhe, WRP 1973,231 f. 467 Vgl. Sachverhalt von BGH GRUR 1967,430 ff. 468 BGH GRUR 1967,430 ff., 431. 469 Sachverhalt von BGH GRUR 1971,317 ff. 470 BGH GRUR 1971,317 ff., 318.

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Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

quasi öffentlich, zu weithin üblichen Pietäts-Auffassungen in Widerspruch setzen wollen - was sie jedoch täten, wenn sie Überlegungen zum Preis-Leistungs-Verhältnis bei dem Grabmal anstellen würden - werden sie das für sie geringere Übel wählen und das vom Werbenden empfohlene Grabmal bestellen. Ein psychischer Abschlußzwang wird also in diesem Fall mit der gefühlsbetonten Werbung - wiederum durch die Kombination des unmittelbaren persönlichen Kontakts mit dem Appell an die Trauer der Umworbenen - ausgeübt. d) Werbung mit der Angst Eine Werbung unter Ausnutzung von Angstgefühlen der Verbraucher kommt relativ selten vor. Bei den zur Entscheidung der Gerichte gelangten Sachverhalten handelt es sich um die Werbung mit der Angst vor einer Inflation. 471 Eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung könnte bei der Werbung mit der Angst allenfalls denkbar sein durch die Auslösung von angstbedingten Kaufpsychosen, die den Verbraucher keinen anderen Weg mehr sehen lassen, als die als "inflationssicher" beworbene Ware (z.B. Immobilien) zu kaufen. 472 Eine derartige durch die Werbung ausgelöste Angstpsychose ist jedoch nicht nachgewiesen; auch die wenigen zu diesem Bereich der gefühlsbetonten Werbung ergangenen Entscheidungen gehen nicht von solchen Einwirkungen auf die angesprochenen Käuferkreise aus. Angstbedingte Kaufpsychosen können in der Regel allenfalls bei älteren, sensiblen Verbrauchern auftreten, die inflationäre Notzeiten selbst miterlebt haben. Diese Gruppe ist jedoch wegen ihrer geringen Zahl wettbewerbsrechtlich irrelevant. Bei den übrigen Verbrauchern kann zwar eine Werbung, die (wahrheitsgemäß) auf inflationäre Tendenzen hinweist und zudem reißerisch aufgemacht ist, Unsicherheit hinsichtlich des Geldwertes und der allgemeinen Wirtschaftslage auslösen. Da jedoch die Verbraucher regelmäßig gerade in für sie (vermeintlich) wirtschaftlich unsicheren Zeiten großen Wert auf stabile und sichere Geldanlagen legen, werden sie um so sorgfältiger abwägen, welches die für sie günstigste Anlageform ist. Eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Verbraucher kommt daher durch "Angst-Werbung" regelmäßig nicht in Betracht. 473 Die Tatsache, daß die Rechtsprechung diese Werbung untersagt474, hat seinen Grund daher 471 472 473

Vgl. LG Frankfurt/M., WRP 1971,86 f.; OLG FrankfurtlM., WRP 1975,363 ff. Vgl. Tetzner, MDR 1975,281 ff. Anders Schnorbus, GRUR 1994, 15 ff., der aufgrund einer Interessenabwägung die Werbung

mit der Angst dann rur unzulässig hält, wenn der Informationsgehalt der Werbung weit hinter die Ansprache von Angstgeruhlen zurücktritt; hierbei berücksichtigt Schnorbus jedoch nicht genügend die Bedeutung der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung. 474 LG Frankfurt/M., WRP 1971,86 f.

9. Kapitel: Autoritätenwerbung, Laienwerbung, Werbung gegenüber Kindern

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auch nicht im Verbraucherschutz, sondern darin, daß die zugegebenermaßen reißerisch aufgemachte Werbung mit der Angst vor einer Geldentwertung sozialschädliche Auswirkungen hat. 475 Indem die Verbraucher über die Geldwertstabilität, die eine der tragenden Säulen der Marktwirtschaft ist, verunsichert werden, kann nämlich der Wettbewerb als "Institution", d.h. als ein die Wirtschaft beherrschendes, verfassungsrechtlich garantiertes Ordnungsprinzip bedroht werden. 476 Generell kann hinsichtlich der geftihlsbetonten Werbung in ihren verschiedenen Spielarten also davon ausgegangen werden, daß in aller Regel noch nicht die geftihlsbetonte Werbung selbst, sondern erst noch ein zusätzlicher Faktor, meistens der unmittelbare, persönliche Appell des Anbieters an den Verbraucher dessen freie Willensentschließung beeinträchtigt. Unter verbraucherschützenden Gesichtspunkten ist daher ein Verbot der geftihlsbetonten Werbung in zahlreichen der von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen nicht zu rechtfertigen.

9. Kapitel: Autoritätenwerbung, Laienwerbung, Werbung gegenüber Kindern L Autoritätenwerbung Bei der sogenannten Autoritätenwerbung bedient sich die Werbung häufig Personen oder Institutionen, die bei den Umworbenen Autorität und/oder Vertrauen genießen. So werden z.B. Vereinsvorstände477 , Oberbürgermeister478 , Schulen479, Betriebs- oder Personalräte und Gewerkschaften480 zu Werbezwecken eingesetzt. 1. Rechtsprechung und Literatur Die Rechtsprechung beurteilt diese Werbung meistens als unlauter, und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt der Irreführung481 als auch wegen einer

m LG FrankfurtlM., WRP 1971, 86 f., 87. Tetzner, MDR 1975,281 ff., 282.

476

Sachverhalt von OLG Hamburg, WRP 1979,729 ff. Sachverhalte vonLG Köln, WRP 1984,303; OLG Karlsruhe, AfP 1977,417 ff. 479 Sachverhalt von BGH GRUR 1984, 665 ff. 480 Sachverhalte von OLG Nümberg, BB 1963, 166; OLG Köln, DW 1963, 14; OLG Frank.furtlM., WRP 1971,379 ff.; DB 1978, 535 f. 477

478

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11. Teil: Die Unzu1ässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

dem Leistungswettbewerb widersprechenden unsachlichen Beeinflussung482 und bisweilen sogar einer "unzumutbaren Belästigung"483 . Eine Irreführung durch den Einsatz einer Autoritätsperson oder -institution wird von der Rechtsprechung damit begründet, daß die Empfehlung Z.B. durch den Betriebsrat bei den Umworbenen den Eindruck erwecke, die Ware sei besonders günstig und vorteilhaft. 484 Dem Betriebsrat werde nämlich von der Belegschaft zumindest in sozialen Fragen ein erhebliches Vertrauen entgegengebracht, so daß die Umworbenen hier annähmen, der Betriebsrat habe sich aus seiner sozialen Verpflichtung heraus gegenüber den Arbeitnehmern besondere Mühe bei der Erschließung dieser Bezugsmöglichkeit gegeben. 485 Eine Empfehlung von Produkten durch einen Oberbürgermeister oder die Teilnahme eines Oberbürgermeisters an einer Werbeveranstaltung führe die Verbraucher deshalb irre, weil sie von einem Träger eines öffentlichen Amtes Neutralität gegenüber allen Wettbewerbern erwarteten; beteilige sich dieser nun aber an der Werbung eines Wettbewerbers, entstehe im Publikum die Vorstellung, daß dieser einer solchen besonderen Förderung würdig sei. 486 Die Literatur stimmt dem ZU487 , plädiert jedoch bisweilen für eine noch strengere Beurteilung und Erweiterung desjenigen Personenkreises, der nicht zu Werbeaktionen "eingespannt" werden darf. 488 Eine Unlauterkeit der Autoritätenwerbung wegen unsachlicher Beeinflussung wird von der Rechtsprechung damit begründet, daß zwischen Umworbenem und eingeschalteter Autoritätsperson ein soziales Verhältnis dergestalt bestehe, daß der Umworbene seine Kaufentschließung nicht aufgrund eines sachlichen Leistungsvergleichs, sondern aufgrund sachfremder Erwägungen treffe. 489 Als einziges Gericht kommt hier lediglich das OLG Nürnberg490 zu einer anderen Beurteilung, da es darauf abstellt, daß ein Zwang auf die Umworbenen von den eingesetzten Autoritätspersonen nicht ausgeübt werde. Auch die Literatur ist der Ansicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung, daß 481 LG Köln, WRP 1984,363; OLG Kar1sruhe, Afl' 1977,417 ff.; OLG Frankfurt/M., WRP 1971, 379 ff., 380. 482 OLG FrankfurtlM., DB 1978, 535; OLG Köln, DW 1963, 14; OLG Hamburg, WRP 1979, 729 ff., 731. 483 OLG FrankfurtlM., DB 1978, 535 f., 536; WRP 1971,379 ff., 380 f. 484 OLG FrankfurtlM., WRP 1971,379 ff., 380. 48S OLG Frankfurt/M., WRP 1971,379 ff., 380. 486 OLG Kar1sruhe, Afl' 1977,417 ff., 418; LG Köln, WRP 1984,363. 487 Baumbach-Hefenneh1, § 1, Rz. 190; G1oy-Jacobs, § 49, Rz. 8; Heirnann, BB 1963, 709 f.; Pröpper, Afl' 1979,418; Emmerich, S. 165. 488 Pröpper, Afl' 1977,418 f. 489 OLG Hamburg, WRP 1979,729 ff., 731; OLG Frankfurt/M., DW 1978,535. 490 BB 1963, 166.

9. Kapitel: Autoritätenwerbung, Laienwerbung, Werbung gegenüber Kindern

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anstelle eines sachlichen Leistungsvergleichs sachfremde Erwägungen treten und die Autoritätenwerbung deshalb regelmäßig unlauter sei. 491 2. Irrefohrung

Nach dem bereits mehrfach ausführlich dargestellten Grundsatz, daß das Beurteilungskriterium für die Unlauterkeit der Werbung gegenüber dem Verbraucher eine Beeinträchtigung von dessen freier Willensentschließung ist492 , ist die Begründung der Rechtsprechung hinsichtlich der Irreführung unproblematisch: Da der Verbraucher für eine freie Willensbildung wenigstens wahre Werbeinformationen benötigt und eine Irreführung ihm diese für seine freie Willensbildung unerläßliche Grundlage entzieht493 , ist die Autoritätenwerbung in den von der Rechtsprechung festgestellten Fällen von Irreführung unzulässig. 3. Unsachliche Beeinflussung

Problematisch hingegen ist der Gesichtspunkt der unsachlichen Beeinflussung, der als Abgrenzungs- und Beurteilungskriterium nicht tauglich ist, weil dieser Begriff zu konturenlos und unscharf ist und zudem außer acht läßt, daß die Beeinflussung an sich ein jeder Werbung immanenter Bestandteil ist. 494 Erforderlich ist vielmehr, wie bereits mehrfach dargelegt, eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers; erst in diesen Fällen kann eine Werbung gegenüber dem Verbraucher als unzulässig angesehen werden. Demnach kommt es darauf an, ob durch die Autoritätenwerbung eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung als möglich erscheint. In Betracht kommt ein psychischer Abschlußzwang; in vielen Fallgestaltungen der Autoritätenwerbung wäre dieser auch möglich durch die Schaffung einer moralischen Zwangssituation. Daß ein solcher durch eine Zwangssituation bedingter psychischer Abschlußzwang jedoch nicht in allen Fällen von Autoritätenwerbung vorliegen kann, sondern daß hierzu eine besondere soziale Beziehung zwischen Umworbenen und Autoritätsperson erforderlich ist, liegt auf der Hand: Von einem Menschen, zu dem keinerlei soziale Beziehungen bestehen (z.B. ein prominenter Träger eines öffentlichen Amtes) kann nämlich die für einen psychischen (hier speziell moralischen) Abschlußzwang erforder491

Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 190; v. Gamm, UWG, § 1, Rz. 138; ders., Wettbewerbs- und

Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. I, 1. Hlbd., Kap. 25, Rz. 43; Gloy-Jacobs, § 49, Rz. 61f. 492 Vgl. oben, Teil I, 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". 493 Vgl. oben, Teil I, 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". 494 Vgl. oben, Teil I, 1. Kapitel "Werbung".

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

liehe Situation gegenüber dem Umworbenen nicht hergestellt werden. Es sind daher nur die Fallgestaltungen fur die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers in Betracht zu ziehen, in denen die beschriebenen sozialen Beziehungen zwischen den zu Werbezwecken auftretenden Autoritätspersonen und dem Umworbenen bestehen. In Betracht kommt also zunächst die Ausübung eines psychischen Abschluß zwangs durch den Betriebs- oder Personalrat. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Belegschaftsmitglieder regelmäßig keine Nachteile befurchten müssen, wenn sie einer Kaufempfehlung des Betriebsrats keine Folge leisten495 ; auch liegt in einer Gleichgültigkeit der Betriebsangehörigen gegenüber einem Kaufappell des Betriebsrats kein "unsolidarisches" Verhalten der Arbeitnehmer, wie dies bei anderweitigen Appellen des Betriebsrats an die Belegschaft der Fall sein kann. Zwar werden die Betriebsangehörigen in der Regel davon ausgehen, daß ein Warenangebot, welches der Betriebsrat empfiehlt, besonders günstig und vorteilhaft ist, da dem Betriebsrat in sozialen Fragen Vertrauen entgegengebracht wird. Eine solche Vorstellung führt jedoch, wie oben dargelegt, lediglich zu der Problematik der Irreführung. Ein psychischer, insbesondere moralischer Abschlußzwang wird durch dieses dem Betriebsrat von der Belegschaft entgegengebrachte Vertrauen nicht ausgelöst. Bei dem Einspannen der Schule zu Werbezwecken stellt sich fur die Beurteilung eines psychischen Abschlußzwangs die Frage, wie die Werbung im konkreten Einzelfall ausgestaltet ist: Wird bei den Umworbenen (also vor allem den Eltern) der Eindruck erweckt, eine Nichtbestellung werde zu einer schlechteren Behandlung der betreffenden Kinder durch die Lehrer führen, liegt ein psychischer Abschlußzwang durch den hierdurch erzeugten Druck auf die Umworbenen vor. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Schule selbst ein (eventuell sogar wirtschaftliches) Interesse am Absatz hat und kontrollieren kann, welcher Schüler keine Bestellung aufgegeben hat. Erscheint die Werbung jedoch eher so, daß den Umworbenen lediglich durch die besondere Sachkenntnis der Lehrer über den pädagogischen Wert des Artikels eine Hilfe zur Auswahl unter gleichartigen Produkten (z.B. Jugendzeitschriften) gegeben werden soll, kann von einem solchen Druck nicht ausgegangen werden. 496 Bei der Werbung für eine Ware durch einen Vereinsvorstand, bei der an die Solidarität der Vereinsmitglieder gegenüber dem Verein appelliert wird, ist ein psychischer Abschlußzwang hingegen wesentlich häufiger möglich: Ein Vereinsmitglied, das sich dem Appell zu solidarischem Verhalten gegenüber dem Verein entzieht, etwa dadurch, daß es eine Zeitschrift, durch die auch Vereinsinteressen gefördert werden, nicht abonniert, obwohl der Vereinsvorstand 49>

496

OLG Nümberg, BB 1963, 166. BGH GRUR 1984,665 ff., 666 f.

9. Kapitel: Autoritätenwerbung, Laienwerbung, Werbung gegenüber Kindern

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eindringlich dazu aufgefordert hatte, setzt sich dem allgemeinen Vorwurf unsolidarischen, vielleicht sogar vereinsschädigenden Verhaltens aus. Durch diesen drohenden Vorwurf und die damit verbundene "moralische Brandmarkung" des betreffenden Mitglieds wird auf dieses ein erheblicher Druck erzeugt, der einen psychischen (hier speziell moralischen) Abschlußzwang begründet. Die Frage, ob eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung durch Ausüben eines psychischen Abschlußzwangs vorliegt, kann daher nur nach sorgfältiger Analyse der jeweiligen sozialen Beziehungen zwischen Autoritätsperson und Umworbenem beantwortet werden. Generell jedoch ist davon auszugehen, daß ein psychischer Abschlußzwang meistens dann vorliegt, wenn dem betroffenen Verbraucher der Vorwurfunsolidarischen Verhaltens gemacht werden kann bzw. er eine Benachteiligung bei Nichtbefolgung des Kaufappells zu befürchten hat.

n. Laienwerbung 1. Rechtsprechung und Literatur

Häufig werden für die Werbung Kunden eingesetzt, die ihrerseits neue Kunden werben sollen. Diese Kunden sind nicht berufsmäßig mit der Werbung befaßt, sondern Laien. Die Rechtsprechung steht dieser Werbeform kritisch gegenüber und hat sie meistens für sittenwidrig erklärt497 ; AusnalImen werden nur selten gemacht. 498 Die Rechtsprechung begründet die strenge Beurteilung zum einen damit, daß mit dieser Werbeform häufig Täuschungsgefahr für die Kunden verbunden sei. Da der Werber, der seine Kunden meistens im Bekannten-, Freundes- oder Verwandtenkreis suche, häufig nicht zu erkennen gebe, daß er auch aus eigennützigen Motiven (nämlich um die Werbeprämie zu erhalten) handele, geht der Verbraucher davon aus, daß der Werber lediglich einen "freundschaftlichen Rat" gebe. Daß es sich in Wirklichkeit um eine "bezahlte" Werbung handele, erkenne er nicht; er sei daher auch nicht in der Lage, ihr den entsprechenden Stellenwert einzuräumen. 499 Zudem könne der Laienwerber bestrebt sein, sach497 OLG Düsseldorf, NJW 1957, 187 f; BGH GRUR 1959,285 ff.; GRUR 1981, 655 f; OLG Hamm, WRP 1982,479 ff.; DB 1986,2486 f; OLG München, GRUR 1989,354 f; BGH NJW 1992, 2419 ff.; teilweise BGH GRUR 1991, 150 f; Saarländisches OLG, WRP 1994, 840 ff.; BGH WRP 1995, 104 ff. 498 OLG Hamm, WRP 1982,346 ff.; OLG Karlsruhe, GRUR 1970,144 ff.; teilweise BGH GRUR 1991, 150 f; OLG Karlsruhe, WRP 1993,340 ff. 499 OLG Düsseldorf, NJW 1957, 187 f, 188; BGH GRUR 1981,655 f, 666; BGH GRUR 1991, 150; BGHNJW 1992,2419 ff., 2420.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

lich unrichtige Darstellungen über die Eigenschaften der Ware oder das Geschäft des Anbieters zu geben, um sich die Werbeprämie zu verdienen, wenn er nicht allein durch das persönliche Verhältnis zum Umworbenen zum Ziele komme. 50o Zum anderen geht die Rechtsprechung davon aus, daß mit dieser Werbemethode regelmäßig eine unsachliche Beeinflussung501 sowie eine Kommerzialisierung der Privatsphäre mit starker Tendenz zur Nachahmung502 verbunden seien. Die Literatur ist der gleichen Meinung wie die Rechtsprechung. 503 2. Differenzierende Betrachtung

Um festzustellen, ob bei der Laienwerbung eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Umworbenen und damit Sittenwidrigkeit gegeben ist, ist eine differenzierende Betrachtungsweise erforderlich. Das wesentliche Augenmerk ist dabei auf die Höhe der Werbeprämie einerseits und die Höhe des Preises der beworbenen Ware andererseits zu richten. Auszugehen ist von der typischen Situation, daß sich der Laienwerber als geschäftlich Unerfahrener nicht an Fremde, sondern an Bekannte, Freunde und Verwandte wendet. 504 Hierbei sind nun wiederum zwei Arten seines Vorgehens denkbar: Zum einen offenbart er die Tatsache, daß er nicht aus altruistischen Motiven dem Umworbenen die Ware empfiehlt und ihn zum Kauf zu veranlassen sucht, sondern weil er hierfür eine Werbeprämie erhält. In diesem Fall scheidet eine Täuschung des Verbrauchers darüber, daß es sich um Werbung handelt, aus. Im entgegengesetzten Fall, nämlich dem, daß der Laienwerber seine eigennützigen Motive verschweigt, ist es dem Umworbenen nicht möglich, den vermeintlich "freundschaftlichen Rat" als Werbung zu entlarven und ihn dementsprechend zu behandeln; er wird damit über einen für seine freie Willensbildung relevanten Umstand getäuscht. Da also in diesem Fall der Verbraucher die werbliche Beeinflussung nicht als solche erkennen kann, ist ihm von vorneherein eine kognitive Kontrolle der werblichen Beeinflussung nicht möglich - seine freie Willensentschließung ist daher beeinträchtigt. 505

soo OLG Düsseldorf, NJW 1957, 187 f., 188. SOl

BGH GRUR 1959,285 Ir., 286 f; OLG Harnrn, WRP 1982,479 f, 480; OLG München,

GRUR 1989,354 f; BGH GRUR 1991, 150. S02 BGH GRUR 1981,665 f, 666; BGH GRUR 1991, 150. S03 Baurnbach-Heferrnehl, § I, Rz. 201 ff.; Heferrnehl, NJW 1957, 187; v. Falck, GRUR 1959,287

f; Gilles, Rz. 109; v. Garnrn, UWG, § I, Rz. 154; ders., Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. I, 1. H1bd., Kap. 25, Rz. 42, 44; G1oy-Jacobs, § 49, Rz. 15. S04 Gilles, Rz. 109. sos Vgl. oben, Teil I, 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur".

9. Kapitel: Autoritätenwerbung, Laienwerbung, Werbung gegenüber Kindern

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Für das weitere Vorgehen und die darin enthaltenen Möglichkeiten der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung kommt es nun für das Verhalten des Laienwerbers entscheidend auf die Höhe seiner Werbeprämie an: Ist diese sehr hoch - im Vergleich dazu, was von dem Laienwerber als Werbeaktivität und -aufwand verlangt wird -, wird er bestrebt sein, die Werbeprämie auf jeden Fall zu erhalten; es wird ihm jedes Mittel recht sein, den Umworbenen zum Vertragsabschluß zu bewegen und damit die Prämie zu verdienen. 506 Der Laienwerber wird daher auch nicht davor zurückscheuen, Informationen über die Ware oder den Anbieter zu geben, die "ins Blaue" hinein gesagt oder bewußt nicht zutreffend sind. 50? Bei hoher Werbeprämie ist daher regelmäßig eine erhebliche Irreführungsgefahr mit der Laienwerbung verbunden. Eine weitere Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Verbraucher kann in einer Ausübung von psychischem Abschlußzwang auf den Umworbenen liegen. Auch hier kommt es wieder entscheidend auf die Höhe der Werbeprämie sowie zusätzlich auf den Preis der Ware an: Bei einem niedrigeren Preis der Ware (die möglichst noch Ware des täglichen Bedarfs ist, z.B. Honig)508 bedeutet der Erwerb des Produkts für die vom Laienwerber angesprochenen Bekannten und Verwandten eine Gefälligkeit, einen Freundschaftsdienst gegenüber dem Laienwerber. Dies gilt erst recht, wenn der Laienwerber darauf hinweist, daß ihm im Fall einer Ablehnung durch den Umworbenen eine hohe Werbeprämie entgeht. Lehnt hier nämlich der Kunde den Vertragsabschluß ab, setzt er sich dem Vorwurf aus, dem Laienwerber eine kleine Gefälligkeit aus eigennützigen Motiven zu verweigern, obwohl dem Laienwerber mit der kleinen Gefälligkeit sehr gedient gewesen wäre. Da dies für den Umworbenen eine sehr unangenehme, peinliche Lage wäre, wird er regelmäßig einem solchen psychischen Druck durch den Erwerb der Ware ausweichen. Offenbart der Laienwerber nicht die Tatsache, daß er eine hohe Werbeprämie erwartet, wird er gleichwohl alles tun, um den Umworbenen zum Abschluß zu drängen; wenn nun der Verbraucher einem fremden Werber gegenüber oft schon nicht in der Lage ist, sich seinem Appell zum Kauf zu entziehen, wird ihm dies bei einem drängenden bekannten, verwandten oder befreundeten Laienwerber noch viel weniger möglich sein, vorausgesetzt, der Preis der Ware ist nicht hoch. In beiden Fällen liegt daher eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung durch psychischen Abschlußzwang (speziell moralischen Abschlußzwang) vor, und zwar immer hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung; sofern es sich um Produkte handelt, die Waren des täglichen Bedarfs sind und daher sowieso benötigt werden, liegt jedoch eine BeeinträchtiBaumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 203. m BGH NJW 1992,2419,2420. '08 Vgl. Sachverhalt von BGH GRUR 1959,285 ff.

'06

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II. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

gung der freien Willensentschließung hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses nicht vor. Werden hingegen Produkte beworben, die nicht von jedem Verbraucher als Waren des täglichen Bedarfs benötigt werden, wird auch die freie Willensentschließung des Verbrauchers hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses beeinträchtigt. Bei einem hohen Warenwert hingegen509 kann nach allgemeiner Anschauung ein Kauf nicht als Gefälligkeit auch gegenüber dem befreundeten oder verwandten Laienwerber verlangt werden, so daß dessen Bitte an den Umworbenen, die Ware zu kaufen, um ihm dadurch die hohe Prämie zu verschaffen, von diesem leicht unter Hinweis auf den hohen Preis zurückgewiesen werden kann; ein psychischer Abschlußzwang kann daher in der Regel nicht entstehen. Auch für den Fall, daß der Laienwerber seine hohe Werbeprämie verschweigt und den Kunden auf andere Weise zum Kauf zu drängen sucht, ist es diesem gerade aufgrund des vertrauteren Verhältnisses zwischen Werber und Umworbenen wesentlich eher als gegenüber einem Fremden möglich, den Abschluß unter Hinweis auf den hohen Preis und den fehlenden Bedarf abzulehnen; von Bekannten, Freunden oder Verwandten wird nämlich allgemein wesentlich mehr Verständnis für die eigene wirtschaftliche Situation erwartet als von Fremden. Auch in diesem Fall ist daher ein psychischer Abschlußzwang nicht gegeben. Ist die Werbeprämie schließlich niedrig, ist auch die Motivation des Laienwerbers, auf den Umworbenen Druck auszuüben und ihm zum Kauf zu drängen, sehr niedrig, da die Werbeprämie hierzu nicht ausreichend attraktiv ist. In diesen Fällen ist eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung am wenigsten denkbar. Im übrigen kommt auch eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung in Betracht: In den meisten Fällen wird der Laienwerber dem Umworbenen einfach mitteilen, daß dieses oder jenes Produkt aus bestimmten Gründen vorzugswürdig sei und es der Umworbene deshalb kaufen solle (außerdem springe für den erfolgreichen Laienwerber auch eine Prämie dabei heraus). Dem Umworbenen bleibt dabei keine Möglichkeit, dieser Werbung zu entgehen; er muß von ihr Kenntnis nehmen, ob er will oder nicht. Da jedoch regelmäßig mit der Aufnahme von gesellschaftlichen, freundschaftlichen oder verwandtschaftlichen Kontakten nicht zugleich ein Einverständnis mit einer Kenntnisnahme von Werbung durch den betreffenden Gesprächspartner vorliegt, wird der umworbene Gesprächspartner in seiner freien Willensentschließung darüber, ob er überhaupt von der Werbung Kenntnis nehmen will, beeinträchtigt. Ihm wird von dem Laienwerber insofern keine Entscheidungsmöglichkeit eingeräumt.

509

Z.B. technischen Geräten, vgl. den Sachverhalt von OLG Ramm, WRP 1982, 479 ff.

9. Kapitel: Autoritätenwerbung, Laienwerbung, Werbung gegenüber Kindern

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Die hier gefundenen Ergebnisse stimmen in den meisten Fällen mit denen der Rechtsprechung überein. Der Lösungsansatz der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Verbraucher und das damit verbundene Erfordernis sorgfältiger Differenzierung und Analysierung der Verbrauchersituation gegenüber der jeweiligen Werbung ermöglicht jedoch eine dogmatisch klare und ausdifferenzierte Beurteilung auch äußerst unterschiedlicher Sachverhalte. Unter Berücksichtigung der differenzierten Betrachtung der Situation der Verbraucher gegenüber der Werbung hätte auch das OLG Hamrn510 die Unhaltbarkeit seiner Einschätzung der Verbrauchersituation erkennen können. ID. Werbung gegenüber Kindern Da mit gestiegenem Wohlstand - und damit auch gestiegenem Taschengeld mittlerweile immer mehr Kinder als Verbraucher rur die Wirtschaft, insbesondere in bestimmten Wirtschaftszweigen in Frage kommen, richtet sich Werbung auch immer häufiger gezielt an Kinder - oft sogar mit Kindern als Darstellern in der Werbung. Daß diese Werbung ganz besonders anfällig rur Mißstände ist, da Kinder noch wesentlich beeinflußbarer als erwachsene Konsumenten sind, haben auch Rechtsprechung und Literatur erkannt. Sie haben deshalb auch festgestellt, daß die Ausnutzung der Unerfahrenheit und mangelnder Beurteilungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen gegen § 1 UWG511 verstößt. Für die Frage, ob die betreffende Werbung die freie Willensentschließung der Verbraucher beeinträchtigt, ist daher, sofern sie sich an Kinder wendet, ein wesentlich strengerer Maßstab anzulegen als hinsichtlich einer Werbung gegenüber erwachsenen Verbrauchern. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß bei Kindern und Jugendlichen die unabdingbaren Voraussetzungen rur eine freie Willensentschließung, nämlich ein Mindestmaß an Urteilsvermögen und (geschäftlicher) Erfahrenheit noch gar nicht oder nur in geringem Maß vorhanden sind. 512 Ein "positiver ökonomischer" Abschlußzwang kann daher auch bereits bei geringwertigen Gewinnen oder Zugaben oder bei Ausnutzung der Sammelleidenschaft vOrliegen. 513 Da selbst in derartigen Bagatellfällen bei Kindern eine freie Willensentschließung aufgrund deren kindgemäßen VerhalS10 WRP 1982,479 ff.: Werbeprämie von 40.- DM bis 120.· DM bei Mindestbestellungen in Höhe von 1.000,- DM (!). m OLG Düsseldorf, GRUR 1975,267 ff.; OLG Stuttgart, WRP 1978, 151 ff.; OLG München, GRUR 1987, 678 f; KG GRUR 1992, 632 Ir.; Baumbach-Heferrnehl, § 1, Rz. 198; v. Gamrn, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. 1,1. Hlbd., Kap. 25, Rz. 25 f; Bülow, BB 1974,768 f m OLG Düsseldorf, GRUR 1975,267 ff., 269; OLG München, GRUR 1983,678 f S13 Vgl. auch 6. Kapitel "Progressive Kundenwerbung", "Kaffeefahrten", Preisausschreiben und Gewinnspiele, 111. Abschnitt.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

tens und fehlender kritisch-rationaler Steuerung nicht mehr gewährleistet ist, ist die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung kindlicher und jugendlicher Verbraucher wesentlich eher zu bejahen als die erwachsener Verbraucher. Hinsichtlich einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung speziell durch Irreführung gilt das gleiche wie hinsichtlich einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung durch Abschlußzwang: Auch hier sind kindliche und jugendliche Verbraucher aufgrund ihres Mangels an Urteilsvermögen und allgemeiner Lebenserfahrung, zumindest aber spezieller geschäftlicher Erfahrenheit wesentlich leichter irrezufiihren als erwachsene Verbraucher. Der Deutsche Werberat hat daher auch in seinen Verhaltensregeln für die Werbung mit und vor Kindern in Werbefunk und Werbefernsehen festgestellt, daß die Werbung sich nicht die natürliche Leichtgläubigkeit der Kinder oder den Mangel an Erfahrung von Jugendlichen zunutze machen oder ihr Anhänglichkeitsgefühl ausnutzen SOll.514 Sie solle auch "keine direkten Aufforderungen zu Kauf oder Konsum an Kinder enthalten und keine direkten Aufforderungen von Kindern und/oder an Kinder, andere zu veranlassen, ein Produkt zu kaufen,,515. Auch solle sie "nicht das besondere Vertrauen, das Kinder bestimmten Personen entgegenbringen, mißbräuchlich ausnutzen"516; aleatorische Werbemittel sollten "nicht irreführen, nicht durch übermäßige Vorteile anlocken, nicht die Spielleidenschaft ausnutzen,,517 . Der Rat der Europäischen Gemeinschaften hat in seiner Richtlinie vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeie18 in Art. 16 alle wesentlichen Punkte dieser Verhaltensregeln zumindest sinngemäß aufgenommen. Dieser Katalog von Verhaltensregeln (von denen hier nur die im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung relevanten dargestellt wurden) kann in erheblichem Maß dazu beitragen, daß eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung von Kindern und Jugendlichen durch Werbung wirksam eingedämmt wird.

Deutscher Werberat, WRP 1973,573. m Nr. 2 und 3 der Verhaltensregeln des Deutschen Werberats, WRP 1975,573. 516 Nr. 4 der Verhaltensregeln des Deutschen Werberats, WRP 1973,573. m Nr. 5 der Verhaltensregeln des Deutschen Werberats, WRP 1973, 573. 518 89/552, ABI. EG 1989, L 298, S. 23 ff.; sowie GRUR lnt. 1990, 134 ff.

514

10. Kapitel: Product Placement und Sponsoring

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10. Kapitel: Product Placement und Sponsoring L Product Placement J. Einleitung

Product Placement bezeichnet die gezielte, werbewirksame Plazierung von Produkten und/oder deren Nennung außerhalb der regulären Werbesendungen in Rundfunk und Fernsehen. 519 Die Produktplazierung ist ein besonders wichtiger "Unterfall" der Suggestivwerbung, der allerdings mittlerweile unabhängig davon beurteilt wird. Der Grund für die Existenz dieser Werbeform ist zum einen die Tatsache, daß mit den regulären Werbesendungen nur noch ein verhältnismäßig geringer Teil der Zuschauer erreicht wird: Diesen Werbesendungen entziehen sich nämlich mittlerweile 30-50% aller Zuschauer durch ein Aus- oder Umschalten (sogenanntes Zapping).520 Das Product Placement bietet daher zum einen eine wesentlich höhere Effektivität. Zum anderen ermöglicht es den Herstellern den gezielten Aufbau eines Markenimages. 521 Da die gezielte werbewirksame Plazierung von Produkten oder deren Nennung außerhalb der regulären Werbesendungen für die Verbraucher vor allem das Problem mit sich bringt, daß die Produktplazierung als Teil einer Sendung erscheint, die nichtwerbliche Inhalte hat, steht bei der Beurteilung der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit dieser Werbeform hinsichtlich des Verbraucherschutzes die Frage im Mittelpunkt, ob diese Werbung für den Verbraucher als solche erkennbar ist oder ob der Verbraucher über den werblichen Inhalt einer Produktplazierung irregeführt und so in seiner freien Willensentschließung hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung beeinträchtigt wird. 2. Die medienrechtliche Regelung Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung kann jedoch nicht ohne die weiteren Zusammenhänge mit der medienrechtlichen Regelung gefunden werden: Der Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens vom 3.4.1987 (alter S19 Von interessierter Seite - die Autoren sind regehnäßig Inhaber von Werbeagenturen oder ähnlichem - wird allerdings "Product Placement" gegenüber der "Schleichwerbung" abgegrenzt und ersteres per defmitionem als zulässig erklärt - wodurch sich natürlich jede Diskussion auch über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit erübrigt! Für viele: GottschalklScheele, MA 1987, 532 ff., 533; Erwiderung gegen diese: Bork, MA 1988, 176 ff. S20 Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu l:left 33,2 ff., 3, Fn. 14; Sack, ZUM 1987, 103 ff., 107; ders., NP 1991,704. m Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu fleft 33,2 ff., 4; dies., GRUR Int. 1987, 538 ff., 539; Bork, GRUR 1988,264 ff., 265.

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Rundfunkstaatsvertrag), in Kraft vom 1.12.1987 bis 31.12.1991 522 statuierte für den öffentlich-rechtlichen sowie den privaten Rundfunk für die Werbung folgende Grundsätze: - klare Trennung von Werbung und Programm (Art. 3, Abs. 2; Art. 7, Abs. 4); - unmißverständliche Kennzeichnung von Werbung (Art. 3, Abs. 2; Art. 7, Abs. 4); - kein Einfluß von Werbungtreibenden, Werbeagenturen etc. auf das Programm (Art. 3, Abs. 2; Art. 7, Abs. 4). Der Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31.8.1991, in Kraft seit 1.1.1992 (Art. 1: Rundfunkstaatsvertrag)523 hat nicht nur diese für die Rundfunk- und Fernsehwerbung wesentlichen Gebote der Trennung von Werbung und Programm (§ 6 Abs. 3 Satz 2), der Kennzeichnung der Werbung (§ 6 Abs. 3 Satz 1 und 2) und des Verbots der Beeinflussung des übrigen Programms durch Werbung oder Werbetreibende (§ 6 Abs. 2) wiederum in die medienrechtliche Regelung aufgenommen, sondern darüber hinaus eindeutig festgestellt: "Schleichwerbung ist unzulässig" (§ 6 Abs. 5 Satz 1). Die Schleichwerbung wird definiert als "die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marken oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich·des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann" (§ 6 Abs. 5 Satz 2). Zudem wird festgestellt, daß "eine Erwähnung oder Darstellung insbesondere dann als zu Werbezwecken vorgesehen gilt, wenn sie gegen Entgelt oder eine sonstige Gegenleistung erfolgt" (§ 6 Abs. 5 Satz 3). Diese Regelungen gelten als allgemeine Vorschriften (1. Abschnitt des RfStV) sowohl für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch für den privaten Rundfunk. Die zur Durchführung des alten Rundfunkstaatsvertrages gern. Art. 3 Abs. 8 erlassenen Richtlinien (ARD)524 bestimmen, daß werbewirksame Darstellungen außerhalb des Werbeprogramms grundsätzlich ausgeschlossen und nur dann ausnahmsweise zulässig sind, wenn sie aus überwiegenden journalistischen oder künstlerischen Gründen erforderlich sind (Abschnitt 2.1). In diesem Rahmen muß durch die Art der Darstellung (z.B. Marktübersichten, Vermeidung werbewirkarner Kamerafiihrung, Wechsel der Produkte und unterschiedliche Ausstattung) die Förderung werblicher Interessen vermieden werden (Abschnitt 2.2). Die Entgegennahme von Entgelten oder geldwerten Vorteilen für die Produktplazierung ist unzulässig (Abschnitt 2.4). Ausnahmsweise m Abgedruckt als Beilage zu Heft 1, AfP 1987. m GVBl. I rur das Land Hessen, Nr. 29, v. 20.12.1991, S. 367 ff. 524 Abgedruckt bei Rüggeberg, GRUR 1988,873 ff., 879.

10. Kapitel: Product Placement und Sponsoring

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dürfen verbilligt oder unentgeltlich Requisiten oder sonstige Leistungen entgegengenommen werden, wenn damit keine Einschränkung der journalistischen oder künstlerischen Darstellungsfreiheit verbunden ist (Abschnitt 2.5). Von seiten der Europäischen Gemeinschaften wurde bereits am 29.4.1986 von der Kommission dem Rat ein Richtlinienvorschlag über die Ausübung der Rundfunktätigkeit525 vorgelegt. Am 3.10.1989 hat der Rat der Europäischen Gemeinschaften die Richtlinie zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeie 26 erlassen. In dieser Richtlinie wird lapidar festgestellt: "Schleichwerbung ist verboten" (Art. 10, Abs. 4). Dabei wird Schleichwerbung definiert als "die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Warenzeichen oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Fernsehveranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann. Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbesondere dann als beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt" (Art. 1, Abschnitt c). Bis auf unwesentliche Einzelheiten stimmen in dem hier interessierenden Punkt also das Verbot und die Definition der Schleichwerbung wörtlich überein mit § 6 Abs. 5 RfStV. Auch das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5.5.1989 527 statuiert: "Schleichwerbung, insbesondere die Darstellung von Erzeugnissen oder Dienstleistungen in Sendungen zu Werbezwecken, ist verboten" (Art. 13, Abs. 3). Die nationale deutsche und die europäische medienrechtliche Regelung sind somit kongruent. 3. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung

a) Produktplazierung in Rundfunk- und Fernsehsendungen Bei einer wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Product Placement stellt sich nun zunächst - sofern die Produktplazierung von öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern betrieben wird - die Frage, ob hier überhaupt ein Handeln im "geschäftlichen Verkehr" (gemeinsame Voraussetzung von § 1 und § 3 UWG) vorliegt. Durch diese Voraussetzung werden privates oder hoheitliches Handeln ausgegrenzt. Nun senden zwar die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten hoheitlich. 528 Bei einer werblichen Betätigung - wie sie unter anderem die Produktplazierung darstellt - agieren jedoch auch die öffentlich-rechtm KOM (86) 146; sowie GRUR Int. 1986,388 ff. S26 S27 S28

Nr. 891552, ABi. EG 1989, L 298, S. 23 ff.; sowie GRUR Int. 1990, 134 ff. GRUR Int. 1990, 448 ff. BVerfGE31, 314ff., 329.

13 Scherer

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H. Teil: Die Unzu1ässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

lichen Rundfunksender marktbezogen529 ; dies stellt stets eine auf Gewinnerzielung gerichtete fiskalische Nebentätigkeit der öffentlichen Hand dar530 und somit ein Handeln im "geschäftlichen Verkehr". Die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts ist bei werblicher Betätigung also auch hinsichtlich der öffentlieh-rechtlichen Rundfunkanstalten gegeben. 531 Des weiteren ist erforderlich ein Handeln zu "Zwecken des Wettbewerbs". Objektiv muß hierzu nur eine Eignung der fraglichen Handlung gegeben sein, eigenen oder fremden Wettbewerb zu fordern. 532 Objektiv eignet sich die Produktplazierung sehr gut zur Förderung des Wettbewerbs des betreffenden Produzenten, insbesondere durch die oben dargestellte Markenprodukt-Imagebildung und die gegenüber dem herkömmlichen Werbefernsehen erhöhte Effektivität. 533 Zudem liegt ein Wettbewerbsverhältnis zum einen zwischen dem Hersteller des plazierten Produkts und dessen Konkurrenten, zum anderen zwischen der betreffenden Rundfunkanstalt und anderen Werbemedien vor. 534 Als subjektive Komponente ist erforderlich die sogenannte Wettbewerbsforderungsabsicht: Der Betreffende muß also die Absicht haben, eigenen oder fremden Wettbewerb zu fordern; das bloße Bewußtsein einer Wettbewerbsforderung reicht nicht aus. 535 Würde nämlich dieses ausreichen, wäre die durch Art. 5 GG gewährleistete Freiheit zu stark eingeschränkt. 536 Es fragt sich daher, wann eine Wettbewerbsforderungsabsicht vorliegt. Die Rechtsprechung hat hierzu den Grundsatz entwickelt, daß eine objektiv zur Wettbewerbsforderung geeignete Handlung die Wettbewerbsförderungsabsicht indiziert. 537 Diese Vermutung gilt jedoch nicht für die Medien außerhalb der üblichen Werbesendungen. 538 In diesem Bereich muß daher die Förderungsabsicht anhand von objektiven Anzeichen positiv bewiesen werden. 539

Bork, GRUR 1988,264 ff., 267. Henning-Bodewig, Ufita 94 (1982), 197 ff., 203. m Sack, ZUM 1987, 103 ff., 109; Henning-Bodewig, Ufita 94 (1982), 197 ff., 203; Bork, GRUR 1988,264 ff., 267 [; BGH NJW 1990,3199 ff., 3200; JZ 1992,874; LG Stuttgart, Afl' 1987,637 ff., 638; Baumbach-Heferrnehl, Einl., Rz. 245. m Baumbach-Hefermehl, Einl., Rz. 215. m Vgl. Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 3; Sack, ZUM 1987, 103 ff., 109. 534 Bork, GRUR 1988,264 ff., 267. m Baumbach-Heferrnehl, Einl., Rz. 232. 536 Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 4. m Stellvertretend fllr viele: BGHZ 3, 277. 538 Baumbach-Heferrnehl, Einl., Rz. 237; BGHZ 45, 296 ff., 302; OLG Karlsruhe, WRP 1977,45 ff.,47. 539 Baumbach-Heferrnehl, Einl., Rz. 237; Sack, ZUM 1987, 103 ff., 110; Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33, 2 ff., 5; dies., Ufita 94 (1982), 197 ff., 207. 529 530

10. Kapitel: Product Placement und Sponsoring

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Bei Presseveröffentlichungen, also einem vergleichbaren Tatbestand, werden derartige Indizien vor allem in der Annahme von Geld oder geldwerten Leistungen gesehen. 540 Für Rundfunkanstalten gilt nichts anderes: Mit der Annahme von Geld oder geldwerten Leistungen stellt sich der Rundfunksender nämlich in den bezahlten Dienst des Begünstigten und macht sich damit zum bewußten und gewollten Vollzieher von dessen Wettbewerbsinteressen541 gleichgültig, ob die Verwendung des Produkts bzw. die Darstellung in der Sendung aus dramaturgischen oder journalistischen Gründen geboten war oder nicht. 542 Die· Annahme von Geld oder geldwerten Leistungen stellt somit in jedem Fall ein eindeutiges Indiz für das Vorliegen einer Wettbewerbsförderungsabsicht dar. 543 Ein weiteres wichtiges Indiz bildet die Produktplazierung und/oder -nennung ohne journalistische oder dramaturgische Gebotenheit. 544 Die Praxis hat eine einfache Formel dafür entwickelt, wann eine solche dramaturgisch oder journalistisch gebotene Darstellung vorliegt und wann nicht: Wenn der Eindruck sich aufdrängt, auf eine bestimmte Einstellung (oder Einstellungsdauer) würde der Kameramann von sich aus nie gekommen sein, ist die Einstellung nicht mehr dramaturgisch oder journalistisch geboten. 545 Weitere Indizien für eine Wettbewerbsrorderungsabsicht können sein: personelle oder wirtschaftliche Verflechtung von Hersteller und Redakteur546 , die Zusage entgeltlicher Werbeaufträge547 , eventuell sogar die lediglich leihweise Überlassung von Requisiten. 548 Bei der zuletzt genannten Fallgruppe kann jedoch wegen der höchst unterschiedlichen einzelnen Fallgestaltungsmöglichkeiten noch nicht allein aus der Tatsache der leihweisen Überlassung der Schluß auf die Wettbewerbsförderungsabsicht gezogen werden. 549 Aufgrund dieser Feststellungen 540 OLG FrankfurtlM., NJW 1988, 1647; OLG Karlsruhe, WRP 1977, 45 ff., 47; Pietzcker, GRUR 1972, 532 f; Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 5. 54! OLG Karlsruhe, WRP 1977, 45 ff., 47; Pietzcker, GRUR 1972, 532 ff., 533; HenningBodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 5; dies., GRUR 1988,867 ff., 869. 542 Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 5; Bork" GRUR 1988, 264 ff., 269; ders., MA 1988,176 ff., 177; Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 42 ff. 543 BGH NJW 1990,3199 ff., 3200 f; Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 42; Bork, GRUR 1988,264 ff., 269; ders., MA 1988,176 ff., 177; Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 5; dies., Ufita 94 (1982), 197 ff., 208; dies., GRUR Int. 538 ff., 544 f; dies., GRUR 1988,867 ff., 869; Sack, ZUM 1987, 103 ff., llO. 544 Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 44; Sack, ZUM 1987, 103 ff., 111; Henning-Bodewig, GRUR Int. 1987,538 ff., 545; dies., BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 5; Bork, GRUR 1988,264 ff., 268 f 545 Rüggeberg, GRUR 1988, 873 ff., 878, Fn. 37. 546 Henning-Bodewig, Ufita 94 (1982),197 ff., 208; Pietzcker, GRUR 1972, 532 ff., 533. 547 Sack, ZUM 1987, 103 ff., lll; Pietzcker, GRUR 1972, 532 ff., 533. 548 Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33, 2 ff., 5. 549 Ähnlich Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33, 2 ff., 5.

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H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

kann daher z.B. bereits der wichtige Bereich der Banden- und Trikotwerbung bei Sportsendungen aus dem Bereich der möglichen Unzulässigkeit ausgeschlossen werden, sofern nicht für eine bestimmte Kamerafiihrung von den Herstellern bezahlt wird oder aber die Kameraführung (auch ohne Bezahlung) die Banden- oder Trikotwerbung ständig in auffälliger Weise zeigt, ohne daß dies sportjournalistisch geboten wäre. Eng verknüpft mit dem Problem der Wettbewerbsförderungsabsicht ist nun die für die Verbraucher eigentlich relevante Frage einer Verbrauchertäuschung über den Werbecharakter der Produktplazierungen: Um überhaupt die Werbebehauptungen angemessen einordnen zu können und ihnen den richtigen Stellenwert zuzuweisen, ist es für die Verbraucher unerläßlich, eine Werbebotschaft überhaupt als solche erkennen zu können. 55o Ist dies nicht der Fall, werden die Verbraucher bereits dadurch in ihrer freien Willensentschließung beeinträchtigt. Nun ist dem fernsehenden Verbraucher die Trennung von Werbe- und Programmteil altvertraut. Er geht daher davon aus, daß die im Werbeteil gesendeten Spots selbstverständlich keine Äußerungen des Senders, sondern werbliche Aussagen der Hersteller der beworbenen Produkte sind. Andererseits vertraut er darauf, daß der Programmteil frei von Werbung ist; aus langer Erfahrung weiß er nämlich, daß selbst bei Unterhaltungssendungen, bei denen Zuschauer mitwirken, strikt darauf geachtet wird, daß diese nicht etwa durch Nennung ihrer Arbeitgeber Werbung treiben. 551 Der fernsehende Verbraucher erwartet daher im Programmteil keine Werbung, sondern geht davon aus, daß die gezeigten oder genannten Produkte aus dramaturgischen oder journalistischen Gründen in die Sendung integriert sind. 552 Gerade eben weil nun die Verbraucher wissen, daß bei zeitgenössischen künstlerischen Darstellungen auch zeitgenössische Requisiten erforderlich sind, gehen sie davon aus, daß diese Requisiten aus künstlerischen Gründen gebraucht werden - nicht aber deshalb, weil hierdurch für den betreffenden Artikel geworben werden soll. Wenn beispielsweise ein bestimmter Krimiheld einen Ferrari fährt, ruft dies bei den Zuschauern die Vorstellung hervor, daß Ferrari das richtige Auto für diesen "Typ" ist553 , der Ferrari also aus künstlerischen Gründen als Requisite verwendet wird; die Zuschauer gehen hingegen nicht davon aus, daß der Krimiheld einen Ferrari fährt, weil der betreffende Hersteller (das meiste) dafiir bezahlt hat, diese Darstellung also eine werbliche

''0 Vgl. oben, Teil 1,4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur".

AfP 1987,637 ff., 639. tr., 3202 f.; Baurnbach-Heferrnehl, § 1, Rz. 44; Bork, GRUR 1988,264 ff., 271 f.; Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 7; Dörfler, S. 112 ff. m Vgl. Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 7. m LG Stuttgart,

m BGH NJW 3199

10. Kapitel: Product Placement und Sponsoring

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Aussage ist. Die Verbraucher werden also über den werblichen Charakter dieser Produktplazierung getäuscht. Wird also eine Produktplazierung in Wettbewerbsabsicht vorgenommen, stellt sie eine Verbrauchertäuschung über ihren werblichen Charakter dar554 . Durch die Täuschung wird die freie Willensentschließung der Verbraucher beeinträchtigt; die in Wettbewerbsförderungsabsicht vorgenommene Produktplazierung ist daher sittenwidrig gern. § 1 UWG. Zwar geht Sack55s davon aus, daß in dieser Verbrauchertäuschung keine wettbewerbsrechtlich relevante Irreführung liege, da sich am Kaufverhalten der Zuschauer auch bei Kenntnis des werblichen Charakters der Produktplazierung wegen eines gleichbleibenden Ausmaßes der Anlockwirkung nichts ändern würde. Zum einen spricht jedoch bereits die Tatsache, daß 1985 15-20 Millionen DM, 1986 50-80 Millionen DM für Product Placement in Deutschland gezahlt wurde556 entschieden gegen diese These: Die Industrie würde nicht derartige Summen investieren, wenn sie sich dadurch keine Veränderungen im Kaufverhalten der Verbraucher verspräche. 557 Zum anderen ist die Tarnung einer Werbemaßnahme, die somit den Umworbenen gar nicht als Werbung erkennbar wird, auch nach der h.M., die nicht auf das in dieser Untersuchung erarbeitete Kriterium der freien Willensentschließung des Verbrauchers zur Feststellung der Unzulässigkeit einer Werbung gegenüber dem Verbraucher abstellt, regelmäßig als wettbewerbswidrig anzusehen. 558 Da in der Verbrauchertäuschung über den Werbecharakter auch eine Irreführung gern. § 3 UWG liegtS59, ist die Produktplazierung auch nach dieser Vorschrift unzulässig. Für den privaten Rundfunk. ergibt sich hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung einer Produktplazierung als Verbrauchertäuschung über den Werbecharakter dieser Sendesequenz keine Abweichung gegenüber der Produktplazierung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

~,. Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 44; Bork, GRUR 1988, 264 ff., 271; Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33, 2 ff., 6 ff.; dies., GRUR Int. 1987,538 ff., 546; Sack, ZUM 1987, 103 ff., 120; B. Scherer, S. 151 ff.; Dörfler, S. 112 ff.; BGH NJW 1990,3199 ff., 3202 (; LG Stuttgart, AfP 1987,637 ff., 639. m ZUM 1987, 103 ff., 121 f.; ders., AfP 1991,704 ff., 713. ~~6 Bork, GRUR 1988,264 ( m Hauschka, DB 1988, 165 ff., 168. m Vgl. nur Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 27, 44; Hauschka, DB 1988, 165 ff., 168; Dörfler, S. 114( ~~9 Dies bejaht auch - trotz einiger Zweifel in BB 1983,605 ff., 607 - Henning-Bodewig, GRUR 1988,867 ff., 872.

Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

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b) Produktplazierung in Spielfilmen Für Spielfilme, also Filme, die in erster Linie für das Kino, nicht für das Fernsehen produziert werden, stellen sich die Probleme des Product Placement in recht ähnlicher Weise. Zunächst kann eine Wettbewerbsförderungsabsicht auch für die Hersteller des Films unter denselben Voraussetzungen wie oben dargelegt angenommen werden. 560 Den Inhabern der Kinos, die lediglich die betreffenden Filme zeigen, ohne zusätzlich einen besonderen wirtschaftlichen Vorteil daraus zu ziehen, fehlt jedoch regelmäßig die Wettbewerbsförderungsabsicht. 561 Im Mittelpunkt der Betrachtung steht nun auch hier die Frage, ob der Verbraucher durch die Produktplazierung über deren Werbecharakter getäuscht und damit in seiner freien Willensentschließung beeinträchtigt wird. Ohne Erörterung dieser die Verbraucher betreffenden Probleme wurde in den 50er Jahren die Produktplazierung in Spielfilmen generell überwiegend für zulässig erachtet. 562 Die heute im Zentrum der Diskussion stehenden Rechtsfragen werden jedoch in diesen Beiträgen nicht berücksichtigt. Eine Verbrauchertäuschung über den Werbecharakter der Produktplazierung kann in Spielfilmen lediglich dergestalt erfolgen, daß der Zuschauer über die künstlerische und dramaturgische Notwendigkeit der Produkteinblendung irregeführt wird. 563 Beim Spielfilm erwartet der Verbraucher traditionell ausschließlich Unterhaltung, keine Werbung. Ihm ist aus dem Gang der Kinovorführung bekannt, daß die Werbung sich vor Beginn des Hauptfilms in einem oder zwei speziellen Werbeblöcken befindet. Die Zuschauer haben deshalb auch die Vorstellung, daß der Spielfilm selbst nicht Werbezwecken dient. Wird daher für die Plazierung eines Produkts in einem Spielfilm ein Entgelt bezahlt, eine geldwerte Leistung versprochen oder ist die Produktplazierung unter künstlerischen oder dramaturgischen Gesichtspunkten nicht erforderlich (oder sind andere, oben bei der Produktplazierung im Fernsehen genannte Voraussetzungen erfüllt), so wird der Verbraucher über den Werbecharakter der Einblendung getäuscht und dadurch in seiner freien Willensentschließung hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung beeinträchtigt.564

360

'61

'62

Henning-Bodewig, ZUM 1988,263. Henning-Bodewig, ZUM 1988,263 f. Wilde, Ufita 25 (1958), 152 ff.; Spengler, Ufita 27 (1959), 169 ff.; Hartlieb, FuR 11I1958, 6

ff.; kritisch bereits damals Eisenfiihr, FuR 11I1958, 2 ff. '63 Sack, ZUM 1987, 103 ff., 121; Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 7; dies., ZUM 1988,263 ff., 269. '64 Etwas großzügiger, grundsätzlich aber ebenso OLG München, WRP 1993,420 ff.; Ullrnann, FS Traub, S. 411 ff., 418.

10. Kapitel: Product Placement und Sponsoring

199

Selbst wenn die Verwendung eines Markenartikels als Requisite im Drehbuch bereits vorgesehen war, bevor eine Bezahlung durch den betreffenden Markenartikelhersteller versprochen oder gewährt wurde, muß von einer solchen Täuschung ausgegangen werden56s ; der Filmproduzent macht sich nämlich durch die Annahme eines Entgelts zum bezahlten Vollzieher fremder Werbeinteressen, gleichgültig, ob das betreffende Produkt vor oder nach der Bezahlung in das Drehbuch aufgenommen wurde. Wenn demgegenüber bei "nachträglicher" Bezahlung die Täuschung verneint, eine "übermäßige unsachliche Beeinflussung" hingegen wegen fehlender kognitiver Kontrollmöglichkeit des Zuschauers bejaht wird566 , ist dies inkonsequent; die fehlende kognitive Kontrollmöglichkeit ist nämlich gerade die zwangsläufige Folge der Täuschung des Zuschauers über den Werbecharakter. Bei jeder Form der Täuschung über den Werbecharakter einer Produktplazierung muß auch die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers durch Verhinderung einer kognitiven Kontrolle in Betracht gezogen werden. 567 Bei einer als solche erkennbaren Werbung hat nämlich der Verbraucher die Möglichkeit, sich dieser ganz bewußt vollständig zu entziehen oder ihr zumindest kritisch und reserviert gegenüberzustehen ("kognitive Kontrolle"). Ist nun aber eine Werbung nicht als solche erkennbar, entfallen nicht nur diese beiden Möglichkeiten; die unkritische (weil nicht kognitive) Aufnalune von Werbung bewirkt eine (vom Werbenden gezielt angestrebte) unbefangene Identifikation von Produkt und Filmszene. 568 Zwar stellt die Auslösung eines solchen Identifikationsprozesses noch keine subliminale Werbung dar. Es fragt sich jedoch, ob eine solche Verbraucherbeeinflussung bereits eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung darstellt oder ob sich diese Form der Beeinflussung noch in den Grenzen des Zulässigen bewegt. Sofern eine kognitive Kontrolle hinsichtlich der einmal ausgelösten, unbefangenen Identifikation auch nachträglich nicht mehr möglich ist, wird man von einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung zumindest hinsichtlich eines generellen Konsumbedürfnisses, häufig jedoch auch hinsichtlich einer konkreten Kaufentscheidung ausgehen müssen. Ob dies jedoch der Fall ist oder ob nicht vielmehr eine solche kognitive Kontrollmöglichkeit auch nachträglich noch besteht, ist mit juristischen Kriterien nicht zu beantworten. Die Klärung dieser faktischen Voraussetzung muß daher der psychologischen Wissenschaft überlassen werden.

m AA Henning-Bodewig, ZUM 1988,263 ff., 270. 566 567 568

Henning-Bodewig, ZUM 1988,263 ff., 272. Henning-Bodewig, GRUR Int. 1987,538 ff., 546 f.; dies., ZUM 1988,263 ff., 271. Henning-Bodewig, GRUR Int. 1987,538 ff., 546 f.; dies., ZUM 1988,263 ff., 271.

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11. Teil: Die Unzulässigk.eit der Werbung im Wettbewerbsrecht

11. Sponsoring 1. Einleitung

Verwandt mit dem Product Placement ist das Sponsoring. Das Sponsoring kann umfassend beschrieben werden als ein modemes Mäzenatentum hinsichtlich kultureller, künstlerischer, wissenschaftlicher, sportlicher oder sozial engagierter Aktivitäten zu Werbezwecken. 569 Sponsoring kann nun in recht verschiedenen Erscheinungsformen stattfinden. Grundsätzlich werden zwei Haupterscheinungsformen des Sponsorings unterschieden: Zum einen das sogenannte "Ereignissponsoring", zum anderen das sogenannte "Sendungssponsoring". Beim "Ereignissponsoring" (auch "passives Sponsoring" genannt)570 beschränkt sich der Sponsor auf die finanzielle oder geldwerte Unterstützung eines bestimmten, beispielsweise sportlichen Ereignisses, ohne auf dessen Organisation, Inhalt oder Durchführung Einfluß zu nehmen. 57l Beim "Sendungssponsoring" hingegen (auch "aktives Sponsoring" genannt)572 wird nicht die Durchführung eines Ereignisses gefördert, sondern die ÜbertraFg dieses Ereignisses in Fernsehen oder Rundfunk, also die Sendung selbst. 57 2. Die medienrechtliche Regelung

Die medienrechtliche Regelung definiert als Sponsoring ausschließlich das "Sendungssponsoring": "Sponsoring ist der Beitrag einer natürlichen oder juristischen Person oder einer Personenvereinigung, die an Rundfunktätigkeiten oder an der Produktion audiovisueller Werke nicht beteiligt ist, zur direkten oder indirekten Finanzierung einer Sendung, um den Namen, die Marke, das Erscheinungsbild der Person, ihre Tätigkeit oder ihre Leistungen zu fördern." (§ 7 Abs. 1 RfStV). Die Bestimmung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 3.10. 1989574 ist mit dieser Definition bis auf unwesentliche Unterschiede wörtlich identisch (Art. 1, Abschnitt d). Auch das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5.5.1989 575 kennt lediglich das Sendungssponsoring (Art. 17). Das Sendungssponsoring wird - unter bestimmten Voraussetzungen - für zulässig erachtet. Diese Voraussetzungen sind das Verbot einer Beeinflussung von Inhalt und Programmplatz der gesponserten Sendung (§ 7 Abs. 3 RfStV), j69 j70

m m m m m

Vgl. auch Henning-Bodewig, AfP 1991,487 ff. Henning-Bodewig, AfP 1991,487 ff., 488; Federhoff-Rink, GRUR 1992,643 ff., 644. Federhoff-Rink, GRUR 1992, 643 ff., 644 f. Henning-Bodewig, AfP 1991,487 ff., 488; Federhoff-Rink, GRUR 1992,643 ff., 645. Federhoff-Rink, GRUR 1992,643 ff., 645. Nr. 89/552, ABI. EG 1989, L 298, S. 23 ff.; sowie GRUR Int. 1990, 134 ff. GRUR Int. 1990,448 ff.

10. Kapitel: Pcoduct Placement und Sponsoring

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das Verbot von Anregungen zum Erwerb der Erzeugnisse oder zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen des Sponsors oder eines Dritten (§ 7 Abs. 4 RfStV), das Verbot, Nachrichtensendungen oder Sendungen zum politischen Zeitgeschehen zu sponsern (§ 7 Abs. 6 RfStV), das Verbot von Sponsortätigkeit durch Erzeuger von Produkten, für die Werbeverbote bestehen (§ 7 Abs. 5 RfStV), sowie die Verpflichtung, am Anfang und am Ende der gesponserten Sendung auf den Sponsor in vertretbarer Kürze deutlich hinzuweisen (§ 7 Abs. 2 RfStV). Auch hier sind die nationalen deutschen medienrechtlichen Vorschriften mit der europäischen Regelung kongruent: Gleichfalls statuiert nämlich die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 3.10.1989 in Art. 17 unter den oben genannten Voraussetzungen die Zulässigkeit des Sendungssponsoring, ebenso das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5.5.1989 in Art. 17 und 18. 3. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung Unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten problematisch ist nun der Aspekt einer Einblendung des Namens und/oder Emblems des Sponsors im Vor- und Nachspann einer Sendung: Es stellt sich - ebenso wie bei der Produktplazierung - die Frage nach einer eventuellen Verbrauchertäuschung über den möglicherweise werblichen Charakter der Einblendung eines solchen Widmungshinweises. Auch hier ist zwischen Ereignissponsoring und Sendungssponsoring zu differenzieren. Beim Ereignissponsoring ist als wesentlicher Gesichtspunkt zu berücksichtigen, daß ausschließlich der Sender selbst entscheidet, ob, und wenn ja, wann, wie und mit welcher Kommentierung er das gesponserte Ereignis überträgl. 576 Der Sponsor hat also mit der Sendung selbst nichts zu tun; an dieser ist ausschließlich die Redaktion des betreffenden Senders beteiligt.577 Daher besteht hier keine - noch nicht einmal eine abstrakte - Gefahr, daß die redaktionelle Unabhängigkeit und die Neutralität der betreffenden Sendung beeinträchtigt werden könnten. 578 Der Hinweis auf den Sponsor ist daher nicht notwendig und hat somit zu unterbleiben; wird er aber noch ausgestrahlt, so führt er zur Verletzung des Gebots der Trennung zwischen redaktionellem Programm und Werbung. 579 Die Verbraucher, die im redaktionellen Programm keine Werbung erwarten, werden damit über den werblichen Charakter dieses Widmungshinweises getäuscht. 580 In den Fällen, in denen ein Widmungshinweis "" BGH JZ 1992,874 ff., 875. m Fedechoff-Rink., GRUR 1992, 643 ff., 644 f l78 BGH JZ 1992,874 ff., 875; Bock, JZ 1992, 876. l79 BGH JZ 1992, 874 ff., 875; Bock, JZ 1992,876; Fedechoff-Rink, GRUR 1992, 643 ff., 645; Sack, AfP 1991, 704 ff., 711. l80 Federhoff-Rink., GRUR 1992,643 ff., 645; Bock, JZ 1992,876.

202

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

gesendet wird, obwohl nur Ereignissponsoring vorliegt, wird daher der Verbraucher in seiner freien Willensentschließung hinsichtlich der Kenntnisnalune von Werbung beeinträchtigt. Innerhalb des Sendungssponsorings unterscheidet man zunächst zwischen dem sogenannten gestalteten Sponsoring (hier besteht zwischen dem Inhalt der gesponserten Sendung und den wirtschaftlichen Interessen des Sponsors ein direkter Zusammenhang) und dem ungestalteten Sponsoring (dieser direkte Zusammenhang besteht nicht)581 ; als Beispiel seien einerseits die Förderung einer Sendung über "Freud und Leid des Autofahrers" durch BMW und andererseits einer Sendung über "Aquarien-Zierfische" durch Daimler-Benz genannt. Daß die gestaltete Sponsorwerbung unter den oben dargelegten Gesichtspunkten eine Verbrauchertäuschung darstellt, liegt auf der Hand: Durch den Einfluß, den der Sponsor durch seine Förderung auf den Inhalt der betreffenden Sendung gewinnt, welche regelmäßig dadurch zu einer Art "Selbstdarstellung" des Sponsors zu geraten droht, wird der Zuschauer über den werblichen Charakter der Sendung irregeführt. 582 Problematischer verhält es sich hingegen bei dem ungestalteten Sendungssponsoring. Da ein Einfluß des Sponsors auf die Gestaltung des Programms hier nicht gegeben ist, scheidet insoweit auch eine Verbrauchertäuschung über einen etwaigen Werbecharakter, wie sie demgegenüber bei dem gestalteten Sendungssponsoring gegeben ist, aus. 583 Die Frage ist nun aber, ob nicht der Widmungshinweis im Vor- und Abspann der gesponserten Sendung gegen das Trennungsverbot zwischen redaktionellem Programm und Werbung verstößt. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß bereits mit dem finanziellen Beitrag des Sponsors zu der betreffenden Sendung nicht mehr ausschließlich die Redaktion des Senders an dieser beteiligt ist - auch der Sponsor ist durch die teilweise oder sogar vollständige Finanzierung der Sendung daran beteiligt. Mit der finanziellen Beteiligung an der Sendung entsteht eine - zumindest abstrakte Gefahr für die redaktionelle Unabhängigkeit und Neutralität der geförderten Sendung. 584 Für denjenigen, der eine Sendung teilweise oder sogar vollständig finanziert, entsteht nämlich leicht die Versuchung, den Inhalt der Sendung zu beeinflussen, und der Empfänger der finanziellen Förderung kann gleichfalls versucht sein, dem Ansinnen des großzügigen Sponsors im eigenen wirtschaftlichen Interesse (wenigstens in gewissem Maße) entgegenzukommen. 585 Denkbar ist beispielsweise, daß ein Sponsor, der Kraftwagen herstellt, leicht versucht ist, darauf hinzuwirken, daß in einem Fernsehfilm nicht ausgerechnet die

'.1

Sack, ZUM 1987, \03 ff., \07; Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33, 2 ff., 8 f.

'"' Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33,2 ff., 8 f.; zu Unrecht großzügiger Reidt, AfP 1990, 101 ff., 104, der nur bei einern urunittelbaren wirtschaftlichen Interesse einen werblichen Charakter annimmt. m Henning-Bodewig, BB 1986, Beil. 18 zu Heft 33, 2 ff., 9. '84 BGH JZ 1992,874 ff., 875; Bork, JZ 1992, 876. ,., BGH JZ 1992, 874 ff., 875.

10. Kapitel: Product Placement und Sponsoring

203

Antagonisten (z.B. Drogenhändler), sondern wenn möglich die Protagonisten (z.B. die Kriminalbeamten) in einem Pkw seiner Marke auftreten. Zwar ist eine derartige Einflußnahme medienrechtlich gern. § 7 Abs. 3 und 4 RfStV verboten. Um aber auch ein - immer verbleibendes - Restrisiko auszuschließen, ist es im Interesse der Zuschauer geboten, über die Tatsache der Förderung dieser Sendung durch einen Dritten aufzuklären586 und sie so darüber zu informieren, daß an dieser Sendung nicht ausschließlich - wie sonst üblich die Redaktion des betreffenden Senders beteiligt war. Der Sponsorhinweis verstößt also in den Fällen des Sendungssponsoring nicht gegen den Grundsatz der Trennung von redaktionellem Programm und Werbung, sondern ist vielmehr aus den oben aufgezeigten GesichtspurIkten im Zuschauerinteresse notwendig. 587 Eine Verbrauchertäuschung kann daher hier nicht angenommen werden, weder über den werblichen Charakter der Sendung - denn falls hier tatsächlich eine Einflußnahme des Sponsors stattgefunden haben sollte, sind die Zuschauer durch den klarstellenden Hinweis im Vor- und Abspann "gewarnt"; noch kann eine Verbrauchertäuschung über den werblichen Charakter in der Einblendung des Sponsorhinweises liegen - denn dieser ist ja aus den oben dargelegten Gründen gerade eben zur "Warnung" der Verbraucher notwendig. Allerdings darf der Sponsorhinweis selbst nicht - über den bloßen objektiven Hinweis hinausgehende - werbliche Züge annehmen: Wird nämlich die Sponsornennung in blickfangartiger Weise und länger als erforderlich eingeblendet, wird dadurch eine vermeidbare werbliche Wirkung erzielt588 und der Verbraucher insoweit getäuscht. Gleiches gilt dann, wenn die Ausstrahlung des Sponsorhinweises länger dauert als die gesponserte Sendung selbst, was beispielsweise beim Sponsern von Verkehrshinweisen, von Wettberichten oder gar bei der Zeitansage häufig der Fall sein wird: Hier rückt nämlich der Sponsorhinweis vollständig in den Vordergrund und gerät so zu einem reinen Werbespot589 ; er geht nämlich weit über das hinaus, was im Zuschauerinteresse an objektiver Information über die Beteiligung eines außerhalb der Redaktion stehenden Dritten an der betreffenden Sendung notwendig ist. Da hier der Sponsorhinweis in Wirklichkeit also ein Werbespot ist, stellt dieser - als Sponsorhinweis "verpackt" - eine Verbrauchertäuschung und damit eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers über die Kenntnisnahme von Werbung dar.

~86 BGH JZ 1992, 874 ff., 875; Bork, JZ 1992, 876. ~87 BGH JZ 1992,874 ff., 875; Bork, JZ 1992,876. 588

KG GRUR 1988,40 f.; LG FrankfiIlVM., ZUM 1988, 302 ff., 303.

~89 Henning-Bodewig, AfP 1991,478 ff., 493; Sack, AfP 1991,704 ff., 711.

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

204

11. Kapitel: Suggestivwerbung I. Einleitung Als Suggestivwerbung wird eine Werbung bezeichnet, die mit Einsatz emotionaler Werbemittel das Irrationale im Verbraucher anzusprechen, ihn zu nicht rational begründetem Konsumverhalten zu verleiten versucht. 590 Die beiden Elemente "emotional" und "irrational" sind dabei kennzeichnend für diese Werbeform. Die Suggestivwerbung wird deshalb auch bisweilen in Gegensatz gesetzt zu einer informativen Werbung, die das rationale Element beim Verbraucher anzusprechen versuche. 591 Tatsächlich lassen sich jedoch beide Elemente der Werbung nicht trennen. 592 Auch eine informative Werbung enthält regelmäßig emotionale Elemente - eine rein informative Werbung, die sich lediglich auf sachliche Produktbeschreibung und Preisangabe beschränkt, existiert heute vor allem noch im Investitionsgüterbereich, also in der Werbung gegenüber Fachleuten593 ; hingegen enthält jede auch noch so emotional gestaltete Werbung notwendigerweise auch informative Elemente, und sei es nur die Information über die Existenz und den Namen des Produkts. Durch öffentliche Diskussion in Rundfunk und Presse, nicht zuletzt durch das in den 60er Jahren auch in Deutschland vielbeachtete Werk von Vance Packard594 , sind die häufigsten, regelmäßig tiefenpsychologisch fundierten Strategien dieser Werbeform bekannt geworden: der Aufbau eines Markenimages zur Differenzierung homogener Produktgruppen595 ; die Leitbildwerbung zur Auslösung von Identifikationsprozessen596 ; die Verheißung sozialen (häufig auch sexuellen) Erfolges bei Befolgung des Kaufappells, desgleichen die Androhung sozialer Sanktionen bei Nichtbefolgung, die Stilisierung einer "psychologischen Schrottreife" und einer "planmäßigen Überalterung" der erst kurz zuvor erworbenen Ware durch deren Hersteller597 . Diese Strategien sind

590 Loewenheim, GRUR 1975, 99; Droste, DB 1966, 1121; Hoppmann, WuW 1983, 776; Kantzenbadl, WuW 1984, 297ff., 298; Baudenbacher, S. 88; Baumbach-Hefennehl, § I, Rz. 192; ReichffonnerlWegener, S. 104f 591 Kantzenbach, WuW 1984,297. 592 So i.E. auch Kantzenbach, WuW 1984, 297 ff., 298; Baumbach-Hefermehl, § I, Rz. 192; Loewenheim, GRUR 1975,99 ff., 101; Droste, DB 1966, 1121; Mähling, MA 1984, 168 ff., 174; ReichffonnerlWegener, S. 106; Menke, GRUR 1993,718 ff. 593 Vgl. Loewenheim, GRUR 1975, 99.

Die geheimen Verfiihrer, Dt. Ausgabe 1965. MeUerowicz, MA 1963, 83 ff., 84. 596 Henning-Bodewig, BB 1983,605 f.; dies., GRUR 1982,202. 591 Eingehend insgesamt zu den Strategien der Suggestivwerbung Baudenbacher, S. 56 ff., 78 ff.; vgl. auch ReichffonnerlWegener, S. 104 f. 594

595

11. Kapitel: Suggestivwerbung

205

häufig miteinander kombiniert (z.B. Leitbildwerbung zwecks Aufbau eines Markenimages).

n. Rechtsprechung und Literatur Die Zulässigkeit der Suggestivwerbung wird in der Literatur äußerst unterschiedlich beurteilt. Regelmäßig wird hierbei die Bewertung der Zulässigkeit abhängig gemacht von dem Grad der angenommenen Beeinflussung des Verbrauchers. Zum einen wird die Suggestivwerbung in toto für zulässig erachtet, da eine Beeinflussung der Willensbildung durch Bedürfnisschaffung in der Praxis kaum durchführbar sei. 598 Nur sehr unbestimmt und vage wird teilweise zur Beeinflussung Stellung genommen und die Unzulässigkeit der Suggestivwerbung hauptsächlich auf Fälle gesundheitsgefährdender Irreführung beschränkt. 599 Stark differenzierend hingegen auch für die Fälle, in denen keine Irreführung gegeben ist, sind andere Äußerungen. 6oo Einerseits werden dabei die für den pychologischen Laien häufig undurchschaubaren Zusammenhänge der (tiefen-)psychologischen Wirkung der Suggestivwerbung in Zweifelsfällen zur Klärung an einen psychologischen Gutachter verwiesen. 601 Andererseits werden weite Teile der Suggestivwerbung insbesondere wegen irreführender Wirkung, aber auch wegen einer Gleichsetzung mit der Sachlage beim "psychologischen Kaufzwang" für unzulässig erklärt.602 Eine weitere Ansicht kommt zu einer Unzulässigkeit in weiten Bereichen, da sie den Grad der Beeinflussung durch diese Werbeform für sehr hoch hält. 603 Thiedig schließlich plädiert für die generelle Unzulässigkeit einer Werbung, die auf den Zusatznutzen des beworbenen Produkts abhebt. 604 Die Rechtsprechung hat sich aus dieser ganzen Problemdiskussion weitgehend herausgehalten; die wenigen Entscheidungen, die zum Problemkreis der Suggestivwerbung vorliegen, betreffen meistens Fälle der Irreführung. 605 Lediglich ein Sachverhalt warf die Frage einer Beeinflussung durch tiefenpsychologische Strategien auf, der denn auch prompt von erster und zweiter Instanz unterschiedlich beurteilt wurde. 606 ~98 Bülow, WRP 1971, 299 ff., 300 f ~99 Baumbach-Hefermehl, § 1, Rz. 192. 600 601 602 603 604

Baudenbacher, S. 162 ff.; Henning-Bodewig, BB 1983,605 ff., 610. Henning-Bodewig, BB 1983,605 ff., 610. Baudenbacher, S. 162 ff. Loewenheim, GRUR 1975,99 ff. S. 27 ff., 29.

60~ OLG Frankfurt/M., WRP 1982,91 f; KG WRP 1981, 146 ff.; auch OLG Düsseldorf, GRUR

1965, 470 ff. 606 OVG MÜnsler, DÖV 1958,824 f; BVerwG, NJW 1959, 1194 f

206

H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

IIL Eigene Beurteilung Um die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Suggestivwerbung beantworten zu können, ist in der Tat der Grad der Einwirkung relevant, der auf die freie Wilensentschließung des Verbrauchers ausgeübt wird. Wie generell bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Werbung gegenüber dem Verbraucher kommt es auch hier entscheidend auf die genaue und dogmatisch saubere Grenzziehung hinsichtlich dieser Einflußnahme an. Daß die Willensfreiheit des Verbrauchers, die insoweit Voraussetzung für jede rechtliche Beurteilung ist, grundsätzlich bei jedem gesunden erwachsenen Menschen besteht, ist heute gefestigter Erkenntnisstand. 607 J. Generelle Abgrenzungskriterien

Die Willensfreiheit des Verbrauchers ist nun aber häufigen und vielfaItigen Beeinflussungsversuchen ausgesetzt; diese Beeinflussungsversuche kommen keinesfalls ausschließlich von seiten der Marktgegner des Verbrauchers, also von seiten der Produktanbieter, sondern durchaus auch aus dem privaten, beruflichen, sozialen Umfeld etc. Dabei sind die Einwirkungen auf die freie Willensentschließung des Verbrauchers häufig schwerwiegend. Man denke beispielsweise an die bekannte Szene eines schreienden Kindes im Supermarkt, welches unbedingt von seiner Mutter ein bestimmtes Spielzeug gekauft haben möchte sowie die dadurch ausgelöste nervliche Belastung dieser Verbraucherin und die wiederum hierdurch bedingte starke Einwirkung auf ihre freie Willensentschließung hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung; man denke des weiteren an die sozialen Sanktionen, die ein Verbraucher innerhalb seines Bekannten- und Freundeskreises erfährt, wenn er sich in seinem Konsumverhalten nicht gruppenkonform (z.B. hinsichtlich der Kleidung) verhält. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Es wird jedoch in unserer Wettbewerbsordnung von dem Verbraucher gefordert, sich mit den verschiedenen Versuchen, auf seine Willensbildung einzuwirken, auseinanderzusetzen. Hierbei ist gleichgültig, ob die Einwirkungsversuche vom Produktanbieter kommen oder aus einem anderen Bereich. Würde nämlich vom Verbraucher eine solche Auseinandersetzung nicht gefordert, wäre es ihm unmöglich, die ihm in unserem Wettbewerbssystem zukommende Aufgabe eines "Schiedsrichters" gegenüber den verschiedenen Produktanbietern wahrzunehmen. 608 Es liegt jedoch auf der Hand, daß nicht jedwede Einwirkung auf den Willen des Verbrauchers zulässig sein kann. Daher stellt sich die Frage, wo die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger werblicher Einwirkung auf den freien 607 608

Vgl. hierzu ausfiihrlich oben, Teil I, 2. Kapitel "Verbraucher", Abschnitt 111. Vgl. oben, Teil I, 2. Kapitel "Verbraucher".

11. Kapitel: Suggestivwerbung

207

Willen des Verbrauchers auch in den Fällen der Suggestivwerbung zu ziehen ist. Die Rechtsprechung, ihr folgend die Literatur, zieht diese Grenze in den Fällen der Suggestivwerbung, die nicht irreführende Werbung betreffen, bei einer "grob unsachlichen Beeinflussung,,609 . Zwar taucht der Begriff der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers auf; eine dogmatische Klärung und systematisch konsequente Anwendung dieses Abgrenzungskriteriums unterbleibt jedoch. Statt dessen wird der Begriff von der Rechtsprechung und weiten Teilen der Literatur als Leerformel verwendet, um sich sofort anschließend wieder der Kasuistik zuzuwenden. 610 Aber auch der Begriff der "groben Unsachlichkeit" der Beeinflussung ist kein tragfahiges Abgrenzungskriterium611 ; wann nämlich soll eine noch nicht grob unsachliche, wann eine schon grob unsachliche Beeinflussung vorliegen? Die Rechtsprechung kann zur Beantwortung dieser Frage wiederum nur auf die von ihr entwickelte Kasuistik verweisen. Der Begriff der "grob unsachlichen" Beeinflussung ist daher als dogmatisches Abgrenzungskriterium untauglich. 612 Eine dogmatisch saubere Grenzziehung kann daher nicht in Nuancierungen einer stärkeren oder geringeren "Grobheit" der Beeinflussung der Willensfreiheit des Verbrauchers bestehen; eine Beeinflussung des Verbrauchers an sich ist der Werbung ja wesenseigen. 6J3 Um eine Einwirkung auf den Willen des Verbrauchers auch in den Fällen der Suggestivwerbung als unzulässig zu qualifizieren, ist vielmehr eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung erforderlich. 614 Daß sich dieser Begriff nicht nur quantitativ, sondern qualitativ von dem Begriff der bloßen Beeinflussung unterscheiden muß, liegt nach dem oben Gesagten auf der Hand. Wann eine solche Beeinträchtigung jedoch vorliegen soll, wird in der Literatur auch für den Bereich der Suggestivwerbung unterschiedlich beurteilt. So wird zum einen für eine Beeinträchtigung des freien Willens verlangt, daß die freie Entscheidung behindert oder unmöglich gemacht wird615 ; prinzipiell richtet sich diese Ansicht jedoch nach dem Ausmaß der Beeinflussung und nimmt zur Ausfüllung dieses Abgrenzungskriteriums sogleich wieder Zuflucht zu der von der Rechtsprechung enrnickelten Kasuistik. 616 Das hier Vgl. Baumbach-Hefennehl, vor § 3, Rz. 6. Exemplarisch Baumbach-Hefennehl, § 1, Rz. 4. 611 Vgl. oben, Teil 1,3. Kapitel "Die freie Will~J1Sentschließung des Verbrauchers in der Rechtsprechung". 612 AusfiIhrlieh hierzu vgl. oben, Teil I, 3. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrau609 610

chers in der Rechtsprechung". 613 V gl. oben, Teil I, 1. Kapitel "Werbung". 614 Vgl. oben, Teil I, 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". m Meyer-Cording, JZ 1964,310 ff., 313. 616 Meyer-Cording, JZ 1964, 310 ff., 313 f.

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Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

zur Definition der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung verwendete Kriterium der "Behinderung" oder des "Unmöglich-Machens" einer freien Entschließung ist auch wesentlich zu weit gefaßt; jede werbliche Beeinflussung stellt nämlich zugleich eine - wenn auch graduell verschiedene und vom Umworbenen unterschiedlich leicht oder schwer zu überwindende - Behinderung seines freien Willens dar. Die Behinderung der freien Willensbildung ist daher jeder werblichen Beeinflussung immanent. Diese Definition der Beeinträchtigung der freien Willensbildung ist im Ergebnis auch nichts anderes als die Wiederholung der Leerformel der Rechtsprechung mit anderen Worten. 617 Ein weiteres Abgrenzungskriterium speziell für den hier behandelten Bereich der Suggestivwerbung beurteilt die Zulässigkeit der Werbemaßnahme danach, ob der Umworbene erkennen könne, daß es sich um eine Werbung handele und er infolgedessen eine eigene Entscheidung treffen könne. 618 Diese Grenzziehung ist jedoch nicht nur für den Bereich der Suggestivwerbung, sondern für den gesamten Bereich der Werbung wesentlich zu eng; sie erfaßt nämlich für den Bereich der Suggestivwerbung nur die Fälle der sogenannten subliminalen Werbung. 619 Auf den gesamten Bereich der Werbung angewandt würde diese Abgrenzung zu dem Ergebnis führen, daß sämtliche Werbernaßnahmen, die nicht gerade eine Täuschung über ihren werblichen Charakter darstellen, samt und sonders als zulässig anzusehen seien, was aber ganz offentlich nicht der einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur entspricht. Eine weitere Ansicht bezieht sich zwar wiederum nur auf den konkreten Bereich der Suggestivwerbung, kann jedoch - mit einigen auf die Problematik der grundsätzlichen Zulässigkeit einer Werbung gegenüber dem Verbraucher zugeschnittenen Modifikationen - für den gesamten Bereich der Werbung zur Ausfüllung und Konkretisierung des Begriffs der Beeinträchtigung der Willensfreiheit angewandt werden. 620 Es wird hierbei darauf abgestellt, ob sich der Adressat von der werblichen Beeinflussung nicht mehr distanzieren könne, ihren Stellenwert im Motivationsprozeß nicht mehr beurteilen und Gegenkräfte nicht mehr mobilisieren könne; mit anderen Worten ist entscheidend die Beherrschbarkeit der Beeinflussung. 621 Das kann als Grundlage für einen tragfähigen Maßstab zur Abgrenzung von (zulässiger) Beeinflussung und (nicht zulässiger) Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers auch für den Bereich der Suggestivwerbung dienen: Da eine Beeinflussung der 611 618 619 620 621

Vgl. oben, Teil I, 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". Baumbach-Heferrnehl, § 1, Rz. 192. Ebenso Loewenheirn, GRUR 1975,99 ff., 107, Fn. 96. Vgl. oben, Teil 1,4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". Loewenheirn, GRUR 1975, 99 ff., 108; Henning-Bodewig, BB 1983, 605 ff., 610;

Reichffonner/Wegener, S. 108 f; Freund, S. 97.

11. Kapitel: Suggestivwerbung

209

freien Willensbildung jeder Werbemaßnahme immanent ist, kommt es darauf an, ob der Verbraucher noch die Möglichkeit hat, seinen Willen anders zu bilden oder zu entschließen, als dies durch die werbliche Einwirkung auf seinen Willen angestrebt wird. Kann der Verbraucher daher nicht mehr seine konkrete Kaufentscheidung (bzw. ein generelles Konsumbedürfnis oder seine Entscheidung, sich mit der Werbung zu befassen) anders treffen, als dies durch die Werbung verlangt wird, ist seine freie Willensentschließung beeinträchtigt.622 Für die Möglichkeit des Verbrauchers, seinen Willen anders zu bilden, als dies von der betreffenden Werbung verlangt wird, ist zum einen notwendige Voraussetzung, daß der werbliche Einwirkungsversuch vom Verbraucher auch als solcher erkannt werden kann (kognitive Kontrolle)623 - und selbstverständlich auch ihm die Entscheidung darüber belassen wird, ob er von dieser Werbung Kenntnis nehmen oder von ihr unbehelligt bleiben will. Zum anderen ist notwendige Voraussetzung, daß er gegen diesen erkannten werblichen Einwirkungsversuch auf seine Willensfreiheit Gegenkräfte mobilisieren kann (voluntative Kontrolle).624 Ist also für den Verbraucher eine Werbemaßnahme entweder nicht erkennbar oder aber bei Erkennbarkeit nicht durch die Anspannung entsprechender Gegenkräfte beherrschbar, so ist die Werbung unzulässig, da sie die Willensfreiheit des Verbrauchers beeinträchtigt.625 2. Beurteilung der Suggestivwerbung a) Subliminale Werbung Auf die Suggestivwerbung angewandt bedeutet dies, daß zunächst der Sonderfall der subliminalen Werbung - und zwar ungeachtet seiner Wirkungsweise - als unzulässig anzusehen ist. 626 Unter subliminaler Werbung wird regelmäßig eine Werbung verstanden, die vom Umworbenen nicht mehr bewußt wahrzunehmen ist; berühmtestes Beispiel ist die von Vance Packard beschriebene "Eiscreme-Werbung" im Kino, deren Einblendung so kurzzeitig (lediglich für

622 623

Vgl. oben, Teil 1,4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". Loewenheim, GRUR 1975, 99 ff., 108; Henning-Bodewig, BB 1983, 605 ff., 610; Freund,

S.97. 624

Loewenheim, GRUR 1975, 99 ff., 108; Henning-Bodewig, BB 1983,605 ff., 610; Freund, S.

97.

m Vgl. oben, Teil I, 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". Ganz herrschende Meinung, vgI. nur Baumbach-HefermehI, § I, Rz. 193; a.A Kresse, WRP 1988, 575 ff., 578; auf die Widersprilchlichkeit in der Befiirwortung einer Zulässigk.eit der sublimina626

len Werbung weist jedoch zutreffend Sack, AfP 1991,704 ff., 714 hin; hierzu sogleich. 14 Scherer

210

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Sekundenbruchteile) erfolgte, daß sie von den Zuschauern nur optisch, nicht aber bewußt zu erkennen war. 627 Da bei dieser Werbeform bereits das bewußte Erkennen der Werbemaßnahme für den Verbraucher nicht möglich ist, stellt sie schon aus diesem Grund eine Beeinträchtigung der Willensfreiheit des Verbrauchers dar, und zwar hinsichtlich seiner Entscheidungsfreiheit, überhaupt mit einer Werbung konfrontiert zu werden oder sich dieser Werbung zu entziehen. 628 Ob darüber hinaus auch eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung zumindest hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses, möglicherweise sogar hinsichtlich einer konkreten Kaufentscheidung vorliegt, ist aufgrund des heutigen Forschungsstandes eher zu verneinen; die in dem von Packard zitierten Zeitungsbericht behaupteten Ergebnisse (sprunghafte Umsatzsteigerung aufgrund von subliminaler Werbung)629 konnten nämlich bis heute nicht bestätigt werden. Im Gegenteil scheinen die neueren Forschungsergebnisse eher auf eine Untauglichkeit der subliminalen Werbung zur Steuerung des Verbraucherverhaltens hinzudeuten. 630 Aus diesem Grund wurde vereinzelt die subliminale Werbung als "Scheinphänomen" bezeichnet und daher ihre Zulässigkeit angenommen. 631 Da es sich bei der subliminalen Werbung um eine nicht bewußt wahrnehmbare Werbung handele, von der überhaupt noch nicht geklärt sei, ob sie einen Werbeeffekt auslösen könne, sei die Gewährung "präventiven Rechtsschutzes" gegenüber einer solchen Werbeform nicht akzeptabel. 632 Eine solche Argumentation ist jedoch widersprüchlich. Zum einen kann aus der Tatsache einer fehlendenden bewußten Wahrnehmung dieser Werbung nicht gefolgert werden, daß überhaupt keine Wahrnehmung stattfindet; diese vollzieht sich vielmehr unbewußt - die Werbebotschaft wird hierbei vom Verbraucher zwar optisch perzipiert, jedoch nicht apperzipiert. 633 Bereits hieraus folgt, daß dem Verbraucher eine kognitive Kontrolle dieser Aufnahme einer Werbebotschaft UlUllöglich ist und daher eine Beeinträchtigung seiner freien Willensentschließung vorliegt. Zum anderen ist die Postulierung einer Zulässigkeit dieser Werbeform wegen nicht nachgewiesenen Werbeeffekts unhaltbar: Wollte man die Unzuläs627 Packard, S. 35. Zu den - durch die fortschreitende Computertechnik - heute wesentlich erweiterten Anwendungsgebieten und Einsatzmöglichkeiten vgl. Rudolphi, in: Die Zeit v. 9.8.1991, S.24: "Programmierte Verfilhrung". 628 Ganz abgesehen davon, daß sich in einer solchen Werbemethode, die das Bewußtsein umgeht,

eine eklatante Mißachtung des Verbrauchers ausdrückt; GreifeIt, Int. Wettbewerb 1970, 1 ff., 4. 629 Packard, S. 35.

632

Eingehend zum Forschungsstand Baudenbacher, S. 89 ff. Kresse, WRP 1988, 575 ff., 578 f. Kresse, WRP 1988, 575 ff., 578 f.

633

Sack, AfP 1991,704 ff., 709.

630 631

11. Kapitel: Suggestivwerbung

211

sigkeit einer Werbung vom tatsächlichen Nachweis eines Werbeeffekts abhängig machen, so könnte wohl keine Werbung mehr als unzulässig beurteilt werden; vielmehr muß die Tatsache, daß der Werbende sich dieser Werbeform bedient, also die Tatsache der bloßen Existenz dieser Werbung ausreichen, um sie einer - möglicherweise negativen - juristischen Beurteilung unterziehen zu können. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Verteidigung der subliminalen Werbung einer gewissen Paradoxie nicht entbehrt: Ist nämlich tatsächlich kein Werbeeffekt bei der subliminalen Werbung gegeben, so fragt sich, weshalb eine - die Verbraucher derartig eklatant mißachtende und zum Objekt herabwürdigende - Werbung so engagiert verteidigt wird; ist hingegen ein Werbeeffekt tatsächlich gegeben, aber nicht nachweisbar, so würde mit der Zulässigkeit der subliminalen Werbung Tür und Tor geöffnet für eine Umgehung des Wettbewerbsrechts. 634 Eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung liegt demzufolge bei der subliminalen Werbung hinsichtlich der Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers über die Kenntnisnahme von Werbung vor. Subliminale Werbung ist aus diesem Grund unzulässig. Die medienrechtlichen Konsequenzen haben insoweit bereits übereinstimmend der Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31.8.1991 635 , die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 3.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit636 sowie das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 5.5.1989637 gezogen: Sie alle schreiben übereinstimmend das Verbot subliminaler Techniken in der Werbung vor (§ 6 Abs. 3 Satz 3 RfStV; Art. 10 Abs. 3 EG-Richtlinie; Art. 13 Abs. 2 EuFÜr). b) Erinnerungswerbung Daß auch die sogenannte "Erinnerungswerbung", welche dem Verbraucher lediglich den Produktnamen in Erinnerung ruft, dem Umworbenen keine Möglichkeit zum bewußten Erkennen der Werbemaßnahme lasse638 ist nicht zutreffend. 639 Die Annahme nämlich, daß etwa durch ein günstig angebrachtes Werbeplakat, dessen Schriftzug oder Bild dem Verbraucher ins Auge springt, die bewußte Wahrnehmbarkeit nicht gegeben sei, ist allein schon deshalb unzutreffend, weil das betreffende Plakat lange genug sichtbar ist, um nicht nur op634 63S

636 637 638 639

VgI. auch Sack, AfP 1991, 704 ff., 714 f. GVBI. I fiir das Land Hessen 1991, Nr. 29 vom 20.12.1991, S. 367 ff. Nr. 89/552, ABI. EG 1989, L 298, S. 23 ff.; sowie GRUR Int. 1990, 134 ff. GRUR Int. 1990, 448 ff. So OVG Münster, DÖV 1958, 824 f., 825; differenzierend Faber, S. 80; Freund, S. 218 f. Ebenso BVerwG, NJW 1959, 1194 f., 1195.

212

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

tisch, sondern auch bewußt erkannt zu werden. Für die kognitive Kontrolle kommt es nämlich darauf an, ob die betreffende Werbemaßnahme bewußt erkannt werden kann. Dies ist bei der Erinnerungswerbung jedoch aufgrund der langen Wahmehmungsdauer der einzelnen Werbemaßnahmen regelmäßig der Fall. 640 c) Tiefenpsychologische Techniken in der Werbung Auch bei den zahlreichen mit tiefenpsychologischen Mitteln arbeitenden Methoden der Suggestivwerbung besteht kein Grund zu einer wettbewerbsrechtlichen Hysterie oder gar einer apokalytischen Stimmung641 bei der juristischen Beurteilung der Zulässigkeitsfrage: Mit der sauberen dogmatischen Erfassung und sorgfältigen Klärung der Frage, ob eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers gegeben ist, kann auch diese Erscheinungsform der Werbung interessengerecht beurteilt werden. Nicht akzeptabel ist daher auch die Festlegung einer Beweiserleichterung durch "prima facie"-Beweis dergestalt, daß bei einer Suggestivwerbung, die mit tiefenpsychologischen Mitteln arbeitet, nach dem Beweis des ersten Anscheins eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers anzunehmen ist, und es dann dem Werbenden obliegt, diesen Beweis des ersten Anscheins zu entkräften; gleiches gilt selbstverständlich (a maiore ad minus) für eine vollständige Umkehr der Beweislast. 642 Der Beweis des ersten Anscheins kommt nämlich nur bei typischen Geschehensabläufen in Betracht, in den Fällen nämlich, in denen ein gewisser Tatbestand feststeht, der nach allgemeiner Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist. 643 Daß aber bei Einsatz von Suggestivwerbung, die mit tiefenpsychologischen Mitteln arbeitet, typischerweise die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt wird, dafür besteht weder nach allgemeiner Lebenserfahrung noch nach psychoanalytischer Erkenntnis ein Erfahrungssatz. 644 Es stellt sich somit zunächst die Frage, ob die freie Willensentschließung des Verbrauchers durch eine Irreführung aufgrund von Suggestivwerbung beeinträchtigt werden kann. Die Möglichkeit der Irreführung oder Täuschung AA bei "ungünstiger Aufinerksamkeitsverteilung" Faber, S. 80. Eine solche erscheint wohl erstmals in Vance Packards berühmten Werk "Die geheimen Verfiihrer", Dt. Ausgabe 1965; in Presse, Rundfunk und fachliterarischen Äußerungen [mdet dieses Stimmungsbild in den folgenden Jahren ein reichhaltiges Echo. 642 Ebenso: Henning-Bodewig, BB 1983,605 ff., 610. 643 Ständige Rechtsprechung, vgl. BGH NJW 1966, 1264; 1968, 1969; MDR 1974,217 f 644 Vgl. hier insbesondere zu den Erkenntnissen der neueren Motivforschung der Werbepsychologie (Vektormodell) ausfiihrlich Baudenbacher, S. 40 ff. 640 641

11. Kapitel: Suggestivwerbung

213

ist bei der Suggestivwerbung der wohl häufigste Fall einer Beeinträchtigung der freien Willensbildung des Verbrauchers. Hierbei besteht jedoch hinsichtlich dieser Werbemethode oft die Besonderheit, daß sehr häufig auf nahezu alle konkreten, nachprüfbaren Angaben i.S.d. § 3 UWG verzichtet wird; meistens wird statt dessen lediglich ein bestimmtes Produktimage aufgebaut, um der Ware ein psychologisches Profil zu geben645 und beim Verbraucher eine positive Motivation bezüglich der Ware zu schaffen (als Beispiele seien nur die hinlänglich bekannten Slogans "Der Duft der großen weiten Welt" und "Come together", beide für Stuyvesant-Zigaretlen, genannt). Da also bei der Suggestivwerbung häufig Angaben fehlen, kann die betreffende Werbung nicht der Sanktion des § 3 UWG wegen irreführender Angaben unterliegen. Gleichwohl können die Werbeanpreisungen jedoch täuschend sein, indem etwa die suggerierten positiven Assoziationen nicht der Wahrheit entsprechen. Ein gutes Beispiel ist hier die "Schnelligkeits"-Werbung einer bestimmten Automarke, die zugleich unzutreffend Sicherheit suggerierte646 , ebenso eine Werbung für ein alkoholisches Getränk, die zugleich "Fitness" und gesteigertes positives Lebensgefühl suggerierte64 ? ; gleichfalls ein gutes Beispiel, wenn auch mit recht weitem Interpretationsspielraum hinsichtlich des angepriesenen Zusatznutzens der betreffenden Zahnpasta: "... dagegen ist alles andere eben bloß Zahnpasta,,648. Da jedoch die täuschende Suggestion nicht weniger "gefährlich" für den Verbraucher im Hinblich auf die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung ist als die irreführende Angabe649 , ist an eine solche Täuschung durch die Suggestivwerbung ein ebenso strenger Maßstab anzulegen wie an eine Irreführung durch konkrete Angaben. Besonderes Augenmerk gebührt hierbei dem Zusammenwirken von Sprache und Bild. 650 Ob allerdings die von Baudenbacher in diesem Zusammenhang651 genannten Beispiele tatsächlich in einem für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung relevanten Maße irreführend sind, ist m.E. sehr fraglich. Da jedoch das Vorliegen einer Irreführung nicht generell beim Vorliegen von Suggestivwerbung anzunehmen, sondern im konkreten Fall vom Gericht festzustellen ist, kann hier den Gerichten, sofern sie nicht aus eigener Sachkenntnis eine Irreführung bejahen, lediglich anheim gegeben

Loewenheim, GRUR 1975,99 ff., 100; Emmerich, S. 152. KG WRP 1981, 146 ff. 647 BGH GRUR 1980,797. 648 OLG FrankfurtlM., WRP 1972,91 f 649 Manche Autoren, insbesondere Vance Packard, S. 32, behaupten sogar eine weitaus höhere Wirkung der Suggestion als der konkreten Angabe. 650 Baudenbacher, S. 165 f. 651 S. 166. 645

646

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

werden, ein psychologisches, psycholinguistisches oder soziologisches Gutachten einzuholen. 652 Bei nachprüfbaren Angaben, die den Verbraucher irreführen, zum Beispiel besondere in dem Produkt enthaltene Inhaltsstoffe vorspiegeln, die in Wirklichkeit aber nicht in dem Produkt enthalten sind oder aber nicht den Erwartungen entsprechen, die die Verbraucher mit der Bezeichnung verbinden, ist diese Suggestivwerbung gern. § 3 UWG unzulässig. Gutes Beispiel für diese Fallgestaltung ist der Werbeslogan "Pepsodent mit Irium,,653 . Eine Unzulässigkeit der Suggestivwerbung aufgrund einer "Marktverdunkelung"654 ist nicht zu bejahen, da zum einen die Werbenden nicht verpflichtet sind, Markttransparenz durch die Werbung zu schaffen und zum anderen der Gesetzgeber mit seiner Entscheidung zur Unzulässigkeit von irreführender Werbung auch insoweit eine Abgrenzung geschaffen hat: Die Werbung soll immer dann nicht mehr zulässig sein, wenn sie den Verbraucher irreführt; ob sie ihm mehr oder weniger Zugang zur objektiven Beschaffenheit des Produktes ermöglicht, ist Sache des Werbenden - ebenso wie die Entscheidung des Verbrauchers, ob er ein solches, ihm in seinen objektiven Eigenschaften nahezu unbekanntes Produkt kaufen möchte. Eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers könnte des weiteren durch die tiefenpsychologische Beeinflussung an sich entstehen. Hier werden vor allem hinsichtlich der Androhung von negativen sozialen Sanktionen durch die Suggestivwerbung655 Parallelen gezogen zu Fällen des "psychologischen Kaufzwangs"656; aus diesem Grund wird eine solche Strategie der Suggestivwerbung als sittenwidrig angesehen. 657 Die Androhung negativer sozialer Konsequenzen bei Nichtbefolgung des Kaufappells ist jedoch mit der typischerweise den "psychologischen Kaufzwang" hervorrufenden Situation nicht zu vergleichen: Der gravierendste Unterschied ist hier nämlich, daß der den psychologischen Kaufzwang hervorrufende Druck fehlt, auf der Stelle eine Entscheidung treffen zu müssen. In den Fällen des "psychologischen Kaufzwangs" wird der Verbraucher regelmäßig durch die persönliche, unmittelbare und unerwartete Ansprache durch den Werbenden in einen aktuellen Entscheidungsdruck versetzt; beide Komponenten - der persönliche Kontakt zum Werbenden und der aktuelle Entscheidungsm Hennig-Bodewig, BB 1983,605 Ir, 6\0; Baudenbacher, S. 166. m OLG Düsseldorf; GRUR 1956,470 tf. 654 Wie dies von Baudenbacher, S. 167, angenommen wird. 655 Beispiel: Suggestion von sexuellem Mißerfolg und/oder sozialer Diskriminierung bei Nichtbenutzung des angepriesenen Deosprays, Mundwassers, Anti-Schuppen-Shampoos etc. 656 Baudenbacher, S. 171 f m Baudenbacher, S. 172.

11. Kapitel: Suggestivwerbung

215

druck - lösen hier die psychische Zwangslage aus. Gerade diese zentralen Merkmale liegen jedoch bei der Androhung von negativen sozialen Sanktionen durch die Suggestivwerbung nicht vor. Der möglicherweise durch die betreffende Werbung entstehende Anpassungsdruck an eine bestimmte (von der Suggestivwerbung eventuell sogar selbst geschaffene) Sozialnorm ist mit dem "psychologischen Kaufzwang" nicht gleichzusetzen. Auch ist die Suggestivwerbungsstrategie der Leitbildwerbung nicht gleichsetzbar mit der sogenannten "Autoritätenwerbung,,658 . Eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung ist bei letzterer nämlich nur dann zu bejahen, wenn eine soziale Beziehung zwischen Umworbenem und Autoritätsperson vorliegt, mittels derer ein sozialer, moralischer oder beruflicher Druck auf den Umworbenen ausgeübt werden kann. 659 Die Ausübung von Druck ist kennzeichnend fiir die psychische Zwangslage, die hier die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers bewirkt. Eine derartige psychische Zwangslage liegt jedoch bei der Leitbildwerbung gerade nicht vor. Da eine Gleichsetzbarkeit der Suggestivwerbungsstrategien zu den bisher untersuchten Fällen der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung aufgrund von Zwang nicht vorliegt, könnte lediglich eine völlig andersartige Ausübung von Zwang auf die Willensfreiheit des Verbrauchers gegeben sein. Da es, wie oben dargelegt, fiir die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung erforderlich ist, daß der Verbraucher keine Möglichkeit hat, seinen Willen anders zu bilden, als dies von der betreffenden Werbung gefordert wird, ist zu klären, ob sich dies bei der Suggestivwerbung so verhält. Denkbar wäre hier, daß die Suggestivwerbung durch tiefenpsychologische Einwirkung auf den Verbraucher diesen auf ein bestimmtes Verhalten hin konditioniert, daß also der Verbraucher nach Konfrontation mit dieser Werbung trotz Anspannung seiner Kräfte keine Möglichkeit mehr findet, eine andere als die geforderte Kaufentscheidung zu treffen. Bildlich gesprochen würden in diesen Fällen also die Verbraucher wie die berühmten Pawlowschen Hunde abgerichtet. Hiergegen sprechen jedoch nicht nur die tatsächlichen Erfahrungswerte der Marktbeteiligten, insbesondere die der Produktanbieter und Werbenden selbst660 , sondern vor allem auch die neuere psychoanalytische Forschung und die Motivforschung der Werbepsychologie. 661 Hiernach können vom gesunden Erwachsenen lediglich Bedürfnisse, die auf angeborenen Instinktmechanismen beruhen (Ernährungs- und Sexualtrieb) nur mit Schwierigkeiten gehemmt so aber Loewenheirn, GRUR 1975, 991f., 109. Vgl. oben, 9. Kapitel ;'Autoritätenwerbung, Laienwerbung, Werbung gegenüber Kindern", Abschnitt I. 660 Vgl. vor allem Benningsen-Foerder, MA 1988, 334 If., 337; Auskünfte mehrerer Marketingagenturen bei Bülow, WRP 1971, 2991f., 300. 661 Ausfiihrlich Baudenbacher, S. 40 If., 841f. 6j8

6j9

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11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

werden662 ; alle anderen Bedürfnisse können mittels rationaler Kontrolle überprüft und gehemmt werden. 663 Jeder gesunde Erwachsene hat daher bei Anspannung seiner Kräfte die Möglichkeit, die durch die Werbung von ihm geforderte Kaufentscheidung zu verweigern. 664 Selbst eine noch so geschickte Suggestivwerbung ist daher - abgesehen von Fällen der Irreführung - nicht in der Lage, die Willensfreiheit des Verbrauchers zu beeinträchtigen. Mit dieser Beurteilung stimmt auch die Feststellung überein,d aß die Verbraucher mittlerweile gegen die Werbung weitgehend resistent geworden sind und nun sie ihrerseits der Wirtschaft durch ihre gewandelten, autonomen Konsuminteressen zunehmend die Maßstäbe für den Produktionsbereich setzen. 665

12. Kapitel: Exkurs: §§ 6, 6a - 6c, 7, 8 UWG LEinleitung In den §§ 6, 6a - 6c, 7, 8 UWG sind zahlreiche Tatbestände geregelt, die spezielle Erscheinungsformen der Werbung betreffen. In jeder dieser Normen hat der Gesetzgeber für die dort beschriebenen Erscheinungsformen von Werbung eine Spezialregelung getroffen und bestimmte Fallgestaltungen der Werbung für unzulässig erklärt. Jede der in diesem Kapitel behandelten UWGNormen stellt also bereits eine gesetzgeberische Entscheidung hinsichtlich der Zulässigkeitsgrenze bei bestimmten Erscheinungsformen der Werbung dar. Für die §§ 6, 6a - 6c, 7,8 UWG ist daher nicht zu fragen, wie die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung zu ziehen ist, da hier der Gesetzgeber bereits die Entscheidung getroffen und diese Frage eindeutig beantwortet hat. Vielmehr ist für diese Normen - ausgehend vom Thema der vorliegenden Untersuchung - die Frage zu stellen, ob die vom Gesetzgeber gefundenen Entscheidungen, die sich in den jeweils konkret umschriebenen Zulässigkeitsgrenzen für diese bestimmten Werbeformen manifestieren, verbraucherschützend sind oder nicht. Bei der Beantwortung dieser Frage kommt wiederum - ebenso wie bei der Frage nach der generellen Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung gern. § I UWG - der Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung entscheidende Bedeutung zu. In jedem Fall ist die freie WillensBaudenbacher, S. 85. Baudenbacher, S. 43. 664 Hinsichtlich der besonderen Probleme der Werbung gegenüber Kindern vgl. oben, 9. Kapitel "Autoritätenwerbung, Laienwerbung, Werbunge gegenüber Kindern", Abschnitt III. 665 Benningsen-Foerder, MA 1988, 334ff., 337. 662 663

12. Kapitel: Exkurs: §§ 6, 6a-6c, 7, 8 UWG

217

entschließung des Verbrauchers als notwendige Funktionsvoraussetzung für die Rolle des Verbrauchers im Wettbewerbsgeschehen Dreh- und Angelpunkt für Fragen des Verbraucherschutzes gegen Werbung; dabei ist ohne Bedeutung, ob die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung - wie in der Generalklausel des § I UWG - erst gefunden werden muß oder ob eine bereits vom Gesetzgeber vorgegebene Grenzziehung auf ihren verbraucherschützenden Charakter hin zu überprüfen ist: Als notwendige Funktionsvoraussetzung für die Rolle des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung ist die freie Willensentschließung des Umworbenen in jedem Fall zentraler Bezugspunkt des Verbraucherschutzes gegen Werbung. Im Hinblick auf die oben aufgeworfene Frage, ob die §§ 6, 6a - 6c, 7, 8 UWG verbraucherschützenden Charakter haben, ist daher zu klären, ob die durch diese Normen untersagten Erscheinungsformen der Werbung die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigen; ist dies der Fall, kann auch der verbraucherschützende Charakter der jeweiligen Norm bejaht werden. ß. Der Konkurswarenverkauf § 6 UWG betrifft die öffentliche Ankündigung des Verkaufs von Waren, die aus einer Konkursmasse stammen. Die Vorschrift verbietet jede Bezugnahme auf die Herkunft der Waren aus der Konkursmasse, sofern sie nicht mehr zum Bestand der Konkursmasse gehören. § 6 UWG bezweckt daher den Schutz der Verbraucher vor Irreführung hinsichtlich der - meistens sehr zugkräftigen Werbung mit der Herkunft von Waren aus Konkursmassen. 666 Stammt die zum Verkauf anstehende Ware nicht mehr unmittelbar aus der Konkursmasse, so darf diese Herkunft überhaupt nicht mehr erwähnt werden.

Wirbt nämlich der Anbieter mit der Herkunft der Ware aus der Konkursmasse, stammt diese aber in Wirklichkeit nicht aus einer solchen, so ist diese Angabe irreführend. Dies gilt auch in dem Fall, in dem die Ware früher zu einer Konkursmasse gehörte, mittlerweile aber durch die Hände Dritter gegangen ist667 . Die Verbraucher gehen nämlich bei dem Hinweis auf einen Verkauf von Ware aus einer Konkursmasse davon aus, daß ihnen hier besonders niedrige Preise geboten würden; diese Erwartung wird aber getäuscht, wenn die Ware mittlerweile durch Zwischenveräußerung verteuert worden ist. 668 Da § 6 UWG die Verbraucher vor Irreführung schützt, muß der verbraucherschützende Charakter dieser Norm eindeutig bejaht werden.

666 Bawnbach-Hefennehl, § 6, Rz. I; v. Gamm, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. I, I. Hlbd., Kap. 40, Rz. 2; Gloy-Hehn, § 48, Rz. 267; Großkonunentar-Piper, § 6, Rz. 3 f. 667 Baumbach-Hefennehl, § 6, Rz. I. 668 Baumbach-Hefennehl, § 6, Rz. I; Gloy-Hehn, § 48, Rz. 267.

218

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecbt

ill. Verkauf durch Hersteller oder Großhändler an letzte Verbraucher

§ 6a UWG betrifft die Werbung mit dem Hinweis darauf, daß der Anbieter Hersteller (§ 6a I UWG) oder Großhändler (§ 6a 11 UWG) sei. Diese Werbung ist unzulässig, es sei denn, daß einer der drei Ausnahmetatbestände des § 6a I Nr. 1-3 UWG vorliegt: Entweder der Händler verkauft ausschließlich an den letzten Verbraucher (§ 6a I Nr. 1 UWG); oder er verkauft an den letzten Verbraucher zu den seinen Wiederverkäufern oder gewerblichen Verbrauchern eingeräumten Preisen (§ 6a I Nr. 2 UWG); oder er weist unmißverständlich darauf hin, daß die Preise beim Verkauf an den letzten Verbraucher höher liegen als beim Verkauf an Wiederverkäufer oder gewerbliche Verkäufer, oder dies ist sonst für den letzten Verbraucher offenkundig (§ 6a I Nr. 3 UWG).

Durch Gesetz vom 26.9.1969669 eingefiigt, ist § 6a UWG ausweislich des Berichts des Rechtsausschusses des Bundestages670 konzipiert worden, um die mit dieser Werbung typischerweise verbundene Täuschungsgefahr zu unterbinden. Demzufolge wird § 6a UWG von der Rechtsprechung und Teilen der Literatur als abstrakter (typisierender) Gefahrdungstatbestand zum Schutz der Verbraucher gegen Irrefiihrung angesehen. 671 Andererseits wird angenommen, daß § 6a UWG mehr den Interessen des mittelständischen Einzelhandels als den Verbraucher diene672 oder sogar keinerlei verbraucherschützende Zielrichtung enthalte, sondern vielmehr ausschließlich dem Einzelhandel diene. 673 Um nun die Frage beantworten zu können, ob § 6a UWG tatsächlich zumindest auch dem Verbraucherschutz dient oder nur dem Konkurrentenschutz, ist zunächst die Situation der Verbraucher gegenüber dieser Werbung zu analysieren. Wirbt ein Anbieter mit seiner Eigenschaft als Hersteller oder Großhändler, so deutet dies nach landläufiger Vorstellung darauf hin, daß bei dieser Bezugsquelle sehr preisgünstig gekauft werden kann, weil anzunehmen ist, daß dort die Preise regelmäßig auf dem Preisniveau für Wiederverkäufer liegen und man damit die Differenz dieser Handelsspanne einsparen kann. Diese Vorstellung ist jedoch häufig unzutreffend, da auch Hersteller oder Großhändler bei einem Verkauf direkt an die Letztverbraucher erheblich höhere Unkosten haben als bei einem Verkauf an Zwischenhändler und daher anders kalkulieren müssen; zudem bestimmen Hersteller und Großhändler ihre Preise ebenso wie

610

BGBI. I, S. 633. Bundestags-Drucksache V/4035 (1969), S. 1 ff.

611

BGH GRUR 1978, 173 ff., 176; Schricker, GRUR 1978, 178; v. Gamm, Wettbewerbs- und

669

Wettbewerosverfahrensrecht, Bd. 1, 1. Hlbd., Kap. 41, Rz. 1 f.; ders., UWG, § 6a, Rz. I; Gloy-Helm, § 48, Rz. 284, 290; Großkomrnentar-Piper, § 6a, Rz. 1 f. 612 Baurnbach-Hefennehl, § 6a, Rz. 1. 613 Emrnerich, S. 114ff.

12. Kapitel: Exkurs: §§ 6, 6a-6c, 7, 8 UWG

219

die Einzelhändler grundsätzlich nach der Marktlage. 674 Die Preise, die beim Hersteller oder Großhändler vom Letztverbraucher tatsächlich bezahlt werden, sind daher regelmäßig bei weitem nicht so günstig, wie von diesem angenommen. Der Werbung unter Hinweis auf die Hersteller- bzw. Großhändlereigenschaft ist daher typischerweise eine Irreführungsgefahr über die Preisbemessung und daher die Preisgünstigkeit des Angebots eigen. Fraglich ist nun, ob § 6a UWG so konzipiert ist, daß er diese typische Irreführungsgefahr zu verhindern vermag. Auf den ersten Blick erscheint es zunächst so, als verbiete § 6a UWG pauschal jede Werbung mit den betreffenden Hinweisen, lediglich bei drei speziellen Tatbeständen sei sie ausnahmsweise zulässig. Zutreffend ist, daß sich dies nach der Gesetzessystematik zwar auf den ersten Blick so darstellt; überprüft man jedoch die drei Ausnahmetatbestände des § 6a I Nr. 1-3 UWG, so ergibt sich, daß diese dem unter Hinweis auf seine Hersteller- oder Großhändlereigenschaft Werbenden lediglich bestimmte Verhaltenspflichten auferlegen: eine Abnehmerkreisbegrenzungs- bzw. Gleichbehandlungspflicht (Nr. 1 und 2) und insbesondere eine Aufklärungspflicht (Nr. 3). Bei der Abehmerkreisbegrenzung (Nr. 1) kann von vorneherein kein Irrtum der Verbraucher darüber aufkommen, daß sie etwa einen Wiederverkäuferpreis eingeräumt bekämen, da Wiederverkäufer gar nicht zum Abnehmerkreis dieses Herstellers gehören. 675 Für die Verbraucher ist daher in diesen Fällen regelmäßig ersichtlich, daß der vom Hersteller kalkulierte Preis sich allgemeinen nach der Marktlage richtet. Bei einer Gleichbehandlung von Letztverbrauchern und Wiederverkäufern kann ebenfalls ein Irrtum nicht entstehen, da in diesem Fall ja die Vorstellung der Verbraucher der Realität entspricht: Sie erhalten hier tatsächlich die Ware zu dem auch dem Wiederverkäufer eingeräumten Preis. Bei einer Aufklärung ist ebenfalls ein Irrtum der Verbraucher nicht möglich, da ihnen in diesem Fall ja unmißverständlich gesagt wird, daß die von ihnen geforderten Preise höher liegen als die von den Wiederverkäufern verlangten. Die Verhaltenspflichten, die dem mit seiner Hersteller- oder Großhändlereigenschaft Werbenden auferlegt werden, sind daher geeignet, die Verbraucher vor einer Irreführung bei dieser Werbung zu schützen. § 6a UWG stellt daher ein sehr wirkungsvolles Instrumentarium von Pflichten bei einer derartigen Werbung auf, die den Verbraucher keinesfalls daran hindern, günstige Einkaufsquellen für sich zu erschließen; wohl aber schützen sie ihn durch die dem Werbenden auferlegten Verhaltenspflichten vor einer Irreführung. Der Verbraucherschutz steht daher bei § 6a UWG ganz im Vordergrund; der Konkurrentenschutz, insbesondere der Schutz des mittelständischen Einzelhandels ist

674 675

Baumbach-Hefennehl, § 6a, Rz. I; Bundestags-Drucksache V/4035 (1969), S. 3. Vgl. Bundestags-Drucksache V/4035 (1969), S. 4.

220

H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

hier676 nicht das ausschließliche, auch nicht das überwiegende, sondern allenfalls ein mittelbar durch den Verbraucherschutz (mit-)verfolgtes Ziel. IV. Berechtigungsscheine für letzte Verbraucher Zwar untersagt § 6b UWG, in das UWG aufgenommen durch Gesetz vom 26.9.1969677 expressis verbis nur eine bestimmte Vertriebsform, nämlich den sogenannten Kaufscheinhandel. Bei dieser Vertriebsform handelt es sich um die Ausgabe von Berechtigungsscheinen an letzte Verbraucher zum Bezug von Waren bzw. den Verkauf von Waren gegen Vorlage solcher Berechtigungsscheine. Jedoch ist eine Werbung für eine verbotene Vertriebsform selbstverständlich ebenfalls unzulässig. 678 Das Werbeverbot für den Kaufscheinhandel wird zudem von Rechtsprechung und Literatur sogar noch weiter gefaßt als dies der Wortlaut des § 6b UWG verlangen würde: Immer dann, wenn die fragliche Werbung die gleiche Wirkung wie eine Werbung für die Ausstellung von Dauerkaufausweisen hat, ist sie - entsprechend Sinn und Zweck des § 6b UWG - unzulässig. 679 Zudem darf auch nicht übersehen werden, daß bereits die bloße Ausgabe des Kaufscheins einen erheblichen Werbewert besitzt680 , so daß hier Vertriebssystem und Werbung kaum zu trennen sind. Fraglich ist nun, ob mit dem Verbot dieses Vertriebssystems und damit auch einem entsprechenden Werbeverbot der Schutz des Verbrauchers bezweckt wird. Die Ansichten hierzu sind - ebenso wie bei § 6a UWG - geteilt: Zum einen wird - in Übereinstimmung mit dem schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages681 - angenommen, daß § 6b UWG ein typisierender (abstrakter) Gefahrdungstatbestand sei, der die Verbraucher vor der mit dem Kaufscheinhandel typischerweise verbundenen Irreführungsgefahr schützen wolle. 682 Andere Autoren gehen hingegen davon aus, daß § 6b UWG

Entgegen Ernmerich, S. 114 ff BGBl. I, S. 633. 678 Baumbach-Hefermehl, § 6b, Rz. 16; Gloy-Helms, § 48, Rz. 272. 679 BGH GRUR 1979, 644 f., 645; BGHZ 57, 216 ff, 222; Baumbach-Hefermehl, § 6b, Rz. 16; Schulze zur Wiesche, GRUR 1979,645 f.; Frisinger, GRUR 1980, 84 ff, 86; v. Gamm, Wettbewerbsund Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. 1, 1. Hlbd., Kap. 42, Rz. 21. 680 Schricker, GRUR 1975,349 ff., 350. 681 Bundestags-Drucksache V/4035 (1969), S. 1 ff 682 Baumbach-Hefermehl, § 6b, Rz. 3; v. Gamm, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. 1, 1. Hlbd., Kap. 42, Rz. 2; Gloy-Helm, § 48, Rz. 268; Großkornmentar-Piper, § 6b, Rz. 1 f.; Fischötter, GRUR 1975, 376; Bauer, GRUR 1975, 383; ders., GRUR 1972, 558; Schulze zur Wiesehe, GRUR 1979,645; BGH GRUR 1979,644 f., 645; GRUR 1985,292 f., 293; GRUR 1975,382; BGHZ 99, 314 ff, 316. 676 677

12. Kapitel: Exkurs: §§ 6, 6a-6c, 7, 8 UWG

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ausschließlich ein Instrument zum Schutz des mittelständigen Einzelhandels vor unliebsamer Konkurrenz sei. 683 § 6b UWG verbietet die Ausgabe von Kaufscheinen und den Verkauf von Ware gegen Vorlage derartiger Kaufscheine. Hierbei agieren regelmäßig drei Personen: Der Einzelhändler (Kaufscheinhändler) gibt an letzte Verbraucher aufgrund einer Vereinbarung mit dem Hersteller oder Großhändler (Vertragslieferant) bestimmte Einkaufsausweise (Kaufscheine) aus. 684 Als Ausnahme gestattet § 6b UWG lediglich die Kaufscheinausgabe fiir einen einmaligen Einkauf. Nun ist mit der Ausgabe von Kaufscheinen an die Verbraucher, durch die sie zum Einkauf bei Großhändlern oder Herstellern berechtigt werden, regelmäßig die Vorstellung verbunden, sie erhielten dadurch eine Vorzugsstellung eingeräumt, insbesondere eine Vorzugsstellung derart, daß sich für sie dadurch ungewöhnlich günstige Einkaufsquellen erschlössen. 685

Tatsächlich jedoch sind die erhofften Bezugsvorteile oft nicht gegeben, da der Vertragslieferant nicht nur die dem Kaufscheinhändler zu zahlende Provision in den Kaufpreis einkalkulieren muß, sondern grundSätzlich beim Verkauf an Letztverbraucher dem Hersteller oder Großhändler höhere Unkosten (z.B. durch wesentlich höheren Werbeaufwand!) entstehen als beim Verkauf an Wiederverkäufer. Ein solcher Irrtum über eine vermeintliche Vorzugsstellung kann nun in der von § 6b UWG zugelassenen Ausnahme regelmäßig nicht entstehen: Als typischer Fall sollte nämlich von diesem Ausnahmetatbestand das sogenannte Unterkundengeschäft erfaßt werden686 , bei dem ein Einzelhändler, der eine vom Kunden gewünschte Ware nicht vorrätig hat, ihn mit einer Berechtigungs-Bescheinigung an seinen Vorlieferanten verweist und dieser dem Kunden die Ware im Namen und fiir Rechnung des Einzelhändlers verkauft. 687 Hier ist fiir den Verbraucher aufgrund der rechtlichen und tatsächlichen Gestaltung klar erkennbar, daß ihm keine wie auch immer geartete Vorzugsstellung eingeräumt wird. Eine Irreführungsgefahr ist somit durch das generelle Verbot des § 6b UWG und dem darin enthaltenen Ausnahmetatbestand hinsichtlich dieser Werbe- und Vertriebsform unterbunden. Es fragt sich jedoch, ob zur Unterbindung einer derartigen Irreführungsgefahr das generelle Verbot mit lediglich diesem einen Ausnahmetatbestand erforderlich war oder ob nicht der Schutz der Verbraucher vor Irreführung hier auch mit weniger rigiden Mitteln hätte erreicht werden können, mit anderen 683 Enunerich, S. 118 f.; Samwer, GRUR 1969,326 ff., 328 f. unter Bezugnahme auf ein Gutachten von Weber; kritisch auch Schricker, GRUR 1975, 439. 684 Vgl. Lipps, WRP 1970, 161. 60S Bawnbach-Hefennehl, § 6b, Rz. 2; v. Gamm, Wetlbewerbs- und Wetlbewerbsverfahrensrecht, Bd. 1, 1. Hlbd., Kap. 42, Rz. 1. 686 Bundestags-Drucksache V/4035 (1969), S. 4 f. 687 Bundestags-Drucksache V/4035 (1969), S. 4 f.

222

II. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Worten: ob nicht die Regelung des § 6b UWG weit über das durch den Verbraucherschutz Geforderte hinausgeht und in der Tat zum wesentlichen Teil mittelständischen Konkurrentenschutzinteressen dient. § 6a UWG arbeitet in einem ganz ähnlich gelagerten Fall von Irreführungsgefahr mit der Auferlegung von bestimmten Verhaltenspflichten an die Werbenden, wodurch ein Irrtum bei den Verbrauchern von vorneherein ausgeschlossen wird. 688 Ebenso wie bei § 6a UWG hätte auch bei § 6b UWG die Statuierung von bestimmten Verhaltenspflichten, insbesondere einer Aufklärungspflicht ähnlich der des § 6a I Nr. 3 UWG eine Irreführung der Verbraucher verhindert. Wenn nämlich die von den Verbrauchern angenommenen Voraussetzungen entweder tatsächlich existieren oder aber, falls dies nicht gegeben sein sollte, die Verbraucher unmißverständlich darauf hingewiesen werden, daß die Preise beim Verkauf an sie höher liegen als beim Verkauf an Wiederverkäufer, scheidet eine Irrtumserregung durch den Kaufscheinhandel von vorneherein aus.

Ebenso beurteilte auch die Rechtsprechung die Situation vor Erlaß des § 6b UWG: Sie akzeptierte den Kaufscheinhandel, wenn wahrheitsgemäß und unmißverständlich über die Funktion der beteiligten Unternehmen sowie über die Preisgestaltung aufgeklärt wurde. 689 Auf dieser prinzipiellen Linie liegt auch die Rechtsprechung des EuGH, die immer dann ein Verbot zur Verhinderung von Irreführung der Verbraucher nicht für geboten hält, wenn durch eine konkrete, gezielte Aufklärung diese Irreruhrungsgefahr ausgeschaltet werden kann. 690 Das generelle Verbot des Kaufscheinhandels geht daher weit über das durch den Verbraucherschutz Geforderte hinaus. Obwohl in dem Bericht des Rechtsausschusses691 mittelständische Konkurrentenschutzinteressen nicht als Gesetzeszweck genannt sind, zielt das generelle Verbot des § 6b UWG im wesentlichen auf den Schutz des kleinen und mittleren Einzelhandels vor unliebsamer Kaufscheinhändler-Konkurrenz. Der durch diese Vorschrift ebenfalls intendierte Verbraucherschutz vor einer typisierten Irreruhrungsgefahr wird davon weitgehend überlagert. Dem Verbraucher werden nämlich durch das generelle Verbot preiswerte und günstige Einkaufsquellen verstopft; eine Werbe- und Vertriebsform wie die dem IWickel"-Urteil692 zugrundeliegende, die rur die Verbraucher tatsächlich erhebliche Kaufvorteile brachte, wäre heute gern. § 6b UWG unzulässig. Von dem in den amtlichen Materialien genannten alleinigen Zweck des Verbraucherschutzes her ist daher § 6b UWG so restriktiv wie möglich auszulegen. 688 689 690 691 692

Vgl. oben, III. Abschnitt. BGH GRUR 1965, 431 ff. EuGH, GRUR Int. 1979,468 ff., 471; 1984,291 ff., 301; 1987,414 ff., 417. Bundestags-Drucksache V/4035 (1969), S. 1 ff. BGH GRUR 1965, 431 ff.

12. Kapitel: Exkurs: §§ 6, 6a-6c, 7, 8 UWG

223

v. Progressive Kundenwerbung Das in § 6c UWG, eingefügt durch Gesetz vom 15.5.1986693 , geregelte Problem der sogenannten "progressiven Kundenwerbung" , insbesondere das "Schneeball"-System, wurde bereits ausführlich oben694 behandelt. An dieser Stelle soll lediglich erneut darauf hingewiesen werden, daß diese Form der Werbung die Verbraucher in ganz eklatantem Maße täuscht: Da aufgrund des Prinzips der geometrischen Reihe die Kundenzahl bei der progressiven Werbung anwächst, :führt die planmäßige Durchfi1hrung dieser Vertriebsform schon l?ald zu einer Marktverstopfung; die weitere Gewinnung von Kunden wird den Verbrauchern, die an fortgeschrittener Stelle in der Progression stehen, schon bald unmöglich. 695 Die tatsächliche Möglichkeit zur Gewinnung weiterer Kunden und damit zur Verringerung der eigenen Kaufpreisverpflichtung ist daher wesentlich geringer als der Kunde nach der Ankündigung des Werbenden erwarten darf: Das System ist bei planmäßiger Durchführung geradezu darauf angelegt, schon nach relativ kurzer Zeit undurchführbar zu werden. Weil nun aber jedem neu zu werbenden Kunden vorgespiegelt wird, daß die Chancen einer Rückvergütung des Kaufpreises durch weitere Neu-Werbungen für ihn gegeben seien, wird der Verbraucher hier in ganz erheblichem Maße getäuscht. § 6c UWG ist daher ein wichtiges Instrument zum Schutz der Verbraucher vor derartigen Werbemethoden. VI. Sonderveranstaltung und Räumungsverkauf §§ 7 und 8 UWG regeln das Recht der Sonderveranstaltungen; sie sind in Zusammenhang zu sehen und ergeben ein prinzipielles Verbot auch der Ankündigung (§ 7 I UWG) der Sonderveranstaltungen mit Ausnahme von Sommer- und Winterschlußverkäufen (§ 7 III Nr. I UWG), lubiläumsverkäufen (§ 7 III Nr. 2 UWG) und Räumungsverkäufen wegen eines Feuer., Wasser-, Sturmschadens oder ähnlichem (§ 8 I Nr. I UWG) oder wegen eines Umbaus (§ 8 I Nr. 2 UWG). Das Recht der Sonderveranstaltungen wurde durch die UWG-Novelle vom 25.7. 1986696 neu geregelt und in den nun geltenden §§ 7, 8 UWG zusammengefaßt. In diesen Normen ist das Sonderveranstaltungsrecht gegenüber der früheren Rechtsprechung noch etwas strenger geregelt insbesondere hinsichtlich der schlußverkaufsflUrigen Waren und hinsichtlich der :für einen Räumungsverkauf hinreichenden Gründe. 693

BGBI. I, S. 721.

694

6. Kapitel "Progressive Kundenwerbung", "Kaffeefahrten", Preisausschreiben und Gewinnspiele,

Absclmitt 11. 69S BGHZ 15, 356 ff., 366. 696 BGBI. I, S. 1169.

224

Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Ob nun der Zweck dieser Regelung (auch) im Verbraucherschutz liegt, ist fraglich. Zur Zeit der UWG-Novelle von 1935 697 , die insbesondere dem Reichswirtschaftsminister in § 9a UWG die Ermächtigung gab, Bestimmungen zur Regelung von Sonderveranstaltungen zu treffen698 , hatte das Ausverkaufswesen stark überhand genommen. 699 Diese Erscheinung war eine Folge der Wirtschaftskrise und sollte eine Beschleunigung des Warenabsatzes bezwekken. 70o Der damalige Gesetzgeber trifft jedoch zum Verbraucherschutz in der amtlichen Begründung701 keine klare Aussage; es ist lediglich die Rede von "... Unzuträglichkeiten, die sich daraus für die Mitbewerber und das kaufende Publikum ergeben ... ". Vor welchen Unzuträglichkeiten (Gefahren?) die Verbraucher hier konkret geschützt werden sollen, bleibt im Dunkeln. Die amtliche Begründung zur UWG-Novelle von 1986, betreffend §§ 7, 8 UWG702 äußert sich zum Verbraucherschutz überhaupt nicht. Ein Teil der Literatur nimmt an, daß das Verbot von Sonderveranstaltungen dem Schutz der Verbraucher gegen Irrefiihrung diene; zum Teil wird in diesem Zusammenhang auch angenommen, daß die Regelung einen abstrakten Gefährdungstatbestand darstelle. 703 Als Regelungszweck wird bisweilen auch sehr vage der Schutz der Verbraucher vor "übermäßiger unsachlicher Beeinflussung ihrer wirtschaftlichen Entschließung" angenommen. 704 Hingegen gehen die Rechtsprechung und ein anderer Teil der Literatur davon aus, daß der Regelungszweck des Sonderveranstaltungs-Verbots nicht in der Untersagung irreführender Ankündigungen für derartige Veranstaltungen, insbesondere über die in Aussicht gestellten Kaufvorteile liege705 ; hierfür biete nämlich § 3 UWG ausreichenden Schutz. 706 Das Verbot der Sonderveranstaltungen sei vielmehr allein zum Schutz der Mitbewerber konzipiert. 707 RGBI. I, S. 311. Hierauf fußt die Anordnung betreffend Sonderveransta1tungen vom 4.7.1935, Reichsanzeiger Nr. 158, die Sonderveranstaltungen grondsätzlich verbot. 699 Amtliche Begründung zum Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 26.2.1935, DJ 1935, 424 f 700 Sack, WRP 1978,489 ff., 490. 701 DJ 1935, 424 f, 4256. 702 Bundestags-Drucksache 10/4741 (1986), S. 14 ff. 703 Bereits zum fiüheren Rechtszustand: SchrickerlLehmann, WRP 1977, 289 ff., 301; UImer/Reimer, Bd. III, S. 858; Sack, WRP 1978, 489 ff., 493; wohl auch Tetzner, Sonderveranstaltungen, S. 13 f 704 BGH GRUR 1980, 112 ff., 113; Schutz auch vor "übertriebenem Anlocken": Sack, WRP 1978, 489 ff., 493. 70~ BGH GRUR 1979, 474 f, 475; Baumbach-Hefermehl, § 7, Rz. 18; Emrnerich, S. 272 ff.; Fritze, GRUR 1979, 408. 706 BGH GRUR 1979,474 f, 475; Baumbach-Hefermehl, § 7, Rz. 18. 707 Emrnerich, S. 272 ff. 697

698

12. Kapitel: Exkurs: §§ 6, 6a-6c, 7, 8 UWG

225

Fragt man nach einem möglichen verbraucherschützenden Regelungszweck des Sonderveranstaltungsrechts, so muß man sich die Funktion einer derartigen Sonderveranstaltung vor Augen fuhren: Die Ankündigung einer Sonderveranstaltung ist ein sehr zugkräftiges Werbemittel, weil sich die Verbraucher regelmäßig hiervon günstige Angebote versprechen. 708 So ist denn auch in bestimmten Branchen geradezu eine "Inflation" von Aus- und Räumungsverkäufen zu verzeichnen. Insbesondere im Orientteppichhandel schienen in den vergangen Jahren manche Geschäfte nur noch zu eröffnen, um einige Zeit später einen gewinnträchtigen Räumungsverkauf durchführen zu können. 709 Diese in ganz bestimmten Branchen eingerissene "Ausverkaufs-Inflation" ist hingegen für andere Branchen eher eine seltene Ausnahme; die Geschehnisse im Orientteppichhandel sind daher nicht nur nicht zu verallgemeinern, sondern möglicherweise auch für diese Branche nur eine zeitbedingte Erscheinung - der jahrelang andauernde iranisch-irakische Krieg könnte hier eine wesentliche Rolle gespielt haben. Es fragt sich nun, ob sich aus der oben geschilderten Situation das Bestehen einer typischen Irreführung bei Sonderveranstaltungen ableiten läßt. Für die Aus- und Räumungsverkaufe von Orientteppichgeschäften läßt sich dies sicher bejahen: Der Verbraucher ist hier wegen fehlender Sachkunde in den seltensten Fällen in der Lage, zu beurteilen, ob die angebotene Ware ihren Preis wert oder ob sie - trotz augenfalliger Reduzierung - immer noch überteuert ist. Es besteht daher in diesen Fällen typischerweise die Gefahr, daß dem nicht sachkundigen Verbraucher extrem günstige Kaufgelegenheiten vorgespiegelt werden, die häufig überhaupt nicht oder nur in wesentlich geringerem Maß, als vom Anbieter behauptet, bestehen (von den Fällen, in denen die Ware dem Verbraucher unter Vortäuschung eines günstigen Angebots wesentlich überteuert verkauft wird, einmal ganz abgesehen). Die beschriebene besondere Situation besteht jedoch - von der Teppichbranche abgesehen - sonst nur noch in wenigen anderen Branchen mit ähnlicher Ausgangssituation für die Verbraucher, so z.B. dem Kunst- und Antiquitätenhandel oder der Juwelierbranche höherer Preisklassen. In anderen Branchen hingegen kann von einer derartigen typischerweise bestehenden Irreführungsgefahr nicht gesprochen werden. Für die Branchen des Bekleidungs-, Einrichtungs-, Unterhaltungselektronik- und sonstigen Konsumgüterhandels, bei dem Räumungsverkäufe eine breite Resonanz unter den Verbrauchern finden würden, muß nämlich ein wesentlich höheres Urteilsvermögen der Verbraucher hinsichtlich der Preiswürdigkeit einer Ware zugrunde gelegt werden als etwa in der Orientteppichbranche.

708 709

Emmerich, S. 265. Emmerich, S. 265; Fritze, WRP 1975,647 ff., 649.

15 Scherer

226

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Zum einen ist hier die Markttransparenz wesentlich höher (es bestehen Möglichkeiten zum Preisvergleich, oft sind auch die Preise bestimmter Markenwaren bekannt), zum anderen verfügen viele Verbraucher über Grundkenntnisse über die betreffenden Waren und können daher die Güte der Ware wesentlich besser beurteilen als bei Waren, bei denen sie über keinerlei Fachkenntnisse verfügen. Eine typischerweise mit Sonderveranstaltungen verbundene Irreführungsgefahr besteht daher nicht generell, sondern nur in einigen wenigen Branchen. Insoweit ist jedoch der Schutz des § 3 UWG vor Irreführung ausreichend. 7lO Es ist jedoch nicht gerechtfertigt, wegen einer typischerweise bestehenden Irreführungsgefahr bei Sonderveranstaltungen in einigen wenigen Branchen eine generelle und abstrakte Irreführungsgefahr bei sämtlichen Sonderveranstaltungen zu unterstellen und darauf ein grundsätzliches Verbot aller Sonderveranstaltungen zu stützen. §§ 7, 8 UWG bezwecken daher auch nicht einen Schutz der Verbraucher vor einer Irreführungsgefahr. Gleiches gilt hinsichtlich des vereinzelt7l1 angenommenen Schutzes der Verbraucher vor einem "übertriebenen Anlocken" durch die Sonderveranstaltungen: Wie bereits mehrfach dargelegt, geht es bei diesem Kriterium nämlich in Wirklichkeit nicht um Verbraucherschutz, sondern um einen Schutz der Mitbewerber vor dem "Umlenken von Käuferströmen".

13. Kapitel: Exkurs: Zugabe und Rabatt I. Einleitung

Für den Bereich von Zugabe und Rabatt bestehen zwei spezialgesetzliche Regelungen außerhalb des UWG, die ZugabeVa und das RabattG. In beiden Spezialgesetzen hat der Gesetzgeber detaillierte Regelungen hinsichtlich der Grenzen der Zulässigkeit dieser Formen der Wertreklame getroffen. Anders als in der Generalklausel des § I UWG - wo eine derartige präzise Grenzziehung zwischen sittenwidriger und sittengemäßer Werbung ja nicht vorhanden ist und daher erst entwickelt werden mußte - ist in der Zugabeva und dem RabattG eine exakte Grenze bereits vom Gesetzgeber gezogen. Die Frage kann daher nicht die nach der Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung mit Zugaben oder Rabatten sein - diese Frage wird ja bereits vom Gesetzgeber beantwortet. Ausgehend vom Thema der Untersuchung stellt sich konsequen-

710 711

Vgl. Die Sachverhalte von LG Köln, GRUR 1954,37 ff.; BGH GRUR 1975,262 ff. Sack, WRP 1978,489 ff., 493; etwas unklar BGH GRUR 1980, 112 ff., 113.

13. Kapitel: Exkurs: Zugabe und Rabatt

227

terweise das Problem, ob diese vom Gesetzgeber vorgenommene Grenzziehung verbraucherschützend ist oder nicht. Zur Beantwortung dieser Frage kommt wiederum ebenso wie bei dem Problem der Grenzziehung zwischen wettbewerbswidriger und wettbewerbsgemäßer Werbung nach der Generalklausel des § 1 UWG der Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung eine ganze zentrale Bedeutung zu: Die Voraussetzungen, die erfiillt sein müssen, damit die Verbraucher im Wettbewerbsgeschehen ihre Funktion ausüben können, sind daher in jedem Fall für den Schutz der Verbraucher von überragender Bedeutung - gleichgültig, ob eine Zulässigkeitsgrenze für die Werbung gegenüber dem Verbraucher erst gefunden oder aber eine bereits vorhandene gesetzliche Grenze auf ihren verbraucherschützenden Charakter hin untersucht werden muß. Die für die Funktion der Verbraucher in der Wettbewerbsordnung unverzichtbare Voraussetzung und damit der Kernpunkt allen Verbraucherschutzes - ist, wie oben dargelegt712, die unbeeinträchtigte freie Willensentschließung des Verbrauchers. Diesem Kriterium kommt daher auch in der hier zu klärenden Frage entscheidende Bedeutung zu: Nach dem Kriterium der unbeeinträchtigten freien Willensentschließung des Verbrauchers wird der Charakter der ZugabeVO und des RabattG im Hinblick auf den Verbraucherschutz zu beurteilen sein.

n. Zugaberecht Das Recht der Zugabe ist eingehend geregelt in der Zugabeverordnung. Diese wurde als Notverordnung zum Schutze der Wirtschaft vom Reichspräsidenten am 9.3.1932713 erlassen. Streitig ist nun, ob die ZugabeVO auch dem Schutz der Verbraucher oder lediglich dem Schutz der Konkurrenten dient. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur bejaht neben dem Konkurrenten- auch den Verbraucherschutz: 714 Begründet wird dies zum einen damit, daß bereits bei Erlaß der ZugabeVO unter anderem der Gesichtspunkt der Preisverschleierung berücksichtigt worden sei und zum anderen die amtliche Erläuterung zur ZugabeVO keinen Zweifel daran lasse, daß der Gesetzgeber auch der Gefahr der unsachlichen Beeinflussung der Kunden durch die Zugabe entgegentreten wollte: 715 Die Preisverschleierung liege darin, daß der Verbraucher, dem etwas ohne besondere Berechnung zugegeben werde, sich leicht einbilde, daß ihm etwas geschenkt werde; in Wahrheit könne jedoch der 712 713

Vg1. Teil I, 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". RGBI. I, 121.

714 Baumbach-Hefennehl, ZugabeVO A1lg., Rz. 5 ff.; Gloy-K1osterfelde, § 50, Rz. 4; UlmerReimer, Rz. 1063; Hubmann, s. 295; Götting, S. 7; Nordemann, Rz. 505; BGHZ 11,260 ff., 265; 274 ff., 283; OB 1986, 1567 ff., 1568; NJW-RR 1986, 534 [, 535. m BGHZ 11,260 ff., 265; 274 ff., 283.

228

Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wetlbewerbsrecht

allein in Rechnung gestellte Preis der Hauptware oder Hauptleistung um die Kosten der Zugabe erhöht sein, wodurch ein Vergleich mit den Preisen der Mitbewerber verhindert werde. 716 Die unsachliche Beeinflussung sei deshalb gegeben, weil die Zugabe den Blick des Verbrauchers vom Sachlichen auf das Gefühlsmäßige ablenke; er achte weniger auf die Güte und Preiswürdigkeit der Hauptware, sondern lasse sich, indem er dem in der Zugabe liegenden Vorteil große oder gar ausschlaggebende Bedeutung beimesse, durch unsachliche Momente bestimmen. 717 Dabei könne der Käufer durch den großen Anreiz, den der Anschein der Unentgeltlichkeit der Zugabe ausübe, zu unwirtschaftlichen Ausgaben und zu einer AnschaffiIng über den Bedarf hinaus verleitet werden. 718 Demgegenüber wird die Ansicht vertreten, daß die ZugabeVO niemals den Schutz der Verbraucher bezweckte, sondern ausschließlich dem Schutz des mittelständischen Fachhandels diente. 719 Aus der Entstehungsgeschichte der ZugabeVO und der amtlichen Begründung der Reichsregierung werde nämlich deutlich, daß es sich bei dem generellen Zugabeverbot um eine völlig zeitbedingte Intervention des Gesetzgebers zugunsten einer bestimmten Schicht von Gewerbetreibenden in einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation gehandelt habe. 720 Die Argumente der Befürworter eines verbraucherschützenden Charakters der ZugabeVO seien lediglich "durchsichtige Scheinrationalisierungen"721. Auch wäre es - würde die ZugabeVO tatsächlich dem Verbraucherschutz dienen - nur folgerichtig gewesen, den Anwendungsbereich der Verordnung ebenso wie den des Rabattgesetzes nur auf die letzte Handelsstufe zu beschränken. 722 Tatsächlich gelte die ZugabeVO jedoch für alle Handelsstufen, woraus unmittelbar folge, daß ihr Zweck nicht im Verbraucherschutz bestehen könne. 723 In der Realität würden denn auch die Verbraucher durch die Verordnung überhaupt nicht geschützt, sondern ganz im Gegenteil häufig sogar geschädigt.724 1. Gesetzgebungsmaterialien zur ZugabeVO

Aus den Erläuterungen zur Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. März 1932725 ergibt sich zunächst, daß die 716 717

718 719 720

72l 122 723 724

Baumbach-Hefennehl, ZugabeVO A1lg., Rz. 7. Baumbach-Hefennehl, ZugabeVO A1lg., Rz. 6. Baumbach-Hefennehl, ZugabeVO A1lg., Rz. 6. Emmerich, S. 179 [; sehr kritisch auch Rittner, S. 84. Emmerich, S. 179. Emmerich, S. Emmerich, S. Emmerich, S. Emmerich, S.

180. 180 .. 180. 180.

13. Kapitel: Exkurs: Zugabe und Rabatt

229

Verordnung den "Schutz des gewerblichen Mittelstandes" bezweckt, der durch "erhebliche Ausartungen des Wettbewerbs auf dem Gebiet des Zugabe- und Ausverkaufswesens als Begleiterscheinungen der Wirtschaftskrise" zu leiden habe. Es wird weiter ausgeführt, daß die Befürworter der Zugabe diese mit dem Argument verteidigten, die "Zugabegewährung ersetze die Wort- und Anschauungsreklame und sei wirtschaftlich wertvoll, da sie dem kaufenden Publikum anstelle der sonst für Wort- und Anschauungsreklame aufgewendeten Ausgaben wirkliche Werte als Zugabeartikel gebe; sie sei für kleine und mittlere Betriebe das einzige Mittel, sich gegen die Konkurrenz kapitalkräftiger Firmen, die hohe Sununen auf die Wort- und Anschauungsreklame verwenden könnten, zu behaupten". In der amtlichen Erklärung wird jedoch festgestellt, daß diesen Argumenten überwiegende Bedenken entgegenstünden. Die Bedenken lassen sich zusammenfassen als Vorwurf der Ablenkung der Aufmerksamkeit des Käufers von der Hauptware über die Preiswürdigkeit, da mit Vorliebe von dem Zugabesystem bei Waren Gebrauch gemacht werde, bei denen es viele nur schwer erkennbare Qualitätsunterschiede gebe, die auf diese Weise leicht verschleiert werden könnten. In der weiteren Argumentation werden jedoch die Ausführungen zum Käuferschutz verknüpft mit dem Konkurrentenschutz: Indem der Käufer sich bei der Auswahl der Ware und der Verkaufsstelle häufig durch die in Aussicht gestellte Zugabe bestimmen lasse, wird im Umkehrschluß notwendigerweise dadurch eine Vernachlässigung bestimmter Anbieter durch den Käufer die Folge sein. Schließlich mündet die Argumentation wieder gänzlich in Erwägungen zugunsten des Konkurrentenschutzes: Die Gefahr der Übersteigerung dieser Werbeform und die daraus resultierenden Probleme für die Wettbewerber werden dargelegt. Am Ende der Ausführungen folgt jedoch noch einmal kurz ein Aspekt des Verbraucherschutzes, nämlich die Gefahr eines Irrtums des Publikums über den eigentlichen Wert der Ware. Die weiteren Ausführungen der amtlichen Erläuterung beziehen sich auf einzelne Bestimmungen der ZugabeVO. Aus der amtlichen Erläuterung ergibt sich also, daß der Schutz des Konkurrenten, insbesondere des Mittelstandes, bei Erlaß der Verordnung im Vordergrund stand. Der Konsumentenschutz war demgegenüber nachrangig, bestand jedoch ebenfalls als Zielsetzung; zumindest wurde er mittelbar von der ZugabeVO dergestalt verfolgt, daß dadurch ein Konkurrentenschutz erzielt werden sollte, daß die Verbraucher an einem bestimmten (angenommenen) Kaufverhalten gehindert werden sollten. Aus der amtlichen Erläuterung ergibt sich daher nichts für die Auffassung, die ZugabeVO sei nicht zum Zweck des Konsumentenschutzes erlassen worden. Aus der amtlichen Erläuterung wird vielmehr deutlich, daß der historische Gesetzgeber in dem Zugabewesen eine bestimmte (abstrakte und generelle) Gefahrenlage für die Käufer erblickte. Für

725

Reichsanzeiger Nr. 61 vorn 12. März 1932; auch abgedruckt bei v. Godin, S. 543 ff.

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Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

die vorliegende Untersuchung fragt sich daher, ob diese (abstrakte und generelle) Gefahrenlage heute noch besteht oder ob der Verbraucher durch die Werbung mit Zugaben nicht in seiner freien Willensentschließung beeinträchtigt wird. 2. Die heutige Situation Die beiden Hauptvorwürfe gegen das Zugabewesen hinsichtlich des Käuferschutzes sind - wie eingangs hinsichtlich der Beffuworter eines verbraucherschützenden Charakters der Zugabeva dargelegt - einerseits die Irrtumserregung über die Preiswürdigkeit und andererseits die Ablenkung von der Hauptware und Verleitung zum Erwerb der Hauptware aufgrund der Zugabe (in etwa das, was nach heutiger Rechtsprechungs-Terminologie als "übertriebenes Anlocken" bezeichnet würde). Beide Vorwürfe sind eng miteinander verknüpft: Die Irrtumserregung über die Qualität, die nach der amtlichen Erläuterung (angeblich) droht, führt ja dazu, daß die Aufmerksamkeit von der Hauptware ab und hin zur Zugabe gelenkt wird. Es fragt sich daher, ob die beiden Vorwürfe zu Recht erhoben werden, ob also die dargestellten Gefahren aus dem Zugabewesen für die Verbraucher heute tatsächlich bestehen. Ansatzpunkt für die Beantwortung der Frage ist die Behauptung der Irrturnserregung durch eine Zugabe, sei es nun ein Irrtum über die Qualität, über den Preis oder über beides, ist des weiteren die Prämisse, der Käufer würde annehmen, es würde ihm etwas geschenkt, er erhielte etwas umsonst. Eine solche Vorstellung ist jedoch unter den Voraussetzungen des heutigen Wirtschaftslebens bei den Verbrauchern - selbst bei wirtschaftlich weniger gewandten - nahezu ausgeschlossen. 726 Jeder Mensch weiß heutzutage, daß einem nirgendwo etwas geschenkt wird. Dies ist einer der Kernsätze unseres Wirtschaftslebens, der sogar im Sprichwort seinen Ausdruck gefunden hat: "Umsonst ist der Tod". Jedem Käufer ist also heute klar, daß er eine Zugabe nicht geschenkt bekommt, sondern diese (auf Umwegen) bezahlen muß. Er weiß, daß es sich kein Kaufmann leisten kann, etwas zu verschenken, sondern daß er jeden Ausgabeposten zumindest in seine Gesamtkalkulation, häufig sogar in die Kalkulation hinsichtlich der Hauptware einbezogen hat. Er weiß also, daß der Anbieter gezwungen ist, die Kosten für die Zugabe auf irgendeinem Weg wieder "hereinzuholen,,727. In diesem zentralen, wichtigsten Punkt ist also eine Irrtumserregung bei den Käufern nahezu ausgeschlossen. 726 Selbst wenn jedoch ein solcher Irrtum ausnalunsweise noch bestehen sollte, wären die solchermaßen irrenden Verbraucher eine rur die wettbewerbliche Beurteilung zu vernachlässigende Menge, da es hinsichtlich der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers - sei es durch Irrtum, sei es durch sonstige Ursachen - erforderlich ist, daß ein rechtlich nicht unerheblicher Teil der Käuferkreise betroffen wäre (ca. 10-15 %), BGH NJW 1978,2598 ff., 1599. 727 Ebenso sehr deutlich: BGH GRUR 1976,314 ff., 315; OLG Stuttgart, WRP 1979,895 ff., 897.

13. Kapitel: Exkurs: Zugabe und Rabatt

231

Aber auch hinsichtlich der übrigen Vorwürfe einer Irrtumserregung über die Preiswiirdigkeit und einer Preisverschleierung sind die behaupteten Gefahrenlagen nicht gegeben: Beiden Vorwürfen wohnt als Kernpunkt die Behauptung inne, dem Verbraucher werde durch das Zugabewesen ein Preisvergleich unmöglich gemacht. Hier aber ist zu differenzieren: Bei Waren, deren Wert von vorneherein präzise feststeht (was auch möglich ist durch Bestimmung durch den Zugabenehmer) ist ein Irrtum über die Preisgestaltung ausgeschlossen. Bei Waren des täglichen Bedarfs ist ein Preisvergleich leicht möglich; denn wieviel ein Stück Seife oder ein Pfund Kaffee von bestimmter Qualität kosten, ist entweder den Käufern sowieso bekannt oder aber von ihnen leicht festzustellen. Insoweit ist also eine Irrtumserregung nicht vorstellbar. n8 Bei höherwertigen Waren, insbesondere hochwertigen Gebrauchsgütern ist zum einen die Zugabegewährung relativ selten. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß bei Anschaffungen, die über die Aufwendungen für Waren des täglichen Bedarfs hinausgehen, in jedem Fall der Preis und die Qualität der Hauptware, ihre Gestaltung, ihr Design, ihr Produktimage etc. im Mittelpunkt des Konsumenteninteresses stehen. Da dies nun von so überragender Bedeutung für den Käufer ist, fällt eine etwaige Zugabe demgegenüber nicht ins Gewicht. Daher ist auch hier eine Irrtumserregung über die Preiswiirdigkeit der Hauptware schwer vorstellbar: Der Käufer eines Kraftwagens, eines Möbelstücks, eines hochwertigen elektrischen Geräts etc. wird sich durch eine Zugabe von der intensiven Überprüfung des Preis-Leistungs-Verhältnisses der Hauptware nicht abhalten lassen. Schon gar nicht wird er sich damit abfinden, eine - für ihn möglicherweise uninteressante - Zugabe anstatt eines Preisnachlasses zu erhalten, wenn er diesen aufgrund der Qualität der Hauptware für gerechtfertigt hält. Ist er hingegen an der Zugabe interessiert, kann ebenfalls kein Irrtum über die Preiswürdigkeit der Hauptware aufkommen, da er ja, wie dargelegt, weiß, daß er die Zugabe nicht "geschenkt" erhält und deshalb um so eher die Hauptware auf ihre Qualität hin untersuchen und sich überlegen wird, ob Hauptware samt Zugabe die Aufwendung wert ist. Die Gefahr einer Irrturnserregung über die Preiswiirdigkeit oder die Gefahr einer Preisverschleierung besteht daher nicht. Zu untersuchen bleibt, wie es sich mit dem weiteren Vorwurf verhält, nämlich der Verleitung zum Kauf der Hauptware aufgrund der Zugabe, nach der Rechtsprechungs-Terminologie etwa mit "übertriebenem Anlocken" zu umschreiben. Eine solche "Verleitung" zum Kauf der Hauptware ist aufgrund des Anschaffungspreises der Hauptware überhaupt nur vorstellbar bei Waren des täglichen Bedarfs, nicht aber bei höher- und hochwertigen Gebrauchs- und Luxusgütern. Bei Waren des täglichen Bedarfs wäre eine die freie Willensentschließung des Käufers beeinträchtigende "Verleitung zum Erwerb der 728 Daß diese auch bei den konkret zur Entscheidung gelangten Sachverhalten nicht gegeben war, wird im Abschnitt zur Rechtsprechung über das Zugaberecht, unten H. 3., zu zeigen sein.

11. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

232

Hauptware" jedoch lediglich dann gegeben, wenn der Wert der Zugabe gegenüber dem Wert der Hauptware so hoch wäre, daß der Erwerb der Hauptware angesichts der Zugabe geradezu ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft wärewenn also eine Situation "positiven ökonomischen Abschlußzwangs" vorläge. Lediglich in diesen Fällen käme eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung in Betracht, und zwar durch Ausübung "positiven ökonomischen Zwangs" zum Erwerb der Hauptware. Jeder andere Anreiz zum Erwerb der Hauptware durch eine Zugabe hingegen würde zwar ein im Sinne der Rechtsprechung "unsachliches" Motiv für den Käufer darstellen, nicht aber eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung, auf die auch hier ausgehend von der Funktion des Verbrauchers in der Wettbewerbsordnung als Abgrenzungskriterium abzustellen ist. 729 Eine solche Wertrelation von Zugabe und Hauptware ist jedoch aus ökonomischen Gründen schlechthin nicht vorstellbar: Sobald nämlich ein Anbieter eine im Verhältnis zur Hauptware sehr hochwertige Zugabe gibt, muß er entweder den Preis der Hauptware (oder sogar des gesamten Sortiments) erhöhen - dann wird bereits aufgrund des hohen Preises der Hauptware kein Käufer zum Erwerb "verleitet"; oder aber er beläßt es bei den normalen Preisen - dann wird in kurzer Zeit das Unternehmen seinen Hauptzweck, die Gewinnerzielung, nicht mehr erfüllen können. In jedem Fall ist also eine derartige Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Verbraucher durch eine "Verleitung" zum Erwerb der Hauptware aufgrund der Zugabe nicht vorstellbar. Auch diese von den Befürwortern des verbraucherschützenden Charakters der ZugabeVO angenommene Gefahr besteht also nicht. Dies ist mittlerweile auch vom Gesetzgeber erkannt worden: Nach § 2 I 2 ZugabeVO i.Y.m. § 13 11 UWG ist bei Verstößen gegen die ZugabeVO den Verbraucherverbänden ausdrücklich kein Klagerecht eingeräumt- worden; hingegen haben das Klagerecht die Konkurrenten, die Gewerbeverbände, die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern. Daß also ausgerechnet die Verbraucherverbände ausgespart wurden, alle anderen in § 13 11 UWG genannten Personen und Verbände hingegen das Klagerecht bei Verstößen gegen die ZugabeVO erhielten, zeigt sehr deutlich, daß der Gesetzgeber selbst heute die ZugabeVO nicht für verbraucherschützend hält. Dies wird bestätigt in der Begründung des Wirtschafts- und Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages für die ausdrückliche Aussparung des Verbraucherverbandsklagerechtes hinsichtlich der Verstöße gegen die ZugabeVO und das RabattG: Belange der Verbraucher, so heißt es in der Begründung des Wirtschafts- und Rechtsausschusses730 , könnten hierbei ja wohl kaum berührt sein.

729

V gl. oben, I.

730

BT-Drucksache IV/3403 (1965), S. 2.

13. Kapitel: Exkurs: Zugabe und Rabatt

233

Es kann also keinem Zweifel unterliegen, daß die ZugabeVO ledi~lich dem Schutz der Mitbewerber, nicht aber dem Verbraucherschutz dient. 73 Solltetrotz fehlender genereller Gefahrenlage - für die Verbraucherschaft durch das Zugabewesen in Einzelfällen dennoch eine konkrete Gefährdung ihrer Interessen auftreten (etwa durch eine ausnahmsweise bestehende Preisverschleierung oder eine die freie Willensentschließung beeinträchtigende "Verleitung" zum Kauf einer Hauptware aufgrund einer Zugabe), so wären die Interessen der Verbraucher durch §§ 1, 3 UWG auch in diesen Fällen umfassend geschützt. Ein Rekurrieren auf einen angeblichen Verbraucherschutz durch die ZugabeVO ist daher auch in Ausnahmefällen überflüssig. 3. Kritik an der Rechtsprechung Betrachtet man die Rechtsprechung, so stellt man fest, daß keineswegs alle der entschiedenen Fälle die Zugabegewährung an Verbraucher betreffen, sondern - was nach der obigen Untersuchung nicht verwunderlich ist - relativ häufig auch die Zugabegewährung an Händler Gegenstand von Entscheidungen sind. 732 Hier sollen jedoch - um die Themenstellung nicht zu verlassen - lediglich Entscheidungen herangezogen werden, die eine Zugabegewährung gegenüber Verbrauchern betreffen. Eine Analyse der Entscheidungen zur ZugabeVO ergibt, daß diese Judikatur nicht nur im Widerspruch zu Entscheidungen steht, die über andere Werbemethoden ergangen sind, sondern daß die Rechtsprechung sich auch innerhalb des Zugabewesens häufig widerspricht. Zudem fällt die Rechtsprechung zur ZugabeVO nicht nur nicht zum Schutz der Verbraucher, sondern oft genug zu ihrem Schaden aus: Für die Verbraucher interessante Zusatzleistungen (wie beispielsweise bestimmte Versicherungen), die gewährt werden, ohne daß dadurch die Hauptleistung teuerer geworden wäre, werden ihnen von der Rechtsprechung verwehrt. Diese einzelnen Kritikpunkt, an denen deutlich wird, daß die ZugabeVO sich auch in der Rechtspraxis negativ für die Verbraucher auswirkt, werden anhand einer eingehenden Auseinandersetzung mit den einschlägigen Entscheidungen deutlich. Die Rechtsprechung steht zunächst in eklatantem Widerspruch zu ihrer eigenen Position hinsichtlich der sogenannten "offenen Kopplungsgeschäfte", d.h. Angeboten, bei denen zwei oder mehrere Artikel nur zusammen abgegeben werden, aber bei jedem einzelnen Artikel der Preis angegeben ist; diese "offenen Kopplungen" werden von der Rechtsprechung regelmäßig als unschädlich hinsichtlich einer Preisverschleierung angesehen, und zwar mit dem Ebenso i.E. Emmerich, S. 179 f. Vgl. z.B. OLG Düsseldorf, GRUR 1984,391 f.; BGH GRUR 1978, 547 ff.; 1972, 61 ff.; LG Hamburg, GRUR 1968, 567 f.; BGHZ 34, 264 ff. 731

732

234

H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Argument, daß hier die Gefahr einer Preisverschleierung wegen der Erkennbarkeit der Einzelpreise nicht besteht. 733 Zugaben hingegen werden von der Rechtsprechung mit dem Argument der Preisverschleierung sogar dann verboten, wenn der Wert der Zugabe durch eindeuti~e Angabe auf der Zugabe734 oder eigene Bestimmung des Zugabenehmers 35 unzweifelhaft feststeht. Ebenso wie bei den sogenannten "offenen Kopplungsgeschäften" ist hier eine Preisverschleierung nicht möglich, da der Wert für den Kunden deutlich erkennbar ist und daher von vorneherein kein Irrtum über die Preisgestaltung entstehen kann, da jeder Kunde, der argwöhnt, der Preis der Zugabe sei möglicherweise in voller Höhe im Preis der Hauptware enthalten, den Wert der Zugabe einfach von diesem abziehen kann. Gleiches gilt für die Fälle, in denen die Zugabe keinen bekannten oder überhaupt feststellbaren Verkehrswert hat, wie etwa bei einer - als Zugabe qualifizierten unbegrenzten "Tauschgarantie" für Orientteppiche736 oder der Überlassung eines Wagenwaschplatzes zur Selbstbedienung. 737 Da der Verkehrswert hier nämlich konsequenterweise mit Null anzusetzen ist, ist eine Irrtumserregung über die Preisgestaltung gleichfalls ausgeschlossen. Aber auch innerhalb des Zugabewesens selbst sind die Entscheidungen teilweise widersprüchlich. So ist hinsichtlich der Qualifikation als unzulässige Zugabe kein Unterschied zu erkennen zwischen einer unbegrenzten "Tauschgarantie" für Orientteppiche738 einerseits und einer "Zeitwertgarantie" für Pkws, also einer Rückkaufsverpflichtung innerhalb von zwei Jahren zu 65 % des Kaufpreises739 andererseits. Auch liegen Widersprüche in der Entscheidung "Service-Set" einerseits740 (die Vermietung von Pkws und die zusätzliche Hingabe eines "Service-Sets", bestehend aus Parkgroschen, Taschentüchern, Schmerztabletten, Kaugummis und Zigaretten wurde akzeptiert) und den Entscheidungen "Wagenwaschplatz"741 (die kostenlose Überlassung eines Wagenwaschplatzes zur Selbstbedienung an Tankstellenkunden wurde untersagt),

733

Vgl. Baumbach-Hefennehl § I, Rz. 107 f.; ausfi1hrlich zu den verschiedenen Arten der Kopp-

lungsgeschäfte vgl. oben, 7. Kapitel "Kopplungsangebot, Vorspannangebot, Animierangebot", Abschnitt

I. 734

"Orbis-Reisernarken", BGHZ I, 274 ff.; "Rückfahrkarte", BGH GRUR 1991, 862 f.;

"Tankbelegmit Gutschein", OLG München, GRUR 1992, 181 f. m "Wer!schecks fi)r Restaurants", OLG FrankfurtJM., NJW-RR 1986, 534 f. und BGH GRUR

1991,933 f. 736 737 738 739 740 741

OLG Hamburg, GRUR 1984,895. BGH GRUR 1964, 509. OLG Harnburg, GRUR 1984, 895. KG Betrieb 1986, 1567 ff. BGH GRUR 1974,402 ff. BGH GRUR 1964, 509 ff.

13. Kapitel: Exkurs: Zugabe und Rabatt

235

"Jahresinspektion"742 (die Zusage und spätere Gewährung von zwei Jahresinspektionen sowie drei ÖI- und Filterwechsel beim Kauf eines Neuwagens wurde verboten) sowie "Büro-Service,,743 (die leihweise Überlassung und kostenlose Wartung einer Kaffeemaschine bei regelmäßiger Abnahme einer bestimmten Menge Kaffee wurden untersagt) andererseits. In dem entscheidungsrelevanten Punkt gleichen sich die Sachverhalte nämlich alle: Die gewährte bzw. versprochene Zugabe gehört in jeder der Fallgestaltungen genauso viel oder genauso wenig sachlich zur Hauptleistung ("handelsübliche Nebenware", § 1 11 d ZugabeVO) wie in den übrigen aufgezählten Fallgestaltungen. Daß nämlich für eine Wartungsleistung (bei Pkw oder Kaffeemaschine) kein Bedürfnis, das einen sachlichen Zusammenhang begründe, vorhanden sef 44 , ist noch weniger plausibel als die Behauptung eines solchen Zusammenhangs zwischen Kaugummis, Schmerztabletten, Zigaretten und der Vermietung eines Pkw. Auch die Entscheidung zur "Briefmarkenauktion,,745 (es wurde verboten, daß der Auktionator den Einlieferern der Briefmarken zinslose und gebührenfreie Vorschüsse auf den späteren Versteigerungserlös gewährt) und die Entscheidung zum "Aufwendungsdarlehen"746 (es wurde akzeptiert, daß die Muttergesellschaft eines Bauträgers den Käufern von Reihenhäusern in den ersten sechs Jahren ein zinsloses Aufwendungsdarlehen gewährte, das erst ab dem siebten Jahre zu verzinsen war) sind konträr: Ein Unterschied hinsichtlich der QualifIkation als unzulässige Zugabe zwischen einem Darlehen, das in den ersten sechs Jahre praktisch umsonst ist und einem für kurze Zeit gewährten kostenfreien, zinslosen Darlehen, das später auf den Zahlungsanspruch verrechnet wird, ist nämlich nicht ersichtlich. Darüber hinaus fällt die Rechtsprechung häufig zum Schaden der Verbraucher aus. Weshalb es nämlich - unter angeblich auch verbraucherschützenden Gesichtspunkten - erforderlich sein soll, den Inhabern von Kreditkarten oder den Käufern von Möbeln zusätzlichen Versicherungsschutz, der von dem Kreditkartenunternehmen oder dem Möbelmarkt gewährt wird, zu verwehren747 , bleibt unerfindlich; ebenso das Verbot zinsloser und gebührenfreier Vorschüsse eines Briefmarkenauktionators an die Einlieferer der Briefmarken auf den späteren Versteigerungserlös748 , das Verbot einer Finanzierung zu 2,9 % effektivem Jahreszins749 , sowie der unbegrenzten "Tauschgarantie" beim

742 743

OLG Frankfurt/M., GRUR 1984,606 f. BGH GRUR 1976,314 ff.

745

OLG Frankfurt/M., GRUR 1984,606 f. BGH GRUR 1979,482 ff.

746

OLG Hamburg, GRUR 1984,294 f.

747

BGH NJW 1983, 1328 ff.; BGH GRUR 1991,329 f. BGH GRUR 1979,482 ff. OLG München, GRUR 1992, 545 ff.

744

748 749

236

H. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

Kauf eines Orientteppiches750 und der Überlassung eines Wagenwaschplatzes zur Selbstbedienung an Tankstellenkunden: 751 In all diesen Fällen wurden den Verbrauchern für sie zumindest willkommene, wenn nicht gar wertvolle (Unfallschutz!) Leistungen entzogen, ohne daß durch die Zusatzleistungen für sie irgendwelche Nachteile entstanden wären. Denn der Beitrag zu "DinersClub" war durch den zusätzlichen Versicherungsschutz für die "Diners-Club"Mitglieder nicht teurer geworden, ebensowenig wie die Möbel im Möbelmarkt, der den zusätzlichen Versicherungsschutz gewälrrte und das Benzin an der Tankstelle, die den Wagenwaschplatz anbot. Deutlich wird an den dargestellten Entscheidungen, daß die Gerichte - von wenigen recht verbraucherfreundlichen Entscheidungen abgesehen752 - die ZugabeVO restriktiv handhaben. 753 Die Rechtsprechung läßt sich unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes nicht halten. Derzeit scheint aber keine entscheidende Wende der Rechtsprechung hin zu einer wesentlich großzügigeren und damit verbraucherfreundlicheren Anwendung der ZugabeVO in Sicht. Eine solche wäre aber geboten, da sie nicht nur keinen Schaden für die Verbraucher, sondern in vielen Fällen erhebliche Vorteile wie die oben exemplarisch dargestellten für sie brächte.

ID. Rabattrecht Ob das Rabattgesetz754 verbraucherschützend ist, ist streitig. Verneint wird dies von einem Teil der Literatur755 ; bejaht wird es von der Rechtsprechung und einem anderen Teil des Schrifttums. 756 Als Gründe für die verbraucherschützende Wirkung wird angeführt, daß das Rabattgesetz den Ver-

7S0

OLG Harnburg, GRUR 1984, 895.

m BGH GRUR 1964, 509.

m Vorinstanz zum "Wagenwaschplatz", OLG FrankfurtJM., BB 1962,820 f; "Service·Set", BGH GRUR 1974, 402 ff.; "Kinder-Freifahrt", BGH GRUR 1978, 182 ff.; "Federkernmatratzen", BGH GRUR 1958, 455 ff.; "Zeitwertgarantie", KG Betrieb 1986, 1567; "Aufwendungsdarlehen", OLG Harnburg, GRUR 1984,294 f; "Das saustarke Angebot", OLG Harnburg, WRP 1993,40 ff. 7S3 "Wagenwaschplatz", BGH GRUR 1964, 509; "Tauschgarantie", OLG Harnburg, GRUR 1984, 895; "Briefinarkenauktion", BGH GRUR 1979, 482 ff.; "BÜfo-Service", BGH GRUR 1976, 314; "Jahresinspektion", OLG Frankfurt/M., GRUR 1984,606 f; "Rückfahrkarte", BGH GRUR 1991, 862 f; "2,9 % effektiver Jahreszins", OLG München, GRUR 1992, 545 ff., "Family-Karte", BGH GRUR 1991,329 f; "Diners-Club", BGHNJW 1983, 1328 ff.; "Stoffuagetasche", BGH WRP 1994, 540 ff. 7S4 RGBI.I, S. 1011. m Emmerich, S. 84; Rittner, S. 84; Koenigs, NJW 1961, 1041 ff., 1043 f

Baumbach-Hefennehl, RabattG A1lg., Rz. 8 f; Kisseler, WRP 1975, 129; Reimer-Krieger, S. 117; Hoth-Gloy, Einf., Rz. 2 f; Nordemann, Rz. 490; BGH GRUR 1959,329 ff., 331; 1960, 495 ff., 498. 7S6

13. Kapitel: Exkurs: Zugabe und Rabatt

237

braucher vor Irreführung über die Preisbemessung schütze757 und vor einer Ungleichbehandlung der Verbraucher untereinander. 758 Das Rabattgesetz, erlassen am 25.ll.l933, war die Folge einer vorausgegangenen Intervention des Gesetzgebers in das Marktgeschehen, nämlich der ZugabeVO vom 9.3.1932: Da Zugaben hierdurch bis auf wenige Ausnahmen untersagt wurden, verlagerte sich der Wettbewerb mittels Wertreklame auf die Gewährung von Rabatten. 759 Dies barg naturgemäß hohe Risiken für die durch die Weltwirtschaftskrise sowieso schon sehr geschwächte Wirtschaft, insbesondere das kleine und mittelständische Gewerbe. Mit dem Rabattgesetz beschränkte der Gesetzgeber demzufolge die Preisnachlässe gegenüber den Verbrauchern auf 3 %, stellte aber gleichzeitig klar, daß die Rabattgewährung eine wirksame Abwehr des mittelständischen Gewerbes gegenüber den Werbemöglichkeiten der Warenhäuser und Großbetriebe darstelle. 760 Wörtlich führt die amtliche Begründung aus, daß "... grundsätzlich gegen den Preisnachlaß als Werbemittel nichts einzuwenden sei, solange er sich innerhalb einer vernünftigen und gesunden kaufmännischen Preisrechnung bewege ..... 761 . Der einzige auf Verbraucherschutz hindeutende Aspekt der amtlichen Begründung ist die Feststellung, daß die unterschiedliche Behandlung der Kunden mit dem Grundsatz gleicher Preisstellung nicht vereinbar sei; Sondernachlässe an bestimmte Gruppen und Schichten von Verbrauchern sollten daher grundsätzlich beseitigt werden. 762 Für das teilweise verwendete Argument der Irreführung der Verbraucher durch Preisnachlässe kann also schon aus der amtlichen Begründung nichts entnommen werden. Eine derartige Irreführung ist auch nach der heutigen Situation tatsächlich nicht gegeben. Der Kunde kann nämlich den Geldwert eines Rabatts erfassen und so ohne Probleme den tatsächlich vom Verkäufer geforderten Preis feststellen und diesen Preis wiederum mit anderen geforderten Preisen für diese Ware vergleichen. Eine Irreführung der Verbraucher durch Preisnachlässe ist daher nicht ersichtlich. Verbraucherschutz kann heute hingegen nicht mehr dadurch gerechtfertigt werden, daß eine unterschiedliche Behandlung der Kunden verhindert wird: Eine solche unterschiedliche Behandlung der Endabnehmer durch den Anbieter ist vielmehr der freien Wettbewerbswirtschaft immanent. Der in der Preism Hoth-Gloy, Einf, Rz. 2; Reimer-Krieger, S. 117; Nordemann, Rz. 490; widersprüchlich Baumbach-Hefermehl, RabattG A1lg., Rz. 8 und Rz. 9. 758 Hoth-Gloy, Einf, Rz. 3; Kisseler, WRP 1975, 129 ff., 131; Baumbach-Hefermehl, RabattG A1lg., Rz. 8. 759 Vgl. die Amtliche Begründung zum Rabattgesetz, Reichsanzeiger Nr. 284 v. 5.12.1933; auch abgedruckt bei v. Godin, S. 550 ff. 760 Amtliche Begründung zum Rabattgesetz, Reichsanzeiger Nr. 284 v. 5.12.1933. 761 Amtliche Begründung zum Rabattgesetz, Reichsanzeiger Nr. 284 v. 5.12.1933. 762 Amtliche Begründung zum Rabattgesetz, Reichsanzeiger Nr. 284 v. 5.12.1933.

238

Ir. Teil: Die Unzulässigkeit der Werbung im Wettbewerbsrecht

nachlaß gewährung steckende und auch nach der amtlichen Begründung sogar "gesunde Kern" beruht auf dem Grundsatz: "Kein Preisnachlaß ohne Gegenleistung"763 . Ob ein Anbieter also einen Preisnachlaß gewährt und, wenn ja, in welcher Höhe, hängt demnach davon ab, welche "Gegenleistung" ihm der Abnehmer dafür bieten kann. Eine solche "Gegenleistung" fällt naturgemäß verschieden aus. Beispielsweise erhält ein langjähriger und guter Stammkunde eine andere Beurteilung hinsichtlich seiner "Rabattwürdigkeit" durch den Anbieter als ein zufälliger Laufkunde. Dies stellt auch keine "Diskriminierung", keine ungerechtfertigte Bevorzugung764 des einzelnen Verbrauchers oder bestimmter Verbrauchergruppen dar, weil eine solche unterschiedliche Behandlung im Gegenteil eine durch marktimmanente Grundsätze bestimmte und daher gerechtfertigte Bevorzugung ist. Nicht ohne Grund hat daher bereits 1974 der Verbraucherbeirat die Aufhebung des Rabattgesetzes gefordert765 , und zwar mit dem beachtlichen Argument, daß das Rabattgesetz heute gerade diejenigen Verbraucher diskriminiere, die (hinsichtlich des gesetzlichen Verbots) keine hinreichende Verhandlungsposition gegenüber dem Anbieter ausspielen könnten. Das Rabattgesetz steht also einer freien und marktgerechten Preisbildung vielfach im Wege -letztlich zum Schaden, nicht aber zum Schutz der Verbraucher. Auch der Gesetzgeber selbst sieht heute offentlich das Rabattgesetz nicht als verbraucherschützend an. Dies wird deutlich an der Regelung der Klagebefugnis des § 12 Rabattgesetz: Ausgerechnet die Verbraucherverbände wurden vom Klagerecht bei einer Zuwiderhandlung gegen das Rabattgesetz ausgenommen; sämtliche anderen in § 13 11 UWG genannten Klageberechtigten haben das Klagerecht hingegen erhalten. Eine Einbeziehung der Verstöße gegen das Rabattgesetz in das Klagerecht der Verbraucherverbände wurde bei Einführung des Verbraucherverbandsklagerechts vielmehr ausdrücklich vom Wirtschaftsund Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages mit der Begründung abgelehnt, daß Verstöße gegen das Rabattgesetz und die ZugabeVO wesentliche Belange der Verbraucher wohl kaum berühren könnten766 - eine Einschätzung, die sich völlig mit der des Verbraucherbeirates767 deckt. Ein verbraucherschützender Charakter des Rabattgesetzes kann also nicht angenommen werden. Die Rechtsprechung müßte daher konsequenterweise mit der Beurteilung von unzulässigen Rabatten vorsichtig sein und im Zweifel großherzig verfahren. 768 Amtliche BegIiindung zum Rabattgesetz, Reichsanzeiger Nr. 284 v. 5.12.1933. Baumbach-Hefermehl, RabattG A1lg., Rz. 8; Hoth-Gloy, Einf, Rz. 3. 76~ WRP 1974,327. 766 BT-Drucksache IV/3403 (1965), S. 2. 767 WRP 1974 327 768 Im Sinne einer ~oßherzigen Beurteilung liegt auf dieser Linie Z.B. BGB GRUR 1991, 936 ff. mit sorgfiiltiger Begründung filr das Fehlen eines Rabattverstoßes, sowie OLG FrankfurtlM., GRUR 1993, 136 f.; KG GRUR 1993, 771 f.; BGH GRUR 1993, 774 ff.; BGH WRP 1993, 243 ff.; BGH WRP 1994,311 f. 763

764

III. Teil Individuelle Abwehransprüch der Verbraucher gegen unzulässige Werbung 1. Kapitel: § 823 11 BGB i.V.m. UWG-Normen LEinleitung Zur Begründung individueller Ansprüche der Verbraucher für die Abwehr von Werbung könnte § 823 11 i.Y.m. UWG-Normen, insbesondere § 1 und § 3 UWG in Betracht kommen; eine solche Konstruktion böte die Möglichkeit, auf dogmatisch unkomplizierte Weise den Schutz, den das UWG den Verbrauchern nur über das Verbandsklagerecht gewährt, quasi in das BGB zu "transformieren": In jedem Fall einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers wäre nämlich - zugleich mit der Verwirklichung des § 1 oder § 3 UWG (oder einer anderen verbraucherschützenden UWG-Norm) - nicht nur die kollektive Klagemöglichkeit nach § 13 11 Nr. 3 UWG eröffnet, sondern gleichzeitig für die betroffenen Verbraucher auch die Individualklage aus § 823 11 i.Y.m. § I oder § 3 UWG. Konstruktiv wäre ein solcher Abwehranspruch eine für § 823 11 BGB allgemein anerkannte quasinegatorische Unterlassungsklage analog § 1004 I 2 BGB. Die betroffenen Verbraucher wären also nicht mehr darauf angewiesen abzuwarten, bis sich ein Verbraucherverband ihrer Nöte annimmt, sondern könnten selbst im Klagewege sich gegen Werbung zur Wehr setzen, die ihre freie Willensentschließung beeinträchtigt und dadurch gegen §§ 1, 3 UWG verstößt. Der Rechtsschutz gegen Werbung, die die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt, wäre also in jeder Hinsicht perfekt, und zwar auf dogmatisch völlig unkomplizierte Weise: Bei jeder die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigenden Werbemaßnalune und dem dadurch ausgelösten Verstoß gegen § 1 bzw. § 3 UWG bestünde zum einen das Verbandsklagerecht gegen die betreffende Werbung gern. § 13 11 Nr. 3 UWG, zum anderen das Individualklagerecht gern. § 823 11 BGB i. Y.m. der betreffenden UWG-Norm, z.B. § 1 UWG. Fraglich ist jedoch, ob eine solche Konstruktion dogmatisch tragfähig ist.

240

III. Teil: Individuelle Abwehranspriiche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

II. Die Rechtsprechung In einigen Entscheidungen hat die Rechtsprechung bereits zu dieser Frage Stellung genommen. Sie lehnt individuelle Ansprüche von Verbrauchern aus § 823 11 BGB i.V.m. UWG-Normen ab.! Begründet wird dies damit, daß die UWG-Normen keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 11 BGB für die Verbraucher seien. 2 In anderen Entscheidungen hingegen bejaht die Rechtsprechung die Schutzgesetzeigenschaft von UWG-Normen. 3 Dies haben einige Autoren zum Anlaß genommen, dem BGH insoweit Inkonsequenz gegenüber seiner eigenen Rechtsprechung vorzuwerfen. 4 Es ist jedoch zu beachten, in welchem Zusammenhang die Rechtsprechung geäußert hat, daß § 1 und § 3 UWG Schutzgesetze im Sinne des § 823 11 BGB darstellen: Wann immer sich die besagte Feststellung in einer Entscheidung findet, handelt es sich bei dem betreffenden Verfahren um eine Mitbewerber- oder zumindest eine Wettbewerbs-VerbandsKlage. Keiner der Sachverhaltsgestaltungen lag hingegen eine VerbraucherKlage zugrunde. Aus diesem Zusammenhang muß daher gefolgert werden, daß die Rechtsprechung die Qualifizierung von §§ 1, 3 UWG als Schutzgesetze im Sinne des § 823 11 BGB lediglich als solche für Wettbewerber verstand. Diese Schlußfolgerung drängt sich aus dem Kontext der Entscheidungen auf. Eine Inkonsequenz der "Prüfzeichen"-Entscheiduni gegenüber der übrigen BGHRechtsprechung kann daher nicht festgestellt werden. Lediglich für die Mitbewerber bejaht die Rechtsprechung also die Schutzgesetzeigenschaft von §§ 1, 3 UWG6 . Die Begründung für diese Differenzierung bei der Schutzgesetzeigenschaft der UWG-Normen - hinsichtlich der Verbraucher Ablehnung, hinsichtlich der Mitbewerber Anerkennung - wird damit begründet, daß ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 11 BGB nur eine Vor1 "Priifzeichen"-Entscheidung:

50li

BGH NJW 1974, 1503ff., 1505; LG Frankfurt/Main, NJW 1964,

2 LG Frankfurt/M., NJW 1964, 501 i; wohl auch die maßgebliche "Prüfzeichen"-Entscheidung des BGH, NJW 1974, 1503 ff., 1505, obwohl hier nicht ganz deutlich wird, ob bereits der Schutzgesetzcharakter verneint wird - so der Leitsatz - oder lediglich eine Verdrängung des Anspruchs aus § 823 II BGB i.V.m. § 3 UWG auf der Ebene der Anspruchskonkurrenzen angenommen wird - so die knappe Begründung. 3 BGHZ 15,338 ff., 355; 41, 314 ff., 317; 48,12 ff., 16; BGH JZ 1980,147 ff., 148; auch: BGH GRUR 1974,781; diese Entscheidung ist zwar zu § 26 WZG ergangen, dieser entspricht jedoch § 3 UWG. 4 Schricker, GRUR 1975, 111 ff., 112; Traub, GRUR 1980,673 ff., 676; Lehmann, Vertrags anbahnung durch Werbung, S. 106 ff. s BGHNJW 1974, 1503 ff. 6 BGHZ 15,338 ff., 355; 41,314 ff., 317; 48, 12 ff., 16; BGH JZ 1980, 147 ff., 148; LG FrankfurtlM., NJW 1964,501.

1. Kapitel: § 823 11 BGB i.v.m. UWG-Nonnen

241

schrift sein könne, die gerade den Schutz des Einzelnen bezwecke, nicht aber ein Gesetz, das lediglich "die Allgemeinheit" vor Wettbewerbsauswüchsen bewahren solle; dadurch sollten lediglich die Interessen der Allgemeinheit bei der Bildung eines Maßstabes für die Sittenwidrigkeit einer Wettbewerbshandlung berücksichtigt werden, nicht aber der Allgemeinheit ein Recht eingeräumt werden.? Die bei einem schuldhaften Verstoß gegen § 3 UWG eingreifende Sonderregelung des § 13 11 UWG schließe die Anwendung von § 823 11 BGB aus. 8

m. Literatur Die Literatur ist in der Frage, ob über § 823 11 BGB i. v.m. UWG-Normen rur die Verbraucher Individualansprüche begründet werden können, gespalten. Ein Teil lehnt, der Rechtsprechung folgend, Ansprüche der Verbraucher aus § 823 11 BGB i.V.m. § I und § 3 UWG ab. 9 Zur Begründung wird einerseits zum Teil bereits der Schutzgesetzcharakter der UWG-Normen hinsichtlich der Verbraucher verneintlO ; andererseits wird zumindest eine Verdrängung des Anspruchs aus § 823 11 BGB gegenüber der UWG-Regelung angenommenll , die über das Rücktrittsrecht des § 13a UWG und den sich hieraus ergebenden Folgeansprüchen hinaus den betroffenen Verbrauchern keine Individualansprüche gibt, sondern lediglich das Kollektivklagerecht der Verbraucherverbände gern. § 13 11 Nr. 3 UWG kennt. Ein anderer Teil der Literatur hingegen bejaht Individualansprüche der betroffenen Verbraucher aus § 823 11 BGB i.V.m. § 1 und § 3 UWG, wobei der Schutzgesetzcharakter der UWG-Normen rur den Verbraucher bejaht und eine Verdrängung des § 823 11 BGB durch die UWG-Regelung verneint wird. 12 Der LG FrankfurtJM., NJW 1964,501 [ BGH NJW 1974, 1503 ff., 1505. 9 RGRK-steffen, § 823, Rz. 556; Soergel-Zeuner, § 823, Rz. 269; Ennan-Schiemann, 8. Aufl., § 823, Rz. 162; MünchKomm-Mertens, § 823, Rz. 174; Staudinger-Schäfer, § 823, Rz. 607; Baumbach-Hefennehl, § 3, Rz. 440; v. Garnm, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. 1, 1. Hlbd., Kap. 8, Rz. 6 [; ders., UWG, Ein!. A, Rz. 37; Wedemeyer, WRP 1972, 117 ff., 119; Canaris, FS Larenz 1983, 27 ff., 69; kritisch Palandt-Thomas, § 823, Rz. 153, 155; Tilmann, ZHR 141 (1977), 32ff., 37 [ 10 Staudinger-Schäfer, § 823, Rz. 607; MünchKomm-Mertens, § 823, Rz. 174; Soergel-Zeuner, § 823, Rz. 269; Canaris, FS Larenz, 1983,27 ff., 69; Wedemeyer, WRP 1972, 117 ff., 119. 11 Ennan-Schiemann, 8. Aufl., § 823, Rz. 162; v. Garnm, UWG, Einl. A, Rz. 30; BaumbachHefennehl, § 3, Rz. 440; wohl auch RGRK-Steffen, § 823, Rz. 556. 12 Sack, BB 1974, 1369 ff., 1370; ders., NJW 1975, 1303 ff., 1305 ff.; Schricker, GRUR 1974, 579ff., 580; ders., GRUR 1975, 111 ff.; Traub, GRUR 1980, 673 ff., 676; Fricke, GRUR 1976, 680ff., 682 [; Hernnann, GRUR 1982,395 ff., 400 ff.; Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 7

8

16 Scherer

242

III. Teil: Individuelle AbwehranspIilche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Rechtsprechung und dem ihr folgenden Teil der Literatur wird dabei vorgeworfen, sie halte Tatbestandsmäßigkeit und Anspruchskonkurrenz nicht auseinander. 13 Hinsichtlich individueller Schadensersatzansprüche der Verbraucher bestehe im UWG eine Regelungslücke, die durch Heranziehung des § 823 11 BGB auszufüllen sei14 ; gleichfalls werden Individualansprüche der Verbraucher auf Unterlassung angenommen. 15 IV. Kriterien zur Schutzgesetzbestimmung 1. Suche nach Präzision

Um die oben gestellte Frage nach den Individualansprüchen von Verbrauchern aus § 823 11 BGB i.Y.m. UWG-Normen zur Abwehr von Werbung beantworten zu können, ist zunächst zu klären, was unter einem Schutzgesetz im Sinne des § 823 11 BGB zu verstehen ist. Die frühere Rechtsprechung sah als Schutzgesetz eine solche Rechtsnorm an, die - sei es auch neben dem Schutz der Gesamtheit - gerade dazu dienen solle, den einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines Rechtsgutes zu schützen; dabei komme es nicht auf die Wirkung, sondern auf den Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlaß des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt habe. 16 Es genüge, daß die Norm auch das Interesse der einzelnen schützen solle, wenngleich sie in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge habe. 17 In der Rechtspraxis erwies sich das Kriterium des Schutzzwecks der Norm jedoch als sehr problematisch, da es nahezu ohne Aussagekraft und damit praktisch weitgehend unbrauchbar war. 18 Insgesamt konnte die Abgrenzung nach Individual- und Institutionenschutz allenfalls in seltenen Grenzfällen eine Antwort auf die Frage nach dem Schutzgesetzcharakter einer Norm geben. 19

119ff.; Lelunann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 106; ders., NJW 1981, 1233ff., 1238; Emmerich, S. 366; Nordemann, Rz. 17; Alt, Recht und Praxis der Briefkastenwerbung, S. 111f. 13 Sack, BB 1974, 1369 ff., 1370; ders., NJW 1975, 1303 ff., 1306; Traub, GRUR 1980,673 ff., 676; Le1unann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 106 t: 14 Schricker, GRUR 1975, 111 ff., 113, 118. 15 Fricke, GRUR 1976,680 ff., 683. 16 BGHZ 12, 146 ff., 148; 22, 293 ff., 297; 28, 359 ff., 365; 29, 100 ff., 102; 40, 306. 17 BGHZ 40,306. 18 Knöpfte, NJW 1967,697; Canaris, FS Larenz, 1983, 27 ff., 46; Schlosser, JuS 1982, 657 ff., 659; ähnlich auch BGHZ 66, 388 ff., 390.

I. Kapitel: § 823 II BGB i.V.m. UWG-Nonnen

243

Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Schutzgesetzeigenschaft einer Nonn in der Rechtspraxis unternahm Knöpfte20 eine Präzisierung der Kriterien zur Schutzgesetzbestimmung: Sein tragender Gedanke ist, daß der Schadensersatzanspruch nach § 823 11 BGB dem Sinn und System der Gesamtrechtsordnung des bürgerlichen Rechts und im besonderen des Rechts des außervertraglichen Schadensausgleichs entsprechen müsse. 21 Er müsse aber auch mit Inhalt, Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbar sein, an dessen Verletzung er geknüpft werde. Die Pflicht zum Schadensersatz, die sich bei der Annahme eines Schutzgesetzes ergebe, dürfe dem System und inneren Zusammenhang der Rechtsordnung im ganzen, des bürgerlichen Rechts und des Rechts des außervertraglichen Schadensausgleichs nicht zuwiderlaufen; ein Schutzgesetz liege daher nicht vor, wenn die Folgen der Gesetzesübertretung schon an anderer Stelle so erschöpfend geregelt seien, daß ein Rückgriff auf § 823 11 BGB die inhaltliche Beschränkung des Ersatzanspruchs oder die besondere Begrenzung seiner Verjährungsfrist aushöhlen würde. 22 Die Rechtsprechung hat die These von Knöpfte aufgenommen. 23 Sie stellt seitdem in ständiger Rechtsprechung für die Bestimmung des Schutzgesetzcharakters einer Nonn im Anschluß an Knöpfte das Kriterium auf, daß die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs in diesen Fällen sinnvoll sein und im Lichte des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen müsse. 24 Ob der Gesetzgeber an die Verletzung der geschützten Interessen deliktische Schadensersatzansprüche knüpfen wolle, ergebe sich erst aus einer umfassenden Würdigung und Gesamtbetrachtung des Regelungszusammenhangs, in den die Nonn gestellt sei?5 2. Weitergehende Präzisierungsversuche

Auch die Literatur hat die dogmatische Präzisierung der Kriterien zur Schutzgesetzbestimmung von Knöpfte und ihre Übernahme durch die Rechtsprechung grundsätzlich akzeptiert26 • Zusätzlich haben einige Autoren weitere

19

Canaris, FS Lacenz, 1983, 27 ff., 47; Scluniedel, Deliktsobligationen nach deutschem Kartell-

recht, S. 117 f. 20 NJW 1967,697 ff. 21 Knöpfte, NJW 1967,697 ff., 699 f. 22 Knöpfte, NJW 1967,697 ff., 700. 23 Erstmals BGHZ 66, 388 ff., 390; folgend: BGH VersR 1978, 609 ff., 610; OLG Düsseldorf, NJW 1979,2618; BGH NJW 1980, 1792 f.; NJW 1982,2780 f. 24 BGHZ 66, 388 ff., 390; BGH VersR 1978,609 ff., 610; OLG Düsseldorf, NJW 1979,2618; BGH NJW 1980, 1792 f.; NJW 1982,2780 f. 2S BGH VersR 1978,609 ff., 610; NJW 1980, 1792.

244

III. Teil: Individuelle Abwehransprüche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Kriterien zur Schutzgesetzbestimmung entwickelt. Die "Subsidiaritätsthese" von Hans Schlosser27 basiert auf seiner Interpretation der Entscheidung des BGH vom 5.2.1980. 28 Schlosser geht hierbei davon aus, daß ein Schutzgesetz lediglich dann angenommen werden könne, wenn die schützenswerten Interessen des Geschädigten nicht schon durch eine andere, eigenständige Regelung ausreichend berücksichtigt seien, und zwar in dem Sinne, daß eine Entschädigung durch andere Haftungsnormen bereits gewährleistet ist, Schadensersatzansprüche also bereits mittels anderer Haftungsnormen realisiert werden können. 29 Das Ergebnis dieser These ist letztlich die Subsidiarität des § 823 11 BGB gegenüber Haftungsnormen, die das Interesse des Geschädigten positiv berücksichtigen30 ; lediglich wenn solche dem Geschädigten einen Anspruch gewährenden Haftungsnormen nicht vorhanden sind, würde § 823 11 BGB zum Tragen kommen. Eine solche Subsidiarität des § 823 11 BGB, wie sie die Konsequenz von Schlossers Interpretation der BGH-Entscheidung vom 5.2.1980 31 ist, muß jedoch abgelehnt werden. 32 Zum einen findet eine derartige Interpretation in der besagten BGH-Entscheidung keine ausreichende Stütze; vor allem ist nicht ersichtlich, daß der BGH die Subsidiarität des § 823 11 BGB in dem beschriebenen Sinn seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte. 33 Unabhängig davon ist die dargestellte "Subsidiaritätsthese" jedoch bereits deshalb abzulehnen, weil es für die bei der Bestimmung des Schutzzweckcharakters einer Norm erforderliche Gesamtwürdigung des Regelungszusanunenhangs nicht darauf ankommen kann, ob überhaupt Ansprüche für den Geschädigten in anderen Normen bestehen, sondern darauf, ob eine umfassende Regelung an sich getroffen worden ist, in die die Interessen des Geschädigten überhaupt einbezogen wurden; gleichgültig ist dabei, ob der Gesetzgeber die Verletzung der Interessen des Anspruchstellers mit einer Haftungsnorm sanktio26 MünchKonun-Mertens, § 823, Rz. 143 ff.; RGRK-Steffen, § 823, Rz. 544 ff.; Stau dingerSchäfer, § 823, Rz. 589, 592; Erman-Schiernann, 8. Aufl., § 823, Rz. 158 [; Larenz, Schuldrecht H, S. 620; Medicus, Bürgerliches Recht, Rz. 621; Canaris, FS Larenz, 1983, 27 ff., 46 ff.; Schlosser, JuS 1982, 657 ff., 659; Sclunidt, Kartellverfahrensrecht - Kartellverwaltungsrecht - Bürgerliches Recht, S. 356 ff. 27 JuS 1982, 657 ff. 28 BGH NJW 1980, 1792 [ 29 Schlosser, JuS 1982, 657 ff., 658 [ 30 Ebenso Staudinger-Schäfer, § 823, Rz. 595. 31 BGH NJW 1980, 1792 [ 32 Ebenso Staudinger-Schäfer, § 823, Rz. 595; MünchKonun-Mertens, § 823, Rz. 143, Fn. 219; Cypionka, JuS 1983,23 [; Deutsch, JZ 1984,308 ff., 312. 33 Staudinger-Schäfer, § 823, Rz. 595; MünchKonun-Mertens, § 823, Rz. 143, Fn. 219; Deutsch, JZ 1984, 308 ff., 312; Cypionka, JuS 1983, 23 [

1. Kapitel: § 823 II BGB i.V.m. UWG-Nonnen

245

niert oder sie ohne vermögensrechtliche Konsequenzen gelassen hat - mit anderen Worten: Relevant ist nur die Einbeziehung der Interessen des Geschädigten in eine umfassende Regelung, gleichgültig, ob ihm dadurch Ansprüche zuteil werden oder nicht. Jede andere Konzeption für die Bestimmung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 11 BGB würde den Grundsatz echter Anspruchskonkurrenz im Bereich der Schadensersatzansprüche negieren. 34 Canaris35 hat zur weiteren Präzisierung der Kriterien für die Bestimmung des Schutzzweckcharakters einer Norm die "Strafnormtheorie" aufgestellt. Sie besagt, daß die Strafbewehrung einer Norm bei nicht unter § 823 11 BGB fallenden Gütern und Interessen grundsätzlich das Kriterium für die Ermittlung der Schutzgesetzeigenschaft bilde. 36 Dem muß jedoch entgegengehalten werden, daß aus der Sanktion nicht auf die Schutzrichtung des ihr zugrunde liegenden Verhaltensgebots geschlossen werden kann. 37 Da nur die in den Verhaltensnormen vorn Gesetzgeber ausgesprochenen Handlungsanweisungen den Schutz anderer bezwecken können, kann ihre Zielsetzung nicht davon abhängen, ob der Gesetzgeber es nun für opportun gehalten hat, das Verhaltensgebot mit einer Sanktionsandrohung zu verstärken. 38 Die fehlende oder vorhandene Strafbewehrung der Verhaltensnorm kann daher noch nicht über den Schutzzweck entscheiden; dies ist vielmehr nur nach einer umfassenden Gesamtwürdigung des Regelungszusammenhangs der Norm und des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems zu beurteilen. Schmiedee 9 hat anhand einer umfassenden Analyse der Rechtsprechung zahlreiche Richtlinien für die Schutzzweckermittlung einer Norm aufgestellt 40 und ermittelt den Schutzzweck aus der Normstruktur4\ , aus dem Zusammenhang42 und aus der Entstehungsgeschichte. 43 Jedoch räumt Schmiedel dabei selbst ein, daß es nicht nur keine Rangordnung für Normstruktur, Zusammenhang und Entstehungsgeschichte als Erkenntnismittel für den Schutzzweck von Normen geben kann, daß sich hier also durchaus Widersprüche aus der Verwendung verschiedener Erkenntnismittel ergeben können44 , sondern daß sogar aus der Benutzung nur eines Erkenntnismittels, etwa des Zusammenhangs,

34 3S

36 37 38

I.E. ebenso Canaris, FS Larenz, 1983,27 ff., 63. FS Larenz, 1983, 27 ff. Canaris, FS Larenz, 1983,27 ff., 50. Ennan-Schiemann, 8. Aufl., § 823, Rz. 158. Dörner, JuS 1987, 522 ff., 524.

43

Deliktsobligationennach deutschem Kartellrecht, 1974. Schmiedei, Deliktsobligationennach deutschem Kartellrecht, S. 168 f., 171, 179. S.159ff. S. 187 ff. S.200.

44

Schmiedei, S. 226.

39 40 41

42

246

III. Teil: Individuelle Abwehransprtlche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Widersprüche resultieren können. 45 Bereits deshalb muß es - ungeachtet dessen, daß die von Schmiedel dargestellten Anhaltspunkte durchaus aufschlußreich sein mögen46 - als illusionär erscheinen anzunehmen, das Schutzgesetzprinzip ermögliche die Entwicklung derartiger Richtlinien, die für jeden Fall Antworten auf die Frage nach der Schutzgesetzeigenschaft der Norm parat hätten. 47 Schmiedel ist daher vollkommen zuzustimmen, wenn er sagt, daß "durch bloßen Schematismus sich das schwierige Geschäft der Schutzzwekkermittlung eben nie vereinfachen läßt,,48 . Für die Untersuchung der Frage, ob aus § 823 11 BGB LV.m. UWG-Normen, insbesondere §§ 1, 3 UWG Individualansprüche betroffener Verbraucher zur Abwehr von Werbung entnommen werden können, ist daher die von der ständigen Rechtsprechung und der h.M. in der Literatur gebrauchte These maßgeblich, daß die Norm zumindest neben anderen Zwecken auch einem gezielten Individualzweck dient und die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs erkennbar vom Gesetzgeber erstrebt ist oder zumindest im Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint. 49 Anhand dieser Kriterien ist daher nun zu untersuchen, ob § 1 bzw. § 3 UWG Schutzgesetze für betroffene Verbraucher im Sinne des § 823 11 BGB darstellen. V. Der Verbraucherschutz im UWG 1. Entwicklung

Daß das UWG auch verbraucherschützend wirkt, wird heute nahezu nicht mehr in Frage gestellt. Zwar war dies keineswegs immer so: Ursprünglich wurde angenommen, daß das UWG lediglich dem Individualschutz der einzelnen Mitbewerber diene. 50 Allmählich begann jedoch eine Abkehr von dieser rein individualrechtlichen Auffassung hin zur sozialrechtlichen51 , und die Erkenntnis setzte sich durch, daß Schutzsubjekt des UWG nicht nur die einzelnen Mitbewerber, sondern ebenso die übrigen Marktbeteiligten, insbesondere also die Verbraucher und zudem die Allgemeinheit sind. 52 Schmiedei, S. 226. MünchKonun-Mertens, § 823, Rz. 149. 47 Schmidt, Kat1ellverfahrensrecht - Kartellverwaltungsrecht - Bürgerliches Recht, S. 360. 48 Schmiedei, S. 199. 49 Für alle: BGHZ 66, 388 ff., 390; Palandt-Thomas, § 823, Rz. 141. 50 Vgl. Baumbacll, Wettbewerbsrecht, 1929, S. 128. 51 RGSt MuW XV, 46 ff., 49; RGZ 108,272 ff., 274; 120,47 ff., 49; Ulmer, GRUR 1937,769 ff. 52 Ganz herrschende Meinung und ständige Rechtsprechung: BGH GRUR 1955, 541; 1965, 489ff., 491; 1969, 287 ff., 289; 1970, 523 ff., 524; 1977, 608 ff., 611; NJW 1988, 1670 ff., 1671; 1989, 2820; Baumbach-Hefermehl, Ein!. UWG, Rz. 41 ff.; Ulmer/Reimer, Unlauterer Wettbewerb III, 45

46

1. Kapitel: § 823 II BGB i.V.m. UWG-Nonnen

247

Mit Einführung des Verbraucherverbandsklagerechts durch das UWG-Änderungsgesetz vom 21.7.1965 53 - früher § 13 I a, jetzt § 13 11 Nr. 3 - hat der Gesetzgeber selbst die sozialrechtliche Auffassung über die Schutzsubjekte des UWG eindeutig bestätigt: Wie sich aus der amtlichen Begründung zur Einführung der Klagebefugnis der Verbraucherverbände54 ergibt, sah der Gesetzgeber selbst den Schutz der Verbraucher als wichtiges Ziel des Wettbewerbsrechts an. 55 Für die Ausgangsfrage der Untersuchung ist daher zunächst festzuhalten, daß das UWG heute jedenfalls auch dem Schutz des Verbrauchers dient. Bei dieser Feststellung kann man jedoch nicht stehen bleiben. Vielmehr ist entsprechend der oben dargestellten Kriterien - die Frage zu klären, ob hier die Schaffung individueller Schadensersatz- oder sonstiger Ansprüche für die Verbraucher zumindest im Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint oder aber diesem widerspricht. Das Problem spitzt sich also letztlich auf die Frage zu, ob die Gewährung von Individualansprüchen aus § 823 11 BGB i.Y.m. § 1, § 3 UWG für die Verbraucher zu dem Anspruchssystem des UWG "paßt" oder ob nicht der Gesetzgeber selbst mit dem UWG eine umfassende Regelung auch der Verbraucherbelange getroffen hat, so daß eine Qualifizierung von § 1 und § 3 UWG als Schutzgesetze für die Verbraucher nach den oben dargestellten Kriterien nicht möglich ist. 2. Analyse der Gesetzgebungsmaterialien

In den Materialien zur Einführung des Verbraucherverbandsklagerechts sind Äußerungen enthalten, die Schlüsse für die oben aufgeworfene Frage ermöglichen: Zunächst ist in der amtlichen Begründung56 die Rede davon, daß "... die Verbraucherschaft nach geltendem deutschen Recht bisher keine Möglichkeit (hat), unmittelbar gegen Wettbewerbsverstöße vorzugehen, durch die sie betroffen wird. Der einzelne Verbraucher kann nur nach den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches vorgehen, und zwar nur dann,

Nr. 29; v. Gamm, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahrensrecht, Bd. 1. 1. Hlbd. Kap. 4, Rz. 13; ders., UWG, Eint: A, Rz. 16; Gloy-Greuner, § 2, Rz. 5 ff.; Emmerich, S. 19 f; Fricke, GRUR 1976,680 ff., 681 f; Schricker, GRUR 1974, 579; ders., GRUR 1975, 111 If, 112; Sack, BB 1974, 1369 f; ders., NJW 1975, 1303 f; Hernnann, GRUR 1982, 393ff., 400f; Nastelski, GRUR 1969, 3221f; Baudenbacher, GRUR 1981, 19ff.; ablehnend lediglich hinsichtlich der Berücksichtigung von "Allgemeininteressen" , nicht aber hinsichtlich des Verbraucherschutzes Schwartz, GRUR 1967, 333ff., 341 ff.; sowohl Verbraucher- als auch Allgemeininteressenschutz ablehnend Samwer, GRUR 1969, 326ff. 53 BGBI. 1652. 54 BT-Drucksache IV12217 (1964). 55 BT-Drucksache IV12217 (1964), S. 3 f 56 BT-Drucksache IV12217 (1964).

248

III. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

wenn er selbst einen Schaden erlitten hat ... ,,57 . Diese Äußerung zu Beginn der amtlichen Begründung zeigt zunächst nur, daß lediglich Individualansprüche betroffener Verbraucher nach BGB, nicht aber nach UWG bestehen - dies jedoch ist völlig eindeutig und bringt eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck. Es fragt sich also, ob der Gesetzgeber hier unter den "allgemeinen Vorschriften" des BGB auch § 823 11 BGB verstand58 , oder ob die Äußerung im vorhergehenden Satz, der Verbraucher habe "bisher keine Möglichkeit", unmittelbar gegen Wettbewerbsverstöße vorzugehen, nicht so zu verstehen ist, daß für den Gesetzgeber an eine "Transformierung" der Wettbewerbsansprüche ins bürgerliche Recht über die "Blankettnorm" des § 823 11 BGB eben gerade nicht zu denken war. Schricker meint hierzu, daß die fehlende Erwähnung des § 823 11 BGB vor allem daran liege, daß man auf diese Möglichkeit noch nicht aufmerksam geworden war, da sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Diskussion stand. 59 Zwar ist richtig, daß die eigentlich diskussionsauslösende "Prüfzeichen"Entscheidung des BGIfo erst zehn Jahre nach dieser amtlichen Begründung gefällt wurde; zum Zeitpunkt der Gesetzesbegrundung lag aber bereits das Urteil des LG FrankfurtlM. vom 1l.1O.1963 61 vor, in dem ausdrücklich die Gewährung von Individualansprüchen für betroffene Verbraucher aus § 823 11 BGB i.Vm. § 1 UWG abgelehnt wird. Für das federführende Bundesjustizministerium war also der Fachliteratur zu diesem Zeitpunkt bereits zu entnehmen, daß eine solche Heranziehung des § 823 11 BGB auf Ablehnung gestoßen war. Es liegt daher nahe, daß der Gesetzgeber eine Klagemöglichkeit der Verbraucher aus § 823 11 BGB i.Vm. UWG-Normen nicht als gegeben betrachtete. Dies wird durch die weiteren Ausführungen der amtlichen Begründung untermauert: Nach einer Darstellung des individuellen Klagerechts betroffener Verbraucher nach dem schweizerischen Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb vom 30.9.1943 (Art. 2 Abs. 2 und 3) und der fehlenden praktischen Bedeutung dieses Individualklagerechts führt die amtliche Begründung aus: "Aus diesem Grund erscheint es nicht zweckmäßig, dem einzelnen Verbraucher selbst eine Klagemöglichkeit zu eröffnen ... ,,62. Hieraus läßt sich schließen, daß der Gesetzgeber nicht davon ausging, daß die betroffenen Verbraucher eine individuelle Klagemöglichkeit ähnlich der des schweizerischen Wettbewerbsrechts haben; eine solche bestünde aber faktisch über § 823 11 BGB i. Vm. § 1 und § 3 UWG. Wäre der Gesetzgeber von dem Bestehen dieser ~7 BT-Drucksache IV12217 (1964), S. 3. ~8 So Schricker, GRUR 1975, III ff., 118. ~9 Schricker, GRUR 1975, III ff., 118. 60 61 62

NJW 1974, 1503 ff. NJW 1964,501 f. BT-Drucksache IV12217 (1964), S. 4.

1. Kapitel: § 823 11 BGB i.V.m. UWG-Nonnen

249

- dem schweizerischen Individualklagerecht faktisch gleichstehenden - Individualklagemöglichkeit ausgegangen, hätte er auf diese bereits bestehende Klagemöglichkeit hingewiesen und aus diesem Grund die zusätzliche Ein:fiihrung eines solchen Klagerechts aus dem UWG für überflüssig erachtet. Auch aus dem Bericht des Wirtschaftsausschusses zur Ein:fiihrung des Verbraucherverbandsklagerechts63 läßt sich für die Annahme individueller Ansprüche betroffener Verbraucher über § 82311 BGB i.Y.m. § 1 bzw. § 3 UWG nichts entnehmen. Insgesamt ergibt also eine Auswertung der Materialien zur Ein:fiihrung des Verbraucherverbandsklagerechts, daß der Gesetzgeber eine Klagemöglichkeit betroffener Verbraucher aus § 82311 BGB i.Y.m. § 1 bzw. § 3 UWG nicht für gegeben hält. . Angesichts dessen kann man sich bei der Analyse dieser Gesetzgebungsmaterialien hingegen nicht auf den Standpunkt stellen, daß der Gesetzgeber Ansprüche aus § 823 11 BGB i.Y.m. UWG-Normen nicht hätte "abschneiden" wollen64 ; eine solche Argumentation setzt nämlich dogmatisch von der falschen Seite an: Eine Norm hat ja nicht deshalb Schutzgesetzeigenschaft, weil der Gesetzgeber sie ihr "nicht wegnehmen" will, sondern der Schutzgesetzcharakter der Norm muß aus dem Gesamtzusarnrnenhang der gesetzlichen Regelung positiv festgestellt werden. Das Ergebnis, daß der Gesetzgeber eine Individualklage betroffener Verbraucher aus § 823 11 BGB i.Y.m. § 1 bzw. § 3 UWG nicht für möglich hielt, wird durch die Materialien zur Einführung des neuen § l3a UWG65 nicht nur bestätigt; vielmehr läßt sich eindeutig feststellen, daß der Gesetzgeber über § l3a UWG hinausgehende Individualansprüche betroffener Verbraucher ausdrücklich nicht gewähren will: Der Rechtsausschuß erörterte den Antrag von Ausschußrnitgliedern der SPD-Fraktion, über das Rücktrittsrecht des § l3a UWG hinaus auch noch einen Schadensersatzanspruch für die Verbraucher einzuführen; dies wurde jedoch mehrheitlich abgelehnt. Zur Begründung wurde ausdrücklich festgestellt, daß das Rücktrittsrecht praktikabler und ausreichend sei, die Interessen der Verbraucher zu berücksichtigen66 . Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich also, daß über das Rücktrittsrecht des § 13a UWG hinausgehende Individualansprüche der Verbraucher vorn Gesetzgeber abgelehnt werden. 67 Von einer "Lükke" des UWG hinsichtlich der Individualansprüche von Verbrauchern kann also keine Rede sein. Derartige Ansprüche BT-Drucksache IV/3403 (1965). So aber Schricker, GRUR 1975, 111 ff., 118. 6S BT-Drucksache 10/5771 (1986). 66 BT-Drucksache 10/5771 (1986), S. 22. 67 Spätestens mit Einfilhrung des § 13a UWG ist daher auch die Ansicht obsolet geworden, den Abnehmern stehe eine Klagebefugnis unmittelbar aus UWG zu; hierzu vgl. vor allem Sack, WRP 1982, 615 ff., 622. 63

64

250

III. Teil: Individuelle Abwehransprilche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

mittels einer "Transformierung" der Wettbewerbsansprüche ins bürgerliche Recht über die "Blankettnonn" des § 823 11 BGB dennoch - entgegen dem erklärten Willen des Gesetzgebers - zu gewähren68 , stellt eine Mißachtung des Gesetzgebers dar und muß daher abgelehnt werden. 3. Schlußfolgerungen

Es ist also festzuhalten, daß - entsprechend den oben dargestellten Kriterien der Rechtsprechung und der h.M. für die Schutzgesetzbestimmung - die Schaffung individueller Ansprüche für die Verbraucher aus § 823 11 BGB i.V.m. UWG-Nonnen dem haftungsrechtlichen Gesamtsystem widerspricht und daher § I und § 3 UWG nicht als Schutzgesetze im Sinne des § 823 11 BGB für die betroffenen Verbraucher qualifiziert werden können. Einige Autoren erheben allerdings demgegenüber den Vorwurf, eine solche Beeinträchtigung vermische Fragen der Tatbestandsmäßigkeit mit denen der Anspruchskonkurrenz. 69 Was aber "Tatbestandsmäßigkeit" im Rahmen des § 823 11 BGB bedeutet, hängt ganz davon ab, welche Kriterien zur Schutzgesetzbestimmung verwendet werden: Fordert man - wie in der vorliegenden Untersuchung -, daß für die Schutzgesetzeigenschaft im Sinne des § 823 11 BGB die betreffende Nonn nicht nur zumindest auch einem gezielten Individualzweck dient, sondern auch die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs erkennbar vom Gesetzgeber erstrebt ist oder zumindest im Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheine o , so ist der Vorwurf nicht gerechtfertigt, da bereits die Kriterien für die Schutzgesetzbestimmung eine Untersuchung auch anderer Haftungsnonnen erfordern. Lehnt man jedoch die dargestellten Kriterien zur Schutzgesetzbestimmung ab und fordert - wie dies die frühere Rechtsprechung tael - lediglich einen, wenn auch nur neben dem Schutz der Allgemeinheit, bestehenden Individualschutzzweck, so stellt sich das erörterte Problem zwar noch nicht auf der Tatbestandsebene; insoweit ist den Kritikern der Rechtsprechung zu konzedieren, daß der BGH sich in der "Prüfzeichen"-Entscheidung zumindst völlig unklar bzw. gar nicht hinsichtlich der von ihm angewendeten Kriterien zur Schutzgesetzbestimmung äußert. Die sich aus der Analyse der Gesetzgebungsmaterialien ergebenden Konsequenzen, nämlich die Ablehnung weiterer, über § l3a UWG hinausgehender 68

69

So aber Emrnerich, S. 366, Fn. 180. Sack, BB 1974, 1369 ff., 1370; ders., NJW 1975, 1303 ff., 1306; Traub, GRUR 1980, 673 ff.,

676; Lelunann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 106 f. 70 V gl. oben, IV. 71

Vgl. oben, IV. I.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

251

Individualansprüche für die betroffenen Verbraucher muß jedoch auch bei einer anderen Auffassung von den Kriterien zur Schutzgesetzbestimmung Berücksichtigung finden: Beantwortet man aufgrund einer Anwendung der Kriterien zur Schutzgesetzbestimmung, die die ältere Rechtsprechung verwendete, die Frage nach dem Schutzgesetzcharakter der §§ 1, 3 UWG positiv, so kommt man nicht umhin, auf der Ebene der Anspruchskonkurrenzen sich dem Willen des Gesetzgebers zu stellen. Spätestens hier muß in jedem Fall aus der ausdrücklichen Verweigerung von über § Ba UWG hinausgehenden Individualansprüchen betroffener Verbraucher die Konsequenz gezogen werden, daß an sich tatbestandsmäßig gegebene Ansprüche der Verbraucher aus § 823 11 BGB von der abschließenden negativen Regelung des UWG verdrängt werden; es kann nämlich nicht angehen, die verbindliche Entscheidung des Gesetzgebers, über das Rücktrittsrecht des § Ba UWG hinaus den Verbrauchern keine Individualansprüche zu gewähren, mittels des "Blanketts" des § 823 11 BGB auszuhebeln und so die dem Anspruchssystem des UWG zugrunde liegende gesetzgeberische Wertung zu negieren. Ob andere Haftungsnormen des bürgerlichen Rechts existieren, die den betroffenen Verbrauchern Individualansprüche gewähren, ist eine andere Frage, die mit § 823 11 BGB nichts zu tun hat. Ergibt sich, daß die Tatbestandsvoraussetzungen anderer Normen erfüllt sind, aus denen sich für die Verbraucher als Rechtsfolgen Ansprüche ergeben, die es ihnen ermöglichen, sich gegen Werbung zur Wehr zu setzen, so bleibt es diesen Verbrauchern natürlich unbenommen, diese ihnen vom bürgerlichen Recht gebotenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Ob solche Anspruchsgrundlagen existieren, wird Gegenstand der folgenden Kapitel sein. Für § 823 11 BGB i.Y.m. UWG-Normen, insbesondere § 1 und § 3 UWG aber ist festzuhalten, daß diese Normen dem Verbraucher keine Individualansprüche, also auch nicht solche zur Abwehr von Werbung gewähren können.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht Rechtsprechung und Literatur ziehen für den individuellen Schutz des Verbrauchers vor Werbung häufig das allgemeine Persönlichkeitsrecht heran; ein Individualschutz des Verbrauchers wird über dieses Rechtsinstitut gewährleistet oder zumindest erwogen.

252

III. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

I. "Wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht" ?

In der neueren Literatur gibt es zudem Vorschläge, für die wirtschaftliche Entfaltung der Persönlichkeit - die beim Verbraucherschutz gegenüber Werbung ja zumindest auch in Frage steht - ein eigenes "wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht" anzuerkennen. 72 Dieses wirtschaftliche Persönlichkeitsrecht wird als Persönlichkeitsrecht für den wirtschaftlichen Bereich einer Person konstruiert und gewährt deliktsrechtlichen Schutz ohne Rücksicht darauf, ob das Wirtschaften in unternehmerischer oder nichtunternehmerischer Eigenschaft erfolgt73. Hinsichtlich letzterem wird es als Recht zur Teilnahme am Wettbewerb als Nachfrager und Verbraucher in Ausübung der Konsumentensouveränität formuliert. 74 Die Konstruktion eines solchen wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechts wird von ihren Befürwortern deshalb für nötig gehalten, weil nach ihrer Ansicht sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur auf den privaten Bereich der Persönlichkeit beschränkt. 75 Der wirtschaftliche Bereich der Persönlichkeit sei hinsichtlich des Unternehmers zwar abgesichert durch die Anerkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, durch § 826 BGB und zahlreiche Normen aus dem UWG und dem GWB; hingegen fehle beim Verbraucher ein Persönlichkeitsschutz in wirtschaftlicher Hinsicht völlig. 76 Daher sei es erforderlich, diese Lücke im Rechtsschutz der Persönlichkeit durch die Anerkennung eines wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechts zu schließen; auf der Seite des Anbieters gehe dabei der durch die oben dargestellten Rechtsinstitute gewährte Persönlichkeitsschutz in dem "wirtschaftlichen Persönlichkeitsrecht" auf. 77 Von einer Erweiterung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die wirtschaftlichen Bezüge der Persönlichkeit solle hingegen abgesehen werden, da das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur den privaten Bereich betreffe und es deshalb geboten sei, diesem ein dogmatisch gleich strukturiertes wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht an die Seite zu stellen. 78 Die Konstruktion eines solchen wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechts neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist jedoch abzulehnen. Zum einen ist die Ausgangsthese unzutreffend, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur den 72 Fikentscher, Deutsches Wirtschaftsrecht, Bd. 11, S. 112 f, BI ff.; ders., Schuldrecht, § 103 11 2 vor a; Lehmann, FS Hubmann, 1985,255 ff. 73 Fikentscher, Deutsches Wirtschaftsrecht, Bd. 11, S. 112. 74 Lehmann, FS Hubmann, 1985,255 ff., 266. 75 Fikentscher, Deutsches Wirtschaftsrecht, Bd. 11, S. BI; Lehmann, FS Hubmann, 1985,255 ff., 256f 76 Fikentscher, Deutsches Wirtschaftsrecht, Bd. 11, S. 132; Lehmann, FS Hubmann, 1985,255 ff., 257. 77 Fikentscher, Deutsches Wirtschaftsrecht, Bd. 11, S. 112. 78 Fikentscher, Deutsches Wirtschaftsrecht, Bd. 11, S. 133.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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privaten, nichtwirtschaftlichen Bereich der Persönlichkeit schütze; gerade die Rechtsprechung zu den Fällen der sogenannten "Briefkastenwerbung" beweist das Gegenteil: So ist nämlich in ständiger Rechtsprechung, ihr folgend die herrschende Meinung in der Literatur, mittlerweile anerkannt, daß in den Fällen der sogenannten "Briefkastenwerbung" , also den Fällen, in denen trotz Widerspruchs des Umworbenen Werbematerial in dessen Briefkasten eingeworfen wird, hierdurch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Umworbenen verletzt werden kann. 79 Gerade hierbei wird jedoch der Verbraucher in seinem wirtschaftlichen Bereich, auf der "wirtschaftlichen Seite" seiner Persönlichkeit - nämlich gerade eben als potentieller Konsument - angesprochen. Weitere Beispiele des Schutzes auf der "wirtschaftlichen Seite" der Persönlichkeit bilden zahlreiche Entscheidungen, in denen auch das berufliche, also dem Erwerb zugewandte Ansehen und dessen Ausnutzung und "Vermarktung" betroffen waren. 80 Es trifft also nicht zu, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht nur die nichtwirtschaftliche Seite der Persönlichkeit schütze. Die Rechtsprechung selbst hat vielmehr bereits den Weg eingeschlagen zu einem Schutz des wirtschaftlichen Bereichs der nichtuntemehmerischen Persönlichkeit. Diese wirtschaftliche Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird zwar auch von Lehmann nicht geleugnet. 81 Anstatt nun aber den eingeschlagenen Weg weiterzubeschreiten und den wirtschaftlichen Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit den Schutz der "wirtschaftlichen Seite" der Persönlichkeit auszubauen, geht auch Lehmann - ebenso wie Fikentscher - davon aus, daß neben das allgemeine Persönlichkeitsrecht das wirtschaftliche Persönlichkeitsrecht zu stellen sei und dieses den wirtschaftlichen Bereich der Persönlichkeit, jenes hingegen den privaten, nichtwirtschaftlichen Bereich der Persönlichkeit schützen solle. 82 Da - wie oben dargestellt - aber die Ausgangsthese von dem ausschließlichen Schutz des privaten Bereichs der Persönlichkeit durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht unzutreffend ist, das allgemeine Persönlichkeitsrecht vielmehr auch die wirtschaftliche Seite der Persönlichkeit schützt83 , ist es inkonsequent, nun ein wirtschaftliches Persönlichkeitsrecht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gegenüberzustellen, an79 BGH GRUR 1973, 552 ff., 553; BGH NJW 1989, 902 ff.; OLG München, NJW 1984, 2422 f; LG Nürnberg-Fürth, NJW 1985, 1642 f; OLG Stuttgart, NJW 1987, 1422; OLG Frankfurt/M., NJW 1988, 1854 f; KG NJW 1990, 1824 ff.; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990,244 f; LG Freiburg, NJW 1990,2824; LG Hagen, NJW 1991,2911 ff.; OLG Harnburg, NJW 1991,2914; OLG Stuttgart, NJW 1991,2912; KG Kassel, NJW 1991,2912 f; rur die Literatur: Palandt-Thomas, § 823, Rz. 177 f, 195 m.w.N. 80 Z.B. BGHZ 30, 7 ff.; 20, 345 ff.; BGH GRUR 1979, 637 ff.; 734 ff.; vgl. auch Forkel, FS Neumayer, 1985,229 ff., 231; Erman-Weitnauer, 8. Aufl., Anb. zu § 12, Rz. 4 d. 81 Lehmann, FS Hubmann, 1985,255 ff., 257. 82 Lehmann, FS Hubmann, S. 255 ff., 266 ff. 83 Vgl. Forkel, FS Neumayer, S. 229 ff., 230 ff.

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III. Teil: Individuelle AbwehransplÜche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

statt den von der Rechtsprechung eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen und den durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährten Schutz auch der "wirtschaftlichen Seite" der Persönlichkeit auszubauen. Zum anderen ist folgendes festzuhalten: Der Konstruktion eines dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gegenüberstehenden wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechts liegt notwendigerweise der Gedanke zugrunde, daß wirtschaftliche Interessen einerseits und ideelle Interessen andererseits scharf zu trennen sind: Wenn nämlich das wirtschaftliche Persönlichkeitsrecht die "wirtschaftliche Seite" der Persönlichkeit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht den privaten Bereich mit nichtwirtschaftlichen, ideellen Interessen umfaßt, so muß eine exakte Abgrenzung zwischen beiden möglich sein. Gerade die Fälle der "Briefkastenwerbung" aber demonstrieren wiederum augenfallig, daß eine solche Abgrenzung zwischen wirtschaftlichen und ideellen Interessen nicht durchführbar ist: Zwar wird der Umworbene durch diese Werbung in seiner Eigenschaft als potentieller Konsument angesprochen und kann als solcher natürlich wirtschaftliche Entscheidungen aufgrund der betreffenden Werbung treffen; insoweit wäre die "wirtschaftliche Seite" seiner Persönlichkeit betroffen. Jedoch kann die Werbung auch für den Umworbenen Belästigungen, Ärger und Ruhestörungen mit sich bringen; insoweit wäre die "ideelle Seite" seiner Persönlichkeit betroffen. Gleiches gilt für zahlreiche Fälle, in denen ebenso wie hier die hinter dem Persönlichkeitsrecht stehenden ideellen und wirtschaftlichen Interessen unlösbar verflochten sind. 84 Eine scharfe Trennung von allgemeinem Persönlichkeitsrecht und wirtschaftlichem Persönlichkeitsrecht wäre daher gar nicht durchzuführen. 85 Die Konstruktion eines wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechts ist daher abzulehnen. Der Schutz der Verbraucher gegen Werbung kann nicht aus einem solchen wirtschaftlichen Persönlichkeitsrecht hergeleitet werden; vielmehr ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht daraufhin zu untersuchen, ob daraus ein individueller Schutz des Umworbenen gewährt werden kann.

II. Allgemeines Persönlichkeitsrecht zum Schutz der Verbraucher gegen Werbung 1. Die Rechtsprechung Zur Beantwortung der Frage, ob ein individueller Schutz des Verbrauchers gegen Werbung über das allgemeine Persönlichkeitsrecht möglich ist, soll zunächst die Handhabung dieses Rechts zum Schutz der Umworbenen durch 84

85

Forkel, FS Neumayer, 1985,229 ff., 243 f; Erman-Weitnauer, 8. Aufl., Anh. zu § 12, Rz. 4 d. Forkel, FS Neumayer, 1985,229 ff., 247; Erman-Weitnauer, 8. Aufl., Anh. zu § 12, Rz. 4 d.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

255

die Rechtsprechung untersucht werden. Die Rechtsprechung verwendet das allgemeine Persönlichkeitsrecht als anspruchsgewährendes geschütztes Rechtsgut des Verbrauchers in dem hier interessierenden Zusammenhang ausschließlich in der Fallgruppe der sogenannten "Briefkastenwerbung", also in den Fällen, in denen trotz Widerspruchs des Umworbenen Werbematerial in dessen Briefkasten eingewotfen wird. Die Beschränkung auf die Fälle der Briefkastenwerbung hat ihren Grund darin, daß diese Fälle bislang die einzigen sind, in denen sich - neben Mitbewerbern und anderen nach § 13 11 UWG Klageberechtigten - Verbraucher als einzelne selbst, also nicht mittels Einschaltung eines Verbraucherverbandes gegen Werbung zur Wehr setzen: Die Individualklagen betroffener Verbraucher können wegen fehlender Klagebefugnis der Verbraucher als Einzelne nach § 13 11 UWG nicht nach §§ 1 ff. UWG entschieden werden; es muß vielmehr eine Lösung nach bürgerlich-rechtlichen Normen gefunden werden. Die Beschränkung der Anwendung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als anspruchsgewährendes Schutzgut der Verbraucher ausschließlich auf Fälle der "Briefkastenwerbung" hat also keine dogmatischen, sondern lediglich rein praktische Gründe und dürfte spätestens mit der Erhebung von Klagen einzelner Verbraucher gegen andere Werbemethoden entfallen. Dies läßt sich auch daraus schließen, daß die Rechtsprechung bereits jetzt in den Bereichen der Telefon- und der Telexwerbung "verbale Anleihen" aus der dogmatischen Begriffswelt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts macht. Persönlichkeitsrechtliche Überlegungen spielen in der Rechtsprechung also auch außerhalb der "Briefkastenwerbungsfälle" zumindest in der Abwägung zwischen Interessen von Werbendem und Verbraucher eine Rolle, so daß zu erwarten ist, daß bei Individualklagen betroffener Verbraucher gegen andere als Briefkastenwerbung das allgemeine Persönlichkeitsrecht ebenso wie in den Briefkastenwerbungsfällen herangezogen werden wird. a) Entwicklung Die Anwendung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Ralunen der "Briefkastenwerbungsfälle" entwickelte sich erst in den letzten 20 Jahren. Im soweit ersichtlich - ersten einschlägigen Urteil vom 25.1.197286 ist von einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Verbrauchers, welches hier zum Schutz gegen di« Werbung mobilisiert werden könnte, noch keine Rede; der Fall wurde ausschließlich aus dem Gesichtspunkt der Eigentumsstörung entschieden. Zum ersten Mal taucht der Begriff des Persönlichkeitsrechts des Umworbenen in der Entscheidung des BGH vom 16.2.1973 87 auf: "Widerspricht er (der 86 87

OLG Nümberg, AfP 1972,233 f. BGH Gl{UR 1973, 552 ff.

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III. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Umworbene, Anm. d. Aut.) aber dieser Werbung ausdrücklich, so kann in der Mißachtung seiner Willensäußerung durchaus eine Persönlichkeitsrechtsverletzung liegen ... ,,88 . Einer näheren Begründung, warum dies so ist und welche dogmatischen Konsequenzen dies hat, entbehrt das Urteil jedoch. Gleiches gilt für die Entscheidungen des OLG München89 sowie des LG Nürnberg-Fürth90 , die zwar ebenso wie der BGH eine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Umworbenen durch die Werbung in Betracht ziehen, jedoch keine Begründung dafür geben. Das erste Urteil mit näheren Ausführungen zur Anwendung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für den Schutz des Verbrauchers vor Werbung ist die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 21.8.1987. 91 Zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers wird ausgeführt: "Das Einwerfen der Werbematerialien des Beklagten ... in den Briefkasten des Klägers sowie das Verteilen derartiger Reklame auf seinem Grundstück stellt eine merkbare Belästigung dar: Denn der Kläger wird gezwungen, derartige Werbematerialien mit einem nicht unerheblichen Aufwand an Zeit und Mühe zu beseitigen, will er seinen Briefkasten und sein Grundstück sauber halten ... Die Beseitigung erfordert einen solchen Arbeitsaufwand, daß die für die Annahme der Verletzung des Persönlichkeitsrechts erforderliche Belästigungs- und Unzumutbarkeitsgrenze überschritten ist,,92 . Zur Begründung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung des Umworbenen stellt das OLG Stuttgart also auf eine Belästigung des Verbrauchers durch die Werbung ab und bejaht diese wegen eines nicht unerheblichen Aufwandes an Zeit und Mühe für die Beseitigung des Werbematerials. Von einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts wegen Mißachtung der der Werbung entgegenstehenden Willensäußerung des Verbrauchers bzw. einer Verwendung der "Sphärentheorie" , wonach das allgemeine Persönlichkeitsrecht bestimmte Sphären mit unterschiedlicher Schutzintensität hat, ist nicht die Rede. Diese Schutzsphären, die den Bereich des durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährten Schutzes bestimmen, sind vor allem zwei: die "Intimsphäre" und die "Privatsphäre". Dabei umfaßt die "Intimsphäre" die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen sowie die Angelegenheiten, für die ihrer Natur nach Anspruch auf Geheimhaltung besteht93 ; die "Intimsphäre" genießt grundsätzlich absoluten Persönlichkeits-

88 89 90

91 92 93

BGH GRUR 1973, 552 ff., 553. NJW 1984,2422 f. NJW 1985, 1642 f. NJW 1987, 1422 f. OLG Stuttgart, NJW 1987, 1422. Vgl. Palandt-Thomas, § 823, Rz. 178; MünchKomm-Schwerdtner, § 12, Rz. 215.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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schutz. 94 Die "Privatsphäre" umschließt die "Intimsphäre" als den innersten Persönlichkeitsbereich quasi als ein konzentrischer Kreis mit gegenüber der "Intimsphäre" geringerer Schutzintensität. Dabei umfaßt die "Privatsphäre" das Leben im häuslichen oder Familienkreis sowie das sonstige Privatleben. 95 Eine exakte Abgrenzung zwischen "Intim"- und "Privatsphäre" ist jedoch bisher nicht gelungen. 96 Unklar ist auch, ob nur diese beiden Sphären des Persönlichkeitsschutzes bestehen, oder ob noch eine dritte, die "Individualsphäre" , die die persönliche Eigenart des Menschen in seiner Beziehung zur Umwelt, insbesondere in seinem öffentlichen und beruflichen Wirken schützt97 oder gar noch weitere, zusätzliche Schutzsphären98 bestehen. Die "Sphärentheorie" taucht - hinsichtlich des Schutzes des Umworbenen gegen Werbung - erstmals in dem Urteil des (wegen der Klage gegen die Bundespost zuständigen) OVG Lüneburg vom 15.3.198899 auf, wo sich die Heranziehung der besagten Schutz-Sphären sogar entscheidungserheblich auswirkt. Nahezu zeitgleich wird die Differenzierung der Auswirkungen der Werbung auf den Umworbenen nach den dargestellten Schutzsphären des Umworbenen auch vom OLG FrankfurtJM. in der Entscheidung vom 18.5.1988 100 vorgenommen; zusätzlich wird zur Begründung der Persönlichkeitsrechtsverletzung auf die der Werbung entgegenstehende Willensäußerung des Verbrauchers abgestellt: "Wirft der Werbende trotz der Willensäußerung weiter Werbematerial in den Briefkasten ein, so kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt werden ... hier steht im Widerspruchsfall das allgemeine Persönlichkeitsrecht des von der Werbung Betroffenen gegenüber, das gebietet, daß der Einzelne in seiner Individualsphäre und in seinem Recht auf Selbstbestimmung geschützt wird ... ,,101 . In dieser Entscheidung zeigt sich ein ganz markanter Unterschied gegenüber der oben dargestellten Entscheidung des OLG Stuttgart. 102 Zum ersten Mal wird hier klar herausgestellt, daß der die Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Umworbenen begründende Vorwurf die Verletzung seines Selbstbestimmungsrechts ist, nicht etwa, wie noch das OLG Stuttgart ausgeführt hat, eine Belästigung durch die mit der Beseitigung der Werbung verbundenen Mühen. Dieser klare Anknüpfungspunkt des OLG FrankfurtJM. wird bereits BGH NJW 1988, 1984. Vgl. Palandt-Thomas, § 823, Rz. 178; MünchKomm-Schwerdtner, § 12, Rz. 215. 96 MünchKomm-Schwerdtner, § 12, Rz. 215. 97 HaurandIVahle, Neue Wirtschaftsbriefe 1991, 3683 ff., 3684 = Fach 19, S. 1777 ff., 1778; Palandt-Thomas, § 823, Rz. 178. 98 Vgl. etwa die Au1Zählung bei Freund, BB 1986, 409 ff., 413 f. 99 NJW 1988, 1867 ff. 100 NJW 1988, 1854 f. 101 OLG FrankfurtlM., NJW 1988, 1854 f. 102 NJW 1987, 1422 f. 94

9'

17 Scherer

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III. Teil: Individuelle Abwehransprilche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

wenig später vom BGH in seiner bisher hierzu ausführlichsten Entscheidung vom 20.12.1988 103 aufgegriffen und präzisiert: "... Eine solche Willensäußerung verlangt grundsätzlich Beachtung durch den Werbenden. Das folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen, das sich gegenüber dem Interesse des Unternehmers an der Werbung durchsetzt ... Der Wille des Bürgers, insoweit seinen Lebensbereich von jedem Zwang zur Auseinandersetzung mit Werbung nach Möglichkeit freizuhalten, ist als Ausfluß seines personalen Selbstbestimmungsrechts schutzwürdig. Jedenfalls für den Bereich der Privatsphäre setzt sich das Recht des Einzelnen, Aktivitäten entgegenzutreten, die unter gegenständlichem Eindringen in seine Privatsphäre Einfluß auf seine Konsumentscheidungen zu gewinnen suchen, angesichts des Stellenwertes dieses Bereichs für eine individuelle Lebensgestaltung ohne Fremddiktat gegenüber den entgegenstehenden Interessen der Werbewirtschaft grundsätzlich durch ... ,,104. Quintessenz dieser bisher wichtigsten Entscheidung zur Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen gegenüber der Werbung sind also zwei Kernpunkte: Zum ersten stellt das Urteil in begrüßenswerter Deutlichkeit klar, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Umworbenen dessen Selbstbestimmungsrecht schützt. Zum zweiten macht die Entscheidung deutlich, daß dieser Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Umworbenen abhängig ist von der jeweiligen "Sphäre", in der die Werbung den Umworbenen "antrifft": Ausschlaggebend für den tatsächlich gewährten Schutz des Umworbenen vor der Werbung ist also die Anwendung der "Sphärentheorie". Dieser Linie des BGH folgt die weitere Rechtsprechung. Das KG105 geht davon aus, daß "eine solche Willensäußerung des Klägers grundsätzlich zu beachten ist. Das folgt aus seinem Persönlichkeitsrecht, das den Kläger zur Selbstbestimmung befugt und ihn deshalb berechtigt, den Bereich seiner Privatsphäre von unerwünschten Einflüssen freizuhalten ... ". Ebenso wie in der oben dargestellten Entscheidung des BGH106 wird hier also der Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Umworbenen von den jeweiligen Schutzsphären abhängig gemacht; etwas verkürzter als in der BGH-Entscheidung und deshalb noch prägnanter wird hier von vorneherein der Schutz des Selbstbestimmungsrechts nur für den Bereich der Privatsphäre gewährleistet. Das OLG Karlsruhe lD7 , das LG Freiburg108 , das LG Hagen109 , das OLG Hamburg llO , das OLG 103 104 10' 106 107 108 109 110

BGH NJW 1989,902 ff. BGH NJW 1989,902 ff. NJW 1990, 1824 ff. NJW 1989,902 ff. NJW-RR 1990,244 fNJW 1990,2824. NJW 1991,2911 ff. NJW 1991,2914.

=

BGHZ 106,229 ff.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

259

Stuttgartlll sowie das LG Kassel ll2 schließen sich der BegIiindung des BGR für die Persönlichkeitsrechtsverletzung des Umworbenen an oder referieren zumindest kurz - wenn wegen der konkreten Fallkonstellation keine Persönlichkeitsrechtsverletzung bejaht wurde - zustimmend die BGR-Judikatur. Ohne Verwendung des Rechtsinstituts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, aber mit "verbalen Anleihen" aus der "Sphärentheorie" des allgemeinen Persönlichkeitsrechts arbeitet die Rechtsprechung auch im Bereich der Telefon- und Telexwerbung: Von "häuslicher Sphäre" spricht bereits das soweit ersichtlich - erste Telefonwerbung-Urteil vom 17.1.1961 des OLG Ramburgl13 , von "Individualsphäre" und "Privatsphäre" ist die Rede in der bekannten Leitentscheidung des BGR zur Telefonwerbung vom 19.6.1970114 , wobei offensichtlich die Begriffe "Individualsphäre" und "Privatsphäre" als identische verwendet werden. Das KGl15 spricht von "Privatsphäre", der BGR erneut116 von "Individualsphäre" und "Privatsphäre". b) Ergebnis Eine Analyse der Rechtsprechung hinsichtlich Anwendung und Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen gegenüber Werbung ergibt daher zwei tragende Gesichtspunkte. Das Selbstbestimmungsrecht des Umworbenen gegenüber der Werbung wird zwar grundsätzlich als integraler Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützt, gleichzeitig wird dieser Schutz des Selbstbestimmungsrechts jedoch wieder relativiert durch die Anwendung der Sphärentheorie: Der Schutz des Verbrauchers wird durch die Schutzintensität der einzelnen Sphären, in denen die Werbung auf den Umworbenen trifft, bestimmt. Zu dem jeweils konkret in den verschiedenen Sphären gewährten Schutz des Verbrauchers vor Werbung liegen bisher allerdingswie gezeigt - nur Urteile vor, die ein Eindringen der Werbung in die "Individualsphäre" bzw. die "Privatsphäre" bejahen, wobei allerdings aus den jeweiligen Urteilen zu entnehmen ist, daß mit diesen Begriffen jeweils dieselbe Schutzsphäre bezeichnet wird. Wie der Schutz des Selbstbestimmungsrechts in anderen Sphären aussähe, ob überhaupt in anderen Sphären dieser Schutz noch gewährt wird oder ob dieser gänzlich zugunsten der Werbung aufgegeben wird, bleibt mangels hierzu ergangener Entscheidungen offen. Da jedoch die Schutzintensität der einzelnen Sphären unterschiedlich ist und der Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Umworbenen gegenüber der Werbung nur unter 11l

112 113 114 115 116

NJW 1991,2912. NJW 1991,2912 f. WRP 1961, 161. BGHZ 54, 188 ff, 191. WRP 1975,445 ff, 447. NJW 1989,2820 und GRUR 1991,764 ff, sowie zur Telexwerbung: NJW 1973,42.

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UI. Teil: Individuelle Abwehtanspriiche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Anwendung dieser Sphären gewährt wird, ist jedenfalls sicher, daß auch der Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Verbrauchers - je nach betroffener Sphäre - zumindest unterschiedlich ist und eventuell sogar völlig entfallen kann, wenn der Verbraucher von der Werbung in einer Sphäre mit nur geringer Schutzintensität betroffen wird. Dies gilt es bei der weiteren Untersuchung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen als Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten. 2. Die Literatur

Der Literatur ist hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen zum Schutz gegen Werbung gegenüber der dargestellten Rechtsprechung kaum Neues zu entnehmen. Sofern die Literatur überhaupt das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verbrauchers gegenüber der Werbung anspricht, läßt sich in aller Regel eine kritiklose Übernahme der Rechtsprechung feststellen: Entweder wird die Stellungnahme überhaupt auf eine Angabe der entsprechenden Entscheidungen beschränkt oder aber diese werden - in etwas ausführlicheren Stellungnahmen - in ihren wesentlichen Entscheidungsgründen referiert; allenfalls werden der angeführten Rechtsprechung hinsichtlich des Gebrauchs der "Sphärentheorie" noch einige weitere Sphären mit abgestufter Schutzintensität hinzugefügt.117 Lediglich eine Mindermeinung in der Literatur lehnt eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen durch Werbernaßnahmen - jedenfalls für den Regelfall - schlechthin ab: Die beanstandeten Werbernaßnahmen müßten, so wird argumentiert, um als Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewertet zu werden, schon erheblich über das als üblich hingenommene Maß hinausgehen, eine "Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine in den häuslichen Imtimbereich eindringende Werbung" sei daher nur in Extremfallen denkbar. II 8 Die Werbung sei vielmehr in aller Regel sozialadäquat und daher vom Umworbenen hinzunehmen. ll9 Mit 117 Freund, BB 1986,409 ff., 413 ff.; Schlachter, JA 1990, 33 ff., 37; Ehlers, WRP 1983, 187 ff., 189 ff.; Alt, NJW 1986, 1597 f; ders., WRP 1985,319 ff., 321; Krüger-Nieland, GRUR 1974, 561 ff., 562; Bauer, GRUR 1973, 554; Simon, CuR 1986,3 ff., 7 f; v. Olenhusen, FuR 1973,417 ff., 423; Jahn/Gonzalez, WRP 1991, 1 ff., 3 f; Baumbach-Hefennehl, § I, Rz. 71; Schwab, Einflihrung, Rz. 285; Palandt-Thomas, § 823, Rz. 177 f, 195; Ennan-Weitnauer, 8. Aufl., Anh. zu § 12, Rz. 61; Staudinger-Schäfer, § 823, Rz. 257; mit ausfilhtlicher Begründung, jedoch auch unter Verwendung der Sphärentheorie Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 270 ff., 273; Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 171 ff.; lediglich einen Sonderfall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen behandelt Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung, S. 202 f 118 v. Gamm, Wettbewerbs- und Wettbewerbsverfahtensrecht, Bd. I, I. Hlbd., Kap. 24, Rz. 6. 119 MünchKomm-Schwerdtner, 2. Aufl., § 12, Rz. 245.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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dem Argument der Sozialadäquanz wenden v. Ganun und Schwerdtner sich generell gegen die Annahme einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen durch Werbung. Daß diese Ablehnung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung aufgrund angeblicher Sozialadäquanz der Briefkastenwerbung nicht tragfähig ist, wurde bereits oben120 ausfuhrlich dargelegt. Auch die grundsätzliche Ablehnung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Briefkastenwerbung, die mit dem Vorwurf des Querulantenturns der klagenden Verbraucher begründet wird121 , stützt sich statt auf rechtsdogmatische Argumente auf Polemik, die angesichts der heutigen Situation des Verbrauchers gegenüber der Werbung jeglicher sachlicher Grundlage entbehrt. 3. Kritik und eigener Ansatzpunkt

a) Die Sphärentheorie Es stellt sich daher nun die Frage, ob die aufgezeigte Handhabung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen zum Schutz gegen Werbung durch die Rechtsprechung zur Lösung des Problems geeignet ist. Wie bereits oben dargestellt, gestaltet die Rechtsprechung ihren dem Umworbenen gewährten Schutz hauptsächlich durch Anwendung der Sphärentheorie: Der Schutz des Umworbenen wird dabei durch die Schutzintensität der einzelnen Sphären, in denen die Werbung auf den Umworbenen trifft, bestimmt. Da die einzelnen Sphären unterschiedliche Schutzintensität besitzen, würde dies zunächst einmal konsequenterweise dazu fuhren, daß in jedem Fall einer umstrittenen Werbemaßnahme festzustellen wäre, in welcher Schutzsphäre der Umworbene von dieser betreffenden Werbung konkret "angetroffen" wird. So wäre es beispielsweise denkbar, daß der Besuch eines unerbetenen (Bestattungs-)Vertreters beim Umworbenen diesen - je nach Lage der Dinge - in gänzlich unterschiedlichen Schutzsphären "betrifft": Klingelt der Vertreter an der Wohnungstür und befindet sich der Verbraucher in seiner Wohnung, wäre - nach der dargestellten Rechtsprechung - unzweifelhaft die Privatsphäre des Umworbenen betroffen. Trifft der Vertreter den Umworbenen jedoch bereits auf der Straße an, da dieser entweder gerade seine Wohnung verlassen hat (oder sich eben auf dem Weg dorthin befindet), wäre - nach der dargestellten Rechtsprechung - nicht mehr die Privatsphäre des Umworbenen betroffen, sondern möglicherweise nur die "Sozialsphäre"; gleiches gälte, wenn der Vertreter den Verbraucher nicht in dessen Wohnung, sondern an seinem Arbeitsplatz aufsucht, wobei nach der Rechtsprechung hier sogar möglicherweise noch zwischen einem selbständigen Freiberufler in eigenen Arbeitsräumen und einem 120 121

Teil II, 2. Kapitel "Briefkastenwerbung", Abschnitt IV. 4. Erman-Ehmann, 9. Aufl., Anh. zu § 12, Rz. 374ft:, 380 a.E.

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III. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

unselbständigen Arbeitnehmer in fremden Arbeitsräumen zu differenzieren wäre. Vollends kompliziert würde die Feststellung der betroffen Schutzsphäre, wenn etwa der Vertreter den Umworbenen zwar nicht in seiner Wohnung, wohl aber noch auf seinem Grundstück - etwa im Garten - oder noch im Treppenhaus des Mietshauses antrifft. Ähnliche Überlegungen wären konsequenterweise für jede beliebige andere Werbemaßnahme anzustellen, bejaht man mit der Rechtsprechung die Anwendung der Sphärentheorie bei dem Schutz des Umworbenen mittels des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. An diesem Beispiel wird zunächst einmal deutlich, daß die Anwendung der Sphärentheorie zur Bildung einer ausdifferenzierten Kasuistik führen würde; dies an sich würde zwar noch nicht gegen die Anwendung der Sphärentheorie sprechen, da die Herausbildung breit gefächerter Kasuistik durch die Rechtsprechung gerade in diesem Bereich nichts Ungewöhnliches ist. Augenfällig wird jedoch an dem aufgezeigten Beispiel, daß bei der Anwendung der Sphärentheorie zum Schutz des Verbrauchers das rechtliche Ergebnis in unerträglichem Maße dem Zufall überlassen bliebe: Je nach Situation des Umworbenen wäre eine Werbemaßnahme zulässig oder unzulässig; was bei dem Nachbarn des Verbrauchers bereits als unzulässig zu beurteilen wäre, würde bei dem klagenden Umworbenen noch als zulässig akzeptiert, wenn dieser sich zufällig gerade in einer anderen Schutzsphäre befindet, als er von der Werbung angetroffen wird. 122 Die Anwendung der Sphärentheorie beim Schutz des Verbrauchers vor Werbung würde daher zu einer willkürlichen Differenzierung von im entscheidenden Punkt für den betroffenen Verbraucher - gleichen Werbernaßnahmen führen. Ausschließlich vom Zufall hinge es ab, ob sich der Umworbene erfolgreich gegen eine bestimmte Werbemaßnahme wehren kann oder nicht. Ein derartig zufälliges, weil auf willkürlicher Differenzierung beruhendes rechtliches Ergebnis kann jedoch nicht überzeugend sein. Die Untauglichkeit der Sphärentheorie wird in dogmatischer Hinsicht klar, wenn man sich die Konzeption des maßgeblichen Wegbereiters des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der durch die Rechtsprechung heute praktizierten Anwendung vor Augen hält: In seiner bis heute maßgeblichen Darstellung123 differenziert Hubmann im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zwischen dem Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit, dem Recht an der Persönlichkeit und dem Recht auf Individualität. 124 Die Schutzsphären (bei Hubmann bezeichnet als Individual-, Privat- und Geheimsphäre) bildet Hubmann jedoch lediglich im Rahmen des Rechts auf Individualität125 , nicht im Rahmen des Rechts auf Entfaltung der Persönlichkeit und nicht im Rahmen des Rechts an der Persönlichkeit. Ähnlich auch Weise, GRUR 1989,653 ff., 656. Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., 1967. 124 Hubmann, S. 108. m Hubmann, S. 268 ff.

122 123

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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Soweit Autoren nicht in der von Hubmann vorgenommenen dreifachen Differenzierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bleiben, sondern etwa eine vierfache Differenzierung wählen nach Ansehen, Privatsphäre, Selbstbestimmung über Persönlichkeitsdetails und Selbstenfaltung126 oder etwa eine zweifache Differenzierung wählen nach dem Recht auf freie Entfaltung und dem Recht, von anderen unbehelligt gelassen zu werden127 , werden die Schutzsphären entweder ebenfalls nur einern Bereich zugeordnet128 oder sogar bereits als eigener Bereich "Privatsphäre" konzipiert. 129 Das Recht auf Selbstenfaltung bildet hingegen ebenso wie bei Hubmann einen eigenständigen Bereich. l3O Hubmann geht nun davon aus, daß zwischen den drei Teilbereichen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Überschneidungen hinsichtlich des geschützten Gegenstandes bestehen könnenl3l , und ordnet diese Fälle nach dem Schwerpunkt des betroffenen Schutzgegenstandes einern der drei geschützten Teilbereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu. Das hier zu erörternde Problem des Schutzes des Umworbenen gegen Werbung wird von Hubmann unter der Bezeichnung "Verletzung der Entschließungsfreiheit der Kunden"l32 behandelt, und zwar im Rahmen des Rechts auf Entfaltung der Persönlichkeit. 133 Dies hat zwangsläufig zur Konsequenz, daß nach Hubmanns eigener Konzeption die Schutzsphären bei der Behandlung dieses Problems - da es im Rahmen des Rechts auf Entfaltung der Persönlichkeit erscheint - nicht angewandt werden können. Zwar tauchen einige konkret beschriebene Werbemaßnahmen auch auf im Bereich des Rechts auf Individualität, und zwar im Rahmen des "Schutzes, der dem privaten Lebenskreis zuteil wird"l34; da Hubmann selbst eine mögliche Überschneidung der drei Teilbereiche eingeräumt hat135 , ist aber - wiederum nach seiner eigenen Konzeption (s.o.) - insoweit eine Zuordnung nach dem Schwergewicht des betroffenen Schutzgegenstandes vorzunehmen. Zentrales Angriffsziel und damit Schwerpunkt jeder Werbung ist - durch die jeder Werbung immanente Beeinflussungsfunktion - die Willensentschließung Schlechtriem, DRiZ 1975,65 ff., 66. Schlachter, JA 1990,33 ff., 34 f. 128 Dem Recht, von anderen unbehelligt gelassen zu werden, Schlachter, JA 1990,33 ff., 34 f. 129 Schlechtriem, DRiZ 1975,65 ff., 66. 130 Schlachter, JA 1990, 33 ff., 34; Schlechtriem, DRiZ 1975,65 ff., 66. 13l Hubmann, S. 268 f. 132 Hubmann, S. 183, Fn. 41. 133 Ebenfalls dem Bereich der Entfaltung der Persönlichkeit wird die Willensbildung und der Willensentschluß von Wiese, FS Duden, 1977,719 ff., 732, zugeordnet. 134 Hubmann, S. 322. 135 Hubmann, S. 268 f. 126 127

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111. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

des Verbrauchers. Dies gilt für jede Werbung - unabhängig davon, ob sie den Verbraucher in seinem "privaten Lebenskreis" oder in einem der Öffentlichkeit zuzuordnenden Bereich betrifft:. Der für die Zuordnung maßgebliche Schwerpunkt der umstrittenen Werbung liegt aufgrund ihres Hauptangriffszieles also in jedem Fall im Rahmen des Rechts auf freie Entfaltung; bereits nach Hubmanns eigener Konzeption sind also die Schutzsphären - da es sich hier um den Bereich des Rechts auf freie Entfaltung handelt - nicht anzuwenden. Da die Rechtsprechung zwar an sich die Anwendung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach der Konzeption Hubmanns praktiziert, jedoch inkonsequent ist hinsichtlich der von Hubmann nur in einem Teilbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorgenommenen Anwendung der Schutzsphären, muß auch das Ergebnis dieser Rechtsprechung hinsichtlich der dogmatischen Handhabung der Schutzsphären inkonsequent sein: Nach der eigenen Konzeption Hubmanns wäre hier nämlich die Sphärentheorie gerade nicht anzuwenden. Diese Konsequenz wird von der Rechtsprechung jedoch ignoriert. Die willkürlichen, da vom Zufall abhängigen Ergebnisse der Rechtsprechung sind daher nur die notwendige Folge einer dogmatisch nicht gerechtfertigten Abweichung von der der Rechtsprechung im übrigen zugrunde liegenden Gesamtkonzeption. Überdies und unabhängig von diesen dogmatischen Einordnungen wird jedoch im Schrifttum zunehmend Kritik an der Verwendung der "Sphärentheorie" als solcher geübt. 136 Kritisiert wird erstens die zu große Unbestimmtheit: So seien die "Persönlichkeitssphären" Begriffe von nicht geringerer Unbestimmtheit als der Begriff des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überhaupt, so daß diese termini nichts anderes als bloße "Arbeitshilfen" darstellen, nicht aber die "normative Leitung" eines Einzelfalles leisten könnten. 137 Diese Kritik läßt sich nicht von der Hand weisen. So ist zunächst zu konstatieren, daß "die Persönlichkeit nicht in Bereiche zerfaserbar, sondern vielmehr komplex ist,,138 . Weite Bereiche des Lebens verschwimmen in einer Grauzone zwischen gesellschaftlichem, beruflichem und privatem Bereich. 139 Die ausreichend scharfe Trennung dieser Bereiche ist daher heute häufig gar nicht mehr möglich. Ähnliches gilt für die Abgrenzung zwischen der absolut geschützten "Intimsphäre" und der mit nur geringerer Schutzintensität bewehrten "Privatsphäre,,140.

136 Kau, Persönlichkeitsschutz, S. 69; Mückenberger, KJ 1984, 1 ff., 6; Steifen, AfP 1988, 117 ff., 118; Helle, Besondere Persänlichkeitsrechte, S. 9; Schmidt, JZ 1974,241 ff., 243 f. 137 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, S. 9; Steifen, AfP 1988, 117 ff., 118; Schmidt, JZ 1974, 241 ff., 243 f. 138 Steifen, AfP 1988, 117 ff., 188. 139 Sclunidt, JZ 1974,241 ff., 244; Lampe, in: Persönlichkeit, Familie, Eigentum, 73 ff., 96. 140 Vgl. Lampe, in: Persönlichkeit, Familie, Eigentum, 73 If., 96; MünchKomrn-Schwerdtner, § 12, Rz.215.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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Der zweite gegen die Anwendung der "Sphärentheorie" vorgebrachte Kritikpunkt jedoch ist noch gewichtiger: Der tragende Gedanke dieser Kritik ist der Charakter der Persönlichkeitsbildung an sich; dieser ist ein prozeßhafter. Die Persönlichkeitsentwicklung findet nämlich nicht, wie dies die "Sphärentheorie" glauben machen will, in exklusiven "Bereichen" und "Räumen" statt, erst recht nicht in solchen des "Alleinseins", sondern in Auseinandersetzung mit der Umwelt. 141 So ist die individuelle Persönlichkeit erst das - niemals fertige - Ergebnis eines permanenten Prozesses der Persönlichkeitsbildung, der Persönlichkeitsentwicklung142 , für die die stetige Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt zur individuellen Identitätsfindung essentielle Voraussetzung ist. Der Kern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist daher auch der Schutz der identischen Selbstbehauptung der Person im sozialen Leben. 143 Dieser Schutz kann jedoch nicht durch die Abgrenzung exklusiver Bereiche gewährleistet werden, in die sich der einzelne von der Gesellschaft zurückziehen kann; vielmehr muß ein selbstbestimmtes Wirken des Individuums in der Gemeinschaft gewährleistet werden. 144 Aus diesen Gründen ist eine gänzliche Abkehr von der "Sphärentheorie" - gleichgültig in welchem Schutzbereich sie verwendet wird - geboten: Nicht die "Sphärentheorie" gewährleistet den aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sich ergebenden Schutz der individuellen Persönlichkeitsentwicklung; dies vennag nur das kommunikative Modell des Persönlichkeitsschutzes. 145 Um einen Persönlichkeitsschutz zu gewährleisten, der dem Grundgedanken des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nämlich der Achtung der Würde und der Entfaltung der Persönlichkeit entspricht, ist daher auf die Anwendung der "Sphärentheorie" gänzlich zugunsten eines kommunikativen Modells zu verzichten. Die Bestimmung einzelner Schutzsphären mit unterschiedlicher Schutzintensität, deren Betroffenheit im konkreten Fall jeweils festgestellt werden müßte, hat daher zu unterbleiben. An die Stelle einer Schutzbereichsbestimmung durch einzelne Schutzsphären muß eine präzise und exakte Beschreibung der Verletzungshandlung sowie eine scharfe Bestimmung des durch die Verletzungshandlung betroffenen Interesses der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Person treten. 146 Nur so kann die Verwendung der unscharfen und oft das eigentliche Problem gar nicht treffenden Schutzsphären abgewendet werden zugunsten einer präzisen Bestimmung von Schutzgut und Verletzungshandlung. Nur eine solche exakte Bestimmung von Schutzgut und Verletzungshandlung gewährleistet auch die genaue Erfassung des rechtlichen Problems. 141 142 143 144

145 146

Kau, Persönlichkeitsschutz, S. 69 ff.; Mückenberger, KJ 1984, 1 ff., 5 f. Kau, Persönlichkeitsschutz, S. 82; Mückenberger, KJ 1984, 1 ff., 6. Kau, Persönlichkeitsschutz, S. 82. Kau, Persönlichkeitsschutz, S. 69. Kau, Persönlichkeitsschutz, S. 69 ff.; Mückenberger, KJ 1984, 1 ff., 5 f. Ähnlich Forkel, FS Hubrnann, 1985,93 ff., 105 ff.

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III. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Diese Forderung geht konform mit der Forderung von Canaris nach einer exakten Schutzbereichsanalyse147 und der von Deutsch nach besonders herausgearbeiteten Tatbeständen148 und läuft im Ergebnis auf die Bildung fester Verletzungstatbestände binaus. 149 Ihr mag deshalb entgegengehalten werden, daß eine solche Tatbestandsbildung in weiten Bereichen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gar nicht möglich sei. 150 Zu berücksichtigen ist jedoch, daß heute bereits in vielen Bereichen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durchaus eine solche präzise Beschreibung von Verletzungshandlung und Schutzgut möglich ist; man denke nur an die Fälle der ungenehmigten Verwendung von Name, Bildnis oder anderen Identifikationsmerkmalen einer Person zu Werbezwecken, der Verfälschung von Lebens- oder Charakterbild, dem Schutz der Ehre, dem Schutz des gesprochenen Wortes u.a. 151 In allen diesen Fällen ist eine Verwendung der "Schutzsphären" gerade nicht erforderlich, da völlig unabhängig von Eingriffen in irgendwelche "Sphären" ein konkretes Schutzgut bestimmt sowie die Verletzungshandlung exakt benannt werden kann. 152 Mit fortschreitender Rechtsentwicklung wird die Zahl der Fälle, in denen dies gleichfalls möglich ist, zunehmen. Es mag zwar sein, daß es Fälle geben wird, in denen eine exakte Bestimmung von Schutzgut und Verletzungshandlung nicht (oder noch nicht) möglich ist. 153 Hier ist wohl eine Heranziehung der Schutzsphären bis zu einer Verfestigung und Herauskristallisierung des Verletzungstatbestandes hinzunehmen. In allen denjenigen Fällen jedoch, in denen bereits jetzt eine exakte Bestimmung von Schutzgut und Verletzungshandlung möglich ist, sollte diese auch tatsächlich zur Feststellung eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verwendet werden. Dies mag zwar eine größere juristische Arbeit erfordern als die globale Verwendung der Schutzsphären, da immer präzise Bestimmungen von Schutzgut und Verletzungshandlung erforderlich werden; in dogmatischer Hinsicht ist dies jedoch vor allem auch für die Erfassung des rechtlichen Problerns154 wesentlich befriedigender als die globale Verwendung von letztlich völlig unscharfen Schutzsphären für eine Unzahl von unterschiedlichen Schutzgütern und verschiedenen Verletzungshandlungen. Auf diese Forderung nach der Bildung fester Tatbestände wird im Rahmen der Rechtswidrigkeit und dem mit Canaris, Jur. BI. 1991,205 ff., 209 f Deutsch, JZ 1979,352 f, 353. 149 Vgl. hierzu besonders Forkel, FS Hubmann, 1985,93 ff., 105 ff. 150 So Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung, S. 97 ff., KlippeI, in: Entwicklungen des Deliktsrechts inrechtsvergleichender Sicht, 13 ff., 15. 151 Vgl. Deutsch, JZ 1979,352 ff., 353; Forkel, FS Hubmann, 1985,93 ff., 105. 152 Ähnlich Canaris, Jur. BI. 1991,205 ff., 209. m Dies ist Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung, S. 97 ff, durchaus zuzugeben. 154 Canaris, Jur. BI. 1991,205 ff., 210. 147 148

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

267

ihr zusammenhängenden Problem einer Indikation noch zurückzukommen sein. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß die Anwendung der "Sphärentheorie" , die der Kernpunkt in dem dem Umworbenen durch die Rechtsprechung gegenüber der Werbung gewährten Schutz darstellt, nicht haltbar ist. Die aufgezeigte Handhabung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen zum Schutz gegen Werbung durch die Rechtsprechung ist also wegen der Anwendung der "Sphärentheorie" zur Lösung des Problems nicht geeignet. b) Das Schutzgut Zunächst ist zur Entwicklung einer Lösungsalternative die Frage nach dem konkret geschützten Objekt, dem konkreten Schutzgut des Umworbenen im Ralunen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu beantworten. Wie oben dargestellt, ist die Frage durch die Rechtsprechung dahingehend beantwortet, daß als intergraler Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts das Selbstbestimmungsrecht des Umworbenen gegenüber der Werbung geschützt wird. Zwar ist dieser Schutzgutbestimmung der Rechtsprechung grundsätzlich und im Ergebnis zuzustimmen; sie ermangelt jedoch nicht nur einer Begründung, sondern vor allem auch einer Definition, was unter dem Selbstbestimmungsrecht des Umworbenen zu verstehen ist und wann es betroffen sein soll. Als ein zentrales Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird unbestritten die EntschließungSfreiheitISS , die Willens- und Entschlußfreiheit156 , die Entscheidungsfreiheit157 , die Autonomie des Willens158 angesehen. Betrachtet man diese Schutzgutbezeichnungen in ihrem jeweiligen Kontext, so wird ersichtlich, daß sie nichts anderes meinen, als das, was von der Rechtsprechung hier mit Selbstbestimmungsrecht umschrieben und benannt wird: Geschützt werden soll das Recht eines jeden Menschen, seinen Willen frei zu bilden, zu entschließen und zu betätigen, mit anderen Worten: über sich und sein Leben selbst zu bestimmen. Diese freie Willensentschließung nun ist das Fundament aller menschlichen Selbstgestaltung, notwendige Voraussetzung der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Persönlichkeitsentfaltung. 159 Ohne eine freie Willensentschließung wäre eine Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung, eine Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 181; Krüger-Nieland, GRUR 1974, 561 ff., 565. Ehlers, WRP 1983, 187 ff., 194. IS7 Schmidt, JZ 1974,241 ff., 246; Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 270. ISS Kau, Persönlichkeitsschutz, S. 83. IS9 Kau, Persönlichkeitsschutz, S. 83; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 181; Schmidt, JZ 1974,241 ff., 246. ISS

IS6

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III. Teil: Individuelle Abwehransprüche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

menschliche Persönlichkeit überhaupt, betrachtet im Lichte des Art. I I GG, nicht denkbar. Sie würde das Abbild einer menschlichen Marionette darstellen. Die freie Willensbildung, -entschließung und -betätigung, das Selbstbestimmungsrecht des Menschen also, ist daher als zentrales Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzusehen. Für das Selbstbestimmungsrecht des Umworbenen gilt Entsprechendes: Hier tritt uns der Mensch als ökonomische Persönlichkeit, als Marktteilnehmer auf der Abnehmerseite gegenüber, der von anderen Marktteilnehmern, nämlich der Anbieterseite umworben wird. Die Funktion dieser auf den Umworbenen zielenden Werbung der Anbieter wurde oben bereits ausführlich dargestellt: Ihre Aufgabe, ihre ihr immanente Funktion ist die Beeinflussung des freien Willens des Umworbenen. Dieser Beeinflussungsfunktion der Werbung korreliert nun aber die Funktion des umworbenen Verbrauchers. Durch seine Konsumentscheidung bestimmt der Verbraucher über den Absatzerfolg der Produkte und damit auch über Gewinn und Verlust des Anbieters, letztlich also darüber, ob der Anbieter sich mit seinen Produkten im Wettbewerb behaupten kann oder ob er aus dem Wettbewerb ausscheidet. Voraussetzung für die Ausübung dieser "Schiedsrichterfunktion" des Verbrauchers ist nun aber, wie bereits oben160 ausführlich dargestellt, die Möglichkeit des Verbrauchers, seine Konsumentscheidungen frei treffen zu können. Die freie Willensbildung ist also auch für den umworbenen Verbraucher ein ganz zentrales Schutzgut seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, da nur bei Gewährleistung dieser freien Willensbildung die freie Entfaltung des umworbenen Verbrauchers als ökonomische Persönlichkeit in der Ausübung der oben beschriebenen "Schiedsrichterfunktion" möglich sein kann. Da aber, wie dargelegt, die Werbung darauf abzielt, die freie Willensentschließung des Verbrauchers zu beeinflussen, muß für die Betroffenheit dieses Schutzgutes im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine Grenzlinie gezogen werden, die zwar einerseits die Werbung zuläßt, andererseits aber die freie Willensentschließung für den Verbraucher gewährleistet. Wie bereits oben161 dargelegt, ist für diese Abgrenzung maßgeblich der Gesichtspunkt der Beherrschbarkeit der Beeinflussung: Der umworbene Verbraucher muß noch in der Lage sein, seine anstehende Entscheidung anders zu treffen, als dies von der ihn kontaktierenden Werbung verlangt wird, er muß also die werbliche Beeinflussung noch beherrschen können. Hat er diese Möglichkeit, sich anders zu verhalten, als von der betreffenden Werbung verlangt, nicht mehr, ist die Werbung für ihn also nicht mehr beherrschbar, so ist seine freie Willensentschließung beeinträchtigt.

160 161

V gl. oben, Teil I, 2. Kapitel "Verbraucher" . Vgl. oben, Teil 1,4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur".

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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Das Schutzgut der freien Willensentschließung des umworbenen Verbrauchers im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist also immer dann durch die Werbung betroffen, wenn die werbliche Beeinflussung für den Umworbenen nicht mehr beherrschbar ist. Zur näheren Ausgestaltung des Kriteriums der Beherrschbarkeit und seinen Voraussetzungen kann auf frühere Ausführungen 162 verwiesen werden. An dieser Stelle sei nur noch einmal daran erinnert, daß auch im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die freie Willensentschließung des Umworbenen jedenfalls nicht beeinträchtigt werden kann durch eine Werbung, die auf die freie Willensentschließung des Verbrauchers lediglich durch Abstellen auf das Preis-Leistungs-Verhältnis einwirkt, da eine solche Werbung mit dem zentralen Punkt, dem Herzstück des Leistungswettbewerbs schlechthin wirbt und eine solche Werbung von dem Verbraucher in jedem Fall hinzunehmen ist. Hiergegen wird nun eingewandt, daß in der Zivilrechtsordnung der Wille als solcher nur gegenüber spezifischen Handlungen geschützt sei. Dies zeige § 123 BGB im Zivilrecht und § 240 StGB im Strafrecht; hier werde der Wille nur gegen massive Eingriffe wie gegen arglistige Täuschung, Drohung und Gewalt geschützt. 163 Der Wille einer Person sei daher in der Zivilrechtsordnung nicht prinzipiell geschützt, sondern nur hinsichtlich bestimmter Rechte und Rechtsgüter oder gegen bestimmte Handlungen. 164 Das Persönlichkeitsrecht der Entschließungsfreiheit sei daher grundsätzlich erst dann als verletzt anzusehen, wenn ein durch Täuschung oder Drohung erwirktes Handeln nicht auf freien Entscheidungen beruhe. 165 Würde man dieser Ansicht folgen, so könnte eine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen und damit ein Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht immer nur dann angenommen werden, wenn der Umworbene aufgrund einer Täuschung oder Drohung im Sinne des § 123 BGB durch die Werbung zu einem bestimmten Verhalten, also regelmäßig einem Vertragsabschluß bestimmt worden wäre. Es fragt sich jedoch, ob die Wertung des § 123 BGB im vorliegenden Problemkreis maßgeblich sein kann. § 123 BGB schützt die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit, also die freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiet. 166 § 123 BGB setzt also die Existenz einer Willenserklärung, das Bestehen eines Rechtsgeschäfts voraus und löst den Konflikt zwischen dem Interesse am Bestand dieses Rechtsgeschäfts einerseits und dem Interesse an der Entschließungsfreiheit des Teil I, 4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". Weise, GRUR 1989,653 ff., 656; Wiese, FS Duden, 1977,719 ff., 735. 164 Weise, GRUR 1989, 653 ff., 656. 165 Wiese, FS Duden, 1977,719 ff., 736. 166 MünchKomm-Kramer, § 123, Rz. 1; Erman-Brox, 8. Aufl., § 123, Rz. 1; Palandt-Heinrichs, § 123, Rz. I; Larenz, Allgemeiner Teil, S. 387; BGHZ 51, 141 ff., 147. 162 163

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111. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Erklärenden andererseits dergestalt, daß nur in bestimmten Fällen für den Erklärenden die Möglichkeit besteht, die Existenz seiner Willenserklärung zu beseitigen, sich also dadurch auch vom Vertrag zu lösen. Es besteht also ein grundlegender Unterschied zwischen dem Regelungsbereich des § 123 BGB und dem hier behandelten Problemkreis. § 123 BGB ist lediglich eine Konfliktregelung für den Fall, daß bereits eine Willenserklärung abgegeben wurde, ein Rechtsgeschäft also bereits "in der Welt" ist, dessen Bestand der Erklärende beseitigen möchte. Die Frage der Zulässigkeit von Werbung hingegen betrifft gerade nicht die Fälle eines Konflikts zwischen der Bestandskraft eines Rechtsgeschäfts und der Willensentschlußfreiheit des Erklärenden: Eine Willenserklärung existiert ja hier noch gar nicht. Vielmehr bewegt sich der Konflikt zwischen dem Interesse des Werbenden an einer möglichst effektiven Werbung und dem Interesse des Umworbenen an einer freien Willensentschließung hinsichtlich der Kenntnisnalune von der Werbung, hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses und hinsichtlich des konkreten Vertragsabschlusses. 167 Der hier zu untersuchende Konflikt liegt also weit im Vorfeld der Abgabe einer Willenserklärung. Das ist offensichtlich bei der freien Willensentschließung des Umworbenen hinsichtlich der Kenntnisnalune von Werbung und hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses. Jedoch auch bei der freien Willensentschließung des Umworbenen hinsichtlich des konkreten Vertragsabschlusses bezieht sich der Konflikt immer nur auf die Frage nach der Zulässigkeit einer Werbung, die in diesem Bereich auf den Umworbenen einwirkt. Niemals handelt es sich um die Frage nach dem Bestand einer möglicherweise aufgrund einer bestimmten Werbung abgegebenen Willenserklärung des Umworbenen. Das zuletzt genannte Problem, das regelmäßig als Frage nach der Wirksamkeit von "Folgeverträgen" erörtert wird168 , ist nicht Gegenstand des hier untersuchten Problemkreises der Zulässigkeit einer Werbung. Auch bei der freien Willensentschließung liegt daher noch keine Willenserklärung des Umworbenen vor, sondern das Problem der freien Willensentschließung des Umworbenen befindet sich ebenfalls noch im Vorfeld eines eventuell folgenden Vertragsabschlusses. Das hier zu behandelnde Thema ist daher von dem in § 123 BGB geregelten Konflikt so grundlegend verschieden, daß eine Übertragung der Wertung des § 123 BGB auf die Frage der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen durch unzulässige Werbung nicht in Betracht kommen kann.

167 168

Vgl: oben, Teil I, 2. Kapitel "Verbraucher" und I. Kapitel "Werbung". Ausfilhrlich hierzu Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981.

2. Kapitel: Allgemeines Persänlichkeitsrecht

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c) Einordnung des Schutzgutes Nachdem nun das Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen gegenüber der Werbung und die Verletzungsgrenze bestimmt worden ist, fragt es sich, wie dieses Schutzgut dogmatisch im Rahmen des durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährten Schutzes einzuordnen ist. Es wäre möglich, das Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen gefcenüber der Werbung in den Reigen der vertypten Verletzungstatbestände 69 im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einzureihen. In Betracht käme hier zunächst die Einordnung in bereits vorhandene typisierte Schutzpositionen. Überlegenswert wäre dabei etwa eine Zuordnung zu der Fallgruppe der Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Werbung, wie sie etwa im "Herrenreiter"-FalI170 oder im "Paul Dahlke"-Falll7l ihren Ausdruck gefunden haben. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß bei diesen Fallgestaltungen charakteristisch ist, daß die Persönlichkeitsrechtsverletzungen zwar durch Werbung erfolgten, die Verletzten jedoch nicht etwa - wie in der hier vorliegenden Fallgestaltung - die Umworbenen waren, sondern Personen, die der Werbung (unfreiwillig) als Darstellungsobjekte dienten. l72 Die Fallgestaltung ist also gegenüber den Fällen der Persönlichkeitsrechtsverletzung der Umworbenen durch die Werbung eine gänzlich andere: Gleich ist in beiden Fallgestaltungen lediglich das verletzende Medium, nämlich die Werbung. Grundverschieden sind die Verletzten und das konkrete Schutzobjekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, in das eingegriffen wurde. Handelt es sich in der einen Fallgruppe um die unerlaubte Verwendung von Persönlichkeitsmerkmalen zu Werbezwecken173 , so steht dem beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Umworbenen gegenüber der Werbung dessen freie Willensentschließung als Schutzgut gegenüber. Da beide Fallgruppen sich also nach Verletztem, Schutzgut und Verletzungshandlung ganz wesentlich unterscheiden, liegt es auf der Hand, daß eine Einordnung in ein und dieselbe vertypte Schutzposition nicht in Betracht kommen kann. Es ist also geboten, das Persönlichkeitsrecht des umworbenen Verbrauchers als eigenständige Fallgruppe, als selbständige vertypte Schutzposition im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu institutionalisieren. Hiergegen werden jedoch Bedenken erhoben: Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen 169 Ausfiihrliche AufZählung bei Schwab, Einfuhrung, Rz. 285; s. auch Brehrner/Voegeli, JA 1978, 374 ff., 383. 110 BGHZ 26, 349 ff. 111 BGHZ 20, 345 ff. 112 Exemplarisch hierzu: Krüger, GRUR 1980,628 ff.; ders., WRP 1980,251 f. 113 Klippei, in: Entwicklungen des Deliktsrechts in rechtsvergieichender Sicht, 13 ff., 15; Schwab, Einfiihrung, Rz. 285.

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III. Teil: Individuelle Abwehransprüche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

sei zu jung, um es als institutionalisiert bezeichnen zu können. 174 Seit diese Ansicht geäußert wurde, sind jedoch zahlreiche Entscheidungen ergangen, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht des umworbenen Verbrauchers zum Gegenstand hatten und es als tragendes rechtliches Entscheidungskriterium herangezogen habenl75 ; zudem sind eine ausführliche Darstellungl76 und zahlreiche weitere Untersuchungen, die sich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Umworbenen beschäftigenl77 , erschienen. Berücksichtigt man im übrigen die Untersuchungen, die bis dahin bereits vorlagenl78 sowie die zahlreichen Urteile, so muß man feststellen, daß sich insoweit sehr schnell ein ausgeprägtes Problembewußtsein für diese Fallgruppe entwickelt hat und mittlerweile das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Umworbenen durch eine gefestigte Rechtsprechung und eine ganz herrschende zustimmende Meinung in der Literatur anerkannt wurde. Diese Schutzposition ist - wie bereits oben dargelegt - inhaltlich nach Schutzgut und Verletzungshandlung so präzise bestimmt, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht des umworbenen Verbrauchers als institutionalisiert anerkannt werden muß. Dem steht nicht entgegen, daß gerade der Autor, der ebenfalls ausdrücklich das allgemeine Persönlichkeitsrecht des umworbenen Verbrauchers als zu einer vertypten Schutzposition verfestigt ansehen Willl79 , dieses lediglich als Typus des "Rechts auf Schutz vor aufdringlicher und belästigender Werbung" als eigenständige Fallgruppe konzipiert und ebenso wie die Rechtsprechung und die herrschende Meinung in der Literatur dem Umworbenen den persönlichkeitsrechtlichen Schutz nur unter Zuhilfenahme der "Sphärentheorie" gewährt. 180 Relevant sind nämlich in diesem Zusammenhang nicht die unterschiedlichen Standpunkte über die dogmatisch gebotene Handhabung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen gegenüber Werbung, sondern die gemeinsame Feststellung einer hinreichend konkreten Ausprägung dieser Fallgruppe, um sie als vertypte Schutzposition im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ansehen zu können. Freilich wird bei der vorliegend aufgezeigten Lösung hinsichtlich der dogmatisch gebotenen Anwendung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des umworbenen Verbrauchers gegenüber Werbung die Bezeichnung als "Recht auf Schutz vor aufdringlicher und beläEhlers, WRP 1983, 187 ff., 188. m V gl. oben, Abschnitt Ir. 1. 176 Freund, Das Persänlichkeitsrecht des Umworbenen, 1983. 177 Z.B. Freund, BB 1986,409 ff.; Alt, WRP 1985,319 ff.; ders., NJW 1986, 1597 ff.; Simon, CuR 1986,3 ff., 7 f.; Schlachter, JA 1990,33 ff., 37. 178 Z.B. Krüger-Nieland, WRP 1979, 1 ff., 5 ff.; dies., GRUR 1974, 561 ff.; Hefermehl, GRUR 1980, 622 ff.; v. 0lenhusen, FuR 1973,417 ff.; Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 270 ff. 179 Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 108, 141. 180 Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 171 ff. 174

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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stigender Werbung"181 wesentlich zu eng sein, da dann nur hinsichtlich bestimmter Werbung Schutz geboten würde. Angemessener erscheint die Bezeichnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des umworbenen Verbrauchers in dem hier dargestellten Schutzumfang als Typus des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts"; denn der umworbene Verbraucher ist in seiner freien Willensentschließung erstens hinsichtlich seiner Entscheidung über die Kenntnisnahme von Werbung geschützt, zweitens hinsichtlich der Entscheidung über sein generelles Konsumbedürfnis und drittens hinsichtlich seiner Entscheidung über den konkreten Vertragsabschluß. 182 Festzuhalten ist also, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Umworbenen gegenüber Werbung als selbständige, vertypte Schutzposition "Verbraucherpersönlichkeitsrecht" im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besteht. Das Schutzgut ist die freie Willensentschließung des Verbrauchers; der tatbestandliche Schutzumfang ist der oben beschriebene. d) Die Rechtswidrigkeit Weitere Fragen ergeben sich im Bereich der Rechtswidrigkeit. So wird von der heute noch ganz herrschenden Meinung im Anschluß an die Rechtsprechung angenommen, daß durch die bloße Tatbestandsmäßigkeit des Eingriffs in das Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Rechtswidrigkeit noch nicht indiziert sei; vielmehr müsse die Rechtswidrigkeit durch eine Güter- und Interessenabwägung in jedem Einzelfall festgestellt werden. 183 Die Rechtswidrigkeitsabwägung wird dergestalt vorgenommen, daß zunächst die betroffene Persönlichkeitssphäre, in die eingedrungen wird, festzulegen ist und dann - nach der Feststellung der Tiefe des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht - Interessen des Eingreifenden zu analysieren und schließlich beide Freiheitssphären gegeneinander abzuwägen sind. 184 Der Schutz des Persönlichkeitsrechts stellt also einen "offenen Tatbestand" dar. 185

Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 108, 141. Vgi. oben, Teil 1,4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur". 183 BGHZ 24, 72; 36, 77; 45, 296 ff., 307; Hubmann, Erlanger FS f K.-H. Schwab, 1990, 3 ff., 14 ff.; Klippei, in: Entwicklungen des Deliktsrechts in rechtsvergieichender Sicht, 13 ff., 16; HaurandIVahle, Neue Wirtschaftsbriefe, 1991, 3683 ff., 3685; Schlachter, JA 1990, 33 ff., 35; Brandner, JZ 1983,689; Schwerdtner, JuS 1978,289 ff., 292; Krüger-Nie1and, Karlsruher Forum 1961, 15 ff., 16; Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 147 ff.; ders., BB 1986, 409 ff., 413 f; Schlechtriern, DRiZ 1975,65 ff., 66 ff.; Neumann-Duesberg, VersR 1991, 95 f; Jarass, NJW 1989, 857 ff., 862; filr die Kommentarliteratur: Palandt-Tbomas, § 823, Rz. 184 ff.; filr die Lehrbuchliteratur: Larenz, Schuldrecht II, S. 624 f 184 Freund, BB 1986,409 ff., 413; Schwerdtner, JuS 1978,289 ff., 292; Hubmann, Erlanger FS f K.-H. Schwab, 1990, 3 ff., 14 f., HaurandlVahle, Neue Wirtschaftsbriefe, 1991, 3683 ff., 3685; 181

182

18 Scherer

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III. Teil: Individuelle Abwehransprüche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Für die hier behandelten Fälle des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des umworbenen Verbrauchers durch Werbung würde dies also bedeuten, daß - zusätzlich zu der bereits nach der Rechtsprechung für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Festlegung der betroffenen Sphäre des Umworbenen - auch die Interessen des Werbenden und die sonstigen Umstände des konkreten Falles festzustellen und gegeneinander abzuwägen sind; ein gutes Beispiel für die Vielzahl der hierbei möglichen Feststellungen gibt die Aufzählung von Freund. 186 Die Sphäre des Unbewußten; die Sphäre des Gefühls- und Seelenlebens; die Sphäre des häuslichen Lebens, "die Sphäre der privaten Entfaltung außerhalb des häuslichen Bereichs", die Sphäre außerhalb des privaten Bereichs, insbesondere das öffentliche berufliche Wirken; die Erkennbarkeit der Werbemaßnahme; die betroffene Verbrauchergruppe; das eigene Verhalten des Umworbenen; die Ausweichmöglichkeiten für den Verbraucher187 ; die vom Warenabsatz unabhängigen Intentionen des Werbenden. Die Aufzählung der möglichen Abwägungskriterien bei der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des umworbenen Verbrauchers durch eine Werbemaßnahme ließe sich um eine Vielzahl weiterer Abwägungskriterien vermehren. Würde man nun jedoch der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung hinsichtlich dieser Rechtswidrigkeitsabwägung folgen, so würde dies zunächst dazu führen, daß die "Sphärentheorie", die aus den oben dargelegten Gründen bereits im Rahmen der Prüfung der Tatbestands-Verwirklichung abgelehnt wurde (s.o.) nun auf dem "Umweg" über die Rechtswidrigkeitsabwägung wieder Verwendung finden würde. Aus den oben dargelegten, gegen die Anwendung der "Sphärentheorie" im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des umworbenen Verbrauchers sprechenden Gründen muß daher auch hier bei der Rechtswidrigkeits-Prüfung der Heranziehung der "Sphärentheorie" entgegengetreten werden. Zudem ist zu bedenken, daß eine Rechtswidrigkeitsabwägung mit einer solchen - wie in dem obigen Beispiel dargestellten - Vielzahl von Abwägungskriterien die nicht zu unterschätzende Gefahr einer gänzlichen Unüberschaubarkeit und Unwägbarkeit der rechtlichen Beurteilung von Werbernaßnahmen und dadurch eine erhebliche Rechtsunsicherheit auf diesem für Verbraucher und Werbetreibenden gleichermaßen wichtigen Gebiet mit sich bringen würde. Es fragt sich daher, ob nicht die Möglichkeit besteht, auf die Feststellung der

Schlechtriem, DRiZ 1975, 65 ff., 66 ff.; Krüger-Nieland, Karlsruher Forum 1961, 15 ff., 16; Schlachter, JA 1990, 33 ff., 35 ff.; Brandner, JZ 1983, 689 ff., 691. m Brandner, JZ 1983,689. 186 BB 1986,409 ff., 413 f. 187 Widerspruch oder bei Briefwerbung die Möglichkeit einer Eintragung in die sogenannte "Robinson-Liste", vgl. oben, Teil H, 2. Kapitel "Briefkastenwerbung", Abschnitt H. 3.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

275

Rechtswidrigkeit durch eine Güter- und Interessenabwägung in jedem Einzelfall zu verzichten und vielmehr - zumindest in bestimmten Bereichen im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - von einer Indikation der Rechtswidrigkeit durch die Tatbestandsmäßigkeit des Eingriffs in das Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auszugehen. In der neueren Literatur werden nun Vorschläge gemacht, die es ermöglichen, von dem Erfordernis einer Rechtswidrigkeitsabwägung in jedem Einzelfall Abstand nehmen zu können. Die weitestgehende Konzeption stellt hierbei die "Kernbereichstheorie" dar: Diese Ansicht geht davon aus, daß es einen absoluten, auch durch Gegenrechte nicht eingeschränkten Schutz für einen Persönlichkeitskern gibt. 188 Eingriffe in diesen für die verschiedenen Bereiche (etwa der persönlichen Identität oder der sozialen Identität) zu bestimmenden Persönlichkeitskern sind schlechthin unzulässigl89 , so daß hier ein unbedingter Kernbereichsschutz beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht erreicht wird. 190 Die Anerkennung eines solchen Persönlichkeitskerns würde es nämlich erlauben, bei einem Eingriff in diesen Persönlichkeitskern stets wegen Erfolgsunrechts eine rechtswidrige Rechtsverletzung zu bejahen. 191 Dieser Kernbereichsschutz für den Träger des Persönlichkeitsrechts wird zusätzlich mit Verhaltens- und Berufsregeln für den Verletzer gekoppelt, die - ihrerseits wiederum an dem Kernbereichsschutz orientiert - die rechtlichen Wertungen besser begreif- und berechenbar machen sollen. l92 Die Kritiker der "Kernbereichstheorie" werfen ihr zum einen vor, daß es sich dabei letztlich um Ergebnisse der Anwendung allgemeiner Grundsätze der Interessenabwägung handele. 193 Die sich bei der "Kernbereichstheorie" ergebenden "verfestigten" Schutzpositionen seien dabei im Ergebnis nichts anderes als die festgeschriebenen Regelergebnisse einer generalisierten Abwägung. 194 Zugleich wird jedoch von den Kritikern der "Kernbereichstheorie" konzediert, daß die Abhängigkeit des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes von einer Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall zu Schwierigkeiten hinsichtlich einer vorhersehbaren und verläßlichen Rechtsfindung geführt hat. 195

188 Steindorff, Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht, S. 9 ff., 22 ff.; Leisner, FS Hubrnann, 1985, 295 ff., 303. 189 Steindorff, Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht, 22 ff. 190 Leisner, FS Hubmann, 1985, 295 ff., 303. 191 Steindorff, Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht, S. 20. 192 Steindorff, Persönlichkeitsschutz im Zivilrecht, S. 9 ff. 193 Forkel, FS Hubrnann, 1985,93 ff., 94 f., Fn. 8; Brandner, JZ 1983, 689; kritisch auch Klippei, in: Entwicklungen des Deliktsrechts in rechtsvergleichender Sicht, S. 13 ff., 19. 194 Brandner, JZ 1983,689. 195 Brandner, JZ 1983, 689; Klippei, in: Entwicklungen des Deliktsrechts in rechtsvergleichender

276

111. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Einige Kritiker der "Kembereichstheorie" haben daher ihrerseits Vorschläge gemacht, um die zur Feststellung der Rechtswidrigkeit beim Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht erforderlichen konkreten Abwägungen zu begrenzen oder gänzlich überflüssig zu machen. Ausführlich legt Forkel196 dar, daß die Rechtswidrigkeitsabwägung beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht abhängig ist von der Bildung fester Tatbestände: Ist ein klar abgegrenztes Persönlichkeitsgut oder eine typische Eingriffsart beschrieben, besteht also ein fester Unrechtstatbestand, so ist eine Abwägung nach den beteiligten Interessen im Einzelfall nicht erforderlich; erst dort, wo ein klar abgegrenztes Persönlichkeitsgut nicht besteht und auch eine typische Eingriffsart, die für unrechtes Handeln spricht, nicht vorliegt, kann mangels ausreichender tatbestandsmäßiger Bestimmtheit die Grenze zwischen Recht und Unrecht nur aufgrund einer Abwägung der beteiligten Interessen im Einzelfall festgestellt werden. 197 Ein weiterer Vorschlag198 zielt in die Richtung der oben dargestellten Interpretation der "Kembereichstheorie" als Ergebnis der Anwendung allgemeiner Grundsätze der Interessenabwägung: Es sei anzunehmen, daß die Rechtsprechung in zunehmendem Maße "verfestigte" Schutzpositionen herausarbeiten werde, die nichts anderes als die festgeschriebenen Regelergebnisse einer generalisierten Abwägung darstellten. l99 Dadurch werde letztlich dasselbe erreicht wie mit der "Kembereichstheorie" , nämlich ein unbedingter Schutz der Betroffenen ohne relativierende Abwägung mit kollidierenden Interessen. 2oo Die von Canaris201 entwickelte Konzeption der Schutzbereichsanalyse läuft parallel zu dem von Forkel konzipierten Modell der Bildung fester Tatbestände: Canaris geht hier von der exakten Herausarbeitung von Schutzbereichen aus, die Schutz gegen bestimmte Arten von Verletzungshandlungen bieten; bei Vorliegen dieser Verletzungshandlungen werde die Rechtswidrigkeit indiziert. 202 In dieselbe Richtung zielt auch die Forderung von Wiese203 nach einer derartigen Verdichtung von Persönlichkeitsinteressen, daß die Unzulässigkeit von Eingriffen vorhersehbar und berechenbar wird und dadurch zugleich ein tatbestandsmäßiger Eingriff in derart verdichtete Persönlichkeitsinteressen dessen Rechtswidrigkeit indiziert. 204

Sicht, 13 ff., 19; ähnlich Forkel, FS Hubmann, 1985,93 ff., 94 und Fn. 8. 196 FS Hubmann, 1985, 93 ff., 105 ff. 197 Forkel, FS Hubmann, 1985,93 ff., 105 ff. 198 Brandner, JZ 1983,689. 199 Brandner, JZ 1983,689. 200 Brandner, JZ 1983,689. 201 Jur. BI. 1991,205 ff., 209 f. 202 Canaris, Jur. BI. 1991, 205 ff., 209 f. 203 FS Duden, 1977,719 ff., 724.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

277

Gemeinsam ist allen dargestellten Ansichten, daß sie das Problem erkennen, das sich aus der von der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur vorgenommenen Einzelfallabwägung bei der Rechtswidrigkeit ergibt, nämlich die Unvorhersehbarkeit und Unberechenbarkeit der rechtlichen Beurteilung; gemeinsam suchen sie daher auch als Ausweg aus diesem Problem eine dogmatische Konzeption, die es ermöglicht, eine Einzelfallabwägung hinsichtlich der Rechtswidrigkeit entbehrlich zu machen. Der Grundgedanke, der allen dargestellten Konzeptionen den Verzicht auf die Rechtswidrigkeitsabwägung im Einzelfall ermöglicht, ist nun der, daß in all den von ihnen beschriebenen Bereichen ja bereits auf der Tatbestandsebene eine Abwägung schon vorgenommen wurde: Um nämlich einen Kernbereich herauszuarbeiten oder aber einen festen Tatbestand bilden oder einen Schutzbereich präzise analysieren oder ein verdichtetes Persönlichkeitsinteresse oder eine verfestigte Schutzposition feststellen zu können, muß in jedem Fall eine exakte Beschreibung der Interessen und Funktionen der Beteiligten erfolgen, um dann aus diesen Rechtspositionen der Beteiligten die jeweilige rechtliche Grenze zwischen den betreffenden rechtlich geschützten Interessen ziehen zu können, mit anderen Worten: Es muß bereits für die Feststellung des Tatbestandes eine sorgfältige, alle Interessen und Rechtspositionen beider Seiten einbeziehende Abwägung erfolgen. Der Verletzungstatbestand selbst ist also hier bereits das Ergebnis einer Abwägung. (Nichts anderes gilt ja letztlich auch für die Prämisse der Rechtsprechung, daß die "Intimsphäre" absolut geschützt sei!) Würde nun dieses durch sorgfältige Abwägung aller Rechtspositionen der Beteiligten gefundene Ergebnis, nämlich der Verletzungstatbestand, seinerseits wieder einer erneuten Abwägung bei der Rechtswidrigkeitsprüfung in jedem Einzelfall unterzogen, so wäre die erneute Abwägung bestenfalls überflüssig, da sie ja an sich nur die auf der Tatbestandsebene bereits vorgenommene Abwägung wiederholen könnte. Würde jedoch die erneute Abwägung bei der Rechtswidrigkeitsprüfung im Einzelfall zusätzlich die Interessen des Verletzers besonders berücksichtigen, so würde das bereits durch eine sorgfältige Abwägung auf der Tatbestandsebene gefundene Ergebnis wieder relativiert: Der durch Abwägung aller Rechtspositionen der Beteiligten gefundene Schutzbereich des Trägers des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, nämlich der konkrete Verletzungstatbestand, würde zu Lasten des Verletzten bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit nochmals eingeengt. Dies jedoch würde gerade der bereits durch die Abwägung festgestellten rechtlichen Grenzziehung zwischen den Rechtspositionen beider Beteiligten diametral entgegengesetzt sein.

204

Wiese, FS Duden, 1977,719 ff., 724.

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III. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Es ist daher festzuhalten, daß die Feststellung der Rechtswidrigkeit durch eine Güter- und Interessenabwägung in jedem Einzelfall immer dann zu unterbleiben hat, wenn bereits zur Feststellung des Verletzungstatbestandes eine sorgfaItige Abwägung aller Interessen und Rechtspositionen der Beteiligten erfolgt ist. In diesen Fällen wäre nämlich die zusätzliche Einzelfallabwägung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit nicht nur überflüssig, sondern häufig auch der bereits durch Abwägung gefundenen rechtlichen Grenzziehung zwischen den widerstreitenden Rechtspositionen der Beteiligten diametral entgegengesetzt. Sind nun - wie oben vorgeschlagen - feste Verletzungstatbestände durch eine exakte Bestimmung von Schutzgut und Verletzungshandlung gebildet worden, so sind diese Tatbestände ja ihrerseits das Ergebnis einer solchen sorgfaItigen Abwägung aller Rechtspositionen der Beteiligten. Die Forderung nach der exakten Bestimmung von Schutzgut und Verletzungshandlung zur Bildung von Verletzungstatbeständen geht also Hand in Hand mit einem Verzicht auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit im Wege einer Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall. Es ist daher festzuhalten, daß bei der Bildung fester Verletzungstatbestände durch die Bestimmung von Schutzgut und Verletzungshandlung die Rechtswidrigkeit des Eingriffs indiziert ist. Die Frage, ob nun bei der Verletzung des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts" eine Rechtswidrigkeits-Indikation gegeben ist, ist - ausgehend von den vorstehenden Ausführungen - zu bejahen, und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist festzuhalten, daß die Grenzziehung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung gegenüber dem Verbraucher und damit die Festschreibung des Verletzungstatbestandes des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts", also die Bestimmung von Schutzgut und Verletzungshandlung, ja bereits das Ergebnis einer sorgfaItigen, alle Interessen und Rechtspositionen beider Seiten einbeziehenden Abwägung ist. Insbesondere unter Berücksichtigung der Funktionen und Aufgaben der Marktgegner - werbender Anbieter und umworbener Verbraucher - ist die Konzeption dieses Tatbestandes des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts" das Resultat einer rechtlichen Grenzziehung, das dem Umworbenen einen für ihn notwendigerweise erforderlichen Schutzbereich einräumt. Hiermit hängt nun der zweite Grund für die Ablehnung einer Einzelfallabwägung bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit bei einem Eingriff in das "Verbraucherpersönlichkeitsrecht" eng zusammen: Der aufgrund der sorgfaItigen Interessenabwägung zwischen Werbetreibendem und umworbenen Verbraucher letzterem eingeräumte Schutzbereich ist für ihn unerläßlich, um überhaupt seine Funktion in der Wettbewerbsordnung ausüben und so seine ökonomische Persönlichkeit entfalten zu können. Wie gezeigt, ist zur Gewährleistung dieser Funktion des Verbrauchers am Markt - und also auch zur Gewährleistung seiner Entfaltung als ökonomische Persönlichkeit - erforderlich, daß er seine Entscheidungen treffen kann, ohne dabei durch die Werbung in seiner freien Willensbildung beeinträchtigt zu sein. Diese für die Erfüllung der Funk-

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsreclrt

279

tion des Verbrauchers am Markt und damit auch zur Entfaltung seiner ökonomischen Persönlichkeit zwingend erforderliche freie Willensbildung des Umworbenen wird durch den Tatbestand des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts" gewährleistet. Würde nun trotz Erfüllung dieses Verletzungstatbestandes die betreffende Werbemaßnahme noch nicht per se rechtswidrig sein, sondern müßte die Rechtswidrigkeit erst in jedem konkreten Einzelfall durch eine Güter- und Interessenabwägung der Parteien positiv festgestellt werden, so würde zwangsläufig die Gewährleistung der Funktion des umworbenen Verbrauchers in jedem Einzelfall gefährdet. Es ist daher festzuhalten, daß bei Erfüllung des Verletzungstatbestandes des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts" die Rechtswidrigkeit des Eingriffs indiziert ist; eine Rechtswidrigkeitsabwägung in jedem konkreten Einzelfall ist daher entgegen der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur nicht mehr erforderlich. Die einzige Ausnahme von der hier dargelegten Unrechtsindikation ergibt sich notwendigerweise aus der oben gegebenen Begründung für die prinzipielle Bejahung der Rechtswidrigkeits-Indikation: Wenn eine Qualifizierung der konkreten Werbemaßnahme als rechtswidrig die Werbung für den Werbetreibenden überhaupt unmöglich machen würde, wäre die Funktion der Werbung für diesen Anbieter nicht nur gefährdet, sondern würde gänzlich obsolet. Als Beispiel für eine solche Fallkonstellation sei nochmals erinnert an Postwurfsendungen unter dem Rechtszustand bei Geltung der alten Ausführungsbestimmung zu § 5911 Nr. I PostO, der Annahmeverweigerungen betrifft: Ließ der Werbende durch die Bundespost Werbematerial durch Postwurfsendungen an alle Haushalte verteilen, beachtete die Bundespost die "Anti-Werbung"Autldeber an den Briefkästen nicht, da sie sich - verwaltungsgerichtlich bestätigt205 _ auf den Standpunkt stellte, daß dem Postempfänger aufgrund der Postordnung kein pauschal für bestimmte Arten von Sendungen erklärtes Annahmeverweigerungsrecht zustehe206 ; würde dem Werbenden hier nun aber untersagt, die Werbesendungen durch die Bundespost verteilen zu lassen und er deshalb etwa auf private Verteilerfirmen verwiesen, wäre diese Werbung faktisch unmöglich, da nur die Post flächendeckend arbeitet, private Verteilerfirmen hingegen nicht. 207

VGH Mannheim, NJW 1990,2145. Mittlerweile geändert wurden hier nicht nur mit Wirkung vom 28.2.1991 die Ausführungsbestimmungen zu § 59 11 Nr. I PostO, sondern am 1.7.1991 wurden für die Deutsche Bundespost POSTDIENST Allgemeine Geschäftsbedingungen eingeführt, so daß die Post nun auch "Anti-Werbung"Aufkleber bei Postwurfsendungen respektiert, vgl. BGH GRUR 1992,316 ff.; das Problem stellt sich also mittlerweile nicht mehr. 207 Entsprechende Sachverhaltsgestaltungen liegen zugrunde den Entscheidungen von LG Kassel, NJW 1991, 2912 f; OLG Stuttgart, NJW 1991, 2912; OLG Hamburg, NJW 1991, 2914 f; LG 205

206

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111. Teil: Individuelle Abwehranspcüche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Wenn jedoch eine - an sich zulässige - Werbung faktisch unmöglich ist und dadurch die Funktion der Werbung in der Wettbewerbsordnung nicht mehr erfiillt werden kann, so liegt eine gänzlich andere Sachverhaltsgestaltung vor, als die der oben dargestellten Grenzziehung zugrundeliegende: Diese geht ja von dem Fall aus, daß die Möglichkeit der Werbung an sich für den Werbenden erhalten bleibt, wenn auch möglicherweise unter erschwerten Bedingungen. 208 Bei einer Sachverhaltskonstellation, in der eine an sich zulässige Werbung für den Werbenden faktisch unmöglich würde, wenn sie als rechtswidrig untersagt würde, ist daher - nach der hier vertretenen Konzeption ausnahmsweise nicht von einer Rechtswidrigkeitsindikation bei Erfiillung des Verletzungstatbestandes des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts" auszugehen. Vielmehr ist dann ausnahmsweise eine Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalls erforderlich, die insbesondere zu berücksichtigen hat, wie schwer die Auswirkungen der Unmöglichkeit der Werbung (etwa aufgrund der Unmöglichkeit flächendeckender Werbung in ländlichen Gebieten) für den werbenden Anbieter sind, welche Auswirkungen die faktische Unmöglichkeit der Werbung für die Verbraucher hat, die an dieser Werbung interessiert sind und wie schwer die Folgen für den ablehnenden Verbraucher sind, dessen freie Willensentschließung zumindest hinsichtlich der Kenntnisnahme von dieser Werbung beeinträchtigt würde. Letztlich stünden sich also bei dieser - hier ausnahmsweise vorzunehmenden - Abwägung die Funktion der Werbung einerseits und die Funktion des Verbrauchers andererseits gegenüber, da bei Untersagung der Werbung deren Funktion obsolet würde, bei Nichtuntersagung hingegen der Verbraucher in seiner freien Willensentschließung beeinträchtigt und damit an der Ausübung seiner Funktion in der Wettbewerbsordnung gehindert würde. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit kann in diesem Ausnahmefall daher nur aufgrund einer sorgfältigen Güter- und Interessenabwägung der Beteiligten getroffen werden. Im übrigen gilt jedoch der oben dargelegte Grundsatz der RechtswidrigkeitsIndikation bei Erfiillung des Verletzungstatbestandes des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts" . e) Der Beurteilungsmaßstab - Prozessuales Probleme könnten sich nun aber ergeben bei der Bestimmung des Beurteilungsmaßstabes hinsichtlich der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers. Wie oben209 dargelegt, ist bei der Frage der Beherrschbarkeit der werblichen Beeinflussung eine abstrakte Betrachtungsweise erforHagen, NJW 1991,2911 [; LG Freiburg, NJW 1990,2824; OLG Bremen, NJW 1990,2140 [; BGH GRUR 1992,316 ff. 208 Vgl. beispielsweise oben, Teil H, 4. Kapitel "Derunerbetene Vertreterbesuch". 209 Teil 1,4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur".

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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derlich: Maßstab der Betrachtung ist der flüchtige, unkritische Durchschnittsverbraucher; ist die werbliche Beeinflussung für einen nicht völlig unbeachtlichen Teil dieser flüchtigen, unkritischen Durchschnittsverbraucher kognitiv oder voluntativ nicht mehr beherrschbar, so ist die freie Willensentschließung des Verbrauchers als beeinträchtigt anzusehen. Diese - generell erforderliche - abstrakte Betrachtungsweise muß jedoch im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts modifiziert werden: Da es sich bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen immer um einen individuellen Vorgang handelt, nämlich die Verletzung des Persönlichkeitsrechts eines konkreten Individuums, muß zunächst eine Maßstabverschiebung vom Abstrakten zum Individuellen stattfinden. Bei der Feststellung der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des umworbenen Verbrauchers kann als Beurteilungsmaßstab nicht der flüchtige, unkritische Durchschnittsverbraucher zugrundegelegt werden, sondern es muß vielmehr auf das konkrete Individuum, den konkreten Umworbenen, der sich gegen die betreffende Werbemaßnahme wendet, abgestellt werden. 21 0 Der bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen erforderliche individuelle Beurteilungsmaßstab birgt jedoch für den betroffenen Verbraucher ganz erhebliche Probleme: Der Klage eines Verbrauchers, der die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine bestimmte Werbemaßnahme geltend macht, da er durch diese Werbemaßnahme in seiner freien Willensentschließung beeinträchtigt werde, müßte vom Werbenden nur entgegengehalten werden, daß dieser konkrete Verbraucher eben gerade nicht durch die Werbung in seiner freien Willensentschließung beeinträchtigt worden sei, da die Werbung für den betreffenden Verbraucher beherrschbar sei. Der klagende Verbraucher würde nun die gesamte Behauptungs- und Beweislast dafür tragen, daß er konkret durch die beanstandete Werbung in seiner freien Willensentschließung beenträchtigt worden sei - eine prozessual äußerst schwierige Lage, die mit Sicherheit nicht nur zahlreiche Klagen betroffener Verbraucher für diese negativ ausgehen ließe, sondern als Folgewirkung auch zahlreiche Verbraucher von einer Klage gegen die ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzenden Werbernaßnahmen abhalten würde. Der für die Feststellung der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verbrauchers erforderliche individuelle Beurteilungsmaßstab bedarf daher, um diese negativen Auswirkungen für den Verbraucherschutz zu verhindern, einer prozessualen Ergänzung. Auszugehen ist hierbei von den Feststellungen, die zum abstrakten Beurteilungsmaßstab und den hierzu erforderlichen Bezugsgrößen getroffen wurden. 211 Die Tatsache, daß von RechtspreEbenso Ehlers, WRP 1983, 187 ff., 189. m Vgl. oben, Teil 1,4. Kapitel "Die freie Willensentschließung des Verbrauchers in der Literatur".

210

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III. Teil: Individuelle Abwehransprilche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

chung und Literatur ganz einhellig die Irreftihrung eines nicht völlig unerheblichen Teils der flüchtigen, unkritischen Durchschnittsverbraucherschaft als ausreichend für die Darstellung einer irrefiihrenden Werbung angesehen wird, zeigt, welch einen hohen Standard Rechtsprechung und Literatur beim Verbraucherschutz halten. Der strenge Maßstab, den die Rechtsprechung hier anlegt, ist nämlich keinesfalls bedingt durch die Verbandsklage - was ein Vergleich mit den wesentlich milderen Maßstäben anderer Länder zeigt -, sondern stellt vielmehr das Ergebnis eines - auch im internationalen Vergleich - sehr hohen Verbraucherschutzstandards dar. 212 Will man nun hinsichtlich dieses hohen Verbraucherschutzstandards konsequent verfahren, so darf man nicht im Rahmen der individuellen Klage des konkret betroffenen Verbrauchers derartige Beweisschwierigkeiten schaffen; vielmehr muß der hohe Verbraucherschutzstandard, der bei der Verbandsklage durchgängig praktiziert wird, Auswirkungen auf die Individualklage haben. Für die Feststellung der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Umworbenen durch Beeinträchtigung seiner freien Willensentschließung mittels einer bestimmten Werbemaßnahme muß es daher ausreichen, wenn der betroffene Verbraucher behauptet, daß er in seiner freien Willensentschließung beeinträchtigt wurde, weil die konkrete Werbemaßnahme hierzu generell geeignet ist. Für die Darlegung der generellen Eignung der konkreten Werbemaßnahme zur Beeinträchtigung der freien Willensentschließung ist es ausreichend, wenn der klagende Verbraucher dartut, daß diese Werbung bei einem nicht völlig unerheblichen Teil der flüchtigen, unkritischen Durchschnittsverbraucherschaft zu einer Beeinträchtigung der freien Willensentschließung fuhrt. Insofern sind die von der Rechtsprechung praktizierten Verfahrensweisen rur die eigene richterliche Beurteilung einer Irrefiihrung maßgeblich, der die Regel zugrunde liegt, daß der erkennende Richter die Irrefiihrung generell aufgrund eigener Erfahrung bejahen kann. Der beklagte Werbende muß nun seinerseits behaupten und beweisen, daß trotz der generellen Eignung der streitigen Werbemaßnahme zur Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Verbraucher ausnahmsweise keine Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des individuell klagenden Verbrauchers stattgefunden hat. Mit dieser Modifikation des Beurteilungsmaßstabes wird sowohl der Tatsache der Individualität des Vorganges als auch dem Erfordernis einer konsequenten Handhabung angesichts des hohen Verbraucherschutzstandards Rechnung getragen.

212 Hierzu Emrnerich, S. 203 f.; Schricker, ZHR 139 (1975), 208 ff., 224 ff.; ders., RabelsZ 40 (1976),535 ff., 542 ff.; Baumbach-Heferrnehl, § 3, Rz. 27.

2. Kapitel: Allgemeines Persönlichkeitsrecht

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Als einziger Unterschied im Ergebnis zeigt sich bei der Individualklage gegenüber der Kollektivklage die notwendige unterschiedliche Behandlung einer erstmalig bevorstehenden irreführenden Werbung: Bei der Verbandsklage wird eine solche erstmals drohende Irreführung aufgrund des abstrakten Beurteilungsmaßstabes nicht anders behandelt als eine bereits zum wiederholten Male drohende Irreführung - in beiden Fällen ist die betreffende Werbung wegen Beeinträchtigung der freien Willensentschließung der Verbraucher zu untersagen. Bei der Klage eines Verbrauchers gegen eine erstmals drohende Irreführung durch Werbung und einer dadurch drohende Beeinträchtigung seiner freien Willensentschließung besteht aufgrund des individuellen Beurteilungsmaßstabs die zwangsläufige Konsequenz darin, daß eine Irreführung in diesem konkreten Fall überhaupt nicht denkbar ist: Bereits die Klage gegen die betreffende Werbemaßnahme mit der Begründung, sie drohe den klagenden Verbraucher irrezuführen, zeigt, daß der betreffende Verbraucher die Werbung ja bereits "durchschaut" hat und daher gar nicht mehr durch sie irregeführt werden kann. Von diesem in der Praxis sicher seltenen Fall einmal abgesehen, ermöglicht es der individuelle Beurteilungsmaßstab, kombiniert mit der aufgezeigten, prozessualen Modifikation bei der Darlegungs- und Beweislast, dem einzelnen Verbraucher, gegen Werbemaßnahmen vorzugehen, die seine freie Willensentschließung beeinträchtigen und damit sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzen. Insoweit gibt es auch hinsichtlich der Irreführung durch Werbemaßnahmen, durch die der Verbraucher bereits einmal irregeführt wurde, also bei Wiederholungsgefahr, keinen Unterschied zur Verbandsklage: Nimmt man beispielsweise an, daß eine Irreführung durch ein Lockvogelangebot erfolgte, so ist es durchaus schlüssig anzunehmen, daß ein weiteres Lockvogelangebot desselben Werbenden wiederum zu einer Irreführung des betreffenden Verbrauchers und damit zu einer Beeinträchtigung seiner freien Willensentschließung führen wird; denn die Tatsache, daß der betreffende Verbraucher das erste Mal umsonst den Weg in das Geschäftslokal machen mußte, das die beworbene Ware gar nicht vorrätig hatte, gibt dem Verbraucher bei zukünftigen Werbemaßnahmen noch keine Möglichkeit, im voraus zu erkennen, ob auch diesmal wieder keine beworbene Ware vorrätig sein wird. Der bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verbrauchers gebotene individuelle Beurteilungsmaßstab ermöglicht es also - gemeinsam mit der dargestellten prozessualen Modifikation der Darlegungs- und Beweisanforderungen - dem einzelnen Verbraucher, gegen eine Beeinträchtigung seiner freien Willensentschließung und damit gegen eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Umworbener wirkungsvoll vorzugehen. Erschwerungen bei dieser Individualklage im Gegensatz zur Verbandsklage hat der einzelne Verbraucher nicht zu befürchten.

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III. Teil: Individuelle Abwehransprüche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

4. Ergebnis

Die Möglichkeit, sich wegen Verletzung des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts" gegen Werbemaßnahmen zur Wehr zu setzen, stellt also für den betroffenen Verbraucher einen umfassenden Rechtsschutz gegen jede Art von Werbung dar, die seine freie Willensbildung beeinträchtigt. Hier ist es gleichgültig, ob die freie Willensentschließung des Verbrauchers hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung, hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses oder hinsichtlich der konkreten Kaufentscheidung (oder sonstiger Entscheidungen für den konkreten Vertragsabschluß) beeinträchtigt wird; in jedem Fall der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Verbrauchers ist, wie dargelegt, das "Verbraucherpersönlichkeitsrecht" verletzt. Dieser - über die Institutionalisierung des "Verbraucherpersönlichekitsrechts" - erzielte umfassende Rechtsschutz für den Verbraucher gibt diesem die Möglichkeit, mittels einer individuellen Klage sich persönlich als Betroffener gegen konkrete Werbemaßnahmen zu wehren. Den Verbrauchern ist damit ein zweifacher Weg eröffnet, einen wirksamen Schutz gegen Werbung zu erreichen: Zum einen besteht nach wie vor die Möglichkeit, über die Verbraucherverbände und deren Verbandsklagerecht ihre Interessen kollektiv wahrzunehmen und die Stärke des Verbandes als Kollektiv zu nutzen; zum anderen besteht nunmehr zusätzlich für den einzelnen betroffenen Verbraucher die Möglichkeit, gegen jede Art von Werbung, die die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt, individuell im Klageweg vorzugehen. Der persönlich betroffene Verbraucher muß nun also nicht mehr abwarten, bis sich ein Verbraucherverband seiner Nöte hinsichtlich der Werbung annimmt, sondern kann selbst individuell gegen die seine freie Willensentschließung beeinträchtigende Werbung klagen. Dieser umfassende Rechtsschutz gegen jede Art von Werbung bildet eine vollkommene rechtliche Absicherung der umworbenen Verbraucher.

3. Kapitel: Eigentums- und Besitzschutz I. Einleitung Bei vielen Werbemaßnahmen kann nun zugleich mit einer Verletzung des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts" das Eigentum oder der Besitz des umworbenen Verbrauchers betroffen sein. Es ist also zu untersuchen, ob für den betroffenen Verbraucher die Möglichkeit besteht, durch eine Klage wegen Eigentums- bzw. Besitzstörung durch eine konkrete Werbemaßnahme individuellen Rechtsschutz gegen Werbung zu erhalten. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß dieser individuelle Rechtsschutz des Verbrauchers gegen Wer-

3. Kapitel: Eigenturns- und Besitzschutz

285

bung immer nur dann in Betracht kommen kann, wenn durch die konkrete Werbemaßnahme Eigentum oder Besitz des Umworbenen tangiert wird; wird hingegen durch die Werbung lediglich die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt, ohne daß durch diese Werbung zugleich Eigentum oder Besitz des Umworbenen beeinträchtigt werden, muß ein individueller Rechtsschutz wegen Eigentums- bzw. Besitzstörung ausscheiden. Der über eine Eigentums- bzw. Besitzschutzklage zu erzielende individuelle Rechtsschutz des Verbrauchers gegen Werbung kann also zwangsläufig nicht für jedwede Werbemaßnahme gelten, sondern muß lediglich ein auf bestimmte Werbernaßnahmen beschränkter sein. Hierauf wird im folgenden einzugehen sein. II. Rechtsprechung und Literatur

Die Rechtsprechung hat bereits in der - soweit ersichtlich - ersten zur Briefkastenwerbung ergangenen Entscheidung vom 25.l.1972 213 auf die Klage eines betroffenen Verbrauchers hin festgestellt, daß dieser als Eigentümer des Briefkastens befugt sei, die Einlage nicht bestellter Schriftstücke zu verbieten. Der Eigentümer des Briefkastens müsse es nicht hinnehmen, daß der Briefkasten von jedermann zur Ablage von Schriftstücken, die sich an die Allgemeinheit richteten, benutzt werde. 214 In dieser Entscheidung war der Gesichtspunkt der Eigentumsstörung der einzige die Entscheidung tragende rechtliche Aspekt. In den folgenden Urteilen zur Briefkastenwerbung zogen die Gerichte entweder den Aspekt der Eigentums- bzw. Besitzstörung zusätzlich zu dem Gesichtspunkt der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts heran21s oder aber ließen eine Eigentumsstörung durch den Einwurf des Werbematerials in den Briefkasten sogar dahingestellt. 216 Ausführlich nimmt zu der Eigentums- bzw. Besitzstörung nur der BGH in seiner Entscheidung vom 20.12.1988217 Stellung. Der BGH führt aus, daß "dem Empfänger als Haus- oder Wobnungseigentümer bzw. -besitzer aus §§ 1004, 903, 862 BGB das Recht zustehe, sich gegen eine Beeinträchtigung seiner räumlich-gegenständlichen Sphäre durch das Aufdrängen von unerwünschtem Werbematerial zur Wehr zu setzen. Dieses Recht bestehe nicht nur dann, wenn Werbematerial in einer solchen Menge eingeworfen wird, daß die eigentliche Funktion des Briefkastens - die Aufnahme von Postsendungen - in OLG Nürnberg, AfP 1972,233 f. OLG Nürnberg, AfP 1972,233 f., 234. m Vgl. oben, 2. Kapitel "Allgemeines Persönlichkeitsrecht"; OLG FrankfurtlM., NJW 1988, 1854ff.; BGH NJW 1989,902 ff.; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990,244 f.; LG Freiburg, NJW 1990, 2824; LG Hagen, NJW 1991, 2911 f.; OLG Hamburg, NJW 1991, 2914 f.; OLG Stuttgart, NJW 1991,2912; LG Kassel, NJW 1991,2912 f. 216 OLG Stuttgart, NJW 1987, 1422 f. 217 BGH NJW 1989,902 ff. = BGHZ 106,229 ff. 213

214

286

IlI. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Frage gestellt ist. Vielmehr kann sich der Betroffene auch gegen den unerwünschten Einwurf von Werbematerial in seinen Briefkasten wehren ... keineswegs kann in einer derartigen Abwehrhaltung eine mißbräuchliche Inanspruchnahme dieser Rechte gesehen werden. Vielmehr sind in diesen Fällen die Abwehrrechte aus Eigentum und Besitz grundsätzlich uneingeschränkt,,218 . Der BGH stellt diesem Abwehranspruch aus Eigentum und Besitz den von ihm gleichfalls bejahten Abwehranspruch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gegenüber und führt zum Verhältnis dieser beiden Abwehrrechte aus: "Je nach Lage des Falles kann dieses Recht (aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Anm. der Aut.) hier die Abwehrrechte aus Eigentum und Besitz verstärken oder sogar ganz in den Vordergrund treten. Letzteres kann etwa dann der Fall sein, wenn es dem Betroffen weniger um die Abwehr einer Beeinträchtigung seines gegenständlichen Eigenbereichs, als vielmehr darum geht, der Konfrontation mit der Suggestivwirkung der Werbung zu entgehen,,219. Eine Analyse dieser Rechtsprechung ergibt, daß die Rechtsprechung Abwehransprüche aus Eigentum und Besitz dann gewährt, wenn vom Werbenden zur Übermittlung der Werbung Empfangseinrichtungen des Umworbenen gegen dessen Willen benutzt werden. Daß diese Empfangseinrichtungen des Umworbenen körperliche Gegenstände gern. § 90 BGB sein müssen, also nicht etwa menschliche Sinnesorgane sein können, versteht sich von selbst, da gern. § 903, § 854 BGB Eigentum und Besitz nur an Sachen bestehen können; es ist daher festzuhalten, daß die vom Werbenden zur Übermittlung seiner Werbung benutzten Einrichtungen des Umworbenen als gegenständliche Empfangseinrichtungen zu bezeichnen sind. Die Tatsache, daß in allen bisher ergangenen Entscheidungen die gegenständlichen Empfangseinrichtungen des Umworbenen ausschließlich Briefkästen waren, hat seine Ursache lediglich darin, daß die Fälle der "Briefkastenwerbung" bislang die einzigen Fälle sind, in denen sich die betroffenen Verbraucher selbst mit einer Klage zur Wehr setzten. Die von der Rechtsprechung gewährten Abwehransprüche aus Eigentum und Besitz stehen nach der dargestellten BGH-Konzeption entweder neben den zugleich gegebenen Abwehransprüchen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder treten diesem gegenüber sogar in den Hintergrund, wenn es für den Betroffenen vor allem darum geht, eine Konfrontation mit der Suggestivwirkung der Werbung zu verhindern.

218 219

BGH NJW 1989, 902 ff., 903. BGH NJW 1989,902 ff., 903.

3. Kapitel: Eigentums- und Besitzschutz

287

Die Literatur stinunt dieser Rechtsprechung ZU220 , wobei jedoch die Autoren, die sich - neben der Erörterung einer Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - überhaupt mit der Frage einer Eigentums- oder Besitzstörung befassen, nicht sehr zahlreich sind. Der Bereich der Eigentums- bzw. Besitzstörung wird hierbei auch ausdrücklich über die Briefkästen hinaus ausgedehnt. 221

m

Eigene Beurteilung

Für den Rechtsschutz wegen Eigentums- und Besitzstörung muß davon ausgegangen werden, daß inuner dann eine Eigentums- bzw. Besitzstörung vorliegt, wenn der Werbende zur Übermittlung seiner Werbebotschaft gegenständliche Empfangseinrichtungen des Umworbenen benutzt, und zwar gegen den Willen des Umworbenen. Die gegenständlichen Empfangseinrichtungen können hierbei außer den Briefkästen beispielsweise Telefone, Telex-, Telefax-, Teletex- oder Btx-Geräte sein; auch ist denkbar der Pkw, unter dessen Scheibenwischer oft Werbehandzettel festgeklenunt werden?22 Bei fortschreitender Entwicklung der Konununikationstechnologie läßt sich die Liste der vom Werbenden zur Übermittlung der Werbebotschaft benutzten gegenständlichen Empfangseinrichtungen des Umworbenen sicher weiter ergänzen. Die Benutzung dieser im Eigentum oder Besitz des Umworbenen stehenden Empfangseinrichtungen durch den Werbenden gegen den Willen des Umworbenen stellt eine Eigentums- bzw. Besitzstörung dar. Der Grund hierfür liegt, anders als bei der Verletzung des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts" nicht in einer Beeinträchtigung der freien Willensbildung des Verbrauchers, sondern darin, daß der Werbende das in § 903 BGB festgeschriebene umfassende Herrschaftsrecht des umworbenen Eigentümers bzw. das sich aus dem Besitzrecht des Besitzers ergebende Herrschaftsrecht mißachtet, wenn er gegen den Willen des Umworbenen dessen gegenständliche Empfangseinrichtungen zur Übermittlung seiner Werbung mißbraucht. 223 Wann ein entgegenstehender Wille des umworbenen Verbrauchers anzunehmen ist, bestinunt sich - sofern eine ausdrückliche Ablehnung oder eine Einverständniserklärung fehlen - danach, ob ein Interesse des Umworbenen be-

220 Alt, Recht und Praxis der Briefkastenwerbung, s. 94 ff.; ders., WRP 1985, 319 ff., 322 f.; Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 264 f.; Weise, GRUR 1989, 553 ff., 557; PalandtBassenge, § 1004, Rz. 5,7; Baumbach-Heferrnehl, § I, Rz. 71 a. 221 Lehmann, Vertragsanbahnung durch Werbung, S. 264 f. 222 V gl. Sachverhalt von OLG Hamm, GRUR 1991, 229 ff. 223 Vgl. Weise, GRUR 1989, 553 ff., 557 f.

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III. Teil: Individuelle Abwehransprüche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

steht, die Werbung ausgerechnet in dieser vom Werbenden gewählten Art und Weise (also beispielsweise über Telex) übermittelt zu bekommen?24 Wird nun eine Werbung über Telefon, Telex-, Telefax- oder Teletex-Gerät übermittelt, so ist zu betiicksichtigen, daß sich der Umworbene diese Kommunikationseinrichtungen geschaffen hat, um seine Kommunikation zu erleichtern, nicht jedoch um nun auch noch auf diesem Weg mit Werbung beschickt zu werden. Eine Werbung über diese Kommunikationsanlagen würde nämlich zum einen bedeuten, daß bereits durch die Werbung fiir den Umworbenen Kosten anfallen, insbesondere zusätzlicher Papierverbrauch bei Telex- und Telefax-Geräten. Zum anderen würde die Übermittlung einer Werbung bedeuten, daß zumindest während dieser Übermittlungszeit das Gerät fiir anderweitige Übermittlungen gesperrt ist. Beim Teletex-Gerät besteht zusätzlich noch die Gefahr, daß das Gerät wegen Überfiillung des Speichers, der nur über eine bestimmte Speicherkapazität verfUgt, vollständig blockiert wird225 . Hinzu kommt bei der Werbung über Telex-, Telefax- und Teletex-Geräte, daß es fiir den Umworbenen einen erheblichen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, die Werbung, die ja meistens nicht sogleich als solche erkennbar ist, aus den übrigen Mitteilungen auszusortieren und so das genaue Gegenteil vom Zweck dieser Kommunikationsmedien - nämlich Rationalisierung und Vereinfachung der Kommuniktion - erreicht wird. Es ist daher davon auszugehen, daß kein Interesse beim umworbenen Verbraucher besteht, daß der Werbende zur Übermittlung jedweder Werbebotschaften ein Telex-, Telefax- oder Teletex-Gerät des Umworbenen benutzt. Sofern eine ausdtiickliche Einverständniserklärung des Umworbenen fehlt, über die betreffenden gegenständlichen Empfangseinrichtungen Werbebotschaften übermittelt zu bekommen, müssen daher fiir das Vorliegen seines Interesses an einer Werbung ausgerechnet über diese Kommunikationsmittel strenge Anforderungen gestellt werden. Von einem solchen Interesse des Umworbenen kann daher lediglich dann ausgegangen werden, wenn ein in der Interessensphäre des Umworbenen liegender sachlicher Grund fiir die Übermittlung der Werbung ausgerechnet über diese Kommunikationsmedien existiert?26 Zusätzlich zu der konkreten Sachbezogenheit der beworbenen Ware oder Leistung zu der beruflichen Tätigkeit oder dem Geschäftsbetrieb des Um224 So bereits filr die Telexwerbung und Telefonwerbung bei Rechtsanwälten, allerdings nur unter dem Gesichtspunkt des § I UWG: BGH NJW 1973,42; OLG Stuttgart, WRP 1987, 641 ff., 643; KG WRP 1986,470 ff., 471; BGH NJW 1991,2087 ff., 2088 f. 225 Ausfilhrlich zur technischen Funktion dieser Geräte vgl. oben, Teil II, 3. Kapitel "Werbung durch teletechnische Kommunikationsmittel". 226 So _ allerdings im Rahmen des § I UWG - bereits BGH NJW 1973, 42; OLG Hamm, GRUR 1990,689 f., 690; OLG Stuttgart, WRP 1987,641 ff., 643.

3. Kapitel: Eigenturns- und Besitzschutz

289

worbenen kann dies etwa dann der Fall sein, wenn das Angebot - etwa wegen der Verderblichkeit der Ware - besonders eilbedürftig ist. Beim Telefon besteht der gewichtige Aspekt, daß ein Werbeanruf, gleichgültig zu welcher Tageszeit, eine empfindliche Störung für den Umworbenen bedeutet und er - unabhängig von allen anderen Gründen bereits aus diesem Grund regelmäßig nicht mittels seines Telefons umworben werden möchte, sofern nicht sein Einverständnis hierfür vorliegt. Ein solches Einverständnis kann bei einem hlhaber eines Geschäftstelefons lediglich dann bejaht werden, wenn eine konkrete Sachbezogenheit der beworbenen Ware oder Leistung zu dem Geschäftsbetrieb oder der beruflichen Tätigkeit des Umworbenen vorhanden ist. 227 Bei dem Inhaber eines Privatanschlusses hingegen kann - wegen der noch erheblicheren Störung durch Werbeanrufe als im Geschäftsbereich - lediglich dann von einem Einverständnis ausgegangen werden, wenn der Umworbene seine Telefonnummer dem Werbenden mitgeteilt hat (beispielsweise bei der schriftlichen Anforderung von Werbematerial) und nach den Umständen klar sein mußte, daß der Werbende diese Telefonnummer auch zu Werbeanrufen erfragt oder aber der Anruf der Durchführung einer bereits bestehenden Vertragsbeziehung dient. Hinsichtlich der Brietkastenwerbung, für die nicht eine ausdrückliche Ablehnung - etwa durch Aufkleber oder durch ausdrücklichen Widerspruch beim Werbenden - besteht, ergibt eine Interessenanalyse beim Umworbenen hingegen, daß eine Benutzung seines Brietkastens für Werbebotschaften nicht gegen seinen Willen erfolgt: Durch die in seinen Brietkasten eingeworfenen Werbematerialien wird der Verbraucher über aktuelle Angebote informiert und erhält die Möglichkeit zu Preis- und Leistungsvergleichen, ohne selbst Zeit und Mühe aufzuwenden; es ist also davon auszugehen, daß der Verbraucher ein Interesse an der in seinen Brietkasten eingeworfenen Werbung hat und er daher mit dem Einwurf der Werbung in seinen Brietkasten einverstanden ist, sofern er nicht das Gegenteil durch einen "Anti-Werbungs"-Aufkleber oder ausdrücklichen Widerspruch gegen die Werbung beim Werbenden deutlich macht. Eine Ausnahme gilt jedoch auch für die Brietkastenwerbung dann, wenn es sich um "getarnte" Werbebriefe handelt, also der Werbecharakter der Botschaft nicht sofort erkennbar ist, sondern beispielsweise der persönlich gehaltene Brief erst gelesen werden muß, um feststellen zu können, daß es sich um eine Werbebotschaft handelt: Der Brietkasteninhaber hat nämlich ein berechtigtes Interesse daran, die Post bereits nach äußerer Aufmachung sortieren und die 227 So konsequent _ allerdings im Rahmen des § I UWG - die Rechtsprechung: BGH NJW 1991, 2087 ff., 2088 f.; OLG Koblenz, NJW 1987,3269; OLG Hamburg, WRP 1987,41.

19 Scherer

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III. Teil: Individuelle Abwehransprüche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Werbung - falls gewünscht - aussortieren und ungelesen wegwerfen zu können; die Bereitstellung des Briefkastens soll ihm hingegen keine - über den normalen Aufwand bei der Handhabung der Post hinausgehende - Mühe und zusätzlichen Zeitverlust verursachen. Eine ähnliche Beurteilung wie fur die Briefkastenwerbimg gilt für die BtxWerbung: Bei diesem als "elektronischer Briefkasten" vereinfacht zu beschreibenden Kommunikationsmedium 228 ist für den Umworbenen lediglich relevant, ob er die Werbung aufgrund einer Kennzeichung ("W") bereits i m Inhaltsverzeichnis als solche erkennen kann. Die Situation ist hier vergleichbar mit einem bereits an der äußeren Aufmachung als solchem erkennbaren Werbebrief - der Umworbene kann die Werbemittel also ohne Mühe "aussortieren", beim Btx-Gerät also i m Inhaltsverzeichnis stehen lassen, bis sie von der Bundespost nach 14 Tagen gelöscht wird - ein Aufbau auf dem Bildschirm ist nicht erforderlich. Es kann daher von einem Einverständnis des Umworbenen mit als solcher gekennzeichneten Werbung, nicht aber mit ungekennzeichneter ausgegangen werden, da bei letzterer ein derartiges "Aussortieren" ähnlich wie beim "getarnten" Werbebrief nicht möglich ist und der Aufbau der Mitteilung auf dem Bildschirm nicht unerheblichen Aufwand an Zeit und Mühe verursacht. Auch mit der - gelegentlich zu beobachtenden - Zweckentfremdung der Pkw-Scheibenwischer zur Übermittlung von Werbebotschaften, welche hinter die Scheibenwischer geklemmt werden, ist der umworbene Eigentümer oder Besitzer des betreffenden Pkws nicht einverstanden. 229 Zwar läßt sich die Werbung leicht vom Pkw entfernen; dem Umworbenen wird jedoch durch diese Übermittlung der Werbung das Entsorgungsproblem hinsichtlich dieser Werbezettel aufgebürdet, das gegenüber der Entsorgung des bei der Briefkastenwerbung anfallenden Altpapiers wesentlich mühe- und zeitaufwendiger ist. 2 3 0 In all den dargestellten Fällen der Benutzung einer gegenständlichen Empfangseinrichtung des Umworbenen durch den Werbenden durch Übermittlung seiner Werbebotschaft ist somit immer dann eine Eigentums- bzw. Besitzstörung gegeben, wenn diese Benutzung gegen den Willen des umworbenen Eigentümers bzw. Besitzers geschieht und dadurch sein umfassendes Herrschaftsrecht mißachtet wird. In diesen Fällen ist daher individueller Rechtsschutz fur die betroffenen Verbraucher gegen Werbung gem. § 1004 I 2 BGB bzw. § 862 I 2 BGB im Wege der Unterlassungsklage gegeben.

228 Ausführlich zur technischen Funktion s.o. Teil II, 3. Kapitel "Werbung durch teletechnische Kommunkationsmittel". 229 A.A. OLG Hamm, GRUR 1991, 229 ff. 230 Ebenso Dahlen, MDR 1991, 1130 f.

3. Kapitel: Eigentums- und Besitzschutz

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IV. Konkurrenzen Bei der Verwirklichung einer Eigentums- oder Besitzstörung durch die dargestellte Benutzung von gegenständlichen Empfangseinrichtungen des Umworbenen gegen seinen Willen durch den Werbenden stehen die dadurch ausgelösten Abwehransprüche des Umworbenen gegen die Werbung aus §§ 1004 I 2, 862 I 2 BGB dem gleichzeitig gegebenen Abwehranspruch wegen Verletzung des "Verbraucherpersönlichkeitsrechts"231 gleichwertig zur Seite; daß der Abwehranspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts "in den Vordergrund tritt", wie dies der BGH annimme 32 , sofern "es dem Betroffenen weniger um die Abwehr einer Beeinträchtigung seines gegenständlichen Eigenbereichs als vielmehr darum geht, der Konfrontation mit der Suggestivwirkung der Werbung zu entgehen", kann nicht akzeptiert werden. Die Motivation des Umworbenen, eine Werbung abzulehnen, wird zum einen immer vielschichtig sein, so daß praktisch gar nicht getrennt werden kann zwischen dem Wunsch, der Suggestivwirkung der Werbung zu entgehen oder beispielsweise dem Wunsch, nicht über das Telefax-Gerät Werbung übermittelt zu bekommen, weil dies zusätzliche Kosten, Mühe und Zeitaufwand für den Umworbenen bedeuten würde. Zum anderen ist festzuhalten, daß ein bestimmtes tatsächliches Verhalten mehrere Rechtsgüter verletzen und daher auch mehrere Abwehransprüche auslösen kann. Daß das entscheidende Gericht sein Urteil lediglich auf einen der gegebenen Abwehransprüche stützt und die übrigen vernachlässigt, bleibt ihm unbenommen. Der umworbene Verbraucher hat also einen weiteren, wenn auch nicht umgrund von Eigentums- und Besitzstörung durch Werbung. Da dieser Rechtsschutz jedoch nur bei Werbemaßnahmen möglich ist, die über gegenständliche Empfangseinrichtungen des Umworbenen gegen dessen Willen übermittelt werden, ist er weit weniger umfassend als der durch das "Verbraucherpersönlichkeitsrecht" gewährte Rechtsschutz. In den Fällen jedoch, in denen er gegeben ist, erleichtert er dem betroffenen Verbraucher seine Abwehr der betreffenden Werbung erheblich, da ihm nunmehr zwei Abwehransprüche mit unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen zur Verfügung stehen.

231 232

Vgl. oben, 2. Kapitel" Allgemeines Persönlichkeitsrecht" .

BGH NJW 1989,902 ff., 903.

292

III. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

4. Kapitel: § 826 BGB I. Quasinegatorischer Unterlassungsanspruch Als weitere Abwehrmöglichkeit einer Werbung, die die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt, käme für den betroffenen Umworbenen außerdem ein quasinegatorischer Unterlassungsanspruch aus § 826 i.Y.m. § 1004 I 2 BGB analog in Frage. Ein solcher vorbeugender Rechtsschutz wird durch eine analoge Anwendung des § 1004 I 2 BGB nicht nur für absolute Rechte und Rechtsgüter gewährt, sondern für alle deliktisch geschützten Güter. 233 Mag auch an diesem sogenannten quasinegatorischen Anspruch Kritik geübt werden für den - hier nicht in Frage stehenden - Bereich des Beseitigungsanspruchs234 , so muß ein solcher quasinegatorischer Unterlassungsanspruch jedenfalls akzeptiert werden unter dem Gesichtspunkt, daß ein vorbeugender Rechtsschutz gegen eine drohende Verletzung von Rechten und Rechtsgütern seine Rechtfertigung evident darin findet, daß Schadensverhütung besser als Schadensausgleich ist. 235 Ein Schutz besteht daher nach § 1004 I 2 BGB analog für alle deliktisch geschützten Rechtsgüter, also auch für den nach § 826 BGB geschützten Bereich. 236 II. Drohende Schadenszufügung

Voraussetzung für einen solchen quasinegatorischen Unterlassungsanspruch wäre zunächst eine drohende Schadenszufügung. Durch die betreffende Werbung müßte also dem jeweiligen Verbraucher ein Schaden drohen. Wohlgemerkt kann hier nicht ein Schaden in Betracht kommen, der durch einen sogenannten "Folgevertrag" verursacht wird, also einen Vertrag, der auf die Werbung hin vom Verbraucher abgeschlossen wird. Gleichgültig, ob man nun den Schaden bei derartigen "Folgeverträgen" in dem Verlust der Dispositionsfreiheie37 sieht, oder - was auch denkbar wäre -, erst in einer für den Verbraucher negativen Bilanz von Leistung und Gegenleistung des abgeschlossenen Vertrags, ist festzuhalten, daß der Schaden bei "Folgeverträgen" immer erst durch den Vertragsabschluß entsteht. Ohne den Vertragsabschluß, also allein durch die betreffende Werbung, ist dieser Schaden nicht möglich. 233 Palandt-Bassenge, § 1004, Rz. 2; Ennan-Hefennehl, 8. Aufl., § 1004, Rz. 5; RGRK-Pikart, § 1004, Rz. 137. 234 Staudinger-Gursky, § 1004, Rz. 3. m Staudinger-Gursky, § 1004, Rz. 3. 236 Palandt-Bassenge, § 1004, Rz. 2; Ennan-Hefennehl, 8. Aufl., § 1004, Rz. 5. 237 MünchKomm-Mertens, § 826, Rz. 29; Sack., WRP 1974, 445 ff., 458; Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, S. 127 ff.; Lehmann, Vertragsanbalmung durch Werbung, S. 280 f.

4. Kapitel: § 826 BGB

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Für die vorliegende Untersuchung können jedoch nur Schäden in Betracht kommen, die unmittelbar durch die Werbung selbst hervorgerufen werden, da lediglich ein individueller Rechtsschutz des einzelnen Verbrauchers gegen bestimmte, seine freie Willensentschließung beeinträchtigende Werbemaßnahmen in Frage steht. Der Abschluß von Folgeverträgen hingegen ist nicht nur ein neuer, zusätzlicher Sachverhalt gegenüber der Werbung, sondern betrifft auch völlig andere Rechtsfragen und mithin einen völlig anderen Problemkreis sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht. Die Problematik der sogenannten "Folgeverträge" und die mit ihr zusanunenhängenden rechtlichen und tatsächlichen Untersuchungen können daher hier nicht behandelt werden. Insoweit kann auf die grundlegende und tiefgreifende Arbeit von Lehmann238 mit reichhaltigen weiteren Nachweisen verwiesen werden, die eine überzeugende Lösung für diese Problematik anbietet. Es ist also festzuhalten, daß der drohende Schaden unmittelbar durch die Werbung selbst hervorgerufen werden können muß. Die Nachteile, die unmittelbar durch eine Werbung selbst entstehen können, sind nun ganz überwiegend immaterieller Natur: Man denke an die Belästigung des Verbraucher - etwa durch eine Telefonwerbung oder ein Angesprochenwerden auf der Straße -, den dadurch hervorgerufenen Ärger, die Unruhe und Unlust, die solche Werbung auslöst. Zahlreiche andere Beispiele immaterieller Beeinträchtigungen sind denkbar und wohl auch häufig selbst schon erlebt. Da als Schäden aber nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Einbußen an den Lebensgütern einer Person angesehen werden239 , muß eine solche immaterielle Beeinträchtigung wie die oben beschriebene, die durch Werbung hervorgerufen wird, als immaterieller Schaden angesehen werden. 240 Ein materieller Schaden ist in selteneren Fällen als der oben beschriebene immaterielle denkbar. Er wird vor allem dann entstehen können, wenn der Werbende zur Übermittlung seiner Werbebotschaft eine gegenständliche Empfangseinrichtung des umworbenen Verbrauchers benutzt, etwa ein Faxoder ein Teletex-Gerät. In diesen Fällen kann ein materieller Schaden dadurch entstehen, daß durch die Übermittlung der Werbung unter Benutzung der betreffenden Empfangseinrichtung des Umworbenen für diesen zusätzliche Kosten entstehen: Man denke etwa an einen erhöhten Papierverbrauch und erhöhte sonstige Betriebskosten, beispielsweise beim Fax-Gerät. Denkbar wäre auch, daß dadurch, daß das Übermittlungsgerät vom Werbenden mit seiner Werbebotschaft belegt ist, eine wichtige Mitteilung dem Umworbenen nicht zugehen kann und er infolge dessen einen Schaden erleidet, Vertragsanbahnung durch Werbung, 1981. Zu der Vielzahl der in Details differierenden, inhaltlich aber grundsätzlich gleichen Schadensbegriffen vgl. Staudinger-Medicus, Vorbem. zu §§ 249-254, Rz. 33. 240 Ebenso Freund, Das Persönlichkeitsrecht des Umworbenen, 128. 238

239

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III. Teil: Individuelle Abwehransprüche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

z.B. bei Überlastung der Speicherkapazität des Teletex-Gerätes. Derartige materielle Schäden sind jedoch nach allgemeiner Lebenserfahrung wesentlich seltener als die mit einer die freie Willensentschließung beeinträchtigenden Werbung mehr oder weniger regelmäßig verbundenen immateriellen Einbußen. Nun ist zwar für die von § 826 BGB geforderte Schadenszufügung die Beeinträchtigung ideeller Interessen ausreichend, ein materieller Schaden ist also nicht notwendige Voraussetzung für § 826 BGB. 241 Jedoch ist zu berücksichtigen, daß bei der überwiegenden Anzahl der durch die Werbung selbst hervorgerufenen Schäden, nämlich den immateriellen, ein Schadensersatz nicht möglich wäre. Sofern sich die immateriellen Schäden nicht innerhalb des Rahmens des § 847 BGB bewegen, was hinsichtlich einer Körper- und Gesundheitsverletzung oder einer Freiheitsentziehung durch den Werbenden nur in Extremfalien, etwa einer Neurose durch permanenten Telefonterror des Werbenden oder einem Hineinzerren in ein Geschäftslokal denkbar sein wird, ist ein Schadensersatz durch Schmerzensgeld nach § 253 BGB ausgeschlossen. Auch eine Naturalrestitution nach § 249 S. 1 BGB scheidet wegen der Unmöglichkeit der Wiederherstellung aus: Die Belästigung durch eine Werbung und die damit verbundene Beeinträchtigung immaterieller Interessen sind ja nicht mehr rückgängig zu machen. Ein Ersatz der durch die Werbung beim umworbenen Verbraucher hervorgerufenen immateriellen Schäden ist daher - außer in krassen Extremfällen - nicht möglich. Man könnte daher nun auf den Gedanken kommen, daß ein Unterlassungsanspruch in derartigen Fällen nicht gewährt werden kann: Wenn nämlich bereits die Zufügung des Schadens keinen Ersatzanspruch auszulösen vermag, so könnte man durchaus zu dem Ergebnis kommen, daß dann gegen den nur drohenden Schaden erst recht kein Unterlassungsanspruch gegeben ist. Denn wenn schon der Schaden, auf den § 826 BGB abstellt, im Fall seiner Realisierung keine Ansprüche nach sich zieht, so soll erst recht nicht der nur drohende Schaden einen Anspruch auslösen können. Diese Argumentation ist durchaus denkbar. Es muß jedoch dabei folgendes berücksichtigt werden: Die Intention des Rechts der unerlaubten Handlungen ist ja zunächst einmal der Rechtsgüterschutz schlechthin; der Einzelne soll vor Eingriffen in seine Rechtsgüter und seine rechtlich geschützten Interessen bewahrt bleiben, er soll seine Rechtsgüter ungestört genießen können. So will § 823 11 BGB die Verletzung eines zugunsten des betreffenden Individuums bestehenden Schutzgesetzes und § 823 I BGB die Verletzung von bestimmten Rechtsgütern und absoluten Rechten der betreffenden Person verhindern. Erst wenn eine solche Verletzung nun doch eingetreten und die betreffende Person in ihren Rechtsgütern und rechtlichen Interessen beeinträchtigt wurde, soll ihr wenigstens ein Schadensersatzanspruch zustehen, der sie für den eingetretenen 241

Vgl. nur Palandt-Thornas, § 826, Rz. 14; Staudinger-Schäfer, § 826, Rz. 81.

4. Kapitel: § 826 BGB

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Verlust entschädigt. Sinn und Zweck des Gesetzes ist also zunächst einmal die Verhinderung von Verletzungen. Für § 826 BGB bedeutet dies, daß - ebenso wie bei § 823 I I BGB die Schutzgutverletzung an sich und bei § 823 I BGB die Rechtsgutverletzung an sich - hier die Schadenszufügung an sich verhindert werden soll. Der Schaden selbst soll nach Sinn und Zweck des Gesetzes erst gar nicht eintreten. Dies wird von der Rechtsprechung dadurch gewährleistet, daß der Unterlassungsanspruch des § 1004 I 2 BGB in entsprechender Anwendung auf sämtliche deliktisch geschützten Rechtsgüter ausgedehnt wird und hierbei auf ein Verschulden gänzlich verzichtet w i r d 2 4 2 . Ausschlaggebend ist also für eine sinnvolle Rechtsanwendung der Gedanke, daß der Eintritt eines Schadens an sich verhindert werden soll, mag dieser Schaden nun im Falle einer Realisierung ersatzfahig sein oder nicht. Hält man sich diesen Grundgedanken des Deliktsrechts vor Augen, so muß man davon ausgehen, daß die fehlende Ersatzfahigkeit des Schadens nichts daran ändert, daß ein Unterlassungsanspruch aus § 826 i.V.m. § 1004 I 2 BGB analog bei drohender sittenwidriger Schadenszufügung gewährt werden muß, um dem Entstehen des Schadens selbst vorzubeugen.

HL Sittenwidrigkeit Die drohende Schadenszufügung müßte außerdem gem. § 826 BGB gegen die guten Sitten verstoßen. Für § 1 UWG wurde oben 243 festgestellt, daß eine Werbung, die die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt, nach der Generalklausel des Wettbewerbsrechts sittenwidrig ist. Auch § 826 BGB verwendet den Begriff der "guten Sitten", ebenso wie § 1 UWG. Beide Begriffe - sowohl i n § 826 BGB als auch in § 1 UWG - sind vom Wortlaut her identisch. Jedoch sind sowohl die Regelungsbereiche als auch die Funktionen beider Normen verschieden: § 1 UWG betrifft ausschließlich Wettbewerbshandlungen, § 826 BGB hingegen jedwedes Verhalten, durch das ein Schaden zugefügt wird; § 1 UWG dient der Aufrechterhaltung eines fairen Wettbewerbs 244 , § 826 BGB soll Privatrechtsbeziehungen gewährleisten, durch die ein Mindeststandard materieller Gerechtigkeit verwirklicht wird, notfalls auch entgegen formalen Rechtspositionen.245 242

Vgl. BGHZ 30, 7 ff, 14; BGH NJW 1990, 2058 ff, 2059. Teil II, 1. Kapitel "Die Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG". 244 Vgl. oben, Teil II, 1. Kapitel "Die Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG". 245 RGRK-Steffen, § 826, Rz. 1; Erman-Schiemann, 8. Aufl., § 826, Rz. 1, 4; Staudinger-Schäfer, § 826, Rz. 3; Palandt-Thomas, § 826, Rz. 1.; man denke nur an die Fälle des sogenannten "Urteilsmißbrauchs", in denen trotz rechtskräftigen Titels ein Anspruch aus § 826 BGB auf Unterlassung der 243

296

III. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

Es ist daher prinzipiell umstritten, ob die Begriffe der "Sittenwidrigkeit" in § 826 BGB und in § I UWG deckungsgleich sind oder nicht. Ein Teil der Literatur geht aufgrund der postulierten Einheit der Rechtsmoral davon aus, daß das Tatbestandsmerkmal der "guten Sitten" in beiden Vorschriften gleichsinnig zu bestimmen sei, so daß ein und dasselbe Verhalten entweder als sittengemäß oder als sittenwidrig zu qualifizieren sei. 246 Ein anderer Teil der Literatur betrachtet die "guten Sitten" in § 1 UWG und in § 826 BGB als nicht dekkungsgleich. 247 Die Rechtsprechung nennt zwar § 1 UWG, § 826 BGB bisweilen im selben Atemzui48 , geht aber dennoch - wie aus den jeweiligen gesonderten Ausführungen zu den betreffenden Normen ersichtlich ist - offenbar nicht von einer Deckungsgleichheit der Begriffe der "guten Sitten" in beiden Vorschriften aus. 249 Wie in den Ausführungen zu § 1 UWG250 dargestellt, ist der Begriff der Sittenwidrigkeit in § I UWG stark funktional bestimmt. Obwohl auch im Rahmen des § 826 BGB Stimmen für eine stärkere funktionale Ausrichtung des Begriffs der "guten Sitten" plädieren251 , ist dieser nach h.M. - anders als der Begriff in § I UWG - noch sehr sittlich-ethisch fundiert. 252 Die "Sittenwidrigkeit" nach § 826 BGB wird daher regelmäßig auch wesentlich strenger beurteilt als der heute meist nur noch objektiv-funktional verstandene Begriff aus § 1 UWG253 , wo die Bezeichnung einer Wettbewerbshandlung als "sittenwidrig" schon bereits sprachlich häufig durch die Qualifizierung des streitigen Verhaltens als "wettbewerbswidrig" ersetzt wird. 254

Zwangsvollstreckung und Herausgabe des Titels sowie gegebenenfalls weitergehendem Schadensersatz gewährt wird, vgl. nur Palandt-Thornas, § 826, Rz. 46 ff. m.w.N. 246 Sack, NJW 1975, 1303 ff., 1304; ders., WRP 1974,445 ff., 458; ders., WRP 1985, 1 ff., 4; Böttner, WRP 1989,433. 247 RGRK-Steffen, § 826, Rz. 7; Staudinger-Schäfer, § 826, Rz. 23; MünchKornrn-Mertens, § 826, Rz. 9; Soergel-Hönn, § 826, Rz. 20, andererseits aber auch gegenteilig Rz. 22; Mayer-Maly, JuS 1986, 596 ff., 600; Mees, WRP 1985,373 ff., 375; wohl auch Ennan-Schiernann, 8. Aufl., § 826, Rz. 4 f. 248 Vgl. BGHZ 38,391 ff.,395. 249 Vgl. BGHZ 33, 20 ff., 28; 38 ff., 47; 43, 359 ff., 361; 36, 252 ff., 254, 256. lSO Vgl. oben, Teil H, 1. Kapitel "Die Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG". m Vgl. Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, S. 90 ff., 115 ff.; K. Sirnitis, Gute Sitten und ordre public, 168 ff.; Mestrnäcker, AcP 168 (1968), 235 ff., 237 ff., 254 ff.; Deutsch, JZ 1963,385 ff., 389 f.; Steindorff, JZ 1960, 582 ff., 583; auch: MünchKornrn-Mertens, § 826, Rz. 8 f. m RGRK-Steffen, § 826, Rz. 7; Staudinger-Schäfer, § 826, Rz. 35; Errnan-Schiernann, 8. Aufl., § 826, Rz. 4; Palandt-Thomas, § 826, Rz. 1 f.; Soergel-Hönn, § 826, Rz. 8, 13, 20; i.E. auch MünchKornrn-Mertens, § 826, Rz. 9. m Staudinger-Schäfer, § 826, Rz. 35; Mayer-Maly, JuS 1986, 596 ff., 600; RGRK-Steffen, § 826, Rz. 7; MünchKornrn-Mertens, § 826, Rz. 8 f. 2S4 Vgl. beispielsweise BGHZ 36, 252 ff., 256.

4. Kapitel: § 826 BGB

297

1. Sittlich-ethische Auslegung Für die sittlich-ethisch fundierte Auslegung beider Nonnen - sowohl des § 826 BGB als auch des § I UWG - wird jedoch das "Anstandsgefiihl aller billig und gerecht Denkenden" als Maßstab für die hier interessierenden Fälle der die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigenden Werbung genommen255 , wobei die im Rahmen des § I UWG dabei von der Rechtsprechung auch gebrauchte Fonnel von den "Anschauungen der Allgemeinheit" nichts anderes bezeichnet als eben jenes "Anstandsgefuhl aller billig und gerecht Denkenden", welches ja für alle Bereiche der Sittenwidrigkeit die Ausgangsfonnel ist. 256 Es handelt sich also hinsichtlich des Sittenwidrigkeitsbegriffs in beiden Nonnen bei der sittlich-ethisch fundierten Auslegung für das hier vorliegende Problem um denselben Maßstab. (Dreht es sich um - hier nicht interessierende - Fälle, in denen ausschließlich Interessen von Mitbewerbern betroffen werden, so ist der Maßstab nicht derselbe, denn für § I UWG ist dann das "Anstandsgefuhl des verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden" maßgeblich, welches durchaus strenger oder großherziger als die "Anschauungen der Allgemeinheit" sein kann.) Wenn aber derselbe Maßstab für die Beurteilung eines Verhaltens als sittenwidrig oder sittengemäß verwendet wird, so muß ein und dasselbe Verhalten nach diesem Maßstab immer gleich beurteilt werden. Ein und dieselbe Werbung kann daher nur - legt man die sittlich-ethisch fundierte Auffassung zugrunde - sowohl im Rahmen des § I UWG als auch im Rahmen des § 826 BGB entweder als sittenwidrig oder als sittengemäß qualifiziert werden. Nach der sittlich-ethischen Auffassung des Begriffs der "guten Sitten" ist daher eine Werbung, die die freie Willensentschließung des Verbrauchers beeinträchtigt, nicht nur nach § I UWG, sondern gleichfalls nach § 826 BGB sittenwidrig. 2. Funktionale Auffassung

Bezieht man jedoch funktionale Gesichtspunkte in die Auslegung der" guten Sitten" im Sinne des § 826 BGB stärker ein, als dies von der sittlich-ethisch fundierten h.M. getan wird, so ist folgendes zu berücksichtigen: Die oben beschriebene Funktion des § 826 BGB in der Privatrechtsordnung - die Gewährleistung eines Mindeststandards materieller Gerechtigkeit, notfall auch entgegen fonnalen Rechtspositionen - bedarf der Klärung des Referenzsystems, der Frage also nach dem institutionellen Gehalt der die Privatrechtsordnung m Vgl. oben, Teil 11, 1. Kapitel "Die Sittenwidrigkeit nach § I UWG"; RGRK-Steffen, § 826, Rz. 19; Staudinger-Schäfer, § 826, Rz. 33; Palandt-Thomas, § 826, Rz. 2; Soergel-Hönn, § 826, Rz. 7. 256 Vgl. oben, Teil 11, 1. Kapitel "Die Sittenwidrigkeit nach § I UWG", ebenso auch Sack, NJW 1974,564.

298

III. Teil: Individuelle Abwehranspruche der Verbraucher gegen unzulässige Werbung

konstituierenden Freiheitsrechte. 257 Zentrales und tragendes Prinzip dieser Rechtsordnung ist der Grundsatz der Privatautonomie. Die privatrechtliche Selbstbestimmung ist - negativ ausgedrückt - die Freiheit von jeglicher, sei es staatlicher, gesellschaftlicher oder auch privater Fremdbestimmung bei der Gestaltung privatrechtlicher Rechtsbeziehungen. 258 Nun spielt sich Werbung zwar im Vorfeld eines möglichen Vertragsabschlusses ab, ist selbst natürlich noch kein Rechtsgeschäft; wohl aber stellt sie eine "invitatio ad offerendum" dar, ist also privatrechtlich gesehen Vertragsanbahnung. Um nun die Freiheit von Fremdbestimmung bei der Gestaltung der privatrechtlichen Rechtsbeziehungen zu gewährleisten, muß eine solche Freiheit aber bereits im Stadium der Vertragsanbahnung bestehen. Jedes Rechtssubjekt muß daher selbst darüber entscheiden können, ob ein vertragsanbahnender Kontakt mit einem anderen hergestellt werden soll und, wenn ja, in welcher Weise dies geschehen soll. Wird der vertragsanbahnende Kontakt durch eine bestimmte Werbung entweder gegen den Willen des Umworbenen hergestellt hergestellt oder gibt der Werbende dem Umworbenen noch nicht einmal die Möglichkeit, insoweit einen Willen zu bilden, wird also die freie Willensentschließung des Umworbenen hinsichtlich der Kenntnisnahme von Werbung beeinträchtigt, so liegt eine Fremdbestimmung bereits im Stadium der Vertragsanbahnung vor. Gleiches gilt für die Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen hinsichtlich des generellen Konsumbedürfnisses und - bereits mit starkem Bezug zum eigentlichen Vertragsabschluß - auch hinsichtlich der Beeinträchtigung der freien Willensentschließung des Umworbenen hinsichtlich der konkreten Kauf- bzw. sonstiger Vertragsabschlußentscheidung. Wird die freie Willensentschließung des Umworbenen im letztgenannten Fall beeinträchtigt, so ist die Fremdbestimmung von besonders gravierendem Ausmaß: Bei der Entscheidung des Umworbenen über den konkreten Vertragsabschluß ist nämlich bereits die Gestaltung eines Rechtsgeschäfts betroffen; wird hier nicht die Privatautonomie gewährleistet, sondern wird die Entscheidung hinsichtlich des konkreten Vertragsabschlusses durch den Werbenden fremdbestimmt, so ist hinsichtlich dieses Rechtsgeschäfts die Autonomie der Entscheidung des Umworbenen über Abschluß und Inhalt des Vertrages völlig entfallen. Das tragende Prinzip der Privatrechtsordnung, nämlich die Privatautonomie, wird also durch eine Werbung, die die freie Willensentschließung des Umworbenen beeinträchtigt, in ihrer Funktion gestört, da sie den Umworbenen nicht mehr autonom, sondern fremdbestimmt entscheiden läßt. Auch unter stärkerer Einbeziehung funktionaler Gesichtspunkte in die Auslegung der "gum Vgl. Mestmäcker, AcP 168 (1968), 235 ff., 246. Wieser, Allgemeiner Teil, Rz. 235.

2.58

4. Kapitel: § 826 BGB

299

ten Sitten" im Sinne des § 826 BGB ist also eine Werbung, die die freie WHlensentschließung des Umworbenen beeinträchtigt, nicht nur nach § 1 UWG, sondern auch nach § 826 BGB sittenwidrig. IV. Vorsatz Für den quasinegatorischen Unterlassungsanspruch aus § 826 i.V.m. § 1004 I 2 BGB analog hinsichtlich einer die freie Willensentschließung des Umworbenen beeinträchtigenden Werbung und der dadurch drohenden sittenwidrigen Schadenszufügung ist Vorsatz des Werbenden - anders als für den Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB - nicht erforderlich, da für einen Anspruch nach § 1004 I 2 BGB grundsätzlich Verschulden nicht nötig ist. 259 Dies resultiert konsequenterweise aus dem dem quasinegatorischen Unterlassungsanspruch zugrunde liegenden Gedanken, daß eine drohende Verletzung von Rechtsgütern und rechtlich geschützten Interessen an sich verhindert werden soll. V. Ergebnis Zusätzlich zu den oben dargestellten Abwehransprüchen wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine Werbung, die die freie WHlensentschließung des Umworbenen beeinträchtigt, sowie wegen Verletzung von Eigentum und Besitz in den Fällen, in denen der Werbende eine gegenständliche Empfangseinrichtung des Umworbenen gegen dessen Willen zur Übermittlung seiner Werbebotschaft benutzt, ist hier also festzuhalten, daß dem Umworbenen der quasinegatorische Unterlassungsanspruch aus § 826 i.V.m. § 1004 I 2 BGB analog zur Verfiigung steht, um eine sittenwidrige Schadenszufügung zu verhindern, die ihm durch eine solche seine freie Willensentschließung beeinträchtigende Werbung droht.

2S9 Vgl. Staudinger-Gursky, § 1004, Rz. 20; RGRK-Pikart, § 1004, Rz. 137; Palandt-Bassenge, § 1004, Rz. 10.

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