Der korporative Arbeitsnormenvertrag: Eine privatrechtliche Untersuchung [2 ed.] 9783428438761, 9783428038763

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Der korporative Arbeitsnormenvertrag: Eine privatrechtliche Untersuchung [2 ed.]
 9783428438761, 9783428038763

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Der korporative Arbeitsnormenvertrag Eine privatrechtliche Untersuchung

Von

Hugo Sinzheimer

Zweite Auflage

Duncker & Humblot . Berlin

HUGO SINZHEIMER

Der korporative Arbeitsnormenvertrag

Der korporative Arbeitsnormenvertrag Eine privatrechtliche Untersuchung

Von H u go Sinzheimer

Zweite Auflage

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Redtte vorbehalten

® 1977 Duncker &: Humblot, Berlin ~ 1 Unveränderter Nadtdruck der 1. Auflagen von Teil 1, S. I-XVI, 1-132, 1907 Teil 2, S. I-XVI, 1-325, 1908 Gedruckt 1977 bei fotokop, wilhelm weihen, Darmstadt Printed in Germany ISBN 3 ~28 03876 2

Der

korporative Arbeitsnormenvertrag. Eine privatrechtliehe Untersuchung von

Dr. Hugo Sinzheimer, Rechtsanwalt beim Kgl. Landgericht in Frankfurt a. M.

Erster Teil.

Vorwort. Die vorliegende Untersuchung will aus dem Gebiet der sogenannten Tarifverträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die in Deutschland von Jahr zu Jahr in größerer Zahl auftreten und deren Bedeutung für das wirtschaftliche und soziale Leben nicht mehr geleugnet werden kann , den wichtigsten Vertragstypus, wie ihn der Titel dieses Buches anzeigt, zur rechtswissenschaftliehen Darstellung bringen. Sie ist eine Fortsetzung und nähere Ausführung der von dem Verfasser in seinem Referat auf dem im September 1905 stattgefundenen Verbandstag der deutschen Gewerbegerichte zu Würzburg bereits ausgesprochenen Grundgedanken (vgl. Gewerbegericht X, 375 ff. und Gewerbe- und Kaufmannsgericht XI, S. 77). Die Aufgabe soll ihre Lösung durch eine Darlegung des Tatbestands und der Rechtswirk u n g des durch den korporativen Arbeitsnormenvertrag geschaffenen Rechtsverhältnisses finden. Zugleich aber soll die Bedeutung des Arbeitsnormenvertrags für die seitherige Form der Arbeitsbeschaffung zur .Anschauung kommen. Demgemäß geht die Untersuchung von der rechtlichen Eigentümlichkeit des Arbeitsvertrags aus, um nach Darlegung des Rechtsinhalts des Arbeitsnormenvertrags seine Bedeutung für die Rechtskultur der Arbeitsbeziehungen überhaupt feststellen zu können. Der hiermit zur Veröffentlichung gelangende erste Teil der Untersuchung befaßt sich mit der Einführung in die rechtliche Eigentümlichkeit des Arbeitsvertrags und dem Tatbestand des Arbeitsnormenvertrags. Der zweite Teil, dessen Erscheinen im Frühjahr nächsten Jahres in Aussicht I*

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genommen ist, wird sieh mit der Rechtswirkung des Arbeitsnonnenvertrags und seiner Bedeutung für den Arbeitsvertrag, nebst einer Besprechung der heute viel erörterten, in außerdeutschen Staaten bereits in Angriff genommenen gesetzgeberischen Fragen befassen. Die Untersuchung beschränkt sich auf das deutsche Privatrecht, wie es aus den in Deutschland abgeschlossenen Verträgen in Beachtung der von den Beteiligten erstrebten wirtschaftlichen und sozialen Zwecke unter Anwendung allgemeiner Rechtssätze und Rechtsbegriffe des geltenden Rechts zu gewinnen ist. Außerdeutsches Recht ist nur insoweit herangezogen, als es in gesetzlichen Bestimmungen zum Ausdruck kommt oder in gesetzgeberischen Vorschlägen zum Ausdruck zu kommen sucht. Das diesbezügliche Material ist im ersten Band des im Literaturverzeichnis näher angegebenen Werks des Kaiserlichen Statistischen Amts über den Tarifvertrag im Deutschen Reich zusammengestellt. Soweit weiteres Material in Betracht kommt oder sich die gesetzliche Lage seit dem Erscheinen jenes Werks geändert hat, ist das Material in den Anlagen des vorliegenden Buchs abgedruckt, so daß jene Zusammenstellung und diese Anlagen einen vollständigen Überblick über die gesetzgeberische Lage des Arbeitsnormenvertrags gewähren können. Ergänzungen dieses Materials bleiben für den zweiten Teil vorbehalten. - Öffentliches Recht ist nur insoweit berücksichtigt, als es zur Klarlegung der privatrechtliehen Probleme erforderlich war. Auf rechtsgeschichtliche Entwicklung der in Frage kommenden Rechtsgedanken ist verzichtet. Sie verdient, wenn einmal sichere Ergebnisse über rlas Wesen des Arbeitsnormenvertrags gewonnen sind, eine besondere Betrachtung. Manches wird hierbei, was heute überraschend neu erscheint, als eine Wiederkehr alter Rechtsgedanken und Rechtsgestaltungen erscheinen. Daß im übrigen die Betrachtung auf den g e wer b 1ich e n korporativen Arbeitsnormenvertrag beschränkt ist, findet seine Erklärung in der Wichtigkeit und Häufigkeit des Vertrags auf dem Gebiet der gewerblichen Arbeit, von dem er seinen Ausgangs-

-Vpunkt genommen hat und wo auch am klarsten sein Wesen entwickelt ist. Über die Gründe, welche die Wahl der Be~ zeichnung "Arbeitsnormenvertrag" an Stelle der bisher üblichen Bezeichnung "Arbeitstarifvertrag" und die Aus~ scheidung des korporativen Arbeitsnormenvertrags aus dem Gebiet der übrigen Vertragsformen bestimmt haben, gibt die Untersuchung selbst den nötigen Aufschluß (S. 99 ff.). Als der Verfasser mit der Bearbeitung des Tarifvertragswesens begann, lag außer den Arbeiten Lotmars und der kleinen Schrift von Rosner keine deutsche rechtswissenschaftliehe Bearbeitung vor. Diese literarische Sachlage hat sich in den letzten zwei Jahren vollständig geändert - ein erfreuliches Zeichen dafür, daß auch die Rechtswissenschaft die Wichtigkeit der neuen sozialen Gebilde zu erkennen sucht und entschlossen ist, nicht nur das ausgesprochene Recht dogmatisch zu erklären, sondern auch das sich neu entwickelnde Recht, das die Beteiligten selbst schaffen, aufzusuchen und zu gestalten. Die rechtswissenschaftliche Betrachtung des Arbeitsnormenvertrags ist gezwungen, wenn sie überhaupt rechtliche Ergebnisse finden will, an die Bildungen des Rechtslebens selbst heranzugehen, ein Verfahren, das über die rechtswissenschaftliche Bearbeitung des Arbeitsnormenvertrags hinaus vorbildlich für die Auffindung des geltenden Rechts überhaupt werden kann, soweit sich dieses Recht außerhalb oder unter der Herrschaft des formulierten Rechts bildet und betätigt. Damit kann zugleich allgemein die Erkenntnis gefördert werden, daß nicht nur geltendes Recht ist, was in den Sätzen des Rechts zum Ausdruck, sondern auch was im täglichen Leben als Recht zur Anwendung gelangt, und daß sich daher die Aufgabe, rechtswissenschaftliche Ergebnisse zu finden, nicht darin zu erschöpfen braucht, formuliertes Recht zu analysieren, sondern daß es auch notwendig sein kann, das rechtlich geformte Leben selbst einer besonderen Bearbeitung zu unterwerfen. Für den Verfasser mußte die Frage entstehen, ob den verschiedenen literarischen Neuerscheinungen gegenüber die Aussprache der eigenen Anschauung noch Bedeutung haben

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könne. Er glaubte, diese Frage bejahen zu dürfen, einmal , weil nach seiner Ansicht in manchem Punkt die geäußerten Anschauungen der Korrektur und der Ergänzung bedürfen, sodann, weil in verschiedenen Fragen eine ausführlichere Behandlung am Platze schien, und schließlich, weil der Gegenstand der Untersuchung wichtig genug ist, um das Wort zu ergreifen, auch wenn die eigene Ansicht nur das bestätigt, was andere, vielleicht in anderer Begründung, bereits ausgesprochen haben. So will die vorliegende Untersuchung mitarbeiten an dem Versuch, die rechtliche Anschauung vom Wesen des Arbeitsnormenvertrags weiter zu klären, um der Praxis in Rechtsprechung und Vertragshandhabung zu dienen und die Gesetzgebung auch in Deutschland vorzubereiten. Die Grundlage für eine erfolgreiche rechtswissenschaftliehe Behandlung des Arbeitsnormenvertrags ist ein möglichst reichhaltiges Material an Verträgen und Urkunden. Die Schwierigkeit einer Beschaffung dieses Materials besteht heute nach der Veröffentlichung des Kaiserlichen Statistischen Amts nicht mehr in dem Maße, wie sie bestand, als der Verfasser seine Arbeit in Angriff nahm. Die Beischaffung des Materials ist ihm damals wesentlich durch die Güte und Liebenswürdigkeit der Frau D r. Fan n y Im I e, die ihm das gesamte Urmaterial zu ihrem bekannten Werke "Gewerbliche Friedensdokumente" zur Verfügung gestellt hat, erleichtert worden. Es ist dem Verfasser ein Bedürfnis, ihr auch an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank zu sagen. Frankfurt a. M., den 23. September 1907.

Der Verfasser.

Inhalt. Seite

III IX . XIV

Vorwort . . . . . . Literaturverzeichnis. Abkürzungen . . . .

Erster Teil. Zur Einführung: Das privatrechtliche Gestaltungsprinzip des gewerblichen Arbeitsvertrags . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Abschnitt. Der Tatbestand•. Vorbemerkung 28 Erstes Kapitel: System und Inhalt der V ertragsnormen . . . 30 I. Die Arbeitsnormen. § 1. Die allgemeinen Arbeitsnormen. § 2. Die besonderen Arbeitsnormen. A. Individualnormen. B. Solidarnormen. 11. Die Berufsnormen. § 1. Die sozialen Berufsnormen. § 2. Die individuellen Berufsnormen. Zweites Kapitel: Die Parteien. 61 Drittes Kapitel: Ergebnis 96 Anlagen . . . . . . . . . . . . . 111

Literaturverzeichnis. Ba il, Das Rechtsverhältnis der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Handwerk, Industrie und Handelsgewerbe, 1904. Baum, Die rechtliche Natur des kollektiven Arbeitsvertrags, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, Band 49, S. 261-275. Der s., Der kollektive Arbeitsvertrag vor dem Reichsgericht, Gewerbegericht, IX, S. 233. Bernhard, Die Akkordarbeit in Deutschland, 1903. Der s., Handbuch der Löhnungsmethoden. Eine Bearbeitung von David F. Schloß: Methods of Iudustrial Remuneration, 1906. Bitzer, Der freie Arbeitsvertrag und die Arbeitsordnungen. B r e n t an o, Die Arbeitergilden der Gegenwart. Ders., Reaktion oder Reform? 1899. Der s., Der Schutz der Arbeitswilligen, 1899. B r o g s i t t er, Der Tarifvertrag unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in England sowie der deutschen BuchdruckerTarifgemeinschaft, 1906. B runhub er, Der kollektive Arbeitsvertrag und die Privatbeamten, Soziale Praxis XVI, S. 308 und 329. Burchardt, Die Rechtsverhältnisse der gewerblichen Arbeiter, 1901. C r o m e, Französische Privatrechtswissenschaft. Frankenberg, von, Tarifverträge und Innungen, Soz. Praxis XII, s. 138. Fuld, Korporative Mietverträge, Zeitschrift für Sozialwissenschaft V, s. 629 ff. Gierke, 0., Deutsches Privatrecht, Band 1, 1895. Der s., Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band 1, 1868. Ders., Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 1889. Der s., Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887. Ders., Vereine ohne Rechtsfähigkeit nach dem neuen Rechte, 1902. G ö h r e, Drei Monate Fabrikarbeiter und Handwerksbursche, 1891. Ha c h e n b ur g , Dienstvertrag und Werkvertrag im Bürgerlichen Gesetzbuch , Separatabdruck aus den Annalen der Großh. Badischen Gerichte, Nr. 11 u. ff., 1898.

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XIII Deutsche Arbeitgeber-Zeitung, Zentralblatt der deutschen ArbeitgeberVerbände. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. Gewerbegericht, Monatsschrift des Verbandes Deutscher Gewerbegerichte. Gewerbe- und Kaufmannsgericht, Monatsschrift des Verbandes Deutscher Gewerbe- und Kaufmannsgerichte. Korrespondent für Deutschlands Buchdrucker und Schriftgießer. Protokoll des 8. ordentlichen Verbandstages des Zentralverbandes der Maurer Deutschlands, 1905. Reichsarbeitsblatt, herausg. vom Kaiserlichen Statistischen Amt, Abt. für Arbei terstatistik. Reichstagsverhandlungen, Stenographische Berichte, 1890-1892. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 45, 46, 47. Soziale Praxis, Zentralblatt für Sozialpolitik. Über Organisation der Arbeit im Bezirk des Königl. Gewerbegerichts Solingen. Anhang zum Jahresbericht für 1904. Verhandlungen des Verbandes Deutscher Gewerbegerichte in Würzburg am 18. und 19. September 1905. I. V erbandstags-Beilage (G.G. X, S. 231 ff.). 2. Nachtrag zur Verhandstags-Beilage (Sinzheimer, Vorbericht zu dem Referat über Tarifverträge), G.G. X, S. 375 ff. 3. Versammlungsbel'icht sub. VI, Tarifverträge (Sinzheimer, von Schulz, Jastrow), G.K.G. XI, 77 ff., Beilage.

Abkürzungen. A. G. Z. = Deutsche Arbeitgeber-Zeitung. A. V. = Lotmar, Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches. C. B. = Correspondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands. Dokumente = Imle, Gewerbliche Friedensdokumente. Fr. T. V. = Rundstein, Die Tarifverträge im französischen Privatrecht. G. G. = Gewerbegericht, Monatsschrift des Verbandes deutscher Gewerbegerichte. G. K. G. = Gewerbe- und Kaufmannsgericht, Monatsschrift des Verbandes deutscher Gewerbe- und Kaufmannsgerichte. Oertmann = Oertmann, Zur Lehre vom Tarifvertrag. Prenner = Prenner, Zur volkswirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung der Tarifverträge. R. A. Bl. = Reichsarbeitsblatt. R. Wiss. = Rundstein, Die Tarifverträge und die moderne Rechtswissenschaft. Soz. Prax. = Soziale Praxis. 8treitfragen = Rundstein, Tarifrechtliche Streitfragen. Tarifwerk = Beiträge zur Arbeiterstatistik Nr 3, 4, 5: Der Tarifvertrag im Deutschen Reich I, li, III. T. V. = Lotmar, Die Tarifverträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Erster Teil. Ein ffi hrung und Tatbestand. • Die moderne Industrie hat noch keine normale Verfassung gefunden, und das Suchen nach ihr durchzittert unser ganzes soziales Leben." Friedrich Naumann, Neudeutsche Wirtschaftspolitik (1906), S. 323.

Erster Teil. Zur Einführung: Das privatrechtliche Gestaltungsprinzip des gewerblichen Arbeitsvertrags. Wenn in diesen einleitenden Ausführungen zunächst nach dem Gestaltungsprinzip des gewerbliehen Arbeitsvertrags d. h. nach dem dem Arbeitsverhältnis eigentümlichen Grunde gefragt wird, der in der Regel den Inhalt dieses Vertrags bestimmt, so geschieht dies, weil der Arbeitsnormenvertrag seinem Wesen nach eine Umwandlung dieses Prinzips amtrebt und die Eigentümlichkeit dieser Umwandlung nur erkannt werden kann, wenn zuvor ein Einblick in das Wesen jenes Gestaltungsprinzips gewonnen ist. Eine solche Untersuchung kann zugleich als Grundlegung zu allen weiteren Ausführungen dienen, insofern als eine Darstellung des Arbeitsnormenvertrags des öfteren eine Bezugnahme auf den Inhalt des Arbeitsvertrags notwendig macht, und darum ein Eingehen auf denselben im voraus förderlich erscheint. Hierbei kann das den Inhalt des Arbeitsvertrags beherrschende Gestaltungsprinzip nicht einfach aus den Tatbeständen der gesetzlichen Bestimmungen gewonnen werden, sondern es muß, da die!:e Tatbestände nicht erschöpfend sind, der Versuch gemacht werden, die wirklichen Erscheinungen des Arbeitsverhältnisses selbst zur Erkenntnis heranzuziehen , wie ja auch der Arbeitsnl)rmenvertrag in seiner Beeinflussung des Inhalts des Arbeitsvertrags nicht von seinem gesetzlichen, sondern Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag. I.

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seinem wirklichen Inhalt ausgeht. Eine solche von der Wirklichkeit ausgehende Betrachtung zeigt sofort, daß der Inhalt des Arbeitsverhältnisses ein viel reicherer und damit der Umfang des ihn bestimmenden Gestaltungsprinzips ein viel weiterer ist, als es nach den gesetzlichen Bestimmungen den Anschein hat. Es zeigt sich nämlich , daß , abgesehen von den Betrieben, in denen überhaupt nur ein Arbeiter beschäftigt ist, die Lebenslage des Arbeiters in dem ihn berührenden Arbeitsverhältnis, besonders in den für unsere Zeit charakteristischen Großbetrieben, in doppelter Weise bestimmt sein kann: einmal durch Beziehungen, die den Arbeiter als EinzeInen mit dem Arbeitgeber verbinden, etwa durch den Lohn, den er empfängt, die Zeit, die zu arbeiten er verpflichtet ist, die Anweisung, die für seine Arbeitsausführung gilt, das Schutzblech der Maschine, an der er arbeitet, sodann aber durch Beziehungen, die allen Arbeitern im ganzen oder in größeren Abteilung~n gemein s a m sind, die deswegen den Arbeiter als Glied einer Gerne ins c h a f t erfassen. Unter diesen gemeinschaftlichen Beziehungen sind nicht die "allgemeinen" Arbeitsbedingungen zu verstehen, die sich aus der durch die Bedürfnisse des gesellschaftlich organisierten Großbetriebs oft veranlaßten inhaltlichen Gleichheit der einzelnen Arbeitsverträge ergeben, etwa, daß für alle Arbeiter im Betrieb der Stücklohn auf 50 Pfg. pro Stück festgesetzt, der Beginn und das Ende der Arbeitszeit für alle Arbeiter gleich geregelt ist, die Pausen immer auf einen Zeitpunkt gelegt sind - 1 ebensowenig jene einheitlichen Arbeitsbedingungen, die sich bei gewissen Gemeinschaftsleistungen, etwa bei Gruppenakkorden , durch Bestimmung einer einheitlichen Akkordsumme finden 2 • Denn alle diese Arbeitsbedingungen sind t Diese allgemeinen Arbeitsbedingungen bat vornehmlich Brentano gekennzeichnet. V gl. Reaktion oder Reform? S. 52 und Schutz der Arbeitswilligen S. 26 ff. 2 Über das Tatsächliche des Gruppenakkords vgl. Bernhard, Akkordarbeit, S. 175 ff, 178, 196 ff., Handbuch der Löhnungsmethoden,

3 nur eine Summierung von in b a 1t 1ich g 1eichen Ein z e 1bezieh u n g e n , wie im ersten Fall , oder Gemeinscbaftsleistungen , die s i c h stets 1 n Ein z e 1b e zieh u n g e n auflösen, wie im zweiten Fall , wo z. B. jene Akkordsumme schließlich an die Einzelnen verteilt wird, sei es durch den Arbeitgeber, sei es durch die genossenschaftlich verbundenen Arbeiter selbst. Die Beziehungen, die wir hier meinen, sind stets nur diejenigen, die einer G e s a m t h e i t von Arbeitern als so 1eher gegenüber bestehen und die dazu bestimmt sind, gesellschaftlich zu wirken und gesellschaft1 ich konsumiert zn werden. Sie ruhen auf s a c h 1ich er und pers ö nli eher Grundlage. Auf sachlicher Grundlage, soweit es sich um die "gemeinschaftliche Nutzung von Produktionsmitteln" 8 handelt. Beispiele sind: der gemeinschaftliche Be tri e b s raum und alle hierzu, wenn auch nicht zur Arbeit, bestimmten Räumlichkeiten, wie Kantine, Baderaum, Abort nebst den darin befindlichen Einrichtungen, z. B. Waschgelegenheit, und die sie ausfüllenden Daseinsbedingungen, wie Luft und Licht; weiterhin die Arbeitsmit t e I, die nicht nur Werkzeuge in der Hand des Einzelnen sind oder nur von Einzelnen gebraucht werden; und schließlich der Arbeitsgegen stand selbst, der heute meist nicht mehr Produkt des Einzelnen, sondern gesellschaftliches Produkt, Produkt eines "Gesamtarbeiters" ist 4 • Auf p ers ö n I ich er Grundlage beruhen jene Beziehungen, soweit die in dem Betriebe durch einheitliche Leitung zusammenS. 141 ff.; über die Rechtsfrage ist im allgemeinen zu vgl. Wölbling, Gutachten, S. 266 ff. 3 V gl. Sombart, Kapitalismus I. S. 34, 36, 37. 4 S. darüber treffend Marx, S. 356: "Da das Teilprodukt jedes Teilarbeiters zugleich nur eine besondere Entwicklungsstufe desselben Machwerks ist, liefert ein Arbeiter dem andern oder eine Arbeitergruppe der andern ihr Rohmaterial. Das Arbeitsresultat des einen bildet den Ausgangspunkt für die Arbeit des andern. Der eine Arbeiter beschäftigt daher unmittelbar den andern." V gl. zu alledem Sombart a. a. 0. S. 3-49 und S. 195 ff.

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gehaltene Arbeiterschaft in Betracht kommt, ihre Zusammensetzung und Gliederung, ihre Arbeitsverfassung und die Arbeitsverteilung. Gerade diese persönliche Abhängigkeit ist hervorzuheben, weil sie weniger sichtbar ist als die sachlichen Gemeinschaftsfaktoren, die körperlich vor uns stehen oder durch unsere Sinne wahrnehmbar sind. Bei ihr sehen wir z. B., wie die Güte der Arbeit des Einzelarbeiters davon abhängt, daß das Teilstück mangelfrei ist, aus dem er das Endprodukt zusammensetzt, daß der Mitarbeiter kein Trinker ist, der gerade in dem entscheidenden Augenblicke versagt, daß der Hilfsarbeiter, der das Material zur Stelle schafft, nicht etwa ein schwacher Lehrling oder ein unachtsames Frauenzimmer oder gar ein Ausländer ist, der die Sprache des Hauptarbeiters nicht versteht. Diese Abhängigkeit von der Art der Zusammensetzung des Arbeiterpersonals ist um so fühlbarer, je mehr das Verdienst von der Arbeitsleistung abhängig gemacht wird, wie bei der Arbeit im Akkordlohn. Hier hat man mit Recht gesagt, daß die ganze Organisation, also auch die persönliche des Betriebes, oft von Einfluß auf die Höhe des vom Arbeiter zu erzielenden Verdienstes sei 5 • Und wie Arbeit und Verdienst, so ist auch oft Gesundheit und Leben und schließlich sogar das Maß der Freiheit des Arbeiters im Betrieb von der persönlichen Gemeinschaft abhängig. Es sei in erster Beziehung an die Worte erinnert, die S t ö t z e 1 schon im Jahre 1890 in der Versammlung des Vereins für Socialpolitik für den Bergbau ausgesprochen hat 6 • "Viele Un" V gl. Wölbling a. a. 0. S. 215, dazu Bernhard, Akkordarbeit S. 146. Besonders zeigt sich die Abhängigkeit auch bei der sog. "indirekten" Akkordberechnung, bei der der Lohn des einen Arbeiters abhängig gemacht ist von der Arbeitsleistung eines andern Arbeiters oder einer Arbeitergesamtheit. S. Beispiele bei Simmersbach S. 68, 69, vgl. Wölbling a. a. 0. S. 216. Schulte, S. 62, berichtet, daß "es in der Montage den Schlossern sehr durch das geringwertige Material und durch die infolge der schlechten Akkorde hel'beigeführte wenig sorgfältige Vorarbeit der einzelnen Teile erschwert sei, mit ihrem Akkord zurechtzukommen." 6 Schriften des Vereins für Socialpolitik, Band 47, S. 158.

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glücksfä1le" - so berichtet er nach Angaben von Bergleuten - "werden dadurch hervorgerufen, weil man nur junge, unerfahrene Kameraden, die nur erst ein halbes Jahr oder noch nicht einmal so lange auf der Grube beschäftigt sind, die mithin die Erfahrung des gereiften Bergmannes nicht haben, in solche Orte mitgibt, wo durch eine kleine Unvorsichtigkeit leicht ein Unglücksfall entstehen kann" 7 • Was aber die Freiheit anlangt, so ist hier die Stellung des Einzelnen offenbar von der Arbeitsverfassung abhängig, die für die Arbeitergemeinschaft im ganzen in einem Betriebe maßgebend ist. Denn jene Stellung ist verschieden, je nachdem diese eine Mitwirkung der Gemeinschaft in gemeinschaftlichen Angelegenheiten, etwa in Arbeiterausschüssen, Altestenkollegien usw., zuläßt oder ausschließt. Wir sehen also: Durch eine Unmenge von mannigfach verschlungenen gesellschaftlichen Beziehungen wird der Arbeiter in wichtigen Seiten seines sich im Betrieb abspielenden Lebens tiefgreifend bestimmt und ihre Bedeutung und Kraft der Einwirkung steht wohl oft nicht hinter derjenigen zurück, die den Einzelbeziehungen zukommt 8 • Der Inhalt des Arbeitsverhältnisses löst sich daher von v o r n h e r e i n in z w e i G r u p p e n v o n B e z i e h u ng e n a u f, von denen die eine das Individualverhältnis, d i e an d e r e das S o 1i d a r v e r h ä l t n i s z u n e n n e n i s t. Die beiden Formen müssen sich nicht bei jedem Arbeitsverhältnis finden, sie können nur immer vorhanden sein, wenn mehrere Arbeiter zugleich in Arbeitsverhältnissen zu einem Arbeitgeber stehen. Ob jene Formen im Einzelfall vorliegen, ist daher Tatfrage. In der Regel sind sie in den Arbeitsverhältnissen der sog. groBindustriellen Arbeit vorS. darüber Pieper S. 48. S. z. B. die Schilderung bei Göhre S. 74: "Nicht eigentlich die meist schweren Handgriffe und Arbeitsleistungen, sondern dies Zusammenleben, Zusammenatmen, Zusammenschwitzen vieler Menschen, diese dadurch entstehende ermüdende Druckluft, das nie verstummende, nervenabstumpfende, gewaltige, quitschende, dröhnende, ratschende Geräusch ..• dies alles zusammen macht unsere Fabrikarbeit aus." 7

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banden. Können sie aber in jedem Fall vorhanden sein, so ist die Frage nach dem Gestaltungsprinzip des gewerblichen Arbeitsvertrags, wenn sie erschöpfend aufgeworfen werden soll, stets die Frage nach dem Grund, der den Inhalt jener b e i d e n Formen bestimmt. Durch das Gesetz ist allein das Individualverhältnis geregelt, das Solidarverhältnis ist nicht geregelt. Das Privatrecht des Arbeitsvertrags kennt mit anderen Worten nur Beziehungen zwischen dem einzelnen Arbeiter und dem Arbeitgeber. Jenes Gesamtinteresse der Arbeiter im Betrieb, von dem wir sprachen, ist für das Privatrecht nicht vorhanden, denn es reicht keine Rechtsform dar, in der sich diese Interessen mit dem Interesse des Arbeitgebers ausgleichen könnten. Wohl kennt das öffentliche Recht Arbeiterausschüsse, die als eine Vertretung der Arbeitergesamtheit im Betrieb gedacht sind. Aber abgesehen davon, daß diese Arbeiterausschüsse nicht allgemein eingeführt 9 und nur im Bergbau (bei 100 Arbeitern) obligatorisch 10, sonst aber nur fakultativ sind 11, hat diese Vertretung nicht die Funktion, über jene Solidarinteressen Rechtsver h ä I t n iss e mit berechtigender und verpflichtender Wirkung für die Arbeitergesamtheit mit dem Arbeitgeber einzugehen. Sie können daher als Instrument privatrechtlicher Selbstbestimmung für die Arbeiterschaft nicht in Betracht kommen. An sich könnte der Vertrag das fehlende Gesetz ersetzen. Es wäre denkbar, daß ein Arbeitgeber mit der Arbeiterschaft seines Betriebs gemeinschaftliche Angelegenheiten vertragsmäßig regelte. In der Tat gibt es auch solche Fälle. Aber die Regel ist solches Verhalten nicht. Die Regel ist vielmehr, daß der Arbeitgeber in Ermangelung gesetzlicher und vertraglicher Bestimmungkraft eigenen Willens die Solidarbedingungen festsetzt. Er bestimmt die Räume und die Beschaffenheit der Räume, in 9

§ 134d G.O.

Gesetz, betr. die Abänderung einzelner Bestimmungen des allgem. Berggesetzes v. 14. Juli 1905 (G.S. 307) Art. I Zifi". 6. 11 § 134 d G.O. 10

-7denen den Arbeitern die Arbeit obliegt, ob Aufenthaltsräume, Kantinen usw. eingerichtet, wie die Räume gelüftet und wann sie gelüftet werden sollen; er bestimmt, ob der Arbeiter ein Arbeitsstück allein oder mit anderen auszuführen hat, wie die Arbeiterschaft zusammengesetzt sein soll, ob mit den Männern Frauen, mit gelernten Arbeitern ungelernte Arbeiter beschäftigt werden, ob die Arbeiterschaft eine Verfassung haben soll, die es ihr ermöglicht, ihre Wünsche vorzutragen usw.,- kurz: das ganze Gemeinschaftsdasein des Arbeiters in der Fabrik ist in der Regel sein, des Arbeitgebers, Werk. Sein Werk auch dann, wenn er bei der Vornahme einzelner Festsetzungen, z. B. ob eine Kantine errichtet, ob darin Bier und aus welcher Brauerei verschenkt werden soll, zunächst die Arbeiterschaft "hört", denn dieses Anhören verpflichtet ihn nicht, auch wenn er den Vorschlägen folgt. Was er heute zugesagt hat, kann er morgen ändern oder aufheben, denn alles ist allein auf seinen guten Willen gebaut, ist vielleicht "Wohltätigkeitseinrichtung", keine Bindung. Es folgt daraus, daß das Prinzip, wonach sich der Inhalt des Solidarverhältnisses bestimmt, die A 11 einbestimmun g durch den Arbeitgeber ist. Ihr hat sich der Arbeiter durch Eingebung des Arbeitsverhältnisses unterworfen. Das Recht, das daraus für den Arbeitgeber entsteht, lmnn man das Recht der freien Betriebsgestaltung nennen.Was das Gestaltungsprinzip des Individualverhältnisses anlangt, so ist zu beachten, daß dieses Verhältnis nach seinem heutigen privatrechtliehen Aufbau eine Mehrheit von Beziehungen in sich schließt. Will man daher jenes Prinzip in seinem ganzen Umfang erkennen, so muß man ihm in diesen einzelnen Beziehungen nachgehen, die auch hier, soweit es nötig erscheint, nicht nur nach ihrem gesetzlichen Inhalt, sondern auch nach dem Inhalt, den sie in der wirklichen Anwendung haben, in Betracht zu zieheu sind. Es sind drei Beziehungen, aus denen das heutige Individualverhältnis des gewerblichen Arbeitsvertrags gebildet ist. Es ist nämlich

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1. ein A u stau s c h ver h ä 1t n i s. Es verspricht der Arbeiter, gewerbliche Arbeit gegen Entgelt zu leisten. Nur diese Beziehung hat das B.G.B. im Auge, wenn es vom Dienstvertrag sa11:t, durch ihn werde "derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andre Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet" (§ 611). Im einzelnen findet sich die gesetzliche Regelung dieses Verhältnisses in den Bestimmungen, die sich auf den Inhalt des Vertrags überhaupt (§ 305 ff. B.G.B.) und den gegenseitigen Vertrag insbesondere (§ 320 ff. B.G.E.) beziehen und die in den Einzelvorschriften des B.G.B. über den Dienstvertrag und der G.O. über die Verhältnisse der gewerblichen Arbeiter im Titel VII die beiden aus dem Arbeitsvertrag sich ergebenden Leistungen von Arbeit und Entgelt regeln. Alle diese Vorschriften enthalten indessen nur eine mehr oder weniger allgemeine Regelung, keine, die das unendliche Detail der einzelnen Arbeitsverträge beherrschen könnte. Der Grund mag, abgesehen von der Mannigfaltigkeit des zu regelnden Stoffes, darin liegen, daß das Arbeitsrecht auf jene allgemeinen Vorschriften der Vertragslehre angewiesen und im ganzen nicht an den Tatbeständen des Lebens orientiert ist. Jene allgemeinen Regeln, insbesondere die des gegenseitigen Vertrags, sind nämlich solche, die in erster Linie auf Sachleistungen zugeschnitten und die, wenn überhaupt, so immer doch nur schwer auf die speziellen Verhältnisse der Arbeitsleistung übertragbar sind. Man denke z. B. an die Lehre vom Schuldnerverzug. Muß und kann der Arbeiter, wenn er nicht rechtzeitig leistet, z. B. zu spät zur Arbeit kommt, die versäumte Arbeitszeit nachleisten? Oder den Gläubigerverzug. Muß der Arbeitgeber, wenn er den Arbeiter mit der Abnahme der Arbeit nach der Arbeitszeit warten läßt, Wartegeld bezahlen und wie bestimmt sich event. die Höbe desselben? Und weiter, was die Arbeitsleistung selbst betrifft: Wann ist der Arbeiter zur Leistung von Überstunden verpflichtet? Gehört zu der zu entgeltenden A:beitsleistung auch die Zufahrt zur Arbeit, ist das Fahr-

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geld zu vergüten usw.? Welche Schwierigkeit im gewerblichen Arbeitsvertrag die Anwendung der Lehre von der Unmöglichkeit der Leistung, der Einrede des nicht erfüllten Vertrags macht, ist bekannt. Alle diese Schwierigkeiten l\önnten nur durch besondere, den Verhältnissen der Arbeit angemessene Vorschriften gehoben werden; da sie nicht vorhanden sind, auch bei dem großen Reichtum der in Betracht kommenden Details, das oft sich ändert, kaum vorhanden sein können, lassen sie im Einzelfall Lücken der Regelung. Und diese Lücken sind noch größer infolge des zweiten hervorgehobenen Mangels. Weil das Recht in der Gestaltung seiner Rechtssätze nicht immer an die Formen der tatsächlichen Arbeit anknüpft, läßt es wichtige Seiten dieses Gebiets überhaupt ungeregelt. Um nur das eine Beispiel zu nennen: das ganze Akkordwesen findet, von spärlichen Einzelbestimmungen abgesehen 12 , trotz seiner eminenten Wichtigkeit, keine Stätte im Gesetz. Wie aber werden im Einzelfall jene Lücken ausgefüllt? Wie im Einzelfall alle jene besonderen Details, die das Arbeitsverhältnis fordert und die im einzelnen kein Gesetz regeln kann, ~eregelt? Wenn das Gesetz keine Regelung enthält, kann die lex contractus nur durch Abrede oder einseitige Bestimmung geschaffen werden, indem die Parteien den Inhalt des Verhältnisses durch Übereinkunft festsetzen oder aber die eine Partei sich der Bestimmung des Vertragsinhalts durch die andere Partei unterwirft (§ 316 ff. B.G.B). Man wird mit Recht sagen können, daß die zuletzt genannte Methode im Arbeitsverhältnis unserer Zeit vorherrschend ist 13, ja, solange der Vertrag nur mit Einzelnen geschlossen wird, vorherrschend sein muß, weil, sobald ein größerer Betrieb in Frage kommt, gewisse Arbeitsbeziehungen, wie Regelung der Arbeitszeit, Pausen, Lohnauszahlung usw. inhaltlich gleich sein müssen, diese Gleichheit aber nur erZ. B. § 124 Ziff. 4 G.O. V gl. Wölbling, a. a. 0. S. 204: "Nirgends findet eine unvollständigere Verlautbarung des Vertragsschlusses statt wie zwischen diesen Vertragsparteien" (des Arbeitsverhältnisses). 12

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10 reicht werden kann, wenn der Arbeitgeber das Normalschema bestimmt und der Einzelne sich diesem unterwirft oder auf Arbeit in diesem Betrieb verzichtet 14• Und zwar unterwirft sich der Arbeiter der Bestimmung durch den Arbeitgeber auch da, wo nach dem Gesetz bei unbestimmtem Vertragsinhalt dem Arbeiter das Bestimmungsrecht an sich zustehen müßte. (§ 316 B.G.B.) Denn diese Unterwerfung wird in jedem Fall als Willensinhalt der Parteien angenommen. Sie ist oft viel weiter, als man gewöhnlich glaubt. Sie bezieht sich vor allem auch auf die Bestimmung der Lohnhöhe 15 durch den Arbeitgeber, wie den folgenden Belegstellen aus der Spezialliteratur zu entnehmen ist. Es heißt da z. B. : a) "Was die äußere Form der Lohnvereinbarung anbetrifft, so erfolgt diese sowohl mündlich wie schriftlich, aber auch in einer ganzen Reihe von Arbeitsfällen überhaupt nicht 16 ." b) "Wenn nun ein Meister einen Hilfsarbeiter, vielleicht einen Kranführer oder einen Reinigungsarbeiter angenommen hat, so findet zwischen beiden nicht etwa eine Lohnvereinbarung statt in der Weise, daß sie sich durch Verhandlungen über die Höhe des Lohnes einigen, sondern der Lohn wird dem Arbeiter ganz einseitig von dem Arbeitgeber resp. von seinem Meister zudiktiert. Dieser sagt ihm einfach, was für Arbeiten er verrichten so11; und welchen Lohn er dafür erhält. Der Arbeiter selbst hat zunächst nicht den 14 V gl. Anm. 1, dazu insbesondere Brentano, Schutz der Arbeitswilligen, S. 27: "In vielen Fällen machen die Rücksichten auf den Betrieb eine individuelle Behandlung des individuellen Arbeiters geradezu technisch unmöglich." 15 Es erscheint deswegen nicht richtig, wenn Hachenburg, S. 10, schreibt: "Mangelt es auch hieran (nämlich an einer Taxe oder einer üblichen Vergütung), so hat der Dienstverpflichtete ... als der Teil, welcher die Gegenleistung zu fordern hat, die Vergütung zu bestimmen." S. auch die Belegstellen aus der Praxis im Text oben. Im Text ist vorausgesetzt, daß, soweit die Vergütungsfrage in Betracht kommt, weder eine Taxe noch eine übliche Vergütung besteht. 16 Simmersbrtch S. 39.

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geringsten Einfluß auf die Lohnhöhe." "Von einer Lohnvereinbarung kann keine Rede sein 17." c) "Die Schichtlöhne werden durch den Betriebsführer festgesetzt, den Arbeitern sofort bei Übertragung der Arbeit mitgeteilt und durch Eintragung in den Schichtenzettel beurkundet 18." d) "Unsere Arbeit wurde uns teils durch Stunden-, teils durch Akkordlöhne bezahlt, deren Höhe meist beim Eintritt in die Fabrik gewöhnlich vom Meister, selten durch den Direktor selbst bestimmt zu werden pflegte 19." Aber nicht nur die gewöhnlichen Leistungen werden so normiert, sondern auch außergewöhnliche, so z. B. oft die Leistung von Überstunden. So schreibt z. B. Pieper - und seine Äußerung dürfte typisch für viele Verhältnisse sein - : "Heute werden derartige Überschichten (im Bergbau) einfach von der Betriebsleitung verordnet und durch Anschlag bekannt gegeben, ohne daß vorher eine Verständigung mit der Arbeiterschaft stattgefunden hat 20." Wenn aber auch in Einzelfällen über die Hauptpflichten eine Abrede sich finden mag, von ihr ist dann in der Regel keine Rede mehr, wenn die vielen Details des Individualverhältnisses in Frage kommen. Da wirkt nur noch die einseitige Verfügung des Arbeitgebers, die Pflicht und Recht des Arbeiters bestimmt. Mit ihr werden die Pausen und die Kontrolle der Arbeit, die Akkordberechnung und Akkordverteilung, ja, oft die Form der Lohnvereinbarung, ob Akkord- oder Zeitlohn und all das Vielgestaltige des Individualverhältnisses einseitig durch den Arbeitgeber normiert, nicht immer ausdrücklich, oft nur stillschweigend durch die ganze Einrichtung, die der Arbeitgeber dem Betriebe gibt, und der der Arbeiter sich anzupassen hat. - Wir können nach alledem sagen, daß das Austauschverhältnis in weitgehendem Maße der ein17 18

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Reichelt S. 57 u. 59. Pieper S. 58. Göhre S. 59. S. 52.

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sei t i g e n Ergänzung durch den Willen des Arbeitgebers, seinem B es tim m un gs recht, unterworfen ist. DaR Individualverhältnis ist weiterhin: 2. Ein Ver h ä 1t n i s d er Ü b e r- und U n t e r o r d nun g. Denn der Arbeiter unterwirft sich, wenn er einen Arbeitsvertrag abschließt, in der Ausführung seiner Vertragsleistung, wie auch in seinem Verhalten im Betrieb, der Leitung des Arbeitgebers. Es kommt dieses Verhältnis in dem dem Arbeitgeber zustehenden Direktionsrecht zum Ausdruck 21 • Durch dieses untersteht der Arbeiter den Befehlen des Arbeitgebers in jenen beiden Beziehungen der Arbeitsausführung und des persönlichen Verhaltens. Er wird dem Arbeitgeber Gehorsam schuldig, den unter Umständen der Arbeitgeber sogar mit Strafen erzwingen kann. Denn man wird nach der heute bestehenden Rechtslage sagen müssen, daß dem Arbeitgeber, wenn die Art seines Betriebs die Aufrechterhaltung einer Disziplin erforderlich macht, auch das Mittel hierzu, ein Disziplinarstrafrecht, an die Hand gegeben ist, dem sich der Arbeiter durch Eingebung des Arbeitsverhältnisses unterwirft 22 • Das Direktionsrecht wird ausgeübt durch einseitige Erklärung des Arbeitgebers, die stillschweigend oder ausdrücklich erfolgen, allgemein oder für den einzelnen Fall abgefaßt sein kann. Ob ihr der Arbeiter zustimmt oder nicht, ist unerheblich, sie ist wirksam mit dem Zugehen an den Arbeiter, weil sie als ein einseitiges Recht aus dem Wesen des gewerblichen Arbeitsvertrags folgt. Aus dem Arbeiten für einen Andern folgt - wenigstens im Gebiet des gewerblichen Arbeitsvertrags - das Arbeiten unter dem Andern. Dies Verhältnis bleibt, auch wenn der Andere die Gemeinschaft aller Arbeitenden wäre , denn "eine unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit auf größerem Maßstabe bedarf mehr oder minder einer Direktion, welche die Harmonie der 2t Vgl. darüber ausführlich Lotmar A. V. S. 93ff., dazu Bitzer S. 23. Das Direktionsrecht wird durch die Eingebung eines Akkordvertrags nicht ausgeschlossen; so Wölbling a. a. 0. S. 222. 22 S. Kohler in Holtzendorffs Encyklopädie S. 642, dazu Menger

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individuellen Tätigkeiten vermittelt und die allgemeinen Funktionen vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven Gesamtkörpers im Unterschied von der Bewegung seiner selbständigen Organe entspringen 23." Das Direktionsrecht wird von dem Gesetz für gewerbliche Arbeitsverträge ausdrücklich anerkannt: "Gesellen und Gehilfen sind verpflichtet, den Anordnungen der Arbeitgeber in Beziehung auf die ihnen übertragenen Arbeiten und auf die häuslichen Einriebtungen Folge zu leisten." § 121, dazu § 134 Abs. 1 G.O. Im einzelnen hat aber das Gesetz dieses Recht nicht ausgestaltet, weder seinen Umfang, noch seine Begrenzung, auch nicht angegeben, welchen Personen eventuell, außer den Arbeitgebern, und in welchem Umfange es zusteht 2 ', auch keinen Schutz vor Willkür aufgestellt. Andere Gesetze sind in dieser Beziehung vorgeschrittener, z. B. die Seemanns-Ordnung, vgl. §§ 36, 84 ff., 91, 99. Der Vertrag wird in seltenen Fällen eine freiwillige Regelung enthalten, außer der Begrenzung, die etwa die Bezeichnung der Arbeit, zu der der einzelne Arbeiter angestellt ist, allgemein enthält. So bleibt die Ausübung des Direktionsrechts im Ermessen des Arbeitgebers, der hierbei weder an ein Gesetz noch an eine spezielle Vertragsnorm gebunden ist. Schließlich ist das Individualverhältnis 3. E i n Ve r h ä I t n i s d e r p e r s ö n I i c h e n ~' ü r s o r g e für den Arbeiter. Dieses entspringt der Tatsache, daß die Persönlichkeit des Arbeiters in das Schuldverhältnis unmittelbar verwoben ist - er leistet nicht etwas, er leistet mit sich selbst - in Verbindung mit dem Gedanken, daß diese Persönlichkeit durch die Arbeit in fremdem Interesse nicht geopfert werden darf, daß m. a . W. sich "die Art des Betriebes eines Gewerbes der Rücksicht auf Menschenleben lla Marx S. 339.

Vgl. über die Wichtigkeit solcher Bestimmung Bernhard, Akkordarbeit S. 117: "Die Arbeiter erklärten, daß eine Besserung dieser Verhältnisse nur zu erwarten sei, wenn genau feststehe, wer zum Abschlusse des Gedinges berechtigt sei." 24

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unterordnen muß" (R.G. Entsch. in Strafs. 10, 7). Dieser Schutz war dem auf der Grundlage der römischen Dienstmiete sich erhebenden Rechte in dieser Form unbekannt; seine Anerkennung ist ein Ergebnis des modernen Arbeitsrechts. Er hat seinen Ausgangspunkt in dem ius speciale der gewerblichen Arbeit genommen (§ 120 a, 120 b G.O.) und hat sich dann in § 618 B.G.B. zu einer Norm des allgemeinen bürgerlichen Rechts entwickelt. Die Fürsorge, die das Gesetz vom Arbeitgeber dem Arbeiter gegenüber verlangt, kommt zum Ausdruck in der Pflicht der gefahrlosen BetriebRgestaltung, die dem Arbeitgeber obliegt. Der Betrieb soll gefahrlos sein für Leben und Gesundheit (§ 120 a), sowie die guten Sitten und den Anstand des Arbeiters (§ 120 b). Diese Pflicht wird erfüllt durch Vornahme und Unterhaltung bestimmter Einrichtungen und Anweisungen, auf die der Arbeiter einen selbständigen Anspruch hat (vg1. § 618 B.G.B.), deren Nichtvornahme den Arbeitgeber in Annahmeverzug versetzt und bei deren schadenbringender Verletzung dem Arbeiter ein 8chadenersatzanspruch zusteht, abgesehen von dem Recht sofortiger Lösbarkeit des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeiter nach § 124 Ziff. 5 G.O. Die Pflicht wurzelt im Arbeitsvertrag kraft ergänzenden Rechtssatzes. Der Rechtssatz hat die Eigentümlichkeit, daß er, soweit nicht besondere Ausführungsbestimmungen Normen im Einzelfall enthalten (§ 120 d u. e G.O.), die Verpflichtung nur im a 11 gemeinen ausspricht, die inhaltliche Bestimmung der Verpflichtung im einzelnen aber dem Ermessen des Arbeitgebers anheim gibt. Das Reichsgericht hat diesen Charakter der Bestimmung treffend gekennzeichnet mit den Worten: "Dem Gewerbeunternehmer wird durch § 120 a nicht eine objektiv bestimmte Leistung auferlegt, wohl aber wird ihm zur Pflicht gemacht, nach einer bestimmten Richtung Diligenz zu beobachten" (Entsch. in Zivils. 12, 130). Mit anderen Worten: Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist in Form eines Blankettgesetzes geregelt, das seinen Inhalt durch die einseitige Bestimmung des Arbeitgebers empfängt, der somit den Inhalt der Fürsorge im

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letzten Grund allein bestimmt, so daß die Pflicht zur Fürsorge zugleich ein dem Arbeitgeber aus s c h I i e ß I ich zus t e h e n d e s R e c h t i s t 25 • Wenn wir hier zurückblicken, so können wir nunmehr das Gestaltungsprinzip des gewerblichen Arbeitsvertrags aussprechen. Es ist der Beobachtung zu entnehmen, daß sowohl die allgemeine Beziehung des Solidarverhältnisses wie auch die Einzelbeziehungen des Individualverhältnisses ihren Inhalt durch die Alleinbestimmung des Arbeitgebers empfangen. Sie drückt sich aus in dem Rechte der frei e n Be tri e b s g e s t a I tun g, welches die gemeinsamen Bedingungen der Arbeit aufstellt, dem Bestimmungsrecht, das dem Austauschverhältnis seinen konkreten Inhalt gibt, dem Direktionsrecht, das die Ausführung der Arbeit und das Verhalten des Arbeiters eventuell mit Disziplinarmitteln im Betrieb regelt und schließlich der Fürsorge, die der Arbeitgeber anzuwenden hat, um die Persönlichkeit des Arbeiters zu schützen. In allen Fällen ist eine Mitbestimmung des Inhalts jener Maßnahmen durch den Arbeiter nicht vorhanden, sondern nur Bestimmung durch den Arbeitgeber und es erschöpft sich der Vertragswille des Arbeiters darin, das Arbeitsverhältnis zum Entstehen zu bringen, ohne auch die weitere Kraft zu haben, seinen Inhalt zu bilden, so daß jener Wille nur Entstehungs-, nicht auch Bestimmungsgrund des Arbeitsverhältnisses und seine Äußerung kein Verhandeln, sondern nur ein Unterwerfen ist. Wir nennen alle diese dem Arbeitgeber durch den Arbeitsvertrag zufließenden Rechte, weil sie in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung an keine Mitwirkung der durch sie Betroffenen gebunden sind, die ab so I u t e n R e c h t e d e s Arbeitsver h ä I t n iss es. Sie b i I den, wie wir nunmehr sagen können, das Gestaltungsprinzip des gewerblichen Arbeitsvertrags. Mag, wie wir ausdrücklich hervorheben, dieses absolute Prinzip in dem einen Fall särker, in dem andern Fall schwächer, mag in dem einen Fall der Umfang der inhaltlichen 20

Vgl. Staudinger, Kommentar IIb S. 420 sub. IV y.

16 Mitbestimmung ein größerer wie in dem andern sein, es ist in der Regel wirksam in jedem Arbeitsvertrag und hat, wie das Eigentum, die Tendenz, sobald eine Beschränkung, ein Widerstand, wegfallt, in vollem Umfang und ganzer Kraft zur Geltung zu kommen. Deswegen dürfen wir es als ein Prinzip ansprechen, und zwar als das Prinzip im Arbeitsvertrag, weil es unter allen anderen inhaltlichen Bestimmungsgründen der dem Arbeitsverhältnis eigentümliche Bestimmungsgrund ist, denn es wird kein Rechtsverhältnis des Obligationenrechts geben, in dem der Wille der einen Partei in gleicher Weise die alle Seiten des Rechtsverhältnisses durchdringende Kraft ist. Sein absolutes Walten erschließt uns erst das volle Wesen des gewerblichen Arbeitsvertrags und der Betriebe, die sich auf solchen Verträgen aufbauen. Weil das, was durch diesen Vertrag entsteht, nicht nur ein Verhältnis von Leistung und Gegenleistung ist, sondern Herrschaft des einen, ist der Arbeitsvertrag nicht nur ein gegenseitiger Vertrag, sondern zugleich ein Herrschaftsvertrag, durch den sich der eine Mensch in seiner persönlichen Arbeit in die Verfügungsmacht eines andern begibt 26 • Der Arbeiter ver26 Am schärfsten hat unter den Juristen wohl Rehm, S. 147, dies Verhältnis gekennzeichnet, wenn er sagt: "Das Arbeitsverhältnis it>t lediglich seinem Entstehen nach ein vertragsmäßiges, ein Verhältnis unter Gleichgeordneten, dagegen seinem Bestehen nach ein rechtliches Gewaltverhältnis." Diesel' Ausspruch knüpft an die Lehre vom Wesen des Herrschaftsrechts an, die Rosin mustergültig entwickelt hat; vgl. dessen kritische Begrifft>studien "Souveränität, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung" insbesondere S. 299, dazu auch Beß, Einfache und höhere Arbeit, S. 17, 22. In der sozialpolitischen Litteratur wird die Auffassung des Arbeitsvertrags als eines Herrschaftsvertrags schon längst vertreten. So vor allem Brentano, Schriften des Vereins tür Sozialpolitik, Band 45, IXX und Webb 11 S. 186 ff., insbesondere S. 188. S. ferner Sering, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Band 46, S. 11, der auch meint, das Arbeitsverhältnis lasse sich vom Standpunkt desjenigen aus, "welcher das Unternehmen als ein bloßes Geschäftsunternehmen zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern auffaßt", nich.t begreifen. Vgl. zu allem die Ausführungen bei Schäffle, II. 38, 66, ti7. Die sozialistische Theorie vergleicht die durch das Arbeitsverhältnis gegebene Herrschaft, aber wohl nur bildlich, mit einem sachenrecht-

17 pflichtet sich nicht nur, er unterwirft sich zugleich. Die Betriebe aber, die sich auf solchen Verträgen erheben, sind nicht ein Inbegriff inhaltlich freier Vertragsverhältnisse, die Gleich berechtigte verbinden, sondern Herrschaftsbezirke 27 , in denen, wie in absoluten Staaten, die Herrschaft über alle wesentlichen Daseinsbedingungen dem Arbeitgeber oder seiner Bureaukratie zusteht, so daß der Arbeiter, trotzdem er freiwillig in diesen Herrschaftsbezirk eingetreten ist, doch unfrei ist, solange sich sein Leben im Bereich dieser Herrschaft abspielt. Diese Herrschaft aber, welche der Dienstherr über den Lohnarbeiter ausübt, ist - so bemerkt Menger 28 wohl mit l{echt- "nach Inhalt und Umfang viel strenger als jene, welche in unserer Zeit dem Familienhaupt über die Gattin und die Kinder, dem Vorm und über das Mündel zusteht." Während die juristische Theorie, weil sie stets von dem Entstehungs- und nicht von dem Bestimmungsgrund des Inhalts des Arbeitsverhältnisses ausging, diese absoluten Rechte als ein wesentliches Gestaltungsprinzip des Arbeitsverhältnisses noch nicht gebührend beachtet hat, sind sie von unserer Arbeitsgesetzgebung doch längst anerkannt. Denn diese Gesetzgebung setzt ihren Bestand voraus, um sich ihrer zu bedienen, regelt ihre Ausübung für bestimmte liehen Verhältnis. S. Marx S. 374: "Wie dem auserwählten Volk auf der Stirn geschrieben stand, daß es das Eigentum Jehovas, so drückt die Teilung der Arbeit dem Manufakturarbeiter einen Stempel auf, der ihn zum Eigentum des Kapitals brandmarkt." 27 "Herrschaftsverbände" nennt vor allem Gierke unsere modernen Unternehmungen. S. Deutsches PrivatrP.cht S. 697, 698; Die soziale Aufgabe des Privatrechts S. 40, 41; Genossenschaftsrecht I. S. 1036 ff.; Geuossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung S. 803 Anm. 3: "Allein auch die modernen Großbetriebe sind tatsächlich Herrschaftsverbände, welche die Angestellten und Arbeiter in ihrer Persönlichkeit als solche ergreifen und einer in der Persönlichkeit des Unternehmers konzentrierten Herrschaftse-ewalt unterwerfen." V gl. dazu Steinbach S. 31 und Schäffle li. S. 74. V gl. auch Schmoller, Über Wesen und Verfassung der großen Unternehmungen S. 387, 388. 28 156. Sinzheimer, Arbeitsnormenvertrag. I. 2

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Fälle und stellt andererseits einen Schutz auf gegen die Gefahren ihres Mißbrauchs. 1. Die Gesetzgebung bedient sich der absoluten Rechte, deren Bestand sie voraussetzt, vor allem in der Gestaltung des Arbe i t er s c h u t z es , wie er in den §§ 120 a ff. vorgesehen und hauptsächlich auf Grund des § 120 e G.O. in den einzelnen Fällen zum Ausdruck gekommen ist. Schon im § 120 a Abs. 4 G.O. sieht das Gesetz ohne weiteres vor, daß der Arbeitgeber "diejenigen Vorschriften über die Ordnung des Betriebes und das Verhalten der Arbeiter" erlassen kann, "welche zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebs erforderlich sind". Und an dieses absolute Recht des Befehlendürfens, welches das Gesetz so stillschweigend voraussetzt, schließen sich vor allem auch die auf Grund des § 120 e G.O. ergangenen Ausführungsvorschriften des Bundesrats an. Wenn es hier z. B. heißt, daß der Arbeitgeber "Vorschriften zu erlassen hat , die folgende Bestimmungen enthalten müssen: 1. die Arbeiter dürfen Branntwein, Bier und andere geistigen Getränke nicht mit in die Anlage bringen. 2. die Arbeiter dürfen Nahrungsmittel nicht in die Arbeitsräume mitnehmen, dieselben vielmehr nur im Speiseraum aufbewahren" 29 usw., so ist doch hier immer ein absolutes Recht des Arbeitgebers, einseitige Bestimmungen erlassen zu dürfen, vorausgesetzt. Ähnliche Bestimmungen enthalten viele andere Verordnungen, die dem Arbeiterschutz dienen und hierbei das absolute Recht des Arbeitgebers zur Ausführung heranziehen 80 • 2. Die Ausübung der absoluten Rechte ist geregelt in den Bestimmungen der G.O. über die Arbeitsordnung 29 Bekanntmachung des Reichskanzlers, betr. die Einrichtung und d en Betrieb der Bleifarben- und Bleizuckerfabriken vom 8. Juli 1893. R.G.BI. S. 213 § 17. 80 S. z. B. Bekanntmachung des Reichskanzlers, betr. die Einrichtung und den Betrieb gewerblicher Anlagen zur Vulkanisierung von Gummiwaren, vom 1. März 1902, R.G.Bl. S. 59 § 15; Bekanntmachung, betr. die Einrichtung und den Betrieb der Buchdruckereien und Schriftgießereien vom 31. Juli 1897, RG.Bl. S. 614 sub. I Ziffer 10 Absatz 3.

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(§ 134 a. ff.). Diese Bestimmungen sind nichts anderes als eine Regelung dieser Rechte in formeller (§ 134 a) wie materieller (§ 134 b) Hinsicht, allerdings nur für diejenigen Fabriken, in welchen in der Regel mindestens zwanzig Arbeiter beschäftigt werden (§ 134 a). Die Arbeitsordnung, die der Arbeitgeber erläßt, ist hiernach g e n er e 11 e Ausübung der i h m durch den Vertrag verliehenen absoluten Rechte, ist einseitige Bestimmung des durch den Vertrag unbestimmt gelassenen Vertragsinhalts, die nur darin eine Besonderheit hat, daß sie meist bereits vor Eingebung der einzelnen Arbeitsverträge fertiggestellt ist. In ihr kulminieren alle jene Ausdrucksformen der Alleinbestimmung, die oben als das Recht der freien Betriebsgestaltung, als Bestimmungsrecht, Direktionsrecht und Hecht der Fürsorge bezeichnet sind, und auf sie dürfte der gesamte gesetzliche Inhalt der Arbeitsordnung (§ 134 b) zurückgeführt werden können 31 • Man braucht also, um die Arbeitsordnung rechtlich zu erklären, weder eine dem Arbeitgeber verliehene Gesetzgebungsbefugnis (Rehm), noch eine kraft Gesetzes ausgezeichnete einseitige Verfügung des Arbeitgebers (Köhne), noch eine dem Arbeitgeber als Vorstand eines herrschaftlichen Verbandes zustehende Autonomie (Oertmann) anzunehmen sämtlich Konstruktionsversuche, die mit dem positiven Recht und seinem geschichtlichen Inhalt nicht im Einklang sind. 81 Der Schlußsatz des § 134 b dürfte dieser Auffassung kaum entgegenstehen, denn der Erlaß von Verhaltungsvorschriften bezüglich der Benutzung der zum Besten der Arbeiter getroffenen mit der Fabrik verbundenen Einrichtungen kann wohl überhaupt nicht mit dem Inhalt des Arbeitsvertrags in Verbindung gebracht werden, vielmehr einfach auf das Eigentumsrecht (bezw. einem von diesem abgeleiteten Recht, etwa Pachtrecht) des Arbeitgebers an jenen Einrichtungen zurückzuführen sein. Wie jeder Eigentümer vorschreiben kann, unter welchen Bedingungen sein Eigentum der Benutzung offen steht, so kann dies eben auch der Arbeitgeber bezüglich solcher in seinem Eigentum stehenden Einrichtungen. Andererseits wird man annehmen können, daß der Rechtsgrund dafür, Vorschriften über das Verhalten minderjähriger Arbeiter außerhalb des Betriebs in die Arbeitsordnung aufnehmen zu dürfen, in dem besonderen Inhalt des mit einem Minderjährigen geschlossenen Arbeitsvertrags zu suchen ist. 2*

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Es genügt die Beachtung des den Arbeitsvertrag beherrschenden Gestaltungsprinzips, um das Wesen dieses Recht~gebildes einfach zu erklären. Unsere Auffassung erklärt insbt>sondere auch die dem § 134 c Abs. 1 zu entnehmende Tatsache, die die sogenannte Vertragstheorie (Neukamp) 82 kaum erklären kann: daß die Arbeitsordnung wirksam ist, auch ohne daß dem Arbeiter beim Abschluß der Arbeitsverträge der Inhalt der Arbeitsordnung, ja überhaupt ihre Existenz, bekannt war. Denn im Wesen der Ausübung absoluter Rechte liegt ihre einseitige Bestimmung, wie dies im § 315 Abs. 2 B.G.B. für das Bestimmungsrecht bestätigt ist , im ganzen aber auch aus der Natur der absoluten Rechte folgt. Die Hauptbedeutung der durch die Vorschriften über die Arbeitsordnung getroffenen Regelung besteht hiernach darin, daß der Erlaß der Arbeitsordnung den Arbeitgeber zwingt, den Inhalt seiner einseitigen Bestimmung bekannt zu geben 33 , und zwar durch Aushang und Aushändigung (§ 134 a Ahs. 1, 134 e Abs. 2), und daß der Arbeitgeber an ihren Inhalt gebunden ist (§ 134 c), er also nicht willl{ürlich von ihr abweichen kann, was bei Ausübung von absoluten Rechten ohne Arbeitsordnung - soweit nicht das Bestimmungsrecht nach § ö15 ff. B.GB., z. B. bei Bestimmung der Lohnhöhe, in Frage kommt - der Fall sein dürfte 84 • Die Einführung der Arbeitsordnung war daher kein Rückschritt, wie man annehme.n müßte, wenn man Rehm Recht gäbe, der in ihr 32 Vgl dessen Aufsatz in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft XLVII S. 1 ff. 33 Dies hebt besonders der Kommissionsbericht des Reichstags zu den Verhandlungen über die Arbeitsordnung (Drucksachen 1890- 92 Anl. li S. 1460) hervor, ebenso die Begründung der R egierungsvorlage (Drucksachen a. a. 0. Anl. I S. 21). 34 Ohne gesetzliche Arbeitsordnung, also in den Betrieben, in denen überhaupt keine Arbeitsordnung besteht, oder wenn sie besteht, keine qualifizierte d. h. vom Gesetz obligatorisch angeordnete ist, wie z. B. in den Betrieben , in denen in der R egel nicht mindestens 20 Arbeiter beschäftigt sind, könnte z. B. der Arbeitgeber jederzeit von einer in Ausübung seines Direktionsrechts oder in Ausübung seines Fürsorgerechts angeordneten Maßregel wieder abgehen. Be-

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eine "Feudalisierung der Industrie" sehen will, sie war vielmehr der erste Schritt auf dem Wege, an Stelle der bloßen Willensentscheidung des Arbeitgebers eine Norm zu setzen, wenn diese im Wesen auch eine nur selbstgesetzte war. Es war der Übergang von der Despotie zur Monarchie im Gewerbebetrieb, "wo ein einziger regiert, aber nach festen, ein für allemal angeordneten Gesetzen" 35 • 3. Was den Schutz gegen Mißbrauch der absoluten Rechte anlangt, so sind es hauptsächlich die Bestimmungen des m a teri eilen Arbeiters eh u tze s, die der Ausübung jener Rechte im öffentlichen Interesse sowohl in solidarer, wie individueller Beziehung Schranken ziehen. Ihr Wesen hat Lotmar 86 treffend mit dem Satze gekennzeichnet, daß sie nicht statt der Parteien Vertragsinhalt liefern, sondern daß sie "den von den Parteien, oder vielmehr vom Arbeitgeber ausgehenden Inhaltsbestimmungen unüberschreitbare Grenzen setzen". Sie begründen kein Rechtsverhältnis zwischen Arbeiter und Arbeitgeber, sondern nur ein solches zwischen Arbeitgeber und Staat. Daraus folgt, daß jener Schutz keine subjektiven Privatrechte der Arbeiter gegen den Arbeitgeber herstellt, die bei Versäumung durch den Arbeitgeber gerichtlich durch den Arbeiter geltend gemacht werden könnten, sondern daß für das Verhältnis zwischen Arbeiter und Arbeitgeber aus ihrem Bestand nur Reflexe entstehen, die immerhin für das Maß der Bestimmtheit des Arbeiters durch die absoluten Rechte von Bedeutung sind. Ob diese Reflexe entstehen und bestehen bleiben, hängt hiernach von der Entwickelung des öffentlichen Rechts und ob sie ihrem Zwecke voll gerecht werden, davon ab, ob die Staatsgewalt jederzeit in der Lage ist, etwaige Verletzungen der Schutzgesetze zu erfahren und abzubestellen. züglich des Bestimmungsrechts wird ein solcher einseitiger Rücktritt von einer einmal getroffenen Bestimmung nicht möglich sein, wenn man nicht gerade annehmen will, der Arbeiter unterwerfe sich durch den Arbeitsvertrag auch jedem Wechsel in der Bestimmung. Vgl. Schollmeyer S. 174. 311 V gl. Montesquieu, Geist der Gesetze I 1 Teil S. 107. ae A. V. S. 230 Anm. 2.

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Wir haben diese Betrachtung vorgenommen, um der Einsicht in das Wesen des Gestaltungsprinzips des gewerblichen Arbeitsvertrags das dem Arbeitsnormenvertrag eigentümliche Gestaltungsprinzip entnehmen zu können. Es besteht darin, an die Stelle des absoluten Gestaltungsprinzips des gewerblichen Arbeitsvertrags , das in den bisherigen Ausführungen zu schildern versucht ist, ein auch im Inhalt vertragsmäßiges Gestaltungsprinzip, an dieStelle der absoluten Rechte die vertragsmäßig hergestellte Norm zu setzen, um so nicht nur die Freiheit im Abschluß des Arbeitsvertrages zu erhalten, sondern diese Freiheit auch im Inhalt des Arbeitsvertrags zu begründen. Aus dem Herrschaftsverband soll sich ein Verband, der auf Freiheit im konstitutionellen Sinne ruht, entwickeln. Wie sich diese Umbildung aus einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis in ein Rechtsverhältnis mit beide Teile verpflichtender Norm im einzelnen ausdrückt, wie der Arbeitsnormenvertrag diesen Gedanken der Freiheit in den wirtschaftlichen Organisationen unserer Zeit verwirklichtdies zu zeigen ist am Schlusse die Aufgabe, wenn das dieses Ziel erstrebende Rechtsverhältnis in seinem ganzen rechtlichen Inhalt nach der Seite des Tatbestands wie der Rechtswirkung hin erkannt ist. Der folgende erste Abschnitt beginnt mit dieser Arbeit durch Darlegung des Tatbestands des korporativen Arbeitsnormenvertrags. Zunächst ist aber noch mit einem Wort das Gebiet abzugrenzen, auf dem sich die folgende Untersuchung zu bewegen hat. Wie der Titel dieses Buchs bereits sagt, bildet die Grundlage der Untersuchung nicht die ganze Wirklichkeit des in den Formen des Arbeitsnormenvertrags sich abspielenden Rechtslebens, sondern nur ein Ausschnitt dieser Wirklichkeit. Es scheiden nämlich alle diejenigen Fälle aus, in denen auf Arbeiterseite bei dem Vertragsabschluß keine o r g an i s i er t e, als Einheit auftretende Mehrheit vorhanden ist.

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Dahin gehören diejenigen Fälle, in denen auf Arbeiterseite der Arbeitsnonnenvertrag entweder mit bestimmten Einzelnen oder aber mit einer unorganisierten d. h. rechtlich nicht in sich verbundenen, eine Einheit nicht darstellenden Mehrheit von Arbeitern abgeschlossen wird, sei es nun, daß diese Mehrheit der Arbeiter die Mehrheit der Arbeiter eines Betriebes, sei es, daß sie eine Mehrheit von Arbeitern mehrerer Betriebe, etwa der Betriebe an einem Ort, ist, und einerlei, ob diese Mehrheiten unmittelbar oder durch Vertreter handeln, wobei als Vertreter öfters vorhandene Institutionen benutzt werden, wie Arbeiterausschüsse und Gesellenausschüsse (§ 95 G.O.). Man kann alle diese Fälle unter der Bezeichnung des kollektiven Arbeitsnormeuvertrags im Gegensatz zum korporativen zusammenhalten 87 • Hierbei besagt korporativ nur, daß es sich um eine recht1ich o r g an i sie r t e Mehrheit von Arbeitern handeln muß, die einheitlich auftreten kann und derart organisiert ist, daß sie auch heim Wechsel der Mitglieder ihre Einheit bewahrt, daß es sich also um einen Arbeiterverein handelt 88 , der als solcher entweder rechtsfähig oder nicht rechtsfähig ist. Die Bezeichnung korporativ in diesem allerdings nicht streng technischen Sinn zielt hiernach nur auf die Beschaffenheit des KontrahierensaufArbeit er seit e ab. Sie setzt nicht voraus, daß auch auf Arbeitgeberseite eine organisierte Mehrheit handelt. Vielmehr ist der korporative Arbeitsnormenvertrag auch dann vorhanden, wenn sich auf Arbeitgeberseite nur ein Arbeitgeber vorfindet. Das Nähere darüber ergibt sich aus den späteren Ausführungen. Hier sollte 87 Das Nähere über diese Formen des kollektiven Arbeitsnormenvertrage siehe jetzt bei Schall S. 21 ff., insbesondere S. 22-24, wo sich eine instruktive Übersicht über die tatsächlich vorkommenden Formen des Vertragsabschlusses findet. 88 Arbeitsnormenverträge mit Arbeitern, die in einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts organisiert sind, sind meines Wissens in der Praxis nicht vorhanden. Sollten sie vorkommen, so rangieren sie in der Kategorie des kollektiven Arbeitsnormenvertrags, denn die Beziehungen zur Arbeitgeberseite wären bei ihnen an die bestimmten Einzelnen, die die Gesellschaft bilden, gebunden.

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nur die Grenze gezogen werden, innerhalb derer sich unsere Untersuchung bewegt, und zwar nur nach dem äußeren Gesichtspunkt, daß ein Arbeiterverein beim Vertrag s ab s c h I u ß bete i I i g t ist. Die rechtliche Form dieser Beteiligung ist erst später zu erörtern. Daß wir diese Beschränkung vornehmen, beruht auf folgenden Erwägungen : Zunächst bilden die korporativen Arbeitsnormenverträge die Mehrzahl der abgeschlossenen Arbeitsnonnenverträge überhaupt, sind also die gewöhnlichen Fälle des Arbeitsnormenvertrags 89• Sodann aber ist der korporative Arbeitsnormenvertrag diejenige Form des Vertragsabschlusses, bei der die Zwecke des Arbeitsnormenvertrags am vollkommensten erreicht werden können. Es wird dies nahezu übereinstimmend in der gesamten Tarifliteratur von Theoretikern wie Praktikern, von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern ausgesprochen 40 und es ist bezeichnend, daß auch diejenigen juristischen Schriftsteller, die alle Möglichkeiten des Vertragsabschlusses eingehend rechtswissenschaftlich behandeln, wie 39 S. z. B. die Angaben im R. A. BI. III 953154, in Soz. Prax. XV S. 227 "Die Tarifverträge im deutschen Holzgewerbe im Jahre 1904", außerdem die Zusammenstellung der Tarifverträge in den einzelnen Gewerben im Tarifwerk III, Index, S. 271/7. ' 0 Vgl. Brentano, Schriften des Vereins für Socialpolitik, a. a. 0. S. XXXIII: " . . . Da erst die Organisation die Arbeiter in die Lage anderer W arenverkäufe1· versetzt, wird hier der Preis festgesetzt durch Verhandlung zwischen den Organisationen beider Interessenparteien." \Vebb, I S. 159: "Der Gewerkvereinsmechanismus gibt ... in der Tat der kollektiven Vertragsschließung Dauer und Elastizität." lmle , Dokumente S. 66: "Tarifvereinbarungen sind und bleiben das Werk von Organisationen ... " S. ferner Sulz er, S. 12. Brogsitter, S. 15 u. 83. Koeppe, S. 293. Schmelzer, S. 11, 12. Alfred von Lindheim, S. 77. Soz. Prax. XVI, 653 oben " . .. unzweifelhaft richtig, daß die Vorbedingung zum Tarifvertrag die Organisation ist. Wer den gewerblichen Frieden will, muß starke Verbände der Arbeiter und der Arbeitgeber wollen, selbst wenn dieser Weg zum Ziel durch heiße Kämpfe gehen sollte." Schließlich ist der Ausspruch Bömelburgs auf dem achten ordentlichen Verbandstag des Zentralverbands der Maurer Deutschlands (Protokoll 1905 8. 321) zu verwerten: "Ohne starke Organisation . . . ist ein Vertragsverhältnis geradezu undenkbar."

25 Rundstein 41 und neuerdings Schall 42 , zu diesem Endergebnis über die praktische Vorzugsstellung des korporativen Arbeitsnormenvertrags kommen. Man kann also sagen, daß eine Tendenz unter den Parteien danach besteht, den Arbeitsnormeuvertrag als einen korporativen abzuschließen. Wie stark und innerlich diese Tendenz ist, beweist am besten das Beispiel des Vorbildes aller Arbeitsnormenverträge, die Entwicklung der sogenannten · Tarifgemeinschaft der Buchdrucker. Diese Tarifgemeinschaft ist, wie die Beteiligten selbst zugeben, unter dem Zwang der Verhältnisse bei der Neugestaltung der Vertragsbeziehungen im Jahre 1906 auf der Beteiligung der Arbeiterorganisation aufgebaut worden, während früher als die Träger des Vertragsgebildes die einzelnen tariftreuen Buchdrucker angesehen worden sind 43 • Die Beschränkung dürfte daher in der Sache selbst begründet sein und um so unbedenklicher erscheinen, als bis jetzt die rechtswissen-

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S. u. a. neuerdings dessen Schrift "Tarifrechtliche Streitfragen"

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149, 150. Das Fachblatt der Buchdrucker hat diese Entwicklung mit den Worten begleitet: "Auf dem Prinzip des Friedens aufgebaut, müssen naturgemäß die tarifgemeinschaftlichen Pfade in die Reiche wirtschaftlich konstitutioneller Verhältnisse führen, deren Träger wiederum auf die Dauer nicht eine verschwommene Allgemeinheit, sondern nur die beruflichen Organisationen sein können." ("Der neue Tarifvertrag" im K. XLIV Nr. 118). Wenn Schall neuerdings (8. 173) den Charakter der sogenannten Buchdruckertarifgemeinschaft als eines Verbandstarifs in Abrede stellt, so widerspricht dies meines Erachtens dem Wesen und dem Wortlaut des Separatvertrags, betreffend die Tarifgemeinschaft der deutseben Buchdrucker (Tarifwerk I, S. 37). Dieser Vertrag hat nicht nur die Bedeutung eines Garantievertrags, dessen Bedeutung sich in der Begründung der Haftung der kontrahierenden Verbände für Tarifbrüche ihrer Mitglieder erschöpft, sondern er begründet zugleich ein vorher nicht bestehendes unmittelbares Rechtsverhältnis zwischen den kontrahierenden Verbänden. Diese sollten gerade durch den Separatvertrag die Rechtsträger der sogenannten Tarifgemeinschaft werden. Es ergibt sich das unzweifelhaft aus den §§ 2 und 5 des Separatvertrags, in denen der vorher nur als wirtschaftliches Gesetz bestehende Buchdruckertarif zum Rechtsverhältnis zwischen den Parteien erhoben wird. 4ll

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schaftliehe Behandlung die kollektive Form des Vertragsabschlusses bereits eingehend untersucht hat, und zwar vorwiegend, wie sich z. B. aus den Arbeiten Lotmars und Rundsteins und neuerdings auch Schalls ergibt, der zum Ausgangspunkt seiner Untersuchungen speziellden Arbeitsnormeuvertrag mit Einzelnen genommen hat. Daß hierbei Schall die eine Form deH kollektiven Vertragsabschlus~es, nämlich den Abschluß mit einer nichtorganisierten Mehrheit, in Übereinstimmung mit früheren Darlegungen Baums überhaupt für unverbindlich erklärt, ihr also den Charakter eines Rechtsverhältnisfes überhaupt abspricht 4 \ kann nur weiter dafür sprechen, die Beschränkung auf den korporativen Arbeitsnormenvertrag, die eher positive Ergebnisse verspricht, aufrechtzuerhalten. Die Beschränkung auf den korporativen Arbeitsnormenvertrag kann aber vor allem auch vom dogmatischen Standpunkt aus wünschenswert sein, weil sie die Untersuchung auf einem fest und klar umschriebenen Gebiet ermöglicht. Es kann dadurch eher die Hoffnung begründet werden, wenigstens in bezug auf eine Form des Vertragsabschlusses, die zugleich die Hauptform ist, eine klare und einheitliche Anschauung zu gewinnen. Bei einer Betrachtung, die sich auf alle Vertragsformen erstrecken würde, kann die Gefahr leicht entstehen, daß unter der Vielheit der Formen die einfache und klare Herausarbeitung des Rechtsverhältnisses leiden und mehr ein Recht der Verträge zur Darstellung gelangen könnte als ein Recht des Vertrags d. h. desjenigen Vertragstypus, von dem die Rechtswissenschaft und auch die Gesetzgebung ausgehen muß, wenn sie den wissenschaftlichen oder gesetzlichen Aufbau des Rechtsverhältnisses versucht. Schließlich wird ja die Auftindung der Rechtsregeln auf einem Gebiet der Untersuchung derselben auf den anderen Gebieten der Vertragsahschließung nur förderlich ~ein können, weil die Aufstellung der Gesichtspunkte für den einen Vertragstypus leitend und anregend sein kann für die Bearbeitung der übrigen.

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So glauben wir durch einen monographischen Versuch am besten in das noch in vielem rätselhafte, wenn auch durch die seitherigen rechtswissenschaftliehen Untersuchungen in vielem schon wesentlieh geklärte Gebiet des Arbeitstarifvertragswesens eindringen zu können. Hierbei mag oft nicht die Beschränkung auf das eine Gebiet des korporativen Arbeitsnormenvertrags das Gefühl, Unzulängliches zu leisten, begründen, als vielmehr der Gedanke, daß auch oft noch diese Beschränkung ein zu weites Gebiet in sich schließt und es den vielen lebendigen Spielarten dieses frei emporgewachsenen wundervoll reichen Volksrechts gegenüber fast unmöglich ist, a 11 gemein richtige und für jeden Fall geltende Wahrheiten zu gewinnen. Darum möchten wir auch glauben, daß die weitere Entwicklung des Arbeitsnormenvertragsrechts am besten bei einer noch weiteren Spezialisierung der rechtswissenschaftliehen Arbeit gedeihen wird, die sich an einzelne Verträge oder einzelne Gewerbe anzuschließen hätte, um so das konkrete Recht in seinen Einzelerscheinungen zu erforschen, sowohl seinem Inhalt wie seinem konstruktiven Aufbau nach.

Erster Abschnitt.

Der Tatbestand. Vorbemerkung. Den Tatbestand eines Rechtsverhältnisses feststellen beißt, seinen wesentlichen Inhalt d. b. diejenigen Bestimmungen feststellen, ohne die das Rechtsverhältnis nicht vorbanden ist. Da der Tatbestand des Arbeitsnormenvt:rtrags aus dem Gesetz, dem dieser Vertrag unbekannt ist, nicht gewonnen werden kann, müssen zur Bildung seines Tatbestandes die einzeInen Arbeitsnormenverträge seI b s t herangezogen werden. Auf sie kommt es an, wenn man das Recht des Arbeitsnormenvertrags auf Grund der wirklichen Vertragserscheinungen und nicht eines a priori angenommenen Inhalts aufbauen will. Demgemäß geht die nachfolgende Untersuchung von dem Inhalt tatsä c h 1ich ab g e s c h I o s s e n er Verträge aus, um dann aus der Vielheit der konkreten Einzelbestimmungen und Formen ihres Abschlusses die wesentlichen Bestimmungen und die wesentlichen Formen zu gewinnen. Denn der Zielpunkt dieses Teils der Arbeit ist der Begriff des Vertrags, nicht das Recht der einzelnen Verträge, ist die Gestaltung derselben zu einer abstrakten Einheit, nicht nur die Beschreibung ihres lwnkreten Inhalts. Allein auf solchem Weg kann die Grundlage zu einer einheitlichen Betrachtung der Rechtswirkung gewonnen werden, die wir im zweiten Teil dieser Arbeit anstreben. Insbesondere gilt dies vom ersten Kapitel. Dieses Kapitel hat nicht nur die Bedeutung, einen

29 geordneten Überblick über den vielgestaltigen Inhalt der Arbeitsnormenverträge zu ermöglichen und so die Voraussetzung für die rechtliche Erfassung solcher Verträge zu liefern, sondern auch, um später die Fragen der Rechtswirkung entscheiden zu können, insbesondere die Frage, welche von den Bestimmungen der Arbeitsnormenverträge in den Inhalt des Arbeitsvertrags eingehen und welche Bestimmungen lecHglich Bestimmungen des Arbeitsnormenvertrags bleiben, eine Frage, die deshalb so wichtig ist, weil erst nach ihrer Beantwortung entschieden werden kann, ob im Einzelfall der Anspruch, der in Betracht kommt, ein Anspruch aus dem Arbeitsvertrag oder aus dem Arbeitsnormenvertrag ist, eine Frage, die auch prozessual wegen der Zuständigkeit des Gewerbegerichts von Bedeutung ist. Aus diesem Grunde ist es auch nicht richtig, daß Schall (S. 19 20) die Systemathik des Vertragsinhalts aus der eigentlichen Lehre des Arbeitsnormenvertrags ausscheidet, weil sie eigentlich in die Lehre vom Arbeitsvertrag hineingehöre. Solange jene Rechtswirkungsfragen noch nicht geklärt sind - und das ist heute noch nicht der Fall - scheint mir dieser Standpunkt nicht berechtigt zu sein. - Den bezeichneten Aufgaben sind die nachfolgenden Kapitel gewidmet. Das Material, das insbesondere dem ersten Kapitel zugrunde liegt, bilden Verträge 1 , die alle im Wortlaut und zum Teil im Original dem Verfasser vorgelegen haben. Der größte Teil des Materials ist dem Urmaterial entnommen, das die Verfasserio der "Gewerblichen Friedensdokumente" gesammelt hat (vgl. Vorwort). Dieses Material ist jetzt zum Teil im dritten Band des Tarifwerkes abgedruckt. Soweit dies der Fall ist, ist dies an der betreffenden Stelle vermerkt. Wo ein Hinweis auf das Tarifwerk nicht vorliegt, Ich mache darauf aufmerksam, daß unter dem Rohmaterial, das ich benutzt habe, sich auch solche Verträge vorfinden, die nicht unter Beteiligung einer Arbeiterorganisation geschlossen sind. Diese Mitbenutzung erschien mir, da es ja nur auf die Gewinnung von inhaltlichen Bestimmungen in Arbeitsnormenverträgen ankommt, unbedenklich. 1

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stammt die angeführte Vertragsurkunde aus dem erwähnten Urmaterial. Neben diesem Material sind hauptsächlich die Veröffentlichungen des Reichsarbeitsblattes benutzt, die eine große Anzahl von Vertragsurkunden darbieten, außerdem Spezialschriften, die Vertragsmaterial im Wortlaut enthalten usw. Die Darstellung des Vertragsinhalts im ersten Kapitel soll zugleich eine Vorstellung des reichen, durch den Arbeitsnormenvertrag gebildeten Arbeitsrechts erwecken. Es ist ein Teil des wirklichen Arbeitsrechts unserer Zeit. Um den Eindruck möglichst vollkommen zu machen und um auch zugleich dem Leser zu ermöglichen, aus eigener Anschauung die getroffene Systematik nachzuprüfen, sind die einzelnen Bestimmungen regelmäßig im Wortlaut zitiert. Wenn besonders im ersten Kapitel nicht immer unsere technische Bezeichnung "Arbeitsnormenvertrag" beibehalten, sondern oft die herkömmliche Bezeichnung "Tarifvertrag" benutzt ist, so geschah dies, weil die Verträge, deren Inhalt wir darstellen, eben in der Regel sich der herkömmlichen Bezeichnung bedienen. Ob im übrigen die von uns getroffene Einteilung der Normen erschöpfend oder in jeder Beziehung zutreffend ist, kann bei dem Reichtum und der großen Mannigfaltigkeit der wirklichen Vertragsbestimmungen zweifelhaft sein. Denn auch für den Juristen gilt der Satz Serings (Arbeiterausschüsse S. 25): "Jede begriffliche Zergliederung gesellschaftlicher Vorgänge und Institutionen bleibt notwendig hinter dem Reichtum des sozialen Lebens zurück."

Erstes Kapitel.

System und Inhalt der V ertragsnormen. Wenn im folgenden die bemerkenswertesten Normen der einzelnen Verträge dargestellt und ihr Inhalt klassifiziert werden soll, so ist zunächst, um diese Betrachtung und Bearbeitung auf die dem Arbeitsnormenvertrag eigentümlichen

31 Bestimmungen richten zu können, eine Abgrenzung nach drei Richtungen vorzunehmen. Es ist derjenige Inhalt auszuscheiden, der eine Besonderheit überhaupt nicht aufweist, der die Merkmale eines bereits bekannten oder gesetzlich geregelten Vertragstypus enthält und der das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer unmittelbar überhaupt nicht berührt. Es gehören hierher: 1. Die allgemeinen Vorschriften, die sich auf den Arbeitsnormenvertrag selbst beziehen- das sind Bestimmungen, die z. B. seinen Beginn und seine Dauer, seine Auflösung und Wiedererneuerung betreffen. Solche Vorschriften bedürfen hier keiner besonderen Beachtung, weil sie in derselben Weise bei jedem Vertrag vorkommen können. Das Nähere über ihren Inhalt hat bereits Lotmar zusammengestellt 1 • Soweit sich bei ihnen, durch die besonderen Bedürfnisse des Vertrags hervorgerufen , eigentümliche Erscheinungen zeigen, finden sie im zweiten Teil in einem Exkurs über die Vertragskommissionen im Zusammenhang ihre Berücksichtigung. 2. Die Bestimmungen, die unmittelbar den Abschi uß von Arbeitsverträgen oder Vorverträge zum Abschluß solcher enthalten 2 • Z. B.: "Bei der Firma . . . . . . . . ist von Seite der dort noch im Arbeitsverhältnis stehenden Gehilfen die Arbeit vollzählig wieder aufzunehmen". "Die Arbeit wird seitens der Streikenden am Montag, den 6. Juli, wieder aufgenommen". ..,Der Betriebsunternehmer stellt die beiden entlassenen Maschinisten bei erstem Bedarf unter der Bedingung wieder ein, daß sie sich hinfort einwandfrei führen." "Der Ausstand bei der Firma ..... wird aufgehoben. Herr .... stellt seine Arbeiter sämtlich wieder ein" u. s. f. In allen diesen Fällen liegen einfach Abschlüsse von Arbeitsverträgen bzw. Vorverträgen zu solchen vor, sei Lotmar, T. V. S. 19, A. V. S. 761 sub 2. Es sind dies zum Teil die von Lotmar so genannten "transitorischen Bestimmungen", vgl. A. V. S. 760, T.V. S. 21 sub 2, dazu Rundstein, Fr. T. V. S. 28, 46, Oertmann, S. 3, 4. 1

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es unmittelbar zwischen den Beteiligten, sei es zugunsten derselben in Form eines Vertr~ g,; zugunsten Dritter. Ihre Betrachtung gehört daher in die Lehre vom Arbeitsvertrag, nicht in diejenige des Arbeitsnormenvertrags, und zwar des "kollektiven Arbeitsvertrags", weil jene Abreden stets mit oder durch eine Mehrheit von Arbeitern geschlossen werden. 3. Diejenigen Vorschriften, die nicht das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern nur das Verhältnis der Arbeitgeber unter sich, oder der Arbeitnehmer unter sich betreffen. Solche Vorschriften können außerhalb der Arbeitsnormenverträge selbständig vorkommen. So z. B. , wenn Arbeitgeber unter sich dahin einig werden, den Lohn über eine bestimmte Grenze hinaus nicht zu erhöhen oder, wenn Arbeitnehmer unter sich die Abrede treffen, bei einem Arbeitgeber keine Arbeit zu nehmen bzw. nur zu einem bestimmten Lohnsatz zu arbPiten. Solche Vorschriften können aber auch in Verbindung mit Arbeitsnormenverträgen vorkommen. Wenn z. B. die Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer unter sich sich gegenseitig versprechen, bzw. statutenmäßig beschließen, einen abgeschlossenen Normenvertrag einzuhalten, so liegt ebenfalls eine Abrede vor, die in der Regel nur das Verhältnis der Arbeitgeber unter sich bzw. der Arbeitnehmer unter sich betrifft. So praktisch wirksam solche Abreden für die Einhaltung eines Normenvertrags, so wertvoll sie tatsächlich im Einzelfall für den Sinn des Vertrags und die Auslegung des Willens der ihm Unterworfenen sein können, sie gehören nicht zu ihm, weil sie außerhalb des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer liegen, auf dem allein der Arbeitsnormenvertrag sich aufbaut. Sie scheiden deswegen bei der Darlegung des Vertragsinhalts aus, wenn sie auch bei der Lehre von der Rechtswirkung (2. Abschnitt) zu berücksichtigen sein werden. Das innerhalb dieser Abgrenzung verbleibende Normengebiet ist das Beobachtungsfeld, das der folgenden Bearbeitung unterliegt. Wir unterscheiden auf ihm zwei Ha u p t g r u p pe n von Normen, verschieden nach dem Gegen-

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stand, auf den sie sich beziehen. Die erste Gruppe ist die Gruppe der Arbei tsnormen. Sie betreffen das Arbeitsverhältnis im weitesten Sinn und regeln die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeiter. Die zweite Gruppe ist die Gruppe der Berufsnormen. Sie beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Arbeitgeber (bzw. Arbeitgeberorganisation) zu dem Arbeiterberufsverein oder seinen Mitgliedern. Sie regeln nicht Beziehungen des Arbeitsvertrags, sondern Beziehungen, die sich aus der Berufsgemeinschaft, d. h. der Tatsache, daß die Beteiligten demselben Berufe angehören, ergeben. Sie geben das neue Verhältnis wieder, das sich neben dem Arbeitsvertrag mit den Verbänden der Arbeiter angebahnt hat. AUgemein ist von den Normen zu sagen, daß sie positiv oder n e g a t i v , o r g an i s a t o r i s c h oder t r ans i t o r i s c h sein können, je nachdem sie einen dauernden Zustand herstellen oder nur Einzelakte vorschreiben, und daß ihre Geltung ab so 1u t oder a 1t er nativ bestimmt sein kann, je nachdem sie ihre Geltung von einer Wahl abhängig machen oder nicht. Solche alternativen Normen finden sich in einzelnen Gewerben, z. B. dem Schuhmacher- oder Schneidergewerbe, in denen fnr die verschiedenen Klassen von Geschäften auch verschiedene ,., Tarife" bzw. für verschiedene Qualitäten, die ein Geschäft herstellt, verschiedene ,., Lohnklassen" eingerichtet sind. Welche Norm dann gelten soll, hängt von der fraglichen Entscheidung ab; sie trifft in der Regel der Arbeitgeber, eventuell aber auch eine eigens hierzu bestellte Kommission.

I. Die .Ärbeitsnormen. Die Arbeitsnormen sind von verschiedener Art. Denn sie bestimmen entweder die Personen, mit denen Arbeitsverträge abgeschlossen bzw. nicht abgeschlossen werden dnrfen oder sie geben den Inhalt an, den die Arbeitsverträge haben sollen. Da die Arbeitsnormen der ersten Art ohne Rücksicht auf den besonderen Inhalt des Arbeitsvertrags gelten sollen, allgemeine Voraussetzungen des AbSinzheimer, Arbeitsnormenvertrag. I.

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Schlusses von Arbeitsverträgen enthalten, nennen wir sie a llge meine, die der zweiten Art aber besondere Arbeitsnorme n. Im folgenden stellen wir den Inhalt dieser beiden Arten von Arbeitsnormen dar. § 1. Die allgemeinen Arbeitsnormen.

Sie bestimmen die Personen, mit denen der Arbeitgeber Arbeitsverträge schließen darf, nach objektiven Merkmalen. Als solche Merkmale treffen wir an: Die· Be z u g s s t e 11 e, von der allein Arbeiter bezogen werden dürfen, die so z i a I e und die berufliche Qua 1i t ä t der Arbeiter. Auf die Bezugs s t e 11 e bezieht sich z. B. die Bestimmung, daß "sämtliche tariftreue Meister ihre Gesellen vom paritätischen Arbeitsnachweise zu beziehen hätten" 3 , eine Bestimmung, die oft auch in der Weise ausgesprochen wird, daß sich der Unternehmer verpflichtet, den paritätischen oder einen anderen Arbeitsnachweis, etwa den der Gehilfen, "anzuerkennen" 4 • Eine bestimmte so z i a 1e Qua 1i t ä t als Voraussetzung für die Anstellung enthalten vor allem diejenigen Normen, die nur organisierte bzw. "tariftreue" Arbeiter in den Arbeitsverkehr einlassen. Beispiele dafür bieten insbesondere die Verträge des graphischen Gewerbes, die bekanntlich in der Vertragsentwicklung am vorgeschrittenstell sind. So in erster Linie jetzt der § 4 a des Separatvertrages, betreffend die Tarifgemeinschaft der Deutschen Buchdrucker 5 , wo es heißt: "Der Tarifvertrag verpflichtet die Mitglieder des ,Deutschen Buchdruckervereins', nur solche Gehilfen ein3 Einigung im Bäckereigewerbe zu Berlin, R. A. BI. li, S. 330. • Z. B. Tarifvertrag zwischen der Direktion der Bergbrauerei München einerseits und dem :Münchener Zweigverein des Zentralverbandes deutscher Brauereiarbeiter andererseits (1903), § 13, vgl. Tarifwerk III S. 171, 17:3. 5 Abgedruckt in Tarifwerk I, S. 37 ff., insbesondere S. 38.

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zustellen, die dem ,Verbande der Deutsehen Buchdrucker' angehören 6 ." Für andere Branchen mag der Tarif für das Feingoldschlägergewerbe in Nürnberg vom 15. April 1905 ein Beispiel bieten (§ 18): "In allen tariftreuen Betrieben dürfen nur organisierte Arbeiter und Arbeiterinnen in Beschäftigung genommen werden. Arbeiter und Arbeiterinnen anderer Berufe dürfen nicht eingestellt werden, doch ist eine Ausnahme bei gelernten Silberbeschneiderinnen zulässig." Manchmal heißt es allgemein: "Die Arbeitgeber sind verpflichtet, nur t a r ift reue Arbeiter zu beschäftigen 7." Bei den Normen, die sich auf die berufliche Qua I i t_ä t der anzustellenden Arbeiter beziehen, sind die wichtigsten die sog. "Lehrlingsskalen", die ein Verhältnis zwischen ausgelernten Arbeitern und Lehrlingen ansetzen, die also vorschreiben, wann der Arbeitgeber Lehrlingsverträge abschließen darf und wann nicht. Am bekanntesten ist die Lehrlingsskala des Deutschen Buchdruckertarifs 8 die genau angibt, wieviel Setzer- und wieviel Drucker-' lehrlinge auf eine bestimmte Anzahl von Gehilfen gehalten werden dürfen (§ 40). Eine einfachere Lehrlingsskala bildet z. B. der schon genannte Schlägertarif, wo es heißt (§ 16): "Die Anzahl der auszubildenden Lehrlinge ist so zu bemessen , daß die Einstellung eines Lehrlings nur dann zulässig ist, wenn in einer Werkstätte kein weiterer Lehrling beschäftigt wird, oder wenn der vorhandene Lehrling im laufenden Geschäftsjahr ausgelernt hat." 6 S. auch Tarif für Deutschlands Chemigraphen und Kupferdrucker, gültig ab 1. Januar 1904, in den "Weiteren Beschlüssen und Resolutionen" sub. 1, vgl. Tarifwerk III, S. 241, wo aber der Abdruck jener Beschlüsse und Resolutionen fehlt. 7 Imle, Dokumente, S. 401. 8 Abgedruckt im Tarifwerk III, S. 391 ff., insbesondere S. 404·

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Auf berufliche Qualitäten beziehen sich auch diejenigen Normen, die das Verhältnis von gelernten und ungelernten, von Hauptarbeitern und Hilfsarbeitern bestimmen. Da heißt es z. B. : "Ungelernte werden nicht mehr beschäftigt 9 ." Und weniger schroff: "Die Besitzer versprechen, keinen ungelernten Arbeiter für einen gelernten Arbeiter einzustellen 10." In einem Brauereitarif ist bestimmt: "An Stelle gelernter Arbeitnehmer (Brauer) können in Brauereien mit einer Jahresproduktion bis zu 50 000 hl bis zu 20 °/o, in Brauereien mit einer Jahresproduktion über 50 000 hl bis zu 15 °/o ungelernte Hilfsarbeiter mit einem Lohn von ..... beschäftigt werden." In. einem Tarifvertrag für das Braugewerbe in Kassel (von 1900) heißt es besonders mit Rücksicht auf die Hilfsarbeiter (sub. 4): "Die Verwendung von Hilfsarbeitern bleibt den Brauereien im bisherigen Umfange und bisheriger Übung vorbehalten. An Stelle gelernter Brauer und Küfer sollen aber Hilfsarbeiter in keinem höheren Prozentsatz eingestellt und beschäftigt werden, als dies bisher geschehen ist." Bekannt ist schließlich die Bestimmung im Buchdruckertarif, die auch hierher gehört (§ 34 a): "An der Setzmaschine sind nur ordnungsmäßig als Handsetzer ausgelernte Gehilfen . . . . . zu heschäftigen" und (ebenda sub. b): "Die für den Maschinensatz anzulernenden Gehilfen sind möglichst dem eigenen Personale zu entnehmen."

§ 2. Die besonderen Arbeitsnormen. Ihr Inhalt ergiebt sich aus den beiden Grundbeziehungen des modernen Arbeitsverhältnisses, die wir in der Einleitung 9 Malertarif in Heidelberg sub. 7, gültig bis 1. April 1906, vgl. Tarifwerk lll, S. 66/67. 10 Wie Anm. 4.

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das Individual- und das Solidarverhältnis genannt haben. Wie nennen sie danach, jenachdem sie Individual- oder Solidarbeziehungen des Arbeitsverhältnisses betreffen, Ind i v i du a I- oder S o I i dar n o r m e n. A. Die Individualnormen.

Ihr Inhalt ist so vielgestaltig, wie das ihnen zugrunde liegende Verhältnis. Dieses besteht, wie wir in der Einleitung ausgeführt haben, aus den drei Beziehungen, die dort als das Austauschverhältnis, das Über- und Unterordnungsverhältnis und das Verhältnis der persönlichen Fürsorge bezeichnet worden sind. Wir nennen die Normen, die diese Beziehungen betreffen: Tarifnormen, Direktionsund Fürsorgenorme n. Daneben finden wir Normen, die den Bestand des Verhältnisses überhaupt betreffen, wie Kündigung usw., sowie es durch Nebenabreden ergänzen, Bestand s- und Erg ä n z u n g s n o r m e n. Das Nähere ergiebt sich aus der folgenden Betrachtung des Inhalts dieser fünf Normenklassen. 1. Tarifnorme n. Sie beziehen sich auf das durch den Arbeitsvertrag begründete Austauschverhältnis von Arbeit und Entgelt. Es sind die Normen des eigentlichen "Tarifs", indem sie für diese Leistungen den "Tarif" aufstellen. Die Normen betreffen im einzelnen den Lohn, die Arbeit und beider Leistungen Verhältnis zueinander. a) Der Lohn. Den Inhalt der auf den Lohn bezüglichen Bestimmungen hat bereits Lotmar 11 übersichtlich klassifiziert. Sie beziehen sich auf seinen Betrag, seine F o r m und sein 0 b j e k t, sowie auf 0 r t und Z e i t seiner Zahlung. Wir können auch hinsichtlich der Beispiele, die in den einzelnen Klassen anzuführen wären, auf das von Lotmar angeführte Material im allgemeinen verweisen. Nur einige besondere Normierungen seien hervorgehoben. So wird oft der Betrag der Löhne nicht fixiert, sondern überhaupt nur eine Vereinbarung bzw. eine bestimmte Form der u

T. V. S. 14 ff.

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Vereinbarung über den Lohn vorgeschrieben. Solche Bestimmungen sind z. B. : "Der Preis muß, bevor die Arbeit begonnen wird, mit dem Former vereinbart werden 12." "Es soll in Zukunft jedem Arbeiter bei Inangriffnahme einer Arbeit von seiten der Meister oder der Vorarbeiter mit Bestimmtheit erklärt werden, wieviel er für die betreffende Arbeit im Stundenlohn, Akkordlohn, oder im sog. Stundenakkordlohn erhält 18." "Akkordarbeit soll zwischen Arbeitgeber und Arbeiter vermieden werden, jedoch, wenn Akkordarbeit vorkommt, so soll ein schriftlicher Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeiter hergestellt werden" (Maurertarif). Hinsichtlich der Form des Lohnes sind am wichtigsten die sog. Akkordtarife, die den sog. Akkordvertrag in allen seinen Teilen - also nicht nur hinsichtlich der Lohnbestimmung und Lohnberechnung, sondern auch hinsichtlich des Verzugs, der Arbeitsunterbrechung usw.- regeln. Um eine Anschauung von dem Reichtum dieser Bestimmungen zu gewinnen, genügt nicht die Anführung einzelner Bestimmungen, es ist vielmehr erforderlich, den ganzen Akkordtarif vor sich zu sehen. Wir verweisen deswegen auf den vollen Inhalt solcher Akkordtarife, wie solche in dem Tarifwerk (111) enthalten sind. Hier sei nur darauf aufmerksam gemacht, daß die Normen, die die Form des Lohnes betreffen, oft negativ lauten, z. B.: "Arbeiten dürfen unter keinen Umständen in Akkord vergeben werden." "Akkordarbeit ist verboten." usw. Das 0 bj e k t des Lohnes betreffen u. a. folgende Normen: "Kost und Logis beim Meister findet nicht mehr statt 14." Schulte, S. 111. Vereinbarung der Stemmer der Kesselschmiede einer Dampfmaschinenbau-Anstalt zu Chemnitz vor dem G. G. Chemnitz, R.A.Bl. I, S. 673. t4 lmle, Dokumente, S. 445. 12

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"Die Schlafstellen werden vollständig aufgehoben, ebenso keinerlei Weihnachtsgeschenke mehr gewährt 111 ." Zu erwähnen wären noch diejenigen Bestimmungen, die eine Pub 1i z i t ä t der Lohnbestimmung verlangen, z. B. : "Die Fabrikanten sind verpflichtet, jedem Arbeiter einen Lieferzettel oder ein Arbeitsbuch zu behändigen 16 ." "Die Liste (Akkord) liegt Mittwochs und Samstags von 11-12 Uhr mittags bei dem betr. Meister behufs Kontrolle der übernommenen Akkorde zur Einsicht der Arbeiter auf 17 ." b) Die Arbeit. Die Normen, die hier in Betracht kommen, betreffen hauptsächlich die Ausführung der Arbeit , die A r b e i t s z e i t , die Arbe i t s ab n a h m e und die A r bei t s f o r m. Normen, die die Arbeitsaus fü h ru n g regeln, sind z.B. "Die Gese11en sind verpflichtet, bei den im Tarif festgelegten Preisen folgende Arbeiten zu verrichten: a) das Holz zuzuschneiden, b) das ihnen übergebene Holz nach und von der Maschine wie bisher zu bringen und für ordnungsmäßige Bearbeitung desselben auf der Maschine Sorge zu tragen; eine Entschädigung wird hierfür nicht gezahlt 18 " usw. "Sämtliches Material, welches zum Ofen gehört, ist dem Setzer an Ort und Stelle zu liefern, und zwar der Lehm fertig zubereitetl 9 ." Tarifvertrag für das Braugewerbe in Hof vom 22. Mai 00. Über Organisation der Arbeit im Bezirk des König!. Gewerbegerichts Solingen, S. 5. 17 Tarifvertrag zwischen der Direktion der vereinigten Maschinenfabriken Augsburg- Nürnberg und den im Nürnberger Werk beschäftigten Arbeitern, vertreten durch den Arbeiterausschuß, R.A.Bl. III, S. 780, § 4 a. 18 Tarif über normale Bautischlerarbeiten für Werkstätten mit Handbetrieb für Berlin, R.A.Bl. III, S. 708 ff., insb. S. 710 sub. 2. 19 Lohntarif der Töpfer Hannover-Lindens, gültig vom 1. April 1903 ab. 111

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"Nur besonders geeignete, nicht komplizierte Warenqualitäten, die stets mit gutem Material hergestellt werden müssen, dürfen auf den Doppelstuhl gelegt werden", und "Die Verwendung von Webstühlen von mehr als 85 Touren pro Minute ist nur in seltenen Ausnahmefällen gestattet 20 ." "Pfuschen und Blaumachen ist strengstens untersagt 21 ." Einzelne Punkte der Arbeitszeit regeln - abgesehen von den einfachen Zeitbestimmungen, deren wörtliche Wiedergabe keinen Zweck hat - beispielsweise folgende Normen: "Die Mittagspause soll zwischen dem betr. Prinzipal und seinen Gehilfen vereinbart werden. Als Willensäußerung der Gehilfen gilt die Ansicht der Majorität" (Deutscher Buchbindertarif). Was hier auffällt, ist die Bestimmung der Zeit durch Bestimmung eines dritten Faktors (§ 317 ff. B.G.B.), wie es z. B. auch in folgender Fassung vorkommt: "Die Einteilung (der Arbeitszeit) bleibt der Vereinbarung zwischen Direktion und Arbeiterausschuß überJassen 22 ." Öfters findet sich auch folgende Bestimmung : "Von den in der Werkstätte beschäftigten Personen darf keine Arbeit nach Feierabend angefertigt werden 23." Besondere Beachtung schenken die Verträge der Pflicht zur Überstundenarbeit und der Ur 1a u b s g e w ä hr u n g. Wenn Übers tunden a r b e i t nicht ganz verboten wird, so wird doch stets ein besonderes Entgelt dafür angesetzt, meist in Form von Zuschlägen zn dem gewöhnlichen Lohn ausgedrückt, oder aber die Voraussetzungen angeführt, von denen es abhängt, ob überhaupt Überstunden gefordert werden können. Dies letztere geschieht allerdings oft nicht in präziser Form, z. B. : 20 21 22 28

Einigung im Aachener Textilgewerbe, Soz. Prax. XV, S. 756. Imle, Dokumente, S. 265. Vgl. den Vertrag (§ 1) in Anm. 17. Tarifvertrag der Täschner 1905, R.A.Bl. III, 895/896 sub. 7.

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"Regelmäßige Überstunden sind tunliehst zu vermeiden; wenn solche nicht zu umgehen sind, ist das Personal unter Beobachtung der gesetzlichen Bestimmungen verpflichtet, Überstunden zu leisten 24 ." Den Ur I a u b regeI t z. B. folgende Norm : "Der Urlaub von 7 Tagen wird jedem in der Brauerei beschäftigten Arbeiter gewährt, welcher im zweiten Jahr in derselben beschäftigt ist. Die Anstellungszeit ist mit eingerechnet 26." Die Ar b e i t s a b n a h m e regeln Bestimmungen mit folgendem Inhalt: "Bei Fertigstellung einer in Akkord ausgeführten Anlage ist die Firma verpflichtet, einen Ingenieur oder Stellvertreter zu beauftragen, dieselbe abzunehmen 26." "Die Kleiderfabriken verpflichten sich, an Lieferungstagen ihre Vorkehrungen - von Ausnahmefällen abgesehen- so zu treffen, daß die Arbeitsabnahme und -Ausgabe nicht mehr wie 2 Stunden beansprucht 27." Bestimmungen über die Arbeitsform erscheinen meist in negativer Fassung, z. B.: "Bis 16. März 1902 muß Heimarbeit beseitigt und den sanitären Verhältnissen entsprechende Werkstellen errichtet sein 28 ." "Das Zwischenmeistersystem in und außerhalb des Betriebes ist nicht zulässig 29 ." c) Das Verhältnis von Lohn zur Arbeit. Diese Verbindung äußert sich in den Wirkungen, die bestimmte Tatsachen im Bereich der einen Leistung im Beu Lohntarif für Buchbinderarbeiten in Leipzig, gültig bis 31. August 1903, vgl. Tarifwerk III, S. 232, 234. lil5 V gl. den Vertrag (§ 7) in Anm. 4. 116 Tarif für das Rohrlegergewerbe von Berlin und Umgegend, § 16, R.A.Bl. 111, 893. 2 7 Lohntarif im Münchener Konfektionsgewerbe 1906. 2 8 Imle, Dokumente, S. 445. 29 Tarifvertrag zwischen A:.:_beitgebern und Arbeitnehmern der Militäreffekten-Werkstätten in Berlin, B. I, R.A.Bl. III, S. 66.

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reiche der anderen Leistung haben. Es ist die Wirkung des Synallagmas, in dem die beiden Leistungen zueinander stehen. Hierher gehören insbesondere die Wirkungen des Vorhandenseins von Mängeln der Arbeit, der U n m ö g I ich k e i t d e r A r b e i t s l e ist u n g , des Arbeiterund A r b e i t g e b e r v e r z u g s. Bei den Normen über die Mängelhaftung ist besonders zu beachten, daß sie nicht nur die Wirkungen mangelhafter Arbeit aussprechen, sondern auch oft die Feststellung der Mängel regeln. Folgende Bestimmungen finden wir u. a.: "Der Guß, welcher nachweislich ohne Verschulden des Formers zu Ausschuß wird, soll bezahlt werden. Im Streitfalle sollen beteiligte Former gutachtlich gehört werden 80." "Etwaige Mängel werden von einer hierzu gewählten gemeinschaftlichen Kommission unter Hinzuziehung beider Teile festgestellt. Der Meister ist berechtigt, den Lohn des betr. Stückes so lange einzubehalten 81." Eine Regelung hinsichtlich der U n möglichkeit der Arbeitsleistung bietet folgende Norm: "In jedem Fall wird nur die wirklich geleistete Arbeitszeit bezahlt und kann insbesondere der Arbeitnehmer keinen Lohn beanspruchen für die Zeit, in welcher die Arbeit durch Frost 1 Regen, Mangel an Material, Störung im Betriebe des für den Materialtransport event. verwendeten Fahrstuhles, auf polizeiliche Anordnung oder durch partiellen Streik der auf dem Bau beschäftigten Mitarbeiter hin unterbrochen wird; durch eine derartige Unterbrechung wird das Vertragsverhältnis nicht aufgehoben, unbeschadet der Rechte, die sich aus § 6 (Kündigung) ergeben 32." Schulte S. 84. Lohntarif für Ofensetzer im Töpfergewerbe zu Frankfurt a. 0., gültig bis 1. Mai 1905. 82 Tarifvertrag, enthaltend die Arbeitsbedingungen für das Maurer80

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Hierher gehören auch die besonderen Ausführungen des § 616 B.G.B., wie z. B. diese: "Ebensowenig findet eine Lohnzahlung für solche Zeiten statt, in denen der Arbeiter durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Arbeit verhindert worden ist, auch wenn die Versäumnis entschuldbar und von nicht erheblicher Dauer ist 83 ." Andere Verträge enthalten keinen Ausschluß, sondern eine Anerkennung des § 616, der dann besonders inhaltlich ausgestaltet wird. Näheres über die Ausführung des § 616 in den Verträgen s. im Tarifwerk II, S. 258/59. Von besonderem Interesse ist eine Norm, die den Arbeiterverzug zum Gegenstande hat: "Ohne begründete Entschuldigung versäumte Arbeitsstunden berechtigen den Prinzipal, ein Nachholen derselben durch Extrastunden ohne Extraentschädigung zu verlangen. Ein freiwilliges Nachholen versäumter Arbeitszeit ist den Gehilfen nicht gestattet 84." Eine besondere Regelung des Arbeitgeberverzugs ist in folgenden Normen enthalten: "Muß der Gese11e auf Arbeit warten, so ist die Wartezeit vom Meister zu vergüten, sobald sich die Wartezeit über 1 /2 Stunde ausdehnt, und zwar per Stunde mit 40 Pfg. vom Anfang der Wartezeit 35." "Erfolgt von seiten der Firma keine Abnahme zu dem mit den Rohrlegern vereinbarten Fertigstellungstermin, so ist für sämtliche sich später daraus ergebenden Weiterungen der Rohrleger bzw. Gehilfe nicht haftbar zu machen 86." 2. Die Direktionsnormen. Normen, die das absolute Recht des Arbeitgebers regeln, die Arbeitsausführung und Zimmergewerbe von Brlin und den Vororten, gültig bis 31. März 1907, § 3 Abs. 2, vgl. Tarifwerk Ill, S. 1, 2. as S. Anm. 32. a• Wie Anm. 24. 81 Minimallohntarif der Schuhmacher Kiels und Umgegend, gültig bis 1904. as V gl. Anm. 26.

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und das Verhalten der Arbeiter im Betrieb zu bestimmen, finden sich in einigen Verträgen vor. Zunächst ist bestimmt, wer überhaupt berechtigt ist, das Direktionsrecht auszuüben, z. B. in folgender Norm: "Der Einsetzer hat sich den Anordnungen der vom Arbeitgeber gestellten Vorarbeiter im Bau zu fügen 87." Auch darüber ist Bestimmung getroffen, ob die Entscheidung eines Direktionsberechtigten end g ü 1t i g ist; so wird in einem Vertrag eine Berufungskommission gegen Strafen, die von Angestellten zu wählen und von der Direktion zu bestätigen ist, eingesetzt 88 • Was die Anordnung der zu leistenden Arbeit anlangt, so könnte man alle diejenigen Normen hierher rechnen, welche die Ausführung der Arbeit regeln (s. sub. A 1 b), denn sie alle normieren das in dieser Richtung sich bewegende Direktionsrecht. Jedenfalls sind alle jene Bestimmungen auch unter diesem Gesichtspunkt zu würdigen. Nähere Aufzählung erübrigt sich daher. Zu nennen wäre hier nur als eine charakteristische Bestimmung die Anordnung, wonach der Unternehmer sich verpflichtet, keine Streikarbeit verrichten zu lassen. Zahlreicher sind die Normen, die sich auf das Verh a 1t e n d e s A r b e i t e r s i m B e t ri e b e beziehen , sei es, daß sie ausdrücklich Pflichten des Arbeiters normieren oder nur Grenzen für die Rechte des Arbeitgebers ziehen. Wir nennen hier folgende Vorschriften: "Es verpflichten sich die Arbeitnehmer, keine Maßregelungen vorzunehmen an Leuten, welche nicht zur Organisation gehören." "Die Gehilfen werden in Zukunft mit "Sie" angeredet 89." 81 Minimaltarif über einzusetzende Tischlerarbeiten für Berlin und Umgegend, § 4, R.A.Bl. III, 526, 527. 88 Imle, Dokumente, S. 507. s9 Imle a. a. 0. S. 557.

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"Im Interesse der Gehilfen sowohl, als wie der Meister ist der Wirtshausbesuch zur Brotzeit und Frühstückspause untersagt 40 ." "Dem Arbeitgeber steht das Recht zu, das Rauchen auf der Baustelle zu untersagen, insbesondere wird das Rauchverbot auf die Poliere ausgedehnt 41 ." Einen besonderen Ausdruck findet diese Normierung in der konkreten Ausgestaltung bestimmter Blankettgesetze, z. B. des § 629 B.G.B., die sonst einseitig durch den Arbeitgeber kraft Direktionsrecht geschieht. Dafür ein Beispiel : "Jedem Gehilfen muß nach vorher erfolgter mindestens halbtägiger Meldung gestattet sein, während der Kündigungszeit täglich bis eine Stunde nach anderweitiger Kondition zu gehen, bei den im Stundenlohn stehenden Gehilfen jedoch nur gegen entsprechenden Abzug u." 3. Fürsorgenormen. Die Fürsorge nimmt in den Verträgen einen weiten Raum ein. Wenn wir trotzdem hier nur eine kleine Anzahl von Normen aufstellen, so liegt dies daran, daß Fürsorgenormen, die nur Bedeutung für den einzelnen Arbeiter haben, selten sind, die Regel vielmehr Normen bilden, die eine Mehrheit von Arbeitern voraussetzen. In dieser Bedeutung kommen diese Normen bei den sog. Solidarnormen zur Darstellung. Doch seien, um Individualnormen der Fürsorge zu charakterisieren, zwei Beispiele angegeben: "Die Gesellen (Dachdecker) erhalten von den Arbeitgebern Sicherheitsleine nebst Gurt beim Arbeitsantritt ausgehändigt." "Säurearbeiterinnen wird leichte, bequeme und dauerhafte Schutzkleidung zur Verfügung gestellt 48 ." Imle a. a. 0. S. 265. Arbeitsbedingungen für das Maurer- und Zimmergewerbe im Stadtkreis Breslau, gültig bis 1906, E. 3, vgl. Tarifwerk III, S. 31/32. 42 Wie Anm. 24. 48 M. von Schulz, Hygienische Vorschriften in Berliner Tarifverträgen, S. 206, 207, Anm. 31. 40

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4. Bestandsnormen. Zu ihnen sind die Bestimmungen zu rechnen, die sich auf die Dauer des einzelnen IndividualverhältnisRes beziehen, insbesondere die Kündigung regeln. Die gewöhnlichen Bestimmungen sind diejenigen, die die Kündigungsfrist zeitlich regeln oder aber den Zeitpunkt der zulässigen Entlassung angeben, wie z. B. diese: "Entlassungen dürfen nur Sonnabends vorgenommen werden", oder: "Die Aufkündigung kann nur an regelmäßigen Zahlungstagen geschehen." Am bemerkenswertesten sind diejenigen Bestimmungen, die die Freiheit des Kündigungsrechts beschränken. Es geschieht dies entweder materie1l, indem die Voraussetzungen, unter denen allein das Recht der Kündigung ausgeübt werden darf, ausgesprochen, bzw. bestimmte Gründe, die zur Kündigung führen können, als Grund rechtmäßiger Kündigung nicht zugelassen werden, oder formell, indem die Kündigung abhängig gemacht wird von der Zustimmung eines Dritten. Zu den Normen der ersteren Art, die materiell das Kündigungsrecht beschränken, gehören z. B. folgende Bestimmungen: "Entlassungen wegen Mangels an Arbeit sollen in der Regel erst dann stattfinden, wenn die Arbeitszeit bereits auf 7 Stunden täglich verkürzt ist u." "Entlassungen der Kutscher wegen Arbeitsmangel dürfen im Winter nicht stattfinden 45 ." "Bis zur endgültigen Entscheidung durch die Kommission resp. durch die Schiedsgerichte dürfen . . . . . . Aussperrungen ( d. h. Massenkündigungen) unter keiner Bedingung verhängt werden 46 ." " Vertrag über Lohn- und Arbeitsbedingungen in der Kofferbranche in Berlin, sub. 8, R.A.Bl. III, S. 894, 895. '& Imle a. a. 0. S. 505. ' 6 Tarifvertrag des Da('h-, Schiefer- und Ziegeldeckerhandwerks in Berlin, § 11 Abs. 2, R.A.Bl. I, S. 216, 217.

47 "Am 1. Mai darf niemand zur Arbeit gezwungen und wegen dessen Feier gemaßregelt werden 47 ." "Maßregelungen wegen Durchführung des Lohntarifs dürfen nicht stattfinden 48 ." Zu den Bestimmungen der letzteren Art, die das Kündigungsrecht forme 11 beschränken, gehören Normen wie: "Die Entlassung von Kommissionsmitgliedern soll nur mit Wissen der Fabrikleitung erfolgen können 49." "Im Wiederholungsfalle (wenn der Geselle für eigene Rechnung Arbeit ausführt) hat der Gesellenausschuß zu beschließen, ob der Meister ihn zu entlassen hat 60." "Geistig und körperlich schwache Personen können mit Zustimmung des Arbeiterausschusses des jeweiligen Geschäfts nach Übereinkunft entlassen werden 61." 4 1 Lohn- und Arbeitstarif für das :Maurer- und Zimmergewerbe zu Magdeburg, gültig bis 1905. 4 8 Tarifvertrag der Nadler, Spinner, Drahtweber, Hilfsarbeiter und Arbeitsburschen von Berlin und Umgegend, § 18, vgl. Tarifwerk III, S. 152, 154. - Über den Begriff der "Maß rege I u n g", der in den Tarifverträgen eine so große Rolle spielt, spricht sich das Berliner Einigungsamt, wie folgt, aus (vgl. G.K.G. XII, 8. 11): "Nachdem in verschiedenen Schlichtungskommissions-Sitzungen über die Frage: ,Was hat als Maßregelung im Sinne des bestehenden Tarifvertrags zu gelten?' eine Einigung nicht erzielt worden ist, hat das Einigungsamt auf Grund der heutigen Verhandlungen der Parteien, in der einzelne Vorkommnisse angeführt und als Maßregelungen bezeichnet worden sind, festgestellt, daß unter a n der e m folgendes als Maßregelung der Arbeiter zu gelten hat: 1. Wenn ein Arbeiter wegen seiner Zugehörigkeit zur Organisation entlassen wird. 2. Wenn ein Arbeiter wegen Eintretens für Verbesserung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse entlassen wird. 3. Wenn ein Arbeiter wegen seiner Tätigkeit bei der Schlichtungskommission oder beim W erkstattausschu!.~ entlassen wird. 4. Wenn ein Arbeiter wegen Vorbringung einer Forderung zur strikten Einhaltung der Vertragsbedingungen entlassen wird." S. auch R.A.Bl. V, S. 73 sub. 4 I u. S. 74 snb. 5 unten u. S. 75 oben. 49 Schulte S. 111. " 0 lmle a. a. 0. S. 263. " 1 Minimaltarif für Buchbinderarbeiten von 1897.

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5. Ergänzungsnorme n. Wir stellen einige solcher Normen, die Nebenabreden des Arbeitsvertrags betreffen, zusammen: "Das eigene Werkzeug der Arbeiter wird gegen Feuersgefahr vom Arbeitgeber versichert. Ein Abzug ftir Betriebskraft findet nicht statt 62 ." "Für gestohlene Güter haftet der Arbeitgeber, ausgenommen in solchen Fällen, wo den Kutschern ein Begleiter zwecks Beaufsichtigung der Güter mitgegeben wird 68 ." "Gesellen dürfen nur mit Erlaubnis Arbeit auf eigene Rechnung ausführen und müssen für solche Arbeiten per Stunde dem Meister 10 Pfg. Meistergeld zahlen 64 ." "Pfuscharbeit darf von Gese11en nicht unter dem üblichen Innungspreis hergestellt werden 65." "Jedem Arbeitnehmer ist es gestattet, nach eigener Wahl einer Krankenkasse oder einer Organisation beizutreten. Zwang zum Beitritt oder zu Zahlungen zu einer solchen sind unstatthaft. Freiheit für Andersgesinnte. 56 ." B. Die Solidarnormen.

In der Einführnng ist hervorgehoben, daß die Gemeinschaft der Arbeit, auf der das Solidarverhältnis beruht, eine sachliche oder persönliche Grundlage haben kann ; eine sachliche, wenn das Arbeitsmittel einschließlich des Arbeitsraumes oder des Arbeitsgegenstandes gemeinsam sind, eine persönliche, wenn eine Mehrheit von Arbeitern in dem Betrieb zusammengeiaßt ist und diese Mehrheit in ihrer Arbeit oder in ihrem Verhalten aufeinander angewiesen ist. Je 62 Tarifvertrag zwischen der Vereinigung der Holztreppen- und Treppengeländer-Fabrikanten Berlins und Vororte und dem Deutschen Holzarbeiterverbande, sub. 7, R.A.Bl. IV, S. 159. &a Imle a. a. 0. S. 509 (oben). 6' Imle a. a. 0. S. 321. M lmle a. a. 0. S. 267. ll& "Arbeitsordnung" für das Maurergewerbe im Stadtkreis Breslau, gültig bis 1901.

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nachdem sich die Norm auf die eine oder die andere Form der Gemeinschaft bezieht, sprechen wir von Betriebsoder 0 r g an i s a t i o n s normen. 1. Betriebsnormen. Ihr Gegenstand ist meistens Fürsorge für die Arbeiter durch Anordnung einer bestimmten sachlichen Betriebsgestaltung. In dieser Richtung beziehen sie sich entweder auf den gemeinschaftlichen Arbeits- bzw. Aufenthaltsraum oder auf gemeinsame Schutz- und Arbeitsmittel. Wir führen beispielsweise folgende Normen an: Allgemein ist die Bestimmung, daß "der Arbeitgeber für gesunde und ordnungsmäßige Arbeitsräume Sorge zu tragen hahe." Speziellere Bestimmungen sind diese: "Baubuden und Aborte sind den polizeilichen Bestimmungen gemäß herzustellen 57." "Wasch-, Bade- und Trockenräume sollen, soweit solche nicht schon vorhanden sind, tunliehst eingerichtet werden 58 ." "Für richtig gehende Uhren im Betrieb wird gesorgt 59." "Für die im Geschäft arbeitenden Leute ist Badeeinrichtung zu beschaffen, wo nicht angängig, sind Badekarten zum Volksbade zu verabreichen 60." "Der Arbeitgeber hat auf Neubauten und bei größeren Privatarbeiten für verschließbare Räume zum Aufbewahren der Kleidungsstücke des Arbeitnehmers zu sorgen; bei kleineren Privatarbeiten, soweit es in seiner Macht liegt. Ebenso ist dafür Sorge zu tragen , daß auf den Arbeitsstellen stets Seife und reine Gefäße zum Waschen vorhanrlen sind. Diese Waschgefäße sind als solche kenntlich zu machen 61 ." 57 "Arbeitsvertrag" zur Regelung der Lohnverhältnisse im Maurer- und Zimmergewerbe in Eberswalde, sub. 7, gültig bis 1902. 58 Tarif der Brauereiarbeiter von Barmen, Etherfeld und Umgegend, gültig bis 1906. 59 lmle a a. 0. S. 563. 6° Lohntarif für die Brauer in Gotha, 1903. 61 Lohn- uud Arbeitstarif für das Maler- und Anstreichergewerbe Si nz heim er, Arbeitsnormenvertr&g. I. 4

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"Die Bleigesenke werden bis zum 1. September 1903 abgeschafft, dafür werden Zinngesenke eingeführt 62 ." "Das Hochbefördern der Balken- oder Dachhölzer hat von inkl. der zweiten Etage ab möglichst vermittels Aufzugsvorrichtung zu geschehen 63." "In den Werkstätten und Lagern ist für gutes Leitermaterial zu sorgen und nach Möglichkeit das aufrechte Hinstellen der Roh- und Ornamentglastafeln, der damit verbundenen Lebensgefahr halber, zu vermeiden 64 ." "Die Betriebseinrichtungen sind so zu treffen, daß in der Regel des Abends pünktlich zu der in der Arbeitsordnung angegebenen Stunde Feierabend ist 65." 2. 0 r g an i s a t i o n s normen. Die Organisation der Arbeiterschaft, an der unter Umständen jedes Glied dieser Arbeiterschaft interessiert ist, wird nach den vorliegenden Normen im wesentlichen berührt durch Vorschriften, die eine bestimmte Zusammensetzung der Arbeitenden, die Verteilung der Arbeit unter ihnen und die Arbeitsverfassung, d. i. das Verhältnis der Über- und Unterordnung, der Mitwirkung der Arbeiter an Verwaltungsaufgaben des Betriebs, die Art und Stellung der Beamten usw. festsetzen. Folgende Normen seien angeführt: "Auf Werkstätten mit über 10 Arbeitern wird ein Maschinennäher angestellt 66 ." "Zum Transport der Gläser, ebenso bei nacharbeiten, sind stets zwei Mann zu verwenden 67 ." der Stadt Berlin, deren Vororte und Umgebung, § 8, R.A.Bl. IV,

s. 362.

6 2 Aus einem einseitig aufgestellten Tarifentwurf der Feilenarbeiter in Berlin, R.A.Bl. I, S. 493, 494 sub. 11 oben. 63 Lohn- und Arbeitsbedingungen für das Zimmergewerbe zu Barmen, 1903. 64 Lohntarif für das Glasergewerbe Berlins und der Vororte, V, R.A.Bl. II, S. 631. Go Schulte, S. 110. 66 "Vereinbarung" im Schneidergewerbe zu Harnburg, sub. 9, R.A .Bl. II, S. 431/32. 61 Wie Anm. 64.

51 "Beim Verlegen von Granitplatten und gewöhnlichen Bordschwellen in Kies, sind Hilfsarbeiter nach Bedarf, außerdem bei untermauerten Schwellen ein Maurer, bei Zementplatten ein Hilfsarbeiter, bei 40 cm hohen Bordschwellen drei Hilfsarbeiter dem Steinsetzer beizugeben 68 ." "Zur Bedienung der Krane, zur Instandhaltung der Trockenkammern und zur Aufräumung der Gießerei sind genügende Hilfskräfte anzustellen 69 . " "Das an Phönix- und Viktoriapressen beschäftigte Personal besteht mindestens zur Hälfte aus gelernten Pressern, zur Hälfte aus Mädchen 70." "Jeder Geschäftsinhaber, welcher vollständig mitarbeitet, hat das Recht, einen Ausschläger im Wochenlohn zu halten. Gruppen dürfen 4 Personen nicht überschreiten, auch wenn der Meister mitarbeiten sollte 71 ." "Der für alle geförderte Kohle an der Schachtmündung erlangte Nettopreis soll von zwei gehörig beglaubigten und zum Stillschweigen verpfiichteten Rechnungsverständigen festgestellt werden, von denen der eine durch die Unternehmer, der andere durch die Arbeiter auf gemeinsame Kosten gewählt wird 72 ." "Auf jeder Brauerei wird ein Arbeitsausschuß eingesE:tzt." (Brauereitarif.) "Jeder Bahnhof hat einen Arbeiterausschuß, der 1/.t.-jährlich mit der Betriebsleitung konferiert 73 ." "Es wird eine Fabrikkommission eingesetzt, welche alle Angelegenheiten in bezug auf Änderung der Arbeitszeit und des Fabrikpersonals (mit Ausschi uß der VorTarifvertrag im Steinsetzergewerbe in Berlin, Ziff. 8, Anhang zum Tarif, R.A.Bl. li, S. 425, Anm. 4, S. 426. 69 Rcichelt, S. 116. 70 Wie Anm. 24, Tarifwerk III, S. 234 unter "Vet·schiedenes". 71 Tarif für das Feingoldschlägergewerbe in Nürnberg, § 6, Tarifwerk Ill, S. 142. 72 Vgl. die Durhamer Skala vom Jahre 1877 bei Auerbach m den Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 45, S. 213 u. 214. 73 Imle a. a. 0. S. 505. 4* 68

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arbeiter) zu regeln hat. Die Kommission wird alle Jahre neu gewählt u." "Das Budenrecht soll jeden Montag abgehalten werden, wenn auch im Tagelohn gearbeitet wird 71'." Es sei noch bemerkt, daß auch eine Anzahl der allgemeinen Arbeitsnormen hierher in diese Klasse von Normen gerechnet werden kann. Wenn z. B. eine allgemeine Arbeitsnorm bestimmt, daß nur organisierte Arbeiter, Lehrlinge nur in einer gewissen Zahl usw. beschäftigt werden dürfen, so können diese Bestimmungen, wenn sie tatsächlich die Mehrheitsinteressen an einer bestimmten Art der Zusammensetzung der Arbeiterschaft im Betrieb berühren , auch zugleich Solidarnormen sein.

II. Die Berufsnormen. DieseNormen haben eine doppelte Richtung: Sie beziehen sich entweder auf di"e Vereine - Arbeiter- oder Arbeitgeberberufsvereine - als solche, oder auf die einzelnen Mitglieder derselben. Im ersten Fall sprechen wir von so z i a 1e n, im zweiten Fall von in d i v i du e 11 e n Berufsnormen.

§ 1. Die so z i a 1e n Berufsnorme n. Die hier in Betracht kommenden Normen lassen sich ihrer Mannigfaltigkeit wegen schwer in bestimmte Klassen einreihen. Man kann nur ihren Inhalt im allgemeinen angeben und man muß abwarten, bis die gerade auf diesem Gebiet in beständigem Fluß befindlichen Vorschriften einen festen Bestand gewonnen haben. Folgende Angaben mögen genügen, wobei hinsichtlich der formellen Gestaltung der Normen hervorzuheben ist, daß sie den Verein bald als verpflichtet, bald als berechtigt ansprechen 76 • Wir finden: Imle a. a. 0. S. 473. Imle a. a. 0. S. 407, s. dort auch über den Begriff des Buden· rechts S. 409. 16 Die im Text mitgeteilten Vorschriften beweisen zugleich, daß die tatsächliche Gestaltung der Arbeitsnormenverträge d·em von Brentano für den zulässigen Inhalt wlcher Verträge aufgestellteu 7'

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53 a) Vorschriften, welche den Arbeiterberufsverein lediglich als Verkehrssubjekt zulassen und gewisse Formalien des Verkehrs regeln. Beispiele: "Die gewerblichen Organisationen der Arbeiter werden anerkannt 77." "Dem Deutschen Metallarbeiterverband, sowie dem Hirsch-Dunkerschen Gewerlrverein wird je ein Statut der Meistervereinigung und die Vereinbarung zur Durchführung der Tarifgemeinschaft ausgehändigt 78 ." b) Vorschriften, die in dem Verhältnis des Arbeitgebers (bzw. Arbeitgeberverbandes) zu dem Arbeiterberufsverein ein bestimmtes Verhalten in bezog auf die Anwendung von K11mpfmaßregeln festsetzen. Beispiele: "Während der Dauer dieses Vertrags dürfen von beiden Pa r t e i e n weder einzelne noch im gesamten mit einer Arbeitseinf:ltellung bedroht werden '19 ." (Unter "Parteien" sind die beiderseitigen Organisationen gemeint). Schema (vgl. dessen Schrift: Reaktion oder Reform? S. 47, 48) nicht entspricht. Dagegen schon mit Recht Lotmar, T . V., S. 11 ff. Es gibt keine Bestimmungen, die an sich ausschließlich Sache des Betriebsunternehmers sind. Daß heute tatRächlieh viele Funktionen des Unternehmers völlig unbeschränkt sind, ist eine historische, keine absolute Kategorie. Das Richtige trifft Hüglin S. 50 : "Ein allgemein gültiges Schema läßt sich für die Bedingungen des Tarifvertrags nicht aufstellen, denn zu seinem Inhalt kann alles gemacht werden, was nur eine Partei an Wünschen wirksam vorbringen mag, vorausgesetzt, daß es nicht gegen bestehende Gesetze ... verstößt" (s. dort auch S. 52). 71 Eine Bestimmung, die sich in vielen Tarifverträgen findet. Oft werden erbitterte Streiks nur um diese eine Bestimmung geführt. Was bedeutet sie? Lotmar gibt an, jene Anerkennung der Organisation bedeute ·;,die Zusicherung, die Teilnahme daran nicht zu hindern, ihretwegen nicht zu entlassen, und wohl auch gegebenenfalls mit tlen Leitern der Organisation zu verhandeln" (T. V. S. 25). Das W esentliche scheint mir die Zusicherung des Verkehrs mit der Organisation zu sein. 78 Tarifgemeinschaft der Aluminiumschläger für Mittel franken,§ 18· 79 Vereinbarung von Arbeitsbedingungen und Lohnsätzen zu

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"Bis zur endgültigen Entscheidung durch die Kommission resp. durch die Schiedsgerichte dürfen Bausperren . . . . . . unter keiner Bedingung verhängt werden 80." "Der Verband der Glacehandschuhmacher Deutschlands verpflichtet sich, solange oben angeführte Löhne bezahlt werden, die Handschuhfabrik von Reise & Cie. als für seine Mitglieder zugängig zu erklären und bei Bedarf von Gehilfen die Vermittlung zu übernehmen durch Aufnahme von Gehilfengesuchen im Verbandsorgan 81 ." "Wenn die Arbeitnehmer trotzdem die Arbeit niederlegen, so darf der Deutsche Metallarbeiterverband die Firma nicht durch seine Preßorgane sperren und den Arbeitnehmern, welche der obigen Vereinbarung durch Arbeitsniederlegung zuwidergehandelt haben, keine Unterstützung zahlen 82." ". . . . Bevor der Gauvorstand eine Vermittlung nicht versucht hat, dürfen Arbeitseinstellungen und Aussperrungen unter keinen Umständen erfolgen 83." "Nach der endgültigen Entscheidung (der Schlichtungskommission) sind Bausperren oder Aussperrungen nur zulässig, wenn der Entscheidung nicht Folge geleistet wird 84." "Bei Verfehlungen der Arbeitnehmer gegen diese Arbeitsbedingungen verpflichtet sich die Organisation Köln für das Zimmergewerbe, 1904. Die Bestimmung findet sich in vielen Verträgen. so Wie Anm. 46. s1 V creinbarung zwischen der Handschuhfabrik von G. H eise & Cie. in Duderstadt und dem Verband der Glacehandschuhmacher Deutschlands, sub. 2. s2 Zusatzbestimmung zu dem Tarifvertrag im Rohrlegergewerbe in Berlin vom 12. November 1902 (R.A.BI. I, S. 219 ff.), § 14, R.A.Bl. III, S. 66. ss Vereinbarung zwischen der Firma Boswan & Knauer, Berlin, und dem Zentralverband der Zimmerer Deutschlands, Zweigverein Lychen, § 7. s• Wie Anm. 32, § 9 Abs. 3 dieses Vertrags.

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derselben, den betreffenden Arbeitnehmern keinerlei materielle oder moralische Unterstützung zuteil werden zu lassen, es sei denn, daß die in diesen Arbeitsbedingungen vorgesehenen Instanzen ein Unrecht der Arbeitnehmer nicht anerkannt haben. Ebenso verpflichtet sich der Verband der Baugeschäfte von Berlin uncl den Vororten trotz Schiedsspruches des Einigungsamtes vertragsbrüchig bleibenden Arbeitgebern keinerlei Unterstützung angedeihen zu lasssen. Die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmervertreter verpflichten sich, ihren ganzen Einfluß zur Aufrechterhaltung dieser Bedingungen einzusetzen und im Widerspruch mit denselben ausbrechende Sperren oder Aussperrungen nicht zu unterstützen 85 ." c) Vorschriften, die zwischen Arbeitgeber und Arbeiterberufsverein eine Verkehrsbeziehung zum Zwecke der Arbeitsbeschaffung oder der Arbeiterausbildung durch den Arbeiterberufsverein herstellen. Beispiele: "Für alle vorstehenden Arbeiterkategorien sind lJei eintretender Vakanz die Arbeitsnachweise der Organisation . . . . zu benützen 86 ." "Der Anschluß der Stellenvermittelung an den Arbeitsnachweis der Berliner Holzindustrie hat sofort zu erfolgen 87 ." "Die Arbeitsvermittlung liegt in den Händen eines von den Gehilfen geleiteten und von den in Betracht kommenden Organisationen überwachten Arbeitsnachweises. Dieser Arbeitsnachweis hat die Pflicht, nur tariftreuen Arbeitern und Arbeiterinnen bei nur tariftreuen Prinzipalen Arbeit nachzuweisen und hierbei in erster Linie die durch ihr Eintreten für den Tarif oder die Tarifgemeinschaft arbeitslos gewordenen Arbeiter und Wie Anm. 84 (§ 9 Abs. 4 u. 5). Tarifvertragsentwurf in der Wagenfabrikation m Berlin, R.A.Bl. IV, S. 469, § 7. 87 Tarifvertrag in der Berliner Stockfabrikation, R.A.Bl. IV, S. 260, sub. V. 85

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Arbeiterinnen zu berücksichtigen. Die in Betracht kommenden Organisationen bzw. die von ihnen ernannten Vertreter setzen gemeinschaftlich ein Reglement für die Leitung des Arbeitsnachweises fest. Umschauen nach Arbeit ist verboten 38." "An allen größeren, für das Gewerbe in Betracht kommenden Orten, insbesondere da, wo Schiedsgerichte bestehen, sind nach Angabe des Tarifamtes zu verwaltende und den betreffenden Gruppenvertretern unterstehende Arbeitsnachweise auf Grund der dem Tarif anhängenden Geschäftsordnung zu errichten 89 ." "Um die praktische und theoretische Ausbildung junger Steinsetzer zu fördern und auf das allgeruein notwendig anerkannte Maß zu heben, verpflichtet sich die Tariforganisation der Steinsetzer, ihre Mitglieder bis zum 25. Lebensjahr zum Besuche der Fortbildungs- bezw. Fachschule mit allen zulässigen Mitteln anzuhalten '10." d) Vorschriften, die eine Mitwirkung des Arbeiterberufsvereins bei der Schaffung einheitlicher Arbeits- und Absatzbedingungen anstreben. Beispiele: "Die Gehilfen (gemeint ist die Gehilfenschaft im Ganzen) verpflichten sich, dafür zu sorgen, daß in a1len Bruchgebieten, aus welchen nach Erfurt Arbeit geliefert wird, Lohntarife eingeführt werden 91 ." "Der Schleiferverein ist verpflichtet, dafür Sorge zu tragen , daß seine Mitglieder für einen Fabrikanten, einerlei, ob er Vereinsmitglied ist oder nicht, der die vereinbarten Preise nicht bezahlt, nicht mehr arbeiten, 8 8 Tarifgemeinschaft der Metallschläger in Fürtb, Nürnberg, 1903, § 9. 89 Tarif für Deutschlands Lichtdrucker und zugehörige Berufsarten, 1904, IX, D. vgl. Tarifwerk III, S. 237, 241. vo Tarifvertrag, vereinbart zwi'schen Arbeitgeber und :Steinsetzer für die Bezirke der Berliner, Steglitzer, Potsdamer und Eberswalder Steinsetzerinnungen, § 10, R.A.Bl. IV, S. 363. 91 Imle a. a. 0. S. 405.

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wohingegen dem Fabrikantenverein obliegt, darauf zu halten, rlaß }\eines seiner Mitglieder einen dem Lohntarif zuwiderhandelnden Schleifer beschäftigt 92." "Der Verband der Zimmerer Deutschlands verpflichtet sich, nach Möglichkeit rlafür zu sorgen, daß alle Zimmerer, die ihm noch nicht angehören, Mitglieder werden 93." "Die beiden vertragschlit>ßenden Vereine - das sind die beiden Organisationen des Buchdruckergewerbes verpflichten sich, gegen Schleuderer im Gewerbe gemeinsam vorzugehen 9 '." "Sollte nachweislich ein Produzent billiger als festgesetzt liefern, so ist von seiten des Deutschen Metallarbeiter· Verbandes auf Veranlassung der Tarifkommission Remedur zu schaffen 90 ." e) Vorschriften, die ein Mitbestimmungsrecht des Arbeiterberufsvereins bei der Betriebs-, Produktions- und kaufmännischen Leitung des Unternehmens anerkennen. Beispiele: "Bei Entlassungen von Arbeitern soll auf Verlangen der Organisation der Entlassungsgrund bekannt gegeben werden 96 ." "Bei Einstellung technischer Leiter hat der Verbanrl. das Vorschlagsrecht 97 ." "Zur Durchführung der Tarifgemeinschaft sowie zur Vermittlung des Verkehrs der Tarifkontrahenten untereinander werden Ortsausschüsse gebildet. Dieselben bestehen je aus rlrei Arbeitgebern und drei Arbeitnehmern. Die Ortsausschüsse haben folgende Obliegenheiten: 1. Bei flauem Geschäftsgang die Arbeitszeit zu regeln und die Über Organisation der Arbeit im Bezirke des G.G. Solingen, S. 2. Tarifvertrag der Zimmerleute von Biberfeld, zitiert nach Hüglin, S. 46. 9 4 Buchdruckertarif, Separatvertrag, § 9, Tarifwerk I, S. 40. 95 Vgl. Anm. 78, Anhang zum Statut. 96 Tarifvertrag für das Brauereigewerbe in Schwabach, 1903. § 6, Ziff. 2. 91 Imle a. a. 0. S. 553. 92 93

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Zahl der zu schlagenden Formen, Schläge und Bücher dementsprechend festzulegen ........ 98 ." "Die Festsetzung der Produktpreise geschieht durch die Tarifkommission." "Dieselbe besteht aus 7 Prinzipalen, 7 organisierten Arbeitern und einem dem Berufe fernstehenden Vorsitzenden und dessen als Geschäftsführer fungierenden Stellvertreter 99 ." f) Vorschriften, die eine Mitwirkung des Arbeitgebers bei der Erfüllung von Vereinsaufgaben des Arbeiterberufsvereins vorsehen. Beispiel: "Die Prinzipalsvertreter halten die Prinzipale für verpflichtet, an der Unterstützung der Arbeitslosen teilzunehmen. Die Gehilfenvertreter akzeptieren diesen Standpunkt unter Wahrung der Selbständigkeit ihrer Kassen 100.'' g) Vorschriften, die eine Garantie der Vereine - des Arbeiter- und des Arbeitgebervereins - für Handlungen ihrer Mitglieder aussprechen 101 ." Beispiele: "Für Anerkennung der Urteile dieser Schiedsinstanzen hat der Verein, dessen Mitglied der Verurteilte ist, zu wirken und zu haften. Beide Vereine stehen für die Er98 Wie Anm. 88, § 10 des Vertrags. In § 1 Ziff. 6 ist als Gegenstand der Vereinbarung u. a. angegeben: "Kontrolle und Regelung der Pro du k t i o n." 9 9 Tarifgemeinschaft der Silberschläger in Fürth, Nürnberg und Schwabach, Vereinbarungen zur Durchführung der Tarifgemeinschaft der Silberschläger sub. 2, dazu § 16 des Vertrags, vgl. Tarifwerk III, 138, 140, 141. 1oo ßuchdruckertarif, Separatvertrag, sub. 2 der "Besonderen Beschlüsse und Resolutionen", Tarifwerk I, S. 41. toi Zu den sozialen Berufsnormen im ganzen ist zu vergleichen: Liefmann, Die Allianzen, und ders., Die neueste Entwicklung der Allianzverbände in England und auf dem Kontinent. Diese Verbände sollen durch "ausschließlichen Verbandsverkdu" - d. h. es dürfen nur Organisierte zu Einzelverträgen zusammentreten- die Mitwirkung der Arbeiterverbände zur Regulierung der Konkurrenz sirhern. Eine Organisation der Arbeit und der Produktion, in der sich ein Zukunftsgedanke bergen kann.

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füllung der nach diesem Vertrage und nach dem Tarife ihren Mitgliedern obliegenden Verbindlichkeiten selbstschuldnerisch ein, soweit dies im Einzelfalle von dem Vereine gefordert wird, dem der Beschädigte angehört. Der Verein, dem der Schädiger an gehört, haftet dem Geschädigten für Ersatz des ihm entstandenen Schadens insoweit, als sein beteiligtes Mitglied gesetzlich dazu verpflichtet ist . . . . . . Beide Vereine sind verpflichtet, ihren Mitgliedern statutarisch die Verpflichtung aufzuerlegen, den Tarif und den Tarifvertrag einzuhalten, und sie sind verpflichtet, nicht tariftreue Mitglieder auszuschließen 102."

§ 2. Die individuellen Berufsnormen. Die vorliegenden Normen bestimmen in der überwiegenden Mehrzahl ein Verbalten der Mitglieder der Arbeiterorganisation. Das Wesentliche derselben ist, daß das Verhalten des Einzelnen nicht an die Tatsache des Abschlusses eines Arbeitsvertrags gebunden ist; auch das arbeitslose oder in einem außerhalb des Tarifvertrags stehenden Betrieb arbeitende Gewerkschaftsmitglied kann der individuellen Berufsnorm unterworfen sein; die Voraussetzung für die Anwendung der Norm ist allein die Zugehörigkeit zur Organisation. Folgende Beispiele veranschaulichen die Beziehungen, um die es sich hier handelt: "Bei denjenigen Meistern des Innungsbezirks, die der Innung nicht angehören oder aus der Innung scheiden, auch wenn die Betreffenden den Tarif bezahlen, sollen die Gehilfen nicht arbeiten tos." "Jeder in Neumünster und Umgegend arbeitende Geselle ist verpflichtet, nur nach diesem Lohntarif zu arbeiten, andernfalls er aus dem Zentralverband der Töpfer ausgeschlossen wird." (Töpfertarif.) 1o2 Wie Anm. 100, § 5, a. a. 0. S. 39. 103 Lohntarif für Ofensetzer im Töpfergewerbe Oranienburgs und Umgebung, 1901.

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"Pfuscharbeit darf von Gesellen nicht unter dem üblichen Innungspreis hergestellt werden 104 ." "Die Mitglieder des Ausmachervereins verpflichten sich für diejenigen Fabrikanten usw., denen in der Vergleichskammer nachgewiesen, daß sie den im Preisverzeichnisse vorgeschriebenen Preisen und Bestimmungen nicht nachkommen, und nachdem diesen Fabrikanten von der Vergleichskammer eine Verwarnung erteilt ist, auf Beschluß der Vergleichskammer so lange nicht zu arbeiten, bis der Fall von letzterer als erledigt erklärt wird 105." "Die Gesellen verpflichten sich, auf Bauten, auf denen Arbeiter mit eigenem Geschirr oder bei Zimmererarbeiten mehr Arbeiter als Gesellen beschäftigt werden, nicht zu arbeiten 106 ." "Desgleichen verpflichten sich die Gesellen, keinem Arbeitgeber GeseHen zu entziehen oder zu verhindern, daß derselbe Gesellen erhält, weil er der Organisation der Arbeitgeber angehört oder für dieselbe agitiert." (Maurertarif in Rathenow.) Zwei Beispiele für normiertes Verhalten der Mitglieder von Arbeitgeberorganisationen bieten folgende Normen: "Es verpflichten sich die Mitglieder des Fabrikantenvereins, diejenigen Ausmacher, sowohl Mitglieder des Ausmachervereins als außerhalb desselben stehende, denen in der Vergleichskammer nachgewiesen , daß sie den im Preisverzeichnisse vorgesehenen Preisen und Bestimmungen nicht nachkommen und, nachdem diesen Ausmachern von der Vergleichskammer eine Verwarnung erteilt ist, auf Beschluß der Vergleichskammer solange nicht zu be1o' Imle a. a. 0. S. 267. to& Preisverzeichnis der Ausmacher in Solingen, Vereinbarung zwischen dem Taschen- und Federmesser-Fabrikanten-Verein und dem Taschenmesser-Ausmacher-Verein, 1900, § 13. 106 Arbeitsbedingungen für die Zimmerer Königsbergs und Umgegend, 1903, § 5.

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schäftigen, bis der Fall von letzterer als erledigt erklärt wird 107." "Die Mitglieder des Fabrikantenvereins sind, wenn es die Vergleichskammer für unbedingt nötig erachtet, auf Beschluß derselben verpflichtet, für den vorliegenden Streitfall den beiden Vorsitzenden genannter Vereine die in Betracht kommenden Bücher vorzulegen 108."

Zweites Kapitel.

Die Parteien. Bei der Behandlung des Arbeitsnormenvertrags ist eine Hauptfrage, wer die Träger der sich aus dem Vertrage ergebenden Rechte und Pflichten sind. Es bedarf keiner Ausführung, daß von der Beantwortung dieser Frage die ganze rechtliche Gestaltung des Vertrages abhängig ist. Hierbei dürfte die Schwierigkeit der Bestimmung nicht auf der Arbeitgeberseite liegen. In dieser Hinsicht kommen im wesentlichen vier Formen in Betracht, deren Vorhandensein im Einzelfall von der tatsächlichen Gestaltung abhängt, welche die am Vertragsschluß Beteiligten dem Vertrage geben. Danach können auf Arbeitgeberseite Partei sein : 1. ein Arbeitgeber, 2. mehrere Arbeitgeber, die namentlich oder nur allgemein bezeichnet sein können, z. B. die Maurerund Zimmermeister der Stadt Lübben (Tarifwerk 111, 276), 3. ein Arbeitgeberverband, 4. sowohl einzelne Arbeitgeber, wie ein Arbeitgeberverband, z. B. Verband der Glasereien Berlins und der Vororte und die Meister, die Gesellen beschäftigen (a. a. 0. S. 310). 1o1 108

Wie in Anm. 105. Organisation der Arbeit in Solingen, S. 12, § 11.

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Zu diesen vier Formen wäre hier nur zu bemerken, daß in allen Fällen, mit Ausnahme des zu Punkt 3 bezeichneten, der Arbeitgeberverband auch als Vertreter für die in den übrigen Fällen genannte Partei handeln kann, z. B. "Tarifvertrag zwischen dem Verband der Brauereien von Frankfurt a. M. und Umgebung, namens folgender Brauereien . . . ". In allen Fällen kann der Arbeitgeberverband ein rechtsfähiger oder nicht rechtsfähiger Verein sein, oder aber auch - was selten ist - Gesellschaftscharakter tragen (Schall S. 40, 41). In jedem Fall unterliegt er den Bestimmungen über das Koalitionsrecht, insbesondere dem § 152 2 G.O. (vgl. ausführlich Schall S. 26 ff.). Unter den rechtsfähigen Vereinen spielen in der Wirklichkeit die Innungen als Vertragsparteien auf Arbeitgeberseite eine besondere Rolle 1 • Selbstverständlich können beim Abschluß des Vertrags auch mehrere Verbände beteiligt sein, vgl. z. B. den Stukkateurtarif in Dortmund, den der Verein selbständiger Stukkateure und der Arbeitgeberverband abgeschlossen haben (Tarifwerk III, S. 306). Ob beim Abschluß durch Mehrere, seien es mehrere Einzelpersonen oder mehrere Verbände, eine besondere Einwirkung auf das Rechtsverhältnis stattfindet, ist in der Lehre von der Rechtswirkung zu erörtern. Wir gehen im weiteren Verlauf dieser Untersuchungen von den Formen zu 1 und 3 aus, denn sie sind im Gegensatz zu den beiden andern, die nur Kombinationen sind, die Grundformen, auf die alle wirklichen Erscheinungen begrifflich zurückzuführen sein dürften. Die Schwierigl{eit in der Bestimmung der Parteistellung liegt auf Arbeitnehmerseit e. Diese Schwierigkeit mag darin ihren Grund haben, daß sich unser privatrechtliches Denken in der Hauptsache an der Vorstellung von Individualverträgen entwickelt und damit noch nicht den Blick 1 An das Vorhandensein einer Innung als Vertragspartei schließen sich mannigfache Rechtsfragen. Vgl. z. B. darüber den Aufsatz in Soz. Pr. XIV, 601, "Zur jüngsten Lohnbewegung in der Berliner Holzindustrie".

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für das Auftreten von organisierten Mehrheiten im Rechtsverkehr gewonnen hat. Denn dies ist eine besondere Eigentümlichkeit des Vertrags, der uns hier beschäftigt, daß auf Arbeitnehmerseite stets eine Mehrheit handelnd auftritt. Der Einzelne gibt die Wahrnehmung seiner Interessen ab an die Gruppe, der er angehört , damit diese die Arbeitsbedingungen für ihn wahrnehme und festsetze. Es ist die Eigentümlichkeit, die in der alten Bezeichnung des Arbeitsnormenvertrags als des "k o 11 e k t i v e n Arbeitsvertrags" hervorgetreten ist und die auch sonst znm Ausdruck kommt, wenn man z. B. von dem Arbeitsnormenvertrag als einem "Massenvertrag" spricht. Die Mehrheiten, um die es sich dabei handelt, können organisiert und nicht-organisiert sein. Es ist bereits hervorgehoben, daß nur die organisierten Mehrheiten, wi3 sie in den Arbeitsberufsvereinen unserer Zeit wirksam sind, in den Kreis dieser Betrachtungen gezogen werden Hält man diese Einschränkung im Auge, so ergeben sich drei Möglichkeitirr der Parteistellung: 1. Der Verein vertritt seine Mitglieder. Partei sind die Mitglieder des Vereins. (Vertretungstheorie.) 2. Der Verein handelt im eigenen Namen. Partei ist der Verein. (V e r b an d s t h e o r i e.) 3. Der Verein handelt sowohl im eigenen Namen , als auch im Namen seiner Mitglieder. Partei ist der Verein und jedes seiner Mitglieder. (Kombinierte Tb e o r i e). Wie diese Theorien im einzelnen in der Literatur ausgeführt sind, soll zunächst kurz dargelegt werden. Für das deutsche Recht kommt die Vertretungstheorie nur in der Auffassung der auf R e chtsgeschäft beruhenden Vertretungsmacht in Betmcht. Die Ansicht, der Verein verpflichte und berechtige seine Mitglieder kraft g es e t z I i eher Vertretungsmacht, die Rundstein 2 für das französische und belgisehe Recht vertritt, 2 R. Wiss. S. 109, Anm. 45, S. 200; s. auch Fr. T.V.; dazu meine Besprechung der Theorie in G. K. G. XII, S. 20 fl'., insb. S. 22.

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scheidet für das deutsche Recht von vornherein aus. Begründet ist die Theorie vor allem von Lot m a r, dem in der Hauptsache Rundstein für das deutsche Recht folgt. Lotmar hat zwar die Vertretungstheorie unabhängig von dem Fall, daß der Arbeiterberufsverein am Vertragsabschluß beteiligt ist, entwickelt, seine Ausführung läßt aber keinen Zweifel, daß sie auch Geltung in diesem Falle haben will 3 • Danach wird der Arbeitsnormenvertrag im Namen der Mitglieder abgeschlossen, indem sie durch den Verein, bzw. seine Organe, vertreten werden. Auf seiten der Vertretenen besteht das Kontrahieren mittels dieser Stellvertretung entweder in Beteiligung an der Vertragsschließung oder im Beitritt zum abgeschlossenen Vertrag. Die Beteiligung an der Vertragsschließung geschieht, indem die Mitglieder dem Vertreter Vollmacht erteilen oder die von ihm vollmachtlos getroffene Abrede genehmigen (sog. anfängliche Genehmigung 4 ). Die Vollmacht, beziehungsweise die anfängliche Genehmigung, wird meist durch Abstimmung in öffentlichen Ver~ammlungen erteilt 5 Der Vertrag wird dann perfekt, wenn er auf Vgl. A. V. 798: "Wird ein Tarifvertrag namens eines . . . Verbandes kontrahiert, so werden nicht bloß alle seine Mitglieder faktisch vertreten, sondern sie werden auch alle vom Tarifvertrag betroffen, selbst wenn die Vollmacht oder Genehmigung nicht von allen erteilt worden war: die von der Majorität erteilte gilt für alle." Diesen Satz spricht Lotmar für den Fall aus, daß der Arbeiterverband ein rechtsfähiger Verein sei. Daß dieselbe Grundauffassung aber auch in dem Fall gilt, in dem der Verband der Arbeiter ein nicht rechtsfähiger Verein ist, ergibt Anm. 2 in T. V. S. 80: "Eine Arbeitnehmerorganisation ist keine juristische Person. Ein Tarifvertrag kann daher juristisch nicht als von solcher Organisation geschlossen angesehen werden ..." Übrigens lehnt Lotmar bei Abschluß des Tarifvertrags durch einen nicht-rechtsfähigen Arbeiterberufsverein den Satz, daß die von der Majorität der Mitglieder erteilte Vollmacht für alle Mitglieder gelte, ab; so T. V. 8. 80. 4 Vgl. A. V. S. 796 ff. Lotmar hebt ausdrücklich hervor, daß die Einzelnen mit ihrem Namen dem Dritten gE-genüber nicht hervorzutreten brauchen. "Der Arbeitgeber schließt mit incertae personae ab, sei es, daß diese Vollmacht gegeben oder genehmigt haben" (T. V. S. 80, 81) & Vgl. T. V. S. 78. 3

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Grund der Vollmacht der Einzelnen abgeschlossen oder von diesen genehmigt worden ist. Doch damit sind nur diejenigen Arbeiter gebunden, die zur Zeit des Vertragsabschlusses Mitglieder der Organisation waren und zugestimmt haben oder als zustimmend angesehen werden (vgl. Anm. 3). Es muß aber auch die Möglichkeit vorhanden sein, daß insbesondere diejenigen, die später Mitglieder WJ.Irden , an dem Vertrag beteiligt werden können. Das Mittel hierzu ist nach Lotmar die "nachträgliche Genehmigung" 6 • Sie ist möglich, weil nach Lotmars Auffassung der Verein, wenn er in Vollmacht abgeschlossen hat, nicht nur die Einzelnen, die ihm zur Zeit des Vertragsabschlusses Vollmacht gegeben haben, vertreten hat, sondern auch zugleich einen weiteren unbegrenzten Personenkreis, den ganzen Kreis der Berufsgenossen 7 • An sie ist nach Lotmar zu denken, "wenn man von der Ausbreitung eines Tarifs, z. B. des Buchdrucker- oder des Buchbindertarifs spricht. Beide sind im Namen aller deutschen Berufsgenossen unter den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern geschlossen worden, nicht bloß namens der Angehörigen der betreffenden Organisationen. Es sind also bei dem Abschluß alle diese Berufsgenossen vertreten worden 8 ". Diese nachträgliche Genehmigung kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen 9 • Sie erfolgt stillschweigend insbesondere, wenn der Einzelne einem Verband beitritt, für den ein Arbeitsnormeuvertrag gilt. Dann wäre der Vertrag für ihn ohne weiteres wirksam. Bei dieser Auffassung ist es möglich, daß der persönliche Geltungsbereich des Vertrags auf Arbeitnehmerseite nicht auf Vereinsmitglieder beschränkt bleibt. Nichtorganisierte können nicht nur an dem Vertragsabschluß teilnehmen und ihn so auch auf sich erstrecken, sie können ihn s A. V. S. 799.

S. darüber insbesondere T. V. S. 82, 83. Es wird also nach Lotmar jeder Tarifvertrag stets zugleich abgeschlossen für alle, "die es angeht", T. V. S. 87. 8 A. V. S. 799. 9 Vgl. insbesondere T. V. S. 84, 85. Si n zh e im er Arbeitsnormenvertrag. I. 5 7

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auch nachträglich genehmigen. Eine solche nachträgliche Genehmigung erblickt Lotmar auch darin, "daß einer vorbehaltlos einen Arbeitsvertrag mit einem andern eingeht, von dem er weiß, daß derselbe von einem Tarifvertrag betroffen wird, in dessen räumlichem und zeitlichem Geltungsbereich man sich befindet" 10 • Auf solche Weise kann auch das Vereinsmitglied, das an dem Vertragsschluß sich nicht beteiligt bat, den Vertrag nachträglich genehmigen. - Wie gesagt, ist Rundstein 11 für das deutsche Recht im wesentlichen dieser Ausführung der Vertretungstheorie gefolgt. Rundstein hebt noch besonders hervor, daß, wenn ein Einzelner als Angehöriger eines Vereins einen Arbeitsnormenvertrag mit abgeschlossen, bzw. ihn nachträglich genehmigt hat, er Partei desselben bleibt, auch wenn er aus dem Verein austritt 12 ; eine Auffassung, die von anderer Seite vom Standpunkt der Vertretungstheorie aus als mindestens zweifelhaft erachtet wird 13 • - Der Vertretungstheorie sind beigetreten, allerdings nur in gelegentlichen Äußerungen, und zum Teil mit Einschränkungen und meist ohne nähere Begründung: Bail 14 , Schmelzer 15 , Wölbling 16 , Baum 17 , Schalhorn 18 und Schwarz 19 • Schall räumt ihre Möglichkeit ein (S. 113), wenn er auch bei ihrer Begründung im einzelnen A. V. S. 799. S. insbesondere R. Wiss. 12 A. a. 0. S. 134 u. 178. 1s 'farifwerk S. 67. 14 s. 74. 15 s. 124. 16 Gutachten S. 270. 17 Der kollektive Arbeitsvertrag S. 3: "Aber die Zugehörigkeit zum Verband stellt für den Kollektivvertrag nur die Vollmacht zum Vertragsschluß dar usw." 18 Soz. Pr. XV, 586. Jedoch nur für den Fall, daß der Arbeiterberufsverein · nicht 1·echtsfähig ist. "Anders ist die Rechtslage, sofern und soweit Personengesamtheiten mit eigener Rechtspersönlichkeit den Vertrag schließen . . . hier sind nur diese Korporationen als solche Partei." to

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s.

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von Lotmar und Rundstein abweicht. - In der Rechtsprechung nimmt ein Urteil des Gewerbegerichts zu Altenessen vom 27. September 1905 an, der Vertrag sei im Namen der Mitglieder geschlossen 20 • Wenn die Verbandstheorie demgegenüber die Ansicht vertritt, der Vertrag werde nur im Namen des Vereins geschlossen, so stützt sie ihre Ansicht auf den Vertragswillen und die Interessen der bei dem Vertragsabschluß Beteiligten. Es wird dies besonders nachdrücklich von Hüglin 21 zum Ausdruck gebracht, der den Satz aufstellt, daß die "rechtliche Anerkennung einer der Idee des Tarifvertrags entsprechenden Vereinbarung nur bei dem Abschluß des Vertrags durch einen geschlossenen Arbeiterverein möglich sei". Die Theorie hat zur Voraussetzung, daß stets auf der Arbeiterseite eine Vereinigung besteht, die als Kontrabentin des Vertrags - sei es durch ihre Organe, sei es durch besonders bestellte Vertreter- auftritt. Ob hierbei der handelnde Berufsverein rechtsfähig oder nicht rechtsfähig ist, macht keinen Unterschied. In jedem Fall stehen die Rechte und die Pflichten aus dem Vertrag nur dem Verein als solchem zu. Es ist das Wesentliche dieser Theorie, daß bei ihrer Annahme die Rechtsstellung der Mitglieder durch den Vertrag direkt nicht ergriffen wird, daß sie außerhalb des durch den Vertrag geschaffenen Bandes stehen. Darum ist auch für sie das Zu- und Abgehen der Mitglieder in den und aus dem Verein eine Tatsache, die in keiner Weise die subjektiven Beziehungen des Vertrags berührt. Diese Auffassung von der Parteistellung auf Arbeiterseite ist, nachdem sie bereits Rosner 22 erwähnt hatte, zuerst systematisch auf dem Verbandstag der deutschen Gewerbegerichte zu Würzburg im Jahre 1905 vertreten worden 23 und wird 20 21 22

G. G. XI, 197.

s. 90, s. 5.

91.

23 S. meinen Vorbericht in dem Nachtrag zur Verhandstagsbeilage zu Nr. 12 des G. G. X, S. 375 ff.

5*

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neuerdings von Oertmann 24 , Prenner 25 und Meschelsohn 26 anerkannt. Sie ist die herrschende Auffassung in der Doktrin des niederländischen Rechts 27 • Die kombinierte Theorie hat zuerst ihren Ausdruck in den Untersuch.ungen Rundsteins gefunden 28 • Sie nimmt das Vorhandensein der beiden vorerwähnten Auffassungen in einem Vertrag als möglich an. Wenn wir unsere im Kapitel I festgestellte Terminologie zugrunde legen, so ist sie darauf aufgebaut, daß der Verein in den durch die Berufsnormen gebildeten Vertragsbeziehungen im eigenen Namen, in den durch die Arbeitsnormen gebildeten Vertragsbeziehungen aber im Namen der Mitglieder handelt. Rundstein stellt dieses Verhältnis folgendermaßen dar: "In der Praxis kommen nämlich Fälle vor, wo der Verband als Vertreter den Vertrag für seine Mitglieder abschließt und gleichzeitig gewisse Verpflichtungen übernimmt, beziehungsweise gewisse Berechtigungen schafft, die naturgemäß nur der Organisation zustehen, beziehungsweise nur von der Organisation geltend gemacht werden können. Hier wäre die als Vertreter handelnde Organisation gleichzeitig als Mitkontrahent der vertragschließenden Mitglieder (in bezug auf die ihr obliegende Pflicht, beziehungsweise in bezug auf die von ihr übernommene Berechtigungen) aufzufassen." Daneben kommt nach Rumistein die kombinierte Theorie noch in Betracht, wenn die Organisation - trotz ihrer Vertreterrolle - sich gleichzeitig noch zur Garantie der Vertragserfüllung seitens ihrer Mitglieder durch Übernahme der Haftung oder Stipulierung von Vertragsstrafen verpflichtet. In der Praxis hat ein Urteil des Gewerbegerichts in Berlin vom 21. August 1903 die Möglichkeit einer solchen Kombination der Parteistellung angenommen 29• Neuerdings 2' 25 26

27

2s 29

S. 10. Seufferts Blätter S. 185. Soz. Prax. XVI S. 174. Vgl. Rundstein, R. Wiss. S. 125. Vgl. R. Wiss. S. 108 ff. R. A. BI. I1 .S. 63.

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hat Schall (8. 113) als weitere Form der Kombination den Fall angeführt, "daß der Verband die eigene Verpflichtung und Berechtigung und die seiner einzelnen Mitglieder kumuliert". Danach wäre der Verband der anderen Partei gegenüber verpflichtet nnd berechtigt und "ebenso sein einzelnes Mitglied" (S. 144). Wenn wir uns fragen, auf welche der drei Theorien der Arbeitsnormenvertrag aufgebaut ist, so ist zunächst anzuerkennen, daß an sich jede der drei Theorien als m ö gI ich e Form des Abschlusses im Einzelfalle in Betracht kommen kann. Aber mit diesem Gesic.btspunkt, der zuerst von Rundstein (R.-Wiss. S. 84) hervorgehoben und ihm folgend auch von Schall anerkannt, von Oertmann aber irrigerweise in Abrede gestellt ist, ist indessen das Problem noch nicht gelöst. Denn es kommt darauf an, eine Antwort darauf zu finden, was die Parteien im Zweifel gewo 11 t haben, also die Norm a 1form aufzustellen, welche gilt, wenn nicht die Parteien ausdrücklich und unzweideutig etwas anderes verabredet haben. Die Aufstellung einer solchen Normalform ist um so wichtiger, als die Vertragstexte, die unter Beteiligung von Arbeitervereinen abgeschlossen sind, in der Regel einen unzweideutigen Anhaltspunkt durchaus nicht bieten. Zwar meint Rundstein (Streitfragen S. 23 ff.), in Einzelfällen den Vertragstexten die Anerkennung der Vertretungstheorie unzweideutig entnehmen zu können. Aber seine Ansicht ist durch die von ihm aufgeführten Beispiele nicht begründet. Zunächst überschät:lt Rundstein den Gebrauch bestimmter Worte. Wenn es daher z. B. in einem Parkettbodenleger-Tarif heißt: "Die Arbeitnehmer dürfen (trotzdem hier ein Verband kontrahiert) den außenstehenden Arbeitgebern keine günstigeren Bedingungen gewähren", so ist mit diesem Ausdruck "Arbeitnehmer" durchaus nicht zweifellos gemeint, die einzeInen Arbeitnehmer sollten nun als Partei angesehen werden, sondern es kann mit diesem Worte auch nur im allgemeinen die Parteistellung bezeichnet sein, wie es etwa einmal in einem schlecht gefaßten Staatsvertrag heißen könnte: "Die Deutschen" verpflichten sich, statt: "Das

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Deutsche Reich" verpflichtet sich. Ebenso liegt eine unzulässige Ausnutzung des Wortsinnes vor, wenn Rundstein aus § 1 des Nürnberger Feingoldschläger-Tarifs, wonach der Tarifvertrag zwischen den "dem Feingoldschlägergewerbe angehörenden Prinzipalen einerseits, und den in diesem Gewerbe beschäftigten Arbeitern und Arbeiterinnen, vertreten durch den Deutschen Metallarbeiterverband, andererseits", abgeschlossen worden ist, folgert, der Deutsche Metallarbeiterverband sei als Vertreter der EinzeInen aufgetreten. Denn es ist sehr wohl möglich, daß hier das Vertreten in dem rein tatsächlichen Sinne des Auftretens für die Interessen anderer gemeint ist, in dem Sinne etwa, wie man ihn oft in Arbeiterblättern findet, daß z. B. die freien Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen am besten und tatkräftigsten die Arbeiter "vertreten" hätten. Es erscheint zweifelhaft, daß der Deutsche Metallarbeiterverband, wenn man ihm die Frage vorlegen würde, ob er jedes ein z e 1n e Mitglied in seiner Rechtssphäre in dem später zu entwicl\elnden Sinne habe vertreten wollen, diese Frage bejahen würde. Es ist vielmehr bezeichnend für das Nichtvorhandensein dieses Willens, daß, wenn solche angeblich für die Einzelnen abgeschlossenen Verträge unter Vorbehalt der Genehmigung abgeschlossen sind, die Genehmigung nicht etwa für die Einzelnen vorbebalten wird, sondern für die Mitgliederversammlung, also ein Organ der Gesamtheit als solcher, wie dies z. B. in dem von Rundstein ebenfalls für die Vertretungstheorie herangezogenen Stuttgarter Bangewerbetarif (Tarifwerk 3 S. 50 ff.) der Fall ist. Sodann ist zu beachten, daß von einer praktischen Anwendung der Vertretungstheor:ie in den Verträgen nur dann gesprochen werden kann, wenn die Einzelnen der Gegenpartei in dem dem Arbeitsnormenvertrag eigentümlichen Ver h ä 1t n i s verpfticbtet und berechtigt sein sollen. Man muß und dies sei bereits hier der Lehre von der Rechtswirkung entnommen - drei Funktionen des Arbeitsnormenvertrags wohl unterscheiden: die li'unkt.ion, die die Norm des Arbeitsnormenvertrags zur Vertragsbestimmung im

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Arbeitsvertrag verwandeln, weiter die Funktion, welche die Parteien des Arbeitsnormenvertrags unmittelbar zur Leistung und Gegenleistung verpflichten, und schließlich die Funktion, die die Genossen auf Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite unter sich verbinden soll; wir nennen sie die normative, obligatorische und sozialrechtliche Funktion. Ein Vertretungsverhältnis in dem von Rundstein behaupteten Sinne könnte nur angenommen werden, wenn es in dem ob 1i g a t o r i s c h e n Funktionsver h ä 1 t n i s unzweideutig zu konstatieren wäre. Dies trifft bei den von Rundstein angeführten Beispielen nicht zu. So schon nicht bei dem von ihm und auch von Schall (S. 116) im Sinne Rundsteins herangezogenen § 5 Abs. 1 Satz 2 des Separatvertrages, betreffend die Tarifgemeinschaft der deutschen Buchdrucker. Denn wenn es hier heißt: "Beide Vereine schließen damit für ihre Mit g 1i e der einen alle tariflichen Rechte und Pflichten derselben bestimmenden Vertrag ab", so kann dies sehr wohl auch auf die sozialrechtliche oder auch normative Funktion des Arbeitsnormenvertrags bezogen werden, indem es heißen soll, daß die Mitglieder ihrem Verein gegenüber zur Einhaltung des Vertrags verpflichtet sind, oder aber daß die Normen des Tarifs die Arbeitsverträge der Mitglieder inhaltlich nach Recht und Pflicht bestimmen sollen. Die letztere Deutung scheint mir mit Rücksicht auf § 5 Abs. 5 des zitierten Vertrags, der vielleicht mit Grund der sozialrechtlichen Auslegung entgegengestellt werden kann, die einleuchtendere zu sein. Dasselbe gilt für die Auslegung des § 2 desselben Vertrags, der aus den angegebenen Gründen ebenfalls nicht für die Auslegung Rundsteins im Sinne der Vertretungstheorie spdcht. Nicht zweifelsfrei ist auch von Rundstein (a. a. 0. S. 43/4 Anm. 1) die Erklärung z. B. im Buchbindertarif vom 27. Juli 1906 ausgelegt, wonach die Mitglieder der Verbände die Tarifbestimmungen "für sich verbindend" und "zu Recht bestehend" anerkennen. Denn auch dies kann nur die Begründung eines Verpflichtungsverhältnisses dem eigenen Verband, nicht dem Vertragsgegner gegenüber sein. Aus ähnlichen Gründen ist

72 auch nicht ohne weiteres aus dem Umstand, daß in einzelnen Vertragsfällen die Einzelnen durch Unterschrift zu erklären haben, sich dem Tarifvertrag zu unterwerfen, zu folgern , daß diese Einzelnen nun als die Parteien des Arbeitsnormenvertrags zu gelten haben, denn diese Unterwerfungserklärung wird oft nichts anderes bedeuten als die Erklärung, bei Eingebung des Arbeitsverhältnisses den lnhalt des Arbeitsnormenvertrags als Inhalt des Arbeitsvertrags gelten zu lassen, und so eine Sicherung der normativen Funktion, nicht eine Regulierung der obligatorischen Funktion im Sinne der Vertretungstheorie sein. Darum würde die von Rundstein S. 44 angeführte Tarifstelle selbst dann nicht für die Vertretungstheorie sprechen , wenn der in Frage kommende Tarifvertrag, was nicht der Fall ist, ein korporativer Arbeitsnormenvertrag wäre. Nach jener Stelle soll "jeder Arbeitgeber und Arbeitnehmer verpflichtet sein, die Arbeitsbedingungen durch seine Unterschrift anzuerkennen." Ist hiernach die Normalform für die Parteistellung auf Arbeiterseite dem Wortlaut der Verträge nicht zu entnehmen, so kann entscheidend für rleren Aufstellung nur die Interessenlage der Beteiligten sein, d. h. die Erwägung, welche Form rles Vertragsabschlusses die Beteiligten wählen würden, wenn sie sich in Kenntnis der eintretenden Rechtsfolgen nach ihrem Interesse frei zu entscheiden hätten 80 • Diese ao Vgl. den Ausspruch Messinas bei Rundstein, R. Wiss. S. 84, Anm. 11. Wenn neuerdings Rundstein (Streitfragen S. 24) ausführt: "Die juristische Betrachtung des Tarifvertragswesens darf durch die Feststellung nicht irre geleitet werden, daß eine von mehreren in der Praxis vorkommenden Vertragsschließungsformen den Zwecken der kollektiven Regelung am besten entspricht," so vergißt er, daß diese "teleologische lletrachtungsart" notwendig ist, um die Normalform des Arbeitsnormenvertrags, deren die Praxis, die Wissenschaft und die Gesetzgebung als eines Anhaltspunktes bedürfen, feststellen zu können. Und wenn dann Rundstein fortfährt, jene Betrachtungsart dürfe "die tatsächlich vorkommenden, wenn auch mit zahlreichen Mängeln behafteten Kontrahierungsformen nicht ohne weiteres beseitigen und den Konstruktionsversuchen entziehen", so sind wir wohl dagegen gefeit, daß hiermit auch die im T ext angewandte Methode getrofi'en

73 Erwägung führt uns zur Annahme der Verbandstheorie 31 • Sowohl die Vertretungstheorie wie die kombinierte Theorie geben die Vertragsbeziehungen - die kombinierte Theorie wenigstens nach der Rundsteinsehen Auffassung in ihrem wesentlichen Teil - in die Hand der EinzeInen und schalten damit die Organisation der Arbeiter aus der Verbindung aus. Dies aber entspricht nicht den mit dem Arbeitsnormenvertrag verfolgten Interessen, weil das Streben der an dem Vertragsschluß Beteiligten auf die Dauerhaftigkeit der im Vertrag festgelegten Bedingungen und auf Befriedung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, dies aber illusorisch gemacht wird, wenn die Festhaltung dieser Arbeitsbedingungen in die Disposition der Einzelnen gegeben und damit gerade der das Arbeitsverhältnis stetig beeinflussende Faktor, nämlich die Arbe.iterorganisation, außerhalb des Rechtsverhältnisses gestellt ist. Es widerspricht diese Ausschaltung der Organisation durch Begründung von lediglich inhaltlich gleichen Individualbeziehungen dem Interesse des Unternehmers und der ArbPiter. Der Unternehmer wird in dem ist. Denn wir schließen die rechtliche Möglichkeit aller in Betracht kommenden Formen selbstverständlich nicht aus. 81 Es dürfte interessant sein, daran zu erinnern, daß Ihering in einem ähnlichen Fall, wo es sich dal'Um handelte, ob eine organisierte Mehrheit Vertragssubjekt sein sollte oder die hinter dieser Mehrheit stehenden Einzelnen, zu derselben Entscheidung gekommen ist wie die im Text als richtig angenommene. Vgl. sein Rechtsgutachten betreffend die Gäubahn in Iherings Jahrb., Band 18, S. 27. Ihering kommt zu seiner Entscheidung, V ertragsau bjekt sei das Komitee als solches, auf Grund der Erwägung, daß "bei einem Zweifel darüber, in welchem Sinne ein Ausdruck gebraucht sei, der dem Zweck des Geschäfts entsprechende zugrunde zu legen ist." Vgl.auch Lenel, "Parteiabsicht und Rechtserfolg" in Iherings Jahrb. lXX S. 251. Dort ist in klassischer Weise ausgeführt, daß sich der Rechtsinhalt eines Rechtsgeschäfts vornehmlich nach dem Geschäftsinteresse zu richten habe. Daß diese Methode, die nach der Interessenlage die Entscheidung in zweifelhaften Fällen abstellt, auch bei der Frage der Stellvertretung bestimmend sein soll, hebt Lenel selbst ausdrücklich hervor (S. 252 sub. 3).

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Arbeitsnormenvertrag eine Garantie für die Aufrechterhaltung der vereinbarten Bedingungen suchen. Er kann diese Garantie nur finden, wenn auch die Arbeiterorganisation als der eigentlich treibende Teil in der Arbeiterbewegung in das Rechtsverhältnis einbezogen wird 82• Die Arbeiter ihrerseits können auf die Festhaltung der aufgestellten Bedingungen nur rechnen, wenn ihre Organisation den Abschluß des Vertrages nicht nur vermittelt, sondern auch als ihr steter Hüter ihre Ausführung bewacht und die Bedingungen als eigene Rechte wahrt 83 • Im folgenden soll diese Behauptung von der notwendig in d i v id u a I ist i s c h e n Natur der Vertretungstheorie kurz begründet werden. Hierbei können die Vertretungstheorie und die kombinierte Theorie, weil in beiden das Vertretungsprinzip zum Ausdruck kommt, zusammengenommen werden, so daß das folgende sowohl auf die Vertretungstheorie als auch auf die kombinierte Theorie in der Rundsteinseben Formulierung zu beziehen ist. Auf die kombinierte Theorie in der hervorgehobenen Schallsehen Fassung soll am Schlusse dieser Ausführung eingegangen werden. Ein kurzes Eingehen auf Fragen aus dem Gebiet der Rechtswirkung kann hierbei nicht vermieden werden. Soweit es geschieht, wird die Lehre von der Rechtswirkung (Teil II) die nötige Erläuterung bieten. Wenn der Verein als Vertreter seiner Mitglieder auftritt, so treten alle beabsichtigten Rechtswirkungen auch nur in der Person der Mit g I i e der ein (§ 164 B.G.B.). Dieser Satz ist das notwendige Ergebnis der Vertretungstheorie. Es folgt daraus: Über die durch den Vertrag geschaffenen Rechte kann immer nur das einzelne Mitglied verfügen. Es kann also der Einzelne auf die Rechte verzichten, den Vertrag kündigen und von ihm zurücktreten, wie, wo und wann er will, und unabhängig davon, was die andern tun! Andererseits kann aus der Verletzung des Vertrags nur der Einzelne haften, wobei es zweifelhaft bleiben mag, ob nur für eigene s2 33

V gl. Hüglin S. 63 ff., insbesondere S. 67. Vgl. Hüglin S. 140.

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Vertragsverletzung oder auch für die Vertragsverletzung der anderen, die mit ihm auf seiner Seite den Vertrag geschlossen haben. Und weil der Vertrag im Namen des Mitglieds geschlossen ist, so steht der Annahme nichts im Weg, daß der Einzelne Partei bleibt, auch wenn er aus dem Verein, der den Vertrag für ihn nur vermittelt hat, geschieden ist. Der Einzelne würde also die Rechte aus dem Vertrag noch geltend machen können, auch wenn er inzwischen Arbeitsverhältnis und Vereinszugehörigkeit gelöst hätte und in eine andere Stadt abgewandert wäre, wie er auch umgekehrt von dem Unternehmer noch in Anspruch genommen werden könnte, wenn er schon längst in fremdem Arbeitsverhältnis in fremder Stadt stünde. Allerdings suchen sowohl Lotmar wie auch Rundstein, offenbar gedrängt durch den im Arbeitsnormenvertrag lebenden Zweckgedanken, die Konsequenz der freien Verfügung des Einzelnen über die im Arbeitsnormenvertrag vereinbarten Rechte abzulehnen, und zwar auf Grund der von Lotmar 84 begründeten und von Rundstein 85 in vollem Umfang angenommenen Theorie der Unabdingbarkeit des Tarifvertrags (Theorie der automatischen Wirkung). Von dieser Theorie wird in der Lehre von der Rechtswirkung ausführlich zu sprechen sein. Hier ist nur das Argument zu beachten, das mit der Parteistellung im Arbeitsnormenvertrag im Zusammenhang steht. Es wird nämlich von Lotmar und ihm folgend von Rundstein 86 zur Begründung der Theorie u. a. ausgeführt: der Tarifvertrag sei nicht etwa mit den Einzelnen u t s in g u I i geschlossen, sondern mit der in sieb verbundenen Mehrheit A 11 er; was aber die Mehrheit verabrede, sei außerhalb der Verftigungsrnacbt des Einzelnen. Das heißt mit anderen Worten, daß das Subjekt der Rechte aus dem Arbeitsnormenvertrag nicht der Einzelne, sondern die Gesamtheit sei. Damit ist die Vertretungstheorie aber nicht gerechtfertigt, sondern auf34 36 36

A. V. S. 780 ff. u. T. V. S. 106 ff. R. Wiss. S. 135 tf. A. a. 0. S. 85, 86.

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gehoben, denn wenn tatsächlich der Wille der am Vertragsabschluß Beteiligten nicht auf die Berechtigung der einzelnen Mitglieder, sondern der Mitgliedergesamtheit gerichtet war, so hindert nichts die Annahme, daß beim korporativen Arbeitsnormenvertrag Subjekt dieser Rechte der Repräsentant der Gesamtheit, eben der Verein, ist. So führt Lotmar selbst zur Verbandstheorie über, indem er durch die oben erwähnte Theorie der "automatischen Wirkung" den praktischen Bedürfnissen gerecht zu werden sucht. Rundstein ist übrigens bei seiner Ausführung insofern nicht ganz konsequent geblieben, als er wohl das Recht des Rücktritts vom Vertrag dem Einzelnen als solchem zuspricht, ihm das Recht der Kündigung aber, weil nur der Gesamtheit zustehend, abspricht 87 • Wir sagten: Durch den individualistischen Charakter der Vertretungstheorie sei zugleich der Arbeiterberufsverein ausgeschaltet, weil er nur als Vertreter, nicht als eigener Kontrahent gedacht ist. Als Vertreter kann er nämlich weder eigene Rechte noch Pflichten haben. Lotmar hat sich leider mit dieser Konsequenz, weil er den besonderen Tatbestand der Abschließung des Arbeitsnormenvertrags durch den Arbeiterberufsverein nicht zum Ausgangspunkt seiner Darstellung genommen hat, nicht auseinandergesetzt. Wäre dies geschehen, so hätte er wohl kaum bei seiner genauen Einsicht in die praktischen Bedürfnisse, denen der Arbeitsnormenvertrag dienen soll, an der Vertretungstheorie festgehalten, wenigstens nicht für diesen Fall. Die Ausschaltung der Organisation aus dem rechtliehen Mechanismus hat zunächst zur Folge die Unmöglichkeit, den sozialen Berufs87 A. a. 0 . S. 89 ff., insbesondere dort Anm. 20. Rundstein ist auch sonst widerspruchsvoll, so wenn er neuerdings (Streitfr. S. 35) schreibt: "Der Tarifvertrag ist ein einheitlicher Vertrag: nicht die einzelnen Kontrahenten schließen jede für sich einzelne Verträge ab, deren Summe den Tarifvertrag bilden soll, sondern alle zusammen ,zu gesamter Hand' nehmen an dem Zustandekommen des Tarifvertrags, fl' e i 1i c h u t s i n g u 1i , n i c h t a l s ein G e s a m t v e r b a n d , teil." Was ist nun richtig: Der Abschluß:"zur gesamten Hand" oder "ut singuli"? Beides wird in dem zitierten Satze angenommen.

-- 77 normen, in denen oft der Arbeitsnormenvertrag seine volle Bedeutung erlangt und die einen wichtigen Entwicklungskeim zur weiteren Fortbildung des Vertragsgedankens enthalten, in dem Vertrag eine Stätte zu bereiten. Sie könnten vielleicht als Nebenvertrag angehängt oder auf Grund der kombinierten Theorie auch mit den Arbeitsnormen vereinigt werden. Sie könnten aber nicht zu einem einheitlichen Vertrag zusammenfließen, der nur einen Weg und ein Schicksal hat. Dazu kommt, daß dem Unternehmer der wichtigste Anhaltspunkt für sein Vertrauen in die Dauerhaftigkeit des Vertrags und die dadurch herbeigeführte Befriedung des Arbeitsverhältnisses, wie schon oben hervorgehoben worden ist, entzogen wird. Denn es kann, wenn nur die einzelnen Mitglieder die Vertragssubjekte :::ind, keine Pflicht des Berufsvereins entstehen und damit auch keine Haftung aus dem Vertrag. Und wie keine Pflicht entstehen kann, so kann sich auch kein Recht des Arbeiterberufsvereins bilden. Die Folge ist, daß der Arbeiterberufsverein auch nicht als Kläger wegen VerJetzungen des Vertrags auftreten und eine Fürsorge für seine Mitglieder rechtlich nicht betätigen kann. Die Auffassung Rundsteins 88 , daß trotz der mangelnden Rechtsträgerschaft des Arbeiterberufsvereins ein selbständiges Klagerecht des Arbeiterberufsvereins vorhanden sein könne, beruht auf dem von ihm vertretenen eigentümlichen Standpunkt, der Arbeiterberufsverein sei gesetzlicher Vertreter seiner Mitglieder und könne als solcher, wenn eine Verletzung allgemeiner gewerblicher Interessen in Frage käme, selbständig im eigenen Namen vorgehen. Wir brauchen uns mit dieser Auffassung nicht auseinanderzusetzen, weil Rundstein es selbst ausspricht, daß er diesen Standpunkt für das deutsche Recht in Ermangelung einer positiven Satzung nicht vertreten könne, und es auch jedenfalls feststeht, daß eine solche Auffassung aus allgemeinen Grundsätzen nicht herzuleiten ist. 88 A. a. 0. S. 106 ff, S. 202, 203; dazu meine S. 63 Anm. 111 cit. Besprechung.

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Die Vertretungstheorie versagt aber nicht nur , wenn man sie an den Interessen mißt, die sich in dem Vertrag durchsetzen wollen, sondern auch, wenn man ihre t e c h n i s c h e Durchführbarkeit ins Auge faßt. Woran sollen die Vielen als Kontrahenten erkannt werden, die den Vertrag abgeschlossen haben? Wie soll der persönliche Geltungsbereich des Vertrags auf diejenigen erstreckt werden, die erst später, nach Abschluß des Vertrags, ankommen? Lotmar 39 selbst hat die durch diese Frage angeregten tatsächlichen Schwierigkeiten im allgemeinen wohl erkannt. Jedenfalls sind sie auch vorhanden, wenn der Arbeiterberufsverein für seine Mitglieder als Vertreter den Vertrag abschließt, insofern also eine gewisse Begrenzung in bezug auf die in Betracht kommenden Personen gegeben ist. Man wird nämlich schwerlich sagen können, wie dies gelegentlich geschehen ist, die für den Vertragsabschluß erforderliche Vollmacht der Einzelnen werde durch einen Majoritätsbeschluß der Vereinsmitglieder erteilt 40• Ein solcher Majoritätsbeschluß kann wohl eine Unterwerfung aller Vereinsmitglieder dem Verein gegenüber begründen, nicht aber kann - von besonderen Bestimmungen in den Satzungen abgesehen - ein solcher Majoritätsbeschluß die einzelnen Mitglieder als Einzelne Dritten gegenüber verbinden. Deswegen ist auch, wenn der Verein als Vertreter für die Einzelnen auftritt, im Regelfall anzunehmen, daß die Einzelnen Kontrahenten des Vertrags nur sein können, wenn sie einzeln der Vollmachtserteilung zugestimmt oder den Vertragsschluß genehmigt haben. Wenn dies aber der Fall ist, dann ist die Schwierigkeit der Feststellung vorhanden, oh das einzelne Mitglied im Einzelfalle unter der zustimmenden Majorität sich befunden hat oder nicht 41 • Diese Feststellung ist um so schwieriger, als es sich oft um große ss A. V. S. 798.

40 S. Rundstein, R. Wiss. S. 132, dazu dort Anm. 76. Rundstein dürften die Ausführungen bei Crome Fr. Pr. R. Wiss. S. 172, 173, insbesondere Anm. 101, rechtgeben. Vgl. dazu Entsch. des R. G. in Civils. Band 7 S. 169 ff. Dagegen neuerdings auch Schall S. 139, 140. 4 1 V gl. dazu die Ausführung bei Hüglin S. 79.

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Massen von Menschen handelt - man denke z. B. an eine Abstimmung des Metallarbeiterverbandes in Berlin - und eine schriftliche Aufzeichnung der Abstimmung nicht zu geschehen pflegt und wohl auch schwerlich geschehen könnte. Die gleiche Schwierigkeit der Feststellung der Vertragszugehörigkeit liegt vor, wenn es sich um einen Arbeiter handelt, der überhaupt beim Vertragsschluß nicht beteiligt war, sondern erst später ein im Tarifbereich zu vollziehendes Arbeitsverhältnis annimmt. Der Zweckgedanke des Arbeitsnormenvertrags, der eine einheitliche Arbeitsregel für Alle während der ganzen Zeitdauer des Vertrags zu schaffen sucht, verlangt, daß auch solche Arbeiter seinen Sätzen unterworfen werden. Lotmar bietet dafür das Mittel der sogenannten nachträglichen Genehmigung, und er will eine solche nachträgliche Genehmigung bei dem Verbandstarif annehmen, wenn jener Neuankommende dem Arbeiterberufsverein beitritt ~ 2 • Indessen ist die Annahme, daß der in den Verein Neueintretende damit auch den Arbeitsnormen vertragauf sich bezieht, nicht ohne weiteres begründet. Denn der in einen Verein Eintretende unterwirft sich wohl durch seinen Eintritt den Vereinsbeschlüssen, so daß er dem Verein gegenüber verpflichtet ist, die }.. nnahme ist aber nicht gerechtfertigt, daß er sich damit zugleich auch den Verträgen unterworfen habe, die der Verein Dritten gegenüber mit Wirkung für seine ein z e 1n e n Mitglieder abgeschlossen hat. Jedenfalls wird durch eine solche Konstruktion der persönliche Geltungsbereich des Arbeitsnormenvertrags Neuankommenden gegenüber nicht auf den Boden rechtlicher Gewißheit, sondern tatsächlicher Auslegung, die in den einzelnen Fällen verschieden ausfallen kann, gestellt. Eine solche Konstruktion muß von vornherein Bedenken gegen sich haben. Noch größere 13edenken stehen aber dem Versuch Lotmars gegenüber, den persönlichen Geltungsbereich des Arbeitsnormeuvertrags insbesondere auch für Nichtorganisierte (oder Neuorganisierte) durch die Vermutung zu erstrecken, daß, wenn 42

So auch Hüglin S. 90 und Rundstein a. a. 0. S. 172, 173.

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ein Nichtorganisierter (oder Neuorganisierter) zu tarifmäßigen Bedingungen Arbeit annehme, er sich auch stillschweigend dem Arbeitsnormenvertrag unterworfen habe 48 • Lotmar selbst hat die völlige Verschiedenheit des Arbeitsvertrags und des Arbeitsnormenvertrags nachgewiesen, indem der erstere unmittelbar zu Arbeit und Entgelt verpflichte, der letztere aber nur die Bedingungen vorschreibe, die gelten sollen, wenn ein Arbeitsvertrag geschlossen wird. Es ist schwerlich anzunehmen, daß, wem1 jemand einen Arbeitsvertrag abschließt, er zugleich auch, wenn er seinen Willen hierzu nicht ausdrücklich erklärt, die Absicht habe, sich einem gänzlich anderen Vertrag zu unterwerfen. Wer den Arbeitsvertrag schließt, will arbeiten und dafür Lohn emp· fangen. Daß er zugleich, wenn dies zu Tarifbedingungen geschehen soll, gewollt hat, aus dem Arbeitsnormenvertrag verpflichtet und berechtigt zu werden, darf nicht ohne weiteres angenommen werden. Es würden sich auch merkwürdige Konsequenzen aus solcher Willensauslegung ergeben. Wenn nämlich so Arbeiter A zunächst bei Arbeitgeber X in Arbeit tritt und dann bei Arbeitgeber Y, für beide aber ein verschiedener Arbeitsnormenvertrag gilt, dann könnte Arbeiter A durch zwei Arbeitsnormenverträge gebunden sein, die sich vielleicht widersprechen. Bei alledem ist das besondere Argument, auf das Hüglin 44 mit Nachdruck hinweist, zu beachten. Wenn nämlich die Geltung des Arbeitsnormenvertrags für den Neuankommenden von seiner Genehmigung abhängt, so kann er die Genehmigung selbstverständlich auch versagen. Es würde also die Erstreckung des Vertrags auf Alle vom Willen der Einzelnen abhängen, die in ihren Entschließungen frei sind, und der Arbeitsnormenvertrag in seiner dauernden Geltung tatsächlich auf den Zufall gestellt sein. So muß die Vertretungstheorie, weil sie mit den unzureichenden Mitteln des Individualvertrags des Problems des Kollektivvertrags Herr werden will, auch technisch scheitern. ' 3 Dagegen auch Tarifwerk S. 67, Rundstein a. a. 0. S. 173 ff. u. S. 177, Sigel 8. 21-23, Hüglin S. 83 ff., Oertmann S. 8 ff. u s. 85.

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Indem die Verbandstheorie nur ein die Gesamtheit repräsentierendes Vertragssubjekt, nämlich den Arbeiterberufsverein, kennt, hebt sie den Vertrag aus dem Bereich der Individualbeziehungen heraus und gibt ihm die seinem Wesen entsprechende ein h e i t 1ich e Ordnung. Dadurch, daß auf seiten der Arbeiter deren Vereinigung im eigenen Namen den Vertrag abschließt, wird trotz der Massenhaftigkeit der einzelnen Interessenten der Vertragsabschluß in einen Akt konzentriert. Diese Konzentration des Vertragsabschlusses bewirkt zunächst sachlich, daß der Bestand des Vertrags losgelöst wird von dem Wil1en der vielen Einzelnen und daß Herr nicht nur über die Vertragsgestaltung, sondern auch über die Vertragsdurchführung, -Ausdehnung, wie auch eventuell -Abänderung, eine geschlossene Einheit ist. Technisch wird aber durch diese Konzentration erreicht, daß die Schwierigkeit der Feststellung der einzelnen Kontrahenten wegfällt. Es ist nicht nötig zu prüfen, ob der einzelne Arbeiter dem Vertrag zugel-timmt, beziehungsweise ihn angenommen, ob er durch Beitritt in den Verein oder durch Annahme tarifmäßiger Arbeitsbedingungen die Vertragsbeziehungen auf sich erstreckt hat, und es sind jene oben berührten, oft wunderlichen Konsequenzen unmöglich, daß ein Arbeiter an den Vertrag noch gebunden sein kann , auch wenn er an dem Vertrag gar kein Interesse mehr hat , wie z. B., wenn er aus der Organisation ·ausgetreten ist und an einem ganz andern Ort als dem Vertragsort sich befindet. Es besteht nur ein Vertragssubjekt, und dieses Vertragssubjekt bleibt sich von Anfang bis zu Ende gleich , ist stets als solches erkennbar und faßbar. Erforderlich ist nur im Einzelfall die Feststellung, daß die das Rechtsgeschäft abschließenden Organe die berufenen Organe, beziehungsweise daß die im Namen des Vereins handelnden, besonders zum Abschluß des Vertrags bestellten Vertreter durch Vereinsbeschluß bevollmächtigt sind. Im ersteren Fall ist die Prüfung nach den Statuten und Vereinsprotokollen und eventuell Vereinsregisterauszügen leicht vorzunehmen. Im letzteren Fall Sinz hei mer, Arbeitsnormenvertrag. I.

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dürfte auch keine besondere Schwierigl{eit bestehen, wenn der die Bevollmächtigung darstellende Vereinsbeschluß protokolliert ist und dieser den Statuten entspricht. Es ist nur zu wünschen, daß die den Abschluß solcher Verträge betreibenden Vereine auf die Beobachtung der hier erforderlichen Formalien mehr Sorgfalt verlegen, als dies offenbar bisher in vielen Fällen geschehen ist. Jedenfalls kann sich auch hier der große erzieherische Einfluß der Gewerbegerichte, der auf dem Gebiet des Arbeitsnormenvertrags bisher schon soviel geleistet hat, bewähren. - Aber auch nur, wenn der Verband Vertrags1!ubjekt ist, ist das Interesse, das sowohl der Arbeitgeber wie auch der Arbeiter nach dem oben Gesagten an dem Arbeitsnormenvertrag hat, befriedigt. Des Arbeitgebers, dem ein Vertragssubjekt gegenübersteht, an das er sich halten kann; des Arbeiters, der auf einen Beschützer von rechtlichem Bestand rechnen kann. Nur kraft der Verbandstheorie können sich auch alle Interessen, besonders auch auf seiten der Arbeiter, ausleben, denn nur, wenn der Verband Subjekt ist, können jene sozialen Berufsnormen entstehen , die oft so wichtig sind. Es kann aber vor allem auch nur, wenn der Verband Partei ist, jene Beeinflussung der Arbeitsbedingungen durch das Berufs- und eventuell auch Klasseninteresse erfolgen, die die Arbeiterschaft anstrebt, weil sie von dem Bewußtsein durchdrungen ist, daß die Lage des einzelnen Arbeiters in vielen Beziehungen von der Lage des Berufes oder gar der ganzen Arbeiterklasse abhängig ist. Wenn z. B. die Arbeiterschaft eine Verkürzung der Arbeitszeit in einem Betriebe anstrebt, so muß dies nicht notwendig im Interesse der in diesem Betrieb beschäftigten Arbeiter erfolgen, es kann auch geschehen, um den Arbeitsmarkt von Arbeitslosen zu entlasten. Und wenn die Arbeiterschaft die Errichtung einer Lehrlingsskala für ein Gewerbe fordert, so geschieht dies in der Regel in erster Linie deswegen, um den ausgelernten Angehörigen des Berufs die Arbeitsgelegenheit zu vermehren. Ebenso hat die Forderung der Abschaffung des Kost- und Logiszwangs beim Meister

83 nicht nur den Zweck, die Einzelnen dadurch besser und freier zu stellen, sondern auch, um dadurch die Reste des patriarchalischen Systems, unter dem die Achtung vor der freien Selbstbestimmung des Arbeiters überhaupt notleiden kann, zu zerstören. In allen diesen Fällen soll der Arbeitsnormenvertrag nicht nur dazu dienen, die Arbeitsverträge der Einzelnen günstig zu gestalten, sondern auch dazu, ein Berufs- oder Klassenrecht aufzustellen, das für alle im Gewerbe von Bedeutung ist. Nur die Organisation, indem sie im eigenen Namen die Arbeitsbedingungen festlegt und die Durchführungdes Vertrags vomWillen der Einzelnen unabhängig macht, kann diese Interessen wahren und sichern 45 • - Im übrigen wird über die Berechtigung der Verbandstheorie im einzelnen ihre praktische Verwertbarkeit entscheiden; darüber gibt der zweite Teil dieses Buches, wo von der Rechtswirkung des Vertrags die Rede sein wird und der sich aufbaut auf der Verbandstheorie, den nötigen Aufschluß 46• Dort sind auch die Bedenken, die gegen die allseitig be45 Vgl. zu den obigen Ausführungen Webb a. a. 0., II, S. 86: "Die Arbeiter bilden nicht deshalb Vereinigungen, um einigen wenigen der Besten unter ihnen dabei zu helfen, sich über ihre Klasse zu erheben, sondern um die K 1a s s e s e 1b s t zu heben." S. auch S. 87 Denn nur mit der Klasse, beziehungsweise der Berufsgesamtheit, kann der Einzelne steigen, vgl. Brentano, II, S. 180: "Der gewerbliche Arbeiter hat überhaupt keine abgerundete, individuelle, wirtschaftliche Existenz ähnlich dem Eigentümer. Er hat in wirtschaftlicher Beziehung gar nicht als individuelle Persönlichkeit, sondern nur als Exemplar einer ganzen Gattung Bedeutung." S. auch Sombart, Sozialismus und soziale Bewegung, S. 12; u. Traub, Arbeit und Arbeiterorganisation, S. 139: "Der Privategoismus muß überwunden werden durch den Standesegoismus." Daß diese Gedanken auf alle Interessengruppen zutreffen, nimmt Nothnagel, S. 198, an.- Wegen der Einzelheiten im Text s. noch Brentano, li, S. 89 (Arbeitszeit), Morgenstern, Tarif und Lohn, S. 77 ff. (Lehrlingsskala). ' 6 Durch die Verbandstheorie wird die Unbestimmtheit der Vertragssubjekte vollständig behoben. Damit entfällt von vornherein Baums Argument (in Gruchots Beitr.), wonach die Unbestimmtheit der Vertragssubjekte in vielen Fällen den Arbeitsnormenvertrag überhaupt nicht als Rechtsverhältnis zur Geltung kommen lassen soll, ein Argument, das auch von anderer Seite geltend gemacht worden ist.

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friedigende Rechtswirkung der Verbandstheorie geäußert sind, zu würrligen. Hier ist noch einem grundsätzlichen Einwanrl gegen die Verbandstheorie, die den Arbeiterberufsverein zum alleinigen Träger aller Rechte und Pflichten macht, zu be~ gegnen. Er ist insbesondere in der niederländischen Doktrin des Arbeitsnormenvertrags erhoben 47 , ist aber auch für das deutsche Recht beachtenswert. Es wird nämlich ausgeführt, daß, trotzdem an sich Rechte und Pflichten entstehen, der Verein doch kein V('rtragssuhjekt sein könne, weil er kein Interesse an der Befolgung der Verpflichtung durch die andere Partei habe. Wenn ein Arbeitgeber einen zu niedrigen Lohn auszahle, sei es nicht der Arbeiterverein, der Schaden leide, sondern der einzelne Arbeiter, dem es passiere, und wo materieller Schaden fehle, könne von einem Vertrag nicht die Rede sein, ebensowenig wie wenn zwei sich versprochen hätten, einen Spaziergang zu machen. Wegen dieses angeblich fehlenden Gläubigerinteresses war auch der im Juni 1905 tagende niederlänrlische Juristentag der Ansicht, daß es eines besonderen gesetzgeherischen Ausspruchs bedürfe, damit der Arbeitsnormenvertrag als ein rechtsgültiger Vertrag angesehen werden könne 48• - Soweit dieser Einwand davon ausgeht, daß ein ökonomisches Interesse des Gläubigers die Voraussetzung für eine obligatorische Bindung sei, ist er für unser geltendes Recht unerheblich. Denn danach ist es unzweifelhaft, daß auch nicht-ökonomische Intere~sen obligatorisch geschützt werden können 49• Unser Schuldrecht reicht so weit als die Lebensbedürfnisse gehen, die Befriedigung suchen, sofern der Vertrag, der wegen dieser Bedürfnisse eingegangen wird, nur nicht gesetzlichen Verboten (§ 134 B.G.B.) oder den guten S. darüber A. G. Z., V., Nr. 43, in dem Aufsatz "Von der Rechtsgültigkeit der Tarifverträge". 41 S. darüber insbesouderc den Aufsatz von van Zanten in der Soz. Prax. XV, S. 412 ff. 4 8 S. van Zanten a. a. 0. 4 9 S. Planck, II, S. 5, sub. Il.

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Sitten (§ 138 B.G.B.) widerspricht und selbstverständlich auch nicht einer Sphäre angehört, die außerhalb des Rechtszwanges liegt, wie Gefälligkeit, Geselligkeit, Spiel und Laune 60• Aber trotzdem kann die Frage wohl aufgeworfen werden, ob der Verein als solcher an dem Vertrag überhaupt ein Interesse hat, auch wenn es ein nicht-ökonomisches ist, denn man könnte unter Berufung auf lhering sagen, daß, soweit nicht ein vom Gesetz benannter Vertrag vorliegt, diejenigen Versprechen unbeachtet bleiben müssen, "bei denen der, welcher sie sich erteilen läßt, gar kein Interesse hat." Von hier aus ]cönnte jemand fragen , was es den Verein angeht, daß der Arbeiter X 4 Mark Lohn statt 3.50 Mark bekommt, daß die Arbeiter bei dem Baumeister Y eine Baubude erhalten usw. Soweit die Antwort hierauf nicht schon aus dem früher über die Interessen der Gesamtheit an den Arbeitsbedingungen der Einzelnen Gesagten erhellt, ergibt sie sich einfach, wenn man nur einen Blick auf die Interessen wirft, die der Verein tatsächlich bei dem Abschluß eines Arbeitsnormenvertrags zum Ausdruck bringt: es ist Eigennutz und Fürsorge. Eigennutz für seine, des Vereins, Zwecke, und Fürsorge für die Zwecke der Einzelnen, welche die Arbeitsverhältnist:e eingehen und dem betreffenden Beruf angehören. Der Eigennutz kommt zum Ausdruck in den Normen, die wir die sozialen Berufsnormen genannt haben. In ihnen strebt der Verein als solcher danach, sich selbst zu behaupten und durchzusetzen. Die Fürsorge spricht sich aus in all den Normen, die wir Arbeitsnormen und individuelle Berufsnormen genannt haben. Durch sie sollen die Zwecke der Einzelnen bei dem Abschluß von Arbeitsverträgen oder sonst in ihrem Berufsleben gefördert werden. Es ist die Solidarität, die gegenseitige Hilfe, die sich in diesen Normen auslebt, dasselbe Prinzip, welches das ganze mittelalterliche Gildewesen beherrscht hat und heute nicht nur in den modernen "Arbeitergilden", sondern auch in den Arbeitgebervereinen, beziehungsweise Kartellen, seinen 50 V gl. vor allem die ausgezeichnete Untersuchung Iherings über diese Frage in dem zit. Rechtsgutachten.

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Ausdruck sucht 51 • Jener Eigennutz kann eine ökonomische Grundlage haben, sei es direkt, wenn z. B. der Arbeitgeb~r verpflichtet ist, die Kosten zu der Arbeitslosenversicherung des Arbeitervereins mit zu bestreiten, sei es indirekt, wenn z. B. bestimmt ist, daß für alle Arbeiterkategorien bei Eintreten von Vakanzen die Arbeitsnachweise der Organisation zu benutzen sind, denn hierdurch werden die versicherungspflichtigen Fälle der Arbeitslosenversicherung durch Arbeitervereine vermindert. Jener Eigennutz muß aber keine ökonomische Grundlage haben, er lmnn ausschließlich dem Interesse einer bestimmten sozialen Lebensgestaltung, die der Verein betreibt, dienen, so, wenn die Organisation das Recht hat, bei Neueinsteilungen den technischen Leiter vorzuschlagen, bei Entlassungen von Arbeitern den Entlassungsgrund zu hören usw. In allen diesen zuletzt genannten Fällen dem Verein das obligatorische Interesse abzusprechen, ist ausgeschlossen mit Rücksicht auf die mitgeteilte Auffassung des geltenden Rechts vom Wesen dieses Interesses und mit Rücksicht darauf, daß keiner der Gründe vorliegt, die die Entstehung einer Gläubigerstellung hindern. Was aber die Fürsorge anlangt, so kann sie, ebenso wie der Eigennutz, Gegenstand des schuldrechtlichen Schutzes sein. Schon dem römischen Recht war diese Einbeziehung des Altruismus in den Kreis rechtlich geschützter Güter wohlbekannt, indem es das Handeln aus verwandtschaftlicher Liebe und Pietät 51 Über die Funktion uud den Geist des Gildewesens s. Gierke, Genossenschaftsrecht, S. 240, 243. Das Prinzip der Solidarität wird auch durch die Judikatur, wenn auch oft nur einseitig, anerkannt. S. darüber Soz. Prax. XV, S. 1117 f. Nicht mit Unrecht sagt die A. G. Z., V, Nr. 35 in einer Glosse zu dieser Judikatur, daß die Solidarität "eine zwingende Notwendigkeit" sei. Das Eintreten von Gruppen für die Interessen der Einzelnen kommt auch in rechtlich durchaus anerkannter Weise in den verschiedenen, von N othnagel geschilderten Interessenvereinigungen zum Ausdruck. Von ihnen sagt dieser leider zu früh verstorbene Schriftsteller geradezu, "daß sie bewußt zu dem Zweck geschaffen wurden, der Durchsetzung konkreter individueller Rechte der Mitglieder zu dienen" (S. 19).

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gegen den Erblasser von seiten des Erben, auch Mitleiden und Wohlwollen gegen völlig fremde Personen und schließlich die Betätigung des Gemeinsinnes in der Form der actio popularis rechtlich zuließ, und das richtig verstandene gemeine Recht hat niemals diesen Standpunkt verlassen, vielmehr insbesondere gerade anerkannt, rlaß der Gläubiger von seinem Schuldner auch etwas verlangen könne, was nicht ihm, sondern dem Dritten zugute käme 52• Es ist der Anspruch auf Leistung für einen Dritten, (nicht zugunsten eines Dritten), von dem Windscheid 53 ausführt: "Von welcher Art das Interesse ist, welches er (der Gläubiger) daran hat, daß an den Dritten geleistet wird, ist nach heutigem Recht gleichgültig, namentlich ist es nicht erforderlich, daß dieses Interesse eigennütziger Art sei, es kann f!:einen Grund auch in reinem Wohlwollen gegen den Dritten haben." Daß dem Geiste des deutschen Rechts nicht das Gegenteil dieser rechtlichen Anerkennung der Fürsorgetätigkeit durch vertragliches Handeln entsprach, bedarf, da gerade die besondere Leistung der deutschen Rechtsgeschichte auf dem Gebiet der Solidarität: vor allem durch die Lebensarbeit Otto Gierkes, weithin bekannt und begründet ist, keines besonderen Beweises. So lassen sowohl das geschichtliche Vorbild, wie auch die ganze sozialwirtschaftliche Entwicklung unserer Zeit, die immer mehr die Energie des wirtschaftlichen Kampfes in die Gesamtkraft der großen Gruppen der Gleichinteressierten verlegt, damit diese für die Einzelnen sorge, den Satz auch heute feststehen, daß das Handeln für Andere dem Handeln im eigenen Interesse rechtlich gleichsteht. Der Verein ist daher Träger der Rechte und Pflichten aus dem Vertrag, trotzdem die Interessen, die er wahrnimmt, zum Teil nicht seine eigenen Interessen sind 54 • Wenn wir hiernach die Verbandstheorie als die Form S. insbesondere Ihering a. a. 0. S. 61 ff., S. 95. U (8. Aufl.) S. 273, 274. 54 Daß, wenn der Verband Vertragssubjekt ist, die Interessen, die er wahrnimmt, obligationsrechtlicher Art sind, hebt auch Schal · born in dem Aufeatz in der Soz. Prax. XV, S. 585 hervor. ö2

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ansprechen, welche die normale Gestalt des korporativen Arbeitsnormenvertrags begründet und die Rechtfertigung dafür dem Gedanken entnehmen, daß sie die zweckmäßigste Form sei, in der sich alle Interessen der Beteiligten am vollkommensten betätigen können, so ist damit zugleich auch die Anschauung Schalls (S. 116) abgelehnt, der die zweckmäßigste Form in der Kumulierung der Parteistellung von Verband und Einzelnen sieht. Gewiß mag es für viele Fälle des Rechtslebens richtig sein, daß eine Kumulierung von Rechten und Pflichten eine erhöhte Sicherung der in Betracht kommenden Rechtsverhältnisse bedeutet. Aber im Falle des korporativen Arbeitsnormenvertrags ist dagegen zu beachten, daß es nicht nur darauf ankommt, das Rechtsverhältnis nach allen Seiten hin vollkommen zu sichern, sondern auch es möglichst einfach und klar zu gestalten, damit es die nötige Schmiegsamkeit besitze, um sich leicht allen technischen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der Betriebe, für die es gelten soll, anpassen zu können. Der Arbeitsnormenvertrag kann zweckmäßig nur bestehen, wenn er elastisch ist. Diese Elastizität ist nicht vorhanden, wenn jene Kumulierung der Rechte und Pflichten angenommen wird. Schon bei Begründung des Rechtsverhältnisses müßten alle die sachlichen und technischen Bedenken gelten, die wir bereits bei der Besprechung der ausschließlichen Vertretungstheorie angeführt haben. Vor allem aber würde durch die Kumulierung jede Abänderung und eventuell auch die Auflösung des Vertrags außerordentlich erschwert. Man denke nur daran, daß sich während des Bestehens eines Arbeitsnormenvertrags das Bedürfnis einstellt, einen nicht geregelten Punkt zu regeln oder einen geregelten Punkt abzuändern, weil sich die technischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse in einem Betriebe geändert haben. In allen diesen Fällen würde es nicht genügen, wenn die Zustimmung des Verbands vorläge, es müßte auch die Zustimmung aller Einzelnen eingeholt werden. Diese Schwierigkeit mag in Einzelfällen, in denen bestimmten Ausschüssen die Regelung der Abänderung bestehender Arbeitsverträge übertragen ist, wegfallen. Sie

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bleibt für alle Fälle bestehen, wo solehe Ausschüsse nicht vorhanden sind oder wo sie vorhanden sind, nur eine beschränkte Zuständigkeit haben. Derselbe Nachteil der Schwerfälligkeit würde sich zeigen, wenn es zur Auflösung des Arbeitsnormenvertrags kommen sollte. Der Verband lcündigt mit Ablauf der Kündigungsfrist, um in neue Tarifverhandlungen einzutreten. Die Einzelnen oder ein Teil derselben kündigen nicht. Es würde also möglich sein, daß der Arbeitsnormenvertrag zum Teil aufgehoben, zum Teil aber weiterlaufen würde , eine Komplizierung der Rechtsverhältnisse, die dem Postulat der Klarheit und Einfachheit nicht entspricht. Der Arbeitsnormenvertrag wäre damit - und die Beispiele ließen sich bei Einsicht in die Rechtswirkung des Vertrags noch erheblich mehren- in vielen Fällen der Gefahr einer verschiedenen Anwendung ausgesetzt, so daß gerade ein Zweck des Arbeitsnormenvertrags, die Arbeits- und Lohnbedingungen während der Vertragsperiode möglichst einheitlich zu gestalten, durch den Apparat der Kumulierung der Rechte und Pflichten vereitelt oder doch gefährdet werden könnte. Vielleicht denkt Schall daran , diese Gefahren der Zwiespältigkeit der Vertragsverhältnisse durch den Hinweis auf die sozialrechtliche Einwirkung des Vereins seinen .Mitgliedern gegenüber praktisch außer Ansatz lassen zu dürfen. Indessen l{ann dies nicht ohne weiteres angenommen werden. Denn es dürfte zweifelhaft sein, ob eine solche sozialrechtliche Einwirkung in die individuelle Rechtssphäre der Einzelnen - und bei der Kumulierung gehörten alle Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsnormenvertrag auch dieser an überhaupt gültig ist; des weiteren aber könnte sich jedenfalls nach heutigem Koalitionsrecht (§ 152 Abs. 2 G.O.) der Einzelne jederzeit der sozialrechtlichen Einwirkung durch Austritt entziehen, eine Möglichkeit, die bei der ausschließliehen Verbandstheorie, wie sich im zweiten Teil zeigen wird, unerheblich ist, bei der Kumulierung der Verbands- und Vertretungstheorie aber eine Gefahr für den einheitlichen Bestand des Arbeitsnormenvertrags werden könnte. Im einzelnen ist zu der Verbandstheorie zu sagen:

90 1. Der Verein, der auf Arbeiterseite den Vertrag abschließt, kann rechtsfähig oder nicht-rechtsfähig sein. Im Falle der Rechtsfähigkeit ergibt sich die Regelung der einzelnen Parteifragen aus dem Wortlaut der Bestimmungen des B.G.B. über rechtsfähige Vereine (§ 21 ff.). Bezüglich der nicht- rechtsfähigen Vereine ist da von auszugehen, daß sie "Personenverbände" zur gesamten Hand mit korporativer Verfassung sind (Loewenfeld) 55 , auf die die Vorschriften über die Gesellschaft (§ 705 ff.) unter Beobachtung der besonderen Vorschrift des § 54 des B.G.B. Anwendung finden. Danach ist das die Rechte und Pflichten eines solchen Vereins beherrschende Prinzip das Prinzip der gesamten Hand, d. h. es stehen alle Rechte und Pflichten der Gesamtheit als solcher zu. Ein solcher Verein kann alle Rechtsgeschäfte, soweit die Natur der Sache nicht entgegensteht, eingehen, also sicher auch einen Arbeitsnormenvertrag. Deswegen ist auch der von Lotmar aufgestellte, in Anm. 3 (S. 64) mitgeteilte Satz, wonach, weil die Arbeitnehmerorganisation keine juristische Person sei, sie auch einen Arbeitsnormenvertrag nicht abschließen könne, sicher unrichtig. Im übrigen sind die der Gesamtheit als einer Kollektiveinheit aus dem Vertrag zustehenden Rechte und Pflichten unabhängig von den die Gesamtheit bildenden Personen: die Personen können wechseln, der Verein bleibt 56 • Jedes Mitglied, das eintritt, wird ohne weiteres Mitträger der Rechte und Verbindlichkeiten, die der Gesamtheit als einer kollektiven Einheit zustehen, wie es andererseits diese Mitträgerschaft verliert, wenn es aus dem Vereine ausscheidet 57 • 55 Vgl. Staudinger, Kommentar zum B.G.B. S. 189 zu §54 sub. I und in erster Linie: Gierke, Nicht rechtsfähige Vereine. ~6 Staudinger (Loewenfeld) a. a. 0. S. 196. Dort insbesondere die Ausführungen über den Austritt eines Mitgliedes: "Der Austritt berührt den Bestand des Vereins nicht. Eine ausdrückliche SatzurJgsvorschrift dieses Inhalts ist indessen nicht erforderlich, die Vorschrift wird sich regelmäßig von selbst aus der Tatsache ergeben, daß es sich um einen Verein handelt." 57 Nach § 738 B.G.B. wächst der Anteil des Ausscheidenden am

91 2. In der Wirklichkeit sind die Arbeiterberufsvereine, die auf Arbeiterseite den Arbeitsnormenvertrag abschließen, nicht-rechtsfähige Vereine 58 , wenn auch einzelne Ausnahmen vorkommen, in denen rechtsfähige Vereine auftreten. Man wird deswegen bei allen Ausführungen den Fall des Abschlusses durch einen nicht rechtsfähigen Verein als den Regelfall in Betracht zu ziehen haben. In jedem Fall untersteht das Handeln der Arbeiterberufsvereine den Koalitionsbestimmungen (Schall S. 25 ff.). Nach der Verfassung unseres deutschen Gewerkschaftswesens und den tatsächlichen Vertragsabschlüssen sind hierbei die den Vertrag Abschließenden sowohl Zweigvereine (Filialen, Zahlstellen) als auch Zent r a 1 verbände ö 9 • Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zu. Die Satzung kann vorschreiben, daß ihm, entgegen den weite:ren Bestimmungen des § 738, Ansprüche gegen den Verein nicht zustehen (so Staudinger, Kommentar a. a. 0). Die Satzung der Arbeiterorganisationen macht in der Regel von dieser Freiheit Gebrauch; vgl. z. B. die Statuten des Zentralverbandes der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter und -Arbeiterinnen D eutschlands, § 3, Ziffer 9: "Mit Beendigung der Mitgliedschaft erlischt sofort jedes Anrecht an den Verband." 58 V gl. Rosenberg, Das Vereinsrecht des bürgerlichen Gesetzbuches und die Gewerkschaftsbeweguug. - Nach § 50 Z.P.O. kann ein nicht-rechtsfähiger Verein nicht klagen. Daran schließt Hüglin S. 243 die Bemerkung: "Die Tatsache, daß das Recht den Gewerkschaften diejenige rechtliche Stellung v ersagt, welche für den Kontrahenten eines Tarifvertrags de1· Natur dieses Vertrags nach erforderlich ist, berechtigt zu der Behauptung, daß es auch dem Vertrag selber die Anerkennung verweigert." Dieser Satz beruht auf einem Irrtum. Jene Bestimmung ist eine rein zivilprozessuale und hat als solche keinen Einfluß auf die privatrechtliche Vertragsfähigkeit des Arbeiterberufsvereins. Wie sich übrigens die Arbeiterberufsvereine trotz dieser Bestimmung prozessual helfen können, wird später zu erörtern sein. Richtig ist, daß § 50 Z.P.O. eine der größten Erschwerungen in der rechtlichen Durchführung des Arbeitsnormenvertrags bildet. Schon hier zeigt sich der innige Zusammenhang zwischen Vereinsrecht und Arbeitsnormenvertragsrecht; s. darüber auch Koeppe S. 294. 59 Das Verhii.ltnis von Zweigverein und Zentralverband im deutschen Gewerkschaftsrecht ist rechtlich noch nicht völlig klargestellt. Wohl der erste, der hier, wenn auch nicht in besonderer Anwendung auf die Gewerkschaften, ein Problem von großer Bedeutung

92 Man wird die Zweigvereine in Übereinstimmung mit der bisher bekannt gewordenen Gerichtspraxis 60 und der gewerkschaftlichen Auslegung 61 selbst nicht als selbständige Vereine aufzufassen haben, sondern, wie sie der Entwurf des Gesetzes, betreffend die Erlangung der Rechtsfähigkeit der Berufsvereine vom Jahre 1906 schon bezeichnet hat, als "Abteilungen" der Zentralverbände, die nicht für sich, sondern nur namens und im Auftrag der Zentralverbände abschließen und abschließen können. Dies ist neuerdings auch von Schall (S. 39, 118) angenommen. Wenn daher die Zahlstelle des Holzarbeiterverbandes in der Stadt X einen Vertrag abschließt. dann dürfte in der Regel als Kontrahent nur der Deutsche Holzarbeiterverband in Betracht kommen. Hierbei können auf Arbeiterseite mehrere Verbände als Kontrahenten handeln 62 • Das Verhältnis der Mehrheit kann das Verhältnis der Pluralität oder der Solidarität sein. Pluralität liegt vor, wenn mehrere Verbände mit einem Arbeitgeber, aberein jederVerband für sich, einen Arbeitsnormenvertrag abgeschlossen hat; z. B. der christliche Holzarbeiterverhand hat neben einem Arbeitsnormenvertrag des Deutseben Holzarbeiterverbandes einen besonderen Vertrag für sich abgeschlossen; oder mit einem Arbeitgeber sind nicht nur der Deutsche Metallarbeiterverband für seine Branche, sondern auch der Zentralverband der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter und -arbeiterinnen Deutschlands für seinen Beruf Verträge eingegangen. Dagegen gesehen hat, ist Kohler, der zuerst in seinem Lehrbuch des bürgerlichen Rechts I, S. 405 f. darauf hingewiesen und dann weitere An· regungen in dem Schriftehen "Moderne Rechtsprobleme", S. 84 ff., gegeben hat. 8o Vgl. Urteil des Landgerichts Harnburg in Sachen gegen den Deutschen Holzarbeiterverband, Soz. Prax. XVI, S. 650, 651. 81 Vgl. 0. B. XVI, Nr. 9, S. 130: "Die Filialen der Gewerkschaften besitzen überhaupt kein eigenes Vermögen, sondern die bei ihnen einlaufenden Gelder gehören ohne Ausnahme der Gesamtorganisation." 62 Vgl. Rundstein, R. Wiss., S. 78, dazu Anm. 3; Hüglin, S. 71; Imle, Tarifverträge, S. 88.

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handelt es sich um Solidarität, wenn mehrere Verbände in gemeinschaftlichem Interesse zusammen einen Vertrag abgeschlossen haben. Ein Beispiel dafür bietet u. a. der im Tarifwerk III, Index S. 272, für Bromberg angeführte Bauhandwerkstarif, der auf Arbeiterseite abgeschlossen ist: a) mit dem Zentralverband der Maurer Deutschlands, b) dem Zentralverband christlieber Bauhandwerker und Bauhilfsarbeiter Deutschlands. Es kommt auch vor, daß ein Verband abschließt, "andern Organisationen aber den Beitritt gestattet, u wie dies jetzt im neuen Buchdruckertarif der Fall ist. Die Pluralität ist rechtlich unerheblich, während die Solidarität rechtlichen Einfluß auf die Rechtswirkung des Vertrages haben kann. Es wird im II. Teil darauf zurückzukommen sein. Die Weiterentwicklung wird wohl, wenn nicht die verschiedenen Branchen notwendig verschiedene Verträge erheischen, im Sinne der Solidarität am besten erfolgen. Zum Schluß sei noch ein Blick auf die Stellung geworfen, die die gesetzliche Regelung des Arbeitsnormenvertrags, beziehungsweise die Versuche zu einer solchen, in der hier zur Diskussion stehenden Frage einnehmen. Da sehen wir, daß eine Übereinstimmung in der Behandlung dieser Grundfrage noch nicht erzielt und auch die Stellungnahme im einzelnen noch sehr wenig geklärt ist, trotzdem eine klare Vorstellung des die Rechte und Pflichten des Vertrags tragenden Subjekts die erste Voraussetzung für eine rechtspolitische Behandlung bildet. Am klarsten nehmen Stellung das niederländische Gesetz vom 13. Juli 1907 63 , das Gesetz des Kantons Genf, betreffend die Art der Feststellung der Tarife zwischen Arbeitern und Unternehmern und die Regelung von Kollektivstreitigkeiten, die zwischen ihnen entstehen können, vom 26. März 1904 64 , sowie das Gesetz des australischen Staatenbundes, betreffend Vermittlung und Schiedssprechung zur Verhütung und Schlichtung gewerblicher Streitigkeiten, vom 15. Dezember 63 64

S. Anlage. Tarifwerk I, S. 166.

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1904 65 • Sie alle sehen den Abschluß des Arbeitsnormeuvertrags iin Namen des Arbeiterberufsvereins vor, das Genfer Gesetz daneben allerdings auch , mangels solcher Vereine, den Abschluß durch die nicht-organisierte Arbeiterschaft (Art. 3, Ziffer 2). Die bezeichneten Gesetze oder Gesetzentwürfe können mithin als von der Verbandstheorie beherrscht angesehen werden. Der französische Gesetzentwurf des Arbeitsministers Doumergue vom 7. Juli 1906 66 regelt zwar auch den Fall des Abschlusses eines Arbeitsnormenvertrags durch ein Syndikat (Titel 2 Art. 12), läßt aber dann doch die Rechtsbeziehungen in der Person der Mitglieder des Syndikats eintreten (Art. 15), was aber nicht hindert, daß in Art. 20 die Syndikate als klageberechtigt angesehen werden, als ob sie in eigenem Namen den Vertrag abgeschlossen hätten. Ein spanischer Gesetzentwurf, der im amtlichen Auftrag im Jahre 1905 von dem "Instituto de Reformas Sociales" ausgearbeitet worden ist 67 , geht in seinem Art. 3 von der Vertretungstheorie aus "wenn der Vertrag abgeschlossen wird zwischen dem Arbeitgeber und einem Syndikat oder einem Verein im Namen der Arbeiter " -, wendet aber dann widerspruchsvoll die Konsequenzen der Verbandstheorie an, indem es weiter heißt: "So sollen die Personenmehrheiten direkt für die von ihnen für jedes ihrer Arbeitermitglieder übernommenen Verpflichtungen verantwortlich sein und sollen für sie selbst die erforderliche juristische Persönlichkeit besitzen, um die Rechte, die diesen Verpflichtungen entsprechen, auszuüben." Ebenso inkonsequent ist der von der Societe d'Etudes Legislatives vorgelegte, von Jny und anderen ausgearbeitete Gesetzentwurf (vgl. Anlage). Trotzdem aus dem Art. 4 dieses Entwurfs erhellt, daß die Rechtsbeziehungen in der Person der einzelnen Arbeiter gipfeln sollen , werden Verpflichtungen der Syndikate als solcher ausgesprochen (Art. 8 Abs. 2) und selbständige Klagerechte dieser Syndikate anA. a. 0. S. 143 ff. ss A. a. 0. S. 125 u. 126.

on sind Minimalsätze . . . . . 3. Solidaransprüche können dnrch Einzelabrede nicht aufgehoben werden . . . § 2. Kritik der Lotmar'schen Theorie. . 1. Der Wille der Parteien. . . . . 2. Die Gebundenheit des Einzelnen in der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . 3. Arbeitsnormenvertrag und Arbeitsordnung. Zweites Kapitel: Die obligatorische Funktion . . . . . Allgemeines. I. Die Pflichten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . § 1. Der Gegenstand der Verpflichtung . . . . . . . . § 2. Die Frage der Giltigkeit, insbesondere die Absperrungsklausel . . . . . . . . . . . . . . . § 3. Zur rechtlichen Natur der Verpflichtung (Versprechen der Leistung an Dritte?) . . . . . II. Die Pflichten des Arbeiterberufsvereins . . . . . § 1. Der Friedenszweck und die Friedenspflicht im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2. Umfang und rechtliche Beziehung der Friedenspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3. Die Friedenspflicht im Besonderen . . . . . . . . I. Die Pflicht, den Arbeitsfrieden selbst aufrechtzuerhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Die Pflicht, darauf hinzuwirken, daß auch die Mitglieder den Arbeitsfrieden aufrechterhalten (Pflicht zur Exekution) . . . . . . . . . . . . § 4. Die Abgrenzung der Friedenspflicht . . . . . . . 1. von der Pflicht, für die Erfüllung der Arbeitsverträge einzustehen . . . . . . . . . . . . . 2. von der Pflicht, auf den Abschluß normgemäßer Arbeitsverträge einzuwirl